Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/24/1978

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren; die Sitzung ist eröffnet. Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 19. Januar 1978 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wilms, Pfeifer, Schedl, Rühe, Frau Benedix, Daweke, Prangenberg, Dr. Hornhues und der Fraktion der CDU/CSU betr. Weiterentwicklung der beruflichen Grundbildung und Änderung der Anrechnungsverordnung ({0}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1441 verteilt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung_ werden in der heutigen Sitzung die nachfolgenden Einzelpläne beraten: Einzelplan 01 - Bundespräsident und Bundespräsidialamt Einzelplan 02 - Deutscher Bundestag Einzelplan 03 - Bundesrat Einzelplan 04 - Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes Einzelplan 05 - Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes Einzelplan 27 - Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Einzelplan 23 - Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht Ich rufe nunmehr Punkt I der Tagesordnung auf: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 ({1}) - Drucksachen 8/950, 8/1285 Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({2}) Wir kommen zunächst zum Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksache 8/1361 Berichterstatter: Abgeordneter Stöckl Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch sonst nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01. Wer dem Einzelplan 01 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 01 in zweiter Lesung einstimmig angenommen worden ist. Ich rufe auf: Einzelplan 02 Deutscher Bundestag - Drucksache 8/1362 Berichterstatter: Abgeordneter Krampe Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Zu Wort gemeldet hat sich der Herr Abgeordnete Collet. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Hugo Collet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf feststellen, daß ich nicht im' Auftrage meiner Fraktion rede. Ich bitte Sie daher auch, meine Fraktion nicht für das in Anspruch zu nehmen, was ich jetzt zu sagen habe. Ich gehe aber andererseits davon aus, daß das, was ich ausführen will, nicht im Widerspruch zu der Meinung meiner Fraktion steht - ich hoffe, auch nicht im Widerspruch zu der einer anderen Fraktion. Ich möchte heute nicht über Geld reden, aber daran erinnern, daß ich vor zwei oder drei Jahren von dieser Stelle aus darauf aufmerksam gemacht habe, daß wir es z. B. im Lande Baden-Württemberg mit jenem Herrn Palmer zu tun hatten, der dort bei be5148 stimmten Wahlen einen nicht unbeachtlichen Erfolg erzielt hat. Im Zusammenhang damit haben wir uns manchmal die Frage gestellt: Wie kommt so etwas eigentlich? Wodurch ist eine bestimmte Parteiverdrossenheit entstanden? Ich habe seinerzeit den Versuch gemacht, eine Antwort zu geben. Ich habe nicht den Eindruck, daß wir uns bemüht haben - ich meine: wir alle -, Glistrups und andere aus der Politik herauszuhalten. Sicherlich ist das nicht nur deren Schuld oder die Schuld derer, die sie wählen. Sicherlich müssen wir uns die Frage stellen, ob das zu einem Stück nicht auch unsere Schuld ist. Gestatten Sie mir, daß ich zunächst zu zwei, drei technisch-organisatorischen Dingen, die mit unserer Arbeit und deren Erleichterung zu tun haben, Stel- lung nehme, ehe ich diese andere Frage, von der ich meine, sie müßte uns interessieren, noch etwas zu verdeutlichen versuche. Wenn ich von technisch-organisatorischen Dingen rede, dann meine ich z. B., daß in der 5. Legislaturperiode auf Grund einer Anregung von mir, die seinerzeit vom damaligen Präsidenten von Hassel aufgegriffen wurde, Vorblätter eingeführt wurden. Sie sollten eigentlich dazu beitragen, uns als Abgeordneten die Arbeit zu erleichtern. Nun muß man sich diese Vorblätter heute einmal ansehen. Es heißt nicht mehr, wie damals festgelegt, zunächst „Problem", dann „Lösung", dann „Alternative" und schließlich „Kosten", damit jeder schnelle Leser weiß, was hier beabsichtigt ist, was faul ist oder geändert werden soll. Jetzt heißt es plötzlich „Zielsetzung", und dann folgen drei Zeilen. Es setzt sich doch niemand plötzlich ein Ziel, weder die Regierung noch die Opposition noch irgendein sonstiger Antragsteller, sondern es gibt ein Problem in unserem Lande, das man lösen will. Wie soll beispielsweise ein Kollege, der sich schnell informieren will, der Drucksache 8/365 entnehmen, was dieses Parteichinesisch heißt, was mit diesem Gesetz gewollt ist? Ich bitte auch darum, daß unter „Alternative" zukünftig nicht mehr steht „keine", wenn gleichzeitig zu einer Regierungsvorlage auch eine Vorlage der Opposition vorhanden ist. Dann ist doch ein Alternativvorschlag da. Darauf sollte man im Vorblatt dann auch hinweisen - wenn es so ist. Ich meine, es ist keine Hilfe für uns, wenn wir trotz der Vorblätter 20 Seiten lesen müssen. Dann können wir die Vorblätter abschaffen. ({0}) Eine zweite, auch nur technische Frage.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner.

Hugo Collet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben in der 7. Legislaturperiode nach einem von mir vorgeschlagenen Modell durch Frau Präsidentin Renger die Loseblattsammlung eingeführt, die uns ebenfalls schnell in den Stand versetzen soll, Drucksachen zu finden und zu wissen, wo welches Gesetz zu finden ist. Auch hier wird mit Routine von irgend jemandem mitunter aus dem Vorblatt abgeschrieben. Auch hier ist das Gewollte nicht erreicht. Verehrter Herr Präsident, das ist nicht eine Kritik an Ihnen; dies hat sich schon in der Vergangenheit eingeschlichen, nach und nach. Ich darf Sie herzlich bitten, darauf hinzuwirken, daß diese Mittel so gestaltet werden, daß sie für die Abgeordneten hilfreich sind. Ich komme zu einer anderen Frage und damit zu dem, was mich im Kern berührt und mich veranlaßt hat, gemeinsam mit anderen zu überlegen, ob wir nicht doch Wege finden können, uns anders darzustellen und anders miteinander umzugehen. Ich weiß, was es heißt, im Kampf um die Macht zu stehen. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man - mit vielen Gruppen hinter sich, die erwarten, daß man das durchsetzt - viele Register zieht und alle Mittel ausschöpft. Ich sage das nicht in einer bestimmten Richtung; ich sage das einfach ganz allgemein. Ich bitte wirklich darum, einmal die Frage zu prüfen, ob wir immer das letzte Mittel ausschöpfen müssen. Wir sollten überlegen, ob wir nicht Wege finden können, vielleicht schrittweise darauf zu verzichten. Heute überschätzen wir die Wirkung einer einzelnen Aussage, von der wir glauben: Jetzt haben wir es gesagt! Ich bin lange genug in der Politik, um zu wissen, daß jeder, der aktiv ist und ans Rednerpult geht - ob hier oder woanders -, natürlich immer zwei Überlegungen anstellt. Die eine lautet „Was ist richtig?", und die andere ist „Was kommt an?". Leider ist das nicht immer dasselbe. Wir alle unterliegen dann der Versuchung, bei unserem Verhalten und bei unserer Aussage mehr dem Rechnung zu tragen,. was ankommt. Die große Frage ist, ob es letztlich für die Demokratie ankommt. Im Kampf um die Macht und den Erfolg vergessen wir, wie ich meine, ein Stück Demokratie. Ich bitte Sie, selbst noch einmal nachzulesen, was in der Weimarer Zeit alles zu den Entwicklungen beigetragen hat. Das ist natürlich eine ganze Menge, und jeder von uns wäre überfordert, wenn er alles nachlesen sollte. Man darf nicht immer nur strategisch überlegen. Man wird selbst schizophren und ständig in Zwiespalt gebracht, wenn nicht ein größerer Anteil den Dingen zugute kommt, die in der Sache wirklich notwendig sind, wenn der Anteil der Strategie und der Frage, was ankommt, zu groß ist. Ich weiß natürlich, daß das zum Teil auch mit unserem Journalismus zusammenhängt. Zeitungen und Verlage stehen in starkem Wettbewerb. Es geht dabei um die Frage: Wie finde ich die beste Überschrift? Derjenige, der das Außergewöhnliche tut, und nicht derjenige, der seine Pflicht normal erfüllt, hat die größere Chance zur Schlagzeile. Ich weiß das alles. Ich weiß, daß der junge Journalist schon dazu erzogen wird zu schreiben: Mann beißt Hund, und nicht: Hund beißt Mann. Der andere ist der beste Artikel. So werden wir zum Teil auch verführt. Aber ich meine, wenn ich die letzten drei, vier Jahre passieren lasse: Wir müssen überlegen, ob es nicht doch etwas besser geht. Vielleicht gibt es drei, vier Dinge, über die wir uns einigen können, die vielleicht als erste Schritte dazu dienen können. Muß es denn sein, daß einer von diesem Pult aus bei irgendeinem Punkt sagt: Nun sehen Sie einmal, wie viele da sind, wie viele das interessiert! Wenn er selber gesprochen hat, und es kommt ein neuer Tagesordnungspunkt, dann geht er hinaus. Vorher hat er aber gemeint, feststellen zu müssen, daß der Saal leer ist, obwohl er wissen muß, daß derjenige, der hinausgeht, einen Berg von Arbeit auf seinem Schreibtisch hat. Trotzdem meint er, er muß hier sagen: Das Haus ist schlecht besetzt; sie lesen Zeitungen, oder sie sind nicht interessiert. Dies sagt er, obwohl er weiß, daß Zeitunglesen für Abgeordnete Arbeit ist. Müssen wir immer wieder davon reden, daß bei der Besetzung von Positionen Parteibuchpolitik gemacht wird? Muß sich nicht derjenige, der redet, auch für seine Partei an die Brust klopfen? Ist das denn so negativ, wenn man einen politischen Auftrag hat, ganz gleich ob im Land oder Bund, daß man versucht diesen Auftrag mit Hilfe derer zu verwirklichen, die einem zuarbeiten, und deswegen im Hinblick auf die politische Haltung auch solche einstellt und anstellt, die diesen Auftrag verwirklichen wollen. Muß sich nicht jeder Vertreter einer Gruppe an die Nase greifen und sagen: Bei uns ist es so, und bei den anderen ist es ähnlich? Man darf natürlich nicht einen Gartenbautechniker als Elektroingenieur einstellen; das wäre Unsinn. Aber in anderen Zusammenhängen sollten wir mit solchen Vorwürfen aufhören. Ich meine auch den Vorwurf, das Parteisüppchen zu kochen. Ist es nicht legitim, die politische Vorstellung, für die man angetreten ist, verwirklichen zu wollen? Muß man solche Formulierungen verwenden? Ich weiß, daß ich in anderen Fragen jetzt keine Chance habe; denn ich bin Realist. Ich meine, gerade bei solchen kleinen Dingen wie die Präsenz oder die Personalpolitik könnten wir, wenn wir objektiv sind, miteinander den Anfang machen. Wir haben nicht nur die Verantwortung für die Wähler, für die wir angetreten sind, sondern auch, wie ich meine, für die Demokratie im ganzen. Ich erinnere mich immer noch meines ersten Eindrucks, als ich vor mehr als 12 Jahren hierherkam. Im Plenum war es für mich ganz schrecklich, und dann, als ich in die erste Ausschußsitzung kam, fand ich es angenehm zu sehen, daß hier doch sachlich gearbeitet wird. Warum werden in Plenarsitzungen immer diese überzogenen Methoden angewandt? Ich glaube, hierüber müssen wir ein Stück nachdenken und immer wieder den Versuch machen, das zu verändern und zu verbessern. Ich kann Ihnen sagen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Ich habe es noch nicht aufgegeben. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter Collet, Sie haben mich als Präsidenten des Hauses mehrfach angesprochen. Ich glaube, Sie haben vieles gesagt, was nachdenkenswert ist. Nur in einem Punkt möchte ich Ihnen widersprechen: Das Zeitunglesen, meine ich, sollte nach Möglichkeit nicht im Plenarsaal stattfinden. ({0}) Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 02. Wer dem Einzelplan 02 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Einzelplan 02 ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksache 8/1363 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Friedmann Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 03. Wer dem Einzelplan 03 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 03 ebenfalls einstimmig angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - Drucksache 8/1364 - Berichterstatter: Abgeordneter Schröder ({1}) Abgeordneter Wohlrabe Abgeordneter Dr. Riedl ({2}) Meine Damen und Herren, zu diesem Einzelplan ist interfraktionell eine Redezeit von sieben Stunden vereinbart worden. Weiter ist vereinbart worden, daß die Fraktionen die auf sie entfallenden Redezeiten auf ihre Redner aufteilen können. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Haushaltsdebatte ist der geeignete Anlaß für die Behandlung der großen politischen Probleme - offensichtlich mehr als eine Regierungserklärung, wie wir sie in der letzten Woche gehört haben, in der vieles gesagt, aber nicht viel geboten wurde. ({0}) Der Bundeskanzler hätte sie - das entspricht wahrscheinlich auch seinem heutigen Wissensstand; denn bei ihm spielt der jeweilige Wissensstand eine große Rolle - besser nicht abgegeben. ({1}) Denn es war eine mißglückte Flucht nach vorne. Die Probleme laufen trotzdem hinter ihm drein, und die Probleme werden ihn auch einholen. Er wird sie auch nicht mehr loswerden, weder durch nachträgliche Eingeständnisse, z. B., er sei über den Spionageskandal von Anfang an unterrichtet gewesen, obwohl es zunächst gegenteilig lautete, oder - wie ausgerechnet bei der Verleihung des TheodorHeuss-Preises vor festlichem Nobelpublikum und uns als Fernsehteilnehmern - er habe sich in der Rentenfrage einfach geirrt. ({2}) Irren ist menschlich, und im Himmel ist über einen Sünder, der Buße tut, bekanntlich - das ist der himmlische Sozialrabatt - mehr Genugtuung als über einen Gerechten. Er habe sich einfach geirrt, weil allgemein die wirtschaftliche Zukunft von seinen Ratgebern falsch eingeschätzt worden sei. Zum Betrug - der Ausdruck kam aus seinem Munde - fehle aber das Tatbestandsmerkmal der Absicht. Er wird die Probleme auch nicht los durch falsche Behauptungen oder markige Redensarten. Trotzdem leben die SPD, die ganze Koalition SPD/ FDP, die ganze Bundesregierung von seinem Ruf. Denn wenn man von der Wirklichkeit nicht mehr leben kann, braucht man ein Phantom. ({3}) Aber das Groteske, ja, Gespenstische ist, daß auch er selbst von diesem Ruf lebt. Doch die Zeiten, in denen er sich am Schopf seines eigenen, mit reichlicher, gut einstudierter - das muß man zugeben - Selbstdramaturgie und durch Public-Relations-Experten gebastelten Rufes aus dem Sumpf der ungelösten Probleme ziehen konnte, diese Zeiten gehen dem Ende entgegen. ({4}) Die wirtschaftliche Entwicklung im vergangenen Jahr ist wie auch früher, wenn ich das Jahr 1976 ausnehme, wesentlich schlechter verlaufen, als von der Bundesregierung im letzten Jahreswirtschaftsbericht vorhergesagt oder projiziert wurde. Das reale Wachstum war 2,4 % statt 5 %, die Arbeitslosigkeit statt 800 000 eine Million, der reale Zuwachs der Investitionen nur 2,8 % statt 5 °/o, und das noch so verteilt, daß im ersten Halbjahr der Zuwachs wesentlich größer war als der Durchschnitt und im zweiten Halbjahr eine erhebliche Abflachung unter die Rate von 2,8 °% kam. Die öffentlichen Investitionen sanken sogar - einschließlich der Konjukturprogramme - um 2,5 %. Der Zuwachs des Bruttoeinkommens aus Unternehmertätigkeit und Vermögen betrug nur 2,5 °% statt 9 bis 10%, also etwa ein Drittel des Zuwachses der Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit. Der Nettovergleich fällt noch schlechter aus. Von allen für das Wachstum entscheidenden Vorhersagen oder Projektionszahlen des Jahreswirtschaftsberichts 1977 wurde nur der Außenbeitrag in voller Höhe erreicht, nämlich 26 Milliarden. Der reine Exportüberschuß betrug sogar an die 40 Milliarden. Damit wird ein durch Wiederholung nicht wahrer werdendes Märchen - Selbstschutzmärchen -, das Herr Bölling immer verbreitet, nachhaltig widerlegt, der vor kurzem im Fernsehen sagte: Aus eigener Kraft werden wir mit der Arbeitslosigkeit nicht fertig. Als ob die Schwäche des Exports, d. h. der Auslandsnachfrage, an der Arbeitslosigkeit von einer Million Menschen schuld wäre! Ähnlich lautete es in Helmut Schmidts Regierungserklärung: Unser Land ist nicht sorgenfrei. Natürlich bei dieser Regierung noch weniger, als es sonst möglich wäre. ({5}) Aber er meinte es anders. Unser Land ist nicht sorgenfrei, sagte er, wie könnte das sein in einer Welt, der wir aufs engste verbunden sind! So zwischen den Zeilen: Bei uns wäre ja alles in bester Ordnung, aber draußen im Ausland! Oder wenn er von einer Abflachung des Welthandels spricht, womit er höchstens eine Abflachung der Zuwachsrate meinen kann, aber nicht des Volumens des Welthandels. Es ist schon beinahe zur gebetsmühlenhaften Ablenkungsphrase geworden, daß der Bundeskanzler von Weltwirtschaftskrise oder weltweiter Rezession spricht, um damit die Fehler und Versäumnisse der Bundesregierungen seit 1969 aus dem Bewußtsein der Bürger zu verdrängen oder fernzuhalten. Zugegeben, in manchen Staaten des Auslandes, die für uns wichtige Partnerländer sind, ist manches nicht in Ordnung. Ich verkenne auch nicht die Schwierigkeiten, die sich aus der massiven Dollarabwertung der letzten Zeit für uns in der Zukunft zusätzlich ergeben werden. Dazu ist aber anzumerken, daß die immer gestiegene und noch zunehmende Exportabhängigkeit - im übrigen ein Witz auf die Regierungserklärung Willy Brandts vom Herbst 1969 - volkswirtschaftlich bedenklich ist, weil noch mehr Exportüberschüsse bei uns, Arbeitslosigkeit bei anderen importieren, mit der natürlichen Folge, daß Abwehrmaßnahmen so sicher kommen wie das Amen nach dem Gebet und, wenn nicht unmittelbare Handelshemmnisse oder verdeckter Protektionismus, so Währungsmanipulationen wie jetzt beim Dollar. Aber diese Exportabhängigkeit ist auch betriebswirtschaftlich bedenklich, weil der Absatz auf die Dauer ungewiß ist und die Erträge unter stärksten Druck kommen. Andererseits sollte die Bundesregierung zugeben, daß nur die deutsche Exportstärke bisher eine zweite Million Arbeitsloser verhindert hat. Mit ihrem Modeirrtum, der schon zum Notirrtum geworden ist - „Lüge" darf man ja nicht sagen, weil die Absicht wieder einmal fehlt, d. h. die Kenntnis fehlt -, ({6}) nämlich daß das Ausland an allem schuld sei, an allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und ihren Folgen in der Bundesrepublik, sollte einmal endlich Schluß gemacht werden. Das ist das Gegenteil der Wahrheit. Hauptursache ist und bleibt die seit Jahren - etwa seit 1971 - anhaltende Investitionsschwäche und die völlig ungenügende ErtragsentStrauß wicklung, wenn ich in diesem Punkte von der Ausnahme 1976 absehe, sowie die mehr als unsichere Ertragserwartung in Verbindung mit einer anhaltenden Vertrauenskrise. Aber wir erleben ja immer dasselbe, daß der Bundeskanzler martialisch und bramarbasierend die Verantwortung für die Probleme übernimmt und anschließend mit ihnen in der Versenkung verschwindet ({7}) und sagt, es liege weder Betrug noch Lüge vor; denn er habe die Tatsachen nicht gekannt, sei also persönlich unschuldig. Ich glaube, es wird nach dem Theodor-Heuss-Preis bald ein neuer Preis verliehen werden müssen: der Rumpelstilzchen-Preis. ({8}) In diesen Preis kann er sich mit seinem Verteidigungsminister teilen und im Duett singen: „Wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß'." ({9}) Der Bundeskanzler kündigte in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 eine Herabsetzung des Schuldenzuwachses an. Er sagte, die Neuverschuldung müsse - ich zitiere wörtlich - „deutlich- niedriger liegen als bisher" ; also deutlich niedriger als die Neuverschuldung des Jahres 1976 von 25,8 Milliarden DM. Im Gegensatz dazu ver- ) strickt sich die Bundesregierung immer tiefer in Schulden. Nur deshalb konnte sich der Kanzler am Ietzten Donnerstag der Verbesserung oder Anpassung einiger öffentlicher Leistungen rühmen; denn sie werden nur durch erhöhte Kreditaufnahme finanziert. Die fast 31 Milliarden DM - eine selbst für Experten nicht mehr vorstellbare Größenordnung -, um die sich die Schuldenlast des Bundes in diesem Jahr erhöhen soll, überschreitet erneut - und zwar nach 1975 und 1976 schon zum drittenmal - die in der Verfassung vorgeschriebene Obergrenze, nämlich die Summe der Investitionen. Das gilt selbst dann, wenn auch die als investiv ausgewiesenen Ausgaben eingerechnet werden, durch die auf Grund mehr oder minder willkürlicher Buchungstricks die Obergrenze künstlich höher als nach der bisherigen Buchungstechnik dargestellt wird. Diese Obergrenze ist ohnehin zu hoch. Als ehemaliger Finanzminister, der für diese Grundgesetzvorschrift im Rahmen der Haushaltsrechtsreform federführend war, habe ich - und haben wir alle - damals nicht damit gerechnet, daß wir jemals, nicht einmal in Rezessionszeiten, diese Grenze erreichen würden. Aber eine unverantwortliche, man kann ruhig sagen: liederliche Finanzpolitik hat es möglich gemacht, erzwungen, daß wir seit 1975 jetzt schon zum drittenmal höher liegen. Damit verstößt der Haushalt 1978 "gegen das Grundgesetz. Es läßt zwar Ausnahmen zur Abwehr einer Rezession zu. Aber man wird ernsthaft nicht mehr von einer Ausnahme sprechen können, wenn auch die Sachverständigen der Regierung den bisherigen Arbeitslosenstand von rund einer Million auf absehbare Zeit als nicht wesentlich herabsetzbar ansehen. Unter diesen Umständen ist es auch verfassungsrechtlich nicht länger zu rechtfertigen, die Schuldenobergrenze des Grundgesetzes weiter zu überschreiten. Rein finanzwirtschaftlich sind die Grenzen des Schuldenzuwachses längst erreicht und überschritten. Die Ausgaben des Bundes nur für die Zinsen - also ohne die Ausgaben für den sonstigen Schuldendienst -, namentlich ohne Ausgaben für Tilgungen, haben sich innerhalb von fünf Jahren verdreifacht auf jetzt 10 Milliarden DM im Jahr. Im Jahre 1981 wird jede zehnte Steuermark allein für Zinsen für aufgenommene Schulden verwendet werden müssen. Ich möchte nicht mißverstanden werden oder ein häufig gehörtes und willkürlich gewähltes Mißverständnis hier gleich erwähnen: Auch wir, meine Freunde und ich, halten es für selbstverständlich, daß der Staat einen Teil seiner Ausgaben durch Kredite finanziert. Gefährlich ist aber die gegenwärtige Höhe und das Tempo des Verschuldenszuwachses. Heute darf und soll die Kreditaufnahme des Staates im Durchschnitt der Jahre auch selbstverständlich höher sein als im Durchschnitt der 60er Jahre. Die Steuereinnahmen haben sich erhöht. Die Staatsausgaben sind gestiegen, die Ersparnisse sind gestiegen, aus denen die Kredite finanziert werden. Aber auch wenn man all das berücksichsigt, würde eine Kreditaufnahme in einer Höhe, die nach den Maßstäben des Sachverständigenrates als normal und unproblematisch anzusehen ist, schon jetzt kaum mehr ausreichen, die im laufenden Jahr fälligen Zinsen von 10 Milliarden DM zu zahlen. Selbst wenn wir weiter Jahr für Jahr neue Schulden in Höhe von 30 Milliarden DM machen - was sich für die nächsten Jahre abzeichnet -, werden etwa 1989 die Zinsausgaben die Krediteinnahmen übersteigen. Adam Smith, einer der Väter der modernen Volkswirtschaftslehre, schrieb vor 200 Jahren - ich zitiere wörtlich -: Dort, wo die öffentliche Schuld eine bestimmte Höhe überschritten hat, ist es meines Wissens kaum je gelungen, sie auf gerechte Weise und vollständig zurückzuzahlen. Gewöhnlich wurde einfach der Nennwert der Münze erhöht, um durch eine Scheinzahlung einen vermeidbaren Staatsbankrott zu verschleiern. Er kannte auch schon das, was man heute als „Währungsreform" oder „Inflationsfinanzierung" bezeichnet. Der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister sind sich der Gefahren der gegenwärtigen Schuldenwirtschaft wohl bewußt. Der Bundesfinanzminister läßt kaum eine Gelegenheit aus, die Notwendigkeit der - dieses Wort gebraucht er häufig - Konsolidierung, also des Abbaus des Verschuldungszuwachses zu betonen. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 als Programm für diese Legislaturperiode ausdrücklich diese Konsolidierung der öffentlichen Haushalte angekündigt. Er wundert sich, wenn seine Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen und in Frage gestellt wird. Aber ist das ein Wunder, wenn man Ankündigungen und Wirklichkeit der letzten Jahre in seiner Verantwortung als Kanzler miteinander vergleicht? Er sprach von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Ja, wo ist denn die gemeinsame Kraftanstrengung geblieben? Die Fraktion der CDU/CSU hat doch mehrmals ihre Hilfe zugesagt, wenn die Regierung vorangeht. ({10}) Aber auf die Arbeitsteilung, daß die Opposition regieren soll, wenn es unpopulär ist, und die Regierung regieren soll, wenn Lorbeeren verteilt werden, ({11}) lassen wir uns genausowenig ein wie darauf, daß im Fall des Versagens der Regierung der Rücktritt der Opposition gefordert wird. ({12}) In der Praxis fehlen aber Durchsetzungskraft und Mut. Noch nicht einmal die in den letzten Jahren zaghaft begonnenen Versuche, dem ständigen Wachstum der Bürokratie Einhalt zu gebieten, werden fortgesetzt. Dem sozialistischen Grundstreben nach immer mehr Staat und immer mehr Bürokratie gab die Regierung im Milliardenrausch der Schulden nach und öffnete wieder die Schleusen zur Bewilligung neuer Stellen, aber nicht nur zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Verbesserung der inneren Sicherheit. Die Zahlen werden sich im einzelnen im Laufe der Debatte ergeben. Der Schuldenzuwachs dient keinesfalls dazu - wofür man noch Verständnis haben könnte -, im Interesse der Wirtschaftsbelebung die investiven Ausgaben des Bundes, besonders stark ansteigen zu lassen. Im Gegenteil, nach dem Finanzplan geht der Anteil der investiven Ausgaben trotz der hohen Verschuldung, trotz der Augenauswischerei mit dem sogenannten Programm für Zukunftsinvestitionen an den Gesamtausgaben des Bundes bis 1981 ständig zurück. Noch nicht einmal die Investitionsziele, die die Bundesregierung bisher in ihren Haushalten gesetzt hat, konnte sie trotz der hohen Verschuldung erreichen. Allein im Jahre 1977 lagen die tatsächlich geleisteten Ausgaben für Investitionen um 2 Milliarden DM unter den geplanten und angekündigten Ausgaben für diesen Zweck. Dem Pegelstand der jährlichen Kreditaufnahme in Höhe von 30 Milliarden DM und des erreichten Schuldenstandes von über 170 Milliarden DM - im Vergleich dazu betrug der Schuldenstand im Jahre 1969 45 Milliarden DM, von denen 30 Milliarden DM Altschulden und 15 Milliarden DM Neuschulden waren, aufgenommen in der Zeit von 1949 bis 1969 - stehen, wenn man heute etwa 20 Milliarden DM Altschulden abziehen muß, zwei Zahlen gegenüber, nämlich 15 Milliarden DM zu 150 Milliarden DM; 15 Milliarden DM in 20 Jahren und 150 Milliarden DM in den sich daran anschließenden acht Jahren. Diese Zahlen bedeuten doch, daß der Bund keine kreditpolitischen Reserven mehr hat, wenn es einen wirklich großen, langanhaltenden Wirtschaftseinbruch gibt. Auch davon hat der Sachverständigenrat gesprochen. Das ist doch wirklich nichts anderer als eine „Nach-uns-die-Sintflut"-Politik, eine Art Kriegsfinanzierung im Frieden. ({13}) Helmut Schmidt hat im November 1966 auf einem außerordentlichen Landesparteitag der Bremer SPD geäußert - ich zitiere ihn wörtlich, ohne ihn zu kommentieren -: Wir stehen 1967 vor einer Haushaltskatastrophe. Sie wird harmlos sein gegenüber dem, was wir jetzt über die Jahre 1968 bis 1970 wissen. Die Männer, die für diese Entwicklung verantwortlich sind, gehörten entweder ins Gefängnis, wenn sie uns wider besseres Wissen in eine solche Situation hineingeritten haben, oder wegen völliger Unfähigkeit schnellstens aus ihren Ämtern gejagt. ({14}) Soweit das Zitat; die Konsequenzen brauche ich nicht zu erwähnen. Die beklemmenden mittelfristigen Aussichten, nämlich anhaltende hohe Arbeitslosigkeit, zunehmende Finanzlücken bei Staat und Sozialversicherung, können nur dann entscheidend verbessert werden, ohne unerträgliche Steuer- und Beitragserhöhungen und ohne unerträgliche Leistungsminderungen, wenn wieder mehr Wachstum und, dafür erforderlich, mehr Investitionen erzielt werden. Für jeden, der die Dinge nicht mit ideologischen Scheuklappen betrachtet, ist das eine Binsenweisheit. Die Zahl der Arbeitsplätze bestimmt sich durch das Verhältnis von Produktivität und Wachstum. Wenn die Wachstumsrate den Produktivitätsfortschritt übersteigt wie in den 50er und 60er Jahren, wird zusätzliche Beschäftigung geschaffen. Bleibt aber wie in den 30er Jahren das Wachstum hinter dem Produktivitätsfortschritt zurück, entsteht Arbeitslosigkeit. In den letzten Jahren hatten wir nur 1976 ein Wachstum, das etwas höher war als der Produktivitätsfortschritt. Die Beschäftigungswirkung ist eindeutig nachweisbar. Das Arbeitsvolumen erhöhte sich um 0,3 % die Zahl der Kurzarbeiter senkte sich um 500 000. Die Beschäftigungswirkung wäre noch wesentlich höher gewesen, wenn nicht vorher eine Unterauslastung der Produktionskapazitäten vorgelegen hätte, der Produktivitätsanstieg also - typisch für ein Jahr nach einem vorhergehenden Abschwung - in erster Linie die Produktionskapazitäten besser ausgelastet hätte. Wenn wirklich ein dauerhafter Aufschwung gelingt, ergibt sich von selbst ein deutlicher Abbau der Arbeitslosigkeit. Nach den Berechnungen des Wirtschaftsministeriums aus dem Jahre 1975 kann die Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren nur bei mittelfristigen realen Wachstumsraten der Wirtschaft von 4 bis 4,5% abgebaut werden. Diese sind aber nach der gleichen Berechnung, die im übrigen unseren hier häufig wiederholten Standpunkt wiedergibt, nur zu erzielen, wenn die privaten Investitionen Jahr für Jahr real um 8 bis 9 % steigen, also etwa doppelt so stark steigen wie auch in den beiden letzten Jahren. Der Sachverständigenrat kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Jährlicher Anstieg der realen Anlageinvestitionen der Unternehmen um 9 % sei erforderlich, wobei dann allerdings am Ende dieser mittelfristigen Periode immer noch 300 000 Arbeitsplätze fehlen würden. Es ist eine gefährliche Irrlehre, wenn in jüngster Zeit von Linksideologen versucht wird, diese Zusammenhänge zu leugnen und dies nicht der Investitionsschwäche der letzten Jahre, sondern einer Überproduktion, möglicherweise sogar einem Zuviel an Investitionen zur Last zu legen. Es ist höchste Zeit, daß die Bundesregierung, vor allen Dingen Sie, Herr Bundeskanzler, dieser Irrlehre nachdrücklich entgegentreten; denn ihre Opfer sind in erster Linie die Arbeitnehmer und die Rentner in diesem Lande. ({15}) Dazu kommt - das sollte eine Regierungserklärung einmal aufgreifen; ich habe über dieses Thema hier schon mehr als dreimal gesprochen -, daß nach Untersuchungen wissenschaftlicher Institute wie DIW und VDW eine erschreckende Tatsache besteht! Nämlich von den vorhandenen Werkzeugmaschinen, also von der maschinellen Ausrüstung, älter als 10 Jahre waren oder sind: im Jahr 1970 40 °%, 1974 45 %, 1975 50 %, 1976 63 %. Es besteht kein Zweifel, daß diese Zahl noch steigen wird. Die Zahl besagt zunächst zweierlei: erstens daß unser Produktionsapparat zunehmend und schnell veraltet, zweitens daß ein erheblicher Bedarf an Investitionsgütern vorhanden ist. Es ist also ein Märchen, in dem Fall etwa von einer Übersättigung des Bedarfs zu sprechen. Drittens besagt die Zahl, daß die Misere der sinnlosen Verschleuderungen, in der wir uns befinden - 10 Milliarden DM unproduktive Unterstützungszahlungen, 10 Milliarden DM Ausfall an Steuern und Abgaben, Verzicht auf 20 Milliarden DM Wertschöpfung -, noch auf unbegrenzte Zeit weitergehen wird. Das sind die Folgen Ihrer Regierungstätigkeit, Herr Bundeskanzler. ({16}) Dagegen sind die Erweiterungsinvestitionen deutlich zurückgegangen. Über dieses Thema zu reden ist deshalb schwierig, weil Erweiterungsinvestitionen zum Teil auch in Rationalisierungsinvestitionen enthalten sind. Deshalb ist es besser - das war auch bei den Umfragen der Fall -, die Investitionsmotive zu nehmen. Das Motiv der Erweiterung war 1970 bei 55 % der Unternehmungen das ausschlaggebende Motiv, 1971 bei 49 %, 1972 bei 39 %, 1973 bei 41 %, 1974 bei 34 %, 1975 und 1976 bei je 24 %; in den Jahren 1975 und 1976 machte also die Erweiterung bei den Motiven weniger als die Hälfte des Prozentsatzes von 1970 aus. Quelle: Ifo-Institut. Investitionen werden nun einmal mit dem Ziel vorgenommen, Erträge zu erzielen. Eine soziale Marktwirtschaft, die auf Erträge verzichtet, taugt soviel wie ein Auto ohne 01 und Treibstoff. Für die Investitionsentscheidungen der Unternehmen ist aber nicht nur die aktuelle Ertragssituation, sondern vor allem die Ertragserwartung für die Zukunft von Bedeutung. Hier liegt der entscheidende Ansatzpunkt für die Überwindung der Arbeitslosigkeit und für die Lösung eines wesentlichen Teils der Rentenkrise; ich sage nicht: der gesamten Rentenkrise. Die Umsatzrendite betrug bei den industriellen Aktiengesellschaften im Jahre 1970 2,85%, im Jahre 1975 1,28%. Es geht jetzt nicht darum, über dieses Thema mit klassenkämpferischen Überlegungen oder mit neidmotivierten Parolen zu reden, sondern ausschließlich darum: haben unsere Unternehmungen genug Geld zu investieren, und haben sie das Vertrauen, das Geld, das sie haben oder notfalls aufnehmen, in die Unternehmen auch tatsächlich mit Sinn investieren zu können? Darum dreht sich nunmehr alles. ({17}) Wenn man produzierendes Gewerbe und Handel zusammenfaßt, dann kommt man zu einer Umsatzrendite in den Jahren von 1965 bis 1973 von durchschnittlich 3,5 N. 1974/75 betrug sie 2,2 %, 1976 2,5 %; das ist das Jahr, das ich vorher als Ausnahme genannt habe. Quelle: Bundesbank. Erschreckend ist aber die Eigenkapitalrendite. Sie betrug im Durchschnitt der 60er Jahre - einschließlich der Rücklagen - 8,7 %, im Jahre 1975 noch 5,1 %. Das bedeutet eine Rendite, die unter dem Ertrag festverzinslicher Wertpapiere liegt. Nur wenn es gelingt, Erträge und Ertragserwartungen wieder auf längere Sicht in hinreichendem Umfang zu steigern, kann die Investitionsschwäche und damit auch die Arbeitslosigkeit überwunden werden. In diesem Zusammenhang spielen die Lohnentwicklung und der Ausgang der Tarifrunden eine maßgebliche Rolle. Ich kann - und das habe ich auch in der Jahresschlußsendung „Bilanz" gegenüber Herrn Vetter zum Ausdruck gebracht - eine These, die ich von Herrn Loderer im Fernsehen vernommen habe, nicht als verantwortungsbewußt bezeichnen, nämlich, daß die Verantwortung für Vollbeschäftigung die Arbeitgeber und der Staat hätten, aber nicht die Lohnpolitik. Im Gegenteil, hier müssen drei zusammenwirken: die beiden Tarifpartner und die Regierung. Wer mitbestimmen will, muß auch Mitverantwortung übernehmen. ({18}) Es geht auch nicht an, Verbesserungen nur für die im Arbeitsprozeß Stehenden zu erreichen, sondern es geht darum, die Verbesserungen für die im Arbeitsprozeß Stehenden danach zu bemessen und danach zu begrenzen, daß nicht im Arbeitsprozeß Stehende, aber Arbeitsfähige wieder in diesen Prozeß eingereiht werden können. Das ist gemeinsame Verantwortung. ({19}) Ich bin nicht der Auffassung, daß es Aufgabe des Staates ist, unmittelbar in die Tarifauseinandersetzungen einzugreifen. Deshalb ist es ebenso zu beklagen, wenn diejenigen, die kraft Gesetzesauftrags von unabhängiger Warte die Zusammenhänge zwischen Beschäftigung, gesamtwirtschaftlicher Entwicklung und Lohnentwicklung darlegen sollen, von den Gesprächen der politisch Verantwortlichen mit den Tarifvertragsparteien ausgeschlossen werden sollen. Es gibt hier auch einen Faktor Verbraucher. Es gibt hier auch einen Faktor Gesamtheit unseres Volkes. Und Lohnabschlüsse können nicht allein in bilateraler Interessenvertretung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestimmt werden. ({20}) Hier muß auch in der Beratung der beiden Tarifpartner das unabhängige Element der Sachverständigen, die alle Interessen gleichzeitig vor Augen haben müssen, vertreten sein. ({21}) Ich habe aber noch weniger Verständnis dafür, daß die Mitglieder des Sachverständigenrats, nur weil sie die Zusammenhänge klar und offen dargestellt haben, sich jetzt auch noch Beschimpfungen von Repräsentanten der Partei des Bundeskanzlers gefallen lassen müssen. Sie wissen, wen ich meine. Die Namen sind nicht so bedeutend. Aber die Symptome sind um so gravierender. Sie, Herr Bundeskanzler, täten gut daran, nicht, wie Sie es jüngst getan haben, den Sachverständigenrat, sondern diese Herren einmal zurechtzuweisen. Die Kaufkraft-Argumentation, daß höhere Löhne als Instrument der Ankurbelung der Wirtschaft und damit als Motor des Wachstums wirken, ist eindeutig falsch. Es wird durch die Erfahrungen der letzten Jahre widerlegt. Die letzten Jahre zeigen eindeutig, daß hohe Tarifabschlüsse nicht automatisch zu höherem Verbrauch führen: 1974 stieg das Tariflohnniveau um 13 %; der reale Konsum erhöhte sich um 0,3 %. Die Anlageinvestitionen schrumpften in der gleichen Zeit um 9,9 %; die Zahl der Beschäftigten ging im Jahresverlauf um 680 000 zurück. 1975 stieg das Tariflohnniveau um 9,3 %; der reale Konsum, begünstigt durch Steuerreform, nahm um 2,5 % zu. Aber bei den realen Anlageinvestitionen betrug der Rückgang 4,2 %; der Beschäftigungsabbau betrug 570 000. 1976 erhöhte sich das Tariflohnniveau um 5,9 % - dank der Vernunft und Einsicht der Partner. Dennoch erreichte das reale Konsumplus 3,6 % - was vorher bei keiner noch so hohen Tariflohnsteigerung erreicht worden war. Erstmals nahm 1976 auch das Investitionsvolumen real spürbar zu: um 5 %. Das ist zwar nur die Hälfte dessen, was notwendig ist, wenn das gesteckte Ziel erreicht werden soll; aber das Jahr 1976 war trotzdem ein erfreulicher Ausnahmefall. Die Zahl der Beschäftigten erhöhte sich um 110 000. Im ersten Halbjahr 1977 stieg das Tariflohnniveau um 7 °/o, der reale Konsum um 2,5 %, während die realen Anlageinvestitionen um 4,6 % höher lagen. Aber für das zweite Halbjahr 1977 zeichnet sich bereits wieder ein jäher Abfall des Zuwachses der Anlageinvestitionen ab. Ergebnis: Forcierte Lohnerhöhungen bringen keine Verbesserungen der Konjunkturlage. Im Gegenteil. Nachfrage und Beschäftigung entwickeln sich dann besonders ungünstig, wenn der Tariflohnzuwachs sehr hoch ausfiel. Umgekehrt kam es zu Verbesserungen der Nachfragebelebung, zu stärkeren Investitionszuwachsraten und zum Abbau der Beschäftigungslosigkeit, wenn die Tarifpolitik den Weg einer maßvollen Lohnentwicklung beschritt. Nur auf das wollen wir hinweisen; denn dieser Zusammenhang ist unabweisbar. ({22}) Die Analyse der Gewinn- und Investitionsentwicklung der beiden Jahre 1976 und 1977 zeigt, daß dem Gewinnzuwachs 1976 ein kräftiger Investitionsstoß folgte. Die 1977 stagnierenden oder nur noch leicht steigenden Erträge und die verschlechterten Gewinnaussichten verlangsamten bereits wieder das ,Investitionstempo. Der enge Zusammenhang von Gewinnen und Investitionen hat sich in den Jahren 1976 und 1977 erneut bestätigt. Freilich reichten Wachstums- und Investitionstempo nicht aus, um den Beschäftigungsstand merklich zu erhöhen. Das reale Bruttosozialprodukt stieg 1976 nach der schwersten Rezession der Nachkriegszeit um 5,7 %. Das Arbeitsvolumen nahm erstmals wieder leicht zu. Die Zahl der Kurzarbeiter konnte im Jahresdurchschnitt um 500 000 abgebaut werden. Im Jahresverlauf sank auch die Zahl der Arbeitslosen um mehr als 100 000. 1977 verminderte sich das Wachstumstempo wieder auf etwa 3 %. Das Arbeitsvolumen schrumpfte aber auch wieder um etwa i %. Schlußfolgerung: Höhere Erträge und verbesserte Ertragsaussichten führen, wie 1976 und 1977 beweisen, zu höheren Investitionen und einen Schritt weiter auf dem Wege zu normaler Vollbeschäftigung. Ein anderes Schwerpunktproblem unserer öffentlichen Finanzen, auch für den Haushalt wirksam, sind die Renten. Im Verlauf dieser Debatte in dieser Woche wird es noch genug Möglichkeiten geben, darüber zu reden. Ich darf mich auf einige Bemerkungen beschränken. Die Behandlung der Frage der Rentenfinanzierung durch die Bundesregierung ist ein Skandal. ({23}) Er geht zu Lasten nicht nur der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung da ist ohnehin nicht mehr viel zu verderben -, sondern der parlamentarischen Demokratie und ihrer Träger. ({24}) In der Rentenversicherung stehen wir vor der dritten Sanierungsaktion innerhalb eines Jahres. ({25}) Wir haben noch alle im Ohr, was z. B. Helmut Schmidt im Wahlkampf in der „Quick" ausgeführt hat. Ich zitiere wörtlich: Die Beiträge werden nicht erhöht. Die Renten sind sicher. Die Bruttolohnbezogenheit der Renten bleibt. Die Leistungsbezogenheit dieser Renten bleibt, und die regelmäßige Anpassung dieser Renten bleibt. In der Mammut-Fernsehsendung drei Tage vor der Wahl erklärte er - ich zitiere wieder wörtlich -: Da gibt es ein Problemchen der Liquidität der Rücklagen. Dieses Problemchen ist leicht zu lösen, zumal der Kapitalmarkt überaus ergiebig ist. Im gleichen Zusammenhang haben er und andere von dem unchristlichen Verhalten der Opposition gesprochen, alte Leute in Angst zu jagen, und gesagt: Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen. ({26}) Letztes Wochenende haben wir gehört: „Ich habe keinen Betrug begangen, weil ich die tatsächlichen Zahlen nicht gekannt habe." Da stellt sich doch die Frage: Ja, warum haben denn w i r sie gekannt? Wer hat denn den großen Informationsapparat? Doch nicht wir! Wir haben uns nur auf allgemein zugängliche Quellen gestützt. Wir verfügten über keinerlei Geheiminformationen. ({27}) - Wir haben uns auf amtliche Quellen gestützt, nämlich u. a. auf den Bundesverband der Rentenversicherungsträger, ({28}) - auf die Bundesbank und andere. Schon im Januar 1975 hat Kollege Franke in diesem Hause davon gesprochen, daß dieses Problem auf uns zukommt, 1975! Wir haben im Frühjahr 1976, im Sommer 1976 und auch während des Wahlkampfes 1976 von der Zerrüttung der Finanzgrundlagen der Rentenversicherung und der Gefährdung der bisherigen Rentenformel gesprochen. Wir sind deshalb als Lügner - „Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen" - öffentlich diffamiert worden. Wie können Sie es sich leisten, Herr Bundeskanzler, vor der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: Ich habe nicht betrogen; dazu fehlte das Tatbestandsmerkmal der Absicht, denn ich habe die Wahrheit nicht gewußt! ({29}) Das ist doch ein Vorgang, der, selbst wenn man die in einem Wahlkampf zugelassene Spannweite der anwendbaren Methoden sehr weit zieht, unerhört, skandalös und diskriminierend für Sie ist. ({30}) Wegen des „leicht zu lösenden Problemchens" wurde der „größte Sozialpolitiker aller Zeiten", der Bundesarbeitsminister Arendt, lautlos in die Wüste geschickt. Wegen des „Problemchens" sagte der Bundeskanzler zu dem nach der Wahl vorgelegten Sanierungsprogramm: Die Bruttolohnbezogenheit bei der Festsetzung der Neurenten bleibt. Es wird kein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner eingeführt. Die Beitragssätze zur Rentenversicherung bleiben unverändert. Die laufenden Renten werden ab 1. Januar 1979 jeweils mindestens entsprechend der Steigerung der nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben verfügbaren Einkommen der aktiven Arbeitnehmer erhöht werden. Der neue Arbeitsminister Ehrenberg versicherte immer wieder - ich zitiere ihn wörtlich von der Bundespressekonferenz am 14. Januar 1977 -: Nach allem, was ich heute sagen kann, ist das Konzept voll belastungsfähig und hält allen heute erkennbaren Risiken stand. ({31}) Erst vor einem halben Jahr, am 1. Juli 1977, traten die Sanierungsgesetze in Kraft, mit denen die Rentenversicherung um rund 60 Milliarden DM entlastet wurde, aber zwei Monate hernach beschloß die Regierung bei der Beschlußfassung über den Haushalt 1978 ein neues Stützungsprogramm in Höhe von fast 8 Milliarden DM bis 1980, diesmal zu Lasten der Steuerzahler. Das waren zwei Etappen zur Lösung des „Problemchens". Und wieder hörten wir von der Regierung - ich zitiere wörtlich -: die Finanzen der Rentenversicherung sind in Ordnung. Auch künftig muß kein Rentner um seine Rente bangen. Auch künftig wird es regelmäßig Rentensteigerungen geben. Jeder, der etwas anderes sagt, weiß, daß er die Unwahrheit spricht; ({32}) er will nur aus der Angst alter Menschen politisches Kapital schlagen, und das ist schäbig, .. So Finanzminister Apel hier in der Haushaltsrede am 4. Oktober 1977. ({33}) Jetzt hören wir, daß - allen Vertuschungsmanövern bis in die neuere Zeit hinein zum Trotz - bis 1981 weitere 20 Milliarden, bis 1982 sogar 30 Milliarden in der Rentenkasse fehlen. Für uns mit unseren unzulänglichen Möglichkeiten ist es natürlich sehr schwer, alle Rechnungen nachzuvollziehen, aber immerhin zeigt sich, daß zwei Annahmen vorausgesetzt werden, die schon wieder neue Unsicherheitsfaktoren in sich bergen: eine Steigerung der Löhne Jahr für Jahr um etwa 6 % - das mag sein -, dann aber auch die Schaffung von etwa 400 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in den nächsten vier bis fünf Jahren. Die erste Prämisse kann man für realistisch halten; die zweite Prämisse wird bei Fortsetzung dieser Regierungspolitik aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht werden. ({34}) Bei den Löchern, die dann noch bleiben, handelt es sich aber nicht etwa um die Unterschiedsbeträge zwischen Einnahmen und Ausgaben; diese Unterschiedsbeträge sind viel höher. Es handelt sich vielmehr nur um die Beträge, die in den nächsten fünf Jahren nach. Auflösung a 11 e r Rücklagen - ein gefährliches Unternehmen! - immer noch fehlen, wenn wenigstens die für die Zahlungsfähigkeit unerläßliche Schwankungsreserve einer einzigen Monatsausgabe übrigbleiben soll. Ich habe in der Debatte zur Regierungserklärung am 17. Dezember 1976 mit allem Nachdruck vor den Gefahren gewarnt, die sich aus der bei den sogenannten Sanierungsgesetzen vorgesehenen Abschmelzung des Vermögens der Rentenversicherungsträger von drei auf eine Monatsausgabe ergeben. Auch der DGB hat diese Methode als „ausgesprochen unsolide und gefährlich" bezeichnet. Die Richtigkeit dieser Warnung zeigt sich jetzt. Schon jede verhältnismäßig geringfügige Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erfordert sofort neue Deckungsmaßnahmen, sei es zu Lasten des Bundeshaushalts, d. h. des Steuerzahlers, sei es zu Lasten der Rentner, sei es zu Lasten der Beitragszahler, und außerdem die volkswirtschaftlich unvernünftige, betriebswirtschaftlich schädliche Auflösung von Reserven um jeden Preis. Jetzt zeigt sich abermals, wie leichtfertig Sie, Herr Bundeskanzler Helmut Schmidt und Ihre Mitarbeiter, Ihre Kabinettsmitglieder, Ihre Regierungsparteien, damals gehandelt haben, als Sie diese Warnungen in den Wind geschlagen und abermals nur kurzfristige Reparaturen beschlossen haben. Jetzt wollen Sie offenbar entgegen den Versprechungen, die der Kanzler gegeben hat, die Renten nicht mehr brutto, sondern netto - oder, so jüngste Pressemeldungen, sogar noch deutlich darunter - anpassen. Die Täuschungsmanöver werden auch heute noch fortgesetzt. Der Bundeskanzler hat laut Presse am 17. Januar vor der SPD-Fraktion erklärt, es bestehe überhaupt kein Zweifel an der Sicherheit der Renten. Am Tage des jüngsten „Rentengipfels" beim Bundeskanzler, am 11. Januar, schrieb der Arbeitsminister im SPD-Pressedienst: „Die Finanzen der Rentenversicherung sind entscheidend gefestigt worden". - Eine entscheidende Festigung ist nirgendwo zu sehen! Dann, wenn Sie in der letzten Regierungserklärung gesagt haben, der Generationenvertrag hält, müssen wir Ihnen sagen: Dieser Generationenvertrag hält . so, wie er gemeint war, schon jetzt nicht mehr und wird in Zukunft noch weniger halten. ({35}) Der Generationenvertrag bestand in einer dynamischen, auf Wachstum abgestellten, 20 Jahre lang so verlaufenden Wirtschaft darin, die aus dem Arbeitsleben ausscheidenden Bürger am Wachstum der Wirtschaft genauso zu_ beteiligen, wie die im Arbeitsprozeß Stehenden durch Lohn- und Gehaltserhöhungen daran beteiligt werden. Es war nicht nur von einem Inflationsausgleich die Rede; im Generationenvertrag war die Rede von der Beteiligung an dem dynamischen Wachstumsprozeß für aktive und ausgeschiedene Arbeitnehmer unseres Landes. Und was haben Sie aus diesem Generationenvertrag gemacht? Die alte Generation wird betrogen und die kommenden Generationen werden durch dieses System ausgebeutet. Das ist doch die Wahrheit. ({36}) Wer hat denn die Unwahrheit gesagt? Wer macht denn den alten Leuten Angst? Die Opposition, die von der Regierung nur verlangt, dem Volke die Wahrheit zu sagen? Wie steht es denn mit der Formel von „mehr Demokratie", „mehr Offenheit", „mehr Mitwirkung der Bürger", „weniger Geheimnistuerei"? So war doch das Glockengeläute bei Beginn der neuen Zeit. ({37}) Heute sehen wir hingegen: Geheimniskrämerei, Verschweigen der Wahrheit, Berufung auf Unkenntnis der Tatsachen und ähnliches. Wir wollen nur, daß alle unsere Bürger, wie es einer mündigen Demokratie entspricht, wissen, was auf sie zukommt. Wir malen keine Schreckgespenster an die Wand. Aber die Regierungsgaukler haben den Betroffenen doch die Unwahrheit gesagt und haben sie darüber hinaus mit der Ankündigung immer neuer Verschlechterungen in wachsende Zukunftsangst versetzt. Es ist doch wirklich ein Skandal, 'wie sich der Hanseate Schmidt und der Ostpreuße Ehrenberg auf einmal die karnevalistische Narrenkappe zu einem Thema aufstülpen, das für solche Verhaltensweisen zu ernst ist. Kollege Franke meinte neulich mit Recht, daß die Bundesregierung jetzt einen Versuchsballon nach dem anderen hochgehen lasse, um zu testen, wie die Öffentlichkeit reagiere. Das hat uns gerade noch gefehlt: Beitragszahler und Rentenempfänger als Versuchskarnickel für regierungsamtliche Public-Relations-Tests. Da war die Rede von der Einführung der Abgabepflicht für :bisher abgabefreie Zuschläge und für Weihnachtsgeld. Dann erschien der Krankenkassenbeitrag der Rentner mit seiner ominösen Vorgeschichte, wenn ich an die Jahre 1967 bis 1970 denke; ich habe keine Zeit, das näher auszuführen. Dann erschien der Plan zur vollen Einbeziehung der Rentner in die Lohnsteuer. Dann tauchte der schattenhafte Plan eines Solidarbeitrags ohne Angabe näherer Einzelheiten auf. Und heute wird eine allgemeine Erhöhung der Beiträge von der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD vorgeschlagen. Das heißt doch nicht mehr und nicht weniger, als daß sich die Regierung nicht bemüht hat, sich die Informationen zu beschaffen, die die Opposition aus allgemein zugänglichen Quellen schon seit 1975, 1976 hatte. Da die Regierung diese Informationen aber besaß und sie verschwiegen, unterdrückt hat, hat sie die Wahlbürger und die Rentner in Kenntnis der Wahrheit falsch unterrichtet. Das nennt man lügen. ({38}) Der Generationenvertrag in der ursprünglich zugesagten Form ist durch die Wirtschafts- und Finanzpolitik seit 1969 zusammengebrochen. Über dem Ganzen schwebt noch der sozialistische Pferdefuß, den Generationenvertrag dadurch vollends zu zerstören, daß man die Renten in eine Sockelrente und eine Zusatzrente einteilen will - jedenfalls wunde diese Absicht, auch wieder testweise, angekündigt - und damit das seit Generationen bewährte Versicherungsprinzip überhaupt aufgeben will. Was heißt das denn noch? Das heißt nach dem, was ich bisher gesagt habe, daß die beiden großen Reformen der Nachkriegszeit, die den Namen wirklich verdienen - Ersatz der Zwangs- und Planwirtschaft durch soziale Marktwirtschaft und Ersatz des kümmerlichen alten Rentensystems durch das neue Rentensystem -, von denen beeinträchtigt, gefährdet und zum Teil demontiert worden sind, die ausgezogen sind, dieses Land zu reformieren, weil es bisher nicht genügend Reformen gehabt habe. ({39}) In der Vergangenheit haben der Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister und die Koalitionsparteien unsere Warnungen nur zum Anlaß für demagogische Hetze genommen. Jetzt muß die Regierung mühsam immer neue Reparaturen verkünden, muß immer mehr kleistern. Jetzt spricht der nordrhein-westfälische Sozialminister Farthmann, einer der Kühn-Nachfolgekandidaten, von einer „nicht mehr zu übersehenden Krise der deutschen Sozialpolitik". Die Sozialpolitik stoße an ihre finanziellen Grenzen; reine Leistungsverbesserungen seien nicht mehr möglich. Meine Damen und Herren, ich habe auf dem Mannheimer Parteitag der CDU am 24. Juni 1975 in meiner Rede gesagt: „Wir müssen heute den Mut haben, zu sagen, daß die Grenzen des Sozialstaates erreicht sind." Ich habe in meiner Rede vor dem Institut „Finanzen und Steuern" am 7. April 1976 gesagt: „Die explosionsartige Kostenentwicklung in diesem Bereich wirft die Frage auf, ob die Belastbarkeitsgrenze unserer Volkswirtschaft mit kollektiven Soziallasten nicht 'bereits erreicht, wenn nicht überschritten ist." Ich habe in derselben Rede ferner gesagt: „Ein Sozialsystem, das den Angebotskatalog ständig durch neue Leistungen erweitert, immer mehr Sozialtransfers in die Dynamisierung einbezieht und den Empfängerkreis permanent ausdehnt, birgt zwangsläufig die Gefahr der Selbstzerstörung in sich. Wir sind nicht am Ende der Sozialpolitik, aber die Grenzen des Sozialstaates sind erreicht." Wenige Wochen später, in der Haushaltsdebatte 1976, hat der damalige und heutige Bundesfinanzminister Apel erklärt, daß diese meine Reden - auf dem Mannheimer Parteitag der CDU und ein Jahr später vor dem Institut „Finanzen und Steuern" - die Absicht der Opposition, zumindest des Herrn Strauß, einschließen, die sozialen Leistungsgesetze aufzuheben und soziale Demontage zu vollziehen. ({40}) Ich habe mit diesen Beiträgen erstens die Wahrheit gesagt - für die mir nicht so ausführliche Informationen zur Verfügung standen wie den regierungsamtlichen Inhabern von Mammutapparaten -, und ich habe damit zweitens die Bereitschaft der Opposition angedeutet, unser Sozialsystem und seine Leistungsfähigkeit durch Begrenzung auf das volkswirtschaftlich im äußersten Fall Mögliche zu erhalten. Das war das Gegenteil von dem, was man „Obstruktion" nennt, das Gegenteil von dem, was man unter „Konfrontation" häufig mißversteht. Das war das Angebot zur Kooperation, und dafür sind wir als Feinde des Sozialstaates verhöhnt, verteufelt und denunziert worden. ({41}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe in derselben Haushaltsdebatte gesagt: „Die Stunde der Wahrheit wird, wenn Sie an der Regierung bleiben, auch für Sie kommen. Wir sagen es nur heute vor den Wahlen, weil wir ehrlicher sind." Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Sie wird zwar nur ratenweise zugegeben, aber die Probleme laufen hinter Ihnen drein, Herr Bundeskanzler, und die Probleme werden sie einholen, und die Nichtlösung der Probleme wird Ihren Ruf als großer Macher und Pragmatiker in absehbarer Zeit zerstören. ({42}) In diesem Zusammenhang werden wir auch bei anderer Gelegenheit auf die leistungs- und wirtschaftsfeindliche Erhöhung der Steuern- und Abgabenbelastung der Löhne und der Erträge zu sprechen kommen. Das Thema Steuerreform, das Thema Tarifreform, das Thema Beseitigung der ertragsunabhängigen Steuern, Vermeidung der Substanzbesteuerung bleiben nach wie vor auf dem Tisch, ohne daß ich heute näher darauf eingehe. Aber eine andere ordnungspolitische Grundsatzfrage liegt uns sehr am Herzen. Fortschritt, Leistungsfähigkeit, Neuerungsfähigkeit sind wesentliche Kriterien der konsequent betriebenen Sozialen Marktwirtschaft und hängen unabtrennbar zusammen mit einer möglichst großen Zahl lebensfähiger selbständiger Unternehmungen. Je mehr die Zahl der Selbständigen schrumpft, desto weniger verkraftungsfähig, desto weniger aufnahmefähig, desto weniger erneuerungsfähig wird unsere Wirtschaft, sei es im Produktionsgewerbe, sei es im Dienstleistungsgewerbe. ({43}) Natürlich gab es die großen Strukturprobleme: Landwirtschaft, Handel, Handwerk. Die Zwerghöfe, der Tante-Emma-Laden, der Einmannbetrieb eines Schusters, das sind keine erhaltungsfähigen und erhaltungswürdigen Strukturen. Aber man kann auch nicht davon ausgehen, daß die Zahl der Selbständigen gewissermaßen einem Naturgesetz folgend immer weiter abnehmen muß. Dann bleibt zum Schluß nur noch einer übrig, nämlich der Staat. Es gibt irgendwo eine Grenze, die nicht mehr unterschritten werden darf, und diese Grenze ist erreicht. Das heißt, daß die .Zahl der Neugründungen von Betrieben mindestens so groß wie die Zahl der Betriebsaufgaben sein muß und daß auch die Zahl der Neugründungen wieder wachsen muß. Natürlich gibt es auch bei den Betrieben kritische Grenzen, unterhalb derer nicht mehr rentabel gewirtschaftet werden kann. Wenn aber im Jahre 1962 17% der jungen Menschen ihren Wunsch zur Selbständigkeit äußerten, und es im Jahre 1977 nur noch 7 % sind, dann spricht das eine deutliche Sprache, dann ist das eine Folge der Politik der sogenannten sozialliberalen Koalition mit ihrer ausgesprochenen Selb5158 ständigenfeindlichkeit, die im Laufe der letzten Jahre immer stärker zutage getreten ist. ({44}) Davon zeugt die hohe Zahl der Konkurse und Vergleichsverfahren, von den Betriebsaufgaben und -verkäufen gar nicht zu reden. Bezeichnend ist auch, daß die Zahl von Angeboten an gefährdeten Betrieben größer als in der Nachkriegszeit ist und daß sich heute die Nachfrage nach Betrieben auf ganz wenige spezielle Branchen und Sparten beschränkt. Das Wirtschaftswachstum steht außerdem im umgekehrten Verhältnis zur Erzeugung von Vorschriften. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmer müssen einen unangemessen großen Teil ihrer zeitlichen und geistigen Kapazität für die Erfüllung von Gesetzen und Verordnungen verschwenden, die schon wieder durch neue ersetzt werden, bevor die Praktikabilität der alten überhaupt nachgewiesen worden ist. ({45}) Wirtschaftswachstum kann unter diesen Umständen nicht gedeihen. Die Probleme des Wachstums und der Vollbeschäftigung können nicht durch Arbeitszeitverkürzung, Urlaubsverlängerung, Vorverlegung der Altersgrenze oder durch überhöhte Lohnabschlüsse als angebliche Kaufkraftmotoren, durch staatliche Investitionsplanung oder öffentliche Strukturräte, sondern nur durch eine funktionierende, weil nicht bürokratisch gehemmte oder abgabenmäßig überlastetete Marktwirtschaft gelöst werden. Die Marktwirtschaft hat bei uns den Übergang vom Agrarstaat zum Industriestaat am besten gelöst,. sie hat den Strukturwandel in Handwerk und Handel und im ganzen Gewerbe am reibungslosesten bewältigt. Die Marktwirtschaft hat mehr Arbeitsplätze neu geschaffen, als der Strukturwandel vernichtet hat, und die Marktwirtschaft hat erreicht, daß bei uns Arbeitslose und Rentner einen höheren Lebensstandard haben, als ihn in sozialistisch regierten Ländern die im Arbeitsprozeß stehenden und in jenen Systemen ausgebeuteten Arbeitnehmer haben. ({46}) Aber es genügt nicht, darüber Denkschriften herauszugeben. Der Investitionsbedarf für eine selbständige Existenz wird immer größer. Ich gebe Herrn Schelsky recht, der vor wenigen Tagen geschrieben hat, daß der ordnungspolitische Mechanismus zur Selbständigkeitserzeugung - das ist die Sprache des Soziologen - mehr und mehr aufgegeben worden ist. Dafür sind eingetreten: planwirtschaftliche Betreuung und soziale Bevormundung, ständige Beschränkung der Verfügungsquote des Arbeitseinkommens, öffentliche Kontrolle statt Eigeninitiative, Zuteilungsgerechtigkeit statt Aufruf zur Eigenverantwortung. Wir brauchen - ich sage das sehr deutlich - wieder eine neue Pioniergeneration statt einer Vermehrung der alten Funktionärskaste, wenn die Probleme gelöst werden sollen. ({47}) Nur durch Beweglichkeit, Verkraftungsfähigkeit, Neuerungsbereitschaft, Risikofreude und Verantwortungsbereitschaft einer zunehmenden Zahl unternehmerischer Selbständiger sind die Fragen der Vollbeschäftigung, der Freiheit der Wahl der Arbeitsplätze und der Ausbildungsmöglichkeit der heranwachsenden Generation zu lösen. Das sind Aufgaben, die von denen nicht erfüllt worden sind, die mehr Demokratie, mehr Lebensqualität und mehr Reformen versprochen haben. Die Flut der Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Ausführungsbestimmungen und Richtlinien hat in erschreckendem Ausmaß zugenommen. Die sozialistische Demokratie wird heute weniger von der marxistischen Ideologie, sondern vielmehr von der zunehmenden Bürokratisierung aller öffentlichen, privaten und auch privatwirtschaftlichen Bereiche bedroht. Dabei sind besonders die beschäftigungsfeindlichen und ausbildungshemmenden Vorschriften hervorzuheben. Dazu gehören Teile der Ausbilder-Eignungsverordnung, Teile des Jugendarbeitsschutzgesetzes, Teile der Kündigungsbestimmungen, Teile des Schwerbehindertengesetzes. ({48}) Ich weiß, welche infame Methode hier wieder beabsichtigt ist: nämlich dann, wenn man von gewissen Mißständen und Übertreibungen spricht, einem die Abschaffung im Grundsatz richtiger, wohltätiger und schutzreicher Sozialgesetze infam in die Schuhe schieben zu wollen. ({49}) Es ist genauso, wie es damals war, als ich von der Tatsache sprach, daß der Sozialstaat seine Grenzen erreicht habe: Heute wird genau dieselbe stupide und infame Methode wieder angewandt. Anders kann man es nicht nennen, wie hier die Absichten so gedeutet werden. ({50}) Aus das geplante Arbeitsgesetzbuch darf keine Erweiterung des Abschreckungsarsenals gegen die Bereitschaft zur Errichtung selbständiger Existenzen mit sich bringen. Es gibt gutgemeinte Wohltaten, die zur Plage werden und die sich an denen rächen, zu deren Nutzen sie ursprünglich - vermeintlich oder wirklich - geplant waren. ({51}) Herr Bundeskanzler, es genügt auch nicht, über die Unverständlichkeit von Formularen zu klagen. Ich bedaure es, daß Sie - genauso wie ich - Ihre Gas- und Wasserrechnung usw. - in gleicher Weise gilt das wahrscheinlich für Ihren Gehalts- und meinen Pensionszettel - nicht mehr so ohne weiteres verstehen können. Das hängt mit der Umstellung auf EDV und Computersysteme zusammen. Auf dem Gebiete der Überprüfung, Durchforstung und Beseitigung beschäftigungshemmender, investitionsfeindlicher und ausbildungsverhindernder Vorschriften sollte die Bundesregierung aber einmal vorangehen, statt über die Nichtlesbarkeit oder Nichtverstehbarkeit von Formularen Reden zu halten. ({52}) Wo bleibt da der große Macher, der Pragmatiker? Wo bleibt da der Wogenbezwinger? Wenn es um die Gesetzesflut und die damit verbundene schikanöse Papierlawine geht, sieht man nichts mehr von ihm. Er ist von der Bühne verschwunden. Er gibt klein bei, weil die Planmarxisten, Formularideologen und Betreuungsbürokraten in den eigenen Reihen ihn hindern, von seinem gesunden Menschenverstand - den wir ihm gern unterstellen - Gebrauch zu machen. Als Vorsitzender der Langzeitkommission der SPD allerdings - damals mehr Brandstifter als Feuerwehrmann, um einen bekannten Vergleich zu gebrauchen - hat er das Ansteigen des Staatsanteils auf die Höhe gefordert, die er als Finanzminister und Kanzler dann sehr bald erreicht hat. Aber er hat dies vor Unternehmern bedauert, vor Genossen begrüßt - suum cuique, jedem das Seine -, eine neue Form der Verteilungsgerechtigkeit. ({53}) Zu diesem Kapitel gehört auch die dauernde Drohkampagne gegen die Marktwirtschaft und einen Teil ihrer Träger. Ich sage: einen Teil ihrer Träger, weil Marktwirtschaft nicht die Wirtschaftsform der Unternehmer ist. Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsform des ganzen Volkes. Marktwirtschaft wird von beiden Seiten getragen, von Kapital und Management einerseits und von Arbeit andererseits. Beides fließt heute zum Teil in erfreulicher Weise auch bereits zusammen. Aber was soll man davon halten, wenn Herr Vetter zum Beispiel sagt: Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Leistungsdruck, Jugendliche ohne Ausbildung sind die Ergebnisse unternehmerischer Alleinherrschaft? In unserem Staat gibt es keine Alleinherrschaft, und wenn es sie gäbe, wäre es keine Demokratie mehr. ({54}) Gerade die Demokratie braucht Macht und Gegenmacht, Gewicht und Gegengewicht. Wir würden uns leidenschaftlich gegen eine Alleinherrschaft oder eine überwiegende Herrschaft des Kapitals wenden. Es muß aber ein ausgewogenes Verhältnis bestehen. ({55}) - Die Tatsache, daß Sie darüber lachen, beweist nur, daß Sie von den Grundwerten, über die wir reden, nichts verstehen. ({56}) Herr Loderer sagte auf dem 12. ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall in Düsseldorf am 22. September 1977: „Wir sind nicht auf die heutigen Strukturen in der Marktwirtschaft verpflichtet. Lange genug werden wir auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertröstet. Die Marktwirtschaft reicht nicht mehr aus, um die strukturellen Probleme zu lösen." Herr Mahlein sagte: „Ein Wirtschafts-und Gesellschaftssystem, das nicht bereit oder nicht fähig ist, das Recht auf Ausbildung und Arbeit zu verwirklichen, stellt seine Existenz in Frage und ist selbst daran schuld, wenn die Forderungen nach neuen Ordnungen immer akuter werden." Ich möchte jetzt einmal wissen: Wie sollten die „neuen Ordnungen" aussehen? Es gibt doch für diejenigen, die im Herzen und nicht nur mit den Lippen. sich zur Sozialen Marktwirtschaft bekennen, nur einen einzigen Weg, diese Mängel zu beheben, die es in unserer Regierungszeit nie gegeben hat, die Produkte der sozialliberalen Koalition und der von ihr geschaukelten Regierungen sind, nur einen einzigen Weg, und das ist, unsere Marktwirtschaft wieder funktionsfähig zu machen. ({57}) Oder, wenn Sie es einfacher ausgedrückt haben wollen, man schickt ein Pferd nicht auf die Rennbahn und verlangt den Sieg, wenn man ihm vorher die Vorderläufe zusammengebunden hat, wie es in zunehmendem Maße in den letzten Jahren geschehen ist. ({58}) Da werden Strukturräte verlangt, Meldestellen für Investitionsplanungen als Vorkommandos für staatliche Investitionsplanung usw. usw. Man sollte doch in einer modernen Volkspartei - und die SPD erhebt ja den Anspruch darauf; es ist so wie ein Flugzeug, das nicht vom Boden abheben kann, weil die es zur Tiefe ziehenden Kräfte stärker sind als die zum Aufstieg treibenden Kräfte ({59}) endlich begreifen, daß der Übergang der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel von privater Unternehmerschaft in gesellschaftliche oder staatliche Hände nackte Reaktion ist, ({60}) Rückschlag ist, Niedergang bedeutet, weil damit die Kräfte einer modernen freiheitlichen, dynamischen Gesellschaft mutwillig angetastet und zum Schluß zerstört werden. Aber immer wieder erleben wir ja, daß hinter all dieser Kritik und hinter diesen Plänen der alte marxistische Adam steht, zu glauben, man müsse die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ändern, dann entstehe die gerechte, vollkommene, harmonisch funktionierende, glückselige Gesellschaft. Das ist doch ein abermaliger Beitrag des Aberglaubens, nämlich anzunehmen, daß man damit den Weg zum irdischen Himmel erschließen' könne. Nein, man pflastert den Weg zur Hölle, indem man diesen Weg geht. ({61}) Ich möchte, Herr Bundeskanzler, nun im letzten Teil meiner Ausführungen auf etwas zu sprechen kommen, was uns noch lange beschäftigen wird, seit den jüngsten Vorgängen - jedenfalls dem Vorgang in Hamburg - wieder sehr akut beschäftigt. Ich möchte hier von den großen Sünden gegen den Amtseid sprechen. In der letzten Woche sind hier unglaubliche Behauptungen aufgestellt worden, und zwar im Zusammenhang mit dem Thema Kampf gegen den Terrorismus, das uns nach den jahrelangen Beschwichtigungsphrasen und Ablenkungsmanövern im letzten Jahr wieder mehr beschäftigt hat, als bei pflichtbewußter Arbeit der Bundesregierungen unvermeidlicherweise trotzdem erforderlich gewesen wäre. Helmut Kohl sagte in der Antwort auf die Regierungserklärung - und ich bitte, ihn zitieren zu können -: Wir waren uns auch einig, daß alle in einem Rechtsstaat zulässigen administrativen und gesetzgeberischen Mittel eingesetzt werden müssen, um diesem schrecklichen Spuk ein Ende zu machen. Nur unter dieser Voraussetzung war und ist das Opfer von Hanns Martin Schleyer moralisch zu rechtfertigen. Untätigkeit, aus welchen Gründen auch immer, nimmt diesem Opfer jeden Sinn. und unserem Tun, unserem Mittragen die moralische Rechtfertigung. An diesen Sätzen ist nichts zu rütteln, ist nichts zu deuten, und sämtliche Mitglieder unserer Fraktion und die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande sind genau derselben Ansicht und von derselben Überzeugung getragen. ({62}) Darauf - und ich weiß ja, was während der Zeit der Sitzungen des Krisenstabes im Schoße der Familie Schleyer und ihrer Freunde an Gedanken geäußert, an Plänen erörtert und an Vorschlägen erwogen wurde; ich möchte hier aus bestimmten Gründen nicht darauf eingehen -, auf diese Bemerkungen, auf diese grundsätzlichen, tief sitzenden und aufwühlenden Bemerkungen des Oppositionsführers kam aber eine ungeheuerliche Antwort des Regierungschefs: Herr Abgeordneter Kohl, die bisher 28 Toten, die der Terrorismus, uns Deutsche betreffend, im Laufe der Jahre gefordert hat, einschließlich des Herrn Dr. Hanns Martin Schleyer, und die Opfer ihrer Familien sind unvermeidlich gewesen, weil wir alle unter dem Druck, unter dem wir standen, den Staat nicht ändern wollten, weil wir die Staatsform, deren wir uns erfreuen, erhalten wollen. Eine Diktatur, ein Unrechtsstaat hätte nicht das Recht dazu, wenn er auch die Macht hätte, solche Opfer für die Unversehrtheit seiner diktatorischen Rechtsform zu verlangen. Ich weiß, daß Sie hinsichtlich des Satzes, den ich jetzt hier anschließen will, genauso wie ich und wie sicherlich die allermeisten in diesem Hause denken: Jeder von uns muß in dem Fall, daß es ihn trifft, bereit sein, ein ähnliches Opfer auf sich zu nehmen. Und dann heißt es weiter aus dem Munde des Regierungschefs: Aber ein Mißverständnis sollte sich hier nicht einschleichen. Diese Opfer werden gebracht, wenn sie unvermeidlich sind, damit wir nicht die freiheitlich-demokratische rechtsstaatliche Ordnung unseres Staates zum Opfer bringen müssen. Das ist in diesem Fall der höhere Wert. Nun sind wir wie Sie in diesem Punkt sicherlich nicht unterschiedlicher Meinung. Niemand, so hoffe ich sehr, jedenfalls wollen Sie es nicht, - Herr Kohl war damit gemeint will hier wesentliche Bestandteile des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates zum Opfer bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier weicht der Bundeskanzler nicht nur vor der wirklichen Fragestellung aus, ({63}) sondern er wirft eine unerhörte Alternative auf, nämlich entweder Opfer des Terrors müssen hingenommen werden, oder die Diktatur muß zu seiner Bekämpfung eingeführt werden. ({64}) - Das ist doch die Alternative: Verzicht auf wirksame Maßnahmen oder Aufhebung des Rechtsstaates. ({65}) Das Thema, über das hier gesprochen wurde und das hier zur Diskussion stand, ist nicht Aufhebung des Rechtsstaates, ist nicht einmal Änderung des Grundgesetzes, wobei sich für keinen, der vom Verfassungsrecht eine auch nur laienhafte Ahnung hat, der Zweifel ergibt, daß der Rechtsstaat größere Grenzen hat als das Grundgesetz. Aber wir sind dem Grundgesetz verpflichtet. Wir hätten auch das Recht selbstverständlich ohne den Rechtsstaat zu verletzen -, durch Änderung des Grundgesetzes rechtsstaatliche Grenzen auszuschöpfen; denn es gibt Rechtsbestimmungen in anderen Ländern, die bei uns nicht zulässig sind, weil das Grundgesetz sie nicht erlaubt. Aber es ist nicht erlaubt, dann diese demokratischen Länder etwa als Diktaturen oder als Unrechtsstaaten darzustellen; das nur nebenbei zur Belehrung. ({66}) Dies sind unerhörte Ausführungen. Auch ein Kollege von der freien demokratischen Fraktion hat ja gesagt: „Es hat keinen Sinn. Wer glaubt, Gesetze mit Hast und heißer Nadel stricken zu können, der muß wissen, daß er dadurch den Rechtsstaat in Gefahr bringt." So gesprochen von Herrn Bangemann. Wann sind denn die letzten Untaten im Jahre 1977 geschehen? Die Ermordung des Herrn Buback, die Ermordung des Herrn Ponto, die Entführung, am 5. September 1977 geschehen, des Herrn Schleyer und Mitte Oktober seine Ermordung: Was heißt da „Gesetze mit heißer Nadel stricken"? Wie lächerlich wird der Rechtsstaat gemacht, wenn in endlosen, zum Teil künstlich hinausgezögerten Diskussionen auch die geringsten Verschärfungen in der Gesetzgebung und in der Administrative über viele Monate hinaus verschleppt werden? Das Ritual kennen wir, Herr Bundeskanzler. Zuerst geschieht ein scheußliches Verbrechen. Dann kommt der zweite Akt: Verantwortliche eilen fernsehwirksam zum Tatort oder drücken anderswo publikumswirksam ihren Abscheu, ihre Empörung, ihr Entsetzen, ihr Bedauern aus. Dann kommt der dritte Akt: Dann wird drohend die Hand erhoben: Aber jetzt wird der Rechtsstaat mit der ganzen Härte des Gesetzes zuschlagen. Dann kommt der vierte Akt gleich hinterher: Man warnt vor Hysterie, Überreaktionen, vor Hexenjagd. Man warnt davor, kritische Geister als Sympathisanten zu verdammen. Als ob die Sympathisanten kritische Geister wären! Ganz im Gegenteil! ({67}) Kritische Geister sind wir hier in erster Linie. Als Opposition sind wir die kritischen Geister! ({68}) Und dann kommt der fünfte Akt: das große Schweigen. Es ist doch eine unverantwortliche Verzögerung, wenn selbst die wenigen Maßnahmen, zu denen sich die Regierungskoalition auch nur zum Teil durchgerungen hat, die aber von der „Regierung Coppik/Schmidt" bis jetzt nicht durchgesetzt werden können, ({69}) weshalb ja die Beratung verzögert worden ist, im Februar des folgenden Jahres nach den drei großen Mordserien des letzten Jahres vielleicht beraten werden können. Wogegen wir uns aber wenden, Herr Bundeskanzler - das sage ich mit aller Deutlichkeit -, ist der Bruch des Amtseides. Sie haben geschworen, Schaden abzuwenden und Nutzen zu mehren. Das, was Sie hier tun, heißt nicht Schaden abwenden, es heißt Maßnahmen verzögern, die zur Verminderung des Schadens erforderlich sind, und sie zum Teil zu Fall bringen. ({70}) Das ist doch die Kapitulation vor der Linken in Ihren eigenen Reihen. Sie wissen ja, was Herr Schreiner, der stellvertretende Vorsitzende der Jungsozialisten, vor wenigen Tagen geäußert hat. Ich komme hier auf diese politische Pornographie nicht mehr zurück. Aber Sie, Herr Bundeskanzler, haben in der Regierungserklärung vom 15. September 1977 selbst gesagt: „Verantwortung heißt, nichts zu versäumen und nichts zu verschulden." Sie haben Entscheidendes versäumt, Sie persönlich und Ihre Regierung, weil Sie die Partei und ihren Zusammenhalt über Ihre Aufgabe gestellt haben, weil Sie das Zusammenwirken der Koalition für wichtiger halten als die Erfüllung staatspolitischer Pflichten. Sie sind den leichteren Weg gegangen ({71}) und haben damit auch den größeren Schaden zu verantworten. Ich sage das deshalb mit dieser Schärfe, weil es unerhört ist, wenn die von der CDU/CSU vorgeschlagenen, von den Experten der Polizei, des Verfassungsschutzes und der Justiz fast ausnahmslos für richtig gehaltenen, fast ausnahmslos getragenen Maßnahmen - es sei denn, sie stehen unter Regierungsbefehl - als Öffnung unseres Rechtsstaats zu einer Diktatur, als Umwandlung zu einem Unrechtsstaat diffamiert werden. So billig kommen Sie aus dieser Situation nicht heraus! ({72}) Abgelehnt worden sind von den Vorschlägen der CDU/CSU der Verteidigerausschluß in erleichterter Form bei Vorliegen konkreter Tatbestandsmerkmale. Abgelehnt worden ist die Verteidigerüberwachung. Da gibt es doch namhafte Bekundungen aus dem Regierungslager - vom Bundeskanzler, vom Justizminister -, man sei dafür. Aber im Laufe der Monate, in denen nichts verzögert und nichts versäumt worden ist, hat man dann auf einmal entdeckt, daß man zwar persönlich dafür sei, es aber politisch nicht durchsetzen könne. Was heißt: politisch nicht durchsetzen? Es ist eine Lüge, zu sagen, das Parlament lehne es ab. Sie haben die Stimmen der CDU/CSU zu den Stimmen hinzu, die Sie aus den Regierungsfraktionen bekommen. Das ergibt eine haushohe Mehrheit. Dann können Sie auf die paar Linken verzichten, die das bisher verhindert haben. ({73})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter Strauß, der Ausdruck „Lüge" ist unparlamentarisch. ({0})

