Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Es liegt Ihnen folgende Liste von Vorlagen vor - Stand: 22. November 1977 -, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Betr.: UNESCO-Empfehlung über die Fortentwicklung der
Weiterbildung ({0})
zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({1}), Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Betr.: Faktenbericht 1977 zum Bundesbericht Forschung
({2})
zuständig: Ausschuß für Forschung und Technologie ({3}), Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, Haushaltsausschuß
Betr.: Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 06 40 Tit. 671 04
- Kosten der Rückführung von Deutschen Bezug: § 37 Abs. 4 BHO ({4})
zuständig : Haushaltsausschuß
Betr.: Überplanmäßige Ausgabe für Investitionszuschüsse
nach dem Investitionszusdhußgesetz bei Kap. 25 02 Tit. 882 03
Bezug: § 37 Abs. 4 BHO ({5})
zuständig: Haushaltsausschuß
Betr.: Haushaltsführung 1977
hier: Zustimmung zu überplanmäßigen Haushaltsausgaben
bei Kap. 11 10 ({6})
Bezug: § 37 Abs. 4 BHO ({7})
zuständig: Haushaltsausschuß
Erhebt sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 22. November 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrich, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bundesministerium für Forschung und Technologie ({8}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1253 verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 22. November 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrich, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU betr. Aufgaben der Bundesregierung im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik ({9}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1252 verteilt.
Überweisungen von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({10}) Nr. 316/68 zur Festsetzung von Qualitätsnormen für frische Schnittblumen und frisches Blattwerk ({11})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Mitteilung über Vorschläge der Kommission für die Programme 1978 für eine Hilfe in Form von Getreide, Magermilchpulver und Butteröl ({12})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({13}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen ({14}) Nrn. 3050/76, und 3051/76 zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte Spinnfasern und Oberkleidung für Männer und Knaben, der Tarifnummern 56.04 und 61.01 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Zypern ({15}) ({16})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({17}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({18}) Nr. 316/77 zur Einführung eines Antidumpingzolls für Fahrrad-, Moped- und Kraftradketten mit Ursprung in Taiwan ({19})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
über die Unterstützung gemeinschaftlicher Vorhaben zur
Exploration von Kohlenwasserstoffen ({20})
zur Durchführung der Verordnung ({21}) über die Unterstützung gemeinschaftlicher Vorhaben zur Exploration von Kohlenwasserstoffen ({22})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({23}), Ausschuß für Forschung und Technologie mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({24}) des Rates zur Festsetzung der repräsentativen Umrechnungskurse in der Landwirtschaft ({25})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({26}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({27}) Nr. 1279/77 des Rates über die Aussetzung der Anwendung der durch die Verordnungen ({28}) Nr. 3230/76, Nr. 3231/76, Nr. 3233/76, Nr. 3234/76 und Nr. 3235/76 festgesetzten Richtplafonds für die Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in Osterreich, Finnland, Norwegen, Portugal und Schweden ({29})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Jahresbericht über die Wirtschaftslage der Gemeinschaft ({30})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({31}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({32}) des Rates
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Feigen der Tarifstelle ex 08.03 B des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien ({33})
Präsident Carstens
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben der Tarifstelle 08.04 B I des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien ({34}) ({35})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({36}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({37}) Nr. 1035/72 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse und der Verordnung ({38}) Nr. 26/69 über Sondermaßnahmen zur Förderung der Verarbeitung bestimmter Apfelsinensorten ({39})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({40}) des Rates
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Sherry-Weine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien ({41})
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Malaga-Weine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien ({42})
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftskontingents für Jumilla-, Rioja- und Valdepenas-Weine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Spanien ({43}) ({44})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates betreffend die Beihilfen für den Schiffbau ({45})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({46}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend eine Nahrungsmittelhilfe in Form von. Magermilchpulver und Butteroil zugunsten von Indien für die Durchführung des Vorhabens ,,Operation Flood" ({47})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({48}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Überweisung einer Zollvorlage
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:
Aufhebbare verkündete Achtunddreißigste Verordnung zur
Änderung der Außenwirtschaftsverordnung ({49})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
rechtzeitige Vorlage des Berichts dem Plenum am 16. März 1978
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. Juni 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus
- Drucksache 8/1204 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({50})
Innenausschuß
Das Wort zur Einbringung hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf dem kleinen, aber erlesenen Kreis, der sich zur frühen Morgenstunde zu diesem Punkt hier versammelt hat, zur Einbringung folgendes vortragen:
Die Entführung und das tragische Ende von Hanns Martin Schleyer sowie die Entführung der „Landshut" und die glückliche Rettung ihrer Passagiere haben uns in aller Deutlichkeit erneut vor Augen geführt, daß sich die Aktivität der Terroristen nicht auf die Bundesrepublik beschränkt. Die grenzüberschreitende Tätigkeit der Terroristen und die enge Kooperation terroristischer Gruppen über viele Länder hinweg machen deshalb eine internationale Zusammenarbeit der Staaten bei der Bekämpfung des Terrorismus dringend notwendig.
Im Rahmen dieser .internationalen Strafverfolgungsmaßnahmen kommt den Tätern, die politische Motive für sich in Anspruch nehmen, der im Auslieferungsrecht international weithin bestehende Grundsatz zugute, daß die Auslieferung eines Straftäters nicht zulässig ist, wenn der ersuchte Staat die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat als eine politische Straftat ansieht. In diesen Fällen darf zwar Rechtshilfe geleistet werden, der ersuchte Staat ist hierzu jedoch nicht verpflichtet. Dies führt häufig zu einer rechtlichen und tatsächlichen Besserstellung von Tätern, die politische Motive für sich in Anspruch nehmen. Denn in Fällen der Nichtauslieferung wird eine Strafverfolgung im Aufenthaltsstaat regelmäßig dadurch erschwert wenn nicht gar unmöglich gemacht, daß die erforderlichen Beweismittel dort nicht verfügbar sind oder daß es an einer gesetzlichen Zuständigkeit für die Strafverfolgung in diesen Fällen überhaupt mangelt.
Um sicherzustellen, daß auch solche Straftäter bei bestimmten schweren und gefährlichen Straftaten abgeurteilt werden, hat eine vom Europarat auf eine gemeinsame französisch-deutsche Initiative hin im Mai 1975 bei einer europäischen Justizministerkonferenz in Obernai eingesetzte Arbeitsgruppe unter maßgeblicher deutscher Beteiligung das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus erarbeitet. Dieses ist am 27. Januar 1977, also nach knapp eindreiviertel Jahren für europäische Verhältnisse ist das ein ungewöhnlich kurzer Zeitraum -, in Straßburg von den Vertretern von 17 Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet und zwischenzeitlich von Österreich und Schweden auch bereits ratifiziert worden. Mit der Ratifizierung durch ein drittes Land - dies würde dann die Bundesrepublik sein - würde dieses Abkommen in Kraft treten.
Nach diesem Übereinkommen darf die Auslieferung wegen einer Reihe von Straftaten, die ihrer Art und ihrer Zielsetzung nach häufig als terroristische Handlungen anzusehen sind, künftig nicht mehr allein mit der Begründung abgelehnt werden, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Tat sei als eine politische Straftat oder als eine mit einer solchen politischen Straftat zusammenhängende Tat, als eine sogenannte Zusammenhangstat, oder als eine auf politischen Beweggründen beruhende Tat anzusehen.
Im einzelnen werden von dem Übereinkommen erfaßt: Luftpiraterie und andere Gewaltakte gegen die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs, schwere Angriffe auf das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit von Personen, die unter dem besonderen Schutz des Völkerrechts stehen, Entführung, Geiselnahme und schwere Freiheitsberaubung und ganz allgemein Straftaten, bei deren Begehung Bomben, Handgranaten, Raketen, automatische Schußwaffen oder Sprengstoff verwendet und dadurch Personen gefährdet werden.
Falls ein Vertragsstaat die einer solchen Straftat verdächtige Person nicht ausliefert, etwa weil es sich um einen Staatsangehörigen des betreffenden Staates handelt, dann ist er verpflichtet, seine Strafgerichtsbarkeit notfalls durch Gesetzesänderung auf derartige Fälle zu erstrecken und den Fall ausnahmslos und unverzüglich seinen zuständigen Behörden zum Zweck der Strafverfolgung zu übergeben - Art. 6 und 7 des Entwurfs. Schließlich sind die Vertragsstaaten verpflichtet, sich in Strafverfahren wegen der hier in Rede stehenden Straftaten die größtmögliche Rechtshilfe zu gewähren.
Verschiedentlich ist darauf hingewiesen worden, daß das mit dem Übereinkommen erstrebte Ziel, im europäischen Auslieferungsverkehr bei bestimmten schweren Straftaten die Berufung auf den politischen Charakter der betreffenden Straftat irrelevant werden zu lassen, nicht uneingeschränkt erreicht worden ist. Dieser Hinweis trifft leider zu. Nach Art. 13 Abs. 1 können sich Mitgliedstaaten das Recht vorbehalten, eine Auslieferung wegen einer einschlägigen Gewalttat im Hinblick auf ihren politischen Charakter abzulehnen. Sie sind jedoch dann gehalten, die Gesamtumstände, welche die Tat ganz oder überwiegend als eine solche des allgemeinen Strafrechts kennzeichnen können, in Betracht zu ziehen: die Schwere der Tat, die Gefahr, die für Leib und Leben herbeigeführt worden ist, die Opfer, die die Tat gefordert hat, und die Mittel, deren sich der Täter bediente.
Diese Einschränkung ist die Folge unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Regelungen in einzelnen Mitgliedstaaten. Einzelne Mitgliedstaaten müßten ihre Verfassung ändern, wenn dieser Vorbehalt nicht aufgenommen wird. Auch die in dem Übereinkommen ursprünglich vorgesehene Bestimmung, wonach die Vertragsstaaten keine weiteren Vorbehalte als den eben von mir beschriebenen machen können, war letztlich leider nicht durchsetzbar.
Die Bundesregierung hat das Übereinkommen aber auch mit diesen Einschränkungen akzeptiert, da es seine Wirksamkeit nur dann voll entfalten kann, wenn ihm möglichst viele Mitgliedstaaten des Europarats beitreten. Da zudem die Verpflichtung des die Auslieferung ablehnenden Staates, ein eigenes Strafverfahren gegen den Beschuldigten einzuleiten, bestehen bleibt, falls er nicht ausliefert, wird das Ziel, ein strafrechtliche Verfolgung derartiger Täter in weiterem Umfange als bisher sicherzustellen, dennoch erreicht.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann noch nicht konkret gesagt werden, ob und welche Staaten von der Möglichkeit, Vorbehalte zu erklären, Gebrauch machen werden. Ich weise darauf hin, daß die Vertreter mehrerer Europaratstaaten bei Gelegenheit der Unterzeichnung des Übereinkommens erklärt haben, ihr Land werde keinen über Art. 13 Abs. 1 hinausgehenden Vorbehalt machen. Auch der Vertreter der Bundesregierung hat eine solche Erklärung, daß keine Vorbehalte in Anspruch genommen werden, abgegeben. Die österreichische Regierung hat bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde auf jegliche Vorbehalte verzichtet. Auch die Bundesregierung schlägt vor, bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde keine Vorbehalte für die Bundesrepublik zu erklären.
So viel zur rechtlichen Bedeutung des Abkommens, die trotz der von mir vorgetragenen Einschränkungen als durchaus erheblich bezeichnet werden muß.
Noch weiter reicht jedoch die Bedeutung der Konvention auf dem politisch-moralischen Gebiet. Die Konvention zeigt doch, daß sich die Staaten, die sie unterzeichnet haben und jetzt ratifizieren, zu den gleichen Grundsätzen bekennen, nämlich zu der uneingeschränkten, unbedingten Anerkennung der Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention, daß sie die Menschenrechte hochhalten, achten und schützen. Darin liegt zugleich die Anerkennung einer weitgehenden grundsätzlichen Übereinstimmung der Staats- und Gesellschaftsordnungen der Europarats-Staaten und die moralische Legitimation für die gemeinsame Ächtung und Bekämpfung des Terrrors. Die Vertragsstaaten sagen damit im Ergebnis nicht mehr und nicht weniger, als daß sich der Terrorismus nicht nur gegen die Ordnung des jeweils betroffenen Landes, sondern gegen eine gemeinsame europäische Ordnung richtet. Gerade deshalb bitte ich namens der Bundesregierung um die baldige Verabschiedung des Vertragsgesetzes, damit das Abkommen mit der Ratifizierung durch die Bundesrepublik Deutschland alsbald in Kraft treten kann. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Helmrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. Juni 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus und seine Entstehungsgeschichte hat der Herr Bundesminister der Justiz beschrieben. Lassen Sie mich zu dem unter recht schwierigen Umständen - der Herr Minister hat darauf hingewiesen - zustande gekommenen Übereinkommen ein paar Ausführungen machen.
Es handelt sich um ein Auslieferungs- und ein Rechtshilfeabkommen. Wir haben zwei umfassende Auslieferungstatbestände. Den Art. 1 mit den einzelnen Straftaten hat der Herr Minister der Justiz ebenfalls beschrieben. Diese Auslieferungstatbestände sind so, wie sie in Art. 1 und Art. 2 gefaßt sind, für sich genommen zunächst sicher ein nicht unerheblicher Fortschritt. Das gleiche gilt für den Tatbestand in Art. 8 für die Frage der Rechtshilfe.
Der Minister hat jedoch nur eine der Einschränkungen genannt, und zwar den Vorbehalt in Art. 13. Ich weise darauf hin, daß das allgemeine Asylrecht, wie es in Art. 5 und Art. 8 Abs. 2 zum Ausdruck kommt, ebenfalls eine Einschränkung bedeutet.
Man könnte sich mit diesen Vorbehalten, so schwerwiegend sie auch sind, zufrieden geben, da in dem Übereinkommen eine Auffangsituation da4532
Helmrich
durch geschaffen worden ist, daß auch in den Fällen in denen aus politischen Gründen nicht ausgeliefert wird, der Staat, der ausliefern sollte, verpflichtet wird, die Strafbarkeit dieser Tatbestände bei sich zu begründen und dann auch für die Bestrafung der Täter im eigenen Land zu sorgen.
Nur hat der Herr Bundesminister - darauf möchte ich aufmerksam machen - bei seinem Bericht nicht darauf hingewiesen, daß selbst dieses Auffangnetz von dem zur Auslieferung an sich verpflichteten Staat dadurch zerrissen werden kann, daß der Art. 14 ein völliges Novum enthält, nämlich ein Recht zur fristlosen Kündigung, das sogar dann ausgeübt werden kann, wenn schon ein Auslieferungsantrag gestellt worden ist.
Die Situation läßt sich also dahin beschreiben: zunächst eine Auslieferungsverpflichtung, dann eine Rechtshilfeverpflichtung, beide durchlöchert von Vorbehalten, diese Vorbehalte wiederum eingeschränkt durch die Verpflichtung, selbst den Täter zu bestrafen; aber wenn der Staat, der ausliefern soll, auf keinen Fall ausliefern will, kann er noch nach Stellung des Auslieferungsantrags das Abkommen - und das ist ein Novum - fristlos kündigen. Wir alle hoffen, daß dies niemals geschieht. Aber wir haben hier ein Abkommen vor uns, das - und dies muß dem Haus deutlich gesagt werden - in jedem Stadium eines Auslieferungsverfahrens von dem Staat, der partout nicht ausliefern will, in der Luft zerrissen werden kann. Diese Bedenken müssen vorgetragen werden. Ich hoffe aber, daß das Übereinkommen niemals fristlos gekündigt wird. Damit hoffe ich auch, daß wir mit dem Übereinkommen einen kleinen Schritt auf europäischer Ebene weiterkommen. Ich verkenne nicht die Schwierigkeiten, die international bei der Angleichung des Strafrechts auftreten. Wir appellieren jedoch an alle Unterzeichnerstaaten, von der Möglichkeit der fristlosen Kündigung nach Art. 14 niemals Gebrauch zu machen.
Ich gehe mit dem Herrn Bundesminister darin einig, daß diesem Abkommen ein großes politisches und moralisches Gewicht zukommt. Lassen Sie mich abschließend gerade wegen dieser politischen und moralischen Bedeutung des Abkommens für die Staaten etwas zu den Gemeinsamkeiten sagen, die wir immer bei der Terrorismusbekämpfung und heute zwischen den europäischen Staaten beschwören. In den letzten Monaten haben wir, wenn man einmal vom Kontaktsperregesetz absieht, intern zwar oft zusammengesessen; aber gemeinsame Beschlüsse sind dabei leider nicht herausgekommen.
