Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/4/1977

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich unserem Kollegen Dr. Becher ({0}), der am 1. Oktober 1977 seinen 65. Geburtstag gefeiert hat, herzlich gratulieren. ({1}) Auf der Diplomatentribüne hat der Vorsitzende der Parlamentarischen Gruppe der Sozialistischen Partei Portugals, Herr Dr. Zenha, Platz genommen. Ich freue mich, den portugiesischen Gast im Deutschen Bundestag begrüßen zu können. ({2}) Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat mit Schreiben vom 29. September 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Krockert, Conradi, Henke, Ibrügger, Immer ({3}), Meininghaus, Menzel, Müntefering, Paterna, Polkehn, Walthemathe, Wuwer, Dr. Jens, Esters, Ewen, Müller ({4}), Stahl ({5}), Wurbs, Gattermann und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Baugenehmigungsverfahren ({6}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/958 verteilt. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30. September 1977 dem Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz zugestimmt. Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({7}) Nr. 3164/76 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ({8}) überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Beschluß des Rates zur Festlegung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft auf dem Gebiet der Uranschürfung und Urangewinnung ({9}) überwiesen an den Ausschuß für Forschung und Technologie ({10}), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Abweichung von der Verordnung ({11}) Nr. 1445/72 über das Warenverzeichnis für die Statistik des Außenhandels der Gemeinschaft und des Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten ({12}) zugunsten Dänemarks ({13}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({14}) Nr. 1736/75 über die Statistik des Außenhandels der Gemeinschaft und des Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten ({15}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({16}) des Rates zur Festsetzung von Plafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Israel ({17}) ({18}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates zur Verlängerung der Genehmigungspflicht für Einfuhren von Baumwollgeweben und Bekleidung mit Ursprung in bestimmten Drittländern in einige Gebiete der Gemeinschaft ({19}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Einbringung des von der Bundesregierung zugeleiteten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 ({20}) - Drucksache 8/950 Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Jahrestagung des Internationalen Weltwährungsfonds hat allen Mitgliedsländern sehr deutlich gemacht, daß wir in den hinter uns liegenden Jahren zwar deutliche Fortschritte bei der Überwindung der weltweiten Rezession gemacht haben, eine Reihe von Problemen aber weiter nach Lösungen verlangt. Viele europäische Länder haben ihre Zahlungsbilanzprobleme mildern können. Wir haben zur Zeit keine weitreichenden Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Welthandels. Einige unserer Partner haben auch ihre Inflationsraten abbauen können, obwohl die Erfolgsmeldungen hier sehr viel weniger überzeugend klingen. Aber bei fast allen unseren Handelspartnern ist der schnelle Wachstumsprozeß des Jahres 1976 und der ersten Monate dieses Jahres ins Stocken geraten. Deshalb kommt es weltweit darauf an, mit den Mitteln der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik die Konjunktur erneut zu beleben, ohne gleichzeitig die immer noch vorhandenen Inflationsgefahren zu stärken. Die starke Stellung der Bundesrepublik und ihrer Währung, der Deutschen Mark, unsere Erfolge bei der Inflationsbekämpfung verpflichten uns, unseren Teil zur Sicherung des Wachstumsprozesses auch in unserem nationalen Interesse beizutragen. Wir sind in diesen Tagen mit Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem intensiven Meinungsbildungsprozeß darüber, wie und in welchem Umfang wir das bereits beschlossene 16-Milliarden-DM-Investitionsprogramm durch zusätzliche wirksame Maßnahmen der Steuer- und Ausgabenpolitik ergänzen können. Es ist in Washington sehr deutlich geworden, daß man von uns alles in unseren Kräften Stehende erwartet, um den deutschen Wachstumsprozeß für 1978 zu festigen. Dabei kommt den anderen Gebietskörperschaften eine zentrale Rolle zu. Der Bund allein kann eine expansive Haushaltspolitik nicht leisten. Er benötigt dazu die volle Mitwirkung und Unterstützung der Bundesländer und der Gemeinden. Wir müssen unseren Partnern weltweit allerdings auch sehr deutlich sagen, daß es keinen Zweck hat, in der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik „Schwarzen Peter" spielen zu wollen. ({0}) Eine Reihe von Ländern haben trotz intensiver Anstrengungen kaum Erfolge bei ihrer Preisstabilisierungspolitik gehabt. Sie haben deshalb heute eine hohe Arbeitslosigkeit, denn Inflation führt schlußendlich zur Arbeitslosigkeit. ({1}) - Ja, sicherlich! ({2}) Aus diesem Grunde, meine sehr verehrten Damen und Herren - und so nehme ich Ihren Beifall als