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, den Ausdruck habe ich hier nicht gebraucht. ({0}) Abgelehnt worden ist die Sicherungsverwahrung. Die Gewerkschaft der Polizei hat doch vor wenigen Tagen veröffentlicht, daß allein im Jahre 1977 20 Terroristen aus der Haft entlassen worden sind, zum Teil auch vorzeitig, vor Verbüßung ihrer vollen Haftstrafe, und zum großen Teil bereits wieder im Untergrund verschwunden sind. Diejenigen, die die Sicherungsverwahrung für diese Fälle ablehnen, sind schuld an den Taten, die von diesen Untergetauchten wieder begangen werden. ({1})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Abgelehnt worden sind unsere Vorschläge zum Recht der Untersuchungshaft, ({0}) abgelehnt worden sind unsere Vorschläge zum Recht der Strafaussetzung zur Bewährung und zur Aussetzung des Strafrestes, abgelehnt worden sind unsere Vorschläge zur Heraufstufung des Tatbestandes der Bildung terroristischer Banden vom Vergehen zum Verbrechen, abgelehnt worden sind unsere Vorschläge über Rechtsgrundlagen für erkennungsdienstliche Maßnahmen, Durchsuchung von Personen, Einrichtung von Kontrollstellen, Identitätsfeststellungen und Vernehmungen durch die Posizei. Wer will denn behaupten, daß diese von uns vorgeschlagenen und von den Regierungsparteien abgelehnten Maßnahmen eine Abschaffung des Rechtsstaates und eine Umwandlung unseres freiheitlichen Staates in eine Diktatur bedeutet hätten? Diese unerhörte Verfälschung des Tatbestandes lassen wir uns nicht gefallen, Herr Bundeskanzler! ({1}) Eine Reihe weiterer Vorschläge ist überhaupt noch nicht behandelt worden. Diese Alternative gibt es nicht. Der Rechtsstaat muß soviel Zähne haben, daß er in der Lage ist, seiner friedenssichernden Pflicht zu genügen, daß er dem Bürger glaubhaft- beweisen kann, daß Leben und Freiheit der Bürger, auch der Amtsträger dieses Staates den Vorrang vor unangebrachter Milde mit Verbrechern und notorischen Feinden unserer Gesellschaftsordnung haben. ({2}) Aber genauso leichtfertig, wie mit der inneren Sicherheit umgegangen wird, geht es ja, ohne daß ich das Kapitel im einzelnen behandeln kann, auf dem Gebiet der äußeren Sicherheit zu. Wie kommt denn eigentlich der Hauptgeschäftsführer _der SPD dazu, öffentlich eine Kampagne gegen die Einführung der Neutronenwaffe zu führen und hier auf die amerikanische Administration Einfluß zu nehmen? Ich möchte nicht zur Neutronenwaffe Stellung nehmen. Nur jetzt, wo Herr Breschnew seine Drohbriefe geschrieben hat, ({3}) scheinen mir hier merkwürdige Interessenidentitäten vorzuliegen. ({4}) Ich bin auch der Meinung - und ich glaube, daß das die Meinung der ganzen Fraktion der CDU/CSU ist -, daß die Entscheidungen über Waffensysteme nicht auf Parteitagen nach innerparteilichen Opportunitäten diskutiert und getroffen werden können. ({5}) Wenn es nach uns ginge, dann würden wir überhaupt auf Waffen verzichten, ,nicht nur auf die Atomwaffen, auf alle Waffen verzichten, weil wir wissen, was Krieg bedeutet, weil wir deshalb gegen Gewaltanwendung auch für erlaubte Ziele sind, sogar dann gegen Gewaltanwendung sind. ({6}) Wie steht es denn mit der Verantwortung für unsere äußere Sicherheit im Falle Guillaume oder im Fall Lutze? Ich gehöre nicht zu den Heuchlern, die sagen: Bei uns hat es nie Spione gegeben, und bei denen werden ihnen die Panzerschränke geöffnet. Aber hätte nicht Parteibuchgenossenwirtschaft in den Ministerien geherrscht, wären Leistung, Disziplin, Sachlichkeit, Korrektheit und Pflichterfüllung maßgebend gewesen statt Begünstigung durch Parteibuch bei Einstellung und Beförderung, ({7}) dann hätten die beiden, größten Spionageskandale, Guillaume und Lutze, verhindert werden können. ({8}) Darum geht es und um nichts anderes. Ich frage auch, Herr Bundeskanzler: Warum haben Sie mich getäuscht, als es um die Frage des Standorts für das große naturwissenschaftlich-technische Forschungsunternehmen JET ging? Ich habe Ihnen zwei Briefe geschrieben. Der erste Brief wurde von Herrn Wischnewski beantwortet. Er schrieb, man teile meine Meinung, daß Garching der beste Standort sei. Hier geht es nicht um lokalpatriotische Dinge. ({9}) Seinerzeit ist in Aufteilung der großen Forschungsstätten das Institut für Plasmaphysik unter einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in Bayern, Herr Hoegner, nach Garching verlegt worden. Der Atomminister, der das damas mitfinanziert hatte, hieß Franz Josef Strauß. Hier geht es nicht um Lokalpolitik oder Parteipolitik. Hier geht es um eine ganz andere Frage. ({10}) Hier geht es darum, daß der Sachzusammenhang zwischen den ungeheuren Aufwendungen für die Forschung und zur Lösung des Energieproblems, der in der Bundesrepublik aus Bundes- und Landesmitteln schon getätigt worden ist, durch Ausbau der JET-Anlage an dem gleichen Standort sinnvoll weitergeführt worden wäre. ({11}) - Wenn ich keine Ahnung habe, Sie törichter Zwischenrufer, dann haben auch der Bundeskanzler und Herr Wischnewski keine Ahnung; denn beide haben mir mit ihrer Unterschrift bestätigt - die Briefe habe ich hier -, daß sie Garching für den sinnvollsten Standort hielten und meine Auffassung unterstützten. ({12}) Der Bundeskanzler schrieb mir auf meinen zweiten Brief einen Brief vom 24. Oktober. Eingangsstempel: 26. Oktober. Er bestätigte mir nochmals, er und die Bundesregierung teilten meine Auffassung, daß Garching der geeignete Standort sei und daß jetzt nicht mehr die Außenminister, sondern die Forschungsminister beim nächsten Treffen entscheiden könnten. An dem Tag, an dem ich den Brief bekommen hatte, hatte der Forschungsminister des Kabinetts Schmidt bereits dem Standort Culham in Großbritannien zugestimmt, nämlich am 25. Oktober. So lügt man einfach nicht! Sie wußten doch, als Sie mir den Brief schrieben, ganz genau, daß die Entscheidung durch hintergründige Machinationen und Manipulationen längst zugunsten Großbritanniens gefallen war. Hier versündigen Sie sich einfach an der naturwissenschaftlich-technischen Zukunft der Bundesrepublik. ({13})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter Strauß, ich wiederhole: Der Ausdruck „lügt" ist unparlamentarisch.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe ihn konditioniert, Herr Präsident. Fragwürdig ist doch auch, daß von dieser Regierung und ihren Vorgängerinnen die Europarakete eingestellt worden ist, weil man nicht den Weitblick hatte, die organisatorisch-technischen Mängel zu beheben, und dafür an das problematische Projekt Skylab heranging. Wir zahlen 50%, die Hälfte des Betrages, den die Europäer zahlen. Wir liefern das Skylab umsonst an die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir dürfen beim Erstflug kostenlos Wissenschaftler mitschicken, bei allen folgenden Flügen die Kosten anteilig mittragen. So behandelt man deutsche Interessen nicht! Ich bin kein Nationalist, aber auch kein Internationalist. ({0}) Es muß doch möglich sein, nationale Interessen mit Nachdruck, Würde und Legitimität vertreten zu dürfen. ({1}) Dasselbe gilt auch auf dem Gebiet der Energiepolitik. Auf diesem Gebiet haben Zögern, Unklarheiten und Versäumnisse - ich will mich auf diese drei Formeln beschränken - dazu beigetragen, daß unsere nationale Entwicklung erheblich zurückgeworfen worden ist, daß große Investitionsvorhaben verhindert worden sind, daß viele Tausende von Arbeitsplätzen nicht geschaffen oder bestehende gefährdet und aufgegeben worden sind. Aber da gibt es auch noch mehr. Wir werden ohne einen führenden technischen Beitrag auf dem Gebiet der Kernwissenschaft und der Kerntechnik die Frage des Lebens und des Überlebens der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2000, wo sie auf 6 bis 7 Milliarden Menschen angestiegen sein wird, nicht bewältigen. Wir müssen durch Kernenergie die Wärme zur Verfügung stellen, die wir zur Veredelung der Kohle und damit zur Nutzbarmachung noch riesiger Vorräte in den Entwicklungsländern benötigen. Das wäre weitreichende Politik - statt Unterstützung terroristischer „Befreiungsbewegungen". ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun ein vorletztes Problem. Die Regierung beklagt sich - die Regierungsparteien stimmen in den Chor selbstverständlich ein -, daß die Opposition Politik durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gestalten wolle. Dazu sind einige Dinge mit unmißverständlicher Deutlichkeit festzustellen: Erstens. Das Bundesverfassungsgericht ist dazu da, angerufen werden zu können. Was wäre das für ein Rechtsstaat, bei dem das Bundesverfassungsgericht nur eine Selbstschutzorganisation oder ein Perpetuum mobile für eigene Zwecke ist! Zweitens. Es ist das gute Recht eines jeden, der nach den gesetzlichen Bestimmungen dafür vorgesehen ist, von dem Recht, das Verfassungsgericht anzurufen, auch Gebrauch zu machen. Drittens. Sie wissen ja - auch das gehört zum Thema der äußeren Sicherheit, und auch das ist eine Disqualifikation für Herrn Leber -, wie man mit der Wehrpflicht in unserem Land umgeht. Glauben Sie, uns ist es angenehm, der nächsten Generation sagen zu müssen: „Ihr müßt 15 Monate dienen und dann Reserveübungen auf euch nehmen", wenn wir dann der Fragestellung gegenüberstehen: „Warum versprechen uns die anderen, daß wir uns per Postkarte von dieser lästigen Verpflichtung abmelden können?" Aber das ist nicht das Thema. Der entscheidende Punkt ist: Es ist eine miserable und schlechte Politik, die leider durch die Rechtsprechung immer wieder geändert werden muß. ({3}) Prozesse vor dem Verfassungsgericht wird es immer geben; die gab es auch bei uns: wegen Zuständigkeitsproblemen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, Organstreitigkeiten usw. Keine Regierung der CDU/CSU könnte versprechen, daß ihre Tätigkeit ohne einen solchen Prozeß stattfindet. Sie kann auch nicht versprechen, daß sie keinen solchen Prozeß verlieren würde. Es geht jedoch um wesentliche gesellschaftsverändernde politische Schritte, die von der Regierung vorgeschlagen, von der Mehrheit gegen unseren Willen durchgepeitscht und uns ohne demokratischen Grundkonsens aufgezwungen worden sind und die wir nur mit Hilfe eines unabhängigen Organs kompensieren und korrigieren können. Das ist der Skandal - und nicht die Anrufung des Verfassungsgerichts durch die Opposition. ({4}) Wahlen, Herr Bundeskanzler, können Sie gewinnen durch falsche Sachdarstellungen - siehe Rentenfragen. Wahlen können Sie gewinnen durch Verleumdung - siehe den Schwindel mit den Lockheed-Akten. ({5}) Wahlen können Sie gewinnen durch Verfassungsbrüche - Stichworte: Schwindel vom wirtschaftlichen Aufschwung; Täuschung der Rentner; verfassungswidrige Ausgaben von Steuergeldern für Wahlkampfzwecke; Verschleppung des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht über die verfassungswidrigen Ausgaben, so daß das Urteil erst nach der Wahl kommen konnte; Aktenschwindel mit Lockheed, mit dem in schäbiger Weise der gleichzeitig ausgebrochene Spionagefall Lutze in der Öffentlichkeit überlagert werden sollte, ({6}) um die wahrhaft Schuldigen der öffentlichen Aufmerksamkeit zu entziehen; schließlich die Filzokratie und Parteibuchwirtschaft in einer Reihe von obersten Bundesbehörden. Damit können Sie Wahlen gewinnen. Aber eines können Sie damit nicht: regieren. Daß Sie mit diesen Methoden Wahlen gewinnen können, haben wir sattsam zur Kenntnis nehmen müssen. Aber regieren konnten Sie trotzdem nicht, weil man mit diesen Methoden auf die Dauer nicht regieren kann. ({7}) Hier wird auch der falsche Schein, den der Bundeskanzler um sich verbreitet, auf die Dauer die Wahr5164 heit nicht verdecken können. Dafür sorgt der Schatten Coppiks und der Gleichgesinnten. Das ganze Schiff fährt, wenn auch langsamer, immer noch - und vielleicht sogar wieder mehr - nach links. Und da nützt es auch nichts, Herr Genscher, sich im Schiff links nach rechts zu bewegen und einen Kurs der Mitte vorzutäuschen. ({8}) Das Schiff fährt nach wie vor in der falschen Richtung. ({9}) Mehr Lebensqualität? Eine Million Arbeitslose; Jugend in der Krise. Mehr Demokratie? Ja, ist das eine funktionierende Demokratie, die ich krankbete, wie Helmut Schmidt sagte, wenn in den Straßen Bonns Panzer rasseln, wenn große Begleitkommandos leider tätig sein müssen, wenn Maschinenpistolen das Straßenbild beherrschen? Ich danke ja für die Bewachung. Aber es ist unerhört, daß so etwas notwendig ist. Das ist für eine funktionierende Demokratie auf die Dauer unerträglich. ({10}) Sie sagen: Mehr Reformen! Im Gegenteil, die großen Reformen der Vergangenheit haben Sie in wesentlichen Punkten beeinträchtigt, abgebaut, demontiert. Deshalb stelle ich die Frage: Wann wird denn Deutschland wieder eine Regierung bekommen, die diesen Namen verdient, ({11}) die die deutschen Interessen mit legitimen Mitteln vertritt, die die ordnungspolitischen Grundsätze des freiheitlichen, fortschrittlichen sozialen Rechtsstaats im Gegensatz zum Negativideal formaler Gleichmacherei glaubwürdig verkörpert und verwirklicht, eine Regierung, die der Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie den Vorrang vor Parteiinteresse, Koalitionskumpanei, Machterhaltung um jeden Preis gibt, den Bürger wirklich bewegende Probleme löst, statt ihre Nichtlösung durch scheinheilige Reden zu bemänteln? Nach diesen Maßstäben, Herr Bundeskanzler Helmut Schmidt, werden Sie gemessen. Und nach diesen Maßstäben haben Sie Ihre historische Stunde versäumt! ({12})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich dem Hause mitteilen, daß auf der Diplomatentribüne eine Delegation des Landwirtschaftsausschusses der Brasilianischen Abgeordnetenkammer Platz genommen hat, die sich zu einem Informationsbesuch in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Ich habe die Ehre, sie zu begrüßen. ({0}) Wir freuen uns, Parlamentarier aus Brasilien als Gäste im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen, wünschen ihnen nützliche Begegnungen und Gespräche in Bonn, in Berlin und in Bayern sowie einen guten und angenehmen Aufenthalt in Deutschland. ({1}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte aus Anlaß der Haushaltsberatungen dieser Woche zunächst einiges über die Art sagen dürfen, in der wir hier miteinander umgehen. ({0}) - Vielleicht haben Sie die Güte, mit Ihren Reaktionen zu warten, bis Sie gehört haben, was ich sagen möchte. ({1}) Es ist ja nicht das erste Mal, daß mir die Aufgabe zufällt, nach Darlegungen - die immer zum Teil auch verbale Ausschreitungen sind - des Kollegen Strauß hier das Wort zu ergreifen ({2}) und daran zu erinnern, was dieses Parlament trotz aller Meinungsverschiedenheiten seines Rufes wegen zu verteidigen hat. ({3}) Dies gebietet - und davon wird die Rede sein -, maßlose Übertreibungen, Halbwahrheiten und Halbunwahrheiten zurückzuweisen. ({4}) Ich muß schon jetzt darauf aufmerksam machen - und ich werde es nachher begründen -, daß der Hauptredner der Opposition an diesem Tage, der Kollege Strauß, ({5}) sich zu einigen der im Augenblick drängendsten Probleme unseres Volkes überhaupt nicht geäußert hat. ({6}) Niemand wird es dem Kollegen Strauß übelnehmen, daß er jetzt einen Termin beim Präsidenten von Gabun wahrnimmt. Mich bringt das allerdings um die Chance, ihm direkt zu antworten. Ich möchte nur der Ordnung halber im Protokoll des Bundestages verzeichnet wissen - ohne damit eine Kritik an irgend jemand zu verbinden -, daß ich eine solche Einladung mit Rücksicht auf die Beratungen des heutigen Tages mit großem Bedauern gegenüber diesem ausländischen Gast abgesagt habe. ({7}) Ich möchte fragen, meine Damen und Herren und meine Kollegen in allen Teilen des Hauses: Was können die Bürger von ihrem Bundestag erwarten? Sie können erwarten, daß gerungen und gestritten wird um das, was der eine, der zweite, der dritte und auch der vierte für die jeweils beste Art hält, Angelegenheiten der Bürger im demokratischen Bundesstaat zu regeln, wie die einen und die anderen oder die dritten meinen, daß die Bundesregierung ihrer Pflicht gerecht werden soll.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Röhner?

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich möchte es halten wie der Kollege Strauß und meine Ausführungen im Zusammenhang machen. ({0}) Gerungen und gestritten wird darum, wie unsere Interessen in einer komplizierten und unruhigen Welt zweckmäßig vertreten werden oder, auf die Materie dieser Woche bezogen, welche Mittel der Bundesstaat für welche Aufgaben einsetzt und welche Einnahmen dazu erforderlich sind. Wenn man Glück hat, findet ein Parlament auch noch die Kraft, gelegentlich über neue gesellschaftliche Probleme und sich verändernde internationale Bedingungen zu reden, geistige Positionen, programmatische Plattformen aneinander zu messen, neue Erfahrungen der Wissenschaft und der Technik, soweit man sie mitbekommen kann, nicht zu vernachlässigen. Ich frage jetzt mich selbst und alle anderen: Was haben die Bürger davon, wenn wir hier allzu oft aneinander vorbei, zum Fenster hinaus und in die Fernsehkamera hinein reden? ({1}) In einer freiheitlich-demokratischen Ordnung ist es ja die Aufgabe des Parlaments, nicht nur über die vorhandenen - und legitimen - Unterschiede von Überzeugungen - oder was man dafür hält - und von Interessen - oder was man darunter versteht - zu streiten, sondern auch darüber zu reden, welche gemeinsamen Pflichten sich aus dem Grundgesetz ergeben und welche gemeinsamen Werte wir über den Streit der Parteien hinweg zu verteidigen und zu pflegen entschlossen sind. Ich sehe die große Gefahr, daß wir den Bürgern in doppelter Hinsicht nicht gerecht werden: Sie erfahren durch unsere Debatten allzu oft nicht die gebotene und mögliche Orientierung - auch was die Alternativen angeht -, und sie erfahren auch wenig darüber, welche sachliche Arbeit neben dem zugespitzten Parteienstreit geleistet wird. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es gibt doch einen erheblichen Widerspruch zwischen den vom Fernsehen vermittelten Redeschlachten und der überwiegend stillen, sachlichen Arbeit in den Ausschüssen, ({2}) nicht zuletzt im Haushaltsausschuß; und dies erwähne ich natürlich besonders aus Anlaß der Debatte, die wir jetzt führen. Ich könnte hinzufügen: Es gibt den Widerspruch zwischen der zunehmenden Konfrontation auf der staatlichen Ebene - nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern und dem erfreulicherweise im ganzen ungebrochenen Willen zur Kooperation in den Rathäusern. Nun stehen die meisten von uns lange genug im Leben, um zu wissen, daß man bei Fehlentwicklungen die Schuld nicht immer nur beim anderen suchen darf. Ich habe also - so sehr die Ausführungen meines Vorredners dazu einladen könnten - nicht die Absicht, allein der Opposition das anzukreiden, was mich besorgt und weshalb ich mich heute in erster Linie zu Wort gemeldet habe. Wenn Sie mir entgegenhalten - und das klang ja nach meinem ersten Satz an -, daß ich mich selbst prüfen und eigenen Irrtümern nachgehen sollte, muß ich bereit sein, das einzustecken. Ich gehöre in der Tat nicht zu denen, die meinen, immer recht gehabt und alles richtig gemacht zu haben. Und wenn Sie ehrlich sind, kann keiner von uns garantieren, daß er nicht Fehler macht oder in der Hitze des Gefechts etwas sagt, was er so am liebsten nicht gesagt hätte. ({3}) Meine Partei hat ihre Grundüberzeugung. Sie arbeitet gewissenhaft daran, Probleme zu erkennen und Lösungen vorzuschlagen. Aber die SPD meint natürlich nicht, über den Stein der Weisen zu verfügen; über den verfügt keiner von uns. Die Regierung der sozialliberalen Koalition nimmt nicht für sich in Anspruch, nie geirrt zu haben und immer nur das Beste bieten zu können. Aber sie leistet gute Arbeit, und dafür verdient sie Anerkennung. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion spricht diese Anerkennung erneut und ganz nachdrücklich aus. ({4}) Aber ich will uns noch einmal fragen: Wem kann eigentlich daran liegen, daß der Bundestag bei den Bürgern in Verdacht gerät, mehr als einmal an den wirklichen Problemen der Bürger vorbeizureden oder sie nicht zur Kenntnis zu nehmen? ({5}) Ich frage weiter: Ist es bei dem notwendigen Streit der Meinungen und Interessen nicht doch möglich, daß wir auf unnötige Übertreibungen verzichten und uns bei allen Auseinandersetzungen immer wieder einmal fragen, was des gemeinsamen demokratischen Staates, seiner Bürger, unseres Volkes wegen geboten ist? Was sollen die Bürger davon halten, wenn hier Reden immer häufiger nicht unter dem Gesichtspunkt sachlicher Überzeugungskraft, sondern wegen ihrer vermeintlichen Öffentlichkeitswirkung gehalten werden, wobei dann oft noch der eigene Heerhaufen mit der Öffentlichkeit verwechselt wird? Täten wir nicht gut daran, uns über Parteigrenzen hinweg diese Gefahr von Wirklichkeitsverlust einzugestehen? ({6}) Nun bin ich nicht optimistisch genug zu glauben, wir, meine Kollegen von der SPD und die Kollegen von der FDP, könnten durch das, was wir sagen, das Abstimmungsverhalten der Opposition beeinflussen. Sie werden den Bundeshaushalt ablehnen.. Das entspricht parlamentarischem Brauch, fast hätte ich gesagt: gutem parlamentarischen Brauch. Jedenfalls ist es ein Stück normaler politischer Auseinandersetzung. Wir werden erneut feststellen, wer hier die Mehrheit hat; auch da wird es keine Überraschungen geben. Aber auf die Begründung kommt es an, und wenn dem, was Herr Strauß heu-. te morgen für die Opposition gesagt hat, nicht noch ganz Wesentliches hinzugefügt wird, dann tut mir die Opposition bei der Begründung ihres Nein zum Bundeshaushalt leid. ({7}) Da kommt es auf mehr Argumente und den Nachweis möglicher Alternativen an. Daran wird in diesem Fall die Qualität gerade der Opposition geniessen. Kritik ist nicht nur unvermeidlich, sie muß doch erwünscht sein, auch wenn sie aus der Sicht eines Regierungschefs manchmal unbequem sein mag. Dazu gehört doch aber auch: Die Auseinandersetzung muß sich an dem orientieren, wie die tatsächliche Lage ist. Es ist unglaubwürdig, über Jahre hinweg - wie Herr Strauß es tut; das wird man feststellen, wenn man der Sache nachgeht - zu allem Wesentlichen immer nur nein zu sagen. ({8}) Nun weiß ich wohl, daß die Menschen, seit sie denken können, auch darüber streiten, wie sich ihnen die Wirklichkeit darstellt und wie sie sie interpretieren sollen. Aber wäre es nicht beispielsweise möglich, das anzuerkennen - wenn auch zähneknirschend -, was der Bundeskanzler hier in der letzten Woche zur Lage unseres Landes noch einmal deutlich gemacht hat? Der Bundeskanzler hat weder übertrieben noch Schönfärberei betrieben. ({9}) Er hat, verehrte Kollegen von der Opposition, in Wirklichkeit keinen Anlaß gegeben, sich im polemischen Ton zu vergreifen. ({10}) Bei allem, was umstritten ist, sollten - sollten! - wir uns doch miteinander unter Umständen sogar bei allem, was trennt, darüber freuen können, daß unser Land stabiler ist als die meisten anderen Länder, und das redet auch Herr Strauß nicht kaputt! ({11}) Wir sollten uns darüber freuen können, daß dieses unser Land sozial sicherer ist, auch heute und morgen, als die meisten anderen Länder; ({12}) daß die rechtsstaatlichen Grundlagen, vor einer Generation neu geschaffen - gemeinsam -, sich bewährt haben; daß die Bundesrepublik Deutschland ein überall geachteter Partner der europäischen Zusammenarbeit geworden ist und sich in der Welt als ein gewichtiger Faktor der Friedenssicherung erweist. Meine verehrten Damen und Herren, dank der Anstrengungen vieler - nicht einer Partei, nicht zweier Parteien, nicht einer Regierung - haben wir es doch, wenn wir ehrlich sind, mit einer stabilen, sozial weithin ausgeglichenen Gesellschaft zu tun. Um die Bewahrung dieses Zustandes und seinen vernünftigen Ausbau sollten wir uns bemühen. Wir sollten wetteifern, wo es um dieses Bewahren und dieses Ausbauen geht. ({13}) Dabei dürfen wir natürlich nicht - wenn mir das entgegengehalten werden sollte, stimme ich sofort zu - den Blick für die Realitäten verlieren, d. h., wir müssen darauf achten, daß die Grenzen des Möglichen nicht überschritten werden. ({14}) Verehrte Kollegen aus den Reihen der Oppositionsparteien, niemand nimmt Ihnen übel, daß Sie den Bundeshaushalt ablehnen, da Sie der Regierung insgesamt verständlicherweise nicht zustimmen wollen. Aber muß man deswegen - - Nein, ich frage jetzt nicht; ich hätte Herrn Strauß, wenn er da wäre, direkt gesagt: Aber, Herr Strauß, deswegen, weil man der Regierung kein Vertrauen aussprechen will, muß man doch die Lage im eigenen Land und des eigenen Landes in der Welt nicht schlechtermachen, als sie ist! ({15}) Wenn es uns besser geht als vielen anderen Völkern, dann drückt sich darin doch vor allem auch die Arbeitsleistung, das Verantwortungsbewußtsein, der Fleiß, die Zuverlässigkeit der vielen einzelnen in unserem Lande aus, unserer Wähler und Ihrer Wähler. ({16}) Ein uns allen bekannter Kommentator schrieb vor ein paar Wochen, auch für dieses Jahr lasse sich mit einiger Sicherheit prognostizieren, „daß es den Bundesbürgern besser gehen wird als den meisten Nachbarn, daß sie sich aber unglücklicher fühlen werden als alle übrigen". Er fügte hinzu: „Leicht verständlich ist das nicht." So ist es. ({17}) Unbestreitbar ist wohl, daß wir es mit einem erheblichen Maß an Unsicherheit zu tun haben. Viele fühlen sich ratlos gegenüber den neuen Problemen, hilflos gegenüber dem, was man in der Welt nicht begreift - das ist ja auch häufig schwer genug zu verstehen -; ratlos, hilflos gegenüber den sich immer mehr aufdrängenden Herausforderungen der Zukunft. Sicher scheint mir auch zu sein, daß dieses Empfinden bei vielen unserer Mitbürger nicht von ungefähr kommt und nicht nur objektiv bedingt ist. Es sind auch Stimmungen der Angst, der Hilflosigkeit und der Ohnmacht geschürt worden. ({18}) Unsicherheit und Furcht sind Gegenstand eines engen und rücksichtslosen machtpolitischen Kalküls geworden. Wenn soeben jemand „Pfui" dazwischenrief, dann antworte ich darauf: Niemand stehle sich aus der Verantwortung! Der Satz, es müsse alles noch schlimmer kommen, stammt nicht von uns. ({19}) Viele Menschen machen sich deshalb Sorgen, weil ihnen Verführung angeboten wird. Wo zu sehr mit Stimmungen gespielt wird, können die Chancen für demokratische Politik verspielt werden. Desinformation und Fehlorientierung, Übertreibung und Verweigerung sind untaugliche Mittel, um über Schwierigkeiten hinwegzukommen und die Dinge zum Besseren zu wenden. Ich will versuchen, das durch einige Beispiele deutlich zu machen. Ist es nicht eine Desinformation, eine Fehlorientierung, wenn man im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt und dessen Verabschiedung wiederum so tut, als werde der Staat wegen der Aufnahme neuer Kredite zusammenbrechen? In Wirklichkeit weiß auch die Opposition, unter welchen Voraussetzungen wir diesen Weg nach gewissenhafter Prüfung und im Zusammenhang mit internationalen Erfahrungen haben beschreiten müssen und daß wir uns über die Grenzen dieses Weges durchaus im klaren sind. Ich verbinde dies gerade nach jenem Redeteil von Herrn Strauß mit einem ausdrücklichen Vertrauensvotum für Bundesminister Hans Apel und mit einem Dank für die Bürde, I) die er in diesen Jahren auf sich genommen hat. ({20}) In den vorausgegangenen Beratungen des Haushaltsausschusses - ich habe mich genau erkundigt - hat es im übrigen keine ernsthaften alternativen Vorschläge der Opposition gegeben. Wenn es ein anderes Grundkonzept gibt, frage ich: Warum wurde es dort nicht vorgetragen, warum wurde es dann heute früh nicht durch den wirtschafts- und finanzpolitischen Sprecher der Opposition vorgetragen? ({21}) Wenn man meint, man könne Milliarden einsparen, in dieser Höhe nicht zusätzlich in die Nettokreditverschuldung eintreten, dann muß man sagen, wie und wo. Das ist auch heute nicht geschehen. Welchen Sinn soll es eigentlich ergeben, wenn man einerseits fordert, der Staat solle beispielsweise mehr tun, um Arbeitsplätze zu sichern und neue schaffen zu helfen, andererseits aber im Grunde die Mittel verweigert, die der Staat braucht, um im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern? Ich frage weiter: Was soll es in einer ernsthaften Debatte nutzen - ich knüpfe jetzt an eine lautstark vorgetragene Passage von Herrn Strauß an -, wenn angeblich klimatische Störungen immer wieder als Kampfformel herhalten müssen, um die zweifellos bestehende Investitionszurückhaltung im Inland gegen die Bundesregierung zu wenden? Als ob Wirtschaftspolitik nach meteorologischen Maßstäben gemessen werden könnte. ({22}) Nein, es hilft keinem Arbeitslosen, es hilft auch nicht der Wirtschaft insgesamt,- wenn unser Land als eines dargestellt wird, in dem zu investieren sich nicht mehr lohnte. Es gehört doch gerade zu Ihren Überzeugungen, meine Damen und Herren von der Union, daß Investitionen nach Gewinn- und Verlusterwartung getätigt oder unterlassen werden. Wenn dem so ist, warum ist dann die Bundesrepublik Deutschland ein so gesuchtes Land für ausländische Investitionen? ({23}) . Zweifeln Sie an der Urteilskraft ausländischer Unternehmen, die mit ihrem verstärkten Engagement in der Bundesrepublik Vertrauen in unsere wirtschaftliche Zukunft beweisen? Es widerspricht dem nicht, wenn gleichzeitig die Beteiligung deutscher Unternehmen im Ausland kräftig ansteigt. Es zeigt nur das Ausmaß des weltwirtschaftlichen Strukturwandels, dem naturgemäß die vom Welthandel in besonderem Maße abhängigen Industriestaaten am stärksten ausgesetzt sind. Das, was Herr Strauß über Investitionen und Beschäftigung gesagt hat, ließ diesen entscheidenden Faktor des Strukturwandels, in dem wir mittendrin sind - in der Welt draußen, in Europa und bei uns zu Hause -, außer Betracht. Im übrigen hat er einen großen Irrtum begangen. Ich will kein härteres Wort dafür benutzen; er hat sehr viel härtere Ausdrücke verwendet. Er ist einem ernsten Irrtum unterlegen, als er gemeint hat, dies zumal an die Adresse des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Heinz Oskar Vetter, sagen zu müssen: Nicht nur die Wirtschaft, nicht nur die öffentliche Hand - Regierung, wie man so sagt -, auch die Arbeitnehmerseite ist betroffen und muß daran mitwirken, Arbeitsplätze zu erhalten und, wo es geht, neue zu schaffen. Wer Zeitungen liest und sich einmal darüber hinaus informiert, weiß, daß Heinz Oskar Vetter genau dies geschrieben und gesagt hat - noch in dieser Woche -: er möchte, daß die Spitzen - bei allem, das da sonst war - der Gewerkschaften und der Unternehmen und ihrer Verbände über Arbeitsplätze reden, zusätzlich zu dem, was darüber an anderer Stelle geredet wird. ({24}) Ich frage weiter - nach dem, was Herr Strauß gesagt hat -: ist es nicht eine maßlose und nahezu unverantwortliche Übertreibung, wenn man den Eindruck erweckt, als ob die Renten in ihrer Sub. stanz nicht gesichert seien und als ob sie nicht auch in Zukunft so erhöht würden, daß die Alten und die anderen, die einen Rentenanspruch erworben haben, weiterhin an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben werden? ({25}) In Wirklichkeit, meine Kollegen von der Opposition, geht es doch hier um unser gemeinsam ge5168 schaffenes System der fortlaufend wachsenden Rente. Es sollte in unserer gemeinsamen Verantwortung bleiben. ({26}) Die Renten sind - Sie wissen es wie wir - im Laufe der Jahre beträchtlich gestiegen, und sie werden weiter steigen. Im Gegensatz zu Herrn Strauß-sage ich: der Generationenvertrag wird weiter tragen. Seine Interpretation zum Generationenvertrag. ({27}) leidet darunter, daß er offenbar der illusionären Vorstellung gewesen ist, diese Welt und die Bundesrepublik würde für alle Zeit mit ungebrochenem wirtschaftlichen Wachstum rechnen können; ({28}) das war eine Illusion. Aber der Generationenvertrag muß auch unter sich verändernden Bedingungen halten, ({29}) und er wird weiter tragen. Dadurch kommt jedem einzelnen - seien wir ehrlich, und die Menschen draußen wissen es - ein Mehrfaches dessen zugute - und so soll es sein -, was er selbst durch sein „Kleben", wie man so sagt, hat erarbeiten können. Statt Angstformeln zu prägen und Vorurteile zu mobilisieren, ({30}) sollten wir miteinander jenseits jeden Zweifels deutlich machen, daß die Renten sicher bleiben werden. ({31}) Ich habe vorhin von Verweigerung gesprochen und will auch dies begründen. Das Thema war in der vorigen Woche schon mal dran; aber manches muß mehrfach gesagt werden. Wem nutzt es eigentlich, daß die Ministerpräsidenten Filbinger und Albrecht das Heizenergiesparprogramm von Bundeswohnungsbauminister Karl Ravens zu Fall brachten? ({32}) Ist es im Interesse der Bürger von Baden-Württemberg und von Niedersachsen, ({33}) wenn mehr als 2 Milliarden DM allein vom Bund nicht zur Steigerung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung eingesetzt werden können? ({34}) Ich sage Ihnen ganz offen, ich finde es deprimierend, wie hier parteipolitische Enge über das Gebot der Vernunft gesiegt hat. ({35}) Als ein bedenkliches Beispiel von Verweigerung habe ich auch empfunden, daß führende Mitglieder der Opposition die Klage der Arbeitgeberverbände gegen die Mitbestimmung mit wohlwollenden Kommentaren begleitet haben. ({36}) Erst ist man dagegen, ({37}) dann stimmt man dafür und rühmt sich dessen, ({38}) und danach begrüßt man den Versuch, es außerparlamentarisch auszuhebeln. ({39}) Das ist nicht nur ein Mangel an Geradlinigkeit, es ist gefährlich für den sozialen Frieden in unserem Land. ({40}) Denn wenn wir wirtschaftlich besser dastehen als viele, als die meisten anderen Länder, dann ist dies doch unbestreitbar mit darauf zurückzuführen, daß wir uns auf den Gebieten von Betriebsverfassung und Mitbestimmung nach vorne bewegt haben. ({41}) Es reicht eben nicht - so würde ich Herrn Strauß jetzt wiederum angesprochen haben, hätte er hier sein können -, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zu ökonomischer Vernunft aufzufordern, damit sie unter den gegebenen Umständen mit bescheidenen Lohnzuwächsen zufrieden sind. Es ist geboten, meine Damen und Herren, daß wir uns von dem Weg, der zu gemeinsamer Verantwortung und solidarischer Teilhabe führt, unter keinen Umständen abbringen lassen. ({42}) Ich sage Ihnen in aller Ruhe, die Sozialdemokraten werden unruhig, wenn im Verständnis einzelner das Bemühen um Mitbestimmung durch Neigung zum Klassenkampf von oben ersetzt werden sollte. ({43}) Ich will auch dies hinzufügen: Aus der Inflation, mit der politische Entscheidungen zu Gerichten hin verlagert werden, kann meiner Meinung nach nichts Gutes kommen. Das gilt aus meiner Sicht ausdrücklich auch für das Bundesverfassungsgericht. Nun sagt Herr Strauß, Gerichte sind doch dazu da, auch das Verfassungsgericht, daß man sie anruft. Stimmt! Nur - auch auf der Ebene draußen -, wer ohne Not und überflüssigerweise dorthin läuft: den nennt man einen „Prozeßhansl", und das kann man auch auf die höhere Ebene anwenden. ({44}) Übrigens kann auch eine Inflation an Untersuchungsausschüssen - aber im Moment gibt es ja „nur" in Bonn, München und Stuttgart welche ({45}) der parlamentarischen Demokratie kaum gut tun. Jedenfalls - sagen Sie das bitte Herrn Strauß weiter -, ({46}) wer in der Lage ist, selbst etwas aufzuklären oder aufklären zu helfen, ({47}) der sollte nicht statt dessen nach einem Untersuchungsausschuß rufen und erstmal Verdächtigungen verbreiten. ({48}) Sonst darf er sich nicht wundern, wenn er schlafenden Rattenfängern Melodien liefert. ({49}) Ich komme auf meinen Ausgangspunkt zurück. Wir sollten auch in der oft unvermeidlichen Hitze des politischen Gefechts möglichst nie aus dem Auge verlieren, weshalb wir die Auseinandersetzung führen. Wir sind hier - wem sage ich es? - Teil der freiheitlichen Ordnung unseres Staates, die dem Bürger das Grundrecht zur demokratischen Teilhabe garantiert. Es liegt an uns allen, wie ernst wir dieses Grundrecht, wie ernst wir also den Bürger nehmen und was wir dazu tun, daß er als Bürger in der Demokratie handlungsfähig und bereit bleibt - und es zunehmend wird -, daß er, im be- sten Sinne aufgeklärt, Kritik üben oder unserer Arbeit zustimmen kann. Auch in diesem - wie man sagt - Hohen Hause sind, wie wir heute morgen wieder erfahren haben, Töne zu hören, die nicht zweifelsfrei von der Leitmelodie des mündigen Bürgers bestimmt sind; damit meine ich nicht nur die Sprache. Es geht um ein grundsätzlicheres Verständnis von Politik, dem wir als Demokraten verpflichtet sind, wollen wir nicht die Basis - und hier paßt der Ausdruck wirklich mal - unterspülen lassen. Natürlich gibt es verschiedene Auffassungen von Politik. Das Modell von Sonthofen beispielsweise, in dem ausdrücklich angeraten wurde - wenn man es noch mal genau liest -, nicht aufzuklären. Das war hoffentlich nicht ganz so zynisch gemeint, wie es dort stand. Aber manches davon hat negativ fortgewirkt. Ich meine, meine Damen und Herren, was die Grundfragen angeht, gibt es eigentlich nur ein demokratisches Prinzip. Ich darf uns alle eindringlich und keineswegs frei auch von Selbstkritik bitten, der Versuchung zu widerstehen, mit diesem Prinzip leichtfertig umzugehen. Vielleicht darf ich auch dies wieder an ein paar Beispielen deutlich machen. Kommt es nicht an Verweigerung heran, wie sich gegenwärtig einige Vertreter der Opposition mit unserer Bundeswehr befassen? Ich meine nicht den Untersuchungsausschuß; dazu habe ich meine Meinung gesagt. Aber ich meine, wie Sie - einige Vertreter der Opposition - die Bundeswehr in Ihren öffentlichen Äußerungen herabsetzen und sich damit in krassen Widerspruch setzen zur Meinung unserer Verbündeten und nicht nur dieser. ({50}) Als maßlose Übertreibung muß ich das bezeichnen, was Herr Strauß und andere führende Vertreter der Unionsparteien nun schon seit geraumer Zeit zum Thema der inneren Sicherheit von sich geben. Es zeugt auch von einem sehr verengten Blick. Sonst müßte man sich doch einig darüber sein können, daß wir es über unsere eigenen Sorgen hinaus mit europäischen und internationalen Erscheinungen des Terrorismus und anderer Gewalthandlungen zu tun haben. Man müßte übrigens auch einmal anerkennen, daß sich in der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Terrorhandlungen endlich gewisse Fortschritte ergeben. Es sind noch nicht genug; aber, ich finde, es ist zu begrüßen, daß sich etwas bewegt. Wir Sozialdemokraten waren und sind der Meinung, daß wir das sicherheitspolitische Instrumentarium verbessern müssen, aber nicht durch falsche Betriebsamkeit und auch nicht durch das Aufpeitschen von Emotionen, sondern mit Verstand und mit Augenmaß. ({51}) Nach den Einlassungen der Opposition ist nun klargeworden: Da sie alles - was sie für alles hält - nicht bekommen kann, will sie lieber nichts. So habe ich es verstanden. Das kann doch nicht vernünftig sein, das kann doch nicht überzeugen. Das wird auch nicht überzeugender durch die falschen, abgrundtief falschen Alternativen, die Herr Strauß hier heute früh dem Bundeskanzler hat aufdrücken wollen. ({52}) Das andere ist nicht so wichtig, seine nicht sehr sachkundigen Auffassungen über den Meinungsbildungsprozeß innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion. Da könnten ihm Kollegen von uns ruhig einmal Nachhilfeunterricht geben. ({53}) Aber wir weisen die - ich muß mich beherrschen, um nicht unparlamentarisch zu werden - unglaublichen Verdächtigungen und Anwürfe, die Herr Strauß hier gegen den Bundeskanzler erhoben hat, nachdrücklich zurück. ({54}) Übrigens, zu einem Punkt hätte ich gerne etwas von den Rechtsgelehrten der Unionsfraktion gehört. Die Ausführungen von Herrn Strauß zu einem Punkt, nämlich zur Sicherungsverwahrung, laufen doch, wie Ihnen klar wird, wenn Sie es nachher im Protokoll nachlesen, falls es jetzt nicht jedem klar ist, zweifelsohne auf eine rückwirkende Änderung dieser Bestimmungen hinaus, ({55}) denn nur dann kann die Entlassung bereits Verurteilter verhindert werden. ({56}) Genau hierüber hat Herr Strauß gesprochen. ({57}) Bisher hat die Opposition im Rechtsausschuß die verfassungswidrige Gesetzesänderung nicht verlangt, die Herr Strauß heute hier vom Podium vorgetragen hat. ({58}) Wir möchten, daß die Gemeinsamkeit ({59}) der Abwehr von Gewalt nicht verschüttet wird. ({60}) - Das ist Ihnen unangenehm; ich muß es einstecken, daß Sie deswegen ein bißchen unruhig werden. Das macht nichts. ({61}) Aber gemeinsam mit allen, die sich in der Welt umschauen und die Erfahrungen der eigenen Vergangenheit beherzigen, d. h. auch mit Ihnen, hoffentlich mit allen von Ihnen, jedenfalls mit vielen von Ihnen, möchten wir neben dem Nachdenken über die Vervollständigung des Instrumentariums dafür sorgen, daß die freiheitliche Substanz unseres Rechtsstaates nicht angetastet wird. Das ist kein Thema, das aus unserer Sicht kontrovers diskutiert werden muß, sondern eines, das im Sinne der Beidseitigkeit der Problematik, mit der wir es zu tun haben, diskutiert werden sollte. ({62}) - Gut, ich habe ja von vornherein gesagt, wir haben einander vermutlich in beiden Richtungen etwas zu sagen. Ich habe nicht behauptet, daß wir nicht auch zuzuhören hätten, wenn die Union zu diesen und zu anderen Themen hier oder anderswo etwas zu sagen hat. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht noch auf folgendes hinweisen, gerade nachdem ich wieder manches gelesen habe, was in der letzten Zeit draußen geredet und geschrieben wurde: Ich bleibe der festen Überzeugung, daß man orientierungslosen, suchenden jungen Menschen - und von denen gibt es doch eine ganze Menge - nicht so begegnen darf, als seien sie potentielle Verbrecher. Das ist nicht vernünftig. ({63}) Der Dialog mit der jungen Generation, nicht nur, aber auch an den Hochschulen, ist nicht leichter, er ist aber wieder wichtiger geworden. Mit Verteufelungen - hier sind hoffentlich die meisten von uns auch einer Meinung - ist nichts Vernünftiges zu erreichen. Ich füge hinzu - und ich weiß, was ich sage -: Manches, was zum vermeintlichen Schutz der Verfassung erfunden wurde, hat sich nicht bewährt. ({64}) Wir dürfen der Demokratie nicht mehr aufladen, als sie zu tragen vermag. Vor allem dürfen wir die Jugend nicht mit ihren unmittelbaren Problemen allein lassen. ({65}) Das sind die Fragen der Berufsausbildung, der Arbeitsplätze, der Arbeitsbedingungen an den hohen Schulen, aber es sind auch die weiterreichenden Fragen einer friedlichen und würdigen Existenz in der Zeit, in die die hineingehen, die nach uns kommen. Ein Volk ist eben auch verantwortlich für seine Jugend. ({66}) Was aus ihr wird, geistig und materiell - wenn ich Ihnen zumuten darf, über den Begriff „geistig" mit nachzudenken, Herr Wohlrabe -, ({67}) dafür tragen wir Alteren Verantwortung. Es liegt mit an uns, statt Existenzflucht Lebensmut, statt Duckmäusertum ({68}) Freiheitswillen zur Entfaltung kommen zu lassen. Ich muß noch auf ein anderes Beispiel für grobe und zuweilen bösartige Desinformation zu sprechen kommen. ({69}) Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben das gute Recht, sich mit unserer Vertragspolitik kritisch auseinanderzusetzen. ({70}) Ich bestreite Ihnen aber das Recht, ein Mitglied dieses Hauses, das mit vielen anderen die Vertragspolitik nicht zerstören lassen will, einen Anwalt des Unrechts zu nennen. ({71}) Mit unserem Kollegen Egon Bahr, der aus den Reihen der Opposition so tituliert, also beleidigt wurde, sind wir der Meinung, daß die Vertragspolitik nicht zerstört werden darf, sondern daß sie zur Sicherung des Friedens und im Interesse der Menschen ,weiterentwickelt werden muß. ({72}) Was an uns liegt, wir werden sie nicht kaputtmachen lassen. In der Deutschlandpolitik - Herr Strauß hat darüber nicht gesprochen, aber ich rede darüber, denn wir reden über den Einzelplan 04 - hat sich die Haltung der Opposition leider weiter zum Negativen entwickelt. Nach dem, was man an Stimmen der Vernunft aus Kreisen der Opposition heute Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode Brandt nicht mehr hört, kann man bezweifeln, daß bei Abstimmungen noch so viele Stimmen der Enthaltung oder des Ja aus den Reihen der Opposition zu erwarten wären, wie das vor einigen Jahren der Fall war. ({73}) Das Abrutschen auf das heute zu vernehmende Niveau des totalen Nein ist für die Deutschlandpolitik unseriös und damit schädlich. ({74}) Die Erfolge der Politik dieser Koalition sind bei allen Rückschlägen oder nicht geleugneten, nicht vermeidbaren Unvollkommenheiten so, daß es zu ihrer Fortsetzung keine Alternative gibt. Wenn wir die andere Seite in Schwierigkeiten sehen, so mag das kein Grund zu großem Bedauern sein. Aber es darf im Interesse unseres ganzen Staates und seiner Menschen kein Grund sein, ein Feuer zu schüren, das außer Kontrolle geraten könnte. ({75}) Die Opposition sollte im übrigen nicht vergessen, daß sie sich über die Verletzung von Verträgen durch die DDR beklagt, die sie selber mehrheitlich abgelehnt hat. Ich will, was die Entspannung im allgemeinen angeht, noch folgendes hinzufügen. Die Entspannung gedeiht leider nicht von allein. Man muß etwas für sie tun. Alle müssen etwas für sie tun. Es ist meine Überzeugung, daß die Entspannung über die nächsten Jahre hinweg nicht bestehen wird., wenn sie nicht auch auf dem Gebiet der Rüstungen, also des Verhältnisses der Rüstungen zueinander und der Rüstungsbegrenzungen, bestätigt und konkretisiert wird. Darüber hat Herr Strauß nicht sprechen wollen oder nicht mehr sprechen können. Daran dachte ich, als ich vorhin sagte, daß er sich zu einigen der drängendsten Fragen nicht ausgelassen hat. Dies ist für uns Sozialdemokraten mit die drängendste Frage: im letzten Jahr 400 Milliarden Dollar für Rüstungsausgaben; wen könnte das ruhig schlafen lassen! ({76}) Es ist wahr, Herr Strauß hat sich kurz zur Neutronenwaffe und zu einem Brief Breschnews geäußert, den ich nicht kenne und den vermutlich auch Herr Strauß nicht kennt. Ich meine, die Grauzonenwaffen müssen in die Verhandlungen zwischen Ost und West einbezogen werden. ({77}) Ich finde es unbefriedigend, daß die SU polemisiert, ohne selber einen Verzicht auszusprechen, und daß sich die CSU über Waffen freut, über die noch gar nicht entschieden worden ist. ({78}) Wir brauchen, wenn der Menschheit - nicht nur unserem Volk - nicht gewaltige Gefahren drohen sollen, ernsthafte Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle, über SALT II hinaus hin zu einem ersten Einstieg, ({79}) zu einem stabilisierenden Akt als Ergebnis der Wiener Verhandlungen. Wir brauchen - auch davon war hier nicht die Rede - eine erste, wenn auch noch so schwache Verknüpfung zwischen Rüstung und Entwicklung oder, wenn Sie wollen, zwischen Weltrüstung und Welthunger. Dies muß zu einem Hauptpunkt der in Aussicht stehenden Sonderversammlung der Vereinten Nationen gemacht werden. ({80}) Hier war heute morgen auch nicht vom Nahen Osten die Rede. Ich kann hier an einem Tag wie diesem, nach der Sadat-Rede und nach der Begin-Rede, nicht sprechen, ohne dazu auch ein Wort aus meiner und unserer Sicht zu sagen. Ich hoffe, nein, ich bin sicher, wir sind alle in diesem Haus der Überzeugung, daß es uns Deutsche und Europäer mitbetrifft, was sich dort vollzieht, daß wir dem mutigen Aufeinander-Zugehen mehr als Sympathie entgegengebracht haben und daraus die Hoffnung ableiten, daß nicht ein Rückfall in eine zerstörerische Entwicklung eintritt. Wenn es so ist, daß wir hierüber gar nicht zu streiten brauchen, dann will ich im Namen der SPD ausdrücklich hinzufügen: Das Bemühen um eine friedliche Lösung in dieser unserer Nachbarregion darf bitte nicht aufgegeben und darf bitte nicht verschüttet werden. Wir sind mit ganzem Herzen bei denen, die nicht aufgeben, sondern sich um gesicherten Frieden und eine möglichst gerechte Lösung für alle Beteiligten in der Region bemühen. ({81}) Und wir meinen, daß die Bundesrepublik Deutschland in und mit der Europäischen Gemeinschaft dieses Bemühen begleiten und ermutigen muß: a) durch Mitverantwortung, sogar durch Mitgarantie, wenn dies erwünscht ist, ({82}) b) durch das Inaussichtstellen einer umfassenden friedlichen Kooperation zwischen jener Region und dem sich organisierenden Europa. Wenn ich nun noch mal von mir selbst sprechen darf, möchte ich sagen: Sie haben ein gräfliches Mitglied Ihrer Fraktion ohne Widerspruch sagen lassen, ich - ich zitiere jetzt - betreibe das Geschäft Moskaus. Weshalb? Weil - so war die Logik, wenn es eine gibt - ich in Daressalam und in Lusaka mich dafür eingesetzt habe, daß der Rassismus und die Reste des Kolonialismus im südlichen Afrika überwunden werden, und zwar so rasch wie möglich. ({83}) Ich bin nicht geneigt, mich hiervon abbringen zu lassen. Die Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie die Beschlüsse der Vereinten Nationen weiterhin ernst nimmt. ({84}) Dadurch - Herr Kollege, der Sie zwischenrufen - kann unnötiges Blutvergießen vermieden und der Gefahr begegnet werden - und diese Gefahr existiert -, daß unser Nachbarkontinent zum Schauplatz von zerstörerischen Großmachtkonflikten wird. ({85}) Da mögen uns einige nennen, was sie wollen: Wir sind gegen Rassenherrschaft und Kolonialismus, ({86}) für friedlichen Ausgleich, wo immer er noch möglich ist, und für freundschaftliche Verbindungen mit denen, die sich ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit nicht länger vorenthalten lassen wollen. ({87}) Ich kann es mir bei dieser Gelegenheit nicht verkneifen, Sie daran zu erinnern, daß der Streit um wichtige Teilgebiete der Außenpolitik früher anders ausgetragen worden ist. Wir Sozialdemokraten hatten ernste Bedenken gegen wichtige außenpolitische Vorhaben, die mit dem Namen Konrad Adenauer verbunden waren und bleiben. Darüber ist hier leidenschaftlich gestritten worden, bis sich die objektive Lage geändert hatte. Aber ich bitte die älteren Kollegen, sich einmal daran zu erinnern und es vielleicht auch den jüngeren zu sagen, wie peinlich wir Sozialdemokraten im Ausland darauf geachtet haben, gemeinsame Interessen wahrzunehmen, obwohl wir in der Opposition standen, jedenfalls nicht der Regierung des eigenen Landes Knüppel zwischen die Beine zu werfen. ({88}) Konrad Adenauer und Heinrich von Brentano haben das zu würdigen gewußt, und ich vermute, daß gerade der Kollege Gerhard Schröder aus der damaligen Zeit nicht nur Negatives in Erinnerung behalten hat. Ich weiß wohl: Im Bewußtsein vieler werden die staatspolitischen Aufgaben einer konstruktiven parlamentarischen Opposition nicht gewürdigt oder gering geachtet. Wir Sozialdemokraten haben hierzu seinerzeit einen nicht einfachen, sondern teilweise schmerzhaften Lernprozeß durchmachen müssen. Aber wir haben das im Laufe einer einzigen, nämlich der ersten, Legislaturperiode hinter uns gebracht. Andere bemühen sich darum nun schon - wenn sie es tun - im neunten Jahr. ({89}) Konstruktives Zusammenwirken von Regierung und Opposition erfordert das Ringen um bessere Lösungen, wenn es sein muß, auch mit harten Bandagen. Aber der politischen Auseinandersetzung, dem legitimen Kampf um politische Macht sollten - ich nehme auch diesen Faden wieder auf - doch Grenzen gesetzt sein. Sie waren nicht zuletzt durch die prinzipielle Regierungsfähigkeit gesetzt, die auch eine Opposition nachweisen muß. Aber ich gebe zu, es wird vielleicht immer schwieriger, über den lang gewordenen schwarzen Schatten zu springen. Bundespräsident Walter Scheel hat um die Jahreswende in einem Interview mit Recht darauf hingewiesen, daß die Grenzen der Zukunft sichtbar geworden seien. Er fügte hinzu, diese neue Erfahrung werde die westliche Zivilisation tiefgreifend verändern. Der Bundespräsident fuhr fort - ich darf zitieren -: Ich mache mir Sorgen darüber, ob wir uns als fähig erweisen, die Grenzen frühzeitig, richtig und in vollem Umfang zu erkennen und diese Erkenntnis in unser Handeln, in unsere politischen Entscheidungen einzubeziehen. Ich mache mir Gedanken - so der Bundespräsident über die Funktionsfähigkeit und die Anpassungsfähigkeit unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung und ihrer staatlichen Institutionen angesichts dieser großen Herausforderung. Der Bundespräsident kam zu dem Schluß: Ich halte es für die große Aufgabe der Politik, neue politische Gesamtbilder zu erarbeiten, wie wir in Zukunft leben können und wie wir in Zukunft leben wollen. Soweit das Zitat. Das sollte in der Tat unsere Aufgabe sein, auch hier 'in diesem Parlament. Dieser Wettstreit ist es wert, aufgenommen zu werden. Wenn wir dem ausweichen, darf sich niemand wundern, wenn sich politisches Interesse von Bürgern am Parlament und an Parteien vorbei artikuliert, ja, sich dann auch auf eine Weise Ausdruck zu verschaffen sucht, die an die Substanz des demokratischen Staates rühren kann. Es ist Aufgabe und Pflicht sowohl der Koalition als auch der Opposition, sich Gedanken über das zu machen, was auf uns zukommt. Es ist unsere Pflicht, dies neben unserer Tagesarbeit nicht zu versäumen, jeder auf seine Weise. Aber warum eigentlich nicht dort, wo es geht, auch im Gespräch miteinander? Ich will jetzt nur auf einen Aspekt dessen hinweisen, was mit neuen Grenzen zu tun hat, mit tiefgreifenden Veränderungen für die westliche Zivilisation, und ich möchte damit eine Bitte verbinden dürfen. Mich hat gefreut, daß in der Regierungserklärung der vorigen Woche über die neue unabhängige Kommission für internationale Entwicklungsfragen Freundliches, Positives gesagt worden ist, jene Kommission, deren Vorsitz ich auf Vorschlag von Weltbankpräsident McNamara übernommen habe. Meine Partei betrifft dies auch, aber erst in zweiter Linie; denn ich habe den Vorsitz jener Kommission nicht als Parteivorsitzender, sondern in persönlicher Verantwortung übernommen, gemeinsam mit Kollegen aus einer Reihe anderer Länder und aus sehr unterschiedlichen Erfahrungsbereichen. Natürlich habe ich Wert darauf gelegt, auch Kollegen aus konservativen und christdemokratischen Erfahrungsbereichen um ihre Mitarbeit zu bitten, und sie sind freundlich genug gewesen, diese zuzusagen. Deshalb habe ich die Bitte, das ernsthafte Bemühen - schwierig genug wird es sein - um einen neuen überparteilichen Beitrag zum weltweiten Nord-Süd-Dialog nicht ohne Not durch kleinkarierBrandt ten bundesrepublikanischen Parteienstreit zu belasten. ({90}) Ich weiß nicht, ob die Kommission den in sie gesetzten Erwartungen auch nur einigermaßen wird gerecht werden können, wenn sie ihren Bericht in eineinhalb Jahre vorlegt. Aber es ist gewiß an der Zeit, die Beiderseitigkeit und die Gegenseitigkeit der Interessen von Industrieländern und Entwicklungsländern neu zu definieren. Das ist nicht möglich, wenn man dogmatisch gefärbte Brillen aufsetzt. Nicht die CDU insgesamt, aber Übereifrige aus ihren Reihen haben gemeint, wir, die wir diese Arbeit in Gang gesetzt hätten, seien vom Weg der marktwirtschaftlichen Tugend abgewichen, als wir in jener Kommission in Übereinstimmung mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Herrn Waldheim, von der Notwendigkeit einer neuen weltwirtschaftlichen Ordnung gesprochen haben. Das ist doch, wenn man nicht unbedingt Streit sucht, kein Anlaß, Streit zu führen. Auf den Inhalt wird es ankommen, weniger auf die Überschrift, und die allermeisten von uns werden sich darüber im klaren sein, daß es in den internationalen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen nicht nur kosmetischer, sondern tiefgreifender Veränderungen bedarf. ({91}) Die Welt, in der wir leben, kann nicht nur durch das Ergebnis von Wettrüsten und nuklearer Eskalation in die Luft gejagt werden; auch internationaler Klassenkampf - wenn das Wort hier richtig verstanden wird - kann an den Rand der Katastrophe oder von Katastrophen führen. ({92}) Unsere eigenen Interessen sind direkt und indirekt in vielfacher Hinsicht berührt. Deshalb brauchen wir viel Aufgeschlossenheit für die neuen Probleme, wir brauchen die Fähigkeit, über unsere eigenen Beiträge gründlich und unvoreingenommen nachzudenken, und ich bin sicher, daß ich nicht nur von Kollegen meiner eigenen Fraktion verstanden worden bin. ({93})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Der Herr Kollege Brandt hatte dankenswerterweise schon in seiner Rede darauf hingewiesen, daß der Herr Kollege Strauß zur Zeit von Herrn Staatspräsident Bongo empfangen wird. Er legt verständlicherweise Wert darauf, daß das Hohe Haus das weiß, weil er unmittelbar nach seiner Rede für 11/2 Stunden das Haus verlassen mußte. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die geballte Polemik des Kollegen Strauß ist auf die Bundesregierung und den Haushalt niedergegangen. Nun, ich habe gar nichts gegen Polemik, . insbesondere dann nicht, wenn sie gekonnt vorgetragen wird und das Salz der parlamentarischen Auseinandersetzung ist. Aber mit Formulierungen wie „Kriegsfinanzierung im Frieden" und bösartigen Unterstellungen im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung ist doch wohl die Grenze des guten Geschmacks weit überschritten. ({0}) Es wurde wieder einmal knallhart zugeschlagen, aber kräftig danebengehauen. ({1}) Kollege Strauß hat dann noch vorgeschlagen, einen Rumpelstilzchen-Preis zu stiften. Beim Stiftungsakt kann er ganz gewiß aus einem schillernden Fundus seines eigenen politischen Lebens schöpfen. ({2}) Gerade bei dem von ihm gewählten Beispiel von dem zum Siegen angetriebenen Rennpferd, dem die Vorderbeine zusammengebunden sind, wird dies für jeden ganz eindringlich plastisch, denn ganz genau so geht er mit dem Oppositionsführer um. ({3}) Auch wenn der Kollege Strauß der Bundesregierung vorwirft, sie jage einem Phantom nach, muß er wohl von seiner eigenen Vergangenheit getrieben und verfolgt worden sein; sein Phantom heißt nämlich Starfighter. ({4}) Aber angesichts der problemgeladenen aktuellen Situation werde ich jetzt auf einen Ausflug in die Vergangenheit verzichten. Bei der CDU/CSU wird eine solche Rückschau immer gleich zu einem Stück Selbstbeweihräucherung; Entscheidungshilfen werden dadurch nicht geliefert und Entscheidungen nicht begünstigt. Gleichwohl - das verstehe ich - möchten Sie immer wieder das Bild entstehen lassen, daß wir zu Unions-Zeiten im Schlaraffenland lebten, weil die CDU/ CSU nun einmal zum Wirtschaftslenker und Menschheitsbeglücker geboren ist. Dagegen sind die Sozialliberalen aus Ihrer Sicht - naturgemäß aus schwarzer Perspektive - das genaue Gegenteil davon. Mit diesem immer wieder aufgewärmten Märchen kann Franz Josef Strauß zwar immer noch seine Kollegen hier entzücken, aber anderswo ist damit niemand mehr zu beglücken, selbst nicht im Bayerischen Wald. ({5}) Unsere Bevölkerung wünscht präzise Antworten auf aktuelle Fragen. Im Zusammenhang mit dem Haushalt 1978 ist es deshalb erforderlich, auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des letzten Jahres zurückzugreifen; denn die wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele, denen dieser Haushalt zu dienen hat, werden naturgemäß durch den Wirtschaftsablauf des vorangegangenen Jahres entscheidend beeinflußt. Das Wirtschaftswachstum ist im Jahre 1977 nicht so vorangekommen, wie es den beschäftigungspolitischen Erfordernissen entsprochen hätte. Bei einem realen Wirtschaftswachstum von nur 2,5 % hat sich die Arbeitsmarktlage insgesamt nicht verbessert. Allerdings konnten bei der Preisentwicklung erfreuliche Stabilisierungsfortschritte erzielt werden. So gut wie die Bundesrepublik steht in Sachen Stabilität kein Land sonst in der Europäischen Gemeinschaft da. ({6}) Die Gründe für die Verlangsamung des Wachstums sind bekannt; sie müssen nicht wiederholt werden. Es kann auch eine Aufzählung dessen unterbleiben, was an steuerlichen Entlastungsmaßnahmen und gezielter Investitionssteigerung durch Bundesregierung und Parlament geschehen ist, um die Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen zu verbessern. Der tatsächliche Wirtschaftsablauf des vergangenen Jahres stand zu den der Wirtschafts-und Finanzpolitik zunächst zugrunde gelegten Annahmen in einem herben Mißverhältnis. Das wird am krassesten bei der Halbierung des realen Wirtschaftswachstums deutlich. Die Diskrepanz, die sich ' zwischen Prognose und Wirklichkeit aufgetan hat, läßt erkennen, wie groß die Unsicherheitsfaktoren auf diesem Gebiet immer noch sind. Man wird das für die Projektion vorhandene Instrumentarium durch aussagekräftigere Indikatoren verbessern-müssen, und die Wirtschaftsentwicklung muß sicher kurzfristiger überprüft werden, um schneller auf Konjunktureinschläge und Abweichungen von der Projektion reagieren zu können. Der stark veränderte Zyklus unseres Wirtschaftsablaufs erzwingt das. Die Annahmen der Bundesregierung für 1977 waren dabei durchaus gut begründet. Sie wurden zudem durch die Aussagen der wissenschaftlichen Institute, der Sachverständigen und nicht zuletzt auch durch die Empfehlungen der Bundesbank gestützt. Es handelte sich keineswegs um verbreiteten Zweckoptimismus und nicht um geschönte Zahlen. Die jetzt offenliegenden Ursachen für den negativen Wirtschaftsablauf machen dies ja auch zur Genüge deutlich. Richtig ist allerdings, daß von Anbeginn Skepsis vorhanden war. Aber damit soll man Prognosen ja wohl nicht füttern. Ein nicht unbedeutender Faktor für die zu schwachen Auftriebstendenzen hat in dem verzögerten Vollzug der öffentlichen Haushalte gelegen. Der Bundeshaushalt 1977 hatte zwar seine Anlaufschwierigkeiten, aber er ist dann ohne Reste gefahren worden und konnte so voll konjunkturwirksam werden. Von den Haushalten der Länder und Gemeinden kann Vergleichbares dagegen leider nicht gesagt werden. Bei ihnen fehlte es an der notwendigen Ausgabensteigerung. Sie ist erheblich hinter den für die Konjunkturbelebung anvisierten Projektionsdaten zurückgeblieben. ({7}) Die Suche nach den Schuldigen hilft aber nicht weiter. Wir müssen erkennen, daß bei der Voraussage der Wirtschafts- und Konjunkturentwicklung die letzte Sicherheit eben nicht zu gewinnen ist. Das mag für den Politiker unbefriedigend sein, und die Zweifel an den wissenschaftlichen Daten mögen sich verstärken. Dennoch sollte uns diese Erkenntnis nicht deprimieren. Zeigen wir uns nicht überrascht, sondern räumen wir ruhig ein, daß Wirtschaftspolitik eben nicht mit mathematischer Genauigkeit zu betreiben ist. Suchen wir Trost bei Albert Hahn, der die Theoriegläubigkeit auf diesem Gebiet schon frühzeitig attackiert hat. Nach seiner Auffassung „gibt es keine wissenschaftliche Methode, Konjunkturumbrüche zu prophezeien. Alles ist Sache des Konjunkturgefühls". Er konnte über die offiziellen und offiziösen Propheten des Unprophezeibaren nur lachen. ({8}) „Konjunkturen sind eben Kinder der Ungewißheit und des Irrtums. Niemand kann wissen, wie weit die Wellen des Optimismus oder Pessimismus im Publikum schlagen werden." Mit dieser Ungewißheit gilt es also zu leben und Wirtschafts- und Finanzpolitik zu treiben. Meine Damen und Herren, für 1978 haben wir alles daranzusetzen, eine nachhaltige Belebung der Wirtschaftstätigkeit zu erreichen und gleichzeitig weitere Fortschritte auf dem Feld der Stabilität zu machen. ({9}) Nur so können die Voraussetzungen für die schrittweise Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden. Die Annahme eines realen Wirtschaftswachstums von 3,5% zeugt erneut von einer optimistischen Wirtschaftsprognose. Schließlich ist dieser Jahresdurchschnitt nur dann zu erreichen, wenn im Jahresverlauf zu einem Aufschwung bis zu etwa 4,5 % gelangen. Dies muß fast aus dem Stand geschafft werden, weil der Überhang aus dem vergangenen Jahr äußerst bescheiden ist. Die Hoffnung darauf kann allerdings aus der ansteigenden Tendenz der Auftragslage - und hier besonders bei den Investitionsgütern - gefunden werden. Auch die Konsumgüternachfrage im Inland hat sich im zweiten Halbjahr positiv entwickelt. Dabei wird das auf der Exportseite aus Dollarschwäche und Kursentwicklung bestehende Risiko keineswegs übersehen. Trotz dieser alles in allem gedämpft optimistischen Betrachtung werden für das Jahr 1978 entscheidende Veränderungen bei den Beschäftigungszahlen nicht eintreten. Für einen spürbaren Abbau der Arbeitslosenzahlen brauchen wir eine durchgreifende Konjunkturbelebung; denn nur sie kann die arbeitsplatzschaffende Investitionsausweitung bringen. Die so gekennzeichnete Lage zeugt von einem gestörten gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht in der Bundesrepublik Deutschland, und alle Anstrengungen im gesamtwirtschaftlichen- und finanzpolitischen Verhalten sind darauf zu lenken, diesen Zustand zu überwinden. An dieser Aufgabe hat sich auch die Haushaltswirtschaft zu orientieren. Der vom Haushaltsausschuß veränderte und zur Beschlußfassung vorliegende Entwurf des Bundeshaushalts 1978 ist also daran zu messen, ob er dieser Verpflichtung gerecht wird. Zunächst einmal beweist auch der Etat 1978 mit einer über 10 % igen Steigerungsrate, daß den wirtHoppe schafts- und konjunkturpolitischen Erfordernissen mit einer bewußt expansiven Haushaltspolitik Rechnung getragen wird. Schon in der ersten Lesung habe ich davon gesprochen, daß der Haushalt so zum Packesel der Konjunktur geworden ist. Ich habe dabei versucht, auf die Gefahren hinzuweisen, die sich dann für die Staatsfinanzen ergeben, wenn zu lange und zu rigoros Haushaltsdefizite produziert werden, um Ausgaben in solcher Höhe zu finanzieren, wie sie uns die Konjunkturprognostiker abverlangen. ({10}) So gesehen ging das von der Bundesregierung unterbreitete Zahlenmaterial schon an die Grenze der vertretbaren Belastbarkeit. Nach der Beratung und der notwendig gewordenen Erhöhung der Nettokreditaufnahme auf fast 31 Milliarden DM ist der Haushalt jetzt wohl als endgültig ausgereizt zu bezeichnen. Die auf diesem Wege auszugleichende Minderung von rund 3,6 Milliarden DM Steuereinnahmen resultiert aus dem Steuerentlastungsgesetz mit rund 1,4 Milliarden DM und dem Ergebnis der Steuerschätzung von Dezember 1977 mit einem geringeren Aufkommen von 2,2 Milliarden DM. Die Neuverschuldung in dieser Höhe liegt damit um knapp 2 Milliarden DM über der Summe der veranschlagten Investitionen. Sie überschreitet die nach Art. 115 des Grundgesetzes gezogene Grenze für die Kreditaufnahme im Normalfall. Der Ausnahmetatbestand wird aber dadurch gerechtfertigt, daß die auf diesem Weg zu finanzierenden wirtschaftspolitischen Anstrengungen zur Wiedergewinnung des konjunkturellen Gleichgewichts zwingend notwendig sind. ({11}) Daß dies den wirtschaftspolitischen Gegebenheiten und damit der Verfassungslage der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich entspricht, sollte niemand ernsthaft leugnen. In dankenswerter Objektivität hat auch der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Herr Kollege Windelen, in seiner nach Abschluß der Etatberatung abgegebenen Erklärung am 2. Dezember 1977 zur Nettokreditaufnahme und Verschuldung in dieser Höhe festgestellt, „daß man sie angesichts der düsteren Aussichten für den Arbeitsmarkt für ein einzelnes Jahr, rein gesamtwirtschaftlich betrachtet, als vertretbar anzusehen hätte". ({12}) Diese Einschätzung entspricht der Annahme der Opposition, wie sie bereits im September 1977 vertreten wurde. In dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Anwendung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 5. September 1977 wird eine eindeutige Feststellung darüber zur Begründung der geforderten Anwendung des Stabilitätsgesetzes getroffen. Wenn damals von der Opposition zu Recht auf das niedrige Wachstum des Sozialprodukts, die langanhaltende Arbeitslosigkeit und den Nachfragerückgang an Investitionen und Bauleistungen hingewiesen wurde, so ist festzustellen, daß diese negativen Faktoren nicht nur fortwirken, sondern um die aus der Dollarschwäche resultierende außenwirtschaftliche Komponente noch verschärft worden sind. ({13}) An dieser Stelle sollte die Opposition jedenfalls nicht den Vorwurf des leichtfertigen Umgangs mit der Verfassung oder gar des Verfassungsverstoßes erheben. Wir können den wirtschaftspolitischen Zwängen des Augenblicks nicht ausweichen. Zur Stützung der Konjunktur mußte der Versuch einer Nachfragebelebung über den Haushalt gemacht werden. Bei aller Skepsis gegenüber einem durchschlagenden Effekt haushaltspolitischer Maßnahmen hat sich letztlich auch die Opposition einer expansiven Haushaltspolitik nicht versagt. Sie erklärt zwar, daß sie den zweistelligen Ausgabenzuwachs des Haushalts für falsch hält; dennoch sind ernstzunehmende Einsparungsvorschläge nicht auf den Tisch gekommen. Von der Opposition für ihre Kürzungsabsichten ins Feld geführte Beispiele lassen doch sehr deutlich erkennen, daß man zwar bemüht war, für die Deklamationen bezüglich Ausgabensenkung den Schein der Glaubwürdigkeit zu liefern, daß sie aber einer kritischen Prüfung auf Durchführbarkeit nicht standhalten. Im einzelnen wird dies bei der Beratung des Einzelplans 12, wo die CDU einen Antrag auf Kürzung eines Investitionszuschusses um 500 Millionen DM gestellt hat, und beim Einzelplan 32, wo sie 200 Millionen DM beim Diskont für Schatzanweisungen kürzen wollte, noch deutlich zu machen sein. Ist aber trotz aller Wünsche, Absichtserklärungen und Beschwörungsrituale eine Senkung der Ausgaben im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht durchzusetzen, dann muß es bei der beschlossenen Höhe der Neuverschuldung bleiben. Mit dieser die Haushaltsentscheidung 1978 rechtfertigenden Begründung dürfen wir uns allerdings alle miteinander nicht beruhigen: Allein die Tatsache, daß es hier um ein verfassungsrechtliches und verfassungspolitisches Problem von Gewicht geht, macht auf die politische Bedeutung aufmerksam. Niemand sollte leichtfertig dieses Warnsignal übersehen, das wir alle hier empfangen. Es kann keine Meinungsverschiedenheit darüber geben, daß derart hohe Kreditaufnahmen kein Dauerzustand sein können. ({14}) Allein die Vorbelastungen, die sich bei der gegenwärtigen Staatsverschuldung aus dem Zins- und Tilgungsdienst für die nächsten Haushalte ergeben, werden für das Etatjahr 1979 brisant sein. ({15}) Dabei müssen wir schon jetzt erkennen, daß die Verschuldung des laufenden Haushalts 1978 noch steigen wird. Das, was gemeinhin sonst über Haushaltsrisiken am Schluß einer solchen Beratung zu sagen ist, hat - ich nenne hier nur die Stichworte Stahl und Koks, Kohle - längst einen Punkt erreicht, der zur düsteren Gewißheit geworden ist. Die jetzige Lage darf also für die Zukunft bereits auf einem höheren Niveau fortgedacht werden. Es ist deshalb langsam an der Zeit, die drückenden Finanzprobleme nicht immer nur für die kommenden Jahre zu beschreiben und in die Zukunft zu prophezeien. ({16}) Wir können uns nicht mehr damit beruhigen, daß es zur Stunde zwar schwierig ist, aber doch alles noch lösbar erscheine. Aber wenn ich dies sage, fürchte ich gleichwohl, daß die Bereitschaft zum Handeln sich erst dann einstellen wird, wenn sie mit dem Entwurf des Haushaltsplans 1979 auf den Tisch gelegt wird. Bei der ersten Lesung ist zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Kollegen Strauß mit nautischen Begriffen gestritten worden. Während der Bundesfinanzminister darauf hinwies, daß die Finanzpolitik Mühe habe, sich dem immer schnelleren Wechsel der wirtschaftspolitischen Gegebenheiten anzupassen, weil sie kein flinkes und wendiges Rennboot sei, wollte der Kollege Strauß Schwimmwesten austeilen, um Untergangsstimmung zu verbreiten. ({17}) Die Manövrierfähigkeit des Haushalts, meine Damen und Herren, ist zwar eingeengt, aber von einem leckgeschlagenen Boot kann in diesem Zusammenhang wohl nicht die Rede sein. ({18}) Wenn ich das Wortspiel aus der ersten Lesung noch einmal aufnehme, möchte ich die Anmerkung hinzufügen, daß das Boot zwar voll seetüchtig ist, ({19}) aber nicht auf Dauer als Unterseeboot gefahren werden kann. ({20}) Eine solche Übung könnte zudem eine demoralisierende Wirkung haben. ({21}) Daraus entsteht nämlich leicht jene Stimmung, in der es gleichgültig wird, ob man einen Meter oder hundert Meter unter der Wasseroberfläche ertrinkt. ({22}) Deshalb dürfen wir die in den letzten beiden Jahren in den Hintergrund getretene Aufgabe der Konsolidierung des Haushalts und der Sanierung der Staatsfinanzen nicht aus den Augen verlieren. Wir werden das nur erreichen, wenn wir auch die Ausgabeseite unseres Haushalts wieder schärfer unter die Lupe nehmen ({23}) und bei Neuverteilung der Lasten streng nach dem Gesichtspunkt des sachlich Notwendigen entscheiden. ({24}) Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit ist vieles in Frage gestellt worden. Es scheint jetzt an der Zeit, die Frage nach Sinn und Zweck einzelner Staatsausgaben neu zu stellen. ({25}) Dabei wird nicht nur die Berechtigung der einzelnen Ausgaben neu zu überprüfen sein, sondern auch die zahlreichen Zuwendungsempfänger und Kostgänger des Bundes ({26}) werden ihre Ansprüche noch einmal auf ihre Unabweisbarkeit abklopfen lassen müssen. ({27}) Es ist, wie mir scheint, unausweichlich, sich eingehend mit den Problemzonen des Haushalts zu beschäftigen und die schwachen Stellen zu analysieren und auf Abhilfe zu sinnen. ({28}) Das Einnahmeminus bei den Steuern zeugt nicht nur von Konjunkturschwäche, sondern ist auch - und daran sollten wir, auch die Zwischenrufer, dann alle miteinander denken - das Resultat des eigenen Steuerverzichts. Der Steuerausfall als Folge von Steuererleichterungen mußte ertragen werden, weil diese Maßnahme als langfristig wirkender Investitions- und Konjunkturanreiz unumgänglich war, ({29}) so wie es dann auch die Ratgeber der Bundesregierung empfohlen hatten. ({30}) Ob die im Vermittlungsverfahren, meine verehrten Kollegen, zusätzlich geschnürten Geschenkpäckchen tatsächlich wirtschaftlich geboten, haushaltspolitisch vertretbar und deshalb in diesem Augenblick politisch klug waren, wird angesichts unserer defizitären Lage wohl umstritten bleiben. ({31}) Die für den Haushalt 1978 wirksam werdende neue Steuerverteilungsquote aus dem Verteilungskompromiß zwischen Bund und Ländern ist vom Haushaltsausschuß zwar mit der Haushaltslage vereinbar erklärt worden. Ob sie dies bei der schlechten Finanzlage aber wirklich ist, darf in diesem Fall ernsthaft angezweifelt werden. ({32}) Politisch, meine Damen und Herren, war auch dieser Entscheidung nicht auszuweichen. Zu wünschen wäre aber wenigstens, daß diese schmerzliche Vorleistung des Bundes die Länder dazu bringt, daß auch sie ihre Entscheidungen an gesamtstaatlichen Interessen orientieren. ({33}) Wir sollten jedoch unsere Erwartungen hier nicht zu hoch schrauben. Das parteipolitische Kalkül wird bei der Auseinandersetzung um die Finanzmasse auch künftig nicht auszuschalten sein. Und wenn erst Franz Josef Strauß als Bayerischer Ministerpräsident mitmischt, wird Kreuth sicher ganz groß und Bonn ganz klein geschrieben. ({34}) Meine Damen und Herren, bei dieser nicht sehr ermutigenden Perspektive wird es nicht leicht sein, ein drängendes Thema unserer Steuerpolitik anzupacken: Ich meine die Korrektur des Steuertarifs. ({35}) Daß hier etwas geschehen muß, steht außer Frage. Wann es geschehen kann, läßt sich im Augenblick nicht absehen. Bei der gegenwärtigen Steuerschwäche und der horrenden Verschuldung wird es schwer sein, dieses Thema zu aktualisieren. Unsere Steuerfachleute haben schon gewußt, warum sie bei dem teuren Steuerkompromiß verdrießlich dreingeschaut haben. Meine Damen und Herren, es gehört schon ein kräftiger Schuß Optimismus und viel Selbstvertrauen dazu, um in dieser Lage noch von der Konsolidierung des Haushalts zu sprechen ({36}) und an den Abbau der Kreditfinanzierung zu glauben. Es ist bittere Wahrheit, daß der haushaltspolitische Spielraum durch die dramatisch steigende Zinslast mehr und mehr eingeengt wird. ({37}) Ohne Kurskorrektur wird die für Prioritätenentscheidungen zur Verfügung stehende Haushaltsmasse völlig aufgezehrt sein. ({38}) Das Ziel der Haushaltskonsolidierung darf deshalb nicht unter dem Schuldenberg versinken. ({39}) Meine Damen und Herren, der Entwurf des Bundeshaushalts sah bereits eine beachtliche Steigerung der Investitionsquote vor. In den Beratungen ist es gelungen, diese noch zu erhöhen und damit die Struktur des Haushaltes zu verbessern. Die Entwicklung ist durch das Programm für Zukunftsinvestitionen im vergangenen Jahr eingeleitet worden. Dennoch bleibt die Relation von investiven zu konsumtiven Ausgaben nach wie vor unbefriedigend. ({40}) Wenn es aber trotz aller Anstrengungen nicht durchführbar war, die Investitionsausgaben weiter zu steigern, dann wird daraus doch deutlich, daß wir die im Bundeshaushalt liegenden Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft haben. ({41}) Wir - lassen Sie sich von Ihren sachkundigen Kollegen da aufklären ({42}) sind an die Grenze dessen gestoßen, was in der Kompetenz des Bundes überhaupt zu realisieren ist. ({43}) Wir werden die Investitionsanteile von Bund, Ländern und Gemeinden nicht entscheidend verändern können. Nach der Statistik des Jahres 1976 - und das hier als Beleg - ist es so, daß im Hochbau nur 5 %der Investitionsausgaben vom Bund getätigt wurden, 95% von den Ländern und Gemeinden, und zwar 25 % von den Ländern, 70 % von den Gemeinden. Im Tiefbau ist das Verhältnis wie folgt: 30 % der Investitionsleistungen liegen beim Bund, 70 % bei den Ländern und Gemeinden, und zwar 10 % bei den Ländern, 60 °/o bei den Gemeinden. ({44}) Meine Damen und Herren, es ist nun einmal so, daß nach der Aufgabenverteilung, wie sie sich aus der Verfassung ableitet, der Löwenanteil bei den Gemeinden liegt. Damit die hier vorhandenen Möglichkeiten noch besser als bisher genutzt werden können, ist eine angemessene Finanzausstattung der Gemeinden notwendig. Jetzt sind die Länder am Zuge. Nachdem sie durch das neue Verteilungsverhältnis bei der Umsatzsteuer so klar begünstigt worden sind, müssen sie ihre Verpflichtung gegenüber den Kommunen auch voll wahrnehmen. ({45}) Bedenklich hoch ist nach wie vor der Anteil der Personalkosten an den Gesamtausgaben des Staates. ({46}) Trotzdem haben wir nach Jahren der Enthaltsamkeit, in denen in der Bundesverwaltung keine neuen Personalstellen geschaffen wurden, in diesem Jahr 2400 neue Stellen bewilligt. Zum einen konnte der tatsächlich nachgewiesene Bedarf in einigen Bereichen des öffentlichen Dienstes nicht länger negiert werden, und zum anderen mußte auch die. öffentliche Hand ihren Beitrag zur Beschäftigungspolitik leisten. ({47}) Unter diesen Umständen wirkte der die Übung der Vorjahre schematisch nachahmende Antrag der Opposition, 900 Stellen im Verlauf des Jahres an anderer Stelle einzusparen, wie eine oppsitionelle Pflichtübung. Wegen der hohen Personalkosten wird sich jeder davor hüten, den öffentlichen Dienst einmal schnell zum Instrument der Arbeitsplatzbeschaffung zu machen. ({48}) Wir können uns keine Personalreserven leisten. Solche „Fettpolster" sind finanziell einfach nicht mehr zu verkraften. ({49}) Aber dort, wo ein zusätzlicher Personalbedarf entsteht, muß er auch gedeckt werden, damit die Verwaltung funktionsfähig bleibt. ({50}) Bei den Stellenvermehrungen im Bereich der inneren Sicherheit ist es allerdings gelungen, jenen zusätzlichen, Kosten produzierenden Nebeneffekt zu vermeiden, der nach dem üblichen Ritual von Stellenvermehrungen darin liegt, daß neue Stellen automatisch zur Verbesserung des Stellenkegels und damit der Beförderungschancen führen. Eine solche Automatik ist diesmal vermieden worden. Alles für die Sicherheit Nötige und zur Bekämpfung des Terrorismus Erforderliche ist getan, unnötige Ausgaben sind aber vermieden worden. In diesem Zusammenhang muß ein Wort zu der umstrittenen Umwandlung von rund 1 500 Beamtenplanstellen in Angestelltenstellen gesagt werden. Die Opposition möchte uns ideologische Gründe für diesen Beschluß unterstellen und sieht in der Maßnahme einen Angriff auf das Berufsbeamtentum. Nach Auffassung des Beamtenbundes stellt der Beschluß eine „eklatante Verletzung des Grundsatzes funktionsgerechter Personaleinsatzpolitik im öffentlichen Dienst dar" ; weiterhin ist er um „eine uneingeschränkte Sicherung rechts- und sozialstaatlicher Aufgabenerfüllung" besorgt. Eingeräumt werden muß aber von der Opposition und dem Beamtenbund, daß tatsächlich in weiten Bereichen der öffentlichen Verwaltung - auch und gerade im Verteidigungsministerium - Beamtenplanstellen über längere Zeiträume hinweg mit Angestellten besetzt wurden. ({51}) Allein dieser haushaltsrechtliche Aspekt war für die Stellenumwandlung ausschlaggebend. Dies habe ich jedenfalls mit allem Nachdruck für die Freien Demokraten zu erklären. Es entspricht doch den Tatsachen, daß im Verteidigungsbereich ein bestimmter Teil des Beamtenstellenplans auf Dauer für die Besetzung mit Angestellten reserviert war und daß zu keinem Zeitpunkt die Absicht bestand, Beamtenanwärter auf diese Stellen zu setzen. Hat sich aber eine vom Stellenplan des Haushalts so eklatant abweichende Personalpolitik in der Praxis verfestigt, dann müssen bei der Haushaltsberatung irgendwann einmal die Konsequenzen daraus gezogen werden. Meine Damen und Herren, nur so werden wir eine der Rechtslage entsprechende Ausstattung und Besetzung von Beamtenplanstellen erreichen. Der vom Beamtenbund angeratene Weg, die derzeitige Handhabung dadurch abzustellen, daß vom Parlament auf die Dienstbehörden Einfluß genommen werden soll, ist zwar theoretisch gangbar, aber in der Praxis - wie wir alle wissen - wenig erfolgversprechend. Deshalb mußte der Weg des spürbaren Eingriffs gewählt werden; denn eines ist gewiß nicht akzeptabel, daß die auf Dauer für Angestellte reservierten Beamtenplanstellen für den Restbereich des Stellenkegels zur Verbesserung der Beförderungspyramide herangezogen werden. Das kann nicht der Sinn eines ordentlich aufgebauten Stellenkegels sein. Das wird nur unnötig teuer für den Steuerzahler. ({52}) Eine solche Manipulation mit Beamtenplanstellen kann nicht geduldet werden. Meine Damen und Herren, wir werden daher allen Unkenrufen zum Trotz auch künftig dort, wo die Erledigung hoheitlicher Aufgaben durch Beamte zu erfolgen hat, Beamtenplanstellen schaffen und darauf hinwirken, daß sie auch mit Beamten besetzt werden. Wir haben jedenfalls mit diesem Beschluß in keiner Weise gewerkschaftlichen Forderungen nachgegeben. Wer glaubt, im Verteidigungsbereich hätten wir den ersten Teilabschnitt eines gewerkschaftlichen Umwandlungsfahrplans erfüllt, irrt. Dies sei mit aller Klarheit auch an die Adresse der Gewerkschaften gesagt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase gestatten?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Haase, ich möchte mit der Übung meiner Vorredner brechen und Ihnen gerne den Spielraum für eine Zwischenfrage durch den Präsidenten einräumen lassen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Bitte.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr liebenswürdig, verehrter Herr Kollege Hoppe. Ich will nur auf den Kostenfaktor eingehen. Ist es nicht aber doch so, daß uns die Kosten der Beamtenplanstellen, auf ein ganzes Berufsleben gesehen, preiswerter kommen als die bei der Besetzung einer Planstelle mit einem Angestellten?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie wissen, daß dieser Kostenvergleich umstritten ist, weil unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten werden. Sie wissen aber, daß selbst dann, wenn im Individualvergleich von Angestelltenstelle zu Beamtenplanstelle ein solches Minus für den Angestellten herauskommen sollte, dieser doch auch von Ihnen nicht gewollte Eichhörncheneffekt im Beamtenstellenplan uns im Hinblick auf die Beförderungschancen in jedem Falle teuer zu stehen kommt. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Hoppe, die Frau Kollegin Berger bittet Sie noch um eine Zwischenfrage.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn wir nun schon einmal bei Zwischenfragen sind, dann möchte ich insbesondere der verehrten Frau Kollegin Berger eine Zwischenfrage nicht verwehren.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Hoppe, nachdem ich ja Gelegenheit hatte, im Verlaufe der Haushaltsberatung die Streichung der 1 000 Stellen mit zu verfolgen und insoweit auch zur Kenntnis zu nehmen, daß eine gründliche Vorbereitung in den Fachausschüssen nicht stattgefunden hatte, würden Sie dann bitte meine Verwunderung noch nachträglich kommentieren bzw. dazu Stellung nehmen, daß man eine Frage dieser Art im Haushaltsausschuß mit den Stimmen der Mehrheit in einem solchen Hauruck-Verfahren durchgehauen hat.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Frau Kollegin, so wertvoll es sein kann, Kommentare aus Ihrem Munde zu hören - hier dürfen nur Zwischenfragen gestellt werden. - Bitte!