({0})
- Herr Emmerlich, Sie werden mir doch wohl recht geben. Wenn man sich die Protokolle von den Sitzungen des Rechtsausschusses der letzten Wochen und Monate ansieht, dann muß man feststellen, daß Entscheidungen weitgehend verschleppt worden sind.
({1})
Nehmen Sie nur die Protokolle der beiden Sondersitzungen, die wir während der Sommerpause verlangt haben. Diese Sondersitzungen sind erst zustande gekommen, nachdem wir zugesichert hatten,
keine Abstimmung zu beantragen. Wir haben dann Woche um Woche um Abstimmungen gerungen, und als wir endlich soweit waren, haben Sie die Abstimmung durch einen Geschäftsordnungsantrag verschoben.
({2})
Das ist möglicherweise deshalb geschehen, um zunächst einmal über Ihren Parteitag hinwegzukommen, um dem Parteivolk nicht deutlich machen zu müssen, wie schwer der Entscheidungsprozeß innerhalb der Koalitionsfraktionen und innerhalb der SPD-Fraktion selbst ist.
({3})
Ich sprach von den Gemeinsamkeiten. Herr Emmerlich, wir reden hier über die Terrorismusbekämpfung. Dazu gehört aber nicht nur, daß wir im Großen Krisenstab etwas gemeinsam tragen, daß wir eine solche zwischenstaatliche Vereinbarung gemeinsam tragen, sondern dazu gehört auch, daß wir gemeinsam Dinge tragen, die wir seit Wochen und Monaten beraten, bei denen Sie jedoch Abstimmungen und Entscheidungen verhindern, vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil Sie angesichts der anerkannt großen Taten von Mogadischu auf Ihrem Parteitag noch einmal singen wollten: „Wir lagen vor Mogadischu und hatten Ben Wisch an Bord." Das muß deshalb einmal deutlich gesagt werden, weil wir uns seit Wochen und Monaten quälen, zu Entscheidungen zu kommen.
Auf der gleichen Ebene liegt das Gerede, daß Sie den Rechtsstaat schützen und wir ihn verunsichern wollten. Ich habe immer das Gefühl, daß diejenigen, die in diesem Zusammenhang so viel vom Rechtsstaat reden, während ihres Studiums nur Vorlesungen über Rechtssoziologie gehört, aber bei den Staatsrechtsvorlesungen gefehlt haben. Diese Randbemerkung wollte ich zum Abschluß noch machen.
Meine Damen und Herren, es hat keinen Sinn, nach Gemeinsamkeiten auf europäischer Ebene, nach zwischenstaatlichen Gemeinsamkeiten, zu rufen und diese hier zu beschwören, wenn wir in diesem Hause nach vier- bis fünfmonatiger Beratung im Rechtsausschuß, wo wir unsere Vorschläge vorgelegt haben, nicht in der Lage sind, zu Entscheidungen zu kommen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Sieglerschmidt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Veranstaltung heute morgen findet ja unter „strengster Geheimhaltung" statt. Insofern will ich meinem Vorredner nachsehen, was er zum Schluß gesagt hat. Ich möchte zu diesem nicht zum Thema gehörenden Gegenstand nur sagen: Daß wir gemeinsam handeln können, hat das Kontaktsperregesetz bewiesen. Im übrigen erfordern Gesetze, bei denen es um eine sehr schwierige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit für unsere Bürger geht, eine sehr sorgfältige Behandlung. Die
Zeit, die dafür notwendig ist, sollen und werden wir uns nicht nehmen lassen.
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Zeitraum zwischen der Unterzeichnung von Verträgen, Abkommen und Übereinkommen und der Einleitung des Ratifikationsverfahrens durch die Bundesregierung gibt - das muß ich leider sagen, Herr Bundesminister der Justiz - oft zur Klage Anlaß. Es dauert oft sehr lange, jahrelang, bis es zur Vorlage der Ratifikationsgesetze kommt. Ich verkenne nicht, daß immer eine Reihe von Gründen dafür vorhanden ist. In dem einen Fall handelt es sich um die Notwendigkeit einer entsprechenden innerstaatlichen Gesetzgebung als Voraussetzung, im anderen Fall um anderes. Dennoch sind häufig so lange Zeiträume nicht gerechtfertigt. Wir haben gerade vorgestern im Rechtsausschuß ein anderes Europäisches Übereinkommen behandelt: Es ist am 6. Mai 1969 unterzeichnet worden, Herr Präsident, und jetzt behandeln wir das Ratifizierungsgesetz. Ich habe die Bundesregierung auch deswegen in diesem Saal schon getadelt.
Um so mehr freue ich mich, sie in diesem Falle besonders loben zu können, denn die Vorlage dieses Ratifikationsgesetzes ist mit geradezu atemberaubender Schnelligkeit erfolgt. Wie der Herr Bundesminister der Justiz schon gesagt hat, ist am 27. Januar das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus unterzeichnet worden; bereits acht Monate später, Ende September, wurde es dem Bundesrat zugeleitet, und zwei Monate später haben wir es zur ersten Lesung im Bundestag.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat schon darauf hingewiesen, daß uns dennoch zwei Vertragsstaaten mit der Ratifikation zuvorgekommen sind, nämlich Osterreich und Schweden. Ich möchte mich seinem Appell anschließen, daß die anderen Vertragsstaaten - das sind alle Mitgliedstaaten des Europarates außer Irland und Malta - dieses Abkommen auch möglichst bald ratifizieren, das trotz der Schwierigkeiten und Bedenken, die hier zu Recht vorgetragen worden sind, seine große Bedeutung behält.
Dieses Übereinkommen geht davon aus, daß in Staaten, die Vertragsparteien der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sind, normalerweise, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, keine politischen Verfolgungen unter dem Deckmantel des Strafrechts stattfinden. Ich möchte deshalb von dieser Stelle aus die dringende Erwartung aussprechen, daß die anderen Vertragsparteien des Übereinkommens von den Ausnahmeregelungen der Art. 5 und 8, die hier schon erwähnt worden sind, wirklich nur im äußersten Falle Gebrauch machen - es ist theoretisch vorstellbar, daß so etwas einmal eintritt - und daß sie, wie es die Bundesregierung bereits angekündigt hat, davon absehen, einschränkende Vorbehalte auf Grund des Art. 13 zu machen; denn, meine sehr verehrten Damen und Herren - ich sage das nicht an Sie gerichtet, sondern nach draußen -, Terroristen werden in unseren Ländern nicht wegen ihrer fragwürdigen politischen Motive verfolgt, soweit sie überhaupt solche haben, sondern wegen ihrer schwerkriminellen Handlungen.
Trotz der Bedenken, die hier hinsichtlich einzelner Punkte geäußert worden sind, meine ich doch, das dieses Übereinkommen alles in allem deswegen ein beträchtlicher Fortschritt ist, weil es, wenn es in Kraft getreten sein wird, die volle Anwendung des Grundsatzes „aut dedere aut judiciare", also entweder ausliefern oder vor Gericht stellen, garantiert. Ich möchte hier jedoch deutlich sagen, daß nach dem Abkommen und, wie ich hoffe, dann auch in der Praxis die Auslieferung den Vorrang haben muß. Der Herr Bundesminister der Justiz hat es schon erwähnt, aber ich möchte es noch einmal unterstreichen: Die Strafverfolgung in dem jeweiligen Aufenthaltsland eines geflüchteten Täters ist in aller Regel aus praktischen Gründen, insbesondere wegen der Frage der Verfügbarkeit und Beibringung von Beweismitteln, erschwert.
Die Bundesregierung wird voraussichtlich der dritte Vertragsstaat sein, der ratifiziert. Damit kann das Abkommen in den Staaten, die es ratifiziert haben, in Kraft treten. Nicht zuletzt deshalb möchte ich mich dem Wunsch anschließen, daß das Ratifikationsverfahren möglichst bald abgeschlossen werden sollte. Gewiß ist dieses Abkommen keine Wunderwaffe bei der Bekämpfung des Terrorismus; aber wer wollte schon in diesem schwierigen Bereich auf sogenannte Wunderwaffen hoffen? Es kommt vielmehr darauf an, allseitige umfassende Bemühungen in vielen einzelnen Schritten vorzunehmen. So gesehen ist das Übereinkommen ein nützliches Instrument, um auf die internationale Herausforderung des Terrorismus durch internationale Regelungen zu antworten. Wenn schon die entschrechenden Bemühungen in den Vereinten Nationen leider nur sehr langsam vorankommen, dann sollten wenigstens die Europäer handeln.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Kollege Helmrich, wenn Sie mit Gemeinsamkeit meinen, daß die FDP-Fraktion die Vorschläge der Opposition pauschal und in Eile übernehmen soll, dann haben wir eine unterschiedliche Vorstellung von der Erzielung von Gemeinsamkeit.
({0})
Wir meinen, daß in dieser Frage, die heute eigentlich nicht zur Debatte steht, die Sie aber angesprochen haben, Sorgfalt, Ruhe und Geduld nottut, um die Vorstellungen aller in diesem Bundestag vertretenen Fraktionen zu beraten und zu behandeln. Sie täten gut daran, unsere Vorstellungen auch in Ruhe und Geduld zu betrachten und abzuwägen. Dies möchte ich zu diesem Problem sagen. Aber es ist heute nicht unsere Aufgabe, darüber zu diskutieren.
Wolfgramm ({1})
Unsere Aufgabe ist es heute, zu überlegen, wie wir den internationalen Terrorismus bekämpfen können. Die Fraktion der Freien Demokraten meint, daß diese europäische Konvention sicher nicht ein optimaler, aber ein erster Schritt dazu ist. Die Konvention schränkt den Begriff der politischen Straftat oder der politisch motivierten Straftat ein. Selbst wenn sie -- das ist sowohl vom Justizminister als auch vom Kollegen Sieglerschmidt aufgezeigt worden - sicher eine Menge von Lücken enthält, so meinen wir doch, daß es besser ist, eine Vielzahl von Staaten in eine solche Konvention zu integrieren, als eine perfektionistischere oder umfassendere Regelung vorzuziehen, die sich dann allerdings nur auf sehr wenige erstrecken würde.
Wir meinen, daß der internationale Terrorismus aber nicht nur mit polizeilichen Maßnahmen bekämpft werden kann und darf, sondern daß das Problem - das ist ein eminent politisches Problem - auch darin besteht, daß es einige nationale Staaten gibt, die den Terrorismus entweder als zielgerecht gefördertes oder als geduldetes Mittel oder Werkzeug benutzen. Wir sind alle aufgerufen - auch die Staaten, die diese Konvention unterzeichnet haben -, uns ganz engagiert gegen diesen Einsatz der Politik zu wenden und alles zu unternehmen, um hier eine Änderung bei diesen Staaten herbeizuführen.
Ich will nicht im einzelnen auf die Konvention eingehen; dies ist hier schon im Detail vorgetragen worden. Für uns Freie Demokraten ist das Ziel die Einheit Europas. Darauf haben wir auch an dieser Stelle immer wieder hingewiesen. Diese Konvention ist ein Schritt weiter in diese Richtung. Sie ist ein Schritt weiter in der Bekämpfung des Terrorismus. Mit dieser Konvention sind wir bei beiden Zielen ein Stück vorangekommen.
Wir hoffen, daß die Beratungen zügig vorangehen, damit sich die Bundesrepublik rasch in den Kreis derer begibt, die dieses Abkommen ratifizieren.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/1204 an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Innenausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Böhm ({0}), Dr. Marx und der Fraktion der CDU/CSU
Beschwerdestelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr
- Drucksache 8/1070 -.
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({1}) Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Haushaltsausschuß
Zur Begründung des Antrags hat der Abgeordnete Böhm ({2}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Ziel des Ihnen auf Drucksache 8/1070 vorgelegten Antrags der CDU/CSU-Fraktion ist es, beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen eine Beschwerdestelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr einzurichten. Diese Beschwerdestelle soll in Zusammenarbeit mit der betroffenen Bevölkerung alle Zurückweisungen von Reisenden an der Zonengrenze, alle Einreiseverweigerungen bei Tagesaufenthalten und sonstigen Reisen in die DDR sowie Schikanen und Behinderungen im Reisever- kehr einschließlich des Transitverkehrs nach Berlin erfassen. Das gleiche gilt für Behinderungen des Post- und Telefonverkehrs und andere Probleme, die sich aus innerdeutschen Kontakten ergeben.
Die meisten Abgeordneten dieses Hauses haben in ihren Wahlkreisen, in den Sprechstunden und Versammlungen immer wieder Klagen von Bürgern entgegenzunehmen, in denen sich diese über Behinderungen und Schikanen im innerdeutschen Reiseverkehr beschweren. Auf die Rückfrage, welcher Dienststelle innerhalb der Bundesrepublik Deutschland die betroffenen Bürger bisher Mitteilung von solchen Schikanen und Beschwerden gemacht haben, ergibt sich allzuoft die Feststellung, daß die Bürger nicht wissen, an wen sie sich in solchen Fällen wenden sollen.
So beklagte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 6. September 1977 im Zusammenhang mit der Zurückweisung von Besuchern, die zur Leipziger Herbstmesse fahren wollten, die Bundesregierung könne nicht genau angeben, wie viele Personen von dieser Einreisesperre betroffen seien, denn sie kenne diese Zahl nicht. Wenn Proteste bei der DDR Substanz haben sollten, dann wäre es dringend erforderlich, daß Bonn endlich dem Vorbild Berlins folge und eine Beschwerdestelle einrichte, die Zurückweisungen registriere. Abschließend stellt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" fest, es wäre wünschenswert, wenn auch der Bundesregierung bekannt wäre, was tatsächlich im innerdeutschen Reiseverkehr geschehe.
({0})
In der Tat ist es notwendig, daß eine systematische Erfassung aller Behinderungen und Schikanen im innerdeutschen Reiseverkehr erfolgen kann. Die wohlklingenden Formulierungen der verschiedensten Abmachungen mit der DDR stehen häufig im Gegensatz zur Praxis.
So heißt es beispielsweise im Transitabkommen, daß der Transitverkehr - ich zitiere - „in der einfachsten, schnellsten und günstigsten Weise erfolgen solle, wie es in der internationalen Praxis vorzufinden sei". Die Erfahrungen zeigen jedoch, daß die tatsächlichen Wartezeiten an DDR-Kontrollpunkten für den Straßenverkehr zwischen Berlin ({1}) und dem übrigen Bundesgebiet als mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar empfunden werden müssen. Aufenthaltszeiten von häufig einer halben und nicht selten bis zu einer vollen Stunde selbst an Tagen mit durchschnittlichem Verkehrsaufkommen
Böhm ({2})
sind mit der genannten Formulierung des Transitabkommens nicht vereinbar.
Es kommt uns darauf an, daß solche Verstöße gegen das Transitabkommen mit der gleichen Sorgfalt registriert werden wie spektakuläre Einzelfälle von Zurückweisungen und sonstigen Behinderungen auf den Transitwegen. Schikanöse Verkehrskontrollen auf den Transitwegen oder unerklärliches Verhalten von DDR-Polizeifahrzeugen belästigen gelegentlich die Benutzer der Transitwege.
Neben den Klagen über unvertretbar lange Wartezeiten an Zonengrenzübergängen sind es besonders Probleme im Telefonverkehr sowie im Postverkehr, die von den Bürgern in beiden Teilen Deutschlands beklagt werden. Unvertretbar lange Laufzeiten von Postkarten, Briefen, Paketen und anderen Postsendungen aus der DDR, Zurückweisungen von Paketen und Päckchen sowie das Verschwinden von Postsendungen gehören zum innerdeutschen Alltag.
Nehmen wir ein Beispiel: Ein Bürger aus Frankfurt beklagt sich, daß seine Postkarte aus einem sächsischen Ausflugsort vom 23. August 1976 bis zum 30. August 1976 unterwegs war. Ein Brief aus einer sächsischen Großstadt mit Stempel vom 3. September 1976 traf schließlich am 13. September 1976 in Frankfurt ein. Eine andere Postkarte vom 17. September 1976 erhielt der Empfänger am 24. September 1976.