Zustimmung für die Politik der Bundesregierung auf -, ({3}) kann auch nicht bestritten werden, daß unsere Preisstabilisierungspolitik dazu geführt hat, daß wir neben der Schweiz in der Bekämpfung der Inflation die Weltbesten sind. Inflation ist in unserem Lande kein Problem! ({4}) Aber lassen Sie mich zur internationalen Debatte zurückkehren, die ja direkt in unsere Haushaltsberatungen hineinwirkt. Unsere Nachbarn können und dürfen nicht andere Länder für ihre Schwierigkeiten verantwortlich machen. Sie müssen zwar weiterhin für das Ziel stärkerer Preisstabilität in ihrem Lande eintreten, können aber dennoch auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zur Fortsetzung des Wirtschaftsaufschwungs leisten. Nur dann, wenn wir gemeinsam den vor uns liegenden Aufgaben der Fortsetzung des Wirtschaftsaufschwungs bei fortgesetzter Bekämpfung der Inflation unser Augenmerk leihen, wenn also die Aufgabe der Wohlstandsmehrung für alle Länder auf viele Schultern gelegt wird, kann das Werk gelingen. Andererseits kann nicht übersehen werden, daß diese Art konzertierter Politik, um die wir uns bemühen, auch erneut Zahlungsbilanzungleichgewichte über das bestehende Maß hinaus schaffen kann. Deshalb ist es für uns so wichtig, auch in diesem Bereich dadurch internationale Solidarität zu üben, daß die internationalen Institutionen, hier insbesondere der Internationale Währungsfonds, in die Lage versetzt werden, Zahlungsbilanzhilfe als Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Dies alles bedeutet nicht, daß die wichtigsten Partner im Welthandel ihren wirtschaftspolitischen Kurs ändern sollten. Wir müssen uns allerdings weltweit neuen Herausforderungen stellen. Manche der international verwendeten Argumente sind nicht zutreffend und bei einigen unserer Partner vor allem dazu da, eigene Versäumnisse zu kaschieren. Das wäre durchaus zu ertragen. Es besteht aber die Gefahr, daß diese Argumente jetzt in die Debatte eingeführt werden, um damit später Maßnahmen zum Schutz der eigenen Industrie, also den Protektionismus, zu rechtfertigen. National ist Arbeitslosigkeit ein menschliches und ein soziales Unglück; international führt sie bei Andauern zu dem Versuch, eigene Probleme zu Lasten Dritter zu lösen. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, müssen uns jedem Versuch des Protektionismus energisch entgegenstemmen. ({5}) Nur der freie Welthandel hält die Völkergemeinschaft zusammen und vermeidet Auseinandersetzungen aller gegen alle. Und hier schließt sich der Kreis: Ein so starkes Land wie die Bundesrepublik, abhängig vom Export, muß allein schon deshalb alles in seinen Kräften Stehende tun, um anderen diesen verhängnisvollen Weg zu verbauen. Wir dürfen durch unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik niemandem einen Vorwand für den Griff zum Handelsprotektionismus liefern. ({6}) Mit dem Entwurf des Bundeshaushaltes 1978 leisten wir einen wesentlichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum im kommenden Jahre. ({7}) Eine Steigerung um über 10 v. H. ist der konjunkturellen Lage angemessen. Die Ausgaben des Bundes steigen damit im nächsten Jahr deutlich schneller als das von uns erwartete Bruttosozialprodukt. Diese expansive Steigerung der Ausgaben des Bundes wird verstärkt durch weitreichende Steuerverzichte aller öffentlichen Hände: des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Ab 1. Januar 1978 verzichten wir auf etwa 12 Milliarden DM Steuereinnahmen auf Grund bereits beschlossener und noch zu entscheidender Steuersenkungen. Hinzu kommt eine kräftige Verbesserung des Kindergeldes für Mehrkinderfamilien, die den Bundeshaushalt mit fast 2 Milliarden DM zusätzlich belastet. ({8}) Die Nettokreditaufnahme des Gesamthaushaltes wird deshalb gegenüber 1977 um mindestens 11 Milliarden DM auf etwa 47 Milliarden DM steigen. Sicherlich wird mir bei dieser Betrachtung entgegengehalten - es ist mir eben auch schon durch einen Zwischenruf entgegengehalten worden -, daß gleichzeitig ab 1. Januar 1978 die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöht und daß damit ein begrenzter Teil der Steuererleichterungen über Steuermehreinnahmen finanziert wird. Doch die Erhöhung der Mehrwertsteuer war notwendig wegen des fortlaufend wachsenden Anteils der direkten Steuern am gesamten Steueraufkommen und der gleichzeitigen Abnahme des Anteils der indirekten Besteuerung an den Steuereinnahmen aller öffentlichen Hände. Es muß sich lohnen zu arbeiten. ({9}) - Ihrem erneuten Beifall entnehme ich, daß auch Sie der Meinung sind, daß das Steuerpaket der Bundesregierung schnellstens verabschiedet werden sollte. ({10}) Ich freue mich sehr darüber, daß Sie auf diese Weise zunehmend die Finanz- und die Steuerpolitik der sozialliberalen Bundesregierung unterstützen. ({11}) Es darf nicht so sein, daß ein kleiner Teil unserer Bevölkerung, ein gutes Drittel, zunehmend über die Lohn- und Einkommensteuer die Finanzierung der öffentlichen Ausgaben übernimmt, die allen 60 Millionen deutschen Bürgern zugute kommt. Manche bezweifeln - auch in diesem Deutschen Bundestag -, ob die von der Bundesregierung vorgeschlagene Doppeloperation - Steigerung der öffentlichen Ausgaben einerseits und Reduzierung der öffentlichen Einnahmen durch Steuersenkungen andererseits - vernünftig ist. Sie hätten sich gern - je nach politischer Einstellung - entweder für nur Steuererleichterungen oder aber für nur Ausgabensteigerungen entschieden. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, die Mehrheitsfraktionen ({12}) im Deutschen Bundestag sind nach gründlicher Abwägung der Vor- und Nachteile sowie der bestehenden Möglichkeiten zum Ergebnis gekommen, daß die Doppelaktion „Ausgabensteigerung plus Steuererleichterungen" vernünftig ist, nicht zuletzt deswegen, weil es nur begrenzt möglich ist, schnell und sinnvoll öffentliche Ausgaben zu steigern. Es hat ja keinen Zweck, gigantische Haushaltssteigerungen zu produzieren, die am Ende zu einer Dauerbelastung aller öffentlichen Hände führen und damit das Ziel der Haushaltskonsolidierung gefährden würden, wie es natürlich auch keinen Sinn hat, durch massive, wirtschaftlich nicht verantwortbare Steuersenkungen den Etat so zu beschneiden, daß die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens in Gefahr gerät. Es kann sich deshalb nur darum handeln, einen Mittelweg zwischen den beiden theoretisch möglichen Wegen zu wählen, wenn es darum geht, expansive Finanzpolitik zu betreiben. In diesen Monaten wird der Finanzpolitik der Vorwurf gemacht, sie sei zentral und ursächlich dafür verantwortlich, daß der Wirtschaftsaufschwung der Jahre 1975/76, der auch in 1977 noch angehalten hat, zum Stocken gekommen sei. Ich kann diese Betrachtung so nicht akzeptieren. Man kann sicherlich im nachhinein darüber reden, ob das bisherige Konsolidierungstempo nicht zu hoch gewesen ist. Zu meinen aber, die Finanzpolitik habe die eigentlichen Wachstumsverzögerungen verursacht, wäre eine schlimme Fehlinterpretation unserer marktwirtschaftlichen Ordnung und des Anteils des Bundes an der Schaffung unseres Bruttosozialprodukts. Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem letzten Monatsbericht auf die wesentlichen Ursachen des Wachstumsverlustes hingewiesen, nämlich massive administrative und politische Verzögerungen bei privaten und öffentlichen Investitionen bis zu einer Größenordnung von 25 Milliarden DM, ({13}) ein schwach wachsender Welthandel und eine geringe private Investitionsneigung. Im übrigen sind es dieselben gewesen, die heute von einer deflatorischen Lücke in den öffentlichen Finanzen sprechen, die uns noch im letzten Jahr eine massive und schnelle Konsolidierung der öffentlichen Finanzen angeraten haben. ({14}) Ich will dafür nur zwei von zahlreichen Beispielen nennen, ohne damit irgendwelche Vorwürfe zu verbinden. So stellt der Sachverständigenrat im November 1976 fest: „Die wichtigste Aufgabe der Finanzpolitik ... ist die Fortsetzung der Konsolidierung ..." Er kommt im September 1977 dagegen zu folgendem Ergebnis: „Kursänderung bei der Konsolidierungsstrategie ist nötig." Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin sagte im Juli 1976, der Verzicht auf Steuererhöhungen gefährde die Konsolidierung. Im Mai 1977 stellt das gleiche Institut fest: Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte erschwert den Abbau der Arbeitslosigkeit. Nun ist es selbstverständlich unvermeidlich, Kurs und Geschwindigkeit der Finanzpolitik neuen Gegebenheiten anzupassen. Wir haben das in diesen Monaten deutlich getan. Aber Finanzpolitik ist kein flin3460 kes und wendiges Rennboot, das sofort auf Ruder und Maschine 'anspricht. ({15}) Vor allem aber ist die Finanzpolitik auf Voraussagen über die künftige gesamtwirtschaftliche Entwicklung in unserem Lande und weltweit angewiesen. Sie muß ihnen Rechnung tragen. Manche der für die wirtschaftlichen Projektionen Verantwortlichen machen es sich heute in der aktuellen Diskussion etwas zu leicht. Ein „stop-and-go" der Finanzpolitik ist weder möglich noch sinnvoll. ({16}) - Vielleicht hören sie erst einmal zu, meine sehr verehrten Herren, ehe Sie sich weiterhin freuen. Wir machen kein „stop-and-go", sondern wir korrigieren den Kurs. ({17}) Ein „stop-and-go" der Finanzpolitik ist weder möglich noch sinnvoll. ({18}) Worauf es ankommt, ist, die Marschgeschwindigkeit zu modifizieren und den Kurs zu richten, ohne dabei die generelle Linie in Frage zu stellen. Diese generelle Linie heißt auch für den Bundeshaushalt 1978: erstens das Mögliche zu tun, den Konjunkturaufschwung abzusichern, zweitens das Netz der sozialen Sicherheit durch Beiträge aus dem Bundeshaushalt abzustützen, drittens dabei die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung - dieses Ziel allerdings zeitlich versetzt - nicht aus dem Auge zu lassen. Ich möchte im übrigen alle davor warnen, in den vor uns liegenden Monaten eine Debatte zu führen, die sich im wesentlichen darauf konzentriert, nach Sündenböcken zu suchen, und zwar nicht, weil ich vor dieser Debatte Angst hätte. ({19}) Es kommt darauf an, die Verwerfungen einer weltwirtschaftlichen Rezession, Strukturkrisen, das Herannahen neuer Konkurrenten auf dem Weltmarkt aus der