Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/21/1977

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Im interfraktionellen Einvernehmen wird für die Sommerpause folgende Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde empfohlen: Jedes Mitglied des Bundestages ist berechtigt, in den Monaten Juli und August 1977 je vier Fragen an die Bundesregierung zu richten; diese Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Fragen für den Monat Juli müssen bis spätestens Freitag, den 29. Juli, 11 Uhr, die für den Monat August bis spätestens Freitag, den 26. August, 11 Uhr im Parlamentssekretariat eingehen. Diese Abweichung von der Geschäftsordnung muß vom Bundestag nach § 127 der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Ich bitte diejenigen Mitglieder des Hauses, die mit dieser Empfehlung einverstanden sind, um ihr Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Empfehlung ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen - Stand 14. Juni 1977, 15 Uhr - vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen: Betr.: Bericht des Bundesministers für Verkehr über verkehrsregelnde und organisatorische Maßnahmen von Städten und Gemeinden zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs ({0}) ({1}) zuständig: Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({2}), Haushaltsausschuß Betr.: Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Interparlamentarischen Union über die Frühjahrstagung der IPU in Canberra vom 10. bis 16. April 1977 ({3}) zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({4}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Verhandlungen über die beiderseitige und ausgewogene Truppenverminderung ({5}) ({6}) zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({7}), Verteidigungsausschuß Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Vor.. bereitungstreffen am 15. Juni 1977 in Belgrad, vorgeschrieben durch die Schlußakte der Konferenz von Helsinki für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ({8}) zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({9}), Rechtsausschuß Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Schutz der Menschenrechte ({10}) zuständig: Rechtsausschuß ({11}), Auswärtiger Ausschuß, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zur Informationspolitik der Europäischen Gemeinschaften und insbesondere zum Informationsprogramm der Kommission für die Direktwahlen zum Europäischen Parlament ({12}) zuständig: Innenausschuß ({13}), Auswärtiger Ausschuß, Rechtsausschuß Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Seerechtskonferenz und ihren Folgen für die Europäische Gemeinschaft ({14}) zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({15}), Rechtsausschuß, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag ({16}) zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ich stelle fest, daß sich kein Widerspruch erhebt. Die Überweisung ist beschlossen. Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Überweisung von EG-Vorlagen Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Richtlinie des Rates zur Schaffung gemeinsamer Lagerkapazitäten für Erdöl und Erdölerzeugnisse in der Gemeinschaft über die Gründung von mit der Sicherstellung der Einlagerung von Erdöl und Erdölerzeugnissen beauftragten Stellen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie die Finanzierung dieser Stellen ({17}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur erstmaligen Änderung der Richtlinie des Rates Nr. 76 /118 /EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über bestimmte Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch für die menschliche Ernährung ({18}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Fischereitätigkeit vor den Küsten der Vereinigten Staaten und zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen ({19}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates ({20}) zur Änderung der Verordnung ({21}) Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein ({22}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Vizepräsident Stücklen Verordnung ({23}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({24}) Nr. 974/71 hinsichtlich des Preisniveaus, das bei der Berechnung der Währungsausgleichsbeträge zugrunde zu legen ist ({25}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der 'Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({26}) des Rates über eine für 1977 und 1978 geltende Abweichung von einigen Vorschriften über die Bestimmung des Begriffs „Waren mit Ursprung in ... oder Ursprungswaren" in dem Interimsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko und dem Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko ({27}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 66 /400/ EWG, 66 /401/ EWG, 66 /402/ EWG, 68 /193/ EWG, 69 /208/ EWG 70/458/ EWG und 70 /457/ EWG über den Verkehr mit Betarübensaatgut, mit Futterpflanzensaatgut, mit Getreidesaatgut, mit Pflanzkartoffeln, mit vegetativem Vermehrungsgut von Reben, mit Saatgut von 01- und Faserpflanzen, mit Gemüsesaatgut und über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten ({28}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({29}) des Rates zur Regelung der Lizenzerteilung zur Kontrolle der Fischereitätigkeit von Drittländern in den der Hoheitsgewalt oder Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten unterstellten Gewässern, für die die gemeinschaftliche Regelung für die Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände gilt ({30}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({31}) des Rates über den Transfer von Magermilchpulver an die italienische Interventionsstelle durch die Interventionsstellen anderer Mitgliedstaaten ({32}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({33}) des Rates zur Festlegung von Übergangsmaßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung bestimmter Heringsbestände ({34}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({35}) des Rates zur Aufrechterhaltung der Regelung, nach der die Einfuhr von Geweben aus Baumwolle und Geweben aus synthetischen Spinnfasern mit Ursprung im Königreich Thailand nach Italien von der Erteilung einer Genehmigung abhängig gemacht wird ({36}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({37}) des Rates zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/77 des AKP-EWG- Ministerrats über die Abweichung von dem Begriff „Ursprungswaren" angesichts der besonderen Lage von Malawi hinsichtlich einiger Fischfanggeräte ({38}) zur Durchführung des Beschlusses Nr. 2/77 des AKP-EWG- Ministerrats über die Abweichung von dem Begriff „Ursprungswaren" angesichts der besonderen Lage von Kenia hinsichtlich einiger Fischfanggeräte ({39}) ({40}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({41}) des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Äthylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs und ergänzende Bestimmungen für bestimmte äthylalkoholhaltige Erzeugnisse ({42}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({43}), Ausschuß für Wirtschaft, Finanzausschuß und Haushaltsausschuß mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Mitteilung der Kommission an den Rat betr. Nahrungsmittelhilfeprogramme 1977 für Magermilchpulver und Butteroil ({44}) überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({45}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({46}) des Rates zur Durchführung des Beschlusses des AKP-EWG-Ministerrats über die Beschäftigungsbedingungen für das Personal des Zentrums für industrielle Entwicklung hinsichtlich Besteuerung, soziale Sicherheit und Rechtsweg ({47}) überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Über die Reihenfolge des Aufrufs der Einzelpläne ist eine interfraktionelle Verständigung zustande gekommen, die Ihnen mit Schreiben vom 17. Juni 1977 mitgeteilt worden ist. Diese Mitteilung ist heute nochmals im Plenum verteilt worden. - Das Haus ist damit einverstanden, daß die Einzelpläne in der dort vermerkten Reihenfolge an den dafür vorgesehenen Tagen behandelt werden. Die Fraktion der CDU/CSU hat entsprechend § 24 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung vor Eintritt in die Tagesordnung um das Wort gebeten. Das Wort hat der Abgeordnete von Wartenberg.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion stelle ich den Antrag, die vorliegende Tagesordnung um die Beratung folgender Punkte zu ergänzen: 1. Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau der Überbesteuerung der Arbeitnehmer und Betriebe sowie zur Erhöhung des Kindergeldes für Kinderreiche. 2. Antrag der Fraktion der CDU/CSU zum Ausgleich von- Steuerausfällen bei den Gemeinden. Der Inhalt unseres Gesetzentwurfes zum Abbau der Überbesteuerung und der Antrag zugunsten eines finanziellen Ausgleichs der Steuermindereinnahmen der Gemeinden durch die in diesem Jahr verabschiedeten Steuergesetze wurden in der vergangenen Woche nur kurz angesprochen. Die entsprechenden Drucksachen liegen Ihnen inzwischen vor. Sie bedürfen der Beratung. Unser Gesetzentwurf zum Abbau der Überbesteuerung sieht vor, das Kindergeld und die Höchstbeträge bzw. Freibeträge bei den Sonderausgaben, der Vorsorgepauschale und der Gewerbesteuer anzuheben, den Arbeitnehmerweihnachtsfreibetrag zu verdoppeln, die Vermögensteuer zu senken ({0}) und den Freibetrag für unterhaltsverpflichtete Väter und Mütter einzuführen. Im Gegensatz zu dem hier im Hause mit nicht absoluter Mehrheit verabschiedeten Steueränderungsgesetz verzichten wir auf eine Anhebung der Mehrwertsteuer. Wir appellieren mit unserem Antrag an die Bundesregierung, die Kosten dieses notwendigen Abbaus der heimlichen Steuererhöhungen und die auf Grund der bereits angenommenen Steuergesetze entstehenden Kosten nicht einseitig auf die Gemeinden abzuschieben. ({1}) Meine Damen und Herren, eine Beratung der von uns für diese Woche vorgeschlagenen Tagesordnungspunkte würde verdeutlichen, daß die Finanzierung dieser Maßnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung ein Scheingeschäft bleiben wird. ({2}) Wenn die direkte und indirekte Steuerbelastung des Bürgers nicht weiterhin stärker als das Bruttosozialprodukt steigen soll - und dies ist das erklärte Ziel der CDU/CSU-Fraktion -, dann müssen Steuereinnahmen, die über dieses Maß hinausgehen, für Steuersenkungen verwandt werden. Eine Beratung unserer Vorlagen würde Ihnen weiter verdeutlichen, daß es uns das überproportionale Wachstum der Steuereinnahmen von 1977 in Höhe von zirka 7,3 Milliarden DM erlaubt und notwendig macht, zumindest einen Teil der Mehreinnahmen 1978 von zirka 6 Milliarden DM für steuerliche Entlastungen einzusetzen. Eine Beratung unserer Vorschläge zum Abbau der Überbesteuerung würde letztlich dem Bundeskanzler die Möglichkeit geben, das zu tun, was er am Wochenende auf einer Tagung der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen angekündigt hat: etwas gegen die steuerliche Progression beim Steigen der Arbeitnehmereinkommen zu unternehmen. ({3}) Meine Damen und Herren, wer das explosionsartige Ansteigen des Lohnsteueraufkommens der letzten und der nächsten Jahre betrachtet - vom Jahr der Beratung der sogenannten Steuerreform 1975 bis zum Jahr 1980 wird sich das Lohnsteueraufkommen verdoppeln -, wird uns zustimmen, daß unser Gesetzentwurf nur der Entwurf eines Ersten Gesetzes zum Abbau der Überbesteuerung sein kann. Wir werden in Zukunft noch über ganz andere Entlastungsmaßnahmen beraten müssen, von einer Änderung des Einkommensteuertarifs über Abschreibungsmöglichkeiten bis hin zur grundlegenden Strukturreform unseres Steuersystems. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, unserem Antrag auf Änderung der Tagesordnung zuzustimmen. Eine Ablehnung von Ihrer Seite würde verdeutlichen, daß es Ihnen nicht um steuerpolitisch gerechtfertigte, wirtschafts- und gesellschaftspolitisch notwendige Entlastungen, sondern nur darum geht, dem letzten Wort des Bundesfinanzministers noch eine Verschnaufpause zu gönnen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Porzner.

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ein parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion hätte es schwer gehabt, diesen Antrag zu begründen, ({0}) weil mehrmals im Ältestenrat gesagt und von der CDU/CSU verlangt wurde, die Haushaltsberatungen nicht mit anderen Gesetzentwürfen und Vorlagen zu belasten. ({1}) Die CDU/CSU-Fraktion hätte es auch leicht gehabt, Steuerentlastungen zuzustimmen, wenn sie in der letzten Woche dem Steueränderungsgesetzentwurf der Bundesregierung ihre Zustimmung gegeben hätte. ({2}) Vor fünf Tagen haben CDU und CSU in mehreren namentlichen Abstimmungen über den Steueränderungsgesetzentwurf der Bundesregierung die wesentlichen Punkt abgelehnt, die für den heute vorgelegten Gesetzentwurf abgeschrieben worden sind. ({3}) Vor fünf Tagen haben CDU und CSU die Erhöhung des Kindergeldes abgelehnt, ({4}) die Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer abgelehnt, ({5}) die Senkung der Gewerbesteuer abgelehnt ({6}) und die Herabsetzung der Vermögensteuersätze um 0,2 und 0,3 °/o ebenfalls abgelehnt. ({7}) Heute, fünf Tage später, sind Sie für all das, was Sie vorige Woche abgelehnt haben. ({8}) Das ist ein seltsames Taktieren im Bundestag. Es ist nicht ganz höflich, in dem Gesetzentwurf Drucksache 8/592 zu schreiben, daß es zu Ihrer Vorlage keine Alternativen gebe. ({9}) Anscheinend haben Sie alles vergessen, was Sie vorrige Woche behandelt haben. Es ist aber auch - ich verstehe das Taktieren; Sie haben ja auch Ihre Schwierigkeiten ({10}) eine seltsame Handlungsweise, diesen Gesetzentwurf vorzulegen, obwohl das Gesetzgebungsverfahren zum Steueränderungsgesetz der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen ist. ({11}) Das ist ein seltsames Verhalten im Parlament. Herr Dr. Kohl, es ist nicht möglich, ein so wichtiges Gesetz wie das, das Sie heute vorlegen, im Rahmen der Haushaltsberatungen - und damit praktisch am Rande der Haushaltsberatungen - in erster Lesung zu behandeln, ohne ausführlich darauf eingehen zu können. Wir verlangen eine ordentliche, ausführliche Beratung dieses Gesetzentwurfes, damit all das erörtert werden kann, was in diesem Zusammenhang erörtert werden muß. Dafür braucht man Zeit, und deswegen wenden wir uns dagegen, daß der Gesetzentwurf praktisch ohne Aussprache überwiesen wird. Das soll niemand mißverstehen: Wir wollen niemandem verweigern, über diesen Gesetzentwurf zu reden. Das kann in dieser Woche geschehen, aber die erste Lesung soll - das ist unser Angebot - zu dem Zeitpunkt nach der Haushaltsberatung auf di Tagesordnung kommen, zu dem Sie es wünschen; wenn Sie es wünschen, schon in der nächsten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages. ({12}) - Schon in der nächsten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages! So, wie Sie verfahren, ist es bei Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag nie üblich gewesen. Wir haben uns bei der Festsetzung der Tagesordnung im Ältestenrat mit Ihnen einvernehmlich auf die vorliegende Tagesordnung geeinigt. Daß Sie zwei Tage später klüger sein wollen, tut uns leid. Wir können Ihren Antrag nicht annehmen. Wir bitten den Bundestag, den Vorschlag zur Änderung der Tagesordnung abzulehnen. ({13}) Ollesch ({14}) : Herr Präsident! Meine -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Einen Moment, Herr Abgeordneter! Ich darf Ihnen doch erst einmal das Wort erteilen. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

Alfred Ollesch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001647, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der Zeit, die die Haushaltsberatung in dieser Woche in Anspruch nehmen wird, wollte ich mich bemühen, die Zeit nicht übermäßig auszudehnen; von daher hatte ich in meiner Eile übersehen, daß der Präsident mir noch nicht das Wort erteilt hatte. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich glaube, niemand in der deutschen Öffentlichkeit draußen versteht Ihr Vorgehen. Sie können doch keinem vernünftigen Menschen, der sich mit den Dingen beschäftigt, die hier im Parlament behandelt werden, klarmachen, daß Sie in der vergangenen Woche alles das, was Sie jetzt in Ihrem Gesetzentwurf fordern, abgelehnt haben und nunmehr mit einem eigenen Antrag kommen und von uns verlangen, daß wir diese Tagesordnungspunkte im Rahmen der Aussprache über den Haushalt zusätzlich behandeln. Über die Vereinbarung im Ältestenrat über den Ablauf dieser Woche hat Ihnen - für die, die nicht unterrichtet sein sollten oder diese Vereinbarung vergessen haben - der Kollege Porzner eingehend Auskunft gegeben. Sie hätten Gelegenheit gehabt, in der zweiten Lesung unserer Steuergesetze in der vergangenen Woche all das zu beantragen, was Sie nun in einer umfangreichen Vorlage uns und der deutschen Öffentlichkeit vorgelegt haben. Sie haben das nicht getan, obwohl es im Grunde genommen ja dem Stil der parlamentarischen Arbeit entsprochen hätte, so zu verfahren. Herr Kollege Porzner hat Ihnen im einzelnen aufgezählt, welche Ihrer Wünsche und Forderungen schon erfüllt sind, denen Sie in der vergangenen Woche Ihre Zustimmung aus taktischen Gründen nicht geben konnten. Wir sind nicht in der Lage, in dieser Woche neben den Beratungen des Haushalts diese Ihre beiden Anträge zu behandeln, und zwar aus dem von mir geschilderten Grunde, daß dies alles in der vergangenen Woche hätte geschehen können. Sie hätten nur dort zuzustimmen brauchen, wo Sie vom Grunde her und Ihrer Auffassung nach hätten zustimmen wollen, was Sie aber angesichts der taktischen Situation, in der Sie sich befinden, nicht taten. Darüber hinaus haben Sie noch nicht zu erkennen gegeben, wie Sie die Mehraufwendungen, die Ihr Antrag mit der Streichung der Anhebung der Mehrwertsteuer und mit der Ausdehnung der Steuerfreiheit des Weihnachtsgeldes erforderlich macht, im kommenden Jahr und in den nächsten Jahren zu finanzieren gedenken. ({0}) Sie sind auch in der Debatte der vergangenen Woche Ihre Antwort auf die entsprechende Frage bei Ihrem Nein zu der maßvollen Erhöhung der Mehrsteuer schuldig geblieben. Ich darf also für die Freien Demokraten erklären, daß wir Ihrem Antrag, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, widersprechen und ihn in der Abstimmung ablehnen werden. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion, den Gesetzentwurf Drucksache 8/592 und den Antrag Drucksache 8/593 auf die Tagesordnung zu setzen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt I der Tagesordnung auf: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1977 ({0}) - Drucksachen 8/100, 8/324, 8/270, 8/474 Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({1}) Wir kommen zunächst zum Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksache 8/491 - Berichterstatter: Abgeordneter Stöckl Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Wird sonst das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Vizepräsident Stücklen Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Haushalt seine Zustimmung gibt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Einzelplan ist mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 02 Deutscher Bundestag - Drucksache 8/492 - Berichterstatter: Abgeordneter Leicht Abgeordneter Krampe Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? ({2}) Das Wort zur Aussprache hat der Präsident des Deutschen Bundestages.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Beratung des Einzelplans 02, des Haushaltsplans des Deutschen Bundestages, zum Anlaß nehmen, einige grundsätzliche Bemerkungen über die Rolle des Deutschen Bundestages in unserem Verfassungssystem und über die Arbeitsweise des Hauses zu sagen. Dabei möchte ich mich mit einigen kritischen Bemerkungen auseinandersetzen, die in der Offentlichkeit, aber auch in der wissenschaftlichen Diskussion in den letzten Monaten gemacht worden sind und die, so meine ich, zurechtgerückt werden müssen. Es ist davon die Rede gewesen, daß die repräsentative Demokratie nicht mehr funktioniere. Von einer „Legitimationskrise" der staatlichen Institutionen wurde gesprochen. Von den Abgeordneten wurde gesagt, sie seien nichts weiter als ein „organisatorisch-technisches Zwischenglied" zwischen den politischen Parteien und den Entscheidungen, die im Parlament zu treffen seien. In diesem Zusammenhang ist immer wieder von dem Widerspruch zwischen Art. 21 und Art. 38 unseres Grundgesetzes die Rede: Art. 21 weist den politischen Parteien eine Mitwirkung an der Willensbildung zu, und Art. 38 stellt die Abgeordneten von Aufträgen und Weisungen frei und unterwirft sie letztlich nur ihrem Gewissen. Lassen Sie mich dazu folgendes feststellen. In unserer Verfassung ist dem Parlament die zentrale Funktion zugewiesen; es beschließt die Gesetze, es wählt den Bundeskanzler und - zusammen mit Vertretern der Länderparlamente - den Bundespräsidenten, es übt die Kontrollfunktion gegenüber der Regierung aus. Diese Funktionen sind auch heute in voller Wirksamkeit. Das Parlament ist der wichtigste Garant der freiheitlichen Ordnung in unserem Staate. ({0}) Gewiß steht das Parlament dabei nicht isoliert. Die einzelnen Abgeordneten sind in ihren Parteien verankert. Es ist daher normal und legitim, daß die politischen Parteien auf den Entscheidungsprozeß des Parlaments - richtiger gesagt, der Fraktionen - Einfluß nehmen. Diejenigen, die das kritisieren, sollten eines beachten. In einem modernen demokratischen Staatswesen von der Größe der Bundesrepublik Deutschland und angesichts der Vielfalt von Fragen, die auf uns zukommen, ist eine kontinuierliche, stetige politische Willensbildung ohne politische Parteien schlechterdings unmöglich. ({1}) Daher weist das Grundgesetz den politischen Parteien mit Recht Verfassungsrang zu. Aber deswegen sind weder die Fraktionen noch die einzelnen Abgeordneten, wie es heißt, bloße „organisatorisch-technische Zwischenglieder". Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, daß Fraktionen anders entschieden haben als ihre politischen Parteien, und zwar gibt es dafür Beispiele in allen Fraktionen. Daß die Fraktionen andererseits eine einmal getroffene Entscheidung möglichst geschlossen zu vertreten suchen, ist eine in der politischen Auseinandersetzung nicht nur verständliche, sondern, so meine ich, im Prinzip notwendige Haltung. Eine politische Gruppe, die mit vielen unterschiedlichen Stimmen spricht, mag sich hier und dort Sympathie erwerben; ihre politische Wirkung steigert sie dadurch gewiß nicht. Und so ist es nicht, wie oft zu Unrecht behauptet worden ist, ein Zeichen der Schwäche oder Abhängigkeit der Abgeordneten gegenüber Fraktion oder Partei, wenn sie sich einer in der Fraktion mit Mehrheit beschlossenen Haltung anschließen, sondern es ist Ausdruck der fundamentalen politischen Einsicht, daß Geschlossenheit ein wichtiges Element in der Auseinandersetzung um das Vertrauen der Wähler ist. ({2}) Daß diese Überlegungen eine Grenze haben, wo das Gewissen im Sinne von Art. 38 des Grundgesetzes, also eine tief verwurzelte Grundüberzeugung, einen Abgeordneten nötigt, eine bestimmte Haltung einzunehmen, ist unbestritten und in zahlreichen Fällen in unserer praktischen Arbeit sichtbar geworden. Aber allgemein sollte man sich hüten, die Tatsache der einheitlichen Abstimmung der Fraktionen als Ausdruck beklagenswerter Unselbständigkeit einzelner Abgeordneter anzusehen. Sie ist ein notwendiges und legitimes Instrument der politischen Willensbildung. Art. 21 und Art. 38 verkörpern sicherlich unterschiedliche Prinzipien. Sie stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander; aber es ist ein gewolltes und, wie ich meine, fruchtbares Spannungsverhältnis. Angesichts dieser Erscheinungen von einer Krise oder Legitimationskrise des parlamentarischen Systems zu sprechen, ist verfehlt. Die geschilderten Vorgänge sind im Gegenteil ein Beweis für das Funktionieren und die Lebensfähigkeit dieses Systems. ({3}) Diese Feststellung wird durch zwei Zahlen erhärtet, die ich gerne noch einmal in Ihre Erinnerung zurückrufen möchte; sie sind Ihnen allen gegenwärtig. An der Bundestagswahl im Oktober 1976 beteiligten sich 90,7 °/o der wahlberechtigten Bürger. Präsident Carstens Von den abgegebenen gültigen Stimmen entfielen 99 % auf die hier vertretenen, zu drei Fraktionen zusammengeschlossenen Parteien. Einen überzeugenderen Legitimations- und Legitimitätsbeweis als diesen gibt es nicht, und er kann auch nicht durch einige wenige, wenn auch lautstark vorgetragene Stimmen, erschüttert werden . ({4}) Das soll nicht bedeuten, daß wir mit der Arbeit unseres Parlaments in jeder Hinsicht zufrieden sein könnten. Was noch nicht befriedigt, ist nach meinem Eindruck die Art und Weise, in der Fraktionen, Ausschüsse und das Plenum zusammenarbeiten. Die Arbeit vollzieht sich häufig unter einem außerordentlichen Zeitdruck; die Fraktionen sind genötigt, wichtigste Entscheidungen in großer Eile zu treffen. Andererseits sind manche unserer Plenardebatten zu langatmig und zu wenig lebendig. ({5}) Eine Straffung der Plenardebatten erscheint daher wünschenswert. ({6}) Ich werde mir erlauben, den Fraktionen nach der Sommerpause dazu konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Vielleicht könnte es uns dann auch gelingen, die leidige Frage der schlechten Präsenz bei manchen Plenardebatten mit etwas größerem Erfolg anzugehen. ({7}) Lassen Sie mich ein weiteres Wort zu den internationalen Beziehungen und zu den europäischen Beziehungen des Bundestages sagen. Sie sind zahlreich und vielfältig. 72 unserer Kollegen haben an Sitzungen des Plenums und von Ausschüssen des Europäischen Parlaments und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und der WEU teilgenommen. Gestern wurde unser Kollege von Hassel zum Präsidenten der Versammlung der Westeuropäischen Union gewählt. ({8}) Ich möchte ihm dazu unseren herzlichen Glückwunsch aussprechen. 17 Delegationen des Deutschen Bundestages mit etwa 100 Abgeordneten reisten ins Ausland. Besonders hervorheben möchte ich unsere Teilnahme an der Sitzung der Interparlamentarischen Union in Canberra in Australien vom 10. bis 16. April. Der Bundestag empfing parlamentarische Delegationen aus Neuseeland und Island. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Colombo, stattete uns einen Besuch ab. Ich habe vor einigen Tagen zusammen mit dem Präsidenten des Bundesrates an der Konferenz der Präsidenten der europäischen Parlamente in Wien teilgenommen. Ich halte diese mannigfaltigen parlamentarischen Kontakte für wertvoll. Sie verlaufen viel ungezwungener, weniger förmlich als die entsprechenden Kontakte zwischen Regierungen oder Diplomaten, aber sie sind ein wichtiges Instrument zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens und bilden insofern ein wichtiges Element der internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland. ({9}) Von besonderer Bedeutung werden in Zukunft unsere Verbindungen zu dem direkt gewählten Europäischen Parlament sein. So, wie es jetzt aussieht, wird ein großer Teil der künftigen europäischen Abgeordneten, die in Deutschland gewählt werden, dem Deutschen Bundestag nicht angehören. Ich halte das für richtig. Das Doppelmandat im Bundestag und im Europäischen Parlament bringt Schwierigkeiten mit sich, die wir oft nur mit großer Mühe hier haben lösen können. ({10}) Wenn aber künftig eine größere Zahl der in Deutschland gewählten Abgeordneten nicht zugleich Mitglied des Bundestages ist, dann wird es notwendig sein, die Kontakte zu diesen europäischen Abgeordneten zu verstärken. Es gibt dazu Vorschläge, die schon meine Vorgängerin, Frau Präsidentin Renger, seinerzeit vorgelegt hat; ich werde sie aufnehmen und sie, sobald die Wahl des Europäischen Parlaments terminlich festliegt, dem Hohen Hause unterbreiten. Unbefriedigend erscheint mir die Behandlung der Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft bei uns im Bundestag. ({11}) Einige dieser Vorlagen enthalten wichtige, tiefgreifende Regelungen, die unsere innerstaatlichen Verhältnisse unmittelbar berühren. Wie sollten ihnen mehr Aufmerksamkeit zuwenden, auch wenn der Bundestag mit Bezug auf sie kein unmittelbares Entscheidungsrecht hat. Aber das parlamentarische Defizit, welches zur Zeit noch im europäischen Bereich besteht, sollte uns Veranlassung geben, die wichtigen europäischen Vorlagen - aber auch nur die wichtigen Vorlagen - hier zu behandeln, bevor der Rat über sie entscheidet. ({12}) Auf diese Weise würden wir im Rahmen unserer Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung einen gewissen Einfluß auf die deutsche Haltung bei den Beratungen im Europäischen Rat einnehmen können. Ich habe das Gespräch über diesen Fragenkomplex mit den drei Fraktionen aufgenommen. Eine Einigung zeichnet sich ab. Ich hoffe, daß wir unmittelbar nach der Sommerpause ein Verfahren praktizieren können, welches es uns ermöglicht, die wichtigen europäischen Vorlagen - ich betone noch einmal: wirklich nur die wichtigen europäischen Vorlagen - hier mit größerer Aufmerksamkeit zu behandeln, als das bisher der Fall war. Ein Wort zu dem Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages. In wesentlichen Teilen ist es am 1. April in Kraft getreten. Als Folge davon ergeben sich Mehrausgaben vor allem für die Entschädigung und für die Kostenpauschale der Abgeordneten sowie für die Vergütung, die die Mitarbeiter erhalten. Ausschlaggebend für die Neugestaltung des Abgeordnetenstatus war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 1975. Es forPräsident Carstens derte - übrigens in Übereinstimmung mit einer Entschließung, die der Bundestag bereits vorher selbst gefaßt hatte - die Besteuerung der Bezüge der Abgeordneten. Die noch in der 7. Legislaturperiode beschlossene Regelung sieht eine Erhöhung der Abgeordnetenbezüge und zugleich ihre Besteuerung vor. Der im Einzelplan 02 hierfür eingesetzte Betrag enthält aber nur die eine Seite, nämlich nur die erhöhten Bezüge. Die andere Seite, die Mehreinnahme infolge der neu eingeführten Steuerpflicht, erscheint an anderer Stelle des Bundeshaushalts und des Haushalts der Länder, nämlich dort, wo die Steuern veranschlagt werden. Außerdem ergeben sich erhebliche Einsparungen für die öffentlichen Haushalte dadurch, daß eine größere Zahl von Abgeordneten, die bisher eine Beamtenpension bezogen, künftig dieses Ruhegehalt eines Beamten nicht mehr erhalten. Insgesamt erwachsen nach den mir vorliegenden Berechnungen der öffentlichen Hand durch die Neuregelung der Abgeordnetenentschädigung keine zusätzlichen Belastungen, und es scheint mir wichtig zu sein, diese Tatsache festzuhalten angesichts einer vielfältigen und nicht immer sachlich fundierten Kritik, die daran geübt wird. ({13}) Die Anhebung des Erstattungsbetrages für die Beschäftigung von Mitarbeitern soll die Abgeordneten in die Lage versetzen, auch in den Wahlkreisen Mitarbeiter zu beschäftigen. Dadurch tritt eine Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten ein. Auch dies ist ein wichtiges und richtiges Stück Parlamentsreform. Ein abschließendes Wort darf ich zur Bundestagsverwaltung sagen. In den letzten Jahren ist viel geschehen, um den Abgeordneten seitens des Bundestages mehr Unterstützung und Sachverstand zur Verfügung zu stellen. Die Sekretariate der Ausschüsse wurden verstärkt, ein wissenschaftlicher Dienst, den jeder Abgeordnete in Anspruch nehmen kann, ist eingerichtet worden. Dadurch ist die Zahl der Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung erheblich gestiegen. Ich möchte aber hinzufügen: in einem sachlich vertretbaren und gerechtfertigten Umfang. Angesichts der Größe des Apparates, der der Bundesregierung zur Verfügung steht, sieht die Gesamtzahl der etwa 1 500 Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, der etwa 400 Mitarbeiter der Fraktionen und der etwa 1 000 Mitarbeiter der einzelnen Abgeordneten doch eher bescheiden aus. Ohne entsprechende Hilfskräfte - das muß einmal ganz klar gesagt werden - kann ein Parlamentarier heute die ihm obliegende sachverständige Mitwirkung an der Gesetzgebung und der Regierungskontrolle und die von ihm erwartete Arbeit in seinem Wahlkreis nicht leisten. ({14}) Die Angehörigen der Bundestagsverwaltung verrichten ihre Arbeit unter teilweise stark erschwerten äußeren Bedingungen. Allein die Unterbringung in 23 verschiedenen Gebäuden bringt Verzögerungen mit sich, die nur mit großer Energie ausgeglichen werden können. Nach sechsmonatiger Amtszeit geht mein Eindruck dahin, daß die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung ihre Aufgaben gewissenhaft erfüllen. Ihnen dafür namens des Bundestages von dieser Stelle aus auch einmal herzlich zu danken, ist mir ein Bedürfnis. ({15}) Alles in allem spiegelt der Einzelplan 02, der Haushalt des Bundestages, die Fülle und Mannigfaltigkeit der hier geleisteten Arbeit, aber auch die zunehmende Rolle des Parlaments bei der Bewältigung der inneren und äußeren Aufgaben unseres Staatswesens richtig wider. Ich darf Sie bitten, diesem Haushalt, Ihrem Haushalt, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Ihre Zustimmung zu geben. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Vizepräsidentin Renger.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich im Namen der Bundestagsfraktion der SPD sehr herzlich in diesem Falle bei dem Herrn Präsidenten für die Ausführungen bedanken, mit denen er ausdrücklich für die Bevölkerung draußen die zentrale Funktion dieses Parlaments in das Blickfeld gerückt hat. Die kleinen Fehler, die wir alle oft beklagen, treten doch dahinter weit zurück. Im besonderen möchte ich auch noch einmal unterstreichen, daß es keinen Vorrang des Art. 21 GG gibt, sondern daß Art. 38 der Verfassung über Art. 21 steht. Das will heißen: Imperative Mandate gibt es nicht, das Gewissen des freien Abgeordneten steht immer darüber. ({0}) Das heißt natürlich nicht, daß alles zur Gewissensfrage erklärt wird, was gar nichts mit Gewissen zu tun hat, sondern wo es nur um Opportunität geht. Das möchte ich gleich dazusagen. ({1}) Da müssen wir hohe Ansprüche stellen. Ich darf auch noch einmal herzlichen Dank sagen für den Hinweis auf die hoffentlich im nächsten Jahr stattfindenden Direktwahlen zum Europäischen Parlament und dankbar den Hinweis aufnehmen, daß wir für den Fall, daß eben Abgeordnete nicht gleichzeitig diesem Parlament angehören, eventuell die Möglichkeit einer beratenden Funktion in den Ausschüssen schaffen könnten. Denn ich meine, die unmittelbare Verbundenheit mit dem nationalen Parlament wird nach meiner persönlichen Auffassung einfach unausweichlich sein. Ich darf dazu auch gleich sagen, daß ,die Beratung der europäischen Vorlagen in der Tat ein Ärgernis in diesem Hause ist. Ich würde wünschen, daß wir uns sehr schnell der Überlegung zuwenden, wie wir das auch institutionell im Hause selbst verändern können. Auch hoffe ich, daß wir bei der Bundesregierung einen zentralen Ansprechpartner für das finden, was auf der europäischen Ebene sowohl an Beratungen als auch an Diskussionen vor sich geht. Wir erfahren das oft erst hinterher und manchmal aus zweiter Hand. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Bemerkungen anschließen, die sich im wesentlichen nicht von dem unterscheiden, was der Herr Präsident hier vorgetragen hat. Ich glaube, wir haben in der Vergangenheit in eigener Sache stetige Reformbemühungen gezeigt. Wir haben in der 7. Wahlperiode - wie auch schon in früheren Legislaturperioden - Verbesserungen gerade der Geschäftsordnung und des Ablaufs unserer Arbeit durchgeführt. Ein gute Grundlage für die Fortsetzung der Parlamentsreform ist die im Laufe der vergangenen Legislaturperiode von der Parlamentsreformkommission und dem Geschäftsordnungsausschuß erarbeitete Vorlage zur Änderung der Geschäftsordnung. Die Klage über das leere Plenum erfordert Aufmerksamkeit. Sie enthält Ansätze zur politischen Kritik am Parlamentarismus, und das müssen wir unter allen Umständen vermeiden. Allerdings glaube ich, daß der Bevölkerung die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klargemacht hat, daß die Arbeit nicht nur im Plenum stattfindet. Die Begründung ist für die Bevölkerung draußen in der Betrachtung des Parlaments informativ und nützlich. Ein wichtiger Punkt ist die im Entwurf der Geschäftsordnung der Reformkommission vorgesehene angemessene Begrenzung der Redezeit, worüber es im Parlament immer große Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Wir haben aber in der Reformkommission hierzu eine einheitliche Auffassung durchgesetzt, und ich würde wünschen, daß wir sehr schnell zu einem Abschluß der Beratung kämen. Der Herr Präsident hat seine Vorschläge angekündigt. Ich glaube, wir haben schon in den Fraktionen sehr gute Beratungen geführt, und es kommt eigentlich nur noch darauf an, die Vorlage endlich im Deutschen Bundestag zu verabschieden. ({3}) Wenn wir von der angemessenen Einschränkung der Redezeit sprechen, müssen wir auch darüber nachdenken, ob es Möglichkeiten des Entgegenkommens der Regierung bei gewissen Abmachungen gibt, die Redezeit etwas mehr zu konzentrieren, damit das Haus eine Arbeit zügig durchführen kann. Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen machen zu den Ergebnissen der Enquete-Kommission für Verfassungsfragen und einige Punkte herausnehmen, die unser Parlament betreffen, so u. a. die Konzentration der Plenardebatten auf die politischen Gesichtspunkte und Kernfragen durch eine mögliche Verlagerung der Beratung fachlicher Einzelfragen in die Ausschüsse. Wir sollten über Möglichkeiten zur Stärkung der parlamentarischen Kon-troll- und Informationsmöglichkeiten durch ein Befugnisgesetz für die Enquete-Kommissionen nachdenken. Dies ist dringend notwendig, um die Arbeit von Enquete-Kommissionen in größerem Umfang und effektiv durchzuführen. Das gleiche gilt für die Verbesserung des Verfahrens der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. Das steht dringend auf der Tagesordnung. Das Plenum sollte diese Vorschläge Punkt für Punkt beraten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ebenfalls den Mitarbeitern im Hause Dank aussprechen und zugleich bekräftigen, daß wir hinsichtlich der Unterbringung vieler Mitarbeiter schlechte Arbeitgeber sind. Der Herr Präsident hat das angeführt. Auch unter diesen Gesichtspunkten sollten die Neubauten schnell beschlossen werden; denn wenn wir auch nicht damit rechnen können, daß alles vor zehn Jahren fertig ist, so können wir doch sukzessive so vorgehen, daß die Arbeitsmöglichkeiten für die Abgeordneten und für die Verwaltung besser sind, als das bisher der Fall ist. Das kann, glaube ich, sehr schnell gemacht werden. Es sollte aber niemanden zu der Auffassung bringen, daß das historische Gebäude des Reichstages in Berlin dadurch eine schwächere politische Funktion erhält. Wir haben hier im Deutschen Bundestag die Aufgaben für die Bundesrepublik Deutschland wahrzunehmen. Wir haben im Ältestenrat einmal gemeinsam gesagt: Sollte es anders kommen, wir würden auch zu Fuß nach Berlin gehen. ({4}) Diese Haltung sollte uns aber nicht hindern, unsere Arbeitsfähigkeit so zu stärken, wie es für dieses Haus notwendig ist. Eine Bemerkung zum Stellenplan des Deutschen Bundestages. Daran ist viel gearbeitet worden. In der letzten Zeit ist davon die Rede gewesen, daß es sehr viele Stellenvermehrungen gegeben habe. Die hat es von 1969 bis 1972 gegeben, freilich aus einem sehr wichtigen Grund, nämlich wegen des Ausbaus des Wissenschaftlichen Dienstes und wegen der Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Hauses durch Verstärkung der Verwaltung. In der vorigen Legislaturperiode, und zwar gerade im Vorjahr, wurden 60 Stellen abgebaut, weil man hier vernünftig konsolidieren konnte. Aber lassen Sie mich hinzufügen: Die Funktionsfähigkeit dieses Hauses darf nicht unter der Sparsamkeit leiden. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, daß die Kontrollfunktion und das Gesetzgebungsrecht dieses Hauses gewährleistet sein müsse. Dazu brauchen wir die erforderlichen Hilfskräfte. Sparen müssen wir da, wo es richtig ist. Aber wir müssen die Mittel bewilligen, die für dieses Haus notwendig sind, damit wir die Arbeit leisten können, ,die die Bevölkerung mit Recht von uns erwarten kann. Lassen Sie mich auch sagen: In diesem Haus ist es ja immer auch ein wenig gefährlich, daß einige etwas gleicher als die anderen sind. Ich hoffe, daß wir auch über solche Dinge sprechen können. In den Ausschüssen müssen wir die optimale Arbeitsmöglichkeit aller Mitglieder sicherstellen, ob es sich um den Vorsitzenden oder den stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses, um die Mehrheit oder die Minderheit handelt. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. Wir stimmen diesem Einzelplan 02 selbstverständlich zu. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.