Meine Damen und Herren, ich habe vor einiger Zeit hier im Bundestag in der Fragestunde das Problem des Verschwindens von Paketen angesprochen. und die Bundesregierung hat mir bestätigt, daß die Dunkelziffer, also die Zahl der Pakete, von denen nicht bekannt geworden ist, daß sie verschwunden sind, erheblich ist und daß sich die Bundesregierung wünsche, daß die Bürger innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, die Pakete in die DDR senden, auch tatsächlich den Verlust oder das Nichtankommen solcher Pakete bekanntmachten. Eine solche Beschwerdestelle, wie wir sie heute vorschlagen, wäre die richtige Stelle dafür, das Verschwinden von Postsendungen zu registrieren; denn bisher - das hat die Bundesregierung in der Fragestunde zugegeben - gibt es eine solche Dunkelziffer verschwundener Pakete.
({3})
Meine Damen und Herren, aber auch in Vermögensfragen, Erbschaftsangelegenheiten, bei der Beschaffung von Dokumenten, im Zahlungsverkehr und bei den Bemühungen, z. B. Grundbuchauszüge aus der DDR zu erhalten, entstehen den Bürgern durch das Verhalten der DDR-Behörden Probleme, ebenso in Renten-, Sozialversicherungs- und Versorgungsangelegenheiten.
Die immer wieder vorkommende Ablehnung von Reisen in dringenden Familienangelegenheiten durch die DDR steht ebenso im Gegensatz zu den Verträgen wie die zahllosen Probleme im Zusaminenhang mit der Familienzusammenführung und der Übersiedlung von Bewohnern der DDR in die Bundesrepublik Deutschland.
Es ist daher dringend nötig, daß in Zusammenarbeit mit der betroffenen Bevölkerung alle diese Behinderungen innerdeutscher Kontakte sorgfältig erfaßt und als Grundlage für Verhandlungen mit der DDR dokumentiert werden, damit auf die Beendigung dieser anomalen Zustände hingewirkt werden kann.
({4})
Zur Zeit weiß der Bürger nicht, an welche Behörde er sich mit Beschwerden wenden soll. Die Informationsbroschüre des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen „Reisen in die DDR" bringt nicht einen einzigen Hinweis auf eine solche Beschwerdemöglichkeit.
Die Broschüre „Reisen nach und von West-Berlin" desselben Ministeriums hingegen weist gleich auf die Anschriften von drei verschiedenen Ministerien hin, an die sich der Bürger wenden kann, wenn er sich durch die Maßnahmen der DDR-Behörden beschwert fühlen sollte. Neben dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen wird auf den Bundesminister für Verkehr und auf das Bundesministerium des Innern verwiesen.
Eine andere Broschüre schließlich, die sich „77 praktische Tips" nennt, ebenfalls vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen herausgegeben ist und „für Besucher in der DDR und aus der DDR sowie für andere Kontakte hier und dort" bestimmt ist, gibt fünf verschiedene Anschriften bekannt, bei denen die Bürger Auskünfte in diesen Fragen erhalten können, nämlich das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, das Gesamtdeutsche Institut, den Bevollmächtigten der Bundesregierung in Berlin und das Informationsamt des Berliner Senats. Ferner heißt es im Text dieser Broschüre - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -:
Wenn Sie sich in einer Behörde der DDR unrichtig behandelt fühlen, so können Sie sich beim jeweiligen Dienstvorgesetzten beschweren. Eine weitergehende Beschwerde ist allerdings auch für Bewohner der DDR nicht möglich. Sie können sich dann nur noch mit der Bitte um Hilfe an eine Behörde in der Bundesrepublik Deutschland oder an unsere Ständige Vertretung in Berlin ({5}) wenden.
({6})
Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, daß die betroffenen Bürger es bei einem solchen Wirrwar der Beschwerdemöglichkeiten und angesichts der lapidaren Feststellung, eine Beschwerde in der DDR sei eigentlich überhaupt nicht möglich, lieber bleiben lassen und ihren Zorn und ihre Verbitterung mit sich herumtragen.
Das wirkt sich schließlich auf die Bereitschaft, in die DDR zu fahren, negativ aus.
({7})
Ich bin überzeugt, daß die DDR mit Schikanen, Behinderungen und Nadelstichen bewußt das Ziel ver4536
Böhm ({8})
folgt, die innerdeutschen Kontakte zu behindern. Neben den hohen Kosten, die dem Bürger für Visa, Straßenbenutzungsgebühren und Zwangsumtausch entstehen, werden somit künstlich neue Schranken gegen den innerdeutschen Reiseverkehr aufgerichtet. Die Bürger fühlen sich abgeschreckt, und so ist es kein Wunder, daß beispielsweise von den 6,5 Millionen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland, die in dem Bereich wohnen, der für Tagesaufenthalte in der DDR zugelassen ist, im vergangenen Jahr nur 445 000 - das sind Weniger als 7 % - von der Möglichkeit eines Tagesaufenthalts in der DDR tatsächlich Gebrauch gemacht haben, wobei diejenigen, die mehrfach gefahren sind, nicht einmal mit erfaßt sind.
({9})
- Da sind Sie bei mir genau richtig! Ich fahre häufig in die DDR, und ich hoffe, Sie tun das auch. Ein Kollege von Ihnen hat mir diese Frage schon einmal bei anderer Gelegenheit gestellt und ist damit genauso hereingefallen wie Sie eben.
Meine Damen und Herren, diesen systematischen Versuchen der DDR, unter Verstoß gegen die geschlossenen Verträge die innerdeutschen Kontakte so weit wie irgend möglich zu beschränken, muß die Bundesregierung eine systematische Erfassung solcher Behinderungen entgegensetzen.
({10})
In Berlin ({11}) gibt es übrigens auf Grund eines Antrages der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 22. Juni 1972 eine Zentralstelle für Ost-West-Fragen, die vom Senator für Inneres eingerichtet wurde. Ich nehme an, daß Sie unserem Antrag heute ebenso zustimmen, wie seinerzeit im Abgeordnetenhaus von Berlin dieser Antrag der CDU auf Einrichtung einer solchen Stelle von Ihnen mit angenommen worden ist.
Diese Stelle in Berlin hat die Aufgabe, Meldungen und Erkenntnisse über Vorkommnisse im West-OstWest-Verkehr - wie es offiziell heißt - möglichst lückenlos zu erfassen, auszuwerten und weiterzuleiten sowie der Bevölkerung zentral für die Beratung und Betreuung in allen mit dem West-Ost-West-Verkehr zusammenhängenden Fragen zur Verfügung zu stehen.
Der Berliner Senator für Inneres, Ulrich, hat erst vor kurzem dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Lummer, die Mitteilung gemacht, eine dem in West-Berlin eingerichteten Büro vergleichbare Stelle befinde sich beim Bundesminister für Verkehr in Bonn. Meine Damen und Herren, diese Stelle muß sicherlich sehr gut getarnt sein, da niemand von ihrem Vorhandensein weiß. Sie ist so gut getarnt, daß sie selbst dem Staatsminister Wischnewski bisher noch nicht bekannt ist, denn er hat erst kürzlich in einem Brief an den Vorsitzenden der Berliner CDU-Fraktion, Lummer, festgestellt, eine solche Zentralstelle wäre gar nicht geeignet, der Bundesregierung zusätzliche Informationen zu übermitteln, ja sie könnte möglicherweise dazu führen, daß die Bundesregierung von manchem Abkommensverstoß keine Mitteilung erhielte.
Meine Damen und Herren, was herrscht hier eigentlich für ein Durcheinander, für ein Wirrwarr? Wer müßte eigentlich dafür sorgen, daß hier endlich eine Zentralstelle eingerichtet wird? Ich meine, der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen müßte es tun, aber er überläßt eine solche Initiative wieder der CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses.
({12})
Wir sind der Auffassung, daß die Einrichtung einer zentralen Beschwerdestelle von großem Vorteil für die betroffenen Bürger und für die Bundesregierung wäre, die für ihre Verhandlungen mit der DDR dann endlich hieb- und stichfestes, unangreifbares Material erhielte.
Im Frühjahr dieses Jahres hat die Bundesregierung in mehreren Tageszeitungen in der Bundesrepublik Deutschland eine Telefonaktion gestartet, in der Mitarbeiter des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Auskünfte über Fragen, die mit innerdeutschen Kontakten zusammenhängen, gaben. Diese Aktion war erfolgreich, und sie wird von uns ausdrücklich begrüßt, weil sie genau auf der Linie liegt, die wir heute mit unserem Antrag vertreten. Was wir wollen, ist eine Institutionalisierung der Beschwerdemöglichkeit und zugleich eine Stelle, die Auskünfte in allen Fragen der innerdeutschen Beziehungen regelmäßig unter einer genauen Adresse für jeden Bürger erteilen kann. Eine solche Beschwerdestelle wäre eine Institution der Bürgernähe. Sie würde Vertrauen schaffen und würde der Förderung der innerdeutschen Kontakte wesentlich dienen. Mit unserem Antrag wollen wir einen konstruktiven Beitrag zum Ausbau der innerdeutschen Beziehungen leisten. Wir wollen dazu beitragen, daß der Alltag der innerdeutschen Beziehungen verbessert wird. Eine Beschwerdestelle wäre ein wichtiges Instrument bei der Praktizierung der mit der DDR geschlossenen Abkommen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, hören Sie auf die Beschwerden der Bürger! Geben Sie sich nicht allein dem Rausch steigender Reisezahlen hin, sondern seien Sie sich ständig bewußt, daß die Bundesrepublik Deutschland für den innerdeutschen Reiseverkehr hohe Preise gezahlt hat! Die staatliche Anerkennung der DDR, Hunderte von Millionen harter D-Mark und anderes wurden als Preise gezahlt. Für diesen hohen Preis können und müssen die Menschen in beiden Teilen Deutschlands eine gute Ware verlangen, die nicht durch Schikanen und Behinderungen in ihrem Wert herabgesetzt werden darf. Wir alle wollen mehr Reisen in die DDR. Wir alle wollen, daß mehr Bürger aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland reisen können und dürfen. Der Abbau von Schikanen ist dazu eine der grundsätzlichen Voraussetzungen. Die von uns verlangte Beschwerdestelle ist ein Instrument dazu. Die Bundesregierung sollte die von uns vorgeschlagene Möglichkeit einer Erfassung aller Schikanen und Behinderungen ergreifen und die Chance nutzen, die Bürger systematisch über alle Problembereiche der innerdeutschen Beziehungen im konkreBöhm ({13})
ten Einzelfall aufzuklären, auch dann, wenn das, was dabei zutage gefördert werden sollte, im Gegensatz zu den Wunschvorstellungen der Bundesregierung steht.
Wir bitten Sie, unserem Antrag zuzustimmen und damit einen Beitrag zur Verbesserung innerdeutscher Kontakte zu leisten.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An sich rennt der Antrag, den Sie hier stellen, offene Türen ein. Auf der anderen Seite wird er eine ganze Menge Türen zuschlagen. Es ist die Frage, ob eine einzige Beschwerdestelle, von der Sie in Ihrem Antrag ja sprechen, das ersetzen kann, was in dieser Beziehung seit langem praktisch läuft. Der Bundesminister des Innern gibt Monatsberichte heraus - seit 1971 werden sie auch dem Innerdeutschen Ausschuß zugestellt; Herr Dr. Gradl wird sie schon ebenso wie Herr von Wrangel in Empfang genommen haben -, aus denen ersichtlich ist, in welchem Umfang Beschwerden letztlich beim Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen landen und bearbeitet werden. Wenn Sie eine Stelle schaffen, schaffen Sie ja erst einmal nur einen Apparat. Das kostet Geld. Dieses Geld wird man auch übrig haben. Aber all die Wege, die es jetzt gibt, werden Sie versperren. Der Beamte an der Übergangsstelle wird die Beschwerden nämlich nicht mehr annehmen, wie er es heute tut, sondern er wird sagen: „Schreiben Sie mal an die Beschwerdestelle; da haben Sie die Adresse!" Sie verlängern den Weg und werden viele davon abhalten, sich zu beschweren. Die Möglichkeit, die an den Grenzübergängen jetzt besteht, werden Sie damit verschließen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})?
Ja, bitte.
Herr Kollege Mattick, ich darf Sie fragen, wie Sie zu der Auffassung kommen, daß die Einrichtung einer Beschwerdestelle die Beamten an den Grenzübergängen von der Entgegennahme diesbezüglicher Beschwerden abhalten soll. Meinen Sie nicht, daß es der Bundesregierung kraft ihrer Organisationsgewalt ohne weiteres möglich ist, alle Beamten an den Grenzübergangsstellen zu verpflichten, der Beschwerdestelle im Wege der Amtshilfe alles weiterzuleiten, was sie von den Bürgern erfahren?
({0})
Genau das geschieht jetzt.
({0})
Auf diese Art bekommt die Regierung alle Meldungen, die sich aus Beschwerden von Bürgern ergeben.
Wenn aber jetzt eine Beschwerdestelle neu geschaffen wird, dann wird der einzelne Beamte nach allen Erfahrungen, die wir von Preußen und Deutschland haben, diese Aufgabe nicht mehr übernehmen. Wenn es aber so ist, dann kann man sich diese Stelle doch sparen; denn sie kostet Geld und kompliziert den Vorgang.
({1})
Insofern ist mir nach dem, was wir an Material vorliegen haben, das ja auch Ihnen zur Verfügung steht und bekannt ist, nicht klar, warum Sie einen solchen Antrag stellen.
Herr Kollege Böhm, Sie haben mit der Mitteilung begonnen, daß Sie in Ihrer Sprechstunde solche Beschwerden bekommen. Die vielen Wege, die dem Bürger heute möglich sind, Beschwerden z. B. gleich bei seinem nächsten Bürgermeister, bei seiner nächsten Polizeistelle vorzubringen, schließen Sie mit einer Beschwerdestelle zu. Sie werden weniger erreichen als heute.
({2})
Der Ältestenrat hat eine Überweisung an den Innerdeutschen und den Postausschuß empfohlen. Wenn wir uns darauf verständigen, wird die Regierung noch einmal in der Lage sein, vor dem Ausschuß sehr viele Einzelheiten darüber darzulegen, wie es heute ist. Ich möchte vorher betonen, daß wir unter dieser Voraussetzung keinesfalls darauf eingehen werden, eine neue Stelle zu schaffen, die zentralisiert, was heute über alle möglichen Wege an die Regierung herangetragen und gleichzeitig bearbeitet wird.
({3})
Ich möchte nur noch einmal sagen: Wie es heute läuft,
({4})
wird jeder Besucher der DDR oder jeder Besucher Berlins da, wo er Sorgen, Schwierigkeiten hat, diese unmittelbar weiter berichten; und dies werden wir mit einer Beschwerdestelle verschließen. Insofern ist das kein guter Beitrag; denn es existieren ja schon Beschwerdestellen, und das innerdeutsche Ministerium verarbeitet die Meldungen auf dem Wege, der der beste, der kürzeste und der eindrucksvollste ist. Das sollten wir so belassen.
Aber wir werden nicht gegen die Überweisung stimmen.
({5})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von Herrn Kollegen Böhm begründete Antrag auf Einrichtung einer Beschwerdestelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr soll Fürsorge ausdrücken und ein Gefühl von Bürgernähe
verbreiten. Bei näherem Hinsehen entblättert sich diese Initiative aber als reine Windbeutelei.
({0})
Die Beschwerden auslösenden Ärgernisse und Fehlleistungen der DDR-Behörden sind nämlich ganz sicher nicht mit mehr Bürokratie zu unterbinden.
({1}) Es kommt vielmehr darauf an
({2})
- Herr Böhm, bleiben Sie ruhig, Sie werden noch alles hören -, die bereits bekannten einzelnen Tatbestände in das innerdeutsche Gespräch einzuführen und bei den Verhandlungen konsequent zu verfolgen.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Böhm?
Wenn es unbedingt sein muß, Herr Präsident, bitte.
Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Hoppe, kann ich Ihr Plädoyer gegen angeblich mehr Bürokratie - wo es doch darum geht, die Bürokratie zu überwinden, die zur Zeit stattfindet, und dafür zu sorgen, daß alle Probleme zentral angesprochen und registriert werden - so auffassen, daß Sie die in Berlin eingerichtete zentrale Auskunfts- und Beschwerdestelle aufzulösen gedenken? Denn die wäre dann ja nach Ihrer Meinung überflüssig.
Verehrter Herr Kollege Böhm, ich hatte Ihnen schon die Empfehlung gegeben, noch etwas zu warten; denn daß ich auf den von Ihnen herangezogenen, aber völlig verfehlten Vergleich zu sprechen kommen werde, durften Sie schließlich erwarten. Ich darf Sie also bitten: Haben Sie noch Geduld. Wir sollten uns überhaupt mit etwas mehr Geduld zuhören. Dann kämen wir vielleicht auch zu besseren Ergebnissen in der Politik.