Dritten Welt ernst zu nehmen ({20}) und nicht nacheinander oder nebeneinander die Unternehmer und ihre Entscheidungen, die Gewerkschaften und ihre Lohnforderungen, die Finanzpolitik, Forderungen gesellschaftlicher Gruppen für unsere Schwierigkeiten verantwortlich zu machen und zu meinen, damit die Probleme lösen zu können. ({21}) Wir sind der Meinung, daß Probleme analysiert werden müssen - dies haben wir in den letzten Wochen getan -, dann muß gehandelt werden; dies tun wir heute. Das Aufkleben von Etiketten hilft Ihnen und auch uns nicht weiter. ({22}) Im übrigen - dies ist ein Vorgriff auf die morgige Debatte und auch eine Anregung für den fleißigen Herrn Zwischenrufer Dr. Strauß - ist die Finanzpolitik als Wirtschaftspolitik, als Teil der Gesellschafts- und Sozialpolitik an dem Erfolg, den wir, verglichen mit unseren europäischen und außereuropäischen Nachbarn, bei der Abwehr der auch unser Land 'bestürmenden Probleme gehabt haben, wesentlich beteiligt. ({23}) Wie ist es eigentlich anders zu erklären - auch Sie nehmen an internationalen Debatten teil -, daß die Probleme bei uns zwar groß sind, wir aber im internationalen Vergleich nicht nur gut dastehen, sondern oft auf internationalen Konferenzen von unseren Partnern gefragt werden, über welche zentralen Probleme eigentlich in unserem Land so leidenschaftlich und anhaltend debattiert wird, da sich diese Probleme im internationalen Vergleich doch als so relativ gering darstellen. Natürlich - dies will ich nicht verheimlichen - schwingt in der veröffentlichen Meinung von einigen, die an der internationalen Debatte teilnehmen, auch Mißgunst über unseren Erfolg mit. Ich will im übrigen mit diesen Feststellungen überhaupt nicht von unseren nationalen Problemen ablenken. Ich will auch nicht die Verantwortlichkeit der Bundesregierung, des Bundesfinanzministers, des Bundesparlaments für den Kurs unserer Finanzpolitik verkleinern. Ich will nur dazu beitragen, daß wir in den richtigen Perspektiven und in den richtigen Größenordnungen denken und damit auch handeln. Es war konjunkturell richtig und international geboten, während der Augustwochen dieses Sommers zum zweitenmal in diesem Jahre konjunkturell nachzusteuern. Wir treffen hier allerdings auf ein schwerwiegendes Problem. Die weltweiten Erwartungen an unsere Handlungsfähigkeit als Bundesregierung und als Bundesgesetzgeber sind nun leider größer als unsere Handlungsspielräume. ({24}) Ich beklage nicht die Regelungen unseres Grundgesetzes, nach denen die Finanzwirtschaft der Länder selbständig und vom Bund unabhängig ist, daß die Einflußmöglichkeiten des Bundes auf andere Gebietskörperschaften begrenzt sind, daß wir Einfluß nur nehmen können über die Gemeinschaftsaufgaben, über die Mitfinanzierung von Aufgaben der Länder und Gemeinden nach Art. 104 a des GrundBundesminister Dr. Apel gesetzes. Ich beklage, daß der Bund mit immer weniger Spielraum, mit immer weniger Anteil an den Steuereinnahmen aller öffentlichen Hände immer mehr leisten muß. Bei uns liegt doch die Verantwortung für die konjunkturelle Entwicklung in unserem Lande, auch wenn Maßnahmen der Konjunkturstabilisierung im Bereich der Finanzpolitik dadurch wirkungslos werden können, daß andere Gebietskörperschaften nicht mitziehen. Bei uns liegen die finanziellen Lasten für die außenpolitischen Verpflichtungen des Bundes, von unseren Beiträgen zur Europäischen Gemeinschaft über die steigenden Verpflichtungen im Bereich der Entwicklungshilfe bis hin zu den Beiträgen zu den UNO-Organisationen, ja selbst bis hin zur Verteidigungspolitik. Der Anteil des Bundes an der Neuverschuldung aller Gebietskörperschaften ist von 23 v. H. im Jahr 1973 auf rund 60 v. H. im Jahr 1978 gestiegen. Dies zeigt eine dramatische Verschlechterung des Anteils des Bundes an den gesamten Einnahmen des Staates. Wir können aber unseren Partnern in der internationalen Debatte nicht mit dem Hinweis auf den Föderalismus, auf die Schwierigkeiten der Finanzverfassung in unserem Lande erklären, warum manche Dinge bei uns nicht gehen oder nur schleppend gehen. Sie haben für diese verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Gegebenheiten kaum Verständnis. Die Überwindung von Strukturschwierigkeiten, Wachstumsschwierigkeiten in der Weltwirtschaft, hängt nicht zuletzt von der Bundesrepublik und ihrem Verhalten ab. Deshalb darf der Bund finanziell nicht ausbluten. Das ist der eigentliche Grund, weswegen ich durch das Ergebnis der Umsatzsteuerneuverteilung in der parlamentarischen Sommerpause so getroffen war. Es geht hier nicht um persönliche Niederlagen oder persönliche Erfolge. Es geht um die Frage, ob der Bund, der Zentralstaat, seine nationalen wie seine internationalen Verpflichtungen so erfüllen kann, wie das 60 Millionen Deutsche fordern und wie es viele, viele hundert Millionen Bürger außerhalb der Bundesrepublik von uns erwarten. ({25}) Wir sind mit dem Ihnen vorliegenden Haushaltsentwurf in die Nähe der Grenze der finanziellen Möglichkeiten des Bundes gegangen. Wir haben die Nettokreditaufnahme des Bundes gegenüber dem Soll des Haushaltsjahres 1977 