Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/25/1978

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung werden in der heutigen Sitzung die nachfolgenden Einzelpläne beraten: Einzelplan 08 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen verbunden mit Einzelplan 20 - Bundsrechnungshof Einzelplan 32 - Bundesschuld Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung dazu Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum Finanzplan des Bundes 1977 bis 1978 Einzelplan 10 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesminister für Wirtschaft Einzelplan 12 - Geschäftsbereich des Bundesminister für Verkehr Einzelplan 13 - Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post-und Fermeldewesen Einzelplan 06 - Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern in Verbindung mit Einzelplan 33 - Versorgung Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung Einzelplan 07 -- Geschäftsbereich des Bun-ministers der Justiz Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem. Aufenthalt ausländischer Streitkräfte Im Einvernehmen mit den Fraktionen haben für die Teilnahme an der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments in Berlin die nachfolgenden Abgeordneten Pairingvereinbarungen getroffen: aus der Fraktion der CDU/CSU Dr. Fuchs, Luster, Dr. Mende, Dr. Müller, Dr. Müller-Hermann, Reddemann, Dr. Starke ({0}) ; aus der Fraktion der SPD Dr. Bayerl, Scheffler, Schmidt ({1}), Dr. Schwencke ({2}), Seefeld; aus der Fraktion der FDP Jung, Dr. Vohrer. Wir kommen nun zur Fortsetzung der Zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 ({3}) - Drucksachen 8/950, 8/1285 - Ich rufe auf: Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen S - Drucksache 8/1368 Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker Einzelplan 20 Bundesrechnungshof - Drucksache 8/1377 - Berichterstatter: Abgeordneter Augstein Einzelplan 32 Bundesschuld - Drucksache 8/1383 -Berichterstatter: Abgeordneter Augstein Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung - Drucksache 8/1387 - Berichterstatter: Abgeordneter Löffler Abgeordneter Hoppe Abgeordneter Dr. Dübber Abgeordneter Simpfendörfer Präsident Carstens dazu Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({4}) zur Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1977 bis 1981 - Drucksachen 8/951, 8/1286, 8/1421 - Berichterstatter: Abgeordneter Löffler Abgeordneter Hoppe Interfraktionell sind eine verbundene Debatte und eine Redezeit von drei Stunden vereinbart worden. Die Aufteilung der auf sie jeweils entfallenden Redezeiten auf ihre einzelnen Redner nehmen die Fraktionen selber vor. Ist das Haus damit einverstanden? -- Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase ({5}). Bitte schön, Herr Abgeordneter. ({6})

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für diesen freundlichen und gütigen Empfang heute morgen. Die - ich muß sagen - sehr bemerkenswerten Ausführungen des Herrn Kollegen Hoppe, mit denen er gestern die aktuellen Haushalts- und Finanzrisiken des Bundes hier recht drastisch skizzierte, geben mir Veranlassung, noch einige Bemerkungen zum Problem der Staatsverschuldung zu machen. Die seit Jahren anhaltend hohe Verschuldung des Bundes erreicht im Jahre 1978 mit einer Neuverschuldung von 31 Milliarden DM einen neuen Nachkriegsrekord. Herr Kollege Hoppe nannte diese Verschuldung horrend und die Entwicklung dramatisch. Ich glaube, niemand hätte diese Situation zutreffender und kennzeichnender beschreiben können, als es Kollege Hoppe mit diesen Worten getan hat. ({0}) Verehrter Herr Hoppe - das sage ich ohne einen parteipolitischen Hintergrund in der Formulierung -, wenn wir nur einen Funken von Ihrer Zustandsbeschreibung und den daraus resultierenden Weiterungen, die wir uns alle zu eigen machen sollten, -in die Beratungen des kommenden Etats hinüberretten könnten, so würden wir, wie ich glaube, der Bundesrepublik Deutschland damit einen großen Gefallen vermitteln. ({1}) - Herr Kollege Löffler, was beliebten Sie zu bemerken? ({2}) Damit die Damen und Herren der Regierungsparteien zu gutem Tun kommen, müssen wir von der Opposition wieder unsere Leistung in der Vergangenheit neu ins Gedächtnis zurückrufen. Ich meine die großen Aufbauleistungen, die die CDU, CSU und FDP in den 20 Jahren von 1949 bis 1969 erbracht haben. Auch die großen Aufbauleistungen, die die Freien Demokraten zusammen mit den Unionsparteien in 20 Jahren erbracht haben, sind es wert, immer wieder in die Erinnerung zurückgerufen zu werden. Diese Leistungen bewirkten die Herausführung dieses Landes aus seinen schlimmsten Tagen. In dieser Zeit wurden neue Schulden in. der Größenordnung von 14 Milliarden DM zur Finanzierung der Staatsaufgaben aufgenommen. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, Sie nehmen heute in einem halben Jahr mehr Schulden auf, als wir in 20 Jahren zusammen aufgenommen haben. ({3}) Ich sage das, damit das auch für den Gebrauch draußen ein bißchen griffig ist. ({4}) - Solche Vergleiche sind sehr zu empfehlen; denn solche Ziffern versteht auch der Bürger sehr gut, und die behält er auch. Sie nehmen in einem halben Jahr mehr Schulden auf, als wir in 20 Jahren zusammen aufgenommen haben. ({5}) - Allein für die Zinsen, verehrter Herr Löffler, die noch 1973 nur 2 der von den Bürgern gezahlten Steuern ausgegeben werden. Wenn sich die Bundesrepublik in diesem Rhythmus weiter verschuldet - auch das kann man sich leicht merken - werden Ende der achtziger Jahre die Ausgaben für Zinsen höher als die Einnahmen aus den Krediten sein. Auch das sollte beachtet werden, und auch das hat Herr Kollege Hoppe, wohl sehend, was auf uns zukommt, mit in seine Bemerkungen eingeschlossen. ({6}) - Sie sagen es. Alle Fachleute und auch der Bundesfinanzminister, der die Sachverhalte natürlich genau kennt, sind sich darüber im klaren, daß der hohe Schuldenzuwachs auf die Dauer unvertretbar ist und mittelfristig konsolidiert, d. h. abgebaut werden muß. Es scheint mir der Ausdruck einer im höchsten Grade doch leichtfertigen Finanzpolitik, daß die Bundesregierung entgegen den selbst erkannten Notwendigkeiten - darauf kommt es mir jetzt an - auch mittelfristig weiterhin in die überhöhte Verschuldung flüchtet und es nicht zuwege bringt, sich endlich zu Vorschlägen einer dauerhaften Sanierung der Staatsfinanzen und damit eng zusammenhängend der Finanzen der Sozialversicherung und beispielsweise auch der Bundesbahn durchzuringen. Meine Damen und Herren, verhängnisvoll würde die Entwicklung verlaufen, wenn die jetzt schon vorprogrammierte Verschuldung, das jetzt schon vorprogrammierte Defizit-spending, bei etwa verbesHaase ({7}) sertem wirtschaftlichen Wachstum auf erhöhte Nachfrage der Privatwirtschaft nach Krediten treffen würde. Die zur Finanzierung der dann noch bestehenden Defizite notwendigen Kapitalaufnahmen trieben den langfristigen Zins nach oben, und die weniger zinsempfindliche öffentliche Hand würde die zinsempfindlichen privaten Nachfrager zumindest partiell vom Markt verdrängen. In diesem Falle - wohlgemerkt: in diesem Falle - wäre die staatliche Kapitalnachfrage über Anleihen und Schuldscheindarlehen gegebenenfalls viel konjunkturschädlicher, als die damit getätigten Staatsausgaben konjunkturanregend sein könnten. ({8}) Ich glaube es besteht kein Zweifel darüber: Unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten resultieren zumindest gegenwärtig in erster Linie aus einer zu schwachen Investitionstätigkeit. Diese Schwäche wird dadurch verursacht, daß die Renditen von Geldvermögen gegenwärtig höher sind als die Renditen von Investitionen. Oder, anders ausgedrückt, augenblicklich sind noch die Kapitalkosten vieler Investitionen höher als ihre Renditen. Ein Zusammentreffen forcierter staatlicher und privater Kapitalnachfrage hätte sofort Zinssteigerungen im Gefolge, die die Zahl der rentierlichen Investitionen erneut verringern würde und damit das keimende Pflänzchen eines neuen Aufschwungs im Keim ersticken müßte. ({9}) Eine weitere Ursache für die Investitionsschwäche ist die weit verbreitete Unsicherheit in Wirtschaft und Bevölkerung. Der Mangel an Vertrauen kann nur überwunden werden, wenn die Regierung sich zum Handeln entschließt - ob sie es tut, wage ich zu bezweifeln - und endlich die tatsächliche Lage darlegt und der Bevölkerung reinen Wein einschenkt. Meine Damen und Herren, auch die Steigerung der Ausgaben des Etats 1978 um 10 % erscheint mir zumindest problematisch. Sicher wäre es der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage angemessen, wenn zu den dringend notwendigen steuerlichen Entlastungen unterstützende Konjunkturanreize durch zusätzliche Ausgaben des Staates - allerdings an der richtigen Stelle - träten. Aber die Mittel, die wir dafür heute brauchten, haben Sie, die verehrten Damen und Herren von der sozialliberalen Koalition, in der Vergangenheit leider bereits mit vollen Händen ausgegeben. ({10}) Sie haben die Bundesausgaben zwischen 1970 und 1974 unterstützt durch inflationäre Steuereinnahmen, zur Finanzierung Ihrer Jahrhundertreformen extrem aufgebläht. Sie ließen aber auch jede Spur antizyklischer Finanzpolitik vermissen ({11}) - lachen Sie doch nicht-, was letztlich doch auch daran muß ich Sie immer wieder erinnern ({12}) zum Rücktritt zweier Ihrer Finanzminister führte, und zwar innerhalb eines Jahres. ({13}) Die haben doch wohl Ihre Gründe gehabt. Lesen Sie doch auch noch einmal nach, was der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 1975 zu diesen Sachverhalten ausführte. Ich zitiere: Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, daß der Staat seine Ansprüche an das Produktionspotential erhöhte, weil er sich mit zahlreichen Reformvorhaben bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern in die Pflicht begeben hatte. Die Stabilisierung geriet ins Hintertreffen. Das ist ganz genau und exakt das, was ich Ihnen soeben gesagt habe. Und an anderer Stelle heißt es: Der Ausweg in die Inflation erwies sich als Sackgasse, und je weiter man auf ihm fortschritt, um so mühsamer und verlustreicher mußte die Rückkehr zur Stabilität werden. Meine Damen und Herren, im Grunde genommen ist die Rückkehr zur Stabilität bis auf den heutigen Tag noch nicht vollends erreicht worden. Die meisten der Reformen - das wissen wir auch - sind zwar inzwischen gescheitert, die geplante Ausweitung der öffentlichen Ausgaben hat jedoch im gleichen Tempo angehalten. Heute fehlt uns, was damals nach dem Motto unseres verehrten damaligen Kanzlers Willy Brandt: „Nun erst mal einen ausgeben" - Sie wissen, das war seine erste Amtshandlung und damit gleich der erste Schritt vom Pfade der Tugend ab - zuviel verpulvert wurde. Angesichts des riesigen Schuldenturms, den die sozialliberalen Regierungen in den letzten Jahren aufgebaut haben, haben wir gegenwärtig keine Chance, die Kostenbelastung unserer Bürger durch einen Abbau der Steuern und Abgabenbelastung zu mildern und gleichzeitig auch noch öffentliche Ausgaben gezielt im investiven Bereich erheblich zu erhöhen. Statt nach dem Stabilitätsgesetz - sowohl als auch - helfen zu können, gibt es bei Inkaufnahme einer unerträglich hohen Verschuldung heute lediglich das Entweder - Oder. Trotz ständig steigender Schulden geht der Anteil der für unsere künftige Entwicklung so bedeutsamen Investitionen nach dem Finanzplan ständig zurück. Er belief sich 1973 auf nur 18 % und sank bis 1976 auf 13,3 N. Im Haushalt 1978 wird zwar ein Anstieg dieser Investitionsquote gegenüber dem Haushaltsplan 1977 auf etwa 16,7 % ausgewiesen. Hier ist jedoch gleich wieder ein Aber angebracht: diese Berechnung beruht nämlich im wesentlichen auf den Manipulationen des Finanzministers; von ihm wurde eine Reihe von Ausgaben 1978 anders gebucht und eingeordnet als im Vorjahr. Er weist bisherige laufende Ausgaben als Ausgaben für Investitionen aus. Das ändert jedoch, meine Damen und Herren, nicht den tatsächlichen Charakter dieser Ausgaben. Das weiß der Herr Bundesfinanzminister Apel genausogut wie wir. ({14}) Haase ({15}) Das ist die Sache mit den Buchungstricks, und von den Kollegen, die hier im Saale versammelt sind, weiß jeder exakt bis auf die Stelle hinter dem Komma Bescheid, worüber ich rede. ({16}) - Herr Hoppe gibt privatim und gratis Nachhilfestunden, hat er mir versichert. ({17}) In dieser Situation halte ich es mit dem Sachverständigenrat, daß eine dauerhafte, massive Erhöhung der Staatsausgaben fiskalisch und volkswirtschaftlich wohl die teuerste Variante der Beschäftigungspolitik wäre. Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit sei auch daran erinnert, daß im Grunde genommen doch, zumindest auch auf unseren deutschen Fall bezogen, Beschäftigungsprobleme auf einer Diskrepanz Von Reallohn und Arbeitsproduktivität beruhen, also nur sehr bedingt durch den Haushalt beeinflußbar sind. Jahrelang sind die Arbeitskosten, vor allen Dingen die Lohnnebenkosten - und davor dürfen wir die Augen nicht verschließen - schneller als die Produktivität gestiegen, mit der Folge der Vernichtung von über zwei Millionen Arbeitsplätzen. Bei Tarifautonomie tragen die Tarifpartner hier eine große Verantwortung. Öffentliche Arbeitsplatzgarantien - wie die von Willy Brandt unseligen Angedenkens - waren und sind wenig sinnvoll; denn der Staat verspricht hier etwas, was er im Grunde genommen gar nicht halten kann. Wie kann man von den Tarifpartnern Mäßigung verlangen, wenn der Staat sie aus ihrem Obligo entläßt und eine Vollbeschäftigungsgarantie abgibt? Welch fürchterliche Weiterungen die seinerzeit von Herrn Brandt gegebene Vollbeschäftigungsgarantie auf das Verhalten der Tarifpartner hatte, haben wir ja in der Folgezeit gesehen. ({18}) In diese Richtung zielen auch die Argumente des Sachverständigenrates. Er sieht den Problemkern gegenwärtig nicht in der Nachfrage. Das sei auch all denjenigen gesagt, die da glauben, man könne etwa durch forcierte Lohnerhöhungen Arbeitslosigkeit eliminieren. Der Sachverständigenrat deutet den verbliebenen Nachfragemangel nicht mehr als autonomen Störfaktor, sondern im wesentlichen als Reflex der ungelösten Probleme auf der Angebotsseite. Das bedeutet, Vorrang kann nicht eine Politik haben, die durch hohe Staatsausgaben mittelbar oder unmittelbar zu mehr Nachfrage führt; Vorrang gebühren dem Abbau der Kostenbelastung der Wirtschaft und einem leistungsgerechten Steuerrecht zur Verbesserung der Kaufkraft der Gesamtbevölkerung und zur Entlastung der Tarifverhandlungen. Meine Damen und Herren, diese Erkenntnis veranlaßte uns, hier massive Kosten- beziehungsweise Steuerentlastungen für Bürger und Wirtschaft im vergangenen Jahr zu fordern. Sie erinnern sich doch an die Anträge der CDU/CSU-Fraktion, die ja dann auch Gott sei Dank - zumindest partiell - ihren Niederschlag in den letzten Steueränderungsgesetzen gefunden haben. Diese Entlastungsoffensive für unsere Bürger und für unsere Wirtschaft werden wir fortsetzen mit dem Nahziel der Schaffung eines neuen, gerechten Steuertarifs. Wir sollten im laufenden Jahr schon die ersten Schritte dazu unternehmen. Lassen Sie mich noch kurz auf das Problem neuer Stellen im Bundeshaushalt 1978 zurückkommen. Es ist noch gar nicht lange her, da hörten wir: Keine neuen Stellen, sondern radikale Stelleneinsparungen. Noch in der vorletzten Haushaltsrede fand Herr Minister Apel starke Worte. Er sagte: Ich sehe keinen Grund, daß der Bund in den vor uns liegenden Haushaltsjahren mit dieser Politik - gemeint ist die Stelleneinsparungspolitik nicht fortfährt, auch wenn sie große Probleme mit sich bringt. Soweit Herr Minister Apel. Nunmehr diese Kehrtwendung! Herr Minister, über Ihr mangelndes Standvermögen in dieser und in noch einigen anderen Fragen ist nicht nur die Opposition enttäuscht. Der Kollege Hoppe hat das hier nun schon mehrfach recht deutlich zum Ausdruck gebracht. Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Natürlich sind wir von der CDU/CSU für mehr und bessere Aktivitäten der Sicherheitskräfte. Die Stellenvermehrung in anderen Bereichen erscheint uns jedoch entbehrlich. ({19}) Wir werden die diesbezüglichen Streichungsanträge jeweils bei den einzelnen Etats stellen. Ein Wort noch zu einem recht abenteuerlichen Vorschlag - gelegentlich wurde er auch hier im Hause ventiliert -, der darauf abzielt, man möge über Stellenvermehrungen im öffentlichen Dienst der Arbeitslosigkeit beikommen. Der Frankfurter Professor Wolfram Engels hat uns jüngst dankenswerterweise vorgerechnet - wir sollten die Rechnung im Hinterkopf behalten - : 100 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst entsprechen, wenn man ihre Gehälter und Ruhegehälter diskontiert, einer Investitionssumme von etwa 200 Milliarden DM. Mit einer solchen Investitionssumme, über vier Jahre verteilt, könnte man 2 Millionen Arbeitsplätze schaffen. Schlimmer noch: Die Gehälter dieser Bediensteten müssen aus Steuern aufgebracht werden, und diese müssen letztlich von der Volkswirtschaft getragen werden. ({20}) Das verschlechtert die Kostensituation erneut. Grob zugespitzt: Jeder im öffentlichen Dienst zusätzlich Beschäftigte - das ist wichtig für unsere Beratungen im Haushaltsauschuß - kostet zwei Arbeitsplätze in der gewerblichen Wirtschaft. ({21}) Haase ({22}) Ich glaube, eine weitere Diskusion dieses Vorschlags sollte sich zumindest in diesem Hause in Zukunft erübrigen. ({23}) Eine abschließende Bemerkung zur Verfassungsmäßigkeit des Haushalts. Es tut mir leid; aber auch das müssen wir noch einmal ansprechen. Herr Kollege Franz Josef Strauß hat bereits gestern darauf hingewiesen, daß auch bei dem hier beratenden Etat, und zwar nach denen der Jahre 1975 und 1976, nunmehr zum dritten Mal die in der Verfassung vorgeschriebene Obergrenze der Verschuldung, nämlich die Summe der Investitionen, überschritten wird. Ausnahmen sind, wie wir alle wissen, nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zulässig. Herr Staatssekretär Haehser vom Finanzministerium begründete diese Ausnahme jüngst in Beantwortung einer Anfrage der CDU/CSU mit der hohen Arbeitslosigkeit. Meine Damen und Herren, da aber sowohl die Bundesregierung als auch die Konjunkturinstitute, als auch die Parteien und die Fraktionen hier im Hause davon ausgehen, daß in den nächsten Jahren mit noch steigender Arbeitslosigkeit gerechnet werden muß, ist es verfassungsrechtlich meines Erachtens kaum zu rechtfertigen, die Schuldenobergrenze der Verfassung weiter zu überschreiten. ({24}) Ich möchte mich auf diese Bemerkungen beschränken. Meine Redezeit ist zu Ende. Ich spreche aber noch einmal den Appell und die herzliche Bitte aus: Wir würden der Republik einen großen Gefallen tun und eine Fülle positiver Weiterungen bewirken, wenn wir es ermöglichten, zumindest einen Teil der guten Gedanken, die Herr Kollege Hoppe hier gestern vorgetragen hat, in die Beratungen des Haushaltsausschusses hinüberzuretten und Konsequenzen daraus zu ziehen. ({25})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat Herr Abgeordneter Grobecker.

Claus Grobecker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000730, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Haase, ein bißchen kenne auch ich die Schwierigkeiten, in denen man sich befindet, wenn man eine abgegraste Wiese noch einmal betreten muß. Das ist dann ein bißchen dünn, weil das Gras schon weg ist. ({0}) Ihr großer Vorsitzender, Franz Josef Strauß, hat ja gestern schon darauf geweidet. Was Sie hier vorgetragen haben, erwartet eine kurze Entgegnung. Sie redeten z. B. von der niedrigen Verschuldungsrate in der Zeit zwischen 1949 und 1969 und sprachen - damit das draußen ver- standen werde - von griffigen Zahlen. Ich bitte Sie, dann auch die griffigen Zahlen über die Höhe der Löhne und der Renten in der Zeit zwischen 1949 und 1969 zu liefern; vielleicht wäre das ganz gut. ({1}) Sodann redeten Sie davon, daß durch die Verschuldung die Zinsen in die Höhe getrieben würden. Das sagen Sie hier einfach locker flockig. ({2}) Sie können doch nicht übergehen, daß die Zinsen noch nie so niedrig waren wie jetzt. ({3}) Wenn wir fair miteinander debattieren wollen, müssen wir darüber reden. ({4}) Weiter redeten Sie über Geldwertstabilität. Bei 3,5 0/0 Preissteigerungsraten bei uns und rings um uns herum weit höheren Preisen können Sie, wie ich finde, nicht sagen, daß wir die Geldwertstabilität nicht etwa als ein wichtiges, als erstes Ziel angesehen hätten. Das finde ich nicht in Ordnung. Dann haben Sie den laxen Ausdruck benutzt, wir hätten bei Antritt der Koalition 1970 erst einmal „einen ausgegeben". Vielleicht können Sie einmal erklären, was Sie damit meinen. ({5}) Die Kriegsopferversorgung etwa? Meinen Sie das mit „einen ausgegeben"? Oder meinen Sie das Konkursausfallgeld oder das Betriebsverfassungsgesetz? Was meinen Sie, wo wir 1970 bis 72 locker „einen ausgegeben" hätten? ({6}) Ich finde das nicht in Ordnung, wie Sie hier debattieren. ({7}) Ich habe Ihre Rede wirklich aufmerksam verfolgt. Ich will es einmal ohne Häme sagen: Ich habe den Eindruck, ganz besonders auch bei Ihnen, als ob Sie über den Haushalt des Jahres 1778 redeten. ({8}) Als echter Konservativer glauben Sie immer noch, der Haushalt sei ausschließlich zur Befriedigung der Bedürfnisse des Staates da - das ist aber doch nicht so; das müßten auch Sie inzwischen längst wissen -, etwa zur Befriedigung der Bedürfnisse des Staates in der Richtung, daß man Gehälter für die Beamten oder den Sold für die Streitkräfte zahlen oder aber die Hofhaltung eines absolutistischen Königs bezahlen muß. Wir sind im Jahre 1978, und dieser Haushalt ist zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger und nicht der des Staates da. .Ich finde schon, das müßten Sie endlich einmal begreifen. ({9}) Dieser Haushalt ist gleichzeitig ein wichtiges Konjunkturlenkungsinstrument, obwohl wir alle wissen, daß wir, was dieses Instrumentarium angeht, an die Grenzen des Möglichen gestoßen sind. Darüber gibt es keinen Zweifel. Im übrigen ist das gestern auch schon gesagt worden. ({10}) In diesem Sinne, als ein Instrument für die Konjunkturlenkung, muß die Finanzpolitik auch in der Lage sein, flexibel zu reagieren. Es war - ich empfinde es jedenfalls so - ein Bravourstück, das der Finanzminister vollbracht hat, auch gegenüber dem Parlament, daß er das Ruder so deutlich und vernünftig herumgeworfen hat, um wieder eine expansive Finanzpolitik zu starten. ({11}) Ich finde, Herr Haase und meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten sich die Etats 1976 und 1977 noch einmal anschauen und auch das, was dazu gesagt worden ist, auch von Ihnen gesagt worden ist. Diese Etats standen unter dem Stichwort der Konsolidierung, also des Sparens. Sie halten die gleichen Reden wie im vorigen Jahr, obwohl wir eine völlig veränderte Situation haben. ({12}) Alle haben begriffen - außer der Opposition - daß wir längst wieder durchstarten müssen, um den Konjunktursturz abzufangen, um sie zu stützen. ({13})' Das haben Sie nicht begriffen; alle außer der Opposition wissen das. Der Finanzminister mußte also mit der Gestaltung des Etats so reagieren, daß der Mitte des Jahres 1977 nach unten abknickende Konjunkturverlauf aufgefangen werden konnte. Sie reden hier über den Haushaltsplan, als wäre es nicht der Haushaltsplan 1978. Ich will gern zugeben, daß es mir auch nicht schmeckt, daß der Staat mit seiner 'Finanzpolitik immer nur auf das reagieren muß, was in der Wirtschaft passiert. Wenn Ihnen das nicht schmeckt, dann sicherlich aus anderen Gründen. Ich möchte gern, daß der Staat mit seiner Finanzpolitik agiert, nicht reagiert. ({14}) Man muß das aber, jedenfalls was die gegenwärtige. Lage angeht, hinnehmen. Die Folge dieses Umschwenkens, dieses Durchstartens war doch, daß der Haushalt ausgeweitet werden mußte. Wie soll er eigentlich ausgeweitet werden? Wenn der Steuerkompromiß auch nur halbwegs Sinn haben sollte, können Sie bei 5,9 Milliarden DM, die das gekostet hat, nicht einfach fix sagen: Die müssen wir woanders wieder herbekommen. Woher sollen wir sie bekommen, wenn nicht aus Steuern oder durch Verschuldung? Ich finde, Sie reden leichtfertig über die Verschuldung und glauben - das haben Sie selbst zugegeben -, mit griffigen Daten draußen irgend jemandem Angst zu machen, als wenn der Staat pleite wäre. So ist das doch nicht. ({15}) Im übrigen hat der Finanzminister gestern schon darauf hingewiesen - das muß man hier noch einmal tun; Sie haben vorhin von der Reform des Steuertarifs gesprochen und das noch einmal ausdrücklich als Ihre Forderung hingestellt, und zwar für das laufende Haushaltsjahr -, wenn alle Forderungen führender Unionspolitiker, die in der Öffentlichkeit, hier im Parlament und sonstwo aufgestellt worden sind, befriedigt worden wären, wäre die Verschuldungsrate auf 40 Milliarden DM angestiegen. Das ist eine exakte Rechnung, die uns vorliegt. Ich will davon die Kollegen der Union, die im Haushaltsausschuß tätig sind, gern ausnehmen, weil die ja immer „sparen" sagen, während andere Experten im Erfinden von Geldausgaben groß sind. Das ist bei Ihnen so; der eine redet so und der andere anders. Das kennen wir seit langem. Ich frage mich nur, woher Sie, Herr Haase, den Mumm nehmen, in dieser Art und Weise über die Verschuldung zu reden, wo doch Kollegen - z. B. der, der neben Ihnen sitzt - in der Öffentlichkeit dauernd herausposaunen, was an Steuererleichterungen alles noch gewährt werden muß. Das treibt - das muß klar sein - die Verschuldung in die Höhe. Darüber gibt es keinen Zweifel. ({16}) Die Steuermindereinnahmen und die Haushaltsmehrausgaben machen zusammen 31 Milliarden DM Verschuldung aus. Eingeplant hatten wir 21 Milliarden DM. Durch die Kompromisse, die mit dem Bundesrat gemacht worden sind, die wir hier alle miteinander abgesegnet haben, ist diese Verschuldungsrate von 21 Milliarden auf 31 Milliarden DM gestiegen. Da kann man sich, wenn man glaubwürdig bleiben will - aber vielleicht legen Sie gar keinen Wert darauf, glaubwürdig zu sein -, nicht hier hinstellen und anschließend beklagen, daß es nun 31 Milliarden DM geworden sind. ({17}) Es gibt nur diese eine Möglichkeit über die Verschuldung, wenn man nicht gleichzeitig an der Steuerschraube drehen will. Die Steuererleichterungen haben 5,9 Milliarden und die Ausgabenerhöhungen 4 Milliarden DM ausgemacht. Dies muß kompensiert werden. Die Finanzierung dieser neuen Schulden ist, meine Damen und Herren, nicht nur möglich, sondern auch nötig; denn 148 Milliarden DM zusätzliches Vermögen in privater Hand schreien geradezu danach, reaktiviert zu werden. Wenn niemand anders investiert, muß es eben der Staat machen das ist antizyklische Konjunkturpolitik. Dieser Zusammenhang muß nach meiner Auffassung selbst den Konservativen klarwerden, obwohl das, wie ich zugeben will, ein bißchen schwierig ist. Weil Sie aber dennoch dauernd und immer wieder sagen, wir müßten sparen, muß ich Ihnen - da hilft nun alles nichts - noch einmal, auch wenn es Ihnen aus den Ohren wieder herauskommt, verklaren, wie die Ausgabenblöcke in diesem Haushalt 1978 nun aussehen, damit Sie - vielleicht einer Ihrer nächGrobecker sten Sprecher - dann die Gelegenheit haben zu sagen, wo denn nun gespart werden soll. Da ist erstens die soziale Sicherheit mit 67 Milliarden DM. Dazu gehören Wohngeld und Kindergeld, dazu gehören der Zuschuß zu den Rentenversicherungsanstalten, BAföG usw. Wollen Sie da sparen? Vielleicht; wir warten auf Ihre Vorschläge. Zweitens die äußere Sicherheit: Dazu gehören die Verteidigung mit 40 Milliarden DM und die Entwicklungshilfe. Vielleicht machen Sie dort Vorschläge. Wir erwarten Sie. Drittens die innere Sicherheit mit 47 Milliarden DM: Dazu gehören z. B. Berlin, Rechtswesen, Poli- zei und all das, was wir aus diesem Bereich kennen. Nehmen Sie viertens das, was wir „Zukunftssicherung" nennen, mit 33 Milliarden DM. Dazu gehören Wirtschaftsstrukturprogramme, Forschung, Energievorsorge. Irgendwann, finde ich, müßten Sie - das ist nicht zuviel verlangt - hierher kommen und sagen, wo und wieviel Sie bei einem dieser Blöcke streichen wollen. ({18}) Kommen Sie mir nicht damit, daß Sie die Bleistifte der Beamten oder etwas ähnliches streichen wollen. Das bringt kein Geld. Sie müssen an die großen Blöcke heran! Ein um 10 % steigender Haushalt ist ja durchaus als expansiver Haushalt zu bezeichnen. Nun sagen Sie - dieser Vorwurf kommt immer wieder -, wir würden das Geld an der falschen Stelle ausgeben, das sei überhaupt keine Expansion. ({19}) - Ja, ganz langsam! Da müssen wir uns die Vergleichszahlen, die Steigerungsraten eben noch einmal ansehen. Erstens: 4 % Steigerung beim Personal; zweitens sächliche Verwaltungsausgabensteigerung 11 °/o. ({20}) - Ja, aber wenn Sie nicht tatsächlich nur an Bleistifte denken, die dazu gehören, sondern auch an Maschinen, Geräte und Ausrüstungen, kann ich Ihnen nun nicht mehr helfen. Es ist doch wohl klar, daß zu den sächlichen Verwaltungsausgaben nicht nur Bleistifte gehören, . ({21}) sondern auch ein paar andere Geräte, die Geld kosten und deren Anschaffung jetzt konjunkturbelebend wirkt. ({22}) - Lassen Sie mich weiter aufzählen: Zuwendungen und Zuschüsse, Steigerungsrate 9 %. Was eigentlich wollen Sie dagegen sagen? Baumaßnahmen: Steigerungsrate 11 °/o; sonstige Investitionen, die wir einschließlich des 16-Milliarden-Programms getätigt haben: Steigerungsrate 18 %. Nun sagen Sie mir angesichts dieser Steigerungsraten - 4.% bei Personal, 18 % bei den Investitionen - einmal, wo wir das Geld falsch ausgeben. Sie müssen uns einmal erzählen, wie Sie denn anders als wir mit dem Haushalt Konjunkturankurbelung machen zu können glauben. Die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt die Risiken dieses und natürlich auch des folgenden Haushalts für 1979, und zwar nicht nur die Risiken des Bundes und der Länder, sondern selbstverständlich auch die Haushalte der Sozialversicherung. Das ist so, und das wissen Sie auch. Wir jedenfalls glauben, daß wir mit der Gestaltung dieses Haushaltes diesen Risiken in angemessener Weise begegnen, obschon wir gleichzeitig wissen, daß wir hier auch an die Grenzen dessen kommen, was man mit einem Haushalt an Konjunkturpolitik machen kann. Wir jedenfalls stimmen diesem Etat zu. Wir sind der Auffassung, daß der Bundesfinanzminister die schwierige Strecke des Jahres 1977 bei der Aufstellung des Haushalts 1978 mit Bravour überwunden hat. Wir danken ihm dafür. ({23})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und und Herren! Bei der Beratung der Einzelpläne 08, 32 und 60 wird, so habe ich mir sagen lassen, traditionell der große Angriff der Opposition gestartet. Ich glaube aber, Herr Haase, wenn dies Ihnen schon nicht gelungen ist, wird es wohl Herrn Carstens nachher auch nicht gelingen. ({0}) So einfach scheint diese Aufgabe also nicht zu sein. ({1}) - Das ist richtig, Herr Glos. Gehen Sie einmal nach Bayern und fragen Sie einmal, wie es dort aussieht. Der Kollege Strauß hat gestern die Verschuldung des Bundeshaushalts kritisiert. Der Kollege Strauß wird, wenn er im nächsten Jahr möglicherweise in Bayern seinen Haushalt vertreten muß - ich gehe davon aus, daß dies nicht völlig ausgeschlossen ist -, dann auch einen Haushalt vertreten müssen, der eine relativ ansehnliche Verschuldungsrate aufweist. Auf dieses Thema werden wir noch zu sprechen kommen. Ich möchte jetzt gern auf das antworten, was der Kollege Haase hier vorgetragen hat. Es ist Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren. Ich bin allerdings der Auffassung, daß zu dieser Aufgabe auch gehört, entsprechende Alternativen vorzulegen. Es genügt nach meinem Eindruck nicht, bei der Wahrnehmung der Aufgabe einer Opposition auf Autoaufklebern lediglich die Jahreszahl in Verbindung mit der Alternative auszuwechseln. Sie bezeichneten sich einmal als „Alternative '76". Das ist mittlerweile vorbei; es hat nicht viel gebracht. Ich bin gespannt, wann von Ihnen nun die nächste Jahreszahl genannt wird. Die Aufgabenstellung ist, wie gesagt, nicht ganz so einfach. Wenn Sie es mir gestatten, möchte ich mit der Genehmigung des Präsidenten - weil einige Kollegen aus der Mitte des Hauses schon häufiger im Reich der Mitte waren- hier ein Zitat von Mao anführen. Der Titel lautet: Kümmern wir uns um das Wohl der Massen, achten wir auf die Arbeitsmethoden. Im einzelnen heißt es dort: Es kommt nicht nur darauf an, die Aufgaben zu stellen, sondern auch die Frage zu lösen, mit welchen Methoden diese Aufgaben zu erfüllen sind. Wird die Frage der Methode nicht gelöst, ist auch das, was man über die Aufgabe sagt, leeres Geschwätz. ({2}) So weit diese, wie ich finde, treffende Beschreibung der Arbeitsweise der Unionsparteien, wenn es darum geht, den Bundeshaushalt, den die Regierungskoalition im Haushaltsausschuß beraten und beschlossen hat, mit einer entsprechenden oppositionellen Alternative zu begleiten. Wer die Entgegnung von Herrn Dr. Kohl auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers aus der vergangenen Woche noch einmal nachliest und die Arbeitsanweisungen des Kollegen Franz Josef Strauß für eine ordentliche Oppositionsarbeit kennt, steht dann noch vor dem Problem, daß niemand so recht weiß, in welchem Land die Opposition eigentlich Politik machen will. Es ist ja nicht so, daß es in unserem Lande keine Probleme gibt. Daß z. B. das Wirtschaftswachstum nicht die Zuwachsraten aufweist, die wir wohl alle wünschen, daß z. B. die Arbeitslosenzahl zu hoch ist, bestreitet niemand. Das wirtschaftliche Gleichgewicht ist insgesamt gestört. Dies ist aber eine gemeinsame Einschätzung, eine Einschätzung von Regierung und Opposition. Bei der Einschätzung und Prognosefähigkeit der Opposition werde ich allerdings häufig daran erinnert, daß die Opposition die Fähigkeit hat, sich bereits dann zu kratzen, wenn sie noch nicht weiß, wo es juckt. ({3}) Was die Einschätzung der Opposition zur wirtschaftlichen Lage angeht, so ist sie leicht in der Drucksache 8/876 nachzulesen, in der die CDU/ CSU-Fraktion die Anwendung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft damit begründet, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht bei den Zielgrößen „hoher Beschäftigungsstand" und „Stabilität des Preisniveaus" gestört ist, wenngleich wir hinsichtlich der Stabilität des Preisniveaus zugeben müssen, daß wir an der Preisfront einen erheblichen Vorteil gegenüber allen anderen Industrienationen haben. Herr Haase, wenn es auch weh tut: Aber das kann man ja nun einmal zugeben. Das macht sich auch ganz gut. Das niedrige Wachstum des Sozialproduktes ist besorgniserregend. Das steht auch in diesem Antrag - wie gesagt, vom 5. September 1977 -, von Ihnen formuliert. Ich finde, wenn man das beantragt, muß man auch die Konsequenzen akzeptieren, was aber eindeutig heißt - daß ist schon mehrfach dargestellt worden -: 10 °A Abschlag bringen ein-. deutig eine große Menge an Einnahmeausfall mit sich. Damit muß man leben, und zwar mit Blick auf die Konsequenzen für den Bundeshaushalt. Hinzu kommt die Entwicklung des Dollars, von der ich sagen möchte, daß sie niemandem im voraus bekannt gewesen ist und deshalb sicherlich auch nicht prognostiziert werden konnte. Für den Dollarverfall ist weder die Bundesregierung verantwortlich noch glaube ich, daß hier der Einfluß von Franz Josef Strauß sehr groß ist. Wer die Anwendung des Stabilitätsgesetzes fordert, kalkuliert einen nicht unerheblichen Steuerausfall ein. Für den Bund bedeutet das einige Milliarden DM an Minus. Die Regierung bewertete die Anwendung des Stabilitätsgesetzes als eine nur globale Maßnahme. Der Steuergesetzentwurf der sozialliberalen Koalition hatte einen differenzierteren und daher auch gezielteren Ansatz. Das notwendige Verfahren, das unser Föderalismus nun einmal kennt - der uns allen lieb ist und mittlerweile auch sehr teuer -, hat die Sache mit dem notwendigen Länderzuschlag versehen, und von daher ist noch ein Stück draufgelegt worden. Nichtsdestoweniger haben wir am vergangenen Freitag, allerdings quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit, das Fünfte Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes einstimmig über die Bühne bekommen. Das gehört auch zu den vielen - ich sage einmal - Gereimtheiten der Opposition. Es gilt also festzuhalten: Was den Einnahmeausfall angeht, haben wir daran alle miteinander mitgewirkt. Wenn wir alle zusammen auf der Einnahmeseite auf gewisse Beträge verzichtet haben, die nicht gering sind, dann finde ich, ist es nicht ganz richtig, sich vor den Konsequenzen auf der anderen Seite zu drücken. Die Konsequenz besteht nun einmal darin, daß die Verschuldung des Bundes höher ist. Das muß man in aller Form und in aller Einfachheit darstellen, weil es Leute gibt, - ({4}) - Natürlich, das ist doch ganz logisch. ({5}) Wenn Sie auf der Einnahmeseite auf einen Betrag von 10 Milliarden DM verzichten und sich auf der Ausgabeseite nicht zur Kürzung von 10 Milliarden DM verstehen, dann müssen Sie ja irgendwo für einen Ausgleich sorgen. Da Sie diesen Ausgleich weder auf der Einnahmeseite vornehmen noch auf der Ausgabeseite etwas streichen wollen, können Sie nur auf den Kreditmarkt gehen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bei Herrn Haase immer.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, warum schließen Sie denn von vornherein eine Reduzierung auf der Ausgabeseite aus? Machen Sie doch Haase ({0}) einmal ein paar Vorschläge. Vielleicht finden Sie uns dann auf Ihrer Seite. Machen Sie doch erst einmal die Vorschläge. Das wird völlig eliminiert. ({1})

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Haase, diese Geschichte haben wir schon einmal probiert. Wir von der Koalition haben bei der Beratung des Haushaltes im Haushaltsausschuß jedenfalls eine sehr zurückhaltende Art an den Tag gelegt. Sie natürlich auch: Sie haben, wenn man zusammenfassend Ihre Vorschläge zum Einsparen nimmt, nicht das erreicht, was Sie uns quasi immer vorschlagen. Sie haben Ihre Milliardenbeträge nicht herbeigeschafft. Sie haben in der Frage der Einsparung keine glaubwürdige Alternative vorgelegt. ({0}) Wer dem Bürger die Wahrheit sagen will, wer die finanz- und haushaltspolitische Situation ehrlich vor Augen hat, muß diesen Haushalt als aufgabenorientiert und aufgabengerecht ansehen. Man kann, wie gesagt, nicht auf der Einnahmeseite auf Einnahmen verzichten, an den Ausgaben nichts verändern und die Schulden im übrigen beklagen. Das ist konjunkturpolitisch nicht sinnvoll. Herr Strauß hat das Ganze gestern mit der Formulierung versehen, was diese Regierung mache, sei eine liederliche Finanzpolitik. ({1}) - Herr Schröder, Sie haben sich gestern wohl zu sehr mit der Vorbereitung Ihres großen Auftrittes beschäftigt. Auf jeden Fall haben Sie nicht die ganze Rede von Herrn Hoppe gehört bzw. nachgelesen. Sie gibt jedenfalls das, was Sie jetzt formulieren, nicht her. Sie müssen sich einmal ansehen, wie der Herr Kollege Strauß - ich habe das eben schon einmal angedeutet - gestern beispielsweise mit seinen Kollegen Stoltenberg und Vogel umgegangen ist, als er nämlich die Länderverschuldung völlig außer acht ließ und nur den Bund kritisierte. Bei den Ländern ist es folgendermaßen. Wenn man sich das beispielsweise einmal in Form einer Bundesligatabelle aufstellt, sieht man, daß Schleswig-Holstein bezüglich der Verschuldung an der Spitze steht, und Herr Vogel steht an zweiter Stelle. Wissen Sie, bei Ihnen gelten die Reden ja immer nur hier im Bundestag. ({2}) Fragen Sie einmal Ihre Kollegen in den Länderparlamenten, die mit diesen Problemen leben müssen und das vorgehalten bekommen, was Sie hier immer sagen. Wie gesagt, mit diesem Widerspruch müssen Sie leben. Ich möchte auch noch etwas zu dem Rückzug des Kollegen Strauß in die bayerische Staatskanzlei sagen. Ich weiß nicht, ob man, wenn es um Kernprobleme der Union geht, hier ein Bild aus der Energiepolitik benutzen darf. In der Union wird offenbar häufig die Staatskanzlei als so etwas wie eine Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte politische Brennelemente benutzt. ({3}) Wenn Sie Herrn Strauß gestern artig zugehört haben - wie ich hoffe, war das auch so -, dann haben Sie mitbekommen, daß er von dem berühmten Investitionsalter sprach, daß also in der deutschen Wirtschaft viele Investitionen zu alt seien. Dazu kann ich nur sagen: Der heimlich Investitionslenker bei uns heißt Strauß. Er würde nämlich am liebsten von seiten des Bundes, des Staates, den Unternehmungen vorschreiben, ab wann sie wieder neu investieren sollen. Machen Sie doch einmal einen anständigen Vorschlag in dieser Richtung! ({4}) Sie können hier doch nicht immer die Prinzipien der Marktwirtschaft herbeten und sagen, in jedem Fall sei der Staat schuld daran, wenn ein Unternehmen keine neuen Investitionen betreibt. ({5}) Ich kann nur sagen: Diese Regierung hat mit Zustimmung der Koalitionsfraktionen für diese Unternehmungen doch einiges geleistet. Die Unternehmungen haben jedenfalls auf Grund des Zweiten Steueränderungsgesetzes einiges an Möglichkeiten eingeräumt bekommen. Das sollte man auch ausnutzen. Ich habe schon bei der ersten Lesung gesagt: In diesem Lande herrscht ein gutes soziales Klima.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von der Heydt?

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das möchte ich diesmal nicht tun, .da meine Zeit irgendwann zu Ende geht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine Zwischenfrage. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte nur darauf hinweisen, daß in diesem Lande das soziale Klima in Ordnung ist; das bestreitet niemand. ({0}) - Herr Schmitz, wir behandeln heute doch auch noch den Einzelplan des Ernährungsministeriums. Dann haben Sie ja auch Ihren Auftritt. Machen Sie doch mal langsam! ({1}) Lassen Sie mich noch ein Beispiel aus der Beratung des Einzelplans 23, des Entwicklungshilfeministeriums, von gestern abend bringen. Herr Haase hat heute morgen noch einmal darauf hingewiesen, daß wir zu viele und zu große Ausgaben hätten. Gestern abend hat Herr Kollege Dr. Hoffacker 5272 wenn auch zu später Stunde, aber immerhin - gesagt, wir würden in der Entwicklungshilfe viel zuwenig Geld ausgeben. ({2}) Ich finde das beachtlich. Er sagte, das ginge alles gegen Null. Der Kollege Finanzminister ist natürlich der Auffassung; daß wir da schon zuviel ausgeben. Die Kollegen im Entwicklungshilfeausschuß würden natürlich gern eine bestimmte Rate ständig fortschreiben. Ich meine: Wir müssen uns auch in der Entwicklungshilfe gelegentlich danach richten, was wir an Finanzmitteln zur Verfügung haben. ({3}) Man muß in diesem Zusammenhang sagen, daß die Entwicklungshilfegelder keine Gelder sind, die irgendwo herausgeschmissen sind. Nachdem wir beim Einzelplan 23 als Berichterstatter gemeinsam mit der Opposition die Erhöhung des Etats beantragt haben, ist dieses Gebiet, so meine ich; nicht das Tummelfeld für die eigentliche Kritik der Opposition. Meine Damen und Herren, die haushaltspolitische Entwicklung des Jahres 1978 läßt sich - dieses hat Herr Kollege Hoppe gestern für Sie überzeugend, wahrscheinlich für Sie zu sehr überzeugend, vorgetragen - nicht beliebig lang fortsetzen. ({4}) 1979 wird die Expansionsrate des Haushalts 1978 nicht mehr gehalten werden können, auch wenn die Einnahmenentwicklung möglicherweise etwas günstiger verläuft. Die Grenzen der gegenwärtigen Schuldenpolitik sind erreicht; das bestreitet wohl niemand. Diese Wertung steht auch in Übereinstimmung mit der Wertung, die der Vorsitzende unseres Haushaltsausschusses, der CDU-Abgeordnete Windelen, abgegeben hat. Herr Kollege Windelen, Sie haben allerdings noch von einer. gesamtwirtschaftlich vertretbaren Verschuldung des Bundeshaushalts 1978 gesprochen. Ich glaube, daß man das gemeinsam unterstreichen kann. ({5}) Wirtschaftswachstum findet nicht - das ist ein wesentlicher Punkt dafür, daß wir eine etwas beklagenswerte Situation haben - auf Kommando statt, weder auf Kommando 'der Opposition noch auf Kommando der Regierenden. ({6}) Dieses Leid teilen mit uns ja alle führenden Industrienationen dieser Welt, soweit sie ein freiheitliches Wirtschaftssystem wie wir haben. Was allerdings, wie gesagt, die Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum angeht, so sind sie, insgesamt betrachtet, in unserem Lande günstiger als in jedem anderen Lande auf dieser Welt. Dieser Tatbestand ist unbestritten, wenn man nach draußen geht und mit den Politikern und Bürgern anderer Länder spricht. Lediglich die Opposition in diesem Hause hat hier ihr eigenes Weltbild. Uns geht es immer noch besser als vergleichbaren Industrienationen, obwohl wir z. B. kein Nordseeöl haben. Dem sozialen Klima in unserem Lande schadet es eigentlich mehr, wenn wir diese Zustandsbeschreibung nicht gemeinsam akzeptieren. ({7}) Die Regierung 'der sozialliberalen Koalition hat mit ihren öffentlichen Haushalten des Jahres 1977 und des Jahres 1978, den wir in dieser Woche wiederum alleine verabschieden werden - wie Sie gesehen haben, haben wir ja auch gestern wieder eine deutliche Mehrheit an den Tag gelegt ihren Teil dazu beigetragen, die Bedingungen in diesem Lande weiter zu verbessern, ({8}) damit Wirtschaftswachstum stattfindet und Arbeitslosigkeit abgebaut wird. Unsere Erfolge an der Preisfront, wenn man das einmal so formulieren. darf, können sich sehen lassen. Dies ist, international betrachtet, ein Erfolg, den man vor einigen Jahren noch nicht für mäglich gehalten hat. ({9}) Das 16-Milliarden-Programm für Zukunftsinvestitionen zeigt trotz aller Unkenrufe bereits Wirkungen. Dies kann niemand bestreiten, und der Bürger spürt es auch bereits. Das Rhein-Bodensee-Programm wird z. B. gut angenommen. Herr Kollege Schmitz, gerade Sie müssen wissen, daß dieses Programm auch für Randgebiete, die. sich definitorisch schwierig in das Gebiet einreihen lassen, positive Wirkungen hat. Mit diesem Programm werden Maßnahmen finanziert, die nicht nur Auswirkungen auf die nächsten zwei, drei Jahre haben, sondern mindestens auf die nächsten zehn Jahre. Wir machen eine Politik mit Augenmaß für die Zukunft in unserem Lande, auch für die nächste Generation, trotz aller Unkenrufe. ({10}) Außerdem machen wir mit diesem Programm auch entscheidende Schritte zur Verbesserung der Infrastruktur. Wir sichern die natürlichen Ressourcen ab und schaffen damit die Wachstumsvoraussetzungen für die 80er Jahre, und wir verbessern die Umweltbedingungen für den Bürger. Sicherlich, wir sind alle bereit, im kleinen Kreis zu akzeptieren, daß wir von den Zuwachsraten der 50er und 60er Jahre Abschied nehmen müssen. ({11}) - Aber, Herr Carstens, Sie müssen sich mal ein Geschichtsbuch nehmen; da kann man das ganz leicht nachlesen. ({12}) Dieser Abschied von den Zuwachsraten der 50er und 60er Jahre im Bruttosozialprodukt hat eben etwas damit zu tun, daß sich unsere Wachstumsstrukturen verändern. Das Verändern der Wachstumsstrukturen gilt nicht nur für unser Land, sondern gilt auch für unsere Nachbarn im euroGärtner päischen und im außereuropäischen Ausland. Von daher gibt es eben einen sogenannten strukturellen Wandel im binnenwirtschaftlichen wie im außenwirtschaftlichen Bereich. Dieser Wandel macht es nun einmal nicht leichter, die traditionellen fiskal- und haushaltspolitischen Mittel einzusetzen. Der Mitteleinsatz wird nur mit Verzögerung wirksam. Wir sind der festen Überzeugung, daß die Mittelverteilung auf der Ausgabenseite im diesjährigen Haushalt den Aufgaben entsprechend richtig ist. Wir kümmern uns weiter um die Verbesserung der Möglichkeiten im Technologie- und Forschungsbereich, insbesondere auch für kleinere und mittlere Unternehmen. Wir haben uns dieses Problems angenommen, weil wir glauben, daß dies ein zentrales Problem in den nächsten Jahren sein wird. Wir müssen stärker als bisher all die Bereiche fördern, die sogenanntes intelligentes Know-how anbieten. Dazu gehören natürlich und vor allem Umweltschutztechnologien. Intelligentes Know-how gilt allerdings nicht nur in bezug auf unsere Binnenwirtschaft. Sosehr wir Umweltschutznormen an unsere Produktionsmethoden oder an die Produkte in unserem eigenen Lande stellen, so werden unsere Exportländer demnächst Ansprüche an das stellen, was wir als Importe anbieten. In Klammern kann man hinzufügen: das ist ja bereits in Teilen passiert, in Amerika z. B. mit den dorthin gelieferten Autos; das hat erhebliche Auswirkungen auf unsere eigene Produktionsstruktur gehabt. Wachstum allüberall wird es also so einfach nicht mehr geben und auch nicht so einfach geben dürfen. Der Umgang mit knappen öffentlichen Mitteln gebietet es auch, über die Wachstumsfelder zu debattieren, wo längerfristige Entwicklungspotentiale vorhanden sind. Unsere Mittel müssen dort zur Verfügung gestellt werden, wo Umweltverträglichkeit gefördert wird, rohstoffsparend produziert wird. Man kann - dies ist ein Thema, das uns schon in der vergangenen Woche beschäftigt hat - nicht ernsthaft in Parteiprogramme und Entschließungen von energiepolitischen Kongressen das Gebot des Energiesparens hineinschreiben und dann, wenn es aktuell wird, wenn es praktisch wird, sich in Verfahrensfragen eine, wie man findet, angemessene Entschuldigung dafür suchen, daß man ein bestimmtes Angebot des Bundes nicht annimmt. BadenWürttemberg hat in der letzten Zeit wohl etwas die Rolle übernommen, die der amerikanische Kongreß im Zusammenhang mit dem Energiesparprogramm des Präsidenten Carter spielte. Nur, jene, die heute dieses Energiesparprogramm torpediert haben, werden nicht müßig werden, in den kommenden Jahren zu beklagen, daß wir nicht rechtzeitig genug Energie eingespart haben. Dann werden die Reden gehalten werden, daß wir über unsere Verhältnisse gelebt und uns zu wenig Gedanken gemacht haben, wie wir Energie rationeller verwenden können. Zu den Personalkosten einige Bemerkungen. Herr Haase hat darauf hingewiesen, daß wir in diesem Jahr für Personalkosten einiges zusätzlich ausgeben werden. Wir sind nicht davon abgegangen, die strikt restriktive Personalpolitik der beiden vorigen Haushaltsjahre aufzugeben. Aber die Mehrheit im Haushaltsausschuß hat sich dazu verstanden, sie vorsichtig zu lockern. Ich halte nichts davon, die Probleme des Arbeitsmarktes allein über den öffentlichen Dienst lösen zu wollen. Dies war auch nicht der Ansatz der Koalitionsfraktionen. Sie konnten sich im Haushaltsausschuß überraschend am letzten Tag nur darauf verständigen, eine globale Kürzung der Personalstellen zu verlangen. Daß dies kein für uns akzeptables Verfahren ist, können Sie verstehen. Was ich nicht ganz verstehen kann, ist, daß Sie nur zu so wenig bereit waren und es der Regierung überlassen wollten, wie dies in die Tat umgesetzt wird. ({13}) Zu der Umwandlung von Beamtenstellen hat der Kollege Hoppe gestern einiges gesagt. Mich reizt es, als Mitglied des Beamtenbundes dazu einige passende Bemerkungen an die Adresse meiner eigenen Organisation zu machen. Aber das können wir bei anderer Gelegenheit tun. Ich bin der Auffassung, daß der Bundeshaushalt 1978, wie er hier vorliegt, aufgabengerecht und aufgabenorientiert ist. Er wird uns mit Sicherheit in den nächsten Jahren noch beschäftigen, besonders wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht so vollzieht, wie wir sie alle gemeinsam erwarten. Ich meine, wir sollten in den nächsten Wochen wieder im Haushaltsausschuß im 25. Stock zusammenkommen und dann mit Ihrer Hilfe weitermachen, damit wir für das Wohl aller in diesem Land vernünftig arbeiten können. ({14})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens ({0}).

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben sich zwar redlich bemüht, verehrte Kollegen Grobecker und Gärtner. Aber Sie werden ja in Ihren Reden selbst gemerkt haben: Die Finanzpolitik der Bundesregierung ist so schlecht, daß man sie ernsthafterweise gar nicht verteidigen kann. ({0}) Ich werde auf Ihre Ausführungen gleich näher eingehen, und zwar auf den Haushalt von 1978, Herr Kollege Grobecker, und nicht von 1778. Gestatten Sie mir, daß ich vorher einige Bemerkungen zum gestrigen Beitrag des Herrn Finanzministers mache. Die ökonomischen Halb- und zum Teil Unwahrheiten, ({1}) die wir in seiner Erwiderung auf meinen Kollegen Franz Josef Strauß gehört haben, können so nicht stehenbleiben. Ich werde das in vier Punkten einzeln begründen. Carstens ({2}) Erstens. Der Finanzminister sagte, um die hohe Neuverschuldung zu rechtfertigen - ich zitiere sinngemäß -: Wir haben 1978 auf Expansion umgeschaltet, weil schon 1977 die gesteckten Wachstumsziele nicht erreicht wurden. Wie kann man Expansion über öffentliche Finanzen machen? Man kann sie über öffentliche Investitionen machen. - Wie wahr!, kann ich da nur sagen. Es stimmt sehr wohl. Wenn Sie in Wirklichkeit nur nicht das Gegenteil täten, Herr Bundesfinanzminister! Sie erhöhen die Investitionen des Bundes nicht, sondern Sie kürzen sie. ({3}) Außerdem kann man davon ausgehen, daß es von Jahr zu Jahr nur angekündigte Zahlen sind, die in der Realität gar nicht erreicht werden. Allein 1977 werden 2 Milliarden DM weniger für Investitionen ausgegeben, als Sie angekündigt haben. Was soll also Ihre Aussage, Herr Minister? Unterlassen Sie es bitte, immer wieder etwas vorzutäuschen, was gar nicht stimmt! ({4}) Zweitens hat der Herr Bundesfinanzminister zur Verschuldung gesagt, sie passe in die Gesamtlandschaft, auch die Deutsche Bundesbank halte dieses Defizit für inflationsfrei finanzierbar. Herr Minister, auch das ist so nicht richtig, das ist so nur die halbe Wahrheit. Entscheidend ist nämlich nicht, ob die Neuverschuldung des Jahres 1978 inflationsfrei finanzierbar ist - nur hierzu hat sich die Bundesbank geäußert -, entscheidend ist vielmehr die schwere Hypothek, die die Neuverschuldung des Jahres 1978 und die der vergangenen und der kommenden Jahre über Zinsen und Tilgung in den nächsten Haushaltsjahren für die Bundesfinanzen darstellt. Die Schuldendienst des Bundes wird im Jahre 1981 fast ein Fünftel der gesamten Bundesausgaben ausmachen. Herr Bundesfinanzminister, es ist unredlich, die Aussagen der Deutschen Bundesbank auf diese Weise zu mißbrauchen. ({5}) Ich komme zu einem dritten Punkt, den ich Ihnen so nun doch nicht zugetraut hätte. Sie fragten allen Ernstes, was mit den Zinsen passiert wäre, was unsere Sparer heute beklagen müßten, wenn wir ihre Spargelder nicht wieder produktiv in die Konjunktur einsetzten. Es lohnt sich, sich einmal klarzumachen, welche These Sie hier aufgestellt haben. Sie sagten damit nichts andere, als daß die hohe Verschuldung des Bundes dazu gedient habe und dazu dienen müsse, das Zinsniveau hochzuhalten. Das bedeutet im Klartext: Schuldenpolitik, damit die Sparer noch Zinsen bekommen. ({6}) Das müssen gerade Sie sagen, Herr Bundesfinanzminister, sind es doch Sie und Ihre Vorgänger gewesen, die die Sparer mit Ihrer Inflationspolitik jahrelang geradezu geschröpft haben! ({7}) Ich komme zum letzten, vierten Punkt, Herr Minister Apel. Sie haben gestern unter Anspielung auf die Verschuldungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes auf unsere Initiative bezüglich des Stabilitätsgesetzes hingewiesen. Herr Minister, mit unserem Antrag, das Stabilitätsgesetz anzuwenden, wollten wir die Wirtschaftslage positiv verändern; aber Sie haben nun diesen unseren Antrag schamlos zum Anlaß genommen, ({8}) um Ihre Schuldenpolitik einfach weiter zu betreiben und die Überschreitung des Rahmens des Art. 115 des Grundgesetzes zu rechtfertigen. Das möchte ich als infam bezeichnen. ({9})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, der Ausdruck „schamlos" liegt an der Grenze des parlamentarisch Zulässigen.

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde ihn nicht wieder verwenden, Herr Präsident. Ich möchte nun die Haushaltspolitik der Bundesregierung im Hinblick auf die zahlreichen ungelösten Probleme und Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik näher durchleuchten. Die öffentliche Verschuldung ist zwar schon einige Male angesprochen worden; aber sie ist das Thema Nr. 1 und wird es auch für die Jahre in der Zukunft bleiben. Niemand, der über. Haushalt, Finanzen und Wirtschaft hier im Deutschen Bundestag spricht, kann dieses Problem ausklammern. Seit 1974 ist die öffentliche Verschuldung nämlich mit unwahrscheinlicher Rasanz angestiegen, und dieser Schuldenberg wächst immer weiter. Diese Erkenntnis wiegt schwer angesichts der Tatsache, daß die Arbeitslosenzahlen auch noch zu Beginn des fünften Jahres nach Ausbruch der Wirtschaftskrise höher als in den Jahren zuvor sind und das Wirtschaftswachstum noch weit davon entfernt ist, in einen sich selbst tragenden Aufschwung einzumünden. Herr Minister, ich möchte mich einmal bemühen, hierfür einen Ausdruck zu finden: Der kreißende Schuldenberg Mount Apel hat bislang nur Mäuse hervorgebracht. Wer unkritisch oder sogar selbstherrlich glaubt, die öffentliche Verschuldung in diesem Tempo fortführen zu können, ist drauf und dran - das sage ich in allem Ernst -, einer ganzen Generation die Zukunft zu stehlen. ({0}). Herr Minister, ich möchte bei diesem Anlaß noch einmal die provozierende Frage stellen: Wie viele Milliarden DM brauchen Sie eigentlich noch, um endlich mit Ihrer vermeintlich richtigen Politik Erfolg zu haben? Das kann doch gar kein gutes Ende nehmen, wenn Sie sich in dieser Rasanz weiter verschulden. Obwohl sämtliche Versuche durch schwere Mißerfolge eindeutig widerlegt wurden, scheint die Bundesregierung dennoch finster entCarstens ({1}) schlossen zu sein, diesen Weg in die abenteuerliche Verschuldung fortzusetzen. Daß sie dabei, gelinde gesagt - ich werde das gleich noch näher erläutern -, zumindest an die Grenze der Legalität herangeht, was das Grundgesetz betrifft, scheint Sie, wie schon in anderen Fällen vorher, nicht sonderlich zu kümmern. Ich möchte mit Genehmigung des Präsidenten unseren Antrag begründen, den wir von der CDU/CSU- Fraktion zum Einzelplan 60 eingereicht haben. Meine Damen und Herren, wir geben Ihnen mit diesem Antrag die Gelegenheit, sich verfassungskonform zu verhalten. ({2}) Nehmen Sie dieses Angebot so ernst, wie es sich versteht, wenn es um das Grundgesetz geht! Ich möchte deutlich zum Ausdruck bringen, daß eine Regierung, die sich nicht in der Lage sieht, die Grenzen des Grundgesetzes einzuhalten, gefälligst den Hut nehmen soll. ({3}) Meine Damen, und Herren, wir haben hier drei Einzelansätze zum Anlaß genommen, um bei der Nettoverschuldung zumindest auf die Grenze zurückzukommen, die durch Art. 115 des Grundgesetzes gezogen ist. Wir haben einmal bei den Verwaltungsmehreinnahmen gefordert, daß 350 Millionen DM mehr angesetzt werden. Das können wir machen und haben es auch bereits im Haushaltsausschuß so beantragt. In den letzten Jahren sind nämlich im Durchschnitt jeweils etwa 400 Millionen DM mehr Verwaltungseinnahmen in den Haushalt hereingekommen, als angesetzt. Bei der Umsatzsteuer können wir ebenfalls 200 Millionen DM mehr ansetzen, weil die Mittel, die zur Abführung an die EG eingeplant sind, eine Reserve von etwa 500 Millionen DM beinhalten, so daß es gerechtfertigt ist, hier noch 200 Millionen DM abzunehmen. Bei dem letzten Punkt geht es um die Erhöhung der globalen Minderausgabe: Jawohl, meine Damen und Herren, hier mag es an die Substanz gehen. Aber das soll es auch. Sie gehen mit fremdem Geld um, mit Geld, das die Bürger unseres Landes ({4}) Herr Minister Apel, Ihre Finanzpolitik ist zwar schon durch die Wirklichkeit ad absurdum geführt worden. Ich möchte Ihnen jedoch anhand von Fakten, Zahlen und Daten nachweisen, welch verhängnisvollen Weg Sie weitergehen wollen. Seit 1974 - Herr Kollege Haase hat es eben zum Ausdruck gebracht - machen Sie nun schon zum fünften Mal Jahr für Jahr wieder mehr neue Schulden, als CDU/ CSU-geführte Regierungen in zwanzig Jahren zusammengenommen. Versuchen Sie nicht, Herr Minister, sich damit herauszureden, daß wir im Schuldenstand pro Kopf der Bevölkerung immer noch nicht an der Weltspitze stehen! ({5}) Zum einen haben wir uns vor dreißig Jahren durch die Währungsreform der Altschulden entledigt. Zum anderen sind Sie bereits dabei, die anderen mit Riesenschritten einzuholen. ({6}) Nein, meine Damen und Herren, die gegenwärtige Krise ist keine temporäre Erscheinung, auch wenn versucht wird, hier ständig neue konjunkturpolitische Motivationen unterzumogeln. Schon der Einstieg in die hohe Staatsverschuldung - auch dazu hat der Kollege Haase etwas ausgesagt; ich möchte das unterstreichen - in den Jahren 1974/75 war von Anfang an überwiegend struktureller Natur. Das Anfang der siebziger Jahre noch unter Brandt und Schmidt mit inflationsbedingten Steuereinnahmen finanzierte, schon damals nicht vertretbare höhere Anspruchsniveau des Staates wurde geradezu leichtsinnigerweise kurzerhand auf die Verschuldung umgelegt. Mit morphiumähnlicher Wirkung versuchte man, über die immer höheren Kredite, den deutschen Bürgern zu verheimlichen, daß die angebliche Reformpolitik schon frühzeitig gescheitert war. Eine verwerfliche und gefährliche Politik! ({7}) Dieses strukturelle Defizit wurde bis heute weiter fortgewälzt, weil die Bundesregierung nicht den Mut hatte, notwendige Konsequenzen zu ziehen, nämlich die Ansprüche des Staates zurückzunehmen. Vornehmlich hieran, ganz vornehmlich hieran krankt die deutsche Finanzpolitik, und zwar von Jahr zu Jahr mehr mit sich steigernder Wirkung. Die Bundesregierung hat die überfällige Korrektur ihres wirtschaftspolitischen Kurses stets verweigert. Der Kollege Haase hat bereits darauf hingewiesen, daß die Minister Schiller und Möller nicht mehr bereit waren, diesen verhängnisvollen Weg weiter mitzugehen. Aber es fanden sich immer wieder vermeintliche Finanzkünstler, die bereit waren, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. ({8}) Heute sind wir bereits so weit, daß selbst über 30 Milliarden DM allein beim Bund so gut wie keine oder bestenfalls ganz geringe Wachstumsimpulse geben. In der Haushaltsdebatte des vergangenen Jahres erklärten Sie, Herr Minister, ich möchte sagen: fragend hilflos in etwa: Wie denn sonst als durch mehr staatliche Maßnahmen wollen Sie denn die Konjunktur ankurbeln? Das war in etwa Ihre Aussage. Heute reichen 17 bis 18 Milliarden DM Ausgabenerhöhung gegenüber 1977 bei über 30 Milliarden DM Nettoverschuldung - das sind 10 Milliarden DM mehr als noch im Vorjahr - gerade aus, um die Eigendynamik des strukturellen Defizits zu finanzieren. Wieviel Milliarden benötigen Sie also noch, Herr Minister, wie ich schon eben gefragt habe? Nein, Herr Minister, ich muß mit allem Bedacht sagen, diese Ihre Finanzpolitik ist gescheitert. ({9}) Ich kann völlig verstehen, daß Sie hilflos sind, ist doch Ihre von Ihnen für allein richtig gehaltene Carstens ({10}) Finanzpolitik in sich zusammengebrochen! Der Bundeshaushalt 1978 legt hierüber Zeugnis ab. Er ist im großen und ganzen eine Fortschreibung der Versäumnisse und Fehler vergangener Jahre und entbehrt jeglicher Konzeption und Perspektive für eine Wende zum Besseren. ({11}) Dieses Urteil trifft im Grunde auch auf die mittelfristige Finanzplanung zu. Wann hat es denn das schon einmal gegeben, daß der Finanzminister im März 1977 noch glaubte, in den drei Jahren 1978, 1979 und 1980 mit rund 50 Milliarden DM Nettokreditaufnahme zurechtzukommen - das ist übrigens ja auch schon eine ganze Menge, 50 Milliarden DM - und nur ein halbes Jahr später - Stand: 14. September 1977 - im nächsten Finanzplan rund 80 Milliarden DM angegeben wurden? Und selbst diese Zahl gehört schon wieder der Vergangenheit an. Nach dem. neuerlichen katapultartigen Ansteigen der Staatsschulden wäre ich nicht verwundert, wenn nun tatsächlich ein Haushaltsdefizit von 90 bis 100 Milliarden 'DM für diese drei Jahre 1978, 1979 und 1980 die Folge wäre. Das wäre dann fast das Doppelte von dem, Herr Finanzminister, was Sie noch vor zehn Monaten als absolut sicher angenommen haben. ({12}) Auch diese Schulden - und das ist das Verwerfliche - werden ganz überwiegend - das weise ich nach - nicht für zusätzliche produktive, investive Zwecke aufgenommen, was ja noch verantwortbar wäre, sondern dienen vornehmlich dem Augenblick, gehen zu Lasten der Zukunft auf Kosten der jungen Generation. Das ist unverantwortlich. ({13}) Bei der Fortführung der jetzigen Finanzpolitik der Bundesregierung ist doch eine Verbesserung der Lage gar nicht abzusehen. Ich möchte Ihnen das an Hand eines Eckwertes, der wichtig ist, nachweisen. Die Bundesregierung geht bei ihren Planungen noch davon aus, daß sie in den nächsten Jahren mit Haushaltssteigerungen in Höhe von 6 % auskommen wird. Ich sage Ihnen, daß allein die Eigendynamik des strukturellen Defizits mehr als diese 6 °/o nötig machen wird. Ich. denke dabei nur an die ständig steigenden Haushaltsansätze in Milliardenhöhe für die Bundesbahn, an die enormen Zuschüsse an die Rentenversicherung, an die noch stärker steigenden Summen für die Zinsen, die Sie zu zahlen haben, und an vieles andere mehr. Meine Damen und Herren, hierzu ein Beispiel. Schon bald, in ein, zwei Jahren wird der Bund - und das ist fast unvorstellbar - in einem Jahr allein soviel an Zinsen zu zahlen haben, wie CDU/CSU-geführte Regierungen in 20 Jahren zusammengenommen Schulden gemacht haben. ({14}) Eine unvorstellbare Summe! Das führt dazu, daß schon in diesem Jahr, pro Kopf der Bevölkerung umgerechnet, im Durchschnitt etwa 200 DM an Zinsen zu zahlen sind. Das heißt, ein Fünfpersonenhaushalt hat im Jahre 1978 allein ca. 1 000 DM nur dafür aufzubringen, daß der Bund in diesem Jahr die Zinsen für seine Schulden zahlen kann. ({15}) 1 000 DM in einem Jahr für einen Fünfpersonenhaushalt! Das ist sogenannte sozialliberale Finanzpolitik. Meine Damen und Herren, hier wird ganz deutlich: Von Geld und Finanzen verstehen Sozialdemokraten und Sozialisten nun wirklich nichts! ({16})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Carstens, könnten Sie mir sagen, wie viele Jahre seit Abraham Lincoln die Amerikaner ihre normalen Haushalte, ihre Bürgerkriege und ihre Kriege hätten führen können mit dem 60-Milliarden-Dollar-Defizit des Präsidenten Carter in diesem Jahr! ({0})