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Kollegin! Was das Verfahren betrifft, so entspricht es dem Arbeitsrhythmus des Haushaltsausschusses. Wer in einem Jahr zwei Haushaltspläne zu beraten hat, kann dies nur im Hauruck-Verfahren machen. Im übrigen weicht die Stellenplanentscheidung - auch was die Beteiligung der Fachausschüsse angeht - davon keinen Deut ab. Über den Inhalt dieser Maßnahme kann man durchaus weiter diskutieren und werden wir wahrscheinlich auch unterschiedlicher Meinung bleiben. In diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zur Tarifhoheit. Sie ist für Liberale eine entscheidende Voraussetzung der freien Marktwirtschaft. Aber dieses Recht der Tarifpartner begründet gleichzeitig eine Verpflichtung zum gesamtwirtschaftlich verantwortlichen Handeln. Eine Einigung der Tarifpartner auf dem Rücken der Verbraucher und der Steuerzahler schadet nämlich auf Dauer allen. ({0}) Darüber sollten sich auch die handelnden und verhandelnden Partner stets im klaren sein. Ich sage das nicht zuletzt auch im Hinblick auf die ausstehenden Tarifabschlüsse für den öffentlichen Dienst. Meine Damen und Herren, in der gegenwärtigen Situation ist deshalb Augenmaß in besonderer Weise gefordert. ({1}) In die Diskussion um die Rentenfinanzierung möchte ich mich hier absichtlich nicht einschalten. Wir wollen dieser Debatte nicht ausweichen. Die Sozialpolitiker werden sich am Donnerstag sicher mit großer Energie und Ausführlichkeit diesem Gegenstand zuwenden. Gerade durch den Verzicht auf die Behandlung dieser bedeutsamen politischen Sache will ich zum Ausdruck bringen, daß es sich dabei nicht um ein Thema des Haushalts handelt. Das, was an öffentlichen Leistungen in diesen Bereich eingespeist werden kann, ist mit diesem Haushalt geschehen; an eine Überbürdung weiterer Lasten ist nach meiner Auffassung nicht zu denken. Auf diesem Wege würden wir einerseits das auf dem Generationenvertrag basierende Sozialversicherungssystem aus den Angeln heben, und zum anderen endgültig die Leistungskraft des öffentlichen Haushalts überfordern. Es wäre gut, wenn diese Auffassung nicht nur von den Haushaltspolitikern vertreten würde. Franz Josef Strauß in diesem Zusammenhang von Betrug und Ausbeutung sprechen zu hören und damit die ernsthaften Bemühungen um den Fortbestand des Generationenvertrages belastet zu sehen, ist eigentlich nur noch schwer erträglich, dies um so mehr, als es doch die Opposition war, die vor der Bundestagswahl 1972 Löcher in das finanzielle Sicherungsnetz gerissen und so jene Probleme mit geschaffen hat, die es heute zu bewältigen gibt. Das Zahlenwerk des Haushalts konnte in den Beratungen des Haushaltsausschusses durch die vorgenommenen Umschichtungen ohne wesentliche Ausweitung des Ausgabevolumens punktuell verbessert werden. Die ihm zugrunde liegende konjunkturstützende Tendenz wurde dadurch noch verstärkt. Auf die daraus resultierenden, künftige Haushalte vorbelastenden Strukturmängel auf der Einnahmeseite habe ich deutlich hingewiesen. Bei ,der augenblicklichen angespannten Lage der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts war dieser Balanceakt unausweichlich. So gesehen bleibt die Feststellung aus der ersten Lesung zu bestätigen, daß dieser Haushalt die angemessene Antwort auf die 1978 anstehenden Fragen gibt. Aber die Probleme werden uns nicht in Ruhe lassen. Ein Nachtragshaushalt steht vor der Tür. Sein Zahlenwerk wird die finanzpolitische Gratwanderung erneut sichtbar machen. Es bleibt zu hoffen, daß in der ständigen Auseinandersetzung mit den Problemen die Bereitschaft für Entscheidungen wächst, mit denen wir unsere Haushaltswirtschaft wieder auf eine feste und ge- sicherte Grundlage stellen können. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen. ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Rede des Herrn Abgeordneten Hoppe mit großem Interesse gefolgt, ({0}) weil ich der Meinung bin, daß er insbesondere den Koalitionsparteien die eine oder die andere Wahrheit ins Stammbuch geschrieben hat. Ich will gleich mit einer anfangen. Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten unter Nr. 426 folgendes ausgeführt: Er begrüßt die beschlossenen Steuererleichterungen ausdrücklich, und zwar sowohl aus steuersystematischen Gründen - wegen der Entlastung bei den direkten Steuern und einer bescheidenen Entlastung bei den indirekten Steuern - als auch aus konjunktur- und wachstumspolitischen Gründen. Aber nun kommt der entscheidende nächste Satz. Nach der Meinung des Sachverständigenrats gehen diese Steuersenkungen erheblich über das hinaus, was insgesamt das leicht progressive Steuersystem auf längere Sicht an Spielraum für Steuererleichterungen geboten hätte. Ich will dies in aller Deutlichkeit festhalten, damit niemand, wenn morgen über Steuerpolitik geredet wird, sich dann auf anderen Lorbeeren, nämlich auf den Lorbeeren des Herrn Kohl von der letzten Woche aus dem Vermittlungsausschuß, ausruhen möge. Der Sachverständigenrat fügt einen weiteren Satz hinzu: Die Einführung eines neuen Progressionstarifs in näherer Zukunft müsse zumindest aufkommensneutral sein. Auch dies möchte ich denen ins Stammbuch schreiben, die in diesen Tagen - und auch schon in den letzten Wochen - bereits den nächsten Schritt zu weiteren Steuersenkungen im Jahr 1980 angekündigt haben. Ich bin Ihnen, Herr Kollege Hoppe, also sehr dankbar. Denn wenn aus dem Mund eines Koalitionsabgeordneten, eines Mitglieds der FDP-Fraktion, derartige Bemerkungen kommen, sind sie sicherlich von Bedeutung. Zu Wort gemeldet habe ich mich aber besonders deshalb, um die Halbwahrheiten und die Unrichtigkeiten, die in der Rede des ersten Sprechers der Opposition zu den mich bewegenden Themen ent-. halten waren, gleich am Beginn dieser viertägigen Haushaltsdebatte auszuräumen, damit sich hier nichts festsetzt. Ich beginne mit den Ursachen für das schwache Wirtschaftswachstum des Jahres 1977. Wir sehen insgesamt vier Ursachen, weswegen von der Projektion - Projektionen werden nicht von der Bundesregierung, sondern von den Sachverständigen gemacht; wir übernehmen Projektionen und beurteilen sie natürlich - Abweichungen erfolgten. Da sehen wir heute sehr deutlich: Es liegt zum einen daran, daß die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte 1977 zu schnell vorangegangen ist. Herr Kollege Hoppe, deswegen Vorsicht mit der Ankündigung einer zu massiven Konsolidierung im Tiefpunkt einer anhaltenden Rezession I ({1}) Aber hier wollen wir, wenn wir über Kontraktion der Wirkung der öffentlichen Haushalte sprechen, auch die Zahlen wirken lassen. ({2}) Länder und Gemeinden haben uns im Laufe des Jahres 1977 gesagt, sie bräuchten 25 Milliarden DM neue Schulden, um ihre Haushalte finanzieren zu können. Jetzt sind 'die Haushalte abgeschlossen. Länder und Gemeinden haben gerade 11 Milliarden DM Schulden gemacht. Der Bund dagegen hat seine Schuldenaufnahme von 22 auf 23 Milliarden DM gesteigert. Konsequenz: Hier liegt eine Ursache für ungenügendes Wirtschaftswachstum im Jahre 1977. Sie ist den anderen Gebietskörperschaften zuzuordnen, deren Nettokreditaufnahme von 25 auf 11 Milliarden DM zurückgefallen ist. Hier ist zu stark konsolidiert worden. Zweiter Punkt: die Investitionshemmnisse. Hierzu hat der Herr Kollege Strauß längere Ausführungen gemacht. Ich frage Sie nur, meine sehr verehrten Damen und Herren - und hier frage ich alle Kollegen des Hauses -, ob Sie denn eigentlich nicht wissen, daß die sogenannten Investitionshemmnisse natürlich zwar auch auf Bundesgesetzen beruhen, die normalerweise einstimmig in diesem Hause beschlossen werden, daß die übergroße Zahl der sogenannten Investitionshemmnisse aber auf Länder-und Gemeindeebene entsteht. Ich mache daraus ja niemandem einen Vorwurf. Aber wenn ich z. B. von meinem Kollegen Gaddum, dem CDU-Landesfinanzminister von Rheinland-Pfalz, höre, daß fast 90 % der Gemeinden in ihren Ballungszentren keine Bebauungspläne haben, weil sie sich vor der Auseinandersetzung mit dem Bürger fürchten, daß also die Bebauung dieser Zentren deswegen so schwierig und so langwierig ist und prozedural so lange hingezogen wird, dann sollten wir doch in Gottes Namen, wenn es um ein solch ernstes Problem geht, aufhören, hier in dieser so polemischen, Halbwahrheiten verbreitenden Art und Weise von Franz Josef Strauß miteinander umzugehen. ({3}) Drittes Problem: Franz Josef Strauß hat gesagt: Ihr - die Bundesregierung - verweist auf den Außenhandel; ihr gebt dem Außenhandel einen Teil der Verantwortung für das schwache Wirtschaftswachstum im Jahre 1977. Ich - Strauß - stelle fest, daß der Außenhandelsüberschuß genauso groß war, wie von euch projektiert. - So gesehen, ist das richtig. Aber an diesem Beispiel wird deutlich, wie man mit Zahlen manipulieren kann. ({4}) Die Ausfuhr ist nur genau halb so stark, wie erwartet, gestiegen. Die Einfuhr ist auch sehr viel geringer gestiegen. Der Saldo ist also der gleiche geblieben; nur die Expansionseffekte sind ungleich geringer gewesen. Insofern stimmt unsere Aussage und nicht die Aussage des Kollegn Strauß. So können wir Ökonomie in der Tat nicht betreiben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn wir so plakativ argumentieren, argumentieren wir an den Realitäten vorbei. ({5}) Herr Kollege Strauß hat dann - und damit bin ich bei meinem zweiten Punkt - große Zweifel an der Zweckmäßigkeit unserer Finanzpolitik geäußert. Ich kann Ihnen nur sagen, daß der Kollege Strauß in dieser Frage augenscheinlich, falls er die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion hat, mit dieser zusammen in der Betrachtung der Dinge allein auf weiter Flur steht. Die Sachverständigen und die Bundesbank sind sich darin einig, und auch die internationale Debatte in der OECD, in der EWG geht überall in die gleiche Richtung: Ihr müßt - und wir haben das Gott sei Dank getan - im Jahre 1977 auf Expansion umschalten, weil ihr schon im Jahre 1977 die gesteckten Wachstumsziele nicht erreicht. ({6}) Wie kann man nun, hochverehrter Herr Debattenredner, Expansion über öffentliche Finanzen machen? Man kann sie über öffentliche Investitionen machen. Man kann sich doch in der Debatte nicht, wie es der Herr Kollege Dr. Strauß auch wieder getan hat, darüber beklagen, daß die öffentlichen Investitionen nicht genügend schnell wachsen, wenn Sie mir auf der anderen Seite durch einen Zwischenruf deutlich machen wollen, daß Sie öffentliche Investitionen nicht als ein Instrument der Ankurbelung betrachten. Ich bitte doch um Klarheit in den eigenen Köpfen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7}) Der zweite Weg, Expansion zu erzeugen, ist die Senkung von Steuern. Herr Kollege Hoppe, ich teile die Befürchtungen, ob wir im Jahre 1977 nicht des Guten zuviel getan haben. Die Sachverständigen haben es gesagt; ich habe es zitiert. Aber richtig war es doch. War es denn nicht richtig, den Weihnachtsfreibetrag so zu erhöhen? Hat nicht der Mittelstand, haben nicht die Einzelhändler davon eine Belebung gespürt? War es nicht richtig, die Lohnsteuerpflichtigen zu entlasten? War es nicht vernünftig, bei der degressiven Abschreibung etwas zu tun usw.? ({8}) Ich meine also, Sie können dieses nicht alien Ernstes als einen falschen, unzureichenden Weg bezeichnen. Wenn wir schon über massives Anwachsen von Defiziten in den öffentlichen Haushalten sprechen - und ich komme noch auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit unseres Defizits -, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis - und dies erfüllt mich keineswegs mit Freude -, daß sich das Defizit des Bundes von 1977 auf 1978 - das ist der Status quo, gilt also heute; der Nachtragshaushalt ist ein anderes Problem - von 21,5 auf 31 Milliarden DM, das aller Länder zusammen, aller elf Bundes, länder aggregiert, aber von 9 auf 16,5 Milliarden, DM erhöht. Sie haben bei den Ländern genau dieselbe Problematik, allerdings - Herr Hoppe hat darauf hingewiesen - abgeschwächt, weil der Bund bei der Umsatzsteuerneuverteilung zu kurz gekommen ist. Aber betrachten Sie dann bitte schön die Gesamtlandschaft. Die Deutsche Bundesbank sagt uns: Dieses Defizit ist inflationsfrei finanzierbar; die Zinsen gehen weiter nach unten; es, ist sogar notwendig, diese Größenordnung für die Konjunkturankurbelung zu verwenden. Wenn Sie, Herr Haase, mir das nicht glauben, will ich Ihnen dazu noch folgende Zahlen nennen. 1976 - für 1977 haben wir noch keine Statistik - hat es eine Neugeldvermögensbildung - neu, zu den Ersparnissen, die bereits da sind, hinzukommend - von 148 Milliarden DM gegeben, davon rund 100 Milliarden bei privaten Haushalten. Davon haben sich 1976 die öffentlichen Haushalte 46 Milliarden DM geliehen. Was wäre eigentlich mit den Zinsen passiert, was müßten unsere Sparer heute beklagen, wenn wir ihre Spargelder nicht wieder produktiv in die Konjunktur einsetzen würden? Die Konjunktur wäre noch problematischer, und die Zinsen wären noch niedriger. ({9}) - Dies und nichts anderes ist die Wahrheit, meine Damen und Herren! ({10}) Im übrigen hat Herr Kollege Hoppe Bemerkungen zu den Investitionen gemacht. Ich stimme dem ausdrücklich zu, möchte aber eines hinzufügen: Der Bund ist, das gebe ich zu, in der Nähe seiner Grenzen der öffentlichen Investitionstätigkeit, aber, Herr Hoppe, wir sollten eine Zahl dann auch in die Debatte einführen, nämlich die, daß wir von 1977 auf 1978 auf Grund dieser Haushaltssteigerung rund 20 0/o mehr an öffentlichen Investitionen über den Bundeshaushalt finanzieren. Ich meine also, das nimmt sich ganz gut aus. ({11}) - Ach, wissen Sie, wenn Sie nicht mehr weiterwissen, verwenden Sie das Wort „Tricks". Das ist Ihr Problem. Sie sollten zur Sache argumentieren. Kommen Sie hierher und reden Sie zur Sache! ({12}) - Lautstärke kann Argumente nun auch nicht ersetzen. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme damit zu dem nächsten Punkt. Der Herr Kollege Strauß hat heute morgen so getan, als gäbe es eine Alternative zu dieser unserer Politik. Wi haben in den letzten 13 Monaten, also allein für die Zeit seit der Bildung dieser sozialliberalen Koalition in der 8. Legislaturperiode, einmal das aufgeschrieben und zusammengestellt - das können Sie gern von mir bekommen -, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, zusätzlich gefordert haben. Bayerische Staatsregierung: Änderung des Einkommensteuertarifs, Steuerausfall 5 Milliarden DM; ({14}) Neugestaltung des Kinderlastenausgleichs, Gesetzesantrag des Landes Bayern im Bundesrat: 5,5 Milliarden; Herr Strauß in der „Bild"-Zeitung: Hrhö5182 hung des Arbeitnehmerfreibetrages auf 720 DM, Ausfall 1,5 Milliarden; Herr Häfele in der „Welt": Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung, Ausfall 6,2 Milliarden DM; 15 Milliarden DM durch Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes mit 10% ger genereller Senkung der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer; addiert - ich habe nicht alles aufgeführt - rund 40 Milliarden DM. Dies scheinen Ihre Alternativen zu sein. ({15}) Zu klatschen, wenn Herr Hoppe über Sorgen der Koalition ehrlich und offen redet, gleichzeitig aber in dieser Art und Weise plakativ dem deutschen Bürger Versprechungen zu machen, von denen Sie genauso wie wir wissen, daß sie nicht zu halten sind, das ist Ihre Finanzpolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren! ({16}) - Mich ärgert diese Art von Doppelzüngigkeit, weil Sie dafür Ihr Mandat nicht bekommen haben. Natürlich ärgert mich das! ({17}) Nun haben Sie wiederum beifällig geklatscht, als Herr Kollege Hoppe davon gesprochen hat, wir dürften nun keine neuen Ausgaben produzieren. Dann bitte ich Sie, sich dazu zu erklären, wie es mit der Einführung eines Erziehungsgeldes ist, das Sie weiterhin fordern. Dann bitte ich, eine Erklärung abzugeben, wie es mit Ihrer Forderung zur Novelle des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes steht. Dann bitte ich, mir insgesamt zu erklären, wie es mit vielen anderen Initiativen in Ihren Reihen steht. Am bemerkenswertesten und am bösesten fand ich allerdings die Bemerkung von Herrn Kollegen Dr. Strauß, die Nettokreditaufnahme des Bundes sei nicht verfassungsgemäß; ich meine die des Haushaltsjahres 1978. Herr Kollege Dr. Strauß, ich sehe, daß Sie den Saal betreten haben. Dann frage ich Sie, ob Sie den Antrag der CDU/CSU-Fraktion - Drucksache 8/876 - vom 5. September 1977 - also vor wenigen Monaten - mit unterschrieben haben, in dem Sie uns aufforderten, das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz anzuwenden und in dem als Begründung für eine 10% ige Senkung auch der Körperschaftsteuer steht - ich zitiere, Herr Präsident -: Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist bei den Zielgrößen „hoher Beschäftigungsstand" und „Stabilität des Preisniveaus" ... gestört. Das niedrige Wachstum des Sozialprodukts ist besorgniserregend. Deshalb fordere die CDU/CSU-Fraktion die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes. Sie können doch aber nicht am 5. September 1977 dieses mit verantworten, damit eindeutig deklarieren, daß wir nicht im wirtschaftlichen Gleichgewicht sind, und heute, bei der zweiten Lesung des Bundeshaushaltes, der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses Verfassungsbruch vorwerfen. Wo ist denn hier die Logik? Wo ist denn hier die moralische Sauberkeit der Argumentation? ({18}) Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Herr Kollege Dr. Strauß hat in seiner Rede davon gesprochen - Herr Hoppe hat das aufgegriffen, hat das sehr nuanciert dargestellt -, daß wir über eine Personalausweitung beim Bund - in diesem Hause kann man ja wohl nur über den Bund reden - Bürokratisierung und damit Sozialismus einführen wollten. Herr Kollege Strauß, ist das eigentlich die angemessene Betrachtung folgenden Tatbestandes: daß wir beim Bund in 1978 gegenüber 1977 1 344 Stellen für Polizei und innere Sicherheit geschaffen haben, für die Flugsicherung 168 Stellen, für das Gesundheitswesen 132 Stellen, für Krankenhäuser und Hochschulen 228 Stellen und für die Reaktorsicherheit 37 Stellen, daß wir in den Ministerien so gut wie überhaupt nichts draufgelegt haben? Wie wollen Sie diese Realitäten eigentlich in Übereinstimmung mit Ihrer Demagogik bringen? Wohin soll das eigentlich führen? ({19}) Im übrigen, sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition, nehmen Sie doch bitte auch zur Kenntnis, daß der Bund von 1973 bis 1977 in einer schwierigen Aktion mehr Stellenbedarf auf der einen Seite durch Einsparung auf der anderen Seite abgebaut hat, daß aber ein Punkt erreicht war, wo das nicht mehr ging, auch nicht ging aus arbeitsmarktpolitischen Gründen. Auch hier hat der öffentliche Dienst ja wohl bescheidene Verpflichtungen wahrzunehmen. Nicht so - da bin ich mit Herrn Hoppe einverstanden -, daß wir die Probleme der Privatwirtschaft lösen können. Aber wenn für den Bereich der inneren Sicherheit in diesen Größenordnungen Stellen angefordert werden, dann weiß ich nicht, was die Vokabeln des Kollegen Dr. Strauß sollen. Lassen Sie mich zu einem nächsten Punkt kom men. Herr Strauß hat erneut das Wort des Staatsbankrotts in die Debatte geworfen. Nun kann mich das nicht mehr allzusehr schrecken. Die Oppositionsparteien sind im neunten Jahre ihrer Opposition; ihnen fällt immer weniger zur Sache, dafür immer mehr an Verbalinjurien ein. Insofern ist das nur ein Beitrag zu der Historie der Opposition. Aber zur Sache selbst: Zitieren wir doch die unabhängigen Experten. Die Deutsche Bundesbank etwa sagt, sie könne auf Grund der beschlossenen Regierungsaktionen, der Regierungsprogramme für 1978 eine wirtschaftliche Entwicklung erwarten, die einen langsamen Abbau der Arbeitslosigkeit ermöglicht. Der Bundesbank-Bericht vom Dezember 1977 greift diese Aussagen auf und unterstreicht, daß diese Aktionen des Bundes konjunkturgerecht sind. Der Bundesbank-Bericht sagt insbesondere, „daß auf Grund der schrittweisen" - ich zitiere wörtlich, Herr Präsident - „Kurskorrektur, mit der die Finanzpolitik im Laufe des Jahres 1977 auf das Abflauen der konjunkturellen Auftriebskräfte reagiert hat, die öffentlichen Haushalte im kommenden JahBundesminister Dr. Apel re weit stärkere expansive Impulse auslösen werden, als sie von dem Wirtschaftskreislauf ausgehen" . Natürlich macht sich auch die Deutsche Bundesbank Sorgen über den Konsolidierungsbedarf, über die Notwendigkeit, Mut zur Konsolidierung zu haben. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition: Wir haben - und ich bin demnächst vier Jahre Finanzminister - diesen Mut gehabt. Wir sind in eine Bundestagswahl hineingegangen mit der Aussage, wir würden die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte anheben. Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie dazu nicht bereit waren, diese Aussage mitzutragen. Nun werden Sie mir gleich sagen: Am Ende hat es nur einen Prozentpunkt gegeben. Jawohl, dies war wiederum konjunkturpolitisch geboten. Damit bin ich bei meinen Schlußbemerkungen. Natürlich hat die Wirtschafts- und Finanzpolitik in den hinter uns liegenden Jahren manchen Kurswechsel vornehmen müssen. Da haben wir 1974 und 1975 massiv die Konjunktur stabilisieren können. Das Ergebnis ist in 1976 auch nicht ausgeblieben mit einem deutlichen, kräftigen Wirtschaftswachstum von über 5,5 0/o. Wir haben dann die Konsolidierung der Haushalte über die Mehrwertsteuererhöhung, über das Haushaltsstrukturgesetz und über geringere Haushaltszuwächse angepackt. Ich habe darauf hingewiesen, daß bei Ländern und Gemeinden die Konsolidierung im letzten Jahr sicherlich zu stark war. Aber heute gibt es doch das Gebot der massiven Konjunkturstützung, doch nicht das Gebot, darüber zu philosophieren, was geschehen müßte, wenn wir wieder auf der sonnigen Seite der Hochkonjunktur sind. Im übrigen muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Debatte hier heute morgen, angeführt von Herrn Dr. Strauß, für mich gespenstisch war. ({20}) Die Welt draußen verlangt von uns mehr Ankurbelung, mehr öffentliche Defizite, mehr Aktion, weil sie uns für das gesundeste westliche Industrieland hält - wir sind es ja auch -, das eine Lokomotivfunktion wahrzunehmen hat. Und hier wird dann provinziell in dieser Art und Weise über weltwirtschaftliche Probleme und über unsere eigene Verantwortung geredet. ({21}) Herr Strauß, Sie haben objektive' Schwierigkeiten, die wir in der Tat in dieser Republik haben, subjektiviert. Ihnen liegt augenscheinlich immer weniger an einer sachlichen Auseinandersetzung. Sie wollen Personen verletzen, Sie wollen Personen zerstören. Dies ist Ihr Weg der Politik, nicht unserer. ({22}) Sie gehen den Weg der Angst und der Panikmache. Sie zeigen Alternativen nicht auf und argumentieren mit Halbwahrheiten herum. Auf diese Art und Weise war Ihr Beitrag kein I Beitrag zur aktuellen finanz- und wirtschaftspolitischen Debatte dieser Woche. ({23})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratungen des Einzelplans 04. Wir treten in die Mittagspause ein. Wir beginnen wieder um 14 Uhr. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Wir fahren fort in der Aussprache über den Einzelplan 04, betreffend den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Weizsäcker.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich empfinde es als eine Zumutung, ohne Anwesenheit eines Mitglieds der Bundesregierung und ohne Anwesenheit eines Mitglieds der SPD-Fraktion über den Kanzlerhaushalt der Bundesregierung hier weiterdiskutieren zu sollen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Sie können selbstverständlich auf eine Wortergreifung verzichten, und die Fraktion der CDU/CSU hat dann das Recht, zur Geschäftsordnung das vorzutragen, was sie wünscht. ({0})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich zur Geschäftsordnung das Wort ergreifen und namens meiner Fraktion - -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Sie können jetzt nicht zur Geschäftsordnung sprechen, Sie können aber das Pult wieder verlassen und sich dann zur Geschäftsordnung melden. ({0}) Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage namens meiner Fraktion, daß wir die Sitzung. aussetzen und den Bundeskanzler bitten, der Sitzung, die um seinen Etat geht, beizuwohnen. Wir sollten die Sitzung so M84 lange unterbrechen, bis die Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion ihre Sitzung beendet haben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Porzner.

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung. ({0}) Wir haben nach Ihrem Entschluß, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, das Thema in der Fraktion soeben behandelt. Wir sind um 13.45 Uhr zusammengetreten. Die ersten Mitglieder der Fraktion kommen schon. Ich bitte, den Beginn der Sitzung um ein paar Minuten zu verschieben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist für 15 Minuten unterbrochen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Das Wort zur Aussprache zum Einzelplan 04 hat der Abgeordnete von Weizsäcker.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf die Ausführungen, die kurz vor der Mittagspause von den letzten beiden Rednern gemacht wurden, wird unsere Fraktion morgen ausführlich zurückkommen. Ich möchte jetzt zum Einzelplan 04, das heißt zur vom Bundeskanzler zu vertretenden Politik im engeren Sinne, zurückkommen. Wir sind darüber informiert worden, daß der Herr Bundeskanzler in Kürze hier sein wird, weil er zur Zeit noch mit dem Staatsbesuch spricht. Bei der Diskussion des Kanzlerhaushaltes wird die Opposition der Linie treu bleiben, die sie auch im Herbst des letzten Jahres bewiesen hat. Sie wird, Herr Kollege Brandt, unterscheiden zwischen dem notwendigen Streit auf der einen Seite und der gemeinsamen Verantwortung aller Fraktionen dieses Hauses für unseren Staat. Im Zeitpunkt der schärfsten Herausforderung unseres Gemeinwesens im September und Oktober 1977 standen wir zusammen. Ich meine, wir sollten die Bundestagssitzung vom 20. Oktober nicht so schnell vergessen, wo jeder hier im Hause durch seinen Respekt vor den Vertretern der jeweils anderen Seite bekräftigte, daß die notwendige demokratische Auseinandersetzung zwischen uns ihren Sinn hat, ihn aber nur dann erfüllt, wenn sie im Hinblick auf die gemeinsame Verpflichtung gegenüber unserem freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat erfolgt. Ich komme darauf zurück. ({0}) Manche Punkte der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom vergangenen Donnerstag verdienen besondere Beachtung. Ich denke zum Beispiel an die deutsche Mitverantwortung für die Entwicklung in der Welt, um das Nord-Süd-Gefälle verringern zu helfen. Mit Recht hat der Bundeskanzler darauf hingewiesen, daß sich audi der Osten von einer Beteiligung an dieser weltweiten Aufgabe nicht freizeichnen könne. Erwähnen möchte ich ferner als Beispiel die Aufgabe, unsere Beziehungen mit Polen in Richtung auf Aussöhnung unter den Menschen zu vertiefen. Bei aller Schärfe unserer frühen Auseinandersetzungen über die Verträge sind wir uns in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gerade dieser Aussöhnungsaufgabe stets bewußt gewesen, und zwar unter führender Mitwirkung der besonders betroffenen Kollegen, also derer, die dort ihre Heimat verloren haben. Oder um einen ganz anderen Bereich zu nennen, möchte ich die Sorge des Bundeskanzlers aufgreifen, daß sich Hochschule und Bevölkerung im ganzen entfremden könnten. Es ist - da können wir durchaus übereinstimmen - die Aufgabe der Vertreter aller Parteien, der Professoren und Studenten, miteinander zu sprechen und aufeinander zu hören. Von seiten der Parteien freilich geschieht dies praktisch zur Zeit fast ausschließlich durch Vertreter der Unionsparteien. ({1}) Ich würde mir in diesem Zusammenhang zweierlei wünschen, meine verehrten Kollegen von der SPD. Erstens daß gemäß dem Appell des Bundeskanzlers vor allem mehr führende Mitglieder Ihrer Partei sich dem Gespräch in den Universitäten selbst öffentlich stellen. ({2}) Zweitens würde ich mir wünschen, daß der Herr Bundeskanzler sich von den jüngsten Äußerungen des SPD-Wissenschaftssenators aus Berlin, unseres ehemaligen Kollegen Glotz, deutlich distanziere. Herr Glotz hat ja in der „Zeit" der letzten Woche die schlechthin groteske Behauptung aufgestellt, beim Besuch führender Politiker der Union an den Hochschulen seien die gewaltsamen Störungen der eigentliche Zweck der ganzen Übung. ({3}) Auf diesem Wege suche man Märtyrerlegenden. Man fragt sich bei der Lektüre solcher Äußerungen wirklich, was dabei schwerer wiegt, die Informationsarmut oder die Verantwortungslosigkeit. Die Wahrheit ist - das gilt überdies auch für den Verantwortungsbereich des Herrn Glotz -, daß sich die Lage an den Universitäten in Fluß befindet. Neben massiven Verstößen gegen die Rechtsordnung, neben Akten eines brutalen Wandalismus vor allem durch linksradikale Gruppen nimmt zugleich auch die Chance zu, in den Hörsälen politisch zu diskutieren. Uns, den Unionsparteien, geht es darum, eine schweigende Mehrheit an den Universitäten für das zu aktivieren, was sie ja doch selber will, aber was sie als bloßer Trittbrettfahrer der Freiheit nicht sichern kann, nämlich Freiheit für Forschung und Lehre und eine tolerante, eine gegenseitig respektvolle Diskussion über strittige Punkte. Wir wollen die Entfremdung überwinden helfen, wir wollen insbesondere die Hochschulen nicht alleinlassen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von uns, und 4 das ist ein für parteipolitische Tiefschläge gänzlich ungeeignetes Terrain. ({4}) Nun hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung in der letzten Woche ganz am Anfang über den Nahen Osten gesprochen, ich meine, mit Recht. Im Feld der internationalen Politik begleiten wir alle mit bewegtester Anteilnahme die dortigen Bemühungen um Frieden. Unsere Hoffnung ist es, daß der persönliche Mut der benachbarten Staatsmänner, die jahrzehntelange Barriere der Feindschaft zu durchbrechen, begleitet sein möge von der Kraft der Beharrlichkeit, auch die unvermeidlichen Durststrecken und Gegensätze der jetzigen Phase durchzustehen. ({5}) Als Deutsche und als Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft müssen wir uns natürlich dessen bewußt sein, daß wir zwar Wichtiges zur späteren Sicherung einer Friedensregelung werden tun können; aber zu ihrem Zustandekommen können wir nur sehr viel weniger beitragen. Notwendig ist es jetzt vor allem, falsche Töne zu vermeiden und durch sie nicht die Lage zu erschweren. Ich will jetzt nicht im einzelnen auf die umstrittenen Punkte der verschiedenen Erklärungen der Europäischen Gemeinschaft zum Nahost-Problem zurückkommen, auch nicht auf die vom Herrn Bundeskanzler erwähnte Erklärung vom Juni 1977. Ebenso möchte ich nur am Rande in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß sich die Europäische Gemeinschaft im vergangenen November allzu auffällig schwergetan hat, die Friedensinitiative des Präsidenten Sadat mit einer öffentlichen Erklärung zu begrüßen. Aber ein Punkt bedarf, wie mir scheint, der Klärung. Das Großartige und Hoffnungsvolle an der neuen Entwicklung ist doch der direkte Zugang, den die benachbarten Staatsmänner zueinander gefunden haben. Das ist noch nicht der Friede, noch keine Gesamtlösung; aber es ist eine entscheidende psychologische und sachliche Voraussetzung für das Gelingen des Ganzen, und zwar eine Voraussetzung, die keine der Supermächte und keine der großen multilateralen Konferenzen zustande zu bringen vermochte. Es war ja ein Fortschritt, die Nahost-Frage schrittweise aus der Verflechtung in die Belange der Supermächte herauszuführen, sie davon zu entlasten. Oder, deutlicher gesagt: ohne die Sowjetunion war es für Ägypten und Israel eben leichter, zueinander zu finden. Um so größer war der Schock, und zwar nicht nur in Jerusalem, sondern vor allem auch in Kairo, als die amerikanische Regierung im Herbst 1977 durch ihr gemeinsames Nahost-Kommuniqué mit der Sowjetunion Moskau wieder ins Spiel zurückbrachte. ({6}) Es gibt genügend Anhaltspunkte dafür, daß dieser Schritt der beiden Supermächte seine Motive ganz woanders als im Nahen Osten hatte. Man kann geradezu sagen: die Reaktion auf diesen Schock in Kairo und in Jerusalem beflügelte die Schritte, im direkten Kontakt aufeinander zuzugehen. Nun erwarten wir hier keine Kommentare unserer Regierung zu diesen Schritten der Großmächte. Was wir aber erwarten, ist, daß unsere Regierung auf die vorhandenen Empfindlichkeiten Rücksicht nimmt. Warum hat der Herr Bundeskanzler - das hätte ich ihn schon gerne selbst gefragt - während seiner Ägypten-Reise, wie berichtet wurde, mehrfach darauf hingewiesen, daß beide Supermächte, also auch die Sowjetunion, an einer Lösung im Nahn Osten 'beteiligt werden müßten? Warum unterstreicht er in seiner Regierungserklärung der letzten Woche die besondere Verantwortung der beiden Vorsitzmächte der Genfer Konferenz, also wiederum auch der Sowjetunion? Natürlich, letzten Endes sollten beide Supermächte einer Gesamtlösung zustimmen können. Aber erst einmal muß sie doch erarbeitet werden, und dazu sind nun einmal die Kairoer Erfahrungen mit Moskau wahrlich nicht die besten. Deshalb halte ich es im jetzigen Stadium nicht für glücklich, solche Äußerungen in Ägypten oder hier im Deutschen Bundestag zu tun. ({7}) Ich freue mich, daß dieser Ton in der Darstellung der Nahostfrage durch den Herrn Bundesaußenminister, der leider gleichfalls nicht da ist, sich nicht wiederholt hat. Nun zur Europäischen Gemeinschaft. Hier rückt eine entscheidungsvolle Phase heran. Es ist ein zentraler Punkt, der Anlaß zur Sorge und zur Chance zugleich bietet. Ich meine einerseits die Erweiterung der Gemeinschaft durch neue Mitglieder und andererseits ihre Vertiefung, also den inneren Ausbau. Wir stehen vor der Erweiterung von neun auf zwölf Mitglieder. Wir sind uns - das ist aus den bisherigen Äußerungen zu entnehmen - darin einig: Unter Abwägung des ganzen Für und Wider entspricht es unserer freiheitlich-demokratischen Überzeugung und damit unseren eigenen langfristigen Interessen, die Beitrittsverhandlungen mit Griechenland, mit Portugal und Spanien in einem positiven Geist zu führen. Nun hatte aber schon die Erweiterung von sechs auf neun Mitglieder die große Gefahr gezeigt, die darin besteht, daß eine Erweiterung ohne Vertiefung langfristig zur Auflösung zu führen droht. Mit anderen Worten, die zunehmenden Gefahren, die schon der Gemeinschaft der Neun drohen, wenn sie zur Vertiefung unfähig bleibt, zwingen uns jetzt dazu, den -großen Schritt zur Erweiterung mit einem entscheidenden Schritt zur Vertiefung zu verbinden. Die Erweiterung müssen wir als Zwang zu einer Vertiefung verstehen, zu der wir im Kreis der Neun bisher ohne diesen Zwang nicht in der Lage waren. Ich meine, wir sollten uns gerade in die Fragen der Europäischen Gemeinschaft von einer pessimistischen Resignation ebenso fernhalten wie von einer Schönfärberei. Jeder weiß, in welcher ausweglosen Lage wir ohne die Europäische Gemeinschaft wären, trotz aller ihrer Mängel. Andererseits hat auch jeder von uns auf allen Seiten des Hauses seine Freunde in Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft, die der europäischen Einigung nicht immer gerade den Weg ebnen. Die Schwierigkeiten auf dem Weg zur Vertiefung liegen im übrigen ja nicht nur in politischen Willensmängeln, sondern sind auch einfach objektiv groß; denn was zur Zusammenarbeit im einzelnen geschehen kann, das erfolgt ja recht und schlecht. Die Vertiefung aber erfordert gewissermaßen einen neuen Quantensprung: Wenn z. B. entscheidende Schritte im Währungsbereich erfolgen sollen, dann hat dies eindeutig Folgen wirtschaftlicher, politischer und institutioneller Art. Mit anderen Worten, die Aufgabe ist immens. Niemand verlangt von der Bundesregierung Patentrezepte oder Wunder. Aber eine realistische Lagebeschreibung und vor allem eine Angabe ihres eigenen Kurses in dieser zentralen Frage, das wird von der Bundesregierung erwartet, und beides fehlte in ihrer Regierungserklärung. ({8}) Der Präsident der Europäischen Gemeinschaft, Roy Jenkins, hat vor wenigen Wochen hier in Bonn erklärt, in der deutschen Politik gebe es einerseits Abneigung gegen die sogenannte Lokomotivtheorie, also die Theorie, wonach die Bundesrepublik Deutschland andere Staaten aus der Rezession herausziehen könnte. Sie, Herr Bundeskanzler, sind ja in Ihrer Regierungserklärung darauf eingegangen, und, wie ich meine, mit Recht in einem negativen Sinn. Andererseits aber, so fuhr Roy Jenkins fort, gebe es in der Bundesrepublik auch Bedenken gegen eine energische neue Gemeinschaftsinitiative aus Bonn. Einzeln, so sagte Jenkins, habe er für jeden dieser beiden Standpunkte Verständnis, aber eben nicht für beide zugleich. Es gibt in der Europäischen Gemeinschaft genug Partner, auch Franzosen, auch Engländer, auch Labour-Politiker, die fragen, welchen Kurs die Bundesregierung in bezug auf die Vertiefungsaufgaben in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Erweiterung einzuschlagen gedenke. Dies ist die zur Zeit entscheidende Lebensfrage der Europäischen Gemeinschaft. In Ihrer Regierungserklärung aber ist sie überhaupt nicht aufgeworfen, geschweige denn behandelt oder beantwortet. Mein nächster Punkt befaßt sich mit der Rüstungskontrolle. Der Rüstungskontrolle und -beschränkung kommt in den derzeitigen Ost-West-Beziehungen - darin stimmen wir wohl überein - eine- Schlüsselrolle zu. Um der Verantwortung willen, die wir für den Frieden und die Sicherheit in unserem Teil der Welt tragen, sind Bemühungen langfristig lebenswichtig, die sich um das Gleichgewicht und die Begrenzung der Rüstung kümmern. Unsere Auffassung ist, daß die verschiedenen Ebenen, in denen im Ost-West-Verhältnis über die Rüstungsbeschränkungen verhandelt wird, der Sache nach untrennbar sind. Ich denkë einerseits an die nuklearstrategische Ebene der beiden Supermächte, also SALT, andererseits an die regionale Ebene, die MBFR-Ebene in Wien. Dort geht es, wie wir wissen, um die konventionellen Rüstungen und die atomaren Gefechtsfeldwaffen. Wir hoffen, daß es den Amerikanern gelingt, mit der Sowjetunion zu einem befriedigendem SALT-IIAbkommen zu gelangen. „Befriedigend" heißt freilich, daß der sachliche Zusammenhang mit der regionale, Ebene gewahrt bleibt. Wenn mit SALT II nur das Gleichgewicht der nuklearstrategischen Waffen der Supermächte stabilisiert wird, dann wird das bestehende Ungleichgewicht bei den atomaren Gefechtsfeldwaffen und den konventionellen Waffen hier in der Region Europa nur um so bedrohlicher und um so fühlbarer. ({9}) Das entscheidende deutsche Interesse liegt in der gegenwärtigen Phase, also in der Beseitigung dieses Ungleichgewichts. Nun haben Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung lediglich auf die intensivierten Kontakte mit der führenden Bündnismacht Amerika hingewiesen, die wir natürlich begrüßen. Vom regionalen Ungleichgewicht der Rüstungen in Europa aber haben Sie gar nicht gesprochen, wiederum im Gegensatz zum Bundesaußenminister, der es getan hat. ({10}) Dafür aber hat nur Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Bundeskanzler, also Herr Kollege Wehner, am Donnerstag in der Debatte sehr eingehend die. MBFRGespräche in Wien berührt. Er hat dies eindeutig kritisch gegenüber der Bundesregierung getan. Er -erklärte, der Bundeskanzler hätte an diesem Punkt, wie er sich ausdrückte, eine Antwort bekommen müssen. Herr Wehner gab sie selbst, indem er Ihre Sprache korrigierte und Inhalt und Tempo der MBFR-Gespräche kritisch kommentierte. Dann berief sich Herr Wehner auf den Einklang in dieser Sache mit vielen anderen - er sagte nicht, wen er meinte und wo sie sitzen -, die sein Interesse daran teilten. Hier wiederholt sich also in kaum subtilerer Form, was wir aus Ihrer Koalition, Herr Bundeskanzler, schon kennen, daß nämlich die Politik der Rüstungsbeschränkung, wie sie beim Auswärtigen Amt und im Verteidigungsministerium erkennbar wird, immer wieder von führenden Politikern Ihrer Fraktion öffentlich kritisiert wird. ({11}) Früher war es Brandt, heute ist es Wehner. Die Unterschiede der Aussagen zwischen dem Bundesaußenminister und dem Fraktionsvorsitzenden der SPD am vergangenen Donnerstag in diesem Hause zu dieser so überaus bedeutungsvollen Frage bedürfen dringend der Klärung durch Sie im Rahmen Ihrer Richtlinienkompetenz bei der Bundesregierung. Ein Hauptgewicht in unserer Debatte haben zu Recht Berlin und die innerdeutschen Beziehungen. Zunächst zur „Spiegel"-Veröffentlichung, zum sogenannten Manifest. Die Bundesregierung hat dazu bisher geschwiegen. Sie habe, so sagten Sie, nichts mit dem Papier zu tun. Die zuständigen Sprecher Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, boten als Deutung zunächst an: „Neujahrscocktail", „Papierspiel aus der rechten Unionsecke" und zuletzt, so Herr Wehner am vergangenen Donnerstag, „komischer Findling". Herr Wehner fügte hinzu, man müsse es nehmen, wie es ist, dürfe aber in der Entspannungspolitik nicht darüber stolpern. Im Zusammenhang mit allen außenpolitischen Belastungen der jüngsten Zeit sprachen Sie, Herr Wehner, dann vom „nostalgischen Verhältnis der Opposition -zum Kalten Krieg". Und Sie, Herr Bundeskanzler, erklärten mit Nachdruck, Sie wollten sich durch „Scharfmacher von jenseits oder von diesseits der innerdeutschen Grenze" ({12}) nicht von der Entspannungspolitik abbringen lassen. Dies alles ist ein gänzlich unverantwortlicher Umgang Ihrer Seite mit einem sehr ernsten Vorgang. ({13}) Das Manifest ist weder als Beitrag geschrieben noch als Anlaß geeignet für eine Fortsetzung früherer Debatten dieses Hauses über die Vertragsverhandlungen der Jahre 1970 bis 1972. Ich unterstreiche auch in diesem Zusammenhang, was - wie ich finde, ganz zutreffend - der Bundesaußenminister dazu gesagt hat. Und es wäre natürlich nützlich, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, als Regierungschef mit gutem Beispiel vorangehen würden, anstatt gemeinsam mit Herrn Wehner Ost-Berlin oder Moskau Stichworte zur publizistischen Ablenkung zu liefern - siehe die „Prawda" von gestern, die die Worte von Herrn Wehner bereits aufgegriffen hat. ({14}) Nicht wir in Bonn sind die Adressaten oder die Hauptpersonen bei dem Vorgang des Manifests, sondern es sind die Zustände in der DDR. ({15}) Über Autoren, Motive und Folgen des Manifests gibt es mehr Spekulationen als Kenntnisse. Eines freilich ist sicher: Das Manifest ist das ziemlich genaue Gegenteil eines „komischen Findlings". Es ist nicht komisch, sondern sehr ernst zu nehmen - was Sie, Herr Wehner, ja wohl auch wissen und tun. Und es ist auch nicht ein Zufallsprodukt, welches überraschend in eine fremde Landschaft geraten ist, in die es gar nicht paßt. Sondern es ist ernster Ausdruck einer Situation, deren Symptome wir alle ken-, nen. Sie betreffen den wechselseitigen Vertrauensschwund zwischen Bevölkerung und Machthabern, die Desorientierung und Unruhe der Kader, die Widersprüche von Abgrenzung und Intershop-Sozialismus, das Mißtrauen der Sowjetunion und anderes mehr. Es ist nicht unsere Sache, öffentlich darüber zu spekulieren, welche Folgen dies haben mag oder wie fest die Parteiführung der SED und vor allem der Staatsratsvorsitzende im Ost-Berliner Sattel sitzen. Aber eben deshalb ist es auch wahrlich nicht Sache des Leiters unserer Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, bei Publizisten und anderswo den Eindruck zu erwecken, die innerdeutschen Verhandlungen seien ganz auf Herrn Honecker zugeschnitten. Denn entweder stimmt dies nicht; dann ist es töricht, auf ihn zu bauen. Oder es stimmt; dann ist es erst recht töricht, daß unser Ständiger Vertreter in Ost-Berlin dies ausspricht. Sonst wären wir es doch selbst, die sich zum Stolpern bringen. Besonders bedeutungsvoll und nun wirklich an die Bonner Adresse gerichtet, Herr Bundeskanzler, sind die flagranten Vorkommnisse an der Berliner Sektorengrenze. Sie sagen dazu: Dies sei ein Rückschlag; Sie hätten in Ost-Berlin protestiert; von der Entspannung ließen Sie sich nicht abbringen; es gebe zu ihr keine Alternative. Was ist denn geschehen? Leider etwas ganz Einfaches: Der Status von Berlin wurde verletzt, und zwar dann, als z. B. FDP-Landtagsabgeordnete vor Weihnachten und als jetzt der Vorsitzende und Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die sich alle eindeutig rechtmäßig in Berlin aufhielten, an der Sektorengrenze zurückgewiesen wurden. Rechtlich und tatsächlich liegt die Verantwortung für das, was da geschehen ist, bei der Sowjetunion. Die „Prawda" bestätigte in diesen Tagen mit ihren neuen Berlin-Attacken, was seit längerer Zeit an zahlreichen Kennzeichen schon zu beobachten war. Es mag sich jeder über Ursachen und Ziele seinen eigenen Vers machen; aber niemand kann die Anzeichen der zur Zeit negativen Berlin-Einstellung der Sowjetunion übersehen, mit der sie dem vereinbarten Status von Berlin zu nahe tritt. Aus Ihrer langen Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, erfährt die Öffentlichkeit darüber kein Wort. Sie beschränken sich auf die Schilderung Ihres Protestes bei der DDR. Über die Beziehungen zur zuständigen Sowjetunion aber sagen Sie, das Verhältnis entwickle sich in Richtung auf Normalisierung weiter. Ich möchte ausdrücklich feststellen: Es kann wirklich jedermann davon ausgehen, daß niemand hier im Hause ein Interesse daran haben kann, in einer schwierigen Phase der Beziehungen zu einer Eskalation von Fehlgriffen beizutragen. Wir können nichts erzwingen, auch nichts mit Vertragstexten. Uns liegt an normalen Beziehungen mit der Sowjetunion. Wir wollen bestehendes Recht achten. Wir wollen unseren Beitrag zur Sicherung des Friedens leisten. Wir wünschen, daß Entspannung möglich wird und daß sie sich durchsetzt. Von Ihnen, Herr Bundeskanzler, verlangen wir keine öffentliche Darlegung aller Ihrer diplomatischen Schritte, die ja wohl alle Signatarstaaten des Berlin-Abkommens einbeziehen müssen. Auch sind wir für Ihr Gesprächsangebot zur Deutschlandpolitik vom vergangenen Donnerstag dankbar. Dennoch müssen Sie von hier aus allen Beteiligten, d. h. auch der Sowjetunion, verständlich machen, was wir, d. h. was unsere Bevölkerung unter Entspannung versteht, nämlich eine Besserung der Beziehungen durch Menschen und für Menschen in ihren Lebensverhältnissen und in ihren Menschenrechten. Deshalb wird die Entspannung durch das Unrecht an den Sektorengrenzen Berlins empfindlich gestört. ({16}) Dies hier namens der Bundesregierung zu sagen, ist Ihre Aufgabe, und zwar im Interesse der Entspannung. Sonst stiften Sie doch nur Verwirrung und Mißtrauen. Was sollen die Menschen bei uns denn denken, wenn Sie einerseits feierlich erklären: Was in Berlin geschieht, hat Folgen für die Beziehungen zwischen Ost und West, Berlin bleibt ein Prüfstein in unserem Verhältnis zum Osten, während Sie dann zu den eindeutigen Verletzungen dieses Status von Berlin durch die Sowjetunion und ihre Helfer in Ost-Berlin sagen: Nicht anstecken lassen von Scharfmachern hüben und drüben; keine Alternative zur Entspannung; das Verhältnis zur Sowjetunion entwickelt sich in Richtung auf Normalisierung weiter. Herr Bundeskanzler, das ist nicht politische Klugheit, von der Sie sprechen, sondern das ist zunächst einmal ein Schaden für die Entspannung; denn unter solchen Darlegungen beginnen die Menschen an der Ernsthaftigkeit dieses doch ernsthaften Vorganges zu zweifeln. Die Partner der Entspannungspolitik werden zu Fehlschlüssen verführt. Im Zusammenhang mit der Deutschlandpolitik noch eine Bemerkung zur Nation, diesem auch in der aktuellen Deutschlandpolitik immer wieder unterschätzten politischen Begriff. Herr Kollege Wehner, Sie haben am Donnerstag erklärt, es gehe darum, den Zusammenhalt der Deutschen im geteilten Deutschland zu fördern. Damit bestätigen Sie unsere nie veränderte Überzeugung. Aber die Bemerkung von Helmut Kohl, daß es unverrückbar darauf ankomme, unser Nationalbewußtsein mit der freiheitlich demokratischen Lebensform auszusöhnen und zu verbinden, bezeichneten Sie als „Schmonzette". Eine Schmonzette ist, wie ich mir von erfahreneren Kollegen habe sagen lassen, nicht etwa ein rheinisches Hustenbonbon, sondern die von Herrn Brandt eingeführte Verniedlichungsform für das Wort Schmonzes, das soviel heißt wie „leeres Gewäsch" oder „Gerede". Ich denke, Herr Wehner, Sie werden Gelegenheit haben, das zu korrigieren. Denn die Nation als politische Idee gehört nun einmal zu den wesentlichen Überzeugungen liberaler und demokratischer Verfassungsbewegungen. Sie ist lebendiger Teil der Wirklichkeit in einer demokratischen Republik. Es wäre schon erstaunlich und schwerwiegend, wenn der Vorsitzende der SPD-Fraktion von einer Auffassung Abschied nehmen wollte, die gerade auch die deutsche Sozialdemokratie immer wieder eindrucksvoll mit vertreten hat. ({17}) Nun eine Bemerkung zur Wehrdienstnovelle. Sie, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrer Regierungserklärung in der vergangenen Woche die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zur Wehrdienstnovelle bedauert, und zwar deshalb, weil es infolge dieser Anordnung nicht möglich sei, die Auswirkungen der Novelle länger zu beobachten. Ich fürchte, damit setzen Sie in der Bundesregierung nur die Fehler fort, die Ihre Regierung im Jahre 1977 in dieser staatspolitisch so hochbedeutsamen Frage gemacht hat und die Sie persönlich hier mit vertreten haben. ({18}) Was aber die einstweilige Anordnung betrifft, so stellen Sie die Kausalität förmlich auf den Kopf. ({19}) Nicht das Bundesverfassungsgericht hat Sie gehindert, die Auswirkungen Ihrer Novelle zu beobachten, sondern es sind die Auswirkungen Ihrer Novelle, die das Verfassungsgericht dazu gezwungen haben, einzugreifen, ({20}) um der sich ausbreitenden Unruhe und Unsicherheit zu wehren. Das Verfassungsgericht hat ja extra mit seiner Entscheidung gewartet, um sich dieser Auswirkungen erst einmal ernsthaft anzunehmen. Wir haben die allgemeine Wehrpflicht, wir haben das verfassungsmäßige Recht der Verweigerung der Wehrpflicht aus Gewissensgründen, und wir haben die Pflicht zur Wehrgerechtigkeit. Sie aber haben ein Gesetz gemacht, welches im praktischen Ergebnis die Wehrpflicht durch ein Wahlrecht ersetzt, welches die Verweigerung aus Gewissensgründen, die unbedingt zu schützen ist, durch eine Verweigerung aus Lust und Laune ersetzt ({21}) und welches die Pflicht zur Gerechtigkeit bis auf weiteres unmöglich macht. Ich bin davon überzeugt, daß die überwiegende Mehrheit der deutschen Jugend sehr wohl weiß, worum es geht, und bereit ist, ihren Teil dazu beizutragen, daß verantwortlich beschlossene Gesetze von ihr auch in einer verantwortlichen Weise umgesetzt werden. Aber Sie dürfen sie nicht mit einer Umkehrung dessen, was die Grundlage unserer Bundeswehr ist, in solche Schwierigkeiten bringen. Fragen Sie doch einmal die Praktiker im Verteidigungsministerium oder bei den Wehrersatzämtern, ob es noch an der Gelegenheit zur Beobachtung der Auswirkungen Ihres Gesetzes gefehlt habe! ({22}) Nein, die Auswirkungen liegen offen zutage. Das Verfassungsgericht mußte eingreifen. Es hat dies getan, und zwar einstimmig. Ihre Regierung sollte lieber die Vorbereitungen für eine Neuregelung treffen, als über das Verfassungsgericht zu lamentieren. Das wäre ihre staatspolitische Aufgabe. ({23}) Im Mittelpunkt dieser Debatte steht ferner - und mit Recht das Thema Terrorismus. Im Gegensatz zu den Wochenendkommentaren von Ihnen, Herr Wehner, stelle ich dazu zunächst fest, daß die Aussprache zwischen dem Führer der Opposition und Ihnen, Herr Bundeskanzler, am vergangenen Donnerstag notwendig war. Es war das erste Mal, daß die Hauptverantwortlichen des Krisenstabes über diese so tief erregenden Vorgänge des letzten Herbstes öffentlich miteinander gesprochen und Rechenschaft abgelegt haben von den Konflikten, in denen sie standen, und von den sehr unterschiedlichen Folgen, die jeder aus seiner Sicht für die Zeit danach zieht. Sie, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrer Erwiderung auf Helmut Kohl von den Opfern gesprochen, die unvermeidlich wurden - so drückten Sie sich aus -, damit wir nicht die rechtsstaatliche Ordnung opfern müssen; dies sei in dem Fall der höhere Wert. Ich glaube, daß wir hier, als Sie die Abwägung zu schildern sich bemühten, um die es damals im September und Oktober ging, nicht gegeneinander stehen in dem, was wir denken; aber wir müssen aufpassen, wie wir es ausdrücken, denn das hat Folgen. Es geht ja nicht um den Rechtsstaat an sich. Das ist ein abstrakter Begriff, und der' ist kein höherer Wert als das Leben. Es geht vielmehr um den Staat, dessen erste Aufgabe und wichtigste Fähigkeit es ist, Leben zu schützen. Daß die Erfüllung der erpresserischen Forderung der Terroristen durch den Staat diese Fähigkeit zerstören würde, daß also bei Nachgiebigkeit neue Mordtaten heraufbeschworen würden, das war es doch, was es zu würdigen galt. Nicht Leben gegen Rechtsstaat, sondern gegen weitere Leben standen sich gegenüber. Hier ging es, wie gesagt wurde, um letzte Gewissensentscheidungen der Verantwortlichen, auf die es keine prinzipiell richtige oder falsche Antwort gibt. Aber wir haben die Hauptbeteiligten wissen lassen, daß wir ihre Entscheidung mit Respekt und mit Vertrauen aufnehmen wollen. Freilich geschah das auch im Hinblick auf die Verpflichtung, die Folgen gesetzgeberischer und administrativer Art in diese Verantwortung einzubeziehen. Bei diesen Folgen, vor allem bei den anstehenden Gesetzesvorhaben, müssen wir nun, so gut wir können, die Erfahrungen des vergangenen Herbstes umsetzen. Wiederum geht es nicht um abstrakte Begriffe, wieder geht es nicht um prinzipielle Richtigkeiten, sondern um die ganz konkrete Fähigkeit, bedrohtes Leben so gut wie menschenmöglich zu schützen. Für einen liberalen Rechtsstaat und gegen seine totalitäre Aushöhlung sind wir alle. Aber mit solchen Begriffen lassen sich eben nur prinzipiell richtige Antworten, aber noch keine hinreichend konkreten Gesetze finden. Zu fragen und zu beantworten ist vielmehr - um es nur an einem Beispiel aufzuzeigen -, ob etwa die Sicherungsverwahrung schon nach der ersten Verurteilung eine Hilfe ist, um das Leben von Mitbürgern konkret ein Stück besser schützen zu können. Selbstverständlich geht es um eine Sicherungsverwahrung in einem verfassungsrechtlich zugelassenen Rahmen. Herr Brandt, Sie müssen sich da noch einmal bei Ihren Kollegen genauer informieren. ({24}) Die Zusammenarbeit unter den verantwortlichen Politikern im vergangenen Herbst war nichts anderes als eine staatspolitische Pflicht. Die Bevölkerung hat es so angesehen und so verstanden. Nicht verständlich aber wäre es, wenn man über sechs Wochen lang unter so schweren Belastungen beinahe Tag und Nacht zusammen ist, Erfahrungen und Entscheidungen miteinander teilt und danach alles einfach wieder abschüttelt, als sei nichts gewesen. Gewiß, die notwendige demokratische Auseinandersetzung geht weiter. Natürlich kann und muß um den besten Weg auch für die Folgerungen aus gemeinsamen Erfahrungen gerungen werden. Was Sie aber aus der Koalition bisher getan haben, ist etwas anderes: Sie haben sich durch einige Ihrer Freunde Schritt für Schritt fällige Konsequenzen sachlich abbauen und zeitlich verschleppen lassen. ({25}) Das ist es, was die überwiegende Mehrheit unserer Bürger nicht versteht. Die Bundesregierung ist bisher den Beweis dafür schuldig geblieben, daß sie gewillt und daß sie in der Lage ist, die notwendigen Maßnahmen aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres mit dem Terrorismus verantwortlich zu ziehen. Am wenigsten, Herr Bundeskanzler, ist es Ihnen seit der Neubildung Ihrer Regierung gelungen, die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß Sie in der Lage sind, die Probleme der sozialen Sicherung, insbesondere der Rentenversicherung zu lösen. Selbst Ihre Regierungserklärung aus der vergangenen Woche, so vage sie bei diesem Thema blieb, ließ den Ernst der Situation durchschimmern, von dem die Zeitungen ja täglich voll sind. Dieses Thema wird den Kernpunkt, wie ich meine, der ganzen Haushaltsdebatte darstellen und übermorgen im einzelnen erörtert werden. Wie sehr Sie selbst, Herr Bundeskanzler, dieses Problem belastet, haben Sie ja am Sonnabend in München bei der schon erwähnten Preisverleihung an Sie angesprochen. Ich meine, es ehrt Sie, daß Sie das angesprochen haben. Wir brauchen hier nicht über den subjektiven Tatbestand des Vorsatzes beim Betrug zu streiten. Es handelt sich ja nicht um einen Straftatbestand, über den wir hier reden, sondern um eine Frage der öffentlichen Moral oder, genauer gesagt: um die Glaubwürdigkeit des Politikers. ({26}) Das ist das eine, was er aufs äußerste ernst nehmen muß. Gewiß, niemand von uns kann immer und in vollem umfang alle seine Ankündigungen wahr machen. Deshalb sind dort, wo es zu Diskrepanzen kommt, öffentliche Eingeständnisse und Begründungen durchaus hilfreich; denn wenn der Politiker mit seinen Handlungen immer wieder schweigend über seine eigenen Versprechungen hinweggeht, nimmt am Ende keiner mehr von ihm ein Stück Brot. Allerdings möchte ich empfehlen, Herr Bundeskanzler, die Schuld für den Abstand zwischen Wort und Tat nun nicht allzu sehr auf die wissenschaftlichen Prognosen zu schieben, vor allem dann nicht, wenn man sich bei anderer, günstigerer Gelegenheit ja recht gerne der Wissenschaft und ihrer Vorhersagen politisch bedient. Freilich - und darauf kommt es mir jetzt in erster Linie an -: Es gibt auch noch eine andere, eine nicht weniger ersthafte Aufgabe für den Politiker. Wer verantwortlich die Richtlinien der Politik bestimmt, muß dies auf Grund seiner Erkenntnisse von den Tatsachen, auf Grund seines Wissens von der wahren Lage tun. Er darf nicht sagen: Weil ich die wahre Lage vorher anders geschildert habe, muß ich sie jetzt meinen eigenen früheren Ankündigungen anpassen. Wenn ich damit den Tatsachen zu nahe trete - um so schlimmer für die Tatsachen. Genau das darf er nicht. ({27}) In dieser Lage befanden Sie sich nach der Bundestagswahl und vor Ihrer Wahl zum Kanzler. Das ha- ben Sie offenbar ja auch ganz deutlich gespürt, denn es war ja in dieser Situation, daß Sie in den Verhandlungen der beiden Koalitionsparteien eine andere Rentenpolitik nicht erwogen, sondern beschlossen haben, und zwar eine andere Rentenpolitik als die, die Sie im Wahlkampf angekündigt hatten. Sie waren sich des Widerspruchs zum Wahlversprechen voll bewußt. Dennoch fühlten Sie sich auf Grund der wahren Lage zu einer Änderung verpflichtet. Daß Sie, um eine solche Änderung durchzusetzen, eine große Kraft brauchen, das wußten Sie auch. Sie haben es nämlich selber in Ihrer Regierungserklärung im Dezember 1976 so angesprochen. Aber dann sickerten die Nachrichten von diesem Ihrem Koalitionsbeschluß durch in Ihre Fraktion, Herr Bundeskanzler. Dort wurden Sie, unüberhörbar verknüpft mit der Frage nach Ihrer eigenen bevorstehenden Wahl zum Kanzler, aufgefordert, beim Wahlversprechen, also insoweit glaubwürdig zu bleiben. Mit anderen Worten: Sie standen vor der Wahl, sich für die von Ihnen selbst erkannte Wahrheit oder für die von Ihnen geforderte sogenannte Glaubwürdigkeit zu entscheiden, und dann haben Sie das letztere gewählt. Ich achte die Glaubwürdigkeit wahrlich nicht gering. Aber es gibt Momente, da ist es wichtiger, daß einer abrückt von dem, was er früher gesagt hat, und zwar deshalb, weil die Wahrheit es von ihm erfordert. ({28}) Die Kraft zu dieser Haltung ist es, an der sich letzten Endes sogar entscheiden wird, ob unser demokratisches Regierungssystem auf die Dauer befähigt bleibt, mit wachsenden Problemen fertig zu werden. Wir können eben nicht immer nur Wünsche einsammeln und ihre Erfüllung versprechen. ({29}) - Herr Glombig, Sie wissen genau, wovon ich rede. Ich sage vor allem auch an Ihre Adresse: Es wird eine Überlebensfrage der Demokratie sein, ob wir den Mut haben und Manns genug sind, zu einer neuen Erkenntnis der wahren Lage zu stehen, auch wenn wir vorher etwas anderes gesagt haben. ({30}) Wir haben darüber, Herr Bundeskanzler, ja schon vor drei Jahren einmal in der Haushaltsdebatte miteinander diskutiert. Ich wiederhole den Gedankengang aus der damaligen Debatte. Wir müssen, wenn wir erkennen, daß wir in die Gefahr geraten sind, über unsere Verhältnisse zu leben, und wenn wir weiter erkennen, daß es ja auch wir Politiker waren, die wesentlich mit dazu beigetragen haben, bereit und in der Lage sein, einen unbequemen, einen von Widerständen begleiteten Weg der Gesundung und Einschränkung unsererseits voranzugehen, und zwar ohne Rücksicht darauf, was für Folgen das für unsere eigenen politischen Ämter hat. Wenn wir unsere Glaubwürdigkeit mehr nach unseren eigenen Ankündigungen als nach der wahren Lage messen, was ist das dann für ein dürftiger Schutz? Die Glaubwürdigkeit, für die sich der Politiker zu Lasten der Wahrheit entscheidet, wird ihn nicht lange tragen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben Ihre jetzige Regierungszeit mit dieser Erfahrung eingeleitet; aber nicht nur das: Sie müssen sie seither laufend wiederholen. Unter dem Druck Ihrer Fraktion haben Sie sich vor einem Jahr zur Abkehr von der von Ihnen für nötig befundenen Kurskorrektur bereit gefunden. Sie haben dann ein kurzfristiges Projekt vorgelegt, mit dem Sie die Probleme überbrücken und verlagern. Sie haben behauptet, es sei eine langfristig tragfähige Sanierung. Gleichzeitig haben Sie sich erneut durch Ankündigungen, nämlich durch die rentenpolitischen Grundsätze Ihrer Regierungserklärung vom Dezember 1976, gebunden. Heute zeigt sich, daß es keine Sanierung war. Wieder müssen neue tiefgreifende Beschlüsse gefaßt werden. Wieder sind Sie im Konflikt zwischen dem, was die wahre Lage und die Sachverständigen von Ihnen fordern, und dem, was Ihre eigenen früheren Erklärungen beinhalten, an denen Sie um Ihrer Glaubwürdigkeit willen festhalten wollen. Seit der letzten Bundestagswahl bemühen Sie sich vergeblich, diesen Konflikt zwischen sogenannter Glaubwürdigkeit und der wahren Lage zu lösen. Es gelingt Ihnen nicht. Das ist der entscheidende Knick in Ihrer Regierung, der Sie von Anfang an begleitet, und von dem Sie sich nicht zu befreien wissen. Das ist unter allen einzelnen Gründen der wichtigste Grund dafür, daß wir Ihrem Etat nicht zustimmen können. ({31})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat seit Donnerstag in diesem Hause zur Außenpolitik, zur Deutschlandpolitik ein recht interessantes Spektrum gegeben, wenn wir vergleichen, was der Oppositionsführer Dr. Kohl, was Dr. Zimmermann ausgeführt hat. Der CSU-Abgeordnete Dr. Strauß hat heute neu aufgewärmt, was er schon öfter hier gesagt hat, indem er eine Interessenidentität von Egon Bahr und Breschnew herstellte, ({0}) was ich die Deformation des politischen Denkens zum Primitiven nennen möchte. ({1}) Wir haben gerade Herrn von Weizsäcker gehört, und für heute nachmittag ist Herr Dr. Marx angekündigt. Wer dies vergleicht, einschließlich der Rede, die wir noch erwarten, wird feststellen können, welch ungeheure Leistung die Opposition von Donnerstag bis heute hier vollbringen muß. Friedrich ({2}) Heute auf den Tag genau vor fünf Jahren hat hier von diesem Platz aus der CDU-Abgeordnete Dr. Marx am 24. Januar 1973 zum Thema der KSZE gesprochen. Er hat damals, wie das Protokoll ausweist, folgende Behauptungen aufgestellt: Durch die KSZE gerate die Bundesrepublik Deutschland in den Sog sowjetischer Politik; die KSZE bedeute die multilaterale Bestätigung sowjetischer Eroberung, die Störung des europäischen Einigungswerkes, das Hinausdrängen der Amerikaner aus Europa, die Errichtung einer hegemonialen Stellung der Sowjetunion über Europa. Dies alles - so Dr. Marx vor fünf Jahren - werde die KSZE bewirken. Am 25. Juni 1975, unmittelbar vor der Unterzeichnung der Schlußakte, erklärte der gleiche CDU-Abgeordnete Dr. Marx zum Korb III, der die humanitären Fragen umfaßt, im Bundestag: „Meine Damen und Herren, es handelt sich um einen wahren Supermarkt von Attrappen." Heute beruft sich die Opposition in ihrer Argumentation gegen die Ostpolitik der Bundesregierung auf den gleichen Korb III der Schlußakte von Helsinki. Der Oppositionsführer hat sich dieserhalb sogar in einer der letzten Sitzungen des letzten Jahres hier zur Geschäftsordnung gemeldet. Ich habe nur, Herr Kollege von Weizsäcker, in Anlehnung an das, was Sie gerade gesagt haben, die Hoffnung, daß nachher der Kollege Dr. Marx die Kraft hat, zu sagen „ich habe mich geirrt", die Kraft, die Sie gerade vom Bundeskanzler gefordert haben. Wenn Sie sich in der Beurteilung der Tatbestände der internationalen Politik getäuscht haben - gut, das ist möglich -, bräuchten Sie es nur zu sagen, und es gäbe in diesem Hause endlich den Ansatz einer gemeinsamen Außenpolitik. Wenn Sie aber 1975, und zwar einstimmig, die KSZE-Schlußakte ablehnten, sich jedoch heute darauf berufen, um mit den jeweils gleichen Begründungen die Politik der Bundesregierung zu bekämpfen, dann geht es Ihnen eben nicht um die Sache, um die deutsche Sache, sondern um den Mißbrauch für eine vordergründige parteipolitische Polemik. ({3}) In der Tat ist dies das schlimmste Übel aller außenpolitischen Debatten der letzten Jahre. Der Oppositionsführer Dr. Kohl hat sich entgegen seinen Ankündigungen diesem Trend nicht entgegengestellt. So gilt, was die „Neue Zürcher Zeitung" an diesem Wochenende über Dr. Kohl festgestellt hat - wenn ich zitieren darf, Herr Präsident -: „Die Opposition hat die in den ersten Monaten unter dem neuen Fraktionsvorsitzenden Kohl noch beachtete Offerte zur bedingten teilweisen Zusammenarbeit praktisch überall aufgegeben." Dies ein Jahr, nachdem Herr Dr. Kohl hier angeboten hat, von Fall zu Fall zusammenzuarbeiten. Statt der vor einem Jahr angekündigten Gemeinsamkeit in nationalen Fragen hat Dr. Kohl am letzten Donnerstag so makabre Sätze wie den produziert: wir, diese Regierung, ihre Fraktion, hätten - wörtlich - „die Sprengkraft der nationalen Frage" in die Müllgrube der Geschichte verbannen wollen. Ja, Sie verwenden in einem Atemzug die Wörter „Geschichte", „Müllgrube" und „Sprengkraft der nationalen Frage". Daß Sie unsere Bemühungen um friedliche Beziehungen als „hysterisches Lamentieren"; als „Leisetreterei" bezeichnen, was ist dies anders als innenpolitische Polemik? Muß Dr. Kohl unbedingt zu Dr. Strauß aufschließen? Wenn es aber das Ziel des Oppositionsführers ist - wenn dies der Oppositionsführer ernst meint -. die nationale Frage als Sprengkraft zu gebrauchen - und anders ist der Satz nicht zu verstehen, so wie er steht -, wenn diese nationale Frage in der internationalen Politik dieser Bundesrepublik Deutschland zum Kalkül werden soll, Herr von Weizsäcker, dann ist dies lebensgefährlich für den Frieden in Europa und in der Welt. Wissen Sie eigentlich, mit welchem Feuer Sie spielen, wenn Sie die Sprengkraft der nationalen deutschen Frage ganz bewußt ins politische Spiel bringen? ({4}) Die Welt weiß, dies ist eine ernste Frage. - Daß Sie beim Wort genommen werden bei dem, was Sie hier sehr leichtfertig ausführen, tut Ihnen weh: ({5}) Herr von Weizsäcker hat gerade in dieser nationalen Frage den Fraktionsvorsitzenden der SPD kritisiert. Ich erinnere mich, daß der Oppositionsführer hier sehr gerne in die pathetischen Worte ausbricht: „Ich bin ein deutscher Patriot!" Sie haben kritisiert, daß dazu etwas gesagt worden ist. Herr von Weizsäcker, nicht daß wir Sozialdemokraten das deutsche Nationalgefühl gering einschätzen, aber es gibt im Bundestag keine patriotisch privilegierten Parteien, sollte sie zumindest seit Hitler in diesem Parlament nicht mehr geben. ({6}) Nationalgefühl ist für mich in diesem Hause die stillschweigende Voraussetzung der Gesinnung eines jeden Abgeordneten. Wir Sozialdemokraten haben Deutschland so viel gegeben, daß für uns Patriotismus nicht eine täglich hochgezogene Fahne, sondern die Selbstverständlichkeit unserer Empfindungen und unserer Handlungen ist. ({7}) Deshalb müssen wir uns in diesem Hause nicht gegen den Vorwurf verteidigen, wir hätten die deutsche Frage in die Müllgrube der Geschichte abgeschoben. Wenn ein Abgeordneter dieses Deutschen Bundestages seit 1949 leidenschaftlich für die Einheit und für die deutsche Frage, für die Menschen in beiden Ländern gekämpft hat, dann ist es der Abgeordnete Herbert Wehner. ({8}) Deshalb muß ich zurückweisen, Herr Abgeordneter von Weizsäcker, was Sie eben ausgeführt haben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Weizsäcker?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002466, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, sind Sie bereit, erneut zur Kenntnis zu nehmen, daß es mir nur um eine einzige Frage ging, darum nämlich, ob die Verbindung der nationalen Frage mit der demokratischen Idee, ob dieses politische Gedankengut, das im 19. Jahrhundert nicht zuletzt Gedankengut der politischen Linken gewesen ist, in zutreffender Weise mit dem Wort „Schmonzette" abgetan werden kann? ({0})