von in diesem Jahr 20,7 Milliarden DM auf jetzt für 1978 27,5 Milliarden DM erhöht. Die Erhöhung der Nettokreditaufnahme des Bundes ist deswegen nicht noch höher ausgefallen, weil wir die Postablieferung wieder voll haben aufleben lassen. Die Ablieferungspflicht der Post besteht seit langem, weil die Post von der Mehrwertsteuer befreit ist. Seit 1965 hat der Bund jedoch teilweise - ab 1975 sogar vollständig - auf die Ablieferung verzichtet, um die Eigenkapitalbasis der Post auf ein Drittel des Gesamtkapitals zu erhöhen. Dieses Ziel wird 1978 erreicht, so daß die Notwendigkeit eines Verzichts nicht mehr gegeben ist. Neben der Postablieferung hat zur Kreditbegrenzung beim Bund beigetragen, daß wir uns selbst eine globale Minderausgabe von 2 Milliarden DM verordnet ({26}) und die Schätzansätze vom Kindergeld über die Ausbildungsförderung nach dem BAföG und die Kriegsopferversorgung bis hin zu den Personalverstärkungsmitteln äußerst knapp kalkuliert haben. Dadurch soll im übrigen auch sichergestellt werden, daß die vorgesehenen Gesamtausgaben wirklich abfließen und ihre konjunkturelle Wirkung voll entfalten. Mich schreckt diese Zunahme der Nettokreditaufnahme des Bundes nicht. ({27}) Wir haben im übrigen vor der Anhebung der Nettokreditaufnahme, die ja auch bei den anderen Gebietskörperschaften zumindest dadurch eintritt, daß wir beträchtliche Steuererleichterungen zum 1. Januar 1978 in Kraft treten lassen, die Deutsche Bundesbank gefragt. Auch die Deutsche Bundesbank hält die Nettokreditaufnahme, wie sie sich nun für den gesamten Haushalt ergibt, für inflationsfrei finanzierbar, ja konjunkturpolitisch geboten. Andererseits habe ich als Haushaltsminister die Verpflichtung, nicht einfach Haushaltsansätze aufzustocken, ohne gleichzeitig sicherzustellen, daß eine entsprechende konjunkturpolitische Wirkung eintritt und untragbare wie unvernünftige Dauerbelastungen für die Bundesfinanzen vermieden werden. Aus diesem Grunde sind wir zufrieden darüber, daß die zusätzlichen Ausgaben des Bundes im Jahre 1978 gegenüber dem geltenden Finanzplan in einer Größenordnung von 3,9 Milliarden DM vom Anstieg der Investitionsausgaben in einer Größenordnung von 5,4 Milliarden DM noch überrundet werden. Wenn die Investitionsausgaben des Bundes gegenüber dem Haushaltsjahr 1977 um 16,6 % bei einer Haushaltssteigerung von 10 % steigen, dann wird deutlich, wo wir die wirtschaftspolitischen Akzente unseres Bundeshaushalts 1978 legen wollen, nämlich bei den öffentlichen Investitionen, die direkt zur Beschäftigung führen und schließlich auch Voraussetzung für die Erleichterung privater Investitionen sind. ({28}) Ich weiß, daß der Bund nur zu einem bescheidenen Teil die öffentlichen Sachinvestitionen trägt, daß ein wesentlicher Teil der öffentlichen Investitionen bei den Ländern, insbesondere aber bei den Gemeinden vorgenommen und geplant wird. Um so wichtiger war es, bei geplanten und notwendigen Steuererleichterungen nicht beliebig auf Einnahmen der öffentlichen Hände zu verzichten, weil uns das in der Tat in die Gefahr gebracht hätte, die Investitionsfähigkeit und die Investitionsbereitschaft der anderen Gebietskörperschaften zu beschneiden und zu beschränken. Dies wäre dann allerdings keine adäquate Antwort auf die Herausforderungen der Zeit gewesen. Es ist im übrigen falsch anzunehmen, Investitionen ließen sich in einem Jahr durchführen, abschließen und bezahlen. Sie würden damit im nächsten Haushaltsjahr nicht mehr als Belastung der öffentlichen Ausgaben auftreten. Deshalb war es auch geboten, ein vierjähriges Infrastrukturprogramm mit einem Gesamtvolumen von. 16 Milliarden DM mit den Bundesländern und damit auch mit den Gemeinden zu verabreden. Wir haben diesen Zeitraum nicht nur gewählt, um die öffentlichen Investitionen zu verstetigen, sondern auch deshalb, weil öffentliche Investitionen ihre Zeit brauchen. Wir wurden es dennoch sehr begrüßen, wenn eine Beschleunigung der Durchführung dieses Programms möglich wäre. ({29}) Die Tatsache, daß wir ein Vierjahresprogramm haben - im Jahre 1977/78 beginnend, 1979 fortgeführt -, daß die Investitionen des Bundes nicht nur Beschäftigung bringen, sondern auch Steuermittel kosten, erklärt neben den fortdauernden Wirkungen der Steuersenkungen auch, warum die heute von uns erwartete Nettokreditaufnahme des Bundes für das Haushaltsjahr 1979 - wir werden ja den Bundeshaushalt 1979 in etwa acht Monaten aufstellen müssen - nicht sehr wesentlich unter der erwarteten Nettokreditaufnahme des Jahres 1978 liegen wird. Der Finanzplan, der Ihnen vorliegt, macht darüber hinaus deutlich, ({30}) wie begrenzt es nur möglich ist, im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung von den gegenwärtigen Nettofinanzierungssalden herunterzukommen. Dieser Finanzplan, der nach einer zweistelligen Steigerungsrate des Haushalts 1978 wieder auf Steigerungsraten von etwa 6 v. H. in den Haushaltsjahren 1979, 1980 und 1981 zurückfällt, macht aber vor allem deutlich, daß der Bund alle seine Kraft einsetzen muß, um bei künftigen Umsatzsteuerneuverteilungen zu einem für ihn gerechteren Ergebnis der Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern zu kommen. ({31}) Ich weiß, was ich hier sage. Manche von Ihnen werden schadenfroh denken oder auch, wie ich jetzt höre, sagen: Da wird sich der Finanzminister wieder eine Niederlage holen. Ich frage Sie nur, wie Sie es mit unserer nationalen Verantwortung und den bereits von mir angesprochenen internationalen Erwartungen halten wollen, ob wir die Frage der Finanzausstattung des Zentralstaates, seiner innen-und außenpolitischen Handlungsfähigkeit einer Art Kuhhandel zwischen den Ministerpräsidenten von elf Bundesländern und dem Herrn Bundeskanzler überlassen wollen. Dies kann doch nicht in unserem Interesse liegen. ({32}) - Ich bitte Sie! Ich kritisiere nicht den Kanzler, ich kritisiere die Verhaltensweise von elf Bundesländern, die hier eindeutig nur an ihre egoistischen Ziele denken und die gesamtnationale Verantwortung des Zentralstaates nicht sehen wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({33}) Da wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Verfassung nicht ändern können und auch nicht ändern wollen, ({34}) müssen wir Verfahren finden, die die gleichmäßige finanzielle Ausstattung der Gebietskörperschaften in Erfüllung des Auftrags des Art. 106 des Grundgesetzes sicherstellen. Wir machen dazu zur Zeit im Finanzplanungsrat auf Grund von § 51 des Haushaltsgrundsätzegesetzes einen sehr ernsthaften Anlauf. Wir haben einvernehmlich eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die einen Beitrag leisten soll, um Finanzplanungen aufeinander abzustimmen, die Daten stimmig zu machen, die Finanzpolitik der Länder, der Gemeinden und des Bundes paralleler laufen zu lassen. Wir hoffen sehr, daß wir noch im Frühjahr 1978 zu Ergebnissen kommen. Ich erhoffe mir im übrigen viel von den angekündigten Vorschlägen des Herrn Bundeskanzlers zur Versachlichung des Entscheidungsprozesses bei der Verteilung der Finanzmasse zwischen Bund und Ländern. ({35}) Hier geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht darum, Niederlagen zu vermeiden, ({36}) hier geht es nicht um Prestigekämpfe des Bundesministers der Finanzen mit seinen Länderkollegen, sondern es geht darum, ein Zeugnis davon abzulegen, daß wir wissen, was kooperativer Föderalismus heißt, und wie ernst wir es mit der Gemeinsamkeit bei aller Gegensätzlichkeit in Einzelfragen meinen. Im übrigen sollten wir auch die hohen Finanzierungsdefizite des Bundes, die den Haushälter natürlich bedrücken, weil wir mit zunehmender Schuldenlast einen zunehmenden Kapitaldienst zu leisten haBundesminister Dr. Apel ben, in die richtigen Relationen rücken. 1975, im Höhepunkt der Weltwirtschaftsrezession, hat der Bund 20 v. H. seiner Ausgaben über Kreditaufnahme finanziert. 1976 ist dieser Anteil auf 16 v. H. zurückgegangen. Er wird sich in diesem Haushaltsjahr auf etwa 13 v. H. belaufen. Wenn die Nettokreditaufnahme im nächsten Haushaltsjahr erneut steigt und dann 15 v. H. des Gesamtausgabevolumens ausmacht, dann scheint mir dies eine adäquate Antwort auf die weltweiten, aber auch auf die nationalen Herausforderungen in der Konjunkturpolitik wie in der Beschäftigungspoltik zu sein. Selbst die gegenwärtig ungerechte Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern auf Dauer unterstellt, geht der Anteil der Kreditfinanzierung an den Gesamtausgaben des Bundes bis 1981 auf 11 v. H. zurück. Gemessen an dem schnell wachsenden Bruttosozialprodukt unseres Landes, gemessen an der Kapitalbildung, sind die Finanzierungssalden der öffentlichen Hände nicht so beunruhigend, daß wir darüber aktuelle Aufgaben der Finanzpolitik zur Stabilisierung des Wirtschaftswachstums, zum Abbau der Arbeitslosigkeit vernachlässigen dürften. ({37}) Es ist nur eben so - und das ist das entscheidende Datum -, daß der Bund im Haushaltsjahr 1978 etwa 15 v. H. seiner Ausgaben über die Kreditaufnahme finanzieren muß, während die Länder nach den im Finanzplanungsrat erörterten Schätzungen insgesamt nur 7,5 v. H. ihrer Ausgaben über die Nettokreditaufnahme und die Gemeinden nur 4,5 v. H. ihrer Ausgaben über neue Kredite finanzieren müssen. Das widerspricht eindeutig dem Gebot des Art. 106 unseres Grundgesetzes. Ich weiß, dieser Betrachtung wird gern das Argument entgegengehalten, die Schuldenlast bei den anderen Gebietskörperschaften sei seit Jahren höher als beim Bund. Diese Problematik galt zweifelsohne für die Vergangenheit. Durch die antizyklische Finanzpolitik des Bundes haben sich hier aber die Verhältnisse zugunsten der Gemeinden und zu Lasten des Bundes verändert. Allen Unkenrufen zum Trotz können wir mit Befriedigung feststellen, daß trotz hoher öffentlicher Kreditaufnahme in den letzten Jahren keine zinstreibenden Effekte eingetreten sind, im Gegenteil. Wir alle erinnern uns noch daran, daß wir zur Dämpfung der Überkonjunktur im Jahre 1973 eine Stabilitätsanleihe aufgelegt haben, die damals eine Rendite von 10 % jährlich brachte. Heute sind die Renditen der Bundesanleihen auf fast 6 v. H. gesunken. Damit wird deutlich, daß die Finanzpolitik der letzten Jahre Augenmaß hatte, daß die Geldpolitik