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sperling, ich glaube nicht, daß das in die Thematik des Haushalts 1978 des Bundes gehört. Ich habe Ihnen schon eben deutlich gemacht, daß Sie nicht stolz darauf sein sollten, in der Schuldenhöhe noch nicht an der Weltspitze zu stehen. ({0}) - Die Antwort wird ja gegeben, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. Hören Sie doch bitte zu! Wir haben uns der Altschulden entledigt im Zuge der Währungsreform, und holen im Moment mit einer Rasanz auf, daß wir in der Pro-KopfVerschuldung die Amerikaner bald überholt haben werden. ({1}) Und Sie brauchen nicht stolz darauf zu sein, daß das noch nicht der Fall ist. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den steuerlichen Beschlüssen des Jahres 1977 hat sich der Kollege Haase eben geäußert; ich möchte nur noch eins dazu sagen. Im Plenum des Bundestages fragen Sie uns nach den Steuerbeschlüssen und werfen uns vor, daß dadurch die Schuldenaufnahme gesteigert werden muß. Andererseits aber gehen Sie durch die Lande und rühmen sich der Taten im Zusammenhang mit diesen Steuerbeschlüssen. Das ist unfair, und Sie sollten zu diesen Beschlüssen genauso stehen wie wir, weil sie unbedingt nötig waren, weil über diese Steuerbeschlüsse zwar nur ein Teil, aber doch der Ansatz zu einer Verbesserung der Wirtschaftslage gegeben ist. ({3}) Carstens ({4}) Bei der Klärung der Frage, inwieweit nun investive Ausgaben innerhalb des Haushaltes zum Zuge kommen, habe ich bei näherer Überprüfung festgestellt, daß der Minister sich selbst - wie ich den Eindruck habe - und der deutschen Bevölkerung seit einigen Monaten etwas vormacht, was absolut nicht stimmt. Ich habe eben angekündigt, daß ich auf 1978 speziell zu sprechen kommen werde. Der Minister sagt ständig im Land und auch noch im Bundestag, daß die Investitionen des Budes 1978 stark steigen. Ich will mir diese Investitionsausgaben einmal speziell vornehmen. Die Regierung sagt selbst im Haushaltsgesetz 1978, daß nach den Angaben im Haushalt diese investiven Mittel sich um rund 4 Milliarden DM erhöhen. Aber auf Grund der Buchungstricks - und das hat die Bundesregierung in der Drucksache 8/1224 selbst eingestehen müssen - muß über 1 Milliarde DM abgesetzt werden. Es verbleibt ein nominaler Mehransatz von knapp drei Milliarden DM, einschließlich Sonderprogramm. Eine fürwahr klägliche Summe; denn dieses Sonderprogramm steckt ja. im Haushalt drin. Hierbei haben Sie die jährliche Inflationsrate und die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt noch nicht einmal berücksichtigt. Wenn dann darüber hinaus noch amtlich festgestellt ist - der Kollege Staatssekretär Haehser hat das im Haushaltsausschuß mitgeteilt -, daß im Jahre 1977 2 Milliarden DM der vorgesehenen Investitionen gar nicht zum Zuge gekommen sind, weil der Bund nicht in der Lage war, die Mittel abfließen zu lassen - dazu ist die Regierung nicht in der Lage gewesen -, kann man bei einem ähnlichen Verlauf 1978, wenn also wiederum nicht alle Mittel ausgegeben werden können, davon ausgehen, daß in Wirklichkeit 1978 nicht einmal nominal mehr investiert wird, als für 1977 im Haushalt ausgewiesen war. Das ist die Wahrheit. Ich bin auf die Zahlen gespannt, mit denen der Finanzminister dies wahrscheinlich zu widerlegen versucht; aber ich bin sicher, daß er das gar nicht kann. Die Feststellung heißt, daß die Konjunktur einfach zu kurz kommt. Finanziert werden eben strukturelle Defizite ohne nennenswerte Konjunktureffekte. Hier liegen die eigentlichen Gefahren. Strukturelle Defizite sind ein ernstes Thema. Denn sie kumulieren, wenn und solange der Staat versucht, das Niveau seiner realen Ansprüche an das Sozialprodukt aufrechtzuerhalten. Die unausweichlichen Folgen sind über kurz oder lang - einzeln oder in Kombination -: weiter steigende Arbeitslosenzahlen, schrumpfendes Wirtschaftswachstum und zunehmende Inflationstendenz, kurzum eine Entwicklung, die wir mit Stagnation umschreiben. Der Nachweis dafür läßt sich vielfach führen. Das strukturelle Defizit wird auch in Zukunft einen konjunkturellen Aufschwung verhindern, noch bevor er überhaupt 'beginnen kann. ({5}) Das ist bei diesen Überlegungen ein wichtiges Moment. Ich möchte dafür ein sehr plastisches Bild gebrauchen: In Ihrer Schuldenpolitik gleichen Sie jemandem, der selber auf der Hose steht, die anzuziehen er vorhat. Er steht sich dabei selbst im Wege. Wie immer man sich auch die Lösung der Zielkonflikte vorstellen mag, eines fällt auf: Zu dieser Frage haben in letzter Zeit verschiedentlich Journalisten in einer Weise Stellung genommen, die nachdenklich stimmen muß.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sehe, daß das Licht hier aufleuchtet, Herr Präsident. Ich möchte also weiter sprechen. ({0}) Ich wiederhole: Zu dieser Frage haben Journalisten in der Vergangenheit auf eine Art und Weise Stellung genommen, die nachdenklich stimmen muß. Ich darf an dieser Stelle mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur auszugsweise einen Artikel aus der „Deutschen Zeitung" vom 18. November 1977, geschrieben von Herrn Zwätz, zitieren: Je mehr der Schuldendienst zu einem schweren unmanövrierbaren Block innerhalb der Staatsausgaben heranwächst, desto mehr könnte - könnte! - die Neigung wachsen, sich dieser Schulden eines Tages auf die eine oder andere elegante Art zu entledigen. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Das Bild, das uns die Wirtschafts-, die Finanz- und die Haushaltspolitik der sogenannten sozialliberalen Koalition heute bieten, ist alles andere als verheißungsvoll für die Zukunft. Das ist nicht oppositionelle Schwarzmalerei, sondern amtlicher Befund. Das ist eine bittere Feststellung an der zeitlichen Schwelle, wo die mageren Jahre Ihrer Politik die fetten der früheren 70er Jahre übersteigen. Ohne Rückkehr zur marktwirtschaftlichen Vernunft sind die vor uns liegenden Probleme nicht zu lösen. Es muß Schluß damit gemacht werden, die Offenheit und Beweglichkeit dieses Ordnungssystems ständig im Sinne einer beliebigen Veränderbarkeit und Manipulierbarkeit zu mißdeuten. Niemand will die Wiederherstellung einer altliberalen Laisser-faire-Wirtschaft. Aber wir wollen auch nicht eine Sozialpolitik des Laisser-faire. Wir wollen keinen Nachtwächterstaat, sondern wir bekennen uns zu einer aktiven Rolle des Staates auch im Wirtschaftsbereich. Aber wir kommen aus der Malaise nicht heraus, wenn wir nicht der privatwirtschaftlichen Tätigkeit wieder einen höheren Stellenwert geben. Meine Damen und Herren, das deutsche Volk hat Geist, will und kann arbeiten. Es braucht lediglich eine bessere Politik als die, die Sie zu bieten haben. ({2}) Wir brauchen wieder Hoffnung und Erfolge. Andernfalls bleibt die Glaubwürdigkeit des Staates auf der Carstens ({3}) Strecke. Wir brauchen Ruhe und Besonnenheit in der Steuerpolitik, Verantwortung und Sparsamkeit in der Finanz- und Haushaltspolitik. Auch die Ausgaben müssen zur Disposition stehen. Das hat der Kollege Haase ebenfalls zum Ausdruck gebracht. Schlagen Sie doch als Regierung, die Sie dafür zuständig sind, einmal etwas vor. Sie werden wahrscheinlich ein offenes Ohr bei uns finden. ({4}) Meine Damen und Herren, wir brauchen wieder mehr Mut, Ausgewogenheit, Transparenz und Beständigkeit in der Sozialpolitik ohne Tabus. Wir brauchen vor allem wieder mehr Raum durch und mehr Vertrauen in eine marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik. Für alle diese Defizite, meine Damen und Herren, steht das Defizit in den öffentlichen Haushalten. Wir von der CDU/CSU sind bereit, die finanziellen, wirtschaftlichen und anderen Defizite mit Hilfe der deutschen Bevölkerung Zug um Zug abzubauen. ({5})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Abgeordnete Westphal.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich im Gegensatz zu meinen sonstigen Gewohnheiten am Anfang eine landwirtschaftliche Bemerkung machen. Es geht um die „abgegraste Wiese", über die wir hier reden. ({0}) Mein Eindruck ist - und ich nehme an, das wird auch bei den Kollegen Bestätigung finden -, daß die beiden Sprecher der Opposition jedenfalls nicht zu den guten „Futterverwertern" gehört haben. ({1}) Wenn man nun zum viertenmal - Herr Haase, Herr Carstens, Herr Strauß gestern, Herr Kohl vorige Woche - sieht und hört, ({2}) was an Horrorgemälden über die Finanzpolitik und die wirtschaftliche Situation unseres Landes an die Wand gemalt worden ist, dann hat man tatsächlich den Eindruck und findet man betätigt, daß offensichtlich von irgendeinem ganz anderen Land die Rede ist und nicht von dem, in dem wir leben und von dem wir hier zu sprechen haben und über dessen Etat wir eine Entscheidung zu treffen haben. ({3}) Wer hier von „Kriegsfinanzpolitik im Frieden" spricht ({4}) - und das hat Herr Strauß getan -, der liegt doch fern von der Wirklichkeit, der liegt nicht nur schief, sondern der hat jeden Sinn für kritische Maßstäbe letztlich völlig verloren. ({5}) Herr Strauß, unser Land hat die niedrigste Inflationsrate in der ganzen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Wer etwas über Kriegsfinanzen nachgelesen hat, der weiß, daß das mit Inflationspolitik schlimmster Art zu tun hat. Dieses Land ist stabiler als alle in seiner Umgebung mit Ausnahme der Schweiz. ({6}) Damit der Bürger solche -Ansichten nicht unkorrigiert übernehmen muß, ({7}) damit die Tassen im Schrank wieder zurechtgerückt werden, damit nicht untergeht, was auch der Bundeskanzler hier in seiner Regierungserklärung in einer eindrucksvollen Liste über das vorgetragen hat, was im Jahre 1977 mit Wirkung für dieses Jahr in besonderer Weise für den Bürger in diesem Lande geschaffen worden ist, zähle ich das noch einmal auf. Am liebsten würde ich das sozusagen langsam zum Mitschreiben für Sie in der Opposition tun. Trotz schwieriger Wirtschaftsentwicklung sind 1977 die Realeinkommen der Arbeitnehmer in unserem Land gestiegen. Dies wird auch bei den vorsichtigen Prognosen, die wir für 1978 zu erwarten haben, in diesem Jahr ebenfalls so sein. - Vielleicht ist es trotz aller schwierigen Dikussionen, die wir über Sozialversicherungsprobleme zu führen haben, doch auch berechtigt, daran zu erinnern, daß nicht weniger als viermal nacheinander die Renten für die Rentner um 10 bzw. 11 % gestiegen sind. - Man darf auch hier noch einmal sagen, der Sold für unsere Soldaten wurde erhöht, das Kindergeld ist verbessert worden. ({8}) Wohngeld und Ausbildungsförderung wurden angehoben. Die von uns angestrebte Kostendämpfung im Gesundheitswesen tritt tatsächlich ein. Der Weihnachtsfreibetrag ist vervierfacht worden. Die Preissteigerungsrate ist noch niedriger geworden: 3,9 °/o im Jahresdurchschnitt 1977. Und nun hören Sie bitte auch: Trotz Umsatzsteueranhebung wird das Preisniveau 1978 in noch geringerem Maße als 1977 ansteigen; das ist die Aussage der Wissenschaftler, und ich nehme an, die Bundesregierung wird sich in ihrer Voraussage dazu in ähnlicher Weise äußern können.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Friedmann?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westphal, halten Sie es für solide und für dauerhaft, wenn die von Ihnen geschilderten Maßnahmen durch Schulden finanziert sind?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Friedmann, ich werde Ihnen nachher an anderer Stelle deutlich machen, daß von dem, was wir an Schulden neu aufzunehmen haben, der ganz überwiegende Teil tatsächlich in Investitionen geht, ein kleiner Überschuß aber zur Zeit nicht; ({0}) ich komme auf dieses Thema wieder zu sprechen. Meine Damen und Herren, unser Zinsniveau - mein Kollege Grobecker hat darauf schon hingewiesen - ist so niedrig lange nicht gewesen und sollte doch wohl eigentlich der Anreiz dafür sein, jetzt zu investieren. Warum eigentlich nicht jetzt die Anlagen und den Maschinenpark erneuern? Herr Strauß hat doch hier sehr lebhaft bedauert, daß die Anlagen in unserer Industrie veralten und daß Modernisierungen auf diesem Gebiet wünschenswert wären. Wer ist denn in diesem Lande daran gehindert, diese Modernisierungen jetzt vorzunehmen? Die Kredite sind billig wie nie. Auch die Lagerkosten bei den Unternehmen belasten zur Zeit die eigenen Mittel nicht so sehr wie sonst, wenn die Lager voll sind; also auch hier sind die Voraussetzungen günstig. Aber, meine Damen und Herren, ich brauche mich bei dieser Positivliste, die beim Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung noch ausführlicher gewesen ist, eigentlich gar nicht so sehr auf die eigenen Prüfungen zu stützen. Vielleicht ist ein Zitat erlaubt. Ich las vor ein paar Tagen: Hungern werden wir nicht, auch nicht die Gürtel enger schnallen müssen. Wir werden feststellen, es geht uns gut, es geht uns nur nicht jedes Jahr besser. ({1}) Wenn selbst die „Bild"-Zeitung - und aus ihr stammt das Zitat -, bei der Wohlwollen für diese Regierung doch wohl leider nicht vorauszusetzen . ist, dies schreibt, fallen die ganzen Horrorgemälde in sich zusammen. ({2}) Die Leitgedanken unseres Bundeshaushalts, den wir hier präsentieren und verabschieden wollen, lassen sich vielleicht am- besten knapp so zusammenfassen, damit es noch einmal deutlich wird: Wir wollen durch die expansive Ausgestaltung dieses Haushalts mit einer Steigerung von 10,1 % einen dem Staat möglichen Beitrag zur Verstärkung des ungenügenden Wirtschaftswachstums leisten. Das gleiche gilt übrigens auch für das vorzulegende ERP-Programm des Jahres 1978, das eine noch höhere Steigerungsrate - 11,6 % - haben wird. Wir verzichten insbesondere zugunsten der Arbeitnehmer, aber auch zugunsten der Unternehmer auf einen beachtlichen Teil der Steuereinnahmen, um Verbrauch und Investitionen anzuregen. Ich betone „Verbrauch und Investitionen". Herr Strauß hat hier Kaufkraftanregung für falsch erklärt, und Herr Haase hat es heute morgen wiederholt. Lassen Sie mich dazu nur sagen: Damit konterkarieren Sie ja doch wohl Ihren eigenen Antrag des vorigen Jahres, ({3}) die Einkommensteuer linear um 10 °/o zu senken, denn er war doch wohl darauf gerichtet, bei denjenigen, die da kaufen können und sollen, dafür bessere Voraussetzungen zu schaffen. Man hat den Eindruck, es sei nach Ansicht von Herrn Strauß unsere einzige Aufgabe, die Staatsfinanzen einzusetzen, um für eine gute Unternehmerrendite zu sorgen; dann wäre alles okay. ({4}) - Sie bestätigen das. Das soll also unsere einzige Aufgabe sein. ({5}) Wir sind übrigens gar nicht so einseitig. Das sieht man ja an unseren steuerpolitischen Entschlüssen. Wir haben hier beachtliche Entlastungen für die Unternehmerseite beschlossen. Denken Sie an die Reform der Körperschaftsteuer, an die Senkung des Vermögensteuersatzes, an die Verbesserung der degressiven Abschreibung und an die Erhöhung der Freibeträge in der Gewerbesteuer. Nur kann diese Einseitigkeit, die Sie uns hier vortragen, nicht Politik einer sozialliberalen Koalition sein, und sie ist es auch nicht ({6}) Zur gleichen Zeit verstärken wir im Haushalt den Investitionsanteil. Hier komme ich auf das zurück, was Herr Dr. Friedmann gefragt hat; auch Herr Carstens hat dazu ja eine Reihe von abenteuerlichen Bemerkungen gemacht. Herr Carstens sagte, wir erhöhten den Investitionsanteil nicht, sondern wir kürzten ihn. Der Investitionsanteil im Haushalt 1978 steigt um 28 % gegenüber dem Investitionsanteil des Haushalts 1977. 29 Milliarden DM innerhalb dieses Etats sind Mittel, die für Sachinvestitionen wirken. Herr Friedmann, wir haben 31 Milliarden DM als den Teil anzusehen, den wir an Schulden neu aufzunehmen haben. Das heißt, wir überschreiten diesen Punkt, aber wir überschreiten ihn selbstverständlich - sehen Sie sich die Zahlen an - nur in einer geringfügigen Größenordnung. Es ist also klar, daß unsere Politik, wie sie in diesem Haushalt ihren Ausdruck findet, durch eine Steigerung des Investitionsanteils dieses Haushalts unterstrichen wird. Zur gleichen Zeit schwächen wir in keiner Weise den Beitrag des Haushalts zur sozialen Sicherung ab. Dies kommt für unsere Politik nicht in Frage. Deshalb nehmen wir eine hohe Neuverschuldung in Kauf. Wir tun dies im Wissen darum, daß wir es jetzt tun können und tun müssen, aber nicht ständig fortsetzen dürfen. Das Konsolidierungsziel bleibt bestehen, auch wenn jetzt anders verfahren werden muß. Im Blick auf alle die, die uns auf diesem Gebiet ein Horrorgemälde vorgemalt haben - in dieser Hinsicht hat sich Herr Carstens in seinem Diskussionsbeitrag als ein Meister erwiesen -, möchte ich eine Äußerung von jemandem wiedergeben, den man politisch sicher nicht uns zurechnen kann. Wir haben vor einigen Tagen im „Handelsblatt" einen Artikel von dem Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes der Elektrotechnischen Industrie, Professor Dr. Rudolf Scheid, gelesen, in dem er sagt: Wenn wir in der Wirtschaft wieder vorankommen wollen, wenn wir aus den Konjunkturschwächen heraus wollen, so ist das nur auf dem Wege über eine Lohnkostenentlastung und über Vermögensbildungsförderung zu machen. Der Staat sollte bereit sein, dafür in den nächsten Jahren 20 Milliarden DM einzusetzen. - Auf die Frage, wie dies finanziert werden solle, sagte er: Das kann jederzeit - auch heute noch - auf die Schulden oben draufgepackt werden. - Dies halte ich für abenteuerlich. Ich will Ihnen damit nur zeigen, daß Leute, die nicht aus unserer Richtung argumentieren, die Möglichkeit sehen, so mit dem öffentlichen Haushalt, mit den Schulden, mit dem Kapitalmarkt umzugehen. ({7}) Herr Carstens, wenn Sie hier davon sprechen, daß eine weitere Schuldensteigerung zu erwarten sei - wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie: über die 31 Milliarden DM hinaus, also bezogen auf das, was wir möglicherweise im Nachtragshaushalt zu erwarten haben -, so ist dies ein ganz ausgezeichnetes Beispiel, um deutlich zu machen, wo denn eigentlich die Verantwortung liegt. Herr Carstens, wie wollen Sie es denn machen? Wenn wir im Nachtragshaushalt für Kohle und Stahl noch einmal etwas darauflegen müssen und dies - wie anders sonst? - durch die Neuaufnahme von Schulden finanzieren müssen, muß man doch fragen: Liegt es denn am Staat, daß im Bereich des Stahls international strukturelle Verwerfungen vorhanden sind? Ist daran der Staat, ist daran diese Regierung schuld? ({8}) Wenn es um diese Frage geht, die Sie sicher mit mir verneinen werden, wird klar, daß dieser Staat nicht anders kann, als in dieser Situation zu helfen. Wir jedenfalls werden die Arbeitnehmer dieses Bereichs nicht hängenlassen. ({9}) Das heißt, daß wir in einer solchen Situation auch zu noch mehr Neuverschuldung bereit sein müssen, um dieses Problem meistern zu können. ({10}) - Ihr Vorschlag ist also, wir sollten jetzt einen Zusammenbruch konstruieren. Dies ist nicht mein Vorschlag. ({11}) Ich habe Ihnen eben die Linie unserer Haushaltspolitik aufgezeigt. Wie sieht denn nun die Linie der Haushaltspolitik der Opposition aus? Die Opposition hat in der gesamten Beratung keine wesentlichen Änderungen für diesen Haushalt vorgeschlagen. Sie hat keine neue oder andere Grundkonzeption für die Haushaltspolitik erkennen lassen. Sie hat auch nicht deutlich werden lassen - das ist allerdings verständlich -, daß sie unsere Linie unterstützt, für richtig hält oder ihr sogar zustimmt. Deshalb stimmt sie - das muß man klar erkennen - das alte Lied an und kritisiert alles ohne Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Widersprüche. Sie hält die konsumptiven Ausgaben im Haushalt für zu hoch und die investiven Ausgaben für zu niedrig. Sie korrigiert mit ihren Anträgen aber nur einige Schätzansätze und will eine globale Mehreinnahme bei den Verwaltungseinnahmen des Haushalts einführen. Jetzt haben wir noch einen zusätzlichen Antrag auf dem Tisch, mit dem die globale Minderausgabe noch einmal um 1,2 Milliarden DM erhöht werden soll. Eine tolle Konzeption, kann man nur sagen, wenn das das ist, was die Opposition an Haushaltspolitik anzubieten hat: bei den Schätzansätzen hier und da eine Kleinigkeit - im Verhältnis zur Größenordnung des Haushalts - korrigieren und bei dem, wo man noch nicht genau Bescheid weiß und wo man sich die Arbeit des genauen Hinguckens, des Einsparens oder des Vorschlägemachens erspart hat, global sagen, da müsse soviel eingespart werden bzw. da werde erwartet, daß insgesamt vielleicht doch mehr hereinkommen könnte. Das kann nicht verantwortungsbewußte Haushaltspolitik genannt werden. ({12}) Die Opposition hält die Belebungswirkungen des Haushalts für die Konjunktur für zu niedrig, aber sie sieht die Verschuldung --- wir haben darüber gesprochen - für zu hoch an. Nach dem, was Herr Carstens gesagt hat, muß ich Sie fragen: Haben Sie ernsthaft die Absicht, antizyklische Politik, die der Staat mit seinem Haushalt macht, aufzugeben und für falsch zu erklären? Wenn Sie das nicht wollen, dann schränken Sie Ihre abenteuerlichen Argumentationen ein, die das Ganze immer nur weiter zu einem schlimmen Gemälde machen, aber keine andere Konzeption erkennen lassen! Zur gleichen Zeit fordern Herr Strauß, Herr Häfele, Herr Kohl - auch hier ist das heute wieder angeklungen - weitere Steuerentlastungen, insbesondere bei den ertragsunabhängigen Steuern, mit der Wirkung, die Einnahmeseite des Haushalts noch mehr - könnte man sagen - zu verschlechtern. Herr Strauß hat in der Debatte gestern verlangt, die ertragsunabhängigen Steuern zu beseitigen. Zu beseitigen; ich habe drei Kollegen gefragt, sie haben mir den Ausdruck bestätigt, und ich habe ihn mir unterstrichen. Die ertragsunabhängigen Steuern im Haushalt zu streichen bedeutet - ich nehme Zahlen von 1976 als Istzahlen; sie wären heute etwas höher -: bei der Grundsteuer 4,8 Milliarden DM weg, bei der Gewerbesteuer 20,1 Milliarden weg, bei der Vermögensteuer 3,9 Milliarden DM weg. Das sind zusammen 28,8 Milliarden DM, die auf den drei EbeWestphal nen, auf denen in diesem Lande Steuern aufkommen, fehlen würden. Ein beachtlicher Teil davon würde dem Bund fehlen. Man könnte sagen: Das ist ein weiterer Beweis Ihrer Politik, die nirgends ein Äquivalent an Vorschlägen enthält, die für einen Ausgleich sorgen würden. Es ist nicht zu begreifen, wie Sie so Politik machen wollen: die ertragsunabhängigen Steuern weg. Was sagen eigentlich die Länder und Gemeinden dazu, die doch hauptsächlich diese Steuerverluste zu tragen hätten? Auch wir wären betroffen. Es ist ganz ausgeschlossen, bei solchen Rieseneinnahmeverlusten noch einen Ausgleich zu ermöglichen. ({13}) Wenn Sie solche Milliardenverluste durch Einsparungen ausgleichen wollten, wäre die Konsequenz eindeutig und klar, in das soziale Netz schneiden zu müssen; denn nirgendwo anders stehen solche großen Beträge im Haushalt zur Verfügung. Bei kleinen Beträgen ist so ein Ausgleich nicht zu schaffen. ({14}) Es ist an der Zeit, zu sagen, daß Ihre konzeptionslose Drauflosforderei unsere Staatsfinanzen kaputt machen würde, wenn Sie auch nur eine Minute lang die Chance hätten, das realisieren zu können. ({15}) Ja, die Opposition tut das - ({16}) - Wir brauchen Sie noch. Wir bleiben demokratisch. Wir brauchen eine Opposition, wenngleich wir gerne eine bessere hätten. ({17}) Niemand soll die Hoffnung aufgeben. Wir können bei Ihnen zwar nicht von heute auf morgen mit Besserung rechnen, aber vielleicht im Laufe einiger Jahre. Und wir lassen Ihnen ja noch ein paar Jahre Zeit. ({18}) - Das ist richtig. Nur, wir werden Ihnen den Beweis dafür nicht liefern, weil wir weiterhin die Regierungsverantwortung tragen werden. Die Opposition fordert das alles, ohne einschneidende Einsparungsvorschläge zu machen. Deswegen war Ihr Beifall bei der Rede von Herrn Hoppe eigentlich immer unseriös. ({19}) Sie haben durch Ihr Verhalten gezeigt, daß Sie eben nicht in der Lage sind, Beispiele aufzuführen, wie man diese Politik anders gestalten könnte; denn die Sorgen, die Herr Hoppe zum Ausdruck gebracht hat, sind unsere, sie bestimmen unsere Politik mit. Ich habe Ihnen unsere zusammengefaßten Leitvorstellungen vorgetragen, und im Zahlenwerk liegen sie Ihnen zur Beschlußfassung vor. Sie könnten zustimmen. Im Gegenteil diffamiert Herr Kohl auch noch die Entlastungen der Arbeitnehmer in der Steuergesetzgebung, indem er diese Entlastungen für Arbeitnehmer - dieser Satz ist in der vergangenen Woche leider untergegangen und nicht kommentiert worden; ich tue es hier sehr bewußt - als „verteilungspolitisches Alibi" der Sozialdemokraten hingestellt hat. Die Arbeitnehmer werden diese unredliche Argumentation durchschauen und Antworten darauf geben. Zur gleichen Zeit will sich die Opposition die Steuerentlastungen der Steuergesetze 1977 als Feder an den eigenen Hut stecken. Man muß schon das berühmte Milchmädchen sein, wenn man dieses unrühmliche 22,3-Milliarden-DM-Flugblatt der CDU/ CSU - oder der CDU; ich weiß es jetzt im Augenblick nicht genau - nicht leicht durchschauen wollte, in dem Sie sagen, diese Entlastungen für den Steuerzahler hätten Sie zustande gebracht. Abgesehen davon, daß es ein unglaublicher Stilbruch ist - das müßte ich Herrn Kohl hier direkt sagen -, gleich zweimal am Donnerstag voriger Woche Art und Inhalt von Beratungen des vertraulich tagenden Vermittlungsausschusses öffentlich auszubreiteen und damit die Funktionsfähigkeit dieses Instruments zu untergraben, ist es auch noch falsch, was Sie zum Inhalt der Entscheidungen über Steuerpolitik hier gesagt haben. ({20})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen, und frage Sie in diesem Zusammenhang, ob Sie eine Frage des Abgeordneten Schmitz ({0}) zulassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann muß ich verzichten; sonst stünde ich gern zur Verfügung. Ich beschränke mich also auf diese Bemerkungen, obwohl es mir Spaß gemacht hätte, Ihnen noch eine Reihe von Leviten zu lesen und das hier mündlich vorzutragen. ({0}) Lassen Sie mich zusammenfassen. Es ist zutreffend, wenn wir auf Grund dieser unserer Haushaltspolitik in schwieriger Zeit sagen können: Den Menschen unseres Landes geht es nicht schlecht; es geht ihnen besser als den meisten anderen um uns herum. Aber wir haben Probleme, denen wir uns stellen. Für Sozialdemokraten ist es ausgeschlossen, sich an eine Arbeitslosenquote zu gewöhnen. Wir werden alles tun und dies bleibt unsere Aufgabe -, um sie zu senken. Der Haushalt 1978 gibt auch darauf im Rahmen staatlichen Handelns die mögliche und richtige Antwort. ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern und heute haben wir mehrfach gehört, daß angeblich die verfassungsrechtliche Grenze der Verschuldung, die in Art. 115 des Grundgesetzes gezogen ist, nicht eingehalten worden sei. Heute morgen hat Herr Carstens noch einmal gesagt: Die Regierung soll den Hut nehmen, da sie die Grenzen des Grundgesetzes nicht beachtet hat. ({0}) - Er hat gesagt „wenn" und dann versucht nachzuweisen, daß es seiner Ansicht nach so sei. ({1}) Ich meine, der Bürger, der natürlich die Artikel des Grundgesetzes nicht im einzelnen kennen kann, ({2}) hat ein Recht darauf, zu erfahren: Was ist hier denn überhaupt gemeint? Ich möchte hier deshalb Art. 115 des Grundgesetzes zitieren. Dort heißt es: Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Dies ist aber 1978 der Fall. Es heißt in Art. 115 allerdings weiter: Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Nun hat meiner Ansicht nach die Opposition nur eine einzige Möglichkeit für ihre Argumentation: Sie muß nachweisen, daß eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in diesem Jahr nicht vorliegt. Dies kann ihr aber nicht gelingen. Denn erst am 5. September 1977 hat die Opposition die Einführung eines zehnprozentigen Abschlags von der Einkommen- und Körperschaftsteuer mit folgender Begründung gefordert: Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist bei den Zielgrößen hoher Beschäftigungsstand und Stabilität des Preisniveaus gestört. Damit hat sie wörtlich das Vorliegen der Voraussetzung des Art. 115 des Grundgesetzes bestätigt. Ich bitte Sie daher, sich zu überlegen, ob Sie das eine wollen oder das andere; beide Argumentationen zusammen passen nicht. ({3}) Im übrigen sind wir selbstverständlich der Ansicht, daß auf Dauer diese Verschuldung nicht akzeptabel ist und daß wir einsparen müssen, daß wir in den nächsten Jahren sehr genau prüfen müssen, wo Einsparungsmöglichkeiten vorhanden sind. Aber Sie helfen uns dabei in keiner Weise. Im Gegenteil! Sagen Sie uns doch mal konkret, wo gekürzt werden soll. Nennen Sie doch mal eine einzige Position, wo wir einsparen sollen. ({4}) - Eben, Herr Haase. Sie sagen: „Das möchtet ihr gerne." Wir möchten in. der Tat gerne, daß Sie gegenüber dem Bürger auch mal sagen, wo Sie streichen wollen. - Dies haben Sie bisher nie getan! ({5}) - Warum regen Sie sich eigentlich so auf? Weil Sie ein schlechtes Gewissen haben, daß Sie keine Vorschläge machen. ({6}) Wir werden jeden konkreten Kürzungsvorschlag, der sich nicht in globalen Mindereinnahmen erschöpft - wie es gerade Herr Kollege Westphal dargelegt hat -, ohne Vorurteil prüfen. Wir schließen dabei keineswegs die Überprüfung der Ausgabenseite aus. Beispiele: Wollen Sie beim Wohngeld kürzen, beim Wohnungsbau, bei steuerlichen Erleichterungen für den Wohnungsbau? Nein, das wollen Sie offensichtlich nicht. ({7}) - Entschuldigen Sie, Herr Haase, Sie können sich gleich noch einmal melden. Sagen Sie ,uns, wo Sie kürzen wollen! Sie haben nicht nur keine Kürzungsvorschläge gemacht, Sie haben im Gegenteil verbesserte Abschreibungserleichterungen beim § 7 b EStG für kinderreiche Familien gefordert, was wir systematisch für falsch hielten. Wollen Sie bei der Ausbildungsförderung kürzen? Das wollen Sie offensichtlich nicht. Denn Sie haben nicht nur keinen Kürzungsvorschlag gemacht; sondern darüber hinaus im März die Erhöhung der Freibeträge beim Bundesausbildungsförderungsgesetz gefordert. Wollen Sie bei der Beamtenbesoldung oder -besteuerung kürzen? Nein, das wollen Sie offensichtlich nicht. Denn Sie haben nicht nur keinen Kürzungsvorschlag gemacht, sondern ausdrücklich den Antrag der Koalition auf Streichung des Vorwegabzugs im Finanzausschuß und hier im Bundestag bekämpft und ihm nicht zugestimmt. Wollen Sie bei der inneren Sicherheit kürzen? Sie wissen, daß wir in diesem Haushalt im Unterschied zu den früheren Haushalten die Personalstellen ins. gesamt um 2 398 Stellen erhöht haben, davon allein 1 344 Stellen im Bereich der inneren Sicherheit: Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz, Zollgrenzdienst im Zusammenhang mit der Terroristenbekämpfung. Wollen Sie hier sparen? Offensichtlich wollen Sie das nicht. Aber dann müssen Sie es auch bezahlen. Wir wollen jedenfalls hier nicht sparen. Denn im Gegenteil, wir halten dies - ({8}) - Entschuldigen Sie, wir haben eine sehr knappe Redezeit, jeder von uns, Herr Kollege. ({9}) Sie wollen da nicht kürzen, und wir wollen es auch nicht. Denn wir halten dies für die entscheidende Stelle - ({10}) - Entschuldigen Sie bitte, wir möchten hier nicht kürzen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daweke?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, leider kann ich das nicht, denn wir haben alle nur eine sehr kurze Redezeit, das wissen Sie. ({0}) Hier ist nämlich unsere Ansicht nach die Stelle, wo entscheidend die Terrorismusbekämpfung anzusetzen hat: gute Fahndung, schnelle Ergreifung der Täter und zügige Aburteilung. Wir halten nichts davon, statt dessen dauernd durch hektische Gesetzesänderungen und Gesetzesvorschläge auf diesem Gebiet tätig zu sein, Gesetzesänderungen, mit denen Sie uns überfluten. Wir werden dieser Flut von Gesetzesänderungen nicht zustimmen. Ich möchte hier aber ein warnendes Wort an uns selber, an die Regierungskoalition sagen. Ich glaube, daß auch wir an dieser Stelle aufpassen müssen. Sie wissen, daß ich zusammen mit mehreren Kollegen dem Kontaktsperregesetz nicht zugestimmt habe, weil ich es für verfassungswidrig hielt. Ich glaube zwar, daß die Gesetzesänderungen, die im Februar anstehen, jede für sich nicht von dem Gewicht sind wie das Kontaktsperregesetz. Trotzdem meine ich, daß wir 'insgesamt darauf achten müssen, daß wir nicht nach jedem neuen Anschlag z. B. die Strafprozeßordnung ändern, noch bevor die Druckerschwärze der letzten Änderung getrocknet ist. Frau Funcke hat erst vor wenigen Wochen auf das -mahnende englische Sprichwort hingewiesen: Liberty dies by inches - Die Freiheit stirbt zentimeterweise. Es ist erwiesen, daß manchen, die bei gutem Wetter auch gern liberal sein möchten - beispielsweise Herrn Kohl -, diese Liberalität im Sturm verlorengeht. Weiter zu den Einsparungsmöglichkeiten: Was sagen Sie denn zu den verschiedenen Positionen im Subventionsbericht? Der Subventionsbericht vom November 1977, der für uns alle Anlaß sein sollte, Einsparmöglichkeiten durchzuprüfen, enthält bei der Liste der Finanzhilfen, also der direkten Hilfen, 129 Positionen, bei der Liste der Steuervergünstigungen 122 Positionen. Insgesamt sind das 251 Positionen, an die wir gemeinsam herangehen können, um zu prüfen, was man dort tun kann. Nennen Sie eine einzige der Positionen - ({1}) Nicht wir alleine müssen sie nennen. ({2}) Im übrigen tun wir es ja. Zweitens bestreiten wir ja nicht, daß dieser Haushalt konjunkturkonform ist. Wir werfen diesem Haushalt doch nicht vor, daß er zu teuer ist; sondern Sie sagen das. Deswegen müssen Sie sagen, wo Sie streichen wollen. ({3}) Nennen Sie eine einzige der Positionen, ({4}) wo Einsparmöglichkeiten vorhanden sind! ({5}) Im Gegenteil. Im Subventionsbericht gibt es eine Position, die wir bereits abgeschafft haben. Ich meine die Streichung des Freibetrags bei der Veräußerung von Grund und Boden aus einem landwirtschaftlichen Betrieb zum Ende des Jahres 1977. Das ist einer der wenigen Punkte aus dem Subventionsbericht, die verschwunden sind. Und was haben Sie getan? Am 4. Oktober 1977 hat die Opposition im Finanzausschuß den Antrag gestellt, diesen auslaufenden Freibetrag zu verlängern, also neu einzuführen. Das stimmt doch alles hinten und vorne nicht. ({6}) Wir sind auch gespannt, wie Sie sich verhalten werden, wenn wir nach Vorlage des Gutachtens der Kommission über die landwirtschaftliche Besteuerung im Laufe der nächsten Zeit konkrete Vorschläge darüber machen werden, ({7}) wie man eine gerechtere Besteuerung der Landwirte zum einen innerhalb der Landwirtschaft selbst, zum anderen aber auch im Vergleich zu den anderen Bürgern herstellen kann. ({8}) Sie betreiben die klassische Arbeitsteilung, die wir kennen. Ich möchte einige Beispiele nennen. Sie haben im Finanzausschuß den Antrag auf Streichung des Kreditaufnahmeverbots bei den Vorsorgeaufwendungen gestellt. Sie haben den Antrag auf Einführung eines 10%igen Konjunkturabschlags von der Einkommensteuer gestellt. Strauß hat in der Debatte um die Regierungserklärung gefordert, daß das Fremdkapital bei der Gewerbesteuer nicht mehr hinzugerechnet wird. Das Land Bayern hat vor wenigen. Wochen einen Antrag auf Einführung eines Kinderfreibetrags gestellt. Bei dem Gesetz über die kulturhistorisch wertvollen Gebäude haben Sie den Antrag gestellt, den Erwerb des Hauses und nicht nur die Renovierung zusätzlich in die steuerliche Begünstigung hineinzunehmen. Alles Vorschläge, die Milliarden kosten würden. ({9}) Und so geht es ununterbrochen weiter. So können Sie das nicht machen. Sie müssen sich schon überlegen, ob Sie uns wegen des großen Haushalts kritisieren wollen oder ob Sie uns konkret vorschlagen wollen, wo Sie einsparen möchten. Damit möchte ich zum Schluß kommen. ({10}) Es ist kein Zufall, daß Sie mit den konkreten Alternativen hinter dem Berg bleiben. Es ist ja kein Zufall, daß Sie diese konkreten Sparvorschläge hier nicht einbringen. ({11}) Einige von Ihnen wären ja wohl bereit. Aber der große Meister aus Bayern läßt es ja nicht zu. Wie hat er 1974 in seiner Sonthofener Rede gesagt? Ich erlaube mir, zu zitieren. Er hat gesagt: Erstens kann man jetzt überhaupt kein Rezept empfehlen, ohne sich in große politische Schwierigkeiten zu begeben. Er hat weiter gesagt: ({12}) Wir müssen sie so weit treiben, daß sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen müssen oder den Staatsbankrott erklären müssen oder drastische Steuererhöhungen mit abermals drastischen einschneidenden Folgen für die Wirtschaft. Er hat in der gleichen Rede zur jetzigen Taktik gesagt: „Nur anklagen und warnen, aber keine konkreten Rezepte etwa nennen." Schließlich hat er in dieser Rede auch gesagt: Lieber eine weitere Inflationierung, weitere Steigerung der Arbeitslosigkeit, weitere Zerrüttung der Staatsfinanzen in Kauf nehmen, als das anzuwenden, was wir als Rezept für notwendig halten. Wir können gar nicht wünschen, daß dies jetzt aufgefangen wird. Sonst ist es ja nur eine Pause, und nach der Pause geht es ja doch in der falschen Richtung dann wieder weiter. Die Auflösung der jetzigen Bundesregierung ist das vorrangige Ziel. An diesem Ihrem Strategiekonzept hat sich bis heute nichts geändert. Strauß hat es gestern in seiner maßlosen Rede an dieser Stelle erneut zum Ausdruck gebracht. Ich sage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, diese Regierung zu stürzen. Sie haben nur eine Chance, um an die Regierung zu kommen, nämlich mit konkreten Alternativen 1980 bei den Wahlen um die Stimmen des Bürgers zu werben. Mir scheint, diese Chance haben Sie in den bisherigen eineinhalb Jahren vertan. Ich finde, es wäre schade, wenn sich daran nichts änderte; wir brauchten eine bessere Opposition. Die FDP wird dem Haushalt des Finanzministers zustimmen. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine mehr persönliche Vorbemerkung machen. Ich bin insbesondere dann mit Kritik sehr einverstanden, wenn sie in der Tonart vorgetragen wird, wie sie der Abgeordnete Haase heute morgen angeschlagen hat. Ich halte diese Art von Kritik für angebracht, notwendig und für den Dialog förderlich. Wenn dann aber der zweite Redner der Opposition in bezug auf meine Person von „schamlos" und „unehrlich" spricht und der zu dieser Zeit amtierende Präsident nur meint, dies sei noch an der Grenze des Parlamentarischen, dann werden wir über dies& Grenzen bei Gelegenheit zu sprechen haben. ({0}) Ich kann nur sagen, hochverehrter Herr, Ihre aufgeschriebenen Beleidigungen haben mich überhaupt nicht beeindruckt. ({1}) Es wäre zweckmäßig, gewesen, Sie hätten zur Sache gesprochen. ({2}) Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen, mit der ich an die gestrige Debatte anschließe. Die Opposition hat sich wiederholt und auch heute morgen auf die Rede des Abgeordneten Hoppe bezogen. Ich will Ihnen offen sagen: Ich habe diese Rede des Abgeordneten Hoppe als hilfreich empfunden, und ich hoffe sehr, daß wir uns manche dieser Passagen nicht nur heute im polemischen Schlagabtausch vergegenwärtigen, sondern für die Zukunft berücksichtigen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich eine Berner-kung an die letzte Debatte gestern zum Entwicklungshilfeetat anschließen. Es geht natürlich nicht an, daß auf der einen Seite der Abgeordnete Hoppe uns alle mahnt und dann wenige Stunden später Abgeordnete des Hohen Hauses nicht nur das loben, was in der Tat lobenswert ist, nämlich eine massive Steigerung der Entwicklungshilfe, sondern daß wir uns ohne Rücksicht auf Finanzen und auch auf Finanzen der Zukunft weitere Steigerungen vornehmen; ein Abgeordneter hat von weiteren 20%igen Steigerungsraten pro Jahr gesprochen. ({3}) Ich bin nicht der Bundesschuldenminister, sondern der Bundesfinanzminister, und ich werde dafür zu sorgen haben, daß die Kasse stimmt. Ich werde mich derartigen Versuchen widersetzen. Das sage ich, damit wir uns hier ganz klar verstehen. ({4}) - Schönen Dank, Herr Riedl, für das Stichwort. Wir haben auch sonst noch etwas gemeinsam. Ich wollte gerade über das Thema der Staatsverschuldung reden. Das ist der erste Punkt, den Herr Abgeordneter Haase heute morgen in die Debatte gebracht hat. Wir haben das Problem, daß wir in gewissem Sinne die Debatte von gestern heute noch einmal führen. Das läßt sich aber nicht ändern. Wenn Sie mit den gleichen Vorwürfen kommen, muß ich Ihnen leider auch die gleichen Antworten geben. Ich habe Ihnen gestern bereits deutlich gemacht, daß zweierlei nicht geht: von einer zu hohen Staatsverschuldung zu sprechen und das mit den Vokabeln und Verbalinjurien zu verbinden, die der Herr Abgeordnete aus Emstek meint verwenden zu sollen, ({5}) und gleichzeitig in Vergessenheit bringen zu wollen, daß Sie es waren - ich habe Ihnen das gestern vorgelegt -, die bis zu 40 Milliarden DM zusätzliche Verzichte auf staatliche Einnahmen aussprechen wollten. Dies waren nicht, wie Herr Schröder ({6}) gestern meinte, unmaßgebliche Abgeordnete, sondern das waren Staatsregierungen, Landesregierungen, Bundestagsfraktion, Führer der Opposition und wirtschaftspolitischer Sprecher. Ich bin hier in der Tat für etwas mehr intellektuelle Sauberkeit. ({7}) Sie, liebe Frau Kollegin Matthäus, haben darauf hingewiesen, daß daneben auch noch das Mehr an Ausgabenwünschen steht, so daß ich in der Tat dafür bin, daß wir hier sauberer argumentieren. ({8}) Nun drohen Sie uns ja immer mit Art. 115 des Grundgesetzes. ({9}) - Ja, es stört mich deswegen nicht, weil auch hier die intellektuelle Unredlichkeit sichtbar wird. Frau Kollegin Matthäus hat Ihnen doch soeben vorgeführt, wie Sie vor wenigen Monaten erklärt haben, wir seien in einer Rezession, aus diesem Grunde fühlten Sie sich berechtigt, das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz für zwölf Monate einzusetzen, also für 1978. Sie wollten auf 15 Milliarden DM Steuern verzichten, Dann wäre das Defizit des Bundes noch größer als heute. Heute drehen Sie die ganze Sache um und sagen, das Defizit sei so groß, daß die Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes nicht eingehalten werde. Verstehen Sie eigentlich nicht, was Sie vor einigen Monaten geredet haben, oder geht es hier nur um Polemik? Das ist doch die entscheidende Frage. ({10}) Nun kann ich nur sagen, hochverehrter Herr Abgeordneter, ich habe ja nichts dagegen, wenn Sie mit der Verfassung argumentieren. ({11}) Nur eines will ich Ihnen sagen: Wenn Sie diese Debatte fortsetzen - Sie werden sie fortsetzen, mir ist das ja ganz klar; ({12}) wenn man keine Argumente hat, verwendet man eben so etwas -, dann werden wir demnächst eine andere Debatte sehr ernsthaft führen müssen. Das ist jetzt die Debatte um den Art. 106 des Grundgesetzes. Damit wir uns hier ganz klar verstehen: Dann werden wir darüber reden. ({13}) - Nein, ich drohe gar nicht, sondern ich bringe Zahlen. Ach wissen Sie, Ihnen zu drohen, hat doch gar keinen Zweck. Ich will das auch gar nicht. Das ist auch einer parlamentarischen Debatte nicht angemessen, sondern hier muß man auf Probleme aufmerksam machen. Nun wollen wir einmal folgendes Problem in die Debatte einführen. Der Bund hat 1977 - das ändert sich 1978 kaum - nur 87 % seiner Ausgaben über Einnahmen, im wesentlichen Steuereinnahmen, gedeckt, die Länder 94,5 % und die Gemeinden gar 98 %. Nun steht in dem 'fraglichen Art. 106 des Grundgesetzes völlig klar - ich zitiere -: Im Rahmen der laufenden Einnahmen haben der Bund und die Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. Dabei ist der Umfang der Ausgaben unter Berücksichtigung einer mehrjährigen Finanzplanung zu ermitteln. Das heißt, wenn Sie die Debatte um Art. 115 GG führen, dann werden wir die Debatte um Art. 106 GG führen. Hier ist es in der Tat auf Grund der Zahlen nachgewiesen, daß nach der letzten Umsatzsteuer-, Mehrwertsteuerneuverteilung der Bund in eine dem Grundgesetz widersprechende Position gedrückt worden ist. Von wem denn eigentlich? Von der Mehrheit des Bundesrates, von der CDU/CSU! Hier wird Ihre gesamte Doppelstrategie sichtbar. ({14}) Sie wollen erstens weiter die Steuern senken, d. h. den Bürgern Versprechungen machen, die Sie nicht einhalten können. Sie nehmen zweitens dem Bund über den Bundesrat Verfügungsmasse. Schließlich sagen Sie drittens, Art. 115 des Grundgesetzes sei nicht eingehalten, obwohl Sie viertens selbst noch vor wenigen -Monaten eindeutig nachgewiesen haben, daß wir in einer rezessiven Phase sind. Dieses sind die Formulierungen, die die Kollegin Matthäus hier vorgelegt und vorgelesen hat. ({15}) - Hochverehrter Herr Abgeordneter, im übrigen müssen Sie überhaupt nicht glauben, daß Ihre permanenten Zwischenrufe mich irgendwie beeindrukken. Deswegen lade ich Sie herzlich ein, so fortzufahren, obwohl ich das nicht so besonders parlamentarisch finde. ({16}) - Bitte schön, machen Sie so weiter. Sie wollen nicht zuhören. Sie wollen keine Debatte. Nun sagen Sie: Wie wäre es denn, wenn ihr unseren Antrag annehmen würdet?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Wenn ich eben meinen Gedanken zu Ende führen kann, hochverehrter Kollege, dann bin ich gerne bereit. Das dauert noch zwei Minuten. Nun sagen Sie in Ihrem Änderungsantrag - ich war gerade bei diesem Gedanken -, den sollten wir doch nur annehmen, dann wären wir doch manche Probleme los. Aber was bieten Sie uns denn eigentlich mit diesem Änderungsantrag an? Sie bieten uns an, wir sollten die Überweisungen, die Brüssel von uns erwartet, um 200 Millionen DM kürzen. Sie wissen doch ganz genau wie ich, daß nach Brüssel eher mehr überwiesen werden muß, als wir in den Ansätzen haben, als weniger. Da gibt es nun einmal eine Ausnahme. Das letzte Jahr war Gott sei Dank einmal eine Ausnahme. Aber was sollen denn derartige Ansatzkürzungen, was bringen sie eigentlich? Sie sagen schließlich: Wir schreiben euch in den Haushalt .350 Millionen DM mehr an Verwaltungseinnahmen hinein. Woher wissen Sie eigentlich, daß diese Verwaltungsmehreinnahmen überhaupt kommen? Und schließlich sagen Sie: Wir verlangen von euch, daß ihr 1,2 Milliarden DM weniger ausgebt. ({0}) Dann kommen Sie auf die Summe von 1,75 Milliarden DM. Das heißt, Sie haben überhaupt nicht eine einzige Mark bewegt, ({1}) Sie haben politisch überhaupt nichts ausgesagt, sondern Sie machen eine Scheinoperation, mit der Sie dann den Eindruck erwecken und künftig weiterhin die Behauptung aufstellen können: Wenn es nur nach Ihnen gegangen wäre, denn hätten wir die Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes eingehalten. Ich bin jetzt sehr gerne bereit, auf eine Zwischenfrage zu antworten; aber augenscheinlich hat sich das durch meine Ausführungen erledigt; um so besser.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? .

Wilhelm Rawe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001786, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, das hat mit Ihren Ausführungen nichts zu tun; aber ich will Sie gerne fragen. Meinen Sie, wenn Sie dauernd die Opposition wegen der Zwischenrufe kritisieren und hier dauernd von „unredlich" sprechen, das sei eigentlich sehr parlamentarisch, wenn der Bundesfinanzminister von der Regierungsbank dauernd Zwischenrufe macht?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Heute morgen habe ich einen Zwischenruf gemacht - das gebe ich Ihnen zu, Herr Kollege Rawe -, weil ich in der Tat die Art und Weise und die beleidigenden Formulierungen ({0}) und Vokabeln des Herrn Abgeordneten für unangemessen gehalten habe; ({1}) aber ich gebe das zu. ({2}) Ich will Sie darauf aufmerksam machen, daß ich, solange ich Finanzminister bin, hier noch keinen Ordnungsruf bekommen habe und mir auch nicht bescheinigt worden ist, ich sei bis an die Grenze des parlamentarisch Zulässigen gegangen. Damit wir uns hier klar verstehen! ({3}) Ich komme damit zum nächsten Punkt. ({4}) Sie, Herr Kollege, haben - ({5}) - Überhaupt keine dünne Haut; aber ich bin dafür, Herr Kollege, daß wir ein Mindestmaß an Anstand in diesem Hause bewahren. Wo kommen wir denn eigentlich hin, wenn wir in dieser Art und Weise miteinander reden! ({6}) Nun haben Sie, Herr Kollege, gesagt, das mit den Investitionen sei ja sowieso so 'ne. Sache, wir hätten da Buchungstricks. Ich bin dafür, daß Sie dann diese Buchungstricks mal vorführen, und zwar so, daß sie sichtbar werden. Sie führen hier wieder eine Schimäre, eine Verdächtigung in die Debatte ein. Sie tun so, als hätte der Finanzminister irgendwelche Tricks angewandt. ({7}) - Der Finanzminister hat sie nicht angewandt. Ich bitte Sie! Wir können uns um einige hundert Millionen Investitionssumme nach der neuen Definition streiten oder auch nicht; es bleibt dabei, daß die Investitionen des Bundes im Jahre 1978 um mindestens 20 v. H. gegenüber 1977 steigen. Das wissen Sie doch ganz genau. ({8}) Nun komme ich zum nächsten Punkt: Verschuldung. Das war ja wohl das zweite Problem, das hier eine große Rolle gespielt hat. Sie haben auf eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling so getan, als wäre die Bundesrepublik Deutschland auf dem Wege, zum Weltspitzenreiter im internationalen Vergleich der Verschuldung zu werden. ({9}) Sie haben im übrigen ein zweites falsches Argument eingeführt. Sie haben gesagt, wir hätten uns nach dem Kriege durch die Währungsreform von der Schuldenlast befreit. Nun will ich hinzufügen, die Schuldenlast, die so lange zurückliegt - der letzte Weltkrieg liegt über 30 Jahre zurück -, ist natürlich auch bei unseren Partnern inzwischen weitgehend unbedeutend geworden. Wenn gesagt wird, wir hätten uns der Schuldenlast entledigt, so ist das ja nicht richtig. Wir haben einen wesentlichen Teil dieser Schulden, insbesondere bei den vom Krieg am schlimmsten Betroffenen, über den Lastenausgleich mit vielen hundert Milliarden aufgebessert und nachgebessert. ({10}) Aber lassen wir mal dieses Argument beiseite. Ich wollte nur deutlich machen, daß es nicht so ist, daß dieser Staat, wer ihn auch immer zu welcher Zeit regiert hat, rücksichtslos alle Schulden beiseite geschoben hat. Dies sollten Sie sich nicht an den Hut stecken lassen, und wir auch nicht. Lassen wir dies mal beiseite und gucken uns die Zahlen an. Dann stellen wir fest, wie das international aussieht. Nach einem Vergleich der OECD, also nicht einem Vergleich, den wir anstellen, hat die Bundesrepublik Deutschland - Bund, Länder und Gemeinden - im letzten Vergleichsjahr 1976 4,3 % der Ausgaben an Zinsen für den Schuldendienst ausgeben müssen - das steigt, zugegeben - Belgien 7,3 %, Großbritannien 8,4 °/o, Italien 7,3 %, Japan 5,4 %, Niederlande 6,3 %. Ich will jetzt mit den USA abschließen: 9,8 %. Das war die Bernerkung von Herrn Abgeordneten Dr. Sperling. ({11}) Nun kommt ein zweites Problem; das will ich Ihnen zugeben. ({12}) Für 1978 beläuft sich die Neuverschuldung aller Gebietskörperschaften auf 4 % des Bruttosozialproduktes, in den USA nur auf 1 % ({13}) - das wird sich allerdings jetzt durch die konjunkturstabilisierenden Maßnahmen von Präsident Carter ändern -, ({14}) in Japan auf 61/4 °/o, und die anderen Länder liegen in der Nähe der Bundesrepublik. ({15}) - Nun müssen Sie doch einmal aufhören, dies immer so provinziell zu betrachten. Diese Statistik hat doch eine ganz andere Bedeutung, nämlich die, vorzuführen und nachzumessen, ob die wichtigsten Industrienationen der westlichen Welt genügend tun, um die Konjunktur anzukurbeln oder nicht. ({16}) Ich muß Ihnen sagen, mir fällt es wirklich sehr schwer, diese Art von Betrachtung noch zu akzeptieren. ({17}) - Sie reden laufend dazwischen! Können Sie mir nicht mal erlauben, daß ich meinen Gedanken zu Ende führe? Können Sie nicht wenigstens mal eine Sekunde Sendepause einschalten, ({18}) damit Sie auch mal etwas aufnehmen können? ({19}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Debatte läuft doch ganz anders. ({20}) Wir werden nämlich in den nächsten Wochen in eine ganz interessante Debatte einrücken. ({21}) Da werden wir international unsere Partner" auffordern, mit uns zusammen die Unruhe an der Wäh5288 rungsfront zu beenden; denn es kann natürlich nicht übersehen werden, daß das, was an Dollarschwäche uns alle beunruhigt, ein zentrales ökonomisches Datum ist und uns alle vor große Fragen stellt. Ich denke, es gibt genügend internationale Kooperation, um über Aktionen, über die wir sehr intensiv sprechen, diese Dollarschwäche zu stabilisieren und den Dollar dort zu halten, wo er jetzt ist, möglichst etwas höher. Aber im gleichen Zusammenhang wird doch die Frage gestellt werden, ob nun die Wachstumslokomotiven Japan, Bundesrepublik, die USA, Benelux und die Schweiz genügend interne Expansion gemacht haben, ob sie genügend Gas geben, damit über Wachstum in der Welt auch amerikanische Handels- und Zahlungsbilanzprobleme verschwinden. Vor diesem Hintergrund sind die konjunkturpolitischen Maßnahmen des Jahres 1977 auch zu sehen. Wo würden wir eigentlich stehen, wenn wir nicht in dieser Rigorosität - ich gebe zu, sie war rigoros und für manche schwierig nachzuvollziehen - im Jahre 1977 das Steuer herumgerissen hätten. Natürlich heißt Herumreißen des Steuers, heißen massive Steuererleichterungen höhere Defizite. Expansive Haushaltsführung, öffentliche Investitionen heißt höhere Defizite. ({22}) - Wir können uns hier der internationalen Verpflichtung nicht entziehen, und wenn Sie sagen, es muß nicht so sein, dann kann ich Ihnen nur sagen, wenn es nicht so sein muß, dann müssen wir in laufende soziale Ausgaben hineinschneiden. ({23}) Dann frage ich Sie, ob Sie das verantworten können. Dazu hat Ihnen mein Kollege Westphal die entsprechende Antwort gegeben. Ich meine also, meine sehr verehrten Damen und Herren, so können wir in der Tat nicht argumentieren. Wir können nicht nur die Defizitprobleme dieses Landes sehen, die mich natürlich bedrücken, und gleichzeitig so tun, als gäbe es die Welt nicht, die von uns erwartet, daß wir über Konjunkturankurbelung als wichtigste Handelsnation der Welt - inzwischen sind wir die größte - für die Weltkonjunktur unsere Pflicht tun. Ich bitte Sie, Herr Kollege, dies künftig in Ihre Betrachtung mit einzubeziehen, bei aller Polemik, die Sie künftig hier durchaus anbringen können und wollen. Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Sie haben, meine Herren von der Opposition, folgenden bemerkenswerten Satz geprägt; ich glaube, es war der Herr Kollege Haase: „Jeder Beschäftigte im öffentlichen Dienst kostet zwei Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft." Das ist eine interessante Aussage, und ich hoffe sehr, daß diese interessante Aussage bei den entsprechenden Verbänden und Gewerkschaften ankommt. Hier ist nämlich ein eindeutiger Versuch unternommen worden, den öffentlichen Dienst zu diskriminieren. ({24}) - Aber natürlich, ich bitte Sie! Wie ist denn das anders zu verstehen! Ich möchte dazu eine zweite Bemerkung machen. Was soll denn eigentlich eine solche Aussage bedeuten? Was soll sie in einer Situation bedeuten, in der wir auf der einen Seite zu viele Lehrer und Lehrerarbeitslosigkeit, auf der anderen Seite gleichzeitig Mangel an Lehrern haben, in der wir zu viele Krankenschwestern ausgebildet, aber gleichzeitig in den Krankenhäusern immer noch Engpässe haben, in der der Arbeitsmarkt eine gewisse Entlastung vom öffentlichen Dienst her braucht? Was soll eine solche Bemerkung? Was soll es eigentlich, wenn Sie sagen - ich glaube, Sie waren es, Herr Kollege Haase -, meine ganze politische Standfestigkeit zeige sich darin, wie ich in der Personalerhöhungsfrage meine Position verändert hätte? Was soll denn diese Bernerkung? Vier Jahre lang hat es beim Bund keine Personalvermehrung gegeben. In diesem Jahr haben wir 2 800 Stellen mehr, davon 1 400 im Bereich der inneren Sicherheit und mehrere hundert in den sozialen Diensten. Was soll dann diese Bemerkung? Wollen Sie mich damit treffen? Wollen Sie den öffentlichen Dienst damit treffen? Sehen Sie nicht, wo die Notwendigkeiten für uns liegen, ({25}) nämlich auch mit den öffentlichen Händen dort, wo es verantwortbar ist, wo sich die Lebensqualität des Bürgers erhöht, dazu beizutragen, daß Arbeitslose in eine sinnvolle Beschäftigung gebracht werden? Diese Frage müssen Sie sich selbst beantworten. Ich füge hinzu: Ich vermute - aber ich kann diese Debatte nicht führen -, daß hinter einer derartigen Betrachtung letztlich die alte Ideologie der Opposition steht: Privatisierung des Staates, Privatisierung öffentlicher Leistung, Reduzierung des öffentlichen Dienstes; d. h. im Endeffekt: Demokratie der Starken, Demokratie der Rabiaten, die auf den öffentlichen Dienst nicht angewiesen sind. ({26}) - Aber natürlich! ({27}) Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Konsequenz aus dem ziehen, was ich heute morgen gehört habe. Bevor ich die Konsequenz aber ziehe, möchte ich eine Richtigstellung treffen. Von 1970 bis 1973 haben wir, Herr Kollege - das sollten Sie wissen Sie sind lange genug im Deutschen Bundestag -, keine Defizite gemacht, sondern 10 Milliarden DM Konjunkturrücklagen von Bund, Ländern und Gemeinden gebildet; damit endlich einmal die Mär aufhört, schon seit 1970 hätten wir diese Republik mit Geschenken überflutet und damit die Finanzprobleme der weltweiten Rezession programmiert. Genau umgekehrt ist es richtig. Nun zu den Konsequenzen: Erstens. Natürlich bleibt die Aufgabe der Konsolidierung. Es war das Verdienst von Herrn Hoppe, in dieser Debatte uns alle daran zu erinnern. Aber im Moment gibt es vorrangigere Aufgaben. Da wollen wir doch einmal die einzelnen Positionen abfragen. Ist es nicht so, können Sie bestreiten, meine Damen und Herren, daß wir das Vertrauen des Kapitalmarkts durch unsere Politik trotz starker Schuldenaufnahme der öffentlichen Hände erhöht haben? Wissen Sie eigentlich gar nicht, daß die letzte Bundesbahnanleihe, mit einer zwölfjährigen Laufzeit und 6 % Verzinsung ausgestattet, bereits über pari notiert wird? Oder wollen Sie hier den Eindruck erwecken, als sei der Kapitalmarkt deroutiert, als hätten wir mit unserer Politik das Vertrauen in den Kapitalmarkt erschüttert? Wissen Sie eigentlich gar nicht, daß das Absenken der Zinsen nur möglich war, weil trotz Ihrer Angriffe unsere Politik dazu geführt hat, daß die Preise immer stabiler geworden sind, daß nicht einmal die Mehrwertsteuererhöhung in dem Maße wirksam geworden ist, wie man es erwartet hat? Wollen Sie eigentlich bestreiten, daß wir durch unsere Politik viele hunderttausend Arbeitsplätze gesichert und neu geschaffen haben? Wo wären wir heute eigentlich ohne die 30 Milliarden DM öffentlicher Investitionsprogramme der letzten Jahre! Wollen Sie eigentlich übersehen, daß wir zugunsten der Wirtschaft eine Vielfalt von Steuererleichterungen durchgesetzt haben, Erleichterungen schon im Rahmen der Steuerreform 1974/75, Erleichterungen durch die Körperschaftsteuerreform, durch die Einführung eines Verlustrücktrages, durch die Einführung einer befristeten Investitionsrücklage, durch Reduzierung der Vermögensteuer, durch Reduzierung der Gewerbesteuerbelastung, durch Verbesserung der degressiven Abschreibung? Diese Erleichterungen kosten in dem jeweiligen Haushaltsjahr, alles zusammengerechnet, bald 17 Milliarden DM. ({28}) Können Sie eigentlich bestreiten, daß wir 1975 in einer Lohn- und Einkommensteuerreform 15 Milliarden DM Steuersenkungen für die Lohnsteuer- und Einkommensteuerpflichtigen gebracht haben, daß jetzt, in diesem Moment, weitere 12 Milliarden DM Steuersenkungen in Kraft getreten sind? Es ist falsch, wenn Sie sagen, daß dies im Vermittlungsausschuß gegen unsere Stimmen stattgefunden habe. Dieses ist unrichtig. Ich bin dafür, wenn man schon indiskretioniert, dann bitte genau. Wollen Sie eigentlich übersehen, daß es Grenzen der Wirksamkeit der Finanzpolitik gibt, daß wir weder international noch national mit unserer Finanzpolitik alle Probleme lösen können? Ich stelle fest: Die Opposition hat uns erneut die Reden gehalten, die ich als Finanzminister nun schon zum fünftenmal in einer zweiten und dritten Lesung höre. Es ist weiterhin der Koalition aufgegeben, die Finanzpolitik zu führen, die wir führen müssen, damit dieses Land auf den Pfad zu mehr Wohlstand, zu weniger Arbeitslosigkeit, zu mehr Wachstum und zu mehr internationaler Solidarität kommt. ({29}) Von Ihnen haben wir auch in dieser Debatte dazu keinen Beitrag gehört. ({30})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Augstein.

Hans Jürgen Augstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000060, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich unsere Argumente zur Schuldenpolitik des Bundes zusammenfasse. Ich will letztmals versuchen, aufzuzeigen, warum wir Sozialdemokraten auch in diesem Jahr 1978 eine hohe Verschuldung des Bundes konjunkturpolitisch für nötig halten. Zweitens möchte ich dartun, daß diese hohe Verschuldung vom Kapitalmarkt her zu vertreten ist, und drittens, daß wir dabei die Grenzen der Verschuldung des Bundes im Auge behalten. Ebenso wie eben der Bundesfinanzminister will ich versuchen, die Dinge ohne Polemik anzugehen. Man braucht ja nicht unbedingt dem „Spendierhosen"-Carstens aus Emstek nachzueifern. Jedenfalls haben diejenigen im Lande, die ohne Arbeit sind, aber arbeiten können und wollen, und die Stahlarbeiter bei mir zu Hause an der Ruhr, die seit mehr als zwei Jahren in Kurzarbeit sind, wenig Verständnis für eine Konfrontation, die - so empfinden sie es - auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Meine Damen und Herren, hohe Schulden machen wir jetzt seit mehreren Jahren, seit dem weltweiten Konjunktureinbruch von 1974/75. Ziel dieser hohen Verschuldung ist es, die mangelnde private Nachfrage auszugleichen. Würden wir nicht so hohe Schulden machen, so wäre es um alles - was den Kapitalmarkt, die Produktion und die Arbeitsplätze angeht - schlechter bestellt, die Wirtschaft würde heute noch schrumpfen. Insoweit ist also ein Erfolg der seit 1974 betriebenen Schuldenpolitik zu verzeichnen. Dieser Erfolg ist aber noch nicht so weit gediehen, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht - besonders hoher Beschäftigungsstand bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum - erreicht wäre. Aus diesem konjunkturpolitischen Grunde - um also zum gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht durch weitere Stimulierung der privaten Investitionen und der privaten Nachfrage zu kommen - halten wir auch für 1978 eine hohe Verschuldung des Bundes für nötig. Hierzu gibt es den gestern und heute schon mehrfach erörterten Einwand, daß die Nettokreditaufnahme von 30,75 Milliarden DM die investiven Ausgaben ,des Haushalts 1978 von 29 Milliarden DM um 2 Milliarden DM überschreite. Dies, so wird argumentiert, begegne Bedenken im Hinblick auf den soeben noch von Frau Kollegin Matthäus5290 Maier zitierten Art. 115 des Grundgesetzes, wonach die Nettokreditaufnahme ausnahmsweise nur dann höher sein darf als die Ausgaben für Investitionen, wenn es, wie es im Grundgesetz heißt, um die „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" geht. Meine Damen und Herren, es ist für die Regierung und die Koalition eigentlich schmeichelhaft, wenn angezweifelt wird, daß diese Ausnahmesituation heute noch gegeben ist. Immerhin wurde vor drei, vier Monaten - Herr Kollege Gärtner hat es vorhin erneut hervorgehoben - noch der 10%ige Steuerabschlag nach dem Stabilitätsgesetz gefordert, was ja auch eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts voraussetzt. Diese Ausnahmesituation ist in der Tat heute noch gegeben. Wir haben zwar, wie ich darlegen durfte, u. a. auf Grund unserer bisherigen Schuldenpolitik die Folgen des Konjunktureinbruchs von 1974 abmildern können. Der Art. 115 des Grundgesetzes geht aber weiter und dient dazu, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht vollständig herbeizuführen und auch noch zu stabilisieren. - Auf den anderen Streitpunkt, ob die Höhe der Investitionsausgaben mit 29 Milliarden nun richtig angegeben sei oder nicht, brauche ich wohl nicht einzugehen. Denn das spielt keine Rolle, solange das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nicht wieder vollständig herbeigeführt und stabilisiert ist. Aus diesen Gründen also kann nicht darauf verzichtet werden, auch 1978 hohe Schulden zur Stützung von Konjunktur und Beschäftigung zu machen. Um die Erfolgsaussichten der Schuldenpolitik zu verbessern, muß allerdings noch einiges hinzukommen. Da ist zunächst die Geldmengenpolitik. Die Erweiterung der Zentralbankgeldmenge um 8 % in diesem Jahr dürfte zweierlei garantieren. Einmal daß der notwendige geldpolitische Spielraum für ein Wirtschaftswachstum gegeben ist. Zum anderen sind diese 8 % nicht so hoch, daß unangemessene Preissteigerungen zu befürchten wären. Zu hoffen ist auch, daß sich die Unruhe auf dem Devisenmarkt allmählich wieder legt. Große Bedeutung kommt sodann den bevorstehenden Lohnabschlüssen zu. Mit der Regierung gehe ich davon aus, daß sich die Tarifpartner auch weiterhin ihrer Mitverantwortung für die Gesamtwirtschaft bewußt bleiben. Solcher Mitverantwortung sollten sich, so meine ich, auch alle Mitglieder dieses Hohen Hauses befleißigen, wenn es um das vielbeschworene Klima in der Wirtschaft geht, um das Vertrauen iri die Zukunft, ohne das man in einer freien Wirtschaft nicht auskommen kann. Dies sollte uns doch eigentlich möglich sein, wenn wir es wirklich ernst nehmen mit dem Vorrang für die Sicherheit, hier für die Sicherung der Arbeitsplätze, und mit der Gemeinsamkeit der Demokraten, hier angesichts der Gefahren für unsere Demokratie, sollte sie einmal nicht mehr vom derzeitigen wirtschaftlichen Wohlergehen begleitet sein. Ich darf jetzt zum zweiten Teil meiner Ausführungen kommen, wonach in diesem Jahr die hohe Schuldenaufnahme des Bundes auch vom Kapitalmarkt her zu vertreten ist. Voraussetzung für die Schuldenaufnahme - es sind brutto 48 Milliarden und netto 30,75 Milliarden DM - ist, daß die Sparquote hoch bleibt. Sie dürfte wohl in diesem Jahr bis in die 14 Prozent herankommen und für diese Zeit normal sein, ohne daß die Kaufwünsche der Bevölkerung beeinträchtigt werden. Wichtigstes Ziel der Kapitalmarktpolitik des Bundes muß es bleiben, das Zinsniveau auf dem gegenwärtigen Stand zu halten oder, soweit möglich, noch leicht zu senken. Dies gilt nicht nur im Sinne der Zinsminimierung für die öffentlichen Haushalte, sondern soll vor allem einen Anreiz geben für die Kreditaufnahme der privaten Unternehmen und der privaten Haushalte. Weiterhin ist von großer Bedeutung, daß die staatliche Kreditaufnahme flexibel bleibt, um den Wünschen der Kapitalgeber, wie sie sich aus der Kapitalmarktlage ergeben, entgegenzukommen. Da muß man schon die ganze Palette der Schuldtitel parat halten. Denn sonst ist der große Kreditbedarf des Bundes ohne Zinssteigerungen nicht zu decken. Insoweit haben wir - das darf ich als Berichterstatter für die Bundesschuld ganz besonders hervorheben - in diesem Haushalt 1978, dankenswerterweise im Einvernehmen mit der Opposition, eine ganz entschiedene Verbesserung erzielt, nämlich die gegenseitige Deckungsfähigkeit aller Zinstitel und damit größere Flexibilität. Es ist die Möglichkeit eröffnet, Kredite aufzunehmen, ohne daß von vornherein die Schuldformen .- Bundesanleihen, Bundesschatzbriefe usw.-im Haushalt absolut verbindlich festgelegt sind. Den Agierenden, die die Mittel auf dem Kapitalmarkt beschaffen, ist damit genügend Spielraum im Hinblick auf die jeweilige Kapitalmarktlage gegeben. Sodann ist bei der Kreditaufnahme des Bundes die Ergiebigkeit des Kapitalmarktes zu berücksichtigen. Es sollte also nicht so sehr auf die jeweiligen Kassenbedürfnisse des Bundes abgestellt werden. Denn das bedeutet, wenn es am Kapitalmarkt zu Versteifungen und Unsicherheiten kommt, daß der Bund zur Kostendeckung Kredite zu höheren Zinsen aufnehmen müßte als vertretbar. Ganz wesentlich wäre dies erleichtert, wenn die Bundesbank es gestatten würde, also nach § 17 des Bundesbankgesetzes ihre Zustimmung dazu erteilen könnte, daß bei hohem Kassenbestand die Mittel des Bundes zwischenzeitlich anderweitig auf dem Geldmarkt angelegt werden. Meine Damen und Herren, letztlich muß die staatliche Kreditpolitik darauf bedacht sein, daß es nicht zu Friktionen kommt, wenn die Unternehmen in verstärktem Maße an den Kapitalmarkt herantreten sollten. Zur Zeit besteht allerdings dazu kein Anlaß, weil die Selbstfinanzierungskraft - der meisten Unternehmen noch sehr groß ist. Abschließend möchte ich mich, wenn Sie mir dies gestatten, Herr Präsident, noch zur Frage nach den Grenzen der Verschuldung des Bundes äußern. Zugegeben, sowohl der Schuldenstand als auch die Kreditaufnahme sind aus den dargelegten Gründen außergewöhnlich hoch. Unsererseits wird auch nicht verkannt, daß dadurch eine gewisse Gefahr für den Bundeshaushalt entsteht. Denn man kann eine solche Schuldenpolitik nicht auf alle Zeiten fortsetzen; dies würde zu einer unvertretbaren Einengung des Haushalts führen. Eine absolute Grenze für die Verschuldung des Bundes gibt es allerdings nicht, sie läßt sich ziffernmäßig nicht berechnen. Es gibt zwar allerhand Vergleiche - Pro-Kopf-Verschuldung, Vergleich zum Bruttosozialprodukt usw. -, aber sie haben alle keinen absoluten Aussagewert. Die Frage, bis zu welcher Höhe Bundesschulden zu verantworten sind, läßt sich nur allgemein beantworten, etwa in der Weise: Die Schuldengrenze werde dann erreicht, wenn der Haushalt manövrierunfähig wird, also der Gestaltungsspielraum des Bundeshaushalts nennenswert eingeschränkt wird. Ich komme gleich zum Schluß. Von einer Manövrierunfähigkeit, von einer nennenswerten Einschränkung des Gestaltungsspielraums des Bundes-. haushalts kann indes nicht die Rede sein, wie die folgenden Zahlen belegen. Es geht 1978 um 10 Milliarden DM Zinsen, das sind 5,3 % des Haushaltsvolumens. Ausgaben für Tilgung können hier außer Betracht bleiben, weil sie immer wieder auf dem Kapitalmarkt refinanziert werden. Beweis: Tilgungen sind im Haushaltsvolumen nicht enthalten und können infolgedessen auch nicht dazu in Beziehung gesetzt werden. Lassen Sie mich bitte noch einen Satz sagen. Machen die Zinsen nach dem Haushalt 1978 mit 10 Milliarden DM 5,3 % der Gesamtausgaben von 188,6 Milliarden DM aus, so sind es nach dem Finanzplan bis 1981 im Jahre 1979 6,25 % von 200 Milliarden DM, 1980 6,8 % von 212 Milliarden DM und 1981 7,5 % von 225 Milliarden DM. Diese Prozentsätze sind noch nicht als beängstigend anzusehen; man sollte es insoweit auch nicht übertreiben. Hier mein letzter Satz. Wenn wir unserer Zielsetzung einer vollständigen Herbeiführung und Stabilisierung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts noch näher kommen, dann werden wir die Schuldenaufnahme zurückführen und später bei einer Hochkonjunktur vielleicht auch wieder abbauen können. Dieses Wechselspiel ist ja gerade das A und O einer staatlichen Konjunkturpolitik über den Haushalt. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Sie haben die Erkenntnisse des Präsidenten wesentlich erweitert. Sie haben hier eine ganze Reihe von letzten Sätzen zum besten gegeben. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, nachdem vier Redner der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen gesprochen haben, kurz noch einige Bemerkungen machen. ({0}) Ich bin eigentlich etwas erstaunt darüber - ich habe mir soeben die Rede des Kollegen Carstens noch einmal durchgelesen -, daß der Herr Bundesminister Apel hier so betroffen und so tief empört reagierte. Wer die Rede einmal nachliest - und ich möchte Sie wirklich herzlich auffordern, dies zu tun -, ({1}) wird feststellen, Herr Kollege Löffler, daß sich die Rede inhaltlich wie auch in ihrer Ausdrucksweise voll im Rahmen dessen hielt, was hier üblich ist. Es ist kein Wort gefallen, das hier nicht hätte gesagt werden dürfen. Ja, ich vermute sogar, daß der Herr Kollege Apel seinen Angriff auf den Kollegen Carstens ({2}) deshalb gemacht hat, um von dem guten Inhalt seiner Rede abzulenken. Sie selbst sagten ja, Herr Kollege Löffler, die Rede sei lästig. Ich meine, so etwas sollte man nicht sagen. Setzen Sie sich doch mit ihm in der Sache auseinander. Wir halten die Rede - ich möchte das mit Nachdruck sagen - für sehr vertretbar. ({3}) Das zweite: ein Wort zur finanzpolitischen Entwicklung, mit der sich insbesondere Herr Kollege Westphal auseinandergesetzt hat. Ich weiß sehr wohl, daß dies ein schwieriges Thema ist, über das man sehr unterschiedlicher Meinung sein kann. Sie sollten auch uns das echte Bemühen zugestehen, zur Konsolidierung der offiziellen und öffentlichen Finanzen beitragen zu wollen. Nur, wer heute über die öffentlichen Finanzen spricht, möge sich doch bitte auch einmal daran erinnern, warum wir diese Debatte überhaupt führen. Sie ist nämlich deshalb notwendig, weil seit 1969 eine gut übergebene Staatskasse, ordentlich gefüllt, kontinuierlich verwirtschaftet worden ist. ({4}) Das heißt, die Debatte um die öffentlichen Finanzen gäbe es nicht, wenn nicht SPD' und FDP gemeinsam mit ihrer Finanzpolitik seit 1969 jenen desolaten Zustand herbeigeführt hätten, den wir heute zu beklagen haben. ({5}) Dann zu verlangen, die Opposition solle die Finanzen konsolidieren - nach dem Motto: Stellt ihr die Einzelanträge für die Kürzung, damit wir sie draußen propagandistisch ausschlachten können -, ist, finde ich, eine unredliche Methode. Derjenige, der in erheblichem Maße dazu beigetragen hat, dem deutschen Volk die heutige Situation zu bescheren, muß sie auch wieder ändern und unsere Kritik ertragen. ({6}) Deshalb müssen Sie auch verstehen, daß wir für eine Erhöhung der globalen Minderausgabe um 1,2 Milliarden DM eintreten. Das scheint uns, auch unter Berücksichtigung des bereits vorgegebenen Ansatzes von SPD, FDP und Bundesregierung, vertretbar zu sein. Ich möchte hierzu einen Vergleich ziehen. Denken Sie bitte einmal an Ihre Haushalts5292 reste in den Jahren vor 1977; ich nehme nicht das letzte Haushaltsjahr. Damals haben diese Haushaltsreste sogar ausgereicht, um eine Nacht-und- Nebel-Aktion zu finanzieren, die dann durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für unzulässig erklärt wurde. Wenn Sie in den Jahren zuvor so gewirtschaftet haben, also sparsam genug - was ich gut finde -, dann meinen wir, die CDU/CSU, daß Sie das auch 1978 versuchen sollten. Deshalb sollten Sie auch unserem Antrag, die globale Minderausgabe zu erhöhen, heute zustimmen. Er ist ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen. ({7}) Ein nächster Punkt, zu dem ein Wort gesagt werden muß, ist das Problem der Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Wenn ich mich recht erinnere, hat Frau Kollegin Matthäus-Maier dazu einen Beitrag geleistet. Die Frage lautet: Kann man bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit helfen, indem mehr Staatsbedienstete eingestellt werden? Ich stelle einfach einmal die Frage, ob das wirklich ein richtiger Weg ist; denn konjunkturpolitische Arbeitsmarktprobleme sind ja - das sagt schon das Wort „konjunkturpolitisch" - zeitliche, d. h. hoffentlich nicht auf Dauer vorhandene Arbeitsmarktprobleme. Diese Probleme durch vermehrte Einstellungen im öffentlichen Dienst - sei es als Beamte oder Angestellte - lösen zu wollen, geht über das ureigene Ziel, das wir alle verfolgen, hinaus und führt zu Belastungen in der Zukunft, die - so hoffen wir jedenfalls - bei besserer Konjunktur nicht mehr bestehen. Deshalb kann dieser Weg kein wirklich redliches Konzept für die Lösung der Arbeitsmarktprobleme sein. ({8}) Wenn man dies überhaupt in Erwägung ziehen sollte - ich möchte das nicht von vornherein verwerfen-, dann mögen Sie, Herr Bundesminister Apel, doch bitte so gut sein, wenigstens das Wort „Zeitverträge" zu benutzen; denn das allein wäre konjunkturpolitisch marktgerecht. Ein weiterer Punkt betrifft die Bundesschuld. Kollege Augstein - ich bin ja der Mitberichterstatter - hat hierzu gesprochen; aber auch der Bundesfinanzminister hat hierzu einiges vorgetragen. Die Argumente sind gestern und heute - darauf haben Sie, Herr Apel, mit Recht hingewiesen - vielfach ausgetauscht und gewogen worden. Aber einen Punkt greife ich heraus. Ich glaube, daß die Argumentation, unsere Verschuldungspolitik sei im Rahmen der internationalen Sicht noch eine der besten oder zumindest eine vertretbare, so nicht aufrechtzuerhalten ist. Warum? Die Strukturen der Volkswirtschaften der Länder, mit denen wir uns vergleichen - Sie, Herr Apel, sind ja Ökonom, Sie haben das ja studiert und auch in der EG kennengelernt -, sind einfach zu unterschiedlich. Bei so unterschiedlichen Strukturen der Volkswirtschaften kann man keine korrekte, wissenschaftlich einwandfreie Linie ziehen im Zusammenhang der Verschuldungspolitik. Diese Argumentation beinhaltet mehr politische Polemik. Sie ist auch ein Stückchen Täuschung für den Unkundigen. Der Kundige weiß, daß hier ein Vergleich nicht gezogen werden kann. ({9}) Ich will als Begründung folgendes Beispiel anführen. Nehmen Sie einmal die USA. Schon die USA scheiden für mich als Vergleich aus. Die USA haben ein ganz anderes System. Denken Sie nur einmal an die soziale Sicherung. Sie ist in den Vereinigten Staaten anders strukturiert als hier. Ich finde, wenn die Belastungen so unterschiedlich auf den Staatshaushalt - sei es in Amerika oder hier - zurückfallen, dann kann man die Schuldsummen, die anstehen, und die ihnen zugrunde liegenden politischen Entschlüsse nicht miteinander vergleichen. Zur Schuldenspolitik noch ein Wort mehr. Wir haben - dies ist wiederholt zum Ausdruck gebracht worden - folgende Sorge. Herr Kollege Hoppe hat sehr richtungweisend dazu gesprochen. Ich finde, wir sollten das einmal wirklich in Ruhe gemeinsam besprechen. Ich möchte auch einmal ein wenig die Polemik in dieser Frage vom Tisch nehmen. Unsere Sorge, die niemand wegdiskutieren kann, ist: Zinsen und Tilgungen machen in wenigen Jahren jede fünfte Mark unseres gesamten Haushalts aus. Das heißt, wir geben heute Wechsel aus, die in der Zukunft bitter, starr und für viele heute gar nicht übersehbar eingelöst werden müssen. Vor diesen Lasten, die die Zukunft mit sich bringen wird, haben wir Angst und Furcht. Deswegen unser bohrendes Fragen, unser bohrendes Einstehen dafür, die öffentliche Finanzwirtschaft zu konsolidieren, sparsamer zu wirtschaften, unserem Antrag nach Erhöhung der globalen Minderausgabe als einem kleinen Beitrag zuzustimmen. Wir müssen meiner Meinung nach alles tun, um dem Anstieg der Schulden endlich Einhalt zu gebieten. Dies scheint mir in den kommenden Jahren die wichtigste Aufgabe in der Haushaltswirtschaft, in der öffentlichen Finanzpolitik zu sein. Sie ist wichtiger als alles andere. Wir stellen dies schärfer dar, als Sie es gerne sehen. Aber ich bin sicher, daß Ihr Verstand genau diese Probleme auch erkannt hat. Es wäre gut, wenn alle drei Fraktionen gemeinsam im Haushaltsausschuß, wo zum Glück oft ohne Polemik geredet wird, dieses Problem ernsthaft unter dem Gesichtspunkt der Lösung für die Zukunft diskutierten. Ich glaube, meine Damen und Herren, diese Verpflichtung haben alle: SPD, FDP wie CDU/CSU; denn die Lasten, die heute ausgeteilt werden, die SPD und FDP durch die Haushaltsvorlage, die wir heute diskutieren, dem Bürger aufbürden, und die damit verbundenen Zinsen und Tilgungen belasten die Generation in den 80er Jahren. Sie hat einen Anspruch darauf, daß wir gerade auf ihre Last heute besonders achten, damit auch sie ein gutes, finanzpolitisch ausgewogenes Leben führen kann. ({10}).

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, mir liegt die stenographische Aufzeichnung der Ausführungen des Bundesfinanzministers vor. Ich beziehe mich auf folgende Passage: Vizepräsident Stücklen Wenn dann aber der zweite Redner der Opposition in bezug auf meine Person von „schamlos" und „unehrlich" spricht und der zu dieser Zeit amtierende Präsident nur meint, dies sei noch an der Grenze des Parlamentarischen, dann werden wir über diese Grenzen bei Gelegenheit zu sprechen haben. Dazu stelle ich fest, daß es auch dem Bundesminister der Finanzen nicht gestattet ist, an den Ordnungsmaßnahmen des amtierenden Präsidenten Kritik zu üben. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe. ({1}) Herr Abgeordneter Dübber, Sie wollen einen Antrag begründen? ({2}) Bitte schön. Das können wir vorwegnehmen.

Dr. Ulrich Dübber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Antrag begründen, der Ihnen auf Drucksache 1454 vorliegt. Es ist ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP. Er beabsichtigt, den Zuschuß zum Berliner Landeshaushalt um 60 Millionen DM zu erhöhen. Es gibt dazu einen ähnlichen oder sogar Bleichlautenden Antrag der CDU/CSU; er unterscheidet sich von dem unsrigen aber in der Deckungsfrage. Dies wird Kollege Wohlrabe darlegen. Ich möchte meine Genugtuung darüber ausdrükken, daß es uns gelungen ist, wie schon in früheren Jahren in dieser Frage einmütig dazustehen und ein gemeinsames Anliegen vorzutragen. Das ist ja wohl auch angebracht, wenn wir gelegentlich an Feiertagen nationale Aufgaben beschwören. Darum ist es schön, daß wir sie auch praktizieren und auf parteipolitisches Gehacke verzichten. Berlin ist von der weltwirtschaftlichen Rezession nicht unberührt geblieben. Die Stadt hat in den letzten sieben Jahren 80 000 industrielle Arbeitsplätze verloren. Dies macht uns große Sorge. Wir bitten alle Verantwortlichen, diese Entwicklung im Auge zu behalten und über Maßnahmen und Wege zur Stärkung der Wirtschaftskraft der Stadt nachzudenken. Heute entscheiden wir - im Zusammenhang mit dem Berlin-Zuschuß ist das ja wesentlich -, u. a. und vor allem über die Sicherung der dortigen Arbeitsplätze für die nächsten Jahrzehnte. Wenn irgendwo, dann sind hier Zukunftsinvestitionen erforderlich, weil die Stadt sonst austrocknet. In diesem Sinne erhoffen wir uns die Verwendung der zusätzlichen 60 Millionen DM im Landeshaushalt. Unsere Achtung .vor der Etathoheit des Abgeordnetenhauses von Berlin gebietet es, daß wir hier nicht über die Einzelheiten der Verwendung debattieren. Wir haben zur Kenntnis genommen, daß die Mittel für Sportstätten, für Alte und Behinderte und für die Erschließung von Industriegelände verwendet werden sollen. Vor allem der letzte Punkt erscheint uns wichtig. Ganz besonders ihn empfehlen wir unseren Kollegen im Berliner Parlament zur Beachtung. Mein Dank gilt allen Fraktionen für ihr stets aufs neue bewiesenes Interesse an der Unterstützung Berlins und ganz besonders auch dem Herrn Bundesfinanzminister sowie seinen Mitarbeitern. Ich bitte Sie, den Antrag 1454 anzunehmen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zu diesem Antrag Herr Abgeordneter Wohlrabe.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist seit nahezu drei Jahrzehnten in diesem Hause selbstverständlich und bei allen Fraktionen unumstritten, Berlin und den Bewohnern die notwendige Hilfe zu geben. Zeugnis davon legen zahlreiche Dokumente ab. Nehmen Sie die Präambel des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe Notopfer Berlin am 8. November 1948 oder die Reden, die im Deutschen Bundestag zu diesem Thema gehalten wurden, beispielsweise die von Jakob Kaiser, Franz Neumann oder die des früheren Bundesfinanzministers Fritz Schäffer. Nicht nur im Deutschen Bundestag war die Unterstützung Berlins ein gemeinsames Anliegen. Auch die Menschen im freien Teil wußten, daß Berlin ohne die Hilfe aller den Kampf um seine Existenz nicht würde bestehen können. Dies gilt auch nach Abschluß der Berlin-Vereinbarungen. Nach 12 Jahren - ich glaube, das sollte man einfach mal sagen - sprechen wir heute im Rahmen einer Debatte erstmals wieder über die Hilfe des Bundes für Berlin. Auch dies ist ein Zeichen der Einmütigkeit, mit der wir diese Frage bisher immer behandelt haben. Von 1951 bis 1977 hat Berlin vom Bund nahezu 70 Milliarden DM erhalten. Das ist eine große und stolze Summe, für die ich hier als Berliner und namens meiner Fraktion den Bürgern im freien Teil Deutschlands von ganzem Herzen Dank sagen möchte. Berlin weiß, daß es diese Solidarität braucht, aber eben auch hat. Die Politiker sollten sich bewußt sein, daß Berlin ein denkbar schlechtes Objekt ist, um parteipolitische Vorteile zu suchen. Deshalb war es eigentlich unverständlich, daß einige Sozialdemokraten versucht haben, außerhalb des Konsenses, außerhalb der Gesprächsrunde beim Bundespräsidenten, außerhalb der Absprache mit den Berichterstattern und außerhalb einer annehmbaren Regelung im Bundeskabinett ein sogenanntes 300Millionen-Programm für Berlin zu offerieren. Dieses Programm wäre sicher gut und hilfreich, auch wenn es die Probleme nicht beseitigte. Aber es hat den Anschein erweckt, nicht solide vorbereitet gewesen zu sein. In erster Linie hat es deshalb wohl eher den Zweck gehabt, der Berliner Sozialdemokratie, aber vielleicht auch dem neu gewählten Regierenden Bürgermeister Stobbe ein wenig hilfreich zu sein. Das kann ich sehr wohl verstehen. Nur: Dies kann nicht Grundlage für eine Entscheidung im Haushaltsausschuß sein. Wir haben Berlin immer zur Seite gestanden und werden dies auch in Zukunft tun. Aber wir müssen erwarten, daß die Planungen und Vorschläge für Berlin sorgfältig vorbereitet und seriös vorgetragen werden, vor allem dann, wenn es um Sonderprogramme geht. Die Bundeshilfe für Berlin ist ein ganz anderes Thema. Sie hat mit Sonderprogrammen nichts zu tun. Hier gibt es eine eindeutige, uns alle rechtlich verpflichtende Grundlage: § 16 des Gesetzes über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes; 3. Überleitungsgesetz vom 4. Januar 1952. Wir wissen, daß auch Berlin finanzielle Schwierigkeiten hat. Deshalb beantragen heute alle drei Fraktionen gemeinsam, die Bundeshilfe für Berlin um 60 Millionen DM zu erhöhen. In der Deckungsfrage - und dies ist ein Bonner Problem - besteht allerdings eine unterschiedliche Auffassung. SPD und FDP treten dafür ein, die Dekkung dieses Betrags durch Erhöhung der Nettokreditaufnahme zu erreichen. Dies halten wir für unvertretbar. Denn ohnehin überschreiten die Nettokredite in diesem Jahr die verfassungsmäßige Grenze, die Art. 115 GG setzt. Die CDU/CSU ist der Meinung - und dies ist meine Bitte an Herrn Bundesfinanzminister Apel -, daß es bei einem Etatvolumen von 188,6 Milliarden DM möglich sein muß, so sparsam zu wirtschaften - ich sagte ja soeben dazu schon ein Wort -, daß Berlin dieser doch relativ geringe Betrag von 60 Millionen DM aus Einsparungen des Bundes zugewiesen werden könnte. Meine Vorredner gestern und heute haben Vorschläge gemacht, wie man es kostensparend machen kann. Berlin sollte davon profitieren. Fest steht: Die Unionsfraktion stimmt der Erhöhung der Bundeshilfe für Berlin für 1978 auf nunmehr 7 638 300 000 DM zu. Das sind rund 50 % des Berliner Landeshaushalts. Wir machen uns die Begründung des Berliner Finanzsenators für diese Erhöhung nicht zu eigen, sondern erwarten, daß die parlamentarischen Gremien in Berlin das Geld so verwenden, wie es der Gesetzgebungsgang vorsieht. Wenn ich mir einen persönlichen Vorschlag erlauben darf: Diese Summe sollte zur Senkung der Neuverschuldung Berlins verwendet werden. Auch Berlin muß seinen Beitrag für eine sparsame Haushaltsführung leisten. ({0}) Das Thema Berlin wird uns in den nächsten Wochen und Monaten besonders in Anspruch nehmen. Denn auch diese Erhöhung der Bundeshilfe stellt keinen großen Durchbruch dar. Eine umfassende Konzeption wollen alle drei Fraktionen in der Kommission beim Herrn Bundespräsidenten erarbeiten, deren Bericht zu Ostern erwartet wird. Ich möchte den Beratungen dieses Gremiums nicht vorgreifen. Lassen Sie mir deshalb nur dies sagen: Solange Berlin eine gespaltene Stadt und eine ummauerte Stadt ist, ist diese Situation schwer belastet. Solange die Bevölkerungszahl Berlins sinkt, solange die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Stadt fortbestehen, so lange braucht es unsere Hilfe, vor allem die materielle. Berlin ist eben keine deutsche Stadt wie jede andere. Berlin hat keine normale Situation. Für uns ist Berlin erst dann wieder eine normale Stadt, wenn es Hauptstadt aller Deutschen in einem freien und geeinten Deutschland ist. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zu diesem Änderungsantrag hat der Herr Abgeordnete Hoppe das Wort.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal auf die allgemeine Debatte zurückkommen, denn es besteht hier mit diesem Antrag ein unauflösbarer Zusammenhang. Wenn der Kollege Wohlrabe stilbildend wirken will, ist immer Vorsicht geboten. ({0}) Der Debatte würde es, glaube ich, insgesamt sehr bekommen und der auszutragende Meinungsstreit könnte dabei auch durchaus fröhlicher werden, wenn auf Doppelzüngigkeit verzichtet würde. ({1}) Im Ausschuß kollegial, im Plenum brutal - das ist einfach nicht fair. ({2}) Lieber Kollege Carstens ({3}), Vokabeln wie „schamlos" und „infam" - auch wenn Herr Wohlrabe, sie nach seinem Stilverständnis noch einmal verteidigt hat - gehören, meine ich, nicht in einen Haushaltsdisput. ({4}) Starke Worte können schwache Argumente nicht ersetzen. Dieser Irrtum ist zwar weit verbreitet, aber wenigstens die Haushaltspolitiker sollten es besser wissen. Auch die Vorschläge der Opposition zur Ausgabensenkung erschöpfen sich in einem nicht ernst zu nehmenden Zahlenspiel. Soviel heiße Luft ist selten auf ein Blatt Papier gebracht worden, wie Sie es hier in Ihrem Antrag fertiggebracht haben. ({5}) Allein die von Ihnen beantragt Erhöhung der globalen Minderausgabe paßt überhaupt nicht in die haushaltspolitische Landschaft. Der mitgeteilte Abschluß der Haushaltswirtschaft 1977 macht das für alle Haushaltspolitiker einsichtig und überzeugend deutlich. Dennoch nehmen Sie von diesen Daten keine Kenntnis. Sie brauchen einfach Zahlen, um Ihre Argumente, die leider falsch sind, so zu stützen, daß sie den Schein der Richtigkeit bekommen. Damit bin ich beim Antrag, der leider kein gemeinsamer Antrag geworden ist, wie es uns Kollege Wohlrabe weismachen wollte. Auch bei dem Antrag zur Erhöhung der Bundeshilfe für Berlin greift die Opposition auf dieses Stück Haushaltstaktik zurück. Sie sagt zwar „ja" zu der Erhöhung und will sich damit in die politische Solidargemeinschaft für Berlin einreihen; aber die Deckung dieser MehrHoppe ausgaben, die sie mit uns beschließen will, läßt sie andere beschaffen. Wir werden sie im Interesse der Sache und im Interesse der Stadt Berlin so schaffen, wie es im Koalitionsantrag vorgesehen ist und wie wir es zunächst einmal gemeinsam in Aussicht genommen hatten. Ich bedauere, daß auch dieses Stück Gemeinsamkeit wieder verlorengegangen ist. Zum Antrag selbst bin ich dankbar dafür, daß es nicht Berliner Abgeordnete gewesen sind, die sich hier als Lobby betätigt haben, sondern ich freue mich, daß diese Anregungen zur Erhöhung und zur Verbesserung der Haushaltssituation des Landes Berlin aus einer Fraktion dieses Hauses gekommen sind. Wir wollen uns die dafür ins Feld geführten Argumente heute nicht im einzelnen zu eigen machen; dafür und dagegen ist einiges zu sagen. Insbesondere ist leider auch wahr, daß nach dem Ergebnis der Steuerschätzung vom 8. und 9. Dezember 1977 der Ansatz der Steuereinnahmen im Haushalt des Landes Berlin um 200 Millionen DM zu hoch veranschlagt ist. Im Vollzug der Haushaltswirtschaft muß hier entweder durch Mehreinnahmen oder Minderausgaben eine Deckung geschaffen werden. Vielleicht kann deshalb auch insoweit die hier zu beschließende Erhöhung der Bundeshilfe das Problemfeld in Berlin erleichtern. Ich bestätige noch einmal, daß es gut und erfreulich ist, daß wir an dieser Stelle nie einen Meinungsstreit gehabt haben, und ich hoffe, daß das auch in Zukunft so bleiben wird. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort zur allgemeinen Aussprache hat Frau Abgeordnete Pieser.