({0})
Nur wenn wir auf der Grundlage der geschlossenen Vereinbarungen unsere Vertragsposition beharrlich verteidigen, wird es gelingen, die DDR zu einem vertragskonformen Verhalten zu bringen und die Willkür zu stoppen. Mit der Einrichtung neuer Dienststellen wird man das nicht bewirken, Herr Kollege Böhm.
({1})
Im übrigen leiden wir nämlich gar nicht an einem Informationsmangel. Die Fakten sind hinreichend bekannt, und die notwendigen Gegenoperationen sind auf der Gesprächsebene mit der DDR längst eingeleitet.
Worum geht es denn hier eigentlich? Es gibt in der Tat eine Vielzahl unbegründeter Entscheidungen der Behörden der DDR im Reiseverkehr. Besonders die Zahl der Einreiseverweigerungen hat sich im letzten Jahr drastisch erhöht.
({2})
Die eigenwillige Auslegung abgeschlossener Vereinbarungen durch die DDR kann und wird nicht hingenommen werden. Die DDR will auf Teilgebieten offenbar von bisherigen Zugeständnissen wieder loskommen. Eine solche Art der Vertragspolitik werden wir der DDR nicht durchgehen lassen. Mit Sicherheitsargumenten und dem abwiegelnden Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten kann diese kritische Diskussion deshalb auch nicht abgewürgt werden.
Aber der Sachverhalt, um den es hier geht, bedarf nicht erst der Aufklärung. Schon vor dem Zeitpunkt der Antragstellung haben Pressemitteilungen des zuständigen Ministeriums deutlich gemacht, daß das Gesamtdeutsche Institut die Beschwerdefälle dokumentiert und einzeln zum Zwecke der Intervention gegenüber der DDR aufbereitet.
({3})
- Verehrter Herr Kollege Jäger, ich darf Sie auch ganz persönlich ansprechen: Daß das dann auch tatsächlich geschehen ist, dürfte Ihnen wie allen kundigen Thebanern hinlänglich bekannt sein. Schließlich ist der ständige Vertreter der Bundesregierung bei der DDR der Regierung in Ost-Berlin gerade durch diese Aktivitäten mächtig auf die Nerven gegangen. Die Bundesregierung drängt also auf die Wiederherstellung einer Praxis, nach der getroffene Absprachen im Sinne normaler, gutnachbarlicher Beziehungen angewandt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})?
Bitte : Jäger ({0}) ({1}) : Herr Kollege Hoppe, wenn es so ist, wie kommt die Bundesregierung dann dazu, uns auf verschiedene Anfragen - einige davon hat der Kollege Böhm ja zitiert - zu erklären, daß sie bestimmte Fälle von Zurückweisungen, von Schikanen nicht kenne, weil sie nicht erfaßt seien?
Verehrter Herr Kollege Jäger, sie können natürlich dann nicht erfaßt sein - und würden auch einer Beschwerdestelle nicht bekannt sein -, wenn der Betroffene sich überhaupt nicht meldet.
({0})
- Herr Kollege Böhm, er würde es viel eher wissen, füge ich nun hinzu, wenn für das Gesamtdeutsche Institut, für die vorhandene Einrichtung ein bißchen mehr Öffentlichkeitsarbeit betrieben würde
und wenn sich alle Abgeordneten - Sie eingeschlossen - an diesem Stück Aufklärung beteiligen würden.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) ?
Immer, Herr Präsident.
Herr Kollege Hoppe, wie können Sie sagen, daß sich die Bürger an die Stellen wenden sollen, die bereits vorhanden sind, wenn, wie der Kollege Böhm dargelegt hat, in der Broschüre des innerdeutschen Ministeriums überhaupt keine Stelle genannt ist, an die sich der Bürger wenden soll?
({0})
Ich habe soeben - wenn sie genau zugehört hätten, verehrter Herr Kollege Jäger, wäre Ihnen das nicht entgangen - die Aufforderung und den Appell, auf die Bürger etwas überzeugender einzuwirken und sie auf ihre Möglichkeiten hinzuweisen, nicht nur an die Abgeordneten, sondern auch an die zuständigen Stellen der Bundesregierung gerichtet. - Meine Damen und Herren, es ist für mich jedenfalls nur schwer vorstellbar, daß wir mit der DDR zu der gewünschten und angestrebten Ausweitung der vertraglichen Beziehungen kommen, wenn und solange die Durchführung der geschlossenen Vereinbarungen Anlaß zu Beanstandungen gibt.
Auch der Postverkehr - der Kollege Böhm hat darauf durchaus mit Recht hingewiesen - zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gibt Anlaß zu Kritik und Beschwerden. Die Verluste im Paketverkehr und bei Einschreibsendungen liegen weit über dem, was international als üblich und vertretbar angesehen wird. Selbst wenn die Paketverluste nicht mehr die sensationelle Höhe der Jahre 1966 bis 1970 erreichen, so handelt es sich nach wie vor um eine absolut unvertretbare Größenordnung.
Aber auch auf diesem Problemfeld braucht die Bundesregierung nicht erst zum Faktensammeln angehalten zu werden. Das zuständige Ministerium hat die Zahlen parat und ist in einem Dauergespräch längst um eine Änderung des anomalen Zustandes mit den Behörden der DDR bemüht.
Was im übrigen von unserer Seite getan werden konnte, um den Zollbehörden der DDR keinen Vorwand für Beschlagnahmungen zu liefern, ist ebenfalls geschehen. Die Bevölkerung wurde durch Merkblätter über die geltenden Vorschriften informiert. Auch dieses Thema wird die Bundesregierung bei ihren Sondierungen, Gesprächen und Verhandlungen nicht aus dem Auge verlieren.
Wenn die DDR gerade auf diesem Gebiet höhere finanzielle Forderungen geltend macht, wird es sie nicht überraschen, wenn bei den Fragen nach Leistung und Gegenleistung auch über ihre Leistungsmängel gesprochen wird. Die DDR jedenfalls wird ihren Kontrollmechanismus wohl einmal gründlich durchlüften müssen, damit der peinliche „Schwund" im Paket- und Postverkehr endlich der Vergangenheit angehört.
({0})
Meine Damen und Herren, durch neue Dienststellen sind bessere Ergebnisse nicht zu erzielen. Und nun wird auf das Vorbild Berlin verwiesen. Verehrter Herr Kollege Böhm, schon Schopenhauer hat gemeint, für sein Tun und Lassen solle man keinen anderen zum Vorbild nehmen; sonst paßt das, was man selber tut, nicht zu dem, was man ist.
({1})
Und auf diesen Sachverhalt angewandt, bedeutet dies: Berlin hat in Angelegenheiten der innerdeutschen Politik nur eine sehr eingeschränkte Zuständigkeit. Nach dem Viermächteabkommen, dem Grundlagenvertrag und dem Verkehrsabkommen ist Berlin, wie wir alle wissen, nur in Fragen des Besuchsverkehrs und in den technischen Angelegenheiten des innerstädtischen Bereichs eine Verhandlungskompetenz eingeräumt worden. Es kann deshalb in Berlin auch keine Senatsverwaltung für innerdeutsche Angelegenheiten geben. So ist es nur allzu verständlich, daß der Senat sich diese Beschwerdestelle als zuarbeitende Stelle geschaffen hat. Die Bundesregierung hat dagegen bei ihrer Verhandlungszuständigkeit eine Vielzahl von zuständigen Fachressorts, die sich dieser Aufgabe widmen müssen. Darüber hinaus hat sie mit dem Gesamtdeutschen Institut einen großen Dienstleistungsbereich geschaffen, der auch den Fachressorts zuarbeitet. Hier ist also jene Behörde vorhanden, die sich Berlin erst mit einer Sondereinrichtung mühsam schaffen mußte.
({2})
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich durch sachkundige Kollegen in Ihrer Fraktion einmal beraten ließen. Ich könnte mir denken, daß es aus der Sicht der Haushaltskontrolle fachlich fundierte Einsichten für diesen Bereich gibt. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß wir alle, aber gerade auch die Kollegen Ihrer Fraktion - ausgestattet mit den Erkenntnissen des Rechnungshofes -, bisher der Meinung waren, daß die Personalausstattung in diesem Bereich ausreichend ist. Dies war bisher jedenfalls immer zu hören, und ich habe dem nicht widersprochen. Insofern sollten wir in den Fraktionen und innerhalb des Parlaments eigentlich zu einer einheitlichen Meinungsbildung gelangen können.
Ich meine daher, der Antrag ist ein wenig erfreuliches Beispiel für parlamentarischen Aktionismus um jeden Preis. Es wäre gut, wenn wir darauf verzichten könnten. Herr Kollege Böhm, Sie haben zwar
mit der Begründung des Antrags Ihre Riesenwelle am offenen Scheunentor drehen können,
({3})
aber das allein kann einen solchen Antrag doch nicht rechtfertigen.
({4})
Diesen Antrag bereits in der ersten Lesung abzulehnen, wäre keine parlamentarische Unfreundlichkeit. ({5})
Aber dennoch werden wir der Überweisung an den Ausschuß gern zustimmen, um der Opposition Gelegenheit zur Einsicht zu geben. Wir sind davon überzeugt, daß Sie nach einer Beratung im Ausschuß selber zu der Auffassung gelangen, daß der Antrag dort für erledigt zu erklären ist.
({6})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die hier vorgetragene Begründung für diesen Antrag veranlaßt mich, doch ein klein wenig ausführlicher auf das Problem einzugehen. Das hätten Sie sich ersparen können, wenn Sie von Ihren Kenntnissen über die Möglichkeiten, die wir hier geschaffen haben, Gebrauch gemacht hätten.
Lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, noch einmal das gesamte Problem darzustellen, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstehen kann, durch Ihre besondere Wachsamkeit sei nun ein großer Mangel behoben. Ich verweise auf folgendes.
In den sieben Jahren Verhandlungs- und Vertragspolitik mit der DDR stand von Anfang an die Regelung praktischer und humanitärer Fragen im Vordergrund, insbesondere die Bemühungen, Kontakte und Begegnungen zwischen den Menschen in beiden deutschen Staaten zu ermöglichen oder zu erleichtern. Gerade in den beiden Bereichen, die die Antragsteller in ihrem Vorschlag angesprochen haben, nämlich im Reise- und im Postverkehr, sind im Zusammenhang u. a. mit dem Verkehrsvertrag, dem Grundlagenvertrag und den Postvereinbarungen täglich erfahrbare Verbesserungen wirksam geworden. Diese Politik, schrittweise Vereinbarungen zu schaffen, die den Menschen hüben und drüben helfen, wurde von Ihnen, der Opposition, sieben Jahre lang in Frage gestellt, und die Ergebnisse wurden ignoriert.
Gestatten Sie mir nun, mit einer gewissen Genugtuung festzustellen, daß wir alle inzwischen von den
Vorteilen dieser Vertragspolitik schon so sehr Besitz genommen haben, daß die Opposition heute damit beschäftigt ist, die Bundesregierung zu fragen, warum es in diesem oder jenem Fall zu Schwierigkeiten gekommen ist. Das ist immerhin eine beachtliche Veränderung Ihrer Betrachtungsweise.
Leider ist es durchaus zutreffend, daß den Millionen von Kontakten und Begegnungen Einzelfälle gegenüberstehen, in denen es zu Schwierigkeiten oder Behinderungen gekommen ist. Beides - sowohl die positive Gesamtentwicklung wie auch die zeitweisen Rückschläge oder Probleme im Einzelfall - gehört zu unserer Wirklichkeit. Damit müssen wir uns tatsächlich beschäftigen. Das kriegen wir nicht durch Beschlüsse, die wir hier fassen, weg, sondern wir haben es mit einem Partner zu tun, der zu all diesen Fragen eine eigene Vorstellung und eine eigene Verhaltensweise einbringt. Durch noch so lautes Geschrei in diesem Haus oder anderswo ist dem nicht beizukommen, wie wir ja in vielen Jahren erlebt haben, sondern nur durch dieses sachliche und behutsame Bemühen, dem wir uns unterzogen haben. Ich glaube, wir sollten dabei bleiben.
Diese unsere Wirklichkeit muß man, glaube ich, noch ein klein wenig mehr beleuchten. Zu unserer Wirklichkeit gehört auch, daß man nicht über Mängel reden kann, ohne eine Gesamtbilanz zu ziehen. In den fünf Jahren nach Inkrafttreten des Verkehrsvertrags haben mehr als doppelt so viele Reisen von Westdeutschen in die DDR stattgefunden wie in dem Vergleichszeitraum vorher, nämlich 13,3 Millionen Reisen gegenüber 6,3 Millionen. In diesem Vergleichszeitraum haben außerdem 25 % mehr Reisen von Rentnern aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland stattgefunden, und rund 210 000 jüngere, noch nicht im Rentenalter stehende Bewohner der DDR konnten aus dringendem familiären Anlaß zu uns kommen, die vor dem Verkehrsvertrag diese Möglichkeit einer Besuchsreise nicht hatten.
Nun mögen Sie sagen, die Zahlen reichten nicht aus. Wir haben aber doch einen Schritt voran getan und das in Übereinstimmung mit der DDR bewirkt. Wenn Sie das ignorieren wollen, dann versprechen Sie sich bitte keine weiteren Erleichterungen und Verbesserungen.
({0})
Dann spielen Sie diese Rolle ruhig weiter. Wir lassen uns dadurch nicht beeindrucken. Ich bitte Sie herzlichst, die Kompliziertheit dieses Ganzen zu sehen.
({1})
- Doch! Es ist ein Grund! Gerade Sie, Herr Kollege Jäger, sind doch mit Fleiß dabei, zu versuchen, immer wieder nur die Mißstände aufzuzeigen, bei denen es doch gar keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und uns darüber gibt, daß wir sie abstellen wollen.
({2})
- Sie ignorieren das Positive und das Konkrete, um immer einen Buhmann für die Auseinandersetzung hier zu haben.
({3})
Auch im Bereich des Post- und Fernmeldewesens lassen sich die Erleichterungen mit Zahlen belegen.
({4})
- Hören Sie doch ruhig zu! Ich weiß ja, daß Sie das nicht gern haben. Sie hätten das ja nicht vom Zaun zu brechen brauchen. Aber verlassen Sie sich drauf: Jede Debatte, die Sie hier heraufbeschwören,
({5})
wird von uns mit den Ergebnissen unserer Politik bedient, die wir nur in Verbindung und in Übereinstimmung mit der DDR in diesem Bereich bewirken können.
Auch im Bereich des Post- und Fernmeldewesens lassen sich, wie ich sagte, die Erleichterungen und Verbesserungen belegen.
({6})
- Lassen Sie mal! Ich komme noch auf all diese Dinge. Sie müssen sich das hier anhören. Ich weiß, daß Ihnen das nicht behagt.
({7})
Im Fernsprechverkehr z. B. ist die Zahl der Leitungen von 34 im Jahr 1970 schrittweise auf 719 im Jahr 1976 erhöht worden, also in sechs Jahren auf mehr als das Zwanzigfache. Die Vermehrung der Zahl der Leitungen und die Verbesserung der Betriebsweise ermöglichten es, daß statt 700 000 Gesprächen im Jahr 1970 im vergangenen Jahr bereits 10 Millionen Gespräche allein in West-Ost-Richtung geführt wurden. Wie Sie wissen, wird mittelfristig bis zum Jahre 1902 die Zahl der Leitungen um weitere 702 Leitungen erhöht und auch die Betriebsweise weiter verbessert.
({8})
Im Paketverkehr ist der Rückgang der Verluste und der Zurückweisung von Sendungen besonders hervorzuheben.
({9})
So ist die Zahl der angemeldeten Verluste im Jahre 1976 gegenüber 1972 um 44 % zurückgegangen. Die Fälle von Zurückweisungen haben im ersten Halbjahr 1977 gegenüber dem ersten Halbjahr 1973 um 94 % abgenommen.
Dem einzelnen Betroffenen, .der Schwierigkeiten im Post- und Reiseverkehr erfahren hat, ist selbstverständlich mit diesen statistischen Angaben über die positive Gesamtentwicklung nicht geholfen. Die Bundesregierung hat sich deshalb mit demselben Nachdruck um die Regelung eines jeden Einzelfalles, der an sie herangetragen wurde, gekümmert,
({10})
wie sie andererseits um die Verbesserung der allgemeinen Praxis bemüht war, ist und bleiben wird. Es gibt daher keinen Grund, die positiven Ergebnisse zu verstecken, und keinen Anlaß, die Ernsthaftigkeit dieser Bemühungen zu bezweifeln.