der Bundesbank dadurch nicht gestört wurde, daß Bundesbank und Bundesregierung gemeinsam das Ihrige getan haben, um sich wechselnden konjunkturellen Gegebenheiten anzupassen. Dies muß und dies wird auch in Zukunft so bleiben; denn wir können auch in den vor uns liegenden Monaten eine Wende im Zinstrend nicht gebrauchen. Sosehr es geboten war, die deutsche Wirtschaft im Bereich der Abschreibungen in eine günstigere Position für I zusätzliche Investitionen zu bringen, sosehr wäre es unverantwortbar, wenn auf der anderen Seite über eine Steigerung der Zinsen, die, wie wir wissen, direkt zu Kosten führt, in der deutschen Wirtschaft Vorteile im steuerlichen Bereich zunichte gemacht würden. Die Finanzpolitik trägt somit vielfältig Verantwortung für die weitere konjunkturelle Entwicklung in unserem Lande. Sie bestimmt über ihre Schuldenpolitik mit über das Zinsniveau. Ihre Steuerpolitik beeinflußt das Konsum- und das Investitionsverhalten in unserer Wirtschaft. Ihre Ausgabenpolitik hat direkte Konsequenzen für die Beschäftigung in unserem Lande. Es stimmt: Die öffentlichen Defizite wachsen wieder. Doch wenn uns jetzt der Mut fehlt, über die richtige Finanzpolitik die Konjunktur zu stimulieren, dann werden später über rückläufige Steuereinnahmen bei einer geringeren als der erwarteten Wachstumsrate die öffentlichen Defizite automatisch größer. Insofern heißt Finanzpolitik, richtig verstanden, auch dafür zu sorgen, daß über höhere Wachstumsraten, über den Abbau der Arbeitslosigkeit die Staatseinnahmen stärker wachsen, um damit die Handlungsfähigkeit der Gebietskörperschaften zu erhöhen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es wegen der Vordringlichkeit der konjunkturellen Probleme nicht für zweckmäßig, in meiner Einbringungsrede alle Einzeletats der Ressorts darzustellen. Dies wird sicherlich in der morgigen allgemeinen Aussprache notwendig sein, insbesondere aber in den vor uns liegenden parlamentarischen Beratungen und in der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushaltes 1978. Es scheint mir jedoch angemessen zu sein, zu drei Problemkreisen dieses Bundeshaushalts 1978 kommentierend Stellung zu nehmen. Wir haben im Bundeskabinett - in Übereinstimmung mit den Mehrheitsfraktionen dieses Bundestages - beschlossen, Fehlbeträge, die im Bereich der Sozialversicherung dadurch eintreten können, daß Wirtschaftswachstum und Abbau der Arbeitslosigkeit nicht so verlaufen, wie von uns noch vor einiger Zeit projektiert, auf den Bundeshaushalt zu übernehmen. Jeder politisch denkende Mensch kann diese Entscheidung eigentlich nur akzeptieren; denn es wäre natürlich konjunkturpolitisch nicht vernünftig gewesen, auf der einen Seite den Bürgern über Steuersenkungen mehr Kaufkraft in die Hand zu geben und ihnen gleichzeitig durch Erhöhung der Sozialbeiträge einen Teil dieser Vorteile wieder zu nehmen. ({38}) Der Arbeitsminister und ich haben nach dieser grundsätzlichen Übereinstimmung einen Weg gefunden, der deutlich macht, daß die Sozialversicherung - hier insbesondere die Rentenversicherung -nicht auf Dauer zum Kostgänger des Bundeshaushalts werden darf. Dieser Weg wäre im übrigen verhängnisvoll, nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für das Selbstverständnis und die Zukunft der Rentenversicherung. Wir haben deshalb Schulden des Bundes, die wir bei den Rentenversicherungsträgern haben und die in den 80er Jahren fällig werden, zur vorzeitigen Rückzahlung vorgesehen. Wir haben schließlich zweitens beschlossen, die normale Kindergeldlast, die für jedes Kind auf Grund des Bundeskindergeldgesetzes anfällt, ab 1979 von den Rentenversicherungsträgern auf den Bund zu übernehmen, um damit jährlich die Rentenversicherungsträger um gut 300 Millionen DM zu entlasten. Und wir haben drittens der Bundesanstalt für Arbeit auferlegt, früher als bisher die Rentenversicherungsbeiträge von Arbeitslosen zu übernehmen, und haben gleichzeitig beschlossen, ihr diese zusätzlichen Lasten mit dem Bundeshaushalt 1978 wieder abzunehmen. Daraus folgt: die Finanzen der Rentenversicherung sind in Ordnung. Auch künftig muß kein Rentner um seine Rente bangen. Auch künftig wird es regelmäßig Rentensteigerungen geben. Jeder, der etwas anderes sagt, weiß, daß er die Unwahrheit spricht; ({39}) er will nur aus der Angst alter Menschen politisches Kapital schlagen, und das ist schäbig, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({40}) Lassen Sie mich zu einem zweiten Problemkreis kommen. Der Etat des Entwicklungshilfeministers steigt mit 22 % mehr als doppelt so schnell wie der Bundeshaushalt insgesamt. Es wäre falsch, hier zu verschleiern, daß in dieser großen Steigerungsrate natürlich auch Leistungen enthalten sind, die auf Grund internationaler Verpflichtungen auftreten und die vor allem einen einmaligen Charakter haben und deswegen auch in künftigen Jahren nicht zu ähnlichen Steigerungsraten des Entwicklungshilfeetats führen werden, wenn wir auch, wie Sie der mittelfristigen Finanzplanung entnehmen können, vorhaben, den Etat des Entwicklungshilfeministers in etwa immer doppelt so hoch steigen