Liselotte Pieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir die Debatte hier um die Frage führen, ob der Weg der Regierung oder der der Opposition in der Beurteilung unserer finanziellen Situation der wahre Weg ist, dann, meine ich, sollten wir zu dem zurückkommen, was wir in den letzten Minuten versucht haben: echt zu argumentieren, um dann zum Wohle unserer Bürger Wege zu finden, die aus einer zweifellos schwieriger gewordenen finanziellen und wirtschaftlichen. Situation herausführen. Dazu gehört für mich ein Punkt, der die Begleitung des finanzpolitischen Gebarens der Einnahmen- und Ausgabengestaltung betrifft, nämlich die damit verbundene Rechnungsprüfung. Es ist auf Grund der gegenwärtigen finanziellen Lage, auf Grund der Sorgen, die sich der Bürger in diesen Fragen macht, verständlich, daß das Interesse für Formen der Rechnungsprüfung und für Vollzug nach den dabei festgestellten Ergebnissen größer geworden ist, als es in den vergangenen Jahren war. Deshalb halte ich es für wichtig, daß wir im Zuge unserer heutigen Haushaltsdebatte nach einigen Jahren wieder auch einmal zu der Frage der Situation dieses Rechnungsprüfungsorgans, des Bundesrechnungshofes, Stellung nehmen. ({0}) Gerade unsere kritische junge Generation erwartet, daß die Verwendung des Geldes, das der Staat über den Weg der Steuer erwirtschaftet und zum Wohle aller verwenden muß, auch jederzeit nachweisbar als korrekt, als regelmäßig gestaltet zu betrachten ist. ({1}) Wenn wir uns in diesem Zusammenhang die Veröffentlichungen anschauen, die in der letzten Ausgabe der „Wirtschaftswoche" auf Grund von Prüfungsergebnissen vorrangig des Bundesrechnungshofes, aber auch einiger Landesrechnungshöfe zusammengetragen sind, dann möge auch in uns Parlamentariern wieder das Bewußtsein dafür geweckt werden, welche Verantwortung uns auferlegt ist,, um solche Fehlmaßnahmen zu vermeiden, die hier aufgezeigt worden sind. Meine Damen und Herren, je erfolgreicher der Bundesrechnungshof arbeiten kann und damit uns als Parlamentariern für die Wahrnehmung unserer verfassungsmäßigen Kontrollrechte und Prüfungspflichten das Material liefert, um so mehr wird das Vertrauen der Bevölkerung in unseren Staat erhalten bleiben, oder es wird uns wieder zuwachsen, wo es verlorengegangen ist und ein Vertrauensschwund besteht. ({2}) Das müssen wir uns eingestehen. Das hat zur Voraussetzung, daß das Parlament nun aus dem über die Rechnungsprüfung ersichtlichen Material dort, WO es sich um öffentliche Verschwendung, wo es sich um schuldhafte Fehlmaßnahmen im Bereich des Verwaltungsvollzugs handelt, schnell, konsequent und effektiv Folgerungen zieht, gegen Schuldige ohne Rücksicht auf deren Position hart durchgreift und Berichte des Bundesrechnungshofs nicht mehr nur als sogenannte antiquierte Budgetleichen vergangener Jahre ohne aktuelle politische Brisanz behandelt. Wir müssen alle miteinander endlich wieder anfangen, in Sachen Finanzkontrolle, aufzudeckender Mißwirtschaft und öffentlicher Pfründenheckerei als parlamentarische Einheit zu denken. ({3}) Wir müssen uns darauf besinnen, Angehörige eines Parlaments zu sein, das der Gemeinschaft der Bürger verantwortlich ist, ({4}) nicht einer Regierung oder einer Opposition. Es kann deshalb nicht so sein, daß wir in aufgezeigten Fällen von Verstößen dann, wenn die heutige Regierung getroffen ist, uns als die Regierung stützende Fraktion dagegen wehren, daraus Konsequenzen zu ziehen. Ich bin sehr froh, hier im Plenum feststellen zu können, daß glücklicherweise in dem für diese Maßnahmen zuständigen Rechnungsprüfungsausschuß ein Klima herrscht, in dem es möglich ist, gemeinsam Entscheidungen zu tragen, die auch die Verstöße der von der jetzigen Koalition getragenen Regierung Verstöße nennen und nicht mit dem Mantel christlicher oder freiheitlicher Nächstenliebe zuzudecken bereit sind. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Berger?

Liselotte Pieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, Frau Berger.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Pieser, Ihre Darlegungen und der Hinweis auf den Rechnungsprüfungsausschuß bringen mich zu meiner Frage. Ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen, ob sich der Rechnungsprüfungsausschuß und der Rechnungshof auch mit der Reise beschäftigt haben, die der Herr Bundesminister Franke ({0}) nach seinen Darlegungen auf dringendes Ersuchen des Außenministeriums nach Korea angetreten hat. ({1})

Liselotte Pieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Berger, ich glaube, wir sollten uns jetzt mit dem Thema befassen, das hier aufgerufen ist. ({0}) Wir hatten uns vorgenommen, über Struktur und Inhalt des Prüfungswesens generell zu debattieren. Das Ergebnis der Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuß speziell zu der Koreareise des Herrn Bundesministers Franke setzte ich in diesem Hause als bekannt voraus. Es ist eines der Beispiele, in denen wir sagen können, wir haben gemeinsam etwas gerügt, was so, wie es gemacht worden ist, nicht in Ordnung war. So soll und wird es nach allem, was sich an Konsens in diesen Bereichen anbahnt, wahrscheinlich auch bleiben. Das scheint mir ein guter Weg zu sein. Insgesamt ist zu diesem Problem weiterhin zu sagen, daß wir gerade in diesem Augenblick, wenn wir uns mit dem Rechnungsprüfungswesen und dem Rechnungshof befassen, auch ein Wort des Dankes sagen sollten an die Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes, ({1}) insbesondere auch an seinen nun scheidenden Präsidenten, der im Auftrag der Parlamentarier zusätzlich eine Vielzahl von Aufgaben übernommen und fristgerecht erfüllt hat, was uns in der Arbeit im Haushaltsausschuß und bei den Beratungen des anstehenden Haushalts 1978 bei der Entscheidungsfindung sehr hilfreich gewesen ist. ({2}) Wir wollen uns kurz noch einmal mit der Frage befassen: Wie sehen wir Parlamentarier eigentlich die Bewußtseinslage unseres Parlamentarismus? Ich meine, wir sollten uns auch in diesem Punkte wieder gemeinsam vor Augen führen, daß Parlamentarier sein ja nicht nur heißt, politische oder ökonomische Interessen oder beides zu vertreten und möglichst erfolgreich in Gesetzen und Beschlüssen unterzubringen. Wenn wir uns als Parlament nur als Gesetzgebungsmaschine empfinden würden, getrieben von Kampf, Sieg oder Kompromiß trainierter Funktionäre großer Verbände oder Machtgruppen, müßten wir sagen, der Parlamentarismus ist denaturiert und wird auf die Dauer keine Begeisterung und keine Zustimmung in der Bevölkerung finden. ({3}) Auch dies ist, glaube ich, auf Grund von Anzeichen in mancher Stimmungslage, in manchen Punkten, die uns als Parteienverdruß immer wieder begegnen, mit zu vermerken. Der Parlamentarismus in unserer freiheitlichrechtsstaatlichen Demokratie bedeutet zunächst, daß wir hier berufen sind, in dem Kräftespiel zwischen regierungstragenden Fraktionen und der erforderlichen Opposition uns dennoch auch bewußt zu sein, daß wir alle miteinander allen Bürgern zu dienen haben, damit das, was man Staat und Demokratie nennt, sauber, verantwortlich und rechtmäßig bleibt. Deshalb Offentlichkeit und nicht parlamentarisches Desinteresse gegenüber der eigentlichen Urfunktion der parlamentarischen Arbeit, dem Budgetrecht. Und, meine Damen und Herren, zum Budgetrecht gehört die Kontrolle, gehört das Rechnungsprüfungswesen. Wenn dazu auch kommt und festzustellen ist, daß wir Parlamentarier keinesfalls Kriminalbeamte sind oder uns als solche empfinden, dann deswegen, weil wir uns eben dieses Organ besorgt haben, das in richterlicher Unabhängigkeit im Auftrag und stellvertretend für das Parlament die umfangreichen Wege des finanziellen Vollzuges der Haushalte nachzuvollziehen und zu prüfen hat, ob alles in diesem Bereich gesetzmäßig und rechtmäßig vollzogen ist. Dabei muß außer acht bleiben - und dies ist ein Punkt, der häufig auf Unverständnis stößt -, daß der Rechnungshof uns allen mit seiner Argumentation und mit seinen Prüfungsbemerkungen in der politischen Wertung über Form und Inhalt des Vollzogenen in der Verwaltung nicht weiterhelfen kann. Diese Entscheidung soll und muß bei uns bleiben, und sie wird um so besser gewährleistet sein, je zeitnäher wir in den Stand gesetzt werden, diese Prüfung zu vollziehen. ({4}) Wir sind deshalb dem Präsidenten des Rechnungshofes dankbar, daß es ihm während seiner Amtsperiode gelungen ist, die Vorlagetermine der Prüfungsbemerkungen so vorzuziehen, daß wir in Zukunft die Zeit gewinnen werden, um zwischen den Haushaltsberatungen im Rechnungsprüfungsausschuß die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um im Zuge des hier einzubringenden Entlastungsverfahrens dann die Haushaltsabwicklung definitiver und zügiger zu machen. ({5}) Die Erkenntnis wächst aber - und ich habe den Eindruck, sie wächst in allen Fraktionen dieses Hohen Hauses -, daß um der Organisation und Effektivität dieses wichtigen Instrumentes willen es dringend überfällig ist, auch bezüglich der gesetzlichen Regelungen für die Rechnungsprüfung zu einer Novellierung zu kommen. Wenn neben dem Inkrafttreten der Bundeshaushaltsordnung von 1969, neben dem Gesetz über Errichtung und Aufgaben des Rechnungshofes von 1950 für die Rechnungsprüfung, noch immer die alte Reichshaushaltsordnung von 1922 gültig ist, dann kann das wohl in unsere politische Wirklichkeit heute nicht mehr so ganz nahtlos pasFrau Pieser sen. Hier gilt es also eine Reform zu vollziehen, zu der wie in kaum einem anderen Maße das Haus aufgerufen ist, dies gemeinsam zu versuchen und nicht kontrovers anzulegen. Es hat einige Bemühungen um eine solche Reform gegeben. Einmal hat der Finanzminister schon 1974 begonnen, einen Gesetzentwurf vorzulegen; der ist aber über die Regierung nicht hinausgekommen. Der Rechnungshof selbst hat 1973 einen vom Großen Senat beschlossenen und begründeten Entwurf dem Bundesfinanzminister vorgelegt. Aber dieser Entwurf ist bis heute noch nicht wieder zum Vorschein gekommen. Keine Regierung will anscheinend Kuckuckseier ausbrüten wollen, vor allem dann nicht, wenn ihr der Große Senat noch mit dazu verholfen hat, daß im Zuge einer Verfassungsklage der Regierung bescheinigt werden mußte, daß sie von einer Reform des Haushaltsrechts nicht Kenntnis genommen, sondern nach alten, nicht mehr rechtsgültigen Verfahren finanzielle Maßnahmen abgewikkelt hatte. Wenn nun der Präsident des Bundesrechnungshofes in zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen immer wieder versucht hat, Probleme einer modernen Finanzkontrolle in der Industriegesellschaft zur Diskussion zu stellen, dann können wir ihm dafür dankbar sein, weil im Zuge dieser Publizierung des Anliegens Rechnungsprüfung Interesse und Verständnis dafür allgemein gewachsen ist. Vielleicht ist es überhaupt für die Sonderstellung des Rechnungshofes im Spannungsfeld von Legislative, mächtigen Verbänden und Exekutive die angemessenere Lösung, wenn das neue Gesetz eben als Initiativgesetz aus der Mitte des Parlamentes kommt. Es gibt hier insgesamt drei Streitpunkte. Der wichtigste Streitpunkt dürfte der sein, inwieweit nun Rechnungshof und Parlament in Zukunft bei der Bestellung von Präsident und Vizepräsident des Rechnungshofes mitwirken sollten. Das Bundesministerium der Finanzen will hier seine bisherigen Rechte gewahrt sehen. Es legt Wert darauf, daß diese Rechte nicht geschmälert werden. Offensichtlich soll eine Aufwertung des Rechnungshofes vermieden werden. Ich meine, hier spielt eine gehörige Portion Ressortegoismus mit. Wir hoffen aber, daß ein Weg gefunden wird, wie ihn Präsident Schäfer in einem Vortrag vor der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft - nachzulesen im „Bulletin" des Presse- und Informationsamtes vom 3. Dezember 1976 - aufgezeigt hat. Es trifft zwar zu, -daß 1969 bei der Haushaltsreform ein paar Schranken gefallen sind, die nunmehr den unmittelbaren Verkehr des Rechnungshofs mit dem Parlament möglich gemacht haben. Das gab es bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Unabhängigkeit des Rechnungshofs wurde dadurch zweifellos auch optisch gestärkt. Aber eines beeinträchtigt diese Unabhängigkeit. Das ist die Ernennung des Präsidenten ohne jegliche Mitwirkung der Legislative. Ein unabhängiges Organ der finanziellen Kontrolle bedarf doch in erster Linie dann, wenn es eine Bundesregierung kontrollieren soll, nicht etwa des Vorschlages des zu Kontrollierenden, wen er sich aussuchen möchte, der ihn kontrollieren soll. Das ist ein parlamentarisch kaum vorstellbares Verfahren. Es ist aber heute immer noch in Anwendung. Außerdem muß es angesichts der exponierten Rechtsstellung und des Rufs nach sachlicher Objektivität, die dieses Organ zur Kontrolle der Gesamtfinanzen einschließlich Bundesbahn und Bundespost für die Bundesrepublik Deutschland haben muß, in der Bevölkerung auch als eine unabdingbare Notwendigkeit erscheinen, daß der Präsident einer solchen Institution dem Bundespräsidenten entweder nur von Bundestag und Bundesrat oder von der Bundesregierung wenigstens unter einvernehmlicher Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat zur Ernennung vorgeschlagen wird. ({6}) Meines Wissens ist eine solche Regelung auch in allen Bundesländern - auch in SPD-regierten - in Vorbereitung. Ob der Bundesrechnungshof nun die gesetzgebenden Körperschaften in ihrer Finanzkontrolle wirksam uhterstützen kann, hängt davon ab, ob die Legislative insbesondere die Besetzung der leitenden Funktionen beeinflussen kann. Die Bundesregierung hat auf dem heutigen Weg eine gewisse Chance, auf die große Linie der Finanzkontrolle einzuwirken. Das scheint uns nicht legitim zu sein. Der zu Kontrollierende darf in keinem Fall Möglichkeiten haben, hier Einfluß zu nehmen. Hinzu kommt, daß bei der bisherigen Form auch der Verdacht entstehen könnte - ich betone ausdrücklich, daß er sich noch in keinem Falle, bei keinem der bisher amtierenden Präsidenten bewahrheitet hat -, daß durch die Nähe der zu Berufenden zur Verwaltung etwa gewisse Interessengleichklänge gegeben sein könnten, die die Objektivität der Prüfung zu beeinflussen geeignet seien. Ich betone noch einmal: Das war bisher nicht der Fall. Wir sollten aber auch alle Möglichkeiten dazu für die Zukunft überzeugend ausräumen. ({7}) Wie sieht es nun mit dem Vollzug der durch Rechnungsprüfung festgestellten Ergebnisse aus? Ein in den Augen der Öffentlichkeit besonders wichtiges Problem ist dabei das Sichtbarwerden der Effektivität, insbesondere im Bereich des Disziplinarrechts. Ich glaube, dazu müssen wir uns Gedanken machen. Wie sollte es sonst sinnvoll sein, aus der Arbeit des Bundesrechnungshofs und aus den mühevollen und oft jahrelangen Prüfungen als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung Nutzanwendungen besser zu ziehen als in der Vergangenheit? Was nützen Ratschläge und Aufdeckung von Mißständen, wenn der Kontrolleur keine Zähne zum Beißen hat und sich anschließend überhaupt nichts ändert? Ob man nun einen neuen Straftatbestand der Amtsuntreue schaffen sollte, wie ihn der Bund der Steuerzahler vorschlägt, mögen die Juristen prüfen. Die Fälle, in denen etwas aus Eigennutz begangen wird - Betrug, Unterschlagung und Untreue - liegen ohnehin im Bereich der Strafbarkeit. Aber es muß ein Weg gefunden werden, um vor allen Dingen disziplinarrechtlich vorgehen zu können und es auszuschließen, daß sich Disziplinarverfahren wie bisher über vier und noch mehr Jahre erstrecken, in denen das laufende Gehalt bezogen wird, keine Dienstleistung erbracht wird, dann die Versetzung in den Ruhestand eintritt und schließlich das Verfahren niedergeschlagen wird. Das kann unseren Steuerbürgern nicht von einer Effizienz unserer Rechnungsprüfung überzeugen. ({8}) Um die Disziplinarverfahren zu objektivieren, um Dienstherren aus der zweifellos gegebenen Zwangslage des betriebsinternen Prüfen- und Zur-Rechenschaft-Ziehen-Sollens zu befreien, wäre hier die Frage, ob ein unabhängiges Organ geschaffen werden sollte, das entweder an den Bundesrechnungshof oder in das Bundesfinanzministerium angeschlossen wird - oder wo auch immer -, das disziplinarrechtliche Fälle zügig und effizient zu prüfen hat und über das zu treffende Ergebnis dann den jeweiligen Dienstherrn unterrichtet, um alle Formen möglicher Kameraderie und ungleichmäßiger Bewertungen von vornherein auszuschließen. Meine Damen und Herren, in diesen Kontext gehört für mich - und damit möchte ich schließen -, daß, um alle diese wichtigen Probleme befriedigend lösen zu können, uns als Parlamentariern zum anderen auch die Aufgabe gestellt bleibt, den Bundesrechnungshof in seiner Struktur so auszustatten, daß er seinen Aufgaben vollinhaltlich gerecht werden kann. Dazu gehört für mich in Zukunft auch eine Überprüfung etwa der jetzigen Stellenstruktur im Rechnungshof. Wenn wir sehen, daß die Ministerien je länger, desto mehr ihren Sachverstand nicht mehr für ausreichend halten, um moderne Entwicklungen im Bereich von Technologie und Wissenschaft vollinhaltlich zu erfassen - wir finanzieren ja zahlreiche Gutachtergremien, wir finanzieren Berater, wir finanzieren Wissenschaftler zusätzlich zum Sachverstand der Ressorts -, dann ist die Zeit gekommen, wo die Mitarbeiter des Rechnungshofes bei der jetzigen organisatorischen Struktur überfordert sind, solch komplizierte Verwaltungsvollzüge überhaupt noch durchschauen und bewerten zu können. Auch hier bleibt uns ein Stück gemeinsamer Arbeit. Ich hoffe, daß wir diese Verpflichtung miteinander spüren und so rasch wie nur irgend möglich in Angriff nehmen. Auch damit schaffen wir ein Stück mehr Vertrauen des Bürgers zum Staat, aber auch zu seinem Parlament. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Augstein.

Hans Jürgen Augstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000060, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich stimmen wir Sozialdemokraten wie alle Fraktionen dieses Hauses den von der verehrten Frau Kollegin Pieser vorgeschlagenen Prinzipien der Rechnungsprüfung im wesentlichen zu. So geht es auch im Rechnungsprüfungsausschuß nur. ganz ausnahmsweise kontrovers zu. Alle Seiten dieses Hauses sind bemüht, auf eine korrekte und sinnvolle Verwendung der Haushaltsmittel zu achten. Und es war - das sei auch hervorgehoben - ein gutes Zeugnis für alle Mitglieder des Haushaltsausschusses, als der Ende dieses Monats in den Ruhestand tretende Präsident des Bundesrechnunghofes, Dr. Hans Schäfer, kürzlich, als er sich vom Haushaltsausschuß verabschiedete, feststellen konnte, daß er ein „wohlbestalltes Haus" zurücklasse. In der Tat sind Haushaltsausschuß und Bundestag den Personalwünschen des Bundesrechnungshofes soweit wie möglich nachgekommen. Gern nehme ich auch im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Gelegenheit wahr, idem hier auf der Diplomatentribüne anwesenden Dr. Hans Schäfer für seine bewährte siebenjährige Amtsführung als Präsident des Bundesrechnungshofes und als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung zu danken. ({0}) Es ist nicht übertrieben, von einer „Ära Schäfer" zu sprechen, die besonders durch eine effektive organisatorische Umgestaltung des Rechnungshofes gekennzeichnet ist. Meine Damen und Herren, vielfach wird in der Öffentlichkeit, vor allem in 'der Publizistik und von Interessenverbänden, der Vorwurf erhoben, die Verwaltung gehe mit den Steuergeldern nicht sparsam genug um. Zur Ehrenrettung aller Bundesbediensteten in Zivil und in Uniform darf ich zunächst einmal feststellen: Fehler passieren überall, es ist aber nicht so, daß man im öffentlichen Dienst einfach in Saus und Braus draufloswirtschaftet. Soweit von den Kontrollinstanzen Beanstandungen zu erheben sind, und das ist die zweite Feststellung, werden sie zum größten Teil schon von den Bundesministerien und den anderen Bundesbehörden selbst bereinigt. Meine dritte Feststellung betrifft Straftatbestände: in diesen Fällen erfolgt automatisch die Strafverfolgung durch die Justiz. Es ist auch nicht so, als ob die Beanstandungen, Skandälchen und Skandale, die der Bundesrechnungshof in seine Bemerkungen mit aufnimmt, letztlich im Sande verliefen. In jeder Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses stellen dessen Mitglieder immer wieder aufs neue die Frage, welche Konsequenzen aus den Bemerkungen gezogen werden.. Um das Prüfungs- und Beratungswesen jedoch noch effektiver zu machen, halte ich folgende drei Vorschläge für erwägenswert: Erstens. Das Berichtswesen zu den Beanstandungen sollte für die Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuß aktualisiert werden, soweit neue Umstände auftreten. Zweitens. Der Eingang der vom Rechnungsprüfungsausschuß angeforderten Berichte sollte fest terminiert werden, um eine abschließende Sachaufklärung und zeitnahe Schlußfolgerungen zu gewährleisten. Drittens. Die Beratungen des Rechnungsprüfungsausschusses über die Bemerkungen sollten so bald wie möglich nach deren Veröffentlichung aufgenommen werden. Abschließend noch ein Wort zu dem Gesetz über den Bundesrechnungshof. Das Gesetz stammt aus dem Jahre 1950, so daß eine Novellierung auf Grund der zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen schon geboten wäre. Entwürfe dazu liegen auch vor. Das pressiert zwar nicht, sollte aber doch einmal weiterverfolgt werden. Herr Präsident, meine Damen und Herren, insgesamt läßt sich sagen, daß der Bundesrechnungshof als unsere oberste Haushaltskontrollbehörde mit seinem organisatorischen Aufbau, der Unabhängigkeit seiner Mitglieder und seiner Funktionsweise einen Vergleich im internationalen Bereich in keiner Weise zu scheuen braucht. Damit ist gewährleistet, daß Bundestag und Bundesrat in den Entlastungsverfahren und ganz allgemein bei der Finanzkontrolle bestmögliche Entscheidungshilfe erhalten. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor..Ich schließe die Aussprache. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Einzelpläne. Zuerst rufe ich Einzelplan 08 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - auf. Wer dem Einzelplan 08 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 20: Bundesrechnungshof. Wer dem Einzelplan 20 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Einzelplan 32 - Bundesschuld - auf. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und FDP auf Drucksache 8/1454 unter II auf. Die Begründung ist bereits erfolgt; das Wort dazu wird nicht mehr gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag auf Drucksache 8/1454, Punkt II ist mit Mehrheit angenommen. Nunmehr rufe ich den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und FDP auf Drucksache 8/1452 unter V auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich komme zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 32. Wer ihm in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - auf. Hierzu liegen vier Änderungsanträge vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1447 auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1448 auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich komme zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Zu Kap. 60 05 - Leistungen des Bundes für Berlin - liegen Änderungsanträge gleichen Inhalts der Fraktionen der SPD und FDP und der Fraktion der CDU/CSU vor. Ist das Haus damit einverstanden, daß ich beide Änderungsanträge, soweit sie übereinstimmen, zusammenfasse? - Ich höre keine Gegenmeinung. Es ist so beschlossen. Ich rufe Ziffer I des Änderungsantrags der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/1454 und den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1456 auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer Ziffer I des Änderungsantrags der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/1454 und dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1456 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Keine. Damit sind Ziffer I des Änderungsantrags der Fraktionen der SPD und FDP und der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU einstimmig angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 60. Wer dem Einzelplan 60 in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Der Einzelplan 60 ist mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen sodann über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 8/1421 ab. Der Haushaltsausschuß empfiehlt: Der Bundestag wolle beschließen: Der Finanzplan des Bundes 1977 bis 1981 - Drucksachen 8/951, 8/1286 - wird zur Kenntnis genommen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe auf: Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Drucksache 8/1370 Berichterstatter: Abgeordneter Schmitz ({0}) Vizepräsident Stücklen Interfraktionell ist eine Redezeit von einer Stunde vereinbart worden. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Wir kommen zur allgemeinen Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz ({1}).

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja nicht erlaubt, den Präsidenten zu korrigieren; aber ich möchte zum wiederholten Male darauf aufmerksam machen, daß das erste „e" in „Baesweiler" ein Dehnungs-e ist. Es heißt also nicht „Bäsweiler", sondern „Baesweiler".

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, das wird vom Präsidium dankbar zur Kenntnis genommen.

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den wir heute in der zweiten Lesung beraten, weist in diesem Jahr eine Steigerungsrate von 8,4 % aus und bleibt damit - wie schon in den vorhergehenden Jahren - unter der Steigerungsrate des Gesamthaushaltes, die in diesem Jahr etwas über 10 % beträgt. Es ist sicherlich zu begrüßen, daß - wenn wir uns die Struktur des Haushaltes einmal ansehen - den wiederholten Forderungen der CDU/CSU entsprochen worden ist, die Strukturmittel wieder auf den alten Stand zu bringen. Es ist jedoch offen, ob damit die Lücke, die in den letzten Jahren entstanden ist, hierdurch geschlossen werden kann, denn nur eine nachhaltige und kontinuierliche Agrarstrukturförderung kann erfolgreich sein. Wir beraten den Haushalt des Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wenige Wochen vor der Veröffentlichung des Grünen Berichtes 1978. Schon in der Debatte des vergangenen Jahres über den Haushalt 1977 mußte ich feststellen, daß die optimistische Darstellung der Einkommenssituation der Landwirtschaft durch die Bundesregierung und durch Herrn Ertl in diesem Jahr, nämlich 1978, einen erheblichen Dämpfer bekommen werde. Der Einkommensrückgang der deutschen Landwirtschaft wurde damals mit etwa 6 % angegeben. Heute müssen wir feststellen, daß der tatsächliche Einkommensrückgang weitaus höher liegt, ja, man kann sagen, daß das Einkommen innerhalb der Landwirtschaft den stärksten Einbruch seit 1969/70 erfahren hat. Ich möchte behaupten, daß dieser Rückgang bis 1980 angesichts des begrenzten Spielraums in Brüssel und der zu erwartenden Preissteigerungen nicht mehr aufzuholen ist. Der starke Einkommensrückgang innerhalb der Landwirtschaft ist in nahezu allen Betriebsgrößen zu verzeichnen. Hierbei ist festzuhalten, daß das nicht alleine auf die Dürre zurückgeführt werden kann, sondern daß eine ganze Reihe von Maßnahmen die Einkommenssituation der Landwirtschaft nachhaltig ungünstig beeinflußt haben. Es kann z. B. nicht unberücksichtigt bleiben, daß durch diese Bundesregierung im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes der Aufwertungsausgleich abgebaut worden ist. Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Grenzausgleich im Rahmen der Verhandlungen in Brüssel sukzessive abgebaut wird. Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Strukturwandel nahezu zum Erliegen gekommen ist. Das alles schlägt sich auch in dem Agrarbericht nieder. Bei der Einbringung des Agrarberichtes 1977 erklärte der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten jedoch, daß die Landwirtschaft an der Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik voll teilnehme und daß diese Teilnahme gewährleistet sei. Das kann angesichts der neuen Entwicklung wohl kaum jemand behaupten, und wir sind sehr neugierig, wie die Bundesregierung angesichts dieser neuen Entwicklung zu den Vorschlägen der Steuergutachter Stellung nehmen wird. Eine erste Reaktion haben wir ja heute morgen schon von Frau Matthäus-Maier erlebt: Sie will die Bauern offensichtlich zur Kasse bitten. Wir sind sehr gespannt, wie sie das angesichts der Einkommensentwicklung draußen vertreten wird. Man muß auch eines erwähnen - ich halte es durchaus für legitim, das in einer Haushaltsdebatte zu sagen -: In der Bundesrepublik hat die Teuerungsrate im vergangenen Jahr bei den Lebenshaltungskosten erstmalig seit vielen Jahren unter 4 % gelegen. Wir begrüßen das. Wir müssen allerdings für die Landwirtschaft festhalten, daß die wesentliche Ursache dafür bei den Nahrungsmittelpreisen zu suchen ist; denn die Steigerung der Nahrungsmittelpreise betrug insgesamt 1,8 %. Sie hat die Steigerungsrate bei den Konsumgütern wesentlich beeinflußt. Das wird zwar in der amtlichen Statistik immer wieder gesagt, aber in der Öffentlichkeit wenig berücksichtigt. Deshalb wollte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen. Diese Tatsache hat auch einen anderen Aspekt, nämlich den, daß offensichtlich wird, daß die Landwirtschaft ihren Beitrag zur Stabilitätspolitik geleistet hat. ({0}) Aber es kann nicht auf Dauer angehen, daß das einseitig von der Landwirtschaft geleistet wird. Hier müssen alle Bevölkerungsgruppen beteiligt sein. ({1}) Lassen Sie mich einen weiteren Tatbestand nennen, der in zunehmendem Maße die Situation innerhalb der Landwirtschaft belastet. Ich glaube, man kann sagen, daß der Strukturwandel innerhalb der Landwirtschaft nicht mehr stattfindet. ({2}) - Na gut, wenn Sie die Mortalitätsrate als Strukturwandel bezeichnen; aber ansonsten wüßte ich gerne den Gegenbeweis von Ihnen. ({3}) - Herr Immer, ich glaube, wir beide brauchen uns über Agrarpolitik nicht zu unterhalten. Die BeiträSchmitz ({4}) ge, die Sie im Zusammenhang mit der Witwenrente geleistet haben, waren bezeichnend für Sie. -({5}) Hat bisher der organische Strukturwandel mit dazu beigetragen, das Einkommen in der Landwirtschaft zu festigen, so hat sich die negative Wirtschaftsentwicklung, die tiefgreifende Rezession mit 1 Million Dauerarbeitslosen für die Agrarstrukturpolitik als außerordentlich verhängnisvoll erwiesen. ({6}) War der organische Strukturwandel - Herr Löffler, hören Sie einmal zu! - innerhalb der Landwirtschaft bisher ein Teil der Einkommenspolitik, so müssen wir heute feststellen, daß immer weniger Landwirte bereit sind, außerlandwirtschaftliche Alternativen zu suchen, daß immer weniger - vor allen Dingen jüngere - Bauern bereit sind, ihre Betriebe zu verlassen, und zwar deshalb, weil nicht die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, daß sie außerandwirtschaftliche Alternativen wählen können. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition aus SPD und FDP haben durch ihre schlechte Wirtschafts- und Finanzpolitik dafür die alleinige Verantwortung zu tragen. ({7}) Was noch wichtiger ist - das sollten Sie sich merken -: Der psychologische Schaden, der dadurch entstanden ist, ist kaum noch zu reparieren. Für jüngere Landwirte ist es sehr traurig, erkennen zu müssen, daß sie durch die wirtschaftliche Krise in eine Situation hineingeraten sind, durch die ihnen jede außerlandwirtschaftliche Beschäftigung im ländlichen Raume - die Strukturschwäche und die Arbeitslosenzahlen dort beweisen das - genommen ist. Der Strukturwandel wurde durch diese Politik schockartig abgebremst. Man kann diesen Leuten nur verständnisvoll gegenübertreten, wenn sie sagen, daß sie als Alternative nicht das Heer der Arbeitslosen noch vergrößern wollen. Infolgedessen bleiben sie lieber in ihren Betrieben, als in diesen ungünstigen Zeiten einen Berufswechsel vorzunehmen. ({8}) Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung stellt uns in zunehmendem Maße vor immer größere Probleme. Da die äußere Aufstockung um freiwerdende Flächen nicht mehr möglich ist, werden die Betriebsleiter automatisch in eine starke Veredlungsproduktion gedrängt, um das notwendige Familieneinkommen zu verbessern. Auch durch entsprechende Hinweise auf Überschüsse lassen sich diese Leute nicht beeindrucken. Der Druck auf den Markt nimmt zu, und damit wachsen auch die Probleme innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Die Bundesregierung ist gezwungen, auf diese Fragen eine Antwort zu geben. Dies hat sie bis heute nicht getan. „Oder vielleicht doch?", so muß man fragen. Vielleicht ist es die Antwort, die der Parlamentarische Staatssekretär Gallus am 19. Januar bei der DLG- Wintertagung versuchte. als er meinte, daß, was die Einkommenssituation angehe, mehr Bescheidenheit am Platze sei. ({9}) Dies ist offenbar die Devise der Bundesregierung: Bescheidenheit bei anderen und Fröhlichkeit bei sich selber, meine Damen und Herren! ({10}) Die Probleme aber bleiben die gleichen. Für die Betroffenen ist dies nicht nur eine seltsame, sondern auch eine sehr groteske Situation. Die Regierung aus SPD und FDP weicht den Antworten auf die neue Entwicklung aus. Der drückende Schuldenberg und die dadurch steigenden Lasten mache n sie handlungsunfähig. Dies wird deutlich, wenn es darum geht, ganz konkrete Fragen zu beantworten, so z. B. die Frage nach dem vereinfachten Agrarkredit, der das mittlerweile überholte und starre einzelbetriebliche Förderungsprogramm auf lange Sicht ersetzen soll. In der Debatte zum Haushalt des Jahres 1977 erklärte der Kollege Simpfendörfer in seinem Wunschkatalog - ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren -: Die Bundesregierung möge alle Vorschläge zur Schaffung eines Agrarkredits sehr sorgfältig prüfen und die Erfahrungen der Bundesländer mit einbeziehen. Nachdem aber der Bundesernährungsminister dieser Forderung in Zusammenarbeit mit den Ländern nachgekommen war und ein Ergebnis zur Einführung eines Agrarkredits auf der Grundlage des Mehrheitsbeschlusses der Agrarministerkonferenz in Bad Zwischenahn erreicht hatte, lehnte die SPD/ FDP-Koalition im Haushaltsausschuß dieses erreichte Ergebnis ab. Obwohl Josef Ertl erklärte, daß dies auch sein politischer Wille sei, ließen ihn seine Kollegen von der SPD und FDP im Haushaltsausschuß im Regen stehen. Damit war die Gelegenheit vertan, mit 'den Ländern gemeinsam ein dringend erforderliches Agrarkreditprogramm einzuführen. Hier muß man festhalten: Offensichtlich hat Herr Ertl seine eigene Position im Kabinett wieder einmal überschätzt; denn das, was heute auf dem Tisch liegt - oder, besser gesagt: was unter der Hand gehandelt wird -, kann man nicht als einen großen Wurf bezeichnen. Die Einführung eines allgemeinen Agrarkredits über die Kreditanstalt für Wiederaufbau zunächst für drei Jahre, wobei offensichtlich nur das erste Jahr mit einem Kreditrahmen von 400 Millionen DM finanziell abgesichert ist, nach den Kriterien der Mittelstandsförderung - d. h. 6 % Zinsen bei zehnjähriger Laufzeit und zwei tilgungsfreien Jahren - wirft niemanden in der Landwirtschaft um und läßt auch niemanden vor Freude auf den Tisch springen. Jeder weiß, meine Damen und Herren, daß der Kapitalumlauf innerhalb der Landwirtschaft nach anderen Gesichtspunkten erfolgt als. innerhalb der gewerblichen Wirtschaft. Es ist deshalb zu kritisieren, daß die Einführung eines solchen Agrarkredits in dieser Form den strukturellen Gegebenheiten in keiner Weise Rechnung trägt. Es werden keine Un5302 Schmitz ({11}) terschiede gemacht. Benachteiligte Gebiete und nicht benachteiligte Gebiete werden in einen Topf geworfen. Als einzige Sicherung scheint offensichtlich die dingliche Sicherung zu gelten, und dies bei steigendem Pachtanteil innerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe. In Zukunft wird Agrarstrukturförderung - das ist das Wesentliche - nicht mehr einheitlich gefahren. Die Länder oder ein Teil der Länder haben ihre eigenen Programme. Hinzu kommt das einzelbetriebliche Förderungsprogramm, bei dem die Förder- schwelle in diesem Jahr angehoben wurde. Das ist das Interessante daran: die Einkommen sinken, und die Förderschwelle wird angehoben. Unter diesen Bedingungen führt das einzelbetriebliche Förderungsprogramm sich selbst ad absurdum. Immer mehr Bauern erreichen nicht mehr die Förderschwelle. Ich bin der Meinung, auch das Folgende ist ein wesentlicher Gesichtspunkt. Mit der Einführung dieses Programms haben wir nicht mehr eine einheitliche Agrarstrukturförderung. Wir haben demnach Wettbewerbsverzerrungen nicht nur innerhalb der EG zu verkraften, sondern auch mittlerweile innerhalb unseres eigenen Landes. Aber nicht allein diese Tatsache ist bezeichnend für den Stil, der in dieser Regierung herrscht. Es grenzt schon an ein komisches Theater, wenn sich Josef Ertl zunächst mit seinen Ländern einigt, im Haushaltsausschuß wird er dann abgeschmiert, darauf zur Seelenmassage bei Herrn Apel bestellt, und zuletzt darf er sich beim Herrn Bundeskanzler persönlich seinen Trostpreis abholen. ({12}) Diesem Verfahren kann man ja nur mit Ironie begegnen. Das ist ja auch ein Witz. Ich habe das ja gesagt. ({13}) Das, was die Bundesregierung macht, grenzt an Karneval. Das muß man sagen. Da haben Sie völlig recht. Ich kann dem nicht widersprechen. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, die Bezeichnung „Karneval" für politische Entscheidungen ist - ich schließe beide Seiten ein - nicht diesem Hause gemäß. ({0})

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich nehme das zurück. Es war allerdings eine Provokation nicht meinerseits. Die CDU stellt deshalb in der dritten Lesung einen Entschließungsantrag, der der einheitlichen Agrarstrukturförderung Rechnung trägt. Ich habe die Bitte, meinen Damen und Herren, daß Sie ihm zustimmen, wenn Sie derselben Meinung sind. Lassen Sie mich einen zweiten Gesichtspunkt bezüglich dieses Stiles nennen das halte ich für sehr wesentlich -, nämlich den, daß auch in einer wichtigen anderen Frage die Regierung keinerlei Konzeption besitzt. Am 18. März 1977 bei der Einbringungsrede zum Grünen Bericht erklärte der Bundesminister Josef Ertl - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -, daß es in der vor uns liegenden Zeit einmal mehr darum gehe, den sozialen Schutz der landwirtschaftlichen Bevölkerung abzurunden: Hier denke ich insbesondere an die Versorgung der jüngeren Witwen mit waisengeldberechtigten Kindern. So Josef Ertl. Am 21. April 1977 bei der Debatte zum Grünen Bericht erklärte der Abgeordnete Müller ({0}) - darf ich zitieren, Herr Präsident -; es gehe nicht darum, große Hoffnungen zu wecken, sondern es gehe darum, das System abzurunden und zu festigen. Gemeint war das landwirtschaftliche Sozialsystem. Dazu gehöre auch eine bessere Absicherung der jüngeren Witwen. „Für diese Absicherung treten wir alle ein. ({1})" - Ende des Zitats. Am 22. Juni desselben Jahres erklärte der Kollege Simpfendörfer bei der Aufzählung seines Wunschkatalogs, daß die Bundesregierung ihre Vorarbeiten - ich unterstreiche das mal - zur Verbesserung der sozialen Lage der Witwen verstärkt fortsetzen möge. ({2}) - Ja, ja. Allein drei Zitate, vor allen Dingen das letzte, schienen darauf hinzudeuten, daß die Bundesregierung bereits in Aktion sei, in Vorbereitung sei. Als jedoch der Entwurf des Haushalts 1978 eingebracht wurde, mußten wir zu unserem Bedauern wiederum feststellen, daß für die Regelung dieser wichtigen Fragen keine Mittel in den Haushalt eingestellt waren. ({3}) - In der Tat. - Dies war für uns Anlaß genug, die Bundesregierung an ihr Versprechen zu erinnern. Wir mußten jedoch zu unserem Bedauern feststellen, daß die SPD/FDP-Koalition in dieser nach ihren eigenen Aussagen bedeutenden und entscheidenden Frage nichts, aber auch gar nichts unternommen hatte. Alles, was bis heute zu diesem Problem zu hören gewesen ist, waren Wünsche, Anregungen, Aufträge, Aufforderungen. ({4}) Das einzige, wozu sich die Koalition hinreißen ließ, war ein Antrag im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und im Haushaltsausschuß, der Bundesregierung aufzuerlegen, mal wieder zu prüfen. Ich habe den Eindruck, Sie wollen dem TÜV Konkurrenz machen. ({5}) Schmitz ({6}) An dieser Stelle muß man sich wirklich fragen: Wieviel Zeit braucht eigentlich eine Regierung mit einem solchen Apparat zur Prüfung einer solchen Frage? ({7}) - Herr Immer, Sie arbeiten selten! ({8}) Die CDU/CSU-Fraktion hat in dieser Frage gehandelt. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Finanzierung ist gesichert. Sie läßt sich ohne weiteres im Rahmen von Umschichtungen im Einzelplan 10 vollziehen. Wir haben im Haushaltsausschuß Deckungsvorschläge gemacht. Sie wurden von der Koalition abgelehnt. ({9}) - Sie wollten ja gar nichts machen. Wir haben zumindest in diese Richtung gewirkt. Wenn man Sie nicht zur Sache zwingt, dann tun Sie überhaupt nichts. ({10}) Wir legen auch mit diesem Antrag eine Finanzierung vor, die es Ihnen ermöglicht, ohne weiteres diesem Antrag zuzustimmen. Aber die Debatte bei der Einbringung dieser unserer Gesetzesinitiative läßt wenig Hoffnung übrig. Die Bundesregierung bietet den Betroffenen ein Bild der Zerstrittenheit. Die FDP erklärt: Diese Legislaturperiode - dann wird die Geschichte laufen., Herr Ehrenberg - selbst Herr Wehner sprach in diese Richtung - fühlte sich bemüßigt, hier heraufzukommen und zu erklären, das könne man ja gar nicht regeln, das sei viel zu kompliziert. Das sind die neuen Ausreden. Nach den Erfahrungen in diesem Bereich können Sie wetten, wer sich bei diesem Problem durchsetzen wird. Josef Ertl wird es bestimmt nicht sein. ({11}) Wir haben auch in der Frage der Naturparke unseren Antrag eingebracht. Der wurde wiederum mit irgendwelchen Argumenten, die rein formal waren, abgelehnt. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Darf ich bitten, die Zwischenrufe so zu dosieren, daß sie a) aufgenommen werden können, b) auch vom Redner verstanden werden und c), wenn es notwendig ist, vom Präsidenten bewertet werden können. ({0})

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen machen, von denen ich glaube, daß sie für eine zukünfte Politik wichtig sind. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie auf Grund der neuen Erkenntnisse im agrarpolitischen Bereich entsprechende Konsequenzen zieht. Wir erwarten zweitens in einer sehr wichtigen Frage, nämlich bei den Problemen unserer Fischerei, daß die Bundesregierung eine rasche, unkomplizierte Lösung unter Wahrung der deutschen Interessen und zum Wohl der Betroffenen und der Verbraucher anstrebt. Abschließend: Angesichts des geschilderten Sachverhalts scheint es uns unmöglich, diesem Etat unsere Zustimmung zu geben. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gemäß der Absprache im Ältestenrat treten wir in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird unterbrochen und um 14.00 Uhr fortgesetzt. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Beratung des Einzelplanes 10 fort. Ich bitte um Verständnis dafür, daß wir unter allen Umständen bei den Zeiteinteilungen, wie wir sie im Ältestenrat festgelegt haben und wie wir sie bei Beginn eines jeden Einzelplanes noch einmal ausdrücklich bestätigen, bleiben, da wir sonst zeitlich zu sehr in Rückstand kommen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Simpfendörfer.

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der diesjährige Agraretat ist ein dickes Plus für Erzeuger und Verbraucher und für den ländlichen Raum und seine Bewohner. Wir alle und auch die Opposition können damit zufrieden sein. Allerdings messen wir den Agraretat nicht an Prozentsätzen, sondern am Grad der Aufgabenerfüllung. Nun möchte ich einige der positiven Punkte hervorheben, die in diesem Agraretat hervorzuheben sind. Die Investitionen im ländlichen Raum werden überdurchschnittlich verstärkt. ({0}) Dadurch werden Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen. Die Aufwendungen für die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur belaufen sich auf 1,31 Milliarden DM. Eine Erhöhung von 93 Millionen DM ist darin enthalten. Wir begrüßen es, daß Bundesminister Ertl es im Planungsausschuß von Bund und Ländern durchsetzen konnte, daß die süddeutschen Strukturprobleme durch höhere Zuteilungen stärker als in der Vergangenheit berücksichtigt wurden. Wir begrüßen es ebenfalls, daß im Planungsausschuß durch eine schärfere Fassung der Prosperitätsklausel eine verstärkte Förderung der tatsächlich entwicklungsbedürftigen Betriebe möglich sein wird. Um diesen Bemühungen weiterhin verstärkt zu hel5304 fen, beantragt die Koalition, 20 Millionen DM zugunsten der Verbesserung der Agrarstruktur dem Ansatz hinzuzufügen. Wir bedauern es, daß die Opposition diesen unseren Antrag im Haushaltsausschuß abgelehnt hat ({1}) und voraussichtlich auch hier wiederum ablehnen wird, und zwar in Verfolgung einer unrealistischen Zielsetzung, ({2}) die in diesem Jahr ohnehin nicht realisierbar sein wird.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Simpfendörfer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmitz ({0}) zu?

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Simpfendörfer, ist es nicht vielmehr so gewesen, daß die Koalition, d. h. die SPD und die FDP, in der Hitze des Gefechts vergessen hat, den Antrag in der Sitzung des Haushaltsausschusses bei der Beratung des Einzelplans 10 - die Sätze sind alle mit „und" verbunden, Herr Präsident - zu stellen, die gestrichenen Mittel wieder zuzufügen, und daß das lediglich bei der Bereinigungssitzung hinsichtlich dieser Frage nicht erfolgt ist?

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, die Frage war sicher zu umfangreich und zu lang.

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, von der Hitze des Gefechtes konnte überhaupt nicht die Rede sein, ({0}) sondern es ging in diesem Zusammenhang darum, überhaupt erst einmal abzuwarten, wie die noch nicht entschiedenen Beratungen über die Ausgestaltung eines Agrarkredits im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ausgehen würden. Da wir in der Bereinigungssitzung besser darüber informiert waren, wollten wir den Antrag bei dieser Gelegenheit stellen. Sie haben diesen Antrag abgelehnt. Wir müssen ihn deswegen hier in zweiter Lesung erneut stellen. Sie können jetzt zustimmen, wenn Sie in der Sache dafür sind. ({1}) Wir stellen weiterhin fest, daß im Programm „Zukunftsinvestitionen" in diesem Jahr 280 Millionen DM bereitgesetellt werden; das ist eine Erhöhung um 110 Millionen DM. Wir sind außerordentlich erfreut darüber, daß das Programm zur Dorferneuerung in diesem Zusammenhang ein außerordentlicher Renner geworden ist. ({2}) Dieses Programm ist weit überzeichnet, und Bund und Länder sind aufgefordert, darüber nachzudenken, wie es weiterentwickelt und finanziell abgesichert werden kann. Es ist zweifellos ein großer Bedarf dafür vorhanden. Der zweite Schwerpunkt. Der Agraretat ist zu mehr als der Hälfte ein Sozialhaushalt mit einer Größenordnung von 3,161 Milliarden DM. Er ist zweifellos als Erfolgsschwerpunkt der Politik der sozialliberalen Koalition zu betrachten. In diesem Zusammenhang können wir vermelden, daß es gelungen ist, die freiwilligen Bundeszuschüsse an die Berufsgenossenschaften dauerhaft auf 400 Millionen DM pro Jahr im Rahmen des Finanzplanungszeitraumes festzusetzen, und daß diese dauerhafte Heraufsetzung angesichts der negativen Einkommensentwicklung vieler Betriebe in der Landwirtschaft auch durchaus politisch gerechtfertigt ist. Der dritte Punkt. Die Marktordnungsausgaben, die zwar nur in einer Anlage zum Einzelplan aufgeführt sind, die insofern auch nicht unmittelbar unserer politischen Beeinflussung unterliegen, sind fast voll einkommenswirksam und deshalb von erheblichem Interesse für unsere Landwirtschaft. Sie sind mit fast einer Milliarde DM höher veranschlagt als im Vorjahr. Dadurch wird das Einkommen in der Landwirtschaft gestützt werden. ({3}) In diesem Zusammenhang muß ich darauf hinweisen, daß die Forderung nach einem Inflationsausgleich in der Agrarpreisrunde in Brüssel, wie sie vom Deutschen Bauernverband erhoben wird, eine völlig verständliche Forderung ist, daß sie aber eine sehr schwer zu verwirklichende Forderung ist. Man sollte die Erwartungen, die in diesem Zusammenhang an Bundesminister Ertl und seine Möglichkeiten in Brüssel gehegt werden, nicht allzu hoch schrauben, um nicht nachher Enttäuschungen feststellen zu müssen. ({4}) Denn Selbstversorgungsgrade einerseits, die Möglichkeit, am Markt bestimmte Preise zu erzielen, andererseits, und die jedermann bekannten Währungsprobleme als Dritte machen deutlich, daß die Möglichkeiten, die Agrarpreise wunschgemäß heraufzusetzen, außerordentlich begrenzt sind. Nun zu einigen Problemen, die uns weiterhin beschäftigen werden. Herr Kollege Schmitz, Sie haben einige von diesen Problemen ja auch schon genannt. Zunächst geht es um das Thema Agrarkredit. Der Beschluß der Bundesregierung, einen Agrarkredit als Bundesprogramm zu schaffen, ist unserer Auffassung nach gut und richtig. ({5}) Über die Ausgestaltung dieses Agrarkredits möchte die SPD-Fraktion mit der Bundesregierung noch sprechen. ({6}) - Wir wollen nicht prüfen, wir wollen sprechen und bestimmte Vorstellungen, die wir in diesem Zusammenhang haben, mit der Bundesregierung besprechen. ({7}) Denn es ist so üblich, daß ein Kommunikationsprozeß zwischen Koalitionsfraktionen und Bundesregierung stattfindet. Dieser Kommunikationsprozeß führt meistens zu den besten Ergebnissen, nämlich zu einer guten Politik. ({8}) Wichtig ist für uns in diesem Zusammenhang - da spreche ich den Kollegen Kiechle und seine Pressemitteilung von vorgestern an -, daß bei diesem Bundesagrarkreditprogramm ein gleicher Zugang für alle Betriebe, auch für die mittleren und die kleineren, gewährleistet sein muß, damit nicht eintritt, was Sie befürchten, daß etwa die kleineren Betriebe wieder einmal die Gelackmeierten seien. ({9}) Dies wollen wir nicht. Deswegen fanden wir es auch gut, zu hören, daß auf Antrag von Bundesminister Ertl im Planungsausschuß die Förderungsbedingun- gen für die Nebenerwerbsbetriebe erheblich verbessert wurden. Dies entspricht Vorstellungen, wie wir sie schon seit Jahren verfolgt haben. ({10}) - Ich rede jetzt von den Nebenerwerbsbetrieben. Für die hat die Förderschwelle sowieso eine völlig untergeordnete, im Grunde gar keine Bedeutung. ({11}) In diesem Zusammenhang sind die Förderungsbedingungen für diese Betriebe erheblich verbessert worden, was die Zahl der Großvieheinheiten angeht, und so fort. Dies halten wir für richtig. ({12}) - Aber wieso dünn? Dies ist ein tragfähiges Eis. ({13}) Unser Einzelbetriebliches Förderungsprogramm halten wir für ein ganz tragfähiges Eis, für einen Boden, auf dem man gut stehen kann. ({14}) Wir sind deswegen nicht Ihrer Auffassung, daß Agrarkreditprogramme, egal ob sie Bund oder Länder durchführen, eine Alternative zum Einzelbetrieblichen Förderungsprogramm sein oder werden könnten, sondern wir sind der Auffassung, daß sie immer nur eine ergänzende Funktion haben können. Insofern unterscheiden wir uns in dieser Frage ganz offenkundig. ({15}) Nun noch ein Wort zur Ablehnung im Haushaltsausschuß. Ich gebe zu, Herr Kollege Schmitz, Sie haben die Koalition in dieser Frage in eine taktisch ungeschickte Position bringen können. Andererseits ist aber auch klar, daß es im Haushaltsausschuß, der ja eine Gesamtverantwortung für alle Ausgaben aller Einzelpläne hat, nicht gut möglich ist, mit einem Programm, das von der Opposition vorgetragen und vom entsprechenden Bundesminister gewünscht ist, durchzukommen, wenn die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung noch nicht zu einem guten Ende gefunden hat; ({16}) dies kann man im Haushaltsausschuß nicht erwarten. Insofern bringen wir dem Finanzminister und dem Landwirtschaftsminister dieselbe Loyalität entgegen; entsprechend haben wir auch gehandelt. ({17}) - Höchstens in Ihren Augen; in unseren keineswegs. Der zweite Punkt - ein offenes Problem - betrifft die Frage, in welchem Maße es möglich ist, jüngere Witwen in die Altershilfe für Landwirte entsprechend dem vorliegenden Gesetzentwurf der Opposition einzubeziehen. Wir sind der Auffassung, dieser Gesetzentwurf sei voreilig eingebracht und keineswegs entscheidungsreif. ({18}) Ich sage, er sei voreilig eingebracht und keineswegs entscheidungsreif. ({19}) Die Bundesregierung prüft alle Lösungsvorschläge. ({20}) Sie muß prüfen, und sie prüft völlig zu Recht; denn es gibt zumindest zwei, wahrscheinlich noch mehr, schwierige Punkte; mindestens aber zwei, Herr Kol5306 lege Glos. Erstens: Wenn es so macht, wie Sie wollen, daß jüngere Witwen eine Versorgung bekommen ohne die Voraussetzung der Hofabgabe, ist dies natürlich ein Systembruch, der gründlich überdacht werden muß. Zweitens: Nachdem uns das Bundesverfassungsgericht zur Auflage gemacht hat, bis 1984 eine Reform der Hinterbliebenenversorgung zur Gleichstellung von Mann und Frau generell vorzunehmen, darf die Lösung des Teilproblems der jüngeren Witwen in der Landwirtschaft nicht in präjudizierender Weise in die falsche Richtung führen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, da kommt eine Zwischenfrage. Die Redezeit hatte ich im Hinblick auf Zwischenfragen leider nicht verlängert. Bitte beachten Sie dies, wenn Sie sie zulassen' wollen.

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will den Satz noch zu Ende bringen. - Wir meinen deswegen in der Tat, daß eine sorgfältige Prüfung, Abstimmung und Einpassung in unser gesamtes soziales Sicherungssystem notwendig ist und demgegenüber momentane Interessentenpositionen, die die Union legitimerweise vertritt, zunächst einmal zurückzustellen sind.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, Sie lassen die Zwischenfrage zu? - Bitte.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Simpfendörfer, verzeihen Sie einem Landwirtschaftsfremden diese Frage: Wäre es nicht sinnvoller, statt junge Witwen aus landwirtschaftlichen Gebieten in die Altersversorgung der Landwirte einzubeziehen, Eheanbahnungsinstitute in diesen ländlichen Räumen aus staatlichen Mitteln zu fördern? ({0}) Simpfendörfer ({1}) : Lieber Herr Kollege Reuschenbach, diese Frage könnten Sie höchstens im Interesse junger, hübscher, kinderloser Witwen gestellt haben. Aber für andere, für die wirklich Probleme existieren, wäre das keine hilfreiche Lösung.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, würden Sie noch eine weitere Zusatzfrage zulassen?

Hansmartin Simpfendörfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Entschuldigung, ich habe nur noch zwei Minuten Zeit, und in diesen zwei Minuten muß ich noch einige Punkte ansprechen; ich bitte dies zu verstehen. Ich wollte noch auf den dritten Punkt zu sprechen kommen, nämlich auf die Frage der Überprüfung der Gerechtigkeit der Besteuerung in der Landwirtschaft. Dies hat mit dem Haushalt zwar unmittelbar nichts zu tun. Aber es ist eine Frage der Einnahmenseite, und deswegen muß es angesprochen werden. Der Bericht der Sachverständigenkommission wird übrigens am 15. Februar der Bundesregierung übergeben werden; wir werden dann gründlich prüfen. Eins will ich aber jetzt schon klarstellen, damit nicht - von welcher Seite auch immer geschürt - die Furcht im Land umgeht, es gehe darum, daß man die kleinen landwirtschaftlichen Einkommen stärker zur Kasse bitten wolle. Dies kann nicht die Absicht sein und ist nicht die Absicht. Ich bitte alle, keine falschen Befürchtun- gen in dieser Richtung zu verbreiten. Ich will sagen, was meiner Auffassung nach die Zielgruppen sind. Zielgruppe 1 sind die Schätzlandwirte. Zielgruppe 2 sind die daneben liegenden Haupterwerbslandwirte mit erheblichen Einkommen, die nach Durchschnittssätzen besteuert werden. Dies sind meiner Meinung nach die Zielgruppen, und innerhalb jeder Zielgruppe muß die Frage der Gerechtigkeit der Besteuerung insbesondere überprüft werden, ({0}) zweitens die Frage, ob die Besteuerung insgesamt im Vergleich zu außerlandwirtschaftlichen Gruppen auch angemessen hoch ist. Der vierte Punkt, den ich ansprechen wollte: Wir bedauern, daß wir heute nicht in der Lage sind, zusätzliche Hilfsmaßnahmen zugunsten der Fischer und der Fischwirtschaft zu beschließen. Dies hängt daran, daß der Ministerrat offenbar in dieser Frage nicht zu Potte kommt, und wir bedauern, daß in diesem Zusammenhang die Briten etwas zu sehr ihre nationalen Interessen in den Vordergrund stellen. Zum Schluß: Ich bedanke mich bei allen, die an der Aufstellung. des Agraretats mitgewirkt haben, sowohl in der Bundesregierung, wie in diesem Hause, und wünsche, daß wir auch in der Zukunft weiterhin gut zusammenarbeiten. ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte hat wieder einmal gezeigt, daß die Opposition auch zum Haushalt der Agrarpolitik keine Alternative hat. ({0}) Natürlich wird pflichtgemäß die Höhe des Agraretats als zu niedrig gewertet und darauf hingewiesen, daß die Mittel für die Agrarpolitik lediglich 3,3 % des Bundeshaushalts ausmachen bei einer Steigerung von 8 % des Agrarhaushaltes. ({1}) Sicher ist es Ihr gutes Recht, dies hier anzusprechen. Aber dem ist einiges entgegenzuhalten. Außerdem wurde auch der Stil angesprochen, und zum Stil möchte ich einiges sagen. Ich glaube, es wäre bestimmt ein guter Stil, wenn alle in diePaintner sem Haus vertretenen Parteien um eine gute Agrarpolitik bemüht wären, die es in erster Linie ermöglicht, daß unsere Landwirte draußen im Lande, die schwer arbeiten und die immer wieder beweisen, daß sie einen ganz entscheidenden Beitrag zur Er- nährungssicherung, zur Erhaltung der Kulturlandschaft leisten, dementsprechend berücksichtigt werden. Wir müssen alle miteinander das berechtigte Anliegen haben, daß wir eine gesunde Landwirtschaft haben. ({2}) Allen, die meinen, daß sie vielleicht mit der Steuer an der Einkommenssituation etwas abzwicken können, halte ich entgegen, daß wir alle zusammen helfen müssen, damit das nicht passiert. ({3}) Denn letzten Endes ist es doch so: wenn wir in diesem Lande nicht eine intakte Landwirtschaft haben, dann gereicht das neben unseren Landwirten in erster Linie und den Verbrauchern im besonderen zum Nachteil. Ich habe Ihnen angedeutet, daß 3,3 % Anteil des Agrarhaushalts am Gesamthaushalt bei einer Steigerung von 8 % eben kein Nachteil ist. Eine derartige Betrachtungsweise ginge an den Tatsachen vorbei. Zunächst einmal werden seit 1972 die EG-Marktordnungsausgaben gesondert ausgewiesen. Sie finden keinen Niederschlag im Agrarhaushalt. Wenn man diese Mittel mit einrechnet, die der deutschen Landwirtschaft ja auch in irgendeiner Form zugute kommen, dann ist der Anteil des Agrarhaushalts am Gesamthaushalt von 1975 bis 1978 sogar wieder von 4,8 auf 5,4 °/o gestiegen. Somit ist auch die prozentuale Steigerung höher als 8 %. Bei dieser Berechnung gehe ich von den Soll-Zahlen des Haushalts aus. Es muß aber einmal darauf aufmerksam gemacht werden, daß die tatsächlichen Ausgaben für die Agrarpolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren die Soll-Ansätze erheblich überschritten haben. Sie lagen nämlich. 1976 um 395 Millionen DM und 1977 sogar um 1 705 Millionen DM über den im Haushalt ausgewiesenen Ansätzen. In unserem Land sind zur Marktstützung rund 4 731 Millionen DM ausgegeben worden. Dieser Betrag liegt wenig unter demjenigen, den der gesamte Einzelplan 10 im gleichen Jahr ausmacht. Eine rein zahlenmäßige Betrachtungsweise der Haushaltsansätze kann außerdem für die wirtschaftliche Situation der deutschen Landwirtschaft nicht der alleinige Maßstab sein. ({4}) Entscheidend für die Beurteilung eines Wirtschaftssektors ist doch in erster Linie die Einkommenssituation. Diese, meine Damen und Herren - auch von der Opposition -, ist doch in der Landwirtschaft noch nie so gut gewesen wie zur Zeit der sozialliberalen Koalition. ({5}) Seit 1969 betrug der Anteil des Agraretats am Gesamthaushalt unter Hinzurechnung der erwähnten EG-Ausgaben immer zwischen 5,0 und 8,5 %. Allein aus diesen Zahlen mögen Sie den Stellenwert ablesen, den die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien der Agrarpolitik beimessen. ({6}) Noch deutlicher wird diese positive Haltung der sozialliberalen Koalition zur Landwirtschaft, wenn Sie die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft in Relation zu dem Anteil des Agraretats am Gesamthaushalt stellen. Eine gründliche Betrachtung des Agrarhaushalts soll auch den Strukturwandel einschließen. Von einer Vernachlässigung der Landwirtschaft kann also nicht die Rede sein. Im Gegenteil, ein wesentlicher Teil der staatlichen Aufwendungen, die Sozialleistungen des Staates, kommt den Betrieben faktisch direkt zugute. Dieser Teil der staatlichen Aufwendungen macht allein inzwischen etwa 4 000 ,DM je Betrieb jährlich aus. Ich könnte diese Betrachtungen noch beliebig fortsetzen, etwa durch die Umrechnung der staatlichen Aufwendungen je Arbeitskraft in der Landwirtschaft. Aber wie auch immer gerechnet wird, die staatlichen Aufwendungen für den einzelnen Landwirt haben kontinuierlich zugenommen, und dies bei gleichzeitig kräftig gestiegenen Einkommen in der Landwirtschaft.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Bei der kurzen Redezeit haben Sie bitte Verständnis dafür. Diesen Tatbestand wird auch die Opposition mit noch so großen Rechenkunststücken nicht aus der Welt schaffen können. Nun wird auch von der Opposition nicht bestritten, daß die deutsche Landwirtschaft eine nachhaltige Einkommensverbesserung erzielen konnte. Gleichzeitig wird jedoch immer wieder darauf hingewiesen - das hat auch mein Vorredner getan -, daß die Verschuldung in der Landwirtschaft laufend zunimmt. ({0}) Daran ist jedoch nur soviel richtig: Das Fremdkapital in der Landwirtschaft ist seit 1970 von 26 auf 31,3 Milliarden DM angestiegen. Gleichzeitig hat sich jedoch das Vermögen in der Landwirtschaft erhöht, so daß das Fremdkapital prozentual nur unwesentlich höher liegt als 1970, nämlich bei rund 25 %. Es ist jedoch absolut falsch, daraus abzuleiten, daß dadurch Rentabilitätsverschlechterungen oder gar Liquiditätsengpässe vermehrt entstanden sind. ({1}) Bei dieser Berechnung, die von einem Vermögen der landwirtschaftlichen Betriebe von 124,4 Milliarden DM ausgeht, ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß in dieser Berechnung der Boden lediglich mit einer kapitalisierten Nettopacht und nicht mit sei5308 nem Verkehrswert berücksichtigt wird. Auch der Wert der Wohngebäude ist im Vermögenswert der landwirtschaftlichen Betriebe nicht enthalten, während das Fremdkapital möglicherweise teilweise auch Verbindlichkeiten für Wohngebäude umfaßt. Deshalb ist der Eigenkapitalanteil im Durchschnitt der deutschen Landwirtschaft eher höher als 75 % anzusetzen. Aus diesen Angaben läßt sich eine unverhältnismäßige Verschuldung oder gar Existenzgefährdung der landwirtschaftlichen Betriebe auf keinen Fall ableiten. Im Gegenteil, der hohe Eigenkapitalanteil gibt den Inhaberfamilien eine im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen hohe wirtschaftliche Sicherheit. Der langsame Kapitalumschlag ist jedoch in der Landwirtschaft unverkennbar. Deshalb sind nach unserer Auffassung auch weiterhin staatliche Hilfen zur Finanzierung des wirtschaftlichen Wachstums in der Landwirtschaft notwendig, und zwar sowohl durch langfristige Darlehen als auch durch eine Verbilligung der Kredite. Bundesminister Ertl hat hier mit dein einzelbetrieblichen Förderungsprogramm einschneidende Akzente gesetzt. ({2}) Die Bereitstellung staatlicher Hilfen, geknüpft an einkommensorientierte Kriterien, hat sich insgesamt voll bewährt. Der letzte Beweis hierfür ist der zur Zeit bestehende Antragsüberhang, der zeigt, daß die Landwirtschaft bereit ist, zu investieren. ({3}) . Sie beweist damit Vertrauen in ihre Zukunft. Deswegen begrüßen wir es ausdrücklich, daß die Bundesregierung diesem zusätzlichen Bedarf durch eine Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe um rund 100 Millionen DM Rechnung getragen hat ({4}) und daß der erhöhte Ansatz auch für die Zukunft in der Finanzplanung abgesichert wurde. Diese Feststellung enthebt uns natürlich nicht der Aufgabe, die einzelbetriebliche Förderung geänderten gesamtwirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Wir wissen heute, daß sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft verlangsamt hat, zumal außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze nicht im bisherigen Umfang zur Verfügung stehen und weil sich auch im nichtlandwirtschaftlichen Bereich Einkommenssteigerungen in engen Grenzen halten. Dies bringt uns Freie Demokraten zu der Überlegung, die einzelbetriebliche Förderung im mittleren Einkommensbereich zu verstärken, damit diese Betriebe den Anschluß an die allgemeine Einkommensentwicklung nicht verlieren. Dabei lassen wir uns von der Überlegung leiten, daß Betriebe, die über ein bestimmtes Einkommen verfügen, ihre betriebliche Weiterentwicklung aus eigener Kraft finanzieren können. Wir denken dabei an eine Einkommensobergrenze von 50 000 bis 60 000 DM je Betrieb. Nun ist es gerade die Opposition gewesen, die in der Vergangenheit über eine mangelnde finanzielle Ausstattung der einzelbetrieblichen Förderung Klage geführt hat. Darüber hinaus ist Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, wohl auch weiterhin die Bindung der einzelbetrieblichen Förderung an ein zu erzielendes Mindesteinkommen immer ein Dorn im Auge. ({5}) Sie würden lieber heute als morgen zu einer undifferenzierten Strukturförderung zurückkehren. ({6}) Wir sind dagegen der festen Überzeugung, daß sich die Agrarstrukturförderung in ihrer jetzigen Form grundsätzlich bewährt hat. ({7}) Wir wollen jedoch die Aufstiegshilfe und die Überbrückungshilfe, die auf Grund Brüsseler Richtlinien auslaufen sollten, fortführen Zusätzlich sollten der Landwirtschaft im Sinne einer unbürokratischen und allen zugänglichen Grundförderung die gleichen Kreditmöglichkeiten eröffnet werden, wie sie auch anderen Bereichen des gewerblichen Mittelstandes zur Verfügung stehen. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Der Agrarhaushalt entspricht den agrarpolitischen Erfordernissen. Mit dem geplanten Ausgabenvolumen wird unser Ziel, die Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung zu gewährleisten, erreicht. Die für Zukunftsinvestitionen bereitgestellten Mittel werden beträchtliche wirtschaftliche Impulse im ländlichen Raum auslösen, denn wir können bereits heute feststellen, daß die Landwirtschaft und die Wirtschaft im ländlichen Raum - im Gegensatz zu manchen anderen Wirtschaftsbereiclien - die gebotenen staatlichen Hilfen nutzen und damit ihren Teil zur wirtschaftlichen Gesundung unserer Volkswirtschaft beitragen. Ganz besonders gilt dies für den Programmteil „Dorferneuerung". Diese auf Grund einer Initiative von Bundesminister Ertl eingeführte Maßnahme erweist sich in zunehmendem Maße als ein hervorragender Beitrag zu einer ausgewogenen Regional-und Strukturpolitik. Wir werden in diesem Hause zu gegebener Zeit über die Ergebnisse dieses Programms und über seine eventuelle Fortführung zu sprechen haben. Mit diesem Etat wird die Zukunft der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes gesichert. - Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in der gebotenen Kürze nur einigen Punkten zuwenden und mich zunächst bei allen bisherigen Sprechern bedanken. Die Sehnsucht nach Fröhlichkeit bewegt ja diese Debatte; offensichtlich ist sie nur unter der Farbe „grün" möglich. Landwirte können eben noch fröhlich sein. Dies hat die Debatte bisher bewiesen, und dafür bedanke ich mich bei allen! ({0}) Es liegt vielleicht wirklich an der Farbe. Meine Damen und Herren, verschiedene Vorredner sind auf das Volumen des Haushalts, auf seinen prozentualen Anteil am Gesamthaushalt, eingegangen. Ich will dazu einige Bemerkungen machen. Der prozentuale Anteil ist sicherlich ein Maßstab, aber nicht der letzte Maßstab. Entscheidend ist, was damit gemacht wird, und selbstverständlich muß man dabei auch das Leitmotiv sehen. Das Leitmotiv für diesen Haushalt lautet, neben der Sicherung der sozialen Ausgaben für die Landwirtschaft den Ausbau des investiven Anteils sicherstellen, und dies ist in einer beachtlichen Form geschehen. ({1}) Das ist das Leitmotiv, und das ist durch diesen Haushalt abgedeckt. Man kann natürlich darüber streiten, inwieweit EG-Agrarmarktausgaben allein auf die deutsche Landwirtschaft und die deutschen Verbraucher oder auch auf die EG zu beziehen sind; sicherlich sind sie es auch in einem gewissen Anteil auf die EG. Eines ist aber sicherlich unbestritten: Nationale Agrarmarktpolitik in früherer Form gibt es nicht mehr; es gibt nur noch eine EG-Agrarmarktpolitik, und deren Kosten sind für das Erzeugereinkommen wesentlich. Das ist entscheidend. Dazu trägt der deutsche Steuerzahler einen wesentlichen Anteil mit bei. Das schlägt sich dann auch in diesem Haushalt nieder, und insoweit kann niemand sagen, das sei die EG und intressiere uns nicht. Vor allem darf man die hohen Ausgaben für die EG nicht dauernd kritisieren; das ist dann nicht ganz fair. Ich will hinzufügen, daß die Ausgaben für die EG gemäß unserem Marktanteil bei etwas mehr als 3,9 Milliarden liegen. Dies ist zu addieren zum Volumen meines Einzelplans mit 6158,9 Millionen DM, so daß sich 10,1 Milliarden DM ergeben. Zum Punkt „soziale Sicherheit" darf ich betonen: In der mittelfristigen Finanzplanung sind die 400 Millionen Zuschuß für die Berufsgenossenschaft fortgeschrieben - auch eine Leistung dieser Regierung! ({2}) Um den Rahmen in der gebotenen Kürze abzustecken, darf ich hinzufügen, daß im Jahre 1977/78 und natürlich auch in der Fortschreibung 1979/80 in Form des Sonderrahmenplans insgesamt 940 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Der Länderanteil von 40 % beträgt 584 Millionen; das ergibt insgesamt eine Summe von 1 524 Millionen. Diese teilt sich wiederum wie folgt auf: für Küstenschutz 254 Millionen DM, für Trinkwasserversorgung 771 Millionen DM, für die Abwehr von Erosion und Überschwemmung 231 Millionen DM und für Dorferneuerung 268 Millionen DM. Mit gutem Grund und ohne zu übertreiben kann ich sagen: Allein aus nationalen Mitteln ist für die Verbesserung des ländlichen Raums noch nie so viel geschehen wie in den letzten drei Jahren. ({3}) Dies liegt im Sinne einer dynamischen Konjunkturpolitik. Es sind nämlich alles Investitionen. So wird auch die Kaufkraft im ländlichen Raum gestärkt. Dies ist das erklärte Ziel der Agrarpolitik, die ich im Rahmen dieser Bundesregierung vertrete. ({4}) - Sie haben aber bestritten, daß Geld da sei. Ich muß Ihnen sagen, daß Sie sich offensichtlich in den Zahlen geirrt haben. Wenn man kritisiert, muß man sich zuerst sachkundig machen; sonst läuft man auf. Ich will Ihnen noch eine weitere Zahl nennen. Dieses ganze Volumen, das ich eben genannt habe, wird durch die Rückflüsse aus dem EAGfL, also durch Mittel, die aus Brüssel kommen, und zwar aus dem Topf „Ausrichtung", ergänzt. In den Jahren 1970 bis 1977 wurde auf diese Weise eine Summe von immerhin 1 361,4 Millionen DM für zusätzliche Maßnahmen zur Verfügung gestellt, um im ländlichen Raum Investitionen zu finanzieren, sei es im Bereich des Wegebaus, der Wasserversorgung, der Flurbereinigung oder auch - diesen Bereich nenne ich hier, weil ich Freunde aus Baden-Württemberg sehe - der Weinbergflurbereinigung. Dies beweist, wie ich glaube, daß es diese Bundesregierung mit ihrem Ziel ernst nimmt, den ländlichen Raum gegenüber den städtischen Ballungszentren gleichwertig zu behandeln. Das ist nicht nur für die Menschen, die dort wohnen, wesentlich; noch wesentlicher ist es für die Menschen, die diesen Raum brauchen, um dort in Form von Freizeit und Erholung Kraft zu schöpfen. ({5}) Gestatten Sie mir nun eine Bemerkung zur Lage der Landwirtschaft. Das Hauptkapitel will ich jetzt allerdings aussparen, da wir in Kürze die sogenannte „grüne Debatte" über den Agrarbericht zu führen haben werden. Natürlich verhehle ich gar nicht, daß sich unsere Voraussagen als zu optimistisch erwiesen haben. Ich will es besser umgekehrt formulieren: Die Lage der Landwirtschaft hat sich im abgelaufenen Wirtschaftsjahr mehr verschlechtert, als wir es vorausberechnet haben. Dies bekenne ich freimütig gegenüber jedermann. Wir werden darüber an Hand der Zahlen zu diskutieren haben. Es wird auch nicht sehr einfach sein, beispielsweise die Auswirkungen der Dürre total zu quantifizieren. Ich sage das nicht zur Entschuldigung, schließlich weiß jedermann, daß ein beachtlicher Teil der Verschlechterung auch auf die Dürre, also nicht unbedingt nur auf die veränderten Rahmenbedingungen zurückzuführen ist. Daß sich allerdings die konjunkturellen Rahmenbedingungen auch auf die Landwirtschaft auswirken, ist selbstverständlich. Wenn mein Kollege Gallus, der für mich jetzt im Kabinett sitzt - deshalb ist er nicht hier -, mit dem Wort „Bescheidenheit" operiert, so unterstütze ich ihn voll. Bescheidenheit - das gilt dann, wie ich meine, allerdings für alle in diesem Staat. Dann werden wir die Stabilität erhalten und das Wachstum von morgen garantieren. ({6}) Lassen Sie mich hier einen Vergleich bringen. Der Preisindex für Industrieerzeugnisse wies im Jahresdurchschnitt 1976/77 den Wert 140,8 und z. B. für den Monat November 1977 den Wert 144,5 aus. Die entsprechenden Werte des Erzeugerpreisindexes für landwirtschaftliche Produkte waren: Jahresdurchschnitt 1976/77: 148,6, Oktober 1977: 142,5. Dies sind die reinen Indexzahlen. Natürlich muß es - gerade im Interesse der Landwirtschaft unser Ziel sein, die erreichte Stabilität zu stärken und zu verbessern. Wenn wir unsere Position - auch unsere Wettbewerbsposition - innerhalb der EWG erheblich verbessern konnten, so deshalb, weil wir mit der Inflation durch diese Bundesregierung besser fertig geworden sind als all unsere Partnerstaaten. ({7}) Auf einige Probleme werde ich, wie gesagt, im Rahmen der Aussprache über den Agrarbericht noch eingehen. Verehrter Herr Kollege Schmitz ({8}), Sie haben gesagt, wir bevorzugten die Großbetriebe. Diese Regierung hat die steuerliche Begünstigung der großindustriellen Veredler abgeschafft. Das war diese Regierung; keine andere Regierung hat dies vorher geschafft. Dies bedeutet eine beachtliche Stärkung der bäuerlichen Veredlerbetriebe. Eine Regierung, in der Sie . mit Verantwortung trugen, hat dies nie erreicht. Diese Regierung hat es geschafft. ({9}) Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Agrarkredit machen. Herr Präsident, Sie müssen mich mahnen, aber Sie sehen, ich mache es mehr als schnell. Ein klein bißchen muß ich allerdings antworten dürfen. Ich darf in diesem Fall einmal mich selbst zitieren, und zwar habe ich das Bundestagsprotokoll der 35. Sitzung hier: Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977. Wenn der Herr Präsident gestattet, zitiere ich mich also selbst: Es gibt keine, Gießkanne. Aber, Herr Simpfendörfer, das will ich nur mit einem Satz sagen: Ich wäre sehr glücklich, wenn ich in Form des Agrarkredits. ein ähnliches Instrument hätte, wie der ERP-Kredit eines für die übrige mittelständische Wirtschaft ist. Nicht mehr oder weniger will ich. Das können Sie in dem entsprechenden Bundestagsprotokoll nachlesen. ({10}) - Aber es ist nicht von der bayerischen Vertretung inspiriert worden - höchstens vom Bier -; denn wenn der „Bayerische Weg" tatsächlich so gut wäre, müßte man eigentlich keine .Agrarförderung mehr in Bayern betreiben. Das ist eben der Unterschied zwischen Verbalität und Praxis, Herr Kollege. Ich muß immer wieder sagen: Wenn das so gut wäre, wie ich jetzt immer wieder lese, dann frage ich mich, warum wir überhaupt noch Geld vom Bund benötigen, um Bayern zu fördern. ({11}) In der Tat bedanke ich mich sehr, daß anerkannt wurde, daß mir das gelungen ist. Ich möchte mich auch bei den Länderkollegen sehr dafür bedanken, daß sie mitgemacht haben, den schwerwiegenden strukturellen Unterschieden der süddeutschen Länder dadurch Rechnung zu tragen, daß wir dieses Mal zugunsten der Süddeutschen im Planungsausschuß einen Schlüssel durchsetzen und dieses Problem lösen konnten. Ich erwähne z. B. Schleswig-Holstein und Niedersachsen, aber ich habe mich bei allen zu bedanken, Im Zusammenhang mit dem Agrarkredit darf ich hinzufügen: Dieser Agrarkredit wird additiv zu dem anderen Instrumentarium des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms eingesetzt. Und weil immer wieder behauptet wird, das sei nur eine Förderung für die Größeren: Nein, die einzelbetriebliche Förderung hat drei Schwerpunkte: erstens den Betrieben, die langfristig als Vollerwerbsbetriebe die Kapazität haben, eine Familie voll zu ernähren, die entsprechenden Investitionen zu ermöglichen; zweitens den Betrieben, die sich in der Zwischenphase befinden, entweder den Aufstieg zu ermöglichen oder die Möglichkeit des Wechsels zum Nebenerwerbsbetrieb zu geben; drittens den Nebenerwerbsbetrieben die arbeitswirtschaftlichen Investitionen zu ermöglichen. Ich halte das für eine sozial ausgeglichene Komposition. Ich wäre dankbar, wenn das alle in dieser Form einmal anerkennen würden. Mein letzter Punkt betrifft die Witwenrente. Hierüber gab es eine Diskussion; ich habe dem nicht viel hinzuzufügen. Nur eines möchte ich in dieser Debatte klarstellen. Es entsteht ja langsam der Eindruck, als geschähe für die Witwen nichts. Tatsache ist, daß bereits im Jahre 1977 220 000 Witwen landwirtschaftliche Altershilfe bezogen haben, ({12}) davon 9 000 jüngere. Man muß immer die Tatsachen nennen. Hier geht es eben darum, eine Lösung zu finden, die spezifisch auf diesen Berufszweig abgestellt ist. Nun darf ich ganz fröhlich und nett etwas zu Ihrem Antrag sagen. Ihr Antrag ist sachlich und rechtlich nicht ausgewogen. Das nehme ich Ihnen gar nicht übel. Die Opposition muß ihre Chance der Kritik wahrnehmen, auch wenn die Kritik sachlich und rechtlich nicht voll fundiert ist. Das ist das Recht der Opposition. Davon haben Sie Gebrauch gemacht; das nehmen wir zur Kenntnis. Wir dagegen werden eine Lösung finden, die sachlich, rechtlich, politisch und sozial ausgewogen ist. ({13}) Lassen Sie mich damit zum Schluß kommen; ich höre, der Herr Präsident wird unwillig. Ich möchte noch gerne etwas zur Steuer sagen. Ich stimme all denen zu, die sagen, daß es vorwiegend darum geht, eine größere steuerliche Gerechtigkeit innerhalb der Landwirtschaft und natürlich auch im Gesamtbezug herbeizuführen. ({14}) Vor allem muß zu den Konkurrenzverhältnissen innerhalb der EG und auch zu anderen Problemen in diesem Zusammenhang ein Bezug hergestellt werden. ({15}) - Herr Präsident, wenn Sie gestatten, daß ich anschließend noch ein paar Schlußsätze sagen darf, möchte ich die Zwischenfrage gerne zulassen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Minister, wir sind geschäftsordnungsmäßig im Zeitablauf in einer schwierigen Lage. Ich hoffe, die Frage ist kurz.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, teilen Sie die Auffassung des Herrn SPD-Abgeordneten Reuschenbach, der gesagt hat, es würde ausreichen, die landwirtschaftlichen Witwen dadurch zu versorgen, daß man ein Heiratsvermittlungsinstitut dafür gründet?