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr von Weizsäcker, ich habe gerade gesagt, daß es aus Distanzierungsbedürfnis heraus ein Lieblingssatz des Oppisitionsführers ist zu sagen: „Ich bin ein deutscher Patriot!" Dies muß man als Abgeordneter dieses Deutschen Bundestages nicht betonen; ({0}) für mich ist dies eine Selbstverständlichkeit. ({1}) Die nationale Frage - und damit will ich zu dem kommen, was als Manifest in die Debatten dieses Hauses eingeführt worden ist - ist nicht die Frage, wie sich die Deutschen in ihrem nationalen Selbstgefühl heute begreifen; sie ist leider eine zentrale Machtfrage der Weltpolitik. Ich nehme an, das muß man im Jahre 1978 begriffen haben. Deshalb, Herr Dr. Kohl, sollten Sie hierherkommen und sollten dieses Wort vom Sprengsatz der nationalen Frage so klarstellen, daß draußen nicht der Eindruck entsteht, wir stünden nicht zu den Verträgen des Gewaltverzichts. ({2}) Wir sollten zweitens bei der ersten publizistischen Aufwallung der Versuchung widerstehen, den nationalen Sprengsatz zu gebrauchen. Wenn Abgeordnete des Deutschen Bundestags beim Übertritt nach Ost-Berlin zurückgewiesen werden, dann fühle ich mich, Herr Dr. Kohl, genauso getroffen wie Sie. ({3}) Und dies sagen wir der SED: Jede Zurückweisung eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages richtet sich gegen das ganze Haus. ({4}) Es gibt auch in der Beurteilung dessen, was in der DDR geschieht, wenn man hinschaut und mitbekommt, wie die Menschen drüben denken, sicher eine weitgehende Übereinstimmung. Aber da Sie, Herr von Weizsäcker, mich provozieren, muß ich eines anmerken. Der erste Artikel in diesem Magazin erschien im Dezember - ich muß das aus dem Kopf sagen; ich hatte das nicht vor, aber jeder kann dies nachprüfen - mit dem Aufmacher, Honecker sei am Scheitern, und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bruno Friedrich und ein Mitarbeiter dieser Fraktion sollten hinüber zu Honecker, um dort Gespräche zu führen. Vor zwei Wochen erschien eine völlig andere Meldung im „Spiegel", auch über mich, im Zusammenhang mit dem Kollegen Thüsing. Beide Meldungen sind unwahr. Auch der Kollege Thüsing hat bestätigt, daß wir das genannte Gespräch nicht geführt haben. Was mich beunruhigt, ist, daß eine Zeitung, die in großen Tageszeitungen mit ganzseitigen Anzeigen für eine solche Story wirbt, wenn sie einen stellvertretenden Vorsitzenden der SPD zitiert, es nicht einmal nötig hat, bei ihm nachzufragen, ob er selbst der Meinung ist, daß dies stimme. ({5}) Es sollte keine Streitfrage sein, daß Journalismus in der freien Welt auch die Pflicht zur journalistischen Verantwortung bedeutet. ({6}) Ich kenne nicht die Informanten des „Spiegel". ({7}) Aber ich bedaure, daß die Selbstverständlichkeiten des Journalismus in dieser Frage nicht die Grundlage einer der wichtigsten Veröffentlichungen waren. ({8}) Es ist in diesem Hause - und Ihre Reaktion beweist es ja - sehr schwer, über Außenpolitik und über Deutschlandpolitik zu diskutieren. Nun verlangen wir von Ihnen nicht, was 1960 der CSU-Abgeordnete von Guttenberg von der Opposition gefordert hat, nämlich jene Haltung einzunehmen, der Regierung in der Außenpolitik bei der Vertretung ihrer Politik gegenüber anderen Mächten nicht in den Arm zu fallen. Herr von Guttenberg hat das noch viel, viel schärfer präzisiert. Wir sind der Meinung, daß Kontroversen um Außenpolitik zum Normalzustand der parlamentarischen Demokratie gehören. Dies gilt aber nur, wenn es sich um eine offene Kontroverse handelt, in der jeder bereit ist, reale Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen und Entwicklungsmöglichkeiten unvoreingenommen zu prüfen. Davon sind wir in diesem Hause leider sehr weit entfernt. Ich bin der Meinung, daß man einmal, wenn man sieht, wie auch der Auswärtige Ausschuß weitgehend ruiniert ist, in den Fraktionen zumindest darüber sprechen sollte, ob es nicht möglich ist, in einzelnen Bereichen, in offenen Fragen, bei neuen Problemen, dort, wo ein unbefangener Dialog noch möglich ist, einmal einen gemeinsamen Versuch einer gemeinsamen Außenpolitik in einzelnen Positionen zu machen. In keinem Parlament der Welt ist es so, daß auf dem Gebiet der Außenpolitik alle Fragen kontrovers ausgetragen werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des' Abgeordneten Mertes?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie im Sinne Ihrer Aufforderung zur Gemeinsamkeit bereit sein, dem Deutschen Bundestag zu bestätigen, daß auch nach Ihrer Auffassung die Gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages zu den Verträgen von Moskau und Warschau keine Krücke für die Opposition war, sondern ein rechtlich und politisch maßgebender Text zur Auslegung und Ausfüllung dieser Verträge ist, der uns alle bindet?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mertes, da Sie diese Frage immer wieder beunruhigt: Soweit es um den Text der Entschließung geht, nehmen beide Fraktionen ihn ernst und stehen dazu. Ich möchte aber hinzufügen, daß für mich eine Krücke nicht eine Beleidigung, sondern ein humanitäres Instrument ist, und Sie hatten das damals nötig. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte gern fortfahren. Es muß doch noch möglich sein, in diesem Hause neben Texten auch noch eine Bewertung vorzunehmen. - Da Sie lachen, freue ich mich, daß endlich in diesem Hause die CDU bei einer außenpolitischen Debatte auch mal wieder eines Lächelns fähig ist. Der Bundesaußenminister hat am Donnerstag vier Grundlagen der Außenpolitik genannt. Er sagte: Wir wollen die europäische Einigung vorantreiben, wir wollen das Atlantische Bündnis erhalten, wir wollen durch Entspannung ein geregeltes Nebeneinander mit dem Osten und der DDR, wir wollen gerechten Interessenausgleich und gleichberechtigte Partnerschaft mit der Dritten Welt. Diese Sätze, als Prinzipien gesetzt, könnten von allen Fraktionen akzeptiert werden. Warum ist es also nun nicht möglich, den schablonenartigen Ablauf mit dem verbissenen Streit um die Ostpolitik mit Themen zu durchbrechen, wie ich sie gerade genannt habe? Herr von Weizsäcker, ich bin der Meinung, daß z. B. die Frage der europäischen Einigung für dieses Parlament ein gemeinsamer Auftrag wäre, weil wir, wenn ich an die Erweiterung der Gemeinschaft denke, die einzigen sind, die der politischen Bedeutung der Erweiterung den Vorrang geben. Diese europäische Einigung verlangt gemeinsame Anstrengungen aller Parteien freilich auch dann, wenn es um die Kasse geht. In der Tat ist die europäische Frage ins Zwielicht geraten. Wir werden uns eines Tages vielleicht fragen lassen müssen, ob wir nicht zwar gewaltige Europäer der Zunge gewesen sind, aber Europäer der Tat nur als politische Pygmäen. Diese Möglichkeit besteht nach wie vor. Dabei spielt die Europäische Gemeinschaft heute bereits eine höchst konstruktive Rolle in der Weltpolitik, vor allem im Nord-Süd-Dialog. In diesem Zusammenhang bewerten wir sehr hoch den Auftrag, den der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, erhalten hat. ({0}) Die Europäische Gemeinschaft ist heute weit mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie sollte auch weitaus mehr sein als Europäische Politische Zusammenarbeit. Es geht - ich weiß, daß hier manche schon zurückschrecken - um die Entwicklung einer gemeinsamen politischen und sozialen Kultur, die zugleich fähig ist, die Vielfalt der nationalen Kulturen zu achten und zu bewahren. Nach wie vor stehen wir auch erst am Anfang einer Erfahrung im gemeinsamen europäischen Handeln. Europa muß einen politisch-geistigen Verfassungskonsens entwickeln - auch dies wäre ein Auftrag an dieses Haus -, aber nicht in erneuter ideologischer Spaltung, sondern in der Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit, in der Aussöhnung der unterschiedlichen Strömungen und nicht im Aufeinanderprallen unter der Parole „Freiheit oder Volksfront". ({1}) In gemeinsamen demokratischen Wertvorstellungen und im sozialen Ausgleich zwischen den armen und den reichen Regionen Europas sehen wir unsere historische Aufgabe für diesen Kontinent. Ich gehe davon aus, Herr von Weizsäcker, daß Ihre Ausführungen in sehr hartem Gegensatz zu dem stehen, was im April des vergangenen Jahres der CSU-Vorsitzende Strauß in einem Interview in der „Welt" erklärt hat, als er sehr deutlich sagte, man werde lieber auf die europäische Einigung verzichten, wenn Europa sozialistisch wäre. Nun, daß er mit „sozialistisch" auch die sozialdemokratischen Parteien meint, wissen wir aus der Erfahrung der letzten Jahre. Deshalb unsere Frage: Sind Sie auch bereit, sich an der europäischen Einigung zu beteiligen, wenn Sie davon ausgehen müssen, daß die Mehrheitsfraktion im Europäischen Parlament vom Bund der sozialdemokratischen Parteien Europas gestellt wird? Wenn Sie dies bejahten, Herr von Weizsäcker, dann wären wir über Strauß hinaus einen großen Schritt weitergekommen. Unsere europäischen Bekenntnisse wird man an unserer Bereitschaft messen, den Staaten zu helfen, die als junge oder erneuerte Demokratien nach Europa hineinkommen. Enttäuschen wir die Hoffnungen Spaniens, Portugals, Griechenlands und, ich füge hinzu, auch der Türkei, dann wird sich Europa seine größte Niederlage seit 1945 selbst zufügen. ({2}) Europäische Solidarität wird aber auch an unserem Willen gemessen werden, die Notwendigkeit der Vollbeschäftigung als ein europäisches Problem zu begreifen. Wie soll ein demokratisches Europa eine Hoffnung der jungen Generationen sein, wenn dieses Europa den jungen Menschen nicht einmal die Aussicht auf einen Arbeitsplatz bieten kann? Dies ist in manchen Staaten ein viel größeres Problem als bei uns. Es wäre an der Zeit, daß sich die europäischen Staaten - und dies ist eine Aufforderung an den Ministerrat - zusammensetzen, um die Jugendarbeitslosigkeit als das wichtigste nicht nur soziale, sondern auch politische Problem der Europäischen Gemeinschaft 711 behandeln. ({3}) Friedrich ({4}) Wir wünschen die europäische Einigung, aber wir wünschen auch, daß die nationale Frage offenbleibt. Im Hearing zur Deutschlandpolitik hat Professor Dahrendorf dieses Problem angesprochen. Es ist ein drängendes Problem. Wir müssen uns diesem Problem stellen. Wenn Hearings den Sinn haben, politische Positionen, politische Entscheidungen vorzubereiten, dann sollten einmal das Problem der europäischen Einigung und die deutsche Frage in ihrem Zusammenhang im Bericht zur Lage der Nation eine breite Darstellung erfahren. Der CSU-Vorsitzende Strauß hat im April 1977 in seinem „Welt"-Interview alles abgelehnt, was den Korb II der KSZE-Schlußakte betrifft - ich darf zitieren -: Der Westen darf weder wissenschaftlich-technische Erkenntnisse liefern, die mittelbar oder unmittelbar der sowjetischen Rüstung dienen, noch Fabrikanlagen kreditieren, die der KP-Führung erlauben, mit den Schwierigkeiten im eigenen Land leichter fertigzuwerden. Dies ist eine klare Absage des wirtschafts- und finanzpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion an Korb II der Schlußakte. ({5}) Ich möchte wissen, wo manche deutschen Betriebe stünden, wenn sie nicht über die Ostpolitik eine gute Sicherung ihrer Arbeitsplätze hätten. ({6}) Wir freuen uns über jeden neuen Auftrag, den wir dank der Entspannungspolitik durch gute wirtschaftliche Beziehungen für unser Land gewinnen. ({7}) Was die Diskussion über die Entspannung, über die Menschenrechte so schwierig macht, ist, daß sie geführt wird, als ob wir noch in den Jahren 1970 bis 1975 stünden. Dabei hat sich seit Unterzeichnung .der KSZE-Schlußakte in Helsinki die internationale Lage auch in Europa qualitativ verändert. Die Ölkrise hat sich zu einer Strukturkrise der Weltwirtschaft ausgeweitet, und die wenig flexiblen Planwirtschaften der kommunistischen Staaten sind nicht minder hart, häufig härter betroffen als die westlichen Staaten. Die Sozialstrukturen aller Gesellschaften - und hier meine ich Ost und West - sind politisch in Bewegung geraten. Herr Strauß spricht ja so gerne von neuen Parteistrukturen, die er gerne haben möchte. ({8}) Die Oststaaten sind zum erstenmal mit autonomen kritischen Strömungen konfrontiert, vor denen der bisherige Kontrollmechanismus der Einparteiendiktatur versagt. ({9}) Die Dissidenten sind hier in der Tat nur Symptome. ({10}) - Ach Gott, wissen Sie, Herr Abgeordneter Jäger, manchmal hat man das Gefühl, daß dieses Haus die Gruft der toten Seelen der kalten Krieger ist, ({11}) aber weiterhelfen wird uns dies nicht. Auf der anderen Seite hat die amerikanische Nation, eine vitale Nation, Vietnam und Watergate überwunden, während sich die kommunistischen Staaten insgesamt erstmals seit der Oktoberrevolution einem ideologischen, ökonomischen und sozialen Veränderungsprozeß größter Dimension stellen müssen. Die Frage ist, wie dies von ihnen bewältigt wird. Ich gebe ganz offen zu, daß sich manche bei diesem Thema langweilen, weil man an diese Frage nicht mit den alten Schlagworten herangehen- kann. Dies gebe ich zu. Trotzdem ist dies für uns eine eminent wichtige Frage: ob dieses Problem im Sinne der KSZE-Schlußakte bewältigt wird oder ob wir mit einem neuen Rüstungswettlauf ohnegleichen rechnen müssen. Das ist eine nach wie vor offene Frage. Dies ist es, was ich die qualitative Veränderung der internationalen Politik nenne. Ich halte es aber für falsch, aus all diesen Veränderungen heraus ein Scheitern der Entspannungspolitik abzuleiten. Denn dies sind Veränderungen, die aus den nationalen Situationen und nicht aus den internationalen Beziehungen entstanden sind. In diesem Zusammenhang haben Sie, Herr Kollege von Weizsäcker, den Bundeskanzler gefragt, ob er da nicht zu optimistisch sei. Darauf darf ich aus einem Dokument antworten. Es ist ein interessantes Dokument, weil mit ihm am vorletzten Tag des letzten Jahres zum erstenmal in einem kommunistischen Staat - in Warschau - die Pressekonferenz des amerikanischen Präsidenten mit internationalen Journalisten in vollem Wortlaut, also ungekürzt, in einer kommunistischen Zeitung veröffentlicht worden ist. Inzwischen ist es auch auf deutsch veröffentlicht. Ich darf hier zitieren. Frage: Herr Präsident, was halten Sie von den Vorschlägen von Bundeskanzler Schmidt, dieses Treffen in dieser oder jener Form auf höchster Ebene zu wiederholen? Antwort von Präsident Carter_- wenn ich zitieren darf, Herr Präsident -: Ich glaube, daß die Beschlüsse von Helsinki, die zur Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa aufrufen, die auch den sogenannten dritten Korb enthalten, auf die maximale Festigung und Aufrechterhaltung der Menschenrechte Nachdruck legen, ein wichtiges Dokument für Friedrich ({12}) die Polen, für unser Land und die anderen Signatarstaaten dieses Vertrages sind. Wir sind der Meinung, daß die Belgrader Konferenz fruchtbar war. Es ist eine Frage, über die multilateral verhandelt werden muß. Die Bedingungen dieser Übereinkunft sehen eine offene und ehrliche Kritik seitens anderer Signatarstaaten vor. Wir hoffen, daß die Tagung schnell und erfolgreich beendet wird und es in Zukunft zu mehrfachen geplanten Begegnungen, die an die Belgrader Konferenz anschließen, kommen wird. Das heißt: Der amerikanische Präsident hat sich in Warschau dem Vorschlag des Bundeskanzlers voll angeschlossen. Wenn wir also aus dieser neuen internationalen Situation heraus fragen, wie es mit der Entspannung weitergeht, dann werden uns Augenblicksberichte nicht weiterhelfen. Gültig ist nach wie vor, daß aus der Machtlage in Europa heraus keine Seite der anderen Seite ihre Positionen aufzwingen kann, genauso, wie es unbestritten sein dürfte, daß der Versuch, von außen das politische System der Oststaaten zu sprengen oder zu stürzen, größere Gefahren auslösen würde als nur das Ende des Entspannungsprozesses. Nur wenn wir diese Gefahr des Umschlagens in einen neuen Kalten Krieg vermeiden, können wir in Europa für Wandlungen eintreten, die dem Anliegen der Menschenrechtsbewegungen entgegenkommen. ({13}) Als die osteuropäischen Staaten die KSZESchlußakte unterzeichneten, mußten sie sich darüber klar sein, daß der damit verbundene Annäherungsprozeß ihre eigenen politischen und gesellschaftlichen Strukturen verändern würde. Das Ausmaß und das Tempo dieser innenpolitischen Veränderungen hat sie zweifellos überrascht. Gegenwärtige Unsicherheit und Verkrampfungen sind daher eine natürliche Folge. Diese Situation verlangt von uns den Mut zum Weitermachen, noch mehr aber Augenmaß und Geduld. Ich nehme dafür den Vorwurf der Leisetreterei entgegen, weil dies dem Frieden in Europa dient. ({14}) Eine Antwort zu dieser Haltung gibt Immanuel Kant im Anhang seiner Schrift „Zum ewigen Frieden", als er, die Fortentwicklung der Diktatur zum gesetzlichen Staat prüfend, feststellt, es könne von einem Staat - und nun Kant wörtlich nicht verlangt werden, daß er seine, obgleich despotische, Verfassung ablegen solle, solange er Gefahr läuft, von anderen Staaten sofort verschlungen zu werden; mithin muß ... auch die Verzögerung bis zu besserer Zeitgelegenheit verlaubt sein. Und Kant spricht von „Gleis ins Gleis bringen". In einer Fußnote zu dem zitierten Satz bekräftigt Kant: Dies sind Erlaubnisgesetze der Vernunft, den Stand eines mit Ungerechtigkeit behafteten öffentlichen Rechts noch so lange beharren zu lassen, bis zur völligen Umwälzung alles entweder von selbst gereift, oder durch friedliche Mittel der Reife nahegebracht worden. Es scheint uns wichtig, in dieser - wie ich ganz offen sage - höchst komplizierten Phase des Entspannungsprozesses diese Sätze Kantscher Staatsklugheit zu beachten. Können wir es doch tun aus dem Wissen um unsere ungefährdete Stärke, Festigkeit und Sicherheit im Atlantischen Bündnis, die auch Präsident Carter für die USA bekräftigt hat. Aber neben der Sicherheit im Atlantischen Bündnis wollen wir nicht vergessen, daß Präsident Carter neben dem Kampf um Menschenrechte auch den Kampf gegen zuviel Rüstung als seine wichtigste Aufgabe bezeichnet hat. ({15}) Ich möchte zum Schluß, weil der Kollege Zimmermann dies am Donnerstag angesprochen hat, zur Reise der Delegation der SPD-Bundestagsfraktion mit Herbert Wehner nach Prag etwas sagen. ({16}) Sie war mehr als der signalisierte Wille, den Entspannungsprozeß offenzuhalten. Natürlich haben Sie es leicht, darüber zu spotten. Für diesen Besuch gab es viele Gründe. Aber ein Grund gilt für alle Fraktionen dieses Hauses, ich meine die Einhaltung des Vertrags von 1973. Die Herstellung friedlicher Beziehungen und ihre Weiterentwicklung sind nach der Ratifizierung des Vertrags, meine ich, eine Aufgabe aller Fraktionen dieses Hauses. ({17}) - Ich werde gleich einiges dazu sagen, Herr Kollege Barzel. Ich habe schon gesagt, ich möchte dazu etwas ausführlicher Stellung nehmen. ({18}) Es wäre gut, wenn auch Sie hinüberfahren würden. Es wäre gut für dieses Land, wenn 15 Millionen Menschen zur Kenntnis nehmen könnten, daß Europa die Tschechoslowakei und ihre Menschen nicht vergessen hat. ({19}) Ich möchte die Gründe für diesen Besuch nennen. Das deutsche Reich hat zwar nach dem Ersten Weltkrieg als erster Staat die tschechoslowakische Republik anerkannt. Aber dies war nach 60 Jahren, Herr Kollege Barzel, der erste Besuch einer deutschen Parlamentsdelegation in Prag. Ich meine, dies ist ein Grund. Ich glaube, darin stimmen wir überein. Der zweite Grund: Die CSSR ist zwar kommunistisch regiert. Aber sie zählt 15 Millionen Menschen, Friedrich ({20}) die unsere Grenznachbarn sind, mit denen wir friedlich leben wollen. Von diesem guten Willen, Herr Kollege Barzel, haben wir Zeugnis gegeben. Ich bedaure deshalb, daß der Landesgruppenvorsitzende der Christlich-Sozialen Union dieses Thema mit einer solchen Häme angegangen ist. Denn die bayerisch-böhmische Grenze war durch alle Jahr- hunderte hindurch eine friedliche Grenze, und die Menschen beider Seiten haben einander immer geschätzt. ({21}) Drittens. Durch unseren Besuch in Lidice haben wir kundgetan, daß wir nicht vergessen haben, daß das Münchener Abkommen und sein Bruch im Jahr 1939 der erste Anlaß zum Zweiten Weltkrieg waren. Auch dies ist ein Grund, in die CSSR zu fahren. Wenn Sie nach den Ergebnissen fragen, die Sie erwarten, dann kann ich Ihnen sagen, daß wir mit denen, die wir als Gesprächspartner zu haben die Ehre hatten - denn dies ist ein Land, mit dem wir feierlich Beziehungen aufgenommen haben und das wir respektieren -, alle Themen sehr offen und ungeschminkt angesprochen haben. ({22}) - Ich habe gesagt: Alle Themen sind offen und ungeschminkt angesprochen worden. ({23}) Aber ich weiß nicht, welche Vorstellungen Sie inzwischen von internationaler Politik haben. Ob eine Demokratie oder eine Diktatur: es wird keinen Staat geben, der es in Wahrung seiner eigenen Souveränität hinnehmen würde, daß er öffentlich bei einem eingeladenen Besuch Rechenschaft abgeben soll. Das, was wir zu erreichen versuchen, ist ein Klima, aus dem heraus sich die Beziehungen und auch die Menschenrechte so entwickeln, wie sie sich nach der KSZE in vielen Staaten Osteuropas entwickelt haben. Wir sind der Meinung, daß man die CSSR von dieser Entwicklung nicht ausschließen sollte. Wir freuen uns, daß ein Kulturabkommen bald möglich ist. Wir freuen uns, daß sich beide Staaten und das Rote Kreuz beider Staaten über die Zahlen der Ausreisewilligen geeinigt haben. Sie werden feststellen, daß es nicht 80 000, nicht 20 00, auch nicht 5 000 sind und daß man auf beiden Seiten in einer Situation ist, auch dieses humanitäre Problem zu lösen. Wir hoffen, daß auch noch andere humanitäre Probleme aus dem Klima einer neuen, besseren Beziehung heraus, wie wir sie seit dem Vertrag anstreben, lösbar sind. Ich möchte hinzufügen, daß wir uns davor hüten sollten, dieses kleine Land, das immer unter seiner europäischen Mittellage gelitten hat, wie oft auch die Deutschen, zur Drehscheibe des ideologischen Weltkonflikts zu machen. In der Tat, dies hält es nicht aus. Wenn zum erstenmal ein Staatspräsident dieses Landes die Bundesrepublik besucht, dann sollte er empfangen werden wie alle Staatspräsidenten, die wir als unsere Gäste hier begrüßen. ({24}) Dies alles trugen wir im Gepäck nach Prag, hatten es auch mit dabei bei der Rückfahrt. ({25}) Die SPD-Fraktion wird dem Haushalt des Bundeskanzlers aus der Gewißheit heraus zustimmen, daß sich die Position der Bundesrepublik Deutschland heute von der Rolle des Deutschen Reiches unterscheidet. Denn zum erstenmal, seitdem Deutschland ein weltpolitischer Faktor ist, befindet sich dieser Staat in Übereinstimmung mit den konstruktiven Trends der Weltpolitik. Wer im Herbst gespürt hat, was an Vorurteilen in unseren Nachbarstaaten und in der Welt noch lebendig ist, der weiß, daß dies für uns eine ungeheuer wichtige Aufgabe ist. So wie wir den Ausgleich mit Frankreich gesucht haben, so ist es an der Zeit, daß wir - und ich sage das im Sinne des Wortes - auch die slawischen Völker als gleichberechtigte Nachbarn mit einer gleichen gemeinsamen kulturellen Vergangenheit anerkennen und diese Nachbarschaft aktiv praktizieren. Dies ist ein Auftrag, dessen Erfüllung noch aussteht. Ich wünschte mir, daß diese neuen Probleme der internationalen Politik in diesem Hause in einem anderen Klima diskutiert werden könnten, damit wir zu den schwierigen Sachfragen vorzustoßen vermögen, die unser Land insgesamt bedrängen und die uns alle betreffen. So wie diese Debatte bis jetzt gelaufen ist, wird es noch ein Stück dauern. Der Bundesregierung hat es in ihrer außenpolitischen Handlungsfähigkeit nicht geschadet. Der Kanzler hat seine Mehrheit, und er wird sie auch heute haben. Aber ich meine, daß das außenpolitische Gewicht des Parlaments gelitten hat. Wenn wir dies ändern könnten, wäre das ein gutes Ergebnis dieser Debatte. ({26})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Bangemann.

Dr. Martin Bangemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000089, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Haushaltsdebatte - im besonderen die zum Etat des Bundeskanzlers - bietet eine sehr gute Gelegenheit, die Situation des Landes, für das man Politik macht, zu prüfen. Sie bietet aber auch eine gute Gelegenheit, sich selbst zu prüfen. Beides scheint mir nicht einfach zu sein, denn Verzerrungen sind in beiden Fällen vielleicht unvermeidbar. Daß wir uns beim Etat des Bundeskanzlers bis jetzt vorwiegend mit außenpolitischen Fragen beschäftigt haben, bietet aber vielleicht eine Möglichkeit, die Verzerrungen auszuschließen, die sich ergeben, wenn man selbst die Politik prüft, an der man beteiligt ist. Und diese Verzerrungen sind vielleicht größer als jene, die auftreten können, wenn die Bundesrepublik von außen betrachtet wird. Meine Fraktion benutzt deswegen gerne die Gelegenheit, das Echo unserer eigenen Politik nach draußen einmal daraufhin zu überprüfen, welches Bild sich das Ausland von unserer Situation, von unserer Politik macht und welche Schlußfolgerungen daraus für uns selbst angemessen sind. Dabei muß man zunächst einmal davor warnen, gelegentliche Kommentare ausländischer Zeitungen als das ganze Bild der Meinungen des Auslandes über uns anzusehen. Es ist verständlich, daß solche Kommentare besonders dann, wenn sie sich uns gegenüber sehr bitter und kritisch äußern, große Aufmerksamkeit finden und daß dabei vergessen wird, wer der Urheber solcher Kommentare ist und mit welchen politischen Absichten sie gegeben werden. Ohne jeden Zweifel wird eine kommunistische Zeitung selbst dann, wenn sie eine französische Zeitung ist, in ihre Kommentierung unserer Verhältnisse ihr politisches Urteil mit einfließen lassen. Das zu vergessen und diese Meinung dann als d i e französische Meinung zu nehmen, wäre falsch und würde uns selbst ein völlig falsches Bild dieses Echos liefern. Wenn man das ausschließt, stellt man fest, daß die Bundesrepublik ein Land ist, das von den benachbarten und mit ihr befreundeten Ländern wie auch von jenen, die ihr nicht so nahestehen, mit großer Hochachtung beurteilt wird. Das gilt von allen Bereichen der Politik, die heute angesprochen worden sind und an den folgenden Tagen noch angesprochen werden. Das gilt auch von der inneren Situation der Bundesrepublik, was die Bekämpfung des Terrorismus angeht. Wenn man diejenigen Stimmen ausschließt, die aus parteitaktischen Interessen heraus uns angreifen wollen, uns also subjektiv und verzerrt sehen, klingt bei allen Kommentaren die Hochachtung vor der Art und Weise durch, wie wir bisher mit diesem Phänomen, vor dem durch andere Länder stehen, fertig geworden sind. Es ist sicher auch richtig, daß bei der Bekämpfung des Terrorismus in der Vergangenheit durch die Einigkeit der Fraktionen in diesem Hause sehr viel dazu beigetragen worden ist, daß ein richtiges Bild von der Lebenskraft der Demokratie in unserem Lande entstanden ist, und wir sollten versuchen, dies beizubehalten. Das schließt nicht aus, daß man sich diesem Problem unterschiedlich nähert, und ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn der Kollege Strauß beispielsweise auf dem Problemfeld Gesetzgebung den Terrorismus in anderer Weise bekämpfen will, als ein Liberaler sich das vorstellt. Wenn ich davor gewarnt habe, daß auch in diesem Zusammenhang Gesetze mit Hast und heißer Nadel gemacht werden, war das die Warnung eines Liberalen vor den unvermeidlichen Fehlern, die entstehen, wenn man bei der Gesetzgebung mit Hast und Eile vorgeht. Wenn Herr Strauß diesen Fehler machen will, habe ich Verständnis dafür, denn ich habe ihn noch nie als Liberalen eingeschätzt. ({0}) Daß solche Grundsätze aber auch allgemein zum Gesetz des Handelns gemacht werden sollten, meine ich, sollte ungeteilte Meinung aller Fraktionen sein. Gerade die Oppositionsfraktion warnt immer davor - allerdings in anderen Zusammenhängen -, daß eine Flut von Gesetzen den Willen des Bürgers zur Zusammenarbeit in diesem Staate erstickt. ({1}) Das ist richtig, wie Sie sagen. Warum soll das falsch sein, wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus geht? Warum soll, was auf der einen Seite von Ihnen mit Recht als Gefahr für das Rechtsbewußtsein gebrandmarkt wird, auf der anderen Seite richtig sein? Ich sage Ihnen: Ein Ausweis für die Stärke des Rechtsstaats liegt nicht in der Zahl, in der Menge von Gesetzen und auch gerade nicht in der Hast, mit der solche Gesetze beschlossen werden. ({2}) Wir haben versucht, bei dem einzigen Gesetz, bei dem Eile nötig war, weil der Schutz eines Menschenlebens zur Debatte stand, beim Kontaktsperregesetz, trotz der Eile, die wir in diesem Fall anerkannt haben, einen Rechtsgrundsatz durch einen Änderungsantrag zu verankern, der - nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - für uns unzweifelhaft eine Leitlinie unseres Rechtsstaatsbewußtseins war, nämlich die Tatsache einer Verteidigung auch in einem solchen Fall. Sie sind uns nicht gefolgt. Wir beklagen uns nicht darüber; Sie waren anderer Meinung. Aber Sie können uns nicht zum Vorwurf machen, daß wir unseren eigenen Grundsätzen untreu werden, wenn es darum geht, Gesetzgebung auch auf diesem Gebiet vorzubringen und zu einem vernünftigen Ende zu bringen. Wenn wir uns über die Frage der Zuverlässigkeit bei der praktischen Bekämpfung des Terrorismus unterhalten, dann wollen wir gar nicht in eine Detaildiskussion eintreten; denn die wäre sehr peinlich für Sie. Ich nenne nur ein paar Namen: Mogadischu und Wiesbaden stehen für Erfolg und Tatkraft bei der Bekämpfung des Terrorismus, Stammheim steht für etwas anderes. ({3}) Auch wenn es darum geht, das Institut der Sicherungsverwahrung auszuweiten, müssen wir uns doch fragen, und zwar alle, ob das Institut der Sicherungsverwahrung, das mit Recht eine Ausnahme im Rechtssystem der Bundesrepublik geblieben ist - die zudem an ganz enge Voraussetzungen geknüpft ist -, nicht in einem direkten Widerspruch zu einem anderen tragenden Grundsatz unseres Rechtssystems steht, nämlich dem, daß Strafen auf das Ziel der Resozialisierung hin angelegt sein müssen. Nun weiß ich sehr wohl, daß das Ziel der Resozialisierung in einigen Fällen - deswegen kennen wir ja auch das Institut der Sicherungsverwahrung - eine Unmöglichkeit darstellen kann. Was wir befürchten, ist aber, daß dieses Institut, 5198, das auf diese Fälle der Unmöglichkeit angelegt ist, so erweitert wird, so zur Regel wird, daß der Grundsatz der Resozialisierung in unserem Rechtssystem zur Ausnahme wird und der Grundsatz einer Sicherungsverwahrung zur Regel werden kann. Das wollen wir nicht. ({4}) Wir wollen daran festhalten, daß Strafrecht dazu da ist, den Straftäter in die Gesellschaft und zu ihren Grundsätzen zurückzuführen und den Straftäter nicht auf Dauer aus dieser Gesellschaft auszuschließen. Das ist ein liberaler Grundsatz. ({5}) Das gilt auch von dem wichtigeren Bereich der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus; denn man kann auf dem Gebiet des Polizeirechts und der Gesetzgebung versuchen, noch so wirkungsvolle Riegel vor eine Entwicklung vorzuschieben, die bereits eingetreten ist. Die sicherste Methode, eine solche Entwicklung zu vermeiden, ist eine geistige Auseinandersetzung mit dem Terrorismus. Gerade dann, wenn Sie von dem Gedanken ausgehen, daß solche Täter nicht resozialisiert werden können, werden Sie gezwungen sein, die Quellen zu verstopfen, aus denen sich der Terrorismus ständig speisen kann. Das ist allein möglich mit einer geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus. Meiner Meinung nach ist die einzige wichtige Frage in diesem Zusammenhang die nach dem Urteil über Gewalt. Wir dürfen dieses Problem nicht zu leicht nehmen; denn das Phänomen der Gewalt in einer modernen Gesellschaft stellt uns vor sehr schwierige Fragen. Man kann das Problem der Gewalt und ihrer Bekämpfung nicht einzig und allein auf den Zusammenhang beschränken, den dieses Problem mit dem Terrorismus hat; man muß es auch im Zusammenhang sehen mit den übrigen Auffassungen, die in einer Gesellschaft gelten. Eine Gesellschaft, die Gewalt relativiert, wird die Gewalt beim Terrorismus nicht bekämpfen können. ({6}) Wir müssen deswegen die Gewalt in dieser Gesellschaft bekämpfen. Wir müssen dort, wo diese Gesellschaft Gewalt zuläßt, diese Erscheinungen und Tendenzen von vornherein eindämmen, wenn wir das Ergebnis dieser Tendenzen nicht akzeptieren wollen, nämlich den Terrorismus. ({7}) - Das gilt auch für die unzulässigen Differenzierungen zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen. Auch diese Differenzierung ist nicht zulässig, denn Gewalt ist Gewalt. ({8}) Das gilt, Herr Kollege, auch für die meiner Meinung nach unzulässige Differenzierung zwischen reaktionärer und progressiver Gewalt. Es gibt auch keine progressive Gewalt; Gewalt ist immer reaktionär. Gewalt wird niemals zu friedlichen Verhältnissen führen. Deswegen sage ich Ihnen auch ganz klar: Ich werde mich auch in außenpolitischen Zusammenhängen immer dagegen wehren, daß wir revolutionären Bewegungen unter dem Signum einer Freiheitsbewegung eine Lizenz für sogenannte revolutionäre oder progressive Gewalt geben. Dies halte ich nicht für möglich. ({9}) Nun müssen wir uns in diesem Zusammenhang sicher fragen: Welche Rolle soll die Bundesrepublik in ihren internationalen Beziehungen spielen? Was soll sie als ihr eigenes Gewicht definieren? Dabei finde ich es sehr gut, daß der Kollege Friedrich, zunächst einmal bezogen auf den Besuch seiner Fraktion in Prag, gesagt hat, man könne die internationalen Beziehungen zu anderen Ländern nicht definieren nach der Übereinstimmung dieser Länder mit den politischen Grundauffassungen, die wir selber haben. Wir wissen alle - Herr Friedrich hat mit Recht darauf hingewiesen -, daß es in der Welt eine ganze Reihe von Ländern gibt, mit denen wir Beziehungen unterhalten müssen; obwohl diese Länder andere politische Grundauffassungen haben, als wir selber verteidigen wollen. Daraus nun den Schluß abzuleiten, daß Beziehungen zu diesen Ländern nicht möglich sind, ist das Ende einer internationalen Rolle der Bundesrepublik. -Das gilt von all diesen Ländern. Das möchte ich hier unterstreichen. Das gilt nicht nur für die Tschechoslowakei. Ich kenne eine ganze Reihe von Ländern, die man in diesem Zusammenhang nennen muß, zu denen internationale Beziehungen auch dann aufrechterhalten werden müssen, wenn ihre Auffassungen mit unseren moralischen Standpunkten nicht übereinstimmen. Herr von Weizsäcker hat von der Moral in der Politik gesprochen. Man kann darüber lange philosophieren, aber eines ist sicher richtig: Wenn sich Politik auf Moral gründet, dann darf sie nicht einäugig sein, dann muß sie diese moralischen Überzeugungen überall und immer da anwenden, wo sie danach gefragt wird, und kann keine willkürlichen Unterscheidungen machen. Das gilt im besonderen von unserer Beteiligung bei Konflikten, an denen wir vordergründig nicht beteiligt sind. Es ist wahr: Es scheint so zu sein, als ob wir am Nahostkonflikt nicht beteiligt sind. Daß dies nicht wahr ist, darüber waren wir uns eigentlich alle klar. Bis vor kurzem war es noch eine von allen geteilte Meinung, daß wir in diesem Konflikt gefragt waren, weil mit diesem Konflikt der Weltfrieden in Gefahr geraten konnte und wir dann selbst davon betroffen wären. Ich habe Verständnis dafür, daß Herr von Weizsäcker sagt: Nun laßt die Leute doch erst einmal ihre Regelung selbst zustande bringen. - Nur: Den Satz, den Sie in diesem Zusammenhang gesagt haDr. Bangemann ben, nämlich wir könnten zu einer Friedensregelung nichts beitragen, halte ich für falsch. Ich halte ihn deswegen für falsch, weil das Gewicht der Bundesrepublik in der Europäischen Gemeinschaft -entgegen Ihrer zurückhaltenden Schilderung der Position, die wir dabei erlangt haben - so groß ist, daß wir die Haltung der Europäischen Gemeinschaft beeinflussen müssen. Ich halte auch das Gewicht der Europäischen Gemeinschaft in diesem Konflikt nicht nur für vorhanden, sondern sogar für notwendig. Ich bin davon überzeugt: Wenn die Europäische Gemeinschaft - und damit auch die Bundesrepublik - in diesem Konflikt nicht deutlich macht, daß eine dauerhafte Friedensregelung voraussetzt, daß niemand auf dem Wege zu einer solchen Friedensregelung territoriale Ansprüche durchsetzen will, werden wir die dauerhafte Friedensregelung nicht bekommen. Wir müssen Verständnis dafür haben, daß ein Land in Sicherheit leben will; wir können aber kein Verständnis dafür haben, daß ein Frieden erst dann erreicht wird, wenn territoriale Ansprüche durchgesetzt sind. Dies ist nach meiner Meinung der falsche Beginn einer solchen Regelung und wird ganz sicher nicht zu einem dauerhaften Frieden führen. ({10}) Herr von Weizsäcker, dasselbe gilt auch für die Frage, die Sie aufgeworfen haben, welches Verhältnis zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft besteht. Ich gebe zu, daß zunächst einmal der Gedanke, daß man eine solche Gemeinschaft zahlenmäßig vergrößert, dazu führen könnte, daß die Vertiefung erschwert wird. Nur muß das nicht so sein; denn es kommt sehr darauf an, mit welchem Willen diese drei neuen Länder in die Gemeinschaft eintreten. Nebenbei gesagt hat es mich immer stutzig gemacht, daß das Argument, das Sie hier angeführt haben, beispielsweise von Gaullisten am laufenden Band verwendet wird. Sie können nicht durch die Flure des Europäischen Parlaments gehen, ohne daß ein Gaullist Sie in eine Ecke zieht und Ihnen sagt: Passen Sie auf: Wenn wir jetzt um drei Länder größer werden, wird die Integration viel schwieriger. Ich frage dann immer zurück: Was hast du eigentlich bisher zur Integration beigetragen, das dich berechtigt, ein solches Argument vorzubringen? Das ist aber nicht entscheidend. Auch in diesem Zusammenhang ist für mich entscheidend, daß alle drei Länder unter ganz anderen Voraussetzungen als Großbritannien die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft anstreben, daß alle drei Linder von einer verstärkten Integration eigenen Vorteil haben werden und das auch wissen. Das führt dazu, daß sie mit einer sehr viel größeren Bereitschaft an dieser Integration mitwirken werden, als das vielleicht von dem einen oder anderen neuen Mitglied zu sagen ist, das der Gemeinschaft beigetreten ist. Das gilt auch hinsichtlich unserer eigenen Fragen nach Berlin, der DDR und der Entspannungspolitik. Ich weiß, daß Europa, die europäische Einigung, keine Garantie für eine Lösung der deutschen Frage ist. Wir haben uns kürzlich in Berlin darüber unterhalten, ob das in diesem Zusammenhang möglich ist. Ich weiß aber auch, daß die Lösung der deutschen Frage ohne eine Integration Europas sehr viel schwieriger sein wird, wenn sie sich in unserem Sinne vollziehen soll. Deswegen meine ich, wir sollten diese Integration auch wegen des Beistandes vorantreiben, den wir dabei gewinnen können. Die Europäische Kommission hat zu der Auseinandersetzung, ob das Europäische Parlament in Berlin tagen kann, in diesen Tagen unmißverständlich erklärt, daß das Europäische Parlament selbstverständlich das Recht hat, überall dort in der Europäischen Gemeinschaft zu tagen, wo die Europäische Gemeinschaft politische Auswirkungen hat, wo sie politisch existent ist. Das ist sie in Berlin. Das ist eine Unterstützung unseres Standpunktes, den wir, glaube ich, nicht geringschätzen sollten. In diesem Zusammenhang wird die Diskussion immer wieder auf die „Spiegel"-Veröffentlichung gebracht. Dazu möchte ich sagen, daß es für die Beurteilung der politischen Wirkung dieser Veröffentlichung gar nicht so sehr entscheidend ist, ob alles in dieser Veröffentlichung authentisch ist. Darüber kann man lange philosophieren, man kann Textanalysen anstellen oder persönliche Erfahrungen beitragen, wie das der Kollege Friedrich gemacht hat. Wir wissen alle, daß Zeitungen von Zeit zu Zeit über Personen und Sachverhalte auch einmal Unrichtiges berichten. Daraus kann man aber nicht den Schluß ziehen, daß alles, was Zeitungen berichten, unrichtig ist. Es gibt auch Richtiges, das in Zeitungen steht. Die Frage ist: Wer macht was mit dieser Veröffentlichung? Dazu muß ich Ihnen von meiner Fraktion aus sagen: Wir werden alle diejenigen bekämpfen, die diese Veröffentlichung - unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch ist - benutzen, um die Entspannungspolitik zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Das ist der einzige politisch relevante Gesichtspunkt. ({11}) Nehmen Sie einmal an, die Veröffentlichung ist von A bis Z falsch. Wer damit die Entspannungspolitik sabotieren will, tut etwas, das wir nicht zulassen werden. Nehmen Sie an, die Veröffentlichung ist von A bis Z wahr. Wer sie benutzen will, um die Entspannungspolitik zu sabotieren, wird uns ebenfalls zum Gegner haben. Jetzt prüfen Sie doch einmal Ihre eigene Position. Sie gehen bei der Zurückweisung von Mitgliedern Ihrer Fraktion durch DDR-Behörden davon aus, daß diese DDR-Regierung den Grundsätzen der Entspannungspolitik zuwidergehandelt hat. Wir unterstreichen das und haben gesagt: die DDR muß sich wegen dieser eklatanten Verletzung der Grundsätze entschuldigen. ({12}) Die Frage ist ja aber nun nicht, warum sie das getan hat, warum sie sich nicht entschuldigt, sondern die Frage ist, warum sie offenbar gezwungen ist, so zu handeln. Wenn wir das einmal untersuchen, werden wir feststellen - das hat ja eigentlich jeder in dieser Entspannungspolitik von vornherein gewußt -: eine demokratische Gesellschaftsordnung ist flexibler, ist entwicklungsfähiger und ist deswegen menschlicher. Sie kann sich auf die Notwendigkeiten eines solchen komplizierten Entspannungsprozesses einstellen. Eine bürokratische kommunistische Gesellschaftsordnung ist starr, verkrustet, unbeweglich, unmenschlich und wird sehr viel größere Schwierigkeiten haben, sich mit den Notwendigkeiten eines solchen Entspannungsprozesses vertraut zu machen und sich darauf einzustellen. Da wir das alle wissen - das ist ja ihre eigene Einschätzung dieser Gesellschaftsordnung -, bleibt uns doch nichts anderes übrig, als die Entspannungspolitik trotz der Unbeweglichkeit, trotz der Unmenschlichkeit dieser Systeme fortzusetzen. Denn sie ist die einzige Möglichkeit, zu menschlicheren Ergebnissen zu kommen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. ({13}) Das ist ein so klarer und einfacher Gedankengang, daß es in der Tat erstaunlich ist, daß wir immer wieder auf diese Frage zurückkommen müssen. Die nationale Frage und ihre Verbindung zur Demokratie! Ich weiß, Herr von Weizsäcker, daß Sie - und ich bewundere das - die Neigung und auch die Fähigkeit haben, politische Probleme in einen größeren Zusammenhang zu stellen, wiewohl Ihre Rede sicherlich schon konzipiert war zur Regierungserklärung der vergangenen Woche; aber das macht sie ja nicht schlechter, wenn Sie sie heute hier gehalten haben. Die Verbindung des nationalen Gedankens mit dem demokratischen Gedanken war in der Zeit der Entstehung des Nationalstaates ein Weg der Nationen zu sich selbst. Heute würde ich die Verbindung beider Gedanken, der Nation und der Demokratie, als einen Weg der Nationen zu anderen Nationen interpretieren. Für mich ist die nationale Frage heute die Frage: wie kann ich in meiner kulturellen, nationalen Eigenständigkeit den Weg zur kulturellen und nationalen Eigenständigkeit anderer Nationen finden? Ich werde Ihnen gleich sagen, was das in der Europapolitik für mich praktisch bedeutet. Wenn es uns nicht gelingt, die Europäische Gemeinschaft demokratischer zu machen, dann werden wir den Weg der Nationen in dieser Gemeinschaft zu anderen Nationen nicht bahnen können. Die Frage der Demokratisierung der Gemeinschaft ist ja nicht nur eine Machtauseinandersetzung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat. Es ist die Frage, ob es der Demokratie in Europa gelingt, den Weg der Nationen zueinander zu eröffnen oder nicht. Deswegen sind wir für die Direktwahl und für die Aufhebung des demokratischen Defizits in der Europäischen Gemeinschaft. Das ist die Aufgabe der Demokratie und der Nationen heute, nicht mehr wie im 19. Jahrhundert eine Frage des Weges zu sich, sondern des Weges zu anderen. ({14}) - Herr Kohl, ich bin der Meinung, an dem Beginn dieser Auseinandersetzung um Europa sollten wir alle einige Regeln akzeptieren, die für jedermann in diesem Hause und bei diesem Wahlkampf gelten. Erstens. Wir sollten die Auseinandersetzung um die unterschiedlichen Vorstellungen von Europa gar nicht scheuen. Ich empfinde es als einen Vor- teil, daß wir vom Europa der Sonntagsreden loskommen und daß wir zu einer Auseinandersetzung um die sozialistische Vorstellung von Europa, die christdemokratische und die liberale Vorstellung kommen. Denn damit wird dem Bürger ja auch deutlich, daß es sich lohnt, sich für Europa einzusetzen, wenn die Parteien ihre unterschiedlichen Vorstellungen davon entwickeln. Zweitens. Ich glaube, daß wir uns vor jeglichem Monopolanspruch hüten sollten, was Europa angeht. ({15}) Niemand in diesem Hause oder im europäischen Wahlkampf sollte sagen: Europa wird nur entstehen, wenn es sozialistisch ist, oder: es wird nicht entstehen, wenn es sozialistisch ist. Niemand sollte sagen: Wenn sich das konservative Europa nicht entwickelt, dann werden die Konservativen Europa ablehnen. Und das gilt für Liberale in gleicher Weise. In diesem Europa muß für Konservative, Sozialisten und Liberale in gleicher Weise Platz sein; sonst wird es nicht entstehen. Nun, brauchen wir einen Quantensprung, wie Herr von Weizsäcker gesagt hat, brauchen wir also eine völlige Veränderung der Qualität dieser Europäischen Gemeinschaft? Ich glaube nicht, daß das notwendig ist. Ich bin wie Herr von Weizsäcker der Auffassung, daß es falsch wäre, in einen unbegründeten Optimismus zu verfallen, und sicherlich wäre es völlig falsch, den Pessimismus nachzubeten, den man gewöhnlich antrifft, wenn man heute über Europa spricht. Es ist ja nicht mehr die Regel wie nach 1945, daß man unbegründeten Optimismus antrifft, Leute, die Grenzpfähle verbrennen und auf diese Weise Europa schaffen wollen, sondern in der Regel finden Sie eher Pessimismus, Skeptizismus, Zurückhaltung, wenn Sie sich mit diesen Fragen beschäftigen. Deswegen sollte unser Realismus, den wir hier anwenden, vielleicht doch ein bißchen optimistisch eingefärbt sein, um das zu konterkarieren. Daß wir aber keinen Quantensprung brauchen, um zu diesem Integrationsprozeß zu kommen, erkennt man, wenn man die Realitäten prüft. Ich bin der Überzeugung, daß Europa heute schon sehr viel mehr Wirklichkeit geworden ist, als die meisten von uns anzuerkennen bereit sind. Das liegt nicht nur in der Unkenntnis über diesen Prozeß, sondern das liegt natürlich auch daran, daß man sich weiDr. Bangemann gert, diese Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, weil man lieber in den alten, überholten Traditionen und Vorstellungen leben möchte. Ich will Ihnen ein ganz praktisches Beispiel dafür geben. Auf dem Höhepunkt der Debatte über die Folgen der Direktwahl im französischen Parlament, als Debré und seine Freunde das gesamte französische Parlament dazu gebracht haben, in einer Präambel zu dem Direktwahlgesetz darzulegen, daß sie mit dieser Direktwahl keine Folgen zu akzeptieren bereit sind, die die nationale Souveränität verletzen könnten und die eine Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments bedeuten würden, hat die Assemblée Nationale das Gesetz ratifiziert, durch das das Europäische Parlament das letzte Wort beim Haushalt erhalten hat. Sie sehen daran, wie stark und wie sehr Wirklichkeiten sich unterscheiden können von dem, was politisch als leere Hülle weitergetragen wird. Deswegen dürfen wir uns nicht täuschen. Wir haben zwar nicht das Europa des Alltags, es gibt Grenzkontrollen, wir haben nicht den gemeinsamen Paß - noch nicht -, wir haben alle diese Symbole unterbewertet, die für den Bürger Europa zu einer alltäglich erfahrbaren Realität machen. Das heißt aber nicht, daß dieses Europa nicht bereits Wirklichkeit ist. Diese Wirklichkeit ist vorhanden. Deswegen müssen wir davon ausgehen und dürfen bei unseren politischen Überlegungen nicht zu kleinmütig sein. Nebenbei gesagt, ich will jetzt hier nicht die Regierung verteidigen; sie kann das selber tun und wird das sicher auch noch machen; aber, Herr von Weizsäcker, wenn es einen Bereich in der Politik gibt, in dem diese Regierung, unbezweifelt von allen Partnern, die mit uns diese Politik betreiben, als Motor angesehen wird, dann den der europäischen Einigung. ({16}) Wer hat denn, als die Verhandlungen über die Direktwahl zum Stocken kamen und man vor lauter Sitzverteilung nicht mehr wußte, ob das große Ziel noch allen vor Augen stand, dafür gesorgt, daß dieses große Ziel wieder in den Mittelpunkt der politischen Entscheidungen gerückt wurde? Das war doch der Außenminister dieser Regierung. Diese Regierung, meine Damen und Herren, hat überhaupt keine Unklarheit darüber gelassen,. daß wir im Integrationsprozeß diejenigen Partner in Europa sein werden, die die Verpflichtung haben, den anderen zu helfen. Das ist für eine Regierung, die ja darauf angelegt ist, ihren Bürgern manchmal auch unangenehme Dinge sagen zu müssen, eine dieser Handlungen gewesen, die Sie selbst, Herr von Weizsäcker, verlangt haben. Wir haben darüber nicht geschwiegen. Ich will Ihnen am Schluß meiner Ausführungen sagen, wie sich Liberale dieses Europa vorstellen, wobei ich nicht die Forderung erhebe, daß Sie alle diese Meinung teilen sollten. Aber Sie sollten wissen, mit welchen Vorstellungen wir diesen Wahlkampf beginnen. Erstens. Wir wollen ein demokratisches Europa, das heißt, ein stärkeres Parlament in diesem Europa und einen schwächeren Ministerrat. Das heißt auch Bürgerrechte für den Bürger der Gemeinschaft. Er muß Grundrechtsschutz in dieser Gemeinschaft vorfinden und bei Verletzung seiner Grundrechte sich an den Europäischen Gerichtshof wenden können. Zweitens. Dieses Europa muß ein friedliches Europa sein. Es darf nicht in den Fehler verfallen, überholte Großmachtvorstellungen zu den Leitlinien seiner Politik zu machen, sondern muß der Partner gerade auch der unterentwickelten Welt werden, und die Ansätze in der Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaft sind ermutigend. Drittens. Wir brauchen ein europäisches Europa. Dieses Europa soll kein Schmelztiegel nationaler Eigenheiten werden, sondern soll in der Einheit der vielfältigen nationalen und regionalen Kulturen dieses Kontinents seine Stärke finden. Viertens und letztens, meine Damen und Herren, wir müssen eine offene Gemeinschaft bleiben. Wenn wir uns als den Closed shop der glücklichen Besitzenden in dieser Gemeinschaft empfinden, dann werden wir den Gedanken der Demokratie, der hier entschieden wird, nicht stärken. Diese drei Länder, die den Weg zurück von der Diktatur zur Demokratie gefunden haben - und das allein ist schon bemerkenswert -, können auf die Unterstützung der Liberalen in Europa vertrauen. Wir werden uns für dieses Europa einsetzen als für die einzige Alternative, die heute einem Demokraten auf diesem Kontinent bleibt. Wer nämlich Demokrat ist und es bleiben will, der hat keine Alternative, der ist Europäer und muß es bleiben. ({17})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein paar Bemerkungen zu dem, was bisher heute morgen und heute nachmittag hier vorgetragen worden ist. Man kommt ein bißchen in eine schwierige Lage, wenn man den Vorsatz hatte, der Sache zuliebe möglichst wenig Polemik einfließen zu lassen. Wenn man sich aber dann mit der Rede des Abgeordneten Strauß beschäftigen muß, dann dürfte man eigentlich auf sie gar nicht eingehen. ({0}) Trotzdem gibt es ein paar Punkte darin - - ({1}) - Das hat überhaupt nicht gesessen! Wenn jemand über eine Stunde redet, ohne ein konkretes Wort über das zu sagen, was er eigentlich selber will, kann man doch auf Ihrer Seite nicht unterstellen, die Rede habe „gesessen". Das Gegenteil ist wahr. Es war ein fantastisches Gemälde, das mich an Hieronymus Bosch erinnert hat: Lauter Scheußlichkeiten auf einem einzigen Bild, dargeboten im Stile von Volkholz oder Alfred Loritz. Das war es, war wir wirklich erlebt haben heute morgen. ({2}) Ich möchte aber, da hier mehrfach von einer Veranstaltung in der Bayerischen Landeshauptstadt in der letzten Woche die Rede war, zunächst einen eigenen Satz, den ich dort gesprochen habe, wörtlich wiederholen, nämlich diesen: Leidenschaft gibt's genug in unserer Politik in Deutschland, wenngleich keineswegs immer mit befriedigendem Tiefgang. Nachdem soviel aus München zitiert worden ist, darf ich meinerseits im Verhältnis zu der Rede des Herrn Abgeordneten Strauß an diesen Satz erinnern. Er hat Adam Smith zitiert; das ist ungefähr 200 Jahre her, Herr Strauß. Ich will nicht darüber rechten, ob er einer der Väter der modernen Volkswirtschaftslehre ist, wie Sie gesagt haben. Aber Sie haben Adam Smith zitiert als Kronzeugen für die schlimmen Folgen von Währungsentwertungen. Das mag ja nun richtig sein; dagegen ist auch nichts einzuwenden. Nur, ich nehme nicht an, daß Sie hier im Ernst von der Bundesrepublik Deutschland reden, was Währungsentwertung angeht. Sie haben doch heute morgen zum Beispiel mit einem ausländischen Präsidenten gesprochen. Der Oppositionsführer wird heute nachmittag denselben Herrn sprechen. Und so gibt es hundert oder zweihundert andere Herren auf der Welt, Staatschefs oder Ministerpräsidenten, die Ihnen das sagen, was Sie wissen und was ich Ihnen jetzt wiederhole: daß die Märkte der ganzen Welt die Deutsche Mark höher bewerten von Monat zu Monat, weil sie Vertrauen in unsere Wirtschaft haben, in die Sie, Herr Abgeordneter Strauß, das Vertrauen am liebsten zerstören möchten. ({3}) Es ist dort an jenem Sonnabend in Ihrer Landeshauptstadt, Herr Abgeordneter Strauß, über vielerlei wichtige Dinge gesprochen worden. Dabei fielen die folgenden Worte: Man kann unsere Gesellschaft mit starken Gründen von zwei Seiten her kritisieren. Man kann ihr vorwerfen, daß die realen, zumal die ökonomischen Machtverhältnisse aus ihr ein Zwangs" system machen: der Vorwurf der Repressivität. Man kann ihr vorwerfen, sie richte sich durch vernunftlosen Gebrauch der Freiheit selbst zugrunde: der Vorwurf der Permissivität. Der betreffende Redner - es war Professor Carl Friedrich von Weizsäcker - fuhr fort: Gleichwohl dürfen wir und müssen wir unsere reale Gesellschaftsordnung verteidigen. Wir werden, wenn wir sie verlieren, keine bessere bekommen. Der liberale Rechtsstaat ist ein moralisches Gut ersten Ranges, und seine Verwirklichung in der repräsentativen Demokratie ist immerhin eine der intelligenten Erfindungen, die die Menschheit im Felde der Politik gemacht hat. Die Stärke des Systems liegt gerade darin, daß man es von seinen eigenen Prinzipien her kritisieren kann. Etwas später - auch daran fühlte ich mich erinnert, als ich Ihnen heute vormittag zuhörte; dies hat direkt Bezug zu den Themen, von denen sowohl der Abgeordnete Strauß als auch der Abgeordnete von Weizsäcker gesprochen haben - heißt es: Zumal in den schweren Wochen des Kampfes um das Leben von Hanns Martin Schleyer und das Leben der Crew und der Passagiere der entführten Lufthansa-Maschine haben die Verantwortlichen unseres Landes, Regierung, Opposition, Presse, Polizei, eine bewundernswerte, 'präzise Selbstbeherrschung gezeigt. Wir haben gezeigt, was wir können, wenn Not am Mann ist. Dann fuhr Herr Professor von Weizsäcker fort: Ich wage nicht zu sagen, wir hätten in den Intervallen zwischen den Angriffen der Versuchung widerstanden, einen nationalen Notstand als illegitime Waffe im legitimen Interessenkonflikt der Parteien, als Meinungsgift in einer vernunftlosen Polarisierung der politischen Emotionen zu benützen. Das trifft ganz genau den Punkt, an dem Sie heute morgen gewesen sind: Meinungsgift im Kampfe emotionalisierender politischer Konfrontation! ({4}) Ich füge einen Satz hinzu, der sich nun allerdings auch mit an den Abgeordneten Richard von Weizsäcker richtet: In totalitären Regimen ist, wie wir alle wissen - Sie haben es noch einmal hervorgehoben, indem Sie auf jene Veröffentlichung im „Spiegel" abgehoben haben -, Kritik eine Sache des Mutes, eine Sache der persönlichen Tapferkeit. Zustimmung zu dem, was in totalitären Regimen geschieht, meine Damen und Herren, die ist leicht und einfach; für diejenigen, die davon betroffen sind, kann die Zustimmung manchmal eine Frage ihres Überlebens sein. Aber, umgekehrt, in freiheitlichen Systemen ist Kritik billig, verlangt Zustimmung manchmal Tapferkeit. Es wäre gut, wenn Sie diese Tapferkeit aufbrächten, auch anzuerkennen, wo dieser Staat in Ordnung ist und wo das, was hier in Deutschland gemacht wird, gut ist; wenn Sie das einmal über die Lippen brächten, meine Damen und Herren. ({5}) Ich muß in dem Zusammenhang auch auf Bemerkungen zurückkommen, die der Oppositionsführer in der letzten Woche gemacht hat; sie sind von Herrn Strauß in der ihm eigenen Form und von Herrn Abgeordneten von Weizsäcker in der ihm eigenen, sehr viel akzeptableren Form wiederaufgenommen worden. ({6}) - Ja, diesen Unterschied zu machen, wird man uns doch wohl noch erlauben müssen, nachdem wir beiden Rednern zugehört haben. Es war doch wohl ein dicker Unterschied in der Substanz wie im Stil der Darbietung. ({7}) Das wäre ja wohl sehr unfair, wenn wir den Herrn von Weizsäcker über denselben Kamm wie den CSU-Vorsitzenden scheren wollten. Das wäre wohl sehr ungerecht. ({8}) Diese Bemerkung bedeutet aber nicht, daß ich in der Substanz mit dem übereinstimme, was Herr Kollege von Weizsäcker hier ausgeführt hat; denn in der Substanz haben alle Herren der CDU/CSU versucht darzutun, was ich auch in der „Rheinischen Post" letzte Woche schon gelesen habe. Nämlich, daß in den Erörterungen und Beratungen des großen Beratungskreises während jenes langanhaltenden terroristischen Verbrechens, das uns alle so schrecklich beschäftigt hat, Versprechungen für eine bestimmte Gesetzgebung gemacht worden seien, die nun nicht erfüllt würden. Ich glaube, ich habe das einigermaßen wertneutral richtig wiedergegeben, was Sie hier vorgetragen haben. ({9}) - Ich bin aber gerne bereit, Ihren Zwischenruf aufzunehmen: Wie war es denn gemeint, Herr Kohl? ({10}) - Auf den Gesichtspunkt, den Sie jetzt mit Ihrem Zwischenruf verdeutlichen, meinte ich, vorige Woche schon eingegangen zu sein. Ich will ihn nachher aber noch einmal aufnehmen. Ich will bei Ihnen nicht den Eindruck hinterlassen, als ob ich diesen Gesichtspunkt nicht aufnähme. Ich will aber den anderen Punkt vorweg behandeln, der in öffentlichen Darstellungen erhoben wird, als ob es bestimmte konkrete Zusagen für bestimmte Gesetzgebungen zum Terrorismus gegeben habe. Das trifft so nicht zu - mit einer Ausnahme und mit einer wesentlichen Ergänzung. Diese Ausnahme war das Kontaktsperregesetz. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück; diese haben wir dort unter uns verabredet. Die ergänzende Bemerkung ist diese, daß in der Tat unter allen Beteiligten eine Hoffnung nicht nur bestanden hat, sondern auch ausgedrückt worden ist hinsichtlich der hier notwendig werdenden Gesetzgebung. Sie fällt ja zum Teil in den Bereich der Ergänzung des Strafrechts oder des Strafprozeßrechtes, zum anderen Teil in den Bereich des, im allgemeinen Sinne gesprochen, Polizeirechts. Es hat die Hoffnung bestanden, und sie ist auch ausgedrückt worden, nach Möglichkeit die hier notwendig werdenden Wege gemeinsam gehen zu können. Es war von vornherein klar, daß die Richtungen, in die diese Gesetzgebung würde gehen können oder gehen müssen, zu jenem Zeitpunkt nicht völlig übereinstimmend gesehen wurden, im Gegenteil. Es hat ja mehrere sogenannte Sicherheitsgespräche gegeben. Auch bei diesen ist klargeworden, daß man nicht in allen Punkten übereinstimmte. Ich komme auf zwei jener Punkte gleich noch einmal zurück, weil ich an diesen Punkten am besten belegen kann, was ich meine. Nun aber zu dem Zwischenruf, Herr Abgeordneter Kohl, den Sie soeben gemacht haben. Man kann es noch stärker zuspitzen, als Sie es getan haben. Herr Abgeordneter Strauß hat heute morgen, meiner Erinnerung nach, formuliert, die Regierung oder ich hätten so getan, als ob es darum ginge, entweder Opfer hinzunehmen oder den Rechtsstaat aufzuheben. ({11}) - Nein, das war nicht mein Vorwurf. Ich fühle mich da sehr unzulässig simplifiziert und - ich bitte um Entschuldigung - bösartig simplifiziert durch Sie wiedergegeben, Herr Abgeordneter Strauß. ({12}) Was ich tatsächlich in den letzten Wochen ausgeführt habe, war dies, daß es zwischen diesen beiden Extremen, die Sie mir unterstellen - und ich habe das expressis verbis vom Pult des Bundestages aus gesagt -, einen breiten Raum für vernunftgemäß abgewogene, dem Grundgesetz gehorsame Gesetzgebung und für vernunftgemäß abgewogenes, dem Grundgesetz gehorsames Handeln gebe. Das war mein Wortlaut. ({13}) Das können Sie im Bundestagsprotokoll kontrollieren. ({14}) Deswegen muß ich mich dagegen wehren, hier in einer solchen Weise eingeengt und so verbogen dargestellt zu werden, daß Sie es hinterher leicht haben, auf solche Zerrbilder Ihre Kritik anzuwenden. Herr Abgeordneter Kohl, ob ein Staat Opfer, moralisch . betrachtet, verlangen kann, entscheidet sich nach seiner eigenen Qualität. Ein moralisch miserabler Staat hat keine moralische Legitimität, Opfer zu verlangen. Darin stimmen wir sicher überein, aber das Recht des Staates, Opfer zu erwarten oder hinzunehmen, ergibt sich nicht daraus, daß er verspricht, seinerseits bestimmte Gesetze so zu fassen, wie die Opposition es wünscht. Hier werden Sie nun nicht widerprechen, wenn ich sage, daß man über diese Gesetzgebung und ihre Zweckmäßigkeit durchaus verschiedener Meinung sein kann. Der Staat aber kann Opfer nicht nur dann verlangen oder als unvermeidlich hinnehmen müssen, wenn er gleichzeitig verspricht, bestimmte Gesetze zu machen. Sie haben Gesetze vorgeschlagen. Nehmen wir einmal an, diese wären letzte Woche bereits so, wie Sie sie vorgeschlagen haben, beschlossen worden. Auch das würde ja niemandem bei Ihnen die Sorge nehmen, die Sie ausgesprochen haben, daß weitere Verbrechen geschehen, wie gerade in den letzten Tagen in Frankreich eines geschehen ist; sie haben die Meldungen darüber gestern oder heute morgen in den Zeitungen gelesen. Sie haben mich an das Wort erinnert, daß man bereit sein müsse, im Notfall bis an die Grenzen des Rechtsstaats zu gehen. Dies war nicht so sehr auf Gesetzgebung gemünzt, war auf das Handeln der Regierenden gemünzt. Aber ich habe keine Einwendung, es auch auf die Gesetzgebung zu beziehen. Wir haben dieses Wort tatsächlich befolgt, und Sie haben mitgewirkt; ich bin dafür dankbar gewesen, und ich will dies auch heute nicht leugnen. Wir haben das Wort auf zwei Gebieten befolgt: auf dem Gebiet des Handelns und auf dem Feld der Gesetzgebung. Wir sind bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen, als wir uns gezwungen sahen, für die - teils als Strafgefangene, teils als Untersuchungsgefangene - einsitzenden Terroristen eine Kontaktsperre anzuordnen. Das war zunächst exekutives Handeln der dafür zuständigen Landesbehörden, allerdings auf Anregung durch die Bundesregierung, während die Bundesregierung wiederum unter der Anregung durch die gemeinsamen Beratungen handelte. Dies ging in der Tat bis an die Grenze. Die Rechtfertigung für solches Handeln konnte nur im § 34 StGB liegen, und da haben wir sie auch hergenommen. Diese Bestimmung besagt dem Sinne nach - ich möchte mich hier nicht mit genauester Gesetzeskenntnis hervortun und kann den Paragraphen nicht aus dem Kopf wörtlich zitieren- :Jemand, der ein Rechtsgut verletzt, dessen Verletzung nach dem Strafgesetzbuch eigentlich mit Strafe bedroht ist, geht dann straffrei aus, wenn er ein höheres Rechtsgut - in diesem Fall das Leben anderer - nur auf diese Weise schützen kann. So wie sich Herr von Weizsäcker in dem Punkt vorhin ausgedrückt hat, stimmen wir überein. Es ging um die Erhaltung der Schutzfähigkeit des Staates hinsichtlich des Lebens anderer, die in Zukunft in Gefahr geraten konnten. Deswegen sind wir unter Anwendung des Rechtsprinzips, wie es in § 34 StGB steht, bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen und haben um des Schutzes des Lebens anderer willen die Kontaktsperre angeordnet. Als es dann rechtlich begründete Zweifel gab, ob dies wohl zulässig sei - der Zweifel wurde ja auch vor Gerichte getragen -, haben wir dazu sogar ein Gesetz gemacht und sind gesetzgeberisch damit, daß wir die Kontaktsperre ermöglichten, an die Grenzen des Rechtsstaates gegangen. Wir haben auf diesem Feld alles ausgeschöpft, was uns möglich war. Inzwischen ist es so, daß, wie jedermann weiß, schon seit längerer Zeit kein Anlaß vorliegt, dieses Gesetz anzuwenden. Aber das Instrument ist in rechtsstaatlich einwandfreier Weise geschaffen worden. Ich glaube, es gibt auch bei Ihnen keinen Zweifel, daß man damit bis an die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit gegangen ist. Wir haben sie damit nicht überschritten; da bin ich ganz sicher; wohl aber hat es in diesem Haus viele gegeben, die sich der Tatsache, daß man hier bis an die Grenze ging, durchaus bewußt waren. Es gab auch einige, denen diese Grenze schon zu sehr berührt erschien. Das heißt aber doch nicht, daß man auch auf allen anderen Feldern bis an die Grenzen des rechtsstaatlich Zulässigen zu gehen habe. Das kann es doch nicht heißen. Es gibt zwei wichtige Gesichtspunkte, die mich bewegen, auf jedem einzelnen Feld genau abzuwägen, wieweit man gehen darf. Das eine Kriterium entnehme ich der Rede eines unserer Bundesverfassungsrichter, der vor einigen Tagen in einem öffentlichen Vortrag in der Evangelischen Akademie Tutzing ausgeführt hat: Die streitbare Demokratie braucht vor allem streitbare Demokraten, während ein übermäßiger institutioneller Schutz das Schutzobjekt selbst ersticken kann. ({15}) - Herr Simon; richtig. Da vorhin unter dem Beifall der CDU/CSU-Fraktion eine in einer anderen Sache einstimmig ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beklatscht worden ist, wird man wohl in diesem Haus einen Verfassungsrichter zitieren dürfen, wenn man ihm innerlich zustimmt. ({16}) Jener Verfassungsrichter, der insoweit sicherlich nicht mit der Autorität des Gerichts sprach, sondern seine persönliche Meinung in abstrakter Weise zum Ausdruck brachte, stellte dann die Erwägung an, daß man im konkreten Fall abwägen muß, ob man um der Wohltaten des freiheitlichen Rechtsstaats willen eher ein begrenztes Risiko in Kauf zu nehmen habe, als Maßnahmen zu ergreifen, welche die Substanz der rechtsstaatlichen und sozialen Demokratie schmälern könnten. Man muß in der Tat in jedem konkreten Fall abwägen - und das haben wir ja bei dem Kontaktsperre - Gesetz auch getan -, ob hier die Substanz geschmälert werden könnte. Jeder Eingriff in ein Rechtsgut, auch wenn er zugunsten eines anderen, noch höherwertigen Rechtsguts geschieht, bleibt ein Eingriff, und es besteht die Notwendigkeit der Güterabwägung - nicht nur hinterher für den Richter, sondern auch vorher für den Gesetzgeber. Das andere Kriterium, das für mich eine große Rolle gespielt hat - ich sage das nicht zum erstenmal im Deutschen Bundestag -, ist das sehr ernsthafte Hinhören gegenüber distanziert abwägenden Beurteilern im Inland und besonders jenen, die uns aus dem Ausland durch Kritik und Rat geholfen haben. Dies ist auch außenpolitisch ein wichtiges Kriterium. Es ist übrigens möglicherweise auch eine Hilfe zur eigenen moralischen Orientierung. Ich will auf zwei konkrete Punkte zu sprechen kommen, weil sie in diesem Zusammenhang heute eine Rolle gespielt haben. Den einen Punkt hat Herr Abgeordneter Strauß genannt: die Verteidigerüberwachung. Ich habe dem Bundestag - viele Monate ist es her - schon einmal vorgetragen, daß ich auf Grund von Einsichten und Erfahrungen, die ich gewonnen habe, in diesem Punkt meine Meinung geändert habe. Das hat mit dem konkreten Fall vom vorigen Oktober nichts zu tun, sondern es hat damit zu tun, daß mir hohe Richter klargemacht haben, daß die Überwachung von Gesprächen durch Richter, die mit der Sache, in die der jeweilige Terrorist verstrickt ist, nichts zu tun haben und davon auch nicht viel kennen, nicht wirksam sein kann. Ich verweise zum Beleg dafür nun auch auf den Tenor der Begründung des Karlsruher Gerichts für sein Urteil, nach dem die Kontaktsperre zulässig ist. Da heißt es im Tenor: Ein anderes Mittel, um zu verhindern, daß von den Terroristen drinnen etwas an die Terroristen draußen übermittelt wird - oder umgekehrt -, ist „nicht ersichtlich". Das hat unmittelbaren Bezug auf die Frage der Überwachung des Verteidigergesprächs durch den Richter. ({17}) - Schauen Sie sich das Urteil an. Ich deute es hier nur an, um Ihnen darzutun, Herr Abgeordneter Strauß, daß ich meinen damaligen Meinungswechsel - es ist nun schon viele Monate her - in diesen Ausführungen des Bundesgerichtshofs bestätigt gefunden habe. Auch der zweite Punkt ist hier schon behandelt worden. Es ist die Frage der von der CDU/CSU vorgeschlagenen Sicherungsverwahrung, die schon nach der ersten Verurteilung angeordnet werden können soll. Ich habe Ihnen schon einmal dargetan, daß ich persönlich meine Zweifel im Hinblick auf diesen Vorschlag früh geäußert habe. Bisher ist das Instrument der Sicherungsverwahrung in Deutschland an den Tatbestand des Hangtäters geknüpft. Ich habe Ihnen ebenfalls schon einmal dargetan: An mir persönlich würde es vielleicht nicht scheitern; denn ich bin in dieser Sache durchaus offen, zu lernen und Erfahrungen hinzuzugewinnen. Aber es geht nicht, Herr Strauß, jemandem, der die ganze schreckliche Erfahrung des Mißbrauchs, die mit diesem Instrument zu anderer Zeit getrieben wurde, noch in Erinnerung hat, schlechthin zu unterstellen, es sei menschliche Schwäche, die ihn daran hindere, mit fliegenden Fahnen auf ein solches Instrument zuzugehen. ({18}) Es ist nicht menschliche Schwäche, sondern es sind moralische Skrupel, die mich bisher gehindert haben, ohne zu zögern auf dieses Instrument zuzugehen. Ich sage noch einmal: Für mich persönlich ist dies nicht ein Punkt, in dem ich völlig unbelehrbar wäre. Es lassen sich wohl auch noch andere Formen, Voraussetzungen und Bedingungen finden als die, die bisher in der Diskussion eine Rolle gespielt haben. Im übrigen möchte ich, was die Opfertheorie angeht, noch eines hinzufügen dürfen. Herr Kohl hat vorige Woche gesagt, er sei mit Hanns Martin Schleyer befreundet gewesen. Jeder von uns weiß, daß das stimmt. Unter den Toten, die die Taten der Terroristen gefordert haben, sind viele, deren Namen wir inzwischen in Deutschland alle ganz gut kennen. Der erste Name, der sich tief eingeprägt hat, ist der des deutschen Verteidigungsattachés in Stockholm, von Mirbach. Es gibt viele andere Namen: Herr Buback, Herr Richter von Drenkmann oder Jürgen Ponto. Ich darf von Jürgen Ponto sagen, daß wir seit langer, langer Zeit, seit einem Vierteljahrhundert, befreundet gewesen sind. Meine Frau hat seine Kinder in der Schule unterrichtet. Wir haben uns im Urlaub gesehen. Viele von uns mögen ebenso eine gute persönliche Beziehung zu Generalbundesanwalt Buback gehabt haben. Viele von uns haben eine gute Beziehung zu Schleyer und zu anderen gehabt. Deswegen verstehe ich sehr Ihr persönliches Getroffensein von einem Opfer, das sich in Ihrer unmittelbaren Nähe vollzogen hat. Das geht vielen von uns ähnlich; dies wollte ich mit diesen Bemerkungen nur sagen. Ich habe deswegen vorige Woche schon gesagt: Wenn wir in diese Lage kämen - Sie, Herr Kohl, oder ich -, würde jeder hier im Hause wissen, daß wir zu dem gleichen Opfer verurteilt wären. Wir hätten natürlich unter dem erpresserischen Druck der Terroristen - das steht zwar nicht im Gesetz; der Gesetzgeber hat dafür keine Vorsorge getroffen - theoretisch auch Terroristen ausliefern können. Möglicherweise wäre damit das Leben des einen oder anderen zu retten gewesen - möglicherweise! Sicher kann das niemand sagen. Aber auch solche Entscheidungen - dessen war sich doch jeder, der zu entscheiden hatte, durchaus bewußt - wären Entscheidungen an der Grenze des Rechtsstaats gewesen. Denn nirgendwo steht im Gesetz, daß Sie des Mordes Verdächtige oder wegen Mordes Verurteilte freilassen dürfen! Auch das wäre eine bis an die Grenzen des Rechtsstaats gehende Entscheidung gewesen. Wenn wir das aber getan hätten, wären die Terroristen zur nächsten Geiselnahme ermutigt worden. Wir hätten dann ganz allgemein - ich nehme noch einmal das Wort von Herrn von Weizsäcker auf - die Schutzfunktion des Staates für das Leben vieler Menschen gefährdet. Das haben wir nicht tun wollen. Deswegen sind die Terroristen mit ihrer Vorstellung, wir würden uns ihrem Diktat beugen, gescheitert. Deswegen haben mehrere von ihnen sich schließlich angesichts der Aussichtslosigkeit ihres Beginnens selbst das Leben genommen. Wenn man das alles rekapituliert, dann, glaube ich, wird man zu der übereinstimmenden Meinung kommen können, daß man über die Ausgestaltung der konkreten Gesetzgebung verschiedener Meinung sein darf, wobei einer dem anderen seine moralischen und seine sittlichen Grundpositionen nicht abzustreiten braucht. ({19}) Wenn im Ernst einer von uns dem anderen dessen sittliche Grundpositionen bestreiten wollte, wäre das ein schlimmer Sieg der Terroristen im Deutschen Bundestag. ({20}) Es gibt nach unserer Vorstellung - und ich habe das in der letzten Bundestagsdebatte in der vorigen Woche gesagt, nachdem Herr Kollege Genscher es vor mir in ähnlicher Form ausgesprochen hatte - einige Veränderungen von Gesetzen, die so notwendig sind, daß wir auf sie nicht verzichten können und wollen; darüber soll sich hier niemand täuschen. Es gibt andere, bei denen man in der Frage, wie wichtig sie seien, verschiedener Meinung sein kann, und es gibt wiederum andere - ich habe zwei Beispiele dafür genannt, nämlich die Überwachung des Verteidigergespräches und die Sicherungsverwahrung -, bei denen ich selber die größten Zweifel hätte, ob ich darauf zugehen sollte. Beim ersten, weil ich es nicht für zweckmäßig halte, und beim zweiten, weil ich - jedenfalls einstweilen noch - sittliche Zweifel habe. Ich möchte ein oder zwei Bemerkungen zu anderen Themen machen, die in der Rede von Herrn Abgeordneten Strauß eine Rolle spielten. Eine Bemerkung möchte ich ausdrücklich unterstreichen, nämlich die Klage - ich habe es mir so mitgeschrieben und zitiere hoffentlich richtig - über die zunehmende Bürokratisierung aller öffentlichen, aller privaten, aller privatwirtschaftlichen Bereiche. Ich finde es ganz ausdrücklich nicht nur zutreffend, sondern ungeheuer wichtig, daß man sich in allen öffentlichen, in allen privaten, in allen privatwirtschaftlichen Bereichen dieser Gefährdung bewußt wird und daß wir alle in unserem jeweiligen Bereich im konkreten Einzelfall, dann, wenn wieder einmal diese Krebsgeschwüre bürokratischer Regelung auftreten, die Idas Leben, die innere Dynamik und die Vielfalt des Lebens ersticken, dem entgegentreten. Es war ganz richtig, daß auch auf den privatwirtschaftlichen Bereich hingewiesen worden ist, und es ist richtig, auch auf alle Bereiche der sogenannten Selbstverwaltung hinzuweisen, ob in der Kommunalpolitik oder in der Sozialpolitik oder in der Kammerpolitik oder wo auch immer. Ich will das ausdrücklich unterstreichen. Eine andere Bemerkung zur Währungspolitik. Herr Abgeordneter Strauß, Sie haben auch etwas zum Dollarkurs gesagt. In der Tendenz haben wir uns da offensichtlich nicht voneinander unterschieden. Nur wäre es halt auch eine Unterstreichung dessen, was Sie sagten, gewesen, wenn Sie etwas hinzugefügt hätten. Ich will Ihnen keine Ratschläge in bezug auf Glaubwürdigkeit geben, aber die Wahrheit ist nicht ganz vollständig, wenn Sie bei dieser Gelegenheit unterschlagen, daß die Deutsche Mark in' den Augen der Welt eben laufend an Wert gewinnt und daß sich das an den Devisenbörsen weltweit in Wechselkursen niederschlägt, die genau das Gegenteil von dem beweisen, was Sie an Schwarzmalerei hier jedesmal ausbreiten, wenn Sie das Pult betreten. ({21}) Ihr Kollege von Weizsäcker hat an die Kraft der Abgeordneten des Parlaments zur Beschreibung der tatsächlichen Lage appelliert. Er hat damit uns gemeint, aber er wird akzeptieren, daß dieser Appell wohl nur in alle Richtungen gemeint sein kann, wenn er aufgenommen werden soll. Das betrifft dann auch, Herr von Weizsäcker, die Reden der führenden Abgeordneten der Opposition, auch wenn man früher etwas anderes gesagt hat. Sie haben ihr Wort dann konkret auf die Rentenproblematik angewandt und haben - besonders an mich gerichtet - gemeint, hier fehle es an der Kraft zur Beschreibung der tatsächlichen, der wirklichen Lage. Ganz fair habe ich das nicht gefunden. Wenn Sie sich an den 16. Dezember 1976 erinnern, ({22}) wenn Sie sich an die Regierungserklärung unmittelbar nach jenem Wahlkampf erinnern - ({23}) - Ich komme auf Ihren Zwischenruf gleich noch zu sprechen! Es ist ja schlimm, daß auch dann, wenn man sich nun wirklich Mühe gibt, langsam und ruhig und in einer akzeptablen Stimmlage zu sprechen, weil man etwas ausdrücken möchte, was einem am Herzen liegt, immer mit scharfmacherischen Zwischenrufen dazwischengefahren wird. Das stört das Gespräch. ({24}) Aber es ist nicht so, daß ich auf Zwischenrufe nicht antworten könnte. Ich will es nur im Augenblick nicht, weil ich mir wirklich Mühe gebe, auf eine ernst gemeinte Passage Ihres Kollegen von Weizsäcker ernsthaft zu antworten. Sie werden sich an die Worte in der Regierungserklärung 1976 erinnern. Sie können sie auch nachlesen; es gibt darüber ja Protokolle. Sie werden mir zugeben: So leicht ist es dem, der das alles damals zu sagen hatte, nicht gefallen. Und trotzdem hat er es so gesagt und, wenn Sie es so nennen wollen, eingestanden, wie er in jenem Augenblick die Tatsachen und die Wirklichkeit wahrhaft beurteilen mußte. Ich will in dem Zusammenhang, weil heute vielfach verzerrend, um nicht zu sagen: verfälschend zitiert worden ist, einiges aus den Reden, die am letzten Sonnabend in München gehalten worden sind, hier wiederholen, wenn der Präsident es gestattet. Ich habe gesagt, obwohl von Hause aus Ökonom, sei ich gerade auf diesem Felde ein vielfach gebranntes Kind. ({25}) Ich weiß aus Erfahrung, daß Prognosen in Zeiten des weltweiten wirtschaftlichen Umbruchs überhaupt nie wirklich stimmen können; daß sie z. B. keinerlei außerökonomische Faktoren, politische Faktoren, weltpolitische Faktoren vorhersehen, infolgedessen auch nicht einbeziehen können; daß sie nicht einmal die gleiche Trefferwahrscheinlichkeit für sich beanspruchen können wie die allabendlichen Wettervorhersagen im Fernsehen für den folgenden Tag, die uns auch oft genug irreführen. Ich habe öffentlich eingestanden, daß ich in langen Jahren der politischen Verantwortung, in langen Jahren verschiedener öffentlicher Aufgaben niemals mehr gelitten habe als im Zeitraum des Erkenntnisprozesses am Ende des Jahres 1976, als wir damals begreifen mußten, daß die Rentenfinanzierungsprognosen nicht stimmten, weil die von uns zugrunde gelegten mehrjährigen Wirtschaftsprognosen nicht stimmten. ({26}) Zwar hatten wir alle unsere Aussagen zur Rentenpolitik ein knappes halbes Jahr früher in intellektueller Redlichkeit geprüft, ({27}) ehe wir sie veröffentlicht hatten. ({28}) Aber jetzt standen wir als Irrende da, und einige von Ihnen haben uns Betrüger genannt. Das ist wohl wahr. Einer hat vorhin schon mit Recht darauf hingewiesen, daß zum Betrug in unserem Sprachgebrauch der Vorsatz gehört und daß wir in Wirklichkeit nicht Betrüger waren. Wir hatten den umgekehrten Vorsatz gehabt - so habe ich in München ausgeführt -, nämlich das zu sagen, was wir für realistisch und für erfüllbar hielten. Unser Fehler war: Wir hatten unsere nüchternen ökonomischen mittelfristigen Prognosen - ich habe damals eingefügt: für die übrigens mein Freund Walter Arendt am allerwenigsten verantwortlich ist -für realistisch gehalten, Prognosen, die von der späteren Entwicklung - und nicht nur von der späteren Entwicklung, auch von späteren Prognosen - über lange Zeiträume falsifiziert worden sind. Es ist bitter, wenn man einen solchen Fehler einsehen muß. Es ist bitter, ihn öffentlich eingestehen zu müssen. Es ist bitter, andere gesetzgeberische Maßnahmen anempfehlen zu müssen, als man selbst früher gesagt hat. Nur, Herr Kollege von Weizsäkker, Sie sollten nicht bestreiten, daß das alles auch öffentlich so von mir vorgetragen worden ist - und nicht erst vorgestern in München. Es ist nichts verheimlicht worden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Bitte sehr.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, sind Sie unter diesen Umständen bereit, Ihr im letzten Wahlkampf oft wiederholtes böses Wort, die Unionsparteien legten in der Rentenfrage falsches Zeugnis wider den Nächsten ab, mit dem Ausdruck der Entschuldigung zurückzunehmen? ({0})