Alfred Ollesch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001647, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Carstens, sehr dankbar dafür, daß er Gelegenheit genommen hat, in der Aussprache über den Haushalt des Deutschen Bundestages die Stellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu würdigen und positiv darzustellen. Das scheint uns um so notwendiger zu sein, als gerade an dieses Parlament ein sehr scharfer, kritischer Maßstab angelegt wird. Das ist natürlich, weil die deutsche Demokratie nicht auf die Tradition wie die klassischen Demokratien in der Welt zurückblicken kann und weil die Wiedererrichtung der Demokratie, hier dargestellt durch die Bundesrepublik Deutschland, für viele unserer Bürger nach dem Zusammenbruch nicht so selbstverständlich war, wie es heute selbstverständlich zu sein scheint. Wir wissen, daß dieses Parlament in seiner Arbeit sehr sorgfältig beobachtet und ständig mit kritischen Bemerkungen verfolgt wird. Sicher mag das äußere Bild des Ablaufs der Plenarsitzungen hie und da Anlaß zu kritischen Bemerkungen geben. Beispielsweise könnte das Blockverhalten bei den Abstimmungen den Schluß nahelegen, ({0}) daß der Abgeordnete nicht nur seinem Gewissen verantwortlich, sondern auch an Aufträge und Weisungen gebunden ist. Aber wir meinen, hier trügt der Schein. Die Abgeordneten sind ihren Parteien durch eine gemeinsame Auffassung zu Grundfragen der Politik verbunden. Von daher werden sie die Gemeinsamkeit auch in den jeweiligen Parlamenten bei Abstimmungen zum Ausdruck bringen. Daß es hier keinen sogenannten Fraktionszwang gibt, von dem draußen in der Kritik am Parlament so oft die Rede ist, mag durch entgegenstehendes Verhalten in der vergangenen Zeit bewiesen werden. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele in allen Fraktionen. Allerdings wird es sehr schwierig, die Unabhängigkeit eines Abgeordneten darzustellen, wenn es bei den Abstimmungen nicht mehr allein um die Materie geht, die zur Abstimmung steht, sondern wenn mit den Abstimmungen Haltungen verbunden sind, die Ausdruck taktischer Überlegungen sind. Hier wird es dem einzelnen Abgeordneten dann von der Natur der Sache her schwer gemacht, seine eigene Auffassung nachhaltig zum Ausdruck zu bringen. Angesichts des Entstehens zahlreicher Bürgerinitiativen draußen im Lande wird den Abgeordneten der Parlamente auf allen Ebenen sehr oft der Vorwurf gemacht, sie seien in ihrer politischen Arbeit so eingeengt und bewegten sich auf so eingefahrenen Wegen, daß sie in zunehmendem Maße nicht mehr von den Sorgen und Nöten der breiten Masse unseres Volkes Kenntnis nähmen. Sicherlich ist das Entstehen der Bürgerinitiativen zu begrüßen. Sie sind Ausdruck wachen Bürgerinteresses an den politischen Abläufen in unserer Zeit. Es darf nicht die Gefahr entstehen, daß das Parlament die Bürgerinitiativen nur als Gegner sieht und nicht als Hilfen bei den Entscheidungen, die die Parlamentarier nun einmal zu treffen haben. Wichtig ist - bei aller Zustimmung zur Interessenhebung in unserer Bevölkerung durch Bürgerinitiativen -, daß die Parlamente die Entscheidung in die Hand nehmen und wichtige Fragen der Politik dann auch wirklich lösen, nicht aber die Entscheidung vor sich her und letztlich den Bürgerinitiativen in direkten Gesprächen mit der Exekutive zuschieben. Nachdem die finanziellen Bedingungen für die Arbeit im Deutschen Bundestag bezüglich der Entschädigungsregelung für Abgeordnete und bezüglich der Honorierung von Mitarbeitern in zufriedenstellender Weise geregelt ist, wird es jetzt die Aufgabe des Deutschen Bundestages sein, auch für eine ausreichende und der Stellung des Abgeordneten und des Parlaments gemäße räumliche Ausstattung zu sorgen. Die Freien Demokraten sind, nachdem sie sich Jahre hindurch in dieser Frage sehr zögerlich verhalten haben - wegen des sogenannten Provisoriums Bonn und weil sie nicht durch bauliche Entscheidungen politische Entscheidungen über die endgültige Hauptstadt vorwegnehmen wollten -, der Auffassung, daß sicherlich überall der Wunsch und die Hoffnung bestehen, Berlin sollte einmal die Bundeshauptstadt werden. Wir wissen aber, daß dies vorerst nur Wunsch und Hoffnung ist und daß wir sicherlich Jahre hindurch von Bonn aus die Geschicke der Bundesrepublik bestimmen müssen. Wir sind der Auffassung, auch ein demokratischer Staat hat sich baulich darzustellen und kann auf diese Darstellung nicht verzichten. Wir begrüßen ausdrücklich, daß nunmehr grünes Licht für weitere Planungen für den Neubau des Deutschen Bundestages und des Bundesrates gegeben wurde. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, zu einer Lösung zu kommen, die auch auf längere Zeit die räumlichen Bedürfnisse des Parlaments ausreichend zufriedenstellt. Ich warne davor, wie in der Vergangenheit schon feststellbar, aus aktuellen Ereignissen heraus - vorübergehende Finanzknappheit oder Notwendigkeit, der Konjunktur dämpfend zu begegnen - ,das ursprünglich festgesetzte Raumprogramm schwerwiegend zu beschneiden. Die Entwicklung des Bundeshauskomplexes ist ein deutliches Beispiel dafür, daß immer nur für das Erfordernis der nächsten zwei, drei Jahre gebaut wurde und nicht für einen längeren Zeitraum. Von daher meine ich, daß das ursprüngliche Programm, sofern es sich als notwendig und richtig erweist, in voller Gänze durchgeführt werden sollte. Wir Freien Demokraten werden dem Raumprogramm so, wie es entwickelt wurde, unsere Zustimmung geben. Ich darf abschließend bemerken, daß auch das Amt des Wehrbeauftragten zum Bereich des Bundestages gehört. Daß über dieses Amt nicht mehr gesprochen wird, mag, so sehen wir es, ein gutes Zeichen dafür sein, daß dieses Amt als eine Institution des Deutschen Bundestages im Sinne der Überlegungen, die zur Einrichtung dieses Amtes führten, arbeitet. Hier sagen wir dem Wehrbeauftragten unseren Dank. ({1}) Zum Schluß darf ich bemerken, daß die Freien Demokraten dem Einzelplan 02 ihre Zustimmung geben werden. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Vizepräsident des Deutschen Bundestages SchmittVockenhausen. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur eine Bemerkung zur Sache machen. ({0}) - Behalten Sie die Ruhe, Herr Kollege Jenninger! Sie werden gleich hören, um was es geht. Bei der Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten haben wir eine Reihe von Fragen offen gelassen und eine schnelle Prüfung zugesagt. Die Rechtsstellungskommission soll sich damit beschäftigen. Wir sind uns allen und der deutschen Öffentlichkeit gegenüber im Wort. Ich sage hier nur, daß diese Aufgabe nicht vergessen ist. Die Probleme werden behandelt. Inzwischen hat die Bundesregierung den Entwurf vorgelegt, der die Angleichung des neuen Rechtsstellungsgesetzes an das Recht der Länderparlamente regelt. Wir alle müssen dafür sorgen, daß diese Probleme auch in absehbarer Zeit gelöst und entschieden werden. Ich wollte nur der deutschen Offentlichkeit noch einmal mit Nachdruck sagen, daß die Rechtsstellungskommission daran arbeitet und entsprechende Vorschläge machen wird. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort nach § 59 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Luda.