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, auch wenn der Ältestenrat gemeint hatte, die Fröhlichkeit etwas aus den Beratungen heraushalten zu können, so schaffen wir es trotzdem.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Verehrter Herr Kollege, ich habe doch gar nichts dagegen, wenn jemand heiratet. Das ist doch eine großartige Sache! ({0}) Ich sage Ihnen: Ich war in gewissen Phasen in diesem Hohen Hause sehr traurig, wenn man sich immer mehr darüber unterhalten hat, ob man weniger Kinder will oder mehr. Ich will mehr Kinder, weil ich haben will, daß jemand später einmal die Renten bezahlt. ({1}) Wenn sich das Witwenproblem durch Heirat löst, ist das menschlich, politisch und gesellschaftlich gut. Dann habe ich nichts dagegen. Eine letzte Bemerkung, meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrter Herr Präsident. Ich glaube, dieser Etat ist der Beweis dafür, daß wir es ernst meinen mit unserer Zusage: Die Menschen auch im ländlichen Raum sollen eine lebenswerte Umwelt haben für sich und für diejenigen, die bei ihnen Freizeit und Urlaub suchen. ({2}) Das ist eine Politik, in der wir viele Weichen gestellt haben. Eines können diese Regierung und der hier immer noch verantwortliche Minister für sich verbuchen: In den letzten Jahren ist unser Land schöner geworden, ist es attraktiver geworden. ({3}) Dies ist ein Erfolg, auf den wir, ehrlich gesagt, stolz sind. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die beiden vorliegenden Änderungsanträge. Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1457 ab. Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/1452 unter Nr. I auf. Das Wort dazu wird nicht gewünscht, so daß wir sofort zur Abstimmung kommen. Wer dem Antrag zustimmt, gebe bitte das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Damit kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 10. Ich bitte diejenigen Damen und Herren des Hauses, die dem Einzelplan 10 in der eben geänderten Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, der Einzelplan 10 ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen damit zur Beratung des nächsten Einzelplans: Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - Drucksache 8/1369 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Waigel Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß wir drei Stunden über diesen Einzelplan debattieren. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich frage zunächst, ob der Herr Berichterstatter das Wort wünscht. - Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter Dr. Waigel. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Steigerung des Wirtschaftshaushalts 1978 bringt weder eine Wende in der Investitionspolitik, die für die deutsche Wirtschaft dringend notwendig wäre, und sie enttäuscht zudem die Hoffnung auf eine stetigere Konjunkturpolitik. ({0}) Dieser Einzelplan und seine an sich begrüßenswerte Steigerung entsprechen nämlich lediglich dem Sanierungsbedarf einer verfehlten WirtschaftsKonjunktur- und Finanzpolitik. ({1}) Der Einzelplan ist zudem ein Torso, weil ja die entscheidenden Ansätze - ({2}) - Das müssen Sie sagen; Sie waren ja gar nicht dabei, als man das beraten hat. ({3}) - Das ist die Frage. Sie können sich ja anschließend melden. Zudem wird der entscheidende Sanierungsbedarf gerade für Bereiche der sektoralen Wirtschaft erst im Ergänzungshaushalt in einigen Monaten deutlich werden, der uns noch einige Probleme bescheren wird. Diese Wirtschaftspolitik und auch die Absicherung im Haushaltsplan ist lediglich eine Auseinanderreihung von Notprogrammen, eine permanente Flickschusterei, ohne daß daraus neue Perspektiven gerade auch von der Finanzpolitik her erkennbar sind. ({4}) Dieser Eindruck erhärtet sich noch, wenn man sich die mittelfristige Finanzplanung für eben diesen Bereich vor Augen führt. Sie müssen nämlich feststellen, daß im nächsten Jahr, im Jahr 1979, ein Rückgang dieser Investitionsmittel um 12,4 % vorgesehen ist, im Jahr 1980 ein Rückgang um 2,5 % und im Jahr 1981 ein weiterer Rückgang um 3,7%. Ich kann nur sagen: Graf Lambsdorff, Sie übernehmen ein schweres Erbe, und darum sind Sie auch nur partiell für das verantwortlich, was in diesem Haushalt und in dieser mittelfristigen Finanzplanung steht. ({5}) Summiert man nämlich diese „Perspektiven", dann liegen die Ansätze des Wirtschaftshaushalts für das Jahr 1981 um 18,6 % unter denen des Jahres 1978 und in absoluten Zahlen sogar noch unter den Ansätzen des Jahres 1977. Welche Perspektiven sind das für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land, für die Finanzpolitik und für das, was in diesem Bereich gerade an Investitionen geschehen soll? Bezieht man noch eine mutmaßliche durchschnittliche Inflationsquote von 4 % ein, dann erleidet der Wirtschaftshaushalt einen massiven Einbruch. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie stehen doch hier vor einem Dilemma. Entweder halten Sie sich an diese Zahlen, dann bleibt ausgerechnet der Wirtschaftshaushalt unter der Zuwachsrate des normalen Haushalts für die nächsten Jahre, oder Sie bemühen sich - wofür ich Verständnis hätte -, diese Ansätze nach oben zu ändern. Dann bleibt aber doch die mittelfristige Finanzplanung eine einzige Farce. Dann sind die ganzen Ansätze völlig sinnlos und als Instrument der Finanzpolitik unbrauchbar. ({6}) Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu der Wirkung . von Sonderprogrammen machen. In den letzten Tagen haben der Bundeswirtschaftsminister, der Bundesfinanzminister und der Bundeskanzler mehrfach erklärt, daß neue Konjunkturprogramme nicht in Frage kämen. Auch in dem heute im Kabinett verabschiedeten Jahreswirtschaftsbericht soll die gleiche Aussage stehen. Damit hat doch die Bundesregierung die kritische Haltung der CDU/CSU zu eben diesen Konjunkturprogrammen, zu diesen permanenten Strohfeuerwerken eindrucksvoll bestätigt. Denn wir waren immer der Meinung, daß diese Milliarden, so angelegt, verschleudertes Geld sind, solange die Rahmenbedingungen der Wirtschaft nicht ausreichen, damit dieses Geld überhaupt tragen und zu weiteren Investitionen führen kann. ({7}) Wenn Sie heute bei einem Wachstum des Bruttosozialprodukts von nur 2,4 % im letzten Jahr, bei einer Dauerarbeitslosigkeit von über 1 Million, bei wachsenden sektoralen und regionalen Schwierigkeiten im Bereich der Wirtschaftspolitik eingestehen, daß Sie keine weiteren Programme machen können, weil Sie kein Geld mehr haben, dann ist das doch das vernichtende Urteil über die eigene Praxis der letzten Jahre. Sie haben den Pferden nicht das Saufen ermöglicht, sondern sie mit unschmackhaften Papierprogrammen überfüttert. ({8}) Das hat nur wenig genützt. Nun hat sich der Herr Bundesfinanzminister heute auf ein Institut berufen, das die Wirkung dieser Programme dargestellt hat. Wenn ich die entsprechende Studie des DIW richtig verstehe, dann ist es doch eine sehr harte Kritik genau an der Wirkung dieser Programme in den letzten Jahren. Denn das DIW stellt fest, daß die Wirkung aller Programme in den letzten Jahren nur dazu geführt habe, daß es zu etwa 200 000 zusätzlichen Einstellungen gekommen sei. Dadurch wird bestenfalls die Stabilisierung des 1978 erzielten Beschäftigungseffekts erreicht. Es kann damit aber nicht die Zunahme der Zahl der Arbeitslosen in den Jahren 1978 ff. verhindert werden. ({9}) Wenn man hochrechnet, was durch diese unwirksamen Staatsprogramme die Schaffung eines Arbeitsplatzes gekostet hat, kommt man .zu gigantischen Zahlen und sieht, daß die Regierung nach dem falschen Prinzip gehandelt hat: „Mach dich fit durch Defizit" - wobei allerdings nur das Defizit gewachsen ist, der Kranke aber noch kränker und zu einem Dauerkranken geworden ist. ({10}) Eine zweite Bemerkung.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Roth zu?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber mit Vergnügen.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

-Bestreiten Sie, Herr Kollege, daß das DIW in seiner Schlußfolgerung sagt, daß nach seiner Auffassung die Programme eher hätten größer gemacht werden müssen?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das DIW und andere Institute kommen zu dem Ergebnis, daß es der Mangel an Eigendynamik gewesen ist, der dazu geführt hat, daß nicht größere Erfolge erzielt worden sind. ({0}) - Daß Sie das nicht begreifen, Herr Roth, wundert mich nicht. Sie haben vorhin ja gar nicht zugehört. ({1}) Die Vielzahl der Programme hat nämlich im Grund die verteilungspolitische Problematik nur verschleiert. Mit dem Geld der Steuerzahler wurde der untaugliche Versuch unternommen, sich von klaren Aussagen zur Verteilungspolitik und ihren Konsequenzen freizukaufen. Das war ein ganz teurer und mißlungener Versuch. ({2}) - Die Gemeinden würden sehr gern auf Ihre Programme verzichten, wenn sie die Finanzausstattung hätten, um selber über ihre Investitionen entscheiden zu können. ({3}) - Es wäre auch bei Ihnen besser, wenn Sie zuerst den Gang durch die Kommunen gehen würden, bevor Sie hier zu Aussagen kommen. ({4}) Dazu haben Sie allerdings immer weniger Möglichkeiten, weil die CDU/CSU in der Kommunalpolitik immer stärker Fuß faßt. Darum werden Ihre Erfahrungsmöglichkeiten immer geringer. ({5}) Noch eine Bemerkung zum Sachverständigengutachten 1977/78. Ich habe in den letzten Tagen immer so viel von der Freiheit kritischer Geister gehört, besonders in der Terrorismusdebatte. Ich wundere mich nur über eines: daß die Freiheit der kritischen Geister aus dem Sachverständigenrat bei der Regierung gar nicht auf viel Freude und Gegenliebe zum kritischen Rat stößt, ({6}) sondern daß man hier in einer sehr merkwürdigen Weise versucht, den Rat zu beschneiden und sogar die Frage stellt, ob sie nicht gar den gesetzlichen Auftrag verletzt hätten, wenn sie die Wahrheit über die miserable Politik dieser Regierung in dieser Form zum Ausdruck bringen. Genau dieser Sachverständigenrat hat den unzureichenden Beitrag der öffentlichen Haushalte zur Konjunkturpolitik damit erklärt, daß ein Rückgang der investiven Ausgaben in den letzten Jahren verzeichnet werden mußte, weil der enorm gestiegene Schuldendienst für eben jene wirkungslosen und wirkungsschwachen Programme keine konjunkturellen Impulse mehr auslösen kann. Über den Mangel an Eigendynamik habe ich bereits gesprochen. Durch noch so viele und noch so große staatliche Programme kann dieser Mangel an Eigendynamik nicht beseitigt werden, der im Kostenniveau, in den Investitionsrisiken und in den Rahmenbedingungen für private Investitionen liegt. Notwendig ist nicht die Fortsetzung dieser Goand-stop-Politik, sondern eine stetige, mittelfristig orientierte Finanzpolitik mit festen, nicht zu stark schwankenden Zuwachsraten auch im Bereich der Staatsausgaben. Das wäre für den Staat, das wäre für alle Beteiligten der öffentlichen Hände und das wäre auch für die Wirtschaft sinnvoller als dieses Auf und Ab, wie es ja in der mittelfristigen Finanzplanung zum Ausdruck kommt. ({7}) Noch ein Wort zu etwas, was sich sehr systemwidrig in ' unseren Haushalt eingeschlichen hat, Herr Bundeswirtschaftsminister, nämlich die Strukturberichterstattung. Sie könnten Ihren ordoliberalen Kampfesmut, verehrter Graf Lambsdorff, unter Beweis stellen, indem Sie diese Strukturberichterstattung, ein untauglicher Ideologiekompromiß zwischen SPD und FDP, schleunigst wieder aus diesem Einzelplan 09 eliminieren. ({8}) Für diese Strukturberichterstattung müssen wir sechs Millionen DM pro Jahr ausgeben, obwohl keines der angegangenen Forschungsinstitute bisher ein praktikables Verfahren, entsprechende Methoden und entsprechende Indikatoren vorlegen konnte. Das Ganze ist nur der Versuch, eine stärkere Reglementierung im Bereich der Investitions- und Wirtschaftspolitik zu erreichen. Dazu kann ich nur folgendes sagen: Dies ist eine sinnlose Konzession an die SPD und ihre Parteitagsbeschlüsse und möglicherweise der Preis dafür, daß ein FDP- Mann auf dem Stuhl des Wirtschaftsministers sitzt. ({9}) Es ist schade um das Geld. Sinnvoller wäre es für die Erhöhung der Frachthilfe angelegt, weil man damit wenigstens einen Wettbewerbsnachteil ausgleichen könnte. ({10}) Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zur Energiepolitik anfügen. Die Ansätze in diesem Haushalt .zur Energiepolitik geben in keiner Weise die Konturen einer zielgerichteten Energiepolitik wieder, und die zweite Fortschreibung Ihres Energieprogramms sagt wiederum nichts über die Ko5314 sten der Energiepolitik aus, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen. Graf Lambsdorff, der Vorrang der Kohlepolitik, wie er in Ihrem Energieprogramm in der Fortschreibung steht, ist im Grunde eine unredliche verbale Verneigung vor den Gegnern der Kernenergie in Ihren und den Reihen der Regierung und der Koalition. Sie geben nämlich keine Auskunft über die Kosten dieser Priorität, Sie geben keine Auskunft darüber, wieviel solcher Primärenergie überhaupt zur Verfügung steht. Sie geben keine Auskunft über die Frage der Umweltbelastung in diesem Bereich, die nicht weniger problematisch als im Kernenergiebereich ist. Keine Auskunft geben Sie darüber, ob es nicht sinnvoller wäre, sich manches in diesem Bereich für wichtigere Aufgaben zu überlegen und zu sparen. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung über die drängenden Probleme der sektoralen Strukturpolitik und den langfristigen Problemen der regionalen Strukturpolitik machen. Wir sehen die große Gefahr, daß die ohnehin bestehende Unausgewogenheit bei der Regionalförderung durch die Vermischung von Regionalpolitik und sektoraler Strukturpolitik noch weiter verschärft wird. Wir fordern Sie heute schon, Herr Bundeswirtschaftsminister, dazu auf, in dem zu erwartenden Ergänzungshaushalt nicht nur wieder die finanzpolitische Absicherung von Notprogramm vorzusehen, sondern der weiteren Verzerrung im Bereich der regionalen Strukturpolitik klar zu begegnen. ({11}) Dies ist deswegen notwendig, weil Sie die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" stiefmütterlich behandeln. Das ergibt sich angesichts der Haushaltsansätze für die Gemeinschaftsaufgabe. Zieht man nämlich von den vorgesehenen 419 Millionen DM für diesen Zweck die 125 Millionen DM ab, die für das Zukunftsprogramm vorgesehen sind, dann findet hier ein echter Rückschritt statt. Noch 1976 betrug das Finanzvolumen 314 Millionen DM, im Jahre 1975 waren es 334 Millionen DM. Mit diesem Rückgang wird die Strukturpolitik gerade für schwach entwickelte Räume immer schwieriger, obwohl sie auf der anderen Seite teurer geworden ist. Die Möglichkeit, in diesen strukturschwachen Räumen neue Arbeitsplätze zu schaffen und der Arbeitslosigkeit zu begegnen, wird immer problematischer und schwieriger. ({12}) - Es ist wirklich die Frage: Wenn man für VW für dieses Gebiet ein eigenes Sonderprogramm in der Größenordnung durchgeführt hat, lieber Kollege Simpfendörfer, um wieviel mehr wären dann zusätzliche Sonderprogramme für Oberfranken, Oberpfalz und für manche andere Gebiete in der Bundesrepublik notwendig!? ({13}) Da merken Sie, in welchen schiefen Zugzwang die gesamte regionale Wirtschaftspolitik gekommen ist. ({14}) Dabei darf ich sagen, daß in meinem Wahlkreis noch kein Sonderprogramm durchgeführt wurde, so daß ich mir ein relativ objektives Urteil über diese Frage erlaube. ({15}) Von den gesamten Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgaben betragen die für die regionale Wirtschaftsstruktur lediglich 14 %. Herr Wirtschaftsminister, es wäre an der Zeit, sich dafür einzusetzen, daß diese Mittel in eine andere Relation zu den beiden anderen Gemeinschaftsaufgaben kommen. Es ist schlichtweg ein Skandal, daß die Rückflußmittel aus dem europäischen Regionalfonds als Deckungsmittel veranschlagt werden und nicht zusätzlich der Gemeinschaftsaufgabe zugeführt werden. ({16}) Eine zweite Bemerkung. Wenn es zu einer weiteren Aufstockung der Fördergebiete im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe kommt, dann müssen Sie hierfür entweder im Ergänzungshaushalt oder im nächsten Haushalt auch mehr Mittel zur Verfügung stellen, ({17}) sonst wird ja die Ausstattung für diese Gemeinschaftsaufgabe immer miserabler, immer uninteressanter, und die echt benachteiligten Gebiete kommen in einen immer stärker werdenden Nachteil gegenüber den Ballungsgebieten. Sie haben die Möglichkeit, dieser Intention zu folgen, wenn Sie unseren Entschließungsanträgen hier zustimmen. Die falsche Zielrichtung dieser Strukturpolitik wird ja auch daran deutlich, daß die Mittel für betriebliche Investitionen in diesem Haushalt um 38 Millionen DM gekürzt werden. Genau dort, wo es notwendig wäre, wo mehr Arbeitsplätze im produktiven Bereich geschaffen werden, kürzen Sie. Sie sollten die Mittel erhöhen, wo es notwendig ist und wo auch der notwendige Return für die Steuerpolitik, für die gesamte Politik stattfindet, anstatt nur immerzu auf den öffentlichen Bereich und andere Bereiche zu hoffen, wo dann doch keine Beseitigung der Arbeitslosigkeit stattfinden kann. Die Ausweitung dieser Investitionsmittel steht nicht im Widerspruch zu unserer Forderung, grundsätzlich die Gemeinschaftsaufgaben abzuschaffen. Im Interesse einer klaren Aufgabenabgrenzung, einer besseren parlamentarischen Kontrolle und einer flexibleren Handhabung der Strukturpolitik sollte es sich dieses Haus gemeinsam zur Aufgabe setzen, diese Form der schwerfälligen Mischverwaltung abzubauen. Unberührt davon bleibt natürlich die Notwendigkeit der ausreichenden Mittelausstattung, zu der eine Abstimmung zwischen Bund und Ländern notwendig ist. Herr Bundeswirtschaftsminister, es war eine politische Philosophie Ihres Partners zur Linken, der im' Moment nicht anwesend ist, nämlich des Bundesinnenministers - bildlich auf der Regierungsbank und geistig politisch -, der gemeint hat, das sozialliberale Bündnis in die Höhen eines eheartigen Dauerbündnisses stellen zu sollen, wobei er aber natürlich nur von der Eheauffassung der Union ausgegangen sein kann, denn Sie sind da ja für kürzere Handhabungen. Professor Maihofer war vor einigen Jahren der Meinung, der soziale Friede in unserem Lande könne dauerhaft nur durch diese sozialliberale Koalition garantiert werden. Auch die Wahlaussage des Jahres 1976 beinhaltete das böse Wort, daß der soziale Friede nur bei Fortbestand dieser Koalition erhalten werden könne. Nun sind die Gewerkschaften aus der Großfamilie der Konzertierten Aktion ausgeschieden, wobei die Mitbestimmungsklage der Arbeitgeber nur ein Vorwand ist. Denn in Wirklichkeit geht es doch darum, daß die Bundesregierung den Zielkonflikt nicht lösen kann, der darin besteht, daß notwendige, objektivierte Datenvorgaben nicht ohne Einfluß auch auf die Tarifverhandlungen in diesem Lande sein können. Wenn der Bundesfinanzminister in der ihm eigenen Art - ich habe mich gewundert, daß er sich heute über den Stil des Parlaments so aufgeregt hat; denn er ist ja nun wirklich nicht gerade der Mann der feinen englischen Art, wie man es hier gerne hätte ({18}) Ihnen bei einer Fernsehdiskussion vor wenigen Tagen gesagt hat, nun müsse der arme Bundeskanzler das alles wieder in Ordnung bringen, dann war das, Graf Lambsdorff, für Sie, so meine ich, eine schallende Ohrfeige, weil er es Ihnen nicht zutraut. Eine kurze Schlußbemerkung. Ihr markantes Selbstlob, Herr Bundeswirtschaftsminister, über Ihren Kampf für die Marktwirtschaft auf dem FDP-Parteitag in Kiel - und dabei möchte ich nur fragen: Was ist das für eine eigenartige Erscheinung, daß eine sich liberal nennende Partei überhaupt über liberale Grundpositionen in der Wirtschaftspolitik diskutieren und streiten muß? -, ({19}) dieses markante Selbstlob erinnert mich an eine Parabel aus dem antiken Griechenland. Dort brüstete sich nämlich ein Athlet damit, er sei im entfernten Rhodos so hoch und so weit gesprungen, und ihm wurde dann entgegengehalten: hic Rhodos hic salta, hier ist Rhodos, bitte, spring mal hier. Ihr Rhodos, Herr Bundeswirtschaftsminister, ist hier, im Parlament, in der Regierung und nicht in Kiel. ({20}) Sie tragen nur eine partielle Verantwortung für diesen Etat; wir berücksichtigen das. Jedoch die schrittweise systematische Abkehr von den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft in den letzten Jahren hat zum Dilemma, zu dieser Wirtschaftssituation in unserem Lande geführt. Darum lehnen wir diesen Etat ab. ({21})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit dem Antrag beginnen, den Kollege Waigel soeben begründet hat. Herr Waigel, Sie haben ja eine Begründung für Investitionslenkung und Mischfinanzierung abgegeben. Nachdem Sie dies getan haben, könnten Sie uns eigentlich als Sympathisanten dienen; wir sind ja keineswegs dagegen, daß bestimmte Dinge, die Sie mit diesem Antrag fordern, mit Wohlwollen betrachtet werden. Es gibt einen Beschluß d es Bundestages dazu. Wie Sie aber aus den Beratungen im Haushaltsausschuß wissen, sind wir angesichts der gespannten Finanzlage leider gezwungen, die Rückflüsse aus Europa als Deckungsmittel für die Gesamtausgaben des Haushalts zu verwenden, nicht weil wir das schön finden, sondern weil es anders in diesen Jahren nicht geht angesichts der Tatsache, daß wir aus dem Bundeshaushalt höher finanzieren, als die Rückflüsse für Gemeinschaftsausgaben aus Europa sind. Aber das, was Sie machen wollen, ist doch gewissermaßen in Spendierhosen steigen, auf denen der Kollege Carstens ({0}) fest mit beiden Beinen steht. ({1}) Aus denen wollen Sie doch das Geld ausgeben. Dies scheint mir so etwas wie ein Eiertanz zu sein, den Sie hier aufführen müssen. ({2}) Im übrigen, Herr Waigel, rühmt sich ja die Bayerische Staatsregierung, daß in den bayerischen Landen die Wirtschaftskraft angeblich schneller wachse als im Durchschnitt des Bundesgebietes. Dies würde uns zu einer vernünftigen Erfolgskontrolle einladen, und vielleicht könnten wir dann das Urteil der Bayerischen Staatsregierung ja auch dazu nutzen, dort kräftiger etwas zu tun, wo dieses Wirtschaftswachstum keineswegs so gut ist, wie das in Bayern der Fall zu sein scheint; denn wir sind ja laut Verfassung verpflichtet, etwas für die Angleichung der Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet zu tun. Sodann, Herr Waigel, gehen Sie offensichtlich davon aus, daß der Haushalt des Wirtschaftsministers der Konjunkturförderungshaushalt sei. Das ist er nicht, sondern der Gesamthaushalt ist der Konjunktursteuerungshaushalt. Der Einzelplan 09 hat eine Reihe von Problemkindern und keineswegs etwa die Aufgabe, mit seinem Wachstum nun die Konjunkturpolitik insgesamt zu' steuern. Wenn man sich darum den Haushalt 09, den Haushalt des Wirtschaftsministers, die Zahlen und das, was aus den Zahlen für die nächsten Jahre zu machen ist, anschaut, könnte man eher daraus schließen, daß wir bei unseren Wirtschaftserwartungen davon ausgehen: es wird in Zukunft bei den Problemkindern besser werden, und deswegen werden keine so hohen Steigerungsraten in kommenden Jahren - in diesem Jahre wohl noch - im Haushalt 09, für Kohle, für Stahl, für Werften, für Flugzeugbau gebraucht werden; denn dies sind die vier, wenn man so will, Problemkinder, die am Haushalt des Wirtschaftsministers hängen. Wenn man danach fragt, wer denn voraussehen kann, in welchem Ausmaß bei diesen Problemkindern - Kohle, Stahl, Werften, Flugzeugbau - die Probleme wachsen, dann müßte der, der das sagen will, in der Tat ein Hellseher sein, der zum Beispiel die Entwicklung des Dollarkurses über Jahre hinweg voraussagen kann. Und mit dem Hellsehen ist es bei Ihnen auch nicht weit her. Der Kollege Strauß hat sich in seinem Beitrag zu Eingang der Haushaltsdebatte gerühmt, man habe für die Rentenversicherung das alles vorausgesehen. Dann müßte der Kollege Strauß eigentlich auch die Wirtschaftsentwicklung der vergangenen Jahre richtig vorausgesehen haben. ({3}) Dies kann er aber nicht. Wenn er prognostiziert hat, was . hat er dann für Wirtschaftsraten und Wirtschaftsdaten vorausgesehen bei einer Preissteigerungsrate von 10 %, die er uns ja auch in diesem Hause vor nicht allzu langer Zeit einmal vorgetragen hat? ({4}) Das heißt, innere Schlüssigkeit der Aussagen zur Wirtschaftspolitik ist bei Ihnen nicht gegeben, oder Ordnung der Gedanken findet bei Ihnen nicht statt. ({5}) Es ist nach wie vor in den Haushaltsdebatten so wie in den vergangenen Jahren, daß die einen „hü" argumentieren und die anderen „hott". Die einen sagen: Es muß kräftiger konsolidiert werden, und die anderen sagen: Aber in bestimmten Punkten muß mehr ausgegeben werden. Das Ganze geschieht immer noch mit dem Grundtenor „Brüning". Wenn man das zugrunde legt, was Sie als den wirtschaftspolitischen Sachverstand der Opposition von heute vortragen, dann muß man eigentlich schon deswegen fröhlich sein, daß wir regieren, weil es sonst sehr schwarz in diesem Land um die Wirtschaft aussähe. ({6}) Die Problemkinder, die wir im Wirtschaftshaushalt haben, haben im übrigen mit einem Erfolg einer fast weltweit durchgesetzten Politik zu tun. Kohle, Stahl, Schiffe, Flugzeuge - all dies würde sich im Boom befinden, gäbe es noch große Kriege auf der Erde. Gott sei Dank hat eine Friedenspolitik - nicht nur unseres Landes, sondern fast weltweit - dafür gesorgt, daß diese Industriebereiche nicht mehr für Kriegsproduktion gebraucht werden. Ich verhehle nicht, daß ein Teil der strukturellen Anpassungsschwierigkeiten dieser Wirtschaftszweige wohl darauf beruht, daß ein historisches Entwicklungsmuster der Industriestaaten unterbrochen ist, die alle 25 bis 30 Jahre Krieg gekannt haben, der wieder vernichtete, was man vorher aufgebaut hatte und damit einen riesigen Nachholbedarf entwikkelt hat. ({7}) Dies gilt nicht mehr. Darum ist es auch anders als in früheren Perioden, auch anders als zu den Zeiten, als Sie noch an der Regierung waren. Es muß mit anderen Mitteln gearbeitet werden, weil das, was für Kohle, Stahl, Werften und Flugzeuge gilt, bedeutet, daß der große Nachholbedarf nicht mehr stattfindet. Alle Problemkinder des Wirtschaftshaushaltes haben mit der Entwicklung von weltwirtschaftlichen Bedingungen zu tun. Schiffe können wir nur für den Welthandel bauen. Wenn der nicht mehr wächst, ist der Boom für die Schiffe vorbei. Flugzeuge können wir nur für Märkte auch außerhalb der Bundesrepublik bauen. Wenn dort kein Erfolg beschieden ist, weil auf den Binnenmärkten kein Wachstum mehr stattfindet, wo viele Flugzeuge gebraucht werden, gibt es für den Flugzeugbau Schwierigkeiten. Aus beiden und aus dem Verfall des Dollarkurses gibt es auch Probleme für die Stahl- und damit für die Kohlewirtschaft. Ich füge hinzu: Obwohl voraussehbar ist, daß für diese Industriebereiche zunächst kein großes Wachstum mehr erwartet werden kann, werden wir die Kumpel an der Ruhr, die Stahlwerker, die Flugzeugbauer und die Männer in den Werften nicht anders behandeln als die deutschen Landwirte. Sie kriegen die Basis gesichert, auf der sie leben können, durch die Politik, die in diesem Haushalt ihren Ausdruck findet. ({8}) In diesem Punkt stimme ich mit den Überlegungen überein, die unser Kollege Blüm gegenüber Herrn Biedenkopf beim Grundsatzprogrammparteitag der CDU geäußert hat. Wer Ordnungspolitik machen will, der sollte dies nicht mit dem simplen und reinen Modell der marktwirtschaftlichen Ökonomie allein machen, weil dann immer alle Sozialausgaben, alle Hilfen für Schwächere, als böse und als Verschmutzung der Reinheit des Modells herausfallen und man so tut, als würde die Wirtschaft nicht den Menschen dienen, sondern einer abstrakten Freiheit derjenigen, die keiner Hilfe bedürfen. Diesen Gegensatz, der in Ihrer - nicht in unserer - Partei herrscht, sollten Sie einmal sauber austragen und danach fragen, für wen, für welche Interessen und für welche sozialen Notwendigkeiten Ordnungspolitik eigentlich dazusein hat. ({9}) Herr Biedenkopf wird noch reden. Möge er die Auseinandersetzung sinnvoll weiterführen, wozu Marktordnungspolitik denn eigentlich dienen soll und in welchem Ausmaß die Freiheit der Rentner von Not, der Menschen, die sozialer Hilfe bedürfen, von Not mit zu dem Ordnungsmodell und zur Ordnungspolitik gehört.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Sperling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Kollege Breidbach.

Ferdinand Breidbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sperling, habe ich Sie vorhin richtig verstanden, daß die Regierungskoalition im Bereich der Stahlindustrie und in weiteren Bereichen der Wirtschaft, die Sie erwähnt haben, so viele Arbeitsplätze überflüssig machen will, wie es in der Landwirtschaft trotz Subventionen leider Gottes der Fall war?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das ist falsch. Wir geben den Menschen dort vielmehr eine Lebensbasis, wie wir sie auch der Landwirtschaft geben. Wenn es durch Produktivitätsfortschritte in einem Wirtschaftszweig zu Abwanderungen kommt, müssen wir eine Wirtschaftspolitik machen und unterstützen - wir tun es ja nicht allein, auch die Tarifpartner sind gefragt -, die dafür sorgt, daß es wieder Arbeitsplätze für alle geben wird. Niemand in diesem Hause und niemand außerhalb des Hauses weiß jenes Patentrezept zu nennen, das dazu führt, daß Arbeitslosigkeit blitzartig oder etwas weniger schnell als der Blitz verschwindet. Uns schnell von Arbeitslosigkeit zu befreien, wird nicht gelingen. Aber dies ist nicht mein Thema. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, aber nur noch eine.

Ferdinand Breidbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sperling, Sie sind sich bei Ihrer Argumentation hoffentlich darüber im klaren, daß die Lebensbasis der Landwirtschaft heute noch nicht ausreichend ist, obwohl einige Hunderttausend ihre Arbeitsplätze verloren haben?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Breidbach, in dieser Einschätzung stimmen wir nicht überein. Ich habe den Eindruck, daß es den landwirtschaftlich Erwerbstätigen in unserem Land gesicherter, besser geht als einer Vielzahl von Erwerbstätigen in den Bereichen, von denen wir soeben gesprochen haben. Dies sieht anders aus. ({0}) Nun zu den Irrtümern, die Sie ständig pflegen, wenn Sie die reinen Gesetze eines reinen Marktmodells zugrunde legen und mit einem Menschen argumentieren und rechnen, der nur von diesen Gesetzen einer reinen Marktwirtschaft und von nichts anderem beseelt ist, der vor nichts anderem getrieben wird. Auch die Mehrheit des Sachverständigenrats scheint dieser Modelltheorie sehr stark zuzuneigen und alles, was an anderen, außerwirtschaftlichen Erwägungen hineinkommt, als Verschmutzung der Reinheit dieses Modells zu empfinden. Sie argumentieren immer so, als hätte in unserem System jeder den Marschallstab im Tornister oder jeder könnte - weniger militärisch ausgedrückt - Bankdirektor werden. Das sollte so sein; aber es heißt nicht, daß alle den Marschallstab im Tornister haben oder alle Bankdirektoren werden können. Wenn wir Sie sagen hören, daß jeder spart, dann meinen wir, das müßte richtig sein. Herr Haase aus Kassel sagte, auch der Bund sollte sparen, wenn alle anderen sparen, und er beschuldigte den Bund, daß er mit seiner Politik eigentlich Probleme schaffe. Herr Haase, wenn wir argumentieren, dann 'sollten wir aber so vernünftig sein, Wirtschaftskreislauf und Wirtschaftsablauf jeweils mit ihren verschiedenen Phasen zu betrachten. Wir sollten auch sehen, daß, wenn andere so sparen, daß daran die Wirtschaft krankt, die öffentlichen Hände gefordert sind, das Gesparte in Umlauf zu bringen, und daß sie sich zurückzuhalten haben, wenn die Privaten diesen Umlauf bewirken. Der Staatshaushalt hat eigentlich nur die Funktion eines Anlassermotors, der einen riesengroßen anderen Motor in Schwung bringen soll. Aber dieser riesengroße andere Motor muß jene Energie wieder erbringen, mit der man im gegebenen Fall den Anlassermotor erneut betätigen kann. Wenn der. große Motor nicht störungsfrei funktioniert, muß man unter Umständen den Anlassermotor häufiger einschalten. Wir werden aber darauf achten müssen, daß der große Motor auch immer wieder für die aufgeladene Energie sorgt, mit der man den Anlassermotor bedienen kann. Es würde lohnen, hier eine Debatte zu führen, bei der wir untersuchen, warum der große Motor, der für die Energie zu sorgen hat, auch die Energie für den Anlasser-motor, nicht funktioniert. ({1}) Dies würde aber bedeuten, daß analysiert wird, dies würde bedeuten, daß man über die Mittel spricht, mit denen Störungen beseitigt werden können. Da ist die Lage doch so: Nach allem, was Sie hier vortragen, haben Sie nicht einmal das Vertrauen zu sich selber, selbst eine Alternative konkret vorzutragen. Sie bleiben im Abstrakten, Sie bleiben im Allgemeinen, Sie bleiben im Pauschalen, und Sie sagen darüber hinaus aus Mangel an Vertrauen zu sich selber, die Regierung solle Alternativen zur eigenen Politik, die wir doch für richtig halten, vortragen. ({2}) Wenn Sie für sich selbst Vertrauen schaffen wollen, dann machen Sie konkrete Vorschläge. Es bleibt bei der Forderung nach Alternativen von Ihrer Seite zu unserer Wirtschaftspolitik. Die hilflose Aufforderung, die häufiger in dieser Debatte aufgetaucht ist, wir sollten außerdem noch Alternativen nennen, finde ich wirklich einer Opposition unwürdig. Statt dessen verweisen Sie bestenfalls sehr nostalgisch darauf, daß es zu Zeiten, als Sie einmal regiert haben, anders gewesen sei, besser, wie Sie meinen. Nur, ich erinnere Sie daran: Es gab auch das Jahr 1966, es gab eine Regierungserklärung, die von einer lange schwelenden Krise gesprochen hat, und es gab - und dies finde ich interessant - jene Erklärungen von Franz Josef Strauß in seinem Buch „Finanzpolitik" noch aus der Erfahrung des Finanzministers, in denen er davor warnte, die Gefahren herbeizureden, vor denen man angeblich nur warnen wollte. Sie reden schon wieder die Gefahren herbei. Weil es Ihnen nicht gelingt, Ihr Ansehen bei der Bevölkerung zu steigern, glauben Sie, Ihr Erfolgspfad liege einzig und allein darin, das Ansehen des Kanzlers, des Finanzministers und des Wirtschaftsministers zu mindern. Für mehr reicht das, was Sie sagen, nicht. ({3}) Im Haushalt 09 sind, was Mittelstandsförderung angeht, was Handwerksförderung angeht, mit Dankbarkeit eine Reihe von Anhebungen zu vermerken, die diesmal bereits im Haushalt gestanden haben. Ich sage darum herzlichen Dank an das Wirtschaftsministerium. Wer von den beiden Ministern es auch immer war, ist mir egal. Hier ist der Etat angemessen erhöht worden. Ich schließe mit einer Bemerkung, bei der ich gerne Herrn Biedenkopf fragen würde, ob er der Formulierung des Kollegen Strauß eigentlich zustimmt, der davon gesprochen hat, daß Art. 115 der Verfassung verletzt worden sei. Dazu ist hier schon mehr gesagt worden. Wenn Sie alle diesen Vorwurf erheben, meine Damen und Herren von der Opposition, dann frage ich Sie: Halten Sie den Zustand, in dem sich unsere Wirtschaft zur Zeit befindet, tatsächlich für ein ungestörtes Gleichgewicht? Wenn dies Ihre Meinung sein sollte, dann wissen wir, was wir von Ihnen zu erwarten hätten, wären Sie dran. Ich bin dafür, wir bleiben fröhlich bei unserer Regierung. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Biedenkopf.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Erörterung des Einzelplans 09 können wir - und das scheint mir notwendig zu sein - eine Analyse der allgemeinen Zusammenhänge und der ordnungspolitischen Grundlagen verbinden, auf denen die Wirtschaftspolitik in unserem Lande aufbaut. Mein Herr Vorredner hat diese Frage. angesprochen. Er hat, wie ich glaube, dem Hohen Hause einen eindrucksvollen Beweis für den Umstand geliefert, daß eine marktwirtschaftliche Ordnungspolitik in dieser Regierung kaum eine Chance hat. ({0}) Denn bereits sein Verständnis von marktwirtschaftlicher Ordnung und die Ausführungen zur sogenannten reinen Marktwirtschaft gehen nicht nur an der Realität einer 20jährigen erfolgreichen Politik von CDU und CSU auf Bundesebene vorbei, sondern auch an dem, was der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister wiederholt sich selbst zu eigen gemacht haben, daß es nämlich eine untrennbare Verbindung zwischen der marktwirtschaftlichen Steuerung der Märkte und der sozialen Verpflichtung aller Einrichtungen, die wir dafür geschaffen haben, gibt. Blickt man auf die zurückliegenden Jahre, so kann man feststellen, daß es der Bundesregierung trotz dauernder Ankündigungen nicht gelungen ist, die wichtigsten und schwierigsten Probleme der Wirtschaftspolitik zu bewältigen. ({1}) Wir haben jetzt seit vier Jahren ununterbrochen 1 Million Arbeitslose. Wir haben im Jahre 1977 die Inflationsrate von 1972 wieder erreicht. Der Weg von 1972 bis heute hat Milliarden von Spargeldern, Milliardenvermögen gerade der Männer und Frauen, der Mitbürgerinnen und Mitbürger zerstört, für die Politik zu machen die Sozialdemokraten ständig vorgeben. ({2}) Die Inflationsrate von heute ist noch immer zu hoch. ({3}) Die Projektionen im Jahreswirtschaftsbericht für das Jahr 1978 streben an, diese Rate weiter zu verringern. Aber diese Projektionen sind nicht sehr zuverlässig. Vergleicht man die Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts 1977 mit den Realitäten, so zeigt sich, daß das Wachstum nicht 5, sondern 2,5 % betragen hat, daß die Arbeitslosigkeit nach wie vor bei 4,5 statt unter 4 % liegt, daß die Unternehmenseinkommen nicht um 9 bis 10 %, sondern nur um 2,5 % gestiegen sind und daß die Anlageinvestitionen nicht um 9 bis 10 %, sondern nur um 6,5 % zugenommen haben. Allein in diesen wenigen Zahlen kommen die wichtigsten Gründe für die fortdauernde Stagnation zum Ausdruck. Die Investitionen in unserem Lande - das hat Franz Josef Strauß gestern morgen betont - überaltern zunehmend. Die Finanzen des Staates sind durch eine wachsende Überschuldung gekennzeichnet. Es ist doch, meine Damen und Herren, eine dramatische Sache, daß die Steuereinnahmen des Bundes für dieses Haushaltsjahr, dessen Haushalt wir jetzt diskutieren, nicht ausreichen, um auch nur eine Mark für Investitionen auszugeben. ({4}) Die gesamten Investitionen im Jahre 1978 werden auf dem Kreditwege finanziert! Es gibt keine investive Verwendung der Steuermittel mehr, die die Bürgerinnen und Bürger im Jahre 1978 verdienen. Das heißt, daß der Staat, daß die Bundesrepublik Deutschland, daß die Bundesregierung die heute notwendigen Investitionen mit Mitteln bezahlt, die sie den nachwachsenden Generationen als Schulden hinterläßt. ({5}) Dies entspricht durchaus der Entwicklung des Eigenkapitals in den Betrieben. Es gehört zu den traurigen Rekorden der Wirtschaftspolitik der Koalition während der letzten zehn Jahre, daß in dieDr. Biedenkopf sen zehn Jahren nach Auskunft der Deutschen Bundesbank der Anteil des Eigenkapitals an den Bilanzsummen der deutschen Unternehmen von über 30 % auf 22 °/o gesunken ist. Das heißt, in diesen zehn Jahren ist ein Drittel des Eigenkapitals der deutschen Wirtschaft verbraucht worden. An 'die Stelle dieses Eigenkapitals sind Fremdmittel getreten. Aber die Fremdmittelfinanzierung der Industrie bedeutet, daß die Flexibilität, die Innovationsfähigkeit und .die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft zurückgehen. Gerade diese Innovations- und Anpassungsfähigkeit aber ist das, was wir brauchen, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen. ({6}) Es heißt dazu im Jahreswirtschaftsbericht, der heute Gegenstand der Kabinettsberatungen war - ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren -: Die angestrebte gesamtwirtschaftliche Entwicklung kann jedoch voraussichtlich nur dann erreicht werden, wenn sich allmählich ein sich selbst verstärkender Wachstumsprozeß entwikkelt, der zunehmend von privater Investitionstätigkeit getragen wird. Als Voraussetzung dafür wird im Jahreswirtschaftsbericht genannt, daß die Unternehmergewinne im Jahre 1978 wieder stärker steigen. Der Jahreswirtschaftsbericht bringt zum Ausdruck, daß die Bewältigung des zentralen Problems der Wirtschaftspolitik, nämlich die Sicherung eines sich selbst tragenden nachhaltigen Wirtschaftswachstums, und damit auch die Bewältigung des Problems der Arbeitslosigkeit nur möglich ist, wenn ausreichende Investitionen getätigt werden. Es heißt im Jahreswirtschaftsbericht weiter: Arbeitsplatzschaffende Investitionen werden aber nur dann zu erwarten sein, wenn trotz der gesteigerten Marktrisiken der Unternehmen ausreichende Erträge erwirtschaftet werden. Wesentliche Bedingung dafür ist neben der Nachfrage vor allem die Stärkung des Vertrauens von Konsumenten und Unternehmern. Ich kann dem nur zustimmen. Aber gerade deshalb, weil das Vertrauen von Konsumenten und Unternehmern notwendig ist, haben wir Anlaß zu begründeten Zweifeln, daß diese Ziele erreicht werden können. Der Herr Kollege Sperling hat gefragt: Wie soll man denn den Bund auffordern zu sparen, wenn alle anderen sparen? Herr Kollege Sperling, alle anderen sparen, weil der Bund nicht spart und weil die Leute 'deshalb Angst vor der Zukunft haben. ({7}) Es ist doch eine Umkehrung von Ursache und Wirkung, wenn ich die Investitionspolitik der öffentlichen Hand in dieser Form - ({8}) - Vielleicht haben Sie es nicht verstanden. Das kann natürlich sein. ({9}) - Das kann man auch mit Worten aus der Welt bringen. Ich will es Ihnen gerne erklären. Die Bevölkerung - einschließlich der Rentner - spart in diesem Land. Was bedeutet es denn, wenn Rentner sparen, obwohl sie ja nicht gerade mit Wohlstand gesegnet sind? Sie sparen, weil sie Angst vor der Zukunft haben, und diese Zukunft wird von Ihnen in diesem Land gestaltet. ({10}) Der Jahreswirtschaftsbericht soll hier jetzt nicht im einzelnen analysiert werden. ({11}) - Lesen Sie doch erst die Statistiken der Deutschen Bundesbank, ehe Sie solche Behauptungen aufstellen. Voraussetzung für eine Veränderung unserer wirtschaftspolitischen Lage ist eine zutreffende Analyse des Tatbestandes. Die Bundesregierung hat durch die Worte des 'Bundeskanzlers in der Regierungserklärung in der letzten Woche zum wiederholten Male die außenwirtschaftlichen Bedingungen für die Schwierigkeiten im Inland verantwortlich gemacht. Die Bundesregierung trägt die außenwirtschaftlichen Schwierigkeiten jetzt bereits seit sechs Jahren als Begründung für ihre eigene Unfähigkeit, Wirtschaftspolitik zu machen, vor sich her. Dabei weiß die 'Bundesregierung ganz genau, daß z. B. die Energiepreiserhöhung im Jahre 1973 auf ein Vierfaches des damaligen Preisniveaus längst konsumiert ist. Sie weiß ganz genau, daß die Energiepreise an den Preisen aller Produkte einen Anteil von etwa 1,5 °/o haben, ({12}) während z. B. der Anteil der akkumulierten Lohnkosten an den Preisen für alle Produkte etwa 50 % ausmacht. Das bedeutet, daß sich eine Lohnerhöhung von 7 % in den Preisen mit rund 3,5 % niederschlägt. Diese Tatsachen festzustellen, ist die Voraussetzung dafür, daß man in verantwortungsvoller und intelligenter Weise über Lohnpolitik sprechen kann. ({13}) Die flexiblen Wechselkurse, die wir eingeführt haben, halten wesentliche ausländische Probleme von uns fern. ({14}) - Ich komme auf die Tarifautonomie noch zu sprechen. Das Entscheidende aber ist, daß wir im Jahre 1977 den zweithöchsten Exportüberschuß in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erzielt haben. Wenn man einen Exportüberschuß von fast 38 Milliarden DM erzielen kann, ist die Ursache für die Probleme im Inland, für die Arbeitslosigkeit nicht auf unseren Exportmärkten, sondern im Inneren zu suchen. Wir können dankbar sein, daß die Exportindustrie dafür gesorgt hat, daß die Probleme nicht noch schlimmer werden. ({15}) Aber die Bundesregierung vertritt offensichtlich die Auffassung, daß, wenn es durch das Dach regnet, nicht das Dach verantwortlich ist, sondern der Regen, und daß man entweder abwarten muß, bis es aufhört zu regnen, oder das ganze Haus abreißen muß - was die von der Linken präferierte Lösungsmethode ist -, um auf diese Weise den Schaden zu beheben. ({16}) Tatsächlich sind die außenwirtschaftlichen Einwirkungen auf unsere innere Konjunktur, auf unsere binnenwirtschaftliche Lage zurückgegangen, und wesentliche Ursachen für unsere Probleme liegen im Inneren. Ich möchte mich mit einigen dieser Ursachen aus Anlaß der Debatte über den Einzelplan 09 befassen. Nach meiner Auffassung sind insbesondere vier Ursachen für die gegenwärtige Stagnation und die Arbeitslosigkeit verantwortlich zu machen: einmal die Entwicklung der Lohn- und Einkommenspolitik, zum zweiten die Folgen einer Überlastung des Systems der sozialen Sicherung in manchen Bereichen, zum dritten eine Verbürokratisierung und Überlastung der Wirtschaft mit Reglementierungen einschließlich des öffentlichen Sektors, viertens die fehlenden Zukunftsperspektiven und die fehlende Umsetzung von Zukunftserkenntnissen in praktische Gegenwartspolitik. Was ganz entscheidend bei diesem vierten Punkt ist - ich werde darauf zurückkommen -, ist, daß das Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Gegenwart und den Notwendigkeiten der Zukunft in den letzten Jahren zunehmend gestört worden ist und daß diese Regierung mit ihrer geringen Mehrheit im Parlament, die nicht nur in der Terrorgesetzgebung, sondern auch in der Wirtschaftspolitik in Wirklichkeit gar nicht mehr besteht, diese Probleme nicht lösen kann. ({17}) Allen diesen greifbaren und nachweisbaren Ursachen liegt ein allgemeineres Dilemma der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der Bundesregierung zugrunde. Die Bundesregierung weigert sich, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland - und zwar gerade auf Grund der Leistungen der sozialen Marktwirtschaft - während der letzten fast 30 Jahre inzwischen eine Arbeitnehmergesellschaft geworden sind, daß 85 % unserer Bürger entweder Arbeitnehmer sind oder Arbeitnehmerhaushaltén angehören und daraus folgt, daß der überwiegende Teil der Forderungen, die im Namen der Arbeitnehmer von Parteien geltend gemacht werden, Forderungen sind, die von denselben Arbeitnehmern bezahlt werden müssen, welche die Forderungen angeblich erheben, welche sie aber in Wirklichkeit gar nicht mehr erheben, weil die Einsicht der Arbeitnehmerbevölkerung draußen in wirtschaftspolitische Zusammenhänge sehr viel weiter entwickelt ist als die mancher Systemveränderer. ({18}) Das wirkliche Problem und der Grund für die Stagnation in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik ist, daß die Sozialpolitik unter sozialdemokratischer Einflußnahme inzwischen zu einer Umverteilungspolitik geworden ist und daß die einzigen, die von dieser Umverteilungspolitik noch profitieren, diejenigen sind, die vorwiegend nach parteipolitischen Gesichtspunkten die Umverteilungsbürokratie besetzen. ({19}) Diese Diskussion über die Umverteilung bedeutet, daß wir uns in der weiteren Entwicklung der Wirtschaftspolitik fragen müssen, ob wir nicht mit weiteren Belastungen des ökonomischen Kreislaufs genau das Vertrauen beeinträchtigen, das im Jähreswirtschaftsbericht für notwendig gehalten wird und das wir schon seit Jahren immer wieder als notwendig betonen, genau die Eigeninitiative beeinträchtigen, die wir brauchen, um die Schubkraft zu entwickeln, die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen, und genau die Bereitschaft zur selbstverantwortlichen Mitwirkung der Bevölkerung bei der Lösung unserer wirtschaftlichen Probleme dämpfen und abbauen, ohne die es unter freiheitlichen Bedingungen keine Genesung vom gegenwärtigen Stagnationszustand geben kann. ({20}) Zunächst zum Problem der Lohn- und Einkommenspolitik. Daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lohn- und Einkommenspolitik einerseits und der Arbeitslosigkeit andererseits besteht, kann schlechterdings nicht geleugnet werden. Hier hat die Bundesregierung heute Fehler auszubaden, die in die Anfangszeit ihrer Regierungszeit zurückreichen. Insbesondere die ziemlich zu Beginn der Regierung Brandt abgegebene Vollbeschäftigungsgarantie hat dazu geführt, daß die beiden Tarifparteien aus der unmittelbaren Verantwortlichkeit für die Folgen ihrer Tarifpolitik, was die Arbeitslosigkeit anbetraf, entlassen wurden ({21}) und daß die Regierung gewissermaßen die Verantwortung für die Vollbeschäftigung übernommen hat, die sie aber unter Aufrechterhaltung der Tarifautonomie gar nicht übernehmen kann. ({22}) Diejenigen, die eine Vollbeschäftigungsgarantie ausgesprochen haben, haben damit zum Nachteil der Tarifautonomie den Zusammenhang zwischen dieser Autonomie, ihrer Ausübung und den Folgen für die Arbeitnehmerbevölkerung aufgehoben. Es kann aber, wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom Mai 1974 gesagt hat, eine verantwortungsvolle Tarifautonomie nur geben, wenn die Folgen der Tarifpolitik in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. ({23})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reuschenbach?

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Professor Biedenkopf, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie mit dieser Theoretisiererei über die Verantwortung der Regierung und das Aus-der-Verantwortung-Entlassen der Gewerkschaften und der Tarifparteien erklärt haben, daß die Tarifpolitik seit X Jahren eine verantwortungslose war, und Sie damit dieses Etikett den Tarifpartnern aufgeklebt haben? ({0})

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist vollkommen falsch - das wissen Sie auch selbst -, sondern die Bundesregierung hat angeboten, die Vollbeschäftigung zu garantieren, ohne gleichzeitig irgendeinen Einfluß auf die Tarifpolitik zu nehmen - mit der Folge, daß die Gewerkschaftsführer heute vollkommen zu Recht sagen: Wenn Arbeitslosigkeit besteht, muß die Regierung für Vollbeschäftigung sorgen; und die Gewerkschaften lehnen es vor diesem Hintergrund ab, in eine Diskussion über den Zusammenhang zwischen Tarifpolitik und Vollbeschäftigung einzutreten, mit der Folge etwa, daß die vom Sachverständigenrat in seinem letzten Jahresgutachten vorgetragenen Zusammenhänge von führenden Gewerkschaftsfunktionären als „Geschwafel" abgetan worden sind. Das ist doch die Situation. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, es besteht noch der Wunsch des Kollegen Sperling auf eine weitere Zwischenfrage. Ich frage, ob Sie diese zulassen.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte. Das ist aber dann die letzte Zwischenfrage, da ich nicht soviel Zeit habe.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Biedenkopf, stimmen Sie mir denn zu, daß, wenn man so sagt wie Sie, nämlich daß die Folgen der Tarifpolitik einsichtig werden sollten, mehr Mitbestimmung der richtige Weg wäre, Einsicht zu gewähren und zu gewinnen?

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vorausgesetzt, daß die Mitbestimmung wirklich unter Bedingungen der Transparenz stattfindet. Wenn aber Mitbestimmung bedeutet, daß für die große Mehrheit der Bevölkerung ein Vorgang zugeht und später nur noch die Ergebnisse auf der Bühne sichtbar werden, würde ich sagen: nein. ({0}) - Ich kenne mein Gutachten ziemlich genau, Verehrter. In diesem Gutachten steht gerade drin, und zwar als einstimmiges Votum aller neun Sachverständigen - die ja unter dem Gesichtspunkt zusammengesetzt wurden, daß sie sich möglichst nicht einigen sollen -, daß ein enger Zusammenhang zwischen der Tarifpolitik, der Autonomie der Tarifparteien und den von mir beschriebenen Konsequenzen besteht und deshalb bei der Gestaltung der Mitbestimmung Sorge dafür getragen werden muß, daß die Probleme, die wir hier diskutieren, nachher nicht in den mitbestimmten Gremien internalisiert werden und der Öffentlichkeit so nicht mehr plausibel gemacht werden können. ({1}) Das war einer der Hauptgesichtspunkte der Mitbestimmungskommission, dafür die glatte Parität abzulehnen. Wir müssen bei der Analyse der Einkommens-und Lohnpolitik von den tatsächlichen Gegebenheiten im Arbeitsmarkt ausgehen. Dazu gehört zuerst, daß wir von der Vorstellung Abschied nehmen, die Vollbeschäftigung könne nur durch eine Vermehrung der Kaufkraft im Wege der Tarifpolitik gewährleistet werden. Ich möchte hier ausdrücklich erklären, daß ich den Ausführungen des Sachverständigenrates zustimme, der diese Kaufkrafttheorie oder Nachfragetheorie kritisch durchleuchtet hat. Der Versuch, durch eine über den Produktivitätsfortschritt hinausgehende Lohnforderung die Kaufkraft der Haushalte zu verstärken, führt unweigerlich dazu, daß diejenigen, die Arbeit haben, über ein höheres Einkommen verfügen, daß aber die Bruttolohnsumme insgesamt sehr viel langsamer steigt. Das können wir über die letzten Jahre beobachten, weil eben wegen des angehobenen Lohnniveaus eine größere Zahl von vor allem ungelernten Arbeitnehmern aus dem Produktionsprozeß ausscheiden muß. ({2}) Das ist nun einer der wesentlichsten Zusammenhänge, die vor allem auch in der öffentlichen Diskussion klargemacht werden müssen. Das gleiche gilt für Anstrengungen, die Kapazitäten der Industrie zu steigern. Die Industrie hat heute in unserem Lande Kapazitäten, die es ihr erlauben, eine wesentliche Produktionssteigerung - bis zu 5 °/o - vorzunehmen, ohne neue Arbeitskräfte zu beschäftigen. Daß die außenwirtschaftliche Erklärung für die Arbeitslosigkeit nicht stimmt, habe ich bereits vorgetragen. Der Arbeitslosigkeit können wir nur dann zu Leibe rücken, wenn wir wissen, wie sich die Zahl der Arbeitslosen zusammensetzt. Ich hätte mir gewünscht, daß in dem jetzt verabschiedeten Jahreswirtschaftsbericht oder, noch wichtiger, in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers wenigstens einige wichtige Aussagen zu diesem zentralen Problem enthalten gewesen wären, was angesichts der epischen Breite dieses Dokuments nicht zuviel verlangt gewesen wäre. ({3}) Analysieren wir die Arbeitslosigkeit, so stellen wir fest, daß etwa 53 % - das sind die jüngsten Zahlen - der Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland ungelernte oder angelernte Arbeitnehmer sind, daß es eine nennenswerte Facharbeiterarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik nicht gibt, daß insbesondere die rund 200 000 offenen Stellen fast alles Stellen für höherqualifizierte Arbeitskräfte sind und daß diesen Stellen etwa die gleiche Zahl von arbeitslosen Facharbeitern gegenübersteht, deren Verweildauer in der Arbeitslosigkeit aber zum überwiegenden Teil unter drei Monaten liegt. Deshalb muß davon ausgegangen werden, daß es sich hier um eine Arbeitslosigkeit handelt, die durch Mobilität ausgelöst wird. Dafür spricht auch, daß im vergangenen Jahr etwas mehr als sechs Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik ihren Arbeitsplatz gewechselt haben, zum Teil mit nicht unwesentlichen Verbesserungen ihrer Einkommen, und daß von diesen 3,2 Millionen vermittelt wurden. Das heißt: fast drei Millionen haben auf Grund eigener Initiative Mobilität entfaltet, insgesamt waren es fast 25 % der gesamten Arbeitnehmerschaft. Das heißt: wir haben eine große Mobilität, und mit dieser Mobilität ist in geringerem Umfang auch Arbeitslosigkeit verbunden. Deshalb wird nach den Standards der Internationalen Labour-Organisation diese Arbeitslosigkeit auch gar nicht im politischen Sinne als Arbeitslosigkeit gewertet. Das Kernproblem unserer Arbeitslosigkeit sind die ungelernten und angelernten Arbeitnehmer. Darunter sind ein ganz wesentlicher Teil Frauen. Diese Arbeitslosen können aber nicht ohne weiteres durch eine Produktionssteigerung wieder in die Wirtschaft zurückgeführt werden, und zwar deshalb, weil auf jeden ungelernten oder angelernten Arbeitnehmer zwei Facharbeiter kommen und weil man die Zahl der ungelernten oder angelernten Arbeitnehmer nicht außer Relation zu den Facharbeitern vermehren kann, die Facharbeiter aber jetzt schon knapp sind. Hier müssen ganz andere Mittel entwickelt werden. Eines der Mittel ist eine intensive Bildungs- und Ausbildungsanstrengung zugunsten derer, die nichts gelernt haben oder nur etwas angelernt haben. Das gilt vor allem für die Jugendarbeitslosigkeit. Zum zweiten müssen wir uns darüber im klaren sein, daß die Zahl der Arbeitsplätze für ungelernte oder angelernte Arbeitnehmer in dem Umfang abnimmt, in dem der Preis, der für diese Arbeit verlangt wird, zusätzlich der sozialen Zuschläge, Abgaben und sonstigem weit über das hinausgeht, was als Produktivität bei solchen Arbeitsplätzen erzielt werden kann. Dies ist eines der zentralen Probleme, mit denen wir uns befassen müssen. Wir müssen uns mit der Frage deshalb befassen, weil die gegenwärtige Arbeitslosigkeit ungelernte oder angelernter Arbeitnehmer nur ein Symptom für sehr viel gravierendere zukünftige Entwicklungen ist. In der Vergangenheit haben technologische Revolutionen oder Veränderungen grundsätzlicher Art immer dazu geführt, daß die Nachfrage nach ungelernten oder angelernten Arbeitskräften gestiegen ist. Die jetzt stattfindende technologische Veränderung läuft nach einem anderen Muster ab. Sie läuft nach einem Muster ab, das darauf hinausläuft, daß Facharbeiter gefragt werden und daß ein höheres Bildungsniveau der Bevölkerung insgesamt, und zwar Fachbildungsniveau, erforderlich wird. Dies ist sicherlich bekannt. Aber wenn ich das etwa mit den unter sozialdemokratischer Verantwortung stattfindenden bildungspolitischen Maßnahmen in den Ländern vergleiche, dann kann ich nur sagen, daß die Ideologen durch noch so viel Sachkenntnis nicht davon abgebracht werden können, ihre Gesellschaftsveränderung über die Schulen zu betreiben. Denn niemand wird mit dem, was man dort über die Notwendigkeit der Gesellschaftsveränderung lernt, in die Lage versetzt, später einen ordentlichen Facharbeiterberuf auszuüben. ({4}) Es ist ja nicht ohne inneren Zusammenhang, daß etwa in Nordrhein-Westfalen ein Viertel der Jugendlichen, die die Hauptschule besuchen, ohne Hauptschulabschluß abgehen und daß die dann das Hauptkontingent der späteren jugendlichen Arbeitslosen stellen. ({5}) - Das ist nicht zutreffend. Die Zahl ist verkehrt. Das zweite Problem ist das Problem der sozialen Sicherung. Wir haben, wenn wir das Problem der Arbeitslosigkeit lösen wollen, nicht nur nach der Vermehrung von Arbeitsplätzen in den bestehenden Betrieben zu fragen, sondern wir haben auch danach zu fragen, wie wir die Zahl der Arbeitgeber vergrößern können. Ich habe vorhin mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Herr Sperling über die mittelstandfördernden Maßnahmen sprach. Sicher, wir alle begrüßen mittelstandfördernde Maßnahmen. Aber warum sind diese Maßnahmen denn notwendig? Weil die Politik in den letzten Jahren den Mittelstand und die kleineren und mittleren Betriebe in eine Lage gebracht hat, daß sie zum Staat gehen und betteln müssen, um etwas von dem wiederzubekommen, was man ihnen unter ideologischen Umverteilungsgesichtspunkten erst weggenommen hat. ({6}) Mittelstand, Handel und Handwerk wären durchaus in der Lage, auch in einer komplizierten Wirtschaft zu überleben, wenn man sie nicht in ein immer größer werdendes Umverteilungssystem einbeziehen würde, das längst in vielen Bereichen seinen sozialen Anspruch verloren hat und auf. GleichmaDr. Biedenkopf cherei tendiert. Von den beschäftigten Arbeitnehmern in der Bundesrepublik sind z. B. 4 Millionen beim Handwerk beschäftigt. Wenn man diese 4 Millionen beim Handwerk nun mit der gesicherten Entwicklung in Verbindung setzt, daß die Quote derer, die sich selbständig machen wollen, in der Bundesrepublik Deutschland von 17 auf 7 % zurückgegangen ist, so bedeutet das, daß das Reservoir an Bürgerinnen und Bürgern, die bereit sind, einen Handwerksbetrieb zu eröffnen oder fortzuführen, geschmolzen ist, und zwar auf weniger als die Hälfte. Wenn aus dem Kreis der 500 000 Handwerksbetriebe aber nur 100 000, d. h. ein Fünftel, ausscheiden, weil sie die Bürde der Reglementierung, der Überwälzung von Risiken, der Steuern etc. nicht mehr tragen wollen, dann werden damit rund 800 000 Arbeitsplätze beseitigt. ({7}) Diese Zusammenhänge müssen vor allem von einer Regierung deutlich gemacht werden, die für sich in Anspruch nimmt, nicht nur mehr Demokratie, sondern auch mehr Transparenz zu wagen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß eine Vermehrung der Arbeitgeber und damit eine Vermehrung der Arbeitsplätze nur möglich ist, wenn wir den Wunsch zur Selbständigkeit nachhaltig fördern, ({8}) und zwar nicht nur mit staatlichen Darlehen, sondern vor allem mit einer auf solche Ziele ausgerichteten allgemeinen Politik. ({9}) Mir hat neulich ein Meister gesagt, der einen Handwerksbetrieb hatte, er habe sich entschlossen, diesen Handwerksbetrieb zu schließen und statt dessen in ein Angestelltenverhältnis einzutreten. Als selbständiger Handwerker müsse er im Schnitt 56 Stunden, als angestellter Meister in einem Unternehmen 42 Stunden in der Woche arbeiten. Als selbständiger Handwerksmeister müsse er für seine Altersversorgung unter außerordentlich ungünstigen Bedingungen selbst aufkommen, im Betrieb würde er nicht nur die Hälfte der Zahlungen für die Rentenversicherung, sondern eine zusätzliche Betriebsrente erhalten, für die er überhaupt keinen Aufwand betreiben müsse. Als selbständiger Handwerker müsse er mit seiner Frau zusammen jeden Abend und an den Wochenenden die ungeheure Flut von Papier, Reglementierungen, Anfragen und Formularen bearbeiten, im Betrieb würde das die Lohn- und Gehaltsabteilung für ihn tun. Er habe sich entschlossen, in dieser Weise seine Selbständigkeit aufzugeben und hinsichtlich der Stundendifferenz, die er zwischen 42 und 56 Arbeitsstunden habe, seine Leistungen unternehmerisch anzubieten, ohne ein eigenes Unternehmen zu haben - sprich: schwarzzuarbeiten. Wenn die Politik zu solchen Entwicklungen führt, dann ist sie ungeeignet, in einer marktwirtschaftlichen Ordnung die Vollbeschäftigungsfrage zu lösen. ({10}) Wenn die Wettbewerbspolitik, die im Jahreswirtschaftsbericht -auch angesprochen ist, in dieser Weise konterkariert wird, wenn eine Prämie auf Unternehmensgröße gezahlt wird, weil nur noch Großunternehmen die Verbürokratisierung bewältigen können, weil nur Großunternehmen die sozialen Lasten intern nach dem Gesetz der großen Zahl ausgleichen können, dann nützt eine marktwirtschaftliche Kartellpolitik nichts mehr, weil die Zangenbewegung von Verbürokratisierung, Reglementierung, Belohnung der Unternehmensgröße im Bereich der Subvention, im Bereich des sozialen Systems viel stärker als der Widerstand ist, den der Wirtschaftsminister oder das Kartellamt gegen Wettbewerbsbeschränkungen leisten können. ({11}) Damit haben wir den letzten Punkt, die Frage der Zukunftssicherung, angesprochen. Es ist - ich stimme darin mit dem Jahreswirtschaftsbericht überein - für eine Wiederbelebung unserer Wirtschaft unerläßlich, Vertrauen in die Zukunft zu haben. Richtig verstanden ist es die Aufgabe der staatlichen Wirtschaftspolitik, die Daten zu sichern, an denen sich Unternehmer bei ihren Entscheidungen orientieren, die soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen und damit in die Ergebnisse des Marktprozesses mit dem Ziel der Korrektur einzugreifen und auf diese Weise Offenheit, Wettbewerb, soziale Gerechtigkeit zu sichern. Das setzt aber voraus, daß überhaupt eine Zukunftsperspektive erkennbar wird. ({12}) Mir hat neulich ein mittelständischer Unternehmer mit 300 Mitarbeitern gesagt, als ich mit ihm in Nordrhein-Westfalen sprach: Fragen Sie einmal den Bundeskanzler, ob er bereit wäre, in NordrheinWestfalen zu investieren, einem Land, das von Herrn Kühn verwaltet wird! ({13}) Diese Frage reduziert das Problem des Vertrauens auf eine schlichte Formel, und solche Formeln kann man hören, wenn man draußen ist. ({14}) Es ist nicht möglich - der Jahreswirtschaftsbericht sprach schon von gesteigerten Marktrisiken -, daß die Unternehmer in einer bedrängten marktwirtschaftlichen Situation alle die Probleme lösen, die in anderen Bereichen der Gesellschaft durch eine verfehlte Wirtschafts- und Ordnungspolitik aufgerissen werden. ({15}) Die Soziale Marktwirtschaft hat zwar eine enorme Pufferkraft und Auffangwirkung, aber man darf diese Auffangfähigkeiten nicht überfordern. Wenn man schon vom Überfordern der Wirtschaft spricht, dann ist es eben eine Überforderung, der Wirtschaft nicht die Möglichkeit zu geben Eigenkapital zu bilden, der Wirtschaft nicht die Möglichkeit zu geben, sich langfristig auf Energiefragen einzustel5324 len, der Wirtschaft nicht die Möglichkeit zu geben, zu wissen, ob man Kraftwerke im Ruhrgebiet oder in Nachbargebieten bauen kann oder nicht. ({16}) - Forschungsinvestitionen, alles was dazu gehört. Wir haben in Nordrhein-Westfalen heute die Situation, daß die neue TA Luft nach allgemeiner Auskunft der Sachverständigen Investitionen überhaupt nur dann erlaubt, .wenn man von ihr Ausnahmen gewährt. ({17}) Ich habe noch niemanden gesehen, der bereit ist, sich langfristig auf Ausnahmen als Investitionsgrundlage zu verlassen. ({18}) Diese Feststellungen, meine Damen und Herren, stammen im übrigen alle aus angesehenem sozialdemokratischen Lager. Deshalb verstehe ich die Aufregung hier drüben gar nicht. Herr Apel hat selbst erklärt, wir könnten keine Innovationen und Investitionsstöße von den öffentlichen Projekten erwarten, weil sie in der Verbürokratisierung hängenblieben. Herr Apel hat festgestellt - der Jahreswirtschaftsbericht wiederholt das -, daß Wachsturn nur von Privatinvestitionen erwartet werden könne. Was meine Damen und Herren von der Regierung, tun Sie denn, um den Unternehmern eine langfristige ordnungspolitische Gewährleistung zu bieten und ihnen zu sagen, wohin die Reise geht? ({19}) Zur Zukunftssicherung gehört, wenn ich den Satz des Jahreswirtschaftsberichts von der Notwendigkeit von Privatinvestitionen akzeptiere, eine Vermehrung des Eigenkapitals in der Produktion, Dies, meine Damen und Herren, ist nur möglich - damit schließt sich der Kreis zwischen den vier Punkten -, wenn sich die Privathaushalte stärker als bisher an langfristigen Investitionen beteiligen. Die Privathaushalte tun das aber nicht. Die Arbeitnehmer beteiligen sich nach der Statistik im Rahmen der vermögenswirksamen Leistungen heute nur noch mit 3 % am Aktienkauf, dagegen, im Jahre 1977, mit über 50 % durch Sparkonten, mit etwa 20 % durch Lebensversicherungen und mit dem Rest durch Bausparverträge. Warum scheuen denn die Arbeitnehmer die Aktie als Anlageinstrument? Weil sie nichts bringt, ({20}) weil sie nicht mehr rentabel ist und weil es deshalb für den Arbeitnehmerhaushalt keinen ökonomischen Anreiz mehr gibt, einen Teil seines Einkommens für die langfristige Sicherung seines eigenen Arbeitsplatzes zur Verfügung zu stellen. ({21}) Hier wird nun in dramatischer Weise deutlich, was es bedeutet, zu übersehen, daß wir inzwischen in einer Arbeitnehmergesellschaft leben. Wenn man die Steuerpolitik, wenn man die Sozialpolitik, wenn man die Einkommenspolitik, wenn man die generellen politischen Zielvorstellungen immer noch an der Vorstellung ausrichtet, die z. B. in der nordrhein-westfälischen Bildungspolitik der SPD deutlich wird - dort kann man ja nachlesen, wie die Sozialdemokraten die Zukunft wirklich sehen -, wenn überall gesagt wird, daß auch in Zukunft die Umverteilung in diesem Lande zu Lasten der Kapitalisten und zugunsten der Arbeitnehmer stattfinden muß, und wenn man den Arbeitnehmern nicht klarmacht, daß inzwischen unternehmerische Tätigkeit eine Dienstleistung für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung geworden ist, so wie andere Dienstleistungen auch, dann werden wir nie das politische Klima in diesem Land bekommen, das z. B. den Gewerkschaften erlaubt, höhere Unternehmergewinne als das zu akzeptieren, was sie sind, nämlich eine Investition in die Zukunft. ({22}) Solange diese Regierung jede vermögenspolitische Initiative abblockt, wie jetzt die der Bayerischen Staatsregierung im Bundesrat, und gleichzeitig dann immer nach Alternativen fragt, werden eben die Privathaushalte langfristig nicht investieren können, denn die Investition der Privathaushalte in Produktionsanlagen außerhalb der Aktien ist heute mit einem so gigantischen Hindernisrennen über gesetzliche Vorschriften verbunden, daß kein Mensch das durchführen kann. Die Bereinigung dieser Vorschriften, wie sie die Bayerische Staatsregierung kürzlich in einer Initiative im Bundesrat angeregt hat, ist von der Bundesregierung abgelehnt worden. Das ist die Realität der Vermögenspolitik und nicht die schönen Sonntagsreden, die einzelne marktwirtschaftliche Vertreter in der Regierung täglich halten. ({23}) Um diese Verbindung, meine Damen und Herren, der Notwendigkeit langfristiger Investitionen, des Anlageverhaltens der Privathaushalte und der Vollbeschäftigung geht es. Es geht darum, daß die Menschen in unserem Lande Chancen bekommen, und zwar realistische Chancen, sich an ihrer eigenen Zukunft zu beteiligen, nicht nur über den Rangierbahnhof von Sparkonten, wohin heute das meiste Geld fließt, sondern in langfristiger Eigenvorsorge. Solange es eben für einen Handwerksmeister nicht möglich ist, ein Fünffamilienhaus als privat finanziertes Rentenobjekt zu bauen und dann mit einer angemessenen Rendite zu rechnen, wird er im Ergebnis die Flucht in die Unselbständigkeit einem risikoreichen selbständigen Leben vorziehen und uns damit verlorengehen als ein Bürger, der bereit ist, zehn weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist der Zusammenhang. ({24}) Die Stagnation in unserem Lande läßt sich nur überwinden, wenn es gelingt, folgendes zu erreichen: erstens, daß die Zahl der Arbeitgeber, insbesondere derer, die Arbeitsplätze für un- und angelernte Arbeitskräfte, Teilzeitarbeitskräfte und insbesondere Frauen zur Verfügung stellen, vermehrt wird. Es ist nicht zu erwarten, daß in der etablierDr. Biedenkopf ten Industrie, vor allem in der Großindustrie, diese Arbeitsplätze entstehen können, sondern hier ist doch gerade nach dem, was über die Strukturprobleme bei Kohle und Stahl zutreffend gesagt worden ist, zu erwarten, daß die Zahl der Arbeitsplätze für un- oder angelernte Arbeitskräfte zurückgehen wird. Das heißt, wenn wir nicht alle Arbeitslosen auf ein Bildungs- und Ausbildungsniveau heben können, wie es dem des Facharbeiters, des qualifizierten Facharbeiters entspricht - und das ist jedenfalls kurzfristig nicht möglich -, müssen wir mehr Arbeitsplätze im Bereich der einfacheren Dienstleistungen haben. Die Voraussetzung dafür ist: mehr Arbeitgeber. Wir haben heute in der Bundesrepublik einen Rückgang des Anteils des Dienstleistungsgewerbes am Bruttosozialprodukt und keinen Anstieg, wie er immer als Folge der zweiten industriellen Revolution vorausgesagt wurde, und zwar deshalb, weil die Kosten unter Einschluß der sozialen Belastungen inzwischen so hoch angestiegen sind, daß diese Dienstleistungen über den Markt gar nicht mehr ausreichend nachgefragt werden. Wenn es dazu noch eines Beweises bedürfte, dann ist. es der wachsende Schwarzmarkt für Arbeit. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland heute einen Schwarzmarkt für Arbeit, dessen Umsatz allein im handwerklichen Bereich auf 25 bis 28 Milliarden geschätzt wird. Rechnet man dazu noch alle Dienstleistungen einfacherer Art, z. B. in den Haushaltungen, in anderen Kleinst- und Kleinarbeitgeberbereichen, kann man ohne Gefahr schätzen, daß zwischen 3 und 31/2 % unseres Bruttosozialproduktes auf diesem Arbeitsmarkt umgeschlagen wird. Das ist ein Arbeitsmarkt, in dem eine Nachfrage befriedigt wird, die entfallen würde, wenn sie zu legalen Preisen befriedigt werden müßte; sonst würde sie nämlich zu legalen Preisen befriedigt werden können. Damit haben wir, und zwar gerade in den letzten Jahren, ein Indiz dafür, daß wir im Bereich der Umverteilung der sozialen Lasten, insbesondere beim Klein- und Kleinstarbeitgeber, uns etwas Neues einfallen lassen müssen. Wenn ein Rechtsanwalt mit zwei Beschäftigten damit rechnen muß, daß er einen dritten Arbeitsplatz braucht, wenn eine seiner beiden Sekretärinnen schwanger wird, wird er sich überlegen, ob er sich überhaupt zwei leisten kann. Deshalb sagt die Europäische Gemeinschaft in ihrem letzten Bericht über die Arbeitslosigkeit, die Gefahr bestehe,' daß soziale Regelungen zum Schutz der Frauen, die wir alle billigen, die Frauenarbeitslosigkeit verstärken. Soweit die Europäische Kommission. ({25}) Hier ist Phantasie gefordert. Aber Voraussetzung dafür, daß wir diese Phantasie entfalten, ist, daß nicht jeder, der zu denken wagt, von dieser Seite des Hauses als jemand diffamiert wird, der soziale Demontage zugunsten der Kapitalisten betreibt. ({26}) Meine Damen und Herren, wir werden in diesem Bereich Phantasie entfalten, weil wir wissen und weil wir von draußen gesagt bekommen, daß die Menschen es leid sind, in einem immer unüberschaubareren System immer mehr Hände in immer mehr Taschen zu haben, ohne daß noch der eine weiß, was er dem anderen nimmt oder gibt. Diese Art von Politik, deren Unübersichtlichkeit im letzten Jahr schon durch die Einsetzung einer Transfereinkommensenquete von der Regierung dokumentiert worden ist und an der sich nichts geändert hat, ist wie eine Last auf wachsenden Initiativen. Sie werden dadurch unterdrückt, die Unselbständigkeit wird belohnt, die Selbständigkeit wird bestraft. Ohne diese Selbständigkeit haben wir aber keine Zukunft. Meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers wurden am Schluß zwei Fragen gestellt. Die eine Frage, die auf eine Frage von Herrn Kollegen Brandt zurückging, lautete: Muten wir in der Demokratie den Bürgern genug zu? Der Bundeskanzler hat die Frage ebenso wie Herr Brandt mit Nein beantwortet. Die zweite Frage war: Welche Perspektiven und Ziele haben wir für den Idealismus der Jugend? Ich hätte mir gewünscht, daß diese beiden Fragen am Beginn der Regierungserklärung gestanden hätten und dann beantwortet worden wären. Tatsächlich sind sie nicht beantwortet. Die Jugend und ihre Zukunft wird derzeit mit den Ruinen einer verfehlten Reformpolitik zugestellt. Wenn ein junger Mann heute die Frage stellt: „Wie sieht denn meine Situation in 10 bis 15 Jahren aus?", so kann man sie ihm ehrlicherweise nicht mehr beantworten, weil das, was an ungelösten Problemen einer handlungsunfähigen Koalition auf die Zukunft vertagt wird, in seinen Auswirkungen unabsehbar ist. ({27}) Wir müssen diesen Teufelskreis durchbrechen. Wir müssen den Mut haben, heute über Tatbestände und Tatsachen zu reden, auch dann, wenn mächtige Organisationen das als Schwafelei abtun sollten. Wir hier im Parlament sind der Vertreter des Souveräns, des Volkes, und nicht Großorganisationen. Wir haben ein Interesse daran, diese innere Souveränität unseres Staates allen gegenüber zu wahren: den Großbanken, den Gewerkschaften, den Unternehmerverbänden und vor allem allen denjenigen, die in unserem System durch Ideologieveränderung das erreichen wollen, was allein sie noch in die Lage versetzen würde, ihre politischen Ziele zu verwirklichen, nämlich eine Zerstörung von innen heraus. Wir werden - als Opposition im Land, im Bund; dort, wo wir regieren, mit der Hilfe unserer Regierungen - dafür Sorge tragen, daß die Dynamik wiederbelebt werden kann, die wir brauchen, um unsere Krise zu überwinden. Wenn der neue Bundeswirtschaftsminister in diesem Punkte einen Verbündeten brauchen sollte, weil er ihn in der eigenen Koalition nicht findet: Wir sind dafür da! ({28})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Bemerkung außerhalb des Einzelplans 09. Herr Kollege Biedenkopf, die Bundestagsfraktion der SPD bedauert, daß Sie die Gelegenheit dieses Auftritts nicht dazu benutzt haben, die Vorwürfe und Unterstellungen zurückzunehmen, die Sie völlig unbegründet der Bundesregierung in Ihrer Abhöraffäre gemacht haben. Wir sind der Meinung, es wäre korrekt gewesen, das hier in Ordnung zu bringen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Biedenkopf?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich!

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Sie um eine Präzisierung bitten, welche Vorwürfe ich der Bundesregierung in dieser Abhöraffäre gemacht habe?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben der Bundesregierung unterstellt, daß sie dadurch, daß Ihr Gespräch mit Herrn Kohl abgehört worden sei, das Wirken der Opposition erschwert habe, Sie wissen inzwischen aber, daß die Bundesregierung mit dem Vorgang nichts zu tun hatte. ({0}) Das sollte man in Ordnung bringen. - Die Sache werde ich Ihnen dann bringen - ich habe sie mir aufgehoben - und Ihnen vorlegen. ({1}) - Sie haben ein kurzes Gedächtnis. ({2}) - Ich freue mich immer über Ihre Schmerzensrufe. Wenn idi mich jetzt dem Einzelplan 09 zuwende - ({3}) - Sie können es sich ja gern selber heraussuchen. Ich wundere mich, daß Ihr Gedächtnis so kurz ist, Herr Franke. ({4}) Wenn ich mich jetzt dem Einzelplan 09 zuwende -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe, damit der Redner fortfahren kann. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe!