({11})
- Herr Böhm, können Sie das wirklich aufrechterhalten, was Sie soeben dazwischengerufen haben?
({12})
- Ihre Kollegen und Sie selber schreiben mir fast Woche für Woche Briefe und bringen darin die Beschwerden, die an sie herangetragen worden sind, vor. Wir gehen den Dingen nach, und Sie bekommen Antwort. Sie bekommen in vielen Fällen sogar die Antwort, daß die vorgetragenen Beschwerden abgestellt worden sind oder daß sie, soweit das nicht geschehen ist, in die Verhandlungen mit einbezogen werden. Das können Sie doch wohl nicht in Abrede stellen. Oder soll ich Ihnen in Zukunft sagen: Es hat keinen Sinn, darauf zu antworten, weil sie nicht auf einen Briefbogen von einer Beschwerdestelle beantwortet werden? Es ist doch wohl allerhand, wenn Sie meinen, in dieser Weise den Problemen gerecht werden zu können.
({13})
- Sie sind nicht die alleinige Adresse. Nun hören Sie doch endlich einmal zu. - Die Kollegen, die vor mir hier gesprochen haben, haben schon versucht, Ihnen deutlich zu machen,
({14})
daß wir ein viel größeres Netz von Anschriften draußen haben, um jede Beschwerde auch von denjenigen entgegenzunehmen, die nicht wissen, wie die Organisation hier im einzelnen aussieht. Jeder Beamte, jede Stelle, ob es ein Bürgermeister oder sonst jemand ist, denen Beschwerden unterbreitet werden, finden einen Weg. Manchmal mag er langwierig sein.
({15})
Aber wollen wir denn voraussetzen, daß der Beschwerdeführer unbedingt alle Merkblätter, die wir herausbringen, bis ins einzelne liest? Es genügt doch, wenn er sich an einen Abgeordneten oder an irgendeine öffentliche Stelle wendet und diese es nach oben weitergibt. Das läuft alles bei- uns zusammen, und das seit Jahr und Tag.
Die Bundesregierung hat eine sehr sinnvolle Organisationsform entwickelt, um durch Koordination
auch wirklich jede Beschwerde zu erfassen und in ihre praktische Politik mit einzubeziehen. Warum wollen Sie diese Dienststelle dann noch Beschwerdestelle nennen? Wir greifen Beschwerden auf, wir gehen den Dingen nach. Aber das brauchen wir doch nicht zu institutionalisieren, um noch mehr Stellen zu schaffen, an die man sich wenden kann.
Wir verstehen uns alle als Empfänger von Beschwerden. Auch der Verkehrsminister trägt, gleichgültig, um wen es sich handelt, mit dazu bei, die . an ihn herangetragenen Einzelanliegen an die zuständigen Stellen weiterzugeben. Eine Beschwerdestelle müßte sie ja auch weitergeben. Wenn es sich um Verkehrsprobleme handelt, muß sich konkret das Verkehrsministerium über die Kontakte, die es hat, um die Behebung von Mängeln kümmern. Das ist nun einmal unsere Organisationsform. Eine zentrale Stelle hat gar keine Möglichkeit, unmittelbar auf die Verhandlungen einzuwirken. Wir müssen den Weg suchen, der jeweils gegangen werden muß, und zwar mit unserem Ständigen Vertreter und allem, was dazugehört.
Was mich hier besonders bedrückt, meine Damen und Herren, ist, daß Sie, obwohl Sie das wissen, diesen Antrag eingebracht haben. Ich meine, ein solcher Antrag ist eigentlich überflüssig. Aber wir werden das sicherlich noch oft wiederholen müssen, um durch Beratung und durch Erteilung von Auskünften auch denjenigen, die es nur sehr langsam begreifen, deutlich zu machen, was tatsächlich geschieht.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sich die Bundesregierung bekanntermaßen schon seit Jahren im Rahmen ihrer Möglichkeiten intensiv um diese Fragen kümmert, erweckt der Antrag den Eindruck, als solle wider besseres Wissen der Vorwurf begründet werden, die Bundesregierung sei hier untätig geblieben. Ja, es drängt sich der Eindruck auf, daß von bestimmten Fällen ausgehend, die von der Bundesregierung keinesfalls gleichgültig hingenommen werden, sondern Gegenstand ihrer Aktivitäten waren und sind, ein negatives Bild von der Deutschlandpolitik der Bundesregierung insgesamt gezeichnet werden soll.
Demgegenüber sind dies die Tatsachen: Der Reiseverkehr richtet sich nach den Bestimmungen der DDR, die unabhängig und in eigener Souveränität über die Anwendung entscheidet.
({16})
Auch das ist nichts Neues. Das können wir nicht ändern, auch nicht durch noch so viele Beschlüsse hier. So ist z. B. durch die Briefwechsel über Reiseerleichterungen bei Unterzeichnung des Verkehrsvertrages und des Grundlagenvertrages weder dem einzelnen ein Rechtsanspruch auf Einreise in die DDR eingeräumt noch der DDR die Befugnis genommen worden, über die Einreisenden in ihr Territorium selbständig zu entscheiden. Auch ein Mitwirkungs- oder gar Mitbestimmungsrecht der Bundesregierung bei der Frage, wer in die DDR einreisen darf, ist nicht gegeben. Dies ist die Tatsache.
Um so erfreulicher ist es, daß wir doch in vielen Fällen Abhilfe haben schaffen können bei den Dingen, die zu beanstanden waren. Die Bundesregierung benutzt, obwohl sie kein Mitspracherecht hat, jede Gelegenheit, Probleme und Unzuträglichkeiten der allgemeinen Praxis in geeigneter Weise durch Verhandlungen zu verbessern und zu ändern. Die Bundesregierung geht darüber hinaus in jedem Falle, der ihr mitgeteilt wird, dem Sachverhalt nach. Jetzt werden Sie wieder sagen: „... der ihr mitgeteilt wird." Die Betroffenen müssen sich ja melden.
({17})
- Sie können sich melden, bei wem sie wollen. Dieses Angebot haben wir immer unterbreitet.
({18})
- Versuchen Sie doch nicht von der notwendigen Praxis abzulenken und die komplizierte Materie zwischen uns und der DDR auch noch durch Verwaltungsdinge zu erschweren. Seien Sie doch dankbar, wenn uns überhaupt eine große Zahl von Beschwerden zugeleitet wird. Absolute Möglichkeiten haben wir nicht. Wir können doch die Beteiligten nicht zwingen.
({19})
- Hören Sie doch endlich auf mit Ihren Zwischenrufen. Dadurch wird es doch nicht klarer.
({20})
Das zeigt doch nur Ihr Unbehagen über die Entwicklung gerade in diesem Bereich, in dem wir so erfolgreich sind.
({21})
Sie wollen sich jetzt noch als Richter darüber aufspielen, was da im einzelnen sein sollte. Es ist doch geradezu unerträglich, wie Sie versuchen, dieses Thema hier zu behandeln.
({22})
- Auch das können wir alles ertragen, wenn wir uns darüber unterhalten wollen. Versuchen Sie doch nicht abzulenken. Ich könnte hier auch noch etwas anderes sagen.
Sie beklagen, daß die Verträge nicht aus sich wirken. Ich habe gerade heute morgen in den Nachrichten interessante Dinge gehört, wie Verträge, die unter Freunden hier in der Bundesrepublik abgeschlossen sind, so deutungsfähig sind, daß sich die beiden Spitzenreiter in aller Öffentlichkeit bescheinigen, daß das anders zu verstehen sei, als dort geschrieben ist. Aber das geht mich gar nichts an, ich will bei diesem Thema bleiben. Ich sage dies nur,
damit Sie wissen, daß Sie damit nicht von Ihren Problemen ablenken können.
({23})
Meine Damen und Herren, ein spezielles Problem ist z. B. die seit einigen Monaten feststellbare Praxis, daß Anträge auf Einreise in die DDR abgelehnt oder Personen, die im Besitz von Einreisepapieren sind, an den Grenzübergangsstellen zurückgewiesen werden. Von diesen Maßnahmen sind ganz überwiegend Personen betroffen, die in den letzten Jahren aus der DDR mit Genehmigung der dortigen Behörden in das Bundesgebiet oder nach Berlin ({24}) übergesiedelt sind, insbesondere auch Personen, die aus DDR-Haft in das Bundesgebiet entlassen worden sind, und Personen, die Verlobte oder Angehörige in der DDR haben, die ihre Übersiedlung in das Bundesgebiet oder nach Berlin ({25}) beantragt haben. Gegen diese Praxis hat Staatssekretär Gaus im Auftrage der Bundesregierung bei der DDR-Regierung protestiert. In ihrer Antwort hat sich die DDR-Regierung darauf berufen, daß es ihre innere Angelegenheit sei, welchen Personen sie die Einreise in ihr Hoheitsgebiet gestatte.
Die Bundesregierung hat sich mit der Behandlung dieses Problems nicht zufriedengegeben und dieses Thema in die Sondierungsverhandlungen auf politischer Ebene einbezogen. Darüber hinaus wird jeder einzelne Fall, der uns mitgeteilt wird, egal von wem, von welcher Dienststelle oder von welcher Person, der DDR-Regierung gesondert vorgetragen.
Kurz noch ein Wort zu Besonderheiten des Postverkehrs. Hier haben Beschwerden über Unregelmäßigkeiten seit Mitte 1973, als die DDR im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Grundlagenvertrages vereinbarungsgemäß ihre Versandbestimmungen vereinfacht und erleichtert hat, wesentlich abgenommen. Fragen und Schwierigkeiten entstehen fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem Versand von Druckerzeugnissen. Dazu muß ergänzend erwähnt werden, daß der weitaus größte Teil der Beschwerden sich erübrigen würde, wenn die Betroffenen die weithin bekannten Zoll- und Versandbestimmungen der DDR auch beachten würden.
Wir versuchen, diese Schwierigkeiten anzugehen, indem wir den einschlägigen Bereichen besondere Merkblätter widmen, auf denen nicht langatmige, sondern so kurze Ausführungen stehen, daß auch jeder, der schnell ein Anliegen erledigen will, dort durchfinden kann, damit er nicht erst noch einen Rechtsanwalt zur Beratung braucht. Das geben wir denen mit; aber wer das nicht beachtet und sich hinterher wundert, wenn seine Postsendung unter Verletzung der Bedingungen, die die DDR stellt, nicht an den Adressaten kommt, muß sich damit vertraut machen, daß dieser Zustand leider noch eine Zeitlang anhält.
Nach der dem Antrag gegebenen Begründung sollen mit der Einrichtung einer Beschwerdestelle zwei Zwecke erreicht werden; damit komme ich noch einmal auf dieses Thema. Erstens. Die Bundesregierung soll die Behinderung im Reise- und Postverkehr erfassen und auswerten. Zweitens. Sie soll auf die Beendigung der Behinderung hinwirken.
In der Tat rennen Sie damit offene Türen ein: Beides ist tägliche Praxis der dafür zuständigen Stellen, und davon gibt es nicht nur eine, sondern viele. Die Beamten des Bundesgrenzschutzes und des Zolls an den Grenzübergangsstellen und die Beamten der Post nehmen zu jeder Zeit Meldungen und Beschwerden von betroffenen Bürgern entgegen. Es ist dafür Sorge getragen, daß diese Beschwerden an die zuständigen Stellen der Bundesregierung weitergeleitet werden. Unabhängig davon wenden sich die Betroffenen unmittelbar an mein Ministerium oder an das Gesamtdeutsche Institut. Es ist weiter gesichert, daß diese Erkenntnisse ausgewertet werden. Wo immer im Einzelfall Hilfe möglich ist, wird diese gewährt: durch individuelle Beratung, durch Merkblätter. Einzelanliegen werden z. B. in der Transitkommission und über die Ständige Vertretung der DDR-Regierung gesondert vorgetragen. Probleme und Unzuträglichkeiten der allgemeinen Praxis werden ständig in den Kommissionen und in den Gesprächen der Mitarbeiter der Ständigen Vertretung mit Vertretern der DDR-Regierung behandelt. Dies alles ist den Betroffenen bekannt. Die Bundesregierung hat immer wieder darauf aufmerksam gemacht und die Anschriften der Stellen, an die Fragen um Rat zu richten sind, in ihren Merkblättern mitgeteilt.
Wenn wir uns darum bemühen, diese Öfentlichkeitsarbeit zu verstärken, erleben wir es gerade von Ihnen, daß Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit in meinem Haushalt gestrichen oder gekürzt werden. Hinterher beklagen Sie sich darüber, daß nicht genug getan wird!
({26})
Wer sich auch immer beschwert fühlt, nutzt diese Möglichkeiten. Das ist nicht nur meine tägliche Erfahrung, sondern die Erfahrung aller damit befaßten Stellen.
Es liegt nicht im Interesse der Sache und nicht im Interesse der Betroffenen, eine zentrale Einrichtung etwa in meinem Ministerium oder im Gesamtdeutschen Institut zu schaffen und diese als Beschwerdestelle zu firmieren. Alle gegebenen Möglichkeiten - das werden Sie auch nicht in Abrede stellen können -, Erkenntnisse zu erfassen und auszuwerten, im Einzelfall Hilfe zu gewähren und in geeigneter Weise durch Verhandlungen im Reise- und Postverkehr Verbesserungen zu erreichen, werden von der Bundesregierung voll genutzt. Selbst wenn noch neue Stellen hinzukommen, ändert sich leider dadurch nichts an dem, was wir gemeinsam zu beanstanden haben. Ich bitte Sie, diesem ganzen Problem in Zukunft mehr sachliche Beachtung zuzuwenden; dann kommen wir viel weiter.
({27})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihre Zeit am heutigen Morgen nicht lange in Anspruch nehmen
({0})
- ich bedanke mich für den Beifall -; aber ich habe den Eindruck, Herr Bundesminister, daß unser Antrag genau ins Schwarze getroffen hat; denn Ihre Aufregung war völlig fehl am Platz.
({1})
Wenn Sie sich über das aufregen, was wir zu den Verträgen sagen, so frage ich, gegen welche Dinge die SPD sein müßte, wenn man ihr Abstimmungsverhalten in der Vergangenheit einmal unter die Lupe nimmt.
Ich möchte zu Ihrem Beitrag, zu dem Beitrag des Kollegen Mattick, für den ich mich bedanke, und zu dem Beitrag vom Kollegen Hoppe folgendes sagen. Es geht darum, daß wir den Versuch machen wollen, hier einen konstruktiven Beitrag für diejenigen Mitbürger in unserem Lande zu leisten, die in der Tat nicht wissen, wo sie sich beschweren sollen. Es geht nicht um mehr Bürokratie, wie uns vorgeworfen wird, sondern es geht um die Frage, daß hier etwas zusammengefaßt wird und damit diejenigen Häuser - es handelt sich um das innerdeutsche Ministerium, Herr Bundesminister, um das Verkehrsministerium und auch um das Innenministerium - entlastet werden, indem man beim Gesamtdeutschen Institut, Herr Kollege Hoppe, eine solche Stelle einrichtet. Ich habe nur den Eindruck, daß das Wort „Beschwerde" Ihnen weh tut.
({2})
Genau dies ist der Umgang, den wir im innerdeutschen Verkehr nicht wollen.
({3})
Herr Franke, ich habe Ihre Aufregung überhaupt nicht verstanden. Ein Bundesminister sollte nicht davon reden, daß das Parlament eine solche Debatte führt. Seien Sie doch froh, daß der Deutsche Bundestag über solche Fragen in aller Offenheit debattiert.
({4})
Dies ist eine demokratisch legitime und notwendige Angelegenheit.
Wenn Sie schon über die Verträge sprechen und über die Reisen - ich habe Ihnen bei anderer Gelegenheit gesagt, daß wir dieses Thema nicht noch einmal behandeln müssen, weil wir uns oft genug dazu geäußert haben -, so kommen wir doch nicht umhin, zu sagen: Dies alles ist doch vor allem das Ergebnis von doppelbödigen Verträgen und ihrer einseitigen Interpretation durch die DDR, oft zu Lasten der Bürger, die in die DDR fahren.
({5})
Dies ist doch das Problem, um das es geht. Über dieses Problem müssen und werden wir uns noch oft unterhalten.
Herr Kollege Franke, Sie haben einen großen Teil Ihrer Rede darauf verwandt, zu sagen, daß Sie Briefe von uns bekommen und daß Sie diese Briefe beantworten. Wer bestreitet das denn eigentlich?