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Herr Abgeordneter Mertes, mit einer für Sie schmerzlichen Qualifikation muß ich darauf antworten: Solange Unionsabgeordnete, wie auch heute morgen durch Herrn Abgeordneten Strauß geschehen, dem Parlament gegenüber und in Wirklichkeit mit der Absicht, die Öffentlichkeit damit zu erreichen, so tun, als ob die Zahlung der Renten nicht gesichert sei, kann ich dieses Wort nicht zurücknehmen. ({0}) Ich darf aber die Qualifikation, die ich Ihnen angekündigt habe, hinzufügen. Der Abgeordnete Strauß hat heute morgen wörtlich ausgeführt, die alte Generation werde betrogen, die kommende Generation werde ausgebeutet. - Der Beweis dafür fehlt; er kann auch nicht erbracht werden. ({1}) Die Tatsachen sind folgende, Herr Kollege Strauß. Seit Beginn der sozialliberalen Koalition und ihrer Gesetzgebung in diesem Bundestag sind die durchschnittlichen Nettoeinkommen der Arbeitnehmer - seit 1970 bis heute - um 69,1 % gestiegen, die Renten im Durchschnitt um 96,8 %. Tatsache ist, daß die Renten in der Bundesrepublik Deutschland heute - nominal gesehen und auch bezogen auf die reale Kaufkraft - den höchsten Stand erreicht haben, den sie jemals hatten, und sie werden jeden Monat ausgezahlt. ({2}) Wenn Sie dies auch nur einmal hinzufügten oder zugäben, daß bei all Ihrer Schwarzmalerei dies auch richtig ist, dann wäre ich, Herr Kollege Mertes, mit dem Ausdruck des Bedauerns bereit, mein scharfes Wort zurückzunehmen. Aber dann bestätigen Sie bitte, Herr Kollege Strauß, daß die Tatsachen, die ich hier vortrage, zutreffen. Bestätigen Sie bitte zweitens, daß das Rentenniveau eines Versicherten mit 45 Versicherungsjahren 1977 fast 75% des Nettoeinkommens eines vergleichbaren Arbeitnehmers erreicht hat. Weil ja die Renten nur mit dem Ertragsanteil der Besteuerung unterliegen, die Rentner also in der Regel ihre Renten völlig steuerfrei beziehen, haben die Nettoeinkommen bei den Rentnern im Vergleich zu den Arbeitnehmern den höchsten Stand überhaupt erreicht. Wenn Sie drittens wenigstens nicht widersprächen, sondern schweigend die Feststellung hinnehmen könnten, daß jeder Rentner bisher damit rechnen konnte und auch in Zukunft damit rechnen kann, daß seine Renten der wirtschaftlichen Entwicklung entsprechend angepaßt, d. h. erhöht werden, daß allerdings eine sehr verlangsamte allgemeine wirtschaftliche Entwicklung sich auch auf den Umfang dieser Rentenerhöhung, auf die Rentenzuwächse auswirken muß, dann wären wir uns schon ein wenig näher. Herr von Weizsäcker hat mehrere Bemerkungen zum Feld der äußeren Sicherheit gemacht. Er hat an ein paar Punkten angemerkt, ich hätte in der Regierungserklärung vorige Woche dieses und jenes Feld nicht beackert. Das ist wahr; ich habe nicht alle Felder beackern können. Ich habe eh' schon länger gesprochen, als es eigentlich von Ihnen aus wünschenswert erschien. Ich hatte ausdrücklich angekündigt, daß es keine flächendeckende, alle Ge5208 genstände behandelnde Regierungserklärung sein würde. Aber ich gehe gern noch einmal auf einen Gegenstand ein, den Sie hier etwas ausführlicher angeleuchtet haben, als ich das letzte Woche getan habe. Ich rede von den Wiener Verhandlungen über die beiderseitige ausgewogene Reduzierung der Streitkräfte. Ihnen ist sicher bewußt, daß ich qua Person, wenn ich einmal persönlich reden darf, an diesem Feld seit fast 19 Jahren einen großen Anteil habe. Ich habe auf diesem Felde eigentlich ohne Unterbrechung fast zwei Jahrzehnte lang gearbeitet; ich habe vielfältig darüber publiziert. Ich habe auch hier im Parlament, später als Bundesminister und dann in den letzten Jahren als Bundeskanzler einen großen Teil meiner Arbeitskraft auf diesem Feld verwandt. Im Prinzip haben sich meine Auffassungen zu diesem Thema im Laufe von zwei Jahrzehnten nicht verändert. Ich bin im Prinzip der Meinung, daß eine der Voraussetzungen, die einerseits allein nicht hinreicht, die andererseits aber notwendig ist für die Bewahrung des Friedens, das Gleichgewicht der in Europa wirksamen und von außen auf Europa wirkenden militärischen Kräfte ist. Das ist eine der nötigen Voraussetzungen, allein reicht sie aber noch nicht aus! Das Gleichgewicht der Kräfte allein reicht nicht aus, um den Frieden zu bewahren; es muß noch mehr hinzukommen. Aber ohne die Aufrechterhaltung von einigermaßen Gleichgewicht ist der Frieden auch nicht zu bewahren, weil die Versuchungen sonst zu groß sein könnten. Nun gibt es verschiedene Ebenen, auf denen militärischer Druck oder auf denen politischer Druck, gestützt auf militärische Fähigkeiten, und Gegendruck denkbar sind. Es gibt die Ebene der nuklearstrategischen Waffen, die wir Deutschen nicht haben und nicht haben wollen, die im wesentlichen - mit ein paar Ausnahmen - in der Disposition der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion stehen. Darüber gibt es ein Salt-I-Abkommen, das im letzten Herbst ausgelaufen ist. Es wird über ein Salt-Il-Abkommen verhandelt, wobei man den Eindruck gewinnt, daß die beiden Weltmächte - und das ist zu begrüßen, auch unter den Interessengesichtspunkten der Europäer und der Deutschen - auf jenem Felde der nuklear-strategischen Waffen - Salt II genannt - zu einem numerischen Gleichgewicht kommen und es miteinander verabreden wollen. Es gibt ein zweites Feld, zu dem andere nukleare Waffen gehören. Ich glaube, Herr Brandt hat vorhin von der Grauzone gesprochen. Einige Amerikaner reden vom „substrategic level" und wieder andere reden von taktischen Nuklearwaffen oder von „nichtzentralen Waffen". Und noch darunter gibt es die konventionelle Ebene. Auf dieser Ebene der konventionellen, der klassischen Waffen - das sind also Infanterie, Panzerwaffen, Kanonen, taktische Flugzeuge, mit konventionellen Waffen ausgerüstet - wird in Wien verhandelt, in den sogenannten MBFR-Verhandlungen. Das Feld dazwischen wird gegenwärtig nicht beackert, es ist gleichwohl ein sehr gefährliches Feld; zumal auf diesem Felde dazwischen, auf dem Feld der Grauzonen, wir möglicherweise in die Gefahr geraten, daß man sich von dem Gleichgewicht eher entfernt als auf ein Gleichgewicht hin bewegt. Ich sehe solche Gefahr sehr deutlich. Was die Wiener Verhandlungen auf dem Felde der klassischen Waffen angeht, Verhandlungen, bei denen man sich fragen muß, ob sie um das Feld der Waffen, von denen ich zuletzt sprach, erweitert werden sollten - Stichwort Grauzone oder „substrategic level" oder wie immer -, und bei denen wir, die Bundesrepublik Deutschland, eine Rolle spielen, so haben wir nicht die Absicht - und wenn wir sie hätten, gar nicht die Möglichkeit; aber die politische Klugheit verbietet uns, eine solche Absicht überhaupt zu fassen! - so haben wir nicht die Absicht, eine eigene, eigenständige, nationale deutsche Rolle zu spielen, sondern bei den Wiener Verhandlungen erwarten unsere Verbündeten von uns, und wir erwarten von unseren Verbündeten, daß wir dort in Abstimmung miteinander handeln. Das tun wir auch. Das tun wir schon seit einer längeren Reihe von Jahren, so wie wir es auch vor der KSZESchlußakte in Helsinki auf jenem anderen Felde getan haben: in Abstimmung miteinander, in Rücksichtnahme aufeinander und auf die Interessen des jeweils anderen Bündnispartners. So geschieht es auch in Wien. Es ist unrichtig, wenn hier der Eindruck erweckt worden ist, wir seien auf diesem Felde nicht interessiert oder ergriffen keine Initiativen. Das Gegenteil ist zutreffend. Nur, wir ergreifen sie nicht als einzelnes Land, sondern in Abstimmung mit anderen. ({3}) - Ich bin nicht ganz sicher gewesen, wie ich es verstehen sollte, was Sie sagten; aber was ich jetzt sage, findet offenbar Ihren Widerspruch nicht. ({4}) Wir handeln in Abstimmung mit anderen, und manchmal dauert die Abstimmung länger, als es demjenigen, der eine Initiative ersinnt, angenehm ist. Manchmal ergibt sich im Laufe einer Abstimmung auch, daß man auf andere Vorstellungen Rücksicht zu nehmen hat. Sie haben auch eine Bemerkung, Herr Abgeordneter von Weizsäcker, zu Europa gemacht. Ich habe sie positiv aufgenommen. Ich fand keine Notwendigkeit zum Widerspruch, abgesehen von der von Ihnen nun einmal erwarteten und von Ihnen dann auch pflichtgemäß vorgetragenen Kritik an uns. Im Grunde gibt es, glaube ich, keinen Gradunterschied im europäischen Engagement. Allerdings kontrastierte das, was Sie sagten, von der europäischen Gesinnung aus sprechend, in erstaunlicher Weise mit den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Strauß zu dem gemeinsamen europäischen Forschungsprojekt JET, und zu dem Standort, den JET nun schließlich durch Beschluß des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaft gefunden hat. ({5}) Herr Abgeordneter Strauß, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir nicht nur in Briefen Ihnen gegen-. über und anderen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gegenüber, sondern auch brieflich und mündlich unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft gegenüber zu jedem Zeitpunkt und ohne Einschränkung die Auffassung vertreten haben, daß angesichts der vorher getätigten Investitionen in Garching und angesichts der dort vorhandenen wissenschaftlichen Kapazität dies nach unserem Urteil der beste Standort gewesen wäre. Ich bitte nur, bei der Verurteilung der Bundesregierung, die hier - wie hat es hier geheißen? - „hintergründige Machinationen und Manipulationen zugunsten Großbritanniens" - - Diesen Wortlaut müssen Sie mal auf der Zunge zergehen lassen, Herr Abgeordneter von Weizsäcker, der Sie sich für europäische Gesinnung aussprechen: der Bundesregierung „hintergründige Machinationen und Manipulationen zugunsten Großbritanniens" vorzuwerfen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Engländer und nicht nur sie - aus Gründen, die auch ihre Plausibilität haben - der Meinung waren, der englische Standort Culham sei angesichts der dort im Vorwege seit langer Zeit geleisteten Investitionen und angesichts der dort vorhandenen wissenschaftlichen Kapazität der bestgeeignete Standort. Hier waren also zwei Mitgliedsländer, die beide meinten, sie seien eigentlich an der Reihe und hätten auf Grund ihrer Fähigkeiten und ihrer Investitionen einen Anspruch. Nun möchte ich in allem Ernst sagen: Wenn in solchen Fällen in Zukunft immer die Bundesrepublik Deutschland auf ihren eigenen Interessen beharren sollte, dann ginge Europa sicherlich in die Brüche. Wir müssen auch einmal nachgeben können. ({6}) Es ist nicht leicht, die europäischen Ministerräte bei Interessenkollisionen immer wieder zu übereinstimmenden Beschlüssen zu führen. Wir werden hier von der Opposition bisweilen öffentlich kritisiert, weil wir nicht dafür sorgten, daß mehr Übereinstimmung schneller zustande käme. Wer allerdings in seinem nationalen Parlament, ob hier im Deutschen Bundestag oder im Unterhaus oder in der Kammer in Paris oder wo sonst, in solchen Tönen die eigenen Interessen absolut und unter Vernachlässigung der Interessengesichtspunkte anderer in den Vordergrund stellt, der läßt Europa zentrifugal auseinanderfliegen und verwirkt das Recht, hier für Europa zu sprechen. ({7}) Ihre Rede, Herr Abgeordneter Strauß, hat ein anderes Mal gezeigt, daß Ihnen persönlich, Ihrer Politik und Ihrer impulsiven, unkontrollierten Art, mit Dingen umzugehen, weder die Bundesrepublik Deutschland noch die Beschlußfassung über europäische Dinge ausgeliefert werden dürfen. ({8}) Solche Ausrutscher wie der von den Machinationen und Manipulationen der Bundesregierung zugunsten Großbritanniens zeigen blitzlichtartig, ({9}) was wirklich in Ihrem Kopfe vorgeht. - Ich nehme den Zwischenruf der Kollegin aus Berlin auf. ({10}) Dies war allerdings ein Augenblick, in dem es einem schwerfällt ({11}) - im allgemeinen bleibt es aber gleichwohl möglich! -, seine Fröhlichkeit zu bewahren. ({12})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Schröder ({0}).

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben gemeint, in einer Demokratie sei es in der Zwischenzeit billiger, Kritik zu üben, wohingegen Zustimmung mehr Mut erfordere. ({0}) Ich teile diese Auffassung des Herrn Bundeskanzlers nicht. Aber gestatten Sie mir doch - insbesondere auch in bezug auf das Thema, das er an diese Bemerkung anschloß -, vier Fragen und Bemerkungen anzuknüpfen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen.

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, wo ist Ihr Mut, und zwar Ihr ganz persönlicher Mut, die Linken in Ihrer Fraktion und Ihrer Partei zur Zustimmung zu dem zu bringen, was Sie selber offensichtlich doch für erforderlich halten? ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Einen Augenblick bitte, Herr Kollege. - Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Es ist dem Redner nicht zuzumuten, bei einer solchen Unruhe zu sprechen. ({0})

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, es ist in der Tat in einer solchen Situation billig, in Kritik auf die Opposition zu flüchten. sem Staat, zu seiner Handlungsfähigkeit, ja, es geht um die Befriedigung des elementaren Sicherheitsbedürfnisses unserer Mitmenschen. Es geht darum, daß unsere Bürger das Vertrauen behalten, daß wir eine kämpferische Demokratie und keine Demokratie der Schlappschwänze sind. ({0}) Deshalb auch an dieser Stelle noch einmal: Wir sind bereit, über jedes Gesetz zu reden. Wir sind bereit, auch über unsere eigenen Gesetze zu reden. Wir sind auch bereit, Abstriche von unseren eigenen gesetzlichen Initiativen hinzunehmen, wenn überhaupt etwas geschieht und wenn damit das Vertrauen der Bürger auch in jene Zusagen wiederhergestellt wird, die Sie in den Tagen der schrecklichen Vorkommnisse gegeben haben, zumindest aber zu geben erweckt haben. ({1}) Lassen Sie mich damit zu dem zweiten großen Punkt überleiten und auch anknüpfen an Ihre Bemerkung zu jenem zweiten Bereich, in dem Ihre ganz persönliche Glaubwürdigkeit genauso auf dem Spiele steht, wie in der Frage der. Terrorismusbekämpfung und der inneren Sicherheit. Herr Bundeskanzler, ich habe ein Protokoll der Bundestagssitzung vom 8. April 1976 vor mir liegen, und mein Freund und Kollege Heinz Franke hat ja nicht ohne Grund den Zwischenruf gemacht: „8. April 19761" ({2}) - Dieses ist in der Tat ein beachtliches Datum, das im übrigen auch noch in einem erheblichen Abstand zur Bundestagswahl des vergangenen Jahres gelegen hat. In dieser Rede hat Heinz Franke, mit konkreten Zahlen belegt, die finanzielle Situation der Rentenversicherungsträger geschildert. Er hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Stunde nicht weit entfernt ist, wo Sie und wo wir alle zu Konsequenzen gezwungen sein werden, wenn wir die Altersversorgung unserer alten Menschen auch in Zukunft noch sicherstellen wollen. Und, Herr Bundeskanzler, was haben Sie ihm damals geantwortet unter dem ausdrücklichen Bezug auf Ihre besonderen volkswirtschaftlichen Fähigkeiten? Sie haben damals zu meinem Kollegen Franke gesagt: Unterstellt, daß Sie mir unterstellen, daß ich die volkswirtschaftlichen Zahlen richtig zu deuten weiß - Dann sind Sie fortgefahren: Können Sie sich erstens vorstellen, daß ich der Meinung bin, daß auch im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt die gegenwärtige Vermögensanhäufung - so haben Sie es genannt in den Rentenversicherungen voll ausreicht, können Sie sich zweitens vorstellen, daß ich aus volkswirtschaftlicher Erfahrung weiß, daß auf 15 Jahre in die Zukunft gemachte Prognosen, die sich im wesentlichen von der Basisperiode Schröder ({3}) Zum zweiten. Herr Bundeskanzler, der entscheidende Punkt, um den es im Zusammenhang mit unseren Auseinandersetzungen über die Terrorismusbekämpfung, um die innere Sicherheit in unserem Lande geht, ist doch gar nicht einmal so sehr die Frage über dieses oder jenes einzelne Gesetz. Der entscheidende Punkt, in dem insbesondere auch Ihre persönliche und politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiele steht, ist doch, daß Sie in Ihren Trauerreden, daß Sie in Ihren Bundestagsreden nach den schändlichen Mordvorfällen nicht nur für uns - das ist nicht einmal das Entscheidende -, sondern auch für die Öffentlichkeit, für die Bürger draußen im Lande stets den Eindruck erweckt haben, daß Sie ganz persönlich als Bundeskanzler den staatlichen Organen den Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Terroristen in Zukunft erleichtern wollten, und zwar durch entsprechende gesetzliche Regelungen; das ist der entscheidende Punkt. ({4}) Diese gesetzlichen Regelungen sind eben, jedenfalls bis zum heutigen Tage, ausgeblieben. Zum dritten. Herr Bundeskanzler, Ihre heutige Rede und Ihre Rede in der letzten Woche haben es wieder einmal deutlich gemacht: Es gibt eine nicht wegzuleugnende Diskrepanz zwischen Ihren Reden und Ihrem scheinbaren Verhalten auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem ganz konkreten Verhalten Ihrer politischen Freunde in den Ausschüssen, in denen über notwendige gesetzliche Maßnahmen entschieden wird. ({5}) Im Rechtsausschuß sind es doch Ihre Freunde, die wie eine Abstimmungsmaschine über unsere Anträge, unsere Vorschläge und unsere Anregungen hinweggehen. ({6}) Zum vierten. Herr Bundeskanzler, Sie haben auch heute wieder von den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit gesprochen. Lassen Sie mich als Nichtjurist dazu einmal eine ganz persönliche Bemerkung machen. Es geht ja bei den Auseinandersetzungen hier nicht nur - ich habe es schon gesagt - um dieses und jenes Gesetz. Für uns sind Gesetze kein Selbstzweck, sondern es geht in einer Güterabwägung letztlich um die Frage, was wir der Lebenssicherheit unserer Bürger schuldig sind. Es geht um das ganz persönliche, menschliche Leben unserer Bürger draußen im Lande. ({7}) Der Bundespräsident hat doch klargemacht, daß alles, was in diesem Hause an parlamentarischen Initiativen vorliegt, eindeutig auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit steht. Man kann über Gesetze - ich sage es noch einmal, damit unser entscheidendes Anliegen deutlich wird - verschiedener Meinung sein. Aber das Entscheidende ist doch, meine Damen und Herren, daß überhaupt etwas geschieht. Es geht doch um das Vertrauen der Bürger draußen zu dieSchröder ({8}) der letzten 15 Monate beeinflussen lassen, heute bei Ihnen - und damit waren wir gemeint ins Negative genauso irreführend sind ... Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, Sie haben damals unter ausdrücklichem Anspruch, daß Sie in der Lage sind, volkswirtschaftliche Basisdaten richtig deuten zu können, unsere Einwendungen nicht nur zurückgewiesen, sondern dann kam die übliche Platte an anderer Stelle von der Panikmache, von der Schwarzmalerei und von der Angstpsychose, die wir - die Opposition - bei den Rentnern hervorzurufen trachten. Daraus kann es nur eine einzige logische Schlußfolgerung geben: Die volkswirtschaftlichen Basisdaten lagen vor, nicht nur unserem Freunde Franke, sondern auch Ihnen. Sie haben beansprucht, diese volkswirtschaftlichen Basisdaten richtig deuten zu können. Wenn dies also der Fall gewesen ist, dann kann es doch nur noch eine Erklärung für die Irreführung der Wähler, der Bürger und der Rentner geben, nämlich die, daß Sie in voller Absicht ({9}) alle Mittel eingesetzt haben, auch das Mittel der Irreführung, ({10}) um den Wahltag im Oktober 1976 zu überstehen. Das haben Sie in voller Absicht getan. ({11}) Sie haben die Wahl um jeden Preis, auch um den der Falschinformation, gewinnen wollen. Das ist Ihnen - das gestehe ich Ihnen zu - gelungen, aber zu einem hohen Preis, Herr Bundeskanzler; denn nicht nur Ihre Glaubwürdigkeit hat darunter gelitten. Sie haben mit diesem Ihrem Verhalten die Glaubwürdigkeit des gesamten Parlamentarismus und aller Demokraten in, gefährlicher Weise aufs Spiel gesetzt. ({12}) In diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zu dem von Ihnen auch heute wieder angesprochenen Rentenanstieg in den letzten Jahren. Sie haben doch nicht die Renten erhöht, sondern daß unsere Rentner in diesen Jahren in den Genuß höherer Renten gekommen sind, ist doch die Folge jener Automatik der von uns, von den Christlichen Demokraten, geschaffenen dynamischen Rentenformel, die Sie jetzt demontieren. ({13}) Ein Weiteres kann nicht unwidersprochen bleiben, Herr Bundeskanzler. Sie haben mit der Ihnen eigenen Fähigkeit der Vereinfachung und Irreführung davon gesprochen, daß die ganze Welt um uns herum Vertrauen, ein hohes Vertrauen, in unsere Wirtschaft habe, ein Vertrauen, das - so haben Sie soeben wörtlich erklärt - Herr Strauß zerstören will. Ja, meine Damen und Herren, was ist denn das für eine Hypertrophie, das Vertrauen in die Kraft, in die Entscheidungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, d. h. doch deutscher Unternehmer und deutscher Arbeitnehmer, mit Vertrauen - und in der Tat nicht vorhandenes Vertrauen - in die Wirtschaftspolitik Ihrer Regierung gleichzusetzen? ({14}) Herr Bundeskanzler, das sind doch zwei Paar Schuhe, wenn von Vertrauen in die Kraft der Wirtschaft die Rede ist. Ja, ich möchte nicht wissen, wer mehr Vertrauen in die elementaren Kräfte der Wirtschaft hat: wir - insbesondere auch der Herr Kollege Strauß - oder jene Linken, die heute zu Trägern ihrer Regierungsverantwortung und -entscheidungen geworden sind. Haben Sie doch erst einmal das notwendige und natürliche Vertrauen in die Selbstheilungsfähigkeit martwirtschaftlicher Kräfte! Ich habe das Gefühl, daß bei Ihren eigenen politischen Freunden das Vertrauen in die Wirtschaft sehr viel weniger, aber dafür in Staatsbürokratismus sehr viel ausgeprägter vorhanden ist. ({15}) Aber das vertrauen in Ihre Wirtschaftspolitik ist in der Tat nicht vorhanden. Nur, hüten Sie sich bitte in Zukunft, Vertrauen in Ihre Wirtschaftspolitik und Vertrauen in die deutsche Wirtschaft gleichzusetzen. Wir haben das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft, und wir sind sicher, absolut sicher, daß die deutschen Unternehmer und die deutschen Arbeitnehmer die richtigen wirtschaftlichen Entscheidungen treffen und richtig handeln könnten, wenn man sie gewähren ließe und wenn man sie nicht ständig durch Bürokratismus und durch sozialistische Experimente gängelte. ({16}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zum Haushalt des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes selbst überleiten. Ich möchte aber doch noch eine Bemerkung über die Auslassungen des Bundesfinanzminister von heute mittag machen, die ja von der gleichen merkwürdigen Betroffenheit, Getroffenheit und Nervosität gekennzeichnet waren wie auch die Reaktion des Bundeskanzlers auf die Einlassungen der Opposition in der letzten Woche und heute vormittag. Der Herr Bundesfinanzminister meinte wieder einmal - und manchmal muß man sich über die Phantasielosigkeit von kochbezahlten Ministern wundern -, mit jener Milchmädchenrechnung, die seine unsolie und unseriöse Haushalts- und Finanzpolitik überdecken soll, anzukommen, daß ja die Opposition in Wirklichkeit Anträge mit einem wesentlich höheren finanziellen Ausgabevolumen gestellt hat. Ich habe mich gewundert, daß dieses gekommen ist. Das mag zwar die Feststellung von irgendwelchen fleißigen Schreibern in der Baracke sein, aber eine solche Milchmädchenrechnung ist eines Bundesfinanzministers nicht würdig, auch weil sie falsch ist, weil sie Anträge, die im Bundesrat und hier von uns gestellt worden sind, schlicht und einfach dem zuschlägt, was teilweise hier in diesem Hause verabschiedet worden ist, weil sie einfach addiert, was viele von uns draußen an Überlegungen über diese und jene notwendige oder wünschenswerte Maßnahme äußern. Ich bitte Sie, meine Schröder ({17}) Damen und Herren, wenn wir in der gleichen Art und Weise einmal sämtliche Parteitagsbeschlüsse der SPD quantifizierten und umrechneten oder wenn wir jenen Umfang des hamburgischen Wirtschaftssenators Nölling, der noch im letzten Jahr ein Konjunktursonderprogramm von 20 Milliarden DM gefordert hat, auch in dieser Weise addierten, dann kämen wir auf ein Bundeshaushaltsvolumen von 250 Milliarden D-Mark und mehr in diesem Jahr. Ich frage mich also: Was soll das alles? Es hat natürlich einen Zweck, denn es soll das Fiasko dieser Haushalts- und Finanzpolitik überdecken, ein Fiasko, das durch drei Dinge gekennzeichnet ist. Es ist erstens gekennzeichnet durch die in den Jahren sogenannter sozialliberaler Regierungsherrschaft von 1969 bis zu diesem Jahr entstandene Neuverschuldung von mehr als 100 Milliarden D-Mark. Im Vergleich dazu sind in 20 Jahren christlich-demokratischer und christlich-sozialer Finanzpolitik von 1949 bis 1969 ganze 14 Milliarden D-Mark neue Schulden gemacht worden. Diese gewaltige Neuverschuldung hat nicht einmal gereicht, den immer wieder beschworenen Aufschwung herbeizuführen und zu realisieren. Das wollen Sie vertuschen. Zweitens wollen Sie damit überdecken, daß wir noch auf Jahre hinaus mit strukturellen Haushaltsungleichgewichten belastet sind, die jedem von uns, jeder Regierung in den nächsten Jahren jegliche Handlungsfähigkeit insbesondere im investiven Bereich nehmen. Drittens wollen Sie, Herr Bundesfinanzminister, damit nach der Devise „Angriff ist die beste Verteidigung" ganz offensichtlich überdecken, daß Sie mit Ihrer Haushalts- und Finanzpolitik in der Zwischenzeit die Grenze des Verfassungsmäßigen - ich will mich ganz vorsichtig ausdrücken - erreicht, wenn nicht sogar überschritten haben. Meine Damen und Herren, damit zum Haushalt des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes selbst. Wenn man den Bundeskanzler reden hört, sollte man annehmen, daß zumindest sein eigener Haushalt, der Haushalt des Kanzlers und des Kanzleramtes, ein Vorbild ist, ein Muster an solider Ausgabenwirtschaft, und insofern eine Richtschnur für alle anderen Ministerien und für den Bundeshaushalt in seiner Gesamtheit. Aber auch hier weit gefehlt, meine Damen und Herren. Auch in diesem Jahr stockt das Bundeskanzleramt seinen Personalbestand wieder einmal kräftig auf: um netto 15 Stellen. Nun wird man sagen - das werden wir gleich hören -, das sind im Vergleich zum Vorjahr nur 3,3 0/o zusätzlich. Dieser Einwand sticht nicht, meine Damen ,und Herren, denn mit nunmehr 474 Stellen - das wird mir der vormalige Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes bestätigen - hat dieses Bundeskanzleramt in der sogenannten sozialliberalen Regierungsherrschaft genau eine Verdoppelung seiner Mitarbeiterzahl erfahren und steht damit an der Spitze in der relativen Zuwachsrate aller Bundesministerien, ohne daß im gleichen Ausmaß etwa die Politik besser geworden ist. Zum zweiten gibt es ganz offensichtlich kein stellenbezogenes Organogramm und keine entsprechende Arbeitsverteilung für die Bediensteten des Bundeskanzleramtes. In einem Rundschreiben des Personalrates vom September dieses Jahres an alle Angehörigen des Kanzleramtes heißt es, daß die Arbeit in diesem Hause nicht gleichmäßig verteilt ist: Es gibt nicht wenige Bedienstete, - so heißt es dort wörtlich die unter ständigem Arbeitsdruck stehen und ihr Arbeitspensum nur mit größter Mühe und regelmäßigen Überstunden bewältigen können. Andere dagegen - und das sind auch nicht wenige- sind ohne ausreichende Beschäftigung. ({18}) An anderer Stelle heißt es dann, daß durch eine entsprechende Arbeitsplatzüberprüfung eine gleichmäßigere Arbeitsauslastung des Amtes sicherzustellen sei. Meine Damen und Herren, ich kann dazu nur sagen: eine wahrlich besorgniserregende Feststellung für ein Amt dieser Bedeutung, die im übrigen Rückschlüsse auf die wahren Aktivitäten des Amtes im Unterschied zu Ihren propagandistischen Verklärungen und Verlautbarungen zuläßt. Ein Drittes: Der Bundeskanzler und sein Staatssekretär haben verschiedentlich auf das von Ehmke im Bundeskanzleramt hinterlassene Tohuwabohu erklärt, daß das Amt nur die Funktion eines Sekretariats des Kanzlers haben solle. Die Wirklichkeit ist auch im vergangenen Jahr durch eine andere Entwicklung gekennzeichnet gewesen. Die Bedeutung der vier Fachabteilungen schrumpft ständig. Neben der artfremden Planungsabteilung, der Abteilung zur Koordinierung der Nachrichtendienste - die sich offensichtlich im Fall Lutze genauso gut bewährt hat wie bei Guillaume - und den völlig übersetzten Leistungsstäben und persönlichen Büros sind zwei weitere Organisationseinheiten von erheblicher politischer Bedeutung geschaffen worden, nämlich der Arbeitsstab Deutschlandpolitik und das Lagezentrum. Der Arbeitsstab Deutschlandpolitik soll den personellen Unterbau für Staatsminister Wischnewski bilden. Auf Grund der personellen Besetzung ist allerdings zu vermuten, daß das innerdeutsche Ministerium noch überflüssiger gemacht werden soll, als es in der Politik dieser Regierung ohnehin schon ist. Mit anderen Worten, das Bundeskanzleramt hat sich die innerdeutschen Ressortzuständigkeiten praktisch einverleibt, ist in diesem Bereich gleichzeitig Fachministerium geworden. In der Tat, für die Verteilung der Mittel für die kulturelle Zonenrandförderung und für Preisverleihungen braucht man dann kein eigenes Ministerium mehr. Genauso verhält es sich mit dem neu geschaffenen Lagezentrum, dem Krisenministerium des Kanzlers. Aus Mißtrauen gegenüber der Effizienz der bestehenden Lagezentren im Bundesinnenministerium, im Auswärtigen Amt und im Bundesverteidigungsministerium unterstellt sich der Kanzlerhier ausgesprochene Ressortzuständigkeiten, es sei denn, hier Schröder ({19}) sollen nur Briefträgerdienste erfüllt werden. Da von Terroristen verursachte Krisen sicher die Ausnahme und nicht der Regelfall für laufende Regierungsarbeit sind, können im Ernstfall Experten aus dem Fachministerium, dem Grenzschutz und dem Bundeskriminalamt abgestellt werden. Das Bundeskanzleramt und der Bundeskanzler selber sollen koordinieren und politisch entscheiden. Vorbereitung und Ausführung müssen aber bei den zuständigen Stellen verbleiben. Dies gilt um so mehr, als die Lagezentren der Fachministerien personell mehr als reichlich und gut besetzt sind. Im Bundesinnenministerium sind es ständig 14 Mitarbeiter, im Bundesverteidigungsministerium sogar 41 Mitarbeiter. Kennzeichnend für die Unausgereiftheit der Pläne für dieses mit 25 Stellen vorgesehene Lagezentrum ist zweierlei. Erstens: Der Entwurf einer Dienstanweisung, d. h. der Entwurf eines Konzepts für dieses Lagezentrum, liegt jetzt erst vor. Mit anderen Worten, man schafft zunächst einmal Stellen und überlegt erst anschließend, was man mit den Leuten konkret arbeitsmäßig machen will. ({20}) Zum zweiten: Man hat zunächst einmal 42 Stellen angefordert. In drei Etappen wurden auf Grund unseres energischen Widerstands Rückzugsgefechte auf die nunmehr 25 Stellen angetreten. Auch dies zeigt doch, daß man sich noch gar nicht im klaren war und ist, was hier eigentlich gemacht werden. soll. Diese Konzeptionslosigkeit im Zentrum des „Machers" ist offensichtlich kennzeichnend für den Zustand der gesamten Bundesregierung. Es wird in Aktionismus gemacht, aber nicht solide gearbeitet. ({21}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang wie in jedem Jahr eine Bemerkung zur Planungsabteilung machen. Ich habe schon oft dargelegt, daß die Planungsabteilung für jede vernünftige Regierungstätigkeit in dieser Konstruktion, dieser personellen Besetzung und dieser Aufgabenstellung nicht brauchbar ist. Geändert hat sich leider nur wenig. Wie losgelöst von den aktuellen und grundsätzlichen Problemen dieser Regierung die Planungsabteilung auch in diesem Jahr wirkt, zeigt eine mir vorgelegte Liste über Gutachter-Planung für 1978: Kein Thema zur inneren Sicherheit und Terrorismusbekämpfung; keine langfristige Planung zur Rentensanierung. Statt dessen so praxisbezogene Themen wie „Der Handlungsspielraum des Staates bei weiterer Entwicklung sektoraler Subventionen" oder „Die Programmatik kommunistischer Parteien in Europa" oder „Untersuchungen zum BürokratismusProblem". Das sind sicher alles ganz sinnvolle und nützliche Untersuchungen. Aber ich frage mich: Was haben diese Untersuchungen mit langfristiger Planung des Bundeskanzlers und mit Entscheidungshilfe für die Politik des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts zu tun? ({22}) Auffallend ist, daß durch die Planungsabteilung mit Hilfe des INFAS-Instituts immer mehr demoskopische Umfragen durchgeführt werden. Mit anderen Worten: Nicht etwa langfristige Perspektiven, sondern kurzfristige, propagandistische Umsetzung der Regierungspolitik mit Hilfe der Demoskopie scheint immer mehr Gegenstand der Arbeit dieser Abteilung zu werden. Die Ergebnisse von Meinungsumfragen werden zum letzten Schluß aller Führungsweisheit, und das Schicksal einer Gesellschaft wird davon abhängig gemacht, ob das Volk letztlich klüger als seine politische Führung ist. Das Versagen dieser Planungsabteilung läßt sich auch am Beispiel des schon angesprochenen Rentenbetrugs verdeutlichen. Ein einfaches ökonomisches Modell, wie es die Grundlage jeder systematischen langfristigen Planung darstellt, hätte den Kanzler vor seinen angeblichen Fehlinformationen und Fehlentscheidungen bewahrt. Denn der Irrtumsfaktor bei ökonometrischen Modellen beträgt maximal 10 bis 20 %. Helmut Schmidt hat sich aber um weitaus mehr geirrt. Auch hier ist die einzige denkbare Schlußfolgerung: Entweder lag überhaupt keine Planung vor - das ist der Fall -, oder wir wurden, wie schon gesagt, bewußt in die Irre geführt. ({23})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Steger?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit Vergnügen.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schröder, ist Ihnen bekannt,. daß die Deutsche Bundesbank, eine von Ihnen ja als sehr kompetent eingeschätzte Institution, ein ökonometrisches Modell entwickelt hat, das in den letzten Jahren - deswegen sind die Prognosen nicht veröffentlicht worden - bei den Wachstumsraten jeweils zu einem Schätzungsfehler von 100 °/o führte?

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich muß Sie in bezug auf die finanziellen Grundlagen der Rentenversicherung korrigieren. Denn der Kollege Franke hat bereits in seiner von mir vorhin angesprochenen Rede vom 8. April 1976 jenes ökonometrische Modell der Bundesbank zitiert und aus diesen Ergebnissen der Bundesbank damals seine Zahlen vorgetragen. In der konkreten Frage des Rentenbetrugs geht also kein Weg daran vorbei: Die Zahlen waren da; Sie haben die Zahlen gekannt; Sie haben sie nur verheimlicht. ({0}) Lassen Sie mich zusammenfassen. Mit einem so falsch konstruierten, personell übersetzten und aufgabenmäßig merkwürdig verteilten Bundeskanzleramt läßt sich selbst bei guter Qualität der Mitarbeiter keine vernünftige Politik betreiben. Das Bundes5214 Schröder ({1}) kanzleramt selber ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den vielgelobten „Macher". ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Schröder, ich werde auf Ihre Ausführungen, soweit sie außerhalb des Einzelplans 04 lagen, nicht eingehen. Aber Sie können sich darauf verlassen, daß wir Ihnen im Lauf der Debatte noch Rede und Antwort stehen werden. Mit der Kritik am Kanzleretat konnten Sie ja in diesem Jahr nicht mal bis zur zweiten Lesung warten. Dafür habe ich Verständnis. Es hätte ja sein können, daß Ihnen die eine oder andere Ihrer mühsam zusammengekehrten Fusseln abhanden gekommen wäre. Deshalb mußten Sie frühzeitig Zeitung und Rundfunk einschalten. Ein besonders demokratischer Stil ist das allerdings nicht. Denn es ist ein Stil, der sich dadurch auszeichnet, daß der Partner von der anderen Seite, nämlich ich, nicht zu Wort kommen kann. Was Sie in diesem Jahr anläßlich der Berichterstatterberatungen des Einzelplans 04 getrieben haben, ist sozusagen ein Schröder ({0}) ex cathedra. Man fragt sich allerdings, ob sich der publizistische Aufwand gelohnt hat. Die Behauptungen und Unterstellungen von Ihnen sind falsch oder abgeschmackt. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, einen Augenblick! Ich möchte auch für Sie die Aufmerksamkeit des Hauses erbitten. Ich bitte, Platz zu nehmen.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Frau Präsident. Falsch ist z. B. die Behauptung, der Kanzler wolle sich ein Instrument schaffen, um über die Fachministerien hinweg den alleinigen Krisenmanager - jetzt wörtlich - „zu spielen". Das Wort „spielen" kennzeichnet Ihren Stil, Herr Schröder, und Ihr Verständnis von Politik als eines Mittels akuter Krisenbekämpfung. Mit diesem Wort haben Sie sich selbst ins Abseits gestellt und gehören nun nicht mehr zu denen, die Anspruch auf politische Ernsthaftigkeit erheben können. ({0}) Sie stellen sich hier hin und warnen davor, daß das eine Demokratie der Schlappschwänze werden kann. Das wird keine Demokratie der Schlappschwänze; aber wir werden auch dafür sorgen, daß das keine Demokratie der unbelehrbaren Klatschbasen wird. ({1}) Bedauerlich ist eine Indiskretion, die während der Berichterstatterberatungen über den Einzelplan 04 geschehen ist. Ich bin kein Kommissar, der diesen Fall aufzuklären hat. Ich habe nur sehr begründete Vermutungen, die sich allerdings nicht beweisen lassen. Es ist aber auf jeden Fall ein trauriges Zeichen mangelnder Staatsverantwortung, wenn vertrauliche Unterlagen sofort an ein sonntägliches Massenblatt zur Veröffentlichung weitergegeben werden. ({2}) Wer immer das auch gewesen sein mag: Wer wichtige Fragen der Sicherheit unseres Landes im Klatschspaltenniveau abhandelt, sollte mit der Regierungszentrale einer der wichtigsten Industrienationen nichts mehr zu tun haben. Der Betreffende hat auch, falls es ein Abgeordneter gewesen sein sollte, das Recht verwirkt, hier noch über Sicherheit in der Demokratie und über kämpferische Demokratie zu sprechen. ({3}) Abgeschmackt ist z. B. die Unterstellung, 40 % der im Kanzleramt Tätigen seien ohne ausreichende Beschäftigung.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder?

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Löffler, wollten Sie mit Ihren diesbezüglichen Äußerungen etwa hier die unwahre Behauptung aufstellen, daß jene angesprochene Sonntagszeitung von mir mit Unterlagen versehen worden sei? ({0})

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Schröder, ich will selbstverständlich hier überhaupt keine diesbezügliche Behauptung aufstellen. ({0}) Sie können nachher im Protokoll nachlesen, daß ich ausdrücklich betont habe, daß ich zwar eine Vermutung habe, sie jedoch nicht beweisen kann und daß ich selbstverständlich keinen Verdacht äußere. Das steht alles im Protokoll. Selbstverständlich steht es auch zu Ihrer Verfügung, und Sie können sich darauf berufen, wenn Sie sich darauf berufen wollen. Der Personalrat des Kanzleramtes hat diese Ihre Behauptung eindeutig zurückgewiesen. Er distanziert sich von dieser Diffamierung und Unterstellung - ich glaube, zu Recht. ({1}) Das Kanzleramt, meine sehr verehrten Damen und Herren - und das sieht der Berichterstatter dieses Einzelplans nicht - muß personell und technisch so ausgestattet sein, daß der Kanzler seine Kompetenzen nach dem Grundgesetz voll wahrnehmen kann. Das Kanzleramt soll keine Superregierungsbehörde sein, die an die Stelle der Ministerien treten kann. Aber 'es muß in der Lage sein, folgende Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 67 Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. Januar 1978 5215 Bedingungen zu erfüllen: dem Kanzler alle wichtigen Informationen schnellstens vorlegen zu können, eine Verbindung mit jedem wichtigen Punkt der Erde aufnehmen zu können, Möglichkeiten zu einer weltweiten Abstimmung der Meinungen und der vorgesehenen Schritte zu schaffen und Ad-hocGruppen zur akuten Krisenbekämpfung vernünftige Arbeitsbedingungen zu bieten. Das ist kein Luxus, das ist keine Geldverschwendung, sondern eine Notwendigkeit, die unsere Bürger selbstverständlich von diesem Staat erwarten. Der Bürger will wissen, ob der Regierungschef auch in Krisenzeiten in der Lage ist, die Fäden fest in der Hand zu behalten. Wer dem Kanzler die Personen und die technischen Mittel dafür vorenthalten will, schadet nicht der Koalition, sondern versündigt sich an der Funktionsfähigkeit dieses Staates. ({2}) Daß beim Ausbau des Kanzleramtes nichts Überflüssiges installiert wird, beweisen u. a. die jährlichen Kosten, die der Herr Schröder beklagt hat; jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland wird jährlich mit 72 Pfennigen für eine der wichtigsten Regierungszentralen dieser Welt belastet. Ich bedaure, daß die Debatte über den Einzelplan 04 zum Teil auf Kuchenkrümelniveau geführt wird. Leider muß ich mich dem anpassen; aus eigenem Antrieb hätte ich z. B. folgende Überlegungen und Sachverhalte unberücksichtigt gelassen: Setzt man die Ausgaben für die Regierungszentralen ins Verhältnis zu den Gesamtausgaben, so ergibt sich ein recht interessantes Bild. Der Bund gibt für seine Regierungszentrale 1978 2/100 % des Gesamtetats aus. Bayern, natürlich ein im Weltmaßstab sehr, sehr wichtiger Staat, gibt eben deshalb für seine Regierungszentrale 7/100 % des Gesamtetats aus. ({3}) Baden-Württemberg ist ein wenig sparsamer und gibt nur 4/100 % aus. Einsamer Spitzenreiter in diesem Vergleich ist das Land Rheinland-Pfalz im Jahre 1976; da waren es 10/100%. Ministerpräsident war damals Herr Dr. Kohl. Bemerkenswert daran ist - und das muß in diesem Hause auch einmal gesagt werden -, daß die beiden Länder mit den verhältnismäßig höchsten Ausgaben für ihre Regierungszentralen fleißige Empfänger im Rahmen ,des Länderfinanzausgleichs sind. ({4}) Was Bayern betrifft, wird man ja wohl mit dem Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten davon ausgehen können, daß ein Wandel eintritt. Nach dem, was Herr Strauß in dieser Debatte gesagt hat, kann man das ja wohl von ihm erwarten. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesrepublik ist kein besonders großer Landkreis, und die Bundesregierung ist kein Kreisverwaltung, sondern wir sind ein großer Industriestaat, einer der größten Teilnehmer am Welthandel. Das hat zur Folge, daß wir vielfältige Interessen überall auf der Erde haben und zu vertreten haben. Es geschieht kaum etwas, was der Kanzler nicht schnellstens wissen muß und worauf er nicht in irgendeiner Weise reagieren muß. Dazu benötigt er die technischen Anlagen und die Menschen, die diese Anlagen bedienen. Wir stellen dem Kanzler beides zur Verfügung. Deshalb lehnen wir die Anträge der Opposition ab. Wir wollen, daß der Kanzler über ein schnell einsatzbereites Krisenzentrum verfügt, damit er auch in Krisenzeiten die Informationen bekommt, die er benötigt, um das Steuer fest in der Hand zu halten. Einer der modernsten Industriestaaten kann in seiner Regierungszentrale im Hinblick auf den politischen Hilfsapparat keine Nostalgie pflegen. Diese Aussage mache ich unabhängig davon, wer gerade Kanzler ist. Wir werden dem Einzelplan 04 in der Ihnen vorgelegten Fassung in namentlicher Abstimmung zustimmen. ({6})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Wohlrabe.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Etat des Bundeskanzleramtes gehört auch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, alo jene Dienststelle, von der u. a. auch die Mittel für die Irreführung, für die Eingeständnisse - all jene Punkte, die den heutigen Tag in der Debatte schon beherrscht haben - zur Verfügung gestellt werden. Die Mittel, die sich die Bundesregierung für die Öffentlichkeitsarbeit bewilligt, belaufen sich - ich nenne die Summe einmal vorweg - auf rund 100 Millionen DM. Davon sind 67 Millionen im Verschleierungsetat. Man hat ihn geschaffen, damit nach dem Urteil von Karlsruhe nicht alles so offensichtlich ist. Rund 35 Millionen ist der Betrag an originären Öffentlichkeitsmitteln. Hiermit versuchen Sie, die Öffentlichkeit zu täuschen und mehr oder weniger zu informieren: zumindest eine sachgerechte und umfangreiche Information, wie wir sie erwarten, nicht wahrzunehmen. ({0}) Die diesjährigen Beratungen des Etats des Presse-und Informationsamtes im Rahmen des Bundeshaushalts 1978 sind die ersten nach dem Urteil von Karlsruhe. Die Öffentlichkeitsarbeit - die Bundesregierung ist durch dieses Urteil bekanntlich überführt worden, ihre Öffentlichkeitsarbeit im Bundestagswahlkampf 1976 nicht sachgerecht verwandt zu haben - hätte also nach Auffassung der CDU/CSU - wir haben das bereits bei der Etatberatung 1977 vorgetragen - in engeren Bahnen laufen müssen. Das Urteil verlangt: Chancengleichheit der Parteien, das Neutralitätsgebot darf nicht verletzt werden, d. h., Anzeigenserien, Faltblätter und sonstige Publikationen dürfen gegenüber dem deutschen Bürger in Wahlkämpfen nicht werbend und parteiergreifend eingesetzt werden. So das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich wiederhole es gern; man kann es nicht oft genug tun, weil eben auch die Papierflut, die uns in den letzten Monaten über5216 schwemmt hat, eindeutig zeigt, daß weite Teile der Regierung von dem Urteil bisher keine Kenntnis genommen haben. Ich füge aber hinzu: Die CDU/CSU-Fraktion ruft auch die Länder zum sparsamen Einsatz von Öffentlichkeitsmitteln auf, d. h. zum Respektieren des 'Ur- teils. Ich nehme kein Land aus. Ich glaube, daß auf diesem Gebiet alle noch einen großen Schritt machen sollten. ({1}) Man kann dieses Urteil, wie gesagt, nicht oft genug zitieren. Wer so viele Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit einsetzt, muß sich die Frage stellen, ob sie sinnvoll ist. Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb das Urteil begrüßt. Sie nimmt die Haltung ein, daß das Urteil eine vernünftige Handhabe bietet, die Flut der Broschüren und Anzeigenkampagnen der Bundesregierung einzudämmen, zu kontrollieren und auf diese Weise Öffentlichkeitsarbeit sachgerechter und nicht zuletzt sparsamer zu gestalten. Eine mit dem Grundgesetz im Einklang stehende Verwendung von Steuermitteln für die Öffentlichkeitsarbeit kann jedoch nur durch eine konsequente Befolgung des Karlsruher Urteils gesichert werden. ({2}) Demgegenüber haben die diesjährigen Beratungen im Haushaltsausschuß gezeigt, daß die Bundesregierung offenbar nicht bereit ist, die gebotenen einschneidenden Folgerungen - seit Mai letzten Jahres sind ja einige Monate vergangen - zu ziehen. Allein der Tatbestand, daß die Öffentlichkeitsmittel erhöht und nicht gesenkt wurden, daß der Inlandsbereich Öffentlichkeitsarbeit beim Presse-und Informationsamt konstant geblieben ist, ist ein schlagender Beweis. Es werden allein 4,3 Millionen DM für Publikationen ausgegeben werden, 7,2 Millionen DM erneut für Anzeigen und Broschüren; insgesamt fast 14 Millionen DM. Der Antrag der CDU/CSU, eine Kürzung von 5 Millionen DM vorzunehmen - eine angemessene Summe, wie wir meinen -- ist im Ausschuß abgelehnt worden. Besorgniserregender aber als die originäre Liste der Öffentlichkeitsarbeit - rund 35 Millionen DM im Presse- und Informationsamt und in den Einzelplänen - ist das, was wir zum Ärger der Koalitionsparteien „Verschleierungsliste" nennen. Lassen Sie mich dazu einige Bemerkungen machen. Es ist ein verfassungspolitisch wichtiger Gesichtspunkt, der auch noch Folgerungen haben kann. Um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen, hat die Bundesregierung bereits im Haushalt 1977 eine Fülle von Öffentlichkeitsmaßnahmen aus der Funktionsgruppe 531 ausgeklammert. Verschleierungsliste deshalb, weil man sehr sinnvolle Maßnahmen dazugenommen hat, die ich naturgemäß nennen muß, wie z. B. die Bundeszentrale für politische Bildung oder die Verbrechensbekämpfung. Dagegen hat niemand etwas. Diese werden mit PR- und Propagandamaßnahmen zusammengeworfen, um so den Hauptansatz für die eigentliche Öffentlichkeitsarbeit zu senken und den Eindruck zu erwecken, daß man nicht so viele Mittel verwende. Wir wenden uns gegen diese Taktik des Vertuschens und Verschleierns. Das hat mit einer wirklich offensiven und guten Informationsarbeit nichts zu tun. ({3}) Wir stellen deshalb an dieser Stelle auch den Antrag, den Ansatz um 10 Millionen DM zu senken. Die Bundesregierung soll entscheiden, wo die Senkung vorgenommen wird. Wichtig ist für uns, daß sich die Summe von zusammen rund 100 Millionen DM auch in das Gedächtnis der Öffentlichkeit prägt, sie ist eindeutig überhöht! Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt des Urteils betrifft die Vereinheitlichung der Vertriebswege und die gemeinsame Mittelbewirtschaftung. Leider ist bisher nichts Entscheidendes erfolgt. Eine konsequente Zentralisierung hätte erhebliche Kosteneinsparungen erzielt. Der Bundeskanzler kann sich hier offensichtlich nicht durchsetzen; er kann die Mauer des Ressortegoismus nicht überwinden. Der Vizekanzler hilft kräftig dabei, daß das nicht geschieht. Es läge im Interesse aller, wenn der Ressortegoismus endlich aufhört. Gleiches gilt übrigens, um angekündigte Verteuerungen auszuschließen, für die gemeinsame Mittelbewirtschaftung. Das Urteil ver- langt dies. Wir haben bis heute hier keinen tiefen Einbruch feststellen können. Damit ist klar, daß sich der Bundeskanzler und sein Presseamtschef im Kabinett nicht durchsetzen konnten. Die Einzelressorts, hier vor allem aber auch wieder Herr Minister Genscher, haben sich mit Erfolg gegen die im Sinne des Karlsruher Urteils zwingend notwendige Konzentration gesperrt. Obwohl diese durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gebotene Konzentration aller Ausgaben für Inlandsöffentlichkeitsarbeit beim Bundespresseamt noch nicht erfolgt ist, kann die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, können Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Grundsätze des Verfassungsgerichtsurteils nur insgesamt, d. h. unter Einbeziehung der PR-Aktionen der verschiedenen Ressorts, bewertet werden. Ich möchte dies an einigen markanten Beispielen tun, an Beispielen, bei denen offensichtlich gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstoßen wird. Es wird hier nicht aufgeklärt und informiert, sondern die Methode heißt - ich sagte es schon einleitend -: schönfärben, verheimlichen, vertuschen, manipulieren, täuschen. Das sind die Ausdrücke, die allein für das gelten, was aus der Inlandsöffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung kommt. ({4}) Dafür stehen die Beispiele - die Worte sind heute oft genug gefallen - von Rentenpleite bis Lockheed, von der Spionageaffäre Lutze bis zu der These „Der Aufschwung kommt". Es ist klar - die Vorredner haben es gesagt; aber ich wiederhole es der Wichtigkeit halber -: Ohne den Einsatz dieser Steuermittel wäre es der Bundesregierung nicht gelungen, in diesem Lande die Macht erneut zu erringen. Ohne die Methoden der Täuschung und des Betrugs hätte es nicht geklappt. ({5}) - Herr Kollege Wehner, wenn Sie sich sachlich mit mir auseinandersetzen wollen, ({6}) dann kommen Sie bitte hier herauf, und nehmen Sie einmal zu den Wahllügen Ihrer Partei Stellung! Nehmen Sie einmal Stellung zur Lockheed-Affäre, wie Sie sich damals verhalten haben; nehmen Sie doch einmal Stellung zur Frage der Rentenpleite! Sie sollten nicht nur polemisieren, sondern hier oben dem Bürger sachlich Antwort geben. Darauf kommt es an, Herr Wehner. . ({7})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Wohlrabe, ist es unsachlich, Sie als „Ehrenmann" anzusprechen? ({0})

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Uns beide verbindet ja ein gutes Vokabular, das Sie mir in all den letzten Jahren entgegengeworfen haben. Ihr „Ehrenmann" ist nicht der Ehrenmann, den man draußen meint. Dafür stehen Worte ein, mit denen Sie sonst andere Kollegen und mich in diesem Hause titulieren. Ihnen kann man dieses glaubwürdig leider nicht abnehmen. Ich würde mich freuen, wenn es anders wäre. ({0}) Auf der langen Liste der PR-Maßnahmen der Bundesregierung des Jahres 1977 - das ist die Liste der Rechenschaft - finden wir unter anderem einige sogenannte „Unterrichtungen" der Öffentlichkeit. Lassen Sie mich zuerst eine Broschüre nennen, ({1}) die beim Bundesminister für Wirtschaft herausgegeben wurde. Sie lautet „Mehr und sichere Arbeitsplätze durch Wachstum". In einem Kapitel heißt es dort unter anderem unter der Überschrift „Mittelstand - Rückgrat der Wirtschaft" : Die Bundesregierung hat es stets als politische Verpflichtung betrachtet, kleinen und mittleren Unternehmen Chancengleichheit im Wettbewerb einzuräumen, denn der äußere Schein trügt: Nicht die relativ wenigen Großunternehmen mit international bekannten Namen bestimmen das Bild der deutschen Wirtschaft, sondern eine unübersehbare Zahl von kleinen und mittleren Betrieben in Handel, Handwerk und Dienstleistung der Industrie. Soweit, so gut. Wie wahr!, kann man da nur sagen. Doch wie sehen die Tatsachen wirklich aus? Hier sei nur die Aktion „Gelber Punkt" genannt, mit dem Handel und Gewerbe verteufelt wurden. ({2}) Es sind Gängelei und blühender Bürokratismus durch eine Flut von komplizierten, kaum durchdringbaren Gesetzen und Vorschriften festzustellen. Fragen Sie die Handwerksmeister draußen, die uns gerade noch eine Liste mit 130 Positionen über die Dienstleistungen vorgelegt haben, die auf Grund von Gesetzen und Vorschriften für den Staat unentgeltlich in den Betrieben geleistet werden müssen! Ferner nenne ich investitionshemmende, leistungsfeindliche Besteuerung, insbesondere im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern, sowie kostentreibende Hochzinspolitik infolge jahrelanger Inflationspolitik. Die Konsequenz daraus ist - davon steht in diesen Broschüren kein Wort -: In den letzten drei Jahren mußten fast 30 000 Betriebe schließen. Es waren fast 30 000 Konkurse und Insolvenzen, vor allem im mittelständischen Bereich, und Hunderttausende für immer vernichtete Arbeitsplätze zu verzeichnen. Das ist das traurige Ergebnis Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik, das ist Ihre Mittelstandspolitik. Davon steht in diesen Broschüren überhaupt kein Wort. ({3}) In der Broschüre mit dem sinnigen Titel „Was tun sie eigentlich für uns?" wird die Politik der Bundesregierung für junge Menschen dick heraus- gestrichen. Ein Zitat lautet: „Wir tun gar nicht wenig. Wir wollen nicht unbescheiden sein; aber in den letzten Jahren haben Parlament und Regierung tatsächlich eine ganze Menge für die Jugend getan." Wie sehen demgegenüber die Tatsachen aus? Fast 100 000 junge Mitbürger sind arbeitslos. Zehntausende finden keinen Arbeitsplatz. Mehrere zehntausend Abiturienten sind Opfer des Numerus clausus ; eine wechselnde Zahl von Hochschulabsolventen findet keinen ihrer Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz. Diese Probleme werden sich in den kommenden Jahren auf Grund der in das Berufsleben eintretenden geburtsstarken Jahrgänge noch drastisch verschärfen. Dies sind aber auch Probleme, die diese Bundesregierung seit Jahren vor sich herschiebt, für die auch nicht in Ansätzen Lösungsvorstellungen bestehen. Im Gegenteil - alle Statistiken in diesem Bereich beweisen es -: Die Bundesregierung ist mit ihrer Wirtschafts-, Sozial-und Arbeitsmarktpolitik in eine Sackgasse geraten. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Es dauert noch etwas bis zur Abstimmung. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nehmen, damit der Redner voll verständlich wird. ({0})

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist klar, daß Sozialdemokraten das nicht gern hören; denn sie werden ungern an das erinnert, was sie fälschlicherweise in die Broschüren geschrieben haben. Ich werde es trotzdem darlegen, weil zwei, drei markante Beispiele dafür stellvertretend stehen müssen, daß wir es uns, nachdem das Karlsruher Urteil vorliegt, nicht gefallen lassen werden, daß die Öffentlichkeit weiter so an der Nase herumgeführt wird. ({0}) Als drittes Beispiel nehme ich schließlich eine Broschüre, die gerade druckfrisch auf den Tisch gekommen ist: „Tips für Arbeitnehmer - Rechte und Chancen 1978". Darin wird die Steuerpolitik nach sozialem Konzept gelobt. Auf insgesamt sechs Seiten werden die Erfolge der Steuerreform 1975 und 1977 gefeiert. Das ganze liest sich so, als wenn das Steuerzahlen für den Arbeitnehmer ein Vergnügen geworden ist. Schon deshalb ist die Broschüre sicher ein Rohrkrepierer; denn auch Arbeitnehmer zahlen nicht gern Steuern. ({1}) Wie sehen die Tatsachen aus? Es ist eine Tatsache, daß nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin die bescheidenen Erfolge der Steuerreform 1975 für Arbeitnehmer bereits nach zwei Jahren wieder aufgezehrt waren. Nach wie vor ist die Lohnsteuer der Goldesel der öffentlichen Kassen. Der Facharbeiter muß resignierend feststellen, daß sich Arbeit, vor allem Mehrarbeit, und Leistung kaum noch lohnen. Die Lohnerhöhungen werden in diesem Jahr nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben gerade noch ausreichen, um die Teuerungsrate auszugleichen. Der Durchschnittsverdiener wird auf Grund Ihrer Steuer- und Abgabenpolitik 1978 keine Mark mehr als 1977 in der Tasche haben. Aber selbst diese traurige Aussicht wäre nicht einmal realistisch, wenn es nach dem Willen der SPD gegangen wäre; denn im Vermittlungsausschuß haben überhaupt nur CDU/CSU und FDP dieses zur Wirkung gebracht. Es ist einfach unredlich, so zu tun, als wenn man damit gar nichts zu tun habe. Wir verlangen, daß auch in der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung die wahren Vorgänge wirklich dargelegt und veröffentlicht werden. Über die Rentenpolitik will ich hier nicht sprechen. Sie ist ein trauriges Beispiel der Öffentlichkeitsarbeit deshalb, weil Fehlanzeige vom Presseamt insgesamt vorliegt. Es sei denn, man denkt an die Fehlinformationen, die sich der Presseamtsleiter selber geleistet hat. Staatssekretär Bölling sei aber immerhin gesagt - er ist ja im Saal -: er präsentiert sich der Öffentlichkeit auch zu diesem Thema oft nicht als solider Informant, sondern als überheblicher Abwimmler. Wir hätten uns etwas mehr freie und freimütige Informationen gewünscht. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bis zur Abstimmung Platz nähmen.