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- - dann möchte ich an das anknüpfen, was gestern Willy Brandt hier gesagt hat; ({0}) denn wir hatten nach der Rede des Kollegen von Weizsäcker und dem weiteren Gang der Debatte gehofft, daß wir nicht zu der Polemik zurückkehren, die wir in der Rede von Herrn Strauß anzuhören hatten. ({1}) - Etwas in Ordnung zu bringen ist ja noch keine Polemik. ({2}) Leider hat Herr Biedenkopf diesen Gang der Debatte jetzt aber durchbrochen, ({3}) indem er - allerdings elegant verkleidet - gegen die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung praktisch doch wieder die gleiche Polemik vorgebracht hat. Verehrte Kollegen auf allen Seiten des Hauses, ich frage mich, wer von den Bürgern draußen, die diesen Schlagabtausch sehen, meint, daß wir tatsächlich über seine Probleme reden. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte im Zusammenhang sprechen. ({0}) - Ich möchte jetzt im Zusammenhang reden und Ihnen sagen, ({1}) daß meines Erachtens nicht nur auf einer Seite des Hauses ein Fehler gemacht wird, den ein amerikanischer politischer Schriftsteller einmal so beschrieben hat: Berufspolitiker - und dazu gehören ja mehr oder minder alle Bundestagsabgeordneten({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie, daß ich Sie einen Moment unterbreche. Ich glaube, so können wir nicht miteinander verfahren. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich habe hier nicht die Reden bewertet, sondern ich bitte darum, jetzt im parlamentarischen Verfahren dem Redner die Möglichkeit zu geben, sich hier mitzuteilen. Dazu müssen Sie ein bißchen zurückhaltender sein. ({1}) Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie in Ihrer Rede fort. Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 68. Sitzung. Bonn, Mittwoch,- den 25. Januar 1978 5327

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Er sagte, daß Berufspolitiker einen großen Fehler machen, indem sei nämlich einerseits die Information des Bürgers überschätzen und andererseits seinen gesunden Menschenverstand unterschätzen. ({0}) Ich glaube, daß die Störung im Verhältnis zwischen Bürgern, Parteien und Parlament mit daran liegt, daß wir oft alle zusammen - ich rede nicht nur von einer Seite des Hauses - diesen Fehler machen. Der Bürger weiß vielleicht nicht, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft heute über 5 Millionen und im OECD-Bereich über 15 Millionen Arbeitslose haben. Aber eines weiß er ganz genau: daß wir uns in schwerer See bewegen. Der Bundeskanzler hat den Bürgern mit einem Wort der Seefahrt zugerufen, der Bürger solle eine Hand für das Staatsschiff und eine für sich selbst anlegen. Ich darf einmal in diesem Bild bleiben. Wie sieht denn der Bürger, der unseren Debatten draußen zuhört, seine Lage? Ich glaube, er sieht sie etwa so: Er hält das Staatsschiff Bundesrepublik für ein solides, respektables Schiff mittlerer Größe, dessen technische Einrichtung, Ausstattung und Service gut bis sehr gut sind., Es gibt zwar immer noch drei Passagierklassen, aber die Unterschiede zwischen den Klassen sind nicht mehr so groß wie auf früheren Staatsschiffern, ({1}) so daß ,er im allgemeinen ein außerordentlich positives Verhältnis zu diesem Staatsschiff hat. - Ich weiß nicht, was es da zwischenzurufen gibt. Aber, Kollegen von der Opposition, der Bürger draußen, der -uns zuschaut und zuhört, hat auch genügend gesunden Menschenverstand, um zu wissen, daß dieses Staatsschiff heute wegen der Unruhe auf den Weltmeeren in schwerer See ist, daß es stampft und mühsamer vorankommt als in Gut-Wetter-Perioden. Er sieht daher auch, daß der Kapitän seine Prinz-Heinrich-Mütze noch fester aufsetzt, ({2}) hat aber das zutreffende Gefühl, daß das Schiff Kurs hält. Im Salon des Schiffes vertreten einige Passagiere erster Klasse währenddessen die Meinung, das Schiff stampfe nicht, weil schwere See sei, sondern weil der Kapitän unfähig sei. Darum schlagen Sie vor, es solle doch einmal einer aus der ersten Klasse ans Steuer gelassen werden. Sie können sich aber nicht einigen, wer von ihnen. ({3}) - Das ist zur Sache, und das wird draußen sehr gut verstanden. Der Bürger, der diese Behauptung hört, die Schwierigkeiten kämen vom Kapitän und nicht von der See, ({4}) schließt daraus, daß die Opposition dauernd über den Kapitän und die Mannschaft, nie über die Schwierigkeiten der See spricht, zu Recht, ({5}) daß Sie ein gebrochenes Verhältnis zur Schiffahrt haben, ja, vielleicht gar kein Verhältnis zur See. ({6}) Darum tut der Kapitän gut daran, sich von diesen Tönen aus der ersten Klasse nicht irritieren zu lassen. ({7}) - Es wäre doch nett, Herr Biedenkopf, wenn Sie so zuhören würden, wie ich Ihnen zugehört habe. ({8}) Es wäre nun gut, Herr Biedenkopf, wenn man sagen könnte, laßt doch dieses ganze Geschrei der Opposition, dieses An-der-Sache-Vorbeireden, ({9}) es schadet doch gar nichts, das Schiff fährt weiter. Ich glaube aber, es liegen zwei große Gefahren in der Art, wie wir idiskutieren - ich sage: wir hier diskutieren. Erstens. Die Konzentration auf diese Fragen bringt die Gefahr mit sich, daß man nicht mehr darüber redet, was einen an Wind, Wetter und See alles noch erwarten mag, d. h., es wird das Gefühl heruntergesetzt für das, was an Gefahren noch vor uns liegen mag. Das Zweite: Auch der Kapitän und die Offiziere, die antworten, kommen in die gleiche Gefahr; denn der Hinweis darauf, daß sich andere Schiffe noch viel schwerer tun und daß es auf anderen Schiffen nicht so gut aussieht wie auf unserem Schiff, ({10}) beantwortet ja nicht die Frage, was vor uns liegt. Ich bin der Meinung, wenn das so ist, dann sollten wir das auch zu Ihnen, Herr Biedenkopf, der Sie das rethorisch sehr elegant machen - doch einmal diese sinnlose Polemik in der Wirtschaftspolitik lassen ({11}) und gemeinsam fragen, was an Problemen vor uns liegt. ({12}) Die Kollegen Strauß und Biedenkopf haben sich einiges an Problemen herausgesucht, aber in einer sehr ideologischen Auswahl. Nehmen Sie z. B. die Prognosen. Die Prognosen der Institute waren falsch, die Prognosen der Re5328 gierung waren falsch, die Prognosen der Opposition waren falsch. ({13}) Wollen wir noch zehn Jahre lang ZettelkastenSchlachten darüber schlagen, oder wollen wir uns einmal klarmachen, daß wir alle gemeinsam vor der Schwierigkeit stehen, die Wirtschaft auch, die wirtschaftliche Entwicklung einigermaßen zuverlässig beurteilen zu können. Es gibt doch keinen von uns, weder auf der Regierungsbank noch hier noch da, der sagen kann: In den nächsten fünf Jahren wird das so aussehen. Diese Schwierigkeit muß man doch anerkennen, statt hier Ideologie zu verbreiten, wie das Herr Biedenkopf eben getan hat. ({14}) Hier kam der Zwischenruf „Renten", und darauf gehe ich ein. Wann hatten wir denn die erste Debatte über Rentensanierung? Die hatten wir 1966/67, als die Große Koalition u. a. gebildet wurde, um auch die Renten in Ordnung zu bringen. Dann haben wir Beitragserhöhungen beschlossen, die Beiträge um 4 % gesteigert, und dann stellte sich heraus, daß wir falsch gerechnet hatten. Es kam nämlich viel mehr in die Kassen, weil wir ganz andere Lohnzuwächse hatten, als zugrundegelegt worden war. Diese Probleme sind also nichts Neues. Als dann die Kassen voll waren, haben Sie Walter Arendt vorgeworfen, er säße auf 200 Milliarden, er enthielte sie den Rentnern vor. Dann haben wir hier zusammen beschlossen, was man mit dem zusätzlichen Geld macht, also nicht gegen Ihre Stimmen. Zum Teil gab es doch Ihrerseits Anträge, die weit über die unseren hinausgingen. Jetzt aber tun Sie so, als stünden wir vor einem Problem, das nicht den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf ein dynamisches Rentensystem entspringe, das ja praktisch ein Umlageverfahren ist - die Aktiven bringen das auf, was die Rentner bekommen -, sondern darin, daß die Mannschaft gewissermaßen Fehler beim Navigieren mache. Das ist doch eine unsinnige Diskussion! ({15}) Ich bin bereit, eine Kritik zu diskutieren. ({16}) - Ach, Herr Biedenkopf, wenn Sie einmal Kritik akzeptieren würden, wäre das noch sehr viel schöner. Ich bin dazu immer bereit, und hier akzeptiere ich die folgende Kritik: Man kann sagen: Gut, was du sagst, ist im Grundsatz richtig, aber hättet ihr dann nicht gleich Nägel mit Köpfen machen sollen, statt erst einmal abzuspecken, dann umzufinanzieren und jetzt schließlich doch - schon wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts - vor der Frage zu stehen, wie das System grundsätzlich aussehen wird? Diese Frage kann man stellen; sie ist berechtigt. Ich sage nur, es ist nicht nur menschlich verständlich, sondern auch ganz vernünftig, wenn man an eine solche Sache nicht voreilig herangeht. ({17}) - Aber nein, Herr Vogel! Im Wahlkampf war es doch so: Wir hatten Prognosen einer Wirtschaftsentwicklung, die nicht eingetreten sind. ({18}) - Ja, Sie reden heute davon, was Helmut Schmidt im Wahlkampf zu den Renten gesagt hat, ohne zu erwähnen, daß Herr Kohl damals im Fernsehen genau das gleiche gesagt hat, von einer „Rentengarantie" hat er gesprochen. ({19}) Ich richte an Sie die herzliche Bitte - denn ich sehe nicht, daß die Zeiten sehr viel einfacher werden, daß die See schnell ruhiger werden wird -: Lassen Sie uns doch die sachlichen Schwierigkeiten, vor denen wir gemeinsam stehen, erörtern, statt all diese Schwierigkeiten, die es nicht nur in der Bundesrepublik gibt, sondern die weit über die Bundesrepublik hinaus in einer Weltwirtschaftskrise begründet sind, in dieser parteipolitischen, kleinkarierten Weise, in der leider auch Sie, Herr Biedenkopf, es gemacht haben, der Regierung anzulasten. ({20}) Dann zu einem konkreten Punkt: Herr Biedenkopf, was Sie über die Sparquote gesagt haben, fand ich interessant. Das, was wir sonst den Sparern gesagt haben - insbesondere am Weltspartag -, lautet ganz anders. Es lautete, daß für Zukunftssicherung gespart werden soll. Und es ist doch auch ein Witz, zu behaupten, die Sparquote in* Deutschland sei erst jetzt hoch. Wenn sie noch höher ist als früher, dann u. a. deswegen, weil unsere Politik den Rentnern überhaupt erst Geld gegeben hat, das sie sparen können. ({21}) - Darauf kann ich nur antworten, daß Sie keine Ahnung haben; denn jeder von uns hat unendlich viel mit Rentnern zu tun, die Ihnen das bestätigen werden. ({22}) Die Rentner sind ja auch gar nicht unvernünftig. Die Rentner wissen, daß in einer Weltwirtschaftskrise die Renten nicht so weitersteigen können wie bisher. Das wissen die! ({23}) Aber es ist unverantwortlich, hier so zu tun, als wäre ihre Alterssicherung gefährdet und als würde der Generationenvertrag gebrochen. Wem soll denn das etwas nützen? ({24}) Sehen Sie, Herr Biedenkopf, ich lese da ja auch die Aufgabenstellung Ihres neuen' Instituts, von dem ich nicht weiß, wie es mit der CDU verbunden ist, ({25}) und ich sage Ihnen, wir müssen dann bei allen diesen liberal-konservativen Redensarten einmal klären, was gemeint ist. Wenn Sie mit uns der Meinung sind, daß in einer Industriegesellschaft die soziale Sicherheit, die Absicherung von Lebensrisiken, auf Solidarität beruht, diese Solidarität aber nicht immer etatistisch organisiert sein muß, können wir, glaube ich, ein ganzes Stück Weges gemeinsam gehen. Sie wissen, daß etwa der „Orientierungsrahmen 1985", den Sie ja auch apostrophiert haben, gerade in dieser Richtung antietatistische Vorschläge macht. Nur ist uns bis jetzt nicht klar, ob es hier um Antietatismus oder um Entsolidarisierung geht; denn das, was Sie etwa zur Privatisierung der Dienstleistungen vorgeschlagen haben, war das Gegenteil von dem, was wir Solidarität nennen. ({26}) Herr Biedenkopf, lassen Sie mich dann kurz auf die Art Ihrer ordnungspolitischen Argumentation eingehen. Die wirtschaftspolitische Diskussion ist für meine Begriffe auch deshalb so vergiftet, weil Modellvorstellungen der Nationalökonomie, genauer gesagt, der Freiburger Schule, wirtschaftspolitisch mißbraucht werden. Bei Ihnen nehmen wir das allerdings nicht so ernst, denn Sie treten hier als neoliberaler Ordnungspolitiker auf, gegenüber den Sozialausschüssen bekennen Sie sich zum Ahlener Programm, und vor den Wirtschaftsausschüssen fordern Sie eine Antigewerkschaftsgesetzgebung oder eine Antiverbandsgesetzgebung. Das alles ist nicht sehr glaubwürdig und paßt nicht zueinander. ({27}) - Herr Biedenkopf, jetzt nicht! Jetzt möchte ich weitersprechen. ({28}) - Herr Biedenkopf, Sie dürfen Ihre Frage gleich stellen, wenn ich mit der Argumentation zur Ordnungspolitik fertig bin. ({29}) Ich möchte diesen Gedanken erst zu Ende vortragen. ({30}) Ich sage zunächst einmal: Diese Modelle reinen Wettbewerbs können wissenschaftlich einen hermeneutischen Wert haben, aber wirtschaftspolitisch gewendet verzerren sie die wirtschaftspolitische Diskussion. Unsere Wirklichkeit ist eine gemischte Wirtschaftsordnung, die aus vielen Elementen besteht, während Sie einige Elemente herausziehen und sie zum Maßstab des Ganzen machen. Sie erheben etwas zur Norm, was Sie sich wünschen, was aber wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Daraus resultiert dann ein Moralisieren gegen alles, was in der Wirklichkeit - wir haben z. B. eben über den Agrarsektor diskutiert - mit diesem schönen Modell nicht übereinstimmt. Das geht dann bis zur Denunziation: „Freiheit oder Sozialismus". Was soll eine solche ordnungspolitische Debatte? ({31}) - Doch, es ist eine Denunziation. Es wird als Mittel der Denunziation eingesetzt. Herr Biedenkopf, das, was ich bis jetzt von Ihnen vernommen habe, ist im wesentlichen eine pseudowissenschaftlich verbrämte Rechtfertigungstheorie des Status quo der „vested interests", mehr nicht. ({32}) Sie wie Herr Kollege Strauß reden über die wirtschaftspolitische Situation: Sie reden über die Löhne, die Überbelastung des Systems der Sozialen Sicherheit und über die anderen beiden Punkte, die Sie genannt haben. Aber über Märkte und Unternehmen, darüber, daß der Weltmarkt in Unordnung ist und daß die Unternehmer, obgleich Geld da ist, nicht produzieren, weil sie nicht wissen, was ihre Märkte sein werden, darüber reden Sie und Herr Strauß kein Wort. ({33}) Wenn das, was Sie sagen, wahr wäre, könnten Sie nicht erklären, warum wir branchenmäßig eine so völlig unterschiedliche Entwicklung haben. Sie geben immer Allgemeinheiten von sich, so als ob diese Allgemeinheiten die sehr differenzierte Problematik packen könnten. Strukturpolitik kommt bei Ihnen gar nicht vor, obwohl die Regierungen aller Länder - nicht nur die Regierung der Bundesrepublik - die Strukturpolitik heute als ihre größte Aufgabe ansehen. Soweit man Arbeitslosigkeit mit Wachstum beseitigen kann - es wird übrigens nicht nur mit Wachstum gehen, schon gar nicht nur mit Wachstum auf Produktionsebene; darin stimme ich Ihnen zu -, müssen wir hier doch, statt Marktmodelle und ordnungspolitische Modelle ideologisch groß in den Raum zu stellen, fragen, was wir konkret tun können. Von der theoretischen Tugend ordnungspolitischer Modelle wird kein Hungriger satt und bekommt kein Arbeitsloser Arbeit. ({34}) - Im Augenblick nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie gestatten jetzt keine Zwischenfrage?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen. Herr Biedenkopf hat eine Frage frei; ansonsten möchte ich jetzt in meiner Rede fortfahren, wie Herr Biedenkopf es auch getan hat. Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenbündel vorgeschlagen und teilweise bereits verwirklicht. Herr Strauß und Sie haben nicht einen konkreten Vorschlag gemacht. Sie haben sich in Allgemeinheiten ergangen, zum Teil in solchen ideologischer Art. Sie haben nicht einen Vorschlag im Hinblick auf das, was gemacht werden soll, unterbreitet. ({0}) Herr Biedenkopf, meine Fraktion und ich sind der Meinung, wir sollten die Bundesregierung auf drei Punkte besonders hinweisen. Erstens. Wir sind der Meinung, daß im Nord-SüdVerhältnis, dessen Bedeutung für die Weltwirtschaft und die Ankurbelung ja außer Streit steht, noch nicht genügend getan worden ist. Die Bundesregierung sollte ermutigt werden, über Paris hinaus, das noch nicht zu vernüftigen Ergebnissen geführt hat, weiter voranzugehen. Hier liegt eines der zentralen Probleme der Weltmarktpolitik, das übrigens auch nicht mit Ordnungspolitik à la Biedenkopf zu lösen ist. ({1}) Zweitens. Wir stehen in Europa vor der Gefahr - ich wundere mich, daß Europa. die Krise bisher so gut überstanden hat -, daß, wenn die Krise weitergeht, die Disproportionalitäten zwischen den Ländern wachsen, übrigens weitgehend als Ergebnis von Marktkräften - das ist eine der Kehrseiten unserer guten Stellung, die man auch sehen muß - und daß von daher der Hang zum Protektionismus größer wird. Da wir gegen diesen Protektionismus sind, Herr Biedenkopf, muß man überlegen: Was kann man gerade auch angesichts des Beitritts der drei südeuropäischen Länder tun, um neue Impulse in die europäische Einigung zu bringen? Ich darf die Regierung noch einmal bitten, den Gedanken eines europäischen Investitionsprogramms positiv aufzugreifen, das das Kapital dort hinbringt, wo Investitionen am meisten gebraucht werden, das Kapital zu den Leuten bringt, statt noch mehr Leute von außen in die Ballungszentren zu ziehen ({2}) - ich komme gleich dazu -; ich bitte die Bundesregierung, sich der Frage eines solchen Europäischen Solidaritätsprogramms positiv anzunehmen, für das wir in diesen Haushalt einen Leertitel eingestellt haben. Wir sind der Meinung, alle Fraktionen des Hauses, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und alle Länder, die daran teilnehmen könnten, sollten von uns dazu bewegt werden, etwas zu tun, was den Beitrittsländern nicht nur sagt, sondern auch zeigt, daß wir sie wirklich wollen. Damit würden wir auch den schwierigen Prozeß bis zum vollzogenen Beitritt erleichtern. Ich mache mir Sorgen, ob die EG mit dem Beitritt so lange warten kann - ich spreche den Wirtschaftsminister wie den Außenminister an -, wenn ich sehe, in welchen Schwierigkeiten, wirtschaftlich bedingt, sowohl die portugiesische Regierung als auch die griechische Regierung und auch die spanische Regierung sind. Hier kann Europa zeigen, daß es Sinn für Solidarität und daß es schöpferische Kraft hat. Hier können wir etwas unternehmen, was bei uns zu Hause Arbeitsplätze schafft, was die Notwendigkeit des Strukturwandels nicht aufheben, ihn aber erleichtern und uns für ihn mehr Zeit geben würde. ({3}) Wenn ich nun noch einmal kurz auf einiges eingehen darf, was Sie und Herr Strauß zur wirtschaftspolitischen Lage in der Bundesrepublik gesagt haben: Herr Biedenkopf, es ist doch ganz unbestritten, daß wir im Augenblick große Schwierigkeiten auf dem Exportsektor haben, u. a. durch die Dollar-Krise. Ich war sehr erstaunt zu hören, daß uns Herr Strauß, der große Befürworter des Exports - er war ja seinerzeit sogar gegen die D-Mark-Aufwertung und damit für das Bestehenlassen der Unterbewertung der D-Mark, um unsere Exportchancen zu nutzen -, nun den Rat gibt, nicht auf Export zu setzen. Das ist ein bißchen spät am Abend. Wir haben eine Struktur, bei der man sowohl im Weltmaßstab wie im europäischen Maßstab die Frage der Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten eben nicht einfach hinten dranschieben kann mit dem Bemerken, Export sei nicht so wichtig, bei der man nicht so tun kann, als ob alle Schwierigkeiten nur aus dem Binnenmarkt kommen. Aber wenn man nun schon so einseitig auf die Bedeutung des Binnenmarktes setzt, wie das sowohl Herr Strauß als auch Herr Biedenkopf getan haben, wie kann man dann im gleichen Atemzug sagen, man solle aber keine Kaufkraft über höhere Löhne schaffen - über die Höhe kann man ja immer reden - und vor allen Dingen auch keine Verschuldung machen, mit der wir die Investitionsprogramme finanzieren? Das Ergebnis ist: Die Außenwirtschaft ist angeblich unwichtig - obwohl dort die Krise herkommt -, und innen machen wir gar nichts, sondern klopfen fromme konservativ-liberale Sprüche, wie Herr Biedenkopf das tut. Was soll denn daraus an Anregungen für die Wirtschaft kommen? ({4}) Ein Punkt, den ich in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, in der die Mitbestimmungsklage von Unternehmern die sozialen Spannungen leider in verantwortungsloser Weise erhöht hat, für besonders gefährlich halte, ist nun der Versuch, das Ganze durch ein Mittel zu lösen, durch einen Lohnverzicht der Gewerkschaften. Das wird in verschiedenem Grade angesprochen; Herr Strauß war vorsichtiger als Sie. Dazu sage ich Ihnen: Keiner übersieht den Lohn als Kostenfaktor, keiner übersieht die Frage des Eigenkapitals und der Vermögensbildung, wobei Sie allerdings zwei Dinge, glaube ich, vergessen haben: erstens, daß Sie mit dem Aktienumtausch nach dem Krieg die ersten waren, die die Großwirtschaft gegenüber dem Mittelstand begünstigt haben, ({5}) und zweitens, daß die - wie Sie sagen - Aktienferne der Arbeitnehmer nicht in unserer Politik liegt, sondern seit langem in der Arbeiterschaft verwurzelt ist. Auch Sie haben es ja mit Ihren Reprivatisierungsmaßnahmen und den „Volksaktien" nicht geschafft, die Arbeitnehmer in größerem Maße an die Aktie heranzuführen. Es ist unredlich, nun auch noch diesen Tatbestand der Regierung in die Schuhe schieben zu wollen. Das ist eine Argumentation, die wirklich sinnlos ist. ({6}) Sehen Sie, Sie selbst haben im Januar hier gesagt, daß Sie den Gewerkschaften eine vernünftige, realistische Lohnpolitik bescheinigen müssen. Warum dann dauernd der Druck auf die eine Seite? Der Bundeskanzler hat schon zweierlei gesagt. Erstens. In einem Land mit hohem Lebensstandard haDr. Ehmke ben wir auch hohe Löhne. Ich hielte es für völlig falsch, in der Strukturkrise, von der Sie nie reden, eine defensive Politik des Lohnverzichts zu fahren, d. h. den Versuch zu machen, international nicht mehr wettbewerbsfähige Betriebe und Branchen zu halten und durch ein Heruntergehen unter das Lohnniveau, das an sich unsere Gesellschaft hergeben könnte. ({7}) Das würde das Gegenteil bewirken; es würde die Umstrukturierung erschweren. ({8}) Zweitens hat der Bundeskanzler auf folgendes hingewiesen: Wir haben im internationalen Vergleich im Augenblick nicht ein sprunghaftes Steigen der Lohnstückkosten, sondern unsere eigentlichen Schwierigkeiten liegen in den Wechselkursrelationen. Das zeigt auch die Statistik. ({9}) - Dann lesen Sie die Statistik der Bundesbank. Da zeigt sich, daß wir zwar eine weitere Entwicklung der Lohnstückkosten haben, daß aber die wirklich ,gefährliche Relation zu anderen Ländern erst über die Wechselkursrelation entsteht, d. h. über die ständige Aufwertung der D-Mark und die jetzt eingetretene Unterbewertung des Dollars. Solange das nicht gestoppt ist, wäre ein Lohnverzicht übrigens auch unwirksam. Herr Kollege Junghans hat schon darauf hingewiesen, daß zwischen Lohnverzicht und Inflationsschub durch Lohnpolitik ein breiter Spielraum besteht, den die Gewerkschaften nutzen können. Ich sage noch einmal: Wir wenden uns dagegen, so zu tun - das tut übrigens der Jahreswirtschaftsbericht auch nicht; an diesem Punkt unterscheidet er sich deutlich vom Sachverständigengutachten -, als ob dies d e r Angelpunkt unserer ganzen Wirtschaftspolitik sei. Zur Nachfrage: Wir können doch nicht in einem „halben Kreislauf" argumentieren. Wir behaupten ja nicht, daß der Lohn in bezug auf die Nachfrage der ewige Anstoßfaktor sei. Aber Sie können doch die Nachfrage nicht vergessen, dann müßten Sie auch alles vergessen, was Sie z. B. bei der Steuerentlastung hinsichtlich der Anregung der Konsumnachfrage vorgetragen haben. Was für die Steuerentlastung gilt, gilt auch für die Löhne. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat gerade gemahnt, die Bedeutung der Lohnpolitik für die Nachfrage und von der Nachfrage her für die Konjunktur nicht zu übersehen. Schließlich möchte ich noch auf folgenden Punkt zu sprechen kommen, den Herr Strauß angesprochen hat, ohne Namen zu nennen. Ich nenne den Namen: Unser Kollege Wolfgang Roth hat darauf aufmerksam gemacht, daß wir eine „Ordnungspolitik" für sehr gefährlich halten, die zwar die Lohnpolitik der Gewerkschaften in gesamtwirtschaftliche Verantwortung nehmen will, die Arbeitgeber aber in bezug auf Investitionen und Arbeitsplätze der Freiheit des Marktes überläßt. Wir machen ja noch nicht einmal bei Subventionen arbeitsplatzsichernde Auflagen. Ich frage Sie, Herr Biedenkopf, und zwar auch ordnungspolitisch: Hält man so das soziale Gleichgewicht aufrecht? Eine solch einseitige Politik, wie Herr Strauß und Sie sie vertreten, kann nicht gutgehen. Es wäre kurzsichtig von der einen Seite, den Vorteil, den sie in dieser schweren Arbeitsmarktlage gegenüber den Gewerkschaften hat, in diesem Sinne auszunutzen. Davor können wir nur dringend warnen. ({10}) Wir müssen helfen, daß man auf beiden Seiten zu einer Gesamtverantwortung kommt und nicht nur der einen Seite die Lasten der Krise auferlegt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Biedenkopf?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehmke, würden Sie der Feststellung zustimmen, daß ich weder von einem Lohnverzicht gesprochen noch die Gewerkschaften allein erwähnt, sondern ausdrücklich von der Verantwortung beider Tarifparteien gesprochen habe?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Biedenkopf: Leider ist es ja in. Ihrer wirtschaftspolitischen Diskussion so, daß konkrete Forderungen immer an die Gewerkschaften gehen, nämlich ganz vorsichtig mit dem Lohn zu sein, während alle Forderungen, die etwa an die Unternehmerseite gestellt werden, als dem Markt nicht gemäß abgelehnt werden. Das läßt sich nicht durchhalten, wenn man den sozialen Frieden erhalten will. ({0}) - Doch, es ist die Frage. Es ist eine Frage für die Gewerkschaften, und die Gewerkschaften müssen wissen, daß sie für ihre Schwierigkeiten und ihre Position auch Sprecher in diesem deutschen Parla- ment haben. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ehmke, können Sie mir bestätigen, daß im neuen Jahreswirtschaftsbericht eine Ertragserwartung für die Unternehmer zwischen 9 und 11 % angekündigt ist?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Das hat er ja gesagt. ({0}) Ich halte nichts davon, daß wir die politische Diskussion so führen, wie sie weitgehend geführt wird, nämlich daß die eine Seite über die Löhne und die andere Seite über die Gewinne jammert. Man braucht ja wohl beides. ({1}) - Das sagt er ja gar nicht. Er sagt nur, daß man beide Seiten sehen muß, und davon kann bei Ihnen nicht die Rede sein. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, und zwar des Abgeordneten Dr. Köhler?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte das zu Ende führen. Ich darf jetzt in bezug auf Lohnpolitik - ({0}) - Der Herr Wirtschaftsminister wird ja noch sprechen. - Ich darf zur Lohnpolitik noch eines sagen. Herr Biedenkopf, ich glaube, wir würden den Gewerkschaften, ja den Tarifparteien das lohnpolitische Geschäft einfacher machen, wenn wir eine offenere Diskussion über die Frage der Arbeitszeitverkürzung führten. Ich habe schon in der ersten Lesung dieses Haushalts gesagt: es ist unsinnig zu glauben, daß die Arbeitszeitverkürzungen nicht weitergehen werden. Hätten wir heute eine 48-. statt einer 40- - Stunden-Woche, könnten wir uns ausrechnen, wie die Arbeitslosigkeit aussähe. Da wir eine so hohe Produktivitätssteigerung haben, ist klar, daß wir hinsichtlich der Arbeitszeitverkürzung weitergehen müssen. Jetzt kennen wir die Schwierigkeiten, die demographische Entwicklung, die Differenzierung in den einzelnen Branchen, das, was Sie - da stimme ich Ihnen ohne Einschränkung zu, wenn ich genau gehört habe - über die Differenzierung im Bereich der Arbeitslosen gesagt haben. Wenn man das alles überlegt, auch berücksichtigt, daß dann noch das Tempo der Verkürzung eine Rolle spielt, sodann das, was sich für den Arbeitsrhythmus in der Produktion daraus ergibt, und schließlich der Lohnausgleich, dann sagen wir: dieses schwierige Geschäft soll man den Tarifvertragsparteien überlassen, man soll sie dabei aber ermutigen. Mit Herrn Kollegen Blüm haben Sie in Berlin, Herr Biedenkopf, eine lebhafte Diskussion geführt; Sie haben hier ja wohl nur für einen Teil Ihrer Fraktion gesprochen. ({1}) Was die Kollegen von den Sozialausschüssen in Berlin gesagt haben, war das genaue Gegenteil von der Ideologie, die Sie hier verbreitet haben. Herr Kollege Blüm hat dabei u. a. beklagt, daß man nun auch die Arbeitszeitverkürzung tabuisieren will, und er hat mit Recht gefragt, warum eigentlich die Arbeitszeitverkürzung, die unter Adenauer und Erhard als marktkonform galt, nun plötzlich unter Schmidt Sozialismus sein soll. Da kann man ihm nur recht geben. Ich gebe Herrn Blüm auch darin recht: In der Theorie der CDU-Wirtschaftsprogramme - insbesondere in Ihrer Theorie Herr Biedenkopf - kommt der Markt weit häufiger vor als in der Praxis der Stahlindustrie, der Textilindustrie oder der Ölindustrie. Sie reden mit Ihrem Modell an der Wirklichkeit dieses Landes und an den Problemen vorbei. ({2}) Herr Professor Scherhorn hat in seinem Minderheitsgutachten einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, der auch den Bereich des Mittelstandes betrifft. Herr Scherhorn sagt: es gibt eine Tendenz zur Arbeitszeitverkürzung, d. h., Zuwächse werden auf seiten der Arbeitnehmer mehr und mehr lieber in Form von mehr Freizeit als von höherem Lohn entgegengenommen. Diese Tendenz könnte u. a. eine Nachfrage nach neuen Dienstleistungen auslösen. Und das ist der Punkt. Es hat doch keinen Zweck, zu sagen: wir stellen hunderttausend Mittelstandsbetriebe hin, die bringen Dienstleistungen. Welche Dienstleistungen werden denn nachgefragt? ({3}) - Das ist ein Punkt, der mit Recht angesprochen worden ist. Ich würde ihn etwas anders erklären. Aber lassen Sie mich erst einmal bei Scherhorn bleiben. Er sagt, hier kann ein Nachfragebereich für Dienstleistungen und damit für Dienstleistungsbetriebe wachsen, weil die Menschen, statt blind drauflos zu verdienen und dann kaputtgeschafft zu sein, mehr und mehr den hohen Lebensstandard, den wir uns erarbeitet haben, nun auch menschenwürdig genießen wollen. Hier könnte eine vorausschauende Politik und gerade auch - ich stimme Ihnen zu - Mittelstandspolitik Möglichkeiten für viele neue Arbeitsplätze eröffnen, abgesehen davon, daß die Arbeitszeitverkürzung uns auch direkt auf dem Beschäftigungssektor helfen würde. Ich will das weitere Herrn Lambsdorff überlassen. Denn sein Vorgänger, Herr Friderichs, war der - ({4}) - Das will ich hoffen, daß ein Minister das noch besser kann. Ich sage, ich will es ihm überlassen, weil ein wirkliches Mittelstandsprogramm doch erst in dieser Koalition gemacht worden ist, unter entscheidender Mitwirkung der Kollegen Friderichs und Lambsdorff. ({5}) Herr Biedenkopf, den Beitrag, den die CDU in den letzten Wochen zur Mittelstandspolitik geleistet hat, war die Abtötung des Energiesparprogramms durch die Herren Albrecht und Filbinger. ({6}) - Lesen Sie doch einmal, was die Handwerksverbände und was die Mittelstandsverbände, die betroffen sind, dazu gesagt haben. Ich kann dem MitDr. Ehmke telstand nur sagen: Hören Sie nicht auf die Mittelstandsideologie der Ihrigen. Gucken Sie sich an, was gemacht wird! Hier sind mutwillig Arbeitsplätze und Auftragschancen für das mittelständische Gewerbe kaputtgemacht worden. Wenn Sie das „Ordnungspolitik" nennen, kann der Mittelstand auf diese Ordnungspolitik gut verzichten. ({7}) In diesem Zusammenhang noch eine Bitte: Das Institut für Mittelstandsförderung in Köln, das uns ja nicht nahesteht, hat sehr zuverlässige Statistiken über die Entwicklung der Selbständigen, über die Gründe von Insolvenzen usw. veröffentlicht. Herr Biedenkopf, das, was Sie behauptet haben - im Januar hat es der Bundeskanzler schon zurechtgerückt - und was Sie heute wieder behaupten, das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Das ist ein böswilliger Angriff gegen das, was von dieser Bundesregierung und dieser Koalition auf dem Gebiet der Mittelstandspolitik geleistet worden ist. Und ich sage noch einmal: Der Mittelstand soll darauf gucken, was konkret gemacht wird, und nicht darauf, welche Ideologie geboten wird. ({8}) Wenn ich zum Schluß auf Ihre Diskussion in Berlin zurückkomme, von der Herr Kollege Vogt gesagt hat, sie habe gezeigt, daß in der CDU keine Übereinstimmung mehr darüber besteht, was denn Soziale Marktwirtschaft eigentlich sei, so möchte ich auch zitieren, was Herr Kollege Vogt zu Ihnen in der Diskussion gesagt hat - er ist ja Ihr Parteifreund. Er hat gesagt: Was Sie vorbrächten, seien keine Argumente, sondern Totschlagworte, mit denen Sie die Diskussion nicht anregten, sondern erstickten. Ich fürchte, er hat recht, Herr Biedenkopf. ({9}) Da das so ist, wären wir froh, wenn wir von einem so intelligenten Kollegen das nächste Mal konkrete Vorschläge und nicht nur Totschlagworte zu hören bekämen. Solange wir die nicht kriegen und solange der wirtschafts- und gesellschaftspolitische Riß in der Union so groß ist, wie es sich in Berlin gezeigt hat - das zum Abschluß auf eine Bemerkung von Herrn Strauß -, stehen wir nicht - wie er gesagt hat - vor der Situation, daß wir unsere staatspolitische Pflicht nicht erfüllen, weil wir die Koalition zusammenhalten, sondern wir stehen vor der Tatsache, daß das Zusammenhalten der Koalition und die Erhaltung der Regierungsfähigkeit dieser Koalition unsere staatspolitische Pflicht ist, weil in dem Zustand, in dem die Opposition sich befindet, mit ihr kein Staat zu machen ist. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Erlauben Sie mir nach diesem Disput der beiden Professoren ein Wort zur Sache: Wirtschaftspolitik; Einzelplan 09. Herr Biedenkopf hat als ordnungspolitischer Solist dieser Unionsfraktion vor allem auf die schlechten Rahmenbedingungen abgestellt, die es heute für unternehmerisches Tun gibt. Wie ich höre, war Herr Biedenkopf bei der Festveranstaltung „25 Jahre Aktion Soziale Marktwirtschaft" Gast und hat dem Festvortrag seines Professorenkollegen von Hayek applaudiert. Über die Hauptaussage von Herrn Hayek wird im „Handelsblatt" vom 23. Januar berichtet - ich zitiere -: Außer vielleicht der Schweiz als einziger Ausnahme weiß der Uralt-Ober-Liberale Prof. Friedrich A. von Hayek kein anderes Land als die Bundesrepublik, „in dessen Zukunft ich mehr Zuversicht habe als in die Bundesrepublik". ({0}) Ich glaube, da bricht einiges von diesen allgemeinen Thesen zusammen, die Herr Biedenkopf hier vorgetragen hat. ({1}) Er hat als vierte Bedingung für ein besseres Investitionsklima genannt: die richtige Umsetzung von wirtschaftspolitischen Zukunftsperspektiven in praktische Wirtschaftspolitik. Damit hat er das zentrale Problem der Unionsparteien umschrieben. Denn noch immer ist unklar, ob z. B. der Vorschlag der Sozialausschüsse, Arbeitsverkürzung sei das Hauptmittel gegen Arbeitslosigkeit, Unionsmeinung ist oder nicht. Noch immer steht im Grundsatzprogramm der Unionsparteien, „soziales Wohlbefinden" sei ein wichtiges qualitatives Wachstumsziel für die Unionsparteien.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Waigel.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedauere. Ich habe sehr wenig Zeit und habe mir viel vorgenommen. ({0}) Ich glaube, daß demgegenüber der Wirtschaftsminister der Freien Demokraten in einer sehr viel besseren Position ist. Er hat um ein Wirtschaftsprogramm gekämpft. Er hat auf dem Kieler Parteitag 375 von 392 möglichen Stimmen für dieses Wirtschaftsprogramm bekommen; und ich glaube, daß dieses Wirtschaftsprogramm der Freien Demokraten zu den modernsten und zu den konkretesten zählt, die derzeit von den politischen Parteien in der Bundesrepublik auf dem Markt sind. Lassen Sie mich daher aus diesem liberalen Programm etwas über diesen wichtigen Zusammenhang zwischen Rahmenbedingungen, Ordnungspolitik und strukturellem Wandel sagen. Liberale werden sich nicht übertreffen lassen in der Konkurrenz um ordnungspolitisches Handeln. Wir wissen, daß gerade in der Situation eines sehr starken strukturellen Wandels die Dynamik und die Selbsthilfe von dezentralen Entscheidungsträgern den Staat entlastet. Der Staat kann zwar Rahmenbedingungen anbieten; die notwendigen Innovations- und Anpas5334 sungsprozesse müssen aber von dem einzelnen Unternehmen ausgehen. ({1}) Ohne Zweifel ist es eine entscheidende Bewährungsprobe, wie diese Wirtschaftsordnung im Vergleich zu anderen Ordnungen mit diesem strukturellen Wandel fertig wird. Ich meine diesen gewaltigen strukturellen Wandel, ausgelöst durch hohe internationale Inflationsraten, durch eine spektakuläre Energieverteuerung, durch eine tiefgehende Weltrezession und durch noch nicht absehbare Veränderungen im Wechselkursgefüge. Wir glauben, daß gerade eine marktwirtschaftlich orientierte Ordnung diese Strukturprobleme am ehesten und unter den geringsten Reibungsverlusten lösen kann. Natürlich bedarf sie dazu der Unterstützung durch die wichtigen staatlichen Rahmenbedingungen. Aber dies sind nach unserer Auffassung nur die generellen Voraussetzungen. Es liegt dann - und dies der Sinn einer dezentralen Wirtschaftsordnung - gerade an dem einzelnen Entscheidungsträger, d. h. an dem Investor, an dem Konsumenten, an dem Sparer, ob er diese Rahmenbedingungen dazu nützt, sich diesem strukturellen Wandel anzupassen. Dieser permanente Wille zur Flexibilität, zur Risikoübernahme', zur Innovation setzt ganz bestimmte Rahmendaten - und darauf ist auch Herr Biedenkopf eingegangen - voraus, die diese Beweglichkeit und dieses Risiko für ein Management tragbar machen. Es ist daher legitim zu fragen: Was hat die Bundesregierung dafür getan, um im Bereich dieser Rahmenbedingungen diese Risikofreude, diese Flexibilität zuzulassen? ({2}) Sie hat vier Dinge getan, Herr Waigel. Sie hat erstens die ertragsunabhängigen Steuern gesenkt - Sie waren dagegen -, und sie hat die Abschreibungen verbessert. ({3}) Sie hat zweitens den Verbraucher steuerlich entlastet; sie hat also etwas für die Stärkung der Privatnachfrage getan. ({4}) Sie hat drittens ein beachtliches Infrastrukturprogramm auf den Weg gebracht, das gerade in 1978 zu einem erheblichen Teil auftragswirksam wird. Wir haben einen deutlich expansiven Haushalt 1978 vorbereitet. Viertens: Wir haben inzwischen das niedrigste Zinsniveau in der Nachkriegszeit. ({5}) Das heißt, wir haben die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Tun und damit für mehr Beschäftigung zum Ende 1978 geschaffen. ({6}) Ich stimme mit den verschiedensten Gutachtern überein: Der Bund hat seine Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen staatlicherseits zu verbessern, ausgeschöpft. Nicht dagegen die Länder; allen voran Herr Filbinger, der zu einer deutlichen Verschlechterung im mittelständischen Bereich beigetragen hat. ({7}) Gerade im Bereich der Rahmenbedingungen, gerade im Bereich der sanitären Industrie, gerade im Bereich der innovativen, neuen Arbeitsplätze im Energiebereich wird die Union ihrer Mitverantwortung bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen nicht gerecht. ({8}) Sie fordern dann weiter - und auch dies halte ich für richtig -, daß diese Rahmenbedingungen stabil sein müßten, d. h., sie müßten verbindlich sein, damit Vertrauen einkehre und damit letztlich mehr Optimismus, mehr Arbeitsplätze und damit mehr verteilbares Sozialprodukt entstehen könne. Obwohl die Gutachter der verschiedensten Schulen und die anerkannten Wirtschaftspublizisten darin übereinstimmen, daß der Bund seine Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen zu verbessern, ausgeschöpft hat, tun Opposition und Teile der Verbände so, als könnte und müßte man diese Rahmenbedingungen schon wieder verändern. Dies schafft Instabilität, dies schafft weiteren Attentismus! Dies kostet Arbeitsplätze! Hierfür haben die Bürger meines Erachtens keinerlei Verständnis. Wir stimmen voll mit dem neuen Wirtschaftsminister überein. Die verbesserten Rahmenbedingungen sind nun da; sie können mittelfristig garantiert werden. Die Investoren können sich darauf verlassen. Noch eines ins Stammbuch der verschiedenen Ordnungspolitiker von der Opposition: Dieser so notwendige Prozeß der Anpassung an die veränderten Rahmenbedingungen und die Wiederherstellung eines ausreichenden Optimismus - sowohl bei den Investoren als auch bei den Verbrauchern - erfordert Geduld, erfordert Zeit. Dies ist gerade der Sinn einer dezentralen Wirtschaftsordnung, die auf möglichst viele wirtschaftliche Wahlfreiheiten abstellt. Insofern ist es ordnungspolitisch höchst bedenklich, wenn die Opposition den Investoren und Verbrauchern nicht den notwendigen zeitlichen Spielraum für die Veränderung von wirtschaftlichen Planungen und Kaufentscheidungen überläßt. Meine Damen und Herren, mein Kollege Gärtner hat es gestern ähnlich ausgeführt: Ein schnelles Umdenken, ein schnelles Anpassen an den strukturellen Wandel, ein hohes Wachstum läßt sich in einer dezentralen Wirtschaftsordnung nicht verordDr. Haussmann nen. Diese Ordnung erfordert geradezu Geduld, sie erfordert Respekt vor den autonomen Entscheidungen der Tarifpartner, sie erfordert Respekt vor den Verbrauchern, sie erfordert Respekt vor souveränen Handelspartnern, sie erfordert Respekt vor den Entscheidungen der Investoren und sie erfordert, meine Herren von der Opposition, bisweilen eine sehr hohe Toleranzschwelle, wenn man die egoistischen und wenig sachbezogenen Entscheidungen von einzelnen Länder-Ministerpräsidenten, allen voran Herr Filbinger, betrachtet. Geben wir doch zu - dies halte ich in dieser Situation für wichtig -: Wir alle - auch die Opposition - verfügen nur über eine beschränkte Problemlösungskapazität in der Wirtschaftspolitik. Die Zuständigkeit der bundesstaatlichen Wirtschaftspolitik ist begrenzt. Dies ist ordnungspolitisch gewollt. Nur wenn wir diese beschränkten Möglichkeiten unserer Aktionsfelder zugeben, wird auch der Entscheidungsspielraum und damit die Möglichkeit staatlicher Wirtschaftspolitik für Investoren und für Konsumenten durchsichtig. Dann wird nämlich klar, daß der Bund seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat und daß jetzt die autonomen Partner ihren Beitrag zu einer verantwortungsvollen, längerfristig angelegten Beschäftigungspolitik leisten müssen. Die freie demokratische Fraktion stimmt daher dem Einzelplan 09 des Wirtschaftsministers zu. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte mich zu Beginn meines Beitrages zum Schluß dieser Debatte für einige der Debattenbeiträge bedanken, vor allem aber für die Unterstützung, die ich bei der Bearbeitung des Haushalts des Bundeswirtschaftsministeriums sowohl im Wirtschaftsausschuß wie vor allem aber im Haushaltsausschuß bei den dort zuständigen Kollegen gefunden habe. Ich bin ja etwas plötzlich in die Beratungen dieses Haushalts hineingekommen. Ich habe és dankbar empfunden, daß dieser Situation Rechnung getragen worden ist, obwohl jedermann selbstverständlich weiß, daß ich angesichts dieser Plötzlichkeit nicht etwa einen Fluchtversuch machen werde, denn ich trete mit für das ein - nicht für jede einzelne administrative Entscheidung -, was in den Grundlagen der Wirtschaftspolitik von meinem Vorgänger in dieser Bundesregierung getan worden ist. Meine Damen und Herren, ich hatte heute vor - zum ersten Mal hätte sich die glückliche Gelegenheit ergeben -, ein paar einführende Bemerkungen über den Jahreswirtschaftsbericht, den wir vor wenigen Stunden im Kabinett verabschiedet haben, zu geben. Der Kollege Biedenkopf hat dem - darauf komme ich noch zurück - vorgegriffen. Deswegen will ich diesen Teil sehr kurz machen, um etwas mehr Zeit dafür zu gewinnen, auf Ihre Bemerkungen, Herr Biedenkopf, eingehen zu können. Der Jahreswirtschaftsbericht 1978, dessen Zahlenwerk seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit diskutiert wird, der im wesentlichen bekannt ist und an dem sich auch nichts geändert hat, steht ganz gewiß unter nicht zu übersehenden außen- und binnenwirtschaftlichen Risiken. Wir haben dies immer gesagt. Sie werden dies im verbalen Teil des Jahreswirtschaftsberichts wiederfinden. Wir sagen auch hier: Mit der Projektion eines Zuwachses von 31/2 % realem Bruttosozialprodukt haben wir uns ein ehrgeiziges Ziel für das Jahr 1978 gesetzt, das bedauerlicherweise - wenn es erreicht wird - nicht dazu beitragen kann, das Problem der Arbeitslosigkeit nennenswert zu erleichtern. Auch hierüber soll niemand in diesem Hause und in der Öfentlichkeit im unklaren gelassen werden. Wir werden diese Zielwerte, wie gesagt, nur dann erreichen, wenn sich die Risiken, die wir vorfinden, nicht als so stark erweisen, daß sie die Oberhand gewinnen. Außenwirtschaftliche Bedingungen, Belastungen der Unternehmen - stärker als unterstellt -, verzögerter Vollzug der öffentlichen Haushalte, konjunkturpolitische Kooperation zwischen Bund und Ländern - das sind nur einige Punkte, die uns ins Gehege kommen können. Die Haushaltspolitik - darauf will ich noch später mit ein paar Sätzen zurückkommen - muß ihren Beitrag zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage leisten. Ich meine, daß der Entwurf des Bundeshaushalts 1978 dieser Zielsetzung durch die vorgesehene Ausgabensteigerung um etwas mehr als 10 % gerecht wird and daß hier das Notwendige geschieht. Fazit, meine Damen und Herren: 1978 wird bestimmt kein leichtes wirtschaftspolitisches Jahr, aber Fortschritte auf dem Wege zu mehr wirtschaftlichem Wachstum zeichnen sich ab. Wir möchten sehr nachdrücklich unterstreichen, was der Sachverständigenrat zu dem gesagt hat, was in dieser konkreten konjunkturpolitischen Situation Aufgabe der Bundesregierung ist, nämlich: die Bundesregierung habe mit den am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Maßnahmen, mit der notwendigen Verbesserung der Rahmenbedingungen, das Ihre getan, habe das getan, was in ihren Möglichkeiten steht. Sie muß nun darauf vertrauen, daß auch die übrigen am Marktgeschehen Beteiligten und nicht zuletzt die Tarifparteien - auch dies wird noch zu erörtern sein - ihrer ,gesamtwirtschaftlichen Verantwortung in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Zu der Frage, ob die Bundesregierung das Ihre getan hat oder nicht vielleicht mehr als das Ihre - zuviel des Guten - getan hat, ist gestern hier gesprochen worden. Wenn man die Reaktion in der Öffentlichkeit sieht, scheint mir dabei ein gewisser Anklang mitzuschwingen, als habe es hier Meinungsverschiedenheiten über die Haushaltsgestaltung zwischen dem Sprecher der Fraktion der FDP, dem Kollegen Hoppe, und dem Bundesfinanzminister gegeben. Das ist nach Auffassung der Bundesregierung und nach meiner persönlichen Meinung nicht so. ({0}) Der Haushalt 1978- da stimmen wir dem Kollegen Hoppe zu - birgt ernste Risiken. Er birgt jedenfalls das Risiko - dies ist ein ernstes Risiko! -, daß die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Entwicklung der Haushaltserwartung gerecht wird. Aber wir sagen - auch hier stimmen wir mit ihm überein -: Diese vorgesehene Belastung, d. h. das vorgesehene Defizit, ist verantwortbar, ist konjunkturpolitisch notwendig und richtig. ({1}) - Herr Schröder! Wir sind weit über Keynes hinaus. Ich werde noch ein Wort zu der Bedeutung von Defiziten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sagen. Ich bin sicher, daß jeder Finanzminister, der ja gleichzeitig Haushaltsminister ist - der Kollege Apel hat diesen Vergleich selber gebraucht -, gern ein Stück mehr Konsolidierung erreichen würde. Er kann es unter den gegebenen Umständen binnenwirtschaftlich nicht, er kann es aber auch außenwirtschaftlich und außenpolitisch nicht. Wer sich die heutige „New York Times" ansieht und die herbe Kritik an dem Teil der Regierungserklärung des Bundeskanzlers in der vorigen Woche, daß wir nicht noch mehr Defizite machen wollten, möge sich einmal vorstellen, wie wir die Diskussion mit unseren Partnern in weltwirtschaftlichen Konferenzen bestehen wollten - ich habe das in der nächsten Woche in Washington zu tun -, wenn wir gar unsere Defiziterwartung herunterschrauben wollten. ({2}) Meine Damen und Herren, es ist ja ein wenig grotesk: Die Gesprächspartner im Ausland pflegen uns zu sagen: „Wir haben eigentlich nur noch die Hoffnung, daß eure Opposition nicht so stur ist wie ihr und doch mehr Defizite veranstaltet." Hier hören wir das genaue Gegenteil, nämlich daß die Defizite nach Ihrer Ansicht überbordend seien. Wir fahren einen Mittelweg, und wie ich finde einen vertretbaren, verantwortbaren Mittelweg zwischen dem, was aus beider Sicht notwendig ist. ({3}) Ich sagte, öffentliche Defizite sind notwendig. Ich sagte, das öffentliche Defizit 1978 ist gesamtwirtschaftlich notwendig; es ist im übrigen auch finanzierbar. Im Jahreswirtschaftsbericht zitieren wir die Zustimmung der Bundesbank, die dieses Defizit für finanzierbar, richtig und vertretbar hält. Es ist auch deshalb gesamtwirtschaftlich erforderlich - und es wird auch in Zukunft Defizite, zwar nicht in dieser Größenordnung, aber höher als in der Vergangenheit geben -, weil die wachsende Ersparnisbildung der Privaten absorbiert werden muß, primär durch geringere Abgabenbelastung, weil die Sparquote steigt, und weil der Staat Möglichkeiten geben muß, wenn er keine kontraktiven Wirkungen erzielen will, daß die Privaten ihre ersparten Gelder anlegen. Auf die Bemerkung, warum gespart wird, Herr Professor Biedenkopf, komme ich ebenfalls noch zurück. Wenn Sie die Sparmotivation wirklich wüßten - nicht nur bei Rentnern -, so wären Sie eine singuläre Erscheinung in der Erforschung dieses Gebietes. Keiner weiß es! ({4}) Es ist auch deswegen notwendig, ein gesamtwirtschaftliches Defizit zu haben, weil die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes durch den privaten Sektor geringer wird. Wir begrüßen das nicht, z. B. daß im Wohnungsbau der Finanzierungsbedarf 1978 zwar höher ist als 1977, aber geringer als früher. Es ist nicht begrüßenswert, daß die Investitionsnotwendigkeiten gewerblicher Unternehmen geringer sind, als wir es möchten, wohl aber, daß für das Jahr 1978 wieder ein größerer Anteil Selbstfinanzierung erwartet werden kann, was mit der - wie wir hoffen - besseren Ertragsentwicklung, mit der wir auch nicht zufrieden sind, zusammenhängen könnte. Jedenfalls wird der negative Finanzierungssaldo nach unseren Erwartungen im Jahre 1978 im Vergleich zu 1977 rückläufig sein. Man könnte dies auch noch durch Bemerkungen über den geringeren Außenbeitrag ergänzen. Aber als Fazit will ich sagen: Höhere private Ersparnisse ermöglichen Defizitfinanzierung, und ein höheres Defizit auf Grund von Steuersenkungen - und das hat die Bundesregierung zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft gesetzt -, also Einnahmeverzicht anstatt Ausgabenerhöhung, scheint uns gesamtwirtschaftlich gesehen der richtige Weg zu sein. Dies schafft mehr Raum für pivate Nachfrage. Nur möchte ich im selben Zusammenhang sagen: Mehr an öffentlicher Leistung, als wir für 1978 ermöglichen, geht nicht. Es ist. aber nicht so, Herr Waigel, daß wir sagen: keine neuen Konjunkturprogramme, nur weil wir nicht können - auch weil wir nicht können -, sondern auch weil wir nicht wollen. Es wäre falsch, heute das Signal in die Welt zu setzen, es könnte uns in drei, vier Monaten etwas einfallen, was noch ein bißchen investitionsbegünstigend wäre, weil das nur dazu führen kann, daß derjenige, der eine Maschine kaufen möchte, lieber noch die drei oder vier Monate wartet, um zu sehen, ob er nicht noch ein paar Mark mehr von uns bekommt. ({5}) - Herr Waigel, ich käme auf die „Strohfeuer"-Bemerkung, wenn mehr Zeit zur Verfügung stünde, gern zurück. Ich möchte wissen, wo wir ohne die 30 Milliarden „Strohfeuer" heute wären. ({6}) Wir sagen aber, es ist jetzt Sache der Unternehmen, von den gegebenen Rahmenbedingungen Gebrauch zu machen. Diese Rahmenbedingungen stellen uns nicht in allen Punkten zufrieden. Wie könnte das sein? Wann wird das jemals der Fall sein? Wahrscheinlich sind auch die nicht zufrieden, die investieren sollen. Aber irgendwann müssen Entschlüsse gefaßt und Schwierigkeiten überwunden werden. Es kann nicht immer nur mit Ängstlichkeit und Zaghaftigkeit reagiert werden. Wir sagen, es wird neue Konjunkturprogramme nicht geben. Ich glaube, es wird auch keine zusätzlichen Arbeitsmarktprogramme in nennenswertem Umfang geben können. Wir hoffen, daß wir sie auch nicht brauchen. Wir sind allerdings auch der Meinung, daß eine Philosophie - Herr Biedenkopf, Sie haben darüber ausführlicher gesprochen, ich will darauf nachher auch noch ausführlicher erwidern - nach der Überlegung: Wir, die Tarifpartner, sorgen für die Tarife, ihr sorgt für die Vollbeschäftigung! so einfach nicht geht, in der Bundesrepublik aber auch so einfach nicht praktiziert worden ist. ({7}) Meine Damen und Herren, es wird auch keine wesentlichen neuen Branchenhilfen da und dort geben können. Ich bin immer verwundert, welcher Partei die verschiedenen Wirtschaftsminister oder Ministerpräsidenten der Länder angehören, die reihenweise bei mir Unterstützung verlangen und Forderungen nach öffentlichen Programmen auf den Tisch legen. Manchmal komme ich mir vor wie das, was man früher bei der großdeutschen Wehrmacht „SAK" nannte; das heißt jetzt aber nicht „Sündenabwehrkanone", sondern „Subventionsabwehrkanone" im Amt des Bundeswirtschaftsministers. Wir werden hier sehr zurückhaltend sein. Ich kann mir auch nicht denken, daß der Finanzminister bereit sein könnte, eine wesentliche - vielleicht ist, wenn ich seine Ausführungen recht verstehe, „wesentlich" schon zu zurückhaltend - Erhöhung der staatlichen Zuschüsse im Zusammenhang mit dem Problem der Rentenversicherung hervorzuzaubern. Woher soll er sie zaubern? Hier möchte ich auf einen ergänzenden, aber wichtigen Tatbestand im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts aufmerksam machen. Wir sind verpflichtet, was immer eine solche Verpflichtung in der Wirklichkeit unserer Tage bedeutet - die Welt hat sich seit der Verabschiedung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes verändert -, die Eckwerte der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bis 1982 auf den Tisch zu legen. Wir werden sagen - es ist inzwischen der Presse mitgeteilt worden, und es wird Ihnen, meine Damen und Herren bald zur Verfügung stehen. - ({8}) - Herr Kollege, Sie wissen sehr genau, daß man einen Jahreswirtschaftsbericht erst einmal in 520 Exemplaren drucken muß, bevor man ihn den Abgeordneten zur Verfügung stellen kann. Ich hatte mich gerade darüber gefreut, daß ich Gelegenheit habe, das Parlament einmal früh von dieser Stelle aus zu informieren. Der Ablauf der Dinge ist doch nun einmal so. Das ist wahrlich keine Vernachlässigung des Parlaments. Wenn Sie mich eines Tages auf diesem Pfad erwischen, nehme ich jeden Tadel gern entgegen, und ich gelobe im vorhinein Besserung. Wir rechnen in den Jahren 1977 bis 1982 mit einer nominalen Steigerung des Bruttosozialprodukts von 7 %, mit einer Preisrate von 3 °/o, d. h. mit einer realen Steigerung von 4 %. Dies ist ebenfalls - niemand täusche sich - ehrgeizig. Wir rechnen mit einem Anwachsen der Bruttolohn- und -gehaltssumme je beschäftigten Arbeitnehmer von 6 °/o. Das bedeutet Probleme für die Rentenversicherung. Wir wissen das. Es ist nicht meine Aufgabe, dem vorzugreifen, was der Bundesarbeitsminister dazu zu sagen und vorzuschlagen hat bzw. was die Regierung auf der Grundlage dieser Zahlen an Vorschlägen auf den Tisch legen muß. Aber erlauben Sie mir bitte, in diesem Zusammenhang, ohne daß ich dem Kollegen vorgreifen will, ein sehr persönliches Wort. Sie, die Opposition, ziehen gegen die Regierung zu Felde wegen nicht eingehaltener Zusagen auf diesem Gebiet. Wäre ich Opposition, so täte ich es wahrscheinlich auch. Allerdings lassen Sie unter den Tisch fallen, daß die Abhängigkeit von wirtschaftlicher Entwicklung und Entwicklung unseres Rentensystems seinerzeit mit Ihrer Zustimmung in dieses Gesetz gebracht worden ist und daß wir diese Abhängigkeit immer bejaht haben. Es fiel nur leichter, als es. nach oben ging. ({9}) Sie, meine Damen und Herren, legen keinen konkreten Vorschlag zur Lösung der jetzt entstandenen Probleme unter den gegebenen Möglichkeiten vor. ({10}) - Dies löst es eben nicht ausreichend, Herr Kollege Barzel. - Ich sage: Auch dafür habe ich Verständnis. Aber Sie bauen eine Position auf, die nach meiner Meinung mindestens den Mut zur Offenheit - mehr will ich nicht sagen - vermissen läßt. Ich höre von prominenten Vertretern Ihrer Fraktion immer wieder, daß die Anwendung des Systems der Bruttolohnbezogenheit auch für kurzfristig notwendige Korrekturen - weiter will ich überhaupt nicht gehen - von Ihnen nicht zugestanden wird, wo wir doch wissen, daß kurzfristig für einige Jahre notwendige Korrekturen unter Abweichung von diesem Prinzip wohl unvermeidlich sein werden. Es fehlt hier, wenn ich es richtig sehe, an der Dekkungsgleichheit von politischer Kritik und Mut zur persönlichen Haltung, Mut dazu, Konsequenzen aus dieser Politik zu entwickeln. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Bitte.

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen noch in Erinnerung, daß alle unsere Vorschläge, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, mit Hohn und Spott von dem eben von Thnen zitierten Bundesarbeitminister als „Panikmache" zurückgewiesen worden sind? 5338 *

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Kollege Franke, ich habe sehr bewußt, weil ich weiß, daß dies der Einwand ist, sehr behutsam, wie ich hoffe, und sehr genau formuliert, daß die jetzt entstandene Problematik in der jetzt gegebenen Situation - wobei ich nicht untersuche, wer wann was falsch gemacht hat - eine Antwort verlange, mehr nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen vielleicht noch in Erinnerung, daß wir unsere Vorschläge vom letzten Jahr auch für die Zukunft, d. h. beginnend eventuell mit dem Jahre 1978 oder 1979, gemeint haben und daß daraus natürlich rückwirkend keine Wirkungen abzuleiten waren?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Kollege Franke, können wir uns nicht verstehen, oder wollen wir uns nicht verstehen? Es geht um die Beantwortung der Frage: Was ist jetzt, hic et nunc, zu tun, am 24. oder 25. Januar und den Folgetagen des Jahres 1978? ({0}) Darüber wird aber zu diskutieren sein. Mir geht es hier im wesentlichen um die Frage, wieweit sich Kritik und der Mut zu Konsequenzen, die dann gezogen werden müssen, miteinander decken, oder wieweit man Kritik üben kann und Lösungsmöglichkeiten durch eigene Positionen, durch eigene Forderungen verbaut. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Nein, Frau Präsidentin, ich habe ja leider nur eine begrenzte Zeit. ({0}) - Wir werden den Vorschlag in den nächsten Tagen machen. ({1}) - Ich habe nicht gesagt, Herr Barzel - Sie wissen sehr genau zuzuhören und sehr genau zu verstehen -, Sie sollen einen Vorschlag machen, ich habe vielmehr gesagt, Sie sollen nicht Positionen aufbauen, die Vorschläge unmöglich machen, so daß man dann nicht miteinander darüber reden kann. Das ist die Position. ({2}) Meine -Damen und Herren, ich will diese Probleme trotz der gestrigen Debatte mit aller Zurückhaltung behandeln, wobei ich mit der gestrigen Debatte nicht den Inhalt dessen meine, was wir besprochen haben, sondern -die Art, in der der erste Redner der Opposition vorgegangen ist. Ich will Ihnen mit aller Deutlichkeit, hoffentlich aller Gelassenheit, sagen, meine Damen und Herren, daß ich die Behauptung, der Chef der deutschen Regierung, der Bundeskanzler - der sich selbst verteidigen wird und verteidigen kann -, habe sich des Bruchs des Amtseides schuldig gemacht, für eine ehrabschneiderische Behauptung gegenüber jedem Mitglied dieses Kabinetts halte. ({3}) Der Kollege Strauß ist wie üblich nicht mehr da. ({4}) - Wie üblich? Ich weiß nicht, auf welcher Reise er ist. Ich will mich jetzt gerade mit einer seiner Reisen beschäftigen, Herr Kollege Waigel. ({5}) Wer so in. den Wald hineinruft, der muß sich nicht wundern, wenn so zurückgerufen wird. ({6}) Auch was den Kollegen Strauß und seine Beiträge zur Terrorismusbekämpfung anbelangt, möchte ich gern Deckungsgleichheit von Vorwurf, von Rhetorik und persönlicher Haltung sehen. Ich warte immer noch auf eine Erklärung oder auf ein Dementi des verehrten Kollegen zu der Behauptung des „Spiegel", Herr Strauß habe in der Zeit der Attentatsdrohung gegen die Lufthansa seinen Flug von Lufthansa auf Swissair umgebucht und sei dann nach Chile geflogen. ({7}) - Meine Damen und Herren, diese Behauptung - ({8}) - Herr Kollege Waigel, diese Behauptung ({9}) ist seit dem 28. November 1977 im Raum, aber nicht von mir, sondern abgedruckt im „Spiegel". ({10}) - Ich sage noch einmal, wer so in den Wald hineinruft, der wird auch dieses Echo ertragen müssen, und das werden Sie auch. ({11}) Wir werden nicht bereit sein, solche Behauptungen wie diese gestern widerspruchslos und ohne Reaktion hinzunehmen. Es wird mit gleicher Münze heimgezahlt. ({12}) Meine Damen und Herren, zum Jahreswirtschaftsbericht und zu Ihren Äußerungen, Herr Kollege Biedenkopf. Ich muß gestehen, ich finde es nicht ganz, ich will nicht sagen: korrekt, aber nicht ganz freundlich - sagen wir einmal so -, hier den Jahreswirtschaftsbericht, den Sie ganz offensichtlich - Information und Wissen ist Macht, ist Herrschaftsmacht, das wissen wir - von der ersten bis zur letzten Seite gelesen haben, zu zitieren, dabei aber von einem Wissensstand auszugehen, den die Mehrheit der Kollegen gar nicht haben kann. ({13}) - Es steht eben nicht alles in der Zeitung. Von dem verbalen Teil stehen nur wenige Abschnitte in der Zeitung. Vieles von dem, was Sie zitiert haben, ist wichtiger Bestandteil des Jahreswirtschaftsberichts. Wir würden uns freuen, wenn wir so viele aufmerksame Leser fänden. Lieber wäre es uns natürlich, Sie würden ihn so aufmerksam für eine Debatte lesen, bei der jeder über das gleiche Wissen verfügen kann. Ich gehe nicht davon aus, daß er es hat, weil es nicht alle lesen. ({14}) Sie haben im übrigen, Herr Biedenkopf, nicht alles vollständig gelesen. Ich will. darauf nachher eingehen. ({15}) Sie haben, wenn ich das recht verstehe, den Vortrag oder die Vorlesung, die Sie hier gehalten haben, sicherlich auch - und ich begrüße das - an einen Teil Ihrer eigenen Partei gehalten. Ich habe nichts dagegen, daß der Kollege Waigel das Ergebnis des FDP-Parteitags in Kiel glossiert, nur sage ich Ihnen, sage ich der Opposition: Gehen Sie doch nach Kiel, hic Kiel, hic salta, und dann machen Sie einmal ordnungspolitische Grundsatzprogramme und nicht das, was in Berlin zu Papier gebracht worden ist mit dem „sozialen Wohlbefinden". ({16}) Herr Biedenkopf, Sie haben hier - ich werfe Ihnen das gar nicht vor, ich stelle es nur fest - gut und relativ leicht reden, denn Sie reden als neuer Kollege jetzt noch vor dem Sündenfall. Eines Tages werden Sie mit Ihrer Zustimmung zu vielem von dem, was Sie hier kritisiert haben und dem so viele Ihrer Oppositionskollegen zugestimmt haben, auch nach dem Sündenfall stehen. ({17}) Ja, selbstverständlich. Sie haben erst den ersten halben Schritt getan, als Sie die Senkung der Vermögensteuer abgelehnt haben. Das war schon der Weg zum Sündenfall. ({18}) - Ich weiß das sehr wohl, aber dies war wohl weniger Grundsatztreue als Opportunismus. ({19}) Und mit Ordnungspolitik hatte das so schrecklich viel auch nicht zu tun. ({20}) Meine Damen und Herren, an der Zustandsbeschreibung, an den Zahlen, die Sie genannt haben, wird hier keinerlei Kritik geübt. Die Aussage, daß Innovations- und Anpassungsfähigkeit als wesentlicher, als zentraler Betandteil zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung gehört, findet unsere Zustimmung. Daß Vertrauen von Konsumenten und Unternehmern vorhanden sein muß, ist eine Binsenwahrheit, die in diesem Hause wohl niemand bestreiten wird und bestreiten kann; da sind wir einig. ({21}) Noch einmal dazu,. daß die Rentner sparen: Rentner sparen erstaunlicherweise immer überproportional. Bei fortschreitendem Alter spart man überproportional. Die menschliche Seele ist schwer erforschbar, und die Motivationen von Sparern sind erst recht schwer erforschbar. Ob es Prämiensparer oder andere sind, zu welchem Zweck und aus welchen Motiven sie sparen, weiß, Herr Biedenkopf, bis heute niemand. Oder sagen wir einmal, niemand weiß es annähernd genau. ({22}) - Ja, daß sie etwas zum Sparen haben, ist zunächst einmal ein Zustand, in den sie die Politik versetzen muß. ({23}) Herr Biedenkopf, Sie haben die Frage gestellt - und haben es sich, wie ich finde, zu einfach gemacht -, warum Arbeitnehmer keine Aktien kaufen. Es ist gewiß richtig, daß eine Inflationsentwicklung - im Gegensatz zu dem, was wir früher gemeint haben, als wir an den Substanzwert der Aktie glaubten - die Renditeaussichten der Aktie so verschlechtert, daß man sie nicht mehr kauft. Aber ich sage Ihnen, die Überlegungen, die hier zugrunde liegen, habe ich in zehn Jahren beruflicher Praxis, in denen ich versucht habe, Aktien zu verkaufen, erforscht, und darüber müßte man dann hier etwas genauere Darlegungen machen als nur aus dieser einen Überlegung heraus, die Sie für richtig und für entscheidend gehalten haben. Dies ist nicht der Punkt. Hinzu kommt im übrigen, daß wir mit der Körperschaftsteuerreform - notabene mit Ihrer Zustimmung - eine Schneise geschlagen haben, von der wir sehr hoffen, daß sie auf diesem Gebiet mehr Erfolg ermöglichen wird. Wir halten es für wichtig, daß dem Arbeitnehmer Zugang zum Produktivvermögen eröffnet wird, daß er am Erfolg der Wirtschaft - gelegentlich auch am Mißerfolg, aber wir alle wollen hoffen, am Erfolg - Anteil haben kann. ({24}) - Dazu kommen wir auch noch; das haben wir sehr sorgfältig begründet. Erneut haben Sie, Herr Biedenkopf, wie Herr Strauß - und ich bitte doch, es sich nicht so einfach zu machen -, das alte Lied gesungen, die Bundesregierung trage die außenwirtschaftlichen Schwierigkeiten - so sagten Sie - vor sich her, um von den eigenen Fehlern abzulenken. Ich habe niemals bestritten - und mein Amtsvorgänger hat niemals bestritten -, daß auch wir Fehler gemacht haben. Wer eigentlich macht keine Fehler, wenn er arbeitet und entscheidet? ({25}) - Auch der Bundeskanzler bestreitet dies nicht. Der Bundeskanzler mißt - über den Prozentsatz kann hier lebhaft gestritten werden - den außen- und weltwirtschaftlichen Zusammenhängen - wie ich finde, zu Recht - eine sehr große Bedeutung zu; wie gesagt, das Ausmaß ist diskussionsfähig. ({26}) Herr Biedenkopf, wie können Sie hier konstatieren, die Erhöhung der Energiepreise, die Vervierfachung der Energiepreise - so sagten Sie - sei kompensiert? ({27}) Da sind Sie beim Thema „Kreislauf" beim Kapitel „Nationaler Kreislauf" stehen geblieben und haben das Kapitel „Internationaler Kreislauf" nicht mehr zur Kenntnis genommen. ({28}) Denn, Herr Biedenkopf, die Belastung im internationalen Kreislauf, die doch sichtbar daraus entsteht, daß sich Dollar-Guthaben in Milliardenhöhe in einigen Wüstenländern ansammeln und dem Kreislauf anderer Volkswirtschaften entzogen werden, ist doch nicht überwunden. Wie denn um alles in der Welt? ({29}) Meine Damen und Herren, Sie sagen uns, daß die Löhne, die Einkommen nicht nur Nachfragewirkung haben. Herr Waigel meint, wir kritisierten den Sachverständigenrat. ({30}) - Sie haben „die Bundesregierung" gesagt, und der gehöre ich an. - Meine Damen und Herren, Sie werden unsere Stellungnahme im Jahreswirtschaftsbericht finden. Ich will Sie jetzt nicht damit aufhalten, etwas zu verlesen, was Sie in wenigen Tagen gedruckt auf dem Schreibtisch finden. Sie werden unsere Stellungnahme zu diesem Punkt bekommen, in der wir klar und deutlich sagen, daß Löhne und Gehälter selbstverständlich auch Nachfragewirkung haben, daß sie aber in der gegenwärtigen Situation sicherlich überwiegend Kostenwirkung haben und daß wir sehr genau wissen, daß von Lohn- und Gehaltserhöhungen nur ein Teil und nicht etwa das Ganze nachfragewirksam werden kann. Wir sind da völlig einer Meinung, aber wir bitten denn doch darum, daß das nicht einfach übersehen wird. ({31}) - Ich komme auch dazu noch, Herr Biedenkopf. Ich habe mich dazu öffentlich - draußen vor 3 000 Belegschaftsmitgliedern der KWU - geäußert und gesagt, daß ich die Bezeichnung „Geschwafel", wenn man anderer Meinung ist, für keine angemessene Form von Diskussion und Kritik halte. ({32}) Kritik muß jedermann hinnehmen, aber über „Geschwafel" kann man nicht mehr diskutieren. Sie, Herr Biedenkopf, sagen, der Exportüberschuß des Jahres 1977 sei wesentlich gewesen, habe uns gerettet, sei hilfreich gewesen. Ich möchte antworten: ja und nein. Ja, weil er natürlich die Beschäftigung abgestützt hat. Schwierig wird es, wenn man sieht, unter welchen Konditionen dieser Exportüberschuß von der beliefernden Industrie erreicht werden konnte und wie das die Ertragsmarge gedrückt hat, weil der Wettbewerb, nicht zuletzt durch die Wechselkursbewegungen - ich bitte um gütige Nachsicht, aber auch das ist ein außenwirtschaftliches Moment -, auf die Preise gedrückt hat. Und wer glaubt denn eigentlich, wer ist denn so einfältig, zu glauben, daß man, nur weil man D-MarkRechnungen ausstellt, den ganzen Verlust durch Abwertungsbewegungen allein dem Käufer aufbürden kann, wenn man einen solchen Markt noch behalten will? Nein, hier gibt es Risiken, und hier hat der Export durchaus seine problematische Seite. Aber es geht weiter: Der Außenbeitrag dieses Landes, Herr Biedenkopf, ist eben nicht nur die Lieferung von Gütern, ist eben nicht nur die Handelsbilanz, sondern ist die Zusammenfassung von Waren- und Dienstleistungsbilanz, und die ist seit drei Jahren rückläufig. Und auch hier liegen unsere Schwierigkeiten wieder im außenwirtschaftlichen Bereich begründet. ({33}) - Es ist kein anderes Problem, sondern es ist die halbe Seite eines Bildes, die Sie betrachten oder die Sie dem Betrachter zumindest vorgeführt haben. Sie nannten die Probleme im Inland; Sie sprachen die vier Gruppen an. Ich will mich mit diesen Gruppen auseinandersetzen. Aber ich will zuvor die Gesamtfrage, die Sie gestellt haben, versuchen zu beantworten, nämlich die Frage: Wie ist Entlastung von dem, was sich entwickelt hat, möglich? Es hat sich doch etwas entwickelt - ich habe das an dieser Stelle als wirtschaftspolitischer Sprecher meiner Fraktion mehrfach dargestellt, nicht immer zum Entzücken aller; es ist ja auch nicht begeisternd -: Eine Reihe von einzelnen Wohltaten, gutgemeinten Aktionen hat sich eben in der Summe in manchen Bereichen als eine Belastung gezeigt, die es uns schwer macht. Wer bestreitet das? ({34}) - Ich komme darauf noch zurück, Herr Biedenkopf Es wird nichts ausgelassen, wenn es mir die Zeit erlaubt. Haben Sie keine Sorge. Sie wissen, daß ich hier nicht um die Ecken sause. Ich will nur deutlich machen: Glaubt denn irgend jemand, daß wir hier durch Eingriffe Wesentliches reduzieren und ändern können, oder ist es richtig zu glauben, daß jetzt ein Stillstand, ein Stopp im Hinblick auf weitere Belastungen notwendig ist und daß wir u. a. darauf vertrauen müssen, daß die Entwicklung unserer Volkswirtschaft und die vergleichbare Entwicklung anderer Volkswirtschaften dazu führt, daß diese in ähnliche Kostenbelastungen hineinwachsen und unsere Wettbewerbsfähigkeit gestärkt wird? Das ist doch der einzig realistische Weg: nichts Neues mehr draufpacken. Darin sind wir uns doch einig. Da hat es keine Meinungsverschiedenheiten gegeben. Sie haben die Vollbeschäftigungsgarantie zum Thema Preise und Löhne zitiert. Ich will auf die alte Geschichte nicht eingehen; auch das haben wir vor vier Jahren diskutiert. Aber, Herr Biedenkopf, ich möchte in aller Deutlichkeit ein Wort zur Tarifautonomie sagen, so wie wir sie sehen. Tarifautonomie ist und bleibt ein Bestandteil einer liberalen Wirtschaftsordnung. ({35}) Sie muß von den Tarifpartnern verantwortlich wahrgenommen werden. Das geschieht im. wesentlichen. Es wird immer Fehlverhalten geben, in allen Bereichen. Wir machen ja auch Fehler. Sie dürfen nicht zur Regel werden. Wir sollten es hoch schätzen, daß dieses Land - dafür ist diese Politik auch mit verantwortlich - das einzige in Europa ist, in dem es überhaupt noch Tarifautonomie nach unseren Vorstellungen gibt. ({36}) Ob Sie das guide lines oder contrat social oder social contract nennen - das alles ist doch im Grunde Einflußnahme des Staates, der öffentlichen Hand, weil die Dinge so gelaufen sind - mit teilweise unverantwortlichen Gewerkschaften -, daß es nicht mehr geht. In diesem Lande sind die Tarifpartner, von einzelnen Fehlern abgesehen, verantwortungsbewußt gewesen. Ich sage nicht, daß das Problem der ungelernten Arbeiter, so wie Sie es dargestellt haben, anders zu sehen sei. Ich habe hier als wirtschaftspolitischer Sprecher - so kann man dann als Bundeswirtschaftsminister nicht mehr reden; deshalb zitiere ich mich von früher - gesagt, daß sich manche der ungelernten Arbeiter, die beschäftigungslos gewesen sind, bei Herrn Kluncker für seine Sockeltheorie bedanken müssen. Die Mindestlohnentwicklung ist ein Problem. Aber wir haben auch hier gesagt, Herr Biedenkopf, daß nur Bildung, Ausbildung, Verbesserung der Ausbildung der Ungelernten und vor allem der Jugendlichen - die Schere sehen wir doch: mehr Nachfrage nach Facharbeitern, weniger Angebot, weniger Arbeitsplätze für ungelernte, minderqualifizierte Arbeitnehmer - der Weg ist. Wo gibt es denn da Meinungsverschiedenheiten? Warum wird das so aufgeblasen, als bestünden hier ordnungspolitische Unterschiede? ({37}) Die sozialen Belastungen: Wer hat denn diesen sozialen Belastungen zugestimmt? Darf ich wieder etwas fragen, was ich schon von dieser Stelle aus gefragt habe? Herr Biedenkopf, wir wollen das doch nicht ändern, damit es nicht etwa ein Mißverständnis gibt. Das gäbe nicht nur bei den Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion Ärger. Herr Katzer hat mir damals gesagt, als ich das erwähnte, das sei ein fabelhaftes Gesetz, nämlich die arbeitsrechtliche Lösung der Lohnfortzahlung, die Sie in der Großen Koalition mit Ihren Stimmen beschlossen haben und die im Effekt - man mag das Gesetz gut oder nicht gut finden - die teuerste Belastung der mittelständischen Wirtschaft ist. Das ist nicht zu bestreiten. ({38}) Wir wollen sie nicht ändern, wir können sie nicht ändern. Aber wir wehren uns dagegen, daß uns etwas, was in der Großen Koalition beschlossen wurde, am 1. Januar 1970 in Kraft trat, als wir schon im Amte waren, so angelastet wird, als hätten wir die Wirtschaft stranguliert. So einfach geht es nun wahrlich nicht. ({39}) Wir sind mit Ihnen einverstanden: Phantasie entfalten, mehr Flexibilität herbei führen. Jede Anregung wird aufgegriffen werden. Von dem Schlagwort „soziale Demontage" halten wir nichts. Niemand wird das ernsthaft in die Diskussion einführen; denn wir sind aus dem Wahlkampf heraus. ({40}) - Wir sind aus dem Wahlkampf heraus, und wir werden uns mit Schlagworten ({41}) - ich habe das Wort nie benutzt - nicht die Möglichkeiten zu Lösungen verstellen. Wenn Sie jedesmal daran dächten, keine Positionen aufzubauen, die sachgerechte Lösungen verwehren, so wären wir, Bundesminister Dr. Graf Lambsdarff wie ich glaube, in mancher Hinsicht einen Schritt weiter. Sie sagen: zu wenig Bereitschaft zur Selbständigkeit, Prämien auf Unternehmensgröße. Es ist in der Tat nicht gut, daß Unternehmen, die sich zu bestimmten Größen entwickeln. - deswegen ist der Spruch „Größe an sich ist nicht gefährlich" vielleicht mit einem Fragezeichen zu versehen -, Sozialgebilde werden, die dem Wettbewerb nicht mehr ausgesetzt sind, weil der Staat dann meint, er müsse aus sozialen Verpflichtungen zugreifen, während die kleinen und mittleren Unternehmen sehr wohl dem Wettbewerb ausgesetzt bleiben. Dies sehen wir auch so. Da gibt es auch Bedenken in dieser Richtung. ({42}) Nur: Wir haben gerade in der Diskussion über die Mittelstandspolitik, über die freien Berufe - der Kollege Schachtschabel für die Sozialdemokraten, ich damals noch für meine Fraktion - überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten darüber aufkommen lassen, auch nicht mit Ihnen, daß es mehr Anreiz geben muß zum Selbständigwerden, daß das Risiko, sich selbständig zu machen, erleichtert werden . muß, daß wir überlegen, wie wir staatliche Maßnahmen treffen können, die das Anfangsstadium erleichtern. ({43}) - Herr Kollege Schwarz, Herr Coppik ist nicht Mitglied des Wirtschaftsausschusses, er ist auch nicht Bundeswirtschaftsminister - noch bin ich das. Meine Damen und Herren, wir unterhalten uns hier über eine Frage, bei der es im übrigen gar keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich habenicht gehört, daß irgendein Mitglied der Koalitionsfraktionen erklärt hat, sie wollten die Selbständigen wegrasieren, wie das manchmal von Ihnen mitgeteilt wird. ({44}) Meine Damen und Herren, Sie haben das Fazit gezogen, die marktwirtschaftliche Ordnungspolitik habe in diesem Lande keine Chance. Mit Recht hat der Kollege Haussmann Herrn von Hayek zitiert. Wenn Sie fragen „Wer investiert denn heute noch in Nordrhein-Westfalen?", dann lassen Sie mich die Frage bitte fortsetzen: Wer investiert denn heute in der Bundesrepublik? Gehen Sie, Herr Biedenkopf, bitte einmal ins Ausland und fragen Sie Unternehmen, insbesondere multinationale Unternehmen, deren Aufgabe das ist, welches Land der westlichen Welt sie heute für Investitionen für geeignet halten. Dann werden diese Firmen sagen: erstens die Vereinigten Staaten, zweitens die Schweiz - da lassen sie uns leider nicht herein -, drittens die Bundesrepublik Deutschland - und wahrscheinlich auch Nordrhein-Westfalen; ich gehe jedenfalls davon aus. ({45}) Im übrigen, Herr 'Biedenkopf, darf ich sozusagen aus landsmannschaftlicher Verbundenheit eine Bitte äußern: Reden Sie uns bitte nicht gerade die Investitionen aus unserem gemeinsamen Bundesland Nordrhein-Westfalen heraus, das tut nicht gut. ({46}) Es ist natürlich richtig: Einige andere finden das schön, denen werden die Investitionen zugetrieben. Aber wir möchten das nicht so gern. Wir wollen dort auch Investitionen haben. Wir brauchen im Ruhrgebiet wegen der strukturellen Anpassungsprozesse Investitionen. ({47})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Bitte sehr, mit Vergnügen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Herr Dr. Köhler.

Dr. Herbert W. Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben sich eben verbal sehr für die Selbständigenpolitik eingesetzt und das ganze Haus dafür bemüht. Können Sie mir die Gründe dafür nennen, weshalb in den letzten zehn Jahren, also in der Verantwortung dieser Regierung, die Zahl der Selbständigen im Saldo um 900 000 ich kann das auch noch in Worten aufschreiben - zurückgegangen ist?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Kollege Köhler, abgesehen davon, daß ich immer mit Freude feststelle, wie Ihr Herz für den Mittelstand schlägt, ({0}) und immer mit besonderer Freude feststelle, wie sich Ihre ordnungspolitischen Vorstellungen mit denen des Professors Biedenkopf nahtlos decken, geht meine Antwort dahin - Herr Haussmann hat das vorhin richtig zitiert -, daß im Bericht des Instituts für Mittelstandsforschung wesentliche Gründe für die Konkurse von' mittelständischen Unternehmen und Selbständigen verzeichnet sind. Viele Gründe liegen - Sie wissen, das ist der Hauptanteil - im fehlerhaften Management; ein weiterer Teil liegt in ungenügender Eigenkapitalausstattung. ({1}) - Augenblick. Damit stehen die Kreditaufnahmen in einer Niedrigzinsperiode im Zusammenhang, bei denen nicht berücksichtigt wurde, daß es in Zeiten wechselnder Konjunkturen eben auch eine Hochzinsperiode geben würde. An den hohen Zinsen ist man dann erstickt. Es kommt aber auch hinzu - ich bestreite dies nicht -, daß in einigen Bereichen und in einigen Branchen - wir wollen das ändern und hoffen, damit erfolgreich zu sein - die. Rahmenbedingungen nicht so gestimmt haben, daß man durch die Bank, auch wenn man leistungsfähig war, auch wenn man Bundesminister Dr. Graf Lambsdoaff vernünftig gewirtschaftet hat, erfolgreich sein konnte. ({2}) - Wir bestreiten das gar nicht. Wir brauchten uns doch nicht um die Selbständigen zu bemühen in großen Bundestagsdebatten, in der Bundesregierung - wir werden demnächst im Kabinett eine ausführliche Diskussion über den Mittelstand haben -, wenn es da keine Probleme gäbe. Dann würden wir uns die Arbeit nicht machen. Natürlich gibt es die Probleme. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase ({0}) ?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Ich glaube, Frau Präsidentin, ich werde demnächst hier vom Pult vertrieben: Ich wäre deswegen dankbar, wenn auf weitere Fragen verzichtet würde. Herr Kollege Biedenkopf, Sie haben auch noch einmal auf die Energieplanung hingewiesen. Die Bundesregierung ist, wie Sie wissen, dabei, sich größte Mühe darum zu geben. Aber es ist nicht allein Sache der Bundesregierung, die Investitions- und Rahmenbedingungen gerade im Kraftwerksbereich zu verbessern. So sollten Sie übrigens die TA Luft, wie Sie es hier getan haben, nicht hinstellen. Die Werte der TA Luft sind seinerzeit in diesem Hause so maßgeschneidert worden, daß Voerde gerade noch passen sollte. Daß die Gerichte etwas anderes gesagt haben, war nun nicht unsere Schuld. Aber insgesamt gesehen, Herr Biedenkopf: ich habe vor 20 Jahren in Oberhausen angefangen, und morgens auf meinem Bankschreibtisch hatte man, wenn man über die Glasplatte faßte, schwarze Finger. Da ist schon viel geschehen durch Umweltpolitik. Das wollen wir auch nicht verkleinern. ({0}) Wir werden langfristige ordnungspolitische Rahmenbedingungen aufrechterhalten, und wo es notwendig ist, werden wir sie verbessern. Wir werden auch eine vermögenspolitische Initiative - dies finden Sie ebenfalls im Jahreswirtschaftsbericht - in Kürze auf den Tisch legen. Wir konnten dem bayerischen Antrag nicht zustimmen, weil aus steuersystematischen Gründen die dort vorgegebenen Vorschläge nach unserer Überzeugung nicht brauchbar sind. ({1}) Wir sind, Herr Biedenkopf, sehr bereit, ein Angebot zur Zusammenarbeit, wie Sie es hier gemacht haben, anzunehmen. Wir schätzen Ihre Fähigkeiten. Herr Ehmke hat Sie als einen intelligenten Kollegen bezeichnet. Kein Widerspruch. Wir schätzen Ihre Fähigkeiten übrigens höher als Sie selbst, Herr Biedenkopf ; das ehrt Sie. Denn in Ihrer mich erheiternden Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reisebüro-Verband - der Bundeskanzler hat gesagt, Fröhlichkeit solle auch bei der Politik sein - haben Sie als Schlußsatz an den Deutschen Reisebüro-Verband geschrieben - Sie haben mir freundlicherweise eine Kopie des Briefes geschickt -: „Ich hätte es jedenfalls" - so schreiben Sie - „als eine persönliche Auszeichnung empfunden, für qualifiziert gehalten zu werden, ein Reisebüro zu leiten." Das bestätigen wir Ihnen, Herr Biedenkopf, gerne. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Dr. Biedenkopf, bitte.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Wirtschaftsminister, bestätigen Sie mir auch den ersten Teil meiner Feststellung, daß dieses für den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen nicht zutrifft? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Kollege, ich sehe, Sie sind völlig reuelos gegenüber dem Berufsstand der Reisebüros. Sie werden sich weiteren Äger einhandeln. Aber lassen Sie mich im Ernst eines sagen. Ich glaube, es wird niemanden geben - ihn selber eingeschlossen -, der nicht weiß, daß der Ministerpräsident Kühn in den vergangenen Wochen in Nordrhein-Westfalen gelegentlich einen Fehler gemacht hat. Das weiß er. ({0}) Ich möchte aber folgendes mit aller Deutlichkeit sagen. Ich habe volles Verständnis dafür - und habe ihn in den entscheidenden Beratungen voll darin unterstützt und meine eigenen Freunde in ihrer Meinung bestärkt -, daß es nicht angeht, einen Mann, der 50 Jahre ohne Fehl und Tadel in der deutschen Politik gearbeitet hat, über eine solche schäbige Affäre, die andere ausgelöst haben, stürzen zu lassen. ({1}) - Herr Köhler, Sie verstehen vom Mittelstand was, von Reisebüros, glaube ich, nicht so viel. Lassen Sie mich zum Schluß aber einen Kronzeugen zum Jahreswirtschaftsbericht zitieren, der gar nicht immer auf meiner Seite steht, sicherlich nicht auch immer auf der Seite des Koalitionspartners, vielleicht nicht einmal immer auf Ihrer. In der ersten Stellungnahme des Bundesverbandes der Deutschen Industrie heißt es heute: „Angesichts der anhaltenden ordnungspolitischen Diskussion ist das eindeutige Bekenntnis der Bundesregierung zur marktwirtschaftlichen Ordnung, insbesondere ihre klare Haltung in der Strukturpolitik" - Herr Waigel, zuhören, Strukturpolitik! - „besonders nachdrücklich zu begrüßen." - Wir haben einen Kronzeugen, der, wie ich hoffe, in Ihren Augen unverdächtig ist. Dieser Kronzeuge, Ihr Zuspruch und die Diskussion werden uns ermuntern, für eine frei5344 heitliche Wirtschaftspolitik, die auf den dezentralen Entscheidungskräften des Marktes beruht, die dem einzelnen eine Chance gibt, weiterzuarbeiten. Wenn Sie uns unterstützen, ist Ihre Unterstützung willkommen. Wenn Sie sich uns querlegen, werden wir entweder um Sie herum oder über Sie hinweggehen. Jedenfalls werden wir diese Politik durchsetzen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09, Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr - Drucksachen 8/1372, 8/1424 -Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({0}) Vom Berichterstatter wird das Wort nicht gewünscht. Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder ({1}).