({6})
Keiner von uns bestreitet das. Aber es wäre doch, wenn der Bundespostminister z. B. sagt, es gebe im Postverkehr eine Dunkelziffer, für Sie viel einfacher, eine Stelle zu haben, wo Sie dann auch den Menschen antworten können, die sich beschwert fühlen und deren Nöte Sie vielleicht nicht kennen. Insofern betrachten Sie dies doch bitte als eine Hilfe, und seien Sie nicht so nervös, wenn das Parlament über diese Fragen debattiert.
Lassen Sie mich noch folgende Punkte erwähnen.
Erstens. Wir glauben, daß durch eine solche Stelle eine Fülle von verunsicherten Bürgern, die in die DDR fahren wollen, eine Hilfe erfahren.
({7}) Diese Hilfe wollen wir ihnen gewähren.
({8})
Zweitens. Ich glaube, sagen zu können, Herr Kollege Mattick, daß die CDU/CSU-Fraktion Ihrem Vorschlag folgen und einer Überweisung an den Ausschuß zustimmen wird, wobei ich davon ausgehe, daß wir dann im Ausschuß natürlich, Herr Kollege Mattick,
({9})
über alle Aspekte dieses Problems beraten werden, die auch heute hier zur Sprache gekommen sind.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich dafür, daß Sie mir in so voll besetztem Hause am Freitagmorgen zugehört haben.
({10})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen, soweit ich sehe, nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag auf Drucksache 8/1070 an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen - federführend - und an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen sowie an den Haushaltsausschuß -mitberatend - zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 21 unserer Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur gemeinschaftlichen Verbraucherpolitik
- Drucksache 8/936 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Rechtsausschuß
Präsident Carstens
Ich eröffne die Aussprache. Wer wünscht das Wort? -- Herr Abgeordneter Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich die Initiative des Europäischen Parlaments zur gemeinschaftlichen Verbraucherpolitik. Die in der Entschließung gestellten Forderungen an die Kommission und an den Rat der Europäischen Gemeinschaft sollten die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten wirklich veranlassen, alle Bestrebungen zu unterstützen, die eine Abstimmung und Harmonisierung der Politik zum Schutze und zur Unterrichtung der Verbraucher ermöglichen können. Die weiter fortschreitende Integration auf dem Gemeinsamen Markt läßt - allein schon bedingt durch die wirtschaftliche Entwicklung selbst - in vielen Bereichen die nationale Gesetzgebung zugunsten des Verbrauchers und seines Schutzes Stückwerk werden, wenn es nicht gelingt, ähnliche oder gar gleichlaufende Maßnahmen in den Ländern der Gemeinschaft insgesamt durchzusetzen.
Das gilt nicht nur für den Import und Export. Ich möchte Ihnen empfehlen, sich einmal - wie ich es im Sommer getan habe - an einer Grenze zu einem Nachbarstaat aufzuhalten und zu beobachten, wie z. B. Lebensmittelimporte ins Land kommen, ohne daß die Bestimmungen des deutschen Lebensmittelgesetzes dabei Verwirklichung finden, nach denen es nicht erlaubt ist, in der Bundesrepublik Deutschland Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, die nicht den Bestimmungen des Gesetzes entsprechen.
Unterschiedliche Regelungen über die Duldung von Umweltverschmutzung, über irreführende und unlautere Werbung, über erforderliche Kontrollen usw. sind immer wieder ein Stein des Anstoßes nicht nur in der Wirtschaftspolitik, sondern vor allem auch in der Politik zum Schutze des Verbrauchers.
Die Harmonisierung - und das ist das Hauptanliegen dieser Entschließung des Europäischen Parlaments - ist eine drängende und unaufschiebbare Aufgabe, der sich die Parlamentarier in allen Ländern der Gemeinschaft und natürlich ihre Regierungen mit aller Aufmerksamkeit widmen sollten.
Wir begrüßen daher die in der Entschließung erhobene Forderung nach Veröffentlichung eines Jahresberichts über die von der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten im Interesse der Verbraucher ergriffenen Maßnahmen. Wir drängen die Bundesregierung, gerade hierauf in den Verhandlungen auf der europäischen Ebene besonders großen Wert zu legen, weil ein solcher Jahresbericht für die Harmonisierung der Verbraucherschutzvorschriften wie überhaupt für die Verbraucherpolitik von hohem Wert ist.
Die Entschließung des Europäischen Parlaments enthält einen Katalog von vielen einzelnen Maßnahmen, die zum Teil bei uns in der Bundesrepublik Deutschland bereits verwirklicht sind oder deren Verwirklichung angestrebt wird oder die noch einer eingehenden Beratung bedürfen. Das werden wir tun.
Leider steht in der Entschließung nichts von dem Grundanliegen, daß für jeden Verbraucher - gleichgültig auf welcher Stufe der Wirtschaft er sich befindet - die Frage nach der Sicherung der Kaufkraft seines Einkommens und der Erhöhung seines Realeinkommens im Hinblick auf eine wachsende Beteiligung am Marktgeschehen von höchster Priorität ist. Hierfür sind nun einmal Preisstabilität und Vollbeschäftigung erforderlich. Sie sind nicht für seinen Lebensstandard, sondern auch für die Stärkung seiner Stellung am Markt äußerst wichtig. Der Verbraucher, der wegen der Inflation Kaufkraftverluste oder auf Grund von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit Einkommensverluste hinnehmen muß, kann seine Stellung am Markt nicht als Partner voll nutzen.
Verbraucherschutzpolitik hat als erste Voraussetzung eine zielgerechte auf Preisstabilität und Vollbeschäftigung ausgerichtete Konjunktur-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Diese Politik ist - wie die Entwicklung in den letzten Jahren in allen Mitgliedsländern der Gemeinschaft gezeigt hat - nicht mit dirigistischen, interventionistischen oder gar sozialistischen Methoden möglich. Nur auf der Basis der Sozialen Marktwirtschaft, die auch den Leistungswettbewerb sichert, ist diesem Hauptanliegen des Verbrauchers, Preisstabilität und Vollbeschäftigung wieder zu erreichen und in Zukunft zu sichern, Rechnung zu tragen.
Das Europäische Parlament wäre gut beraten, wenn es sich mit diesem Themenkreis, Lenkung der wirtschaftlichen Vorgänge über den Markt - wie wir das fordern - oder über die Behörde - wie es in europäischen Ländern mehr und mehr praktiziert wird -, eingehend befaßte.
Meine Damen und Herren, der Verbraucher will den Markt. Er ist mündig - das wissen wir -, und er ist in der Lage, bei seinen Marktentscheidungen ohne eine Behörde auszukommen. Die lenkende Behörde, so meinen wir, verfälscht nur den Marktwillen des Verbrauchers.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Martiny-Glotz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle rüsten uns für die europäischen Wahlen, und das ist vielleicht auch unter dem Gesichtspunkt dieser Entschließung, die wir heute zu behandeln haben, ein Punkt, an dem man sich einmal überlegen sollte, wie das mit Europa eigentlich angefangen hat: einerseits mit einem großen Engagement für eine den Frieden in Europa stützende Staatengemeinschaft, andererseits mit handfesten Vorteilen für die europäische Wirtschaft - einschließlich der Agrarwirtschaft - und für die in ihr Beschäftigten.
Die Erkenntnis, daß zur Wirtschaft auch der Konsument gehört, hat sich sehr langsam durchgesetzt, und eine Institutionalisierung des Mitspracherechts der Konsumenten ist in Europa überhaupt erst jüngsten Datums. So ist also das Bekenntnis, das Roy
Jenkins in seiner Programmrede Anfang des Jahres abgelegt hat:
Wir müssen dafür sorgen, daß die Gemeinschaft eine praktische Realität unseres täglichen Lebens wird
auch ein Bekenntnis zu einer aktiven Beteiligung des Konsumenten an dieser Europäischen Gemeinschaft.
Ähnlich hat das vor zwei Jahren Leo Tindemans ausgedrückt. Er hat gesagt:
Die Europäische Union muß im täglichen Leben fühlbar werden und bürgernah sein.
Tägliches Leben und Bürgernähe - damit sind die Probleme des Konsums sicherlich besonders eng verknüpft, und die Erfahrungen des kleinen Mannes und der kleinen Frau, die ' sie im Konsumbereich machen, sind entscheidend für ihre persönliche Zufriedenheit.
Diese Erkenntnis war der Ausgangspunkt für ein Aktionsprogramm zum Schutz und zur Information des Verbrauchers, das im April 1975 vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde und in dem ohne Wenn und Aber festgehalten sind: erstens ein Recht auf Schutz von Gesundheit und Sicherheit, zweitens ein Recht auf Schutz der wirtschaftlichen Interessen, drittens ein Recht auf Wiedergutmachung erlittenen Schadens, viertens ein Recht auf Unterrichtung und Bildung, fünftens ein Recht auf Vertretung, was meint: ein Recht, gehört zu werden.
Zwischen der EG Kommission mit ihren Dienststellen und den Verbraucherverbänden sind Prioritäten zur Verwirklichung dieser Rechte festgelegt worden. Dazu gehört beispielsweise auch die Richtlinie zur Neuregelung der Haustürgeschäfte, die uns bereits zugegangen ist und die uns auch als Gesetzentwurf, vom Freistaat Bayern über den Bundesrat eingebracht, zur Behandlung übergeben worden ist. Ich rechne eigentlich damit, daß die Unionsfraktionen diesen Vorstoß mit unterstützen werden und daß wir hier bald auf breiter Ebene zu einer gesetzlichen Regelung kommen.
Meine Damen und Herren, der Wirtschafts- und Sozialausschuß der EG hat im Mai 1977 zu diesem EG-Verbraucherprogramm Stellung genommen, und zwar - wenn ich diese persönliche Bemerkung hier machen darf - unter tätiger Mitwirkung unserer ehemaligen Kollegin Käte Strobel, die sich große Verdienste auf dem Feld der Verbraucherpolitik erworben hat und deren Handschrift hier erkennbar ist.
({0})
In der Würdigung des Programms durch den Wirtschafts- und Sozialausschuß hat sich - und das halte ich für einen großen Fortschritt - die Tendenz ein bißchen verändert. Man spricht nicht mehr defensiv vom Schutz des Verbrauchers, sondern wählt jetzt eine offensive Strategie. Man spricht nämlich von einer Förderung der Verbraucherinteressen, und das halte ich für außerordentlich bedeutsam. Dieser Ansatz findet sich nun auch in der Entschließung wieder, die wir heute hier zu behandeln haben und die im September dieses Jahres in Brüssel verabschiedet wurde. Unter Ziffer 20 heißt es in dieser Entschließung: Das Europäische Parlament „beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung und den Ausschußbericht dem Rat und der Kommission sowie den Parlamenten und den Regierungen der Mitgliedstaaten zu übermitteln". Diese Übermittlung geschieht hier heute vor doch noch stattlich besetztem Hause.
Allgemein bedeutet das, daß nun auch von Europa her versucht wird, den Anspruch einzulösen, Europa näher an den Menschen heranzuführen, sowie die Rechte des Individuums im Wirtschaftsleben stärker durchzusetzen und auch eine Wirtschaftsdemokratie zu schaffen.
Herr Hammans, ich weiß nicht, was Sie unter sozialistischen Methoden verstehen. Wenn das überhaupt beurteilt werden sollte, so sollten wir Sozialdemokraten, wie ich glaube, einmal erläutern, was wir darunter verstehen, denn uns werden solche Methoden immer zugeschrieben. Sie sollten vielleicht etwas vorsichtiger sein und nicht mit Begriffen hausieren gehen, von denen Sie eigentlich überhaupt nichts verstehen können.
({1})
Ich glaube, hier wird wieder einmal von einem Buhmann ausgegangen, der überhaupt nicht vorhanden ist und vielleicht nur in den Kinderzimmern herumspukt.
({2})
Ich meine aber, wenn Sie hier schon solche Begriffe gebrauchen, sollte ich die Gelegenheit benutzen, folgendes doch noch einmal deutlich zu sagen:
({3})
Wir halten die Soziale Marktwirtschaft nicht für eine einmalige Errungenschaft, die wir zu einigermaßen günstigem Preis während der Ära Erhard erworben haben und die wir nun sozusagen als heilige Kuh besitzen und nicht anrühren.
({4})
Wir halten die Soziale Marktwirtschaft vielmehr für eine Verpflichtung zur Verwirklichung einer sozial ausgerichteten Wirtschaftspolitik,
({5})
einer Wirtschaftsdemokratie, in der man von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nicht nur redet, sondern in dieser Richtung auch tätig wird. Soziale Marktwirtschaft muß step by step in praktisch erfahrbare Politik umgesetzt werden. Dies ist auch ein Ansatzpunkt, den diese EG-Entschließung beinhaltet. Konkret gehen die einzelnen Punkte - darauf sind Sie ja eingegangen, Herr Hammans - über manches hinaus, was wir schon realisiert haben. Die Tendenz entspricht aber durchaus der Richtung, die wir in unserer Verbraucherpolitik bereits eingeschlagen haben. Ich meine, Europa darf nicht als ein Paradies multinational verflochtener mächtiger AnFrau Dr. Martiny-Glotz
bieter und ihrer Verbände ohne das Korrektiv einer aktiven Interessenvertretung der Verbraucher dastehen.
({6})
Ich will nicht auf alle Punkte eingehen, sondern hier nur einige Schwerpunkte setzen.
Zum ersten geht es um die Rechtsvertretung der Verbraucher. Hier wird von dem Ansatz ausgegangen, daß die Regelungen betreffend Schlichtungsstellen und Schiedsverfahren EG-einheitlich gestaltet werden sollen. Dies halte ich für eine durchaus begrüßenswerte Überlegung. Ob wir dies realisieren können, halte ich für offen. Immerhin sollte man sich damit einmal ausführlicher beschäftigen.
Mit Sicherheit muß man sich mit einer Vereinfachung des Gerichtsverfahrens und auch mit einer Erweiterung des Klagerechts für Verbraucherorganisationen - noch über das bestehende Klagerecht nach dem UWG und AGB-Gesetz hinaus -, die hier ebenfalls angesprochen sind, beschäftigen.
Ferner halte ich den Ansatzpunkt, sich intensiv mit Verschwendung zu beschäftigen, für außerordentlich verdienstvoll. Recycling und Ressourcenverschwendung sind entscheidende Probleme, mit denen wir uns in unserer Wirtschaftspolitik herumschlagen müssen. Energiesparen und Energieverschwendung ist nur eines der Gebiete, auf das in diesem Zusammenhang hinzuweisen ist.
Die Werbegesetzgebung, so meine ich, ist in den Punkten, die in der Entschließung angesprochen sind, durchaus mit dem deckungsgleich, was im Justizministerium im Moment angestrebt wird. Vielleicht sollte man noch einmal betonen, daß das Recht auf Schutz vor wirtschaftlichem Schaden nicht deutlich genug unterstrichen werden kann, weil bei unseren Bürgern als Verbrauchern, was diesen Punkt angeht, immer noch die Tendenz besteht: Wer auf irreführende Werbebehauptungen hereinfällt, ist leider Gottes selber schuld. Das gehöre zum Risiko, das der Mensch im Leben zu tragen habe. Dies ist sicherlich ein Feld, auf dem wir ein bißchen intensiver Bewußtseinsbildung betreiben sollten.
({7})
Für bedeutsam halte ich den Hinweis auf eine Neuordnung des Agrarmarkts. Ich habe beispielsweise in einer agrarpolitischen Fachzeitschrift gelesen, daß die Apfelernte unterschätzt wurde. Hier scheint sich mir zu wiederholen, was wir im letzten Jahr mit den Kartoffeln erlebt haben. Von seiten der Erzeuger dieser Produkte wird nämlich extrem manipuliert, um am Markt möglichst hohe Preise zu erzielen, indem man behauptet, die Ernte sei leider Gottes - ({8})
- Lieber Herr Kollege, das Problem ist ja gerade, daß sie erst behauptet haben, es habe leider Gottes überhaupt keine oder nur sehr wenig Äpfel gegeben. Und die wenigen, die es angeblich gegeben hat, hat man zum Arger aller Apfelesser zu sehr hohen Preisen verkauft. Nun stellt sich heraus, daß viel
mehr Äpfel auf dem Markt sind. Aber inzwischen haben die Apfelerzeuger schon saftige Gewinne gemacht, und die Preise werden nicht so nachgeben, wie man es auf Grund der doch ganz günstigen Ernte hätte erwarten sollen.
({9})
Sie werden nicht bestreiten, daß wir in jedem Jahr in den Fragestunden des Bundestages immer wieder Anfragen haben - Herr Gallus wird es bestätigen -, wie es mit Vernichtungsaktionen bei Pfirsichen, Salat, Blumenkohl und ähnlichem steht.