zu lassen, wie es der allgemeinen Steigerungsrate des Haushalts entspräche. Dennoch wird an diesem Kraftakt im Haushaltsjahr 1978 deutlich, wie sehr die Bundesregierung versucht, mit ihren begrenzten Möglichkeiten und Mitteln ihrer weltweiten Verpflichtung gegenüber der Dritten und Vierten Welt gerecht zu werden. Hier wird deutlich, daß wir wissen, daß das Wohlergehen der Welt, auch die wirtschaftliche und politische Zukunft unseres Landes, nicht nur von dem Wohlergehen in der Bundesrepublik und bei unseren Industriepartnern abhängt, sondern von dem Wohl und Wehe der gesamten Welt. Dies ist e i n Planet, auf dem wir leben. ({41}) Hier können wir nicht willkürlich und einseitig Verpflichtungen von uns weisen, sondern wir sind aufgefordert, unser Möglichstes zu tun, und das auch im Interesse unserer eigenen Zukunft. Wir haben schließlich unsere über mehrere Jahre durchgehaltene, sehr restriktive Personalpolitik des Bundes, die darauf hinauslief, keine zusätzlichen Stellen beim Bund zu schaffen, vorsichtig gelockert. Es -versteht sich von selbst, daß es angesichts der Bedrohung unserer Demokratie durch Kriminelle geboten war, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um über eine Verbesserung der personellen wie der materiellen Ausstattung der Sicherungskräfte in unserem Lande die Zukunft unserer Demokratie, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates zu stärken. Wenn wir darüber hinaus auch im Bereich der allgemeinen Bundesverwaltung etwa 900 Stellen zusätzlich bewilligt haben, dann deshalb, weil es hier unabweisbaren Nachholbedarf gegeben hat. Wir haben allerdings dabei strikt darauf geachtet, daß es Stellenhebungen, sprich: Beförderungen, beim Bund nicht gibt, abgesehen von denen, die im Gesetz für den Bundesgrenzschutz bereits vor Jahren beschlossen waren! Denn bei aller Bereitschaft, auch den öffentlichen Dienst auch über die Möglichkeiten der Teilzeitarbeit in unsere Arbeitsmarktpolitik einzubeziehen, ist die Zeit nicht da, zusätzliche Beförderungen auszusprechen. Wenn mehr Menschen im öffentlichen Dienst für uns alle - ich denke hier insbesondere an die sozialen Dienste und den Bereich der Bildungspolitik - tätig sein sollen, dann heißt das nicht, für alle mehr Geld, sondern mehr Beschäftigung. Der öffentliche Dienst muß in diesem Rahmen seine Rolle spielen können. Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir sind überzeugt, daß der Ihnen vorgelegte Entwurf des Bundeshaushalts 1978 den Notwendigkeiten und den Gegebenheiten unserer konjunkturellen Lage entspricht. Er leistet einen Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftswachstums und zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Er erhöht dagegen die Nettokreditaufnahme des Bundes gegenüber vergangenen Haushaltsjahren. Wir halten das finanzpolitisch für geboten und auch für finanzierbar. Hier gibt es keine neuen Inflationsspielräume. Es bleibt genügend Investitionskapital für Private wie für Unternehmungen. Wir wollen damit unseren, den uns möglichen, Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Stabilisierung des Wirtschaftswachstums leisten. Es bleiben sicherlich manche Wünsche offen. Wir können sicherlich und müssen sicherlich auch über die eine- oder andere Position strittig debattieren. Es wäre ja wohl auch merkwürdig, wenn der Bundesgesetzgeber den Vorstellungen der Bundesregierung unkritisch und selbstverständlich folgte. ({42}) Nur, die Ausrichtung dieses Etats, die allgemeine Richtung, stimmt. Wir tun das hier und heute Notwendige: Wir geben den Bürgern Steuererleichterungen. Wir erhöhen die öffentlichen Investitionen. Wenn die anderen Gebietskörperschaften unserem Beispiel folgen, ist dies ein wesentliches Element für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. ({43}) Aber auch dann bleibt der Tatbestand bestehen, daß in unserer Wirtschaftsordnung viele Entscheidungszentren das Wohlergehen für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes mit beeinflussen: Tarifvertragsparteien, die Investoren, Sparer, die Konsumenten, vor allem aber auch unsere europäischen und überseeischen Handelspartner. Wenn es uns gelingt, daß wir gemeinsam das von uns gewollte Ziel des Abbaus der Arbeitslosigkeit und der Stabilisierung des Wachstums unterstützen - die Bundesregierung leistet dazu den ihr möglichen Beitrag -, dann wird das Jahr 1978 für uns ein wirtschaftlich erfolgreiches Jahr sein. Dann wird es ein Jahr sein, in dem die Bundesrepublik ihren nationalen wie ihren internationalen Verpflichtungen gerecht wird. ({44})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, das Haus hat die Einbringungsrede des Herrn Bundesministers der Finanzen gehört. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung findet die Aussprache darüber morgen statt. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung - Drucksache 8/974 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({0}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Wer dem Überweisungsvorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 5. Oktober 1977, 9 Uhr ein und schließe die Sitzung.