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Verkehrshaushalt des Bundes für 1978 setzt sich, wenn auch versteckt, ein bedenklicher Trend der letzten Jahre fort. Ein geradezu klassischer Investitionshaushalt, der der Verkehrsetat einmal war, wird mehr und mehr zu einem Subventionshaushalt. Nur weniger als 50 % entfallen in diesem Jahr noch auf Investitionen. Nur durch einen Trick versucht der Bundesverkehrsminister, diesen Trend aufzuhalten. Er erhöht nämlich die Investitionszuschüsse an die Bahn, läßt aber dafür die Bahn ihre steigenden Bilanzverluste durch Kreditaufnahme finanzieren. Eine solche Politik bedeutet nicht nur eine Verschleierung der tatsächlichen Gegebenheiten. Sie ist, an wirtschaftlichen Maßstäben gemessen, in hohem Maß unseriös. Der Verkehrshaushalt des Bundes ist der drittgrößte Etat. Die Brisanz dieses Haushalts liegt darin, daß er das größte Haushaltsrisiko des Bundes überhaupt enthält, nämlich die Deutsche Bundesbahn. Die Bundesregierung und die sie tragende SPD/FDPKoalition haben seit ihrem Bestehen entweder die Verkehrs- und Bundesbahnpolitik und deren Ergebnisse völlig falsch eingeschätzt, oder sie haben bewußt Jahr für Jahr mittelfristige Finanzplanungen vorgelegt, die, was die Ansätze der Bundesleistungen an die Deutsche Bundesbahn betrifft, ihr Papier nicht wert gewesen sind. ({0}) Sieben Finanzplanungen haben sozialliberale Bundesregierungen seit ihrem Bestehen vorgelegt. Was die für das jeweilige Endjahr vorausgeschätzten Finanzzuwendungen an die Deutsche Bundesbahn betrifft, so klaffte mit penetranter Regelmäßigkeit eine Lücke von 30 % und mehr zwischen Ansatz und Wirklichkeit. Unter Einbeziehung der Verlustvorfinanzierung der Deutschen Bundesbahn müßte der Realitätsgehalt der Finanzplanung dieser Bundesregierung noch katastrophaler ausfallen. Daß hier aus einem Irrtum bereits Methode geworden ist, dafür spricht zumindest der Augenschein. Die Bundesregierung hat bis heute eine Verkehrspolitik betrieben, bei der sie mit unrealistischen Finanzplanungen von morgen ihre unsoliden Verkehrshaushalte von heute jeweils vorprogrammiert hat. Eine solche Politik ist von der CDU/CSU in allen Jahren seit 1969 entschieden abgelehnt worden. SPD-Verkehrsminister haben eine kaum noch überschaubare Zahl von Konzepten zur Sanierung der Deutschen Bundesbahn in die Welt gesetzt. ({1}) Man erinnere sich nur, daß der seinerzeitige Verkehrsminister Georg Leber 1969 den gesamten Zuschußbedarf der Deutschen Bundesbahn bis Ende 1972 auf 300 Millionen DM abbauen wollte. Anfang Januar 1973 verkündete Willy Brandt in seiner Regierungserklärung: „Die Bedeutung des Schienenverkehrs muß wieder zunehmen." Auftragsgemäß legte der Vorstand der Deutschen Bundesbahn im Mai 1973 ein Konzept vor, das bis 1985 mit 80 Milliarden DM öffentlicher Investitionsmittel den Personenverkehr der Bahn um 100 % und den Güterverkehr um 50 % steigern sollte. ({2}) Exverkehrsminister Lauritzen erfand im Juli 1973 den Slogan: Der Mensch hat Vorfahrt. Seine Devise lautete schlicht, Verkehrspolitik sei Gesellschaftspolitik, und der Bundeshaushalt habe die notwendigen Mittel für die Bahn aufzubringen. Das böse Erwachen kam schon Ende 1974, als der inzwischen inthronisierte Verkehrsminister Gscheidle dem Vorstand der Bundesbahn die Zielvorgabe setzte, künftig wie ein echtes Wirtschaftsunternehmen zu handeln. Was von Willy Brandt 1973 mit mehr Schienenverkehr angekündigt wurde, endete schließlich im Januar 1976 mit einem aufsehenerregenden Streckenhalbierungsplan, der von der Regierung selbst wegen massiver Proteste der Öffentlichkeit allerdings scheibchenweise wieder zurückgenommen wurde. Schließlich verabschiedete das Bundeskabinett im April des vergangenen Jahres einen sogenannten Leistungsauftrag an die Deutsche Bundesbahn mit dem Ziel, den Bilanzverlust der Bahn bis 1985 zu beseitigen, und bereits nach einem halben Jahr mußte der Verkehrsminister eingestehen, daß er sein Ziel nicht erreichen könne. Heute ist uns allen klar, daß die Bahn in den Jahren bis 1982 mindestens 10 Milliarden DM weniger einnehmen wird, als der Leistungsauftrag vom April 1977 angenommen hatte. Schröder ({3}) Dieses sind die wesentlichen Punkte eines geradezu atemberaubenden Zickzackkurses der Bundesregierung seit 1970 in der Bundesbahnpolitik. ({4}) Die Ergebnisse dieses Zickzackkurses und all dieser Konzepte sind in höchstem Maße niederschmetternd. Die Verkehrspolitik hat eindeutig versagt; sie hat das Kernproblem der Bundesbahn nämlich nicht lösen können, sondern sie hat es im Gegenteil immer größer werden lassen. ({5}) Das Ergebnis dieser traurigen Politik läßt sich in drei Punkten zusammenfassen. Erstens. Die Bundesleistungen an die Deutsche Bundesbahn sind von 3,9 Milliarden DM im Jahre 1970 auf 13,5 Milliarden DM in diesem Jahr angewachsen. ({6}) Zweitens. Zwar sind die Preise und Tarife der Bundesbahn im Personenverkehr von 1970 bis 1977 um 63 % und im Güterverkehr um 60 % gestiegen; dies hat aber nicht verhindern können, daß der Bilanzverlust der Bundesbahn in diesem Zeitraum um sage und schreibe 260 °/o, nämlich von 1,25 Milliarden DM auf 4,5 Milliarden DM angewachsen ist. Drittens. Die gesamten Schulden der Deutschen Bundesbahn sind in diesem Zeitraum von 12,4 Milliarden DM auf nunmehr 30 Milliarden DM angewachsen. Wer sich die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommende katastrophale Entwicklung des Unternehmens Bundesbahn vor Augen hält und sich gleichzeitig vergegenwärtigt, was in all den Bundesbahnkonzepten dieser Bundesregierung schwarz auf weiß zu lesen war und ist, ({7}) der kann für die Bundesbahnpolitik dieser Regierung unmöglich gelten lassen, daß Politik irgend etwas mit der Kunst des Möglichen zu tun hat. ({8}) Im Gegenteil: Im Gegensatz zu diesem Zickzackkurs der Regierungspolitik ist die wirtschaftliche Talfahrt der Bundesbahn seit 1970 kontinuierlich verlaufen. Die Bundesregierung ist heute weniger denn je in der Lage, aufzuzeigen, wie sie die Talfahrt des Unternehmens Bundesbahn in absehbarer Zeit beenden will. Auch in der Verkehrspolitik und insbesondere in der Bundesbahnpolitik hat es seitens der Regierung und der SPD/FDP-Koalition in all diesen Jahren seit 1970 im Grunde genommen als einzige Antwort darauf nur das ständig wiedergekäute Geschwätz gegeben, daß die CDU/CSU keine Alternative zu dieser Zickzackverkehrspolitik der Bundesregierung habe. ({9}) Dabei ist es die CDU/CSU gewesen, die zu einer Zeit, als sich Herr Leber noch voller Stolz Straßenbauminister nannte, den Fernstraßenausbauplan 1971 bis 1985 als unrealistisch ablehnte, was zugleich ein Ausdruck unserer Bundesbahnpolitik war. Man kann sich doch heute nur an den Kopf fassen, wenn man bedenkt, daß man damals seitens dieser Bundesregierung den Bürgern versprechen wollte, daß jeder Bürger in weniger. als 10 km Entfernung die nächste Autobahn erreichen könne.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mahne?

Erhard Mahne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001409, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schröder, darf ich Ihren Worten entnehmen, daß Sie für die Zukunft für weniger Straßenbau sind?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das dürfen Sie meinen Worten nicht entnehmen, sondern Sie dürfen meinen Worten entnehmen, daß diese Verkehrspolitik Ihrer Regierung bis zum heutigen Tage sich noch nie dadurch ausgezeichnet hat, daß sie einen Zusammenhang aller Verkehrsbereiche, insbesondere zwischen Bundesbahn und Straßenbau, gesehen und erkannt hat.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Mahne?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Erhard Mahne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001409, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen das koordinierte Investitionsprogramm für die Bundesverkehrswege bekannt?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist mir sehr wohl bekannt. In Programmen und Plänen waren Sie schon immer groß. Nur an der Wirklichkeit hapert es. ({0}) Diese Bundesregierung hat Anfang der siebziger Jahre den Personalbestand der Bahn um 40 000 Dienstkräfte erhöht, gleichzeitig aber die Investitionsquote der Bahn auf unter 15 % absinken lassen. Die CDU/CSU hat demgegenüber während ihrer Regierungszeit ihre Alternative demonstriert. Sie hat über Jahre hinweg der Bahn durchschnittlich 30 °/o der Aufwendungen zu investiven Zwecken zur Verfügung stellen lassen und damit eine selbst in der Privatwirtschaft selten erreichte Investitionsquote realisiert, wobei gleichzeitig in diesem Zeitraum in einem behutsamen und. kontinuierlichen Rationalisierungsprozeß 130 000 Stellen eingespart werden konnten. Meine Herren von der SPD, es war die CDU/CSU, die Anfang der 70er Jahre rechtzeitig vor der gemeinwirtschaftlichen Euphorie in der Verkehrs- und Bundesbahnpolitik gewarnt hat. ({1}) - Jawohl, ich rede über das Desaster Ihres diesjährigen Haushaltes und analysiere deshalb die Ursachen, die uns dahin geführt haben. Die Investitionen, zu denen die offizielle Politik der Deutschen Bundesbahn damals veranlaßt wurde, Schröder ({2}) erwirtschaften heute einen Kostendeckungsgrad, der nicht einmal 30 % erreicht, während die Bundesbahn bei ihren unternehmerischen Investitionen um Jahre zurückhängt. Nicht einmal diese Bundesregierung wird es fertigbringen, der Deutschen Bundesbahn per Leistungsauftrag Wettbewerbsfähigkeit am Verkehrsmarkt zu befehlen, wenn dafür die Voraussetzungen im investiven Bereich fehlen. Schließlich und letztlich, meine Damen und Herren, fordert die CDU/CSU seit langem bei den gemein- wirtschaftlichen Leistungen. der Bahn eine klare Abgrenzung nach dem Verursacherprinzip, weil sie dies auch für die Unternehmenspolitik der Bahn für von zentraler Bedeutung hält. Aber erst vor wenigen Tagen haben Sie diese Initiative meiner Kollegen aus der Verkehrspolitik in den zuständigen Ausschüssen wieder in den Wind geschrieben. Damit wird deutlich, daß sich die CDU/CSU im Gegensatz zum Zickzackkurs der Bundesregierung in der Bundesbahnpolitik auf einer kontinuierlichen politischen Linie zu mehr Wirtschaftlichkeit bei der Bahn bewegt hat. Die Bundesregierung allein hat es zu verantworten, daß die Sanierung der Bahn heute mehr und mehr ein Problem von Jahrzehnten wird und eine geradezu gigantische Hypothek für den Bundeshaushalt darstellt. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 angekündigt, die Belastung des Bundeshaushalts durch Zahlungen an die Bundesbahn müsse veringert werden. Der Realitätsgehalt dieser Ankündigung steht allerdings vorerst noch aus. Die mittelfristige Finanzplanung 1977 bis 1981 läßt für den Zeitraum dieser Legislaturperiode eine Verringerung der Bundesleistung schon gar nicht erkennen. Der in der Regierungserklärung an gekündigte und im April des vergangenen Jahres vom Kabinett verabschiedete sogenannte Leistungsauftrag an die Bahn sieht vor, daß der Bilanzverlust bis 1985 abgebaut werden soll. Auch diese Zielsetzung ist bereits nach wenigen Monaten völlig ins Wanken geraten. Damit, meine Damen und Herren, stehen wir heute in der Bundesbahnpolitik vor einer sich zuspitzenden Situation. Der Zeitraum zwischen Konzept, zwischen Plänen und Illusionen auf der einen Seite und der Wirklichkeit auf der anderen Seite, wird in der Bundesbahnpolitik der Bundesregierung mit zunehmender Dynamik des Zuschußbedarfs immer kürzer. Die CDU/CSU-Fraktion fordert deshalb die Bundesregierung in einem Entschließungsantrag zur dritten Lesung auf, bis zur Vorlage des Bundeshaushalts 1979 konkrete Zahlen vorzulegen, weil sie diesen sich zunehmend einengenden Teufelskreis durchbrechen will. Wir erwarten von der Bundesregierung mit der Vorlage des Bundeshaushalts 1979 und mit der Vorlage der Finanzplanung für die Jahre 1978 bis 1982, daß die in der Regierungserklärung von Januar 1976 und im Leistungsauftrag der Bundesregierung vom April 1977 angekündigte Verringerung der Bilanzverluste und Verringerung der Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt verifiziert und quantifiziert werden. ({3}) Gleichzeitig soll die Bundesregierung Punkt für Punkt nicht durch Pläne, sondern durch konkrete Maßnahmen verdeutlichen, mit welcher Verkehrs- und Bundesbahnpolitik sie diese Entwicklung realisieren will. ({4}) Solange dies nicht geschieht, ist ihr gesamter Verkehrshaushalt, weil dieses der Kernbereich ist, der weit mehr als 50 % umfaßt, Makulatur. Einer solchen Makulatur können wir unsere Zustimmung nicht geben. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).

Heinrich Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001552, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Schröder sprach vom Desaster wegen der Deutschen Bundesbahn. Das sagt er nur immer wieder hier; im Haushaltsausschuß haben wir den Einzelplan 12, ich würde sagen, zu 99 % einvernehmlich verabschiedet. ({0})% Herr Schröder, Ihre Kollegen aus dem Verkehrsausschuß waren es doch, die Sie gerade wegen der Bundesbahn zurückgepfiffen haben. Nun zu dem, was ich für meine Fraktion hier sagen möchte. Wegen der Kürze der verabredeten Zeit kann ich mich nur auf einige Schwerpunkte beschränken. Für 1978 ist eine weitere kräftige Anhebung des Volumens des Verkehrshaushalts um 15 % vorgesehen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Heinrich Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001552, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, wegen der Kürze der Zeit nicht mehr. - Das Investitionsvolumen ist um rund 1,3 Milliarden DM verstärkt und umfaßt wieder - und da sind wir beide uns einig - fast 50 % der Gesamtausgaben. Die bedeutendsten Ausgabeblöcke sind die Deutsche Bundesbahn mit der Hälfte, die Bundesfernstraßen mit 27 %, der kommunale Straßenbau einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs mit 9 % und die Bundeswasserstraßen mit 6 %. Vorrangiges Problem - und da sind wir uns auch wieder einig - bleibt die Sanierung der Bundesbahn, daher auch hier überproportionale Steigerung in den Zuweisungen des Jahres 1978. Wir verbessern die Zuweisungen gegenüber 1976 um 42 %. Aber ohne weitere verkehrspolitische Maßnahmen wird eine dauernde Gesundung der Bahn kaum zu erreichen sein. Nun einiges zur Lage der Bundesbahn. Die Motorisierung nimmt ständig zu: von 2,4 Millionen Kraftfahrzeugen im Jahre 1950 auf über 22 Millionen 1976. Heute können Sie im „Handelsblatt" folgende Schlagzeile lesen: „Noch niemals so viele Autos wie 1977 gebaut - Produktion überschritt die 4-MillioMüller ({0}) nen-Marke." - Weiter wurde das Straßennetz ständig ausgebaut. 1950 gab es 126 000 km Straßen des überörtlichen Verkehrs, 1976 aber 169 000 km. Der Bestand an schiffbaren Wasserstraßen für Schiffe über tausend Tonnen Tragfähigkeit nahm von rund 2 000 km im Jahre 1950 auf rund 2 900 km im Jahre 1975 zu. Der Ausbau der Strecken der Deutschen Bundesbahn - mit Ausnahme der Elektrifizierung der Hauptabfuhrstrecken - stagnierte dagegen. Das geht mit auf Ihr Konto, meine Herren von der CDU/ CSU. Erst die sozialliberale Koalition hat den Neubau von Bundesbahnstrecken angepackt. Die Verkehrsstruktur hat sich wie folgt entscheidend gewandelt. So fiel der Anteil der Schiene am Personenverkehr von 38 % im Jahre 1950 auf 6 % im Jahre 1976. Zugleich nahm der Anteil des Individualverkehrs von 33 % 1950 auf 78 % 1976 zu. Im Güterverkehr sank der Anteil der Schiene von 60 % 1950 auf 29 q 1976, während der Anteil des Straßenfernverkehrs von 8 auf 20 % in 1976 und der des Werkfernverkehrs von 3 % auf 8 % anstieg. Herr Kollege Schröder, die ersten Streckenstillegungen größerer Art fallen doch in die Zeit Ihrer Regierungsverantwortung unter dem Verkehrsminister Dr. Seebohm. Die Veränderungen in der Verkehrsstruktur kommen deutlich in der Auslastung des gegenwärtigen Streckennetzes zum Ausdruck. 90 % des Bahnverkehrs werden auf 50 °/o des Streckennetzes erbracht, von dem wesentliche Teile den quantitativen und - ich sage auch: oder - den qualitativen Anforderungen des Marktes nicht mehr gewachsen sind. Ich möchte Ihnen jetzt hier das wiedergeben, was Staatssekretär Ruhnau bei unseren Beratungen im Haushaltsausschuß dazu gesagt hat. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren: In der Verkehrswirtschaft befinden wir uns in einem tiefgreifenden Strukturwandel, und zwar durch das Automobil. Dies hat die Verkehrswirtschaft revolutioniert. Auf der Straße wird der Güterverkehr finanziert durch den Personenverkehr. Keine einzige Autobahn nur für Lastwagen! Die könnten die Abgaben gar nicht bezahlen. Bei der Bahn wird - und ich sage heute: wurde - der Personenverkehr finanziert durch den Güterverkehr. Keine einzige Strecke nur für den Personenverkehr! Das könnten wir auch nicht bezahlen. Die Rechnung sehen wir heute beim Ausbau der Schnellbahnsysteme. Wegen unzureichender Investitionen in ihre Infrastruktur in den Jahren, als CDU und CSU in der Regierungsverantwortung standen, konnte sich die Bahn nicht ausreichend an die gewandelten Bedürfnisse der Verkehrsmärkte anpassen. Eine Trendwende zeichnet sich jetzt hier ab. ({1}) Für die Jahre 1976 bis 1985 sieht das koordinierte Investitionsprogramm für den genannten Investitionsbereich der Deutschen Bundesbahn 17,7 Milliarden DM vor. An Bruttoinvestitionen sind 1978 rund 5,6 Milliarden DM veranschlagt. Der Bund fördert dieses Programm durch einen Investitionszuschuß von sage und schreibe 2,4 Milliarden DM. Nun ein Wort zur Personalpolitik der Deutschen Bundesbahn. Sie wissen, daß der Personalaufwand der Deutschen Bundesbahn etwa 70 v. H. der Gesamtleistung ausmacht. Durch Rationalisierung auf. Grund der Zielvorgaben des Bundesverkehrsministers ist es den Organen der Deutschen Bundesbahn gelungen, von 1974 bis heute die Zahl der Bediensteten um über 50 000 zu verringern. ({2}) Das bedeutet eine Reduzierung aller direkten und indirekten Personalkosten um 1,3 Milliarden DM. Dabei wurde - das war das, was wir vertreten haben und immer wieder vertreten werden - kein Bediensteter entlassen! Soweit ich es selbst beurteilen kann, wurde den Bahnbediensteten, insbesondere im Betriebsdienst, eine ungewöhnliche Leistungssteigerung zugemutet. Sie haben alle im Interesse der Gesundung ihrer Bahn diese Leistung erbracht. ({3}) Dafür möchte ich allen Bediensteten und auch allen Beteiligten in den Personalräten und in den Gewerkschaften den aufrichtigen Dank und die Anerkennung der SPD-Bundestagsfraktion aussprechen. ({4}) Noch ein Wort zur Bahn. Nach dem Bundesbahngesetz vorn 13. Dezember 1951 - damals regierten Sie - muß sich die Bahn die Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben selbst beschaffen. Der Eigentümer Bund ist nur dann zur Verstärkung des Eigenkapitals oder zur Darlehnsgewährung aufgerufen, wenn die Bahn dazu nicht in der Lage ist. Dieser Verpflichtung kommt der Bundeshaushalt 1978 auch in vollem Umfang nach. Bundesregierung und die Mehrheitsfraktionen von SPD und FDP stehen nach wie vor hinter dem Leistungsauftrag an die Deutsche Bundesbahn, der da heißt: Konzentration und Investition. ({5}) Wir haben deshalb der Bewilligung höherer Investitionszuschüsse den Vorrang vor einer vollen Verlustabdeckung eingeräumt. Damit unterstützen wir auch nachhaltig notwendige Maßnahmen der Deutschen Bundesbahn, ihre Verluste langfristig zurückzuführen. Unabhängig von der Priorität tragen die Investitionszuschüsse wie auch die Liquiditätshilfen in gleichem Maße zur Begrenzung der Verschuldung und des Zinsaufwandes bei. Unabhängig von ,der Zweckbestimmung führen sowohl die Investitionszuschüsse als auch die Liquiditätshilfen in der Bilanz der Deutschen Bundesbahn zur Verstärkung der eigenen Mittel. Nun ein Wort zum Bundesfernstraßenbau. 195 neue Autobahnkilometer konnten im Jahre 1977 fertiggestellt werden. 1978 sollen es 269 Autobahnkilometer und 150 Kilometer an neuen Bundesstraßen werden. Die Mittel für den Bundesfernstraßenbau sind gegenüber dem Vorjahr um 527,1 Millionen DM oder 8,7 °/o erhöht. Müller ({6}) Erstmals haben wir für Schallschutzmaßnahmen an bestehenden Bundesfernstraßen bzw. Entschädigungsleistungen an Eigentümer für Schutzvorkehrungen 50 Millionen DM veranschlagt. Die Bundesregierung hat am 21. Dezember 1977 den Entwurf eines Gesetzes gegen Verkehrslärm an Straßen und Schienenwegen verabschiedet. Wir begrüßen die nunmehr vorgesehene gesetzliche Regelung, verkennen jedoch nicht die vor uns stehenden Schwierigkeiten, allen gerecht zu werden: den betroffenen Bürgern, den Umweltschützern und den Straßenbaulastträgern, insbesondere den in den Gemeinden. Die vorgesehenen Aufwendungen für die nächsten 15 Jahre werden nach dem Gesetzentwurf etwa 7 Milliarden DM betragen. Der Gesetzentwurf ist ein Kompromiß zwischen Wünschenswertem und Finanzierbarem. Ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß mancher Mitbürger, der für sein Haus oder seine Wohnung nach Lärmschutz ruft, als Autofahrer bedenkenlos Lärm erzeugt. Das Präsidium des Deutschen Städtetages hat den Gesetzentwurf begrüßt. Sie können heute im „Handelsblatt" folgendes dazu lesen: Die Festlegung der Lärmgrenzwerte auf 65 Dezibel am Tage und auf 55 Dezibel in der Nacht, die in Mischgebieten und in Gewerbegebieten um jeweils 5 Dezibel höher liegen, sei richtig. So das Präsidium des Deutschen Städtetages. Wir 'werden uns in den Fachausschüssen mit diesem Gesetz zu beschäftigen haben. Erhöht wurden auch die Mittel für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Für den kommunalen Straßenbau stehen nunmehr 1 Milliarde DM und für den Öffentlichen Personennahverkehr 1,2 Milliarden DM zur Verfügung. Die Baransätze zur Förderung von Schiffbau und für die Modernisierung unserer Handelsflotte werden im Jahre 1978 verdreifacht. Mit der Verpflichtungsermächtigung stehen 746,2 Millionen DM für die Gewährung von Zuschüssen wieder in Höhe von 17,5 0/o auf die Herstellungskosten zur Verfügung. Damit können Neubauaufträge für Handelsschiffe und auch für Spezialschiffe auf deutschen Werften mit einem Gesamtvolumen bis zu 4 Milliarden DM abgedeckt werden. Auch das ist ein wichtiger Beitrag des Verkehrshaushalts zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Ich habe vorhin die Mitteilung bekommen, daß die für den Zeitraum bis zum 15. Dezember 1977 bereitgestellten Förderungsmittel in einer Gesamthöhe von 450 Millionen DM bis zur Höhe von 442 Millionen DM in Anspruch genommen worden sind. Das heißt, daß dieses Programm offensichtlich ein voller Erfolg wird. Ich komme zum Schluß. Die Bundesregierung und ihr Verkehrsminister haben auf dem Gebiet der Verkehrspolitik das volle Vertrauen der SPD-Bundestagsfraktion. Wir stimmen dem Einzelplan 12 zu. ({7})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

Alfred Ollesch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001647, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) - Nein, das vergesse ich nicht. Ich habe meine Verkehrsgeräte immer in Ordnung, ({1}) was immer Sie sich darunter vorstellen mögen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der drittgrößte Einzelhaushalt findet, was die Diskussionszeit anbelangt, in diesem Hause nicht die größte Beachtung. Das mag dafür sprechen, daß er in seinen Ansätzen ausreichend ausgestattet ist und daß er in den Einzelmaßnahmen sorgfältig ausgelegt ist; ({2}) denn auch die Kritik der Opposition vermochte wesentliche Versäumnisse dieser Bundesregierung und dieses Bundesministers für Verkehr nicht aufzuzeigen. ({3}) Ein anderer Kopf Wiederholte das, was wieder andere vorher hier vorgetragen haben. Es kam nichts Neues. ({4}) Dieser Haushalt von fast 27 Milliarden DM besitzt zwei wesentliche Schwerpunkte, die für die Bürger unseres Landes von besonderem Interesse sind, nämlich den Bundesfernstraßenbau und die Bundesfernstraßenunterhaltung sowie die Ausgaben für das bedeutendste Verkehrsunternehmen der Bundesrepublik, für die Deutsche Bundesbahn. Wir begrüßen - wie sicherlich alle Fraktionen dieses Hauses -, daß in Kürze ein Gesetz vorgelegt werden wird, das sich mit Lärmschutzmaßnahmen an den Bundesfernstraßen, Landesstraßen und Gemeindestraßen beschäftigt. Wir nehmen in Kauf, daß unter Beachtung der Tatsache, daß für Lärmschutzeinrichtungen an Bundesfernstraßen in Zukunft jährlich rund 150 Millionen DM vorgesehen werden müssen, weniger Bundesfernstraßen gebaut werden, weniger Kilometer jährlich fertiggestellt werden. Wenn mir die Frage gestellt werden würde, ob ich für mehr oder weniger Straßenbau sei, würde ich antworten, daß ich in bezug auf gewisse Bereiche durchaus der Meinung bin: Hier haben wir genug getan, hier sollten wir es lassen, und dafür sollten wir andere Bereiche besser bedenken. ({5}) Wir haben letztlich im Verkehrsausschuß gemeinsam eine Umlenkung beschlossen, die auch aus diesen Überlegungen heraus resultierte. Ich glaube, daß an der Höhe der für die Bundesfernstraßen vorgesehenen Mittel von der Opposition keine Kritik geübt werden kann, denn hier sind Beträge -ausgewiesen, die überhaupt nur unter Beachtung aller Schwierigkeiten, die in Planung und Durchführung solcher Maßnahmen bestehen, abgerufen werden können. Wir haben ja in den letzten zwei Jahren nicht zu beklagen gehabt - in diesem Jahr wird es sicherlich wieder genauso sein -, daß es an Geld gefehlt hätte, sondern wir werden einen Überhang aufweisen, der natürlich auf das nächste Jahr vorgetragen wird und gelegentlich Veränderungen im Bedarfsplan finanziell absichert. Daher sollten wir gar nicht so böse darüber sein, daß hier und dort aus Einspruchsgründen, aus Umweltschutzgründen durch die Bürger irgendwo ein Straßenzug oder ein paar Kilometer Fernstraßen nicht gebaut werden können. Wir werden das Geld dann schon gemeinsam sinnvoll einsetzen. Nun zum Thema Deutsche Bundesbahn, diesem Unternehmen, das nach den Worten des Oppositionssprechers - mein Kollege Hoppe hat diese Betrachtung auch gelegentlich angestellt - in Gefahr gerät, zu einem Haushaltsrisiko zu werden. ({6}) - Ich will das nicht werten. Ich sehe es noch nicht als ein Haushaltsrisiko an. Vorab lassen Sie mich feststellen, daß dieses Verkehrsunternehmen, was das Funktionieren anbelangt und was seine Ausstattung angeht, sicherlich eines der besten der Welt ist. Daran gibt es keinen Zweifel. Wir dürfen auch vorab feststellen, daß wir innerhalb unserer Wirtschaft und innerhalb unserer Gesellschaft auf dieses Verkehrsunternehmen nicht verzichten können. Herr Schröder, es ist doch nicht so, daß es weniger Eisenbahn geben wird; es wird mehr Eisenbahn geben. Das Wort, das der Kollege Brandt einmal geprägt hat, ist gar nicht so unwahr, daß die Bedeutung des Schienenverkehrs zunehmen werde. Die Bedeutung nimmt zu. Wir bauen das SBahn-Netz Hamburg aus, wir bauen das S-BahnNetz Rhein-Ruhr aus. Vor einigen Wochen hat der Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn beschlossen, die geplante S-Bahn-Strecke Hagen-Mönchengladbach mit einem Kostenaufwand von 1 Milliarde DM zu bauen. Wir bauen das S-BahnNetz Frankfurt, das S-Bahn-Netz Stuttgart und das S-Bahn-Netz München aus. Das alles ist zum großen Teil bereits durchgeführt, zum Teil im Ausbau. Die Bundesbahn ist das richtige Beförderungsinstrument in den Ballungsräumen. Diese Aufgabe kann der Bundesbahn dort kein anderer Verkehrsträger abnehmen, wenn wir in diesen Bereichen nicht in einer Blechflut von Automobilen ersticken wollen. Im ländlichen Bereich aber, Herr Schröder, auf dem flachen Lande, wo es nur ein armes Verkehrsaufkommen gibt, wäre es doch wider alle Vernunft, diese wenigen Tonnen und diese wenigen Menschen über den teuren Schienenweg zu befördern. Hier ziehen wir uns zurück, und dies unter Beachtung aller Rechte der betroffenen Bürger in diesen Bereichen. Auch die Abgeordneten werden bei den anlaufenden Gesprächen - in Nordrhein-Westfalen beginnen sie im März - hinzugezogen und können dort ein Wort sagen und ihre Bürger vertreten. ({7}) - Das sind insgesamt 6 000 Kilometer. Wenn Sie einmal die Nachteile dieser Maßnahme gegen die Vorteile des Ausbaus unseres Schnellbahnnetzes aufrechnen, dann werden Sie feststellen, daß wir mehr Schienenverkehr mit der Bundesbahn betreiben werden und daß dieses Unternehmen eine zunehmende Bedeutung erfährt. Nun ist es ja immer recht interessant, und man ist als Opposition leicht verführt, auf die Entwicklung hinzuweisen. Der Kollege Müller hat ja schon erklärt, daß man sich auch einmal die Entwicklung des Individualverkehrs und den Rückgang des Transportgutes ansehen müsse. Auch die Bundesbahn ist vom Funktionieren und vom Standard unserer Wirtschaft und vom Wirtschaftswachstum abhängig. Wir sind in die Verluste geraten, weil sich die Erwartungen, Transportgut vornehmlich im Wagenladungsverkehr in bestimmten Umfange zu erhalten, wegen des Rückganges der Produktion vornehmlich in der Montanindustrie nicht erfüllt haben. 30 Millionen Tonnen Kohle auf Halde und eine sinkende Stahlproduktion schlagen sich natürlich im Verkehrsbereich und hier bei der Deutschen Bundesbahn nieder. Nun zum Konzept: Welche Verkehrspolitik wollen wir betreiben, und hat es in der Vergangenheit überhaupt eine andere Verkehrspolitik gegeben als die, die wir zur Zeit betreiben? Sie kommen immer mit dem Wort „Zickzackpolitik". Verbal mag es gelegentlich eine „Zickzackpolitik" gewesen sein. Wenn Sie sich aber einmal das Werk mit der Überschrift „Der Mensch hat Vorfahrt" genau angesehen haben, dann konnten Sie im zweiten Teil feststellen, daß auch unter Minister Lauritzen bei einer, wenn Sie so wollen, anderen ideologischen Einleitung gewissermaßen in praxi die bewährte Politik beibehalten wurde, daß sich auch der Verkehr im Rahmen unserer Marktwirtschaft unter Beachtung einiger Ordnungsfunktionen, die wir setzen und die notwendig sind, um ruinösen Wettbewerb zu vermeiden, abzuwickeln hat. ({8}) Nun zweifle ich nicht daran, daß es bei einigen Leuten auf Grund dieses ideologisch gefärbten Ausgangspunkts, alles müsse wieder auf die Schiene, der Individualverkehr müsse weg, die Vorstellung gegeben hat, wir würden in den nächsten Jahren an Stelle der Autobahnen überall ein noch größeres Schienennetz erreichen. Ich habe, als es die ersten Erwerbslosen im Bereich der Metallindustrie gab, mit Schmunzeln einer Diskussion in Berlin zwischen einem ÖTV-Vertreter, der für ÖPNV eintrat, und einem IG-Metall-Mann zugehört, der für den Individualverkehr eintrat, um wieder mehr Metallarbeiter zu beschäftigen. Heute stellen wir ja im Grunde genommen eigentlich dankbar fest, daß die Auto5350 mobilindustrie zu den Industrien gehört, denen wir es zu verdanken haben, daß wir in der Wirtschaft noch über ein Wachstum verfügen und uns nicht beim Nullwachstum bewegen. Von daher meine ich, es ist immer von Übel, wenn man an solche wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch bestimmten Fragen zu sehr mit der ideologischen Brille herangeht. ({9}) Wir benötigen alle Verkehrsträger, die sich zur Zeit auf dem deutschen Verkehrsmarkt bewegen. Wir haben dafür zu sorgen, daß wir dadurch, daß wir einen gewissen Ordnungsrahmen schaffen, diese Verkehrsträger auch lebensfähig erhalten. Unser Ziel können wir nur durch Einsparung von Personal, durch personelle Rationalisierung erreichen. Dazu sind wir gezwungen; denn das Personal, das wir zuviel haben, sind ja nicht Eisenbahner aus dem laufenden Betrieb, sondern das sind Eisenbahner in den daranhängenden Betrieben, die in der Anzahl und in der Größe nicht mehr benötigt werden. Wir werden uns also bemühen, den Personalabbau voranzutreiben und der Bahn durch Investitionen einmal das Netz zu geben, das sie braucht, um den Güterströmen folgen zu können und konkurrenzfähig zu sein. Ich glaube, daß wir uns trotz aller heute und sicherlich auch noch in den nächsten Jahren bestehenden Schwierigkeiten in absehbarer Zeit so intensiv mit diesem Verkehrsträger nicht mehr werden beschäftigen müssen. ({10})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Bundesminister Gscheidle.

Kurt Gscheidle (Minister:in)

Politiker ID: 11000745

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schröder ({0}) hat es heute für Sie von der Opposition übernommen, zur Verkehrspolitik zu sprechen, und er hat verständlicherweise - das tun wir auch - den Ansatz für seine Kritik bei der Bundesbahn gefunden. Die von ihm vorgetragenen Zahlen sind, soweit sie dem Material entnommen sind, das wir dem Hohen Hause zur Verfügung gestellt haben, nicht zu beanstanden. Er hat aber einige Angaben freihändig geschaffen; dazu muß ich ihm sagen: Insoweit begrüße ich seine Forderung, konkrete Zahlen zur Verfügung zu stellen. Er wird wohl selbst den Eindruck gehabt haben, daß man sich schwertut, einfach über den Daumen zu peilen, wie wohl die Einnahmeentwicklung und dergleichen mehr sein wird. Nun haben wir natürlich - wie sollte es anders sein? - gerade diesmal, nachdem der Redner gewechselt hat, mit Spannung erwartet, ob diesmal etwas kommt, was wir sofort als Anregung aufgreifen könnten, um dieses schwierige Thema etwas günstiger angehen zu können. Aber außer dem Hinweis auf das Verursacherprinzip habe ich persönlich dem nichts entnommen. Es täte mir leid, wenn ich dabei einen guten Gedanken überhört hätte; ich wäre ganz offen, wenn mir das nachträglich noch gesagt würde. Nur muß ich Ihnen, Herr Schröder, zum Verursacherprinzip selbst sagen: Damit gewinnen Sie doch nun wirklich nichts. Was denken Sie, was sich ändern würde? Wenn sozusagen derjenige, der verantwortlich zu entscheiden hat, wo gezahlt wird - zunächst, beim Einbringen, der Finanzminister und dann das Parlament, das zu entscheiden hat, wie es gemacht wird -, das Verursacherprinzip einführen würde. Es würde doch nach wie vor in derselben Höhe gezahlt werden müssen. Sie hätten damit ja nur erreicht, daß all diejenigen, die als Verursacher in Frage kommen, dann nicht nur diese Ansätze in ihrem Etat zu verantworten hätten; sondern die Tatsache, daß sie es zu verantworten hätten, würde auch dazu führen, daß sie dann auch Einfluß auf die Bundesbahnpolitik nehmen wollten. Und wenn Sie mich nach meinen bisherigen Erfahrungen fragen würden, ob es eigentlich an Einflüssen auf die Bundesbahn fehlt, so würde ich sagen: mitnichten; es sei denn, Sie hätten bei dem Verursacherprinzip auch den Gedanken gehabt, hinsichtlich der Gebietskörperschaften diejenigen einzubeziehen, die mit Vorschlägen, was der Bundesbahn noch zuzumuten wäre, schnell bei der Hand sind, aber auf die Frage, wer das finanzieren sollte, natürlich stets sofort zu Protokoll geben, wegen der verfassungsrechtlichen Stellung der Bundesbahn sie selbstverständlich nicht. Wenn das gemeint sein sollte, ist das zumindest ein Thema. Nach meinen Erfahrungen mit der Landesregierung Bayern, inwieweit sie bereit wäre, hier eventuell einzuspringen, muß ich Ihnen sagen: Die Schwierigkeiten - zunächst bei einer Diskussion einmal - hätten Sie weniger bei uns als dort, wo Sie vielleicht den größeren Einfluß haben. Aber was mich überrascht, ist: Wenn Sie als Mitberichterstatter für diesen Haushalt - mit zulässiger Polemik - sagen, für Sie sei das Ganze Makulatur, dann haben Sie vielleicht doch nicht ganz die Wirkung bedacht, die eine derartige Behandlung eines so wichtigen Haushaltsansatzes für die Bundesbahn hat; denn die Bundesbahn ist ja nicht nur ein Wirtschaftsgebilde, sondern sie ist ein äußerst empfindliches Sozialgebilde, das natürlich auch registriert, wie man in diesem Hause bei einer so wichtigen Debatte seinen Haushaltsansatz behandelt. Nun habe ich einmal den Bericht nachgelesen, den der Haushaltsausschuß zum Entwurf des Haushaltsgesetzes 1978 vorgelegt hat. Hinsichtlich Ihrer konkreten Tätigkeit im Haushaltsausschuß waren für mich die zwei letzten Absätze des Berichtes doch interessant - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -: Ein Antrag der Opposition, die Titel für Liquiditätshilfe an die Deutsche Bundesbahn und allgemeine Investitionszuschüsse an die DB zusammenzulegen, wurde von der Mehrheit des Ausschusses abgelehnt. Ein danach gestellter Kürzungsantrag von 500 Millionen DM bei dem Titel „Allgemeine Investitionszuschüsse" fand ebenfalls nicht die Mehrheit des Ausschusses. Dazu kann ich nur sagen: Gott sei Dank war die Mehrheit nicht willens, solchen Anträgen zu folgen, obwohl sie gegenüber den Haushaltsberatungen 1977 etwas variiert worden sind. Damals ist Ihnen eingefallen, den Antrag zu stellen, die Mittel für die Deutsche Bundesbahn einzufrieren. Nun frage ich Sie nach dem Grundtenor Ihrer Ausführungen, Herr Schröder, im Ernst: Wenn das das einzig Konkrete war, was Ihnen zur Bundesbahnpolitik bislang in den Ausschüssen eingefallen ist, welchen Gewinn sollte denn die Bundesbahn im Sinne der Antragsteller daraus ziehen? Bei ganz vorsichtiger Polemik meinerseits werden Sie doch wohl mit mir übereinstimmen, daß Sie der Bundesbahn damit überhaupt nicht geholfen hätten. Wenn Sie unseren Leistungsauftrag ständig mit Polemik überziehen, in Ordnuhg. Nur, der von uns geschätzte Kollege Müller-Hermann hat sich kurz vor der Bundestagswahl durch eine Broschüre „Höchste Eisenbahn" noch einmal kurz in Erinnerung gebracht für eine eventuell zu bildende Kabinettsliste ; danach, als Verkehrspolitiker, allerdings nicht mehr. Eines muß man ihm allerdings zugestehen: Das, was er in der Broschüre über die Bundesbahn gesagt hat, war bedacht, war im Zusammenhang dargestellt. Ich kann das insofern leichten Herzens sagen, als ich in der Broschüre das wiedergefunden habe, was die Grundkonzeption der SPD und der FDP war und zu diesen Aufträgen an die Bundesbahn geführt hat. Beurteilen Sie bei aller Polemik das, was sich dort inzwischen bewegt hat, bitte nicht so negativ, wie Sie es getan haben. Natürlich werden Sie sagen können - das ist nicht zu bestreiten -: Aber das Ziel des Abbaus des Bilanzverlustes bis 1985 schaffen Sie nicht. Das haben wir öffentlich erklärt. Aber, Herr Schröder, warum schaffen wir es denn nicht? Doch nicht etwa deshalb, weil wir im Rahmen des Leistungsauftrags bislang nicht genau das - und sogar etwas mehr - erreicht haben, was bei Reduzierung der Kosten in der Zeit seit Erteilung des Auftrags bis heute möglich war, sondern bei den Erträgen ist nicht eingetreten, was nach allen wirtschaftlich relevanten Daten, die uns für die Aufstellung solcher Pläne vorgegeben sind, zum Zeitpunkt der Erstellung angenommen werden konnte. Ich meine konkret den Einbruch im Montan-Bereich. Dazu muß ich Ihnen nun sagen: Auch Ihre Annahme der Hochrechnung von 10 Milliarden DM ist zumindest mit den uns bekannten Wirtschaftsdaten nicht zu vereinbaren. Danach werden es 6 bis 7 Milliarden DM sein. Das ist schlimm genug; denn das führt natürlich dazu, daß dieses Ziel nicht erreicht werden kann, es sei denn, der Verkehrspolitik gelänge es, auf dem Gebiet der Erträge der Bundesbahn Enormes,' Entscheidendes zu ändern. Damit erhebt sich die Frage, ob es denn neben den Maßnahmen, die wir bislang beim Bundesbahnvorstand angeregt haben, noch weitere gibt, die uns _ bisher nicht eingefallen sind - Ihnen offensichtlich auch nicht, denn wer würde sonst in seiner Verantwortlichkeit damit zurückhalten, sie hier zu nennen? Nur: Sie kommen automatisch zunächst einmal zu der Notwendigkeit, auch über verkehrspolitisches Ordnungsinstrumentarium nachzudenken. Das hat noch nichts mit einer Entscheidung zu tun. Aber nachdenken und diskutieren muß man. Ich höre Ihrerseits - nicht auf Ihre Person bezogen, Herr Schröder, sondern aus Ihren Reihen - vorsorglich schon die Proteste, ja nicht in diesen Bereich hineinzugehen. An sich sind wir schon einige Zeit in diesem Raum, und zwar nicht nur in der Diskussion, sondern in der konkreten internationalen Verkehrspolitik. Das wird aber der Bundesbahn allein nicht helfen. Man muß sich also, wenn man der Bundesbahn und damit dem Haushalt wegen der großen Risiken, welche die Bundesbahn natürlich bei dieser Entwicklung mit einbringt, helfen will, bemühen, mit Ideen, mit Phantasie, mit kreativen Vorstellungen etwas zu bewegen. Mit dem Abspielen alter Walzen - Entschuldigung, wenn ich Ihnen das so sage - werden Sie der Bundesbahn nicht gerecht, werden Sie ihr nicht helfen können. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir haben zum Einzelplan 12 auf Drucksache 8/1461 einen Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vorliegen. Das Wort zur Begründung wird nicht mehr gewünscht. Zur Aussprache liegen auch keine Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag auf Drucksache 8/1461. Wer zustimmen möchte, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe.! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 12. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen - Drucksache -8/1373 Berichterstatter: Abgeordneter Windelen Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 13 ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe nunmehr auf: Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - Drucksache 8/1366 5352

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordneter Dr. Riedl ({0}) Abgeordneter Löffler Abgeordneter Hoppe Einzelplan 33 Versorgung - Drucksache 8/1384 - Berichterstatter: Abgeordneter Metz Einzelplan 36 Zivile Verteidigung - Drucksache 8/1386 -Berichterstatter: Abgeordneter Carstens ({1}) Es ist verbundene Aussprache vereinbart. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Riedl.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in der vergangenen Woche und in dieser Woche an dieser Stelle hier wieder einmal die alte Leier von Obstruktion und Neinsagen der Opposition ohne Alternative vorgebetet. ({0}) Eine echte Gebetsmühle, soweit man beim Herrn Bundeskanzler ans 'Beten glauben mag. ({1}) Daß dieser Vorwurf falsch ist, weiß jeder, der die Arbeit der Opposition hier im Parlament erlebt. Ein klassisches Beispiel für die vielen Anwürfe dieser Bundesregierung und dieser Koalition gegen die CDU/CSU ist der gesamte Bereich der inneren Sicherheit. Seit Anbeginn dieser sozialliberalen Koalition haben wir die Verantwortung für die innere Sicherheit aus Verantwortung für diesen Staat und für seine Bürger mitgetragen. ({2}) Wir haben nicht nur, wie es uns immer wieder vorgehalten wird, kopfnickend, sondern initiativ und antreibend von Jahr zu Jahr diese Regierung zu besonderen Anstrengungen in Fragen der inneren Sicherheit gedrängt und sie folgerichtig unterstützt. Dies gilt auch für die Haushaltsansätze zu den Sicherheitskapiteln beim Haushalt des Bundesinnenministers.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie , eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hamm-Brücher?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte um Verständnis, wenn ich dies ablehne. Angesichts der kurzen Redezeit, Frau Präsidentin, möchte ich meine Ausführungen konzentriert vortragen. In den nahezu zehn Haushaltsjahren von 1969 bis 1978 hatte die Bundesregierung in der CDU/CSU-Opposition jedwede Unterstützung und Förderung, wodurch sie zu einer Finanzausstattung kam, die zu den höchsten innerhalb der westlichen Länder zählt. In diesen zehn Haushaltsjahren der sozialliberalen Koalition hatte der Bundesminister des Innern für den Bereich der inneren Sicherheit, man höre und staune, 8 294 910 200 DM zur Verfügung. ({0}) - Sehen Sie, so ernst nehmen Sie diese Zahlen. Wir müssen angesichts dieser horrenden Ausgaben Sie, Herr Minister, fragen, ob Sie sich Ihrer wahren Verantwortung für das, was Sie an Sicherheitspolitik dem deutschen Steuerzahler schuldig sind, wirklich auch bewußt sind. Es muß erlaubt sein, in dieser Haushaltsdebatte, wo es ja auch um die Abrechnung über die Steuergelder geht, nach dem Erfolg der Maßnahmen zum Schutze der Sicherheit unserer Bürger zu fragen. Die Antwort lautet aus unserer Sicht: der Durchbruch bei der Bekämpfung des Terrorismus und der Gewaltkriminalität ist leider Gottes ausgeblieben. Deshalb macht sich Unruhe in unserem Volke breit - trotz Mogadischu. Der Vertrauensschwund ist da und wächst ständig. Sie, Herr Minister, tragen hierfür ein Stück Mitverantwortung. Angesichts dessen, was SPD und FDP hier im Parlament, im Rechtsausschuß und vor allen Dingen auch innerhalb der Bundesregierung bieten, gilt: es besteht ganz offensichtlich kein gemeinsamer Wille mehr, unseren Staat vor Zugriffen auf die Freiheit und seine Sicherheit unnachsichtig zu schützen. Man schickt sich an, unsere Sicherheit und damit die Freiheit unseres Lebensraumes auf den kleinsten Nenner unbelehrbarer und schwärmender Linker zu ordnen, weil man um die notwendigen Mehrheiten bangt. Dies ist mit ein trauriger Erfolg der Linken in dieser Fraktion. ({1}) Ihre schwankende Haltung, Herr Minister Maihofer, in Sachen Sicherheit, die wir Ihnen ja seit Jahren vorhalten, möchte ich an zwei - ich kann es aus zeitlichen Gründen nur an zwei - konkreten Fällen darlegen. Das ist einmal der Fall Traube und zum anderen der Fall Nollau. Sie haben Herrn Traube 30 000 DM aus Steuergeldern gegeben, obwohl Sie im Haushalt diese Gelder gar nicht zur Verfügung hatten. Sie mußten zwei Haushaltstitel hernehmen und das Geld zusammenkratzen, einmal den Titel „Gerichtskosten" und einmal den Titel „Andere Verwaltungskosten". ({2}) - Sehen Sie, das ist der Unterschied, Herr Staatssekretär Haehser vom Bundesfinanzministerium: dies war nicht legitim. Diese Zahlung war unkorrekt. Deshalb haben wir auch beschlossen - mit Ihrer Unterstützung, mit den Kollegen von der SPD und der FDP -, daß dieser illegitime Vorgang im Rechnungsprüfungsausschuß des Deutschen Bundestages noch eigens geprüft wird. Wir halten diese Zahlung für ungerechtfertigt. Dr. Riedl ({3}) Herr Minister, Sie müßten eigentlich jetzt Änderungsanträge zum Haushalt stellen, damit Sie die Nachforderungen, die auf Sie zukommen, befriedigen können. Ein bedenkliches Präjudiz für vergleichbare Fälle! Herr Dr. Traube hat sich durch seine Kontakte mit der Terroristenszene verdächtig gemacht. Ein Mann in seiner Stellung mußte damit rechnen, daß dies den Sicherheitsbehörden nicht unbekannt blieb; es ist Gott sei Dank nicht unbekannt geblieben. Ihre Behörden haben zu Recht gegen Dr. Traube ermittelt. Bei dieser Sachlage von einer Art Entschädigung oder Wiedergutmachungsleistung des Staates zu sprechen, ist abwegig und stellt die Dinge auf den Kopf. ({4}) Das zweite ist der Fall Nollau. ({5}) - Hören Sie lieber gut zu, was ich Ihnen jetzt sage. Was sich die deutsche Öffentlichkeit von Herrn Nol-lau seit seinem Ausscheiden aus dem Amt des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz so an Kriminalstories à la Agatha Christie servieren lassen muß - mit Ihrer Zustimmung, Herr Bundesminister Maihofer; mit Ihrer obrigkeitlichen Duldung -, ist, gelinde gesagt, eine Zumutung. Darf ich - mit freundlicher Genehmigung der Frau Präsidentin - Ihnen, Herr Minister, zwei Paragraphen aus dem Bundesbeamtengesetz vorlesen. ({6}) - Jetzt müssen Sie mit mir vorliebnehmen, Herr mittelfränkischer Kollege! ({7}) Ich weiß nicht, Herr Minister, ob Sie das Bundesbeamtengesetz dabei haben. Sie können es auch nicht ständig unter dem Arm mit sich herumtragen. Ich zitiere aus § 61: ({8}) Der Beamte hat, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, über die ihm bei seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt nicht für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr oder über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Soweit ich Laie informiert bin, ist alles, was beim Bundesamt für Verfassungsschutz geschieht, grundsätzlich der Geheimhaltung unterworfen. ({9}) Das steht zwar nicht im Bundesbeamtengesetz; aber das müßte der Beamtenminister wissen. Ich zitiere weiter: ({10}) Der Beamte darf ohne Genehmigung über solche Angelegenheiten weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben. Die Genehmigung erteilt der Dienstvorgesetzte oder, wenn das Beamtenverhältnis beendet ist, - man weiß nie so ganz genau, ob das bei Herrn Nollau der Fall ist oder nicht der letzte Dienstvorgesetzte. Herr Minister, ich lese Ihnen, wenn die Frau Präsidentin es gestattet, aus einem weiteren Paragraphen des Bundesbeamtengesetzes vor, nämlich aus § 77 über Dienstvergehen. Dort steht in Abs. 2: Bei einem Ruhestandsbeamten . gilt es als Dienstvergehen, wenn er ... 3. gegen § 61 ({11}) ... verstößt . ({12}) Das betrifft den § 61, den ich gerade vorgelesen habe. Das Verhalten von Herrn Nollau und seine Schwatzhaftigkeit schaden der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden in ganz besonderem Maß - und Sie, Herr Minister, schauen zu und tun gar nichts. ({13}) Jetzt will ich zu den Kollegen von der SPD ein ganz ernstes Wort sagen. ({14}) Wie weit muß es mit unserem Staat gekommen sein, wenn ein ehemaliger Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz einen noch im Amt befindlichen Bundesparteivorsitzenden einer großen demokratischen Partei in diesem Land derart, wie es geschehen ist, publizistisch kompromittieren kann? Diese Frage müssen Sie sich stellen, nicht wir uns. ({15}) Daß der Bürger an unserem Staat immer mehr Zweifel hat, wenn er sich an den Herrn Nollau erinnert, wundert gar nicht. Ich halte auch die Äußerung Ihres Staatssekretärs Fröhlich für der Sache nicht angemessen, der - falls es zutrifft - dieser Tage im Innenausschuß erklärt hat: Ich bin nicht bereit, mich zu den Erklärungen eines rüstigen Pensionisten zu äußern. Hier kann man doch nicht die Auskunft verweigern, Herr Minister, sondern hier muß Herr Nollau an die Vorschriften des Bundesbeamtengesetzes erinnert werden. Und wenn er sich nicht daran hält, muß gegen ihn wie gegen jeden anderen Beamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Und darauf warten wir. ({16})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich sagte Ihnen schon, daß es aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist. Ich bitte um Verständnis. Wenn der Herr Bundeskanzler es machen kann, darf ich als kleiner Abgeordneter es doch sicher auch tun. ({0}) Dr. Riedl ({1}) Darf ich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung beantworten, die der Herr Bundeswirtschaftsminister .vor -einigen Minuten machte, als er Herrn Strauß wegen der Benutzung einer Swiss-Air-Maschine auf dem Flug nach Südamerika kritisierte. ({2}) - Herr Staatssekretär Haehser, Ihr Zwischenruf und Ihre Einlassung sind genauso unerhört wie das, was der Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff hier gesagt hat. ({3}) Gottlob war ich Teilnehmer dieser Reise ({4}) und kann hier als Zeuge auftreten. Herr Strauß flog mit einer Privatmaschine von München nach Genf, weil er an jenem Tag in Genf mehrstündige Termine hátte. Diese Termine waren am späten Abend dieses Tages zu Ende. Wir wollten noch am gleichen Abend nach Südamerika weiterfliegen. Außer der SwissAir-Maschine gab es nicht eine einzige Linienmaschine, die den Anschluß hatte. Deshalb sind Herr Strauß und seine Begleitung mit der Swiss Air geflogen. Im übrigen hätte der Herr Bundesinnenminister seinem Kollegen im Wirtschaftskabinett ausführlich Rede und Antwort über die Vorbereitung dieser Reise geben können, weil die Sicherungsgruppe Bonn des Bundeskriminalamts von Anfang an in die Vorbereitung dieser Reise eingeschaltet war. Ich halte es für schäbig, einem Mann wie Franz Josef Strauß, mit dem man über vieles diskutieren kann, Angst vorzuwerfen. Die hat er bestimmt nicht, Herr Haehser. Davon haben Sie vielleicht mehr in der Hose als er in seinem ganzen Körper. ({5}) - Das traue ich Ihnen zu. Darf ich den Bundesinnenminister jetzt einmal in seiner Eigenschaft als Verfassungsminister ansprechen ({6}) - Sehr nett. Innerhalb der Verfassungsabteilung des Bundesministeriums des Innern befassen sich im engeren Sinne mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, von Rechtsvorschriften und von Maßnahmen der Bundesregierung - man sollte es nicht glauben - vier Referate mit rund 20 Bediensteten, davon elf aus dem höheren Dienst; die Abteilungsleiter, Unterabteilungsleiter und die beamteten Staatssekretäre sind dabei noch nicht einmal mitgerechnet. Die Berechtigung für diese Tätigkeit leitet sich aus der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien ab. Dort heißt es in § 23: ({7}) Die beteiligten Ministerien sind bei der Bearbeitung von Gesetzentwürfen schon zu den Vorarbeiten zuzuziehen ({8}) Zu beteiligen sind z. B. 2. das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Justiz, wenn Zweifel bei der Anwendung des Grundgesetzes auftreten ... Ich will hiermit auf die Verantwortung des Bundesinnenministers in seiner Eigenschaft als Verfassungsminister im Zusammenhang mit der Serie von Verfassungsverstößen dieser Bundesregierung hinweisen. Im Rahmen dieser Geschäftsordnung muß also - um es für diejenigen deutlich zu machen, die es nicht verstehen wollen oder können - jedes Gesetz in seinem verfassungsrechtlichen Bestand die Zustimmung des Bundesinnenministers finden. Dabei hat die Bundesregierung das ausgesprochene Glück und den Vorzug, in Ihnen einen Mann als Bundesminister des Innern zu haben, der als» Rechtsprofessor in besonderer Weise geeignet sein müßte, ({9}) die Aufgabe der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen in rechter Weise zu erledigen. Wie sieht die Bilanz dieser Verpflichtung aus? Die Bilanz ist eine Kette von schwerwiegenden Verfassungs- und Rechtsverstößen dieser Bundesregierung, durch die die CDU/CSU gezwungen war, das Bundesverfassungsgericht anzurufen und dafür zu sorgen, daß das Grundgesetz und die Grundwerte unserer Verfassung durch Sie, durch SPD und FDP, nicht verletzt werden. Dafür müssen wir uns vom Bundeskanzler in der Aussprache zur Regierungserklärung noch beschimpfen lassen. ({10}) Herr Minister, ich möchte Ihnen einmal - aus zeitlichen Gründen kann ich es nur in Stichworten machen - die Verfassungsverstöße vortragen, die hier festgestellt worden sind, damit Sie einmal sehen, was in Ihrem Hause nicht gemacht worden ist. Da ist erstens das Urteil zum Grundvertrag vom 21. Juli 1973, da ist zweitens die Rücknahme des Gesetzentwurfes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmen, da ist drittens das Hochschulrahmengesetz des Bundes, da ist viertens das Urteil zur Fristenlösung, da ist fünftens die Vereinbarung, die der Bundespostminister Gscheidle mit der Deutschen Postgewerkschaft über Sonderrechte für Gewerkschaftsfunktionäre getroffen hat, da ist sechstens die Aussetzung des Vollzugs der Wehtpflichtnovelle, ({11}) da ist siebentens die Unzulässigkeit der Wahlwerbung der Bundesregierung, und da ist achtens das Urteil über die außerplanmäßigen Ausgaben des Finanzministers. Alle diese für verfassungswidrig erklärten Gesetze, Maßnahmen und Verordnungen haben das Haus des Bundesinnenministers mit einer Dr. Riedl ({12}) solchen Ausstattung, wie es in einer westlichen Nation beispielhaft ist, durchlaufen. Alle Beamten haben gesagt: Verfassungsrechtliche Bedenken sind da, und der Minister hat sich politisch entweder nicht durchsetzen können oder darüber hinweggesetzt. Herr Minister, Sie sind der Verfassungsminister in unserem Land, Sie haben aber Ihre Verantwortung als Verfassungsminister in diesem Lande nicht erfüllt. ({13}) - Vom Verfassungsverständnis brauche ich bei einem Rechtsprofessor nicht zu reden; das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. In diesem Zusammenhang ist das im Grunde genommen eine Schande. ({14}) Zum öffentlichen Dienstrecht vernehmen wir im Deutschen Bundestag seit 1969 in aller Regelmäßigkeit Ankündigungen großer und größter Art, nur klaffen Ankündigung und Realität weit auseinander. Seit Jahren wartet der öffentliche Dienst auf den großen Wurf. Man redet ihm ein, er sei nicht mehr zeitgemäß und deshalb reformbedürftig. Weil das eben nicht so ist, weil uns die ganze Welt um die Qualität unseres öffentlichen Dienstes und seines Berufsbeamtentums beneidet und weil die Beamten in Wirklichkeit besser sind als ihr Ruf, kann es auch keine Reform des öffentlichen Dienstrechts geben, wie Sie und vor allen Dingen die Politruks in der SPD es wollen. Lassen Sie deshalb von diesem Reformgerede ab und kehren Sie zu dem zurück, was Pflicht eines jeden Beamtenministers ist, nämlich stetig und in aller Ruhe den öffentlichen Dienst an die Erfordernisse unserer Zeit und die Notwendigkeiten unserer Gesellschaft Schritt für Schritt anzupassen. ({15}) Meine Damen und Herren, der öffentliche Dienst kommt meist nur dann ins Gerede, wenn die Parteien ihn mißbrauchen. Ich habe Ihnen vor einem Jahr schon gesagt: ich wundere mich immer, wo all die FDP-Leute herkommen, mit denen Sie die Posten besetzen, da in der FDP relativ wenige Parteimitglieder vorhanden sind. Wenn man sich das Gliederungsschaublatt im Bundesinnenministerium anschaut - es ist unglaublich, in welcher Weise diese 7,5-%-Partei dort überrepräsentiert ist. Nach dem Gliederungsschaublatt des Bundesinnenministeriums müßte die FDP in der Bundesrepublik Deutschland einen Wähleranteil von über 90 % haben. ({16}) Der Herr Bundesinnenminister braucht sich nur an die letzte Personalversammlung zu erinnern, wo ihn der Vorsitzende des Personalrates des Bundesinnenministeriums mit seinen Erläuterungen zur Schamröte getrieben hat. ({17})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann jetzt nicht, Herr Sperling. Ich habe nur zwanzig Minuten Redezeit. Das ist sehr schwierig. Ich bitte um Verständnis. Daß sich die Sozialdemokraten über diese Personalpolitik ärgern, kann ich allerdings verstehen, aber die Fragen - ({0}) - In Bayern haben wir auch über 65 % der Stimmen, Herr Sperling. Da können wir es uns erlauben. ({1}) Meine Damen und Herren, darf ich ein Wort zur deutschen Nationalstiftung - ({2}) - Das hat unwahrscheinlich gesessen, sonst würden sie sich nicht so ärgern. ({3}) Deutsche Nationalstiftung! Anspruch und Wirklichkeit stehen auch hier in einem krassen Widerspruch. Die notwendigen Erörterungen und Abstimmungen mit den Ländern sollen gewiß nicht unterschätzt werden. Es soll auch nicht unterschlagen werden, daß gerade die Standortfrage der Nationalstiftung besondere Probleme aufwirft, die zu lösen sind. Es muß aber im Interesse unseres Kulturstaates als unerträglich angesehen werden, wenn die Bundesregierung seit 1973 erfolglos an etwas herumgebastelt hat, was in anderen westlichen Kulturnationen bereits längst gelöst ist. Seit 1976 haben wir jährlich 12,5 Millionen DM für die Nationalstiftung zur Verfügung gestellt, und die Bundesregierung hat davon keine Mark ausgeben können, weil sie keine Konzeption vorlegen konnte. ({4}) Hohen Erwartungen steht ein Nichts an Ergebnis gegenüber. ({5}) Wir geben allerdings die Hoffnung nicht auf, daß endlich doch noch eine Regelung gefunden wird, die der Bedeutung Deutschlands als einer großen Kulturnation gerecht wird. Welche Lösung dabei auch immer erzielt werden mag - wir bestehen darauf, daß der Bezug zu Berlin in jedem Falle abgesichert und gewährleistet werden muß. Deshalb haben wir heute auch einen Änderungsantrag zum Einzelplan 06 vorgelegt. Meine Damen und Herren, darf ich zum Schluß die Bemerkung anfügen, die den Bundesinnenminister sicherlich wie in jedem Jahr sehr hart trifft. Herr Minister, weil Sie nach den Haushaltsdebatten immer so ganz böse sind, will ich Ihnen sagen: Beherzigen Sie doch endlich einmal, daß die Kritik der Sache dienen soll. Menschlich und persönlich haben wir gegen Sie doch gar nichts. Dies ist eine Kritik, an die Sie denken sollen, damit Sie in den Dr. Riedl ({6}) nächsten zwölf Monaten eine besser Politik machen. Als Mensch können Sie so bleiben, wie Sie sind. ({7})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Liedtke.

Karl Liedtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001340, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine scherzhafte und eine ernsthafte Vorbemerkung. Die scherzhafte ist: Ich danke dem Kollegen Riedl, daß er hier verdeutlicht hat, daß die Opposition die Koalition im Bereich der inneren Sicherheit vorwärtsgetrieben hat. Ich messe dieser Aussage die gleiche Bedeutung zu, wie wenn Herr Riedl sagte: Letztlich ist es 1860 München zu verdanken, daß der 1. FC Köln auf dem Wege zum deutschen Meister ist. Soweit die scherzhafte Vorbemerkung. ({0}) Nun die ernsthafte, meine Damen und Herren. Herr Kohl in seiner letzten Rede am Donnerstag und Herr Strauß in seiner letzten Rede gestern haben in bemerkenswerter Einigkeit eine Spur gelegt, an deren Endpunkt deutlich das Ziel stand: Kanzlerdemontage. ({1}) - Ich darf die Frau Präsidentin bitten, mir die Zeit zuzurechnen, falls das schlimmer wird, und das sehe ich fast voraus. ({2}) Bemerkenswert aus dem Grunde, weil der Kanzlerkandidat der Opposition - jetzt kommt der scherzhaft-ernste Teil - und sein Zeitmesser, der ihm sein politisches Zeitmaß immer kürzer setzt, eigentlich nur noch dann im Gleichschritt anzutreffen sind, wenn es gegen etwas zu marschieren gilt. ({3}) Ich verstehe, daß man sich, wenn man sich einem derartigen Zielpunkt nähert, von sachlichen Alternativen als Ballast vorweg befreien muß und daß man dann notgedrungen in bösen bis bösartigen Formulierungen zu enden hat. Aus dem Kranz dieser Formulierungen nehme ich nur eine heraus, die des Kollegen Strauß: Der Bundeskanzler hat seinen Amtseid verletzt. ({4}) Meine Damen und Herren, es entbehrt nicht der Ironie, daß diese Feststellung ausgerechnet von einem Mitglied des Hauses getroffen wird, das aus diesem Grunde vor Jahren als Minister zurücktreten mußte. ({5}) Der Transport des eigenen Sündenfalls auf den Bundeskanzler - das nenne ich grotesk. Der Wortradikalismus, der dabei benutzt worden ist und der aus der notwendigen politisch-sachlichen Auseinandersetzung stellenweise denaturiert worden ist zu dem Versuch einer politischen Kopfschlächterei, ist entwürdigend für dieses ganze Haus. ({6}) Ich schließe diese Vorbemerkung mit zwei Feststellungen ab. Wie immer Sie sich drehen, in dieser Bundesrepublik Deutschland gibt es nur einen Helmut Schmidt. ({7}) In dem Anzug, wie die beiden von mir Zitierten hier aufgetreten sind, laufen in Deutschland viele herum; ({8}) sie mögen alle an dem Kanzler kratzen, Kanzlerformat erhalten sie dadurch nicht. ({9}) Ende der Vorbemerkung. Deutlich erkennbar war, daß das Hauptvehikel, das Transportmittel zu diesem Ziel Untätigkeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung sein sollte. Das dient dann halt nur, indem man es so umkonstruierte, daß das „Dingen", wenn es so etwas gäbe, wirklich nicht laufen könnte. Sehen Sie mal, da hat Herr Kohl, schön aufgebaut, folgendes festgestellt: Erstens, dort, wo Regierung und Koalition in der Bekämpfung des Terrorismus Bewegung nach vorne zeigen müßten, ist nichts, nichts; da ist ein Loch. Dann hat Herr Kohl geschlossen: Wir werden unsere Pflicht tun. Er zieht daraus - ich bleibe im Bilde des Herrn Kohl - die Folgerung: Die drei aktuell anstehenden Gesetze in diesem Bereich werden von uns abgelehnt. Meine Herren, Ihr Grundprinzip ist nicht das Staatswohl, sondern Taktik, ({10}) und Ihre Methode ist die Negation mit ein bißchen Weißer Salbe drumherum. Ich darf einmal Herrn Dregger aus seiner letzten Rede im Bundestag zitieren: „Erst die Ereignisse des letzten Herbstes haben die Staatsqualität besiegelt." Da hat Herr Dregger gemeint, daß wir gemeinsam den Angriff auf unseren Rechtsstaat durch den Terrorismus in einer schwierigen Phase rechtsstaatlich abgewehrt haben. Wäre das nicht im rechtsstaatlichen Bereich geschehen, wären wir mit Sicherheit die wirklichen Verlierer gewesen. Das heißt aber auch grundsätzlich und prinzipiell - das ist meine erste Feststellung -, daß dieser Rechtsstaat Gesetze und Verordnungen hat, die durchaus in der Lage sind, den Terrorismus wirkungsvoll zu bekämpfen. Lassen Sie mich ein einziges Mal einen Kronzeugen von außerhalb dieses Hauses zitieren, das ist die GdP, die im Dezember 1977 - ganz frisch also - in ihrem Heft folgendes schreibt: Die GdP ist der Überzeugung, - sie müßte es ja wissen daß die geltende Rechtsordnung grundsätzlich ein ausreichendes Instrumentarium bietet, um auch die terroristische Gewaltkriminalität auf rechtsstaatliche Art und Weise in den Griff zu bekommen. Die bestehenden Gesetze müssen nur angewandt und ausgeschöpft werden. Dies ist vor allem eine Aufforderung an die dritte Gewalt, die Rechtsprechung, die durch Nichtausschöpfung bestehender Gesetze neue Gesetzesinitiativen gewissermaßen sogar provoziert. Offensichtlich sind auch Teile der politischen Parteien unausgesprochen dieser Ansicht. Soweit die GdP. ({11}) - Und dann folgt der Katalog, auf den ich gleich exakt komme. Im Grunde taste ich mich immer noch an den Kern heran. Meine Damen und Herren, und nun ganz konkret zur Sache. Erstens wiederhole ich diesem Hause, was jeder weiß: Nach unserer föderalistischen Verfassung ist die innere Sicherheit eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Zweitens. Bund und Länder haben sich in langer Zusammenarbeit mit dem ersten und zweiten Sicherheitskonzept eine Basis für diese Tätigkeit geschaffen. Das dritte Sicherheitskonzept ist in Arbeit und fängt alle empirischen Erkenntnisse ein. Drittens. Die Innenminister aller Länder, ob SPD oder CDU, haben übereinstimmend und wiederholt erklärt ({12}) - Sie haben Recht, sie sind mal da und da in der Koalition, die FDP ist immer dabei, wenn ich sage SPD und CDU -: Diese Zusammenarbeit funktioniert, sie hat sich bewährt. Viertens stelle ich fest: Das beinhaltet selbstverständlich, daß diese gesamte Basis ausbaufähig, modernisierbar, effektuierbar, strukturierbar ist und immer sein wird, um nach dem jeweils neuesten Erkenntnisstand die Verbrechensverhütung und dort, wo ein Verbrechen stattgefunden hat, die schnelle Ergreifung der Täter und damit wieder die Auslösung eines Verhütungseffektes wirkungsvoller zu gestalten. Hier allein - Verhüten oder Ergreifen der Täter - ist der Erfolg oder der Mißerfolg im Bereich der inneren Sicherheit meßbar, je nachdem, was am Ende herauskommt. ({13}) Und hier haben Sie unsere Grundhaltung: den Bürger schützen - da sind wir hoffentlich einer Meinung -, seine Rechte wahren und dort Schluß machen, wo sie möglicherweise eingeschränkt werden. Dort, wo Sie ein Nichtstun an die Wand projizieren, will ich Ihnen jetzt mal in kurzer Exaktheit aufzeigen, was sich im Augenblick alles bewegt; das läuft auf mehr als zwei Beinen. Ich sage gar nicht, was alles geschehen ist. 1. Die Neufassung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt steht im Hause an. Ziel ist, die Logistik der Sicherheitsstreitkräfte zu konzentrieren und auf die Ebene, die mit dem neuesten technischen Stand ausgerüstet ist, zu übertragen. Warum können wir das beispielsweise heute? Als wir das BKA 1969 übernahmen, hatte es weniger als 1 000 Beschäftigte. Heute sind es weit mehr als 3 000. Das ist ein langaufgebauter Prozeß. Das sind Fakten, meine Herren. Die Kosten haben sich verzehnfacht. Während man dort damals, bildlich gesprochen, aus dem Fenster schaute, haben wir heute beispielsweise mit dem INPOL-System eines der modernsten technischen Fahndungsinstrumente der Welt. Lesen Sie die Statistik des Innenministers nach! Dieser Kommissar Computer hatte allein im Jahre 1976 52 000 Fahndungserfolge zu verbuchen. Wenn ich Herrn Strauß zitieren darf: Aus dem Rumpelstilzchen BKA ist heute ein Topzentrum der Verbrechensbekämpfung geworden, nicht erst über Nacht, sondern in jahrelanger Arbeit. 2. Das BGS-Gesetz steht jetzt im Hause zur Neufassung an. Damit bekommen die Sicherheitsstreitkräfte das Recht des Zugriffs auf ein Reservoir von bis zu 20 000 BGS-Leuten. Warum konnten wir das machen? Weil wir vor mehr als fünf Jahren aus diesem paramilitärischen Verband in Ausrüstung und Ausbildung eine Bundespolizeitruppe gemacht haben. Das alles wurde nicht aus der Hand geschüttelt, sondern in zügiger, durchdachter Bewegung entwikkelt. 3. Das einheitliche Polizeirecht liegt demnächst auf dem Tisch des Innenausschusses. Der Vorlauf mit den Ländern hat, wenn ich es richtig sehe, über zwei Jahre gedauert. Die Früchte sind nun da. Von nichts kommt nichts. Nun verkürze ich die Aufzählung und spreche mehr in Stichworten: 4. Das Versammlungsgesetz ist im Innenausschuß den neuen Entwicklungen bereits einstimmig angepaßt worden; 5. Kontrollstellen; 6. Identitätsfeststellungen im konkreten Fahndungsfall; 7. Bankensicherung - für über 100 Millionen DM sind bereits Aufträge von den Banken bei der Industrie -; B. fälschungssichere Personalausweise; 9. fälschungssichere Kfz-Kennzeichen; 10. europäisches Übereinkommen über Terroristenbekämpfung; 11. Antrag der Bundesrepublik Deutschland in der UNO, die internationale Zusammenarbeit zu fördern. ({14}) Und so weiter. Meine Damen und Herren, dort, wo Sie ein Nichts konstruieren, haben Sie in vielfältiger Weise Bewegungen, Verbesserungen, neue Formulierungen, neue ergänzte Gesetzesvorhaben. Sie haben zugestandenermaßen einen langen Vorlauf; sie wurden nicht über Nacht aus dem Hut gezaubert. Dazu werden Sie uns auch nie bringen. Zielpunkt ist, den Verbrecher immer konzentrierter und wirkungsvoller zu jagen und zu überführen. Herr Strauß hat gesagt, der Rechtsstaat müsse Zähne zeigen. Ich pflichte dem bei. Aber ich füge hinzu: Er darf sich damit nicht selber in den Hintern beißen. ({15}) - Ich bitte um Entschuldigung für den westfälischen Ausdruck, der mir herausgerutscht ist. Ich füge einen Satz aus der Veröffentlichung des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands vom September 1977 hinzu. Dort heißt es - auch das ist eine Seite, meine Damen und Herren -: Stark ist der Staat in erster Linie durch die gemeinsamen Überzeugungen und Wertvorstellungen seiner Bürger. Nun lassen Sie mich den letzten Teil in gleicher Kürze angehen. Ich warne alle. Ich meine keinen Bestimmten, kann aber nicht verhindern, daß sich der eine oder andere einen Schuh anzieht. Ich warne erstens alle, die dem Versuch unterliegen, Terroristen, Sympathisanten, Extremisten - wer weit greift, auch noch Radikale - in einen Schmelztiegel hineinzurühren. Er schafft damit eine Atmosphäre eines McCarthyismus, und er vergrößert den Kreis, der Schwierigkeiten hat, sich mit diesem seinem Staat zu identifizieren. Zweitens. Wer Dokumentationen mixt, Weißbücher klittert, Menschen abstempelt, verketzert, schafft weniger Toleranz, mindert den Grundkonsens in der Gesellschaft, gefährdet letztlich die freiheitliche Demokratie und verletzt, was er schützen will. ({16}) Meine Damen und Herren, wer sich selbst in einen derartigen Gedankenkreis hineinbegibt, verwechselt schnell die Notwendigkeit eines wehrhaften Staates mit der Forderung nach einem starken Staat, der sich letztlich nur in immer schärferen Gesetzen verwirklicht sehen kann. ({17}) Hier beginnt der Schraubendreheffekt der Intoleranz. Wer das tut, verliert die Fähigkeit, schwierige, emotional geladene Zeiten besonnen zu meistern. Er unterliegt der Versuchung, sie zu nutzen, ja, sie auszubeuten. Dann entstehen mit der Geschwindigkeit eines Formel-I-Wagens im Grand-Prix-Rennen über. Nacht Vorschläge bis zu Gesetzentwürfen, die nicht ganz der Abenteuerlichkeit entbehren. Da gab es in der sehr krisenhaften Zeit der Schleyer-Entführung auch aus diesem Hause Vorschläge zur Wiedereinführung der Todesstrafe, zur Einsetzung der Bundeswehr: Seiltänzereien außerhalb der Verfassung. Da gibt es aber auch eine lange Reihe von Empfehlungen und Gesetzesvorschlägen wie Sicherungsverwahrung für Ersttäter oder - jetzt komme ich auf Ihre ganz konkreten Vorstellungen - Fortfall der Revisionsinstanz, Abschaffung der Zwangsernährung usw., wo die Frage erlaubt sein muß - ich will es einmal ganz human formulieren -: Wird hier die Rechtsqualität dieses Staates für alle Bürger gemindert, oder werden hier Rückfahrkarten in eine inhumane Vergangenheit angeboten? ({18}) - Und dann, Herr Lenz, entsteht letztlich - ({19}) - Das ist nicht wahr! ({20}) - Der Kanzler hat hier gestern deutlich erklärt, daß nicht über konkrete Gesetzentwürfe gesprochen worden ist, ({21}) und Herr Kohl hat das schweigend hingenommen. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube dem Kanzler - sehr im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kohl. ({22}) Herr Lenz, jetzt regen Sie sich ab; ich möchte jetzt endlich einmal fertig werden. ({23}) - Lautstärke hat mich noch nie überzeugt! ({24}) - Wenn Sie jetzt den bösen Blick bekommen, lehrt mich auch das nicht das Fürchten, Herr Lenz. ({25}) - Ich bin gleich fertig.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl Liedtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001340, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte diesen Gedanken eben zu Ende führen; danach stehe ich sofort zu Ihrer Verfügung. Letztlich kommt man auf dieser Strickleiter zu einer Atmosphäre, in der „der Terrorismus verstaatlicht wird" - ich will das erläutern -, in der der Bürger sich auf den Anspruch „Der Staat hat mich zu schützen" begrenzt, ({0}) in der er den Terrorismus als auch sein eigenes Problem, an dessen Lösung er mitzuwirken hat, nicht mehr erkennt und folglich nicht mehr annimmt. Kein Staat kann - das ist meine tiefste Überzeugung; das hat mit Polemik gar nichts zu tun - den Terrorismus ohne die Mithilfe der Bürger wirkungsvoll bekämpfen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage? - Herr Gerster!

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Liedtke, würden Sie denn sagen wollen, daß die Rechtsqualität Großbritanniens verletzt ist, das ja immerhin die Zwangsernährung abgeschafft hat, und daß das Verständnis für die Rechtsqualität bei dieser Bundesregierung verletzt ist, die immerhin den Vorschlag, Zwangsernährung nicht mehr durchzuführen, zu früheren Zeiten ebenfalls gemacht hat?

Karl Liedtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001340, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will Ihnen eine ganz präzise Antwort darauf geben. ({0}) Im Januar des vorigen Jahres hat dieses Haus .nach einer einjährigen Beratung einstimmig die Vorschriften über die Zwangsernährung gesetzlich verabschiedet. ({1}) Wenn Sie die Reden zu dieser Gesetzesverabschiedung mit Ihren Reden vergleichen, die Sie in der Debatte um den § 218 gehalten haben, werden Sie Deckungsgleichheit Ihrer Meinung über den Wert des Lebens und die Qualität, die der Staat diesem Gut entgegenzubringen hat, finden. Wenn Sie Ihre Begründungen zur Abschaffung der Zwangsernährung - hier geht es um das gleiche Gut ({2}) daneben halten, kann ich nur sagen, daß ein Beobachter von draußen bei der Quicklebendigkeit, wie man mit Grundwerten Ihrerseits umspringt, schon das Grausen bekommen kann. ({3}) - Das war die exakte Antwort. - Das alles trifft für die Grundauffassung der Briten nicht zu, weil es dort diesen Kurswechsel innerhalb weniger Monate nicht gegeben hat. Eine völlig andere Voraussetzung! ({4}) Meine Damen und Herren, ich schließe ({5}) und darf sehr bestimmt sagen: Eine Handvoll Terroristen - ich denke, da sind wir uns einig - wird niemals in der Lage sein, diesen unseren Staat zu zerbomben oder zu zerschießen. ({6}) Das können letztlich nur Demokraten selbst. ({7}) Für meine Fraktion danke ich hier noch einmal der Polizei, die in schwieriger Zeit unter schweren Bedingungen in harter Arbeit unser aller Vertrauen verdient hat. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weiter gebe, möchte ich eine Mitteilung machen. Es war interfraktionell vereinbart, daß die drei Einzelpläne des Innern, Versorgung und zivile Verteidigung in einer gemeinsamen Debatte abgehandelt werden. So sind sie auch aufgerufen worden. Jetzt wird aber interfraktionell vorgeschlagen, die Einzelpläne einzeln abzuwickeln und damit auch einzeln abzustimmen. Das heißt, daß der Einzelplan 06 jetzt abgehandelt und darüber abgestimmt wird, bevor über Versorgung und zivile Verteidigung gesprochen und abgestimmt wird. Ich möchte das Haus Tragen, ob es mit dieser Vereinbarung einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir uns zunächst auf den Einzelplan 06 konzentrieren. Das Wort hat der Abgeordnete Wendig.