Dr. Manfred Luda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Vizepräsidentin Renger hat zur Neubauplanung des Parlaments einige Ausführungen gemacht. Ich kann diesen Ausführungen nur voll zustimmen. Ich möchte aber einige ergänzende Feststellungen treffen. Ich habe in den verschiedensten Gremien des Parlaments oftmals schon Gelegenheit gehabt, dazu Ausführungen zu machen. Ich bitte den Herrn Präsidenten gemäß § 59 der Geschäftsordnung, meine zusätzlichen Ausführungen dem Sitzungsprotokoll als Anlage *) beizufügen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 02. Wer dem Einzelplan 02 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen. s) Anlage 2 Ich rufe auf: Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksache 8/493 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Friedmann Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich komme zur Abstimmung in der zweiten Lesung. Wer dem Einzelplan 03 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - Drucksache 8/494 Berichterstatter: Abgeordneter Schröder ({0}) Abgeordneter Wohlrabe Abgeordneter Dr. Riedl ({1}) in Verbindung mit Punkt II der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU Mißbilligung des Verhaltens des früheren Bundesfinanzministers Helmut Schmidt bei der Bewilligung überplanmäßiger und außerplanmäßiger Ausgaben zum Jahreswechsel 1973/1974 - Drucksache 8/595 Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Herr Abgeordneter Wohlrabe, Sie haben das Wort. Wohlrabe: ({2}) : Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Die Beratungen zu Kap. 04 03 - Presse- und Informationsamt der Bundesregierung - waren in diesem Jahr - ich darf das vielleicht einmal so sagen - keine normalen Beratungen. Sie waren vielmehr geprägt vom Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977. Dieses Urteil erging in einem von der CDU Deutschlands vor der letzten Bundestagswahl im Juli 1976 eingeleiteten Organstreitverfahren. Nach diesem Urteil hat die Bundesregierung gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes und gegen den Grundsatz der Chancengleichheit bei Wahlen, Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes, verstoßen, indem sie vor der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 durch Anzeigenserien, Faltblätter und sonstige Publikationen werbend in den Wahlkampf eingegriffen und keine Vorkehrungen dagegen getroffen hat, daß von ihr für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit unter Einsatz von Haushaltsmitteln hergestellte Druckwerke in großem Umfange von den die Regierung tragenden Parteien als zusätzliches Wahlkampfmaterial bezogen und verwendet worden sind. Soweit der Text aus dem Urteil. Wohlrabe Da das Urteil für die zukünftige Öfentlichkeitsarbeit der Bundesregierung - deshalb gebe ich auch den Bericht - von grundsätzlicher und weittragender Bedeutung ist, gestatten Sie mir bitte, aus der Begründung, die das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, einige Leitsätze kurz vorzutragen. Sie waren Grundlage der Diskussion für die Beschlüsse des Haushaltsausschusses und sind in Zukunft für die Arbeit einer jeden Bundesregierung verpflichtend. In der Begründung des Urteils heißt es u. a.: Den Staatsorganen sei es durch die Verfassung untersagt, sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen. Es sei mit dem Verfassungsprinzip, daß Bundestag und Bundesregierung nur einen zeitlich begrenzten Auftrag haben, unvereinbar, daß sich die im Amt befindliche Bundesregierung als Verfassungsorgan im Wahlkampf gleichsam zur Wiederwahl stelle und dafür werbe, als Regierung wiedergewählt zu werden. Ein parteiergreifendes Einwirken von Staatsorganen in die Wahlen zur Volksvertretung sei auch nicht in der Form von Öffentlichkeitsarbeit zulässig. Öffentlichkeitsarbeit sei nur dann zulässig, wenn sie sich im Rahmen des vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches halte. Da Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung schon ihrer Funktion nach auf den Bereich ihrer Sachverantwortung gegenüber dem ganzen Volk und Parlament beschränkt sei, müsse sie sich stets der offenen und versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Parteien oder sonstigen an der politischen Meinungsbildung beteiligten Gruppen enthalten. Grundsätzlich lasse sich sagen, daß die Öffentlichkeitsarbeit dort ihre Grenze finde, wo die Wahlwerbung beginne. ({3}) Aus der Verpflichtung der Bundesregierung, sich jeder parteiergreifenden Einwirkung auf die Wahl zu enthalten, folgten schließlich für die Vorwahlzeit das Gebot zu äußerster Zurückhaltung und das Verbot jeglicher mit Haushaltsmitteln betriebenen Öffentlichkeitsarbeit in Form von sogenannten Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsberichten. Unberechtigten Angriffen gegen ihre Öffentlichkeitsarbeit könne die Bundesregierung von vornherein dadurch begegnen - so das Urteil -, daß sie z. B. regelmäßig, in etwa monatlich oder auch vierteljährlich, entsprechende Übersichten ihrer regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Bundesgebiet vorlege und der Allgemeinheit zugänglich mache. Soweit, meine verehrten Damen und Herren, aus dem Urteil. Die Erörterungen ergaben folgendes: In Konsequenz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts hatte der Haushaltsausschuß die Beratungen der Ausgaben für Inlandsarbeit des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung sowie auch die Beratungen der Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit aller übrigen Bundesressorts bis nach der Osterpause zurückgestellt, um die im Urteil und in seiner Begründung enthaltenen Grundsätze für Öffentlichkeitsarbeit in die Beschlußfassung mit einfließen zu lassen. Die Bundesregierung wurde u. a. aufgefordert, über die Konzeption der Öffentlichkeitsarbeit im Haushaltsjahr 1977 zu berichten. Dies hat sie getan. Die Bundesregierung hat dem Haushaltsausschuß einen Bericht über die Konzeption der Öffentlichkeitsarbeit Inland im Haushaltsjahr 1977 vorgelegt. Zu diesem Bericht der Bundesregierung gehören folgende fünf Anlagen: 1. Entwurf einer Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in der 8. Legislaturperiode, 2. Konzeption über Schwerpunktmaßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Presse- und Informationsamts sowie der Ressorts im Jahr 1977, 3. Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, 4. Mittel und Medien in der Öffentlichkeitsarbeit des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung und der Bundesministerien im Jahr 1977, 5. Kosten 1976 und Mittelansätze 1977 für Aufklärungsmaßnahmen und Sachinformationen einzelner Bundesdienststellen und Bundesministerien. Der Haushaltsausschuß richtete sich bei seiner sehr umfangreichen und ausführlichen Beratung nach folgender Gliederung: Allgemeine Erörterung des Konzepts für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, Kosten der Öffentlichkeitsarbeit des Bundes, Kosten sowie Art und Weise des Vertriebs der Publikationen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit und Kosten und Anzahl der öffentlich Bediensteten, die im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit tätig sind. Die Debatte im Haushaltsausschuß ergab folgendes Bild. Die Ausschußmehrheit SPD /FDP begrüßte das Konzept der Bundesregierung zur Koordinierung der Öffentlichkeitsarbeit. Sie sieht darin eine Möglichkeit zur sparsamen Verwendung der Mittel und hält deshalb eine Kürzung aller Mittelansätze für Öffentlichkeitsarbeit um 10 % für richtig. Die Ausschußmehrheit erwartet, daß die Bundesregierung diese Koordinierung verstärkt fortsetzt und dazu bereits im Haushaltsentwurf 1978 eine gemeinsame Bewirtschaftung der Mittel für t Öffentlichkeitsarbeit vorsieht. Dabei werde, wie es heißt, auch die Personalausstattung im Gesamtbereich Öffentlichkeitsarbeit zu überprüfen sein. Die Ausschußmehrheit, aber auch die Opposition gehen ferner davon aus, daß das ständige Ansteigen und Neuaufteilen der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit in den einzelnen Bundesministerien kostenungünstig ist. Es wäre doch sparsamer, die Mittel im Rahmen einer Konzentration zu bewirtschaften. Deshalb erwartet der Ausschuß von der Bundesregierung, daß im Haushalt 1978 diese Bewirtschaftung beim Presse- und Informationsamt oder aber in Kooperation mit Wohlrabe dem Presseamt zu erfolgen hat. Der Steuerzahler hat nach Auffassung aller Mitglieder des Ausschusses einen Anspruch auf äußerste Sparsamkeit. Die CDU/CSU-Mitglieder als Ausschußminderheit bemängelten einleitend einige, wie das Protokoll des Haushaltsausschusses ausweist, stark subjektive Elemente in dem Bericht über die Konzeption der Öffentlichkeitsarbeit Inland der Bundesregierung. Im einzelnen wurden folgende Passagen der Ausführungen des Presseamtes beanstandet. Erstens -ich zitiere wörtlich aus den Presseamtsvorlagen -: Wie demoskopische Messungen verdeutlichen, zeige sich eine breite Unsicherheit der Bürger gegenüber aktuellen und künftigen politischen Entwicklungen. Diese Unsicherheit habe zu einer merklichen Verringerung des Vertrauens nicht nur in staatliche Institutionen, sondern auch in die politischen Parteien geführt. Hierzu sagte die CDU/CSU: Die Bundesregierung dürfe sich darüber nicht wundern, da sie selbst durch falsche Darstellungen und Zusagen zu dieser Verunsicherung beigetragen habe. Dies nur durch zusätzliche Öffentlichkeitsarbeit auszugleichen, hält die CDU/CSU für verfehlt; vielmehr komme es darauf an, eine glaubwürdige und ehrliche Politik zu machen. Zweitens. Die Bundesregierung führt im Bericht aus, daß ihre Konzeption zur Öffentlichkeitsarbeit noch nicht das Optimum darstelle; es sei ihr nicht möglich gewesen, Einschränkungen entsprechend dem Urteil des Verfassungsgerichts in den Aufgabenbereichen vorzunehmen, die bis Ende April 1977, also bis zur Fertigstellung des Konzepts, bereits eingeleitet wurden. Hierzu sagte die CDU/CSU: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist bereits am 2. März 1977 ergangen. Die Bundesregierung wäre verpflichtet gewesen, unverzüglich von diesem Zeitpunkt an alle Maßnahmen zu stoppen. Man kann doch nicht so tun, als ob es kein Urteil gegeben hätte. Drittens - wörtlich aus der Vorlage des Presseamtes -: Als Themenraster für die Öffentlichkeitsarbeit 1977 nennt die Bundesregierung unter anderem die Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung durch Investitionsprogramme und die Konsolidierung der sozialen Sicherung. Hierzu bemerkte die CDU/CSU: Eine neutralere Ausdrucksweise würde der Güte des Papiers sicher keinen Abbruch tun. Viertens: Die Bundesregierung - ich zitiere erneut das Papier geht davon aus, daß es infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht zu einer Verringerung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit kommen könne. Im Gegenteil, durch das Verteilungsverbot von Regierungspublikationen durch Parteien müßten andere und deshalb teurere Vertriebsformen entwickelt werden. Hierzu bemerkte die CDU/CSU: Es sei eine totale Verkennung des Richterwillens, wenn nach diesem Urteil die Öffentlichkeitsarbeit nicht billiger, sondern sogar noch teurer werde. Den referierten Einwänden der CDU/CSU schloß sich die Ausschußmehrheit nicht an. Darüber hinaus beantragte die CDU/CSU, die Sachkosten im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, die mit 43 327 000 DM veranschlagt sind, um 11 360 000 DM - ich sprach vorhin davon: die von der Ausschußmehrheit vorgesehene 10 %ige Kürzung macht 3,7 Millionen DM aus - zu kürzen. Im einzelnen - und die CDU/CSU stellte im Gegensatz zur Ausschußmehrheit einzelne Anträge und keinen Globalantrag - beantragte die CDU/CSU folgende Kürzungen bei den einzelnen Ministerien: Bundespresseamt 5 450 000 DM Auswärtiges Amt 400 000 DM Bundesminister des Innern 260 000 DM Bundesminister der Justiz 150 000 DM Bundesminister der Finanzen 250 000 DM Bundesminister für Wirtschaft 150 000 DM Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 300 000 DM Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1 100 000 DM Bundesminister für Verkehr 600 000 DM Bundesminister der Verteidigung 180 000 DM Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit 1 700 000 DM Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit 400 000 DM Bundesminister für Forschung und Technologie 220 000 DM Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 200 000 DM Der Antrag der CDU/CSU auf Kürzung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit beläuft sich also insgesamt auf 11 360 000 DM. Diese Anträge wurden von der Ausschußmehrheit mit dem Hinweis auf den generellen Kürzungsvorschlag von 10 % - insgesamt also 3,7 Millionen DM -, über den mehrheitlich befunden wurde, abgelehnt. Bei der Aussprache über die Kürzungen wies die CDU/CSU darauf hin, daß in Anlage 5 der Ausschußdrucksache 202 - Ist-Ausgaben 1976 und Mittelansätze 1977 für Aufklärungsmaßnahmen und Sachinformationen einzelner Ressorts und nachgeordneter Stellen - keine genaue Trennung, was unter Öffentlichkeitsarbeit wirklich zu verstehen sei und was nicht, mehr festzustellen sei. Offenbar sei die Bundesregierung dazu übergegangen, immer mehr Maßnahmen aus der Funktionsgruppe 531 auszuklammern, um so - dies ist die Ansicht der CDU/CSU - das Urteil zu umgehen. Die CDU/CSU sehe diese Liste, die immerhin eine Gesamtsumme von rund 10 Millionen DM ausmache, als „Verschleierungsliste" an, und sie beantragte eine Einbeziehung dieWohlrabe ser Liste. Dieses wurde von der Ausschußmehrheit abgelehnt. Daraufhin drohte die CDU/CSU mit der Überprüfung und einer eventuellen weiteren Unterlassungsklage. Darüber hinaus sprach sich der Ausschuß für eine günstige und einwandfreiere Organisation der Vertriebskosten und insbesondere für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung aus. Sie wird erst nach einer Vorlage der Bundesregierung diskutiert werden. Kontrovers - lassen Sie mich dies zum Abschluß sagen - verlief die Debatte über das Personal, das mit Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der Bundesregierung zu tun hat. Die CDU/CSU sprach sich gegen die nach ihrer Ansicht fortwährende und erhebliche Ausweitung der Planstellen in den einzelnen Bundesministerien seit 1969 aus. Zur Zeit arbeiten allein für die Öffentlichkeitsarbeit 319 Mitarbeiter. Dies ist ein erheblicher Anstieg. Die CDU/ CSU beantragte deshalb, 100 Stellen mit dem Vermerk „kw" zu versehen. Dieser Antrag wurde von der Ausschußmehrheit abgelehnt. Die CDU/CSU kündigte an, daß sie ihre im Haushaltsausschuß gestellten Kürzungs- und Streichungsanträge bei der Beratung des Haushaltsgesetzes im Plenum wiederholen werde. Einen persönlichen Satz füge ich an: Dies wird übermorgen der Fall sein. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Wortmeldungen der Berichterstatter liegen nicht vor. Wir kommen zur Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte heute hat den Inhalt und den Sinn, bei der Beratung des Etats des Bundeskanzlers und sechs Monate nach der Wahl des Kanzlers und der Vereidigung des Kabinetts eine erste Bewertung der Politik dieser Bundesregierung vorzunehmen. Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, steht heute auf dem Prüfstand. ({0}) Niemand von uns und, wie wir heute aus vielen öffentlichen Äußerungen wissen, auch aus Ihrem eigenen Lager, der SPD, hat diese Regierung mit großen Erwartungen begleitet. Aber, Herr Bundeskanzler, ich muß Ihnen das Kompliment machen: Sie haben diese geringen Erwartungen noch weit unterboten. ({1}) Am 3. Oktober sind Sie beim Urteilsspruch der Wähler gerade noch einmal davongekommen, aber auch dies nur - dies muß deutlich ausgesprochen werden - mit Hilfe eines Verfassungsbruchs. ({2}) Das Bundesverfassungsgericht hat in klarer und eindeutiger Sprache Ihre verfassungswidrige Verwendung von Steuergeldern für Partei- und Wahlzwecke gerügt. ({3}) Das heißt, daß die zweite Regierung Schmidt ihre eigene Legitimation noch vor ihrem Amtsantritt selbst erschüttert hat. Ihr Fraktionsvorsitzender, Herbert Wehner, hat Ihnen, Herr Bundeskanzler, einen schlechten Start bescheinigt. Er hat sich selten so milde ausgedrückt. In diesen Tagen werden andere ganz anders benotet. Wir sehen ja, Willy Brandt erscheint schon gar nicht mehr in der Plenarsitzung. ({4}) Der Rücktritt von Albert Osswald, der Rücktritt von Herrn Arendt, der unverfrorene Wählerbetrug an den Rentnern, ({5}) die Flickschusterei auf allen denkbaren Gebieten, dies läßt sich nur mit sehr viel gutem Willen als „schlechter Start" verharmlosen. Herr Bundeskanzler, Sie haben das Ziel Ihrer Politik aus den Augen verloren. Ihnen fehlen Mut und Kraft, und, wie jeder sieht, auch die Partei, um diese Politik durchsetzen zu können. ({6}) Ihnen fehlen die Kraft und die eigene Partei, ({7}) den richtigen Weg zu gehen; die Richtung stimmt nicht. - Herr Wehner, ich sehe mit großer Gelassenheit Ihrem Tun heute und in diesen Tagen zu, und wir alle können Ihnen nur eine gute Gesundheit und eine gute Kondition in dieser Zeit wünschen. ({8}) - Es muß doch wenigstens noch ein Parteivorsitzender freundlich mit Ihnen umgehen, Herr Kollege Wehner. ({9}) - Herr Kollege Wehner, mit wem Sie sich treffen, ist Ihre Sache, ({10}) und es ist vor allem ein tiefenpsychologischer Vorgang, den Sie erläutern müssen, nicht ich. ({11}) Herr Bundeskanzler, Ihre Politik leidet ständig unter dem Geburtsfehler dieser Regierung: Sie regieren gegen die stärkste politische Kraft der Bundesrepublik ({12}) und gegen die stärkste Fraktion in diesem Hause. ({13}) Ihre Mehrheit, Herr Bundeskanzler, ist knapp. ({14}) Anderswo gibt es auch knappe Mehrheiten. Damit kann man an sich leben. Aber Sie können sich auf diese knappe Mehrheit nicht verlassen. Herr Bundeskanzler, in diesen Tagen ist es allem Volke offenbar geworden: Sie waren und sind von Ihren eigenen Parteigenossen in der SPD politisch erpreßbar. ({15}) Ein doppelter Spaltungsprozeß entfremdet nicht nur die Koalitionsparteien, er spaltet auch und gerade die Sozialdemokratie. Der Vorsitzende der SPD - Sie selbst beklagen das ja laut und deutlich - läßt die Dinge treiben, streichelt die Linken, gibt aber Ihnen keinerlei Rückhalt. Dabei franst - um die Sprache Willy Brandts zu gebrauchen - die SPD nach wie vor nach links aus, sind die Abgrenzungsbeschlüsse unzureichend und in Ihrer eigenen Partei umstritten. Meine Damen und Herren, ob Sie es zugeben oder nicht, die geistigen Grundlagen der deutschen Sozialdemokratie verschieben sich. Im Vergleich zum Godesberger Programm von 1959 offenbart der Orientierungsrahmen aus dem Jahre 1975 einen bedenklichen Wandel im sozialdemokratischen Staats-, Demokratie- und Politikverständnis. ({16}) Der Ihrer eigenen Partei angehörende Politikwissenschaftler Professor Sontheimer sagt dazu - und ich habe dem nichts hinzuzufügen: ... im Orientierungsrahmen erscheint Politik vorwiegend als Kampf um die Verwirklichung der politischen Ziele des demokratischen Sozialismus: Die Ordnung ist nichts, das Ziel ist alles. So ist die Politik der SPD von heute zu umreißen. Ihre Handlungsschwäche, Herr Bundeskanzler, Ihre Unfähigkeit zu regieren, hat nicht nur persönliche, sie hat vor allem strukturelle und ideologische Gründe. In dieser ungleichen und uneinigen Koalition ist die Gesetzmäßigkeit Ihres politischen Scheiterns angelegt. Ihre Regierung versagt nicht nur da und dort bei dieser oder jener Frage, sie versagt vor ihrer Aufgabe, politische Ziele für die Bürger zu formulieren, den Bürgern zu sagen, welche Opfer sie für welche Zwecke bringen sollen. Regieren, Herr Bundeskanzler, das mißrät Ihnen immer mehr zum bloßen Verwalten. Sie verwechseln die Zahl der Gesetze mit der Qualität Ihrer Politik. Prioritäten ersetzen Sie durch Betriebsamkeit. Statt politisch zu führen, verwirren Sie die Offentlichkeit. Was Sie heute sagen, wird morgen aus Ihren eigenen Reihe attackiert und ist übermorgen überhaupt nichts mehr wert. Es wird geredet, gefordert und verweigert, es wird angekündigt und dementiert, es werden Steuervorlagen beschlossen, ergänzt, geändert und reduziert. Entschlossen, Herr Bundeskanzler, sind nur Ihre Attacken auf die Opposition. ({17}) Politische Phantasie entwickeln Sie vorwiegend bei der Suche nach Sündenböcken für Ihre gescheiterte Politik. ({18}) Sie suchen die Schuldigen draußen, da Sie drinnen immer weniger Unterstützung finden. Das wird uns überhaupt nicht davon abhalten, uns gerade in dieser Debatte des Bundestages mit den zentralen Problemen und Gefährdungen dieser Bundesrepublik auseinanderzusetzen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben das Vertrauen der Bürger dieses Landes enttäuscht, das Vertrauen in Ihre Politik, in die Parteien und, wenn es so weitergeht, auch in den Staat. Draußen wird immer weniger über die Politik Ihrer Regierung diskutiert, aber immer mehr über die Frage, wie lange sie sich gerade noch im Amte hält. ({19}) Das ist der eigentliche politische Skandal in der Bundesrepublik. Die Problemberge wachsen, unsere Mitbürger sind zu Leistungen und zu Opfern bereit, während Ihre Regierung und Sie selbst nur noch mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist. ({20}) Das, meine Damen und Herren, angesichts der zentralen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderung unserer Zeit, der Arbeitslosigkeit. Mit der sogenannten „stillen Reserve" sind zur Zeit bei uns weit über eine Million Menschen ohne Arbeit, Frauen, ältere Mitbürger, Behinderte, zunehmend auch Jugendliche und Akademiker. Drei Jahre währt dieser Zustand nun schon. Für den Winter signalisieren die wirtschaftswissenschaftlichen Institute eine Arbeitslosigkeit von 1,5 Millionen. Der DGB befürchtet für die Zukunft sogar 3 Millionen Arbeitslose. Es ist höchste Zeit, daß wir alle das Problem der Arbeitslosigkeit ernst nehmen und daß es vor allem die Regierung entschlossen anpackt. Wir dürfen nicht zulassen, daß sich diese Massenarbeitslosigkeit strukturell verfestigt. ({21}) Herr Bundeskanzler, wir begrüßen es, wenn Sie von der Gipfelkonferenz am 8. Mai in London die Erkenntnis mitbrachten, daß Inflation die Arbeitslosigkeit nicht verringert. Nur stand die Politik Ihrer Regierung bisher in klarem Gegensatz zu diesen Prinzipien. ({22}) Sie, Herr Bundeskanzler, waren es doch, der mit einem leichtfertigen Wort eine verhängnisvolle Politik begründet hat. Sie haben doch erklärt: 5 % Inflation sind mir lieber als 5 % Arbeitslosigkeit. Sie haben beides erreicht. ({23}) Gewaltige wirtschaftliche und soziale Schäden sind daraus entstanden. Seit Beginn der 70er Jahre fehlen uns Investitionen in Höhe von fast 170 Milliarden DM. Damit ist die Beschäftigtenzahl in der Bundesrepublik um rund 1,5 Millionen zurückgegangen. Dies ist eines der wichtigsten Ergebnisse Ihrer verfehlten Politik. Nicht die Soziale Marktwirtschaft hat versagt, Herr Brandt; die von der SPD /FDP geführte Bundesregierung hat versagt. Das sind die Tatsachen in der Bundesrepublik. ({24}) Jeder Arbeitslose muß es geradezu als zynisch empfinden, wenn der Bundeskanzler wider besseres Wissen immer wieder, und zwar vor Wahlen, Erwartungen genährt und danach Hoffnungen zerstört hat. Im Mai 1974 sagten Sie: „Man spricht etwas zuviel von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, wir haben etwas Kurzarbeit und einige Arbeitslose." Damals gab es bereits eine halbe Million Arbeitslose. Vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen versprachen Sie: „Wir sind über den Berg." Nach der Wahl haben wir alle gesehen, wie dieser Berg aussah. Vor der Bundestagswahl, vor knapp neun Monaten, sagten Sie wieder: „In unseren Fabriken wird unter Hochdruck gearbeitet. Die Zahl der Arbeitslosen und der Kurzarbeiter geht zurück." Herr Bundeskanzler, Sie können nicht ständig nach dem Motto verfahren: Politik mache ich, aber für die Folgen stehe ich persönlich nicht ein. ({25}) Das große Problem, die Not der Arbeitslosigkeit kann nicht mit kleiner Münze beseitigt werden, sondern erfordert enorme politische Anstrengungen. Unverzichtbar bei der Rückgewinnung der Vollbeschäftigung ist eine politische Führung, die mit Mut und Phantasie die Arbeitsmarktprobleme anpackt und deren ordnungspolitische Grundlage in der Sozialen Marktwirtschaft niemals in Frage gestellt wird. ({26}) Unverzichtbar ist eine rasche Beseitigung der Investitionskrise. Unverzichtbar ist die Stärkung der Ertragsfähigkeit und der Leistungskraft der Unternehmungen. Unverzichtbar ist, daß wir für alle jungen Menschen die Möglichkeit schaffen müssen, ihren Beruf zu finden, ihre Berufsbefähigung zu erwerben. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben dazu das notwendige Programm vorgelegt. Vordringlich ist ein umfassendes Programm, das wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Maßnahmen aufeinander abstimmt. Die Verantwortung der Tarifpartner für Wachstum und Beschäftigung ist unverzichtbar und unersetzbar. Diese Überlegungen sind auch die Grundlage unseres Programms zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, ein Programm im übrigen, das die Koalitionsfraktionen aus ihrem arbeitspolitischen Schlaf aufgeschreckt hat. ({27}) Die SPD tagt plötzlich in Klausur, der Wirtschaftsminister äußert sich, Tatsachen, die beweisen, daß eben die Opposition in diesem Hause das Gesetz des Handelns bestimmt. ({28}) Wir sind davon überzeugt, es ist ökonomischer und humaner, Arbeitsplätze statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. ({29}) Es ist bedrückend, wie die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der jungen Generation voranschreitet. Die Bundesregierung hat es zwar verstanden, bei vielen unserer jungen Mitbürger Hoffnungen zu wecken, angefangen vom Bildungsbericht '70 bis zu dem Wahlversprechen des Kanzlers über die Abschaffung des Numerus clausus, aber sie hat bis zum heutigen Tage nicht einmal Ansätze für Lösungen der drängendsten Probleme vorgelegt. 80 000 junge Mitbürger sind arbeitslos. Zehntausende finden keinen Ausbildungsplatz, mehrere zehntausend junger Abiturienten sind Opfer des Numerus clausus, eine wachsende Zahl - und die Zahl wird in den nächsten Jahren weiter wachsen - von Hochschulabsolventen findet keinen Arbeitsplatz, der ihrer Ausbildung entspricht. All diese Probleme werden sich bei den jetzt in die Ausbildung und später in das Berufsleben eintretenden geburtenstarken Jahrgängen noch dramatisch verstärken. Mit diesen Bildungs- und Berufsaussichten sehen sich unsere jungen Mitbürger in einer Sackgasse, in der sich alle beengt und überfordert in einem Verdrängungswettbewerb befinden. Duckmäusertum und Anpassungsbereitschaft oder aber auch die Rücksichtslosigkeit der Ellenbogenmentalität sind Folgen dieser Entwicklung. Meine Damen und Herren, dies alles schafft ein denkbar schlechtes Klima für Gemeinsinn, für mitmenschliche Solidarität, für die Freude am Lernen und für das an den Aufgaben des Lebens orientierte Streben nach Leistung. Wir sagen nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie diese Situation gewollt haben, aber wir entlassen Sie nicht mit billiger Ausrede aus Ihrer ganz persönlichen Verantwortung als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. ({30}) Wo ist denn das Programm Ihrer Regierung zur Überwindung der Jugendarbeitslosigkeit, des Lehrstellenmangels, zur Vermeidung einer wachsenden Arbeitslosigkeit von Akademikern, zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, zur Stärkung der Familien, zur Eindämmung des wachsenden Mißbrauchs von Alkohol durch Jugendliche, zur Bekämpfung der alarmierend steigenden Jugendkriminalität? Mit welchen Maßnahmen will diese Bundesregierung jungen Leuten helfen, berufliche Selbständigkeit zu erwerben? Wie will sie die Lebensfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmungen und damit deren Ausbildungskapazität sichern? Das sind Fragen, auf die Sie Antwort geben müssen, heute und morgen, in diesen Tagen vor dem Forum der deutschen Offentlichkeit. ({31}) Was tut die Regierung, um die materielle Existenzgrundlage unseres Landes und damit vor allem der jungen Generation angesichts der technologischen Entwicklung und eines wirtschaftlichen Strukturwandels als Folge der internationalen Arbeitsteilung zu sichern? Was will die Regierung schließlich tun, um die Einhaltung des Generationenvertrages im System unserer sozialen Sicherung zu ermöglichen, ohne der jungen Generation oder der Generation der älteren Menschen unerträgliche Belastungen zuzumuten, wenn die Bevölkerung in unserem Lande weiterhin kontinuierlich abnimmt? Wir geben uns nicht mit der Ausrede zufrieden, Herr Bundeskanzler, dafür hätten Sie nicht die Kompetenzen. Sie haben sie: Vom Familienlastenausgleich bis zu den Kompetenzen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stehen Ihnen die Instrumente zur Verfügung. Sie müssen sie nur endlich zu Nutz und Frommen unserer Bürger einsetzen. ({32}) Eine steigende Zahl von Bürgern aus der jungen Generation ist auf dem Wege, angesichts ihrer derzeit deprimierenden Bildungs- und Berufsaussichten zu resignieren, sich in den privaten Winkel individuellen Glücks zurückzuziehen und die Verantwortung für ihr materielles Wohlergehen einem anonymen Versorgungsstaat zu übertragen. Deshalb ist es wichtig, der jungen Generation bald und überzeugend zu sagen, vor welchen Aufgaben dieses unser Land steht und wie ihre Zukunftschancen gesichert werden können. Dazu ist diese Koalition offensichtlich nicht in der Lage. Wir geben Ihnen noch in diesem Jahr von diesem Platz aus die Chance, sich mit unserem Programm zur Sicherung der Zukunftschancen der jungen Generation zu 'beschäftigen. Ich warte dann auf Ihre Antwort. ({33}) Die Bundesregierung hat durch ihre verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik die Finanzgrundlagen unseres Sozialsystems aufs schwerste erschüttert. Eine Million Arbeitslose sind eine Million weniger Beitragszahler. Damit fehlen in den Rentenkassen Jahr für Jahr Milliarden. Hier beginnt die eigentliche Gefährdung der Grundlagen unserer sozialen Sicherungssysteme. Alle sozialen Beteuerungen, mögen sie noch so vollmundig vorgetragen sein, Herr Bundeskanzler, helfen so nicht weiter. Sie haben es zu verantworten, daß dem kleinen Mann heute Belastungen ins Haus stehen wie nie zuvor. Wen wundert es, wenn viele Bürger der Bundesrepublik sich heute an die fünfziger und sechziger Jahre zurückerinnern und von den „goldenen Jahren" der Bundesrepublik Deutschland sprechen? ({34}) Das waren Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs mit Stabilität und Vollbeschäftigung. Es waren Jahre bahnbrechender sozialer Fortschritte, angefangen von der Eingliederung von Millionen Flüchtlingen über die große Rentenreform bis hin zu den neuen Ideen der Vermögensbildung in breiter Hand. 1969 haben Sie und Ihre Freunde versprochen: „Wir fangen erst richtig an." Hätten Sie doch wenigstens bewahrt und fortgeführt, was 1969 längst erreicht war! ({35}) Das Ende dieser Fehlentwicklung ist immer noch nicht abzusehen. ({36}) Ihr Programm zur Sanierung der Renten und des Krankenversicherungssystems ist doch nichts anderes als eine Flickschusterei, die nicht einmal bis zum nächsten Wahltermin halten wird. Das bestätigen Ihnen alle Experten, vom Verband der deutschen Rentenversicherungsträger über die Krankenversicherungsträger bis hin zu allen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten. Sie haben in dieser Koalition in der Tat keine Kraft mehr zu einem wirklichen Neubeginn, zu einer wirklichen Sanierung unserer Systeme. ({37}) Zu tief, Herr Bundeskanzler, sind die Spuren, die sieben Jahre verfehlter SPD /FDP-Politik in unser Sozialsystem gegraben haben. Wir bieten keine billigen Auswege an. Aber wir haben eine bessere Lösung aufgewiesen, und wir stehen dazu. Unser Programm stützt die kleinen Rentner und dient der Erhaltung der Freiheit auch in unserem Gesundheitswesen. Unser Programm geht von folgender Lage aus: In der Bundesrepublik werden gegenwärtig rund 300 Milliarden DM für soziale Zwecke aufgewandt. Es kann deshalb gar nicht darum gehen, diesen Betrag immer weiter oder noch weiter zu erhöhen, sondern wir müssen bedenken, inwieweit wir fähig sind, die Sozialleistungen gerechter und vernünftiger einzusetzen. Wir haben den politischen Mut dazu. Wir haben das im Unterschied zur Bundesregierung bewiesen, indem wir unser Sanierungsprogramm nicht den bequemen Weg der offenen oder verschleierten Beitragsanhebung gehen ließen. Statt dessen schlagen wir einen Solidarbeitrag derjenigen Rentner vor, die mit Mehrfachrenten und kostenloser Krankenversicherung unter Umständen über ein höheres Einkommen verfügen als die Erwerbstätigen, die ihre Rente finanzieren müssen. Meine Damen und Herren, das Rentenkonzept der Union bringt für zwei Millionen Kleinrentner - vor allem Witwen -, für 900 000 Rentnerfamilien mit Kindern sowie für die Wirtschaft und die Beitragszahler erhebliche Vorteile. Diese Politik ist freiheitlich und sozial zugleich. ({38}) Ihre Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, hat sich mit der von Ihnen vertretenen Politik ständig steigender Ausgaben massiv am Kampf um die Verteilung des Sozialprodukts beteiligt. Sie hat damit nicht nur immer mehr Bürger und die Wirtschaft mit ständig steigenden Steuern und Abgaben belastet, sondern auch die Inflation geschürt und die Investitions- und die Ertragskraft der Wirtschaft beeinträchtigt und dadurch Arbeitslosigkeit erzeugt. So werden die Grenzen der Belastbarkeit nicht nur erprobt, sondern ganz erheblich überschritten. Fast jede zweite heute mehr verdiente Mark fließt in öffentliche Kassen. Die Lohnsteuer - die neuesten Zahlen beweisen das eindrucksvoll - erweist sich immer mehr als die ergiebigste Einkommensquelle zur Finanzierung der gewaltigen Staatsausgaben. Meine Damen und Herren von der SPD, die Arbeitnehmer müssen heute dreimal soviel Lohnsteuer aufbringen wie beim Amtsantritt dieser selbsternannten Arbeitnehmerpartei „Sozialdemokratische Partei Deutschlands". ({39}) Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte hat die 300-Milliarden-Grenze überschritten. Wollen Sie dies eine seriöse Politik nennen, in diesem Umfang auf Pump und auf Kosten der Generation nach uns zu leben und dabei vor allem die Arbeitnehmer mit ständig steigenden heimlichen Steuererhöhungen zu bestrafen? Die Diskussion der letzten Wochen spricht Bände. Diese enorme Zunahme des Staatsanteils am Sozialprodukt ist Ausdruck und Folge einer volkswirtschaftlich schädlichen Gefälligkeitspolitik, die dem Bürger an Reformen versprach, was trotz steigender Steuern und Abgaben nicht gehalten werden konnte. Alle Daten und Analysen über die Wirtschaftsentwicklung belegen, daß eine grundsätzlich andere Verwendung des Sozialprodukts - weg vom Staat, hin zu den privaten wachstumsfördernden Investitionen - notwendig ist, das heißt: Abbau der leistungsfeindlichen Steuerlast. Aus diesem Grund haben wir zur Erhöhung der Mehrwertsteuer ein entschiedenes Nein gesagt. ({40}) In dieser Lage der Bundesrepublik geht nach unserer Überzeugung kein Weg daran vorbei, endlich mit dem Geld der Bürger sparsamer umzugehen, die Leistungsfeindlichkeit, Inflationsanfälligkeit und Substanzbesteuerung im gegenwärtigen Steuersystem abzubauen und ein leistungs- und ein investitionsförderndes Steuerprogramm ohne Mehrwertsteuererhöhung vorzulegen. Genau das haben wir heute getan. ({41}) Wir befinden uns dabei in guter Gesellschaft, Herr Bundesfinanzminister. Wir halten uns dabei nur an das, was Sie selber geäußert haben: ... es ist ausgeschlossen, daß wir zum Ausgleich für die Entlastungen durch die Steuerreform andere Steuern - z. B. die Mehrwertsteuer - erhöhen. Wir denken gar nicht daran, den Bürgern mit der einen Hand etwas zu geben und mit der anderen gleich wieder etwas wegzunehmen. ({42}) Das wäre nicht nur unsozial, das wäre auch unseriös. Genau das sind Sie geworden, Herr Bundesfinanzminister. ({43}) Wir werden es nicht zulassen, Herr Bundeskanzler, daß Sie die internationale Szenerie zum Alibi umfunktionieren, um über den miserablen Zustand von Regierung, Koalition und SPD hinwegzutäuschen. Was haben Sie in diesen Jahren nicht schon alles bemüht, um Ihre Verantwortung zu vertuschen? Erst war es der Vietnam-Krieg, dann waren es die „häßlichen Unternehmer", dann die böse, schwarzmalende Opposition, dann anonyme Kräfte der Weltwirtschaft, dann die Sparer, dann manche der alten Instrumente, die angeblich nicht mehr greifen, und heute, als vorläufig letzter Grund der Schwierigkeiten - ich zitiere aus Ihrer Rede vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie -: „pauschaler Pessimismus" und die „Gebetsmühle der Besorgnisse". Sie sollten diese Rede einmal in der SPD-Bundestagsfraktion halten; dort gehört eine solche Aussage hin! ({44}) Mit einem Wort: Es lag an allem und an jedem, nur nicht an Ihnen, Herr Bundeskanzler. Lesen Sie doch bitte einmal im Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1976 folgenden Absatz - ich zitiere -: Die Ursachen der heutigen Arbeitsmarktprobleme reichen ohne Zweifel zum Teil noch in die Zeit der inflationären Übersteigerung der frühen siebziger Jahre zurück. Niemand in der SPD soll, weil die Treibjagd auf Willy Brandt gerade eröffnet ist, sagen: Da war Brandt Kanzler. Sie waren der Bundesfinanzminister jener Jahre! Sie tragen die Verantwortung! ({45}) Es genügt nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie dann die Probleme aufzählen. Sie müssen gelöst werden. Darauf haben unsere Bürger Anspruch. Ich habe hier nur vier der drängendsten Probleme angesprochen: die Arbeitslosigkeit, die Zukunftschancen der jungen Generation, die bedrohliche Lage unserer Systeme sozialer Sicherheit und den desolaten Zustand der öffentlichen Finanzen. Weitere wichtige Aufgaben stehen auf der Tagesordnung: die Energiepolitik, der Umweltschutz, die innere Sicherheit und die Bekämpfung des Terrorismus, die sich verschärfende Auseinandersetzung zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern, die bedrohliche Entwicklung im inneren Bereich einiger Länder Europas und die ungelösten Probleme in der Entspannungs- und Abrüstungspolitik. Wir werden auf diese Teile der Politik im Verlauf der Haushaltsdebatte noch im einzelnen zu sprechen kommen. Wir werden diesbezüglich noch in diesem Jahr eine Reihe von Initiativen ergreifen und dem Hohen Haus Gelegenheit geben, darüber zu diskutieren. Sie, Herr Bundeskanzler, sprechen dauernd davon, daß diese Probleme angepackt werden müssen. Aber Sie nennen keine Prioritäten, und Sie wissen offensichtlich auch keine Lösungen mehr. Wie wollen Sie, Herr Bundeskanzler, unsere Bürger zu mehr Initiative, zu mehr Leistung, zu höherem Verantwortungsbewußtsein anregen, wenn die Bürger gar nicht mehr wissen, was die Regierung eigentlich wirklich will? Das ist doch der Grund dafür, daß sich bei unseren Mitbürgern Orientierungslosigkeit, Entmutigung, Resignation und mangelndes Vertrauen breitmachen. Wir haben keine Staatskrise in der Bundesrepublik. Wir haben eine schleichende permanente Krise der Bundesregierung, der sie tragenden Parteien, allen voran der Sozialdemokratischen Partei. ({46}) Was sind denn die wahren Gründe für die heutigen Schwierigkeiten? Es wird ja nicht einmal mehr in Ihren eigenen Reihen bestritten, Herr Bundes2530 kanzler, daß in der Reformeuphorie des demokratischen Sozialismus die Inflation der Erwartungen hochgeputscht wurde. Diese Inflation der Erwartungen schlug dann in eine Inflation der Ansprüche um und löste so den Verteilungskampf aus, an dem die Bundesregierung nicht nur teilhatte, sondern für den sie sogar die Signale setzte. So folgte der Inflation der Ansprüche die Inflation der Kosten, die die Ertragskraft und die Investitionsfähigkeit unserer Wirtschaft lähmte. Auf diese Weise hat die Inflation auch zu einem gut Teil Arbeitslosigkeit mit produziert. Es gibt - wir haben .das nie geleugnet - auch außenwirtschaftliche Gründe, aber über die hausgemachten Ursachen von Inflation und Arbeitslosigkeit dürfen Sie die Bürger nicht hinwegtäuschen. Die Exporte waren bei uns immer eine Stütze der Konjunktur. Wären sie weniger gewesen, stünde es doch um die Arbeitslosigkeit noch viel schlimmer, als jetzt schon zu beklagen ist. Die Hauptlast an den wirtschaftlichen und sozialen Fehlentwicklungen trägt die Bundesregierung und damit die Koalition von SPD und FDP, die die verheerenden Folgen der Verteilungskonflikte nicht sehen wollten, sondern diese Konflikte sogar noch befördert haben. ({47}) Wir haben in den vergangenen Jahren eine gewaltige Ausdehnung der Staatstätigkeit gehabt. Der Staat, wie ihn die Sozialdemokratie versteht, verspricht und übernimmt immer mehr Aufgaben in staatliche Regie, die er immer unvollkommener und unzuverlässiger erfüllen kann. Das ist ja die eigentliche Philosophie ,des demokratischen Sozialismus: die Rechtfertigung von und der Weg zu immer mehr Eingriffen und zu immer mehr Dirigismus gegenüber dem Bürger. ({48}) Die große Herausforderung unserer Zeit, die geistige Sicherung einer freiheitlichen Ordnung, geriet gegenüber dem Vordringen sozialistischen Gedankengutes immer mehr in den Hintergrund. Meine Damen und Herren von der SPD, auf dem Weg in den demokratischen Sozialismus glaubten Sie die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft permanent verletzen zu können. Auf leisen Sohlen haben Sie einen Prozeß in Gang gebracht, der den marktwirtschaftlichen Wachstumsprozeß gestoppt, erschwert und gelähmt hat. Die Politik auf dem Wege des demokratischen Sozialismus war eine Politik der kleinen Schritte, die in ihrer Summe die Wirtschaft immer mehr belastet, den finanziellen Spielraum des Staates immer mehr eingeengt hat und ihn so zum Gefangenen einer unsoliden Finanz- und Sozialpolitik machte. Meine Damen und Herren, man muß es klar aussprechen: Am Ende läuft die Politik, die Sie betreiben, auf eine Ordnungsform hinaus, die nicht nur zu einer Verlangsamung, Verteuerung und Komplizierung staatlichen Handelns führt, sondern die auch politisch immer schwerer regulierbar und vor allem kontrollierbar wird. ({49}) Graf Lambsdorff fand zu diesem Thema goldene Worte. Er schrieb vor einigen Tagen: Wir stehen in der Bundesrepublik gegenwärtig mitten in einer neuen ordnungspolitischen Grundsatzdiskussion, wie es sie bisher in der Nachkriegszeit nur unmittelbar nach der Währungsreform bei Einführung der sozialen Marktwirtschaft gab. ({50}) Graf Lambsdorff und Ihre Freunde in der FDP, dann suchen Sie doch die ordnungspolitische Auseinandersetzung mit denen, die in der Bundesrepublik Deutschland im Prinzip eine andere Ordnung wollen. ({51}) Stemmen Sie sich doch gegen Willy Brandt und jene Abgeordneten, die wir hier am Donnerstag in schöner Reihenfolge aufmarschieren sahen. Sprechen Sie doch nicht nur von den Jusos oder den Jungdemokraten. Die sind doch nicht das Problem der deutschen Politik. Die altgewordenen Jusos in der SPD stellen das Problem der deutschen Politik dar. ({52}) Unsere Antwort auf die Herausforderung der Zeit in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik ist und bleibt die Soziale Marktwirtschaft. Sie ist keine Ordnung lediglich für eine Schönwetterperiode. Wie sie beim Wiederaufbau unter Ludwig Erhard bewiesen hat, kann sie noch mit viel schwierigeren Aufgaben fertig werden. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, müssen diese Ordnung nun endlich auch innerlich uneingeschränkt bejahen und lernen, mit ihr zu leben und umzugehen. Was wir brauchen, ist eine Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft. Das ist in der Zukunft die Grundlage wirtschaftlichen Wachstums in der Bundesrepublik. ({53}) Worauf es in der gegenwärtigen Phase vor allem ankommt, ist, die Erneuerungs- und Wachstumschancen der Sozialen Marktwirtschaft wieder konsequent zu eröffnen. Diese Soziale Marktwirtschaft hat sich seit Jahrzehnten so bewährt, daß sie auch mit ganz anderen Problemen fertig wurde. Wie kein anderes gesellschaftliches System ist die Soziale Marktwirtschaft in der Lage, die dynamischen Kräfte des wirtschaftlichen Wachstums in den Dienst der Arbeitsplatzbeschaffung, der Sicherung von Arbeitsplätzen und des sozialen Ausgleichs in Solidarität zu stellen. Wohlstand und soziale Sicherung wurden mit der Marktwirtschaft erreicht. Aber sie bleiben nicht automatisch für alle Zeiten verbürgt. Krisen der Weltwirtschaft gefährden unser freiheitliches Wirtschaftssystem insbesondere dann, wenn sie mit solchen Fehlentwicklungen im eigenen Lande zusammentreffen, wie wir sie gerade beklagen. Wir alle mußten lernen, daß die Marktwirtschaft auf Krisen und politische Fehlentscheidungen mit ihrer sehr eigenen Gesetzmäßigkeit antwortet. Nach der Überforderung der Leistungsfähigkeit der Produktion und dem Anstieg des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt kam die Inflation. ({54}) Der Beschleunigung des Preisanstiegs folgten Unsicherheit, Zurückhaltung bei den Investitionen und im Konsum und damit auch Wachstumseinbußen. Das Fehlverhalten des Staates, das unter Ihrer Regierung stattfindet, Herr Bundeskanzler, muß zu Arbeitslosigkeit führen. Am Ende kann dann 'auch noch eine wirtschaftliche Krise stehen. Damit wurde in Frage gestellt, was in Jahrzehnten erarbeitet wurde. Auf jeden Schritt vom Weg der Sozialen Marktwirtschaft folgte die gesamtwirtschaftliche Quittung. Die schwächsten Glieder der Gesellschaft müssen diese Rechnung bezahlen, jene kleinen Leute, von denen die deutschen Sozialdemokraten so gerne im Wahlkampf sprechen. ({55}) Nicht die Wirtschaftsordnung hat versagt, wie Herr Brandt meint, sondern die Politik, als sie versuchte, die marktwirtschaftlichen Kräfte zu überspielen. Zu dieser Ordnung, Herr Bundeskanzler, gehört der Wettbewerb. Sowohl das Bundeskartellamt als auch die Mitglieder der Monopolkommission haben über die Gefahren für den Wettbewerb in der Bundesrepublik Deutschland eine ungeschminkte und ernst zu nehmende Darstellung abgegeben. Diese Kritik richtet sich an die Adresse der Bundesregierung. Beide Gremien stellen fest, daß tiefgreifende Veränderungen im Wettbewerb und eine wirtschaftliche Konzentration, die in den vergangenen Jahren besorgniserregende Ausmaße angenommen haben, die 'dynamischen Antriebskräfte für einen wirksamen Wettbewerb behindern. Das ist ein Grund dafür, daß sich die Bürger in den letzten Jahren einer wachsenden Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Zukunft und damit auch mit einer Gefährdung ihrer sozialen Sicherheit konfrontiert sehen. Bereits in den ersten vier Monaten dieses Jahres haben wieder mehr als 4 000 Unternehmen den Konkurs anmelden müssen. Damit wächst die Gefahr, daß die Zahl der Pleiten in diesem Jahre erstmals die negative Rekordmarke von 10 000 überschreitet. Damit hätten wir vom Jahr 1970 an mehr als 50 000 Konkurse und Vergleiche zu beklagen. Das ist die Bilanz Ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. ({56}) Das sind Zeichen für die wachsenden Schwierigkeiten kleiner und mittlerer Unternehmen des Mittelstandes, sie bedeuten aber auch schwindende Chancen für neue Arbeitsplätze. Risikobereitschaft und Unabhängigkeitsstreben lassen mehr und mehr nach. Das ist eine zentrale Gefahr für die Wettbewerbsordnung und die Zukunftsorientierung unserer Sozialen Marktwirtschaft. Wenn in diesem Zusammenhang jene, die die Schuld für die Arbeitslosigkeit auf die marktwirtschaftliche Ordnung schieben wollen, nicht eindeutig und klar von Ihnen, Herr Bundeskanzler, in die Schranken gewiesen werden, dann müssen Sie sich mit allem Grund fragen lassen: Wie steht es mit Ihrem Bekenntnis zu dieser freiheitlichen Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft? Wegen der demographischen Veränderungen müssen wir, wie jeder weiß, möglichst früh in den 80er Jahren rund zwei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Bedenkt man, daß die Ausrüstung und Einrichtung eines neuen Arbeitsplatzes im Durchschnitt wenigstens 100 000 DM kostet, dann erkennt man die riesige Dimension dieses Investitionsproblems. Allein im Energiebereich sind bis zum Jahre 1985 - das sind wenig mehr als sieben Jahre - 300 Milliarden DM für Investitionen erforderlich, um unsere Zukunftssicherung im Bereich der Energie zu garantieren. Und angesichts dieses Problems diskutieren Sie in weiten Teilen der Koalitionsparteien im Zusammenhang mit der Nuklearenergie Thesen, die nur noch als investitionshemmend und wirtschaftsfeindlich bezeichnet werden können. ({57}) In den Jahren von 1975 bis 1979 - wir bejahen das - rechnen wir für den Umweltschutz mit Investitionen in einer Größenordnung von über 110 Milliarden DM. Die internationale Wettbewerbssituation hat sich für die deutsche Volkswirtschaft durch die Zangenbewegung steigender Produktionskosten und ungestüm wachsender Abgaben weiter verschärft. Die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft ist in manchen Bereichen in steigendem Maße von der Überalterung der Anlagen beeinträchtigt. Dies alles unterstreicht doch mit Deutlichkeit: Der Schlüssel für die dauerhafte Sicherung eines ausreichenden Wachstums und damit für ein ausreichendes Arbeitsplatz- und Bildungsangebot liegt vor allem bei 'den privaten Investitionen, die wir fördern müssen. ({58}) Seit 1974, Herr Bundeskanzler, machen wir die Bundesregierung unablässig darauf aufmerksam, wie dringend erforderlich es ist, die Unternehmungen in die Lage zu versetzen, den Prozeß der strukturellen Anpassung an die veränderten und erschwerten weltwirtschaftlichen Bedingungen und die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen. Wie die bis zur Zerreißprobe tragenden Auseinandersetzungen innerhalb der SPD beim Steueränderungsgesetz bewiesen haben, ist diese Koalition im besten Fall nur noch scheibchenweise in der Lage, diese Forderung zu erfüllen. Wenn sich die SPD und damit die Koalition aus ihrer zunehmenden ideologischen Verklammerung nicht lösen können, dann wird es Ihnen, Herr Bundeskanzler, auch morgen und übermorgen nicht gelingen, mit der bedrohlichen Arbeitslosigkeit fertig zu werden. ({59}) Es wird Ihnen nicht gelingen, ein angemessenes wirtschaftliches Wachstum zu erreichen, die inflationäre Preisentwicklung dauerhaft zu dämpfen und die Staatsfinanzen, ohne den Bürger noch mehr zu belasten und zur Kasse zu bitten, in Ordnung zu bringen. Was die Bürger der Bundesrepublik Deutschland jetzt brauchen, ist ein klarer, ein eindeutiger, ein neuer Kurs, ein Kurs, der die Unsicherheit von Verbrauchern, Arbeitnehmern und Unternehmern beseitigt, der auf die Initiative, das Engagement und die Verantwortungs- und Opferbereitschaft des einzelnen und ganzer gesellschaftlicher Gruppen setzt und auch rechnen kann. Wir in der CDU/CSU-Fraktion halten es deshalb für dringend erforderlich, daß vor allem das Vertrauen von Wirtschaft und Verbrauchern in die Politik wiederhergestellt wird, daß die Verunsicherungen über die Zukunft abgebaut werden. Es muß Schluß sein, Herr Bundeskanzler, mit immer neuen Experimenten und dem Irrweg zu immer mehr Staat. Die Bundesregierung muß sich endlich von ihren dirigistischen Vorstellungen absetzen, und sie muß es sich verbitten, daß in den sie tragenden Parteien Themen wie Investitionskontrolle, Investitionslenkung, Investitionsmeldestellen und Strukturräte diskutiert werden und neue Unsicherheit in die Wirtschaftsordnung hineingetragen wird. ({60}) Wir fordern zur 'Gesundung unserer Volkswirtschaft, zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Vermehrung der Chancen neuer Arbeitsplätze ein Steuerentlastungsprogramm zur Stärkung privater Investitionen und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wir wollen Forschung, Entwicklung und Mobilität unterstützen. Die Gründung neuer mittelständischer Unternehmen ist zu fördern. Es ist eine der Achillesfersen der gegenwärtigen deutschen Volkswirtschaft geworden, daß der Wille zum Selbständigwerden, auf eigene Rechnung etwas zu leisten, immer mehr abgebremst und abgetötet wird. ({61}) Wir lehnen eine Politik eines ständig steigenden Anteils des Staates und der öffentlichen Hand am Bruttosozialprodukt ab. Die Finanzpolitik der öffentlichen Hand muß- auf eine sparsame, die öffentlichen Investitionen fördernde Haushaltspolitik ausgerichtet sein. Wir verlangen die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital im Rahmen der Vermögensbildung und erwarten, daß Sie, meine Damen und Herren, dazu Vorschläge machen. Wir fordern eine systemgerechte und sozial ausgewogene Begrenzung des Kostenanstiegs bei den Sozialausgaben und nicht Kostendämpfungsgesetze, mit denen durch die Hintertür in kleinen Schritten die Sozialisierung unseres Gesundheitswesens eingeleitet wird. ({62}) Wir treten dafür ein und sind bereit, unseren Beitrag dazu zu leisten, allen jungen Mitbürgern in diesem Staat die Möglichkeit der Berufsausbildung und der Berufsbefähigung zu sichern. Meine Damen und Herren, diese Ziele sind zu erreichen. Die Voraussetzungen sind in der Struktur und in der inneren Kraft der Bundesrepublik und ihrer Bürger gegeben. Wir haben immer wieder unsere Vorschläge dargelegt. Jetzt muß endlich gehandelt werden. Aber, Herr Bundeskanzler, es ist eben nicht mehr zu übersehen, daß Sie in Ihren eigenen Reihen die notwendige Unterstützung nicht mehr finden, solche Ziele in die Wirklichkeit umzusetzen. Die parlamentarischen Entscheidungen in der letzten Woche haben gezeigt, daß Sie nur noch dann mit der Solidarität Ihrer Koalitionsfraktionen rechnen dürfen, wenn es darum geht, zu überwintern und sich an der Macht zu halten. Das deutsche Volk muß - nicht zuletzt auf Grund Ihrer Haltung und Reaktion, Herr Bundeskanzler, zu den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts dieses Jahres - den Eindruck haben, daß Ihnen - und ich sage es ganz kräftig - und den Koalitionsfraktionen nahezu jedes Mittel recht ist, um sich an der Macht zu halten. ({63}) Zum zweitenmal innerhalb von wenigen Monaten mußte das höchste deutsche Gericht dieser Bundesregierung einen schwerwiegenden Verfassungsverstoß nachweisen. Und damit nicht genug: Ein neuer Fall kündigt sich bereits an. Erneut sind Sie dabei, die Grenzen der Belastbarkeit unserer Verfassung zu erproben. Die Vorgänge um die Wehrpflichtnovelle sind für uns alarmierende Anzeichen für Ihre Uneinsichtigkeit und Ihre Bedenkenlosigkeit. Mit Ihrer Entscheidung, Herr Bundeskanzler, auf jedes Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer zu verzichten, geben Sie ohne jede Not die gemeinsame Grundlage, unserer Verteidigungspolitik auf. ({64}) Dieser Gesetzentwurf, Herr Bundeskanzler, ({65}) ist eine unverhüllte Absage an alles, was wir bisher gemeinsam unter „allgemeiner Wehrpflicht" verstanden haben, und für diesen Bruch der Gemeinsamkeit tragen vor allem Sie und der Bundesverteidigungsminister Georg Leber die Verantwortung. ({66}) Meine Damen und Herren, dann, wenn Worte noch einen Sinn haben sollen, muß ich fragen: ({67}) Wie verträgt sich eine allgemeine Wehrpflicht damit, daß sich künftig jeder junge Bürger, jeder junge Mann frei entscheiden kann, ob er seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr oder statt dessen einen beliebigen Zivildienst ableisten will -falls es überhaupt einen geeigneten Platz für diesen Ersatzdienst gibt? Wer aus dem sorgfältig eingegrenzten Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen - das wir in der CDU/CSU leidenschaftlich bejahen, weil es ein Teil des Ertrags bitterer deutscher Geschichte ist - eine Ermessens- und Beliebigkeitsregel macht, stellt sich, wie wir fürchten, in klaren Widerspruch zur Verteidigungspflicht des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. ({68}) Und das Schlimme an der Sache ist, Herr Bundeskanzler, daß auch Sie das alles wissen und daß auch der Bundesverteidigungsminister es weiß und daß Sie im Prinzip - dessen bin ich sicher - genauso denken wie wir, daß Sie aber nicht den Mut haben, sich gegen die Linken in der eigenen Fraktion durchzusetzen. ({69}) Wer weiß es besser als Sie, Herr Bundeskanzler, ({70}) der Sie sich unbestritten mit Autorität viele Jahre mit strategischen Problemen beschäftigt haben und selbst Verteidigungsminister waren, daß dies angesichts der wachsenden Bedrohung und der unabweisbaren Notwendigkeit, unsere konventionelle Verteidigungsfähigkeit zu stärken, ein falsches Signal am falschen Platze ist. ({71}) Daß Sie und Ihr Verteidigungsminister Georg Leber, dies alles wissend, dennoch nicht den Mut haben, sich mit uns dieser verhängnisvollen Entwicklung entgegenzustemmen, zeigt Ihre ganze Schwäche und die Tatsache, daß diese Regierung hinsichtlich der Bewältigung der wirklichen Probleme am Ende ist. ({72}) Lassen Sie mich ganz klar sagen, daß wir, die CDU/CSU, alles tun werden, um dieses unheilvolle Gesetz zu Fall zu bringen. ({73}) Sie, Herr Bundeskanzler, lassen uns auch diesmal keine andere Wahl, als Sie und Ihre Politik vor dem Bundesverfassungsgericht in die Schranken der Verfassung zu verweisen. ({74}) Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben Ihnen, Herr Bundeskanzler, bescheinigt, Steuergelder für Wahlkampfzwecke verschleudert und damit auf verfassungswidrige Weise die Wähler verführt zu haben. ({75}) Als Finanzminister haben Sie, Herr Bundeskanzler, die verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments mißachtet. Sie haben zugelassen und teilweise sogar selbst veranlaßt, daß Beträge in Milliardenhöhe am Parlament vorbei ausgegeben wurden. Genau dies hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht bescheinigt. Sie, meine Damen und Herren, erleben nun das Schauspiel, daß sich der Kanzler damit rechtfertigt, daß die Ausgaben sachlich notwendig gewesen seien und nur das Verfahren gerügt wurde. Zu Unrecht unterstellen Sie dem Bundesverfassungsgericht die Feststellung, Ihr eigenes Vorgehen sei Staatspraxis aller vorhergehenden Regierungen und Finanzminister gewesen. Damit das klar ist: Hier geht es nicht um die Notwendigkeit der Ausgaben, sondern um ihre Rechtmäßigkeit, und gegen diese haben Sie, Herr Bundeskanzler, als damaliger Bundesfinanzminister eindeutig verstoßen. ({76}) Wer sich mit solch fragwürdigen Entschuldigungen über die Verfassung unseres freiheitlichen Rechtsstaates und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzt, der offenbart eine merkwürdige Einstellung zur Verfassung. Hier wurde nicht gegen irgendeine Regel verstoßen; Sie, Herr Bundeskanzler, haben verfassungswidrig gehandelt. ({77}) Der heutige Bundeskanzler und damalige Finanzminister Helmut Schmidt hat das Königsrecht des Parlaments, die Etatbewilligung und die Etatkontrolle, die in Jahrhunderten gegen autokratische Fürsten von Liberalen und Demokraten errungen wurde, beiseite geschoben, als sei dies bloßer Formelkram. Nicht nur Sie, Herr Bundeskanzler, verletzen dieses Königsrecht des Parlaments, sondern auch die Fraktionen von SPD und FDP bieten offen ihre Hand dazu, die Gewaltenteilung im Staat zu gefährden. Obwohl Sie selbst Parlamentarier sind und es um Ihr eigenes Recht geht, stimmen Sie dieser Regelung zu, um die Regierung an der Macht zu halten. ({78}) Sie, Herr Bundeskanzler, haben den Deutschen Bundestag mit der Attitüde des Machers übergangen. Ihre Arroganz, die Sie damals bewiesen und auch heute noch gegenüber dem Richterspruch aus Karlsruhe an den Tag legen, muß Ihnen die Mißbilligung des ganzen Deutschen Bundestages einbringen. ({79}) Dieser Bundestag würde sich einer Brüskierung des Verfassungsgerichts schuldig machen, und das Parlament würde sich selbst aufgeben, wenn es bereit wäre, die Mißachtung seiner verfassungsmäßigen Rechte hinzunehmen. ({80}) Die Regierungskoalition von SPD und FDP würde einen Verstoß gegen die Verfassung ungesühnt lassen, wenn sie in falsch verstandener Solidarität mit der Regierung dieser Regierung Entlastung erteilen würde. Das Parlament und jeder einzelne Abgeordnete in diesem Hause kann nicht den Mangel an Rechtsempfindlichkeit hinnehmen, den das Bundesverfassungsgericht dem Bundesfinanzminister Helmut Schmidt bescheinigt hat. Diesem Bundeskanzler und der amtierenden Regierung - das ist die Konsequenz der Urteilsfeststellung vom März und Mai 1977 - fehlt die Legitimation. Sie wäre - daß weiß jeder - heute nicht im Amt, wenn die Serie von Verstößen, Affären und Wählertäuschungen vor dem Bundestagswahlkampf in ihrem ganzen Ausmaß den Wählern bekannt gewesen wäre. ({81}) Sie, Herr Bundeskanzler, sind für den schweren Verfassungsverstoß, den Sie begangen haben, per2534 sönlich und politisch verantwortlich. Sie haben sich als Bundesminister über die verfassungsmäßige Kompetenz der Legislative hinweggesetzt und sich damit ureigene Rechte des ganzen Deutschen Bundestages angemaßt. ({82}) Die Fraktion der CDU/CSU erwartet von allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages, ({83}) daß sie diesen Übergriff der Exekutive nicht hinnehmen, sondern dem dafür Verantwortlichen ihre Mißbilligung aussprechen. Nach der namentlichen Abstimmung werden wir von jedem einzelnen Mitglied dieses Parlaments wissen, ({84}) ob es seine Stimme den ureigensten Rechten des Parlaments oder dem Verfassungsverstoß im Dienste einer selbst brüchig und unglaubwürdig gewordenen und abgewirtschafteten Regierung gibt. ({85})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer ({0}). ({1}) Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für den Redner.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Fraktion macht in Taktik. Damit hat es heute morgen schon begonnen: was man letzte Woche ablehnt, bringt man heute als Gesetzentwurf ein. Aber wir sind überzeugt, das deutsche Volk sieht es auch und weiß, daß hinter solcher Taktik nicht der Wille zur politischen Verantwortung und nicht der Wille zur politischen Alternative steht. ({0}) Die CDU/CSU-Fraktion bringt die Drucksache 8/595 als Mißbilligungsantrag ein. Eigentlich, wenn sie konsequent wäre, und wenn Herr Kohl, das, was er hier am Schluß vorgetragen hat, ernst meinte, müßte die CDU/CSU-Fraktion entsprechend den Bestimmungen des Grundgesetzes nach Art. 67 - und sie hat die Stärke dazu - einen Mißtrauensantrag einbringen. Aber sie tut es nicht. Und sie weiß, warum sie es nicht tut. ({1}) Wenn es so wäre, wie Herr Kohl gesagt hat, daß diese Regierung am Ende ihrer Kraft wäre, dann wäre ein solcher Antrag gekommen. Nein, es geht der CDU/CSU und dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Kohl darum, diesen Bundeskanzler Helmut Schmidt anzuschießen. ({2}) Es geht ihr darum, an seiner Amtsführung herumzumäkeln. Es geht ihr darum, an dieser Regierung Kritik zu üben. Das steht ihr zu. Aber sie tut es in der Form, wie es in diesem Antrag steht. Wenn sie konsequent wäre, dann müßte sie gegen alle früheren Finanzminister einen solchen Antrag einbringen. Das werde ich nachher begründen. ({3}) Herr Kohl, Sie haben eben eine Unredlichkeit begangen - darauf muß ich Sie aufmerksam machen -, denn Sie haben gesagt - ich habe es mitgeschrieben -: „Herr Bundeskanzler, Sie setzen sich über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts weg." Das ist unredlich. Es ist unwahr. ({4}) Sie wissen ganz genau, daß der Bundeskanzler erklärt hat, daß er dieses Urteil respektieren werde. Sie können sich deshalb hier nicht hinstellen und den Eindruck erwecken wollen: Dieser Bundeskanzler gehe über das Urteil hinweg. Sie wollen mit dieser Mißbilligung ein Handeln andeuten, das eine Vorwerfbarkeit in sich schließt. Das wollen Sie. Sie wollen hier eine Vorwerfbarkeit konstruieren. ({5}) Deshalb greifen Sie auch zu ein wenig unseriösen Mitteln. ({6}) Sie wollen eine Vorwerfbarkeit dahin gehend konstruieren, daß dieser Helmut Schmidt, der heutige Bundeskanzler - es geht Ihnen um den Kanzler -, als Finanzminister mit dem Geld nicht ordentlich umgegangen sei. Herr Kohl, seien Sie zurückhaltend und vorsichtig. Im Landtag von Rheinland-Pfalz gibt es einen Untersuchungsausschuß. ({7}) - Da gibt es einen Untersuchungsausschuß. Da gibt es Bemerkungen des Landesrechnungshofes von Rheinland-Pfalz, in denen Ihnen heute vorgeworfen wird, Sie seien mit Mitteln verschwenderisch umgegangen. ({8}) - Darüber lachen Sie? Darüber lacht ein ehemaliger Ministerpräsident, wenn ein solcher Vorwurf erhoben wird? Der Bundeskanzler lacht darüber nicht. Aber ich halte fest, Herr Kohl, - ({9}) - Da habe ich ihn, falls Sie ihn lesen wollen. Sie haben ihn nicht gelesen, Herr Jenninger. Sie haben ihn nicht gelesen, sonst wären Sie mit Ihrem Zwischenruf vorsichtig. ({10}) - Das ist dankenswert. Dr. Schäfer ({11}) Herr Kohl, verschwenderisch - ich glaube, das kann ihm niemand vorwerfen - ist der ehemalige Bundesfinanzminister Schmidt mit dem Geld nicht umgegangen. Man muß heute sagen, daß das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, die Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Das ist etwas ganz anderes.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Althammer?