({10})
Ich weiß, daß alles immer ganz anders ist, als es in der Presse steht. Trotzdem halte ich es für verdienstvoll, daß in dieser EG-Entschließung unter dem Verbraucheraspekt auch der Agrarmarkt angesprochen ist.
({11})
- Zum Nutzen der Landwirte funktioniert der Agrarmarkt. Unter Verbraucheraspekten sieht man das ein bißchen kritischer.
Herr Hammans, von dem Jahresbericht bin ich nicht so ganz überzeugt, daß es sich hier um der Weisheit letzten Schluß handelt. Ich würde eher dafür plädieren, daß wir im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht und der Debatte darüber auch über die Situation der Konsumenten in unserer Wirtschaft diskutieren. Dann könnten wir auch mit größerer Teilnahme unserer Parlamentskollegen rechnen. Unter dem Verbrauchergesichtspunkt läuft da meistens nicht so besonders viel. Deshalb glaube ich auch nicht, daß uns ein Jahresbericht, den die Bundesregierung hier erstattet, sehr weit voranbringt. Aber darüber werden wir uns in den Ausschüssen sicherlich noch im einzelnen unterhalten müssen.
Viel halte ich von der Absicht, eine Forschungsförderung aus Verbrauchersicht voranzutreiben. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich unserem Bundesministerium für Forschung und Technologie danken, wo als ein Schwerpunkt im Bereich der empirischen Sozialforschung die Verbraucherforschung für das nächste Jahr ausgewiesen ist. Ich hoffe, daß die im Moment wohl beschlossene Sperrung der Mittel ohne Schwierigkeiten aufgehoben werden kann; denn die Projekte, um die es hier geht, sind zur Durchsetzung der Verbraucherinteressen wirklich von außerordentlicher Bedeutung.
({12})
Wichtig ist sicherlich auch - darauf hatten Sie, Herr Hammans, hingewiesen - die Information über Produktzusammensetzung und die Kontrolle, auch die Grenzkontrolle dieser Zusammensetzung. Hier müssen wir besonders acht geben, weil beim Europäischen Gerichtshof gerade eine Entscheidung gefallen ist, die es verbietet, daß an den Grenzen überhaupt noch kontrolliert wird, wenn über die Produktzusammensetzung und Warenbeschaffenheit bereits eine europaeinheitliche Gesetzgebung existiert.
Wir dürfen jetzt an den Grenzen also gar nicht mehr
kontrollieren, wenn die Lebensmittel, um die es da
geht, europaeinheitlichen Vorschriften entsprechen.
- ({13})
- Eben, weil sie das nicht tun, müssen wir darauf achten, daß die Kontrollverfahren in den einzelnen EG-Ländern tatsächlich vereinheitlicht und mit ähnlicher Systematik und Gründlichkeit wie bei uns auch in unseren Partnerländern durchgesetzt werden. Das ist ein ganz wichtiges Feld.
({14})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Es bleibt noch viel zu tun, um den Punkt 19 der Entschließung - Mitspracherecht der Verbraucher als vollberechtigte Wirtschaftspartner - tatsächlich zu erfüllen. Dazu gehört sicherlich auch die Mitwirkung durch Interessenvertretung bei allen Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und auch beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit; das Problem haben wir ja im Gesamtbereich der Europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus. Arbeitslosigkeit scheint eine Geißel unserer Zeit zu sein. Die Konsumenten leben auch nicht im Wolkenkuckucksheim. Sie bilden sich nicht ein, daß die Zusammensetzung von Produkten oder die Gestaltung von Kaufverträgen etwa bedeutsamer sei als Arbeitslosigkeit oder Preisauftrieb. Insofern ist einer Konjunkturumfrage bei 20 000 Haushalten in acht EG-Ländern mit Ausnahme von Luxemburg sicherlich große Aufmerksamkeit zu zollen, die ergibt, daß die europäischen Verbraucher der Zukunft nicht mit allzu großem Optimismus entgegensehen, soweit es ihre Situation als Arbeitnehmer und damit Einkommensbezieher angeht. Herr Hammans hat Recht mit seinem Hinweis, daß entscheidende Verbraucherprobleme im Wirtschaftsablauf und auf dem Arbeitsmarkt auftreten. Wir alle miteinander müssen dafür sorgen, daß die Arbeitslosenquote gesenkt wird.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verzichte in Anbetracht der vorgerückten Zeit auf einen Einstieg in eine Grundsatzaussprache über die Problematik, die mit der Definition des Begriffs Agrarmarkt zusammenhängt. Ich will mich statt dessen auf das konzentrieren, was wir heute zu behandeln haben.
Die Fraktion der Freien Demokraten begrüßt die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Verbraucherpolitik. Sie mißt dem europäischen Engagement einer Politik zur Förderung der Interessen der Verbraucher, wie sie vom Europäischen Parlament gefordert wird, eine besondere Bedeutung bei. Mit dem ersten Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 14. April 1975 für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher hat der Rat die allgemeinen Ziele und Grundzüge einer Verbraucherpolitik festgelegt und bestimmte Maßnahmen hervorgehoben, die vorrangig getroffen werden sollten. Dieses Programm ist Grundlage der verbraucherpolitischen Arbeit der EG-Kommission.
Auf Grund der unterschiedlichen Ausgangssituation der einzelnen Mitgliedsländer und auch wegern der sehr komplizierten Materie ist es eben unvermeidbar, daß die Durchführung von konkreten Maßnahmen eine erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Wir wissen aus vielen anderen Bereichen, daß solche Vorgänge nicht so schnell ablaufen, wie das die Erfinder bestimmter Maßnahmen gerne. sähen. Es ist zu begrüßen, daß das Europäische Parlament nicht nur darauf dringt, daß die Angelegenheit fristgerecht behandelt wird und sich nicht nut auf allgemeine Hinweise beschränkt, sondern daß es vielmehr zu einzelnen Punkten konkret Stellung bezogen hat. Lassen Sie mich dazu einige Bemerkungen machen.
Zu den genannten Maßnahmen gehört auch die Information des Verbrauchers. Sie sollte eine hervorgehobene Rolle spielen. Den Satz, daß es einen mündigen Bürger gibt, bin ich zunächst einmal bereit zu unterschreiben. Bei der Bewertung des Satzes, daß es einen mündigen Verbraucher gibt, bin ich hingegen sehr zurückhaltend.
({0})
- Es geht nicht darum, ob wir das schade finden oder nicht. Die Frage ist doch, ob der Satz, den das Europäische Parlament ausgesprochen hat, tatsächlich mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen ist. Es ist nun einmal nicht so, daß der mündige Verbraucher in der beschriebenen Form existiert. Deshalb muß etwas getan werden. Das ist ja auch die einzige Begründung dafür, daß der Staat auf diesem Gebiet bestimmte Maßnahmen treffen muß.
({1})
Ich gehe davon aus, daß wir in diesem Bereich bei den Beratungen keine größeren Streitigkeiten haben werden. Wer die verbraucherpolitische Diskussion in dem Land mitverfolgt hat, aus dem ich komme - Nordrhein-Westfalen -, muß feststellen, daß die dortige Opposition, die mit der hiesigen identisch ist, immer sehr begeistert ist, wenn es darum geht, verbraucherpolitische Maßnahmen, insbesondere auch im Informationsbereich, zu unterstützen.
In enger Verbindung mit der Frage der Information steht der Schutz des Verbrauchers vor irreführender und unlauterer Werbung. Hierzu werden in der Entschließung ein Vertragsauflösungsrecht und Schadensersatzansprüche vorgeschlagen. Diese Vorschläge sollten sorgfältig geprüft werden, vor allem, was die Schadensersatzansprüche angeht, da hier eine Menge schwieriger Fragen zu klären sein werden. Unbestritten ist, daß wir das Problem der unlauteren und irreführenden Werbung besser in den Griff bekommen müssen. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch die Zulassung der vergleichenden Werbung hilfreich.
Der Vorschlag des Europäischen Parlaments, Schlichtungsstellen zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Anbietern einzurichten,
wird von meiner Fraktion ausdrücklich unterstützt. Schlichtungsstellen, wie sie in der Bundesrepublik von Verbraucherorganisationen und den Kammern inzwischen in großer Zahl gegründet worden sind, haben sich in hohem Maße bewährt und verdienen weitere Verbreitung. Die Auffassung des Europäischen Parlaments, daß sich die Harmonisierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften an den für den Verbraucher günstigsten Regelungen orientieren sollte, wird von meiner Fraktion uneingeschränkt geteilt. Ich hoffe, daß dies auch für die Änderung der Ladenschlußzeiten gelten wird.
In der Vergangenheit sind die Belange der Verbraucher in dem erforderlichen Interessenausgleich oft zu kurz gekommen. Durch die Beteiligung der Verbraucher am Rechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft - sei es durch den beratenden Verbraucherausschuß, sei es durch die Verbrauchervertreter im Wirtschafts- und Sozialausschuß - ist vieles besser geworden. Dies scheint mir auch der richtige Weg zu sein. Denn auch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft soll - wie die nationalen Wirtschaftsordnungen - vor allem dem Verbraucher dienen. Konsequent ist es deshalb, wenn das Europäische Parlament darauf besteht, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Anwendung der auf Grund der Richtlinien erlassenen oder angepaßten nationalen Rechtsvorschriften streng zu kontrollieren. Wir alle wissen, daß es da noch einiges zu tun gibt und daß auch in der Zukunft einiges an Verbesserungen notwendig sein wird.
Abschließend möchte ich sagen: Der Bericht, der von der EG-Kommission jährlich zu erstatten ist, scheint mir nicht so wenig hilfreich zu sein, wie Sie, Frau Kollegin, es qualifiziert haben. Auch wenn wir das Thema Verbraucherpolitik im Rahmen der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht behandeln, so wird dies kaum dazu führen, daß das Haus besser besetzt ist als zur Zeit. Ich kann mich an die Debatte über die Energiepolitik erinnern, die so viele bedeutsame Parteitage bestimmt hat. Gleichwohl wurde die Besetzung des Hauses der Bedeutung dieses Themas nicht gerecht. Ich habe meine Zweifel, ob die Zeitpunkte, die wir für bestimmte Debatten gelegentlich reservieren, den jeweiligen Themen vom Verfahrensablauf her überhaupt gerecht werden können.
({2})
Weitere
Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Entschließung zur gemeinschaftlichen Verbraucherpolitik auf der Drucksache 8/936 dem Ausschuß für Wirtschaft
federführend - und dem Rechtsausschuß - mitberatend - zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 22 unserer Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Lenz ({0}), Dr. Schulte ({1}), Erhard ({2}), Dr. Eyrich, Sick, Vogel ({3}) und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
Drucksache 8/744 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({4})
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Zur Begründung der Vorlage hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute morgen hat ein Rundfunksender gemeldet, wir würden heute über die Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Regelung des Straßenverkehrs beraten. Ich möchte annehmen, Frau Kollegin, daß dies eine unzulässige Vermischung von Themen war, des Themas, das Sie soeben hier behandelt haben, und des Themas, das wir hier jetzt behandeln. Gestatten Sie mir deshalb zunächst einige Worte darüber, worum es sich bei dem, was wir hier machen, handelt.
Rechtsänderungen auf dem Gebiete des Straßenverkehrsrechts interessieren fast jeden Bürger. Denn fast jeder Bürger, ja jeder Bürger ist Teilnehmer am Straßenverkehr. Aber solche Rechtsänderungen werden nach dem geltenden Recht, wie Sie wissen, ohne Mitwirkung des Deutschen Bundestages durchgeführt. Die Fragen werden durch Rechtsverordnungen oder sogar nur durch Allgemeine Verwaltungsvorschriften geregelt. Ich darf an die heißen Diskussionen um die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Bundesautobahnen, an das Sonntagsfahrverbot, den Verwarnungsgeldkatalog, den Bußgeldkatalog oder an die „berühmte", umstrittene Taxiverordnung erinnern. Alle diese Dinge haben große öffentliche Diskussionen hervorgerufen. Die Bürger sind zu uns in unsere Versammlungen und Sprechstunden gekommen und haben gesagt: Herr Abgeordneter, tun Sie etwas daran! Aber wir konnten nichts daran tun, weil dies nach dem geltenden Recht eine Sache der Bundesregierung und des Bundesrates ist.
Meine Fraktion ist der Auffassung, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß es sich hier um eine wahrhaft anachronistische Rechtslage handelt. Als das Gesetz über den Straßenverkehr mit Kraftfahrzeugen im Jahre 1909, d. h. vor nunmehr fast 70 Jahren, beschlossen wurde, war es angesichts der geringen Zahl von Kraftfahrzeuginhabern und angesichts der mäßigen Verkehrsdichte sicherlich richtig, den Gesetzgeber, den Reichstag, von weiterer Mitwirkung am Erlaß straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften zu entlasten, zumal die damals zu regelnden Fragen nur wenige Bürger interessierten. Aber heute betreffen auch die kleinsten Detailregelungen nicht nur einige wenige, sondern fast jeden Angehörigen unseres Volkes. Die Volksvertretung, der Bundestag, kann sich deshalb nicht mehr mit gutem Gewissen so weitgehend wie bisher der Verantwortung für das Straßenverkehrsrecht entziehen. Deshalb verlangen wir die Beteiligung des Deutschen Bundestages an dieser Rechtsetzung.
Wie soll das nun geschehen? Man könnte die zuständige Ermächtigungsvorschrift im Straßenver4550
Dr. Lenz ({0})
kehrsrecht ganz oder teilweise aufheben. Aber was wäre dann die Folge? Wir müßten alles das, was jetzt der Bundesverkehrsminister mit dem Bundesrat per Rechtsverordnung oder Allgemeine Verwaltungsvorschrift regelt, in diesem Hause behandeln, jede einzelne Vorlage. Das würde in den allermeisten Fällen, wo es sich nur um Technik handelt, de facto gar nichts ändern. Die Bürokratie macht eine Vorlage, und die läuft durch die politischen Instanzen durch, ohne großes Interesse zu finden. Wir würden sozusagen nur das Alibi für die Bürokratie hergeben. Das ist nicht das, was wir wollen.
Will man nicht den ohnehin überlasteten Bundestag mit neuer Detailarbeit belasten - was geschähe, wenn man beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Bußgeldkataloge in Gesetzesform beschlösse -, wollen wir vielmehr einerseits den Vorteil, daß die Regierung gewisse Sachen mit dem Bundesrat machen kann, behalten, auf der anderen Seite aber parlamentarische Verantwortung möglich machen, müssen wir eine andere Regelung finden.
Deshalb schlagen wir vor, auf das verfassungsrechtlich zulässige Rechtsinstitut der Zustimmungsverordnung zurückzugreifen. Eine Zustimmungsverordnung ist eine Verordnung, die von der Regierung erlassen wird, wenn der Bundestag nicht binnen einer bestimmten Frist Widerspruch dagegen einlegt. Diesen Weg wollte bereits der 7. Deutsche Bundestag beschreiten. Unsere damalige Gesetzesinitiative wurde von allen Fraktionen des Hohen Hauses begrüßt und einstimmig in erster Lesung in den Ausschüssen und in zweiter und dritter Lesung im Plenum beschlossen. Diese damaligen einstimmigen Beschlüsse des Deutschen Bundestages, also Beschlüsse, denen die FDP zugestimmt hat, denen die CDU/CSU zugestimmt hat und denen die SPD zugestimmt hat, liegen unserer heutigen Drucksache zugrunde.
Warum ist es damals nicht dazu gekommen? Der Bundesrat hat Einspruch eingelegt. Es ist uns nicht gelungen, diesen Einspruch zurückzuweisen, weil sich die SPD-Fraktion damals dieser Aufgabe versagt hat. Ich hoffe aber, daß es dieses Mal im Bundesrat gar nicht mehr zum Einspruch kommen wird, sondern daß der Bundesrat seine Bedenken so weit zurückstellt, daß unser Grundanliegen verwirklicht werden kann.
Wir schlagen folgendes vor. Unser Gesetzentwurf will nicht generell, für alle Fälle, die Rechtsverordnungen auf Grund der Ermächtigung des Straßenverkehrsgesetzes, denen der Bundesrat zugestimmt hat, auch noch einer Behandlung im Bundestag unterziehen. Wir wollen hier rationell vorgehen. Durch den Einspruchsvorbehalt soll lediglich sichergestellt werden, daß in politisch bedeutsamen Fällen, wenn im Bereich des Straßenverkehrs erheblich in die Interessen des Bürgers eingegriffen wird, die Volksvertretung ein begrenztes Mitspracherecht erhält. Ein solches legitimes Interesse des Parlaments zur Mitwirkung am Erlaß von straßenverkehrsrechtlichen Rechtsverordnungen, die sich besonders schwerwiegend auf die Rechtssphäre des Bürgers auswirken, kann beispielsweise in folgenden Fällen vorliegen.