Jürgen Wohlrabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was übrigbleibt, ist das Bild einer Regierung, die mit heraushängender Zunge von Informationsloch zu Informationsloch hetzt, auf dem Rücken der Rentner falsch informiert und Arbeitnehmer häufig an der Nase herumführt. Für Staatssekretär Bölling bleibt in dieser Lage nur ein Trost - und ich will ihn zitieren -; er stammt von einem seiner Vorgänger, nämlich Conrad Ahlers: Der Regierungssprecher kann immer nur so gut sein wie die Politik der Regierung. Die Öffentlichkeitsarbeit ist ja die Methode, ist ja das Werkzeug, mit dem man seine Politik redlich oder unredlich in die Öffentlichkeit zu tragen versucht. Die Mittel, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen, sind erheblich so hoch wie noch nie, so hoch, wie sie auch in Zeiten der CDU/CSU-Regierungen nie waren. Sie lassen sich auch mit denen der Länder, die lächerlich kleine Summen dagegen haben, nicht vergleichen. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, daß die Bundesregierung in ihrer Öffentlichkeitsarbeit inhaltlich kaum Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen hat. Verdrehung, Verharmlosung, Schönfärberei, Weglassen sind weiterhin Trumpf. Solide Information und Aufklärung, wie vom Gericht verlangt für den Bürger, unterbleiben häufig. Die CDU/CSU wird den Finger immer wieder in diese Wunde legen. Wir stellen heute unsere Kürzungsanträge über mehr als 20 Millionen DM und fordern Sie alle auf zuzustimmen. Wir werden aber auch in Zukunft alle Möglichkeiten prüfen, dem Karlsruher Urteil im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit Geltung zu verschaffen. Wir werden es uns weiterhin nicht bieten lassen, daß so getan wird, als wenn es ein Urteil von Karlsruhe nicht gegeben hätte: ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte nochmals dringend, Platz zu nehmen, damit die Redner im Saale verständlich sind. Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie nicht anders zu erwarten, hatte der Kollege Wohlrabe kaum die ersten Sätze gesprochen, und schon sind Parlament und Öffentlichkeit wieder eklatant getäuscht worden. Er spricht von einem Etatvolumen von 100 Millionen. In Wirklichkeit ist für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit ein Etatvolumen von etwa 35 Millionen - wie aus Ihren eigenen Anträgen hervorgeht - verfügbar. Sie wollen doch im Ernst niemandem klarmachen, daß das, was die Bundeszentrale für politische Bildung mit einem Volumen von über 20 Millionen ausgibt, im Rahmen der politischen Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung bewertet werden kann. Dies geht nicht. ({0}) Ein weiteres geht nicht, Herr Rawe, und das wissen Sie auch: die 16 Millionen - dies steht in der Drucksache, die Sie selber vorgelegt haben - sind das, was der Kollege Wohlrabe eine Verschleierungsiiste nennt. In Wirklichkeit sind es offene Titel. Sie werden nicht bestreiten, daß es sich bei den 16 Millionen für den Bereich des Verkehrssicherheitsrates nicht um Publikationen oder Öffentlichkeitsarbeitsmaßnahmen der Bundesregierung handelt. Darüber hinaus muß man auch sehen, daß wir unter diese Rubrik nicht die gesundheitliche Aufklärung durch das Bundesgesundheitsamt fallen lassen. können. Eine Vermanschung in dieser Richtung, Herr Kollege Wohlrabe, findet hier nicht statt. Ein zweites muß richtiggestellt werden, nämlich das, was das Bundesverfassungsgericht eigentlich gesagt hat. Es hat sich nirgendwo auf die Höhe der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit festgelegt; aber es hat einen Katalog erstellt, der für Bundes- und Landesregierungen, zu beachten ist, und zwar geht es hier um die unzulässige Einflußnahme in den Wahlkämpfen. Da ist erstens die Massierung von Anzeigen, Broschüren und Faltblättern genannt, zweitens die Identifizierung von Staatsorganen mit politischen Parteien, drittens die appellartige Ansprache der Wähler, viertens die reklamehafte Aufmachung der Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, ({1}) fünftens die Verteilung über Parteien und nahestehende Organisationen - da hat ja der „Spiegel" vor kurzem berichtet, wie es in Bayern aussieht, wo dies nicht mehr möglich ist - und sechstens die positive Leistungsbilanz am Ende einer Legislaturperiode. Heute, jetzt, in dieser Stunde, Herr Kollege Wohlrabe, will ich es mir ersparen -

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, einen Augenblick. - Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Platz nehmen würden. Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir zu den Abstimmungen kommen. Bitte, Herr Abgeordneter.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es wird nicht mehr lange dauern. - Aber, Herr Kollege Wohlrabe, ich schlage Ihnen eine Arbeitsteilung vor, ({0}) und zwar auf den Schluß Ihrer Rede eingehend. Stellen Sie sicher, daß in den von Ihnen geführten Landesregierungen die Pferde der Öffentlichkeitsarbeit nicht durchgehen! Hier bei uns brauchen Sie keine Sorge zu haben. ({1}) Wir richten uns - und dies ist im Haushaltsausschuß deutlich gemacht worden - nach dem vom Verfassungsgericht dargelegten Kriterienkatalog. Achten Sie darauf, wie es in den Bundesländern, wo Ihre Freunde regieren, zugeht; denn gerade jetzt, in einem Wahljahr, sind diese Mittel in Bayern um rund 50 % erhöht worden; ({2}) aber hier kann man ja die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich dies wieder ändert, wenn der Kollege Strauß nach Bayern geht. Wir werden Ihren Antrag, die Titel der Öffentlichkeitsarbeit zu kürzen, ablehnen. ({3})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Meine Damen und Herren, bleiben Sie bitte sitzen; wir kommen zunächst zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 8/1445 auf: Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes - hier Einzelplan 04 -. Es handelt sich um die Nummern 1 und 2. Ich gehe davon aus, daß die Antragsteller damit einverstanden sind, daß wir über die beiden Nummern zusammen abstimmen. - Das ist der Fall. - Das Wort wird zur Begründung nicht gewünscht. Wer dem aufgerufenen Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 8/1444 auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht mehr der Fall. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Auch dieser Antrag ist abgelehnt. Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 8/1446 auf. Dieser Antrag bezieht sich nicht nur auf den Einzelplan 04, sondern auf eine Reihe von Einzelplänen. ({0}) Ich frage, ob wir die Abstimmung gleichzeitig für sämtliche Einzelpläne vornehmen wollen. - Das ist auch interfraktionell so vorgeschlagen worden. Es wird also über diesen Änderungsantrag insgesamt abgestimmt. - Zur Begründung wird nicht mehr das Wort gewünscht. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. - Damit ist auch dieser Änderungsantrag, der sich gleichzeitig auf andere Einzelpläne bezieht, abgelehnt. Nach der Abstimmung über die Einzelanträge kommen wir nunmehr zur Schlußabstimmung in der zweiten Beratung über den Einzelplan 04. Es ist namentliche Abstimmung beantragt; der Antrag ist genügend unterstützt. Wir treten in die namentliche Abstimmung ein. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, mit dem Einsammeln der Stimmkarten zu beginnen. Ich frage, ob sich noch ein Mitglied des Hohen Hauses im Saal befindet, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat. - Dann schließe ich die namentliche Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. 5220 Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Für den Einzelplan 04 - Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - haben 253 Mitglieder des Hauses und 11 Berliner Kollegen gestimmt. ({1}) Mit Nein haben 236 Mitglieder des Hauses und 11 Berliner Abgeordnete gestimmt. Ergebnis Abgegebene Stimmen 489 und 22 Berliner Abgeordnete; davon ja: 253 und 11 Berliner Abgeordnete, nein: 236 und 11 Berliner Abgeordnete Ja SPD Adams Ahlers Dr. Ahrens Amling Dr. Apel Arendt Augstein Baack Bahr Dr. Bardens Batz Dr. Bayerl Becker ({2}) Biermann Bindig Blank Dr. Böhme ({3}) Frau von Bothmer Brandt Brandt ({4}) Brück Buchstaller Büchler ({5}) Büchner ({6}) Dr. von Bülow Buschfort Dr. Bußmann Collet Conradi Coppik Dr. Corterier Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. von Dohnanyi Dürr Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer Frau Eilers ({7}) Dr. Emmerlich Dr. Enders Engholm Frau Erler Esters Ewen Fellermaier Fiebig Dr. Fischer Flämig Frau Dr. Focke Franke ({8}) Friedrich ({9}) Gansel Gerstl ({10}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar Haase ({11}) Haehser Hansen Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Henke Heyenn Höhmann Hoffmann ({12}) Hofmann ({13}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({14}) Jahn ({15}) Jaunich Dr. Jens ({16}) Junghans Jungmann Junker Kaffka Kirschner Klein ({17}) Koblitz Konrad Kratz Kretkowski Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lange Lattmann Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Dr. Meinecke ({18}) Meinike ({19}) Meininghaus Menzel Möhring Müller ({20}) Müller ({21}) Müller ({22}) Müller ({23}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Neumann Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Paterna Pawelczyk Peiter Dr. Penner Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({24}) Rappe ({25}) Ravens Frau Renger Reuschenbach Rohde Rosenthal Roth Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({26}) Dr. Schäfer ({27}) Scheffler Scheu Schirmer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({28}) Schmidt ({29}) Schmidt ({30}) Schmidt ({31}) Schmidt ({32}) Schmidt ({33}) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber Schulte ({34}) Dr. Schwencke ({35}) Dr. Schwenk ({36}) Seefeld Sieler Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({37}) Dr. Staudt Dr. Steger Frau Steinhauer Stockleben Stöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm Tönjes Topmann Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak Dr. Vogel ({38}) Vogelsang Voigt ({39}) Waltemathe Walther Dr. Weber ({40}) Weißkirchen ({41}) Wendt Dr. Wernitz Westphal Wiefel Wilhelm Wimmer ({42}) Wischnewski Dr. de With Wittmann ({43}) Wolfram ({44}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({45}) Dr. Dübber Egert Männing Frau Schlei Schulze ({46}) Sieglerschmidt FDP Angermeyer Dr. Bangemann Baum Cronenberg Eimer ({47}) Engelhard Ertl Frau Funcke Gärtner Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Hölscher Hoffie Jung Kleinert Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Ludewig ' Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Mischnick Möllemann Ollesch Paintner Peters ({48}) Schäfer ({49}) Schmidt ({50}) von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller Dr. Vohrer Dr. Wendig Wolfgramm ({51}) Wurbs Zywietz Berliner Abgeordnete Hoppe Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Aigner Alber Dr. Althammer Dr. Arnold Dr. Barzel Bayha Dr. Becher ({52}) Dr. Becker ({53}) Frau Benedix Benz Berger ({54}) Berger ({55}) Biechele Dr. Biedenkopf Biehle Dr. von Bismarck Dr. Blüm Blumenfeld Böhm ({56}) Dr. Bötsch Braun Breidbach Broll Bühler ({57}) Burger Carstens ({58}) Carstens ({59}) Conrad ({60}) Dr. Czaja Damm Daweke Dr. Dregger Dreyer Engelsberger Erhard ({61}) Ernesti Dr. Evers Ey Eymer ({62}) Dr. Eyrich Feinendegen Frau Fischer Francke ({63}) Franke Dr. Friedmann Dr. Früh Dr. Fuchs Frau Geier Geisenhofer Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({64}) Gerstein Gerster ({65}) Gierenstein Glos Dr. Gruhl Haase ({66}) Haberl Dr. Häfele Dr. Hammans Handlos Hanz Hartmann Hasinger von Hassel Hauser ({67}) Hauser ({68}) Helmrich Dr. Hennig von der Heydt Freiherr von Massenbach Höffkes Höpfinger Frau Hoffmann ({69}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger ({70}) Dr. Jahn ({71}) Dr. Jahn ({72}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({73}) Dr. Jobst Josten Frau Karwatzki Katzer Kiechle Dr. h. c. Kiesinger Dr. Klein ({74}) Klein ({75}) Dr. Klepsch Klinker Dr. Köhler ({76}) Köster Kolb Krampe Dr. Kraske Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kunz ({77}) Lagershausen Landré Dr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz ({78}) Lenzer Link Lintner Löher Lücker Dr. Marx Dr. Mende Dr. Mertes ({79}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({80}) Müller ({81}) Dr. Müller-Hermann Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer Pieroth Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Reddemann Regenspurger Dr. Reimers Frau Dr. Riede ({82}) Dr. Riedl ({83}) Dr. Riesenhuber Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe Russe Sauer ({84}) Sauter ({85}) Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble Schartz ({86}) Schedl Frau Schleicher Schmidhuber Schmidt ({87}) Schmitz ({88}) Schmöle Dr. Schneider Dr. Schröder (Düsseldorf] Schröder ({89}) Schröder ({90}) Dr. Schulte ({91}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer 'Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({92}) Dr. Starke ({93}) Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stommel Strauß Stücklen Stutzer Susset de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer Frau Tübler Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({94}) Vogt ({95}) Volmer Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Frau Dr. Walz Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Wawrzik Weber ({96}) Weiskirch ({97}) Dr. von Weizsäcker Werner Frau Dr.. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({98}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissebach Wissmann Dr. Wittmann ({99}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Dr. Zeitel Zeyer Ziegler Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Amrehn Frau Berger ({100}) Dr. Gradl Kittelmann Kunz ({101}) Luster Müller ({102}) Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe Damit ist Einzelplan 04 in namentlicher Abstimmung angenommen Ich rufe nunmehr auf: Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksache 8/1365 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann Abgeordneter Gärtner Ich frage die Berichterstatter, ob eine Ergänzung der vorgelegten Berichte gewünscht wird. - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Marx. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die weiterhin an den Beratungen teilnehmen wollen, Platz zu nehmen, und diejenigen, die andere Verpflichtungen haben, diese außerhalb des Saales zu erfüllen. Das gilt für alle Fraktionen, auch für die des Redners. ({103}) Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen - Herr Kollege, Sie blicken sich ja nicht um; sonst würden Sie genau sehen, warum ich das sage. Meine Damen und Herren, ich bitte nochmals Platz zu nehmen, damit wir mit den Beratungen fortfahren können. ({104}) Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl am vergangenen Donnerstag und heute bei der Beratung des Haushalts des Bundeskanzlers wiederholt einzelne Themen der Außenpolitik angesprochen worden sind, gibt die Beratung des Einzelplans 05 Gelegenheit, noch einmal zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland zusammenfassend Stellung zu nehmen. Ich gehe dabei auch auf die Rede ein, die der Bundesaußen- minister am vergangenen Donnerstag als, sagen wir, einen Diskussionsbeitrag zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers abgegeben hat. Unser Land und unser Volk sind in ein schwieriges, problemgeladenes Jahr 1978 eingetreten. Die Zeichen der Weltpolitik stehen nicht auf Harmonie. Stürme drohen und Komplikationen zeichnen sich ab. Der Bundeskanzler sagt in seiner eben genannten Regierungserklärung sogar, der Friede in der Welt sei gefährdet. Aus Moskau und Ost-Berlin tönen in den letzten Tagen zusätzliche Provokationen und auch Drohungen zu uns herüber. Wir, die christlichen Demokraten und die Christlich-Soziale Union wollen in voller Verantwortung unser Teil dazu beitragen, daß Konflikte und Gefährdungen der freien Entfaltung der Menschen und Völker eingedämmt werden. Wir bleiben in unseren außenpolitischen Vorstellungen in der Kontinuität unserer Politik, die unter der Leitung Konrad Adenauers formuliert worden ist, errungene Freiheit zu verteidigen, den kostbaren Frieden zu erhalten, auf Gerechtigkeit, Wohlfahrt und Solidarität hinzustreben. Natürlich können wir dabei auch künftig nicht gleichgültig bleiben gegenüber Menschenrechtsverletzungen und menschenunwürdigen Verhältnissen. Wir treten ein für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen und Völker, aber bitte nicht nur dort, wo z. B. weit weg Menschenrechte und Selbstbestimmung verletzt werden, sondern auch und zuerst im eigenen Lande, wo 17 Millionen Deutsche in Unfreiheit leben. ({0}) Eine wichtige Priorität nimmt für uns der weitere Ausbau, die Vertiefung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Europäischen Gemeinschaft ein. Ohne das enge Bündnis, die verständnis- und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten sind Fortschritt, Sicherheit und eine wirksame förderliche Politik gegenüber den Ländern der Dritten Welt nicht möglich. In diesen Gedanken gehört unsere Mahnung, die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft angesichts der immer weiter andauernden rasanten Aufrüstung des Ostblocks, die längst jedes Verteidigungsbedürfnis überschritten hat, zu stärken. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit an die NATO-Konferenz vom letzten Dezember und an die Feststellungen, die dort der norwegische General Gundersen vortrug, daß nämlich die sowjetische Rüstung dramatische und gefährliche Formen annehme. Zu den beunruhigenden Vorgängen in Italien hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung lediglich die Hoffnung ausgedrückt, daß die Regierungskrise bald beendet werde. Aber meine Damen und Herren, es handelt sich dort um weit mehr als um die Krise einer Regierung: Die parlamentarischdemokratische Ordnung ist in Gefahr. Wir beobachten mit Sorge das immer wieder von italienischen Sozialisten und Republikanern geforderte und geförderte Hineindrängen der Kommunisten in die Regierung. Wir erklären uns ganz entschieden gegen die Koalition einer christlichdemokratischen Partei mit Kommunisten, mögen sie sich auch tarnend und ihren wahren Charakter zunächst verbergend Eurokommunisten nennen. Wir warnen ausdrücklich vor den bösen und unübersehbaren Auswirkungen, die eine Regierungsteilnahme von Kommunisten in einem Land der Europäischen Gemeinschaft und der NATO auf dieses Land, auf Freiheit und Wohlfahrt seiner Bevölkerung, auf die Gemeinschaft und das Bündnis selbst haben werden. ({1}) Wir wollen zweifelsfrei klarmachen, daß man unserer Überzeugung nach mit Kommunisten weder ein freiheitliches Europa noch eine marktwirtschaftliche, sozial gebundene Wirtschaftsordnung aufbauen noch eine Verteidigungsgemeinschaft gegen kommunistische Gefahr von außen erhalten und verstärken kann. ({2}) Wir begrüßen es daher ganz nachdrücklich, daß die Democrazia Cristiana mit großer Hartnäckigkeit dem ständigen Drängen auf verantwortliche Zusammenarbeit mit den Kommunisten widersteht. Der Bundeskanzler hat sein Bedauern über das Ausbleiben des immer wieder angekündigten Besuchs Leonid Breschnews ausgedrückt. Er hat uns aber nicht erklärt, warum er diesen Besuch vor der vorigen Bundestagswahl bereits als nahe und unmittelbar bevorstehend angekündigt hat, als der Eindruck entstehen durfte, daß diese Ankündigung zugleich einen Versuch enthält, zusätzliche Stimmen zu gewinnen und sozusagen „Breschnew ante portas" als ein leibhaftiges Beispiel der wirksamen Entspannungspolitik darzustellen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt?

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Herr Sieglerschmidt; bitte sehr.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Marx, Sie haben eben von der Democrazia Cristiana und davon gesprochen, daß Sie eine verantwortliche Zusammenarbeit mit den Kommunisten ablehnen. Würden Sie das, was im Augenblick zwischen diesen beiden Parteien stattfindet, als unverantwortliche Zusammenarbeit bezeichnen? ({0})

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sieglerschmidt, Sie wissen, daß es eine ganze Reihe von Formen der Zusammenarbeit gibt und ich den Ausdruck „verantwortliche Zusammenarbeit" sehr wohl abgewogen hier gebraucht habe. Ich meinte damit die Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Regierung. Aber, Herr Sieglerschmidt, ich habe auch von der Verantwortung der italienischen Sozialisten gesprochen, die die letzten Regierungen mit dem ausdrücklichen Hinweis zerstört haben, ({0}) die Democrazia Cristiana müsse die Kommunisten in einer geeigneten Form in die Verantwortung hineinbringen. Ihre Frage gibt mir die Gelegenheit, diese Bemerkung ausdrücklich nachzuholen. ({1}) Wir fordern den Bundeskanzler auf, bei dem nächsten Kontakt mit der sowjetischen Führung vor allem zwei für uns vital wichtige Punkte anzusprechen, nämlich Aufklärung darüber zu verlangen, was die gewaltige Rüstung im ganzen Ostblock ausgerechnet im Zeitalter der Entspannung zu bedeuten hat, und mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die neuerlichen Rückschläge in der Deutschland-Politik, die ausschließlich auf die von der Sowjetunion gesteuerte Haltung der DDR zurückgehen, nicht aufs neue durch Gefügigkeit und verbal verschleierte Rückzüge der eigenen Regierung beantwortet werden. Der Bundeskanzler hat in seiner Rede gesagt, wir sollten politische Klugheit nicht als Leisetreterei bezeichnen. Ich frage mich, wo eigentlich da seine Logik bleibt. Statt von Leisetreterei - wie es von uns immer wieder bezeichnet wird - zu sprechen, versucht er, diese Art der Politik als eine besonders subtile Klugheit hochzustilisieren. Gegenüber der kommunistisch beherrschten Welt will der Bundeskanzler, wie er uns hier wiederholt versichert hat, eine sogenannte Normalisierungspolitik weiterführen. Daß ausgerechnet in einem Augenblick, wo wieder drohende Wolken über den Ländern Osteuropas hängen und wo sich eine Verhärtung und Verschärfung ihrer Haltung nach innen und außen leider abzeichnet, vom deutschen Bundeskanzler die Vokabel „normal" benutzt wird, erscheint mir sehr wirklichkeitsfremd. ({2}) Denn wenn Worte noch einen Sinn haben, dann können doch das Verhältnis zur Sowjetunion oder etwa das innerdeutsche Verhältnis oder die Zustände in der DDR oder die Zustände an der Grenzlinie zur DDR nicht mit dem Wort „normal" bezeichnet werden. Sie sind das reine Gegenteil. ({3}) Ich möchte hinzufügen, daß, so sehr wir uns über gestiegene Zahlen von Aussiedlern aus Polen und Rumänien freuen, die Aussiedlungen selbst, die Bedingungen, unter denen sie beantragt und durchgeführt werden, ja, daß die oft grotesken und auf die betroffenen Menschen so bitter einwirkenden Gründe für ihren Aussiedlungswunsch ganz und gar abnormal sind. ({4}) Ich will jetzt gar nicht auf gewisse Zusagen hinweisen, die die deutsche Seite geben mußte, um partielle Menschlichkeit zu erhalten. Aber ich möchte anmerken, daß der Bundeskanzler uns eine Mitteilung schuldig geblieben ist - und Herr Bundesaußenminister, wenn es möglich ist, in Ihrer Republik dazu etwas zu sagen, dann bitte ich darum -, nämlich uns etwas zu sagen, wie es eigentlich bei denjenigen Menschen aussieht, 'die nicht unter die Vereinbarungen fallen, und wie es bei ihnen weitergehen soll. Sie kennen doch alle die große Zahl derer, die auch nach 1979 aus den Ostgebieten und Polen und nach 1981 aus Rumänien noch ausreisen wollen. Es sollte uns auch etwas gesagt werden, welche Vorstellungen die Bundesregierung mit ihren Gesprächspartnern in diesen Ländern erörtert hat, in welchem Schicksal die Menschen leben sollen, die gar nicht auswandern wollen, sondern in diesen Ländern zurückbleiben. Der Bundeskanzler hat zum innerdeutschen Verhältnis u. a. gesagt - ich zitiere ihn -, wir dürften keine Vorwände für Verhärtung und zunehmende Abgrenzung liefern. Das ist gewiß richtig; aber es ist unnötig, das in diesem Saale zu sagen. Wenn jemand Vorwände liefert, wenn jemand Selbstverhärtung praktiziert, sie aus seinem eigenen Kalkül betreibt - und das wird uns ja gerade in diesen Wochen eigentlich jeden Tag aufs neue in schmerzhafter Weise bewußt -, dann ist dies ausschließlich die DDR, auf Weisung ihres sowjetischen Seniorpartners. Meine Damen und Herren, wir spüren jetzt überall Vorboten innerer Machtkämpfe. Wir spüren ideologische, politische und ökonomische Unsicherheit. Wir spüren Mißtrauen den unterworfenen Völkern gegenüber, und wir spüren bei diesen einen unstillbaren Freiheitsdrang. Dies alles zusammen hat zu kritischen Erscheinungen geführt, wie sie z. B. im Manifest, das der „Spiegel" abdruckte, beredten Ausdruck fanden. Bevor ich mich aber mit dem Manifest beschäftige, möchte ich mich noch gern mit Ihnen, Herr Bundesaußenminister, über ein wichtiges Problem der Außenpolitik streiten. Sie haben einen sehr bemerkenswerten Versuch gemacht, den politischen Begriff Entspannung neu, wie ich glaube, und weniger anspruchsvoll als bisher zu definieren. Sie haben in Ihrer Rede vom Donnerstag gezeigt, daß offenbar etwas geschehen muß, um die Brüchigkeit der auch von Ihnen bisher vertretenen sogenannten Entspannungspolitik zu erklären und ihre Auswirkungen in der Öffentlichkeit abzufangen. Sie schließen sich mit Ihrer Ansicht, man müsse prüfen, was Entspannungspolitik leisten - wie Sie mit Recht sagen - und nicht leisten könne, endlich, wie ich glaube, unserer Form eines realistischen und behutsamen Herangehens an dieses Problem an. Aber, Herr Außenminister, Sie müssen Ihre Erkenntnisse vor allem an die Adresse Ihres eigenen Koalitionspartners richten, nicht an uns. ({5}) Denn niemand von der CDU/CSU hat sich in all den Jahren bisher so töricht verhalten, daß er glaubte, das, was man Entspannungspolitik nennt, könne fundamentale Gegensätze aus der Welt schaffen oder Kommunisten in ihrem politischen Charakter ändern. Das kann sie sicher nicht. Für die linke Koalition aber, meine Damen und Herren, bedeutet seit dem Herbst 1969 Entspannung eine lang herbeigewünschte tiefgreifende Wende in der deutschen Politik. Wir alle haben noch die Zitate im Kopf, die nachweisen, wie frenetisch Sie damals glaubten, daß unser Opfer aus der deutschen Substanz freundliches Entgegenkommen der sowjetischen Seite bewirken werde und daß schließlich die Konfrontation durch Kooperation, die Spannung durch Entspannung, das Gegeneinander durch Miteinander abgelöst werden könnten. Ihre Rede, Herr Kollege Genscher, habe ich jedenfalls in diesem Teil als eine Grundsatzrede, als eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit diesem Problem verstanden. Ich denke, es lag Ihnen am Herzen, durch ein partielles Einlenken in der Definition des Entspannungsbegriffs unsere Mitwirkung in der Entspannungspolitik zu gewinnen. Auch ich, auch wir sind für ein notwendiges Maß an gemeinsamem Handeln in der Außenpolitik. Aber wer das aufrichtig will, muß sich zunächst über die Begriffe, über die Prinzipien, über den täglichen Umgang mit diesen Prinzipien, die unser Handeln leiten und rechtfertigen, klarwerden. ({6}) Sie sagten, es sei notwendig, daß wir als gemeinsames Ziel eine Übereinstimmung in der Entspannungspolitik fänden. Der Bundeskanzler zog es im Gegensatz zu Ihnen vor, das - verzeihen Sie - Propagandageschwätz von der Entspannungspolitik ohne Alternative .zum wievielhundertsten Male hier zu wiederholen. Ich finde, daß es sich dabei um eines der dürftigsten - um keinen anderen Ausdruck zu gebrauchen - Schlagworte handelt, die Menschen, die über einen Restbestand an Logik und politischer Ästhetik verfügen, nicht in den Mund nehmen sollten. ({7}) Welche Entspannungspolitik ist denn eigentlich jeweils gemeint? Es gibt offensichtlich nicht nur eine. Es ist offenbar wahr, daß beide Seiten, die westliche und die östliche, etwas ganz anderes meinen, wenn sie von Entspannungspolitik sprechen. ({8}) Ich habe auch den Eindruck, daß auch dann, wenn einzelne Vertreter der Regierung und wir, die Opposition, von Entspannung sprechen, wir nicht dasselbe meinen, und ich habe weiterhin den Eindruck, daß auch einzelne Mitglieder der Regierung, wenn sie „Entspannungspolitik" sagen, in der Definition und in. der Anwendung dieses Begriffes, in seiner geschichtlichen und politischen Bedeutung untereinander durchaus erhebliche Gegensätze haben. ({9}) - Danke, Herr Kollege Mertes; siehe Brandt und Wehner und andere Mitglieder der Regierung. Ich will mich im Augenblick nicht mehr auf all diese Probleme einlassen, aber ich glaube, die Nennung der Namen macht deutlich, was gemeint ist. - Es gibt also eine reiche Palette von Entspannungspolitiken. Die eigentliche Alternative, von der immer gesprochen wird, gibt es zwischen den verschiedenen Formen und Anwendungsarten, zwischen den Möglichkeiten und Methoden von Entspannungspolitik. Sie, Herr Bundeskanzler, wissen sehr gut und sehr genau, daß meine Partei, meine Fraktion, daß die Union immer auf eine Politik, die nicht auf Spannung, sondern auf Minderung der Spannung gerichtet ist, auf eine verantwortliche Politik des Gebens und des Nehmens, eine Politik der Gegenseitigkeit, eine Politik der vergleichbaren Leistungen, auf Sicherung der Freiheit und auf Wahrung des Friedens hingewirkt hat. Was also, so muß man dann fragen, ist Entspannung? Was wir Entspannung nennen, muß vom Gegner immer richtig verstanden werden. Er darf nicht Grund haben, Entspannung als Schwäche auszulegen. Wir unsererseits dürfen uns nicht der Täuschung hingeben, daß die kommunistische Welt unter Entspannung dasselbe oder auch nur ähnliches verstünde wie wir, denn ihre Wertkategorien sind anders. Entspannungspolitik muß immer regulierbar und immer übersichtlich bleiben; ihre Wirkungen müssen überschaubar sein. Sie muß auf Zug und Gegenzug - ich wiederhole: auf Gegenseitigkeit - gegründet sein. Sie darf nicht Wünsche an die Stelle von Realitäten, nicht Hoffnungen an die Stelle von Tatsachen, nicht Illusionen an die Stelle notwendiger Einsichten setzen. Wenn es Spannungen zwischen zwei Seiten gibt, so müssen eben beide bestrebt sein, sie in einem gegenseitig kontrollierten, vergleichbaren Ausmaß und Rhythmus abzubauen. Wenn nur eine Seite entspannt, die andere aber nicht - vielleicht nur von Entspannung redet, aber das Gegenteil tut -, folgt der Hoffnung Enttäuschung, folgt den Illusionen Katzenjammer, und es entstehen neue Spannungen. Entspannung also will Spannung geringer machen; sie muß bestrebt sein, diese abzubauen. Woher aber, so frage ich, kommt in unserer konkreten Situation die Spannung selbst? Warum gibt es sie vor allem zwischen Ost und West? Sie muß also mit der Gegensätzlichkeit der Systeme, der Lebensordnungen, mit dem andersartigen Menschenbild, mit dem andersartigen Verständnis von Sinn und Lauf der Geschichte zu tun haben. Ist die parlamentarische, die freie Demokratie in sich ein Element der Spannung? Offenbar nicht. So behaupte ich, daß der Kommunismus nicht nur Spannung will, sondern Spannung ist. ({10}) Ein System, das erklärt, es sei sein Ziel, in einer Folge von harten und unbarmherzigen Klassenkämpfen die Verhältnisse völlig umzustoßen, sie durch Gewalt zu verändern, bis es nur noch eine Klasse gibt, bringt eine unerträgliche, herausfordernde Spannung in die Welt. Die Forderung nach Revolution, nach Zwang, nach Diktatur: dies alles ist in sich, ist, auch politisch konkret angewendet, Spannung. Wenn dies so ist, was also ist Entspannung? Kann sie darin bestehen, daß wir - horribile dictu - „Wandel durch Annäherung" wollen? Entspannung besteht einem totalitären System gegenüber nicht darin, daß wir unsere Positionen aufgeben oder sie zugunsten des Gegners verändern. ({11}) - Gleich, Herr Kollege. - Von Entspannung kann man nicht reden, wenn all die schlimmen Dinge wie diese Art von Grenze und ihre Bewachung, wenn das Einsperren der Menschen, wenn neue drohende Briefe vom Staatspräsidenten der Sowjetunion an uns so bleiben, wie sie sind. Entspannung darf nicht ein Synonym für Nachgiebigkeit, für Gefügigkeit oder für Kapitulation sein. ({12})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, Sie gestatten die Zwischenfrage des Kollegen Löffler?

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Marx, wenn Sie die Spannung in der Welt heute allein auf gegensätzliche gesellschaftliche Grundannahmen zurückführen, wie erklären Sie sich dann, daß es Spannungen in der Weltgeschichte seit Jahrhunderten gegeben hat, als die gesellschaftlichen Systeme einander weitgehend deckungsgleich waren?

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, içh halte kein historisches Kolleg, sondern ich kümmere mich um Probleme, die uns alle bedrängen. Ich setze mich mit einem Begriff auseinander, den Sie in höchst unscharfer Weise in unsere gegenwärtige Diskussion eingeführt haben. ({0}) - Sie haben durchaus die Möglichkeit, noch einmal zu fragen. Aber ich will Ihnen eine zweite Antwort geben. Ich will eben die Gegensätze zwischen Ost und West nicht nur, wie Sie sagen, auf gesellschaftliche Unterschiede zurückführen, sondern ich will die fundamentale Auseinandersetzung und Gegensätzlichkeit im politischen Wollen, im politischen Spiel, im Menschenbild, im Geschichtsbild sowie im Ziel aller politischen Handlungen darstellen. Das ist weit mehr - das werden Sie sicher zugeben - als die Frage gesellschaftlicher Spannungen und gesellschaftlicher Unterschiede. ({1}) Der Bundesaußenminister hat wie ich glaube, völlig zutreffend - in seiner Rede, von der ich vorhin sprach, gesagt, daß Ost und West mit entgegengesetzten Erwartungen in den Entspannungsprozeß eingetreten seien. Er stellt also heute fest, daß die Erwartungen damals entgegengesetzt waren. Das haben aber wir immer, auch damals, behauptet. Es gilt heute im Auge zu behalten, Herr Bundesminister, daß es sich unserer Überzeugung nach nicht nur um Erwartungen handelt, sondern auch - das habe ich gerade in meiner Antwort deutlich gemacht - um entgegengesetzte Inhalte, und zwar damals handelte und heute immerfort handelt. Das alles müssen wir bedenken, wenn wir uns nun einem besonderen, dem deutschen Problem und einer wichtigen Aktualität zuwenden. Seit der Veröffentlichung des Manifests einer unbekannten Gruppe von DDR-Oppositionellen steht die Deutschland- und Ostpolitik der Bundesregierung, das von ihr gezeichnete Bild einer stabilisierten DDR - oder einer DDR, die man durch eigene Politik stabilisieren müsse -, ein Bild von deren Fähigkeiten und Absichten auf dem Prüfstand. Zugleich waren und sind das für uns alle Tage der Bewährung, der Probe: ob nämlich das einst so großartig als Vertragswerk bezeichnete Geflecht von Verträgen, Briefwechseln, Protokollnotizen und Absichtserklärungen ein verläßliches, ein dauerhaftes Instrument der Entspannung und tragfähig wie eine Brücke über dem Abgrund zwischen beiden Teilen Deutschlands sei.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, Sie gestatten die Zwischenfrage des Kollegen Meinecke?

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. Rolf Meinecke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001456, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Marx, teilen Sie die Auffassung, daß die heute diese Debatte miterlebende deutsche Bevölkerung sicher gerne wissen möchte, ob die von ihr als Steuerzahler aufgebrachten Mittel für die Außenpolitik sinnvoll für die verschiedenen Zwecke eingesetzt werden, und können Sie mir sagen, warum Sie in diesem Zusammenhang das Manifest und unsere Beziehungen zum anderen Teil Deutschlands im Rahmen der Außenpolitik diskutieren?

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Meinecke, Ihre Beziehung zu Ihren Geschäftsführern ist offenbar besserungsfähig. Die Geschäftsführer haben nämlich verabredet, daß wir jetzt sowohl zum außenpolitischen als auch - weil dazu nachher nicht mehr eigens gesprochen wird --- zum innerdeutschen Bereich sprechen. Ich nehme mir als freier Abgeordneter die Freiheit, das zu tun. ({0}) Es steht Ihnen völlig frei, darauf entsprechend zu anworten. Ich muß offen sagen: Wir haben heute den ganzen Tag zu sehr vielen, wie ich glaube, wichtigen und fundamentalen Fragen gesprochen. Ich möchte mich auch angesichts der Tatsache, daß Sie dieses Manifest, seinen Inhalt und seine Bedeutung bisher so sorgsam heruntergespielt haben, noch einmal mit diesem Thema auseinandersetzen. ({1}) In diesen Wochen konnte man auch gleichzeitig ablesen, ob es den Wegbereitern und Marktschreiern der neuen Deutschlandpolitik tatsächlich um die Menschen, um deren Wohlfahrt, vor allem aber um deren Freiheit geht oder nur um ein krampfhaftes Festhalten an ihren Vorstellungen. Es ist schon erstaunlich, ja, es ist beschämend, in welcher Weise Regierung und Koalition bisher auf die Veröffentlichung dieses Dokuments reagiert haben. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Herr Wehner, hat sich in verächtlichen Verurteilungen ganz besonders hervorgetan. So, wie es seine Art ist, hat er seinen Ärger über dieses offenbar seine politischen Vorstellungen störende Schriftstück herausgebrüllt. Er hat am Donnerstagmittag gesagt: „Wenn jemand so etwas auf die Straße wirft." ({2}) Er hat auch noch - Herr Weizsäcker hat heute mittag schon darauf hingewiesen - von einem „komischen Findling" gesprochen. Herr Bölling hat ein Übersoll, wie ich glaube, an gedrechselten und gestelzten Redewendungen gebraucht, um ja nicht klar und deutlich reden zu müssen. Die Veröffentlichung des Manifestes hat überall im Volk - täuschen Sie sich nicht darüber! - zu lebhaften Diskussionen geführt. Es hat auch zu mitunter hysterischen und, wie ich glaube, dem Geist der Verträge widersprechenden Reaktionen der DDR geführt, die jetzt so tut, als ob ihre offiziellen Zeitungen und Rundfunkanstalten niemals massive Kampagnen gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Politik ihrer jeweiligen Regierung durchgeführt hätten. ({3}) Ich stelle heute, nachdem sich die Koalition - ich glaube, mit Ausnahme des Kollegen Mischnick am letzten Donnerstag - mit diesem erregenden Vorgang nur wenig beschäftigt hat, folgendes fest: Die vertraglichen Regelungen, hier insbesondere der sogenannte innerdeutsche Grundlagenvertrag, haben sich als untauglich für eine konkrete, dauerhafte und verläßliche Zusammenarbeit erwiesen. Die Nichtzulassung des „Spiegel"-Redakteurs Vater, die Schließung des „Spiegel"- Büros und der Dienstwohnung in Ost-Berlin, die Zurückweisung des Vorsitzenden und weiterer Kollegen meiner Fraktion an der Berliner Mauer -machen überdeutlich, wie schlecht dieses sogenannte Vertragswerk ausgehandelt wurde, wie wenig präzise, wie mangelhaft unsere Interessen in dem Text gewahrt wurden. Meine Damen und Herren, ich möchte hier gern ein kurzes Zitat einfügen, das den Vorteil hat, vom Pressesprecher der Regierung zu stammen, der im Sender Freies Berlin am 10. Januar dieses Jahres zu der Frage, wie sich das eigentlich mit dem Briefwechsel über die Arbeit von Journalisten und wie es sich mit der einseitigen Dekretierung vom Februar 1973 in der DDR verhalte, geantwortet hat: Allerdings wird man einzuräumen haben, daß die Verabredungen im Briefwechsel über die journalistischen Arbeitsmöglichkeiten nicht so konkret materiell waren, daß man sie jetzt gleichsam einklagen könnte. Aber darauf, meine ich, kommt es nicht an. Ich frage mich: Auf was denn sonst? ({4}) Weshalb werden denn solche Verabredungen getroffen? Weshalb ist man hier landauf, landab herumgewandert und hat jede Zeile als einen ganz besonderen Erfolg, als eine wunderbare Errungenschaft der Entspannungspolitik vorgezeigt, wenn jetzt der Pressesprecher der Regierung - und er spricht doch im Namen der Regierung - darauf abhebt, daß „konkret materiell" die Sache nicht so sei, daß man es jetzt einklagen könnte? Meine Damen und Herren, wir sind wiederum belehrt worden, daß die DDR Verträge und Vereinbarungen wie sie will und wann sie will auslegt, jedenfalls anders als die Bundesregierung - auch in diesem Fall -, anders als es die Bundesregierung hier in diesem Hause und draußen an den Rundfunk-und Fernsehsendern und in den entsprechenden Ausschüssen der deutschen Öffentlichkeit erklärt hat. Das innerdeutsche Vertragswerk ist, wie heute jedermann erkennt, Pfuscharbeit. Es ist eben nicht wasserdicht. Herr Bahr, der früher so gern dieses Wort als Epitheton ornans für sein wackeliges Gebäude verwandt hat, sollte uns heute und hier erklären, was man mit solchen Verträgen eigentlich dann anfangen kann, wenn es einmal schwierig wird; schwierig z. B., weil die SED-Führung in all ihrer bornierten Ängstlichkeit sich durch freie Publikationen beeinträchtigt fühlt. Die Qualität von Verträgen erkennt man dann, wenn man sich auf sie berufen muß und wenn man sich auf sie verlassen muß. ({5}) Selten in der Geschichte ist nach so relativ kurzer Zeit die Fehlkonstruktion von Verträgen, die fehlerhafte Analyse eines Gegners, die ihr vorausging - eines Gegners, den man glaubte zum Partner machen zu können -, so rasch und für jedermann offenkundig geworden wie in diesem Fall. Wir haben immer gesagt, daß unsere Alternative zu den vorliegenden Verträgen Verträge mit eindeutigen Inhalten, mit klaren Texten, mit klaren Formulierungen und Bestimmungen seien, durch die auch unsere eigenen Interessen gewahrt würden. ({6}) Wir haben immer hinzugefügt, die vertraglichen Regelungen mit den Staaten des Ostens dürften nicht Quelle neuer Konflikte, Gegenstand neuen Streites sein; aber gerade dies ist jetzt eingetreten. ({7}) Es bleibt für uns und die ganze deutsche Öffentlichkeit wirklich unbegreiflich, warum Regierung und ein Teil der Koalition versucht haben, das Manifest, das über die DDR hinaus die Zustände in allen Ländern des kommunistischen Lagers beschreibt, als eine Fälschung zu diskreditieren und seine Bedeutung so mühsam herunterzuspielen versuchten. Haben Sie eigentlich - so muß ich fragen - nicht recht rasch gemerkt, daß es sich um eine Sache von enormer politischer Bedeutung, um eine Sache handelt, die man nicht mit der linken Hand abtun kann? Zuallerletzt hätte man vom Kollegen Wehner erwarten dürfen, daß er als genauer Kenner der Verhältnisse in der DDR ein Manifest, das eine Zusammenarbeit sogenannter demokratischkommunistischer und sozialistischer Kräfte mit sozialistischen Kräften im Westen anstrebt, als eine Mixtur von Provokateuren diffamiert, die, wie er sagt, das Entflammen eines Konflikts, einen Bruch, einen offenen Eklat auslösen wollten. Man muß sich nach diesen Äußerungen wirklich fragen, was das wirkliche Ziel der Deutschland- und Entspannungspolitik des Kollegen Wehner ist und ob er in den letzten Wochen nicht selbst die Rolle des Provokateurs in dieser Sache gespielt hat. ({8}) Haben Sie wirklich geglaubt, daß die Menschen in Deutschland ein für allemal ruhig und zufrieden seien, wenn es gewisse, eng dosierte Reiseerleichterungen gebe, die auch noch der Willkür unterworfen seien? Kann man darauf - so erfreulich, wie dies auch für den einzelnen Menschen ist - die Entspannung in Deutschland reduzieren? Haben Sie nicht gewußt, daß in der Tiefe des Menschen noch andere, auf solche Weise nicht stillbare Wünsche und Forderungen leben? Haben Sie es wirklich nicht für möglich gehalten - der Kollege Friedrich hat das vorhin zitiert; er hatte vergessen, daß Herr Kohl dieses Zitat aus dem. „Spiegel" übernommen hat -, daß die „Sprengkraft der nationalen Frage", der Wille nach Einheit der Deutschen, nach einer Nation immer wieder laut wird? Haben Sie wirklich geglaubt, die Verträge seien das Amen der Geschichte? Hat wirklich niemand damit gerechnet, daß die von der Sowjetunion ausgehaltene SED aus ihrem eigenen Schoße ihren Feind, daß die Unterdrückung also das Verlangen nach mehr Freiheit hervorbringt? Wie können Sie es wagen, Menschen als Provokateure zu beschimpfen, die nichts anderes wollen, als frei wie wir oder doch zumindest etwas freier zu sein, als sie gegenwärtig sind? ({9}) Ich habe genau zugehört, was der Kollege Mischnick bei seiner Analyse über dieses Dokument sagte. Lassen Sie mich deshalb das folgende in aller Kürze und abschließend meine Auffassung vortragen. Es handelt sich hier sicher nicht um eine fertig ausformulierte, in sich schlüssige oppositionelle Konzeption. Gewiß handelt es sich um unterschiedliche, im Verborgenen diskutierende und schreibende Autoren. Nicht alle ihre Forderungen und Meinungen passen zueinander. Daß manches widersprüchlich ist, daß manches auf gewisse Auffassungen der frühen fünfziger Jahre, z. B. bei der Gesamtdeutschen Volkspartei des Gustav Heinemann, und daß manch anderes auf einer noch realitätsferneren Vorstellung beruht, zeigt sich bei der ersten Lektüre. Das Manifest zeigt: Die DDR ist nicht ein konformes, in sich gefestigtes Gebilde, in dem eine weitgehende Übereinstimmung der politischen Auffassungen zwischen Herrschenden und Beherrschten besteht. ({10}) Herr Kollege Kohl, ich möchte auf eine Bemerkung eingehen, die Sie hier am Donnerstag gemacht haben. Die dummdreiste Studie aus dem Kanzleramt, die Anfang September 1976 bekanntgeworden war ({11}) - daraus haben Sie wahrscheinlich einen Teil Ihrer politischen Weisheit bezogen -, hatte davon gesprochen, daß es zu den „Grunddaten einer realistischen Deutschlandpolitik" gehöre, ein eigenes Staatsbewußtsein der DDR-Bevölkerung jetzt zuzugeben, ja zu fördern. In dieser Studie wurde sogar geschwafelt, es werde eine Erbfeindschaft zwischen DDR-Deutschen und Bundesdeutschen geben. Das uns vorliegende Manifest ist eine unüberbietbar deutliche Korektur solcher im Hause des Bundeskanzlers angefertigter politischer Hirngespinste. Fragen Sie doch die Menschen selbst, und fragen Sie - das sage ich dem Bundeskanzler - nicht solche Mitarbeiter, die Sie - ich sage das jetzt zum zweitenmal - schleunigst wegen Unfähigkeit entlassen sollten. ({12}) Denn sie sind wirklich ganz ungeeignet zu einer ordentlichen Analyse. Denen spukt zuviel Ideologie im Kopf, denen führt zu vieles verworrenes Zeug die Feder. Sie erwecken gar den Eindruck bei unseren Mitbürgern im anderen Deutschland, hier hätten Kanzlerberater im wahren Sinn des Wortes ein Brett vor dem Hirn. Die Autoren des Manifests sprechen zwar nicht eine langweilige Funktionärssprache, aber sie artikulieren das Denken und Wollen, wie ich meine, weitaus linker Kräfte in der DDR höchst eindrucksvoll. Sie schildern deshalb auch grob und ungeschminkt die Zustände in diesem Staat, von dem Herr Bahr geglaubt hat, seine völkerrechtliche Anerkennung steigere sein Selbstbewußtsein. Ja, er hat einmal hier gesagt, je stärker die DDR sei, desto eher verliere sie ihren Inferioritätskomplex. Diese Leute, die sich demokratische Kommunisten nennen, glauben nicht an den Automatismus und Mechanismus geschichtlicher Abläufe und an die Unentrinnbarkeit einer sogenannten kommunistischen Endzeit. Diese Feststellung - ich finde, sie ist einer der stärksten Teile in dem Manifest - ist sehr wichtig, weil sie mit einem unsinnigen Dogma aufräumt, -das alles zu rechtfertigen vorgibt, wenn es nur einem glorreichen Endziel dient. Die Autoren stellen fest, daß die Gefahr für den Frieden in der Welt heute vom sowjetischen Imperialismus, wie sie sagen, vom „roten Kolonialreich" droht. Sie widersprechen damit einer Grundthese leninistischer und stalinistischer Weisheit, wonach die Quelle von Kriegen in der Existenz nichtkommunistischer, sogenannter imperialistischer Staaten zu suchen sei. Das Manifest eröffnet mit äußerster Härte den Angriff auf das reale kommunistische System, indem es feststellt, daß der Stalinismus nicht eine Entgleisung oder Abirrung, sondern das System selbst sei. Kommunisten aus der DDR nennen Stalinismus und Faschismus Zwillinge. Dies ist einer jener Sätze, die man sich in seinem Gedächtnis aufbewahren muß, weil wir so etwas in solcher Form von dort noch nicht gehört haben. In dem Manifest wird gesagt - ich zitiere -: Die Barbarei des Systems hat in der Sowjetunion und in vielen annektierten osteuropäischen Staaten nach 1945 mehr Opfer an Menschenleben unter den Genossen gefordert als Hitlerfaschismus und Krieg. Wer diesen und den vorhin zitierten Satz gelesen hat, der wird wohl nicht mehr im Ernst behaupten wollen, daß der linientreue Staatssicherheitsdienst der DDR die ganze Sache erfunden und in den Westen gespiegelt hätte. An vielen Stellen dieses Dokumentes klagen seine Autoren das bürokratische, in sich verkrustete und tief korrupte, das Volk schikanierende und peinigende System der SED an. Sie entlarven damit so viele gefärbte Darstellungen, die es auch bei uns gab und gibt. 94 °/o der Fernsehbetrachter begehen geistige Republikflucht, sagen sie. Havemann sagt jetzt - in seinen Äußerungen, die gestern in den Zeitungen zu lesen waren -, das 95 % der Bevölkerung in einer inneren oppositionellen Haltung zu der herrschenden Meinung und zu den herrschenden Personen stehen. Mit Bitterkeit bezeichnen die Autoren des Manifests ihren Staat, weil sie die Praxis der Abhängigkeit und der Machtverhältnisse wohl kennen, als einen „Abklatsch einer 16. Sowjetrepublik". Für die Zerstörung des Menschen, seiner Würde, seiner schöpferischen Kräfte, seiner Wünsche und Hoffnungen, seiner familiären Bindungen geben die Autoren des Manifests dort, wo sie von der totalen Kollektivierung sprechen, von der Ausbeutung des einfachen Bürgers durch, wie sie sagen, eine .,,Politbüro-Kaste" eindrucksvolle und erschütternde Beispiele. Sie sehen ihren Staat nicht von gebildeten oder zumindest von technokratisch fähigen Funktionären geführt, sondern vielmehr von Menschen, die intellektuellen Ansprüchen nicht gewachsen sind, die noch niemals eine eigenständige Leistung hervorgebracht haben. Sie sind sture Funktionäre, abgerichtet in Parteischulen, verdorben durch einseitige Parteilektüre. Was die Propagandisten, meine Damen und Herren, „sozialistische Demokratie" nennen, bezeichnen jene, die in ihr leben, als „nackte Willkür". Besonders eindrucksvoll ist die Auseinandersetzung mit den Rechtsbrechern an der Staatsspitze. Es wird neben dem Klassiker Karl Marx auf den Klassiker Friedrich Schiller verwiesen, der den Verkauf von Landeskindern gegeißelt hat, der Menschenhandel verurteilt hat, und es schließt sich in dieser Passage die Frage an: „Wie alt ist die Forderung nach Gedankenfreiheit?" Dies, meine Damen und Herren, ist auch für uns eine Frage, die wir in unserer dauernden politischen Auseinandersetzung, die wir mit diesem System, mit seinen Denkordnungen führen müssen, eine wichtige Frage, die wir keinen Augenblick vergessen dürfen. ({13}) Die Zeit hier reicht unmöglich, um die sehr vielen, oft in die einzelnen Beobachtungen gehenden Anklagen und Forderungen des Manifestes weiter darzustellen. Aber ich habe diese wenigen und grundsätzlichen Thesen herauszuarbeiten versucht, um in diesem Hause in aller Kürze ein Zeitdokument- zu zitieren, das - ich sage es noch einmal - von der Koalition so schmählich und so schäbig behandelt wurde. Herr Kollege Friedrich, Sie haben heute über Ihren Besuch in der CSSR einige Bemerkungen gemacht. Es wäre mir recht gewesen, wenn Sie auch einmal gesagt hätten, wie die andere Seite eigentlich diesen Vertrag, in dem doch steht, Anträge würden wohlwollend behandelt, jetzt wieder in Gang setzen will, wie Sie gesagt haben, dem Buchstaben, dem Geiste nach - wie die Formel heißt - mit Leben erfüllt. Es ist ohnehin befremdlich, Herr Kollege Friedrich, daß der Vorsitzende Ihrer Fraktion, kurz bevor er den eisernen Statthaltern von Moskau in Prag die Hände schüttelt, jene zurückstößt, die sich von solchen Händen in der DDR befreien wollen. Dies ist tief befremdlich. Ich sage noch einmal, ich konnte es nicht glauben. Dies ist für mich eine entscheidende Frage in der Beurteilung von Hintergrund, Absichten und Methoden der Politik, wie sie Herbert Wehner in diesem Hause und außerhalb dieses Hauses seit vielen Jahren propagiert. ({14}) Meine Damen und Herren, dieses ganze Manifest ist Ihnen unbequem. Ich verstehe zwar nicht, warum Sie es nicht verwenden, um zu begreifen, was in der Vielfalt der Auffassungen und der Meinungen jetzt herüberkommt. Aber die Wahrheit ist natürlich oft ein Ärgernis. Sie werden hier mit Tatsachen, mit Wahrnehmungen und mit Urteilen konfrontiert, die ein von Ihnen fabriziertes Bild stören. ({15}) - Ja, ich meine Wahrheiten, Herr Kollege Meinecke. Ich glaube wirklich, daß, von einigen wenigen Dingen abgesehen, dieses Manifest wichtige Wahrheiten enthält. Deshalb nenne ich es ein Dokument der Zeitgeschichte. Es wird als solches in der Geschichte seinen Platz behalten. ({16}) Ich hatte ohnehin den Eindruck aus manchem anderen Beitrag in dieser Debatte, z. B. bei einer Reihe von wirren Darlegungen, Herr Kollege Friedrich, bei Ihnen, daß Sie sich verzweifelt an Ihre mühsam zusammengebastelten politischen Vorstellungen klammern, obwohl die politische Wirklichkeit längst überdie damit verbundenen Formeln und Vorstellungen hinausgegangen ist. ({17}) Daß dabei auch noch die Politik der Regierung selbst in sich immer diffuser und in wichtigen Feldern widersprüchlicher geworden ist, macht die Sache nicht besser, macht aber die Notwendigkeit noch dringlicher, eine abgewirtschaftete Regierung durch eine bessere zu ersetzen, eine verfehlte Politik durch eine realistische. ({18})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber, verehrter Herr Kollege Dr. Marx! Ich hatte vorhin schon mal den Eindruck, als ob von Ihnen etwas ganz Neues käme, eine neue Überlegung, wie man sich denn mit der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, wie sie von der Regierung geführt wird, mit neuen Argumenten auseinandersetzt, mit Vorschlägen oder mit begleitenden kritischen Bemerkungen, die aber zu einem Ergebnis führen könnten, aus dem man möglicherweise sogar für uns alle neue Erkenntnisse schöpfen könnte, die uns - wenn Sie so wollen - gemeinsam ein Stück weiterbringen könnten. So gestehe ich, daß ich enttäuscht bin. ({0}) Sie haben alte Geschichten erzählt, und Sie haben etwas getan, wofür Sie vermutlich nichts können. Ich habe es zum Beispiel nicht gewußt. Aber Sie haben etwas getan, indem Sie beim Haushalt 05 über die Beziehungen zur DDR und im Zusammenhang damit von diesem Manifest gesprochen haben, was nach draußen den Eindruck hervorrufen muß - und deswegen möchte ich es ausdrücklich noch einmal sagen -, als ob es sich um eine außenpolitische Angelegenheit handele. ({1}) Ich möchte nicht, daß etwa das DDR-Außenministerium eine solche Debatte an der falschen Stelle - nicht, daß sie geführt worden ist - zum Anlaß nimmt, eine Verschiebung der politischen Situation herauszulesen. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohl? ({0})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, halten Sie es für fair, nachdem, was im Ältestenrat über den Ablauf der Debatte besprochen wurde, und in Kenntnis - Sie waren im Ältestenrat dabei - dieser Absprache eine solche Bemerkung mit der Zielsetzung anzufügen, wie Sie sie eben ausgesprochen haben?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hochverehrter Herr Kollege Kohl, erstens habe ich nicht gehört, daß dieser Teil in dieses Stück der Debatte eingefügt werden soll. Wenn ich das gehört hätte, hätte ich schon da protestiert. Ich habe es jetzt erst gehört. Ich mache ja gar kein großes Theater daraus, sondern sage ausdrücklich, daß ich es aus politischen Erwägungen für notwendig halte, hier festzustellen, daß das mit der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland an dieser Stelle nichts zu tun hat. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Marx?

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollegin Renger, da wir selbst es waren - Herr Kollege Franke wird sich daran erinnern -, die während der Aushandlung der Verträge immer sehr darauf geachtet haben, daß es hier keine Vermischungen gebe zwischen innerdeutschem und auswärtigem Bereich, möchte ich gern zusätzlich fragen - neben dem, was Herr Kohl Sie gefragt hat -, ob Sie nicht auch bei der Lektüre des Manifests - und ich habe fast ausschließlich im innerdeutschen Bereich dazu gesprochen - sehen, daß wichtige Elemente der Außenpolitik der DDR und der Haltung der osteuropäischen Staaten mit angesprochen sind, und daß ich mich wohl befleißigt habe, auch dies in meinen Darlegungen klarzumachen? ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Marx, ich will hier nicht mehr näher darauf eingehen, schon deswegen nicht, weil ich es vollkommen unangebracht finde, in dieser Art und Weise und in dieser Breite über ein Manifest zu sprechen ({0}) - Moment, Herr Reddemann! -, von dem ich nicht weiß, wer es geschrieben hat, worüber ich mir seit Wochen die tiefsten Gedanken mache, wem dies wohl nützen kann, um so mehr, Herr Kollege Dr. Marx, deswegen, weil ich, wie Sie alle, weiß, daß die dort beschriebene Situation der DDR sehr real ist. Aber gerade diese Situation kann ungeheure Konsequenzen haben, mit denen wir uns wohl auseinandersetzen müssen, aber nicht in einer aufge5230 zwungenen, sondern in einer politischen Weise, die der Situation gegebenenfalls entspricht. Aber ich weigere mich, hier an dieser Stelle mich im Zusammenhang mit diesem Manifest, über das die ganze Welt schon phantasiert, zu einer weiteren Phantasie zu bekennen. ({1}) - Ich nehme die Sache ernst; damit Sie das nicht mißverstehen. Aber ich möchte mich damit nicht an dieser Stelle und nicht in dieser Weise beschäftigen. Niemand von Ihnen weiß: Wer hat es ausgedacht? Was ist damit beabsichtigt? ({2}) Aber eins ist denkbar: Sollte jemand damit beabsichtigt haben - und das ist denkbar - die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu verschlechtern, aus Gründen, die in dem eigenen Teilland liegen mögen oder woanders, dann ist das sicherlich eine Absicht, die zwar nicht gelungen ist, die aber ganz bestimmt Steine in den Weg gelegt hat. ({3}) Ich glaube, mit diesem Aspekt kann ich mich von diesem Thema abwenden. Der Herr Kollege Dr. Marx hat auch einige Bemerkungen an den Außenminister gerichtet, die kritischer Natur waren und auf Grund derer ich doch annehmen muß, daß er mit der Außenpolitik nicht ganz zufrieden ist. ({4}) - In Maßen! Die Rede des Kollegen Marx setzte sich wohltuend davon ab, wie schon verschiedentlich am heutigen Tage mit dem Herrn Bundeskanzler umgesprungen worden ist. ({5}) - Ja, das ist in Ordnung. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mir gesagt: So schlecht kann die Außenpolitik gar nicht sein. Deswegen ist wohl auch die Kritik nicht so heftig; aber die Außenpolitik wird ja auch vom Kanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmt, mitverantwortet. Ich habe mir nun ({6}) ein Redemanuskript des Herrn Kollegen Dr. Mertes ({7}) - ich weiß gar nicht, wie es zu mir gekommen ist - vorgenommen, das schon etwas älter ist. Verehrter Herr Kollege, möglicherweise sind es nur Fragmente; aber sie haben mich so fasziniert, daß ich glaube, sie dem Hause nicht vorenthalten zu sollen. Da sprach Herr Kollege Mertes ({8}) - das war am 10. Mai 1977 in der Redoute -, wir haben ja immer sehr freundschaftliche Gespräche, Herr Kollege Mertes, wenn wir auch unterschiedlicher Meinung sind, zur deutschen Außenpolitik: Seit der Bildung der Regierung Schmidt/Genscher haben sich die Chancen eines außen- und deutschlandpolitischen Konsenses erhöht ({9}). ({10}) - Ja, das ist aber viel. Zweitens. Aus der Sicht der Opposition bietet sich heute hinsichtlich der Außen- und Deutschlandpolitik folgendes Bild, das ich auch auf dem Düsseldorfer Parteitag ohne Widerspruch vorgetragen habe. In wesentlichen Bereichen besteht Übereinstimmung, - so Mertes d. h. würde die CDU/CSU bei Regierungsübernahme - was ja demnächst nicht zu erwarten ist ({11}) - das hat er nicht gesagt den gleichen Kurs verfolgen wie die jetzige Bundesregierung. Dies gilt vor allem für die Europapolitik, die Außenwirtschaft, die militärischen Aspekte des Bündnisses, die NahostFrage, die internationale Nuklearpolitik, für MBFR und für Berlin. Der weitgehende Konsens in diesen Bereichen - Gott sei Dank, jetzt kommt ein Wort für Sie wird heute nicht von der Opposition, sondern von der SPD in Frage gestellt. ({12}) - Darf ich noch das letzte zitieren? In einem weiteren Bereich vertritt die Opposition in der Substanz die Linie der Bundesregierung, setzt sie aber die Akzente wegen ihrer kritischen und kontrollierenden Funktion als Treuhänder der parlamentarischen Rechte und Pflichten anders als die Bundesregierung. ({13}) - Bitte schön, verehrter Herr Kollege.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Renger, würden Sie bitte auch meine ausführlichen Darlegungen bekanntgeben, wonach die Opposition gegen die Bundesregierung in einigen wesentlichen außen- und sicherheitspolitische Fragen, z. B. der Abschreckung und der Abrüstung, heute von der SPD gestellt wird und nicht von der CDU/CSU, so wie das übrigens auch in Fragen der inneren Sicherheit, der Kernenergie und in anderen wichtigen Fragen der Fall ist. Das hat der Herr Kollege Strauß heute morgen sehr plastisch belegt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. Ich habe das mit vorgelesen. Ich habe es nicht unterschlagen, daß die Opposition in diesen Fragen von der SPD, wie Sie sagen, - ({0}) - Die Verkürzung kommt daher, daß mir natürlich nur Ihre Stichworte vorlagen und deswegen habe ich von Anfang an gesagt: Ich weiß nicht, ob dies noch ergänzt worden ist. Meine Damen und Herren, nachdem ich den Eindruck gewonnen habe, daß die CDU/CSU in großen Zügen gar keine andere Außenpolitik machen kann, finde ich, daß wir schon eine Plattform gefunden. haben, von der aus man recht vernünftig-- trotz unterschiedlicher Nuancen - sprechen kann. Ich glaube, daß es deswegen nicht mehr möglich ist, daß das geschieht, was einige Kollegen der Opposition mit ziemlichem Nachdruck, manchmal mit großer Aggression, sagen, nämlich daß die Entspannungspolitik der Bundesregierung nicht erfolgreich sei und daß sie im Grunde sogar der Verwirklichung der Menschenrechte entgegenstehe. Die Tatsachen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sprechen eine andere Sprache. Das kann auch gar nicht anders sein; denn für uns Sozialdemokraten bedeutet das, daß Entspannungspolitik und Menschenrechte einander bedingen. Ich darf hier sagen: Dies stimmt auch mit dem überein, was Präsident Carter in den letzten Monaten eindrucksvoll durchgefochten hat. Erfolge der Entspannungspolitik sind immer auch Erfolge bei der Verwirklichung von mehr Freiheit und mehr Menschenrechten, wo auch immer in der Welt. Meine Damen und Herren von den Unionsparteien, ohne Entspannungspolitik hätte es die gegen Ihren Widerstand zustande gekommene Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Schlußakte nicht gegeben, die auch Sie in diesen Tagen immer wieder zur Grundlage Ihrer Ausführungen genommen haben. Es hätte dann eben nicht menschliche Erleichterungen gegeben, die wir glücklicherweise schon verzeichnen können. ({1}) - Ja, ich komme gleich darauf. Aber ich wollte ja eigentlich nicht von der DDR sprechen. - Die Entspannungspolitik hat die Atmosphäre geschaffen, in der trotz aller Kontroversen und Rückschläge der permanente Dialog zwischen Staaten mit unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Ordnung überhaupt erst möglich ist und in der für den einzelnen auch eine Besserung erreicht werden kann. ({2}) - Herr Reddemann, Sie haben hier soeben den Zwischenruf von der DDR gemacht und damit gesagt, daß hier etwas versäumt worden ist. Ich sage es noch einmal, weil es immer - -({3}) - Ach, es spricht sich wirklich wahnsinnig schwer, wenn Sie mich immer wieder Sätze nicht richtig aussprechen lassen. Muß das denn eigentlich sein! Sie haben doch Gelegenheit, noch zu sprechen. ({4}) Meine Damen und Herren, weil es immer wieder vergessen wird, möchte ich Ihnen noch einmal - ich bin ein fröhlicher Mensch; aber manchmal kann man traurig werden, .wenn man hier in den Saal schaut - einige Zahlen in die Erinnerung rufen. Die Zahlen werden anscheinend immer wieder vergessen. Es sind Zahlen, hinter denen einzelne Menschen stehen. Aus -der Sowjetunion kamen im Jahre 1973 4 500 Aussiedler, 1974 6 575; dann kamen 6 076 und 9 700 Aussiedler. Die Zahl der Aussiedler aus Rumänien steigerte sich auf 10 993 im Jahre 1977; ich will die Zahlen aus den Jahren davor nicht im einzelnen aufzählen. Mit Polen ist vereinbart, daß von 1976 bis 1980 - in vier Jahren - 120 000 bis 125 000 Personen ausreisen können. Dort belief sich die Zahl der Ausreisenden im Jahre 1977 auf 32 860 Personen Nun darf ich noch einmal auf die Zahl der Familienzusammenführung aus der DDR zurückkommen und daran erinnern, daß der Grundlagenvertrag dazu eine wichtige Voraussetzung war. 1972 betraf das 984 Personen, 1975 5 635, 1976 4 992 Personen. Wie Sie sehen, konnten wir also praktische Fortschritte in einer gewissen Freizügigkeit mit einem Staat erreichen, der ganz sicher kein großes Interesse daran hat, die Menschen hierher gelangen zu lassen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, vielleicht können Sie dem Hohen Hause mitteilen, daß in der Zahl 32 000, die Sie soeben zitiert haben - das sind also diejenigen, die aus dem Bereich jenseits der Oder-Neiße-Linie zu uns gekommen sind -, 15 % Besucher sind, die hier geblieben sind, weil sie kein Zutrauen zu der polnischen Praxis der Ausreisegewährung haben und nicht wissen, wie es nach 1980 weitergehen wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hupka, es ist in diesem Hause wirklich überflüssig, uns über die Art und Weise des Vorgehens in Staats- und Gesellschaftsordnungen jenseits des Eisernen Vorhangs zu unterhalten. Darüber gibt es ja wohl keine Meinungsverschiedenheiten. Aber es kommt doch darauf an, daß unter diesen Bedingungen den Menschen dort geholfen wird. Dieses ist gelungen, und allein darauf kommt es an! ({0}) Es kommt auch noch darauf an, daß wir uns dabei nichts - nichts! - vergeben haben. ({1}) - Lieber Herr Hupka, Sie kennen doch die Dinge nun wirklich lange genug. Es ist falsch, daß Sie an dieser Stelle immer wieder etwas sagen, was nicht erfüllbar ist. Sie kriegen sie nicht alle auf einmal hierher, ({2}) sondern dieses ist ein Prozeß, auch ein politischer Prozeß, der sich erst langsam dahin bewegen muß, daß das, was in Helsinki verabredet worden ist - angefangen bei den vertrauensbildenden Maßnahmen bis hin zu all dem, was wir an menschlichen Voraussetzungen schaffen wollten -, wirklich ein Stück vorankommt, daß der eine nicht mehr Angst vor dem anderen hat oder beide nicht mehr Angst voreinander haben. Das gilt auch für die Länder, in denen das Mißtrauen aus ganz anderen Gründen besteht. Das brauche ich auch nicht näher zu erläutern. Der Herr Bundeskanzler ist ja gerade in Polen an den Stätten gewesen, an denen ich auch war. Wir wissen, wie schwierig es ist, die Vergangenheit dort in den Hintergrund zu drücken! Wir sind sehr froh, daß das bei den jungen Menschen schon sehr weitgehend geschehen ist. Aber weg ist das alles nicht! Wir müssen sehr sorgsam mit dem umgehen, was wir inzwischen schon erreicht haben. ({3}) Bei aller gebotenen Vorsicht möchte ich die Prognose wagen, daß die Anerkennung einer gewissen Freizügigkeit für begrenzte Personengruppen längerfristig allgemeine freiheitliche Auswirkungen auf alle Staatsbürger in diesen Bereichen und eine Anhebung des menschenrechtlichen Standards in diesen Ländern insgesamt zur Folge haben wird. Ich darf also bitten, die Verknüpfung dieser Frage mit der Entspannungspolitik und den Menschenrechten zu sehen - so wie sie auch in der Schlußakte von Helsinki niedergeschrieben worden ist - und sich auch zu vergegenwärtigen, daß die Menschenrechte und Grundfreiheiten eine universelle Bedeutung erlangt haben. Dieses ist in dem Schlußdokument von Helsinki niedergeschrieben, und dieses kann auch dann nicht mehr weggewischt werden - wie wir in Belgrad gesehen haben -, wenn auch noch so viele derjenigen, die die Entspannung stören wollen, sich darum bemühen. Was in diesem Papier steht, ist ein Stück mehr, als wir in der Zeit vor dem Grundvertrag, vor dem Schlußkommuniqué und vor Helsinki gehabt haben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu einem anderen Thema der Außenpolitik machen, dies aber tatsächlich nur im Sinne eines Merkpostens, damit nicht der Ein-. druck entsteht, als ob wir uns nur mit dieser einen Seite beschäftigen. Der permanente Dialog ist auch in anderen großen Konflikten der Weltpolitik eine dauernde Aufgabe, zum Beispiel im Nord-Süd-Konflikt. Voraussetzungen sind auch dort ein größeres Verständnis, Entspannung, im übrigen auch die Forderung nach Menschenrechten, Menschenrechten der unterschiedlichsten Art. Hier ist darüber schon gesprochen worden. Die Zeit eilt. Sie alle haben heute schon einen langen Tag hinter sich gebracht. Ich möchte sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland gerade auch in ihrer Aufgabe, den Völkern in Afrika, in Asien und in Lateinamerika zu helfen, schon hervorragende Leistungen geboten und sozusagen eine Plattform für die weitere Entwicklung geschaffen hat, von der aus die Kluft zwischen arm und reich ein wenig geschlossen werden kann. Es wird noch Jahrzehnte dauern, 'bis diese Menschen imstande sind, auch nur einigermaßen so zu leben, wie wir uns ein lebenswertes Leben vorstellen. Eine letzte Bemerkung möchte ich mir doch noch erlauben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Der Herr Kollege Dr. Marx hat hier gesagt, der Eurokommunismus stehe sozusagen ante portas und er hat ebenso die Schwierigkeiten aufgezeigt, die im Verhältnis zu den kommunistischen Parteien, vor allen Dingen in den westeuropäischen Ländern einschließlich Italiens, vorhanden sind. Hier wurde wieder einmal das Wort von den Sozialdemokraten und den Sozialisten, die ihre Aufgabe nicht erfüllt hätten, aufgetischt. Wir kennen dies. ({4}) Ich muß es noch einmal sagen: Drei Jahrzehnte Regierungszeit der Christlich-Demokratischen Partei in Italien haben doch eine Situation geschaffen, die jetzt widersinnigerweise - das muß man einmal sagen - zu dem „Historischen Kompromiß" geführt haben. Nicht etwa, daß die Christlichen Demokraten an die Sozialisten und Sozialdemokraten herangetreten. wären, um ein Sozial- und Wirtschaftsprogramm zu schaffen, daß das Land saniert und eine neue Ordnung schafft. Sie haben sich doch vielmehr an die Kommunisten gewandt, um mit ihnen einen Kompromiß einzugehen. Sie, verehrter Herr Kollege, wollen dafür nun den Sozialdemokraten die Schuld geben. Wo es starke Sozialdemokraten - wie in der Bundesrepublik Deutschland und auch in anderen Ländern - gibt, gibt es für die Kommunisten keine Chance, hochzukommen. Also machen Sie die Sozialdemokraten stark. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Herr Kollege, bitte.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Renger, würden Sie mir erstens darin zustimmen, daß es den sogenannten ,,compromesso storico", den ,,Historischen Kompromiß", noch gar nicht gibt ({0}) - Herr Kollege Ehmke, Sie kennen ja den Inhalt des Begriffes -, und zweitens darin, daß ich einfach mit dem Hinweis auf die Tatsachen gesagt habe, daß die Sozialisten die gemeinsame Mitte-LinksRegierung mit der ausdrücklichen Begründung verlassen haben, den Kommunisten müßte jetzt ein ihnen zukommendes Maß an Machtteilhabe möglich werden? ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Marx, soweit ich mich richtig erinnere, ist unser verehrter Herr Kollege von Hassel sogar der Auffassung gewesen, daß die Kommunisten in Italien nicht wegzuwischen sind, sondern daß sie an der Regierung teilhaben sollten. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Im Augenblick hat Frau Kollegin Renger das Wort. Lassen Sie die zweite Zwischenfrage zu?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich. von Hassel ({0}) : Verehrte Frau Kollegin Renger, würden Sie mir bitte das Zitat nennen, in dem ich gesagt habe, Kommunisten müßten an der Regierung beteiligt werden? Sie können von mir einige Dutzend Zitate hören, in denen ich die deutschen Sozialdemokraten bitte, auf ihre italienischen Freunde einzuwirken, daß sie wieder die Regierung mit uns gemeinsam bildeten; dann brauchten wir nämlich über die Kommunisten überhaupt nicht zu reden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde es ausgezeichnet, daß Sie nachfragen. Ich werde das Zitat heraussuchen. Ich habe vorsichtshalber gesagt: soweit ich mich richtig erinnere. Ich bin also imstande, mich zu korrigieren, wenn das nicht stimmt und wenn ich Sie falsch zitiert haben sollte. Meine abschließende Bemerkung ist diese: Es kommt darauf an, daß die Demokraten in unseren Ländern imstande sind, eine solche Gesellschaftsordnung zu schaffen, daß für andere undemokratische, antidemokratische Parteien überhaupt kein Raum ist. Dazu rufe ich Sie für die nächsten Jahrzehnte unserer Politik in unserem Lande weiter auf. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Wir fahren in der Aussprache fort.. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Picard.