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte das geschlossen darstellen. Wir haben den Herrn Kohl auch nicht gestört. Aber wenn sich Herr Althammer schon zu Wort meldet: Herr Althammer hat am 24. Juni 1976 hier im Bundestag erklärt: Über die Notwendigkeit der Maßnahmen wird hier nicht gerichtet, sondern allein über die verfassungsrechtliche Frage, - das haben Sie heute auch noch einmal betont ob der Finanzminister diese Bewilligung ohne das Parlament hätte erteilen dürfen. Über diese Frage hat bekanntlich das Bundesverfassungsgericht entschieden. Damit hat das Bundesverfassungsgericht gleichzeitig festgestellt, daß die Staatspraxis, wie sie von den CDU-geführten Regierungen von 1949 bis 1969 geübt wurde, mit der Verfassung nicht in Einklang gestanden hat. ({0}) - Die CDU/CSU-Fraktion behauptet in ihrer Begründung, - ({1}) - Hören Sie zu! Ich war damals selbst beteiligt, Herr Kollege Jenninger. ({2}) - Das will ich Ihnen gerade vortragen. Die CDU/CSU behauptet in ihrer Begründung des Antrages, die Haushaltsrechtsreform des Jahres 1969 habe Änderungen in der Rechtslage herbeigeführt. Dies ist unrichtig, meine Damen und Herren, das wissen Sie ganz genau. Um so heuchlerischer ist es, daß Sie es in der Begründung Ihres Antrages schreiben. ({3}) Die Verfasser des Antrages müssen ganz genau wissen - und sie wissen es auch -, das Art. 112 des Grundgesetzes nur insoweit geändert wurde, als ein Satz 3 angefügt wurde - die Änderung ist rein redaktionell -, nämlich: „Näheres kann durch Bundesgesetz bestimmt werden." In § 37 der Bundeshaushaltsordnung ist die nähere Regelung zu Art. 112 zwar eine Erläuterung des Begriffs Unabweisbarkeit, damit ist aber der Wesensgehalt von Art. 112 des Grundgesetzes nicht verändert und konnte auch gar nicht verändert werden. In § 37 ist dann aufgenommen, daß die Regierung vierteljährlich einen Bericht über überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben vorzulegen hat. ({4}) Es ist interessant und spricht für das, was ich eben vortrage, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung mit nicht einem Wort auf § 37 der Haushaltsordnung eingegangen ist. Das hätte sonst gar nicht unterlassen werden können. Man fragt sich, was der Antrag der CDU/CSU soll. Mit diesem Antrag, Herr Kohl, können Sie doch nicht Ihre mangelnde Alternative ersetzen. ({5}) Mit diesem Antrag zeigen Sie doch nur Ihre Hilflosigkeit, die Sie jetzt eben in Ihrer Rede wiederum demonstriert haben. Sie können nur Fragen stellen. Das haben Sie schon ganz weit entwickelt, erfreulicherweise weit entwickelt, daß Sie heute überhaupt schon Fragen stellen können. Denn bisher konnten Sie nicht einmal richtig Fragen stellen. ({6}) Heute haben Sie wenigstens Fragen gestellt, aber von Alternative nichts, gar nichts. Vielmehr haben Sie gesagt, Sie werden eines Tages, Sie werden noch im Laufe dieses Jahres usw. Wir sind darauf gespannt. Nein, damit können Sie keine Politik machen, damit können Sie auch keinen Eindruck auf die Offentlichkeit machen. Denn man weiß, daß dieser Finanzminister korrekt gearbeitet und die Interessen dieses Volkes wahrgenommen hat. Man weiß, daß dieser Bundeskanzler Mut hat, das Erforderliche zu tun. ({7}) Ich sage es ausdrücklich: Bundesfinanzminister Helmut Schmidt hat bei den in Frage stehenden Bewegungen korrekt gehandelt; denn er durfte auf Grund der Staatspraxis davon ausgehen, daß die Maßnahmen, um die es sich handelte, von ihm nach Art. 112 des Grundgesetzes genehmigt werden konnten. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, der dem erkennenden Senat vorsitzt, hat das in einem Fernsehinterview am 25. Mai dieses Jahres deutlich bestätigt, indem er es so ausdrückte, - ({8}) - Das sind Ihre Worte, und Sie kennzeichnen sich damit selbst. ({9}) Herr Strauß, Sie kennzeichnen sich; wenn Sie den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgericht so bezeichnen, dann ist es Ihre Sache. Darauf gehe ich nicht ein. ({10}) Dr. Schäfer ({11}) - Herr Strauß, Ihr Niveau ist nicht mein Niveau. ({12}) Er hat dort ausdrücklich gesagt, - ({13}) - Ich komme ja gleich darauf, Herr Strauß, auf Sie komme ich ja gleich. Sind Sie deshalb schon im voraus nervös? ({14}) - Das ist fein, das freut mich. Der