Dr. Friedrich Wendig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002477, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach dieser Begrenzung des Themas will ich auch mein Referat begrenzen, das ich mit der Feststellung beginnen wollte, daß der Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern nicht nur aus den Problemen der inneren Sicherheit besteht. Ich wollte außer zur inneren Sicherheit auch einiges zum öffentlichen Dienst sagen, dann zur zivilen Verteidigung - das fällt jetzt weg; im Augenblick jedenfalls - und dann noch ein paar Sätze zum Datenschutz.. Aber zunächst zur inneren Sicherheit, meine Damen und Herren. - Ich möchte einige allgemeine Bemerkungen vorausschicken. Herr Kollege Riedl, ich glaube, Sie haben das, was Sie zur Einleitung zu diesem Komplex gesagt haben, doch sehr vereinfacht dargestellt. Ich glaube, so kann man es ehrlicherweise nicht tun. Hier geht es nicht nur - ich sage: nicht nur - um ein kraftvolles Handeln, von dem die Opposition immer wieder spricht, sondern auch um ein bedachtes Handeln - so wenig populär das in manchen Situationen sein mag -, gilt es doch, diejenige Linie zu finden und konsequent zu verfolgen, die das Notwendige in der Gesetzgebung möglich macht, ohne daß der Grundbestand freiheitlicher Prinzipien in unserer Staats- und Gesellschaftsordnung im Kern beeinträchtigt wird. Gerade wenn und weil wir Verantwortung vor dem einzelnen 'Bürger - und dies war manchmal konkret - wie vor der Gesamtheit der Bürger tragen, müssen wir allen Belangen, auch denen unserer freiheitlich verfaßten Rechtsordnung, Rechnung tragen. Die Schutzfunktion des Staates für Leben und Freiheit seiner Bürger, von der Herr Kollege Weizsäcker gestern gesprochen hat und die wir sehr ernst nehmen, betrifft gerade diesen Punkt. Damit ich hier nicht mißverstanden werde, möchte ich zwei Feststellungen treffen dürfen. Erstens. Es war und ist immer wieder. die Rede von der notwendigen Gemeinsamkeit der Demokraten in unserem Land. Diese Gemeinsamkeit ist in der Tat notwendig. Sie ist unverzichtbar. Der Grundkonsens aller muß aber nicht stets darin bestehen, daß man in jeder einzelnen Frage voll übereinstimmt. Erforderlich ist ein Grundkonsens über den Rahmen sowie über die Bereitschaft, mögliche Meinungsverschiedenheiten in fairer Form und ohne Diskreditierung des anderen in dem üblichen demokratischen Prozeß auszutragen. Dies setzt aber, meine Damen und Herren, zweitens voraus, daß ich in der anderen Meinung nicht schon von vornherein den Verrat an der gemeinsamen Aufgabe meine feststellen zu müssen. Um es präziser zu sagen: Wir, meine Damen und Herren, sind keineswegs der Meinung, daß andersgeartete Vorschläge - meinetwegen der Opposition hier - schon den Abmarsch in den Polizeistaat signalisieren. Herr Kollege Genscher hat in der vergangenen Woche wie auch gestern zu Recht darauf hingewiesen, daß er die Opposition gegen den Vorwurf in Schutz nehmen werde, sie wolle mit ihren Anträgen den Rechtsstaat verdrängen. Ebenso entschieden verwahren wir uns aber auch dagegen, in unserer Auffassung über die Lösung der anstehenden Frage mangelnde Kraft und mangelnden Willen in der Lösung der Probleme unterstellen zu wollen. Der Herr Bundeskanzler hat gestern sehr richtig ausgeführt, daß nicht menschliche Schwäche unser Verhalten bestimme, sondern Erwägungen, die auch im Bereich des Moralischen angesiedelt sind. Das ist doch hier die entscheidende Frage! Erst wenn wir über diese Prinzipien einig sind, meine Damen und Herren, ist eine fruchtbare und faire Debatte möglich, die den Boden der soweit notwendigen Gemeinsamkeit nicht verliert. Man hat in den vergangenen Wochen und Monaten in den Verlautbarungen der Opposition oft hören müssen - gerade in der vergangenen Woche -, daß ihre - der Opposition - Vorschläge von der Koalition nur zu 10 % oder zu einem noch geringeren Prozentsatz gebilligt würden. Ich will hier über Prozentsätze nicht streiten. Mich bedrückt allerdings der Absolutheitsanspruch, den die CDU/ CSU mit ihren Vorschlägen verbindet, so als ob dies der alleingültige Maßstab unseres politischen Handelns sein müsse. Was soll das eigentlich bedeuten? Das kommt manchmal der Vorstellung verdächtig nahe, die Opposition halte sich für die allein staatstragende und staatserhaltende Kraft. Eine solhe Auffassung - würde sie auf alle Bereiche übertragen - trüge den Keim einer Spaltung in sich, der für die Nation und unsere Gesellschaftsordnung unerträglich wäre. Im übrigen aber, meine Damen und Herren, haben wir niemals einen Zweifel daran gelassen, daß nach unserer Auffassung Strafrecht und Strafverfahrensrecht nur ein Teilgebiet in der Terrorismusbekämpfung sind - vermutlich nicht einmal das wichtigste. Es wäre gefährlich, hier allein die entscheidenden Lösungen sehen zu wollen. Zwar lassen sich Gesetze im Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts theoretisch leicht verändern; bleibt der Erfolg dann aber aus, ist die Auswirkung auf den Bürger um so schlimmer, der hier mehr erwartet, als billigerweise geleistet werden kann. Wie schon in anderen Debatten weisen die Freien Demokraten auch heute darauf hin, daß die polizeiliche Ermittlung und ihre Wirksamkeit einen besonderen Schwerpunkt in der Erörterung bilden müssen. Solche Gesetze sind oft schwer und mit einem langen Vorlauf - Herr Kollege Liedtke sprach davon - zu verabschieden, da sie eine Fülle organisatorischer und technischer Probleme aufweisen. Darauf habe ich schon im vergangenen Jahr genau an dieser Stelle hingewiesen. Wahrscheinlich vermitteln sie auf den ersten Blick auch nicht so einprägsame Bilder von einer wirksamen Bekämpfung des Terrorismus. Mit Genugtuung vermerken wir, daß im Haushalt des Bundesministers des Innern die personellen und sachlichen Mittel des Bundeskriminalamts wiederum beträchtlich verstärkt werden sollen. Auf Einzelheiten will ich verzichten. Schon vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß über eine Erweiterung und Konkretisierung der Kompetenzen des Bundeskriminalamts neu nachgedacht werden muß. Wir gehören nicht zu denen, die in einer organisatorisch bedingten Maßnahme für sich schon ein Allheilmittel erblicken. Ich will auch nicht bestreiten, daß diese Frage organisatorische und verfassungsrechtliche Probleme von Gewicht aufweist. Um so mehr begrüßen wir es, daß der Bundesminister des Innern nunmehr eine Novellierung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt vorbereitet. Einmal wird es darum gehen, die Funktion des Bundeskriminalamts als einer Stelle für den elektronischen Datenverbund in der Nachrichtenübermittlung zwischen Bund und Ländern nachhaltig zu verbessern. Die weitere Frage: Sind die Kompetenzen des Bundeskriminalamts nach der gegebenen Rechtslage für eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus wirklich genau und richtig und zutreffend definiert? Es erscheint uns deshalb notwendig, zu prüfen, ob die originären Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes auf terroristische Vereinigungen auszudehnen und diesem Amt im Rahmen seiner Zuständigkeiten Aufgaben und Befugnisse der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung zu übertragen sind. Wir wollen damit nicht die Funktionsfähigkeit der Länderpolizeien vor Ort in irgendeiner Form beeinträchtigen, auf die auf keinen Fall verzichtet werden kann. Wenn wir aber schon so umfassend über eine Verbesserung der polizeilichen Ermittlung und Fahndung diskutieren, so kann diese Frage eigentlich nicht ausgeklammert werden, so schmerzlich dies dem einen oder anderen sein mag. Der Herr Kollege Liedtke hat sehr kursorisch darauf hingewiesen, welche Gesetzgebungsmaßnahmen mit einem zugegebenermaßen langen Vorlauf jetzt im Bereich der Innenpolitik zu laufen beginnen bzw. bereits in der Beratung stehen. ({0}) Ich kann mich deswegen auch hier sehr kurz fassen. Die Neufassung des BGS-Gesetzes und die Vorlage eines einheitlichen Polizeigesetzes stehen bevor. Eine Verschärfung des Waffenrechts ist bereits in der Beratung. Der Bundesinnenminister legt in Kürze darüber hinaus den Entwurf eines Meldegesetzes vor, auf dessen Einzelheiten ich jetzt nicht eingehen will. Für die innere Sicherheit verweise ich nur auf die geplanten Vorschriften Hotelmeldepflicht, zur Identitätsprüfung und zur Errichtung von Landesadreßregistern. Daß der Entwurf daneben vor allem auch in bezug auf den Datenschutz Probleme aufwerfen wird, will ich nur unterstreichen. Aber in dem heutigen Zusammenhang kommt es mir vorrangig auf die Notwendigkeit an, verbesserte Voraussetzungen für die polizeiliche Fahndung durch ein novelliertes Melderecht zu schaffen. Fälschungssichere Kfz-Kennzeichen und Personalausweise sind weitere Maßnahmen, die im Stadium der Vorbereitung sind. Auch der Schutz von Banken und Kreditinstituten gegen Raubüberfälle gehört in diesen Bereich. Der Bundesminister des Innern hat wissen lassen, daß er dieses Problem zunächst durch eine freiwillige Selbstverpflichtung zu lösen gedenkt und daß hier gute Aussichten für einen durchschlagenden Erfolg vorhanden sind. Erweisen sich seine Eindrücke, die er nach Fühlungnahme mit den Spitzenverbänden des Kreditgewerbes erworben hat, als richtig, kann man hier wahrscheinlich auf eine gesetzliche Regelung verzichten. Dies alles ist eine große Zahl von Gesetzen und - geben wir es zu - manch einer mag davor erschrecken. Aber eine in ihrem Handeln an Recht und Gesetz gebundene Behörde, an Recht und Gesetz gebundene Sicherheitsorgane schützen mit der Sicherheit des einzelnen Bürgers auch seine Freiheit und damit die Freiheit unserer Staats- und Gesellschaftsordnung. Dieses Parlament wird einmal nach zwei Kriterien gemessen werden, nämlich erstens danach, ob es ihm gelungen ist, mit seinen Möglichkeiten, mit den Möglichkeiten der Gesetzgebung, des Terrors in unserem Lande Herr zu werden, zweitens aber auch danach, ob es bei seinem Bemühen den freiheitlichen Rechtsstaat und das freiheitlich-geistige Klima unserer Gesellschaft bewahrt hat. Hier liegt auch die sittliche Grenze unseres Tuns, von der gestern in einigen Debattenbeiträgen sehr eingehend die Rede war. Nun noch einige Worte zur staatlichen Verwaltung und zum öffentlichen Dienst! Wir bekräftigen uneingeschränkt die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Verwaltung und in diesem Zusammenhang auch eines qualifizierten Berufsbeamtentums. Sachkunde und Leistung müssen die entscheidenden Kriterien in der staatlichen Personalpolitik sein. ({1}) Das bedeutet nicht schon, Herr Kollege Riedl, daß ein öffentlich Bediensteter, der einer politischen Partei angehört, deshalb schon minderqualifiziert sein muß. Diese Feststellung ist sicherlich nur ein Teil des Problems. Man muß - im Grunde genommen haben Sie das sogar selber gesagt - Bund, Länder und Gemeinden hier wohl zusammen sehen. Alle sollten dies gemeinsam so betrachten; auch Bayern wäre da sicherlich mit einzubeziehen. Sie haben dann weiter von der noch ausstehenden Dienstrechtsreform gesprochen. Es ist richtig, daß im vergangenen Jahr entscheidende Schritte nicht geschehen sind. Es steht aber ein neues Laufbahnrecht ebenso bevor wie eine Neuregelung der Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst, über die wir sehr bald zu entscheiden haben. Bei Ihrem Rat, Herr Kollege Riedl, mit Stetigkeit und aller Ruhe die Dinge der Dienstrechtsreform anzugehen, fühle ich mich voll in dem bestätigt, was ich selbst aus gleichem Anlaß vor zwei Jahren gesagt habe, als aber gerade wiederum Ihr Kollege Berger bei einer gleichen Debatte uns vorwarf, daß es nicht schnell genug ginge. Ich glaube, diese Erkenntnis, die Sie jetzt ausgedrückt haben, Herr Kollege Riedl, nämlich die Dinge stetig und in aller Ruhe zu behandeln, ist wohl die richtige. Dabei hätten Sie unsere volle Zustimmung. Ich möchte aber noch zwei Bemerkungen anschließen dürfen. Insbesondere von Verbänden wird immer wieder die Forderung erhoben, der öffentliche Dienst müsse einen wesentlichen Betrag zur Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt leisten. Wir können dem nur unter großen Einschränkungen zustimmen. Es bedarf keiner näheren Erklärung, daß es Bereiche gibt, in denen der öffentliche Dienst aus sachlichen Gründen verstärkt werden muß. Beispiele: innere Sicherheit, Bildungswesen und einige wenige andere Bereiche. Gleichwohl kann und darf für die Personalausstattung der öffentlichen Hände allein und ohne Einschränkung nur der Umfang der vom Staat wahrzunehmenden öffentlichen Aufgaben entscheidend sein. Wir kämen nicht nur in haushalts- und finanzpolitische Schwierigkeiten, wollten wir andere Maßstäbe als verbindlich anerkennen. Der Herr Kollege Strauß hat gestern von der drohenden Bürokratisierung weiter privater und öffentlicher Bereiche gesprochen. Ich stimme seinen Bedenken in der Tendenz zu. Aber auch eine undifferenzierte Personalvermehrung ist ein Teil dieses Problems. Zweite Feststellung. Für die kommenden Tarifverhandlungen gilt zu bedenken, daß eine Art Stimmführerschaft des öffentlichen Dienstes wohl nicht angenommen werden kann. Hier eine Bemerkung, die ich ganz persönlich für mich treffen will, die aber im Grunde genommen für alle Kollegen dieses Hauses gelten müßte. Der Gesetzgeber sollte es sich überlegen, ob er wie bisher in jedem Jahr das Ergebnis der Tarifverhandlungen für die Besoldungs5362 gesetze mehr oder weniger automatisch nachvollzieht, wie es immer der Fall gewesen ist. ({2}) Das Selbstverständnis des Parlaments sollte jedenfalls auf die Dauer gegen eine solche Praxis sprechen. Ich möchte dies hier einmal angesprochen haben. Meine Bemerkungen zur zivilen Verteidigung möchte ich für einen späteren Zeitpunkt zurückstellen, wenn wir den Einzelplan 36 beraten. Noch ein Wort zum Datenschutz. Das Datenschutzgesetz ist in seinen wesentlichen Teilen am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes ist bestellt. Wenn wir die Presseveröffentlichungen der letzten Wochen richtig registrieren, so scheint es, daß man dort die Bedeutung des Gesetzes gewichtiger einschätzt, als dies leider noch .bei vielen Bürgern unseres Landes der Fall ist. Wir alle waren uns bei der Verabschiedung des Datenschutzgesetzes im Jahre 1976 darüber im klaren, daß hier nur ein erster Schritt in rechtliches und politisches Neuland getan wird. Inzwischen wächst die Erkenntnis, daß das Datenschutzgesetz eines der wichtigsten Gesetze unserer innerstaatlichen Ordnung ist. Dies läßt die Fragen dringlich werden, die wir bei der Verabschiedung dieses Gesetzes für eine notwendige Fortentwicklung des Datenschutzrechts gestellt haben. Ich bin der Meinung, daß uns der erste Bericht des Datenschutzbeauftragten sehr bald in den Stand versetzen muß, unsere Vorstellungen über eine Fortentwicklung des Datenschutzrechts zu konkretisieren. Vor allem aber sollte man hier im Bundesministerium des Innern schon prüfen, ob nicht neben diesem zentralen Datenschutz dringende bereichsspezifische Sonderregelungen vorbereitet werden müssen. Die rechtsstaatliche Bewältigung dieser Probleme, die durch moderne technologische Entwicklungen auf uns zugekommen sind, ist eine der Hauptaufgaben, die die Rechts- und Innenpolitik dieses Hauses in den nächsten Jahren zu bewältigen haben wird. Ich möchte noch eine Bemerkung zum Antrag der CDU bezüglich der Nationalstiftung machen. Darüber sprechen wir, glaube ich, hier jetzt zum drittenmal. ({3}) Ich bedauere ebenfalls, daß es zur Errichtung der Nationalstiftung bisher nicht gekommen ist. Das liegt an vielen Gründen, auch an den Ländern; sicherlich nicht daran, daß dem Bundesminister des Innern das Konzept fehlt. Vor allen Dingen liegt es nicht daran, daß die Sitzfrage nicht geklärt ist. Deshalb würden wir das Pferd am Schwanz aufzäumen - das habe ich hier an gleicher Stelle schon vor zwei Jahren gesagt -, wollten wir jetzt hier vorab die Sitzfrage klären. Daran hat sich im Grunde nichts geändert. Im übrigen bedaure ich auch für meine Fraktion, daß wir mit der Nationalstiftung nicht weitergekommen sind. Ich bitte aber, den Antrag der Opposition aus den von mir genannten Gründen abzulehnen. Wegen der Kürze der Zeit kann ich keine weiteren Probleme mehr anführen. Wir meinen, daß die Opposition keinen Anlaß haben sollte, diesen Haushalt zu verwerfen. Sie mag das mit anderen Kriterien messen. Wir können sie daran nicht hindern. Wir, die Fraktion der Freien Demokraten, stimmen dem Einzelplan 06 zu. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Spranger.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mich ja gern mit den Sachargumenten auseinandergesetzt, die die Herren Kollegen von SPD und FDP zur Begründung einer erfolgreichen Innenpolitik hätten vortragen können. Doch Herr Liedtke hat einen wesentlichen Teil seiner Ausführungen darauf verschwendet, seinen Bundeskanzler in Schutz zu nehmen. Ich kann nur sagen, die Reden von Herrn Dr. Kohl und Herrn Strauß müssen den Bundeskanzler schwer getroffen haben. Herr Liedtke versuchte, die Verantwortung und die Versäumnisse und die Probleme im Bereich der inneren Sicherheit zu verwischen und wahrheitswidrig die moralischen Verpflichtungen abzustreiten, die die Bundesregierung während der Schleyer-Entführung gegenüber den Opfern der Terroristen, gegenüber dem deutschen Volk und gegenüber der Öffentlichkeit eingegangen ist und nun unter dem Druck der Linken nicht einlösen kann. ({0}) Auch sonst haben wir Ausführungen gehört, die einen hervorragenden Beweis für die Leere, Planlosigkeit, Konzeptionslosigkeit im Bereich der Innenpolitik darstellen. Trotzdem gibt es noch eine Reihe von Argumenten, dies unter Beweis zu stellen. Wir haben in den vergangenen Jahren von zahlreichen Mitgliedern der Regierungsparteien Appelle zur Solidarität in zentralen Bereichen der Politik gehört. Jeder, dem die sachgerechte Lösung der innenpolitischen Probleme am Herzen liegt, kann dem nur zustimmen. Jeder erwartet dann aber, daß solchen Appellen auch Taten folgen. Deshalb und unbeschadet früherer Behauptungen, man brauche die Opposition nicht, haben CDU und CSU auch im vergangenen Jahr ohne Rücksicht auf Parteitaktik alles getan, um die notwendige Solidarität der Demokraten zum Wohle unserer Bevölkerung und unseres Staates zu praktizieren: in den Krisenstäben, in den Ausschüssen, bei Initiativen und Alternativen innerhalb und außerhalb des Bundestages. Wir müssen allerdings heute leider feststellen, daß die Regierungskoalition ihrerseits ihre eigenen Solidaritätsappelle nicht ernstgenommen hat. Sie dienten vielmehr häufig dazu, von eigenen Versäumnissen abzulenken, notwendige Entscheidungen zu verschleppen, klare Sachalternativen der CDU/ CSU als „Parteipolitik" zu diffamieren und zu verSpranger suchen, der Opposition im nachhinein die Verantwortung für schwerwiegende innenpolitische Fehler dieser Regierung anzuhängen. Eine Vielzahl nicht oder sachwidrig entschiedener Probleme beweisen die innenpolitische Handlungsunfähigkeit einer Bundesregierung und eines Bundeskanzlers, die sich zunehmend auf Machterhaltung und Verwalten, auf Dahinwursteln, Lavieren, vage Absichtserklärungen und hohle Propaganda beschränken. Ursache ist dafür nicht nur die ideologische Spaltung und der zunehmende Einfluß linksradikaler Strömungen bei den Koalitionsparteien. Ursächlich sind auch die Perspektiv- und Entschlußlosigkeit, das mangelnde Durchsetzungsvermögen eines offensichtlich überforderten Bundesinnenministers, dem deshalb, sicherlich aber auch wegen der TraubeAffäre, der notwendige Rückhalt in seiner Fraktion, in der Koalition, in der Bundesregierung abhanden gekommen ist. An zahlreichen Themen ist dies aufzuzeigen. ({1}) - Nicht in der Sache. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie die feine Differenzierung des Kollegen Riedl mitbekommen können. Wenn ich nun das Stichwort Traube aufgreifen muß, um einige Fragen zu stellen, dann zwingen mich dazu Presseveröffentlichungen und auch eine dpa-Meldung, derzufolge sich verschiedene Kollegen der FDP zu diesem jetzt bekanntgewordenen, zusätzlichen Lauschangriff im Verteidigungsministerium geäußert haben und erklären, sie fordern eine schonungslose Offenheit aller Verantwortlichen über den tatsächlichen Umfang rechtswidriger Einbrüche in die Individualsphäre von Bürgern; sie erklären die damaligen Äußerungen der Verantwortlichen am 16. März 1977 im Deutschen Bundestag für einen Skandal.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte es so halten wie mein Kollege Riedl und wie der Herr Bundeskanzler. Sie werden dafür sicher Verständnis haben. Wir haben am 16. März 1977 um eindeutige Auskunft gebeten, ob über den Fall Traube hinaus weitere Wohnungen abgehört worden sind. An diesem Tag hat Herr Maihofer hier im Bundestag jeden weiteren Lauschangriff in seinem Verantwortungsbereich ausgeschlossen und auf drängende Zwischenfragen nach anderen Bereichen keine Antwort gegeben. Deswegen sehen wir uns gezwungen, heute aus aktuellem Anlaß zu fragen, ober der Bundesinnenminister heute versichern kann, daß er am 16. März 1977 nichts über den Fall aus dem Bereich des Bundesministers Leber gewußt hat. Zweitens müssen wir fragen, wann Herr Leber den Bundesinnenminister über den Lauschangriff gegen seine Sekretärin unterrichtete, über den ihn der MAD-Chef Scherer mit Bericht vom 11 März 1977 informiert haben will. Sollte Herr Leber Ihnen, Herr Bundesinnenminister, vor dem 16. März 1977 nichts gesagt haben, dann erhebt sich die Frage, in welchem Zustand sich schon damals die Bundesregierung befunden haben muß, in der der Verfassungsminister, der dem Parlament in einer die Nation damals bewegenden und aufwühlenden Frage Rede und Antwort zu stehen hatte, von seinem Kollegen nicht informiert worden ist. Schließlich: Nachdem der Bundeskanzler vor kurzem, als er nicht mehr anders konnte und an der Wand stand, einräumen mußte, von Anfang an ausreichend im Fall Lutze informiert worden zu sein, müssen wir heute logischerweise fragen, ob dies auch beim Lauschangriff gegen Herrn Lebers Sekretärin der. Fall war, ob er von Anfang an voll informiert war, seit wann er das gewußt hat und welche Konsequenzen aus seiner Kenntnis, die er damals dem fragenden Parlament verschwiegen hat, bzw. aus seiner Unkenntnis, die er einem seiner Kollegen in der Regierung zu verdanken hat, ziehen will. Wir warten seitens des Parlaments auf Antwort auf diese Fragen. ({0}) Wir haben schon seit Jahren zu verstärkten Anstrengungen im Bereich der zivilen Verteidigung aufgefordert. Sie sind zwingend notwendig. Die Mängel auf diesem Gebiet sind katastrophal, nicht nur, was die Unterkünfte und Ausrüstungen, was die riesige Finanzierungslücke anbelangt. Auch das Mißverhältnis zwischen den Aufwendungen für die militärische Verteidigung und den Aufwendungen für die zivile Verteidigung ist eklatant. Mit irgendwelchen neuen Konzeptionen, wie sie nun vorgelegt werden, die bewährte Strukturen lediglich ummodeln bzw. an eine gleichbleibende Finanzmasse lediglich anpassen, können diese Probleme nicht behoben werden. Die zivile Verteidigung braucht keine Schreibtischkonzepte. ,Sie braucht mehr Geld und konkrete Initiativen. Und dazu fordern wir die Bundesregierung auf. ({1}) Es wird auch endlich Zeit, die mit der sogenannten Entspannungspolitik vielerorts geweckten Illusionen abzubauen und mit einem klaren politischen Bekenntnis zur Notwendigkeit der zivilen Verteidigung ein Klima der Verteidigungsbereitschaft zu schaffen. Nur wer sein Haus rechtzeitig bestellt, kann eventuellen Notfällen beruhigt entgegensehen. ({2}) Daß sich die Hilfsorganisationen der zivilen Verteidigung hieran mit großem Engagement und Idealismus wie in der Vergangenheit auch künftig beteiligen, hat ein entsprechendes Hearing der CDU/ CSU-Fraktion ergeben. Auf die Mitwirkung dieser Hilfsorganisationen darf bei der Stärkung der zivilen Verteidigung auch künftig nicht verzichtet werden. ({3}) Wir fragen darüber hinaus vergeblich nach überfälligen kommunalpolitischen Initiativen der Bun5364 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 68. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 25. Januar 1978 desregierung und des Verfassungsministers. Es genügt einfach nicht, angesichts der Debatte über die Große Anfage der CDU/CSU am 24. November 1977 zu erklären, man begrüße sie, und zu versichern, man denke über diese Probleme nach. Für die Gemeinden ist es entscheidend, daß endlich die Vorschläge und Initiativen der CDU/CSU durch die Bundesregierung aufgegriffen werden, und zwar zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung zur aufgabengerechten Finanzausstattung, zur Sicherung und Erweiterung des durch ständige Bürokratisierung eingeengten Handlungsspielraumes, zu mehr Chancengerechtigkeit für strukturschwache Gebiete, zum Abbau der Schuldenlast und zur Stärkung der Investitionsmöglichkeiten. Im Bereich des öffentlichen Dienstes gab es Stillstand und Fehlentwicklungen. Ich verweise auf die stagnierende Dienstrechtsreform, auf die Aushöhlung des Beamtentums durch die Politik der kleinen Schritte, durch die Härten, die im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes und des Rentenpakets verursacht wurden. Statt gegen den Willen der Personalvertretungen nach dem Beuteprinzip Parteibuchwirtschaft im personalpolitischen Bereich zu betreiben, sollte sich der Bundesinnenminister lieber um die menschenwürdige Unterbringung der BGS- und BKA-Angehörigen im Bonner Raum kümmern ({4}) und dafür sorgen, daß den Beamten ihr ohnehin schwerer Dienst einigermaßen erträglich gemacht wird; aber wahrscheinlich muß man die dafür Verantwortlichen erst einmal 48 Stunden in die dortigen Verhältnisse versetzen, um sie zur Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber diesen Beamten zu veranlassen. Hier werden nicht nur gröblichst die Rechte der Beamten, sondern auch die Forderungen der Personalvertretungen mißachtet. ({5}) Und was hat eigentlich der Bundesinnenminister angesichts der zunehmenden Verärgerung unserer Bevölkerung über die ständig wachsenden, immer teurer und unübersichtlicher werdenden Bürokratien getan? Der Unmut der Bürger richtet sich zu Unrecht gegen die Angehörigen des öffentlichen Dienstes als solche. Die Ursache für die Ausweitung der Bürokratie ist eine Flut von immer komplizierteren und unverständlicheren Gesetzen und Verordnungen, die in immer mehr Lebensbereiche des einzelnen obrigkeitsstaatlich und reglementierend eingreifen. Hierzu hätten sich die Bundesregierung und der zuständige Verwaltungsminister nicht nur mit theorielastigen Gutachten aus Speyer begnügen dürfen, sondern hätten selbst tätig werden müssen, um diese Reglementierungen abzubauen, die Gesetze zu vereinfachen, Richtlinien zu erarbeiten, nach denen neue Gesetze auf Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit, personelle und finanzielle Folgewirkungen der Verwaltung und Bürger zu überprüfen wären. CDU und CSU bleiben bei ihrem entschiedenen Nein. ({6}) - Wir haben eine Reihe von Initiativen eingebracht; es wäre gut, wenn sie sobald wie möglich behandelt und entsprechend beschieden würden. ({7}) Wir bleiben jedenfalls bei unserem entschiedenen Nein zu mehr gesetzlich bedingter Gängelung und Bürokratie zu Lasten der Freiheit unserer Bürger. Wir fordern, daß unseren Anträgen zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung endlich entsprochen wird und daß der Bundesinnenminister hierzu seine Führungsaufgabe auch innerhalb der Bundesregierung wahrnimmt. Selbst bei offenkundigen Mängeln im Bereich des Verwaltungsverfahrens hat sich die Bundesregierung als handlungsunfähig erwiesen. Ich verweise hier auf den nicht bewältigten dramatischen Anstieg im Bereich der Asylverfahren, wo wir nach wie vor fordern, daß als dringlichste Maßnahme die Berufung ausgeschlossen wird, wofür sich zwar auch der Bundesinnenminister wiederholt ausgesprochen hat, wobei er sich aber, wie oft, auch in diesem Fall nicht gegen die äußersten Linken innerhalb der eigenen Partei und der SPD durchsetzen konnte. ({8}) - Herr Kleinert, Sie hätten wesentliche Beiträge leisten können, um dieses Problem zu lösen, wie es von allen Sachverständigen als notwendig erkannt wurde. Es ist bedauerlich, daß Sie hierzu keinen Beitrag geleistet und sich im Rechtsausschuß nicht entsprechend geäußert haben. Unsere Sorge gilt auch der Erhaltung der Pressefreiheit und der Pressevielfalt. Während wir leider feststellen müssen, daß bestimmte Sendungen der Monopolmassenmedien Rundfunk und Fernsehen von bestimmten Journalisten nach wie vor zu unverantwortlicher, den Geboten der Ausgewogenheit und Wahrheit grob widersprechender ({9}) linker Politpropaganda mißbraucht werden, wird die Pressefreiheit in unseren Zeitungen mehr und mehr in Frage gestellt. Wir warnen nachdrücklich vor dem Versuch, etwa im Rahmen eines Presserahmengesetzes die Freiheit zu reglementieren - Stichwort: Zensur am Mettagetisch. Hinsichtlich der neuen Medien, vor allem hinsichtlich des Kabelfernsehens, werden wir aufmerksam verfolgen, wie restriktiv die Bundespost ihr Monopol handhabt. Die öffentlich-rechtlichen Strukturen sind nicht auf ewig festgeschrieben. ({10}) Neue Techniken öffnen neuen Systemen den Weg. Zum wichtigen Bereich des Umweltschutzes ist anzumerken, daß lange Zeit verging, bis man sich auf einen Entwurf eines Verkehrsschutzlärmgesetzes einigen konnte, auf den die Länder und Gemeinden lange warten mußten. Wir dringen hier auf zügige Beratung in den Ausschüssen. Was die Regierungsparteien seit Jahren auf dem Gebiet der inneren Sicherheit den Menschen unseres Landes zumuten - es ist wiederholt dargelegt und bewiesen worden -, ist ein unerträglicher Skandal, der weder durch offensichtliche Verschleppungstaktiken noch durch ein nahezu widerwärtiges Propagandaritual vertuscht werden kann. ({11}) Das traurige Schicksal der CDU/CSU-Vorschläge ist bekannt. Selbst da aber, wo sich im Bereich der inneren Sicherheit etwas zu bewegen begann, geriet es auf einen von Unentschlossenheit, Inkonsequenz und Planlosigkeit gekennzeichneten Schleuderkurs. So verzögerten Teile von SPD und FDP nach wie vor die Verabschiedung des Entwurfes zur Vereinheitlichung des Polizeirechtes. Leider wußte auch der Bundesinnenminister hier nicht, was er wollte. Bis zu den Terrormorden in Köln ließ er eine Bund-Länder-Kommission vor sich hinarbeiten und blockierte Beschleunigungsanträge der CDU/CSU. Dann sollten plötzlich die Länder den Entwurf schnell ratifizieren. In interfraktionellen Gesprächen ließ er anschließend erkennen, ein Bundesgesetz einbringen zu wollen, und zwar ohne Rücksicht auf die Länder. Nach Protesten seines Parteifreundes Hirsch hörte man, es sollten besser doch die Länder machen. Nach den neuesten Informationen soll nunmehr im Mai 1978 erneut ein Bundesgesetz folgen. Ich muß sagen: Beim Skifahren ist Wedeln eine feine Sache, in der Politik kann es sehr gefährlich werden. Den gleichen Wirrwarr müssen wir allerdings im Bereich der Diskussion über mehr Kompetenzen für das BKA, über Bundespolizei oder „FBI", feststellen. Auch hier ein unglaublicher Katalog. In seiner Rede vom 21. Januar 1977 forderte der Bundesinnenminister im Deutschen Bundestag zum „öffentlichen Nachdenken" darüber auf, wie das BKA mehr juristische Zuständigkeiten erhalten könne. Das Ergebnis des Nachdenkens bei Ihrem Minister werde ich minutiös aufzeigen. Am 4. Februar forderte er in der „Frankfurter Rundschau" eine Neuregelung der Zuständigkeiten in bestimmten Fällen von „Hochkriminalität", wie seine neueste Verniedlichung der Schwerkriminalität heißt. Am 9. Februar hat er schon weiter gedacht und sprach sich im Innenausschuß gegen jede Bundeskriminalpolizei, gegen jedes „FBI", aber für einen Bund-Länder-Verbund auf Grund Vereinbarung auf. Über eine Änderung des BKA-Gesetzes könne man - ich darf zitieren -„allenfalls noch einmal nachdenken, ob man das Gesetz in fünf bis sechs Jahren noch einmal grundsätzlich umgestalten solle". Wörtlich: Ich halte nicht viel davon, sondern ich meine, man sollte möglichst viel effektiv und möglichst wenig verbal machen. Und daher bin ich nicht für neue Gesetzesdebatten. ({12}) Im Laufe des Jahres 1977 erfolgten wiederholte Bestätigungen über die hervorragende Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Am 24. Oktober 1977 sagte er im Deutschlandfunk: „Ich halte nichts von Gesetzes- und Kompetenzdebatten." Am gleichen Tag forderte er allerdings abends in „Report" eine Änderung des BKA-Gesetzes mit neuen Zuständigkeiten des BKA für Ermittlung und Fahndung. Am 13. Dezember legte er einen Entwurf zum BKA-Gesetz mit weitestgehenden Veränderungen und Forderungen und einen Entwurf zur Änderung des BGS-Gesetzes vor. Ich muß sagen: Ein echtes Kasperletheater kann hier kaum abwechslungsreicher sein. Wir müssen feststellen: Statt die seit Jahren bestehende Ermächtigung zu nutzen, Verwaltungsverordnungen zu erlassen, statt den Sicherheitsorganen das von uns geforderte wirksame Handwerkszeug im Bereich des materiellen und formellen Straf- und Sicherheitsrechts mit zu verschaffen, manipuliert der Bundesinnenminister an Kompetenzen, die ihm nichts bringen, preist er Personalverstärkungen, die erst in Jahren effizient werden, und protegiert er Gesetze, die völlig unpraktikabel sind. Betrachtet man schließlich noch das Hickhack beim Melderecht, beim fälschungssicheren Kraftfahrzeugkennzeichen, bei den steckengebliebenen Ursachenforschungen im Bereich des Terrorismus, dann kann man nur ein Fazit ziehen: Da die Bundesregierung ein wirksames Gesamtkonzept zur notwendigen Stärkung der materiellen und formellen Befugnisse der Sicherheitsorgane nicht zustande bringt, wird zur Illusionierung der Zuschauer Kulissenschieberei mit Umorganisationsgesetzen betrieben. Zum Schluß zu diesem Illusionstheater noch ein Wort zum Verfassungsschutz. Wir fordern, daß die Verfassungsschutzberichte zukünftig schneller und nicht geschönt - wie der letzte - vorgelegt werden. Wir empfehlen z. B. durchaus, die SPD-Mitgliedschaft der Vorsitzenden der „Vereinigung Demokratischer Juristen" und des „Sozialistischen Hochschulbundes" zu erwähnen und als kommunistisch beeinflußte Hilfsorganisationen den „Presseausschuß Demokratische Initative" anzuführen. Wir halten es für erforderlich, daß Strategie, Taktik und Ziele kommunistischer Bündnispolitik endlich ungeschminkt und sachgerecht dargestellt werden und daß die Öffentlichkeitsarbeit zur Aufklärung breiter Bevölkerungskreise über Linksextremismus, Terrorismus und andere Gefährdungen der inneren Sicherheit sowohl durch die Bundeszentrale für politische Bildung als auch im Bereich des Verfassungsschutzes entscheidend verbessert wird. Wenn Geld für schlechte Regierungspropaganda vorhanden ist, dann sollte es erst recht für staats- und gesellschaftsfördernde Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung stehen. ({13}) CDU und CSU werden sich auch nicht an das lasche, leisetreterische Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Kommunisten im In- und Ausland gewöhnen. Die bloße Feststellung, daß wir es in diesem Bereich mit vielen Parteien und Organisationen mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung zu tun haben, reicht einfach nicht. Wenn Solidarität der Demokraten einen Sinn haben soll, dann auch und gerade beim entschlossenen Kampf gegen Verfassungsfeinde. Die CDU/CSU ist zu diesem Kampf nach wie vor bereit. Wir fordern SPD und FDP zur tätigen Solidarität der Demokraten hier, aber auch in den anderen angesprochenen politischen Bereichen mit Nachdruck auf. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Maihofer.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sprecher der Opposition haben in der Debatte eine Fülle von Fragen aus dem Innenbereich aufgegriffen und, wie nicht anders zu erwarten, zu einzelnen Punkten Kritik, meist mehr polemische als substantielle Kritik, geäußert. Ich will, bevor ich insbesondere auf die Reden von Herrn Riedl und Herrn Spranger eingehe, zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zu dem Gesamttenor machen, der sich wie ein roter, _oder wie Sie wollen, ({0}) Faden durch alle Ihre Äußerungen hindurchzieht, nämlich zu dem Hauptangriffspunkt der Opposition im Innenbereich: ihrer gestern wie heute erhobenen Behauptung angeblicher Versäumnisse der Regierung auf dem Felde der inneren Sicherheit, insbesondere bei der Terrorismusbekämpfung, und das ist ja für Sie weitgehend der Terrorismusgesetzgebung. ({1}) - Dazu werde ich gleich ausdrücklich etwas sagen; denn darauf kommt es mir sehr an. Ich muß jedenfalls als alter Rechtslehrer mit einiger Beklemmung feststellen, daß sich auch die gestrige Debatte des Parlaments fast ausschließlich auf Gesetzgebungsfragen wie die Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs oder die Einführung von Sicherungsverwahrung auch für terroristische Ersttäter fixiert hat, als ob davon entscheidend abhinge, ob wir mit dem Terrorismus in unserem Lande fertigwerden oder nicht. ({2}) Dabei wissen doch alle Fachleute - auch unter Ihnen - sehr wohl, daß man über die größere oder geringere Wirksamkeit einer solchen richterlichen Verteidigerüberwachung gegenüber einem verbesserten Verteidigerausschluß, verbunden mit Trennscheibenregelung, sehr wohl streiten kann. Dazu gibt es ja nicht nur Beiträge aus dem von- Ihnen für befangen gehaltenen Bereich der Koalitionsfraktionen, sondern von fast allen ernst zu nehmenden Organisationen im Anwaltsbereich, im Richterbereich und anderswo. ({3}) Das müßten Sie doch auch zur Kenntnis nehmen. Bei allem Respekt für die Argumente der Opposition: Das alles sind nicht Grundsatzfragen, sondern, wie der Bundeskanzler gestern zu Recht herausgehoben hat, Zweckmäßigkeitsfragen, und das heißt vor allem anderen: Fragen der Verhältnismäßigkeit der Mittel ({4}) dieser oder jener Regelung, in Anbetracht des Sicherheitszuwachses, den wir hier oder dort tatsächlich erwarten dürfen. So schlicht und einfach stellt sich hier überall die Frage. Auch bei der Sicherungsverwahrung weiß jeder Kundige - um auch dieses gestern hin und her traktierte Exempel hier noch einmal aufzugreifen -, daß wir davon nicht den mindesten Sicherheitszuwachs bei den einsitzenden Häftlingen, ja noch nicht einmal bei den laufenden Verfahren erwarten können. Dennoch - und das möchte ich für meinen Teil ganz klar sagen - werden wir - und dazu haben sich auch die Koalitionssprecher bis heute immer wieder bekannt - gemeinsam mit der Opposition darum ringen, ob eine und wie hier eine rechtsstaatlich vertretbare und zugleich sicherheitsmäßig befriedigende Lösung gefunden werden kann, für die ja auch unanfechtbar liberale Vorschläge, wie Sie wissen, auf dem Tisch liegen. Aber - Sie mögen mir das als Strafrechtslehrer nicht verübeln - dies ist eine außerordentlich kritische Operation an unserem geltenden Recht, die wir mit großer Behutsamkeit und mit gründlicher Überlegung vornehmen müssen, damit wir nicht den Teufel mit Beelzebub austreiben. Herr Kollege Strauß hat gestern in der Debatte - ich darf zitieren - gesagt: Die GdP hat vor wenigen Tagen veröffentlicht, daß allein im Jahre 1977 20 Terroristen aus der Haft entlassen worden sind, zum Teil auch vorzeitig vor Verbüßung ihrer vollen Haftstrafe, die zum großen Teil bereits wieder im Untergrund verschwunden sind. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal nachzuforschen, ob es eine solche Veröffentlichung der GdP gibt. Sie ist weder im BMI noch im BKA bekannt ({5}) -- das können Sie ja selber Herrn Strauß einmal fragen -, noch ist eine Zahl von 20 Häftlingen - das müßten wir im BKA ja immerhin wissen - für das Jahr 1977 irgend jemandem auf dieser Welt bekannt. Es sind insgesamt zwei, Dr. Wolfgang Huber und Brigitte Mohnhaupt, die 1977 untergetaucht sind. Dann gibt es noch weitere vier Personen, die, nachdem ihre Haftbefehle außer Vollzug gesetzt worden sind, in den Untergrund verschwunden sind: Frau van Dyck, Herr Weinrich, Herr Croissant und Christian Möller. Schluß! So kann man meiner Meinung nach bei einer so schwierigen Frage wie der Sicherungsverwahrung nicht seriös argumentieren! ({6}) Schon diese einfachen Zahlen stimmen nicht, ebenso wird unterschlagen, daß es von dieser selben GdP, die gestern bemüht wurde, eine Verlautbarung auch vom Dezember 1977 gibt, die folgenden Wortlaut hat; ich darf sie Ihnen verlesen: Die GdP ist der Überzeugung, daß die geltende Rechtsordnung grundsätzlich ein ausreichendes Instrumentarium bietet, ({7}) um auch die terroristische Gewaltkriminalität ... in den Griff zu bekommen. Hier ist im Tenor genau das Gegenteil von dem zu lesen, was uns gestern Herr Strauß mit seiner Bezugnahme auf die GdP uns hier vorführen wollte. Was bedeutet das? Selbst wenn man sich bei Einführung einer so gestalteten Sicherungsverwahrung für bestimmte Fälle einen Zuwachs an Sicherheit versprechen könnte, der über die bloße Ausschöpfung der Höchststrafen, die heute gar nicht erfolgt, hinausgeht, bleibt das ein kleiner Teilbeitrag im Gesamtzusammenhang der inneren Sicherheit. Deshalb finde ich die Schwerpunktsetzung, die Sie mit Ihrer allzu einseitigen Fixierung auf die Gesetzgebung vornahmen, der Sache einfach nicht angemessen. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Minister, ich unterbreche Sie für einen Moment. - Meine Damen und Herren, es ist für den Redner hier nahezu unmöglich, sich durchzusetzen. Ich bitte Sie sehr herzlich, Platz zu nehmen und einigermaßen Ruhe zu bewahren. Diese Unruhe hier ist doch nicht zumutbar. ({0}) Damit es nicht etwa falsch verstanden wird: Das gilt für alle Fraktionen des Hauses.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Es ist nicht so, daß wir von seiten der Koalition die Ausgestaltung der repressiven Regelungen des Strafgesetzbuchs oder der prozessualen Regelungen unseres Strafverfahrens kein Gewicht zumessen würden. Aber gewichtiger sind nach unserer Einschätzung für den tatsächlichen Zuwachs an innerer Sicherheit auch und gerade bei der Terrorismusbekämpfung die technische und personelle Leistungsfähigkeit der polizeilichen Kräfte und die Wirksamkeit der präventiven Maßnahmen der Gefahrenabwehr in Legislative und Exekutive. Das ist der entscheidende Unterschied, den ich aus allen Ihren Reden immer wieder herausspüre: daß wir im Unterschied zur Opposition den Schwerpunkt wirksamer Vorschläge zur Verstärkung der inneren Sicherheit auch im Bereich der Terrorismusbekämpfung in diesem zweiten Bereich der polizeilichen Kräfte und in dem dritten Bereich der präventiven Maßnahmen sehen. ({0}) - Das tun wir ja. - Daß wir nach dieser Grundüberzeugung handeln, können Sie im Vergleich der zahlenmäßigen Entwicklung in den vergangenen Jahren und der nun gemachten Vorschläge für den Ausbau unserer Sicherheitsorgane auch in den nächsten Jahren bis zum Ende der Legislaturperiode feststellen. Die sozialliberale Koalition hat sich seit 1969 mit politischer Konsequenz auf diesem Felde der Polizei und der Prävention in einer Weise engagiert, die weit über alles 'hinausgeht, was jemals vorher von einer der voraufgegangenen Regierungen unternommen worden ist. ({1}) Es müßte Ihnen als Opposition, wenn auch Sie dies für eine wichtige Sache halten, eigentlich ein leichtes sein, dem Ausbauprogramm der Bundesregierung, das den Sicherheitsbehörden des Bundes allein einen Zuwachs von 4 798 Kräften in den kommenden Jahren bringen wird, nicht nur zuzustimmen, sondern auch die dahinterstehende Ausbaukonzeption mitzutragen: die Verstärkung des Informationssystems bis zu den modernsten Methoden der Informationsübermittlung - wie das in Erprobung befindliche Rundsendenetz -, ebenso wie die Verstärkung - ({2}) - Na schön! Warum lassen Sie mich dann nicht sagen, wieso wir dem so große Bedeutung zumessen! ({3}) Ebenso wie es Ihnen ein leichtes sein müßte, die in unserer Ausbaukonzeption vorgesehene Verstärkung der Kriminaltechnik und des Ermittlungsapparats mitzutragen. Hier liegen für unseren Verantwortungsbereich die entscheidenden Möglichkeiten zur Verstärkung der inneren Sicherheit in unserem Land, sowohl bei der Bekämpfung der internationalen Kriminalität, wie im besonderen des internationalen Terrorismus. ({4}) Wenn dies so ist und wenn wir eben hier - das kann ich auf Punkt und Komma belegen - das Alleräußerste, was haushaltsmäßig überhaupt zu bewegen war, seit Jahr und Tag getan haben, dann können Sie diese sozialliberale Koalition in Sicherheitsfragen nicht so heruntermachen, wie dies in den letzten Tagen immer wieder geschehen ist. ({5}) Das gilt für das Bundeskriminalamt und hat uns ja auch durchschlagende Erfolge gebracht; denn wir suchen, um nur eine Zahl zu nennen, heute nicht mehr nach 90 000 Personen mit Haftbefehl, sondern drei Jahre danach nurmehr nach etwa 40 000 Personen. Das bedeutet die Konzentration der Bekämpfung der Kriminalität auf die Hälfte der Personen. Dies war möglich nur mit dem modernen Informationssystem, der modernen Kriminaltechnik, die wir im Bundeskriminalamt aufgebaut haben. Das gleiche gilt, um nur eine einzige weitere Zahl zu nennen, auch für den Bundesgrenzschutz und den dort gesetzten Schwerpunkt der Grenzfahndung. Hier können wir mit ebensolcher Befriedigung feststellen, daß schon heute weit über 50 % aller Fahndungsaufgriffe in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt durch diesen in den letzten Jahren technisch und personell mehrfach verstärkten Grenzschutzeinzeldienst erfolgen. Auch diese so erfolgreichen Anstrengungen werden wir, wie Sie wissen, nach den Ausbauplanungen in den kommenden Jahren noch weiter verstärken. So sieht - ich sage es nochmals mit den gleichen Worten - für uns tatsächlicher Sicherheitszuwachs auf dem Felde der inneren Sicherheit aus. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie noch einmal einen Moment. Meine Damen und Herren, seien Sie noch einmal so freundlich und nehmen Sie Platz. Der Herr Bundesminister Maihofer kann sich gegen Ihr Stimmengewirr nicht durchsetzen. Ich glaube, das ist bei diesem Thema einfach nicht angängig.({0}) Wenn das Haus nicht bereit ist, hier zuzuhören, muß ich die Sitzung unterbrechen. ({1})

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Ebenso steht es beim zweiten Schwerpunkt unserer Politik auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, nämlich bei der weiteren Verstärkung der präventiven Maßnahmen. Sie wissen, die Änderungsvorschläge zum Versammlungsrecht sind im Bundestagsausschuß abgestimmt. Sie wissen, die Vorschläge zum Waffenrecht sind in der Endberatung mit all den erforderlichen Formulierungshilfen, auch zum Kriegswaffenrecht. Sie wissen ebenso, daß wir bei der Bankensicherung durch eine Selbstverpflichtung der Banken die unverzügliche Durchführung der noch ausstehenden Sicherheitsmaßnahmen entweder schon erreicht oder doch eingeleitet haben, durch Herabsetzung der Geldbeträge, durch Einbau von Zeitverzögerungseinrichtungen, durch Anbringung von Raumüberwachungsanlagen. Herr Kollege Liedtke hat zu Recht darauf hingewiesen, daß wir hier im Bankenbereich präventive Maßnahmen, und zwar ohne gesetzliche Vorgaben, in wenigen Monaten durchgesetzt haben, die einen ganz entscheidenden Zuwachs an innerer Sicherheit bringen werden. So geht es weiter mit dem Meldegesetz, das in der kommenden Woche im Kabinett beraten werden wird. Auch dieses wird nicht nur einen Zuwachs an Rechtssicherheit bringen, sondern auch an Sicherheit, durch Einführung von Landesadreßregistern, die endlich eine Fahndung auch nach Feierabend und am Wochenende möglich machen, was mit unserem heutigen, schwerfälligen Karteisystem überhaupt nicht möglich ist. ({0}) Aber doch nicht dazu! Auf alle diese und andere Felder der Prävention richtet sich unsere Aktivität, wie ich hoffe: unsere gemeinsame Aktivität. ({1}) Die Hoffnung habe ich nach wie vor. Dies alles wird einen tatsächlichen Zuwachs an innerer Sicherheit bringen, der um ein Vielfaches jede bisher irgendwo erwogene gesetzgeberische Maßnahme im Bereich des Strafrechts oder des Strafverfahrensrechts übersteigt. ({2}) So wichtig auch diese gesetzgeberischen Beratungen von uns genommen werden, der entscheidende Zuwachs an tatsächlicher Sicherheit ergibt sich in den von mir herausgehobenen Bereichen der Polizei und der Prävention. Dies ist unsere Antwort auf die Herausforderung auch des Terrorismus. ({3}) Und nun - es tut mir leid, ich kann es nicht unterschlagen - in gebotener Kürze zu den Herren Kollegen Spranger und Riedl, wenigstens zu den wesentlichsten Fragen, die sie aufgegriffen haben und die noch ohne Antwort geblieben sind. ({4}) - Das werde ich tun. Zu dem von Herrn Spranger erhobenen Vorwurf der Planlosigkeit kann ich mir angesichts der stetigen Ausbauplanung, von der ich Ihnen hier einige Beispiele vorgeführt habe, jedes weitere Wort ersparen. Auch zur angeblichen Handlungsunfähigkeit dieser Regierung auf dem Felde der inneren Sicherheit genügt die Feststellung: Der BGS war weder quantitativ noch qualitativ jemals so stark wie heute; das Bundesamt für Verfassungsschutz weist in der Spionagebekämpfung Jahr für Jahr größere Erfolge auf; zum BKA brauche ich nach dem vorher Gesagten kein Wort mehr zu verlieren. Wie man angesichts dieser Tatsachen von Handlungsunfähigkeit der Regierung auf dem Felde der inneren Sicherheit reden kann, ist mir völlig unerfindlich. ({5}) Nun zu der Frage, die Sie gestellt haben: Ich habe in der Tat seinerzeit, in der Regierungserklärung vom 16. März 1977, wie Sie richtig zitiert haben, festgestellt, daß es für meinen Verantwortungsbereich nur diesen einen damals behandelten und keinen anderen Lauschangriff gegeben hat. Dies ist damals meine Antwort gewesen, und dies ist heute meine Antwort. Ich habe keinen Grund, jene Antwort zu berichtigen. Mein damaliger Wissensstand war genau dieser, den ich seinerzeit in der Regierungserklärung vorgetragen habe.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, kann ich Ihren Äußerungen entnehmen, daß das bedeutet, daß Ihr Kollege Leber Sie über den Vorgang in seinem Amtsbereich nicht unterrichtet hat, und - erlauben Sie gleich die zweite Frage - wann wurden Sie über diesen Vorgang im Amtsbereich des Bundesministers Leber unterrichtet?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Der Bundesminister der Verteidigung bzw. seine Dienststellen unterrichten mich verfahrensmäßig in Fällen, in denen G-10-Maßnahmen vor der G-10- Kommission zu vertreten sind, ({0}) denn diese habe ich auch für den MAD mit zu vertreten. ({1}) In allen anderen Fällen findet eine Unterrichtung nicht statt; sie hat auch in diesem Falle nicht stattgefunden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich also Ihre Antwort auf meine Frage so interpretieren - ich darf es in Frageform kleiden -: Sie wußten nichts von diesem Lauschangriff im Bereich des Bundesministers der Verteidigung, und Sie haben davon - wie wir alle - erst in diesen Tagen erfahren?

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Das können Sie aus meinen Äußerungen schließen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer? ({0}) - Ich bitte um Ruhe! Herr Dr. Schäfer, Sie haben das Wort zu der Zwischenfrage.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, sind Sie bereit, in den zuständigen Ausschüssen darüber zu berichten, welche internen Weisungen bis jetzt gerade vor einem Jahr in der Auslegung dessen bestanden haben, was man damals offiziell unter „nachrichtendienstlichen Mitteln" verstanden hat? ({0})

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Herr Kollege Schäfer, selbstverständlich bin ich gern bereit, hierüber vor den zuständigen Ausschüssen zu berichten, wie ich dies ja schon mehrfach getan habe. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich bitte noch einmal um Ruhe. Ich sage Ihnen das jetzt wirklich zum letztenmal! Ich unterbreche sonst die Sitzung.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Zum Thema Zivile Verteidigung haben Sie gesagt, wir bräuchten keine Schreibtischkonzepte. Hier geht es nicht um Schreibtischkonzepte, sondern um eine Neuorganisation des Katastrophenschutzes mit dem Ziel des Abbaus von Doppelarbeit, von Doppelanschaffungen usw. Im übrigen werden die Haushaltsansätze dieses Jahres immerhin eine Erhöhung des Zivilverteidigungsetats um insgesamt 18,7 % bringen. Alle diese haushaltsmäßigen und verwaltungsmäßigen Maßnahmen, die mit den Ländern abgestimmt und mit den Hilfsorganisationen besprochen werden, lassen eine erhebliche Verbesserung des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag bei der Zivilverteidigung erwarten. Das ist jedenfalls mein Urteil, das ich selbst aus den Fachgesprächen gewonnen habe. Zum Thema „Gemeindeinitiative" nur soviel: Sie wissen sehr genau, daß auf meinen Antrag hin die Geschäftsordnung der Bundesregierung geändert und so erstmals ein förmliches Beteiligungsrecht der Spitzenorganisationen unserer Gemeinden beim Gesetzgebungsverfahren eingeführt worden ist. Genauso wissen Sie, daß wir in Zusammenarbeit mit dem von Ihnen heruntergemachten Forschungsinstitut in Speyer seit Jahr und Tag dabei sind, in sorgfältigen Erprobungen Verfahren zu entwickeln, die es uns gestatten, nicht nur die Sachmittel, sondern auch die Personalkonsequenzen für Bund, Länder und Gemeinden bei jedem Gesetz verläßlich vorauszuschätzen. ({0}) - Aber nein, ich bitte Sie! Ich kann Ihnen ja die Berichte geben. Sie wissen doch selbst, wie schwierig diese Erprobungen sind. Was Sie hier machen, ist doch einfach Polemik. Zum Thema „Wachsen der Bürokratie" schlicht und einfach die Bemerkung: Schauen Sie sich die Personalentwicklung der Bundesbürokratie in den letzten Jahren an. Dann werden Sie zahlenmäßig feststellen, daß diese sich im Verhältnis zu der der Länder eher verkleinert, die der Länder sich eher vergrößert hat. ({1}) Dann, verehrter Herr Spranger, wenn Sie in die beliebte Klage etwa über die Gesetzesflut und die schlechte Gesetzesmacherei ausbrechen, die ja aus allen Ecken zu hören ist, so muß ich sagen, das ist eine ganz andere Sache. Das ist letztlich eine Frage der derzeitigen Juristenausbildung in unserem Lande; von Juristen, die zwar lernen, Fälle zu lösen und Gerichtsurteile zu machen, die aber heute noch nicht einmal an unseren Hochschulen oder Fachhochschulen lernen können, wie man überhaupt Gesetze macht. Das lernt jeder so im Eigenbetrieb mit Bordmitteln. Es gilt grundsätzlich, der Gesetz5370 gebungsarbeit auch in der Ausbildung unserer Juristen denselben wissenschaftlichen Rang zu geben, wie ihn die Rechtsprechung seit alters her hat. ({2}) Da kann man mit gelegentlichen Lippenbekenntnissen nichts bewirken. ({3}) - Das habe ich schon! Ich kann sie Ihnen gerne zur Verfügung stellen. ({4}) - Wir werden jetzt zumindest bei der Fachhochschule des Bundes ein erstes Programm für die Gesetzgebungsarbeit mit in die Ausbildung einbringen. ({5}) - In Speyer habe ich vor wenigen Tagen vorgeschlagen, daß im dortigen Aufbaustudium ein Sonderkurs für in die Ministerialarbeit gehende Gesetzgebungsjuristen eingerichtet werden sollte. Nun zu Herrn Riedl; einige andere Fragen muß ich unbeantwortet lassen, da die Zeit einfach nicht ausreicht. Herr Riedl, so einfach können Sie es sich im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung und dem Thema Vertrauensschwund nicht machen. Wenn wir feststellen, daß einzelne Terroristen gegenwärtig nicht im Inland, sondern im Ausland gefaßt werden, hat das seinen Grund vor allem darin, daß sie sich im Ausland aufhalten. Sie können sie nur da fassen, wo sie sind. Hierfür können Sie die Verantwortung nicht nach Belieben einmal dem Bund zuschieben und das andere Mal den Ländern. Erfolg und Mißerfolg in der Fahndung auch und gerade nach Terroristen sind eine gemeinsame Sache von Bund und Ländern - das ist gut so, und das soll so bleiben - und damit eine gemeinsame Sache auch von regierungsnahen und oppositionsnahen Parteien; ({6}) auch das ist eine gute Sache. Vielleicht ist das die wirksamste Vorkehr dagegen, daß wir uns nicht doch einmal, wie in solchen Stunden heute, im Übereifer als Demokraten auseinanderdividieren. Ich muß Ihnen sagen: Ich halte es für groben Undank, wenn man so leichthin, wie das heute geschehen ist, die wirklich Tag und Nacht bewiesene gemeinsame Anstrengung der Polizeien von Bund und Ländern in der Terrorismusfahndung mit einigen Worten abtut. ({7}) Die Erfolge werden wir, wie in den letzten drei Jahren auch, wo wir immerhin 63 als Terroristen verdächtige Täter in Untersuchungshaft gebracht haben, auch in bezug auf die 43 Täter haben, die wir jetzt mit Haftbefehl suchen. Das ist meine volle Überzeugung. Zu der Abfindung für Herrn Traube: Sie ist der Vollzug einer damals in der Regierungserklärung bekanntgemachten Absicht. Daran habe ich mich Punkt für Punkt gehalten. Für die entstandenen Auslagen ist eine Erstattung erfolgt, nicht mehr und nicht weniger. Das ist seinerzeit von der Regierung nach Abschluß des Falles Traube als erforderlich angesehen worden. Es ist eine Frage des demokratischen Stils, ob man in einem solchen Falle so handelt, wie die Regierung dies für geboten hielt. ({8}) Was Herrn Nollau anlangt: Sie haben gesagt, hier seien Kriminalstories à la Agatha Christie geschrieben worden. Das möchte ich so nicht stehenlassen. Ich muß Agatha Christie gegen solche Vorwürfe in Schutz nehmen. ({9}) Aber, verehrter Herr Riedl, im Ernst: So einfach, wie Sie sich die Sache machen, ist sie nicht. Die zuständigen Stellen in unserem Hause, bis zur Ebene des Staatssekretärs, haben nach den freundlichst von Ihnen verlesenen Vorschriften des Beamtenrechts sorgfältig geprüft, ob Pflichten der Amtsverschwiegenheit verletzt sind oder nicht. Sie sind zu dem klaren Urteil gekommen, daß das nicht der Fall ist. Was tut dann der Innenminister? Er kann sich genausowenig wie jemand sonst - vor allem wenn Vorveröffentlichungen aus dem damaligen Untersuchungsausschuß in Hülle und Fülle vorliegen, die schon alle wesentlichen Einzelheiten umfaßt haben - als politischer Zensor betätigen. Auch das Beamtenrecht muß im Lichte von Art. 5 unseres Grundgesetzes ausgelegt werden. Das gilt vor allem, ob es Ihnen nun schmeckt oder nicht, für einen literarischen Autor, als der sich Herr Nollau nicht erst jetzt, sondern schon über viele Jahre verstanden und betätigt hat. ({10}) Nun zum zweitletzten Punkt. - Herr Kohl, das wird Ihnen wesentlich weniger gut gefallen. Herr Riedl hat mir hier vorgerechnet und im einzélnen sogar vorgelesen, in wieviel Fällen denn die Regierung beim Verfassungsgericht mit ihren Streitverfahren unterlegen ist. Einmal ist schon ganz und gar unrichtig gewesen, was Sie im Hinblick auf den Grundvertrag sagten. Wir haben nämlich - lesen Sie es nach - das Verfahren von seiten der Bundesregierung gewonnen. ({11}) Wenn es Sie schon interessiert: Diese Erfolgs- oder Mißerfolgsquote bleibt allen Regierungen seit Bestehen der Bundesrepublik treu. ({12}) Ich darf aus den früheren Urteilen nur einige sehr berühmte Beispiele vorlesen. Im Reichskonkordatsurteil vom 26. 3. 1957 ist die Regierung unterlegen; im Fernsehurteil vom 28. 2. 1961 ist die Regierung unterlegen; im Urteil zur Parteienfinanzierung vom 19. 7. 1966 ist die Regierung unterlegen; ({13}) und im Urteil zum Jugendwohlfahrtsrecht vom 18. 7. 1967 ist die Regierung unterlegen. ({14}) Warum lese ich Ihnen dieses vor? ({15}) Weil auch kein verfassungsrechtliches Gutachten aus Justiz- und Innenministerium - und es hat immer solche gegeben - mit all den verfassungsrechtlichen Bedenken zu dem einen oder anderen Gesetzgebungsvorhaben die Regierung vor dem politischen Risiko schützen kann, daß die Regierung am Ende doch entgegen den Auffassungen der Gutachter, die ein Vorhaben für unbedenklich erklärt haben, beim Verfassungsgericht unterliegt. ({16}) - Aber entschuldigen Sie, so einfach war das doch nicht! ({17}) - Diese Sachverständigengutachten, ohne daß von der Leitung des Hauses irgendein politischer Einfluß genommen wird. Nach diesen sachverständigen Gutachten richtet sich die Regierung. Daß es auch hier Irrtümer in der rechtlichen Beurteilung oder jedenfalls Unterschiede gibt, das ist für einen Juristen eine so selbstverständliche Sache, daß man daraus nicht nachträglich einen Verfassungsbruch konstruieren kann. Damit Schluß auch zu Ihren Bemerkungen. Ich muß leider abbrechen. Ich habe mit Freuden gehört, Herr Riedl - um auch von meiner Seite noch etwas Nettes zum Abschluß zu sagen -, daß Sie am Ende den Wunsch geäußert haben, wir sollten mit Ihrer kräftigen Unterstützung im kommenden Jahre bessere Politik machen. Gefreut hat mich, daß Sie sagten, als Mensch könne ich so bleiben, wie ich bin. Nun, ich würde es mir auch bei Ihnen wünschen. ({18})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, bleiben Sie bitte noch einen Moment auf Ihren Plätzen. Der Abgeordnete Walther muß noch eine Bemerkung zu dem Antrag 8/1460 machen, weil dies unbedingt ins Protokoll muß. Bitte, Herr Abgeordneter, halten Sie sich aber wirklich kurz. Sonst wird es schwierig.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für den Hinweis. Ich mache es ganz kurz. Nur weil dies ein Antrag ist, meine Damen und Herren, bei dem begründet werden muß, warum wir der Meinung sind, daß er heute so, wie er hier steht, nicht angenommen werden kann, und weil dies auch ins Protokoll muß, wie die Frau Präsidentin sagte, muß ich schnell ein paar Bemerkungen machen. Herr Kollege Riedl, Sie wissen, daß denselben Antrag Ihre hochverehrte Kollegin Frau Pieser im Haushaltsausschuß gestellt hatte und daß sie, nachdem wir darüber geredet hatten, diesen Antrag zurückgezogen hat, weil wir einer vernünftigen Lösung nicht im Wege stehen wollten. Herr Kollege Riedl, Sie haben denselben Wissensstand wie ich. Sie wissen, daß die Frage der Deutschen Nationalstiftung im Zusammenwirken mit den Ländern auf einem guten Wege ist. Dieser Antrag - würden wir ihn heute annehmen - würde die Verhandlungen mit den Ländern nur stören. Meine Damen und Herren, wenn wir diesen Antrag ablehnen, dann ist das keine Entscheidung gegen Berlin ({0}) - entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, Berlin-Politik macht man, nebenbei gesagt, nicht mit Deklamationen sondern dann ist das der feste Wille, auf dem bestmöglichen Wege zu einem Ziel zu kommen, von dem ich hoffe, daß dieses Ziel uns alle gemeinsam befriedigen wird. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zuerst lasse ich über den Antrag der CDU/CSU auf Drucksache 8/1460 abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt Meine Damen und Herren, zum Einzelplan 06 ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren! Haben alle Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben? - Dann schließe ich die Abstimmung. Wir wollen in der Zwischenzeit, in der die Auszählung erfolgt, in den Beratungen fortfahren. Ich rufe noch einmal Einzelplan 33 auf. Der Herr Abgeordnete Metz hat hierzu das Wort.