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich aus den Höhen der großen auswärtigen Politik in die Niederungen der Instrumente dieser Politik, nämlich zu Personal und Geld hinabsteige, erlauben Sie mir eine Bemerkung zur Frau Kollegin Renger. Ich möchte doch einmal eindeutig feststellen, Frau Kollegin Renger, daß wir uns seit Jahren unaufhörlich bemühen, ich will nicht sagen: Ihre Parteifreunde, aber jedenfalls die italienischen Politiker, die Ihnen näherstehen als uns, dazu zu bewegen, den Versuch zu machen, die Sozialisten, Sozialdemokraten und Christlichen Demokraten in Italien in den Stand zu versetzen, Kommunisten draußen vor der Tür zu halten, anstatt sie in dem Verlangen zu bestärken, Kommunisten mit den Christlichen Demokraten zusammenzuspannen. ({0}) Vielleicht wird Ihr Bemühen, von dem ich hoffe, daß sie es mit Nachdruck beginnen oder fortsetzen, Er- folg haben. Dann brauchen wir hier nicht mehr so viel über Eurokommunismus und „Historischen Kompromiß" zu reden. ({1}) Eine zweite Bemerkung zu Beginn. Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn das Thema, das Sie angesprochen haben, der Nord-Süd-Dialog, vom Herrn Bundesaußenminister ein wenig akzentuiert behandelt würde. Ich will nicht in die Kontroverse zwischen Außen- und Entwicklungshilfeministerium eingreifen, wenn es sonst niemand tut. Aber es wäre gut, wenn wir den Nord-Süd-Dialog stärker unter außenpolitischen Gesichtspunkten unter der Führung des Außenministers als unter der des Konkurrenzministeriums behandelt sähen. Meine Damen und Herren, nun einige Bemerkungen zum Einzelplan 05. Erlauben Sie mir, auf einen Antrag zurückzukommen, den Sie heute mit Ihrer knappen Mehrheit abgelehnt haben; ich meine den Antrag zur Öffentlichkeitsarbeit. Wir hätten keinen Antrag gestellt, die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des Einzelplans 05 zu kürzen, wenn die Öffentlichkeitsarbeit des Außenministeriums nicht so erfolglos wäre. Wäre sie erfolgreich, wäre es unmöglich, daß man sich mit Themen wie Berufsverbot, Isolationsfolter, Radikalenerlaß auseinandersetzen muß und eine weitgehende Unkenntnis über die Lage der deutschen Frage antrifft, wenn man ins Ausland kommt. Ich habe manchmal den Eindruck, daß wir uns nicht nur gegen Fehlinformationen, die Journalisten draußen geben, nicht wehren, sondern daß wir durch unsere Öffentlichkeitsarbeit hin und wieder sogar noch dazu beitragen, daß solche Fehlinformationen im Ausland entstehen. ({2}) Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Außenminister, wenn Sie einmal darüber nachdächten, welche Auswirkungen es hatte, daß wir eine Vielzahl kleinerer Zeitungen im Ausland - teilweise waren es deutsche Zeitungen - nicht mehr direkt mit Matern beliefern. Wir haben dabei zwar ein paar zigtausend Mark gespart, zugleich aber eine Vielzahl von Menschen verloren, die sich vorher mit unserem Lande identifiziert und sich für unser Land draußen als Botschafter - man kann manchmal sogar sagen: als Missionare - eingesetzt haben. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens überprüften und wenn Sie bereit wären, vielleicht mit uns zu der Meinung zu kommen, daß es sinnlos war; so zu verfahren, weil es Nachteile mit sich brachte. Wir haben heute und in diesen Tagen mehrfach über Terrorismus gesprochen. Das ist kein Thema für Außenpolitik. Ich möchte aber darauf verweisen, daß allein im Etat des Auswärtigen Amtes in diesem Jahr die runde Summe von 6 Millionen DM steht, die uns der Terrorismus in diesem Bereich kostet, von dem niemand annimmt, er habe etwas damit zu tun. Hätten wir diese 6 Millionen DM für die eine oder andere gezielte Aktion - meinetwegen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit oder der auswärtigen Kulturpolitik -, brauchten wir uns unter Umständen mit dem Bild des häßlichen Deutschen" gar nicht zu beschäftigen. Auch das sollte zum Nachdenken anregen, was Terrorismus und seine mangelnde Bekämpfung unter Umständen für Auswirkungen haben. Lassen Sie mich nur darauf verweisen, daß wir bei laufenden Maßnahmen im Ausland 3 Millionen DM für verstärkte Sicherheit aufzuwenden haben - und das zusätzlich zu dem, was wir schon in den zurückliegenden Jahren zu tun hatten. Eine Bemerkung zu den Baumaßnahmen. Wer hin und wieder in das Ausland kommt, hat Gelegenheit zu sehen, daß Baumaßnahmen deutscher Privatunternehmen um ein Mehrfaches schneller ablaufen als die der öffentlichen Hand. Die Investitionen deutscher Privatunternehmen im Ausland werden ja immer größer. Es lohnt sich, auch darüber nachzudenken, warum dem so ist. Dem nachzugehen, würde sich deshalb lohnen, weil es uns erhebliche Verteuerungen bringt, wenn wir - statt rasch - langsam und, wie man manchmal den Eindruck hat, immer langsamer bauen. Das ist ein Thema, das uns im Haushaltsausschuß seit vielen Jahren, eigentlich seit Bestehen der Bundesrepublik oder seit dem Zeitpunkt, da wir in der Lage waren, wieder eine auswärtige Politik zu betreiben, beschäftigt. Es ist einfach unverständlich - wir empfinden es als ein Skandalon daß hier keine Abhilfe geschaffen werden kann. Meine Damen und Herren, ich sprach soeben von den Instrumenten der Außenpolitik. Es ist natürlich ein unzutreffender Ausdruck, Menschen als Instrument der Politik zu bezeichnen. Aber Außenpolitik wird nun einmal von Menschen gemacht. Deshalb scheint es mir heute angebracht, darauf zu verweisen, daß dieser Bundestag vor Jahren einmal eine Kommission zur Reform des auswärtigen Dienstes eingesetzt hatte, die auch mit Wissenschaftlern und Fachleuten besetzt war. Diese Kommission hat einen Bericht vorgelegt, der hier Zustimmung fand. In diesem Bericht wurde u. a. eine Personalreserve empfohlen. Wir wissen aus den zurückliegenden Monaten und Jahren noch sehr gut, daß uns die nicht vorhandene oder nur unzureichend vorhandene Personalreserve große Schwierigkeiten bereitet, bei der Besetzung von Auslandsdienststellen dafür zu sorgen, daß Vakanzen rasch behoben oder Sonderaufgaben wahrgenommen werden können. Daß diese Personalreserve nicht hinreichend aufgebaut werden konnte, liegt nicht an der Opposition, sondern an der Regierung und Ihrer eigenen Mehrheit. Ich möchte meinen, wir sollten hier nicht zu engstirnig verfahren, denn dann, wenn die Aufgaben dieses auswärtigen Dienstes im Interesse unseres eigenen Landes hinreichend wahrgenommen werden sollen, müssen wir hin und wieder auch von sonst allgemein vertretenen Grundsätzen der Personaleinsparung eine Ausnahme machen, zumal sonst später in diesem Hause die Klagen erhoben werden, daß die Vertretung der konsularischen Belange für Urlauber - ich erinnere nur an eine Debatte im Sommer, an Fragestunden usw. - nur unzureichend erfolge. Ich glaube, daß das Auswärtige Amt hier einmal, dieser Frage nachgehend, in den zuständigen Ausschüssen, sowohl im Auswärtigen Ausschuß wie im Haushaltsausschuß, eine offene Darstellung geben sollte. Eine weitere Bemerkung zum Personal: Der auswärtige Dienst wird als eine Einheit betrachtet, aber nicht als eine Einheit behandelt. Die Stellenkegel in der Zentrale und in den Auslandsvertretungen unterscheiden sich grundlegend voneinander. Die Beförderungschancen sind in der Zentrale besser. Das führt dazu, daß bei Versetzungen ins Ausland hin und wieder - man hat den Eindruck, des öfteren und für längere Zeit - Zurückstufungen in Kauf genommen werden müssen. Das bedeutet dann in Anbetracht der Tatsache, daß früher einmal großzügiger gewährte Kaufkraftausgleichszahlungen und sonstige Zulagen reduziert worden sind, daß es immer uninteressanter wird, einen Auslandsposten anzutreten, und das es immer größere Erschwernisse gibt. Wenn man an manche Ereignisse denkt - das jüngste Ereignis dieser Art ist die Ausweisung des deutschen Botschafters in Addis Abeba innerhalb von 24 Stunden -, muß man sich fragen, ob es uns angesichts dieser Personalsituation immer möglich ist, in einer entsprechend kurzen Zeit den richtigen Mann an den richtigen Platz zu bekommen. Auch hier wäre ich daran interessiert, die Meinung des Auswärtigen Amtes zu erfahren, und ich bedaure eigentlich ein wenig, daß solche Fragen in der Regel entweder ganz untergehen oder kaum Aufmerksamkeit finden. Ich spreche deshalb eine weitere derartige Frage an, nämlich die Situation der Ortskräfte, und zwar derjenigen, die vielleicht einmal deutsche Staatsbürger waren, dann einen Ausländer geheiratet haben, im Ausland an deutschen Kulturinstituten oder Botschaften angestellt sind und nach ortsüblichen Grundsätzen bezahlt werden, d. h. in der Regel wesentlich schlechter als ihre Kollegen, die aber die gleiche Arbeitsleistung erbringen und den gleichen Aufgabenbereich ausfüllen. Ich glaube, daß das ein unzuträglicher Zustand ist, der nicht mehr länger hingenommen werden kann, zumal insbesondere in den deutschen Kulturinstituten in vielen Fällen die gute, erfolgreiche Arbeit ohne diese Ortskräfte einfach nicht zu leisten wäre. Ich meine, gleiche Leistung, gleiche Verantwortung muß auch zu gleicher Entlohnung führen. In diesem Zusammenhang spreche ich wiederum ein anderes Thema an, nämlich das des Wahlrechts. Ich erfahre immer und immer wieder die Unzufriedenheit und das Unverständnis derjenigen, die als deutsche Staatsbürger im Ausland tätig sind, die, meinetwegen als Schulleiter, als Lehrer an deutschen Schulen, als Leiter eines Kulturinstituts oder auch als Mitarbeiter einer deutschen Firma draußen, die Interessen dieses Landes zu vertreten haben und von denen wir erwarten, daß sie draußen ein positives Erscheinungsbild ihrer Heimat deutlich werden lassen, denen wir aber zur Belohnung das Wahlrecht vorenthalten. Ich habe dafür kein Verständnis. ({3}) Ich bin kein Jurist, aber ich kann nicht begreifen, daß andere Länder diesem Personenkreis das Wohlrecht zu geben in der Lage sind, während wir das nicht können. ({4}) Bei uns können nur die Diplomaten und die Mitarbeiter internationaler und europäischer Institutionen wählen; die . anderen werden für ihre treuen Dienste mit der Vorenthaltung des Wahlrechts bestraft. ({5}) Ich hoffe sehr, daß dieses Skandalon in dieser Legislaturperiode endlich beseitigt wird. Lassen Sie mich diese paar Anmerkungen mit einer allgemeinen wohlwollenden Bemerkung schließen, weil ich den Eindruck habe, daß sich eine solche hin und wieder auch einmal von seiten des Parlaments durchaus als notwendig erweist. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir bei Haushaltsberatungen alles mit großer Kritik und mit dem Willen zu Einsparungen unter die Lupe nehmen. Dabei wird hin und wieder der Eindruck erweckt, als ob wir nicht immer ganz sachlich seien. Ich meine, daß wir das Auswärtige Amt bisher, alles in allem gesehen, mit großem Verständnis behandelt haben. Ich hoffe, daß die Mitarbeiter dieses Hauses keinen anderen Eindruck haben. Soviel dazu. Nun noch ein paar wenige Bemerkungen zum Thema auswärtige Kulturpolitik; deshalb nur wenige, weil ich hoffe, Herr Minister, daß die Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Enquete-Kommission „Auswärtige Kulturpolitik" in Kürze in diesem Hause zu einer Debatte führt, die deutlich werden läßt, daß auswärtige Kulturpolitik tatsächlich die Aufmerksamkeit erfährt, die sie benötigt. Ich meine, gerade in den zurückliegenden Monaten hätten wir uns mit etwas mehr Selbstsicherheit, Selbstbewußtsein und Gelassenheit in der Diskussion um das Thema auszeichnen sollen, das ich eben schon einmal angesprochen habe und das mit dem komischen Stichwort „Der häßliche Deutsche" umschrieben wird. Ich weiß nicht, wer es erfunden hat. Wir sollten uns dieses Begriffes nicht weiter bedienen. Ich meine, daß unsere Mittlerorganisationen in diesem Zusammenhang eine gute Figur gemacht haben; denn sie sind der darin liegenden Herausforderung in aller Regel mit einer klugen Besonnenheit begegnet. Ein Gutes hat die Diskussion gehabt. Sie hat nämlich deutlich gemacht, daß auswärtige Kulturpolitik nicht kurzfristig, sondern langfristig angelegt sein und nicht kontrovers, sondern möglichst in Übereinstimmung geführt werden muß. Viele, auch die, die es bislang nicht wahrhaben wollten, haben doch wohl gesehen, daß dieser Bereich unserer Außenpolitik von einer gar nicht zu überschätzenden Bedeutung ist. Deshalb begrüßen wir die Erhöhung der Mittel, an der wir ja mitgewirkt haben. Aber wir stellen zugleich fest, daß wir bei weitem nicht mit der Etatentwicklung in den letzten Jahren und auch nicht in diesem Jahr gleichgezogen haben. Meine Freunde und ich gehören nicht zu denen, die meinen, im Gelde allein liege das Heil. Aber wir verkennen auch nicht, daß das Verhältnis zwischen Projektmitteln und Personalmitteln immer noch unzureichend ist. Wir sollten bei den Beratungen des nächstjährigen Haushaltes gezielt einiges verbessern. In diesem Zusammenhang bin ich für Ihr Bekenntnis, Frau Staatsminister, zu der Freiheit und Selbständigkeit der Mittlerorganisationen dankbar. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus Ihrem jüngsten Beitrag in der „FAZ" zitieren, in dem Sie zum Ausdruck bringen: Eine Bedingung für eine gleichrangige auswärtige Kulturpolitik müsse sein, daß den damit betrauten Mittlerorganisationen und Personen Inhalte und Verfahren der Kulturbeziehungen in weitgehender Selbstverantwortung überlassen bleiben. - Ich sage das deshalb, weil das eine aktuelle Frage ist. Ich verweise hier auf die seit langem geführte Diskussion um Inter Nationes und möchte davor warnen, sich dazu bereitzufinden, hier eine liberale Position aufzugeben. In aller Kürze noch wenige Bemerkungen. Der Zuwachs von Aufgaben für Mittlerorganisationen bedingt mehr Personal. Wir sollten die Mittlerorgasationen nicht zwingen, sozusagen schwarze Personalreserven zu führen. Ich hoffe, daß wir das bei den davon noch betroffenen Organisationen schleunigst beenden. Wir sollten die Bemühungen der Mittlerorganisationen um eine bessere Koordination nicht inhibieren, sondern stärken. Wir sollten sie in die Lage versetzen, ihre Aktivitäten miteinander abzustimmen und untereinander zu einer besseren Zusammenarbeit zu kommen, um Reibereien und damit Verschleiß an Kraft, Geld und Zeit zu vermeiden. Nunmehr eine Bemerkung zu einem Thema, zu dem wir in Kürze, so meine ich, einmal Gelegenheit nehmen sollten, sehr ausgiebig zu diskutieren, zu den deutschen Schulen. Diejenigen, die in immer größerer Zahl als Deutsche mit Kindern auf Zeit ins Ausland gehen, halten es für unerträglich, daß die schulische Versorgung für ihre Kinder immer schlechter statt besser wird. ({6}) Sie haben im Falle der Rückkehr ins Heimatland große Schwierigkeiten, ihr Kind mit gleichen Chancen in eine gute Schule zurückzubringen. Das ist ein Thema, das man nicht nur unter dem Begriff „Begegnungsschule", sondern notwendigerweise auch unter dem Begriff „Expertenschule" und unter dem Stichwort des Interesses des eigenen Landes und unserer Bürger draußen im Ausland sehen muß. ({7}) Ich hoffe, daß wir hier im Laufe des Jahres zu einer besseren Lösung kommen werden, als wir sie im Augenblick noch haben. Wir unterstützen deshalb das Bemühen der Bundesregierung, die Versorgung deutscher Schulen mit Lehrern durch ein etwas unübliches und neues Instrument zu verbessern. Herr Minister, wir gehen völlig einig mit den Bemühungen Ihres Hauses, in Verbindung mit den Bundesländern und der Kultusministerkonferenz hier neue Lösungen zu finden, die uns unter Umständen einen Schritt weiterbringen. ({8})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allein die fortgeschrittene Zeit ist für mich Anlaß genug, Ihre Geduld nicht unnötig auf die Probe zu stellen. ({0}) Ich denke, daß es sich trotzdem lohnt, zunächst darauf zu verweisen, daß ich in der Debatte über die Regierungserklärung noch einmal die Grundsätze der Außenpolitik der Bundesregierung in vier großen Feldern dargelegt habe. Ich möchte heute auf das eingehen, was die drei Kollegen, die hier gesprochen haben, dargelegt haben. Da bin ich schon bei einem Widerspruch zum Herrn Kollegen Picard. Dieser sprach in seinem Einleitungssatz davon, er wolle sich nicht mit der großen Politik beschäftigen, sondern in die Niederungen von Personalfragen und Instrumenten hinabsteigen. Ich denke, daß er durch seinen Beitrag gezeigt hat, daß es in Wahrheit um ganz wichtige Fragen der Außenpolitik geht, ob das die auswärtige Kulturpolitik ist oder die Außenpolitik insgesamt. Ich meine, daß sich der Auswärtige Ausschuß sehr wohl einmal - entweder allein oder auch zusammen mit dem Haushaltsausschuß - über die Fragen des Stellenkegels im Vergleich von Zentrale zu Ausland unterhalten sollte. Wir müssen dabei allerdings folgendes im Auge behalten, nämlich daß die Verteilung der Positionen, die wir im auswärtigen Dienst haben, in den einzelnen Regionen der Welt eigentlich der Bedeutung dieser Regionen nicht mehr gerecht wird. Das heißt, daß wir in vielen Ländern der Dritten Welt sowohl in der personellen Ausstattung als auch in der Einstufung der Botschaften der politischen Bedeutung dieser Länder nicht gerecht werden, vor allen Dingen verglichen mit Positionen in Botschaften in anderen Bereichen. Ich will damit nicht sagen: Das kann man austauschen. Jeder kennt die Empfindlichkeiten, die hier gegeben sind. Ich glaube das ist ein wichtiges Problem. Bei einem Vergleich mit den Personalmöglichkeiten vergleichbarer europäischer Staaten wird man sehr schnell feststellen, daß der deutsche auswärtige Dienst mit einem relativ geringen Personalaufwand ganz erhebliche Leistungen zu erbringen hat. Das ist eine Feststellung, die auch hier einmal zu treffen ist. Was den Einsatz der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit in der Diskussion angeht, die uns in den letzten Monaten begleitet hat und nicht immer zu unserer Freude bei der Kritik an den innenpolitischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland, bei Attacken gegen das demokratische Leben, gegen die Vitalität unseres Landes, so möchte ich, Herr Kollege Picard, vor der Illusion warnen, daß die Höhe der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit oder ihr Einsatz dazu geeignet seien, mit diesem Problem von der Wurzel her fertig werden könnten. Wir werden uns gerade in dieser Frage der Tatsache bewußt sein müssen, daß nur die ganze Breite unseres kulturellen und geistigen Lebens in der Lage sein wird, ein falsches Bild der inneren Situation in der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu vermeiden. ({1}) Ich stehe nicht an, dafür zu danken. Lassen Sie mich z. B. den oft auch in diesem Hause kritisch erwähnten Günter Graß ansprechen und ihm für sein Auftreten im Ausland für die deutsche Demokratie danken. Der Name hat Gewicht, und er hat uns sehr geholfen. ({2}) Ich glaube, wenn ich das als Beispiel nenne, so sollten wir uns alle dessen bewußt sein, daß es sich auch unter diesem Gesichtspunkt und nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Respekts vor der Würde des anderen Mitbürgers lohnt, nicht leichtfertig über bestimmte Gruppierungen in unserem Lande zu sprechen, z. B. „die Intellektuellen", wobei mancher, der gegen die Intellektuellen polemisiert, noch nicht beachtet hat, daß -es nicht nur Linksintellektuelle, sondern auch - darauf lege ich Wert - Rechtsintellektuelle gibt. ({3}) Manche sind natürlich nur rechts und nicht intellektuell. ({4}) Ich denke, daß wir das Gewicht und die Bedeutung dieser Persönlichkeiten, die das kulturelle und geistige Deutschland unserer Zeit ausmachen, in ihrer positiven Wirkung auf das Ausland und das Bild unseres Landes im Ausland nicht gering einschätzen sollten, ({5}) auch wenn manchmal das Wort gilt: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Ich könnte auch auf das Vorwort zum „Blauen Reiter" verweisen, wo Franz Marc darüber klagt, daß es so unerhört schwer sei, seinen Zeitgenossen etwas Geistiges zu schenken. Das war wohl in jeder Zeit und in jeder Gesellschaft so. ({6}) Frau Kollegin Renger hat nicht ohne Grund und auch nicht zu Unrecht auf die Richtlinienkompetenz des Herrn Bundeskanzlers hingewiesen. Mich in derselben vollständig haltend und mich damit der Fröhlichkeit verpflichtet fühlend, möchte ich feststellen, daß ich dem Herrn Kollegen Marx nicht mit gleicher Münze heimzahlen kann, wie er das gegen- ) über der Regierung am Schluß seiner Ausführungen gemacht hat, ({7}) indem ich etwa sagen würde, es werde Zeit, daß wir eine abgewirtschaftete Opposition durch eine bessere ersetzen. ({8}) Wir könnten das natürlich; aber Sie würden das möglicherweise gar nicht als Drohung empfinden. Ich denke, daß es sich lohnt, auf ein paar Bemerkungen einzugehen, die Herr Kollege Marx zu den Fragen der Substanz der Entspannungspolitik und der Frage, was Entspannungspolitik leisten kann und was sie nicht leisten kann, gemacht hat. Der Versuch in meiner Rede am letzten Donnerstag, die Grenzen des Möglichen aufzuzeigen und sehr fein zwischen dem zu unterscheiden, was durch Entspannungspolitik erreicht und was nicht erreicht werden kann, war nicht ein Einschwenken, wie es hier hieß, sondern es war der Versuch, uns alle vor überschätzten und übertriebenen Erwartungen in denkbare Fortschritte in der Entspannungspolitik zu bewahren. Wenn etwas in der Politik langen Atem braucht, so ist es die Entspannungspolitik, ({9}) und zwar angesichts der unterschiedlichen Wertvorstellungen der beiden an der Entspannungspolitik beteiligten Seiten. Das ist das Entscheidende. Das hat die Bundesregierung von Anfang an deutlich gemacht, und das müssen wir auch im Auge behalten, ({10}) wenn wir unser Urteil über die möglichen Fortschritte im Rahmen des multilateralen Entspannungsprozesses und z. B. auch über das Erreichbare bei der Konferenz von Belgrad fällen, wo wir ohne Zweifel eine Fülle von Hoffnungen, die dieser oder jener gehabt hat, nicht erfüllt sehen werden und wo wir trotzdem erkennen müssen, daß allein die Fortführung des Prozesses, die Vereinbarung einer neuen Konferenz, die Einführung für uns wichtiger Elemente entscheidende Punkte sind, weil wir damit Berufungsgrundlagen im Gespräch mit den Staaten Osteuropas haben. Das ist ja auch das, - ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister - Genscher, Bundesminister des Auswärtigen: Eine Sekunde! Ich möchte das noch zu Ende führen. Das ist ja auch das, was wir bei der Betrachtung der Verträge nicht außer acht lassen dürfen, die man leichthin als nicht richtig ausgehandelt, nicht wasserdicht bezeichnen kann, weil dies und jenes geschieht, was uns nicht gefällt, und zwar gemeinsam nicht gefällt. Aber was niemals wieder in der deutschen Nachkriegsentwicklung geschehen sollte, 1 ist das, was wir alle gemeinsam am 13. August 1961 erlebt haben, nämlich der schwerste Einschnitt in der deutschen Nachkriegsgeschichte, ohne daß wir eine Möglichkeit gehabt hätten, in der gegebenen Situation mit politischen Mitteln für Abhilfe zu sorgen. ({0}) Das ist das Entscheidende. Das ist die Grundphilosophie der Entspannungspolitik, daß wir versuchen, durch Vereinbarung neben Vereinbarung bilateral und multilateral eine Basis zu schaffen, auf der es Schritt für Schritt möglich ist, Fortschritte für die Menschen zu erreichen. Wenn wir uns so verstehen, dann bleibt immer noch Platz für ein unterschiedliches Rollenverständnis von Regierungsparteien und Opposition. Es kann einen Grundkonsens über die Ziele geben, die man anstreben will. Es kann einen Grundkonsens über die Respektierung abgeschlossener Verträge geben, auch wenn die einen sie abgelehnt und die anderen sie angenommen haben. ({1}) Aber es ist trotzdem möglich, daß die einen die anderen antreiben. Nur was es nie geben darf, ist, daß die eine Seite der anderen Seite unterstellt, sie wolle nicht die nationalen Interessen mit dem gebotenen Nachdruck wahrnehmen oder sie habe es nicht getan. Das ist die entscheidende Frage. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Herr Dr. Mertes!

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, darf ich Sie mit zustimmender Bezugnahme auf die Ausführungen des Kollegen Marx fragen: Bestätigt nicht der Ablauf der Überprüfungskonferenz in Belgrad unsere Aussage, daß in der Tatsache, daß die Schlußakte von Helsinki mehrdeutig gefaßt ist, in der Tat ein Problem liegt und daß die Sowjetunion ganz offensichtlich diesen Text in einem ganz anderen Sinne für eine ganz andere Entspannung verwendet, als wir sie uns vorstellen? Und sind Sie bereit, anzuerkennen, daß dieses Drängen auf klare Vereinbarungen ein legitimes Drängen der Opposition war und ist?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Abgeordneter Mertes, wir haben über diese Frage oft hier im Plenarsaal und im Ausschuß diskutiert: so klar wie möglich, gerade bei multilateralen Dokumenten - die Konferenzdokumente von Helsinki sind so klar wie möglich -, unter Abwägung, ob eine Bewegung in die richtige Richtung nicht besser ist als Stillstand und .keine Vereinbarung. Das ist das, was in Helsinki zu entscheiden war. ({0}) Ich glaube, daß es unverändert richtig war, daß die Bundesregierung sich entschieden hat, an dieser Konferenz teilzunehmen, diese Konferenz in einem Sinne zu beeinflussen, der gerade unseren spezifischen Interessen nützlich war, das damals Erreichbare durchzusetzen, die Voraussetzungen zu schaffen, daß dieser Prozeß weitergeht, und auf dieser Grundlage nunmehr weiterzuarbeiten. Dabei sind wir uns sehr wohl der Tatsache bewußt, daß vieles offengeblieben ist, was mehr wünschenswert gewesen wäre. Aber das ist die Grundfrage jeder Politik bei einer anderen Verhandlungsseite mit anderen Wertvorstellungen, ob man entscheiden soll zwischen dem Alles oder Nichts oder ob man sich diese Entscheidung nicht aufdrängen läßt, sondern das heute Mögliche durchsetzt, wenn man nicht beim Nichts stehenbleiben will. Das ist der Grundansatz unserer Politik. Ich möchte wiederholen, was ich in der ersten Debatte über die Konferenz von Helsinki auf Grund einer Großen Anfrage dazu gesagt habe: In die Konferenz von Helsinki bringen wir eine Fülle von Erwartungen ein, und auf die Dauer werden wir dafür zu sorgen haben, daß aus diesen Erwartungen Realitäten werden, aber wir sind nicht der Meinung, daß wir mit der Unterzeichnung der Konferenzdokumente, wie wir sie uns vorstellen - so mußte ich damals dem Sinne nach sprechen; denn sie lagen ja noch nicht vor -, etwas aufgäben, was wir hätten. Die eigentliche Gefahr, die sich aus dieser Konferenz ergeben könnte, habe ich damals gesagt, könnte nur sein, daß sich im Westen ein falsches Sicherheitsgefühl ergeben würde, d. h., daß irgendeine relevante politische Kraft annehmen würde, die Unterzeichnung der Konferenzdokumente von Helsinki sei schon sozusagen ein Ersatz für das Bündnis. Wir alle wissen heute, daß die Geschichte eine andere Entwicklung genommen hat, und zwar so, wie sie die Bundesregierung vorausgesagt hat, nämlich daß parallel zu diesem multilateralen Entspannungsprozeß sich das Bündnis entwickelt als ein lebendiger Zusammenschluß, nicht nur mit militärischer Zielsetzung, sondern auch mit gemeinsamen Wertvorstellungen, übrigens auch gerade bei der Vorbereitung und im Rahmen der Konferenz, die wir jetzt haben, und daß auch der Prozeß der europäischen Einigung fortgeführt wird. Hier hinein gehört die Antwort auf die Frage, die Herr Kollege Marx gestellt hat, nach dem Schicksal derjenigen Deutschen, die aus den verschiedenen osteuropäischen Ländern in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen möchten und die nicht in vereinbarten Zahlen enthalten sind. Gerade der multilaterale Entspannungsprozeß, der ja in Korb III die Frage der Familienzusammenführung, die Lösung der humanitären Fragen betrifft, ist darauf angelegt, über bilaterale Vereinbarungen hinaus die politischen Voraussetzungen für die Lösung möglichst vieler Fragen zu schaffen. Ich denke, daß Herr Kollege Hupka noch einmal darüber nachdenken sollte, ob es richtig war, eine Frage zu stellen, wie er sie gestellt hat. Ich kann in diesem Moment die Zahl, die er mit der in seiner Frage enthaltenen Tatsachenbehauptungen nannte, nicht bestätigen. Nur, ob es nützlich war, sie hier zu nennen, ist eine andere Frage, ({1}) ebenso, ob es nicht richtiger ist, sich über jeden zu freuen, der die Möglichkeit hat, dort zu leben, wo er will. Diese Frage kann man, glaube ich, nur mit Ja beantworten. ({2}) Das Auswärtige Amt hat sehr viele Fragen zu beantworten, die verständlicherweise Ausdruck des Interesses vieler Mitbürger an der Lösung humanitärer Fragen sind. Wenn die dann von Kollegen des Deutschen Bundestages artikuliert werden - ich darf das hier einmal sagen -, ist das absolut legitim; aber es gibt manchmal auch das Problem, ob es tatsächlich dem Einzelfall und der großen Zahl von Fällen, um dies es geht, nützlich ist, wenn wir das zu einem permanenten Thema in der Öffentlichkeit machen. Ich darf daran erinnern, daß in der Vergangenheit, und zwar gänzlich unabhängig davon, wer die Regierung gestellt hat, also noch vor 1969 und vor 1966, Regierungen sich um die Lösung humanitärer Fragen bemüht haben und daß die Lösbarkeit sehr oft auch davon abhing, daß die Lösung in diskreter Form vor sich gehen konnte. Wir wollen nichts verschweigen. Wir wollen nicht verschweigen, was die Mitbürger in unserem Lande bewegt, wenn sie an das Schicksal vieler anderer denken. Das würde unserer Auffassung von der Freiheit der Meinungsäußerung und der Lebendigkeit des Parlaments widersprechen. Aber bei der Art, wie wir uns darüber unterhalten, müssen wir auch das Schicksal derjenigen im Auge haben, die noch zu uns kommen wollen, und sie muß denjenigen ihre positive Entscheidung erleichtern, die dazu bereit sind, positiv über Anträge, die wir stellen, zu entscheiden. Ich glaube, das ist auch eine ganz entscheidende Frage. ({3}) Lassen Sie mich zum Schluß - und ich löse mich hier ganz bewußt von meinem Ressort, um nicht in den Verdacht zu kommen, daß ich hier eine Frage behandeln wollte, die in meinem Ressort aus guten Gründen nicht behandelt werden kann - ein Wort über das sagen, was die deutsche Öffentlichkeit und darüber hinaus wegen einer Publikation bewegt hat. Es ist eine bewegende Frage, was diskutiert wird und wer hinter der Grenze am Osten der Bundesrepublik Deutschland diskutiert. ({4}) - Herr Abgeordneter Dr. Kohl, nach dem, was ich vorausgeschickt habe, bin ich absolut sicher, daß ich als Mitglied der Bundesregierung, losgelöst von meiner Ressortverantwortung, zu einer gesamtnationalen Frage Stellung nehmen kann, ohne in den Verdacht zu kommen, ich wollte entweder Ressortegoismus betreiben oder gar eine Frage an mich ziehen, die aus guten Gründen woanders ressortiert. ({5}) Ich glaube, daß derjenige, der über die ungelöste nationale deutsche Frage spricht, eines nicht übersehen sollte, und das bitte ich die Kollegen der Opposition immer im Auge zu behalten: Untrennbar verbunden mit dem Vertragswerk, das die Bundesregierung seit 1969 eingeleitet hat, ist der Brief zur deutschen Einheit mit der zentralen politischen Zielsetzung, die sich aus unserer Verfassung ergibt. Dieser Verfassung sind wir alle verpflichtet, wer immer die Regierung stellt. Ich denke, daß deshalb kein Anlaß besteht, auch in dieser Frage am ernsthaften Willen zu zweifeln, daß alle Teile dieses Hauses innerhalb der gegebenen Möglichkeiten, unter den gegebenen Umständen, unter Berücksichtigung auch der langfristigen Interessen unserer Politik ihre nationale Pflicht in einem guten Sinne erfüllen. Die Bundesregierung ist dazu entschlossen. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 in der Ausschußfassung. Über den dazugehörigen Antrag ist bereits abgestimmt worden. Wer dem Einzelplan 05 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen Stimmen der CDU/CSU angenommen. Wir kommen jetzt zu Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen - Drucksache 8/1380 - Berichterstatter: Abgeordneter Augstein Abgeordneter Hoppe Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.

Kurt Mattick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich mache kein Hehl daraus, daß die Ausführungen von Herrn Dr. Marx mich heute über alle Maßen verwundert haben. Aber bevor ich darauf eingehe, möchte ich einige andere Bemerkungen machen, die mir notwendig erscheinen. Ich möchte mich bemühen, zur Versachlichung der Diskussion der kompliziertesten Probleme, die uns der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat, das gespaltene Berlin und das geteilte Deutschland, emotionslos und vorurteilsfrei beizutragen. Als ein Mann, der vom ersten Tage nach dem Zusammenbruch getreu der Aufgabe, die meine sozialdemokratischen Freunde und ich uns bereits während des Zweiten Weltkrieges gestellt hatten, und gemäß der Aufforderung von Kurt Schumacher, ein Deutschland zu schaffen, das die Wiederholung der Schrecken der Vergangenhit ausschließt, möchte ich gestehen, meine Damen und Herren, daß ich nicht frei von Sorgen bin, wie die Entwicklung. weitergeht. Ich frage mich heute: Sind wir Ärzte am Krankenbett des Kommunismus, oder sind wir der angeschlagene Stier, der sich vom roten Tuch provoziert fühlt, und rennen wir in die Speere hinein? Ich glaube, nur mit einiger Vernunft und Verantwortungsbewußtsein könnte es uns gemeinsam gelingen, beides auszuschließen. Verfolgt man als Berliner den Ablauf der letzten 33 Jahre, so stellt sich Berlin als ein Seismograph für alle politischen Ereignisse dar, die sich um die Deutschlandfrage ergeben haben. Es war logisch, meine Damen und Herren, daß den Berlinern das Problem der deutschen Einheit und der deutschen Spaltung unmittelbarer auf den Nägeln brannte und brennt als denen, die in Westdeutschland in die politische Verantwortung getreten sind. Wir haben in der Blockade gelebt, wir haben unmittelbar den 17. Juni erlebt, und wir leben seit 1961 mit der Mauer. Von 1961 bis 1971 war die Mauer mit wenigen Ausnahmen geschlossen. Wie immer man die Politik bis 1968 beurteilt; 1969 war es höchste Zeit, sich darum zu bemühen, die Mauer durchlässig zu machen und wenigstens insofern etwas für die Aufrechterhaltung des Gedankens der deutschen Einheit zu tun, die Menschen wieder zueinander zu bringen. ({0}) Ich verzichte hierbei auf jede Zahl. Niemand in diesem Raum wird bestreiten, daß die Bemühungen seit 1969 für die Menschen ein entscheidender Wendepunkt waren, wie sich heute mehr und mehr zeigt, daß durch die Begegnung das Zusammengehörigkeitsgefühl wieder geweckt wurde und die Trennung der Familien in dieser Beziehung weitgehend überwunden werden konnte. Es war, meine Damen und Herren, eine Politik der kleinen Schritte, in der Erkenntnis, daß ein großer Schritt nicht möglich war, weil ein Verdrängen der sowjetischen Machtposition nicht denkbar war, weil es nicht unsere Politik sein konnte, dabei militante Positionen einzunehmen. So war es die wichtigste Aufgabe, trotz der Spannungen zwischen beiden Teilen Deutschlands eine Politik zu entwickeln, die Frieden schafft, die Spannungen abbaut und die es auch der DDR-Führung immer schwerer macht, das Feindbild von der Bundesrepublik aufrechtzuerhalten. ({1}) Wir haben zu den Menschen jenseits der Mauer den lebendigen Kontakt wiederhergestellt. Die KSZE hätte keinen Boden gehabt ohne unsere Vertragspolitik. Wie immer man Einzelheiten wertet: Wir meinen, wir haben das Erreichbare erreicht. Die Opposition glaubt, sie hätte mehr erreicht, läßt aber dabei außer acht, daß es zu jener Zeit in ihren Reihen gar keine Voraussetzung für eine solche Politik der kleinen Schritte gab. Ich stelle fest, daß die erreichten Veränderungen zum Vorteil des internationalen Friedens und des internationalen Gewichts der Bundesrepublik sowie zu einer veränderten Haltung der DDR geführt hat. Heute müssen wir uns sorgen, daß wir das Erreichte erhalten. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten ergeben sich nach meiner Auffassung maßgeblich aus diesem Zusammenhang des Erreichten. Ich möchte hier verlesen, was Herr Dieter Schröder in der „Süddeutschen Zeitung" vom 20. Januar dazu schrieb - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -: Insofern sind die jüngsten Schikanen der DDR gegen den „Spiegel" und gegen Bonner Oppositionspolitiker auch ein Zeichen für den Erfolg der Entspannungspolitik, für einen Erfolg indes Herr Jäger amüsiert sich darüber. Das begreifen Sie gar nicht, können Sie auch gar nicht begreifen, ({2}) weil Sie in Ihrer Verstocktheit überhaupt nicht in der Lage sind, die Bewegungselemente, die zur Zeit da sind, zu verstehen. ({3}) Ich lese weiter und wiederhole noch einmal, weil Herr Jäger es wahrscheinlich nicht ganz verstanden hat. Herr Dieter Schröder schreibt: Insofern sind die jüngsten Schikanen der DDR gegen den „Spiegel" und gegen Bonner Oppositionspolitiker auch ein Zeichen für den Erfolg der Entspannungspolitik, für einen Erfolg indes, den Bonn nicht wahrhaben und nicht hervorheben darf, wenn es den Prozeß nicht weiter stören will. Die Bundesregierung befindet sich hier in einer Zwickmühle, aus der eine Periode der Stagnation ({4}) und der Ruhe noch am ehesten den Ausweg weisen könnte. Dazu wird es freilich nicht kommen, denn der Entspannungspolitik steht mit der Schlußrunde des KSZE-Folgetreffens in Belgrad ein Test bevor, aus dem sie wahrscheinlich nur stark gerupft hervorgehen wird. Meine Damen und Herren, diese Entspannungspolitik, beginnend mit der Vertragspolitik der Bundesregierung, hat ihre Anerkennung bei allen Freunden in der Welt gefunden. Es wäre an der Zeit, sage ich Ihnen, daß die Opposition mit uns gemeinsam diese Politik trägt, sich an Gedanken über die Möglichkeiten des weiteren Weges beteiligt und wir gemeinsam in dieser Frage, in der wir keine Macht haben und keine unabhängigen Schritte gehen können, die Position der Bundesrepublik dadurch stärken, daß wir uns gemeinsam orientieren. Meine Damen und Herren, im Rahmen seiner Aufgabe hat der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen im September vorigen Jahres eine Anhörung mit wissenschaftlichen Experten zur deutschen Frage durchgeführt, die in ihrer Sachlichkeit und in ihrem Forschungscharakter erstmalig zu einer wesentlichen Versachlichung geführt hat. Ich fasse das Ergebnis dieser Anhörung noch einmal zusammen und möchte jedem empfehlen, die Broschüre über dieses Hearing, die jetzt erschienen ist, sorgfältig zu lesen. Es gab keine Übereinstimmung in der Einschätzung des Entwicklungsprozesses. Es gab aber bei allen Professoren, die von beiden. Seiten vorgeschlgen waren, eine Übereinstimmung, die ohne Widerspruch akzeptiert wurde: Die Lage, in der sich Deutschland und Europa befinden, bietet keinerlei Voraussetzung für eine grundlegende Veränderung der deutschen Lage. Insofern bleibt keiner Regierung eine Alternative zur Politik der kleinen Schritte. Es sagte Professor Dr. Schwarz - ich darf zitieren -: Durch die neue Ostpolitik, die ich nicht erst 1969 beginnen sehe, auch wenn in jenen Jahren sehr wesentliche Kursänderungen erfolgt sind, ist die Gefahr, daß durch Druck auf Berlin die Gegenseite den Frieden in Europa gefährden könnte, sehr viel geringer und relativiert worden. Insofern kann man sagen, daß die Feststellung von Herrn Dahrendorf zutreffend ist, daß der Friede in Europa als Resultat dieser Politik gefestigter worden sei. Es sagte dazu Herr Dr. Abelein: In der gegenwärtigen Weltkonstellation scheint mir nichts anderes möglich zu sein, als die deutsche Frage offenzuhalten, den Status quo nicht zu zementieren. Professor Dr. Thalheim sagte zu der Frage, ob zu der Deutschlandpolitik der letzten Jahre eine Alternative vorstellbar sei, ob das Zusammenleben der Menschen in beiden Staaten in Deutschland erleichtert worden sei, ob auch kleine Schritte einen Fortschritt bedeuten: So wie die Dinge heute liegen, meine ich, kleine Schritte beinhalten einen Fortschritt. Es ist kaum etwas anderes zu denken als kleine Schritte. Professor Lepsius sagte: Nach meiner Auffassung sind die Schritte, die wir tun müssen, kleine Schritte. Weder Nichtstun noch eine Politik, an die zu große Erwartungen geknüpft sind, sind Alternativen zu dieser sehr mühseligen Politik, die unter Wahrung unseres Selbstverständnisses und unter Beachtung legitimer Werte auf Fortschritte im Verhältnis der DDR abzielt. Meine Damen und Herren, dies ist das Ergebnis einer zweitägigen Konferenz, eines Hearings, wo jede Polemik unterlassen wurde, wo es darum ging, Untersuchungen anzustellen mit Hilfe von Professoren, die sich mit diesen Problemen in ihrer Arbeit beschäftigen. Das Ergebnis des Hearings war die klare Erkenntnis aller Beteiligten, Herr Jäger, daß die Politik der kleinen Schritte, des Bemühens um Verbesserungen die einzige Möglichkeit darstellt und keine Alternative hat. Nun möchte ich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was wir hier heute von Herrn Dr. Marx erlebt haben. Herr Dr. Marx, wie ich vorhin sagte, war ich über Ihre Rede überrascht. Das hat folgenMattick den Grund. Als wir vor fünf und acht Jahren über unsere Politik sprachen und wir den Standpunkt vertraten, daß nur eine solche Politik auch für die Menschen in der DDR gut ist und daß nur eine solche Politik zu Bewegungen zwischen beiden Teilen Deutschlands führen und neue Entwicklungen in der DDR möglich machen kann, lachten Sie uns aus. Heute benutzen Sie ein Manifest, von dem wir alle noch nicht wissen, woher es kommt, aber in dem eigentlich weiter nichts als das steht, Herr Dr. Marx, was wir von den Zuständen in der DDR alles schon lange wissen und womit wir uns auch immer beschäftigt haben. Weiter steht der Sache nach nichts darin. Das andere ist Polemik. Erstaunlich ist für mich, daß diejenigen, die angeblich dazugehören, alle noch Kommunisten bleiben und wie Sie sich dieser Kommunisten annehmen. Aber wenn es erstens für die Entwicklung in der DDR eine Voraussetzung dafür gibt - ich will es jetzt einmal real ausdrücken -, daß sich die Führung der DDR neuer Methoden bedienen mußte, mit den Menschen umzugehen, wenn sich zweitens in der Tat heute Auflockerungserscheinungen zeigen, bei denen sich die Führung der DDR bemühen muß, die dortigen Entwicklungen durch Maßnahmen abzufangen, die der Bevölkerung dienlich sind, so ist das alles nur darauf zurückzuführen, daß wir eine Ostpolitik entwickelt haben, mit der wir ins Gespräch gekommen sind, mit der die Menschen ins Gespräch gekommen sind, mit der zwischen den beiden Teilen Deutschlands Kontakte entstanden sind, die es bis dahin nicht gegeben hat. Sie tun so, als wenn dieser Prozeß nicht bestünde, obwohl er auch ohne Manifest da ist - ich will über das Manifest im einzelnen nicht reden -, Sie machen sich zum Sprecher einer Entwicklung, die Sie sich nun wirklich nicht um den Hals hängen können. Diese Entwicklung war doch überhaupt nur durch unser Tun möglich. Was Sie der Regierung in diesem Zusammenhang für Vorwürfe gemacht haben, bleibt mir - gelinde gesagt - unverständlich. Sie sagen: Der Kanzler will immer noch normale Beziehungen zur Sowjetunion. ({5}) - Wörtlich habe ich das aufgeschrieben. Wollen Sie das nicht? Wollen Sie nicht die Beziehungen zur Sowjetunion so weit, wie überhaupt möglich, normalisieren? ({6}) - Nein, das haben Sie nicht gesagt. ({7}) - Schade, daß Sie es weggegeben haben. ({8}) Zweitens. Sie haben behauptet, daß wir mit unseren Verträgen nichts erreicht haben; daß die Politik der Bundesregierung - das haben Sie übrigens schon einmal gesagt - total gescheitert sei. ({9}) - Der Zwischenruf war notwendig, um zu bestätigen, wie Sie denken, weil Sie anscheinend keine Vorstellung mehr davon haben, wie es vorher war. Und das sage ich Ihnen als Berliner: Weil nicht sein kann, weil nicht sein darf, nämlich daß diese Politik Erfolge gezeitigt hat, mit denen wir es heute zu tun haben, -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege Mattick, Ihre angemeldete Redezeit geht dem Ende zu.

Kurt Mattick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sagen: Wir haben Vereinbarungen geschlossen, die nicht einklagbar sind. ({0}) Können Sie mir ein hohes Gericht sagen, wo Sie Deutschland-Verträge einklagen können? Was ist das für ein Unsinn: Vereinbarung von Verträgen, die nicht einklagbar sind. Es gibt kein hohes Gericht für unsere zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern es gibt nur die Möglichkeit, politische Schritte zu gehen und, wenn Rückschläge kommen, darauf zu achten, daß wir sie abfangen und dann die Politik fortsetzen. Heute können wir sagen: Die Begegnungen und all das andere haben dazu geführt, daß in der DDR neue Entwicklungen möglich waren, die den Menschen helfen. Das ist unsere Aufgabe immer gewesen, und wir werden diese Aufgabe fortsetzen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Bundesminister Franke. ({0})

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da dieser Titel aufgerufen und auch eine Diskussion eröffnet ist, muß ich einige Bemerkungen machen, und zwar zunächst einmal ganz schlicht und einfach zu den Haushaltsfragen und zu den Organisationsfragen des Ministeriums im engeren Sinn. Das ist ja wohl heute mit das bestimmende Thema. Zunächst, meine ich, verdient wohl festgehalten zu werden, daß über die Hälfte des Mehransatzes für den Haushaltsbereich des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen einer einzigen Aufgabe, nämlich der strukturpolitischen Förderung des Zonenrandgebiets, zugute kommt. ({0}) Ich habe im Laufe des Tages jemanden sagen hören, das sei alles gar nicht so wichtig und für diese Aufgabe brauche man sich gar nicht besonders anzustrengen. Und wenn wir uns darum bemühen, wird draußen auch noch verbreitet, da werde abgebaut. Hier wird aufgebaut, und zwar in einer ganz besonderen Weise. Das ist ein deutschlandpolitischer Aufgabenbereich von besonderer Bedeutung immer gewesen, und wir waren uns bisher auch immer einig, daß dies so sein muß. Darum möchte ich hier in besonderer Weise betonen, daß die Steigerung um 25 Millionen DM für das Zonenrandgebiet gegenüber dem Ansatz des Vorjahres eine Aufstockung um rund 22 0/o bedeutet. Diese Aufstockung, die neben konjunkturpolitischer Bedeutung wichtige strukturpolitische Effekte hat, unterstreicht, wie ernst die Bundesregierung die Zonenrandförderung als deutschlandpolitische Aufgabe nimmt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger ({0}) ?

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Bitte.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, da Sie selbst auf den Haushalt als solchen abstellen, darf ich Sie in diesem Zusammenhang nach der deutschlandpolitischen Bedeutung der Korea-Reise des innerdeutschen Ministers fragen, die 30 000 DM gekostet hat. ({0})

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Ich bin gern bereit, die Frage zu beantworten. Ich bin erstaunt, daß gerade aus Ihrem Bereich diese Frage kommt. Hier geht es schließlich mit um eine - ({0}) - Entschuldigen Sie, für diesen Teil bin ich gar nicht zuständig gewesen. Dabei war eine politische Aufgabe zu erfüllen, die ich mir nicht ausgesucht habe, sondern die mit durch die gleiche Schicksalslage beider Länder bedingt war. Der Außenminister und das Außenministerium insgesamt hielten zu diesem Zeitpunkt eine solche Reise für sinnvoll. Es war nicht die erste Reise, bei der gemeinsame Probleme erörtert wurden; auch von dort kommen Besucher nach hier. Ich habe mich dieser Aufgabe daher nicht entzogen. Mit den Dingen, die Sie berechtigterweise kritisieren mögen, habe ich nur bedingt zu tun. ({1}) - Entschuldigen Sie, ich bin, nachdem ich darum gebeten wurde, bereit gewesen, diese Reise zu unternehmen. Ich habe sie nicht von mir aus betrieben, wie Sie das meinen darstellen zu sollen. Ich bin nicht bereit, jetzt weiter darauf einzugehen. Ich habe die Antwort darauf erteilt, und im übrigen gehört das nicht dazu. Wenn Sie diesen Bereich politisch so eigenartig werten, dann wundert es mich kaum noch, daß Sie meinen, diese Probleme in der Weise vermischen oder durcheinanderbringen zu sollen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, um wieder zu dem zurückzukommen, zu dem ich eine Stellungnahme für notwendig halte: Ich möchte diese .Gelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne ein Wort der Erwiderung auf den in der Öffentlichkeit vom Kollegen Wohlrabe geäußerten Vorwurf zu sagen, das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen habe mit Drohungen und anderen Machenschaften die Gründung einer privaten Vereinigung von DDR-Forschern verhindert. Ich finde, all diese Dinge muß man bei dieser Gelegenheit ansprechen. Es werden ja auch Vereinigungen gegründet, bei denen es nicht so sehr um die Sache geht, sondern wo man bemüht ist, an öffentliche Mittel heranzukommen. Damit wird eine systematische Ordnung verhindert. Wahr ist, daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, nachdem es von Gründungsvorbereitungen erfahren hatte, mit der Erklärung vom 21. Oktober 1977 sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht hat, daß die Gründung zu diesem Zeitpunkt betrieben wurde, nämlich - und das wurde in der Erklärung weiter ausgeführt - unter Außerachtlassung des Arbeitskreises für vergleichende Deutschlandforschung und seiner Aufgabenstellung. Dieser Arbeitskreis ist keineswegs ein unbekanntes höheres Wesen; er wurde erst nach eingehenden Gesprächen mit den an der DDR-Forschung interessierten Kreisen gebildet. Seine Aufgabe ist ebenfalls den Interessierten und Kundigen bekannt. Sie besteht darin, eine Bilanz der bisherigen Deutschlandforschung zu ziehen, so daß es sich nachgerade von selbst versteht, alle weiteren Erwägungen über organisatorische oder institutionelle Schritte auf diesem Gutachten aufzubauen. Es wird - so der derzeitige Arbeitsstand - bis zum 1. April vorliegen. Wahr ist, daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen den privaten Initiatoren der Gründung klipp und klar gesagt hat, unter diesen, nämlich den von ihnen gewählten Umständen könne mit einer ideellen oder materiellen Förderung durch das Ministerium nicht gerechnet werden. Das war offen und aufrichtig und angesichts der sachlichen und zeitlichen Gegebenheiten, denen das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in seiner Fördertätigkeit Rechnung zu tragen hat, voll gerechtfertigt. Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen ist keineswegs grundsätzlich gegen eine Selbstorganisation der DDR-Forschung. Das kann man selbst bei bösestem Willen aus der Erklärung vom 21. Oktober letzten Jahres nicht herauslesen. Welche Organisationsform auch immer gewählt wird, sie sollte den Rahmen so ziehen, daß allen I DDR-Forschern, ungeachtet ihres persönlichen Standortes, die Mitarbeit möglich ist. Anderenfalls wäre mit weiteren Separatbildungen letztlich politisch motivierter Schulen zu rechnen - eine Entwicklung, die niemand wünschen kann. Was die Organisation des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen selbst betrifft, so sind am 1. Januar eine Reihe von Änderungen in Kraft getreten. Hiermit zogen wir Konsequenzen aus dem Gutachten, das der Haushaltsausschuß Ende 1974 in Auftrag gegeben hatte. Der Haushaltsausschuß hat sich mittlerweile mit dem Gutachten befaßt und die Schritte des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen zur Straffung seiner Organisation begrüßt. Aber bei der Abhandlung dieses Themas und auch der deutschlandpolitischen Fragen - - Verweisen Sie ruhig auf die Uhr. Es sind ja nicht nur wir, die wir hier störend wirken. Den ganzen Tag über wurden ja deutschlandpolitische Fragen im Zusammenhang mit mehreren anderen Ressorts behandelt. Das ist, glaube ich, der Sache wohl auch nicht angemessen. ({3}) - Wenn Sie die politische Position der Bundesrepublik Deutschland ernst nehmen wollen, sehr geehrter Herr Kollege Marx, müssen Sie Verständnis dafür haben, daß wir die Haushaltsberatungen nicht vorübergehen lassen, ohne daß auch bei dem zuständigen Ministerium etwas darüber gesagt wird. ({4}) Wenn Sie das nicht wollen, machen wir es von uns aus, weil wir uns von dieser politischen Grundauffassung nicht abbringen lassen. Ich muß sagen, etwas hat mich da ein wenig gestört. Selbstverständlich kann man in Verbindung mit dem Einzelplan des Bundeskanzlers, der die Richtlinien der Politik bestimmt, auch die deutschlandpolitischen Fragen erörtern. Einverstanden! Im Rahmen des Gesamtspektrums haben sie dort ihren Platz. Aber wenn wir dieses heikle Thema so stark im Zusammenhang mit dem Einzelplan des Außenministeriums behandeln, ist das politisch bedenklich. Wir haben alle Mühe gehabt, nie in die Nähe dieser Situation zu gelangen, daß durch Fehldeutungen falsche Rückschlüsse bei anderen über unsere Grundpositionen gezogen werden können. ({5}) Ich muß sagen: Ich habe sehr bedauert, daß das so war. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des „Spiegel" in den ersten Januar-Nummern hat die DDR Verdächtigungen und auch Angriffe gegen Mitarbeiter der Abteilung IV des Gesamtdeutschen Institutes und aus dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen verbreitet. Ich weise diese wider besseres Wissen verbreiteten falschen Behauptungen mit aller Entschiedenheit zurück. ({6}) Weder betreiben diese Mitarbeiter und Institutionen noch finanziert das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in anderen Berliner Forschungseinrichtungen sogenannte subversive Tätigkeit gegen die DDR. Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und das ihm nachgeordnete Gesamtdeutsche Institut haben wahrlich Besseres zu tun. Ebenso entschieden, wie ich gegen diese Verleumdungen und Behauptungen Front mache, möchte ich jedoch davor warnen, die Diskussion um die „Spiegel"-Veröffentlichung und ihre Folgen so zu führen, daß daraus eine Belastung für die Entspannungspolitik wird. Auf diesen Leim wird jedenfalls die Bundesregierung sich nicht ziehen lassen. Die Bundesregierung weiß sich in der Pflicht, nichts zu tun oder zu lassen, was den erreichten - ({7}) - Sie dürfen ruhig die deutsche Sprache ein bißchen respektieren, Herr Kollege Jäger. Ich habe das absichtlich langsam gesagt, damit auch Sie das verstehen. Ich habe das so gesagt, damit Sie uns nichts unterstellen können. Die Bundesregierung weiß sich in der Pflicht, nichts zu tun oder zu lassen, was den erreichten Bestand der Entspannungspolitik in Deutschland mindem oder was ihm Schaden zufügen könnte. ({8}) Jede Bundesregierung hat die Pflicht, den Interessen der Menschen in beiden deutschen Staaten zu dienen. Herr Kollege Jäger, wenn Sie dieses Thema so ernst nehmen, wie Sie es sonst haben durchklingen lassen, dann gestatten Sie mir bitte auch diese Ausführungen dazu, und versuchen Sie, mit dem gebührenden Ernst - wenn es so gewichtig ist - zu folgen. Versuchen Sie nicht, auf Grund der Tageszeit oder sonstiger Dinge mir zu verwehren, auch meine Meinung dazu zu sagen. Diese Bundesregierung ist gewiß, daß den Interessen, Hoffnungen und Wünschen der Menschen auch in der DDR nichts so sehr entspricht wie die Beibehaltung und Mehrung des in den letzten Jahren gewachsenen Besitzstandes an Kommunikation und Austausch, einschließlich übrigens auch des Austausches von Gütern. Darum werden wir uns nicht provozieren lassen, vom Weg der praktischen Vernunft abzuweichen, der Millionen Menschen Erleichterungen verschafft und das friedliche Nebeneinander der unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen und Bündnisse in Deutschland und Europa stabilisiert. Wir werden niemandem den Gefallen tun, in eine Politik zu verfallen, die sich an Deklamationen, Demonstrationen und Sprüchen berauscht und darüber die Bewältigung des mühsamen und schwierigen Alltags der Teilung versäumt. Ich weiß, daß ich nicht täglich große Reklame mit den Ergebnissen meiner Bemühungen machen kann; aber das ändert nichts daran, daß diese Bemühungen fortgesetzt werden müssen. Von selber bewegt sich nichts. Denn Entspannung kann man nicht nur hinnehmen;. die muß man täglich fördern. Und dazu gehören diese Dinge des Lebens, an denen die Menschen besonders interessiert sind. ({9}) Ich finde es zum Beispiel in hohem Grade unredlich, der Bundesregierung unter Hinweis auf die Forderungen und Konzepte des im „Spiegel" veröffentlichten Papieres Versäumnisse in der deutschen Frage vorzuwerfen. Es ist deswegen unredlich, weil bei solchen Vorwürfen das extremistische Wiedervereinigungskonzept des vorgeblichen Bundes demokratischer Kommunisten Deutschlands völlig ausgeblendet bleibt, nämlich der Wunschtraum von einem unabhängigen, neutralen kommunistischen Gesamtdeutschland, das zu beiden Weltmächten auf Distanz steht. Antiamerikanismus, Antisowjetismus, Neutralismus - soll das etwa das endlich gefundene außenpolitische Patentrezept zur Wiederherstellung der deutschen Einheit sein? Das sind die Dinge, die man dabei auch sehen muß. Ich denke, kein erwachsener Mensch in Deutschland, der seine Sinne beieinander hat, wird sich auf solche abenteuerlichen Flausen im Ernst einlassen können. Die Irrealität, die aus solchen Vorstellungen spricht, bestätigt einmal mehr die Richtigkeit und Angemessenheit des Denkansatzes, welchem die Deutschlandpolitik seit 1969 konsequent folgt. ({10}) Wir gehen davon aus, daß die deutsche Frage unter den gegebenen Umständen in Europa nicht zu lösen ist, jedenfalls nicht in einem Sinne, der mit den Werten unserer Verfassung in Übereinstimmung stünde. Folglich ist es unsere Aufgabe, einem Frieden für Europa vorzuarbeiten, in dem auch das deutsche Volk frei über sich selbst bestimmen kann. Dem dient unsere Deutschlandpolitik insbesondere dadurch, daß sie die menschlichen Härten der Teilung mildert und dadurch mit jedem Stückchen Normalisierung auch ein Stückchen Befriedung bringt. Wir haben nicht gesagt: Wir beschließen zu Beginn diese Politik und haben dann die Normalisierung. Dies ist ein langwieriger Prozeß. Lassen Sie sich das immer wieder sagen. Er ist nicht von selber zu erreichen, sondern da müssen wir täglich wirken. Diese Aufgabenstellung ist zwar nüchtern, aber sie hat den Vorzug für sich, daß sie durchführbar und realistisch ist. Auch das hat sich in den letzten Jahren gezeigt. Keiner der Politiker, die so gern und so oft und natürlich auch jetzt wieder vom „Scheitern der Deutschlandpolitik" sprechen, hätte den Mut, zu erklären, daß eine Rückkehr zur Kommunikationslage von 1969 so schlimm gar nicht wäre, da die Verbesserungen ja doch nur gering gewesen seien. Wenigstens habe ich derartiges noch nicht gehört, obwohl es doch zu einer Argumentation paßte, die auf der anderen Seite behauptet, die Gegenleistungen der DDR seien, gemessen an unseren Leistungen, bislang nicht der Rede wert. Für die Menschen sind sie eine Menge wert. Da braucht man sich nur einmal ein bißchen bei jenen umzuhören, die millionenfach Nutzen aus dieser Politik gezogen haben. Da müssen Sie einmal mit jenen Menschen zusammenkommen, die tatsächlich immer wieder nur durch diese Politik noch ein Zusammengehörigkeitsempfinden nicht nur spüren, ({11}) sondern aus Überzeugung auch erleben können. Die Politiker der Opposition bleiben uns auch regelmäßig die Antwort schuldig, wenn wir sie fragen, wie denn die „härtere Gangart" im einzelnen aussehen solle, die sie der Regierung anempfehlen. Es heißt nur immer allgemein, die wirtschaftliche Interessiertheit der DDR müsse ganz anders gegen sie ausgenutzt werden; wir ließen uns unsere finanziellen Leistungen viel zu wenig honorieren. So hat der Abgeordnete Wohlrabe erst kürzlich wieder in einem Zeitschriftenartikel die Zahlungen aus dem Bundeshaushalt an die Staatskasse der DDR im einzelnen aufgeführt und dabei die altbekannten Verdächtigungen von der angeblichen Unausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung wiederholt. Man muß also daraus schließen, daß er letztlich mit diesen Zahlungen nicht einverstanden ist. Das halte ich für logisch. Herr Kollege Wohlrabe müßte darauf einmal ganz konkret jene Position benennen, mit deren Zahlung an die DDR er nicht einverstanden ist, weil sie ihm, gemessen am Gegenwert der von der DDR erbrachten Leistung, allzu hoch erscheint. Hier darf man doch dem Publikum nichts vormachen wollen. Die Transitpauschale - ich verweise darauf, daß allein im letzten Jahr 18 Millionen Reisende diese Möglichkeit wahrgenommen haben ({12}) macht den größten Einzelposten bei den Leistungen aus, die der DDR unmittelbar und mittelbar aus dem Bundeshaushalt zugehen. Dennoch möchte ich den Politiker sehen, der es befürwortete, diese Leistung aus Mangel an echter Gegenleistung einzustellen. Ähnlich ist es mit den 36 200 000 DM aus Postpauschale und Abgeltung von Leistungen aus dem Berlin-Verkehr. Es ist eben keineswegs so, daß wir das Geld nur so wegschenken. In jedem Fall gibt es Gegenleistungen, auf die im Endeffekt niemand hier verzichten will. Noch einmal: Weil die Bundesregierung weiß, wie sehr die Entspannungspolitik den Deutschen in Ost und West vonnöten und von Nutzen ist, wird sie daran geduldig und zäh festhalten und sich durch keinerlei Provokationen oder Störversuche beirren lassen. Sie wird weiterhin zu einer Politik des Kompromisses, der praktischen Vernunft mit der DDR bereit sein. Wir werden weiterhin unsere Interessen wahrnehmen und gestehen der DDR das gleiche zu. Wenn wir auch nicht die Schwierigkeiten der DDR-Regierung übersehen, die durch das „Spiegel"-Papier deutlich geworden sind, so erwarten wir doch daß die DDR ihrerseits die Kirche im Dorf läßt und nicht mit weiteren demonstrativen Willkürakten die Beziehungen belastet. Es wäre gefährlich, wenn der Weg, der mit der Schließung des „Spiegel"-Büros und der Verweigerung von Tagesbesuchen für Abgeordnete des Deutschen Bundestages in Ost-Berlin eingeschlagen wurde, weiter fortgesetzt würde. Beide Aktionen geben nicht nur Ärger und Unmut zu erkennen, sie zeugen vor allem von Unsicherheit; und dies muß uns besorgt machen, denn Unsicherheit ist überall ein schlechter Ratgeber und kein Nährboden für pragmatische Entspannungspolitik. ({13}) Die Bundesregierung hält sich auch dann an den Geist der Verträge, wenn die andere Seite ihn strapaziert oder glaubt strapazieren zu müssen. Wir wissen zu gut, welche Schwierigkeiten beim Zustandekommen der Verträge und Vereinbarungen zu überwinden waren. Wir kennen zu gut deren empfindliches Gleichgewicht, um leichtfertig damit umzugehen. Dies möchte ich auch als Aufforderung an all diejenigen verstanden wissen, die sie in der Praxis nutzen. Wer die Regelungen des Transitoder innerdeutschen Reiseverkehrs nicht korrekt einhält und respektiert, handelt grob verantwortungslos. Es ist nicht gerade hilfreich, wenn Beanstandungen, die wir den betreffenden Kommissionen vorbringen, von der anderen Seite mit einem umgekehrten Register pariert werden können. Die Bundesregierung hat wenig rechtliche Handhaben, die Einhaltung aller Bestimmungen, etwa des Transitverkehrs von und nach Berlin, zu erzwingen. Um so mehr ist sie auf die Einsicht, den guten Willen und letztlich die gegenseitige Solidarität der Teilnehmer am Transit- und innerdeutschen Reiseverkehr angewiesen. Um so größer ist aber auch die Verantwortung jedes Verkehrsteilnehmers und jedes Reisenden, daß die Vereinbarungen intakt bleiben. Dessen sollte sich jeder bewußt sein. Meine Damen und Herren, die Deutschlandpolitik, wie wir sie führen, ist eine Politik auf Gegenseitigkeit, auch wenn die Opposition anderes behauptet. Beide Seiten haben davon ihren Nutzen. Dieser Nutzen bleibt nicht irgendwo in der staatlichen Sphäre hängen, sondern er dringt tatsächlich millionenfach bis zu den Menschen durch. Sie haben tatsächlich etwas von der innerdeutschen Entspannungspolitik, so wie es Willy Brandt vor acht Jahren in Erfurt von der Normalisierung gefordert hat. Jede Politik der DDR und in der DDR, die der auf Entspannung, mehr Zusammenarbeit und Austausch gerichteten Tendenz folgt, hat in dieser von Helmut Schmidt geführten Bundesregierung einen fairen und zuverlässigen Verhandlungspartner. Das war bisher so, und das wird auch weiterhin so bleiben. - Ich hielt es für meine besondere Verpflichtung, das in dieser Debatte noch einmal deutlich gemacht zu haben. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 27. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit - Drucksache 8/1378 - Berichterstatter: Abgeordneter Esters Abgeordneter Gärtner Das Wort hat der Abgeordnete Picard.