Not found (Mitglied des Präsidiums)

„Insofern besteht also allerseits wenig Anlaß zur Selbstgerechtigkeit; denn das, was hier als verfassungswidrig gerügt worden ist, entspricht heute weiterhin dem, was auch in vielen Jahren vorher andere Finanzminister und andere Regierungen ebenso getan haben." ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0}) Es erscheint mir notwendig, dies durch einige Ausführungen zu belegen. Bundesfinanzminister Schäffer hat im Jahre 1953 3,297 Milliarden DM über- und außerplanmäßig ausgegeben. Das waren - hören Sie! - 13,1 % des Gesamthaushaltes. Im Jahre 1954 waren es sogar 14,3 %, nämlich 3,742 Milliarden DM. Bundesfinanzminister Etzel hat im Jahre 1958 4,19 Milliarden, gleich 9,1 % ausgegeben. ({1}) Bundesfinanzminister Dahlgrün 1962 5,167 Milliarden DM gleich 9,6 %. 1968 gab Bundesfinanzminister Strauß 3,518 Millionen DM gleich 4,7 % aus. ({2}) Seit 1970 haben wir sozialdemokratische Finanzminister. Sie gaben für über- und außerplanmäßige Ausgaben aus: 1970 1 %, 1971 3,2 %, 1972 1,8 %. 1973 waren es - das steht hier zur Debatte -4,548 Milliarden DM gleich 3,6 °/o, und davon hat das Bundesverfassungsgericht die Ausgabe von 2,03 Milliarden DM als nicht verfassungsgemäß bezeichnet. Das sind 1,7 % des Gesamthaushaltes. Da muß man sich nun vergegenwärtigen, in welcher Situation über- und außerplanmäßige Ausgaben von dem Finanzminister Helmut Schmidt gebilligt wurden und für welche Zwecke, was er damit wollte. ({3}) Später vielleicht, ich muß das geschlossen darstellen; ich kenne Ihre Taktik, meine Herren. ({4}) Man versteht diese Maßnahmen sofort, wenn man sich daran erinnert, in welche Situation wir im Herbst 1973 gekommen waren. ({5}) Die Bundesregierung hat am 19. Dezember 1973 durch Kabinettsbeschluß die notwendigen Maßnahmen beschlossen. Sie hat - und das war dringend notwendig - gehandelt. Mit diesen Beschlüssen wurde der restriktive konjunkturpolitische Kurs der Bundesregierung gelockert und durch gezielte Maßnahmen einem zu befürchtenden Konkjunktureinbruch entgegengewirkt. ({6}) Eine der Folgen dieser Beschlüsse war die Durchführung der in Frage stehenden Maßnahmen. Lassen Sie mich beschreiben, was es ist. Dazu können Sie dann nein sagen. Es handelte sich um die Sicherung von Arbeitsplätzen im Bereich der Salzgitter AG und der Vereinigten Industrieunternehmungen AG sowie der Sicherung der Liquidität mittelständischer Unternehmen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und um die Liquiditätssicherung bei der Bundesbahn. Meine Damen und Herren, am 19. Dezember hat das Kabinett beschlossen. Zwischen dem 19. Dezember und dem 31. Dezember 1973 können Sie keinen Nachtragshaushalt einbringen, beraten und verabschieden, und nach dem 31. ist die Haushaltsrechnung abgeschlossen. ({7}) Somit ist festzustellen, daß mit Zustimmung des Bundesfinanzministers folgende Ausgaben geleistet wurden - ich lege Wert darauf, dies hier festzuhalten -: 1. Überplanmäßige Zuwendung an das Sondervermögen Deutsche Bundesbahn in Höhe von 1,35 Milliarden DM; 2. außerplanmäßige Darlehen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 480 Millionen DM; ({8}) 3. überplanmäßige Darlehen an die Vereinigte Industrieunternehmungen AG in Höhe von 100 Millionen DM; 4. überplanmäßige Kapitalzuführung an die Salzgitter AG in Höhe von 100 Millionen DM. Die Bundesregierung hat den Bundestag vorschriftsgemäß darüber unterrichtet. ({9}) Ich stelle noch einmal fest, daß alle Fraktionen des Bundestages die Erledigung dieser Aufgaben für erDr. Schäfer ({10}) forderlich und sachlich gerechtfertigt hielten. Wenn dies heute nicht mehr Ihre Meinung ist - und das liegt ja bei Ihnen -, wenn Sie politisch mißbilligen wollen, dann sagen Sie das offen und versuchen Sie nicht, einen Minister, der sich seinem Eid gemäß für verpflichtet hielt, Schaden vom Deutschen Volk abzuwehren, in Mißkredit zu bringen. ({11}) Es stellt sich sonach nur die Frage nach der formalen Durchführung dieser Maßnahmen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß die Voraussetzungen des Art. 112 Satz 2 nicht erfüllt waren. Lassen Sie mich diese Gelegenheit wahrnehmen, einige Worte zum Bundesverfassungsgericht zu sagen; und ich denke, wir haben in diesem Hause Grund, zu der Frage der Abgrenzung Bundesverfassungsgericht und Bundestag einiges zu sagen. Josef Wintrich hat 1956 - er war damals Präsident des Bundesverfassungsgerichts - geschrieben: Die Grenze der Verfassungsgerichtsbarkeit ist also dort, wo die politische Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers beginnt. Und er sagte dann weiter: Die Verfassungsgerichte stehen nicht über der Verfassung, sondern wenden sie an. Sie sind den übrigen Verfassungsorganen gleichgeordnet, nicht übergeordnet. Das aktive Moment verfassungsgerichtlicher Tätigkeit darf daher nicht überbetont werden. Auch als Verfassungsorgane bleiben die Verfassungsgerichte normgebundene Träger der dritten Gewalt und sind keine Regierungsorgane besonderer Art. Die Sorge um den richtigen Standort des Bundesverfassungsgerichts hat in den letzten Jahren erneut die Sachkenner beschäftigt. Delbrück schreibt 1976: Für die Gestaltung seiner Beziehungen zu den anderen Verfassungsorganen und diese zu ihm bedeutet die Kennzeichnung des Standorts des Verfassungsgerichts, daß es zwar in den ihm zugewiesenen Fällen autoritativ auch gegenüber anderen Verfassungsorganen die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit ihres Handelns zu beurteilen hat. Jedoch muß diese in einem Verhältnis der Koordination mit dem Respekt für den rechtlich umschriebenen Kompetenzraum der anderen Organe erfolgen. Und er schreibt weiter: Nicht nur besteht die allgemeine Gefahr eines Autoritätsverlustes des Gerichts, wenn es sich allzu bereit in die tagespolitischen Auseinandersetzungen hineinwagt. Vielmehr würde bei einer Fortführung oder gar Verstärkung der hier deutlich gewordenen Linie der Rechtsprechung auch die Gefahr heraufbeschworen, daß das Gericht als Institution selbst oder zumindest seine Zuständigkeit in Frage gestellt werden. ({12}) Ich denke, daß das Bundesverfassungsgericht und daß wir alle Grund haben, uns diese Sätze sehr sorgfältig anzusehen. Ich denke, daß das Bundesverfassungsgericht auch versteht, daß wir an Hand von einigen Urteilen in den letzten zwei Jahren Sorge haben. ({13}) Der Bundestag muß darauf bedacht sein, seine Kompetenz ungeschmälert zu erhalten. ({14}) Wenn Herr Kohl hier von „Königsrecht" spricht, dann wirkt das beinahe ein bißchen komisch. Ich kann nur sagen, mein republikanisches Herz erfreut sich königlich an diesem Ausdruck; ({15}) denn es ist ein Widerspruch in sich selbst, beim Parlament von „Königsrecht" zu reden, bei Dingen, die man gegen die Krone ertrotzt hat. Das kann ja dann kein Königsrecht sein. ({16}) Aber vielleicht ist es ein Kennzeichen für die Einstellung und die Haltung von Herrn Kohl. Manchmal leuchtet so etwas durch. Das Bundesverfassungsgericht muß bereit sein, sich der Kritik zu stellen. Es muß auch bereit sein, mit uns darüber zu streiten, wo im Interesse des Gesamtstaates die Grenze zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Entscheidung der anderen Organe zu ziehen ist. Ich habe den Eindruck, daß das Bundesverfassungsgericht dazu durchaus bereit ist. Ich möchte nur an die frühere Kritik von Herrn Carstens auf dem Gebiet der Rechtsprechung über das Verhältnis zwischen dem Bund und den den Ländern und an die sich daran anschließende, doch, wie ich glaube, einige Änderungen bringende Rechtsprechung erinnern. Das Urteil wird, wie ich schon sagte, von der Regierung respektiert werden. Es wird dazu führen, daß man nicht nur den Art. 112, sondern die Art. 110 bis 114 aufs neue durchdenken muß, um einerseits die Budgethoheit des Parlaments und andererseits die Handlungsfähigkeit des Staates und der verantwortlichen staatlichen Organe zu sichern. Es geht hier um eine Rangordnung zweier Grundprinzipien, die sich nicht voll decken lassen, sondern miteinander im Widerstreit stehen. Die Stellung der Bundesregierung ist nach unserer Verfassung stark. Nach Art. 113 kann der Bundestag kein Gesetz beschließen, das Mehrausgaben oder Mindereinnahmen mit sich bringt, und dabei vom Vorschlag der Bundesregierung gegen deren Willen abweichen. So ist die Ordnung nach dem Grundgesetz. Die Bundesregierung muß in diesen Fällen zustimmen. Die Verfassung hat die Verantwortung auf beide Organe verlagert. Weil der Haushalt meist verspätet verabschiedet wird, ist in Art. 111 eine starke Machtposition für die Bundesregierung geschaffen. In Art. 112 ist dem Bundesfinanzminister allein - das Kabinett kann ihn dazu nicht zwingen! - das Recht gegeben wor2538 Dr. Schäfer ({17}) den, überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben im Fall eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses zuzustimmen. Nach meiner Meinung ist „Bedürfnis" hier sicher ein politischer Begriff. Auch das Bundesverfassungsgericht sagt das. Ich vermag aber nicht einzusehen, daß ein „unvorhergesehenes Bedürfnis" kein politischer Begriff, sondern ein Rechtsbegriff sein soll. ({18}) Wenn „Bedürfnis" ein politischer Begriff ist, dann ist ein „unvorhergesehenes Bedürfnis" ganz bestimmt ebenfalls ein politischer Begriff. ({19}) Das Budgetrecht verwirklicht sich in drei Phasen. Die erste besteht aus der Vorlage und der Beratung des Haushaltsplans und dem ermächtigenden Beschluß. In der zweiten Phase, der begleitenden Kontrolle, spielt die Vorlage nach § 37 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung eine Rolle, in der die Bundesregierung die über- und außerplanmäßigen Ausgaben mitteilt. Die dritte Phase besteht aus der nachfolgenden Kontrolle. Ich muß hier doch einiges hinzufügen. Wenn die CDU/CSU meint, uns Sozialdemokraten im Kampf um das Budgetrecht und die Respektierung des Parlaments übertreffen zu können, muß ich ein bißchen zurückgreifen und einiges darüber sagen, wie es gewesen ist. Wenn Herr Kohl von dem Urteil über die Wahlkampfkosten spricht, muß man sich vergegenwärtigen, wie das früher war, wie es nach 1967 war und wie es heute ist. Das muß man einfach im Protokoll der Sitzungen des Deutschen Bundestages nachlesen können. ({20}) Am 10. Juni 1953 hat der damalige Bundeskanzler Adenauer eine Kleine Anfrage der SPD wie folgt beantwortet: Sollte eine Auskunft über die Verwendung der Mittel aus Titel 300 - eine berühmter Titel; die Alten kennen ihn und die Jungen; es ist der Reptilienfonds ({21}) des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung zur Förderung des Informationswesens verlangt werden, so muß darauf hingewiesen werden, daß die Jahresrechnung über den Verfügungsfonds nur der Prüfung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofs unterliegt. Die Bundesregierung ist aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage, nähere Auskunft über die Verwendung der Mittel zu erteilen. ({22}) Und dieser Reptilienfonds war groß, und dieser Reptilienfonds war ideenreich eingesetzt; ({23}) sehr ideenreich war dieser Titel 300 eingesetzt! Nicht wahr, Herr Lenz? ({24}) Sie verstehen, Herr Lenz, daß ich, wenn ich Ihren Vater nenne, ihn nicht unbedingt in Verbindung mit dem Ideenreichtum anführen will. Aber es wäre durchaus sachlich richtig, zu sagen, daß der Staatssekretär Lenz im Bundeskanzleramt hier ganz beachtliche Ideen entwickelt hat, nämlich, wie man am Parlament vorbei in Bund und Ländern CDU-Wahlkampf mit Steuermitteln führen kann, ohne daß das Parlament auch nur einmal hineinsehen kann. ({25}) Dazu muß ich Ihnen ein bißchen etwas sagen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Lenz!

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warum hat die SPD-Fraktion damals keine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht?

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage Ihnen dazu; wir haben nicht geklagt, wir haben es beseitigt. ({0}) Sobald wir die Möglichkeit hatten, haben wir es beseitigt. Sehen Sie, Herr Lenz, das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: wir machen Politik, wir beseitigen. Wir klagen nicht und klagen nicht an und zeigen nicht mit dem Finger auf andere, sondern wir sorgen dafür, daß es in Ordnung kommt. ({1}) Ihr Nachbar, Herr Bundeskanzler a. D. Kiesinger, kann darüber nachher als Kronzeuge etwas sagen, was während der Zeit der Großen Koalition alles gemacht wurde.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie bereit, dem Hause mitzuteilen, daß zwischen dem von Ihnen zitierten Vorgang und der späteren Beseitigung 14 Jahre gelegen haben? ({0})

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Lenz, was sind 14 Jahre, um ein Unrecht zu beseitigen oder es bloß festzustellen? Wir haben es beseitigt. Ich will es Ihnen darlegen. Sie brauchen das anscheinend für Ihre weiteren Überlegungen. Da hat man Organisationen geschaffen. Ich muß einige erwähnen. Das hat man sehr geschickt geDr. Schäfer ({0}) macht, sehr ideenreich. Man hat nicht verwaltungsmäßig Behörden geschaffen, man hat nicht über das Bundespresse- und Informationsamt unmittelbar Wahlkampf gemacht. Nein, man hat privatrechtliche Träger geschaffen. ({1}) Man hat privatrechtliche Träger geschaffen. - Oh, der Kaffka ist ein ganz kleiner; ich will Ihnen nachher Zahlen nennen. Es ist ein ganz kleiner. Und menschliches Fehlverhalten - - Soll ich Ihnen Ihren Herrn Gontrum nennen? Soll ich an Ihren Herrn Gontrum erinnern? ({2}) - Nein, das will ich nicht. Aber jetzt zur Sache: man hat privatrechtliche Träger geschaffen, z. B. die berühmte - ist der Herr Jahn da?, er ist nicht da; der Jahn nicht! ({3}) - Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise. Es war ein eingetragener Verein. Die Bundespressekorrespondenz war eine GmbH. Die Deutsche Korrespondenz war eine GmbH. Ganz besonders interessant war die Mobil-Werbung; das war auch eine GmbH. - Herr Kohl, so hat man das damals gemacht. Wissen Sie, die CDU war ideenreich. ({4}) - Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Bei Ihnen ist das alles GmbH und Co.-KG!) Ja, die Mobil-Werbung hatte sogar noch einige Unter-GmbHs. ({5}) - Bitte, ich trage Ihnen nachher vor, was meine Ermittlungen ergeben haben; dann können Sie es nachprüfen. Man hat zum Teil vom Presse- und Informationsamt unmittelbar Globalzuschüsse gegeben. Oder man hat Aufträge gegeben - alles aus Titel 300, alles aus „Geheim" - mit ganz gezielter Richtung. Das wurde dann jedes Jahr - in Klammern: ordnungsgemäß - vom Herrn Präsidenten des Bundesrechnungshofs geprüft, und am nächsten Tag wurden die Unterlagen vernichtet, ({6}) so daß keinerlei Gremium es nachprüfen konnte. ({7}) So hat man gearbeitet. ({8}) 1966 hat der Bundestag sich bei einer Wahlanfechtung mit dieser Frage befaßt. Da haben Sie die Opposition, die wir damals noch waren, überstimmt. Ich lese Ihnen den Satz vor, um den es hier geht: Es ist dem parlamentarischen System immanent, daß der von den Regierungsparteien geführte Wahlkampf von der Regierung mit geführt wird, denn im Wahlkampf wird die Politik der Regierungsparteien danach bewertet, was ihre Regierung während der letzten Wahlperiode geleistet oder nicht geleistet hat. ({9}) Die Bundesregierung durfte sich an diesen Beschluß des Bundestages halten. So ist es dann auch verständlich, daß zu dem Urteil über Wahlkampfkosten vom 2. März wiederum der