Ich nenne die Einführung von Sonntagsfahrverboten. Überlegen Sie sich: wenn die Bundesregierung und die Landesregierungen beschlössen: „Sonntags kein Kraftverkehr mehr", würde das sicherlich die Lebensgewohnheiten von Millionen Deutschen erheblich beeinflussen.
Oder die Festlegung von Mindestbedingungen und zeitlichen Befristungen der Fahrerlaubnis: Das betrifft z. B. die Frage, ob man ab einem gewissen Lebensalter noch eine Fahrerlaubnis beibehalten kann, die man 30 oder 40 Jahre lang gehabt hat. Dies ist zweifellos ein Eingriff in die Rechte von Mitbürgern, zu dem wir normalerweise keine Regierung ermächtigen würden. Wenn ein Gericht so etwas im Einzelfall macht, dann gibt es ein paar Instanzen darüber. So etwas können wir nicht einfach der Bundesregierung oder dem Bundesrat überlassen.
Oder Rechtsverordnungen über Gesundheitsprüfungen zum Zweck der Feststellung mangelnder Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen: Da werden Sie von der Bundesregierung par ordre de mufti aufgefordert, sich beim Gesundheitsamt zu melden und dort feststellen zu lassen, ob Sie noch richtig gucken können.
Das sind Sachen, die nach unserer Meinung in diesem Hause beraten und beschlossen werden müssen und nicht der Bundesregierung und dem Bundesrat überlassen werden können.
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Oder Festsetzung des Mindestalters der Führer von Kraftfahrzeugen: Haben Sie vielleicht zu Hause Kinder im Alter von 15, 16, 17 Jahren? Für die gibt es kein dringenderes Problem als das, wann sie ein Mofa oder ein Moped fahren dürfen. Und das überlassen wir der Bundesregierung und dem Bundesrat! Ich möchte beinahe die Behauptung wagen, daß die Frage, ab wann sie diese Dinger fahren dürfen, sie mehr interessiert als die Frage der Volljährigkeit oder der Beteiligung an Wahlen - aber dafür war eine Grundgesetzänderung erforderlich.
Oder der Einführung von allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten: Über die Diskussion darüber ist einmal ein Verkehrsminister gestürzt. Aber der Deutsche Bundestag soll sich weiterhin des Rechts begeben, darüber, wenn er will, entscheiden zu können.
Oder die Vorschriften über die Beschaffenheit und Ausrüstung der Fahrzeuge: Diese Bestimmungen haben eine größere finanzielle Bedeutung für unsere Bürger als manche hochgefeierten Steuerentlastungsgesetze, die wir in diesem Haus beschlossen haben.
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Ich meine, damit deutlich gemacht zu haben, warum der Deutsche Bundestag sich mit diesen Themen befassen soll.
Wir schlagen nun vor, nicht alle zu nehmen, sondern nur die politisch wichtigen. Das bedeutet: Wir wollen, daß sich der Bundestag mit diesen Verordnungen nur befaßt, wenn so viele Mitglieder des Bundestages, wie zur Bildung einer Fraktion erforderlich sind, den Antrag auf Befassung mit der
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Rechtsverordnung stellen. Damit ist ein Filter geschaffen, damit dieses Haus nicht überschwemmt wird, sondern nur die politisch wirklich relevanten, d. h. die in der Bevölkerung diskutierten Themen sollen hier besprochen werden.
Politisch zu verantwortende Grundsatzentscheidungen gehören nach der Auffassung meiner Fraktion und nach meiner Überzeugung im Grund genommen des ganzen Hauses in die Hand der Volksvertretung. Sie müssen im Bundestag gefällt werden.
Der Bundesrat wirkt zwar mit. Wir begrüßen das natürlich. Denn er garantiert eine fachliche Kontrolle und breitere Grundlage der Regierungsentscheidung. Der Bundesrat ist gesetzgebende Körperschaft. Aber er ist nicht Volksvertretung. Deshalb genügt seine Einschaltung allein nicht, wenn rechtspolitische Grundsatzentscheidungen erforderlich sind. Ich hoffe, der Bundesrat sieht dies ein und ficht nicht einen Kampf auf diesem Feld aus, wo er auf die Dauer nur verlieren kann.
Wenn auch andere Vorschläge zur Bewältigung des Bedürfnisses nach Beteiligung des Bundestags ins Gespräch gebracht worden sind, z. B. von seiten der SPD-Fraktion, so darf ich doch bemerken, daß alternative Lösungsvorschläge, obwohl wir dieses Thema seit nunmehr wohl vier Jahren diskutieren, nicht vorliegen und daß im 7. Deutschen Bundestag einhellig die Auffassung vertreten wurde, das Parlament müsse das Straßenverkehrsrecht stärker als bisher mitgestalten.
Deshalb ist es nur folgerichtig, daß meine Fraktion in diesem Sinn aufs neue die Gesetzesinitiative ergreift, genauso wie sie heute zu anderen Punkten dieser Tagesordnung die Initiative ergriffen hat. Ich frage mich überhaupt, wie die Tagesordnung des Deutschen Bundestages im Augenblick aussehen würde, wenn hier nicht Initiativen der Opposition behandelt würden.
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Ich darf Sie daher bitten, den Entwurf dieses Gesetzes an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen und ihn mit Ihrer Unterstützung zu begleiten, bis er im Bundesgesetzblatt steht.
Ich bedanke mich bei den anwesenden Damen und Herren und bei den Zuhörern für ihre freundliche Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß zu diesem Thema Abgeordnete der Opposition und die Oppositionsfraktion auch in dieser Legislaturperiode die Initiative ergriffen haben. Aber Herr Dr. Lenz stellt sein Licht unter den Scheffel. Ich meine, diese Initiative ist um vieles mehr wert, ernsthafter und beachtenswerter als etwa das Thema Beschwerdestelle, das diese Würdigung keineswegs verdient.
Wir unterhalten uns hier in zweiter Auflage - wenn auch in dieser Legislaturperiode zum erstenmal - über dieses Thema, und deshalb ist es angebracht, sich einigermaßen kurz zu fassen. Im Ziel, nämlich mehr Beteiligung des Parlaments an der Gesetzgebung zum Straßenverkehrsrecht, sind wir uns einig. Herr Kollege Lenz hat anschaulich Beispiele dafür aufgezählt, wie Entscheidungen zum Straßenverkehrsrecht in das Leben von Millionen Bürgern eingreifen, und ich gebe ihm völlig recht mit seiner Vermutung, daß junge Menschen die Frage, wann sie welches Motorfahrzeug führen dürfen, mehr interessiert als die Frage, was sie mit ihrem Konto bei der Sparkasse allein und was nur mit Erlaubnis der Eltern machen dürfen. Damit hat er sicher völlig recht. Dieses Beispiel sollten wir uns merken.
Deshalb ist es paradox, daß die letzte größere Änderung der Straßenverkehrsordnung durch eine Briefmarkenserie „Neues Recht im Straßenverkehr" gefeiert wurde, eine Briefmarkenserie aber weder der Mitbestimmung noch der Strafrechtsreform, noch der Rentenreform, noch anderen Gesetzen, die in diesem Hause beschlossen wurden, gegönnt worden ist. So wichtig ist dieses Problem. Kaum einer der Bürgerinnen und Bürger, die diese Briefmarken benutzt haben, hat daran gedacht, daß der Deutsche Bundestag darüber nicht mitzubestimmen hatte. .Das haben wir schon deshalb gemerkt, weil Straßenverkehrsprobleme, Geschwindigkeitsbegrenzungen usw. Themen waren, auf die wir alle - zum Teil recht vorwurfsvoll - in Versammlungen und öffentlichen Diskussionen angesprochen worden sind. Wenn wir dann Wilhelm Busch zitiert und dargelegt haben, was dort über den Hund der Witwe Bolte steht, nämlich: „Laut ertönt sein Wehgeschrei, denn er fühlt sich schuldenfrei",
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haben die Bürger gestaunt; denn sie glaubten, so etwas könne doch nicht beschlossen werden, ohne daß das vom Volk gewählte Parlament ein Mitbestimmungsrecht habe.
Im Ziel sind wir uns hier durchaus einig. Es bedarf nur der Diskussion über den richtigen Weg. Eine Möglichkeit hat Herr Dr. Lenz aufgezeigt. Sie steht im Entwurf, über den wir hier debattieren: Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates, aber danach Möglichkeit des Zurückholens ins Parlament. „Kassationsmöglichkeit" sagen die Juristen manchmal dazu. Ich möchte anschaulich sagen: eine Verordnung mit Notbremsgriff, der von einer Fraktion des Bundestages binnen kurzer Frist gezogen werden kann.
Es gibt solche Zustimmungsverordnungen zwar selten, aber es gibt sie anderswo. Verfassungsrechtlich ist gegen sie nichts einzuwenden. Über Verfassungspolitisches könnte man ausführlich debattieren. Ich erhoffe Ihr Einverständnis, wenn ich meine, daß wir diese verfassungspolitische Debatte im Rechtsausschuß führen sollten.
Es gibt die zweite Möglichkeit, die Verordnungsermächtigung in § 6 des Straßenverkehrsgesetzes einzuschränken. Dieser Lösungsmöglichkeit gibt
meine Fraktion den Vorzug. Das soll nicht heißen, daß alles das, was bis jetzt durch Verordnung gemacht wurde, künftig durch Gesetz gemacht werden soll. Das geht überhaupt nicht, und das würde das Parlament auch überfordern; denn es gibt im Straßenverkehrsrecht Grundsatzentscheidungen, die man politische Entscheidungen nennen darf, und es gibt jeweilige Anpassungen an den technischen Fortschritt, bei denen geprüft werden muß, welche Anforderungen nach dem Stand der Technik möglich und wirtschaftlich einigermaßen vertretbar sind. Wenn dieses Drehen an der Schraube des Fortschritts nur unter Beteiligung des Bundestages und seiner Ausschüsse geschehen könnte, dann müßten sich unsere Kolleginnen und Kollegen im Verkehrsausschuß zu Fachleuten für die Konstruktion von Auspuffen und sicheren Lenkrädern oder zu Spezialisten für Knautschzonen entwickeln. Das wäre nicht gerade der Sinn des Parlaments. Dafür hat man die Fachleute in der Exekutive. Die grundlegenden Entscheidungen müssen aber im Parlament getroffen werden. Für das Auseinandersortieren der Bereiche, die Anpassungen an den technischen Fortschritt, und der, die wichtige Grundsatzentscheidungen, die politische Entscheidungen sind, erfordern, hofft der federführende Rechtsausschuß auf den Ratschlag der Kollegen im Verkehrsausschuß.
Daß allerdings die Bundesländer, wenn dieses Gesetz im zweiten Durchgang dem Bundesrat zugeleitet wird, frohgemut zustimmen werden, Herr Kollege Lenz, wage ich zu bezweifeln. Ich habe läuten hören, das Bayerische Staatsministerium des Innern habe kategorisch erklärt, seine ,Stellungnahme aus der letzten Legislaturperiode - und die war keineswegs zustimmend - habe sich nicht geändert.
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- Ich möchte die Wichtigkeit des Bundeslandes Bayern keineswegs unterschätzen.
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Wir werden diese Problematik im Ausschuß behandeln. Sie bemerken, daß es sich hier um ein Problem handelt, bei dem parteipolitische Profilierung nicht angebracht und übrigens auch nicht erfolgversprechend ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrte Dame! Meine Herren! Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß wir uns mit der Materie nicht zum erstenmal befassen und daß wir in dieser Frage schon einmal von einer erfreulichen Einmütigkeit gewesen sind. Es ist jetzt durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Dürr ein gewisser Akzent im Hinblick auf die Lösungsmöglichkeiten hineingekommen. Es scheint mir ganz wesentlich zu sein, daß wir alle bereit sind, die Geschichte in den Ausschußberatungen noch einmal praktisch anzuschauen. Wir bitten sehr darum, daß uns die wenigen Beispiele für vergleichbare gesetzliche Regelungen, die Herr Kollege Lenz schon in der letzten Legislaturperiode hier einmal angeführt hatte, noch einmal im einzelnen dargelegt werden.
Wir rechnen bei unseren Beratungen auf die Hilfe der Bundesregierung. Dies ist nicht ganz so einfach. Von den Herren Vorrednern ist etwas umgangen worden, warum der Entwurf in der letzten Legislaturperiode gescheitert ist. Ich habe gelegentlich das Gefühl, daß eine Verordnungsermächtigung auf die Beamten, denen sie ganz zweifellos eine wesentliche Möglichkeit der beruflichen Selbstverwirklichung erschließt und die den vorderen Teil eines Gesetzentwurfes geradezu gleichgültig betrachten, weil es ihnen nur um die Übergangsvorschriften und die dort enthaltene Verordnungsermächtigung geht, eine geradezu sinnliche Faszination ausübt. Daran, meine ich, ist der Entwurf in der letzten Legislaturperiode letzten Endes gescheitert. Nur wenn man das ganz klar sieht und versucht, sich mit den Herren, denen wir bei dieser Gelegenheit aus den hier schon dargelegten Gründen ein wenig von ihren Möglichkeiten wegnehmen wollen, ganz offen auszusprechen, und unsere Gründe darlegt, wird das gehen. Das hier ist nur ein Beispiel; daß das andere auch sehen, macht die Sache nicht einfacher. Beim Straßenverkehrsgesetz ist das ein besonders wichtiger Fall. Es gibt aber ähnliche Fälle, und man fürchtet andernorts, daß das Beispiel Schule machen könnte und daß derartige Eingriffe in die Verordnungsermächtigungen auch an anderer Stelle vorgenommen werden.
Ich bin aber der Meinung, wir sollten das äußerste versuchen, um zu einem praktikablen Ergebnis zu kommen. Wir werden dabei mithelfen. Es gab unter den vielen recht unterschiedlich zu bewertenden Aktivitäten der Opposition dieses Hauses - Herr Kollege Dürr hat schon darauf hingewiesen -, mit denen sie dann, wie Herr Lenz das dargestellt hat, die Tagesordnung anreichert, auch eine Anfrage der Kollegen Leicht, Vogel ({0}) usw. vom 22. März 1977, die sich in etwa mit der Problematik der Gesetzes- und Verordnungsflut befaßt hat. Ich finde dort einen Satz, den ich dem Hause noch einmal in Erinnerung rufen möchte. Unter Punkt 8 dieser Anfrage findet sich die bemerkenswerte Fragestellung: Mit welchem Verwaltungs- und Personalaufwand ist auf Grund der Verabschiedung eines Gesetzes durchschnittlich zu rechnen? Das ist natürlich eine bedeutende Frage. Daß die Bundesregierung diese Frage wegen des damit wiederum verbundenen erheblichen Arbeits- und Personalaufwands nicht beantworten mochte, kann ich nur zu gut verstehen.
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Da erscheint es mir schon sinnvoller, sich auf so
praktische Weise, wie Herr Kollege Lenz uns das
heute vorgeschlagen hat, mit der Sache zu befassen.
Ich verhehle nicht, daß ich eine Neigung mehr zu der von Herrn Lenz vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeit habe, weil es mich beeindruckt, daß man hier handeln kann, ohne handeln zu müssen, daß diese Regelung eine fleet in being darstellt und von daher damit zu rechnen ist - ich glaube, daß man damit rechnen kann -, daß die blanke Tatsache, der
Bundestag könne etwa eine Verordnung an sich ziehen, bei der Gestaltung dieser Verordnung und bei den vorhergehenden Beratungen eine ganz wesentliche Rolle spielt, ohne daß man von der Möglichkeit dann überhaupt praktisch Gebrauch machen muß. Es ist natürlich faszinierend, daß man einen Erfolg erreichen kann, ohne dafür überhaupt ernsthaft arbeiten zu müssen. Deshalb gefällt mir diese Lösung schon sehr.
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Wir wollen in den Beratungen aus den mehrfach dargelegten Gründen versuchen, die alte Einmütigkeit wiederherzustellen, und dann zu den segensreichen Wirkungen kommen, die wir uns alle von einer solchen Lösung versprechen.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so daß ich die Aussprache schließe.
Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen - mitberatend - zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir stehen am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 7. Dezember 1977, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.