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe die Unmutsäußerungen, die mich soeben auf meinem Weg hierher begleitet haben, aber ich halte mich an die Absprachen. Das wollte ich zu Beginn nur feststellen. Ich werde versuchen, mich auch zeitlich an die Absprachen zu halten, und mir nur wenige Bemerkungen erlauben, die ich aber deshalb nicht unterlassen möchte, weil wir - auf diese Feststellung lege ich Wert - sowohl bei den Beratungen als auch bei der Beschlußfassung im Haushaltsausschuß das, was sich finanziell im Einzelplan 23 auswirkt, in Übereinstimmung gebracht haben, was nichts darüber aussagt - das kann man bedauern -, daß die Verwendung der Mittel nicht immer übereinstimmend erfolgt; aber das ist Sache der Regierung und nicht nur unsere. Ich möchte zu Beginn ein paar Bemerkungen zu wenigen Titeln machen. Ich greife den Titel „Berufliche Aus- und Fortbildung" heraus. Wir begrüßen es, daß aus diesem Titel besondere Aktivitäten in Berlin ermöglicht werden. Wir meinen aber: auch wenn das, von uns allen gewünscht, in Berlin zu einer Ausweitung und Verstärkung der internationalen Bedeutung der früheren Reichshauptstadt führen soll, muß eine höchst effiziente, sinnvolle und sparsame Verwendung dieser Mittel garantiert werden. Wir begrüßen es auch, daß wir in die Lage versetzt werden, eine verstärkte Ausbildungstätigkeit für junge Afrikaner aus dem südafrikanischen Bereich zu gewährleisten. Ich erlaube mir hier eine Randbemerkung. Ich glaube, daß Investitionen in die Ausbildung junger Menschen in den jungen, neuen selbständigen Staaten Afrikas die sinnvollste entwicklungspolitische Tätigkeit ist, die im Interesse dieser Länder überhaupt geleistet werden kann. ({0}) Auch das ist wohl gemeinsame Überzeugung im ganzen Hause. Ich möchte mit einer Bemerkung zur Förderung der gesellschaftspolitischen Bildung fortfahren und kann mit Dankbarkeit feststellen, daß es eine Übereinstimmung in der Einschätzung der Tätigkeit der politischen Stiftungen gibt und inzwischen auch Gott sei Dank Übereinstimmung in der finanziellen Ausstattung der politischen Stiftungen in diesem Bereich der Entwicklungshilfe erzielt werden konnte. Ich glaube, daß damit eine jahrelang geführte Diskussion beendet werden konnte. Die politischen Stiftungen sind ein Instrument, das im Bereich der Entwicklungshilfe Dinge tun kann, die man ansonsten mit öffentlichen Mitteln nicht tun kann. Wir verfolgen mit Interesse und mit Sympathie, daß die drei Stiftungen in einer weitgehenden Übereinstimmung in der Zielrichtung und in Koordinierung ihre Aktivitäten im Bereich der Entwicklungshilfe entfalten. .5246 Wir haben es begrüßt, daß im Bereich der Kapitalhilfe eine Aufteilung des seitherigen einzigen Titels in zwei Titel vorgenommen worden ist, weil wir mit einer gewissen Ernüchterung feststellen, daß der Anteil dessen, was im Bereich der Kapitalhilfe in Form von Aufträgen an die deutsche Wirtschaft zurückfließt, von Jahr zu Jahr zurückgegangen ist. Wir haben einen zweiten Titel mit einem Baransatz von 400 Millionen DM und der entsprechenden Ausstattung der Verpflichtungsermächtigung eingeführt. ({1}) - Ihr Zuruf klang so verärgert, daß ich die Befürchtung hatte, daß es mir meine eigenen Freunde übelnähmen, daß ich hier rede. Das ist also nicht der Fall; ich bin dankbar dafür. ({2}) Ich möchte etwas zur Ausstattung dieses Titels „Kapitalhilfe" sagen. Wir haben das als Arbeitstitel etwa genannt: Soforthilfemaßnahmen, und zwar nicht für uns, sondern für andere. Das sollte natürlich mit dem Versuch kombiniert werden, auch die Situation der deutschen Wirtschaft und die Beschäftigungslage im eigenen Lande zu verbessern. Ich denke, daß wir hier zwar vorsichtig sein müssen, damit wir nicht den Eindruck erwecken, oder die dahin gehende Kritik erfahren, daß wir im eigenen Interesse und nicht unter genügender Beachtung der Interessen des Partners verführen. Ich hoffe, daß solche Bedenken nicht geäußert werden. Jedenfalls war es die Absicht des Haushaltsausschusses, die sofort notwendigen finanziellen Leistungen dort, wo sie dringend erforderlich sind, erbringen zu können. Wir haben bei der technischen Hilfe die Verpflichtungsermächtigungen erhöht und damit die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in die Lage versetzt, die Aufgabe der technischen Hilfe kontinuierlich zu leisten und gewisse etwas schwierige Verfahren zu beenden. Auch hierfür haben wir vor einigen Jahren ein Instrument geschaffen - gegen einigen Widerstand im Hause, gegen viele Bedenken, auch von Kollegen im Haushaltsausschuß -, das sich bis jetzt im wesentlichen gut bewährt hat. Wir haben es etwas bedauert, daß es uns nicht gelungen ist, den Ansatz für die entwicklungspolitische Arbeit der Kirchen stärker zu erhöhen, als das hier zum Ausdruck kommt. Ich möchte eine Bemerkung zu einem Thema machen, das uns seit Jahren beschäftigt: die Forderung von Entwicklungsländern auf Wiedereingliederung ausländischer Arbeitnehmer und hier ausgebildeter oder fortgebildeter Fachkräfte in ihren Heimatländern. Das ist ein außerordentlich sinnvolles Programm, das leider bisher kaum zu Erfolgen geführt hat. Wir möchten die Regierung und das Haus . bitten, dieses Programm mit Nachdruck weiter zu verfolgen, die Stagnation nicht uns anzulasten und die Schwierigkeiten nicht zum Anlaß zu nehmen, zu resignieren. Denn es ist angesichts der Beschäftigungslage in unserem eigenen Lande sinnvoll, dafür zu sorgen, daß diejenigen, die wir aus fremden Ländern jahrelang hier in Arbeit und in Ausbildung hatten, eine Chance erhalten, in ihren Heimatländern wieder seßhaft zu werden. Wir wünschen eine weitere Annäherung an das Ziel, 0,7 °/o des Bruttosozialprodukts als Entwicklungshilfe aus öffentlichen Mitteln zu leisten. Ich sage das, weil es erstaunlich ist, wie stark die Kritik an den angeblich unzureichenden Leistungen unseres Landes immer noch ist. Ich verweise auf jüngst veröffentlichte Zahlen, die nachweisen, in welchem Ausmaß die OECD-Länder, die OPEC-Länder und die kommunistischen Länder Entwicklungshilfe überhaupt leisten. Es ist ganz interessant, festzustellen, daß es im Jahre 1976 aus dem Bereich der OECD-Länder 13,7 Milliarden, aus dem Bereich der OPEC-Länder 5,1 Milliarden und aus dem Bereich der kommunistischen Länder 0,5 Milliarden - 0,5 Milliarden Entwicklungshilfe und beinahe der zehnfache Betrag an militärischer Hilfe an Entwicklungsländer - waren. Diese Zahlen habe ich nicht genannt, um uns zu beruhigen oder uns selber zu beweihräuchern, sondern deshalb, weil in unserem eigenen Lande oft Unklarheit darüber besteht, daß die Länder der freien Welt es mit Entwicklungshilfe und ihrer Bereitschaft ernst meinen, den jungen selbständigen Nationen die Chance zu geben, zu sich selbst zu finden, und daß es die kommunistischen Länder sind, die dieses nationale Selbständigkeitsstreben um der Erreichung vordergründiger ideologischer, militärischer und machtpolitischer Ziele willen unterstützen. ({3}) Wir begrüßen in dem Zusammenhang sehr, daß der Bundeskanzler bei seiner kürzlichen, ansonsten etwas lang geratenen Regierungserklärung ein paar kurze Bemerkungen zum Sinn der deutschen Entwicklungshilfe gemacht hat. Er brachte zum Ausdruck, daß unsere stark erhöhten Leistungen dem wirtschaftlichen Ausgleich und keinem anderen Zweck dienen und daß wir besonders den ärmeren Ländern beim Aufbau ihrer Wirtschaft ein zuverlässiger und fairer Partner sein wollen. So hat er sich ausgedrückt. Ich meine, das wollen wir alle. Er hat jedenfalls etwas angeführt, das wir alle zu erreichen versuchen sollten: eine Form der Solidarität, die wir den Entwicklungsländern gegenüber zeigen und die auch in umgekehrter Richtung festzustellen sein sollte. Ich will das ohne Kommentar einmal so stehenlassen. Entwicklungshilfe ist kein einseitiger Vorgang, sondern ein zweiseitiger, ein Geben und ein Nehmen. Entwicklungshilfe liegt letzten Endes auch langfristig im eigenen Interesse. Das muß man allerdings der eigenen Bevölkerung auch deutlich machen. Wenn wir uns mit unseren Mitbürgern, mit unseren Wählern auseinandersetzen - gerade angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Lage des eigenen Landes -, müssen wir alles tun, damit deutlich wird, daß Entwicklungshilfe auch die eigenen Interessen in einem sichtbaren 'Ausmaß berührt. Wir erwarten deshalb, daß ein möglichst hoher Anteil unserer Leistungen im bilateralen Bereich erfolgt. Meine Freunde und ich sind der Auffassung: nur da, wo es unvermeidlich ist, sollten wir das über Institutionen der Vereinten Nationen machen; wo es irgend geht, sollten wir das in zweiseitigem Geben und Nehmen mit dem Partner direkt tun. Wir fordern die Bundesregierung auf, alles zu tun, damit sich ein möglichst hoher Anteil unserer Kapitalhilfe wieder bei uns niederschlägt - das ist ein legitimes Interesse -, aber wir sehen von der Forderung nach Lieferbindung ab. Kommunistische Entwicklungshilfe ist Lieferbindung in sich selbst ohne Ausnahme und ist mit Auflagen verbunden. Wir wollen das nicht. Wir haben Vertrauen zu unseren Partnern, den jungen, neuen, selbständigen Nationen. Wir verfolgen mit einem ganz großen Interesse - und wir haben das wenigstens in einem Leertitel im Haushaltsplan auch zum Ausdruck gebracht - die Entwicklung in Südeuropa und sind bereit, alles zu tun, was einer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und damit politischen Stärkung der Völker Südeuropas dienlich ist. Eine abschließende Bemerkung. Es wäre gut und würde das Verständnis und die Zustimmung unserer Bevölkerung zur Entwicklungshilfe erleichtern - und ohne eine zunehmende Zustimmung in der Bevölkerung können wir das, was wir in diesem Jahr getan haben, nicht von Jahr zu Jahr, wenn auch vielleicht in einem bescheideneren Rahmen, fortsetzen -, wenn wir so, wie das bei den Haushaltsberatungen möglich war, auch hier zu etwas mehr Übereinstimmung in den Auffassungen über Zielrichtung und Zweckbestimmung der deutschen Entwicklungshilfe kommen könnten. Das setzt allerdings unter anderem voraus, daß einige Mitglieder der Koalition und der Regierung - lassen Sie mich das so sagen - ihre ideologischen Scheuklappen ablegen. Wir haben sie nicht. Wir brauchen sie deshalb nicht abzulegen. ({4}) Wir sind durchaus bereit, abgesehen von sachlichen Differenzen, die nicht nur darauf zurückzuführen sind, daß wir das Spiel von Opposition und Regierung spielen, sondern in natürlicher Weise auch darauf zurückzuführen sind, daß wir in bestimmten Bereichen unterschiedliche Auffassungen haben, um der Glaubwürdigkeit der deutschen Entwicklungshilfe und um der Durchsetzungsfähigkeit in der eigenen Bevölkerung willen zu einer stärkeren, weitergehenden Übereinstimmung, als es bisher möglich war, in diesem Bereich zu kommen. Verstehen Sie mich nicht falsch, meine Damen und Herren. Auch in Zukunft werden wir Diskussionen über Entwicklungen wie die in Botsuana haben, Diskussionen darüber, ob es sinnvoll gewesen ist, das zu tun, obwohl es nur ein geringer Betrag war. Auch in Zukunft werden wir unsere unterschiedlichen Auffassungen über die Frage austragen müssen, wie man sich in bestimmten Bereichen verhält, wo Spannungen auftreten, wie man dafür sorgt, daß unsere Interessen oder die Interessen der westlichen freien Welt nicht unter die Räder kommen. Dies meine ich nicht. Entwicklungshilfe darf kein Gegenstand sein, bei dem man sich, weil man das für nötig hält, parteipolitisch profilieren muß. ({5}) Da gibt es genug andere Bereiche. Ich will nicht verhehlen - ({6}) - Herr Kollege Wolfram, ich habe darauf verzichtet, eine Diskussion über Punkte zu führen, über die wir sie besser coram publico im Augenblick nicht führen sollten. ({7}) - Ich bin bereit, dies zu tun; dann wollen wir sehen, wer Sieger bleibt. Wenn Sie mich dazu herausfordern, können wir das gleich tun. Es war nicht leicht - ich glaube, nicht für die Koalition, aber auch nicht für uns -, diesen Sprung nach vorne im finanziellen Bereich zu tun. Das ist eine Chance für Sie, Frau Minister; das ist eine Chance für ihr Haus; das ist eine Herausforderung. Ich wünsche Ihnen, daß Sie sie bestehen. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Picard, ich glaube, wenn wir allein zu entscheiden hätten, wäre dies die beste Begründung dafür gewesen, ({0}) daß die Opposition in diesem Jahr sich wieder mal in der Lage sieht, dem Einzelplan 23 ihre Zustimmung zu geben. ({1}) Ich muß jetzt versuchen, es noch etwas stärker zu begründen als der Kollege Picard es schon getan hat. Wer an einer tragfähigen Unterstützung der Entwicklungspolitik interessiert ist, der muß bei innenpolitischen Kontroversen über dieses Thema behutsam verfahren. ({2}) Wir alle wissen, daß wir in den letzten Jahren häufig genug gegen diesen Grundsatz verstoßen haben. Wenn wir heute gleichwohl einen Fortschritt in der deutschen Entwicklungspolitik erkennen, dann ist dies ganz wesentlich auf den neuen Stil zurückzuführen, zu dem alle Fraktionen dieses Hauses bei der Vorbereitung des Entwicklungsetats für das Jahr 1978 gefunden haben. Wir wollen diese Tatsache heute auch nicht zerreden. Der breite entwicklungspolitische Konsensus zwischen den demokratischen Parteien dieses Landes ist eine wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung des Nord-SüdKonflikts. Das Jahr 1977 ist ein Beweis dafür, daß wir Fortschritte auf diesem Weg erzielt haben. Durch gemeinsames Handeln haben wir der Entwicklungspolitik insgesamt zu mehr Ansehen und zu größerer Durchsetzungsfähigkeit verholfen. Diese Erfolge dürfen wir nicht in Frage stellen. Wie kön5248 nen zuversichtlich sein, daß das in den vergangenen fünf Jahren zwischen Regierung und Opposition angehäufte Mißtrauen abgetragen werden kann. Voraussetzung ist, daß wir diesen Prozeß nicht durch Profilierungsversuche unverantwortlicher Einzelgänger gefährden. ({3}) Bringen wir diese Disziplin nicht auf, untergraben wir das Vertrauen unseres Volkes in unsere Fähigkeit, die entscheidende Frage dieses Jahrhunderts zu meistern. Niemand versteht dann, warum alle Parteien Entwicklungspolitik als Instrument der Friedenspolitik beschwören, sich in der politischen Auseinandersetzung aber nicht an Friedenspflichten halten. Wir können Entwicklungspolitik als gemeinsame nationale Aufgabe nur glaubhaft begründen, wenn uns die Wiederherstellung und Festigung eines Grundvertrauens zwischen Regierung und Parlament gelingt. ({4}) Unsere Aufgabe hat einer unserer großen Parlamentarier einmal folgendermaßen umschrieben: Wenn wir es ernst meinen mit der Friedenspolitik und mit internationaler Solidarität, dann müssen wir die Probleme der Dritten Welt mit unseren eigenen Problemen in Beziehung bringen und vorangehen. Entwicklungspolitik ist keine Ressortsache. Wenn viele helfen, wird vieles in Bewegung kommen, und das wird uns allen helfen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion steht zu diesem Wort Herbert Wehners. Sie wird auf dieser Grundlage das Gespräch mit allen suchen, die für eine vernünftige Entwicklungspolitik eintreten. Heute kann niemand mehr bezweifeln, daß Entwicklungspolitik aus ihrem bisherigen Schattendasein herausgetreten ist. Umfragen zeigen auch deutlich: Trotz wachsender wirtschaftlicher Schwierigkeiten im eigenen Land befürworten immer mehr Bundesbürger die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Die internationalen Nord-Süd-Konferenzen, die Ernennung Willy Brandts zum Vermittler im Nord-Süd-Konflikt und die Ereignisse von Mogadischu -sind Meßwerte einer sich wandelnden Großwetterlage. Mit dieser Situation setzen sich Parteien, Gewerkschaften, Unternehmerverbände und andere gesellschaftliche Gruppen immer stärker auseinander. Wir begrüßen besonders die Bereitschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Unternehmerverbände, mit uns über die Bedingungen einer stärkeren Unterstützung der Entwicklungspolitik zu sprechen. Das gestiegene öffentliche Interesse an entwicklungspolitischen Fragestellungen erfordert allerdings Umsicht und Augenmaß. Wenn Kommentare und Meinungen zur Entwicklungspolitik heute mehr gefragt sind als in der Zeit vor der Ölkrise, dann müssen wir umso stärker der Versuchung widerstehen, mit Patentrezepten politisches Profil zu gewinnen. Patentrezepte und Scheinangriffe sind ein Übel der deutschen Entwicklungspolitik. Ich will an dieser Stelle nicht in alten Wunden bohren. Aber in den Zeitungskommentaren dieser Woche wird zu Recht die Frage gestellt, wie oft sich die Entwicklungspolitiker einer großen Fraktion noch auf jene Palme schicken lassen wollen, von der herab jedoch nichts anderes zu sehen ist als der Weihrauch, mit dem einer ihrer Fraktionskollegen seine persönliche Profilierung betreibt. ({5}) Das wichtigste Ergebnis der Haushaltsberatungen 1978 ist der Versuch, Gräben zuzuschütten, die uns in entwicklungspolitischen Fragen zu häufig getrennt haben. Ich möchte an dieser Stelle den Haushaltspolitikern der Opposition ausdrücklich dafür danken, daß sie die Inhalte der für 1978 eingeleiteten Politik mitgetragen und konstruktiv unterstützt haben. Wir wissen aus Erfahrung: wer deutsche Interessen wirkungsvoll durchsetzen will, der darf weder bei unseren Partnern in den Industrieländern noch in der Dritten Welt den Eindruck heilloser Zerstrittenheit aufkommen lassen. Durch die Beschäftigungskrisen der letzten Jahre und den internationalen Druck des Nord-Süd-Konflikts sind die Erwartungen in die Leistungsfähigkeit der deutschen Entwicklungspolitik gewachsen. Diese Erwartungen können mit einem seit 1974 im wesentlichen unveränderten Instrumentarium bei realistischer Betrachtung kaum erfüllt werden. Der Kollege Picard hat hier bereits darauf hingewiesen, welche Vorstellungen wir bezüglich der Ausbildungsfragen im Bereich des südlichen Afrika entwickelt haben. Insbesondere die Verzahnung von Beschäftigungs- und Entwicklungspolitik macht eine Neugruppierung der vorhandenen Kräfte erforderlich. Jeder weiß, daß ich nicht für die Förderung von Beamtenkarrieren zuständig bin. Aber ich sage trotzdem: wir müssen uns im kommenden Haushalt ernsthaft mit der Personalsituation der deutschen Entwicklungsverwaltung befassen. Wir können die steigenden Lasten unserer Entwicklungspolitik gegenüber Gewerkschaften und Arbeitnehmern nur dann vertreten, wenn wir die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen hier und in den Entwicklungsländern stärker zum Kriterium unserer Entwicklungspolitik machen. ({6}) Die dem Deutschen Bundestag von uns vorgeschlagene Trennung der bilateralen Kapitalhilfe und der Soforthilfe ist eine überzeugende Antwort auf diese Herausforderung. Ich bin froh, das wir gemeinsam den Weg gefunden haben, wie dieser neue Titel finanziell ausgestattet werden kann. Ich füge aber hinzu: wir sind uns alle hier der schwierigen Gratwanderung bewußt, die Qualität unserer Entwicklungspolitik zu erhalten und den Versuchungen der Lieferbindung zu widerstehen. Dankenswerterweise hat der Kollege Picard hierzu auch bereits ein deutliches Wort gesagt. Die Lieferbindung ist ein Feind des internationalen Wettbewerbs, sie ist eine Fessel der Entwicklungsländer, sie mißachtet die Souveränität fremder Staaten. Wir wollen und wir können deshalb nicht zur Lieferbindung zurückkehren. Es wäre im höchsten Maße unvernünftig, wenn wir auf jene Stimmen hören wollten, die das Thema Lieferbindung aus durchsichtigen Motiven wieder ins Gespräch bringen wollen. ({7}) Umgekehrt wird aus dieser Sache ein Schuh. Die Bundesregierung muß beharrlich darauf hinwirken, daß die Lieferbindung auch von anderen Geberländern aufgegeben wird. ({8}) Wir brauchen trotzdem nicht die Augen vor parallelen Interessen zu verschließen, die Industrie- und Entwicklungsländer haben. Die Verzahnung von Entwicklungspolitik und Beschäftigungspolitik bedeutet, daß wir unseren Unternehmen und unseren Gewerkschaften erklären müssen, welche Beschäftigungschancen und welche Exportmöglichkeiten in dem ungeheuren Bedarf der Dritten Welt liegen. Dies sage ich nicht nur in Richtung auf unsere Großunternehmen, sondern ich denke hier besonders an unsere mittelständische Wirtschaft. Ich sehe hier auch große Aufgaben für die Deutsche Entwicklungsgesellschaft. Die DEG weiß wohl sehr genau, was es bedeutet, wenn das Parlament ihr Stammkapital um 300 Millionen DM auf 1 Milliarde DM austockt, und sie weiß, daß Entwicklungspolitiker ganz besondere Erwartungen an ihre Arbeit stellen. Die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen bleibt die vorrangige Aufgabe der DEG. Die Leistungen dieser Unternehmen entsprechen ganz besonders den Bedürfnissen der Entwicklungsländer. Ihre Erfahrungen und ihre Kenntnis solider Fertigungsmethoden tragen entscheidend zur technischen und wirtschaftlichen Bildung in den Entwicklungsländern bei. Die knappen staatlichen Förderungsmittel müssen deshalb in solche Länder gehen, die der deutschen Wirtschaft noch fremd sind und die nicht genügend Kapital und technisches Wissen in ihr Land lenken können. Unsere Unternehmer können und müssen von der DEG erfahren, welche Chancen sie in Ländern der Dritten Welt haben, die ihren Rohstoffreichtum durch eine Ausweitung der verarbeitenden Produktion besser nutzen wollen. In der Rohstoffpolitik bewegen sich noch alle Industrieländer auf schwankendem Gelände. Für einige Zeit können wir die Versorgung unseres Landes mit lebenswichtigen Rohstoffen vielleicht noch durch eine bessere Ausnutzung der vorhandenen Instrumente sicherstellen. Auf mittlere und längere Sicht kommen wir jedoch nicht ohne grundlegende Vereinbarungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aus. Ich hoffe deshalb, daß die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 27. Oktober 1977 recht bald zum gemeinsamen Gedankengut aller Fraktionen wird. Rohstoffabkommen und der gemeinsame Fonds werden meiner Ansicht nach kommen. Es hat keinen Zweck, davor noch lange die Augen zu verschließen. ({9}) Schon heute gibt es Stimmen, die bedauern, daß wir im Haushalt 1978 uns noch nicht dazu durchringen konnten, die notwendigen finanziellen Voraussetzungen für unausweichliche Entscheidungen zu schaffen. Meine Fraktion ist dazu bereit. Wir werden bei der Vorbereitung des 79er Etats darauf achten, daß dieses Problem nicht länger vor uns hergeschoben wird. Wir kennen unsere geringen Möglichkeiten, die Probleme der Dritten Welt bei der Wurzel zu fassen. Wir brauchen deshalb keine neue Konzeption. Was wir brauchen, ist der politische Wille, unseren Einsichten entsprechend zu handeln. Jeder Kompromiß zwischen Industrie und Entwicklungsländern wird eine Verstärkung des Ressourcentransfers in die Dritte Welt mit sich bringen. Wir können das 0,7-Prozent-Ziel nicht abschaffen, nachdem es immer mehr Länder erreicht haben. Der Druck auf die zurückgebliebenen Industrieländer wird steigen. Wenn wir verhindern wollen, für kommende Krisen der Weltwirtschaft verantwortlich gemacht zu werden, dann müssen wir das Vertrauen der Dritten Welt stärken, daß wir die Erreichung der uns selbst gesteckten Ziele ernst nehmen. Die Beschlüsse des Haushaltsausschusses haben wesentliche Steigerungen bei den Verpflichtungsermächtigungen erbracht. Wir haben die VE gegenüber dem Regierungsentwurf um 1,4 Milliarden DM auf über 5,2 Milliarden DM gesteigert. Die Verpflichtungsermächtigungen sind Wechsel auf die Zukunft. Sie zeigen aber den Willen des Parlaments, unsere internationalen Verpflichtungen schneller zu realisieren, als es die Bundesregierung bislang für möglich gehalten hat. Manchmal ist es allerdings auch ganz gut, wenn das Parlament nicht nur als Notar tätig werden darf. ({10}) - Deswegen habe ich da auch hingeschaut. Die Erhöhung der VE ist ein erster Schritt, wenn auch noch keine Stufe jenes Planes, den Sozialdemokraten in ihrem Memorandum zur Entwicklungspolitik vorgeschlagen haben. Ich bekenne mich zu diesem Stufenplan. Wir werden alles tun, um seine Ziele zu erreichen, Wir Deutschen müssen dabei auch endlich über den Tellerrand des sparsamen Hausvaters hinaus erkennen, daß unser Beitrag zur Nord-Süd-Politik vor allen Dingen in unserer finanziellen Leistungsfähigkeit liegen muß. Wenn wir addieren, welche Leistungen wir im Gesamtzeitraum von fünf Jahren aufbringen können, dann könnten wir ein Volumen in die internationalen Verhandlungen einführen, das Eindruck auf unsere Partner macht. Wir erreichen damit mehr, als wenn uns die gleichen Leistungen sukzessive in fünf aufeinanderfolgenden Jahren abverlangt werden. Das 0,7-Prozent-Ziel ist für uns allerdings kein Selbstzweck. Es ist die heute notwendige Grundausstattung einer weltweit verpflichteten Handels-und Rohstoffpolitik. Wir alle in diesem Hause sind froh darüber, daß in den südeuropäischen Ländern Spanien, Griechenland und Portugal autoritäre und diktatorische Regime von Demokratien abgelöst worden sind. Gerade wir Entwicklungspolitiker brauchen die Ermutigung, daß Völker nicht nur den umgekehrten Weg gehen müssen. Daraus erwächst uns aber die Pflicht, diesen Ländern zu wirtschaftlicher, sozialer und damit zu politischer Stabilität zu verhelfen. Spanien, Griechenland und Portugal sind Entwicklungsländer. Sie bemühen sich gleichzeitig um den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Wir müssen deshalb in doppelter Weise bereit sein, hier Hilfestellung zu leisten. Der Haushaltsausschuß hielt es für richtig, der Regierung zu empfehlen, bilaterale Hilfe über den Etat des BMZ zu leisten. Wir haben der Bundesregierung damit einen Weg zur Realisierung eines Südeuropaprogramms eröffnet, auf dem alle Demokraten vorangehen sollten. Wenn uns die Bundesregierung vorschlägt, diesen politischen Willen in Projekte und finanzielle Verpflichtungen umzusetzen, kann sie sich auf uns verlassen. Viele entwicklungspolitisch engagierte Bürger und Gruppen fordern uns Parlamentarier immer wieder auf, im Bereich der Nord-Süd-Politik einen Beitrag zu leisten, der einer starken Industrienation würdig ist. Trotz der nicht leichten Finanzsituation des Bundes ist es im Verlauf des parlamentarischen Beratungsverfahrens gelungen, hierauf eine überzeugende Antwort zu geben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich bitte, Ihre Rede zu beenden.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der letzte Satz, Frau Präsidentin!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, aber wirklich der letzte Satz!

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn der Deutsche Bundestag, wovon ich ausgehe, der Vorlage, wie vom Haushaltsausschuß empfohlen, seine Zustimmung gibt, dann übergeben wir Ihnen, Frau Minister, einen Etat, mit dem Sie. vor der Welt bestehen können. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Gärtner.

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin in einer etwas merkwürdigen Situation, nachdem Herr Kollege Picard hier eine Gefechtslage aufgezogen hat, die dann Herr Kollege Esters nachgezogen hat, wobei ja wohl kein Stück mehr offen ist, wo wir uns nicht gemeinsam dazu verständigen können, eigentlich jede Position dieses Etats zu unterschreiben. ({0}) - Das ist richtig. Da wir von Ihnen wahrscheinlich keine Unterstützung bekommen werden, wenn wir den Gesamtetat verabschieden, frage ich mich natürlich, ob Sie sich nicht doch dazu verstehen können, wenigstens diesem Einzelplan zuzustimmen; denn sonst wäre es doch etwas merkwürdig. Wir unterhalten uns hier in ganz höflichen Floskeln über den wunderbaren Etat, den wir zusammen gemacht haben, und dann bringen Sie es wirklich noch übers Herz, diesem Etat nicht zuzustimmen. Herr Picard, wir kennen uns jetzt nach einem Jahr schon so gut. Ich habe den Verdacht gehabt, Sie würden dem Haushalt des Auswärtigen Amts auch schon zustimmen; aber da haben Sie uns das Vergnügen -auch nicht gemacht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Picard?

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gärtner, sollte Ihnen wirklich entgangen sein, daß in der Durchführung der Entwicklungspolitik wie in der Außenpolitik sehr tiefgreifende Auffassungsunterschiede zwischen uns bestehen?

Klaus Gärtner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000627, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde, zumindest was den Teil der auswärtigen Politik angeht, einen Unterschied sehen. Da würde ich Ihnen recht geben. Sie haben auch einige Anmerkungen zu dem Bereich der Durchführung der Entwicklungshilfe gemacht. Aber ich muß sagen: Die Unterschiede waren nicht so gravierend, daß Sie die Zustimmung zu diesem Etat noch mit vollem Herzen verweigern können. ({0}) Herr Picard, wir sind ja eh fast nur noch unter uns. Vielleicht können wir uns mit Rücksicht auf diejenigen, die sich morgen früh noch auf dieses Podium bewegen müssen - auch ich gehöre noch dazu -, dahin verständigen, das Verfahren zu verkürzen. ({1}) - Es gibt 1984 immer noch Wahlen; da haben Sie recht. ({2}) Ich wollte darauf hinweisen, daß zumindest die Steigerungsrate dieses Einzelplans das weit verbreitete Vorurteil entlarvt, daß sich der Haushaltsausschuß nur mit dem Zählen beispielsweise einer bestimmten Hülsenfruchtsorte beschäftigt. ({3}) - Sie haben schon wieder die falsche im Kopf, Herr Köhler. - Das gibt mir zumindest die Hoffnung, daß wir auch in anderen Bereichen von den Fachausschüssen nicht mehr so unfreundlich behandelt werden, wie das in der Vergangenheit bei einer Zusammenkunft der Fachausschußvorsitzenden einmal vorgekommen ist. Ich meine, es sollte auch das Parlament gegenüber dem Haushaltsausschuß und insoweit auch gegenüber den Berichterstattern, die hierzu das Wort ergriffen haben, zumindest erkennen, daß sich die Berichterstatter die Mühe gemacht haben, einen vernünftigen Haushaltsplan vorzulegen, der in der Lage ist, die Aufgaben, die die Bundesrepublik Deutschland international zu erfülGärtner len hat, zu finanzieren. Ich meine, daß die Debatte, die sich über eine gewisse Presseberichterstattung in den letzten Tagen so leicht entzündet hat, zumindest für unsere Fraktion den Eindruck wiedererstehen läßt, daß die Bundesregierung dem Grundsatz treu bleiben wird, daß wir Etatmittel an die Bedingung knüpfen, daß mit deutschem Geld die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Empfängerlandes verbessert wird und keine zweckentfremdeten Mittel von uns zu konstatieren sein werden. Ich möchte jedenfalls nicht bei den Berichterstattergesprächen des nächsten Jahres hier irgend etwas feststellen und monieren müssen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit für fünf Minuten. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort 'hat Frau Bundesminister Schlei.

Marie Schlei (Minister:in)

Politiker ID: 11001979

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe hier Dank zu sagen den Politikern aller Fraktionen, die im vergangenen Jahr außergewöhnliche Anstrengungen für die Entwicklungspolitik unternommen haben. Sie gaben den Entwicklungspolitikern das Gefühl, an ihrer Seite neue Verbündete zu haben, die bereit sind, in eine lebenswichtige Sache mit einzutreten, nämlich sich dafür einzusetzen, "daß der Nord-Süd-Ausgleich als eine unsere Zukunft sichernde, den Frieden fördernde Politik vorwärtszubringen ist. Herr Kollege Picard hat das in einem Schlußsatz formuliert. Ich begreife das als eine Chance, und ich habe auch den Eindruck, daß unsere Fraktionen es als eine Chance begriffen haben, Entwicklungspolitik als eine gemeinsame nationale Sache zu formulieren und durchzusetzen. Dieses Angebot hatte ich gemacht, als meine Ministerzeit begann. Ich habe den Eindruck: Dieses Angebot ist angenommen worden. Das Parlament hat im vergangenen Jahr der Entwicklungspolitik viele wichtige Impulse gegeben. Ich erwarte, daß diese engagierte Bereitschaft auch in Zukunft ein ganz wesentlicher Bestandteil der so erfolgreichen Zusammenarbeit von Regierung und Parlament in diesem speziellen Bereich, der Entwicklungspolitik., ist. Die Steigerung von 22 °/o, von der Bundesregierung für 1978 für den Einzelplan 23 festgelegt, sowie die Steigerungsraten der mittelfristigen Finanzplanung, die jeweils doppelt so hoch wie beim Gesamthaushalt vorgesehen sind, beweisen, daß die Bundesregierung zu ihrem Wort steht. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 19. Januar dieses Jahres bekräftigt, daß wir zur Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe bereit sind. Das Parlament hat darüber hinaus, wie hier schon vorgetragen und wie bereits im Jahr 1977, für den Einzelplan 23 die Baransätze sowie die Verpflichtungsermächtigungen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit erhöht. Der Bareinsatz des Einzelplans 23 beläuft sich heute auf nahezu 4 Milliarden DM. Das ist der absoluten Zahl nach ein Rekordbetrag der Leistungsübertragung unseres Landes an Entwicklungsländer. Wir haben für das Jahr 1978 5,26 Milliarden DM an Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen. Das sind wesentliche Steigerungen. Diese Steigerungen sind ganz besonders wichtig im Bereich der technischen Zusammenarbeit. Wir werden dadurch den Haushalt 1978 voraussichtlich auf 0,35 % des Bruttosozialprodukts bringen. Dieses Niveau sollte nie mehr unterschritten werden. Wir sollten es steigern. Ich weiß, da ß das Parlament meiner Meinung ist. ({0}) Wir wollen durch unsere Zusammenarbeit mit weit über hundert Entwicklungsländern dazu beitragen, die materielle Lage jener Menschen zu verbessern, die noch in Not und im Zustand absoluter Armut leben. Entwicklungspolitik muß darüber hinaus im Nord- Süd-Dialog eine richtungweisende Rolle übernehmen. Es ist dafür zu sorgen, daß die Weiterentwicklung der Weltwirtschaft zu einer Ordnung führt, in der alle Völker ihren Platz haben, in der alle Völker ihr Recht finden. Für die Verbesserung der Lage der Menschen in der Dritten Welt wird auf mittlere Sicht die klassische Entwicklungspolitik, also die projektbezogene Zusammenarbeit, ihre Bedeutung behalten. Sie leistet unmittelbar Unterstützung bei der Behebung von Not und Armut, wenn sie auch - entsprechend den strengen Vorgaben unseres Haushaltsrechts - mit Kontrollverfahren verbunden ist, die manchen unserer souveränen Partner schwer belasten. Viele Minister stellen mir in den Verhandlungen dar, daß sie es schwer erträglich finden. Wir sollten uns vielleicht einmal vergegenwärtigen, was ein Land auf sich nimmt, wenn es wegen eines verhältnismäßig günstigen Kredits seine internen Angelegenheiten vor Fremden offenlegen muß bzw. über diese seine Angelegenheiten mitbestimmen lassen muß. Um wirkliche Partnerschaft zu üben, werden wir die Grenzen noch strenger zu beachten haben, die die Empfindlichkeit junger Nationen, aber auch der Respekt und die Achtung vor der Souveränität der Staaten uns auferlegen. Wir haben nicht nur unsere Leistungen gegenüber den Entwicklungsländern zu steigern, wir müssen auch unsere Dialogfähigkeit mit den Partnern verbessern. Den Souveränitätsanspruch der Entwicklungsländer spüren wir auch im internationalen Bereich, wo uns manche Entwicklungsländer z. B. auch bei der Grundbedürfnisstrategie unterstellen, daß wir in ihre Angelegenheiten hineinreden wollen. Unsere Partnerländer werden aber verstehen müssen, daß Entwicklungspolitik auf die Erfüllung der Bedürfnisse des einzelnen Menschen gerichtet bleiben muß, weil wir uns gegenüber unserer Bevölkerung nur mit einer menschenrechtsorientierten Politik sehen lassen können, weil wir nur diese Form der Entwicklungspolitik durchsetzen können, ({1}) die menschenrechtsbezogene Politik, die Freiheit von Not und Freiheit von Furcht meint. Die Definition der wirtschaftlichen Zusammenarbeit als einer Politik und Geschäftsbeziehung zu gegenseitigem Nutzen ist nicht nur der Sachlage angemessen, denn auch ein großer Teil der bilateral und multilateral vergebenen Mittel fließt in Form von Aufträgen an unsere Wirtschaft zurück. Entwicklungszusammenarbeit - so beschrieben - erleichtert dem Partner, sich als gleichberechtigt und nicht als Almosenempfänger zu sehen. Birma z. B., ein Land, das ich gerade besucht habe und das sich sowohl seine Identität wie auch seine absolute Unabhängigkeit bewahrt hat, wollte die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik auf diese Formel des gegenseitigen Respekts gebracht haben. Dieser Haushalt ist - wie alle Haushalte der wirtschaftlichen Zusammenarbeit - konjunkturwirksam, ob das ausgesprochen wird oder nicht. Es ist selbstverständlich, daß in Zeiten, in denen bei uns eine hohe Arbeitslosigkeit vorhanden ist, verstärkt darüber diskutiert wird, ob durch beschleunigten Mittelabfluß und durch die Erhöhung schnell abfließender Mittel ein zusätzlicher Konjunktureffekt zu erreichen ist. Ich werde verstärkte Kontakte zu den Gewerkschaften und zur Wirtschaft suchen, um mögliche Interessengegensätze und gemeinsame Anliegen zu diskutieren. Ohne diese Basis wird Entwicklungspolitik für uns nicht gelingen; ohne diese Basis können wir nicht die breite Öffentlichkeit erreichen. ({2}) Ich bin dem Parlament sehr dafür dankbar, daß es bereits für den Haushalt 1978 zur Einrichtung eines neuen Titels für die finanzielle Zusammenarbeit, der ja nicht nur für die Erhaltung von Arbeitsplätzen bei uns von Bedeutung ist, sondern auch den Partnerländern in ihrer schwierigen Devisensituation hilft, bereit war. Die hier und im Entwicklungsland wirtschaftswirksamen Komponenten der Zusammenarbeit hindern uns nicht daran, unsere Unterstützung in erster Linie daran auszurichten, daß sie den Menschen, und zwar den am meisten benachteiligten Menschen, zugute kommt; sie muß Grundbedürfnisse erfüllen helfen und dabei beachten, daß die Menschen als Individuen von Anfang an in den Entwidclungsprozeß einbezogen werden. Diese grundsätzliche Ausrichtung unserer Zusammenarbeit leidet auch nicht darunter, daß wir vor allem für die Übertragung von Spitzentechnologien ein gefragter Partner sind, wie auch das Beispiel Birmas zeigt, wo wir mit ganz moderner Technologie zur Herstellung von Düngemitteln die landwirtschaftliche Produktion steigern helfen, und zwar so, daß es zwei- bis dreimal im Jahr zu guten bis sehr guten Ernten kommen kann. Unsere Zusammenarbeit orientiert sich an der Bedürftigkeit des Partners, und sie läßt sich von gelegentlichen Schwankungen der außenpolitischen, der innenpolitischen oder der ideologischen Ausrichtung des Partners nicht beirren, solange die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gegeben sind. Unsere Zusammenarbeit entzieht sich auch außenpolitischen Anforderungen nicht. Wir sind bereit, die Integration der südeuropäischen Länder in die Europäische Gemeinschaft durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern, und ich bin dem Parlament sehr dankbar für seine Bereitschaft, durch einen Leertitel dieser politischen Willenserklärung Rechnung zu tragen. Ich versichere den Parlamentariem, daß meine wissenschaftlichen Institute für diese Form der Arbeit wissenschaftlich gesicherte Voraussetzungen schaffen. Wir engagieren uns besonders da, wo es den Frieden zu sichern gilt. Im Nahen Osten, wo wir Schwerpunktländer haben, begleiten wir die Friedensbestrebungen mit der Förderung des wirtschaftlichen Aufbaus der Länder. Im südlichen Afrika werden wir ein Programm der beruflichen Ausbildung, wie es Herr Picard schon beschrieben hat, anbieten. An diesem Programm wird Berlin sehr stark beteiligt sein, dessen vom Bund geförderte entwicklungspolitischen Institutionen im übrigen einen großen und in Zukunft steigenden Anteil an der Ausgestaltung des Nord-Süd-Dialogs haben werden. Die am wenigsten entwickelten Länder sowie die Länder, die durch die weltweite Rezession am stärksten betroffen sind, bleiben Schwerpunkt unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Solch ein Land ist Somalia. Somalia hat uns in einer großen Notlage geholfen. Wir haben dort die entwicklungspolitische Zusammenarbeit intensiviert und haben Somalia einen von allen Ressorts der Bundesregierung so gewünschten Dispositionskredit für entwicklungspolitische Maßnahmen zur Verfügung gestellt. Beide Seiten haben - um das noch einmal zu erklären - festgestellt, daß dieser Kredit ausschließlich für die im Regierungsabkommen festgelegten Zwecke, nämlich für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes, bestimmt ist. Dies ist nachprüfbar und wird dann durch die übliche Buchführung und Rechnungslegung nachgewiesen. Diese steht im Darlehensvertrag wie in allen anderen Darlehensverträgen, die die Kreditanstalt für Wiederaufbau schließt. Wer verwahren uns dagegen, daß unser Vertrauensverhältnis zu unseren somalischen Freunden durch Spekulationen über Möglichkeiten anderer als entwicklungspolitischer Verwendung des Kredits aufs Spiel gesetzt wird. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Mittel, die wir über internationale Institutionen zur Verfügung stellen und die - wie auch im Falle der bilateralen Arbeit - vor allem den ärmsten Ländern zugute kommen, beweisen, daß wir weltweite Solidarität entwickeln. Dabei werden wir darauf achten, daß Quantität und Qualität unserer bilateralen Zusammenarbeit Gradmesser der Solidarität unseres Volkes mit den Entwicklungsländern bleiben. Neben den genannten Schwerpunkten werden wir - und das sicherlich auch im Einverständnis aller Fraktionen - unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den industriell fortgeschrittenen Entwicklungsländern intensivieren und dafür neue Formen suchen und finden. Ich werde den parlamentarischen Gremien noch in diesem Jahr ein Programm dafür vorlegen. Wir werden diese sogenannten Schwellenländer der Deutschen Entwicklungsgesellschaft mit ihrer erweiterten Kapitalbasis in die Lage versetzen, verstärkt Investitionen in den Entwicklungsländern unter Beteiligung deutscher Unternehmen zu ermöglichen. Die Bundesrepublik hat durch die Steigerung ihrer entwicklungspolitischen Leistungen, durch ihr Eintreten für Handelsliberalisierung, durch ihren Widerstand gegen Protektionismus, durch ihre aktive Beteiligung am Nord-Süd-Dialog den Beweis ihrer Dialogfähigkeit erbracht, entsprechend ihrer Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern als eine der wirtschaftlich stärksten Nationen des Westens. Die übrigen OECD-Staaten haben gleichfalls substantielle Steigerungen ihrer Leistungen zugesagt. Die OPEC-Staaten liegen im Augenblick mit ihrer Leistung bei mehr als 2 °/o ihres Bruttosozialprodukts. Die Comecon-Staaten werden sich auf die Dauer einer Steigerung ihrer Leistungen nicht mehr durch Hinweise auf historische Verbindungen von westlichen Industrieländern und Entwicklungsländern entziehen können. Sie haben an der wirtschaftlichen Verflechtung ja ebenso teil und profitieren ebenso wie der Westen. Ihr politisches Engagement allein wird den Entwicklungsländern in Zukunft nicht mehr ausreichen. Aber ich möchte auch auf die Konsequenz hinweisen, die entstehen wird, wenn die Staatshandelsländer unserer Forderung nach größeren Entwicklungshilfeleistungen nachkommen. Sie wären damit nämlich entwicklungspolitisch, d. h. auch gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich in Asien, Afrika und Lateinamerika noch stärker als bisher präsent. Das heißt für mich, daß unsere Politik in diesen Bereichen in Zukunft keineswegs leichter werden wird. Die Bundesrepublik bekennt sich weiter zum internationalen Ziel, 0,7 % des Bruttosozialprodukts als öffentliche Leistung zu übertragen. Die Parteien in der Bundesrepublik, die in diesem Parlament vertreten sind, haben sich gleichfalls zu diesem Ziel bekannt. Die Bundesrepublik hat damit eine politische und moralische Verantwortung auf sich genommen, die für die Haushaltsgestaltung und Finanzplanung richtungweisend sein muß. Regierung und Parlament werden ernsthaft zu prüfen haben, wie wir uns diesem Ziel nähern können. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hoffacker.

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Frau Minister Schlei, ich möchte gerne galant sein. Ich werde mir alle Mühe geben, das heute abend auch zu sein. Aber ich darf Sie daran erinnern, daß Sie mich bereits in Essen auf dem Kennedy-Platz praktisch gebeten haben, mir zumindest zu verstehen gegeben haben, Sie ins Gebet zu nehmen. Das will ich dann hier auch tun. ({0}) Ich halte sehr viel von der Harmonie, die am ehesten dadurch gesichert ist, daß wir uns nichts vormachen. Das gilt zunächst zu der Bemerkung zu Somalia. Wir hatten uns eindeutig dahin gehend abgesprochen, daß wir nicht dazu Stellung nehmen. Ich werde mir auch verkneifen, es zu tun. Ich bitte Sie aber, in unserem Ausschuß Rede und Antwort zu all den Fragen zu stehen, damit wir weiterhin eine deutliche Sprache sprechen können. ({1}) Dasselbe gilt für Herrn Kollegen Esters. Herr Kollege Esters, ich bin nicht dafür, Ihrer geneigten Vorstellung zu folgen, daß wir hier eine Art Zusammenarbeit praktizieren, die einem Spiel mit verdeckten Karten gleichkäme. Ich meine, es muß klar sein zwischen uns, was uns trennt, und es muß klar sein, daß die Überlegungen zum Haushalt nicht der einzige Faktor und Indikator für Zusammenarbeit und Leistung sind, sondern daß es andere, tiefergreifende Überlegungen und Gemeinsamkeiten geben muß, in denen wir uns zu verstehen haben. ({2}) Leider muß die CDU/CSU-Fraktion den Einzelplan 23 des Haushalts ablehnen. Wir tun das nicht giftig, sondern mit Bedauern, weil die Koalition die Basis der Gemeinsamkeit zwischen Koalition und Opposition in der Entwicklungspolititk verlassen hat. Diese mangelhafte Gemeinsamkeit wird u. a. in der von der Koalition verursachten Verquickung des Nord-Süd-Konflikts mit dem Ost-West-Konflikt, in der Unterstützung kriegerischer Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika, in der starren Haltung zur Rohstoffpolitik, in der Doppelstrategie zwischen Bundesregierung und Koalitionsparteien sowie in der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums sichtbar. Nicht zuletzt deshalb sieht sich die Unionsfraktion nicht in der Lage, dem Haushalt 23 zuzustimmen, weil der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit das Vertrauen der CDU/CSU-Opposition und -Fraktion verspielt hat. ({3}) Zur Jahreswende hat Frau Minister Schlei für das Jahr 1977 von einem großen Sprung nach vorn in der Entwicklungspolitik gesprochen. Sie hat die Arbeit des Parlaments und der gesellschaftlichen Kräfte genannt und der Bundesregierung das Verdienst um die Steigerung des Haushalts 1978 zugeschrieben. Ohne die Leistung dieser Steigerung schmälern zu wollen, dürfen wir uns aber nicht Sand in die Augen streuen lassen. Wenn hier das Hohelied der Steigerung des Haushalts 1978 gesungen wird, dann meine ich, entgehen dem geübten Ohr beim Anhören der Melodie dieses Eigenlobs nicht die schrillen Mißtöne. Ich darf es in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit kurz machen. Erstens. Die Steigerung für 1978 ist, gemessen an den öffentlichen Leistungen von 1975, gleich Null. ({4}) - Wir haben nicht soviel Zeit, sonst täte ich das gern. Ich kann es Ihnen gleich draußen vorrechnen. Zweitens. Selbst in Kreisen der Koalition wird diese Steigerung des Anteils der Haushaltsmittel für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf 0,35 °/o des Bruttosozialprodukts nicht als Erfolg gefeiert, sondern eher schamhaft verschwiegen oder spöttisch kommentiert. Drittens. Die Bundesregierung unterliegt einer weiteren Fehleinschätzung, wenn es um die hoch gepriesene Quote der Rückflüsse der Entwicklungsgelder in die Bundesrepublik geht. Hier hat Herr Esters ein falsches Bild gezeichnet, das der aktuellen Situation nicht mehr gleichkommt. Bisher ist von der Bundesregierung immer der Eindruck vermittelt worden, wir könnten an der Lieferungebundenheit der Entwicklungshilfe deshalb festhalten, weil etwa 80 % der Entwicklungshilfegelder auf dem Weg über die Auftragserteilung an deutsche Firmen wieder in die Bundesrepublik zurückflössen. Das stimmt schon länger nicht mehr. Wir wissen inzwischen aus einem Bericht der Kreditanstalt, daß für das Jahr 1976 dieser Prozentsatz nur noch 51,7 °% beträgt. Wir konnten in Erfahrung bringen, daß nach Schätzungen für 1977 dieser Prozentsatz auf 35% absinken soll. Diese Zahlen sind kein Wunder bei der binnenwirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre, d ie diese Bundesregierung selbst mit verursacht hat. Steigende Preise und hohe Kosten beeinträchtigen die Anbieterposition deutscher Unternehmen und werfen sie nur zu leicht aus dem Konkurrentenkarussell. Die CDU/CSU hat diesem Trend immer geringer werdender Rückflüsse dadurch entgegengewirkt, daß sie bei der Achtung des Prinzips der Lieferungebundenheit eine Verbesserung des Informationssystems für potentielle deutsche Auftragnehmer und Anbieter durch Einrichtung einer Datenbank gefordert hat. Statt daß die Regierung diesen Vorschlag schnell aufgreift und weiterentwickelt, verlegt sie sich, so meine ich, auf eine - das müssen wir deutlich sehen - Art Manipulation eines Soforthilfeprogramms und bietet diesen Posten im Haushaltsplan an. Die Ausstattung mit 400 Millionen DM für 1978 und den in Aussicht gestellten 800 Millionen DM für die nächsten Jahre erscheint generös. Die Maßnahme darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit das von der Bundesregierung selbst vertretene Prinzip der Lieferunggebundenheit unterlaufen wird und sie sich dem Verdacht des Protektionismus aussetzt. ({5}) Schon längst, meine ich, hätte sie sich Gedanken darüber machen müssen, ob dieses Gütesiegel deutscher Entwicklungshilfe unverändert beibehalten werden kann oder ob das Prinzip der Lieferungebundenheit modifiziert werden müßte zugunsten der Entwicklungsländer und wieweit es möglicherweise für konkurrierende Anbieter aus Industrieländern eingeschränkt werden muß. Es dient niemandem - so scheint mir -, wenn wir dieses Prinzip der Lieferungebundenheit lediglich verbal aufrechterhalten oder gar manipulieren. Es dient auch nicht der Sache, wenn es dilettantisch gehandhabt wird, so daß beispielsweise Partner in den Entwicklungsländern - ich möchte sagen: wieder einmal - zum Spott über die Deutschen herausgefordert werden. Herr Esters, ich möchte mir hier verkneifen, von Lokomotiven ohne Schienen zu sprechen, von Schiffen für die Sandwüsten; denn selbst das Luftschiff hat da nichts getaugt. Ich meine, daß hier nicht staatsmännische Worte weiterhelfen, sondern nur einfallsreiches Handeln gefordert ist. ({6}) Daß dieses einfallsreiche Handeln der Regierung abgeht, dafür ein kleines Beispiel. ({7}) - Ich habe einen langen Atem. ({8}) In Burma gehen Fachkreise davon aus, daß die Japaner mit unserem Geld dort Industrieanlagen errichten und bei der Einweihung als die großen Wohltäter gefeiert werden. Für die Einwohner von Burma ist dieses Ausschreibungs- und Auftragsverfahren unverständlich und sogar suspekt, weil der Eindruck entsteht, die Bundesrepublik finanziere ihre eigene Konkurrenz. Nicht genug damit, daß wir im eigenen Land über steigende Arbeitslosenzahlen klagen, geben wir uns auch noch weltweit der Lächerlichkeit preis und führen unsere Mitbürger in die Irre; denn, Herr Esters: Von Verantwortlichen dieser Bundesregierung und der Koalitionsparteien wird immer wieder - und Sie haben es auch getan - der Beschäftigungszusammenhang mit der binnenwirtschaftlichen Situation in der Bundesrepublik und in den Entwicklungsländern hervorgehoben und der Eindruck erweckt, Entwicklungshilfe diene der Sicherung unserer Arbeitsplätze. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie Sie sicher wissen, Herr Esters. Durch diese Ministerin wird auch die Wirklichkeit nicht im Sinne des bereits erhobenen Anspruchs beeinflußt. Sie kann das nicht. Das gilt auch für andere Bereiche. So war in der vergangenen Woche vom langsamen Tod der DEG-geförderten deutschen Hotelgesellschaft für Entwicklungsländer zu lesen. Die Touristikinvestitionen haben sich offensichtlich nicht gelohnt. Nun kann immer einmal - so meine ich - ein Projekt oder ein Projekttyp mißlingen. Das ist für sich genommen meines Erachtens keine Schande, weil Entwicklungshilfe immer mit Risiko verbunden ist; aber wenn ein Risiko wegdiskutiert oder gar - wie im Falle des Luftschiff-Tests in Ghana geschehen - die Wirklichkeit massiv entstellt wird, so haben die Verantwortlichen offenbar etwas mehr als erlittenes Pech zu verbergen. Als Beleg dafür gilt für mich der Brief des Herrn Staatssekretärs an Herrn Wüllenkemper, den Inhaber der Luftschiffgesellschaft. In seinem Brief spricht der Herr Staatssekretär davon, daß der Test positiv verlaufen sei und daß dieses alle Gutachter bestätigt hätten. Diese Darstellung, Herr Staatssekretär, ist einfach nicht wahr; ({9}) denn in allen Zeitungen hat gestanden - und ich nehme an, daß wir alle lesen können -, daß dieser Test das erwartete Ergebnis nicht bestätigt hat und wie sehr er in die Kritik der Fachleute geraten ist. Wenn die Opposition, Herr Esters, nicht aufgepaßt hätte, so würde wahrscheinlich in diesem Haushaltsplan für das Jahr 1978 ein weiterer Betrag von 20 Millionen DM zur Fortentwicklung dieses Versuches und für den Ausbau gestanden haben. Daß dies nicht gelungen ist, verdanken wir dem Luftschiff, dem die Luft ausgegangen ist. Wir warten jetzt auf das Ergebnis der Prüfung des Bundesrechnungshofes und hören, daß der Inhaber der Luftschiffgesellschaft mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden soll. ({10}) Diese Kritik, meine Damen und Herren, wird nicht um der Kritik willen vorgetragen, sondern sie muß geäußert werden, um klarzustellen, daß die Bundesregierung für das mangelnde Ansehen der Entwicklungspolitik bei den Bürgern verantwortlich ist. Der Herr Bundeskanzler hat es bislang vorgezogen, seinen Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu halten. Unsere Kritik gilt ihm deshalb gleichermaßen wie dem Minister. Aber auch in grundsätzlichen Fragen der Entwicklungspolitik macht diese Bundesregierung eine Unterstützung durch die CDU/CSU in vielen Fragen unmöglich. So heißt es z. B. im Dritten Bericht der Bundesregierung zur Entwicklungspolitik, daß die entwicklungspolitischen Anstrengungen Teil der deutschen Friedenspolitik seien. Ebenfalls im Dritten Bericht heißt es, daß für die Bundesregierung die Politik gegenüber der Dritten Welt Bestandteil der Friedenspolitik sei. In der jüngsten Erklärung des Herrn Bundeskanzler vom 19. Januar 1978 betont er, daß wir redlich an der Verminderung des internationalen Konfliktpotentials mitarbeiteten. Stimmt das? Diese Frage ist, meine ich, deshalb gerechtfertigt, weil diese Ausführungen so hehr und rein klingen, daß sich der Argwohn erst einschleicht, wenn man die Äußerungen der Bundesregierung und führender Politiker der Koalitionsfraktionen zum praktischen Anwendungsgebiet Südafrika mit den Ausführungen des Berichtes vergleicht. Wenn Frau Schlei in mehreren Äußerungen im vergangenen Jahr sich klar für die Unterstützung der SWAPO ausgesprochen hat, obwohl sie weiß oder wissen muß, daß die SWAPO erklärtermaßen mit kriegerischer Gewalt den Wandel in Südwest-Afrika herbeiführen will, dann erhalten die Worte Frieden und Friedenspolitik für uns eine neue Qualität, der die CDU/CSU nicht folgen kann. Für uns sind friedenspolitische Bemühungen nicht zu trennen von ordnungspolitischen Vorstellungen der Demokratie und ihrer Verwirklichung im demokratischen Prozeß. Soziale Gerechtigkeit und Durchsetzung der Menschenrechte können nicht mit kriegerischer Aggression erreicht werden. Wer diese kriegerische Gewalt unterstützt, macht sich mitschuldig an den Opfern in Südafrika. ({11}) Er verringert die Chancen einer möglichen Demokratie im südlichen Afrika und handelt, wie mir scheint, gegen den Frieden. Eine Unterstützung kann auch nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, ({12}) die SWAPO befände sich in einem Befreiungskampf, Herr Schmude, der einer Verteidigungssituation gegenüber einem kriegerischen Aggressor gleichkäme. Die SWAPO kämpft gegen die Unterdrückung, ohne die Unterdrücker selbst anzugreifen. Sie tötet wehrlose Menschen, von denen sie behauptet, sie befreien zu wollen. Sie läßt der Minderheitsregierung sowohl in Südafrika - ich war da - als auch in Rhodesien den Triumpf, von sich sagen zu können, daß all deren Regierungsmitglieder sich ohne polizeilichen Schutz frei im Lande bewegen könnten, ohne von jemandem angegriffen zu werden. Ich meine: Wer im südlichen Afrika für die Freiheit und gegen die Unterdrückungsstrukturen kämpft, kann dies überzeugend und mit moralischer Rechtfertigung nur tun, wenn er sich gegen die Unterdrücker selbst wendet. Wer im Namen der Befreiung wehrlose Menschen tötet, verdient nicht unsere Unterstützung. ({13}) Frau Schlei, auch in diesem Punkt - das habe ich in Ihrer Rede gehört - bin ich für Freiheit von Not und Furcht dieser bedrohten Menschen. ({14}) Wir verstehen deshalb nicht, wenn der Vorsitzende der SPD eine allgemeine Förderungswürdigkeit der Befreiungsbewegungen ohne Unterschied durch die brüderliche Umarmung auf dem Parteitag in Hamburg im vergangenen Jahr mit dem Vertreter der Patriotischen Front symbolisch besiegelt und die Politik der SPD in der Koalition damit festgeschrieben hat. Mit einer Verbrüderung der Gewalt will die CDU/CSU nichts zu tun haben. Wer Friedenspolitik so versteht, verläßt den Boden einer gemeinsamen Friedens- und Freiheitsstrategie, er ver- mehrt das Konfliktpotential und verführt unsere Bürger zu der irrtümlichen Annahme, kriegerische Gewaltanwendung sei ein Mittel zur Lösung politischer Konflikte. Was tun die CDU und die CSU? ({15}) - Das ist schon sehr viel wert, weil Sie das nicht mehr können. Wir bekennen uns zur Unterstützung nicht kriegsanwendender Befreiungsbewegungen. Sie versteht sich auf einen gleitenden Dialog mit den Verantwortlichen dieser Bewegungen zur Sicherung eines friedlichen Wandels in Südafrika. Sie sucht auch den Kontakt mit den Gruppen - das wird von Ihnen häufig bestritten -, die unter Anwendung von Gewalt den Wandel im südlichen Afrika herbeiführen wollen; nicht etwa, um sie zu unterstützen oder zu bestärken, sondern im Gegenteil, um sie zum Gewaltverzicht zu bewegen. Wir wirken auf die jetzt dort Regierenden ein, um sie von ihrer falschen Politik der getrennten Entwicklung abzubringen und sie zu drängen, endlich gemeinsam mit den schwarzafrikanischen Bürgern die Politik in den Ländern zu gestalten. Wir sind gegen eine Hetze und für den Abbau der Polarisation der Gegenkräfte. Unser Konzept für das südliche Afrika heißt: ganzheitliche Entwicklung des Menschen in seinen familiären Bezügen, seinem gesellschaftlichen Umfeld, seiner nationalen Einbindung und internationalen Partnerschaft. ({16}) Was tut die Bundesregierung? - Sie verharrt in ihrer Lethargie, Herr Schäfer, und bricht Brücken ab. Sie läßt den Parteivorsitzenden Brandt mit der Parole vom Wirtschaftsembargo gegen das südliche Afrika durch die Lande ziehen. Auch der Vorsitzende unseres Ausschusses vertritt diese Position, wohl wissend, daß ein solches Embargo den Schwarzafrikanern, denen doch geholfen werden soll, letztlich schadet. Beide sind in die Kritik Ihrer eigenen Kollegen geraten, zuletzt in die Kritik des Gewerkschaftsführers Loderer. Offenbar macht diese Ein5256 wendung auf die Koalitionsvertreter keinen Eindruck. Vielleicht aber wirkt das Wort des Herrn Bundeskanzlers, der kürzlich in Hamburg gesagt hat, daß diese Bundesregierung Nord-Süd-Politik nicht ohne Gewerkschaften machen wolle.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe so wenig Zeit.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, dann fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin neugierig, ob Herr Bundeskanzler Schmidt seine Fraktionskollegen Brandt und Holtz von der Embargo-Theorie abzubringen vermag. Die SPD macht sich mitschuldig an der Verquikkung des Nord-Süd-Konflikts mit dem Ost-West-Konflikt im südlichen Afrika, wenn sie durch ihren Vorsitzenden und gleichzeitigen Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale Ideologisierung betreibt. Wenn es im südlichen Afrika nach Herrn Brandt ginge, wäre das Fanal weiß-schwarz-rot; weiß für die Vergangenheit, schwarz für die Gegenwart und rot für die Zukunft. ({0}) - Ich möchte nicht schwarz-weiß-rot sagen, Herr Schäfer. Die Verbreitung sozialistischer Theorien behindert aber den Prozeß einer eigenständigen Entwicklung der Völker und trägt nicht zur Entwicklung konföderativer Strukturen bei. Die SPD ist immer gern und schnell dabei, von Einmischung und Kolonialismus ,zu sprechen, wenn es um die Vermittlung von marktpolitischen Prinzipien in den Ländern der Dritten Welt geht. In diesem Zusammenhang darf ich auf die interessanten Ausführungen von Herrn Holtz in seiner Rede vom 19. Juni 1973 vor dem Plenum verweisen. Ich meine aber, daß die SPD mit gleichem Maß messen sollte, wenn es um die Vermittlung sozialistischen Gedankengutes geht. In der Rohstoffpolitik hat sich die Koalition in planerisch-dirigistischen Vorstellungen festgefahren. Das Hearing zur Rohstoffpolitik und die anschließende Auswertung durch die Koalition haben gezeigt, daß die Koalition keine Kompromißbereitschaft für andere Lösungen als die eigenen erkennen läßt. Sie setzt damit den Kurs gegen die CDU/ CSU-Fraktion fort, ohne den Versuch einer Annäherung gemacht zu haben. Das haben die Koalitionsfraktionen Ende Oktober vergangenen Jahres bewiesen, als sie ihre Vorstellungen durch Beschlüsse des Deutschen Bundestages, die mit knapper Mehrheit gefaßt wurden, festschreiben ließen. In der Öffentlichkeitsarbeit geht die Bundesregierung neuerdings den Weg der Schockbehandlung unserer Bürger, eine Methode, meine Damen und Herren, die, wie ich meine, abschreckt und das wirkliche Problem nicht erfaßt. Ich weiß zwar, daß die Bundesregierung gleich auf die Zustimmungswelle zum gelungenen Projekt verweisen wird. Das ändert aber nichts an dem Problem, das da heißt: mangelndes Vertrauen unserer Bürger in die Entwicklungspolitik, das mit Vertrauenswürdigkeit_ der Politiker und Glaubwürdigkeit in der Sache wettgemacht werden muß. Die Bürger wollen nicht mehr allein über Not und Elend in der Welt informiert werden, sie wollen an den Gestaltungsprozessen in den Entwicklungsländern teilnehmen, sie wollen wissen, ob und wie wirksam Entwicklungshilfe in den Ländern der Dritten Welt ist. Wir wissen, daß der Bundesregierung solche Vertrauenswerbung schwerfällt. Sie würde Erfolg haben, wenn die Ministerin mehr als Herz zeigen würde, wenn sie von tätschelnder Betulichkeit Abstand nehmen würde. Meines Erachtens ersetzt Charme nicht den Ernst in der Sache. Ich meine, die Bundesregierung hätte Erfolg, wenn sie die Glaubwürdigkeit für ihre Entwicklungsmaßnahmen erarbeitet, indem sie ein klares Konzept anbietet und Partner gewinnt, die nicht nur ungerechte Strukturen von der Bundesrepublik aus in den Ländern der Dritten Welt beseitigen wollen. Wenn die Bundesregierung Leitbilder erarbeiten würde und politische Positionen vertreten könnte, die vom Verdacht der Ideologisierungsabsicht frei sind, würden das, meine ich, die Bürger verstehen. Was die CDU/CSU weiterhin zur Ablehnung des Haushalts bestimmt, ist die Doppelstrategie und der Streit zwischen den Verantwortlichen in der Koalition. Die Zeitungen berichten bereits offen darüber, was dem aufmerksamen Beobachter längst klar ist: Streit zwischen der Bundesregierung und der Koalition und Doppelzüngigkeit zwischen allen Partnern, Streit über Inhalte der Entwicklungspolitik bis hin zur Organisation des Ministeriums, mangelnde Abstimmung zwischen den Ministern. Nur in einem sind sich offenbar alle einig, nämlich wenn es darum geht, die sozialistische Idee weiter zu verbreiten. So hat der Ausschußvorsitzende jüngst die Bundesregierung gerügt und kritisiert, weil sie zu wenig den Kurs der von Brandt angeführten NordSüd-Kommission fördere. Ich frage Sie: Wie kann man den Kurs eines sich kosmopolitisch gebenden Globetrotters unterstützen, der in Frankfurt schon vergessen hat, was er in Afrika gesagt hat? ({1}) Wir wollen nicht mehr, sondern weniger Sozialismus in den Ländern der Dritten Welt. Streit besteht in der Koalition auch über die Direktinvestitionen. Die CDU/CSU-Fraktion ist für eine Ausweitung der Direktinvestitionen und nicht für eine Restriktion. Die vom Ausschußvorsitzenden verteidigten Vorschläge zielen aber in Wirklichkeit auf eine Restriktion ab; denn er möchte vom Staat geförderte Direktinvestitionen nur unter strengen politischen Auflagen machen. Er will Bindung, Auflagen und Kontrolle für die Investoren. Ich meine, Herr Holtz, so gewinnt man keine Freunde für die Entwicklungsarbeit. Leider paßt eine solche Richtung zur Schockbehandlung des Bürgers in der Öffentlichkeit und zerstört das Vertrauen beim Aufbau von Partnerschaften. Von diesen spricht man zwar unentwegt, aber die praktische Strategie zeigt das Gegenteil: Abhängigkeit und Indoktrination, ich meine, ein Rückschritt dieser Koalition in die Zukunft. Lassen Sie mich zum Abschluß feststellen, daß die CDU/CSU-Fraktion davon überzeugt ist, daß es mehr Gemeinsamkeit in der deutschen Entwicklungspolitik geben müsse. Hier bin ich mit Herrn Picard selbstverständlich einig und möchte Sie doch warnen, sich einer Täuschung hinzugeben, als wenn es allein damit getan sei, die einzelnen Gebiete abzufragen. Gemeinsamkeit, meine Damen und Herren, darf aber nicht verwechselt werden mit Unterwerfung unter das Diktat der SPD/FDP-Fraktion. ({2}) Eine solche Art von Gemeinsamkeit lehnen wir ab. Gemeinsamkeit ist auch abhängig vom Willen des Ministers zur Zusammenarbeit. Zusammenarbeit wird zerstört, wenn Frau Minister Schlei in herablassender Arroganz Kollegen unserer Fraktion als „außenpolitische Rocker" bezeichnet oder von „Schlägern" spricht. ({3}) Die Entwicklungspolitik wird längst an ihr vorbei von anderen Kräften betrieben, und ich werte dies und diesen Tatbestand als erste Rate des Rücktritts von Frau Schlei oder auch als Rückzug von Bundeskanzler Schmidt. Ich wollte galant sein, soweit es mir gelingt. Frau Schlei sollte den Rücktritt vollständig vollziehen, weil sie und die Entwicklungspolitik wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit wirken wie zwei Freunde, die sich nicht verstehen, wie zwei, die nie zueinander finden. Frau Minister Schlei sollte uns durch ihren Rücktritt davor bewahren, daß aus der Politik der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine Politik des wirtschaftlichen Zusammenbruchs wird. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, es liegen noch zwei kurze Wortmeldungen vor. Das Wort hat der Abgeordnete Hofmann ({0}) .

Karl Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000942, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anfangs der Aussprache zum Einzelplan 23 war ich nach den Ausführungen von Kollegen Picard der Meinung, daß wir doch noch eine gemeinsame Linie in der Entwicklungspolitik vertreten könnten. Aber das, was ich jetzt von meinem Herrn Vorredner gehört habe, reizt geradezu, in seiner Gänze besprochen zu werden. Leider bleibt mir nicht die Zeit dazu; ich will nur einen Punkt davon herausgreifen. Herr Kollege Hoffacker, Sie haben uns vorgeworfen, wir betrieben die Verbrüderung mit der Gewalt. Ist das nicht ein Vorwurf, der wie ein Bumerang auf Sie selbst zurückkommt, wenn man das Thema Südafrika und Chile anspräche und Ihr Verhältnis zu diesen Ländern? ({0}) Waren Sie jemals auf der Seite derer, die um Freiheit gerungen haben? ({1}) - Aber, meine Damen und Herren, gehen Sie doch nicht davon aus, daß wir uns 25 Minuten lang anhören müssen, was Sie uns vorwerfen, und Sie dann das nicht ertragen können, was an Erwiderung kommt. ({2}) - Natürlich, ich werde Ihnen noch etwas Richtiges sagen. Ist es denn nicht so gewesen, daß Vertreter Ihrer Parteien, vor allem der CSU, zu der Militärjunta in Griechenland viel eher Kontakt hatten als zu denen, die in Griechenland um die Freiheit gerungen haben, obwohl sie dort Konzentrationslager gebaut hat? ({3}) Das gleiche können wir in bezug auf Spanien und Portugal sagen. Deshalb wiederhole ich meine Frage: Waren Sie jemals auf der Seite derer, ({4}) die um ihre Freiheit gerungen haben? ({5}) Gerade wurde Südafrika angesprochen. Hier gibt es Völker, die um Freiheit und Selbstbestimmung im eigenen Lande ringen. ({6}) - Auch das stachelt Sie wieder auf, weil Sie nach Ordnungsprinzipien vorgehen wollen, die Vorster oder Pinochet festlegen. ({7}) Meine Damen und Herren, wir haben mit der FDP vereinbart, daß wir die Rednerzeit nicht voll ausschöpfen wollen. Ich will deshalb nicht auf die Rede meines Vorgängers eingehen, aber einen Punkt ansprechen, ({8}) der zugleich auch eine Anregung sein soll. In den letzten 30 Jahren sind über 100 neue Länder entstanden. Die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft europäischer Völker über den Lebensbereich nichteuropäischer Völkerschaften ist zu Ende gegangen. Durch diesen Vorgang sind nicht nur in Asien und in Afrika neue Staaten entstanden und neue politische Bereiche geprägt worden, sondern es sind auch Fluchtbewegungen mit religiöser, politischer und sozialer Motivation ausgelöst worden. ({9}) Hofmann ({10}) I Die Menschen, die dort geflohen sind oder vertrieben wurden, leben auf einem Teil der Erde, der durch viel unstabilere Lebensverhältnisse für die breite Schicht der Bevölkerung charakterisiert ist und wo soziale Spannungen zwischen einzelnen Gruppen viel schärfer hervortreten als in Europa. Die neue Heimat - wenn man das überhaupt so bezeichnen darf - bedeutet eine tiefgreifende Umstellung ihres ganzen Lebenszuschnitts. Ich denke dabei an die Nomaden und Hirten, die heute in Lagern ein erbärmliches Leben fristen. Ich denke an die Flüchtlinge aus bäuerlichen Landschaften, die sich in Slums und Elendsvierteln der Großstädte zusammendrängen. Wir wissen nicht, wie viele Flüchtlinge zwischen den Staatsgrenzen in der Dritten Welt hin und her irren. Denken Sie auch an die Kinder, die bei diesen Fluchtbewegungen ihre Eltern verloren haben und nun in Elendsquartieren hin- und hergeschoben werden. Wenn menschliches Leben nicht mehr als einen Armvoll Elend darstellt, dann können wir nicht ungerührt daran vorübergehen. Ein Gesundheitsdienst für diese Hilflosen wäre dringend nötig, um nur ein Beispiel zu nennen. Das Flüchtlingsproblem, das sich ursprünglich während und nach dem Zweiten Weltkrieg nur auf Europa bezog, ist nun auch in einem großen Teil Afrikas, Asiens und Amerikas anzutreffen, so daß das Mandat des Hochkommissars für Flüchtlinge bei den Vereinten Nationen mehrere Male verlängert und erweitert werden mußte und seine Aufrechterhaltung auch heute noch unbedingt notwendig ist. Die Flüchtlingsprobleme der Dritten Welt sind nicht nur eine humanitäre Verpflichtung, sondern eine Aufgabe konkreter Entwicklungspolitik. Hier muß sich unser Anspruch bewähren, eine menschenrechtsbezogene Entwicklungspolitik zu leisten. Wir Deutschen haben nach dem Zweiten Weltkrieg die Not von Flucht und Vertreibung kennengelernt. Wir haben auch die Erfahrung der Bewältigung dieser Not und sollten uns heute verpflichtet fühlen, unser Wissen und unsere Möglichkeiten helfend zum Einsatz zu bringen. Vertreter der Kinderorganisationen, der Kirchen, des Roten Kreuzes und die zahlreichen Bundeseinrichtungen haben Erfahrungen, die in der Dritten Welt dringend gebraucht werden. Ich bin aufrichtig dankbar dafür, daß Sie, Frau Minister Schlei, sich auch dieses Problems besonders annehmen wollen. Das entspricht Ihrer ganzen politischen Haltung. Ich bin daher der Meinung, hier sollte einmal freimütig ausgesprochen werden, daß Frau Minister Schlei durch ihr persönliches Engagement eine sehr menschliche Note in die Entwicklungspolitik gebracht hat. ({11}) Dabei ist vor allem zu bewundern, daß Sie, Frau Minister, diesen überzeugenden Stil auch durchgehalten haben, als er anfangs nicht überall Verständnis fand. Ich bin auch froh darüber, daß die Fraktion der SPD dieses Aufgabengebiet mit in ihre Arbeit aufnimmt und zur sachlichen Zusammenarbeit mit jedermann bereit ist. Dieses Thema, das seinen Schwerpunkt im Humanitären hat, bedarf keiner Dissonanz, hier nicht und anderswo nicht. Wer die Nächstenliebe zum Gebot seines Handelns, macht, ist aufgerufen, hier mitzuwirken. Millionen von Deutschen haben das Schicksal von Flucht und Vertreibung durchzustehen gehabt. Sie, Frau Minister Schlei, gehörten zu ihnen. Sie können der Mitarbeit unserer Fraktion sicher sein, wenn in Ihrem Ministerium die Arbeit für die Ärmsten in den ärmsten Ländern einen neuen Stellenwert erhält. ({12}) Hier könnten wir Deutschen ein Beispiel für die Entwicklungspolitik anderer Industrieländer geben, die der humanitären Verpflichtung unserer Aufgabe gerecht wird. Die SPD-Fraktion wird gemeinsam mit der Bundesregierung prüfen, wie wir aus diesem Ansatz zu konkreter Hilfe kommen können, die alle Hilfeleistungen für Flüchtlinge in den Dienst der Entwicklungspolitik der Dritten Welt stellt. Zum Schluß, Frau Präsidentin, möchte ich mich bedanken bei den Kollegen im Haushaltsausschuß für Ihre stete Aufgeschlossenheit und für. Ihr positives Mitwirken im Bereich der Entwicklungspolitik. Wenn es auch manchmal nach außen so geklungen haben mag - und wir haben das von Herrn Picard gehört -, daß in der Entwicklungspolitik hart Kontrapunkte gesetzt worden sind, so kann doch zusammenfassend gesagt werden, daß die Arbeit im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit überwiegend sachlich war und der Entwicklungspolitik diente. Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat einmütig empfohlen, dem Einzelplan 23 zuzustimmen. Ich hoffe, daß dies auch heute Gültigkeit hat. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vohrer.

Dr. Manfred Vohrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002385, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wenn der Haushalt Spiegelbild politischer Prioritäten sein soll, dann zeigen dieses Haus und die Parteien, die sich mit dem Haushalt einverstanden erklären, daß sie der Entwicklungspolitik einen hohen Stellenwert geben. Ich möchte an dieser Stelle gleich ganz deutlich machen, daß die hohe Steigerungsrate kein einmaliger Akt bleiben darf. Der Entschluß der Verdoppelung der Steigerungsrate des Haushalts im Bereich der Entwicklungspolitik im Vergleich zum Gesamthaushalt muß über Jahre hinweg durchgehalten werden, und zwar unabhängig von der konjunkturellen Situation, die es natürlich in einer rezessiven Phase leichter macht, Ausgabensteigerungen zu ermöglichen. Ein Teil dessen, was wir jetzt als Kredite nach draußen geben, kommt als Nachfrage auf den inländischen Markt zurück. Wir müssen uns bemühen, daß wir auch zukünftig unabhängig von der konjunkturellen Lage in diesem Lande den Entwicklungshaushalt überproportional steigern. Von Herrn Hoffacker ist der Anteil des Geldes angesprochen worden, das als Nachfrage wieder in Hofmann ({0}) unseren Binnenmarkt zurückströmt. Es soll auch nicht verkannt werden, daß wir uns zu dem internationalen Geldsystem bekennen, das den internationalen Handel überhaupt nur ermöglicht und nationale Abkapselungen verhindert. Man sollte auch von seiten der Opposition ganz klar erkennen, daß die Aufhebung der Lieferbindung für Warenkredite mit einer zeitlichen Verzögerung wirkt 70% auf jetzt rund 50 % zustande kam. Wenn Sie sich, Herr Picard, dazu bekennen, daß die Lieferbindung nicht eingeführt werden soll, dann sind wir auch gerne bereit, Ihren Vorschlag über Datenbanken zu diskutieren, aber unter der Voraussetzung, daß dadurch der Wettbewerb nicht ausgeschaltet wird. Wenn Sie solche Vorschläge im Ausschuß machten und nicht hier zuerst im Plenum vortrügen, dann wäre es der Weg, der parlamentarisch richtig ist und der uns deshalb auch sympathischer wäre. Herr Hoffacker, wir reden auch nicht spöttisch und schamhaft von dem 0,7-Prozent-Ziel, sondern wir geben ganz offen zu, daß wir jetzt erst auf halbem Wege sind. Wir müssen uns, wenn wir das 0,7-Prozent-Ziel erreichen wollen, einen Stufenplan zurechtlegen. Das erreichen wir mit der Polemik, die Sie hier heute gegen die Entwicklungspolitik vorgetragen haben, in absehbarer Zeit überhaupt nicht. Wenn wir uns aber dazu durchringen - und die Zahlen sind zwischenzeitlich modellhaft durchgerechnet -, den Bundeshaushalt im Bereich der Entwicklungspolitik, im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit um jährlich über 20 % zu steigern und dies für einen Zeitraum von acht Jahren, dann erreichen wir das Ziel. Dann ist es aber notwendig, daß wir den Stil von Herrn Picard in solchen Haushaltsdebatten pflegen und nicht den Rundschlag den Sie, Herr Hoffacker, uns serviert haben. ({1}) Da ich auf die Einzelprobleme, die Sie angeschnitten haben - neue Weltwirtschaftsordnung, Anzeigenkampagne usw. -, nicht eingehen möchte, darf ich für die Freien Demokraten sagen, daß wir uns sehr bemühen werden, den Konsens, der in der ersten Runde unter den Haushaltsexperten hier zum Tragen kam, auch in unserer Arbeit im Ausschuß zu pflegen, und daß wir uns sehr bemühen werden, daß nicht nur die haushaltsmäßige Gemeinsamkeit, die in der ersten Runde herrschte, die Entwicklungspolitik bestimmt, sondern daß auch in stärkerem Maße in der sachlichen Arbeit, die meist im Ausschuß gepflegt wird, Gemeinsamkeit erreicht werden kann. Wir werden jedoch Ihre entwicklungspolitische Doppelstrategie nicht akzeptieren, die einerseits haushaltsmäßig viel Verständnis für die Ansätze zeigt, andererseits aber wieder die Debatte über „Freiheit statt Sozialismus" in das Plenum bringt mit der Forderung nach dem Rücktritt- der Frau Ministerin; wir werden uns vielmehr an sachlichen Problemen mit Ihnen messen. Wir werden mit Ihnen gerade auch all die neuen Vorschläge, die Sie jetzt angedeutet haben, durchdiskutieren, um zu prüfen, ob Ihr oder unser Weg erfolgreicher sein wird. In dieser Hinsicht bin ich optimistisch. Wir haben bislang international auch wesentlich mehr Unterstützung für unseren Weg, was die neue Weltwirtschaftsordnung betrifft, als für die sehr sporadisch vorgetragenen Elemente wie Datenbanken usw. gefunden. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Richtung, die von der Bundesregierung und den Koalitionsparteien eingeschlagen wurde, erfolgreicher sein wird und daß wir deshalb im entwicklungspolitischen Bereich den Wettbewerb mit Ihnen nicht scheuen müssen. Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre Doppelstrategie aufgeben würden und wenn Sie sich mit den Ausführungen von Herrn Picard stärker identifizieren könnten und dem Einzelplan 23 - Entwicklungspolitik - Ihre Zustimmung geben könnten. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23: Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht - Drucksache 8/1376 Berichterstatter: Abgeordneter Picard Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer Einzelplan 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe die Punkte III bis V der Tagesordnung auf: III. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 1974 über die Verbreitung der durch Satelliten übertragenen programmtragenden Signale - Drucksache 8/1390 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Rechtsausschuß IV. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Oktober 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Island über die gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten - Drucksache 8/1358 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß Vizepräsident Frau Renger V. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altölgesetzes - Drucksache 8/1423 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Innenausschuß Finanzausschuß Es handelt sich um von der Bundesregierung zur ersten Beratung vorgelegte Gesetzentwürfe. - Dazu wird das Wort nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. - Ich vernehme keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt VI auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Agrarbericht 1977 - Drucksachen 8/80, 8/81, 8/1350 Berichterstatter: Abgeordneter Kiechle Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ausschuß empfiehlt, den Agrarbericht 1977 der Bundesregierung - Drucksachen 8/80 und 8/81 - zur Kenntnis zu nehmen. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt VII auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) zum Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung des Agrarberichts 1977 der Bundesregierung - Drucksachen 8/306, 8/1351 Berichterstatter: Abgeordneter Kiechle Auch hierzu wird das Wort nicht gewünscht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag mit der Maß. gabe anzunehmen, daß der vorletzte Absatz für erledigt erklärt und im letzten Absatz das Wort „enge" gestrichen wird. - Im Haus gibt es keinen Widerspruch. Dann ist auch dies so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt VIII auf: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft „ehemalige Gallwitz-Kaserne" in Ulm an die Stadt Ulm - Drucksache 8/1352 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Das Wort wird auch hierzu nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. - Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Wir kommen jetzt zu Punkt IX der Tagesordnung: Beratung der Sammelübersicht 17 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 8/1415 Auch hierzu wird das Wort nicht gewünscht. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/1415 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte X und XI auf: X. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Entwurf einer Richtlinie des Rates über bestimmte Erzeugnisse für die Tierernährung Vorschlag einer dritten Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/524/EWG über Zusatzstoffe in der Tierernährung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 74/63/EWG über die Festlegung von Höchstgehalten an unerwünschten Stoffen und Erzeugnissen in Futtermitteln und zur Änderung der Richtlinie 70/373/EWG über die Einführung gemeinschaftlicher Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die Untersuchung von Futtermitteln - Drucksachen 8/833, 8/1353 - Berichterstatter: Abgeordneter Oostergetelo XI. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung ({6}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({7}) Nr. 2772/75 über Vermarktungsnormen für Eier - Drucksachen 8/814, 8/1420 - Berichterstatter: Abgeordneter Marquardt Die Berichterstatter wünschen das Wort nicht. Es wird auch nicht das Wort zur Aussprache gewünscht. Ist das Haus einverstanden, daß wir über diese Punkte gemeinsam abstimmen? - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf den Drucksachen 8/1353 und 8/1420. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so angenommen. Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.