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Es sollte aber nicht der Eindruck entstehen, als ob das Schwergewicht dieses Urteils in der Kritik an der Vergangenheit liegt. Schon die Erwähnung dessen, daß es früher so war, ohne daß damals erfolgreiche Wahlanfechtungen durchgeführt worden sind, spricht dafür, das Schwergewicht dieses Urteils in seiner Zukunftsorientierung zu sehen. Sein Sinn ist also nicht so sehr die Kritik an der Vergangenheit, sondern der Hinweis für die Zukunft. ({0}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und das Presse- und Informationsamt haben sich in den letzten Monaten sehr bemüht, mit den Landesregierungen zusammen eine Form der zukünftigen Arbeit zu finden. Herr Strauß, Sie sind Vorsitzender der CSU. Sie regieren in Bayern. Helfen Sie bitte einmal mit, daß sich die Bayerische Staatsregierung in dieser Frage kooperativ zeigt und zu einer gleichlautenden Regelung bereit ist. Da können Sie wirklich einen nützlichen Beitrag leisten. ({1}) Ich habe Ihnen versprochen - ich muß es halten -, Ihnen das Ergebnis meiner Ermittlungen z. B. über die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise vorzutragen. Das muß man einmal vortragen; es tut mir leid. Die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise wurde in der Form, in der sie vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung durch Zuwendungen unterstützt worden ist, am 3. September 1956 von sieben Gründungsmitgliedern in Bad Godesberg begründet, nachdem es bereits seit 1951 eine Vorläuferorganisation gleichen Namens gegeben hatte. Die Mitgliederzahl wurde nach 1956 von sieben auf neun erhöht. Als 1969 die Zuwendungen des Bundespresseamtes eingestellt wurden, ging der Verein in Liquidation. ({2}) Lassen Sie mich hier einfügen: Es war ein wesentlicher Punkt bei dem Zustandekommen der Großen Koalition, daß die SPD verlangte, daß das Bundespresseamt auf seine eigentliche Aufgabe, nämlich die, die Politik der Bundesrepublik darzustellen, beschränkt werden und nicht mehr eine Wahlkampfzentrale für die CDU sein solle. ({3}) Das wurde durchgeführt. Dr. Schäfer ({4}) Die ADK war ein eingetragener Verein. Präsident war unser Kollege der CDU Herr Hans Edgar Jahn. Die Liquidation ist bis heute nicht beendet. Ich will kein Wort darüber verlieren, Wie z. B. die Ansprüche von Herrn Jahn in letzter Zeit geltend gemacht wurden ({5}) und zu was sie geführt haben. Das geht bis heute. ({6}) Die Zentrale hatte einen Unterbau: 15 ADK-Landesstellen mit insgesamt 37 Angestellten, 492 Kreis- und Ortsbeauftragte. Es war eine Organisation über das ganze Bundesgebiet hinweg. Ich lese Ihnen einmal vor, welche Aufgaben der Verein hatte. Nach der Satzung hatte der Verein den Zweck, „den demokratischen Gedanken im Volk zu verankern und unsere Mitbürger zu staatspolitischer Verantwortung und zur Mitarbeit heranzuziehen". ({7}) Sehr gut. Jetzt lese ich Ihnen weiter vor: „Auf dieser Grundlage betreibt die ADK Öffentlichkeitsarbeit zur Verdeutlichung der Politik der Bundesregierung." ({8}) So hat man das gemacht. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat in dem Vertrag gesagt: Es „erkennt an, daß die Ausführung dieser satzungsgemäßen Aufgaben im Interesse der Bundesrepublik liegt". Demgemäß hat das Presse- und Informationsamt für die Personal- und Organisationskosten und für die Erledigung der Aufgaben bezahlt. Es gibt einen Brief des Kollegen Barzel von 1967. Da heißt es: Die Interpretation der Regierungspolitik durch die ADK führte in den zurückliegenden Jahren zwangsläufig zu einem Gegensatz zwischen der ADK und der damaligen Opposition, solange diese ablehnend zu den wichtigsten Bestandteilen dieser Regierungspolitik auftrat. Das führte dazu, daß der SPD nahestehende Mitarbeiter der ADK ihre Arbeit bei der ADK einstellen mußten. ({9}) Damit ist ja, glaube ich, sehr deutlich gesagt, wie einseitig, wie gezielt, wie parteimäßig gebunden und weisungsgebunden das war. Das Presse- und Informationsamt hat bezahlt. Es wurde auch von anderen Ministerien gezahlt. Lassen Sie mich etwas zur Mobil-Werbung sagen. Das war ein hochinteressantes, lukratives Unternehmen. Es wurde 1952 gegründet, und zwar auf Initiative - ich sagte es schon - von Herrn Dr. Otto Lenz. Auftrag: die sogenannten Werbe-Mobile für die Partei zur Film- und Lichtbilderwerbung unter freiem Himmel. Um die ungewisse wirtschaftliche Grundlage des Unternehmens zwischen Bundestagswahlen zu verbessern - bei Bundestagswahlen war sein Einsatz immer geklärt -, wurde die Mobilwerbung zunehmend mit Aufträgen des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung versehen. Ergebnis : In Wahlkampfzeiten stand die Mobilwerbung GmbH ausschließlich der CDU, für die sie später allein tätig war, zur Verfügung, in der Zwischenzeit dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. ({10}) Ich könnte so fortfahren. Und da haben Sie die Stirn, sich trotz des Beschlusses des Bundestages aus dem Jahr 1966, den ich Ihnen vorgelesen habe, und trotz der unbestreitbar erfolgreichen Bemühungen der SPD, solche üblen Methoden - vorbei am Parlament - abzubauen, hier hinzustellen und zu behaupten, für das Königsrecht einzutreten. ({11}) - Sehr schön, Herr Kohl: Wir freuen uns allzumal, wenn sich einer zu uns gesellt und mithilft. Dann wird der Erfolg in der Zukunft hoffentlich gesichert sein, wenn wir uns von allen Seiten in dieser Richtung betätigen. Aber an ihren Taten soll man sie erkennen. Und bei Ihnen sprechen die zunächst einmal dagegen. ({12}) Meine Damen und Herren, Bundesfinanzminister Helmut Schmidt hat im Dezember 1973 politisch richtig gehandelt. Er hat sachliche Entscheidungen getroffen, die von allen Seiten als notwendig und richtig bezeichnet wurden. Er konnte und mußte bei seiner Entscheidung von der bestehenden Staatspraxis ausgehen. Er hat das getan und damit Schaden abgewandt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat volles Vertrauen zu ihrem Bundeskanzler und lehnt deshalb den Antrag der CDU/CSU als eine üble politische Machenschaft ab. ({13}) Sie sind erkannt, daß es für Sie eine üble politische Machenschaft ist; denn sonst hätte Herr Eschenburg nicht vor kurzem in der „Zeit" schreiben können, das sei für Sie nicht mehr als politisches Theater. Dieses Haus ist uns zu schade, von Ihnen zum Theatersaal gemacht zu werden. Wir beantragen namentliche Abstimmung. ({14})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratungen des Bundeshaushalts 1977 sind durch zwei Richtersprüche des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich beeinflußt worden. Am Anfang der Beratungen stand die Entscheidung über die Öffentlichkeitsarbeit, die Schlußphase wurde mit einer Rüge über die Praxis der über- und außerplanmäßigen Ausgaben gesalzen und gepfeffert. Hinter diesen sehr spektakulären Entscheidungen scheint der Haushalt 1977 in seiner eminent wichtigen wirtschafts- und finanzpolitischen Bedeutung langsam zu verblassen. Die Veränderung des Zahlenwerks und die Auseinandersetzungen zwischen Opposition und Koalition über die Schwerpunkte auf der Einnahmen- und Ausgabenseite zur Verbesserung und Verstetigung der wirtschaftlichen Entwicklung wirken fast zweitrangig. Dabei hätte der Haushalt 1977 durchaus Aufmerksamkeit verdient; denn die im März eingebrachte Vorlage hat viele bedeutsame Korrekturen erfahren. Entgegen einem viel verbreiteten Vorurteil betrachten die Mitglieder des Haushaltsausschusses den Etat nämlich nicht nur als ein Bündel von Zahlen, die stimmen, Ausgaben, die gerechtfertigt, und Einnahmen, die klug geschätzt werden müssen. Nein, für uns ist der Haushalt mehr als ein reines Ausdruckselement der Fiskalpolitik. Er ist Teil unseres wirtschaftspolitischen Instrumentariums, und seine pro- oder antizyklische Handhabung verlangt mehr als Buchhaltermentalität. ({0}) Im Zusammenwirken mit der Bundesregierung konnten deshalb denn auch mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm und den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen dieses Haushalts die notwendigen fiskalpolitischen Hilfen auf den Weg gebracht werden. ({1}) Auf die anstehenden und aktuellen Probleme des Tages mit dem drückenden Hauptproblem der Arbeitslosigkeit ist also in angemessener Weise und möglichst schnell reagiert worden, auch wenn es Herr Kohl hier heute in seinem Debattenbeitrag nicht wahrhaben will. ({2}) Aber, meine Damen und Herren, wer will der Opposition verargen, daß sie die für die Steuerung unserer Wirtschafts- und Konjunkturpolitik wichtigen Entschlüsse vergessen machen möchte? Das Steuerpaket als unverzichtbare Ergänzung der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wird von der Opposition abgelehnt. Mit einer kläglichen Abschreiberalternative kann sich die Opposition für dieses seltsame Verhalten hier nun allerdings kaum eine Alibifunktion besorgen. ({3}) So einfach ist Opposition denn nun auch wieder nicht. Jene Gefahr, die Herr Kohl für unsere Staats- und Wirtschaftsordnung heraufdämmern sieht, existiert in dieser Dimension nun wirklich nicht. Hier werden Erscheinungen aus dem Umfeld der ideologischen Auseinandersetzung kräftig aufgeblasen. Mit diesen Erscheinungen, die niemand leugnen will, sind die bestimmenden politischen Kräften in der Bundesrepublik bislang aber noch sehr gut fertig geworden, und dies wird auch so bleiben. ({4}) Die Opposition möchte sich nun ganz offensichtlich mit ihrer Haushaltskritik an den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts emporranken. Nur wirkt die Art, wie sie das betreibt, in ihrer Maßlosigkeit eher abstoßend als überzeugend. ({5}) Auf den bösen Vorwurf, mit der Zivildienstnovelle werde die Wehrpflicht verletzt, wird noch an anderer Stelle zurückzukommen sein. Meine Damen und Herren, den Bundeskanzler wegen der rechtsfehlsamen Entscheidungen des Jahres 1973 und der rechtlich mißbilligten Öffentlichkeitsarbeit zu einem notorischen Rechtsbrecher abstempeln und ihn gar zu einer Art Verfassungsfeind hochstilisieren zu wollen, ist des Schlimmen denn doch zu viel. ({6}) Es gibt zwar keine Schonzeit für Bundeskanzler, aber es gibt trotz der rechtspolitisch bedeutsamen Urteilssprüche nun auch keinen Grund, Hetzjagd auf ihn zu machen. ({7}) Selbst bei einer so wichtigen Entscheidung wie der zum Notbewilligungsrecht des Bundesfinanzministers nach Art. 112 des Grundgesetzes sollten wir die Diskussion über den politischen Anlaß und seine Konsequenzen in angemessener Form abwickeln. Die Sache selbst, um die es dabei geht, verdient wegen der sehr einschneidenden Korrektur der bisherigen Budgetpraxis eine unbefangene und sehr sorgfältige Prüfung, um innerhalb der neu gezogenen Grenzlinie und unter Beachtung der gewährten Orientierungshilfen eine verfassungskonforme Staatspraxis zu entwickeln, die nun wirklich optimal ist. ({8}) Dazu, meine Damen und Herren, fiel Herrn Kollegen Kohl hier heute nichts weiter ein, als Mißbilligung zu verbreiten. ({9}) Immerhin durfte er als erster Sprecher der Opposition ans Pult; ({10}) ob damit auch die Frage nach der Nummer 1 der Opposition entschieden ist, ({11}) lasse ich dahingestellt. ({12}) Vielleicht empfiehlt es sich, es noch bei der Formel zu belassen: Erst sprach Herr Kohl, und dann kamen die Sprecher der Opposition. Allerdings, meine Damen und Herren, hat Herr Kohl heute versucht, sich als gelehriger Schüler zu zeigen. Mir scheint jedenfalls, daß die Peitsche hier immer noch Franz Josef Strauß schwingt. ({13}) Er hat in dieser Sache schließlich auch die Kampagne gegen den Bundeskanzler eröffnet. Wenn jedoch ausgerechnet Herr Kollege Strauß mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts un2542 ter dem Arm vor das deutsche Volk tritt, den Oppositionsführer neben sich, und den Bundeskanzler Mores lehren will, ist das allein eigentlich schon provozierend genug. ({14}) Nur dank der für Herrn Kollegen Strauß gnädigen Wohltat des Vergessens kann er der Bevölkerung die Rolle eines Gralshüters der Finanzen und des Rechts vorgaukeln. ({15}) Jene aber, die in den vergangenen Jahren ihre praktischen und politischen Erfahrungen im Umgang mit ihm sammeln konnten, müssen sich doch einfach veralbert vorkommen. ({16}) Ausgerechnet Franz Josef Strauß, der im Umgang mit dem Recht und mit den Finanzen eine lange Schleifspur des Fehlverhaltens hinterlassen hat, ({17}) will sich hier zum Tugendknaben der Nation aufspielen. ({18}) Es spricht nicht gerade für den Oppositionsführer, daß er selbst in einer so delikaten Frage Franz Josef Strauß den Ton angeben läßt. ({19}) - Verehrter Herr Kollege Strauß, ich will die Vergangenheit nicht wieder beleben, ({20}) aber ich darf doch wenigstens daran erinnern. ({21}) Man kann sich in der Politik nicht immer vor ungebetenen Freunden schützen, aber man kann und muß verhindern, daß man dann mit ihrer Meinung identifiziert wird, wenn sie in wichtigen politischen Grundsatzfragen zu einer Belastung werden könnten. Meine Damen und Herren, welche Bedeutung die vom Verfassungsgericht entschiedene Streitfrage für die Abwicklung des Haushalts und den Gestaltungsanteil der einzelnen Verfassungsorgane hat, ist sehr gut an den Veränderungen deutlich zu machen, die der Haushaltsplan 1977 von der Einbringung im Parlament bis zur dritten Lesung, also auch noch über die Beschlüsse der zweiten Lesung hinaus, erfahren wird. Der Entwurf sah Einnahmen und Ausgaben in Höhe von 171,8 Milliarden DM vor. Nach der zweiten Lesung wird er dem Parlament mit einem Volumen von rund 171,3 Milliarden DM zur Verabschiedung vorliegen. Der Saldo weist also ein Minus von rund 500 Millionen DM auf und scheint damit vordergründig ein bescheidenes Beratungsergebnis auszudrücken. Doch ist es während der Beratungen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite zu erheblichen Umschichtungen gekommen. Die Einnahmen konnten um rund 1,5 Milliarden DM verbessert und die Nettokreditaufnahme konnte gegenüber dem Entwurf um mehr als 2 Milliarden DM gesenkt werden. Auf der Ausgabenseite haben wir uns durch Kürzungen Luft für die Rate des Jahres 1977 des Zukunftsinvestitionsprogramms in Höhe von 527 Millionen DM und für die Unterstützung des Bergbaues in Höhe von 230 Millionen DM geschaffen. Außerdem - dies geschah allerdings zum erheblichen Teil über Kreditfinanzierung - ist das Arbeitsbeschaffungsprogramm mit 400 Millionen DM in den Entwurf eingearbeitet worden, und darüber hinaus haben wir einen Investitionszuschuß an die Deutsche Bundesbahn um weitere 1 Milliarde DM aus Steuermehreinnahmen geleistet. Die Gratwanderung einer finanzpolitischen Operation, die sich in besonderem Maße an den wirtschaftspolitischen Erkenntnissen der Gegenwart orientiert, hat sich also, Einnahmen und Ausgaben einmal grob zusammengezogen, auf einem Manövrierfeld abgespielt, das mit rund 5 Milliarden DM Finanzmasse abgesteckt ist. Bei einem Gesamtvolumen des Haushalts von 171 Milliarden DM zeigen diese Zahlen sehr eindrucksvoll, wie klein der Bewegungsspielraum ist, der dem Parlament verbleibt, um den Haushaltsentwurf der Regierung umzuformen und ihm eine eigene parlamentarische Handschrift zu geben. Demgegenüber beliefen sich die vom Bundesfinanzminister 1973 geleisteten über- und außerplanmäßigen Ausgaben auf mehr als 4 Milliarden DM, wovon 2 Milliarden DM nach Karlsruhe flossen. Allein aus diesem Zahlenvergleich wird deutlich, warum das Verfassungsgericht die Notbremse gezogen hat. Wir sind durch das sehr großzügig gehandhabte Notbewilligungsrecht tatsächlich in eine bedenkliche Staatspraxis hineingeraten, ({22}) bei der die Haushaltskontrolle und der Haushaltseingriff des Parlaments in wichtigen Bereichen weitgehend durch die Exekutiventscheidungen überlagert wurden. ({23}) Gerade im Zentrum des parlamentarischen Kompetenz- und Zuständigkeitsbereichs ist es damit zu einer bedenklichen Aushöhlung gekommen. ({24}) Dies alles ist aber nicht so sehr ein Vorwurf an die Regierung; denn sie konnte diesen Machtzuwachs in der Exekutive nur praktizieren, weil ihr der Raum dazu vom Parlament überlassen wurde. Dieser Prozeß ist parteipolitisch keineswegs einseitig verlaufen. In wechselnder Funktion haben wir alle, Parteien im Parlament oder in der Regierung, Regierende und Opponierende, an dieser Entwicklung mitgewirkt. So hatten wir tatsächlich alle zusammen fast einen Zustand erreicht, in dem das Parlament sich darauf beschränkte, einen Haushalt in Kraft zu setzen und dann zuzusehen, wie die RegieHoppe rungen mit dieser Ermächtigung und zusätzlich mit dem Instrument der über- und außerplanmäßigen Ausgaben virtuos Haushaltspolitik trieben. Dieser Prozeß ging im übrigen mit einer sehr eigenwilligen Auslegung der verfassungsrechtlichen Grundsätze einher; denn so unklar, wie immer wieder behauptet wird, ist die Verfassungsbestimmung eigentlich nicht. Voraussetzung für die Bewilligung von über- und außerplanmäßigen Ausgaben ist das unvorhergesehene Ereignis und die Unabweisbarkeit seiner Finanzierung. Aber, meine Damen und Herren, was war daraus geworden? Fast könnte man glossierend sagen, daß immer dann über- und außerplanmäßige Ausgaben am Jahresende geleistet wurden, wenn unvorhergesehen Geld in der Kasse blieb und die Handelnden ein unabweisbares Verlangen befiel, diese Beträge für einen guten Zweck und zur Entlastung künftiger Haushalte auszugeben. ({25}) Die in Wahrheit sehr einengenden Verfassungsbestimmungen sind dabei häufig kräftig überdehnt worden. Den Verlockungen sind die Finanzminister im Bund und in den Ländern gleichermaßen erlegen. ({26}) Es war darum durchaus begreiflich, daß der Bundesrechnungshof in seinen Bemerkungen zur Haushaltsrechnung 1972 dieses Problem und diese Thematik aufgegriffen hat. Das Verfassungsgericht aber hat mit seiner Entscheidung neue Maßstäbe für die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlamenten in Bund und Ländern gesetzt. Die Entscheidung ist zugleich eine Mahnung an das Parlament, sorgfältiger über seine Rechte zu wachen und nicht leichtfertig auf die Ausübung von Kompetenzen zu verzichten. ({27}) Meine Damen und Herren, wir haben allen Anlaß, die an die Verfassungsorgane ergangenen Mahnungen ernst zu nehmen. Auf einen besonderen, interessanten Aspekt gilt es in diesem Zusammenhang noch hinzuweisen. Wenn es nämlich bei der Entscheidung wirklich so etwas wie eine kleine Sensation gegeben hat, dann war es die Verurteilung der Bundesregierung. Nun ist also auch die Bundesregierung zu mehr Aktivität angehalten worden. ({28}) Der Bundesfinanzminister wird die einsamen Entscheidungen auch bei Fortbestand seines Notbewilligungsrechts so einsam nicht mehr treffen können. ({29}) Der Meinungsaustausch mit dem Kabinett wird ihm wohltun und dem Steuerzahler wohl bekommen. ({30}) Natürlich wird es auch künftig neben dem Haushalt und neben Nachtrags- und Ergänzungshaushalten außer- und überplanmäßige Bewilligungen geben müssen. ({31}) Bei strenger Anwendung der rechtlichen Voraussetzungen und bei Beachtung der haushaltspolitisch vertretbaren Dimensionen kann das bei einem fairen Zusammenspiel der beteiligten Verfassungsorgane auch völlig unproblematisch sein. ({32}) Diese Praxis gilt es in der Zukunft erst noch zu entwickeln. Für die Haushaltsgestaltung und für den Haushaltsvollzug nicht minder bedeutend sind die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zur Öffentlichkeitsarbeit. Die Zweckentfremdung von Haushaltsmitteln für Partei- und Wahlkampf wer-bung ist eine Unsitte, in der sich die Regierenden in Bund, Ländern und in den Gemeinden gleichermaßen geübt haben. Es kann deshalb nur hilfreich sein, daß das Verfassungsgericht alle - auch alle Parteien - wieder auf den Pfad der Tugend zurückführen will. Die im Bundeshaushalt 1977 von der Koalition getroffenen Maßnahmen bezeichnet die Opposition als zu schwach und zu regierungsfromm. Es ist richtig, daß sie weitergehende Anträge auf Kürzung der Sach- und Personalmittel gestellt hat, und sie wird sie in der zweiten Lesung wieder stellen. Man wird nun über das rechte Maß des Eingriffs streiten können; aber die Zurückführung der Öffentlichkeitsarbeit auf das tatsächlich Gebotene und rechtlich Zulässige sollte uns nicht dazu verführen, nun blindwütig um uns zu schlagen. ({33}) Die Koalition hat die Mittel zunächst einmal um 10 °/o gekürzt und erwartet von der Bundesregierung, daß sie die erforderlichen inhaltlichen und organisatorischen Korrekturen trifft, um eine kluge und aussagekräftige Presse- und Informationsarbeit treiben zu können. Dabei soll sie jenen Rationalisierungseffekt erzielen, der auch zu fühlbaren Einsparungen bei der Personalausstattung der Pressearbeit im Presseamt und in den Ressorts führen kann. Wir erwarten die Konsequenz aus diesen Maßnahmen im Haushalt 1978. Wir möchten der Bundesregierung aber diesen Handlungsspielraum bewußt lassen, weil es uns angemessen erscheint, daß erst die mit den einzelnen Bundesländern eingeleitete Abstimmung und die Ressortkoordinierung zu einem sachlich korrekten Abschluß gebracht werden können. Es kann auch nicht Aufgabe des Parlaments sein, sich insoweit selbst an die Stelle der Exekutive setzen zu wollen. Im Augenblick jedenfalls scheint uns eine weitergehende Kürzung der Sachmittel nicht überzeugend begründbar zu sein. Dieses Bedenken gilt auch für den Eingriff in die Stellenplä2544 ne des Presseamts und der Ressorts. Wir haben daher nicht wahllos kw-Vermerke über die Stellenpläne ausgeschüttet. Zu einem so groben Steuerungsmittel der Personalpolitik, wie es allerdings bei der Etatberatung 1976 zur drastischen Verringerung der Zahl der Planstellen eingesetzt werden mußte, wird der Haushaltsausschuß äußerstenfalls dann wieder greifen, wenn die Bundesregierung nicht bereit sein sollte, die erwarteten und gewünschten Einsparungsmaßnahmen mit dem nächsten Haushalt zu präsentieren. Ohne der auf das nächste Jahr vertagten Maßschneiderei im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit vorgreifen zu wollen, möchte ich meine Auffassung jedenfalls dahin gehend kundtun, daß ich bei voller Würdigung der Bedeutung der Pressearbeit und bei Anerkennung der Wichtigkeit einer Informationspolitik eine weitere Kürzung der dafür zur Verfügung stehenden Finanzmasse für vertretbar halte. Auch dann werden wir fähig sein, uns den kenntnisreichen und informierten Bürger zu erhalten, auf den die Demokratie nicht verzichten kann. ({34}) Bei Licht besehen besteht kein Mangel an Information. Wir leiden eher an einem Informationsüberangebot. ({35}) Kaum jemand ist noch in der Lage, alles das zu verwerten, was ihm täglich aufgedrängt, in den Briefkasten gestopft und auf den Tisch geschüttet wird. Natürlich können trotz dieses Überangebots immer wieder Informationslücken entstehen. Aber der Grund dafür ist nicht bei den fehlenden Finanzmitteln zu suchen, sondern liegt in dem bestehenden Koordinierungsmangel unserer gegenwärtigen Pressearbeit. Für die wirklich wichtige Öffentlichkeitsarbeit reichen die Mittel allemal aus. Eine unnötig großzügige Finanzausstattung führt nur zu einer personalaufwendigen Papierkorbproduktion. Eine so mißverstandene Öffentlichkeitsarbeit ist nicht werbend, sondern erzeugt eher Verärgerung. Mit weniger Papier kann man oft eine größere Wirkung erreichen. Ich hoffe deshalb nur, daß sich die Bundesregierung bei der Selbsteinschätzung ihres Mittelbedarfs für ihre Öffentlichkeitsarbeit von der Frage leiten läßt: Hätten Sie es nicht auch ein bißchen kleiner? ({36}) Meine Damen und Herren, in den Auseinandersetzungen über die Haushaltspolitik hat das Bundesverfassungsgericht mit seinen Entscheidungen ein gewichtiges Wort mitgesprochen. Es hilft gar nichts, hier etwas beschönigen zu wollen. Wir müssen die Fehler, die gemacht worden sind, eingestehen und den ernsten Willen zeigen, sie fortan zu vermeiden. ({37}) Politisch verständliche Entscheidungen, die später bei einer richterlichen Normenkontrolle rechtlich mißbilligt werden, hat es auch schon in der Vergangenheit gegeben, und es wird sie leider wohl auch in der Zukunft wieder geben. Nicht, daß die Verfassungsverletzung eine läßliche Sünde der Politik wäre. Aber die Politik, die sich nun einmal in Grenzbereichen bewegen muß, wird immer wieder in der Gefahr sein, die den Handlungsspielraum einengenden Normen zu überschreiten. Die rechtsstaatliche Demokratie lebt gerade davon und zeichnet sich dadurch aus, daß das System der Machtverteilung, Machtbegrenzung und Machtkontrolle zwischen den drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative funktioniert. Der Bundespräsident Walter Scheel hat das so formuliert: Das Prinzip der Kontrolle von Macht, welcher Art sie auch sei, ist ein Herzstück jeder rechtstaatlichen Demokratie. ({38}) So hat denn das Parlament bei der Ausübung seiner Kontrollfunktion darauf zu achten, daß die Exekutive ihre Aufgaben in den Grenzen gesetzmäßiger Staats- und Verwaltungspraxis erfüllt. Es wird nicht immer gelingen, diese Aufgabe lückenlos zu bewältigen. Ja, das Parlament selbst hat, wie wir wissen, rechtsfehlsame Entscheidungen getroffen, die der Überprüfung durch das Verfassungsgericht nicht standgehalten haben, und dies nun wahrlich nicht erst bei der Reform des § 218. Deshalb ist es auch nicht sehr ersprießlich, in eine vergleichende Diskussion darüber einzutreten, ob etwa mehr Gesetzgebungsakte oder mehr Exekutivmaßnahmen für verfassungswidrig erklärt worden sind. Bei einem solchen Vergleich, einem etwas verqueren Konkurrenzdenken, müßte dann vielleicht auch noch auf die jeweilige politische Relevanz der einzelnen Maßnahme eingegangen werden. Eine solche Diskussion sollten wir uns wahrlich ersparen. Die Verfassungsgerichtsbarkeit gehört nun einmal zu unserer rechtsstaatlichen Ordnung, und wir haben die Arbeit unserer Verfassungsorgane dieser richterlichen Kontrolle bewußt unterworfen. Erst durch die in unser Verfassungssystem eingefügte Balance der Gewalten sind wir vor Regierungswillkür und Parlamentsabsolutismus bewahrt. Diese ganze haushaltspolitische Problematik liefert nun aber keineswegs jenen Stoff, aus dem Mißbilligungsanträge gegen Bundeskanzler gemacht werden können. ({39}) Haushaltsrechtlich handelt es sich dabei im übrigen doch wohl um die Vorwegnahme der Beschlußfassung über die Entlastung der Bundesregierung für die Haushaltsrechnung 1973. Und da es keinen Zweifel daran geben kann, daß der Bundesregierung für die Jahresrechnung trotz der Feststellungen des Rechnungshofs und der Entscheidungen des Verfassungsgerichts Entlastung erteilt wird, muß auch der Mißbilligungsantrag der Ablehnung verfallen. Die rechtlichen Qualifizierungen, die das Bundesverfassungsgericht vorgenommen hat, werden von uns nicht in Zweifel gezogen. Wir sehen auch nicht den leisesten Ansatz für die Eröffnung einer kritischen Rechtsdiskussion. Wir haben deshalb auch nicht die Absicht, die Entscheidung auf dem politischen Feld zu korrigieren oder zu unterlaufen. Aber dies heißt noch lange nicht, daß die Gesamtbeurteilung des Sachverhalts zu einem politischen Verdikt über den Bundeskanzler führen muß. ({40}) Dazu besteht im Hinblick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Erwägungen des damaligen Finanzministers überhaupt keine Not. Die finanzpolitischen Zielvorstellungen haben den Widerspruch damals gar nicht herausgefordert. Die seinerzeit ins Feld geführten Gründe behalten ihre Berechtigung auch nach dem ergangenen Urteil. Deshalb stehen die vom Gericht getroffenen Feststellungen weder einer Entlastung der Bundesregierung durch den Bundestag entgegen noch berühren sie die politische Integrität des Bundeskanzlers. ({41}) Meine sehr verehren Damen und Herren, die Fraktion der Freien Demokratischen Partei wird deshalb dem Einzelplan 04 ihre Zustimmung geben und den Mißbilligungsantrag der Opposition ablehnen. ({42})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung treten wir jetzt in die Mittagspause ein. Sie dauert bis 14 Uhr. Der Bundestag tritt um 14 Uhr zur Fortsetzung dieser Sitzung zusammen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir fahren in den Beratungen fort, meine Damen und Herren. Das Wort in der Debatte hat Herr Dr. Strauß.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geschah in ein und derselben Woche. Der SPD-Vorsitzende, Willy Brandt, wetterte in einem flammenden Aufruf Mitte Mai vor dem verzagenden und demgemäß zu vergatternden SPD-Parteivolk in Schleswig-Holstein: Ein paar Jahre jener Herrschaft, - gemeint war die der CDU/CSU und man würde diesen Staat der Freiheit und des Rechtes nicht mehr wiedererkennen. Eigentlich müßte die SPD hier Beifall klatschen. ({0}) - Das beweist Ihre Wertschätzung für Ihren Nachbarn, wie man jüngst wieder mal so hört. ({1}) - Herr Wehner, es ist doch keine olle Kamelle, wenn es heute morgen mit Originalzitaten in der Zeitung steht. Ich kann doch nicht wissen, was Sie morgen über Ihren Nachbarn sagen werden und umgekehrt. Aber wir kommen auch dann auf ihn zurück. Der gleiche sagte am 17. Mai vor den SPD-Führungsgremien in Berlin: Es ist meine feste Überzeugung, daß es schwer sein würde, diesen Staat der Freiheit und des Rechtes wiederzuerkennen, wenn er von maßgeblichen Exponenten des rechten Flügels von CDU und CSU geprägt werden würde. Ich enthalte mich jedes Kommentars dazu. Ich sage nur: Es geschah in derselben Woche, in der das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verkündete: Der damalige Bundesfinanzminister und jetzige Bundeskanzler, Helmut Schmidt, hat gegen die Verfassung verstoßen, weil er das Recht des Parlaments, ,des Deutschen Bundestages, verletzt, d. h., sich selbst angemaßt hat, Gelder in Milliardenhöhe ohne parlamentarische Genehmigung auszugeben. Er hat diese Ausgaben im Sinne des Art. 112 des Grundgesetzes als unvorhersehbar und unabweisbar vorgetäuscht, obwohl er ganz genau wußte, daß diese Voraussetzungen in fast keinem der großen Fälle, die den Gesamtbetrag ausmachen, vorgelegen haben. Das ist bisher der Höhepunkt in einer ganzen Kette von versuchten und vollendeten Verstößen gegen die Verfassung. Es war nur bezeichnend, daß der Bundesvorsitzende der SPD bei der gemeinsamen Fernsehdiskussion - soweit man diese Sendung als solche bezeichnen konnte ({2}) während der Behandlung dieses Themas - die Pflichtübung war unvermeidlich - erklärt hat, er billige voll und ganz diese Handlungsweise des damaligen Bundesfinanzministers. Etwas anderes blieb ihm auch gar nicht übrig, weil er der Kanzler war, unter dem dieser Verfassungsverstoß durch einen seiner wichtigsten Minister begangen worden ist. Kollege Schäfer hat heute morgen einige ({3}) vermeintliche Beispiele gebracht. Ich weiß, in der Not frißt der Teufel Fliegen, und Sie haben heute zum Teil weniger gefressen als Fliegen. Das kann ich Ihnen durchaus nachfühlen, Herr Kollege Schäfer. ({4}) Aber darf ich vielleicht daran erinnern, daß allein in den letzten Jahren eine ganze Serie von Verfassungsverletzungen oder versuchten Verfassungsverletzungen vorliegt. Hätte es nicht das Bundesverfassungsgericht gegeben und hätten wir nicht gelegentlich in wichtigen Fällen von ,der Möglichkeit seiner Anrufung Gebrauch gemacht oder sie angekündigt, wäre dieser Staat in erheblichen Bereichen wirklich nicht mehr wiederzuerkennen gegenüber dem, was er gewesen ist. ({5}) Ich möchte hierfür nur einige wenige Beispiele bieten: Im Urteil zum Grundvertrag vom 31. Juli 1973 mußte das Bundesverfassungsgericht der Bundesre2546 gierung durch eine einschränkende Auslegung des Vertrags die Bedeutung des manchmal mit erheblicher Großzügigkeit behandelten Wiedervereinigungsgebots und die Grenzen ihrer versuchten Anerkennungspolitik aufzeigen und die Beachtung des einheitlichen deutschen Staatsbürgerrechts aufzwingen. In der Frage der Mitbestimmung mußte der ursprünglich vorgelegte Gesetzentwurf unter dem Druck der im - wie man neuhochdeutsch sagt - Hearing vom 19. Dezember 1974 erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken wegen Verstoßes gegen die Tarifautonomie als verfassungsrechtlich gesicherte Institution und gegen die Eigentumsgarantie zurückgezogen werden. Es sei hier erwähnt, Kollege Hoppe, ,daß diesem als verfassungswidrig bezeichneten und später erkannten Entwurf auch die FDP zugestimmt hatte, ({6}) daß das also ein einstimmig verabschiedetes Gemeinschaftsprodukt des Kabinetts und der Koalitionsberatungen war. Der Schnee ist zwar immer der gleiche geblieben, aber die Liberalen sind nicht immer die gleichen geblieben. ({7}) Im Hochschulrahmengesetz des Bundes konnten Verstöße gegen das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre - Kollege Willy Brandt! - erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1973 zum Niedersächsischen Vorschaltgesetz für ein Gesamthochschulgesetz und durch den harten Widerstand der Unionsmehrheit im Bundesrat verhindert werden. Im Urteil zur Fristenlösung des § 218 StGB vom 25. Februar 1975 mußte das Bundesverfassungsgericht eine Mißachtung des verfassungsrechtlich garantierten Lebensschutzes rügen. Bundespostminister Gscheidle mußte sich in einem Hearing von Sachverständigen am 19. Mai 1976 übereinstimmend die Rechtswidrigkeit seiner mit der Deutschen Postgewerkschaft abgeschlossenen Vereinbarung vom 11. März 1975 über Sonderrechte für Gewerkschaftsfunktionäre und einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich garantierten Grundsätze des Berufsbeamtentums bescheinigen lassen und dann mit Interpretationskunststücken den Rückzug antreten, um uns den Gang nach Karlsruhe zu ersparen. Dem ersten Versuch einer Änderung des Wehrpflicht- und Zivildienstgesetzes - zu dem zweiten Entwurf hat Kollege Kohl heute morgen eingehend und überzeugend Stellung genommen - mußte der Bundespräsident wegen verfassungsrechtlicher Mängel beim Zustandekommen des Gesetzes die Unterschrift verweigern. Jetzt kommt der Wechselbalg in anderer Fassade wieder. Im Urteil über die Unzulässigkeit der Wahlwerbung der Bundesregierung vom 2. März 1977 stellte das Bundesverfassungsgericht die Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots der Chancengleichheit bei der Wahl und die Unvereinbarkeit der Wahlwerbung der Bundesregierung mit dem Demokratiegebot fest und stellte damit die Legitimation dieser Bundesregierung in Frage. Über die Frage der wiederholten Wählertäuschung und ihrer wahlwirksamen Auswirkungen wird ohnehin noch zu reden sein. Dazu kommt jetzt das Urteil vom 25. Mai 1977. Auch in den 20 Jahren von 1949 bis 1969 ist in strittigen Fragen das Bundesverfassungsgericht angerufen worden. Der Kollege Schäfer hat heute der Versuchung widerstanden, in der Debatte die „Panne" - wie es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von gestern hieß - zur Geltung zu bringen, nicht vergleichbare Gerichtsverfahren zu bemühen. Aber Art und Gewichtigkeit, Schwere und Zeitfolge der festgestellten Verstöße sind damit nicht vergleichbar, vor allen Dingen dann nicht, wenn es sich um Entscheidungen über Zuständigkeitsfragen und um Entscheidungen gegen die vom Bundestag verabschiedeten Gesetze handelt. Hier handelt es sich um eine Handlungsweise der Bundesregierung, die unmittelbar gegen das kodifizierte Verfassungsrecht verstoßen hat. Die Summe der fortgesetzten schwerwiegenden Verfassungs- und Rechtsverstöße rechtfertigt den Vorwurf, daß diese Regierung als Ganzes leichtfertig mit der Verfassung umgeht, wenn sie ihr nicht in den Kram paßt. ({8}) Wenn ihr nicht durch das Verfassungsgericht Einhalt geboten wird, besteht die Gefahr, daß sie weiterhin unter Ausnutzung ihrer knappen Mehrheit im Bundestag Grundwerte unserer Verfassung auszuhöhlen und damit Schritt für Schritt Systemveränderungen herbeizuführen versucht. Unser Gang nach Karlsruhe sollte nicht der Regierung irgendeine Niederlage beibringen, ihr eins auszuwischen. Ich möchte aber hier schon einmal die Frage stellen: Hat man denn eigentlich bei den Regierungsparteien überhaupt noch ausreichendes Verständnis und eine zureichende Kenntnis der Funktion der Opposition? ({9}) Ist es denn schon so weit, daß Angriffe gegen die Bundesregierung als eine Art Majestätsbeleidigung gewertet werden, ({10}) daß die Anwendung eines verfassungskonformen Mittels - das ist nun einmal die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes - schon als ein hinterhältiger Anschlag gegen die obrigkeitsstaatlichen Gewalten gewertet wird? Wohin kommen wir denn überhaupt? Noch nie ist so viel von Demokratie geschwätzt und so viel Obrigkeitsstaatlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg praktiziert worden. ({11}) Unser Anliegen war, ist und wird es sein, die Substanz der durch unser Grundgesetz festgelegten und garantierten Rechte der Bürger und des Parlamentes zu erhalten. Es mutet heute wie eine Witzlektüre an - ich sage das nicht zur Verunglimpfung -, wenn ich wörtlich die erste RegierungserStrauß klärung des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers, des heute schon mehrmals genannten Willy Brandt, zitiere: „Wir wollen mehr Demokratie wagen." ({12}) „Wir werde unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun." ({13}) „Wir werden darauf hinwirken, daß durch Anhörungen im Bundestag, durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken." ({14}) - Es gehört zur sattsam bekannten Verhaltensweise der SPD, dem unerträglichen Unterschied zwischen Theorie und Praxis lauthals Beifall zu geben. ({15}) Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur! ({16}) Oder es heißt in der gleichen Erklärung: „Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein." ({17}) Oder: „Das Selbstbewußtsein dieser Regierung wird sich als Toleranz zu erkennen geben. ({18}) Sie wird daher auch jene Solidarität zu schätzen wissen, die sich in Kritik äußert." ({19}) Dafür haben wir ja, ich darf sagen, über Jahre hindurch ständig sich steigernde Beispiele der Perfektion auf diesem Gebiet kennengelernt. ({20}) Und natürlich: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an." ({21}) Manches hat wirklich erst angefangen im Herbst 1969, und das ist etwas, was ich ohne Bissigkeit, aber in aller Deutlichkeit als einen unerträglichen, schreienden, ungeheuerlichen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis bezeichnen möchte. ({22}) Man kann eine Zeitlang die Bürger darüber hinwegtäuschen, auf die Dauer nicht. Wenn Sie vorher zu meinen Zitaten über die geplanten und durchgeführten Reformen Beifall geklatscht haben: Wie viele Reformen sind gegen den Bürger, über den Kopf des Bürgers hinweg, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Schulpolitik, in den letzten Jahren zum Leidwesen unserer Familien von sozialistischen Bildungsplanern und -politikern verhängt worden! ({23}) Ich darf hier auch sagen, Helmut Schmidt war gewarnt; denn es gehört zu den Tatsachenverfälschungen, zu den Verfälschungen der Rechtslage, zu behaupten, daß es zwischen dem 31. Dezember 1969 und dem 1. Januar 1970 keine Änderung der Rechtslage auf diesem Gebiet gegeben habe. ({24}) Wenn nach Ihrer Meinung Gesetze keine Rechtslagen bestimmen, dann haben Sie eine andere Auffassung von Gesetzgebung, als wir sie haben. ({25}) - Sie hören noch genug, Herr Kollege Schäfer, damit Sie sich mit Ihrer nächsten Rede vielleicht nicht gar so lächerlich machen wie heute. ({26}) Artikel 112 des Grundgesetzes erteilt dem Finanzminister die Ermächtigung, bei unvorhergesehenem und unabweisbaren Bedarf ausnahmsweise über- oder außerplanmäßige Ausgaben ohne vorherige Entscheidung des Parlaments zu bewilligen. Es ist nicht zu bestreiten, daß früher gewisse Zweifel über Umfang und Voraussetzungen dieses Notbewilligungsrechts bestanden haben. Aber diese Zweifel wurden durch die Haushaltsrechtsreform des Jahres 1969, im Bundestag einstimmig, auch mit den Stimmen der SPD und der FDP, verabschiedet, beseitigt. ({27}) Der Art 112 des Grundgesetzes, Herr Kollege Schäfer, hat einen dritten Satz bekommen. Die beiden ersten Sätze sind unverändert geblieben. Aber der dritte Satz besagt, daß ein Bundesgesetz das Nähere bestimmen kann. Dieses Bundesgesetz ist mit Ihrer Zustimmung erlassen worden und hat das Nähere bestimmt. ({28}) Darum liegt zwischen der Rechtslage bis zum Ende 1969 und ab 1970 eine echte Zäsur, ({29}) eine Zäsur, die nur der leugnen kann, der die damalige Gesetzgebung und die bei ihrer Beratung geäußerten Überlegungen in der Zwischenzeit vergessen hat oder absichtlich dem Bewußtsein der Offentlichkeit entrücken will. ({30}) Eines ihrer erklärten Ziele war es, einer zu extensiven Handhabung des Notbewilligungsrechts entgegenzuwirken. ({31}) Deshalb wurde das Verfahren bei der Behandlung von Nachtragshaushalten auch beschleunigt und erleichtert. Um die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer Berufung auf Art. 112 des Grundgeset2548 zes einzuschränken, ist der Regierung und den beiden Häusern, Bundestag und Bundesrat, die Möglichkeit einer beschleunigten Verabschiedung der Haushalte und einer noch schnelleren Verabschiedung von Nachtragshaushalten eingeräumt worden, und zwar mit dem erklärten Ziel, damit die Ungewißheiten, Zweifel und extensiven Auslegungen des Art. 112 des Grundgesetzes aus der Welt zu schaffen. ({32}) Deshalb ist das Verfahren bei der Behandlung von Nachtragshaushalten beschleunigt und erleichtert worden, weil - ich zitiere jetzt wörtlich den Bericht des Rechtsausschusses - „die Schwerfälligkeit des bisherigen Verfahrens in der Praxis dazu geführt hat, daß das Notbewilligungsrecht des Bundesfinanzministers in Art. 112 als Ausweg zwangsläufig zu extensiv gehandhabt worden ist". ({33}) Hier kann doch an Hand des vorliegenden, von mir genau zitierten Textes niemand bestreiten, daß der Rechtsausschuß - wir haben ja hier eine Reihe von Zeugen, unter anderen meinen Kollegen Dr. Otto Lenz, die damals selbst diese Auffassung vertreten haben - dadurch nunmehr der Berufung auf solche Notwendigkeiten eine Grenze setzen wollte und daß in Zukunft der Finanzminister nicht mehr in der Lage zu sein braucht, in den gleichen Umfängen wie früher sich auf Art 112 berufen zu müssen. ({34}) Darüber hinaus wurde Art. 112 ergänzt und in § 37 der neuen Bundeshaushaltsordnung verbindlich klargestellt - ausgerechnet der Paragraph, den Sie heute erwähnt haben -, ({35}) - Herr Schäfer, wenn Sie nur die Gabe hätten, einmal zuzuhören, bevor Sie unbedacht und sprudelnd daherreden -, ({36}) daß eine Unabweisbarkeit nicht vorliegt, ({37}) wenn die Ausgaben bis zur Verabschiedung des nächsten Haushaltsgesetzes oder des nächsten Nachtrags zum Haushaltsgesetz zurückgestellt werde können. ({38}) Aus diesem Grunde sind die Fristen verkürzt worden: sechs Wochen für den Bundesrat beim Haushalt, drei Wochen beim Nachtragshaushalt. Deshalb kann Haushalt und Nachtragshaushalt beiden Kammern gleichzeitig vorgelegt werden, damit nicht das Hintereinander wie bisher zu für die Regierung und im Hinblick auf die sachlichen Notwendigkeiten wirklich unangemessenen Verzögerungen führt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte mich Ihrer Praxis heute anschließen und Ihnen die Frage ermöglichen.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, halten Sie es bei Ihrer Argumentation für möglich, daß in der Zeit vom Kabinettsbeschluß am 19. Dezember bis zum 31. Dezember ein Nachtragshaushalt eingebracht und verabschiedet werden kann?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darauf komme ich noch, Herr Kollege Schäfer. Ich habe Ihnen ja gleich gesagt: wenn Sie sich ein bißchen zurückhalten könnten. ({0}) Aber die Regierung handelte trotz dieser Klarstellungen nach dem Inkrafttreten der Haushaltsrechtsreform, die in zwei wesentlichen Punkten auch eine Verfassungsänderung enthielt, so, als ob es die Haushaltsrechtsreform nie gegeben hätte. Schon die über- und außerplanmäßigen Ausgaben des Jahres 1971, für die Helmut Schmidt noch nicht die Verantwortung als Finanzminister trug, wurden im Haushaltsausschuß scharf kritisiert, und zwar nicht nur durch die Opposition, sondern auch durch den damaligen Sprecher der SPD im Haushaltsausschuß und heutigen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Haehser. Er erklärte am 11. November 1971 im Haushaltsausschuß wörtlich, daß Haushaltsüberschreitungen hätten vermieden werden können, wenn die Haushaltsansätze realistischer veranschlagt, Entwicklungen finanzieller Art, die schon vor Verabschiedung des Haushaltsplans bekanntgewesen seien, rechtzeitig berücksichtigt worden wären und wenn der Begriff unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis sachgerechter ausgelegt worden wäre. ({1}) So der zuständige Sprecher der Bundestagsfraktion der SPD zu den Überschreitungen des Jahres 1971. In der Zwischenzeit ist er ja im Finanzministerium angelangt, und ich hoffe nicht, daß die Änderung des Ortes auch zu einer Änderung der Bewußtseinslage geführt hat, daß also der neue Genius loci seine früheren Erkenntnisse beeinträchtigt hat. Überhaupt sind alle am damaligen Verfahren Beteiligten befördert worden: der Finanzminister zum Bundeskanzler, der Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf zum Landeszentralbankpräsidenten und Mitglied des Zentralbankrates, der zuständige Abteilungsleiter zum Staatssekretär und der Unterabteilungsleiter zum Abteilungsleiter. Aber das sei nur am Rande erwähnt. ({2}) Der Ausschuß forderte damals ausdrücklich und einmütig, künftig bedeutsame Änderungen nur noch in Form eines Nachtragshaushaltes vorzunehmen. Gleichwohl häuften sich die Verstöße gegen Artikel 112 des Grundgesetzes nach Quantität und Qualität, und zwar schlagartig nach Übernahme des Finanzministeriums durch Helmut Schmidt, sozusagen typisch konform. Der Haushaltsplan 1972 wurde bekanntlich erst wenige Tage vor dem Ablauf dieses Haushaltsjahres, nämlich in der zweiten Dezemberhälfte 1972, wegen der bekannten politischen Verhältnisse vom Parlament verabschiedet. In den verbleibenden letzten Tagen des Jahres 1972 gab Finanzminister Helmut Schmidt zusätzlich 2 Milliarden DM als angeblich unabweisbar und unvorhergesehen aus. Das war das Jahr, auf das sich unsere Klage noch nicht bezieht. Der Bundesrechnungshof stellte bei seiner nachträglichen Prüfung fest, daß mehr als drei Viertel aller über- und außerplanmäßigen Ausgaben des Jahres 1972, nämlich 1 540 000 000 DM von 2 047 000 000 DM in verfassungswidriger Weise getätigt wurden, ({3}) daß in diesen Fällen also die Voraussetzungen des Art. 112 des Grundgesetzes nicht vorlagen. Die CDU/CSU hat damals diese erneute - ich zitier wörtlich - grobe Verletzung des Haushaltsbewilligungsrechtes des Parlamentes scharf beanstandet. Der Kollege Leicht hat schon damals für den Bundestag in seiner Gesamtheit die Frage aufgeworfen, wie lange die Mißachtung des Haushaltsbewilligungsrechtes des Parlamentes und Form und Art des Umgangs der Regierung mit dem Parlament auf dem Gebiet des Haushaltes noch hingenommen werden sollen. Helmut Schmidt ging auch damals schon mit den Haushaltsplänen um wie mit Zinnsoldaten. Die autoritäre Komponente seines Wesens, die sich auch in seinen Werturteilen über Mitarbeiter, Freunde und Gegner niederzuschlagen pflegt, trat gerade hier besonders in Erscheinung. Zwar vorhersehbar, aber bei ihm unabweisbar! ({4}) Ich komme zum Verfassungsverstoß 1973. Aber die Darstellung der Vorgeschichte ist auch ein Stück der Gesamtwürdigung dieses Vorgangs. Helmut Schmidt setzte sich über alle Mahnungen und Warnungen hinweg. Schon im nächsten Jahr, 1973, machte er sich des erneuten und noch schwereren Verfassungsverstoßes schuldig und angesichts der Vorgeschichte des Verfassungsbruches schuldig, ({5}) der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von niemandem mehr wegdiskutiert werden kann, auch nicht durch läppische Vergleiche. In der Haushaltsdebatte und im Haushaltsausschuß berät das Parlament, ob da oder dort 1 oder 2 oder 5 Millionen oder auch nur 100 000 DM gekürzt oder zugelegt werden können. Helmut Schmidt aber verteilte in wenigen Tagen um das Weihnachts- und das Neujahrsfest - das ist eine neue christliche Sinndeutung ({6}) 1973/74 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 41/2 Milliarden DM - 4 500 Millionen DM - selbstherrlich am Parlament vorbei an Gesellschaften oder Zuwendungsempfänger des Bundes. ({7}) Und hier ist vom Kollegen Schäfer noch behauptet worden, er habe es getan, um Schaden abzuwenden. Da müssen Sie sich in Zukunft wirklich etwas Anständigeres einfallen lassen, wenn Sie überhaupt noch ernst genommen werden wollen. ({8}) Die Klage in Karlsruhe wurde aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit zwar nur auf vier besonders bezeichnete Fälle mit einem Volumen von 2 Milliarden DM beschränkt. Aber die ganzen 4 1/2 Millarden DM gehören zu dem Problemkreis. Das war mehr als ein Drittel der nicht durch Gesetz oder Verträge gebundenen und damit durch den Haushaltsgesetzgeber im Haushaltsplan 1973 überhaupt beeinflußbaren Mittel. Gerade angesichts der Tatsache, daß 90 O/o und mehr durch rechtliche Verpflichtungen schon vorweg festgelegt sind, ist der schmale Spielraum, in dem überhaupt noch eine gesetzesfreie Verwaltung möglich ist und in dem demgemäß das Haushaltsrecht des Parlaments überhaupt noch wirksam wird, um so sorgsamer zu handhaben. Jetzt sage ich Ihnen, Herr Kollege Schäfer, mit welcher Unverfrorenheit dabei vorgegangen wurde. Es ist doch nicht wahr, daß es damals im Finanzministerium auch nur eine Spur von Gutgläubigkeit hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verteilungsaktion gegeben hätte. Wie können Sie denn das behaupten: „um Schaden abzuwenden" ? Das ist doch wirklich törichtes Gerede. Darüber gibt es ja auch eindeutige schriftliche Dokumente, die bei dem Prozeß zutage getreten sind. Als die Möglichkeit einer Ausgabe an die Kreditanstalt für Wiederaufbau intern erörtert wurde, fertigte der Leiter der zuständigen Unterabteilung VII b einen Aktenvermerk an. Ich zitiere ihn wörtlich: Bei der Zuweisung von Mitteln an die Kreditanstalt für Wiederaufbau würde es sich um eine außerplanmäßige Ausgabe handeln. Sie darf nach Art. 112 nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses geleistet werden. Das eigentliche Problem liegt darin, wie man ein unabweisbares Bedürfnis glaubhaft machen kann, da die KW im Rahmen ihrer bisherigen Aufgabenstellung ausreichend liquide und solvent ist. ({9}) Das ist die Unvorhersehbarkeit und Unabweisbarkeit! Überwiesen worden sind die Mittel aber nicht einmal mehr im Jahr 1973, sondern erst am 21. Januar 1974, einen Tag bevor bei der Kreditanstalt erstmals angefragt wurde, ob diese überhaupt Geld haben wolle. ({10}) Da sehen wir einmal, was bei Ihnen, Herr Kollege Schäfer, „Schaden abwenden" in Zukunft alles bedeutet. ({11}) Erst durch diese Besprechung, die einen Tag später, am 22. Januar 1974, stattfand, wurde die Kreditanstalt veranlaßt, 480 Millionen DM anzufordern. Am 23. Januar ging ,der Antrag ein. Die Zahlung erfolgte eine Woche nach Absetzung des Vermerks, am 28. Januar 1974, als unabweisbare Ausgabe zwischen Weihnachten und Neujahr für das Haushaltsjahr 1973. Über die Verwendung der angeblich so unabweisbar benötigten Mittel stellt das Verfassungsgericht in seinem Urteil auf Grund der Beweisaufnahme wörtlich fest: Diese Mittel wurden monatelang von der Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht gebraucht. Sie hat das Geld als Termingeld angelegt, ({12}) und zwar mit Laufzeiten bis Juni 1974. Wieder freiwerdende Gelder wurden ihren liquiden Mitteln zugeführt, die während des ganzen Jahres 1974 erheblich waren. Die liquiden Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau betrugen am 30. Mai 1974 598 Millionen, am 1. Juni 1974 826 Millionen und am 29. Juli 1974 696 Millionen. Können Sie mir da sagen, welchen Schaden denn Helmut Schmidt, der tapfere Nacht-und-NebelKrieger, ({13}) mit jener Geheimentscheidung vom Bunde abgewendet hat? ({14}) Ich fahre im Text des Urteils fort: Es ist hiernach festzustellen, daß die Voraussetzungen von Art. 112 Grundgesetz handgreiflich nicht vorlagen. ({15}) So das Bundesverfassungsgericht. Und Sie sagen, er mußte es in letzter Minute tun, um Schaden vom Bunde abzuwenden. Es bestand offensichtlich kein unabweisbares Bedürfnis - so heißt es weiter für diese Ausgaben, die im übrigen unter Verletzung von § 72 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung zu Lasten des Haushaltsjahres 1973 verbucht wurden. Das ist eine läßliche Sünde, die auch andere gemacht haben; auf die komme ich deshalb nicht mehr zurück. Salzgitter wurde von dem unerwarteten Geldsegen buchstäblich über Nacht überrascht. Nach dem niemals dementierten Bericht in der „Wirtschaftswoche" vom 22. Februar 1974 „ließ der damalige Bundesfinanzminister seinen Staatssekretär den Salzgitter-Chef Birnbaum mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln und ihm telefonisch 100 Millionen DM anbieten", ({16}) alles, um Schaden vom Bunde abzuwenden, unvorhersehbar und unabweisbar. Da sieht man, wie die Bundesregierung Tag und Nacht an das Wohl des deutschen Volkes denkt! ({17}) Herr Birnbaum, so heißt es, der von der großzügigen Zuwendung völlig überrascht war, nahm natürlich dankend an ({18}) und quittierte die Entschuldigung für den nächtlichen Anruf mit der Erklärung: „Das nächste Mal können Sie auch morgens um 5 Uhr anläuten." ({19}) Der Offentlichkeit wurde vorgegaukelt, alles sei unabweisbar und unvorhersehbar gewesen. Was wirklich der parteipolitischen Polemik - und ich darf auch sagen: Unverschämtheit - sozusagen die Krone aufsetzt, das ist die in Salzgitter betriebene Hetze, CDU und CSU hätten in Bonn gegen die Kapitalaufstockung gestimmt und hätten damit die Arbeitsplätze in Salzgitter gefährdet. ({20}) Ich als Laie bin nicht in der Lage, den Kapitalbedarf von Salzgitter festzustellen, aber Sie würden mich immer unter den Ja-Sagern finden, wenn ein notleidendes Bundesunternehmen, ein unter Konjunktur- oder Strukturschwierigkeiten leidendes Bundesunternehmen eine Kapitalaufstockung braucht, unter der Voraussetzung, daß diese Kapitalaufstockung, die ja innerhalb weniger Wochen auf dem legal vorgesehenen Wege erfolgen kann, der Zustimmung des Parlaments unterbreitet wird. Nur darum geht es, um sonst nichts! ({21}) Hier haben ja SPD-Funktionäre - auch leitende Mitglieder dieses Hauses, die es eigentlich besser wissen müßten, Herr Kollege Junghans - und Betriebsräte eine ganz fadenscheinige, unglaubliche parteipolitische Hetze betrieben. Weil wir die Unrechtmäßigkeit der Methode angeklagt haben, hat man uns des Versuchs bezichtigt, Arbeitsplätze bei Salzgitter zerstören zu wollen. ({22}) Fahren Sie nur mit diesem Stil nicht fort! Der Öffentlichkeit wurde bei all diesen - ({23}) - Herr Kollege Wehner, ich habe es nicht so gut gehört, aber ich könnte schon eine Antwort darauf geben. ({24}) --- Ach so, Herr Sauer ist ja Ihr Experte. ({25}) Herr Kollege Wehner, in Zukunft müssen Sie damit beim Wissenschaftlichen Dienst beim Bundestag und nicht beim Kollegen Sauer ansetzen, der nicht so bedeutsam ist. Es geht dabei um die Rolle; Sie wissen, was ich meine. Der Offentlichkeit wurde vorgegaukelt, alles sei unabweisbar und unvorhersehbar gewesen, die Einholung eines Parlamentsbeschlusses sei nicht möglich gewesen. Ich darf an einen weiteren Posten erinnern, Herr Kollege Schäfer: Der VIAG, die schon seit 1969 Kapitalerhöhungen beantragt hatte, wurde schon im Juni 1973 vom Finanzministerium eine Kapitalzuführung für das Jahresende in Aussicht gestellt. Wenn das 1969 beantragt wird und sie 1973 die Zusage erhält, kann kein Mensch sagen, daß keine Möglichkeit bestanden hätte, in einem verfassungsmäßig und rechtlich einwandfreien Verfahren diese Kapitalaufstockung vorzunehmen. ({26}) Im August 1973 wurden ausweislich der Aktenvermerke des Finanzministeriums sogar weitere Gespräche darüber geführt. In einem hausinternen Schreiben vom 25. September 1973 heißt es für die VIAG wörtlich: „Eventuell Ende 1973 außerplanmäßige Kapitalzuführung möglich, Höhe offen." In einer hausinternen Vorlage vom 29. Oktober 1973 wird über ein Telefongespräch mit der Haushaltsabteilung berichtet, daß die VIAG „als Anwärterin für 100 Millionen DM aus Überschußmitteln für 1973 gemeldet sei". Das war zwei Monate vor der angeblich unvorhergesehenen, zur Abwendung von Schaden bestimmten, unabweisbaren Zahlung. Das alles ist nur ein kurzer Auszug aus der Beweisaufnahme in Karlsruhe. Der als Zeuge vernommene zuständige Beamte berichtete wörtlich - so steht es im Protokoll -: In einer Niederschrift in bezug auf ein anderes Bundesunternehmen, das ebenfalls Bundesmittel im Wege einer außerplanmäßigen Ausgabe erhalten hat und das auch Gegenstand der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes ist, wird ausgeführt, es sei in Aussicht gestellt, das einem Unternehmen im Dezember gegebenenfalls auf die Weihnachtsliste zu setzen. Wir werden also im Haushaltsrecht den neuen Terminus technicus der „Weihnachtsliste" einführen müssen, Geschenke, die Hoheit selbst verteilen. ({27}) Das ist eine Rückkehr zu kurfürstlichen Zeiten: Hoheit verteilen Weihnachtsgeschenke. ({28}) Hoheits Rechnungen sind nicht immer richtig, Hoheits Behauptungen sind meistens falsch. Aus einer ganz anderen Weihnachtswunschliste hat der Finanzminister, der damals Helmut Schmidt hieß, wie Sie wissen, nach seinem Gutdünken unter Ausschaltung des Parlamentes bestimmt, wer was an Zuwendungen erhalten sollte, wobei der wahre Grund für die Nacht-und-Nebel-Aktion darin bestand, die Haushaltslage zu frisieren, sowohl die damaligen offenen wie die heimlichen Steuererhöhungen zu rechtfertigen, d. h., die Ausgaben für 1973 künstlich zu erhöhen, für 1974 künstlich zu senken und damit eine künstlich frisierte Zuwachsrate von 1973 auf 1974 ausweisen zu können. So wird das ausschließliche Recht des Parlaments, über die öffentlichen Mittel zu verfügen, mißachtet, wenn ein Politiker mit der autoritären Selbstherrlichkeit eines Helmut Schmidt an der Spitze steht. So wird mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen, wenn Sozialdemokraten regieren, die vom Geld meistens nur so viel verstehen, daß sie es von anderen Leuten haben wollen, um es für ihre Wahlpropaganda ausgeben zu-können. ({29}) Die durch die Haushaltsrechtsreform eindeutig geklärte Rechtslage und zugleich die festgestellten, soeben durch wörtliche Zitate erhellten Begleitumstände der Nacht-und-Nebel-Aktion 1973/74 lassen nur den einen Schluß zu: Der damalige Finanzminister und heutige Kanzler Helmut Schmidt hat vorsätzlich die Verfassung gebrochen und vorsätzlich die Verfassung gebrochen und vorsätzlich die verfassungsmäßigen Rechte des Deutschen Bundestages mißachtet. ({30}) Das Urteil selbst enthält keine ausdrückliche Schuldfeststellung; aber wenn die Urteilsgründe, über die, wie man hört, Satz für Satz abgestimmt wird, gleich an mehreren Stellen feststellen, die Voraussetzungen des Art. 112 hätten „handgreiflich" oder „offensichtlich" nicht vorgelegen, so läßt sich hieraus entnehmen: Auch nach der Einschätzung der unabhängigen Richter steht an der Spitze dieser Regierung ein Politiker, der nachweislich vor dem vorsätzlichen Bruch der Verfassung nicht zurückgeschreckt ist. Die Verantwortung und die Folgen müssen Sie, Herr Bundeskanzler, persönlich und politisch tragen. Das ist ganz offensichtlich auch die Auffassung Ihrer Kabinettskollegen, besonders die Auffassung Ihres jetzigen Bundesfinanzministers, der sich vielleicht erst jetzt unter dem Druck der Debatte unter Umständen zu einer Art Pflichtübung und Pflichtbilligung bewegen läßt, der sich aber bisher aus wohlerwogenen Gründen wohlweislich von der öffentlichen Stellungnahme zurückgehalten hat. Der ganze Vorgang ist ein Beweis, Herr Bundeskanzler, Ihres zwiespältigen Demokratieverständnisses. ({31}) Je mehr der Staat die materielle Gestaltung des öffentlichen und privaten Lebens beeinflußt, um so notwendiger ist der peinlich genaue Umgang mit Verfassung und Gesetz. ({32}) Sie reden vom mündigen Bürger, wollen aber in einer Art neuen Sonnenkönigtums den technischen Staat verkörpern, der alles tut, was er kann, und der an Stelle der Frage der Rechtmäßigkeit nur die selbstherrlich bestimmte Richtigkeit des eigenen Tuns zum Maßstab des Handelns macht, ({33}) eine neue Variante des L'état c'est moi - der Staat bin ich, in dem Falle: der Etat bin ich. ({34}) Es wundert dann nicht, wenn der Sprecher der Bundesregierung auf die Frage, ob dem Bundeskanzler das Urteil peinlich sei, erwiderte, es sei ihm seinerzeit peinlich gewesen, von der Klage zu hören. ({35}) Ich möchte jetzt hier nicht ,auf die Rolle gewisser Sprecher des Bundespresse- und Informationsamtes zurückkehren. Das würde den Rahmen meiner Rede aus Zeitgründen überschreiten. Lohnend wäre es. ({36}) Aber, dem Bundeskanzler sei es peinlich gewesen, von der Klage zu hören, kann heißen: Seine Majestät waren indigniert, von der Klage zu hören. ({37}) Das ist so eine Mischung aus Serenissimus und Ipsissimus, ein Typ, zu dem bekanntlich auch die Hofnarren gehören, die hier zur Rechtfertigung tätig geworden sind. ({38}) - Also der Ausdruck des Herrn Grünewald, der Bundeskanzler sei peinlich berührt gewesen, als er von der Klage erfuhr, und meine Bemerkung dazu, daß Seine Majestät indigniert waren, von der Klage zu hören, das ist also nach Ihrer Auffassung schon nicht einmal mehr in der Meinungsfreiheit des Parlaments, einen Tatbestand zu würdigen, enthalten. ({39}) Zu ,der Peinlichkeit dieser Vorgänge gehört auch die Prozeßverschleppung durch den Bundesfinanzminister. ({40}) Die Prozeßführung des Bundesfinanzministers in Karlsruhe bestand vor allem in dem Versuch der Prozeßverschleppung, ({41}) damit über die bereits im Juni 1974 eingereichte und Anfang 1975 begründete Klage erst nach der Bundestagswahl im Oktober 1976 verhandelt und entschieden wurde. Der Bundesfinanzminister setzte sich über die vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Fristen einfach hinweg. Erst wiederholte Ermahnungen durch das Gericht veranlaßten ihn zur Abgabe seiner Stellungnahme. In seinem Verzögerungsbestreben schreckte er auch nicht vor Kleinkariertheit und objektiv unwahren Angaben zurück. Er behauptete zur Begründung eines Fristverlängerungsantrages, die Antragsbegründung sei erst am 16. April 1975 zugegangen. In Wirklichkeit erhielt er sie einen Monat vorher. Aber große Herren kümmern sich um solche Kleinigkeiten ja nicht mehr. Erst zehn Tage vor der mündlichen Verhandlung bestellte er einen Anwalt als Prozeßbevollmächtigten. Vor dem Verfassungsgericht offenbarte die Argumentation der Regierungsvertreter angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme unverkennbar Hilflosigkeit. Das ganze Verhalten bewies deutlich das von Anfang an bei den Eingeweihten vorhandene Bewußtsein der objektiven Schwere des Verstoßes und der subjektiven Schuld des heutigen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat heute morgen von Wählerbetrug gesprochen. Auch dieser Vorgang der Prozeßverschleppung ist ein Stück Wählerbetrug und Wählertäuschung gewesen. ({42}) Es wäre trotz der Schwierigkeit der Materie ohne weiteres möglich gewesen, ein Urteil noch vor dem 3. Oktober 1976 zu erreichen, wenn die Bundesregierung es gewollt und wenn sie ein sauberes Gewissen gehabt hätte. ({43})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit Vergnügen, Herr Staatssekretär.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Westphal heiße ich, Herr Kollege Strauß. Habe ich richtig verstanden, daß die Opposition ein halbes Jahr gebraucht hat, um die Klage überhaupt einzureichen, und ein Dreivierteljahr, um sie zu begründen?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Klage ist sofort eingereicht worden. ({0}) - Die Klage ist im Sommer 1974 eingereicht worden. ({1}) - Entweder lassen Sie mich ausreden oder nicht. Wenn Sie mich nicht ausreden lassen, brauche ich Ihre Frage nicht zu beantworten. Die Klage ist - ich habe die Unterlage jetzt nicht hier -- etwa im Juni 1974 eingereicht worden. ({2}) Sie ist noch 1974 eingereicht worden. Das ist eine ungewöhnlich schwierige Materie, gerade für uns als Opposition. ({3}) Sie haben die Riesenapparate, Ihre aufgeblähten Führungsstäbe. Wir haben nur wenige Mitarbeiter. ({4}) Wir haben unseren Gutachter mehrmals gebeten, die Erstellung des Gutachtens zu beschleunigen. Es ist aber dann eineinhalb Jahre vor den Bundestagswahlen das Material auf dem Tisch gewesen. ({5}) Wenn die Bundesregierung das geringste Interesse gehabt hätte, hätte sie das Urteil vor dem 3. Oktober 1976 bekommen können - dann aber mit dem Ergebnis, daß sie heute auf den Oppositionsbänken und nicht mehr hier oben säße. ({6}) Weil Sie, Herr Staatssekretär Westphal, offensichtlich Terminsachverständiger sind: Waren es auch übergeordnete zwingende Gründe, die dazu geführt haben, daß der hessische Ministerpräsident Osswald fünf Minuten nach Schließung der Wahllokale zurückgetreten ist? ({7}) Wir wissen doch heute, daß die Solidarhaftung sämtlicher Sparkassen den Schaden tragen muß, der unter seiner Aufsicht in einer Höhe von 3 Milliarden DM entstanden ist. Auch das ist ein Stück Filzokratie, das gespielt worden ist, und das zum Schaden sämtlicher Sparkassen des Bundesgebietes so, wie gezeigt, abgewickelt worden ist. Man hat ganz genau gewußt, daß Herr Osswald zurücktreten mußte. Aber man hat den Bürgern die Wahrheit vorenthalten. Fünf Minuten nach Schließung der Wahllokale durfte er zurücktreten, vorher nicht. Das ist ebenfalls ein Stück Wählerbetrug. ({8}) War es nicht ein Wählerbetrug - wie Herr Kohl heute früh feststellte - wenn man bis zum 3. Oktober 1976 die finanziellen Fragen der Rentenversicherung als ein „Problemehen" darstellte und denjenigen, die dieses „Problemehen" rechtzeitig aufgegriffen haben, Verunsicherung der alten Leute vorwarf, sie als unchristliche Angstmacher denunziert und diffamiert hat und gegen sie mit bis ins Metatheologische reichenden Phrasen wie „Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen" zu Felde gezogen ist? War das nicht auch ein Stück Wählerbetrug, Irreführung alter Leute? ({9}) Von der verfassungswidrigen Verschwendung von Steuergeldern zur Verbreitung von Parteipropaganda, zum Teil aber auch von objektiven Unwahrheiten ist schon gesprochen worden. War es nicht Wählerbetrug, den Rücktritt Arendts so zu manipulieren, daß vor der Wahl des Bundeskanzlers die Wahrheit nicht bekanntwerden durfte? Vor der Wahl hat man ausgewiesen, er werde bleiben, weil er sein Amt untadelig und richtig geführt habe. Dann hat man ihn mit Schimpf und Schande davonziehen lassen. Ist das nicht auch eine Irreführung der Öffentlichkeit gewesen? ({10}) Das nächste Stück Wählertäuschung im Zusammenhang mit dem 3. Oktober 1976 wird demnächst enthüllt werden müssen, wird aber durch zahlreiche Verschleppungsmanöver in die Sommerpause gelegt werden - in der Hoffnung, daß man es bis zum Herbst wieder vergessen haben wird. Zu diesen Wählertäuschungen, Herr Bundeskanzler, gehören aber auch die ständigen Unwahrheiten über die Ursachen unserer wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Probleme, die ständige Irreführung der Öffentlichkeit „über den bevorstehenden", „sich abzeichnenden", „nicht mehr aufzuhaltenden", „mit unheimlicher Wucht spürbaren", „bald zur Gegensteuerung nötigenden", „in vollem Umfang eingetretenen" wirtschaftlichen Aufschwung, mit dem man sich doch den Wahlsieg bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 1975 erschlichen hat. Daher tritt der Bundeskanzler die Wahrheit. Er verletzt sie. Er vertritt seine Argumente oft so, wie sich andere die Füße vertreten. ({11}) Er hat mit seiner Partei ein gerüttelt Maß an Schuld, wenn die Glaubwürdigkeit des parlamentarischen Systems Schaden genommen hat, wenn Gesetz-, Beamten- und Staatsverdrossenheit merklich zugenommen haben, wenn sich die parteipolitische Polarisierung im öffentlichen Dienst und in der Bundeswehr laufend verstärkt hat, wenn Kungeln statt Kontrolle, Verfilzung statt Kompetenz, Vertuschung statt demokratischer Offenheit die Parteiendemokratie in Verruf gebracht haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundeskanzler hat auf die vom Verfassungsgericht getroffene Entscheidung und auf die vom Kollegen Kohl und mir in der Pressekonferenz erhobenen schwerwiegenden Vorwürfe zunächst geschwiegen. Er ließ durch seine Domestiken antworten, wie es hohe Herren eben zu tun pflegen. Die Reaktion war peinlich. Er ließ durch seinen stellvertretenden Pressesprecher eine schnodderige, eben schon erwähnte Stellungnahme abgeben. Er ließ sich zwei Tage später unter massivem Druck aus Koalition, Partei und Öffentlichkeit zu einer öffentlichen Erklärung herab. Man hörte kein Wort des Bedauerns, keine korrekte Hinnahme des verfassungsrichterlichen Verweises, sondern Ausflüchte, Hinausreden auf andere, die auch nicht anders gehandelt hätten, gewissermaßen nur ein Plädoyer für mildernde Umstände. Mit fadenscheinigen Gründen versuchte er zu rechtfertigen, weshalb er, der sonst wahrlich keine Gelegenheit ausläßt, im Bundestag Regierungserklärungen abzugeben, sich in dieser bedeutsamen Frage der sofortigen Diskussion im Bundestag entzogen hat. Und - das steht einwandfrei fest - er hat falsch zitiert. Er hat zitiert, was gar nicht im Urteil stand. Sie versuchten, Herr Bundeskanzler, die Öffentlichkeit glauben zu machen, das Verfassungsgericht habe Ihnen bescheinigt, im Vertrauen auf die frühere Staatspraxis gehandelt zu haben. Diesen Hinweis haben auch Sie, Herr Kollege Schäfer, heute mehrmals in den Mund genommen: den Hinweis auf frühere Staatspraxis. Sie haben behauptet, Herr Bundeskanzler, das Urteil spreche auf den Seiten 39 und 40 von langjähriger Staatspraxis, die Sie sozusagen nur nobel fortgesetzt hätten, und führe auf Seite 64 wörtlich aus, daß die Bundesregierung im Vertrauen auf eine vieljährige Praxis seit dem Bestehen der Bundesrepublik ge2554 I handelt habe. Was Sie hier bei Ihrer Erwiderung gesagt haben, ist eine glatte Unwahrheit, ({12}) ist einfach falsch. Nachdem Sie tagelang Zeit hatten, sich mit der Materie zu befassen, kann ich das nur als bewußte Unwahrheit - wofür hier ein anderes Wort gebracht werden müßte - kennzeichnen. Das Urteil spricht - hören Sie genau zu, Herr Kollege Schäfer - von einer früheren Staatspraxis. Aber auf den Seiten 39 und 40, auf die Sie sich berufen, - ({13}) - Sie sind auch nicht Bundeskanzler. Ich habe Sie angeschaut und Helmut Schmidt gemeint. Das ist ein Fehler, das weiß ich. ({14}) - Ich habe nur gesagt, Sie sollen Obacht geben. Auf den Seiten 39 und 40 - und woanders finden Sie es ja nicht; also geht es auch Sie an - geht es nicht um die Anwendung des Art. 112, sondern um Art. 111, um die verspätete Verabschiedung der Jahreshaushalte. Dies allein rügt das Verfassungsgericht an dieser Stelle unter Bezugnahme auf die frühere Staatspraxis. Es rügt, daß der Haushalt im Durchschnitt der Jahre mit einer annähernd halbjährigen Verspätung verabschiedet wurde. Auf der Seite 64 des Urteils geht es wiederum nicht um außer- und überplanmäßige Ausgaben, sondern um die interne Information der Bundesregierung. Wenn hier von früherer Staatspraxis gesprochen werden darf, dann muß klipp und klar festgestellt werden, daß das Verfassungsgericht, wenn es von früherer Staatspraxis spricht, ausschließlich unter Berufung auf früher wie heute gerügt hat, daß die Haushalte zu spät verabschiedet worden sind und daß der Bundesfinanzminister es versäumt habe, seine Regierung, das Kabinett über über- und außerplanmäßige Ausgaben rechtzeitig zu unterrichten. Daß das Gericht frühere außer- und überplanmäßige Ausgaben in seiner Urteilsgründung kritisiere, Ihr Handeln, Herr Bundeskanzler, nur als Fortsetzung des früheren Handelns bezeichnet habe und Sie demgemäß das Recht hätten, sich auf frühere Staatspraxis zu berufen, ist schlechterdings eine bewußte Unwahrheit, die Sie hier widerrufen sollten. ({15}) Auch wenn Professor Eschenburg - manchmal schläft auch Homer - und ein am Urteil beteiligter Bundesverfassungsrichter das gleiche behauptet haben, so ist dies aus dem Urteil weder dem Wortlaut noch dem Sinne nach zu entnehmen. Meine Bemerkung heute morgen über Dr. Zeidler war hart gemeint. Sie haben das Verfassungsgericht allgemein kritisiert, Herr Kollege Schäfer, daß es so hart an der Grenze seiner Kompetenz spazierengehe und darüber hinausgehe. ({16}) Ich bin durchaus der Meinung, Herr Kollege Schäfer, daß man das, was Sie gesagt haben, ernst nehmen soll. Ich bin durchaus der Meinung, daß man die Frage, wieweit das Verfassungsgericht über die Verfassungsrechtsprechung hinaus auch Verfassungspolitik zu gestalten hat, einmal objektiv an Hand der Praxis der letzten Jahrzehnte prüfen sollte. Darüber gibt es keinen Zweifel. Es sollte aber auch keinen Zweifel darüber geben, daß es ungewöhnlich ist - ich will nicht von Verletzung der Richterpflichten, wohl aber von einer Verletzung der in Richterkreisen üblichen Usancen sprechen -, wenn ein am Urteil beteiligter Richter über dieses sein eigenes Urteil im Fernsehen eine Interpretation gibt, die aus dem Text des Urteils gar nicht abzuleiten ist. ({17}) Wenn man dann noch die Begleitumstände persönlicher und politischer Art kennt, wäre es besser gewesen - ich drücke mich noch sehr höflich aus -: Si taxuisses, philosophus mansisses. Dies an die Adresse des Herrn Zeidler. Diese Art Mohrenwäsche hat Helmut Schmidt nicht genützt, sondern geschadet. ({18}) Herr Bundeskanzler - ich sage das nicht in polemischer Bissigkeit -, Sie sind schon fähig, alles zu sagen und zugleich das Gegenteil von allem. Wer die Blütenlese Ihrer Ausführungen kennt, der findet darin für alles einen Beweis und gleichzeitig einen Gegenbeweis. Sie weigern sich, sich als Sozialist zu bekennen, und sagen, Sie seien Sozialdemokrat. Sie sagen dann aber anschließend, Sie könnten beides nicht voneinander unterscheiden. Das ist ja gerade die Schwierigkeit Ihrer Position. ({19}) Man sagte früher, Friedrich Ebert habe nie gelogen. Man sagte - nicht zuletzt im Hinblick auf das, was ich von Williy Brandt über die Rechte und Freiheiten nach einigen Jahren CDU/CSU-Herrschaft gehört habe -, daß er in wesentlichen Punkten nicht die Wahrheit sagt. Bei Helmut Schmidt muß man leider feststellen, daß er den Unterschied zwischen beidem nicht immer einwandfrei feststellen kann. ({20}) Es gibt keine Entschuldigung mit der Praxis der Vergangenheit. Ich muß mich hier kurz fassen, Herr Kollege Schäfer. Die Beispiele, die Sie heute aufgeführt haben, sind nicht als Vergleich oder zur Rechtfertigung oder zur Entlastung des heutigen Bundeskanzlers und früheren Bundesfinanzministers anführbar. Nur die Kürze der Zeit und der Umfang der hier vorzulegenden Argumentation erlauben es mir nicht, Ihnen das im einzelnen darzulegen. Über einen Punkt sollte es aber keinen Zweifel geben, nämlich daß zwischen dem 31. Dezember 1969 und dem 1. Januar 1970 eine rechtliche Zäsur liegt, daß alle Handlungsweisen, die vor diesem Zeitpunkt liegen, anders beurteilt werden müssen als solche gleicher Art, die nach diesem Zeitpunkt liegen. Das sollte aber um so mehr für den Haushalt 1973 gelten, nachdem Verstöße noch nach der Änderung der Rechtslage im Jahre 1971 und im Jahre 1972 festgestellt worden sind. Auch der Kollege Genscher hat sich in der Fernsehsendung der Äußerung seines Nachbarn Willy Brandt angeschlossen und einfach etwas Falsches gesagt, als er sagte, es sei keine Änderung der Verfassung vom Jahre 1969 auf das Jahr 1970 erfolgt. Ich habe in meinen einleitenden Worten bewiesen, daß zwei Artikel des Grundgesetzes erheblich geändert worden sind, ({21}) um den Regierungen erstens den Zwang aufzuerlegen, sich nicht des Art. 112 bedienen zu müssen, und zweitens um den Regierungen trotzdem die Möglichkeit zu geben, notwendige Ausgaben innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit durch eine einwandfreie parlamentarische Prozedur auch tatsächlich bewilligt zu erhalten. Hier besteht noch ein gewaltiger Unterschied.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie sollte ich Ihnen verweigern, was ich anderen nicht verweigert habe, Herr Kollege Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Würden Sie mir zugeben, daß ich in dieser Fernsehsendung nur gesagt habe, die Verfassung sei insoweit nicht geändert worden, was nicht ausschließt, daß sie in anderer Beziehung geändert worden ist? ({0})