Reinhard Metz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001487, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 33, der die Ausgaben für die Versorgungsempfänger des Bundes enthält - Bahn und Post ausgenommen -, pflegt in diesem Parlament kaum diskutiert zu werden, weil er mit seinem Volumen von über 8 Milliarden DM praktisch keinen Raum für Bewirtschaftungsmaßnahmen läßt, es sei denn, man änderte die zugrunde liegenden Gesetze. Bei dieser Sachlage entgleitet leicht aus dem Blick und damit aus dem Bewußtsein, daß sich hinter dem spröden Zahlenwerk dieses Einzelplans Hunderttausende von Einzel5372 schicksalen älterer Menschen in der Bundesrepublik Deutschland verbergen. Die Frage, wie Beamtenpensionäre versorgt sind bzw. wie Beamte einmal versorgt sein werden, berührt daneben zugleich Statusfragen des Beamtentums. In einer Zeit, in der im politischen Bereich die Verteilungsproblematik dominiert, in der oft vor dem Hintergrund eines nicht offen angesprochenen, aber dumpf vorhandenen Neidgefühls genau registriert wird, wer was hat, in einer Zeit, in der man mit dem Begriff „Privileg" schnell bei der Hand ist, in der oft Ungleiches gleichgesetzt wird, geraten Beamtenpensionäre leicht ins Hintertreffen. Wer seine Pension hatte, war nach landläufiger Meinung schon immer fein heraus. Die Opposition hat allerdings schon in der Vergangenheit Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, daß man Regelungen für politische Beamte nicht zum Maßstab nehmen darf, wenn man das Schicksal der vielen Empfänger kleiner Versorgungsbezüge betrachtet. ({0}) Oft genug handelt es sich hier um Pensionäre, die einerseits mit hohen Krankenversicherungsbeiträgen belastet sind und andererseits bei ihrer Unterbringung in Alters- oder Pflegeheimen Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. In diesen Tagen ist oft genug betont worden, daß die Koalitions- und Regierungspolitik zunehmend Unsicherheit produziert, und zwar nicht nur bei den Rentnern oder in Wirtschaftskreisen. ({1}) Jüngst hat der Herr Bundesarbeitsminister wieder seinen Teil dazu beigetragen, als er in einem Zeitungsinterview die Beamtenpensionen als relativ gleichwertig, „relativ gleichgewichtig" im Verhältnis zu anderen Versorgungsarten kennzeichnete. Solche Bemerkungen sind eher geeignet, zur Verwirrung als zur Lösung von Problemen beizutragen. ({2}) Ein von der Treuarbeit AG im Auftrag der Bundesregierung vorgenommener Entwicklungsvergleich der Versorgungssysteme weist u. a. nach, daß die Versorgung von Beamten bis zu drei Besoldungsgruppen unter dem Niveau der Angestelltenversorgung im öffentlichen Dienst liegt. Es ist also nicht eine relative Gleichwertigkeit, sondern das Zurückbleiben der Beamtenpensionen wird durch Sachverständigengutachten, wenn überhaupt, erhärtet. Der Schlenker im Interview des Bundesarbeitsministers ist kein einmaliger Ausrutscher. ({3}) Für viele weitere Einzelbeispiele mag ein Aufsatz des Kollegen Augstein stehen, der vor Jahresfrist im SPD-Pressedienst . unter der Überschrift abgedruckt worden ist: „Totalüberprüfung der Altersversorgung unumgänglich; öffentlicher Dienst darf nicht ausgeklammert bleiben". Gegen die verbogene Argumentation des Artikels hat sich mein Kollege Berger seinerzeit ausdrücklich verwahrt. Es hilft nicht weiter, das Beamtenverhältnis ohne Rücksicht auf den Gesamtzusammenhang der damit verbundenen Rechte und Pflichten zu Einzelregelungen aufzulösen und punktuell anzugreifen. Wir möchten in dieser Diskussion den Zusammenhang von Rechten und Pflichten gewahrt wissen. Es sind Pflichten, die dem Beamtenrecht eigen sind, die ein nichtbeamteter Arbeitnehmer nicht ohne weiteres zu übernehmen bereit sein wird, die gerade verhindern, daß die Rechte der Beamten zu Privilegien entarten. Wir wollen beides: die Pflichten und die Rechte. Lassen Sie mich ein Wort zu jenen Personen sagen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen und deren Rechtsverhältnisse nach dem Zusammenbruch unter den Gesichtspunkten der Kontinuität des öffentlichen Dienstrechts und des Berufsbeamtentums entsprechend dem in Art. 131 des Grundgesetzes erteilten Verfassungsauftrag neu zu regeln waren. Hierzu ist im Laufe der Jahre ein sorgsam konzipiertes vielgestaltiges Gesetzgebungswerk entstanden, das mit der vierten Novelle zum G 131 und weiteren Änderungen durch das Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz 1976 einen vorläufigen Abschluß gefunden hat. Ich sage: einen vorläufigen Abschluß; denn es besteht eine prinzipielle Übereinstimmung darüber, daß der vom Grundgesetz erteilte Auftrag nicht als wirklich abgeschlossen angesehen werden kann. Auch die Bundesregierung kommt in ihrem Bericht 1971 zu dem Schluß, daß in diesem Gesetzgebungsbereich noch grundsätzliche Härten bestehen. Die Bundesregierung bestätigt damit, daß der Verfassungsauftrag sachlich noch nicht erfüllt ist. Die Bundesregierung ist dennoch untätig geblieben. Der Grund liegt offensichtlich in der angespannten Haushaltslage des Bundes. Ich bin der letzte, der den Zielkonflikt zwischen bestimmten Forderungen einerseits und knappen Mitteln andererseits bagatellisiert. Aber, meine Damen und Herren, erlauben Sie einem jüngeren Abgeordneten die Bemerkung, daß angesichts des hohen Lebensalters der Betroffenen die sich abzeichnende Gefahr, daß sich ein Problem durch den schließlich eintretenden Tod der Betroffenen löst, einen ausgesprochen bitteren Nachgeschmack hinterläßt. ({4}) Ich appelliere an die Bundesregierung, in dieser Frage abschließend tätig zu werden. Ich appelliere im übrigen an Koalition und Regierung, die Unsicherheit, die Sie im Lande verbreitet haben und weiter verbreiten, nicht mehr oder weniger mutwillig auch noch auf die Beamtenpensionäre auszudehnen, denn hier wird ein Personenkreis getroffen, der im Vertrauen auf den Staat diesem Staat in schwerer Zeit gedient hat. Dem Einzelplan werden wir selbstverständlich zustimmen. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Vizepräsident Frau Renger Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 33. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir haben noch über den Einzelplan 36 abzustimmen. Das Wort dazu wird nicht mehr begehrt. Ich schließe die Aussprache. Wer dem Einzelplan 36 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen. Ich gebe das Auszählungsergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben 243 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder und 11 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein 228 und 10 Berliner Abgeordnete. Ergebnis Abgegebene Stimmen 471 und 21 Berliner Abgeordnete; davon ja: 243 und 11 Berliner Abgeordnete, nein: 228 und 10 Berliner Abgeordnete Ja SPD Adams Ahlers Dr. Ahrens Amling ) Dr. Apel Arendt Augstein Baack Bahr Dr. Bardens Batz Becker ({0}) Biermann Bindig Blank Dr. Böhme ({1}) Frau von Bothmer Brandt Brandt ({2}) Brück Büchler ({3}) Büchner ({4}) Dr. von Billow Buschfort Dr. Bußmann Collet Conradi Coppik Dr. Corterier Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. von Dohnanyi Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer Frau Eilers ({5}) Dr. Emmerlich Dr. Enders Engholm Frau Erler Esters Ewen Fellermaier Fiebig Dr. Fischer Flämig Frau Dr. Focke Franke ({6}) Friedrich ({7}) Gansel Gerstl ({8}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar Haase ({9}) Haehser Hansen Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Henke Heyenn Höhmann Hoffmann ({10}) Hofmann ({11}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({12}) Jahn ({13}) Jaunich Dr. Jens ({14}) Junghans Jungmann Junker Kaffka Kirschner Klein ({15}) Koblitz Konrad Kratz Kretkowski Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lange Lattmann Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Dr. Linde Lutz Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Dr. Meinecke ({16}) Meinike ({17}) Meininghaus Menzel Möhring Müller ({18}) Müller ({19}) Müller ({20}) Müller ({21}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Neumann Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Paterna Pawelczyk Peiter Dr. Penner Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({22}) Rappe ({23}) Ravens Frau Renger Reuschenbach Rohde Rosenthal Roth Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({24}) Dr. Schäfer ({25}) Scheu Schirmer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({26}) Schmidt ({27}) Schmidt ({28}) Schmidt ({29}) Schmidt ({30}) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber Schulte ({31}) Dr. Schwenk ({32}) Sieler Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Spöri Stahl ({33}) Dr. Staudt Dr. Steger Frau Steinhauer Stockleben Stöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm Tönjes Topmann Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak Dr. Vogel ({34}) Vogelsang Voigt ({35}) Waltemathe Dr. Weber ({36}) Wehner Weißkirchen ({37}) Wendt Dr. Wernitz Wiefel Wilhelm Wimmer ({38}) Wischnewski Dr. de With Wittmann ({39}) Wolfram ({40}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({41}) Dr. Dübber Egert Löffler Manning Mattick Frau Schlei Schulze ({42}) Sieglerschmidt FDP Angermeyer Baum Cronenberg Eimer ({43}) Engelhard Frau Funcke Gärtner Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Hölscher Hoffie Dr.-Ing. Laermann Ludewig Frau Matthäus-Maier Mischnick Möllemann Ollesch Peters ({44}) Schäfer ({45}) Schmidt ({46}) von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller Vizepräsident Frau Renger Wolfgramm ({47}) Wurbs Zywietz Berliner Abgeordnete Hoppe Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Dr. Aigner Alber Dr. Althammer Dr. Arnold Dr. Barzel Bayha Dr. Becher ({48}) Dr. Becker ({49}) Frau Benedix Benz Berger ({50}) Berger ({51}) Biechele Biehle Dr. von Bismarck Dr. Blüm Blumenfeld Böhm ({52}) Dr. Bötsch Braun Breidbach Broll Bühler ({53}) Burger Carstens ({54}) Carstens ({55}) Conrad ({56}) Dr. Czaja Damm Daweke Dr. Dregger Dreyer Engelsberger Erhard ({57}) Ernesti Dr. Evers Ey Eymer ({58}) Dr. Eyrich Feinendegen Frau Fischer Francke ({59}) Franke Dr. Früh Frau Geier Geisenhofer Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({60}) Gerstein Gerster ({61}) Gierenstein Glos Haase ({62}) Haberl Dr. Häfele Dr. Hammans Handlos Hanz Hartmann Hasinger von Hassel Hauser ({63}) Hauser ({64}) Helmrich Dr. Hennig von der Heydt Freiherr von Massenbach Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({65}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger ({66}) Dr. Jahn ({67}) Dr. Jahn ({68}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({69}) Dr. Jobst Josten Frau Karwatzki Katzer Kiechle Dr. Klein ({70}) Klein ({71}) Dr. Klepsch Dr. Köhler ({72}) Dr. Köhler ({73}) Köster Kolb Krampe Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kunz ({74}) Lagershausen Landré Dr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz ({75}) Lenzer Link Lintner Löher Dr. Luda Lücker Dr. Marx Dr. Mertes ({76}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller ({77}) Müller ({78}) Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer Picard Pieroth Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer Regenspurger Dr. Reimers Frau Dr. Riede ({79}) Dr. Riedl ({80}) Dr. Riesenhuber Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe Russe Sauer ({81}) Sauter ({82}) Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble Schartz ({83}) Schedl Frau Schleicher Schmidhuber Schmidt ({84}) Schmitz ({85}) Schmöle Dr. Schneider Dr. Schröder ({86}) Schröder ({87}) Schröder ({88}) Dr. Schulte ({89}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({90}) Dr. Starke ({91}) Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stommel Strauß Stutzer Susset de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer Frau Tübler Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({92}) Vogt ({93}) Volmer Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Frau Dr. Walz Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Wawrzik Weber ({94}) Weiskirch ({95}) Dr. von Weizsäcker Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({96}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissebach Wissmann Dr. Wittmann ({97}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Dr. Zeitel Ziegler Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Amrehn Frau Berger ({98}) Dr. Gradl Kittelmann Kunz ({99}) Müller ({100}) Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe Der Einzelplan 06 ist angenommen. Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - Drucksache 8/1367 Berichterstatter: Abgeordneter Westphal Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der harten Reden, die in diesen Tagen hier in diesem Saal gehalten werden, würde ich ja gerne Justitia als die Taube vorführen, die so friedenbringend über den verschiedenen Heereslagern schwebt. ({0}) - Wie es auch mein Name sagt, Herr Kollege. Deshalb heiße ich vielleicht Friedmann. Leider, Herr Bundesjustizminister, ist es mir nicht möglich, das Wirken von Justitia heute als das einer Friedenstaube hier vorzuführen, denn Ihr Wirken gab dazu nidit vollen Anlaß. ({1}) Wir reden zwar nur über einen Haushalt von rund 315 Millionen DM - angesichts des gesamten Bundeshaushalts sind diese 315 Millionen DM nicht sehr viel -, aber hinter diesen Zahlen steht ja Politik. Dahinter steht auch Ihr ganz persönliches Wirken, dahinter steht das Wirken von Ihnen als Regierungsmitglied und auch Ihr Wirken als Mitglied der SPD/FDP-Koalition. Nimmt man das alles zusammen, dann ergibt sich ein ganz anderes Bild. In diesen Tagen ist des öfteren angesprochen worden, verehrter Herr Minister, daß die Gesetze, die Sie zur Bekämpfung des Terrorismus vorlegen wollen, auf ein Paket zusammengeschrumpft sind, das für uns nicht mehr akzeptabel ist, ein Paket, das in unseren Augen zu Bruchstücken geworden ist. ({2}) Nun hatten wir bei der Beratung Ihres Haushalts Ihre Anträge mitzuberaten, Ihnen mehr Stellen im Bundeshaushalt zu gewähren. Sie wollen ein neues Referat „Terrorismus" im Bundesjustizministerium, Sie wollen eine neue Abteilung „Staatsgefährdung" bei dem Generalbundesanwalt und wollen auch die Zahl der Strafsenate und der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vermehren. Dies alles machen wir durchaus mit. Die Bedenken der Opposition sind allerdings folgende. Bisher glaubten wir, daß der Terrorismus für uns alle nur eine vorübergehende Erscheinung sei. ({3}) - Herr Kollege, wir von der Opposition sind der Meinung, daß es möglich sein müßte, mit dem Terrorismus fertigzuwerden. ({4}) Wir sind der Meinung, daß der Terrorismus nicht das Schicksal Deutschlands sein kann. Der Terrorismus darf nur eine vorübergehende Erscheinung sein, mit der wir fertigwerden müssen. Wir sind deshalb der Meinung, daß diese zusätzlichen Stellen zwar jetzt, aber eben nur vorübergehend, gerechtfertigt sind. Deshalb wollten wir diese Stellen mit einem kw-Vermerk als künftig wegfallende Stellen versehen, weil der Terrorismus eben nicht dauernd sein darf. Leider wurden wir im Ausschuß von. der Koalitionsmehrheit überstimmt. Vermutlich wird das, Herr Westphal, nachher auch wieder so laufen. Wir stellen deshalb hier fest: ihr Verhalten, diese Stellen für die Dauer zu genehmigen, bedeutet eine Institutionalisierung der Krise. ({5}) - Ich räume ein, ' dies ist aus Ihrer Sicht sogar logisch. Wer sich nämlich weigert, den Beamten, die die Gesetze anzuwenden haben, solche Gesetze zu geben, die greifen, wer ihnen also zumutet, mit einem stumpfen Handwerkszeug zu arbeiten, der muß natürlich mehr Personal auf Dauer einsetzen, weil sich ja so der Erfolg kaum einstellen kann. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Entschuldigung, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Westphal, Sie hatten mir heute morgen eine Zwischenfrage genehmigt. Bitte! Westphal ({0}) Herr Dr. Friedmann, glauben Sie nicht, daß wir im Haushaltsausschuß - und da meine ich uns auf allen Seiten des Hauses - in der Lage und fähig sind, zu einem gegebenen Zeitpunkt, wo wir das Gefühl haben, das Justizministerium hat von uns zu viele Beamte bekommen, die Stellen dann auch mit einem kw-Vermerk zu versehen und wegfallen zu lassen? Dies ist doch ein Unsinn, eine 'Zeitbegrenzung einzuführen -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr. Abgeordneter, die Zwischenfrage war schon beendet.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Westphal, Sie wissen besser als ich, daß dies nicht Ihrer Ubung entspricht. Bisher hatten wir es nicht mit Stellenverminderungen, sondern nur mit Stellenvermehrungen zu tun. ({0}) Herr Minister, Sie haben ja des öftem, gerade nach den Morden an Bubadk, Ponto und Schleyer, gesagt, daß Sie bereit seien, über unsere Vorschläge zu sprechen. Sie haben gemeinsam mit dem Bundeskanzler unsere Vorschläge sogar als sinnvoll und nützlich bezeichnet. Aber übriggeblieben ist von alldem nichts. Wir müssen Ihnen deshalb vorwerfen, daß Sie ein reichlich opportunistisches Verhalten an den Tag legen. ({1}) Sie haben z. B. in ganz beträchtlichem Umfang für Ihren Verantwortungsbereich Sicherheitsfahrzeuge angefordert. Das ist in Ordnung und wird von uns mit getragen. Aber letztlich kurieren Sie damit doch nur am Symptom, nicht an der Wurzel selbst herum. ({2}) Nun wollen Sie auch noch Ihre Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit um fast 50 % verstärken. ({3}) Sie begründen diese Mehrausgabe damit, daß Sie den Terrorismus publizistisch bekämpfen wollen. Wir hielten diese Mehrausgabe nicht für gerechtfertigt, weil wir bei Ihnen ein Konzept vermissen. Leider konnte sich die Koalition unserem Antrag auf Ablehnung dieser zusätzlichen Mittel nicht anschließen; aber sie hat insoweit unsere Argumentation übernommen, als eine qualifizierte Sperre vorgenommen wurde. Mit anderen Worten, selbst in Dz. Friedmann den Reihen der Koalition ist man bis heute nicht davon überzeugt, daß Sie ein Konzept zur Bekämpfung des Terrorismus haben. ({4}) Ich fürchte, daß diese Mittel, die im Augenblick qualifiziert gesperrt sind, ins nächste Jahr hinein . übertragen werden müssen, weil das Konzept ausbleiben wird. Vielleicht darf ich Ihnen einen guten Rat geben. Der Wortlaut der Diskussionen und der Vorschläge der CDU auf deren wissenschaftlicher Tagung liegt vor und kann gern von Ihnen übernommen werden. ({5}) Kollege Riedl hat vorhin vorgetragen, daß Sie, Herr Justizminister, gemeinsam mit dem Innenminister auch die Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesvorsdiläge tragen. Seit der letzten Haushaltsdebatte sind weitere Verfassungsverstöße vorgekommen. Ich darf nur an die Wehrgesetznovelle erinnern, wo das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen hat. Damit aber nicht genug. Der Haushalt, über den wir hier reden, ist auf dem besten Weg, von seiner Verschuldung her bereits wieder gegen die Verfassung zu verstoßen. . ({6}) 30,8 Milliarden DM Schulden werden aufgenommen, bei Investitionen, die bei nur 29 Milliarden DM liegen. Das heißt, Sie sind im Begriff, als Justizminister, als Justitiar der Regierung, zuzulassen, daß hier von der Verschuldung her die Verfassung verletzt wird. Und wenn nicht alles täuscht - Herr Staatssekretär Haehser, auch wenn Sie den Kopf schütteln -, werden Sie bald mit einem Nachtragshaushalt kommen,, der die Aufnahme weiterer Schulden notwendig machen wird, ohne daß dem Investitionen gegenüberstehen; und dann wird das Malheur nur noch größer werden. ({7}) Damit nicht genug. Herr Justizminister, ich möchte daran erinnern, daß die deutsche Öffentlichkeit manchmal von Ihnen ein klärendes Wort zugunsten des Bundesverfassungsgerichts erwartet. ({8}) Ich darf nur daran erinnern, wie gegen den Arbeitgeberverband wegen dessen Klage in Sachen Mitbestimmung vor dem Bundesverfassungsgericht argumentiert wird. Es ist das gute Recht eines jeden, auch eines solchen Verbandes, sein Klagerecht vor dem Bundesverfassungsgericht wahrzunehmen. ({9}) Darauf hätten Sie hinzuweisen. Sie sollten nicht zulassen, daß nur das Negative herausgestellt wird. Sie sollten mindestens sagen: Rechtlich ist das Ganze zulässig. ({10}) In den Reihen der Koalition gibt es Strömungen, denen das herkömmliche Berufsbeamtentum ein Dorn im Auge ist. ({11}) Ich möchte nicht behaupten, daß diese Strömungen schon jetzt eine Mehrheit bei Ihnen ausmachen, so daß auch nicht der übliche Weg einer Gesetzesnovellierung oder einer Gesetzsvorlage zustande kam. Aber es ist doch bezeichnend, daß Sie nun bei verschedenen Einzelplänen versuchen, Beamtenplanstellen in Angestelltenstellen umzuwandeln, z. B. in dem sehr streikempfindlichen Verteidigungsbereich. ({12}) Hier versuchen Sie doch, durch die Hintertür erneut einen Stoß gegen das Beamtentum und damit gegen die Verfassung zu führen. V ({13}) Herr Bundesjustizminister, wir haben Ihnen vorzuwerfen, daß es Ihnen an Durchsetzungsvermögen in Ihrer Koalition fehlt. ({14}) Als intelligenter Minister bringen Sie auch in unseren Augen immer wieder gute Vorschläge. Sie haben in Ihrem Hause gute Mitarbeiter, die Ihnen. gute Vorlagen machen, Sie stützen sich unserer Meinung nach viel zu sehr auf Sachverständige, was viel zu teuer ist. Aber das, was Ihnen vorgelegt wild, . was Sie selbst vertreten, setzen Sie in Ihrer Koalition sehr oft nicht durch. ({15}) Von einem Minister muß ich erwarten, daß er sich als Mitglied der Regierung und als Koalitionsmitglied bei seinen Kollegen durchsetzt. ({16}) Das fehlt bei Ihnen. Wir haben überhaupt den Eindruck, .daß bei Ihnen immer erst etwas Schlimmes passieren muß, bevor Sie einen Schritt nach vorne gehen. Bei den Haushaltsberatungen 1977, als gerade der scheußliche Mord an Buback geschehen war, legten Sie mitten in den Beratungen einen An trag vor, Sicherheitsmaßnahmen bei den Justizbehörden in Karlsruhe zu ergreifen. Dann war wieder Sendepause. Und bei diesen- Beratungen kommen Sie wieder mit neuen Sicherheitsvorsdilägen, weil gerade der grausame Mord an Hanns Martin Schleyer geschehen ist. Was muß denn der Reihe nach immer wieder passieren, bis Sie sich zum nächsten Schritt entschließen? ({17}) Herr Justizminister, in Ihrem Hause gab es eine Untersuchungskommission, die in Sachen Lockheed seit langem ermittelte. ({18}) Sie wußten seit langem, daß diese Kommission nichts Belastendes gegen den CSU-Chef Franz Josef Strauß findet und hervorbringen kann. Trotzdem ließen Sie es zu, daß hier ein Potemkinsches Dorf aufgebaut wurde, nur um von dem eigentlichen Skandal, der im Verteidigungsministerium passierte, abzulenken. ({19}) Man denke nur einmal daran, wie die letzte Bundestagswahl ausgegangen wäre, wenn der wahre Skandal im Verteidigungsministerium bekanntgeworden und zugegeben worden wäre und man der Öffentlichkeit zugleich gesagt hätte, daß an Lockheed nichts dran ist! Hier haben Sie sich als Minister nicht staatspolitisch verhalten, sondern mit Ihrem parteipolitischen Auge gezwinkert. ({20}) Herr Justizminister, dies sind nur einige wenige Beispiele aus Ihrem Verantwortungsbereich, die uns bei der Opposition hinsichtlich Ihrer Amtsführung sehr nachdenklich machen. ({21}) Sie können deshalb nicht erwarten, daß wir Ihrem Haushalt zustimmen. Wir lehnen den Einzelplan 07 ab. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordnete Dr. Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird dem Haushalt des Bundesministers der Justiz zustimmen, ({0}) und zwar nicht .nur weil sie die Haushaltsansätze für richtig hält. Niemand wird in diesem Zusammenhang von mir erwarten, daß ich auf die kleinkarierten, an den Haaren herbeigezogenen Nörgeleien von Herrn Friedmann im Ernst eingehe. ({1}) Meine Fraktion stimmt dem Haushalt vor allem deshalb zu, weil sie hinter .der Politik des Bundesministers der Justiz steht und ihr zustimmt. Diese Politik steht in der Kontinuität der Rechtspolitik, die Gustav Heinemann 1966 begonnen hat. ({2}) Horst Ehmke und Gerhard Jahn haben sie fortgeführt. Hans-Jochen Vogel hat mit ihr in der letzten Legislaturperiode weitere, teilweise bahnbrechende Fortschritte erreicht. ({3}) Er und die sozialliberale Koalition bieten die Gewähr dafür, daß diese Rechtspolitik auch in den kommenden Jahren erfolgreich sein wird. ({4}) Unsere Rechtspolitik entnimmt ihren Auftrag zunächst und vor allem dem Grundgesetz. Von ihm erfährt sie den Wertmaßstab, an dem sie sich ausgerichtet hat und weiter ausrichten wird. Bei den Teilen der Rechtsordnung, für die der Bundesjustizminister zuständig ist, vor allem also beim Zivil- und Strafrecht, handelte es sich bei Gustav Heinemanns Amtsantritt überwiegend um vorkonstitutionelles Recht, also um Gesetzesrecht, das vor dem Grundgesetz erlassen war und größtenteils noch aus der Kaiserzeit stammte. ({5}) Daraus ergab sich die Notwendigkeit, es an die neuen Wertentscheidungen des Grundgesetzes anzupassen. Dieser Aufgabe hatten sich die unionsgeführten Regierungen, insgesamt gesehen, nur widerstrebend und unzulänglich unterzogen. Ihrer restaurativen Grundtendenz entsprechend waren sie ebensowenig ihrer Verpflichtung gerecht geworden, auch in der Rechtspolitik dem ökonomischen, soziologischen, kulturellen und geistigen Wandel Rechnung getragen. Unsere Rechtspolitik wird vor allem von dem das Grundgesetz beherrschenden Postulat der Unantastbarkeit der Menschenwürde bestimmt. Die Menschenrechte und die durch sie bestimmte freiheitliche Ordnung konkretisieren die Achtung und den Schutz, die wir der Würde des Menschen schulden. Das gleiche gilt von dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit und für das Sozialstaatsprinzip. Dabei ergibt sich für die Rechtspolitik deshalb eine besondere Verpflichtung auf die Sozialstaatlichkeit, weil, wie ausgeführt, ihre Gegenstände noch größtenteils von Normen aus der Kaiserzeit geregelt werden und der Nachholbedarf an Sozialstaatlichkeit infolgedessen größer ist als auf anderen Gebieten, z. B. dem der Sozialpolitik. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Rechtspolitik ist keineswegs wertfrei. Ihre Wertentscheidung kann sich aber nicht auf weltanschauliche oder religiöse Vorstellungen einzelner oder einzelner Bevölkerungsgruppen stützen, seien sie noch so groß und noch so bedeutsam. Ihre Wertentscheidungen muß die Rechtspolitik in einer pluralen Gesellschaft dem Grundgesetz entnehmen. Diese Orientierung an den Wertmaßstäben des Grundgesetzes kennzeichnet die Rechtspolitik seit Gustav Heinemann. Das gilt insbesondere für die Strafrechtsreform, für die Reform des Familienrechts und für die vielfältigen Maßnahmen zur Verstärkung des Schutzes des sozial Schwächeren vor Übergriffen des sozial Stärkeren. Im Strafrecht haben wir dem Resozialisierungsgedanken zum Durchbruch verholfen, weil auch die Menschenwürde des Straftäters unantastbar und somit zu achten und zu schützen ist. Dadurch haben wir den Schutz der Allgemeinheit vor Kriminalität keineswegs verringert, sondern im Gegenteil verbessert. Abweichende Vorstellungen sind hier und da noch vorhanden und werden nicht selten von interessierter Seite in unverantwortlicher Weise geschürt. Das ändert aber nichts daran, daß sie unzutreffend sind. Manchmal wird die Strafrechtsreform so mißverstanden oder mißdeutet, als ob durch sie ein wertneutrales Strafrecht geschaffen sei. Nichts ist falscher als eine solche Interpretation. Richtig dagegen ist, daß das Strafrecht seine Wertmaßstäbe nicht mehr subjektiven Vorstellungen entnimmt, sondern dem objektiven Kriterium der Sozialschädlichkeit, wobei diese von den Grundwerten her zu definieren ist, die nach dem Grundgesetz für das Zusammenleben der Menschen in einer pluralen Gesellschaft konstitutiv sind. Daraus resultiert die Rücknahme des Strafrechts dort, wo Sozialschädlichkeit nicht feststellbar ist, z. B. bei der Homosexualität, der Kuppelei und der Pornographie, aber auch im Staatsschutz und im Demonstrationsstrafrecht, wobei in diesem Zusammenhang die Prinzipien einer freiheitlichen Ordnung ein zusätzliches Gestaltungselement gewesen sind. Aus diesen Grundsätzen resultiert aber auch die Ausweitung des Strafrechts bei der Wirtschaftskriminalität, der Gewaltverherrlichung und dem Umwelt- und Verbraucherschutz. Wie in der Vergangenheit kann der Bundesjustizminister auf uns zählen, wenn er vorschlägt, sozialschädlichen Verhaltensweisen besonderen Gewichts, sofern andere Mittel versagen, mit strafrechtlichen Mitteln entgegenzutreten. Aus diesem Grundverständnis heraus haben wir auch ja gesagt zu den Änderungen des Strafrechts, die zur besseren Bekämpfung des Terrorismus erforderlich waren. Es handelt sich, wie ich, um falschen Behauptungen entgegenzutreten, vor allem aber um aus echter Sorge geborenen Einwendungen zu begegnen, hier ausdrücklich betone, keineswegs um Sonder- oder Ausnahmegesetze. Bei den Änderungen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozeßordnung zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung haben wir uns nicht um einen Deut von den Prinzipien und Grundsätzen entfernt, die uns z. B. bei dem Ersten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität geleitet haben und die uns bei den weiteren Gesetzen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und beim Umwelt- und Verbraucherschutz leiten werden. Im Familienrecht kam es zunächst einmal darauf an, die Aufträge des Grundgesetzes zur Herstellung der Gleichberechtigung für nichteheliche Kinder und für Frauen zu erfüllen. Diese Aufträge hatte die Union teils gänzlich zu ignorieren versucht und dann trotz verfassungsgerichtlicher Urteile nur unzulänglich erfüllt. ({6}) Wir haben dafür gesorgt, daß aus dem Eherecht patriarchalische Ehevorstellungen vollständig entfernt wurden und an ihre Stelle Regelungen getreten sind, ({7}) die der in der heutigen Zeit allein tragfähigen Auffassung von der Ehe als einer Partnerschaft Gleichberechtigter entsprechen. Bei der Neuregelung der Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern werden wir dafür sorgen, daß an die Stelle der „elterlichen Gewalt" die „elterliche Sorge" tritt. Damit wird auch im Gesetz verankert, was die Wirklichkeit in unseren Familien mehr und mehr bestimmt, nämlich daß die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern als partnerschaftliche zu verstehen sind. In diesem Zusammenhang wird hier und da der Vorwurf erhoben, die Autonomie der Familie solle eingeschränkt und das Elternrecht solle zurückgedrängt werden. ({8}) Dieser Vorwurf ist unbegründet; ({9}) das werden wir in den vor uns liegenden Beratungen unschwer belegen können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie ernst wir es nehmen, daß das Recht eine soziale Schutzfunktion hat, ist in der Vergangenheit dadurch deutlich geworden, daß wir das soziale Mietrecht geschaffen und den Verbraucherschutz zielstrebig ausgebaut haben. An das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei in diesem Zusammenhang deshalb besonders erinnert, weil mit ihm nicht nur ein quantitativer, sondern auch ein qualitativer Sprung nach vorn gelungen ist. Der Bundesjustizminister will den Verbraucherschutz in dieser Legislaturperiode forcieren. Wir werden ihn bei seinen Vorhaben im Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs, beim verbesserten Sparerschutz im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Anteilen an Vermögensanlagen, beim finanzierten Abzahlungsgeschäft, beim Maklervertrag und auch beim Reiseveranstaltervertrag nachhaltig unterstützen. ({10}) Das gleiche gilt für seine Bemühungen, die Chancengleichheit bei der Durchsetzung des Rechts zu verbessern. Wir hoffen, daß sowohl die außergerichtliche Rechtsberatung als auch die Ersetzung des sogenannten Armenrechts durch die Prozeßkostenhilfe noch in dieser Legislaturperiode einer befriedigenden Regelung zugeführt werden können. ({11}) Ebenso wie der Bundesjustizminister halten wir die Reform des Staatshaftungsrechts und auch eine Novellierung des GmbH-Gesetzes für dringend geboten. Wir ermutigen den Bundesjustizminister, in seinen bisherigen Anstrengungen nicht nachzulassen, eine tragfähige Grundlage für TransplantatioDr. Emmerlich nen zu schaffen und eine befriedigende Lösung der mit einer Geschlechtsumwandlung verbundenen Probleme zu erreichen. Wir finden, daß die Vorschläge des Bundesjustizministers eine baldige Verwirklichung verdienen. Wir begrüßen es darüber hinaus, daß der Bundesjustizminister die Vorarbeiten für ein neues Unternehmensrecht, für eine Novellierung der Konkursordnung und für eine Reform der unterhaltsrechtlichen Vorschriften sowie der Bestimmungen über das Familienerbrecht weiter fördert, damit diese dringende Gesetzgebung in der nächsten Legislaturperiode vonstatten gehen kann. Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir abschließend noch eine Bemerkung: Verschiedentlich wird darauf hingewiesen, daß es in den vergangenen Jahren zu viele Gesetzesänderungen im Zuständigkeitsbereich des Bundesjustizministers gegeben hat. Soweit die Opposition diese Hinweise in eine Anklage gegen die Regierung und die Koalition umzumünzen versucht, ist ihr Verhalten ,in höchstem Grade makaber. Sie ist es doch, die drängende Reformvorhaben immer wieder hinausgeschoben und den Reformstau, der dadurch entstanden ist, zu verantworten hat. ({12}) Im übrigen nehmen wir diese Hinweise durchaus ernst. Wir wissen, daß wir diejenigen, die neue Gesetze anwenden und sie mit Leben erfüllen müssen, nicht überfordern dürfen. Dieser Einsicht wird das Gesetzgebungsprogramm in den nächsten Jahren entsprechen. Das hat der Bundesjustizminister mehrfach erklärt. Auch insoweit hat er unsere Unterstützung. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Ich habe mich sehr gefreut, daß die Oppositionsfraktion Herrn Friedmann gebeten hat, hier zu sprechen, weil ich darin ein Zeichen gesehen habe, daß man das tut, was man in der Haushaltsdebatte an sich tun sollte, nämlich zur Sache zu kommen, Zahlen zu nennen, zu sagen, wie man manches einfacher und besser organisiert, wo unter dem Strich etwas fehlt oder dazukommen soll, und hier allgemein für unsere tägliche sachliche Arbeit in den Fachausschüssen einmal die besonderen Einsichten des Haushaltsausschusses zugänglich zu machen. Leider hat Herr Friedmann diese Chance vertan, so daß nur festzustellen bleibt, daß mit seiner Beauftragung der Nachteil verbunden war, daß er von unserem sonstigen Geschäft nichts versteht. ({0}) Von seinem eigenen Geschäft - das ist der einzige Ausflug, den ich auf dieses glatte Parkett wage - versteht er insofern auch nicht sonderlich viel, als er wagte, der Bundesregierung bei der Aufzeichnung und Berechnung ihrer Schulden ein Verhalten vorzuwerfen, das die niedersächsische Landesregierung, die ich im übrigen sehr schätze, in einer weit brutaleren Weise praktiziert, um genau den rechtlichen Bestimmungen auszuweichen, denen auch die Bundesregierung auszuweichen gezwungen ist. Meine höchst persönliche Ansicht ist: Wenn alles aufgebaut ist und alles steht, sollte man nicht dauernd behaupten, es könnte weiterhin investiert werden, und zwar insofern auch mit Nutzen für die Zukunft, als die Mittel irgendwann zurückfließen. Ich bin der völlig laienhaften, der rein juristischen Auffassung, ({1}) man könnte einmal Tilgungspläne ins Auge fassen. Ich bin allerdings ganz sicher, daß dies quer durch die Fraktionen von sämtlichen sogenannten Experten der Haushalte abgelehnt würde. Die Gründe dafür zu erforschen, muß ich mir versagen, weil ich Ihnen noch einige weitere Mitteilungen machen möchte. ({2}) Herr Biedenkopf hat heute eine meiner Meinung nach sehr eindrucksvolle Rede gehalten, deren wesentlichen Inhalt ich, wenn ich einmal von der Einleitung absehe, eigentlich in weitesten Teilen unterstreichen kann und möchte. ({3}) Ich hatte die Absicht, ihm eine Zwischenfrage zu stellen, und zwar wollte ich angesichts seiner beredten Klage über das, was in der Bildungspolitik im Hinblick auf die Steuerung des Bedarfs und im Hin-' blick auf das Angebot im Verhältnis zur volkswirtschaftlichen Nachfrage verkehrt gemacht wird, an ihn die Frage richten, ob sich das, was in den christdemokratisch regierten Ländern in dieser Hinsicht getan wird, in irgendeiner Form von dem unterscheidet, was in sozialliberal oder sozialdemokratisch regierten Ländern vor sich geht. ({4}) Es gibt nicht den geringsten, auch nicht den kleinsten Unterschied. ({5}) Deshalb möchte ich allen, die hier sitzen, noch folgendes sagen. Ich kann ja davon ausgehen, daß nach den Regeln des Hauses bei so einer Debatte jetzt in erster Linie Juristen anwesend sind, daß wir also eine erweiterte Ausschußsitzung abhalten. Deshalb möchte ich den Kollegen, die sich sonst nie mit dieser Materie befassen, folgendes vor Augen führen, und zwar in Erinnerung an das, was Herr Biedenkopf heute nachmittag gesagt hat. Ich wende mich natürlich besonders an die Kollegen von der CDU/CSU. Was hätte es für einen Sinn, daß Herr Biedenkopf hier spricht, wenn er Ihnen nicht einmal ins Gewissen redete, damit endlich etwas dabei herauskommt? ({6}) Ich möchte Ihnen allen nur sagen: Wir hätten die Bildungspolitiker auf ihrem schweren Weg nicht so lange allein lassen sollen. ({7}) Das gilt quer durch die Fraktionen. Das ist aber kein Grund, irgend jemandem einen speziellen Vorwurf zu machen. Das war meine Abschweifung in dem Sinne, daß die Juristen sich gelegentlich auch einmal um die Bildungspolitik und nicht nur um ihr eigenes Ressort kümmern sollten. Selbst wenn Herr Biedenkopf - das habe ich mir hier noch notiert - ein Reisebüro aufmachen sollte, würde ich nicht für den Reiseveranstaltervertrag eintreten. ({8}) Das bitte ich die verehrliche Opposition mir doch sehr zugute zu halten. ({9}) Ich habe im übrigen gehört - das möchte ich bei dieser Gelegenheit auch einmal loswerden -, daß die wenigen wirklich älteren Kollegen noch wissen, daß es früher einmal eine im ganzen Reichsgebiet bekannte, allgemein verwendbare Salbe gab. Die nannte sich Sprangersche Heilsalbe, ({10}) ein im übrigen tiefschwarzes Mittel. ({11}) Erfolge sind überhaupt nicht nachweisbar gewesen. ({12}) Nun möchte ich auf ein Thema zurückkommen, das Sie seit längerer Zeit behandeln. Ich kenne allerdings Menschen, die in Verantwortung stehen und es seit noch längerer Zeit behandeln. Das ist die Frage der Gesetzesflut, des Überbordens von Gesetzen und Verordnungen. Das ist meiner Ansicht nach ein Thema, dem sich sogar ein Haushaltsfachmann mit dem Ziele der Rationalisierung zuwenden kann, mit dem Ziele, einmal herauszufinden, was das wirklich kostet. Sie haben ja mehrfach gefragt und - zum Teil gescheiter-, zum Teil ungescheiterweise - keine Antwort bekommen. ({13}) Ich kann Ihnen nur sagen: Als der sehr verehrte Herr Präsident Carstens und einige andere Herren - auch Herr Stoltenberg hat das Motiv mit der geographisch bedingten Verzögerung aufgenommen - gesagt haben, wir machten alle vielzu viele Gesetze, waren wir schon in einem Stande, in dem wir still und leise, aber ganz nachhaltig neuen Gesetzen widerstanden haben. ({14}) - Das ist ein Beispiel, aber keineswegs ein wichtiges. Ich habe das Gefühl, daß die Verantwortlichen dieser sozialliberalen Koalition das Problem weit früher gesehen haben als diejenigen, bei denen es nunmehr modisch geworden ist, dieses Problem aufzugreifen. Ich möchte deshalb in diesem Zusammenhang dem Bundesjustizminister, Herrn Vogel, ausdrücklich dafür danken, daß er seit seinem Amtsantritt eine sehr behutsame Auswahl zwischen dem vorgenommen hat, was wirklich beschleunigt, was wirklich getan werden muß, und dem, was man auch etwas später und etwas nachdenklicher behandeln kann, Wir sind mit dieser seiner Politik ausdrücklich einverstanden, einer Politik, die dazu geführt hat, daß Sie im Lande herumgehen können, wo Sie wollen, und zwar bei Anhängern jeder parteipolitischen Richtung: Sie werden niemanden hören, der etwa die Amtsführung des Bundesjustizministers tadelt. ({15}) Das geht wesentlich darauf zurück, daß er weit früher als andere, die nur verbale Übungen zu machen begonnen haben, in der Praxis begonnen hat, dieser Gesetzesflut entgegenzuwirken. Das drückt sich auch in seiner Haushaltsanforderung aus. Die Stellen, die hinzukommen, rechtfertigen es nun wirklich nicht, daß man uns deshalb eigens einen Haushaltsexperten auf den Hals schikken mußte, ({16}) sondern die drei Stellen in dem Bereich, in dem sie angesiedelt sind, sind wirklich das Bescheidenste, was man bei langfristiger Sicht von einem verantwortlichen Minister erwarten kann. Dafür möchte ich an dieser Stelle dem Bundesjustizminister ausdrücklich den Dank der Freien Demokraten sagen. ({17})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hartmann?

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Klaus Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000816, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, weil Sie so blumenreich von der Gesetzesflut reden: Ist Ihnen bekannt, daß von den rund 1 500 Gesetzen des Bundes, die derzeit in Kraft sind, allein rund 600 seit 1969, also seit dem Beginn der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition, in Kraft gesetzt worden sind, und wie vereinbaren Sie das mit Ihrem Wettern gegen die Gesetzesflut, der gerade dieser Minister so sehr seine Aufmerksamkeit geschenkt habe?

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Kollege, sind Sie ganz sicher, daß Sie nur die neuen Gesetze gezählt haben, oder können Sie vielleicht nicht ganz ausschließen, daß Sie dabei Novellierungen alter Gesetze mit ins Auge gefaßt haben? ({0}) Das gäbe der Sache statistisch ein ungewöhnlich anderes Bild, und dieses letztere Bild trifft zu. ({1}) Wenn ich nun zur Frage der Gesetzesflut noch einiges sage, möchte ich als erstes bei uns selbst anfangen. ({2}) Da kann man nur sagen: Wir haben in mehreren Punkten zuviel getan, ({3}) wir sind zu eifrig gewesen, und wir sind auch in vielen Fällen, zu eilig gewesen. Ich wage gar nicht, von dieser Stelle aus darzulegen, was mir ganz kürzlich wieder an rein rechtstechnischen Fehlern - nicht etwa an rechtspolitischen Fehlern - bekanntgeworden ist, was sowohl den anwesenden Vertretern der Regierungskoalition als auch den Vertretern der Opposition nicht aufgefallen ist, weil wir uns nämlich dermaßen selbst unter Druck gesetzt haben, daß wir die fachlich-sachlich wichtigen Dinge nicht mehr genügend kontrollieren können in dem Streit und in der politischen Auseinandersetzung über das, was wir für wichtig oder nicht wichtig, für richtig oder für falsch halten. Das ist eine Sache, die man unter besonderen Bedingungen in Kauf nehmen muß, die wir aber wirklich keine Sekunde länger als unbedingt notwendig in Kauf nehmen möchten. Man muß sich auch einmal fragen, ob denn das Theater - nur aus der Sicht von Paris gesehen oder gar aus der Sicht von Madrid gesehen oder vielleicht auch aus der Sicht von Washington gesehen das wir hier um Einzelheiten einer Terrorismusbekämpfung, die wir alle wollen, aufführen, nicht völlig überflüssigerweise unsere Kräfte ablenkt von der gesetzgeberischen sauberen Arbeit, in dem Bestreben, unseren Bürgern zu demonstrieren, wir seien auseinander, obwohl wir in Wirklichkeit glücklicherweise ganz ungewöhnlich nahe beieinander sind. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich bitte Sie, dies doch immer wieder zu prüfen, bevor Sie in eine globale Kritik eintreten. Wir streiten uns zum Schluß, insbesondere was die Bekämpfung des Terrorismus angeht, um Dinge, die so hergesucht sind und die dann hinterher so hochgebockt werden, daß die objektive und gelassene Betrachtung, ob das nun wirklich nützlich sein könnte oder nicht nützlich sein könnte, was die eine oder andere Seite vorschlägt, nicht mehr möglich ist, weil wir uns vorher zu hochgebockt 'haben, dieses allerdings aus einem sehr positiven Grunde, nämlich weil wir im großen und ganzen so nah beieinander sind, daß einige meinen, wir müßten uns wegen der noch verbleibenden Punkte dann ganz hoch aufbogen, um überhaupt Unterschiede erkennbar zu machen. Das ist die Politik der Opposition in diesem Hause, und das ist meiner Ansicht nach rechtspolitisch gesehen eine unglückselige Politik, insbesondere wenn man sich hinterher einmal die Texte anguckt, die auf diese Weise fabriziert werden. Das ist nicht die Schuld der einen oder der anderen Seite, sondern das ist die Schuld beider Seiten. Wenn Sie die Gesetzesflut, von der Sie gerade vorhin sprachen, weiter analysieren, ({4}) kommen Sie z. B. darauf, daß es gar keinen Unterschied gibt etwa zwischen mehr sozialliberal und mehr konservativ eingestellten Menschen, sondern daß die Quellen offenbar nicht hier im Hause, sondern an anderer Stelle sprudeln. Nun sprudeln Quellen bekannterweise besonders in den Bergen, und deshalb kommen wir hier nach Bayern. Die meisten Gesetzesvorsdiläge, darunter völlig unsinnige Gesetzesvorschläge, kommen nämlich aus Bayern. ({5}) Darunter sind eine Fülle von Gesetzesvorschlägen, von denen jedermann in der Opposition auf der Stelle sagen würde: Das ist wieder der letzte linkssozialistische Bockmist! ({6}) Das ist linker Sozialismus! Hier wird Gleichmacherei betrieben! Hier wird die Wirtschaft lahmgelegt! Hier wird die Funktionsfähigkeit unserer Unternehmen beeinträchtigt! Das würden Sie sagen, wenn Sie das sähen- es sei denn, Sie sähen den Briefkopf, und das ist regelmäßig das Bayerische Staatsministerium der Justiz. Von daher kommt das Haustürgesetz, das Sie hier immer bekämpft haben. Von daher kommt ein ganz neuer Vorschlag zum Wucherparagraphen. Alle - wie ich Sie vor mir sehe als Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundestages - würden Sie sagen: Das kann man nicht gesetzlich regeln, das geht zu weit, das ist zu detailliert. Angetragen wird das nicht von der sozialliberalen Koalition, angetragen wird das von Ihrem konservativen Kernland: aus dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz. Dazu muß ich die Stellungnahme dés Deutschen Industrie- und Handelstages erwähnen.. Man würde ja denken - das ist das Interessante an dem Vorgang -, der Deutsche Industrie- und Handelstag und die Bayerische Staatsregierung, da gibt es enge Bande; das paßt so in das Klischee. Aber der Deutsche Industrie- und Handelstag ist in bezug auf die vorgeschlagene Änderung des § 138 Abs. 3 BGB durchaus der Meinung, daß die 'Bayerische Staatsregierung da auf einem, gelinde gesagt, ungewöhnlich falschen Wege ist. So geht es mit einer Reihe ähnlicher Dinge. ({7}) - Ich hatte vorhin, Frau Präsidentin, den Eindruck, als hätte bei 20 Minuten das Zeichen geläutet. Während meiner Rede ist es auf eine Viertelstunde zurückgedreht worden. ({8}) Ich vermute, daß meine Ausführungen irgend jemandem nicht gefallen haben. Auch dafür habe ich volles Verständnis. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte schön, reden Sie nur; Sie haben noch Zeit. ({0})

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie in Bayern die Drähte laufen, weiß ja bislang noch keiner. Der nächste Untersuchungsausschuß wird es an das offene, freie Licht des Tages bringen. ({0}) Ich möchte das in einem netteren Zusammenhang weil Sie gerade darauf hinweisen - sagen, ({1}) als das vorhin vielleicht war; das kam so ein bißchen abrupt. Es ist schon nicht schön, daß eine Abhöraffäre, die für die meisten in diesem Hause inzwischen geklärt ist und wegen unseres Gott sei Dank - allgemeinen Respekts vor der Privatsphäre der Beteiligten auch nicht weiter erwähnt worden ist, schließlich doch noch als Untergrund herhalten soll für die nächste Geschichte,, von der noch keiner weiß, wie sie beschaffen ist, um dann um so deutlicher zu machen: irgendwo muß ja doch was dran sein. Wenn die Regierung und die sie tragenden Parteien in der alten Geschichte Ruhe gegeben haben, als herauskam, daß es eine. Privatangelegenheit war, dann dürften wir eigentlich von der Opposition erwarten, daß sie die Voraussetzungen der nächsten Affäre insofern von altem Ballast befreit, als sie selbst und nicht etwa diejenigen, die höflicherweise geschwiegen haben, darstellt: das Ding hat nun wirklich mit der Bundesregierung nichts zu tun. Daß man stattdessen hergeht und tut so, als würde sich das jetzt aufaddieren, dadurch würde der Verdacht immer dicker, daß genau die Koalition, die von allen am meisten gegen_ Abhören, die am meisten gegen Wanzen hat, ({2}) hier in der Sache etwas mehr Dreck am Stecken hätte, das finde ich nun allerdings nach dem, was ida vorher gesagt habe, etwas unfein. ({3}) Sie finden vielleicht mal Gelegenheit, daß einer der Ihren in ganz beiläufiger Form diesen Sachverhalt klarstellt, damit das aufhört, durch die Presse zu geistern. Wir wollten nicht darüber sprechen, haben es nicht getan. Aber daraus ergibt sich meiner Ansicht nach Fairneß um Fairneß - für Sie die Verpflichtung, es irgendwann zu tun. Das ist doch das, was Herr Ehmke vorhin hier gemeint hat, obwohl ich persönlich der Meinung bin, der Zusammenhang war nicht der glücklichste. ({4}) - Es kommt aber mal so vor. Bloß: je länger Sie warten, sich in dieser Sache mal klar zu äußern, je unglücklicher werden die Zusammenhänge werden. Das ist doch wohl das mindeste, was man dazu sagen kann. Die Gesetzessprache hat uns neulich schon beschäftigt. Ich meine, die Gesetzessprache wird insbesondere auch durch eine ganz wichtige politische Institution beeinträchtigt, nämlich durch den Kompromiß. Sie haben nach Verabschiedung des Ehegesetzes durch die Koalition gegen Ihre Stimmen hier im Hause das Gespräch dankenswerterweise wieder aufgenommen. Die Folge waren Besprechungen in kleineren Zirkeln, in denen um Einzelformulierungen gerungen worden ist. Was bei solchen Gelegenheiten ' unterlaufen kann, vielleicht sogar unterlaufen muß, ist, daß die eine Seite immer glaubt, die gefundene Formulierung drücke ihre Ansicht deutlicher aus und die andere Seite sei, obwohl sie das nicht deutlich merke, der Verlierer. Ich spreche also vom versteckten Dissens. Und wenn Juristen der Klasse wie sie Gott sei Dank noch heute hier vorhanden sind, sich bemühen, gegenseitig einen versteckten Dissens zu erzielen, kann das naturgemäß nur ein schlechtes Gesetz und eine gesetzliche Belastung der Richter zur Folge haben. Dann sollten wir uns aber anschließend zu der Sache stellen. Noch besser wäre es, wir würden vorher versuchen, einen klaren Text zu machen. Gerade in einer so wichtigen Frage wäre mir allerdings der Kompromiß immer noch eine zusätzliche Aufgabe für die Richter wert, wenn ich nicht anders dazu kommen kann, einen erkennbar unhaltbaren Zustand, so wie er' durch Sie im Bereich des Ehe- rechts 1961 geschaffen worden war, endlich abzustellen. Dann muß ich eben von da an auf die Novellierung hoffen, wie das auch in anderen Bereichen der Fall ist. Noch eines zu den mehr grundsätzlichen Fragen der Gesetzgebung. Was können denn wir, selbst wenn wir nicht einen Dissenskompromiß schließen, bei der Durchführung unserer Gesetze angesichts - idi habe es hier schon einmal gesagt - fehlerhafter richterlicher Auslegung wie z. B. beim Mietanpassungsgesetz tun? Ich bin immer der Meinung gewesen, daß wir im Bereich der Vergleichsmiete etwas sehr Gescheites getan haben. Wir haben nämlich etwas verhindert, was . etliche Leute wollten, nämlich die Wiedereinführung der unseligen Tabellenmiete. Wir haben andererseits verhindert, daß eine große soziale Unruhe dadurch erzeugt wurde, daß Mieter durch übertriebene Forderungen, denen sie schutzlos ausgeliefert wären, erregt wurden. Wir haben versucht, das auf der Mitte in einem geradezu automatischen Verfahren zu lösen. Wenn dabei die dafür Bestimmten - in diesem Fall eine ganze Reihe von Amtsrichtern - nicht richtig mitwirken, dann müssen, wir uns, meine ich, daran erinnern, daß die Experimentierphase in der Richterausbildung im Jahr 1981 zu Ende geht und daß wir uns beizeiten dafür interessieren sollten, "wie wir hier wieder zu einem Richterbild kommen, das in erster Linie der Gesetzesanwendung dient und nicht völlig nebulösen sozialtherapeutischen Vorstellungen, die in der Praxis mit Sicherheit nicht nur nicht verwirklicht, sondern in ihr Gegenteil verkehrt werden. Wir hatten ein ähnliches Beispiel bei der Wehrdienstverweigerung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, wollen Sie bitte zum Ende kommen. Ihre Redezeit ist tat sächlich abgeiaufen.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich bedauere, daß das nun tatsächlich der Fall ist. Ich hoffe, daß das außer mir noch irgend jemand hier bedauert. ({0}) Ich möchte noch eines sagen. Ich habe im Sinn der Selbstregulierung - und so sollten wir die meisten unserer Gesetze abzufassen versuchen - nichts mehr bedauert als das faktische Scheitern des meiner Ansicht nach ungewöhnlich vernünftigen Gesetzes zur Regelung der Wehrdienstverweigerung, das - wie ich ohne weiteres zugebe - durch die tatsächlichen Verhältnisse ad absurdum geführt worden ist, die nicht so waren, wie wir sie bei der Verabschiedung dieses Gesetzes vorausgesetzt hatten. Ich gestehe beides zu. Aber ich bitte die Opposition, mir ihrerseits zuzugeben, daß wir bereit sind - und das werden wir auch in Zukunft sein -, in Zusammenarbeit mit jedermann möglichst vernünftige Gesetze und möglichst behördenextensive und automatikintensive Gesetze zu machen. Wollen wir alle zusammenarbeiten, daß wir dafür das nötige Instrumentarium bekommen! Wir Liberalen sind dazu von Haus aus seit vielen Jahren immer bereit. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Erhard.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der teilweise humoristischen Einlage des Kollegen Kleinert und nach einigen sehr beachtenswerten Ausführungen bin ich allerdings nicht der Meinung, daß die außerordentlich große Maus aus dem Gebirge im Süden von hier, nämlich das Haustürgeschäft als Entwurf, besonders geglückt gewesen wäre. Aber andere Dinge waren außerordentlich, Herr Kleinert; das wissen Sie ebensogut wie ich. Ich höre Ihnen auch ganz gern zu, wenngleich es besser ist, daß man anderswo weiterspricht, wenn die Zeit abgelaufen und es 22.00 Uhr ist. In der Kürze lag bei Ihnen heute nicht die Würze. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen uns bei Haushaltsberatungen selbstverständlich die notwendige Disziplin auferlegen und dürfen nicht anfangen, eine die verschiedensten Gesetze in allen Einzelheiten durchgehende Diskussion über Rechtspolitik führen zu wollen. Wichtig hi der Haushaltsberatung ist der Minister; denn mit dem Haushalt wird ja seine Arbeit angenommen oder abgelehnt, bestätigt oder kritisiert. Und daß die Opposition nicht dazu da ist, einen Minister, wenn er nicht ganz Besonderes geleistet hat, zu loben, sondern ihn kritisch zu betrachten, ist auch eine Selbstverständlichkeit. In diesem Zusammenhang ist Justizpolitik notwendigerweise eine Angelegenheit mit langfristigen Perspektiven. Gesetze wie das Kontaktsperregesetz, zu dem sich viel Negatives und Positives in beiden Richtungen sagen läßt, gehören jedenfalls zur Ausnahme und beweisen nach meiner Überzeugung nur, daß auf unvorhergesehene und höchst gefährliche Erscheinungen gezielt und eng begrenzt reagiert werden kann. Insofern waren wir übereinstimmender Auffassung. Erscheinungen aber, wie die genannte, sind selten. Wesentliche Änderungen des geltenden Rechtes können meist nur nach Jahren in ihren Wirkungen erkannt werden. Wie schlecht sich z. B. die Veränderungen, die in der Euphorie des Nunmehr-alles-besser-Machens 1969 auf dem Gebiete des Demonstrationsrechtes und Demonstrationsstrafrechtes angeleiert wurden, ausgewirkt haben, haben wir alle inzwischen längst erfahren. Mehrfache Zurückveränderungen waren notwendig, und noch immer ist nicht das erreicht, was alle Polizisten für notwendig erachten. Wie das Eherecht, verehrter Herr Kleinert, wirken wird, das kann heute auch noch niemand abschließend sagen. Daß es jedenfalls erhebliche Unbilligkeiten enthält, kann man heute schon sehen und allenthalben hören. ({0}) Damit werden wir uns zu beschäftigen haben. Daß gesprochen worden wäre, nachdem wir nicht mehr bereit gewesen wären zu sprechen, ist eine Geschichtsklitterung, verehrter Herr Kleinert. Die Wahrheit ist doch die, daß der Justizminister mit dem außerordentlichen starken Arm in seine eigene Fraktion hinein - und der Arm war so stark, daß er amputiert erscheint - überhaupt nicht in der Lage war, gewisse Kräfte dieser Fraktion zu einem Kompromiß zu bewegen und daß er deswegen gezwungen war, über den Vermittlungsausschuß den Kompromiß zu ereichen. Das wissen wir doch, die wir bei den Gesprächen dabei waren - vorher und nachher. Und alles, was daran vorbei gesagt wird, ist einfach unwahr. Zu Beginn dieser Wahlperiode hatte der Bundeskanzler in der Regierungserklärung auf die umfangreichen und kaum noch zu übersehenden gesetzgeberischen Veränderungen, richtig wertend, hingewiesen. Er hatte gesagt: Jetzt müssen die neuen Gesetze im Bewußtsein unseres Volkes Wurzeln schlagen. Sie, Herr Bundesjustizminister, haben den Gedanken mehrfach aufgegriffen und haben auch hier im Hause wiederholt erklärt, daß nunmehr eine gewisse Ruhe in die Gesetzgebung hineinkommen müsse. Dem Wortlaut nach haben wir hier völlig übereingestimmt. Auch wir meinen: Es muß eine gewisse Ruhe an der Gesetzgebungsfront herrschen. Aber die Worte müssen ja schließlich auch durch Tatsachen Bestätigung finden; Tatsachen aber Wiederlegen die Absichtserklärungen. Wieder sind eine Fülle von Gesetzen und Verordnungen über uns -ich möchte sagen - geschüttet worden. Auch im ersten Jahr der Legislaturperiode haben wir das Phänomen zu verzeichnen, daß das Bundesgesetzblatt Nr. 1 drei volle Bände umfaßt - für das Jahr 1977! Drei volle Bände hat es bis zum Jahre 1973 in der Gesetzgebung überhaupt nicht gegeben. Das ist erst die Folge der Euphorie, durch Gesetze so viel zu ändern, daß man im Ergebnis die Gesellschaft verändert. Wie man sie dann .verändert - nun, das Erhard ({1}) wird sich zeigen. Ich würde fast sagen: Man kann die Gesellschaft auch zerstören. Dem Rechtsausschuß liegen so viele Gesetzentwürfe vor, daß man sie eigentlich nur noch nach Schocks zählen kann. Beamte Ihres Ministeriums, Herr Minister Vogel, haben nachgezählt, daß allein 17 Veränderungen der Strafprozeßordnung durch eigene Gesetzentwürfe vorgeschlagen werden; nicht 17 Paragraphen, sondern 17 verschiedene Gesetze. Diese Änderungen sind zum Teil in Gesetzesüberschriften versteckt, die dann möglicherweise - wenn man genau hinschaut - sogar die Pfändungsfrei-grenzen betreffen. Diese 17 Veränderungen allein der Strafprozeßordnung beweisen schlechte Organisation in Ihrem Hause, denn an allen diesen Veränderungen haben Sie, hat Ihr Haus ja mitgewirkt. Es gibt kein Ministerium, das auch nur einen Paragraphen zur Änderungen der Strafprozeßordnung an Ihnen vorbei in einen Gesetzesvorschlag hineinbringen könnte. Solche Gesetzesmacherei führt zwangsläufig - darüber waren wir uns doch eigentlich dem Scheine nach einig - zu Rechtsunsicherheit auf allen Ebenen. Die Gerichtspraxis leidet, die Verfahren dauern zwangsläufig länger. Die politische Antwort, die man dann vom Justizminister und von der Regierung hört, lautet, man solle weitere kurz-, mittel- oder langfristig angelegte Gesetzesänderungen suchen, die in ihrer Wirkung in Wirklichkeit gar nichts anderes - darüber müssen wir uns im klaren sein - als eine Verkürzung oder Einschränkung der Möglichkeiten des Rechtsschutzes für die Bürger bedeuten. Auch die jetzt vorliegenden Beschleunigungsgesetze - „Entlastungsgesetze" oder ähnlich genannt - haben in Wirklichkeit diesen Kern. Die Oberen Gerichte, die Bundesgerichte, stöhnen unter der zunehmenden Last der an sie herangetragenen Streitfälle. Wenn man das Gesetz dauernd ändert, gibt es immer neue Streitfälle, die nicht höchstrichterlich entschieden sind. Das ist doch selbstverständlich. Zusätzliche Richterstellen werden in diesem Jahr bewilligt, aber das, was man Erfolgskontrolle nennt, versagt auf diesem Gebiet. Wir sind uns dessen ja auch bewußt, daß hier eine Erfolgskontrolle sehr schwer ist. Vergebens aber haben wir und auch die deutsche Öffentlichkeit darauf gewartet, daß sich der Bundesjustizminister und die Regierung dieser konkreten Problematik annehmen. Ich scheue mich nicht, einmal darauf hinzuweisen - auch wenn es sich um Gerichte handelt -, was hier so alles zu beobachten ist. Die Zahl der Urteile und der Sachbeschlüsse hat bei allen Oberen Bundesgerichten kontinuierlich abgenommen, was ein Vergleich der Zahl der Entscheidungen mit der Zahl der Richter ganz augenfällig erweist. Es gibt nur eine einzige Ausnahme, das sind die Strafsenate beim Bundesgerichtshof. Offenbar schweigen Sie auch dazu, Herr Bundesjustizminister, weil jede auch vorsichtige oder mahnende Kritik auf Widerstand der Betroffenen stoßen würde. Ich will hier - ich weiß, es ist nicht ganz geheim - auch ruhig einmal fragen: Ist es eine vertretbare Antwort, wenn man eine solche Entwicklung dahin gehend erläutert, daß man sagt: Auch für die oberen Bundesgerichte ist die 40-Stunden-Woche eingeführt worden? Sie möchten sich ganz offenbar unter keinen Umständen Kritik aus dem Kreis der hohen Richterschaft zuziehen. Der Bundesjustizminister muß sich aber nach meiner und unserer Auffassung für ein optimales Funktionieren der Rechtsprechung - mindestens auf der obersten Ebene - stellen. Dafür muß er sich verantworten; er muß diese Verantwortung aktiv wahrnehmen und tragen. Herr Minister Vogel, Sie weichen ganz offensichtlich allen Schwierigkeiten aus. Wo Sie Schwierigkeiten erwarten, weichen Sie - soweit wir das beobachten können - im Krebsgang zurück. Sie verwenden Ihre zweifellos - das sei Ihnen uneingeschränkt zugestanden und konzediert - hohe Intelligenz und Ihre Beredsamkeit mit großer Energie fast nur zu dem Zweck, diesen Sachverhalt zu verschleiern und Entschuldigungsgründe zu finden. Das schadet aber im Ergebnis dem Rechtsbewußtsein und dem Vertrauen unserer Bürger viel mehr, als es auf den ersten Blick bemerkbar ist. ({2}) - Frau Präsidentin?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So! Das ist bedauerlich! ({0}) Nachdem der Herr Kollege Kleinert eine halbe Stunde gesprochen hat

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein, er hat 20 Minuten gesprochen, wie angemeldet, Herr Kollege. Aber wir haben uns jetzt verständigt, daß Sie zehn Minuten reden. Es wäre sehr nett, wenn Sie zum Ende kämen.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. Aber ich habe noch fünf Minuten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit. Kommen Sie bitte zum Schluß.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesjustizminister, ich habe mich noch mit Ihrer Rede vom vorigen Donnerstag auseinanderzusetzen. Sie haben in den früheren Zeiten nach meiner Ansicht mit Ihren Entscheidungen die Mehrheit des Parlaments verfälscht. Sie haben Gesetzesvorlagen gemacht, mit denen deutlich Ihre Auffassung zum Tragen kommen sollte. Sie haben die Regierungsvorlagen vertreten, haben aber dann im Rechtsausschuß und hier im Plenum Ihre eigenen Vorlagen nicht vertreten. Vor zwei Jahren habe ich Ihnen das schon vorgehalten. Nun haben Sie hier in der vorigen Woche gesagt. daß Sie die verschiedensten Elemente der Gesetzgebung hin und her beraten und bewegen könnten. Das ist auch unserer Auffassung nach durchaus richErhard ({0}) tig. Sie haben in Ihren Ausführungen folgendes zum Besten gegeben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. Kommen Sie bitte zum Schluß. ({0})

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich bedaure das, aber ich komme zum Schluß.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich bitte herzlich darum.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Ihnen vorzuhalten, Herr Minister: Sie haben in der vorigen Woche - lesen Sie das Protokoll nach! - erklärt, Sie würden die Vorlage der Regierung nur für vier Wochen zurückgestellt haben, um damit einer Gruppe oder einer Schicht in unserem Volk die Möglichkeit zu geben, diesen Staat nicht abzulehnen. Diese Gruppe kann nur eine Gruppe in Ihrer Fraktion sein; diese Gruppe kann nicht woanders sein, sonst könnte sie nicht in vier Wochen überzeugt werden. Dabei haben Sie so getan, als wäre es Ihre Vorlage - die der Regierung nämlich -, die zur Rede steht. Bei nächster Gelegenheit konnte man deutlich merken, daß es die Vorlage war, die Sie wahrscheinlich im Februar zur Abstimmung bringen wollen, obwohl das etwas gänzlich anderes ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist jetzt leider zu Ende. Ich bitte Sie Erhard ({0}) ({1}) : Ich packe schon zusammen, Frau Präsidentin!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das ist nett. Aber bitte sofort!

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine solche Haltung ist des Justizministers nicht würdig. Ich möchte von Ihnen wissen: Gibt es in Ihrer Fraktion Leute, die sich von diesem Staat abwenden ...

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, die Redezeit ist zu Ende. Ich bitte, das Podium zu verlassen.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

. . . weil Ihre Überzeugungen nicht durchkommen? ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Abgeordneter, dessen Redezeit wegen Überlänge einiger Reden zu anderen Haushalten gekürzt wurde, tut gut, sich an diese Kürzung zu halten. ({0}) Er tut gut daran, sich von vornherein gegen einen möglichen Vorwurf zu wehren, er habe nichts zu dem zu sagen gehabt, was einer Erwiderung würdig wäre, aber in der verkürzten Redezeit nicht behandelt werden kann. ({1}) - Herr Kollege, Scherze über Berufe sind an Stammtischen durchaus brauchbar und zur Erheiterung geeignet. Ihren Zwischenruf hielt ich nicht für den besten dieser Haushaltsdebatte. ({2}) Der Herr Kollege Professor Dr. h. c. Strauß hat sich auch zur Rechtspolitik geäußert; das bedarf einiger kurzer Klarstellungen. Er meinte, die .zur Bekämpfung des Terrorismus gedachten Vorschläge der CDU/CSU seien von den Sachverständigen und der Justiz fast ausnahmslos gebilligt worden. Hier irrt er. Gegen die Verteidigerüberwachung haben sich ausgesprochen der Deutsche Richterbund, die Fachgruppe Richter und Staatsanwälte der ÖTV, die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltsverein. Wenn in derselben Rede Herr Kollege Strauß behauptet hat, die Linken hätten die Verteidigerüberwachung verhindert, dann muß ich doch fragen: Kann man eigentlich den Deutschen Richterbund und den Deutschen Anwaltsverein als links bezeichnen? ({3}) Herr Kollege Lenz, der Vorschlag Ihrer Fraktion zur Neuregelung des Verteidigerausschlusses hat die Ablehnung der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltvereins gefunden. ({4}) Stehen die links? Doch nur für den, der so weit rechts steht, daß er rechts neben sich nur noch die Wand sieht. ({5}) Nun haben Sie das, worüber wir in der nächsten Sitzungswoche in zweiter und dritter Lesung abstimmen werden, im Rechtsausschuß abgelehnt. Das Ist der Überlegung wert. Die Opposition hat gemeint, besser nichts als etwas, das ihr nicht genügt. Das erinnert an das Prinzip Alles oder Nichts, und dieses Prinzip ist eine höchst unpolitische Haltung. Selbst wenn Sie unsere Vorschläge für nicht genügend halten, dann sollten Sie sich wenigstens zu der alten Weisheit bekennen, die in dem schwäbischen Sprichwort verborgen ist: Besser eine Laus im Kraut als gar kein Fleisch. ({6}) Darr Wir sind der Meinung, daß zu den wichtigsten Prinzipien im demokratischen Staat auch die Rationalität gehört, und das heißt, daß die Gesetzgebung sich nicht durch Emotionen leiten lassen darf. Die Alternative lautet nicht: Wirksame Maßnahmen oder Abbau des Rechtsstaates. Es geht vielmehr darum, rational unabweisbare Maßnahmen zu treffen, und die schlägt die Koalition dem Plenum vor. Darüber läßt sich dann allerdings trefflich streiten und am besten sachlich. Die Rede des Kollegen Strauß weist ihn gerade in ihren rechtspolitischen Teilen als führenden Konfliktpädagogen der Bundesrepublik aus. Was er an vielen deutschen Schulen beklagt, die Konfliktpädagogik, empfiehlt er als geeignetes Verhaltensmuster in Bundestagsdebatten, was bereits in der Sonthofener Rede nachzulesen war. ({7}) Von der Frankfurter zur Sonthofener Schule - das ist ein Abstieg wie vom Barock zum Barack. ({8}) Die Opposition erweckt gerade auf dem Gebiet der Gesetzgebung zur inneren Sicherheit die Illusion, mehr Gesetzesänderungen brächten mehr innere Sicherheit. Meine Damen und Herren, damit wird ein falscher Erwartungshorizont aufgebaut, und das von Leuten, die als Kämpfer gegen die Gesetzesflut durch die Lande ziehen. Insoweit, Herr Kollege Erhard, waren Sie bei zutreffenden Äußerungen vielleicht ein wenig einäugig. Man müßte näher darauf eingehen, wenn man die Zeit hätte. Daß wir in der Bundesrepublik einen funktionierenden Rechtsstaat haben, wird von der Bevölkerung hoch geschätzt. Aber genauso, wie Sparsamkeit bei manchen zum Geiz werden kann, so kann auch die Bejahung des Rechtsstaates bei manchen zur Gesetzesgläubigkeit werden. Das bitte ich auch zu betrachten, wenn Sie gerade auf diesem Gebiet die Illusion erwecken, mehr Gesetzesänderungen würden mehr innere Sicherheit bieten. Über die Auswirkung von Gesetzen, insbesondere von neuen Gesetzen, auf die Einstellung der Bevölkerung könnte und sollte man hier zu guter Zeit ausführlicher reden, über die Frage, ob tatsächlich den Gesetzen litten- oder unsittenbildende Kraft innewohnt. Gerade wer Reformpolitik will, muß wissen, daß der wesentliche Inhalt des Bundesgesetzblatts von den Bürgern weder schnell noch vollständig verinnerlicht wird. Insoweit, Herr Kollege Erhard, bin ich weitgehend mit Ihnen einig, nicht aber mit einigen Ihrer Kollegen, z. B. dem, der der Eherechtsreform vorausgesagt hatte, sie werde Vielweiberei auf Raten bringen, und auch nicht mit denen, die demselben Gesetzeswerk angehängt haben, nun werde aus Angst vor Scheidungskosten keiner mehr heiraten. Beide Voraussagen haben sich erfreulicherweise nicht erfüllt. Unsere Bürger verlangen zwar vom Staat reibungsloses Funktionieren und sofortiges Bewältigen jeder neuen Herausforderung. Sie von der Opposition unterstützen diese zum Teil übertriebenen Erwartungen, um die Regierung in Mißkredit zu bringen. Im weit überwiegenden Teil ist aber die Haltung unserer Bürger ruhig und besonnen. Sie verlangen von uns in der Politik Besonnenheit und überlegtes Handeln. Besonnenheit und überlegtes Handeln sind die Kennzeichen der Rechtspolitik dieser sozialliberalen Koalition. Wir danken dem Bundesjustizminister und stimmen seinem Haushalt zu. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz, Herr Dr. Vogel. Dr. Vogel, Bundesmiñister der Justiz: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte wie im letzten Jahr zunächst ein Wort des Dankes an die beiden Berichterstatter meines Haushalts, Herrn Kollegen Westphal und Herrn Kollegen Dr. Friedmann, sagen, die diesen Haushalt bei den Beratungen und auch das ganze Jahr hindurch konstruktiv, kritisch und förderlich betreut haben. Genauso möchte ich zu Beginn meiner Ausführungen ein herzliches Wort des Dankes an den Rechtsausschuß und seinen Vorsitzenden richten. Auch in der Zeit seit der Verabschiedung des letzten Haushalts hat es zwischen dem Rechtsausschuß und dem Bundesjustizministerium eine faire, sachliche dem Recht dienende, konstruktive Zusammenarbeit gegeben. Ich möchte dies ausdrücklich und mit Betonung unterstreichen. Dann möchte ich sämtlichen Diskussionsrednern danken. Wenn ich Detlef Kleinert besonders nenne, dann deshalb, Herr Kollege Kleinert, weil Sie zwei Vorurteile widerlegt haben. Zunächst haben Sie das Vorurteil widerlegt, Rechtspolitik im allgemeinen und die Debatte über den Einzelplan 07 im besonderen seien eine trockene Sache. ({0}) Außerdem haben Sie das Vorurteil widerlegt, daß in diesem Bundestag höchstens in hämischer Weise jeweils auf Kosten des anderen gelacht werden könne. Ich glaube, es ist geradezu eine Wohltat, wenn ein befreiendes Lachen quer durch die oftmals unübersteigbar scheinenden Grenzen zwischen den Fraktionen möglich ist. Ich freue mich, daß die Aufforderung des Bundeskanzlers vom letzten Donnerstag „Mehr Fröhlichkeit!" in so positiver und konstruktiver Weise aufgenommen worden ist. ({1}) Darum war bei Ihnen, Herr Kollege Kleinert, das Bedauern, daß die Uhr am Ende war, auch allgemein und hörbar. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren ({2}) - Herr Kollege Wehner, diejenigen, die bei Detlef Kleinert zugehört haben, haben den Dank eigentlich schon in der Freude empfangen, die das Zuhören hervorgerufen hat. Darum sind sie in den Dank, den ich Herrn Kleinert gezollt habe, alle mit einbezogen. ({3}) - Ich bitte um Entschuldigung. Ich werde den Dank für das Zuhören, jedenfalls was meine Rede angeht, noch ganz allgemein an den Schluß meiner Ausführungen stellen. Die Sprecher der Opposition haben Kritik hauptsächlich in fünf Punkten geübt. Ich will darauf kurz eingehen. Die erste Kritik richtet sich gegen den Inhalt und den Gang der Antiterrorgesetzgebung. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal in allem Ernst unterstreichen: Es ist doch nicht wahr, daß die Entscheidung darüber, wann wir den Terror überwinden, auf dem Gebiet der Gesetzgebung fällt, und es wäre ein ganz besonderer Irrtum, wenn man dies womöglich auch noch mit der zeitlichen Befristung von Planstellen verbinden wollte, wie es bei Herrn Friedmann angeklungen ist. Sie hatten einen interessanten Kongreß, meine Damen und Herren. Professor Lübbe hat auf diesem Kongreß folgendes gesagt: Im Kampf gegen den Terrorismus können Polizei und Gerichte nur Nacharbeit leisten. An die Ursachen des Terrorismus kommt man mit Verfahren und Verurteilungen nicht heran. ({4}) Ich meine, Lübbe hat recht, und wir alle, aber gerade auch Sie als Veranstalter dieses Kongresses, sollten das beachten. Wer das nicht beachtet, erweckt doch nur falsche Hoffnungen. Die Enttäuschung und Staatsverdrossenheit der Bürger, die sehen, daß der gewünschte Erfolg durch die Gesetzgebung allein nicht erreicht wird, ist dann um so größer. Gesetzgebung ist eines von mehreren Feldern; sie ist wichtig genug, selbstverständlich. Und gerade deshalb ist die gründliche Prüfung notwendig, wo neue Erkenntnisse neue Regelungen erfordern. Diese gründliche Prüfung hat stattgefunden. Herr Kollege Erhard, ich will gerne noch einmal auf meine Äußerung von der letzten Woche eingehen, auf die Vertagung um vier Wochen. Ich habe gesagt, es gibt insbesondere in meiner Fraktion gegen einzelne Punkte noch Bedenken. Dies sind Bedenken, die auch draußen außerhalb des Hauses Resonanz finden und dort Besorgnisse hervorrufen. Ist es nicht im Interesse dieses Staates und dieser Gemeinschaft, wenn diese Bedenken ausgesprochen und in einer Diskussion und Auseinandersetzung überwunden werden können, so daß sich auch die, die diese Bedenken gehabt haben, in der Diskussion wiedererkennen? Wir können im Bündnis gegen den Terror nicht auf diejenigen verzichten, die in dieser Richtung Sorge äußern. Wir können niemand von uns stoßen, den wir brauchen, um die Auseinandersetzung mit diesem Übel sinnvoll und mit Erfolg zu führen. Das ist der Hintergrund dessen, was ich gesagt habe. ({5}) - Ich tue doch nichts anderes, als diese Diskussion zu führen, und andere tun es doch auch. Ich will auf Einzelfragen jetzt nicht mehr eingehen. Es würde schon reizen, noch einmal zur Überwachung und Ausschließung etwas zu sagen. Ich bekenne mich ja dazu, daß ich die Überwachungsregelung vorgeschlagen habe. Ich bekenne aber genauso ehrlich, daß mich die Argumentationen hinsichtlich der Praktikabilität - nicht so sehr hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit; Überwachung gibt es in gefestigten Rechtsstaaten auch - beeindruckt und überzeugt haben. Man kann doch die Äußerung des Deutschen Richterbundes nicht als die Äußerung von Leuten abtun, die von der Praxis nichts verstehen. Das sind ja die, die es vollziehen sollen. ({6}) -Entschuldigung, ich bin doch hier nicht mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit hergekommen. ({7}) Ich habe doch niemals erklärt: Mich muß man zum Minister machen, weil ich alles so gut weiß, daß man hier überhaupt nicht mehr reden muß, daß vielmehr jede Änderung eine Majestätsbeleidigung ist. Ich versuche zu lernen. Ich bin doch auch ehrlich genug, Ihnen zuzugeben - das wissen Sie doch -, daß auch Argumente von Ihnen richtig sind und daß man sie übernehmen und akzeptieren muß. Das ist für mich der Sinn der Demokratie. Der Herr Kollege Eyrich hat in einem Punkt auch erkennen lassen, daß diese Gedankengänge nicht ganz abwegig sind. Er hat damals am 29. September bei der Diskussion über das Kontaktsperregesetz zu einem Änderungsantrag, der dazu gestellt war, gesagt: Wissen Sie, ob dieser integre Anwalt - der also vom Gericht ausgesucht und vorher durchleuchtet wird überhaupt in der Lage ist, die Bedeutung dessen zu erkennen, was ihm gesagt wird und wovon er glauben kann, daß es zum Zwecke seiner Verteidigung dient, zu erkennen, daß es tatsächlich dieses auch beinhaltet? Haben wir nicht den Ideenreichtum derer, die im Gefängnis sitzen, in den letzten Wochen, Monaten und Jahren kennengelernt? Ich würde sagen: Sehr richtig, Herr Kollege Eyrich. Aber wenn wir das selbst bei einem Anwalt dieser Art, der ausgesucht ist, nicht voraussetzen können, können wir denn dann, wenn ein Anwalt, der schon verdächtigt wird, mit seinem möglichen Komplizen redet, voraussetzen, daß der Richter dies alles versteht? Darum bin ich nach wie vor der Meinung: Die Gefahren, die es hier ohne Zweifel gibt, sind durch eine praktikablere und effektivere Ausschlußregelung sauber und durchgreifender zu lösen als durch eine Überwachungsregelung, bei der wir mit dieser Gefahr auch weiterhin leben müßten. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Es ist auch im Interesse des Beschuldigten, daß er nicht einen Verteidiger hat, der vom Gericht verdächtigt und unter Überwachung gestellt wird, sondern einen Verteidiger, der voll verteidigen kann, weil er auch den Respekt und die Achtung und nicht den Verdacht des Gerichts im Laufe des Verfahrens spürt und fühlt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil es von anderer Seite nicht getan worden ist, darf ich es mit Ihrer Zustimmung vielleicht tun: Ich möchte gerade in diesem Zusammenhang den Gerichten, die die Verfahren gegen Personen führen, denen terroristische Anschläge zur Last gelegt werden, hier ausdrücklich ein Wort des Dankes sagen. ({8}) Es ist nicht wahr, daß die Justiz mit dieser Aufgabe nicht allmählich so fertig würde, wie man es von ihr verlangen kann. Selbstverständlich, sie hatte am Anfang Schwierigkeiten; das war neu für sie. Aber Dutzende von Verfahren sind im letzten Jahr zum Ende gekommen; in zehn Fällen ist die lebenslange Strafe verhängt worden, und die Erfahrungen mit dem Verfahren gegen Verena Becker haben ja auch gezeigt, daß der Zeitabstand zwischen Tat, Festnahme und Urteil in erster Instanz deutlich verkürzt werden kann - ein Anliegen, in dem, glaube ich, alle Kräfte in diesem Hause vollständig übereinstimmen. ({9}) - Aber lieber Herr Kollege Lenz, das liegt doch Ihrem Ausschuß vor. Wir sind doch über die Straffung und Beschleunigung der Großverfahren einig. Und wenn diese endlose Anti-Terror-Debatte einmal zu Ende ist, werden wir uns ja hoffentlich auch dieser Sache förderlich zuwenden können. ({10}) Zur Eherechtsreform, meine Damen und Herren: Natürlich gibt es Anlaufschwierigkeiten. Lesen Sie meine letztjährige Haushaltsrede nach! Ich habe ausdrücklich gesagt, es wird ein, zwei Jahre dauern, bis diese Anlaufschwierigkeiten einigermaßen überwunden sind. Aber jetzt haben wir die ersten OLG-Entscheidungen, die übrigens gar nicht unvernünftig sind. Die Sache mit dem Versorgungsausgleich ist kompliziert. Das hat doch jeder gewußt! Wir konnten doch bei dieser Gelegenheit das Sozialversicherungsrecht nicht einfacher machen, als es ist. Aber die Anstalten kommen nun allmählich mit den Formularen zurecht. Meine Damen und Herren, ich kann die Kritik in diesem Punkte wirklich nicht verstehen. Da stellt sich jede politische Partei hierher und sagt, es ist ein großes Unrecht, daß hier - beim wichtigsten Vermögensgegenstand, nämlich der Anwartschaft für die Altersversorgung - der Zugewinnausgleich bisher nicht Platz gegriffen hat. Da stellen sich alle hierher und sagen, die Hausfrauenarbeit muß wenigstens im Hinblick auf die Versorgung endlich genauso bewertet werden wie die Arbeit der berufstätigen Frau. Dann muß das doch, wenn die Konsequenz daraus gezogen wird - und die Dinge sind natürlich kompliziert -, von denen, die das wollen, mitgetragen werden, statt daß die Verwirrung und die Schwierigkeiten in den Vordergrund gestellt werden. ({11}) - Aber gerne!

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist nach Ihrer Auffassung die Hausfrauentätigkeit in diesem Eherecht in irgendeiner Weise der Berufstätigkeit der Frau gleichgestellt worden? Sind Sie dieser Meinung?

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Ja, Herr Kollege Erhard, voll und ganz, denn es ist ja eigentlich der Pfiff beim Versorgungsausgleich, daß, während bisher die sogenannte Nur-Hausfrau, die drei Kinder aufgezogen hat, nach Scheidung der Ehe an der Versorgungsanwartschaft des Mannes in gar keiner Weise partizipierte, diese Versorgungsanwartschaft jetzt für die Zeit der Ehe geteilt wird. ({0})

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entschuldigen Sie, Herr Minister, darf ich noch eine Frage stellen?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wenn Sie, Herr Minister, die Zwischenfrage gestatten, bitte.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im einen Fall hat die Frau ihre eigenen Rechte aus eigener Arbeit, im anderen Fall -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, stellen Sie bitte eine Zwischenfrage!

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmen Sie mir darin zu: In dem einen Fall hat die Frau aus Arbeit ihre eigenen Rechte, in dem anderen Fall leitet sie ihre Rechte wie beim Unterhalt von den Einkünften des Mannes ab. Stimmen Sie mir darin zu?

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Kollege, ich hatte das hier nicht für ein Examen, sondern für eine politische Unterhaltung gehalten, ({0}) und ich stimme Ihnen natürlich in der Rechtsfrage zu. Aber ich habe es immer so verstanden, daß auch Sie auf Ihren Kongressen gesagt haben, das die sogenannte Nur-Hausfrau und Mutter, was die eigenständige Altersversorgung angeht, nicht schlechter stehen darf als die Frau, die berufstätig war, und dazu haben wir einen ersten Schritt getan. ({1}) Im übrigen, Herr Kollege Erhard, möchte ich, wenn Sie dies schon für kompliziert halten und solche Einwendungen bringen, einmal wissen, wie der nächste Deutsche Bundestag ein Gesetzgebungswerk verabschieden will, das uns das Bundesverfassungsgericht bis zum Jahre 1984 aufgetragen hat, und zwar mit einem Urteil, das uns ja bestätigt und das das, was wir hier getan haben, in die volle Breite der Sozialversicherung ausgedehnt wissen will. ({2}) Außerdem - ich sage dies ohne jede Polemik; ich habe auch nicht den Eindruck, daß dieses Haus an einem Defizit an Polemik leidet - ist dies schon ein merkwürdiger Wandel: Dieselben Kritiker, die vor dem 1. Juli 1977 gesagt haben, die Ehescheidung werde jetzt leichter als eine Wohnungskündigung, beklagen heute draußen beredt, die Scheidung daure zu lange, sei zu kompliziert und zu teuer; man könne sich gar nicht mehr scheiden lassen. Dann sagen sie aber im nächsten Satz gleich wieder, daß natürlich die sozialliberale Koalition die Ehe als Institution zerstört habe. Meine Damen und Herren, das ist einfach logisch schwer oder - um höflich zu sein - kaum zu vereinbaren. Wenn dies eine Ehezerstörung war, was wir miteinander auf Grund des einstimmigen Votums einer Kommission, in der auch die Kirchen und die Verbände vertreten waren, gemacht haben, so muß ich wirklich fragen: Warum hat denn dann die Mehrheit von Ihnen zugestimmt? Man kann doch nicht beides haben und den einen gegenüber ja sagen, den anderen gegenüber aber sagen: Das ist aber eine ganz verheerende Sache. ({3}) Wahr ist - das will ich aussprechen -, daß die Männer Vorrechte verloren haben. Im Ehe- und Scheidungsrecht hatten die Männer bis zum 30. Juni 1977 gewisse Vorrechte. Daß es ein schmerzhafter und auch ein einschneidender Prozeß ist, diese Rechte zu verlieren, will ich nicht bestreiten. Dann ist das Verhalten im Fall Lockheed kritisiert worden. Hier verstehe ich nun wirklich die Welt nicht mehr. Alle Regierungen, die davon betroffen waren, haben genau dasselbe gemacht wie wir. Als die Amerikaner gesagt haben: Wir haben hier Material, wollt ihr dieses Material haben?, haben wir - wie die anderen auch - gesagt: ja. Dann waren Vertragsverhandlungen notwendig, weil nach dem amerikanischen Recht diese Unterlagen nicht ohne ein Regierungsabkommen von Ministerium zu Ministerium herausgegeben werden können. Wir haben diese Verhandlungen geführt und dann mit Ihrer Unterstützung darauf bestanden, daß in dieses Abkommen oder zumindest ins Protokoll eine Klausel kommt, die besagt, daß über die Ergebnisse auch die Fraktionen des Bundestages verständigt werden dürfen. Das hat die Sache verzögert. Aber diese Forderung lag doch im allgemeinen Interesse. Wenn ich das in den Verhandlungen nicht durchgesetzt hätte, hätte Herr Strauß seinen Schein, daß aus diesem Material keine Belastungen hervorgehen, heute noch nicht. Eigentlich müßte man - ich will den Dank nicht, weil korrektes Verfahren selbstverständlich ist - doch sagen: Der Vogel hat korrekt eine Gruppe mit einem pensionierten Richter eingesetzt und hat Herrn Strauß in den Stand versetzt, überall zu sagen: Ich habe eine Bestätigung, daß in diesem Material keine Belastung für mich enthalten ist. - Damit kann er doch gegen Herrn Hauser vorgehen! Es ist doch Herr Hauser, der die Dinge immer aufs neue überall herumträgt. Ihm hat ja diese Kommission für diesen Teil seiner Behauptungen den Boden entzogen. Ich weiß nicht, warum Sie dann das Justizministerium und die Leute angreifen, die wirklich korrekt und sauber gehandelt haben. ({4}) - Entschuldigung, Herr Hartmann, wir wollen jetzt nicht in bayerische Details gehen. Wo kommt denn Herr Hauser her? ({5}) - Das ist nicht der Kaspar Hauser.; es ist der andere Hauser. - Warum hat denn der überhaupt Kenntnisse über Lockheed? Wie ist denn der in diesen Bereich gekommen? ({6}) Ich will heute abend über diese Dinge nicht reden. Ich lasse mich dazu auch nicht verleiten. Ich stelle nur fest: Wir haben korrekt mit den Amerikanern verhandelt und die Voraussetzung dafür geschaffen, daß dieses Material geprüft und die Prüfung mit der Erklärung beendet werden konnte: Herrn Strauß trifft keinen Vorwurf aus diesem Material. - Da möchte ich wissen, was man mir eigentlich in dieser Sache vorhalten will. ({7}) - Entschuldigung, ich habe überhaupt nichts kultiviert. Der Herr Hauser hat u. a. auch hier kultiviert. ({8}) - Meine Damen und Herren, darf ich Sie noch einmal in aller Ruhe fragen, in welchem Punkt Sie dem Bundesminister der Justiz in dieser Sache einen konkreten Vorwurf machen wollen? Sie wissen doch ganz genau, daß ich Ihnen Zwischenberichte gegeben habe. Wenn wir von Verzögerungen reden: Wenn das alles so brandeilig gewesen wäre, hätte es auch innerhalb gemischt zusammengesetzter Fraktionen vielleicht manchmal ein bißchen rascher gehen können. Wir wollen uns aber nicht ablenken lassen. Das ist auch nicht die Kernfrage der Rechtspolitik. Nächstes Stichwort: Beachtung der Verfassung. Ich soll das Verfassungsgericht schützen. Eine gute Aufforderung, Herr Friedmann. Wer hat denn aber im Zusammenhang mit der Arbeitgeberklage eigentlich das Verfassungsgericht angegriffen? Darüber habe ich nichts gehört. Es hat verfassungspolitische Debatten über die Zweckmäßigkeit dieser Klage gegeben. Es ist jedermanns gutes Recht, eine Klage zu erheben. Es ist aber auch jedermanns gutes Recht, die politische Zweckmäßigkeit einer Klage zum Gegenstand der Kritik zu machen. ({9}) Wo sind wir denn? Ich bin doch nicht der Schulmeister der Leute, die ein Gericht anrufen, und anderer, die sagen, das ist nicht gut. ({10}) Im übrigen habe ich in bezug auf das Bundesverfassungsgericht nach jeder Entscheidung gesagt: Es ist die Pflicht und Schuldigkeit jedes Verfassungsorgans, die Entscheidungen des Verfassungsgerichts zu respektieren. Das steht im Gesetz und in der Verfassung, und das ist bindend. Wer das bestreitet, der bekommt selbstverständlich eine Auseinandersetzung mit mir. Aber es ist niemandes Pflicht, die Entscheidungen in ihrer Argumentation für richtig zu halten. Es ist jedermanns Recht, sich auch mit den Gründen einer Verfassungsgerichtsentscheidung kritisch auseinanderzusetzen. ({11}) Ubrigens tun Sie das doch auch, wenn die Entscheidung nicht nach Ihrem Geschmack ist. Wir stilisieren hier je nach Zweckmäßigkeit und Augenblickslage Dinge hoch, die im Grunde doch ganz normal sind. Übermaß an Gesetzen: Weiß Gott. Ich habe mich mit der Sache ja einmal im kleineren Rahmen befassen müssen. Aber wenn wir dem auf den Grund gehen: Ist es denn nicht wahr, daß die hochkomplizierte Gesellschaft, in der wir leben, einen ganz anderen Normen- und Entscheidungsbedarf hat als frühere Gesellschaften? Ist es denn nicht wahr, daß der Rechtsstaat auch hier seinen Preis hat? Wenn etwa halt in der Verfassung, im Art. 19, steht, daß alles öffentliche Handeln von den Gerichten nachgeprüft werden kann, dann zwingt das eben, mit bestimmten Rechtsbegriffen Dinge zu regeln, die ich sonst - ({12}) - Das möchte ich nun wirklich sagen: Da sind wir alle allzumal Sünder. Herr Kollege Lenz, es ist einfach nicht richtig, daß das auf Koalition und Opposition wie schwarz und weiß verteilt werden kann. Wenn Sie die Listen ansehen, werden Sie feststellen, daß soundso viele Änderungsanstöße auch aus Ihrem Bereich kommen. Der Bundesrat, in dem die CDU/ CSU ja ein Wörtlein mitzureden hat, hat bisher im zweiten Durchgang nicht ein einziges Gesetz mit der Begründung zurückgewiesen, es sei überflüssig und solle nicht erlassen werden. Im Gegenteil, er hat uns noch neue Vorlagen gebracht und uns auf die Füße getreten, wenn wir sie nicht rasch genug vor den Bundestag gebracht haben. Ich schlage wirklich eine große Zusammenarbeit mit dem Ziel vor, die Zahl der Paragraphen geringer zu halten. Ich verrate hier kein Geheimnis: Im Kabinett ist es auch ein beliebtes Thema: Schon wieder ein Gesetz? Ich sage dann: Jetzt macht ihr etwas, was zwangsläufig neue Gesetze zur Folge haben muß. Z. B. das Straßenlärmgesetz: Gucken Sie sich einmal die Vorlage an! Wer soll das mit mathematischen Formeln auf drei Seiten noch verstehen? Aber dann sagen Sie mir gleichzeitig, wie man es anders und besser machen soll! Kein Streitpunkt. ({13}) - Das ist ein guter Gedanke. Aber wir wollen das verknüpfen mit dem JURIS-Projekt, das Herr Kollege Jahn gestartet hat, und wollen das gesamte geltende Bundesrecht - das ist eine Sache von einiger Zeit - in dem Computer speichern mit der Möglichkeit, daß das geltende Recht an einer Stelle durch Ausdruck jeweils sofort verfügbar ist. Ich bin nicht für Schwarzweißmalerei. Darum sage ich Ihnen: Es ist eigentlich schwer begreiflich, daß ein Staat wie der unsere die Frage: Wie sieht unsere geltende Rechtsordnung aus? fast an keiner Stelle zuverlässig beantworten kann. Sie haben den Fundstellennachweis; darin können Sie dann mühsam herumsuchen. die Frage: Was gilt eigentlich von A bis Z? kann Ihnen heute noch nicht einmal das Justizministerium, geschweige denn irgendeine andere Stelle beantworten, und für die Länder und Gemeinden schon gar nicht. Darum wollen wir mit dem JURIS-Projekt etwas tun. Wir haben auch schon einen anderen Gedanken. Aber damit sind wir noch ganz am Anfang. Wir wollen eine Kommission einsetzen, die versucht, alle Sondergesetze allmählich wieder in den schuldrechtlichen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches zurückzuholen. ({14}) Dabei wird man sich auch den Schuldrechtsteil des BGB nach mehr als 77 Jahren genauer ansehen müssen. Herr Kollege Friedmann, Sie haben drei Haushaltsfragen angesprochen. Zunächst: Daß bei uns die Richter- und Staatsanwaltsstellen mit kw-Vermerk versehen werden sollen - das machen Sie doch bei der Polizei und beim Grenzschutz und in den Ländern auch nicht. Zur Öffentlichkeitsarbeit: Herr Kollege Friedmann, natürlich habe ich ein Konzept. Ich habe im Haushaltsausschuß sogar angeboten, dieses Konzept zu lesen, aber das ist wahrscheinlich gar nicht von allen gehört worden. Es steht Ihnen zur Verfügung. ({15}) - Herr Kollege Löffler, es gab sicher viel wichtigere Sachen als mein Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit. ({16}) - Sie haben es sogar angenommen oder qualifiziert gesperrt. Das ist ja besser als Ablehnung. Im übrigen, ich hätte mit Engelszungen reden können, die einen hätten es abgelehnt, und die anderen hätten gesagt: Also gut, qualifiziert gesperrt, machen wir es mal! Zu den Schutzmaßnahmen für Karlsruhe: Herr Kollege Friedmann, Sie wissen genausogut wie ich, daß für den Schutz in Karlsruhe Baden-Württemberg zuständig ist und daß wir von dort Vorschläge, Äußerungen, Anregungen brauchen. Die müssen ja dort schützen, nicht wir. Wir fragen ständig, aber ich kann doch nicht Baumaßnahmen vorschlagen, bevor nicht Baden-Württemberg erklärt hat, dieses und jenes sei notwendig. Das ist ein Vorwurf an die falsche Adresse. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kritik ist notwendig. Die Bundesregierung und der Minister haben sich damit auseinanderzusetzen. Aber das ist nicht alles. Zur Bilanz, die anläßlich der Beratung eines Haushalts gezogen werden soll, gehört auch eine Darstellung dessen, was positiv geleistet worden ist, übrigens weithin einstimmig oder mit breiter Mehrheit geleistet worden ist. Schließlich ist doch die Bekämpfung des Terrors nur ein Teilgebiet; ein sehr wichtiges Teilgebiet, aber eben nur ein Teilgebiet der Rechtspolitik. Es wäre verhängnisvoll, wenn sich unser Gesichtswinkel so verengte, daß wir alles andere nicht mehr wahrnähmen. Es wäre verhängnisvoll, wenn wir erstarren wollten wie unter dem Blick einer Schlange und. das verkümmern ließen, was eine besondere Qualität unserer Ordnung ausmacht, nämlich ihre Anpassungsfähigkeit, ihre Veränderungsfähigkeit, das ihr innewohnende Streben nach mehr Gerechtigkeit. Wir sind doch gemeinsam diesen Weg gegangen. Meine Damen und Herren, Sie müssen noch fünf Minuten Geduld haben. Es ist nicht meine Schuld, daß die Rechtspolitik und die Justiz um 22 Uhr zur Verhandlung kommen. Deswegen der Dank an diejenigen, die noch ausharren. Ich nenne nur einige Stichworte. Hat beispielsweise die Adoptionsreform nicht für Tausende elternloser Kinder die Chance auf ein glücklicheres Leben eröffnet? Dann der Verbraucherschutz. Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das soziale Mietrecht - haben sie nicht den Rechtsfrieden und das Vertrauen gestärkt, daß unser Recht gerade auch den Schwächeren zur Seite steht, daß es nicht weitgehend ein Recht des Starken ist? ({17}) Die Beschleunigungs- und die Vereinfachungsnovelle zur ZPO - haben sie nicht die Rechtsfindung beschleunigt und dadurch zur sozialen Hygiene in unserem Land beigetragen? Haben wir uns eigentlich des Strafvollzugsgesetzes und des Opferentschädigungsgesetzes zu schämen? Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben doch gerade mit Ihren Justizministern einen vollen Beitrag dazu geleistet, und das Ergebnis ist doch auch hier ein wenig mehr Gerechtigkeit, ein wenig mehr Sicherheit. Es ist auch eine Legende, daß die Zahl der schweren Gewalttaten von Jahr zu Jahr unaufhörlich zunehme. Bei Mord, bei Raub, bei Notzucht liegen die Zahlen 1976 günstiger als 1975, sie liegen zum Teil günstiger als 1972. Ich lasse mir auf Grund des bisherigen Argumentationsstandes die Überzeugung nicht rauben, daß ein vernünftiger Strafvollzug, der die Resozialisierung im Auge behält, die Rückfälle vermindert und dadurch den Bürger besser schützt. Ich lasse mir diesen Glauben nicht nehmen. ({18}) Sie haben ihn doch auch. Natürlich gibt es Übertreibungen, denen man steuern muß. Aber der Kern der Sache ist doch gesund und vernünftig. Das alles dient dem Ziel, dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip immer wieder aufs Neue auch unter sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnissen zum Durchbruch zu verhelfen. Das, was wir für diese Periode in Angriff nehmen, dient dem auch. Herr Kollege Erhard, was soll denn gestrichen werden von dem, was da auf dem Programm steht? Zum Recht der elterlichen Sorge: Es gibt zwei Streitpunkte, über die wir verhandeln werden. Ich bin sicher, daß wir uns hier am Ende finden. Bei der Reform der Staatshaftung stimmen wir doch überein. Bei der Novelle zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gibt es gar keinen Einwand dagegen, daß man gegen unlautere Werbemethoden den Verbraucher besser schützt als vorher. Die Novelle zum GmbH-Gesetz kommt eigentlich fast zu spät; sie hätte vielleicht schon früher kommen sollen. Bezüglich des Gesetzes über die Chancengleichheit beim Zugang zum Gericht war die Meinung des Juristentages einhellig. Im Zusammenhang mit dem Transplantationsgesetz bin ich angegriffen worden, daß ich nicht schneidiger voranmarschiert bin. Meine Damen und Herren, ich habe etwas getan, was man auch zur vernünftigen Gesetzgebung braucht: nämlich der Diskussion Zeit lassen, bis sie das Problem bewältigt hat. ({19}) - Aber lieber Kollege Eyrich, soll ich Ihnen einmal das schicken, wo es heißt: „Jetzt vergreifen Sie sich auch noch an den Leichen der Gestorbenen"? Im übrigen, das ist ein heikler Punkt. Das ist ein Ausfluß der Menschenwürde. Wenn wir jetzt breite Unterstützung bekommen für eine Lösung, bei der der einzelne Bürger vorher seinen Willen durch Eintrag in den Ausweis kenntlich machen kann, dann ist das eine vernünftige und tragfähige Entwicklung. Es ist Ihre Sache, ob Sie all dem mit Ihrem Nein zum Haushalt meines Ministeriums, ob gewollt oder ungewollt, auch eine Absage erteilen. Ob Sie sich von all dem, was Sie da mitberaten, mitgetragen und zu fast 90 % mitbeschlossen haben, nun, weil es halt einmal so sein muß, vielleicht auch eines augenblicklichen Effekts willen, mit einem Nein distanzieren wollen. Ich finde, das ist eher ein Prüfstein für Sie als für mich. Ich jedenfalls bleibe dabei: Unser Recht ist nicht nur ein technischer Apparat und dazu noch ein solcher, der nur diesem oder jenem Teil des Volkes zur Verfügung steht. Für mich hat unser Recht seinen eigenen Wert. Es gehört dem ganzen Volk. Seine Fortentwicklung ist uns allen und in erster Linie dem Bundestag aufgegeben. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, bei Ihrer Entscheidung über den Einzelplan 07 auch diesem Grundsatz, auf den sich die Väter unserer Verfassung auf Grund bitterer geschichtlicher Lehren in unserem Grundgesetz verständigt haben, Rechnung zu tragen. Nun danke ich allen, die so lange und mit solcher Geduld hiergeblieben sind und zugehört haben. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsbereich. des Bundesministers der Justiz. Wer dem Einzelplan 07 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe auf Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - Drucksache 8/1385 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Dübber Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 35 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 35 ist bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen. Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, 26. Januar, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.