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Genscher, Sie haben am 26. Mai, wenn ich mich auf Herrn Böllings Niederschriften verlassen darf, gesagt: Die von Herrn Kollegen Strauß in bezug genommene Änderung des Haushaltsrechtes hat für das Urteil des Gerichtes keine andere Rolle gespielt, denn das Gericht basiert mit seinem Urteil nur auf dem Grundgesetz, das bekanntlich insoweit damals nicht geändert worden ist. ({0}) Auf das geänderte Haushaltsrecht wird nicht Bezug genommen. Ich möchte Ihnen sagen, Herr Kollege Genscher, daß das Grundgesetz in zwei wesentlichen Artikeln aus diesem Grunde geändert worden ist. Es ist in Art. 110 eine andere Fristenlösung getroffen worden, um unerträgliche Verzögerungen für die Bewilligung notwendiger Ausgaben zu verkürzen und zwar dahin gehend, daß der Bundesrat sich bei Haushalten innerhalb von sechs Wochen und bei Nachtragshaushalten innerhalb von drei Wochen entscheiden muß und daß die Vorlagen nicht hintereinander a) im Bundesrat und b) im Bundestag, sondern gleichzeitig nebeneinander behandelt werden können. Diese Änderung ist doch getroffen worden, um den Finanzminister der Zwangslage zu entheben, daß bei wirklich unvorhersehbaren und unabweisbaren Ausgaben die Gewissensfrage entsteht: Muß ich vom Art. 112 Gebrauch machen? Liegen die Voraussetzungen einwandfrei vor oder nicht? Oder habe ich Zeit, um die verfassungsmäßige und rechtliche Prozedur der Haushaltsbewilligung einzuhalten? Wenn ich mir vor Augen führe: Bundesbahn, VIAG, Kreditanstalt für Wiederaufbau - von Gelsenberg hat nur die Fraktion der SPD gesprochen, nicht wir; Sie haben gleich noch etwas in die Klage mit einbezogen, was bei uns gar nicht darin war; das sei nur nebenbei erwähnt -, so wird doch kein Mensch behaupten, daß z. B. die Finanzlage der Bundesbahn unvorhersehbar war - nach dem, was der Kollege Leber uns schon im Jahr 1967 von der Sanierung der Bundesbahn im Falle der Annahme des Leber-Plans erzählt hatte. Kein Mensch wird angesichts der vorliegenden schriftlichen Unterlagen und der Beweisaufnahme beim Verfassungsgericht behaupten, daß die Geldüberweisung an die VIAG und an die Kreditanstalt für Wiederaufbau sozusagen wie ein vom Himmel gefallener Zwang als Folge der Ölkrise auf den unschuldigen Finanzminister herabgeprasselt sei. Ich weiß, daß Sie gern an Ihrem Kollegen Helmut Schmidt Mohrenwäsche begehen. Aber in diesem Fall reicht nicht einmal Ihr Persil aus. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr, mit Vergnügen!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Herr Genscher!

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Strauß, die Tatsache, daß Sie selbst auf Art. 110 Bezug nehmen, ermutigt mich zu der Frage, ob Sie nicht doch zugeben wollen, daß der materielle Inhalt von Art. 112 nicht geändert worden ist. ({0}) Darauf bezog sich mein Wort „insoweit".

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Genscher, ich muß Ihnen leider nochmals widersprechen. Sie mögen den Art. 112 allein gemeint haben. ({0}) Aber sie haben davon gesprochen, daß das Verfassungsrecht einschlägig nicht geändert worden ist. Hier muß ich Ihnen widersprechen: Das Verfassungsrecht ist einschlägig geändert worden, und zwar in Art. 110, um die Notwendigkeiten, von Art. 112 Gebrauch machen zu müssen, drastisch einschränken zu können, und in Art. 112 mit dem Hinweis auf ein Bundesgesetz, dem auch Sie zugestimmt haben. Dieses Bundesgesetz ist doch verbindliches Recht, und aus diesem Bundesgesetz geht eindeutig hervor, wie eng der Spielraum für die Frage der Inanspruchnahme des Art. 112 für über- und außerplanmäßige Ausgaben nach der neuen Rechtslage geworden ist. ({1}) Ich habe in der Schule gelernt, Herr Kollege Genscher, daß die Sophisten, eine pseudowissenschaftliche Sekte, der Sie, nach den letzten Ausführungen zu urteilen, ziemlich nahestehen müßten, zwar im Altertum gerühmt wurden, daß sie gute Redner seien und aus weiß schwarz, aus schwach stark und aus stark schwach machen könnten; aber nicht einmal ein bedeutender Sophist des Altertums hätte versucht, hier bei dieser Vorgeschichte und bei dieser Rechtslage einen ähnlichen Reinwascheversuch vorzunehmen, wie Sie es getan haben. ({2}) Auch die von der CDU/CSU regierten Länder bieten keine Anhaltspunkte dafür - höchstens das Land Hessen; damit sind wir wieder beim Thema. Dort hat die hessische Regierung das „unvorhersehbare" Defizit - der Fall Helaba ist ja auch sozusagen über Nacht entstanden - zum Teil dadurch ausgeglichen, daß das hessische Kabinett zur Dekkung des Helaba-Gesamtschadens von 3,050 Milliarden DM unter Inanspruchnahme der Prädikate „unvorhersehbar" und „unabweisbar" 300 Millionen DM gespendet hat. Das ist nunmehr Gegenstand einer Klage der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag. Was ist hier nicht alles unvorhersehbar und unabweisbar! Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Reaktion der Koalitionsfraktionen zeugte und zeugt auch heute noch, wenn man sie Zeile für Zeile liest, von einem schlechten Gewissen. Die Tatsache, daß man in die Rechtfertigung gleich Ausgaben einbezogen hat, die gar nicht Gegenstand der Klage gewesen waren, etwa die Zahlungen an Gelsenberg, beweist, wie sehr man sich von den Gesamtzahlungen unangenehm überrascht gefühlt hat. Dabei geht es - ich möchte diese Hintertür niemandem offenlassen -- nicht um die Frage der Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit. Man mag über alle diese Zahlungen hinsichtlich des Zeitpunkts und der Größenordnungen diskutieren. Daß diese Zahlungen für die Bundesbahn, diese Zahlungen für Bundesunternehmungen und auch Zahlungen für die Kreditanstalt für Wiederaufbau ihren guten Sinn haben können, hat doch niemand von uns bestritten. Wir bestreiten aber eines: Wenn parlamentarische Demokratie überhaupt noch einen Sinn hat, dann kann es doch nicht den Monarchen neuer Art obliegen, dieselben Hoheitsrechte für sich in Anspruch zu nehmen, die in der Zeit der absoluten Monarchie von den Monarchen in Anspruch genommen wurden. ({3}) Es gibt in der preußischen Geschichte, der bayerischen Geschichte, der württembergischen Geschichte, der badischen Geschichte, der kurhessischen Geschichte usw. eine Fülle von Beispielen. Ich bitte zur Vereinfachung des Verfahrens die Frau Präsidentin, zu genehmigen, daß die von mir beabsichtigten Ausführungen über historische Parallelen sozusagen als Dokumentation zu Protokoll genommen werden, ohne daß ich sie hier vortragen muß; sie sind ein wichtiger Beitrag zur Beleuchtung des Werdegangs des Budgetbewilligungsrechts des modernen Parlamentarismus. ({4}) - Herr Kollege Wehner, wir wollen lieber nicht über unser beiderseitiges Verhältnis zum Parlamentarismus reden! Darum steht Ihnen hier kein Spott zu. Es gibt allerdings Systeme, in denen man das Recht der Budgetbewilligung durch ein vom Volk gewähltes Parlament auch heute noch nicht kennt. Aber das Budgetbewilligungsrecht ist das Wesen des Parlamentarismus gewesen. Und die Liberalen waren, solange sie liberal waren, die ersten Vorkämpfer dafür ({5}) im Kampf gegen die absolute Monarchie und gegen Willkür in der Budgetbewilligung. Man kann wirklich nicht sagen, daß Friedrich der Große oder bayerische Könige oder Kurfürsten Geld für überflüssige Zwecke oder unnötig oder sinnwidrig ausgegeben hätten. Sie haben das Geld für die Schlösser von Sanssouci und Potsdam und in Bayern für die königlichen Schlösser - ohne parlamentarische Bewilligung - ausgegeben. Gut; das ist eine historische Epoche. Sie, Herr Bundeskanzler, sind mit Ihrer Praxis aber in die Zeit des Übergangs von der absolutistischen Monarchie zur konstitutionellen Monarchie zurückgefallen. ({6}) Es paßt nicht zur Rolle eines Bundeskanzlers, der mit reformverzücktem Blick nach vorn schaut, Methoden anzuwenden, die schon vor hundert Jahren in den Parlamenten aufs schärfste angegriffen wurden, obwohl es damals keine eindeutige Rechtslage gab. ({7}) -- Ich bedaure, daß der Kollege Günther Müller nicht mehr in der SPD ist; denn er hat Ihnen gelegentlich historischen Nachhilfeunterricht gegeben. ({8}) Seit Sie bloß noch von Gesellschaftskritik besessen und von Gesellschaftslehre zerfressen sind und bloß noch von Gesellschaftsverbesserung träumen - wenn auch mit dem Ergebnis, daß Sie jeweils das Gegenteil erreichen -, haben Sie von historischen Werdegängen, Zusammenhängen und Schwerpunkten offensichtlich überhaupt keine Ahnung mehr. Das ist bedauerlich. ({9}) Von jedem Bürger wird erwartet, daß er die Gesetze bis zu den Vorschriften über das Parken und das Anlegen von Anschnallgurten peinlich genau befolgt. Je nach Schwere der Vergehen kommen auf den kleinen Mann oft die größten Sanktionen mit jahrelangen Rechtsverfahren und bürokratischen Ordnungsverfahren zu. Wie können Sie, meine Damen und Herren von den beiden Regierungsparteien, künftig noch Respekt vor Gesetz und VerfasStrauß sung erwarten, wenn Sie überhaupt nicht bereit sind, aus einem Spruch des höchsten deutschen Gerichts über das verfassungswidrige Verhalten eines Mannes, der jetzt Bundeskanzler ist, Konsequenzen zu ziehen? Ich verstehe, daß sich bei Ihnen die Schwerpunkte geändert haben und daß aus einer Steuerdebatte ein Überlebenspsalm der Regierung und Ihrer Koalition geworden ist. Aber daß Sie das Verhalten des ehemaligen Bundesfinanzministers und heutigen Bundeskanzlers rundherum schlechterdings rechtfertigen, spricht dafür, daß es Ihnen nur mehr um das Image eines längst zerstörten Verhältnisses zwischen der Regierung und Ihrer Koalition und nicht mehr um Recht und Liberalität in einem modernen Verfassungsstaat geht. ({10}) Wir haben in der vorigen Woche erlebt, daß Abgeordnete der Koalition es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren zu können glaubten, einer von der Regierung selbst vorgeschlagenen Steuerentlastung zuzustimmen. Wir haben auch gesehen, welche Strichliste der Kollege Wehner aus diesem Anlaß geführt hat, damit es gerade noch reichte, damit das Gewissen in diesem Zusammenhang richtig dosiert wurde. Ich habe heute mit großer Rührung von Ihnen, Herr Kollege Schäfer, vernommen, daß der Bundeskanzler bereit sei, dieses Urteil zu respektieren. ({11}) - Ja, außer Zweifel stehen heute auch das Datum und der Ort, wo wir uns befinden. Sie haben dreimal in Ihrer Rede betont: ({12}) Die Bundesregierung wird dieses Urteil respektieren. Also hat sie bisher die Verfassungsrechtslage nicht respektiert. Sie versichern jetzt, daß sie nunmehr bereit sei, die Verfassungsrechtslage zu respektieren. Denn das Verfassungsgericht hat nicht etwas geklärt, sondern etwas bestätigt, was schon längst vorher geklärt war. ({13}) Hier und heute stehen wir vor einer weit schwerwiegenderen Gewissensfrage. Hier geht es nicht um die Parteiräson, hier geht es um die Verfassung unserer parlamentarischen, auf Gewaltenteilung gegründeten Demokratie. Der Bundeskanzler hat bei Übernahme seines Ministeramtes den Amtseid geschworen, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen. Er hat nicht nur gegen die Verfassung verstoßen. Er ist auch leichtfertig mit diesem Eid umgegangen. Denken Sie bei Ihrem Abstimmungsverhalten daran: Wird der Mißbilligungsantrag aus Gründen der Parteiräson abgelehnt, unterliegt nicht die Opposition, sondern das Parlament als Ganzes! ({14}) Ein Erfolg des Mißbilligungsantrags ist ein Erfolg des Parlaments. Eine Ablehnung des Mißbilligungsantrages ist eine Ablehnung wirklich parlamentarischer Kontrolle der Ausgaben der Bundesregierung und ein Erfolg obrigkeitsstaatlichen Denkens auf diesem Gebiet. Es war erschreckend, von einem Vertreter Ihrer Fraktion zu hören, daß zwei Ausgabenprozeduren rechtlich gleichwertig nebeneinanderstehen: einmal das Bewilligungsrecht des Parlamentes - mit Nachtragshaushalt - und zum anderen das Bewilligungsrecht auf Grund des Art. 112 des Grundgesetzes. Es zeugt von einer Verkümmerung der parlamentarischen Substanz, des parlamentarischen Gewissens und der parlamentarischen Ernsthaftigkeit, wenn das wirklich Ihre Meinung wäre. ({15}) Eine Ablehnung unseres Antrages zur Mißbilligung ist eine Billigung eines bewußten Verstoßes gegen die Verfassung. Die Entscheidung sollte nicht verfälscht werden, indem man sie zu einer Art Überlebens-Metaphysik der heutigen Regierung oder zu einer Beistandstheologie der die Regierung weniger tragenden als ertragenden Koalition denaturiert. Der Bürger weiß ganz genau, daß zur Liberalität des Staates die Kontrolle seiner Machthaber durch das Parlament gehört. Darum und nur darum geht es hier und heute bei dieser Entscheidung. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich darf nur zur Kenntnis geben, daß schriftliche Einlassungen nach der Geschäftsordnung nicht möglich sind, so daß ich Ihre Bemerkungen leider nicht entgegennehmen kann, Herr Strauß. Das Wort hat Herr Abgeordneter Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann nicht finden, daß die eifernde und maßlose Rede des Kollegen Strauß eine angemessene Antwort auf das war, was der Kollege Schäfer hier heute vormittag zu dem Gegenstand vorgetragen hat, ({0}) der Ihrem Mißbilligungsantrag zugrunde liegt. Ich höre, daß der Bundesjustizminister sich in rechtlicher Hinsicht noch äußern wird. ({1}) Ich möchte, da ich zu Recht mit angesprochen worden bin, drei Bemerkungen machen. Erstens, meine verehrten Kollegen von der Opposition, finde ich, daß es der geschichtlichen Wahrheit wegen zu empfehlen gewesen wäre, Ihren Antrag umzuformulieren, und zwar etwa wie folgt: „Der Deutsche Bundestag spricht den früheren Bundsfinanzministern Schäffer, Etzel, Dahlgrün, Starke, Strauß, Möller usw. seine Mißbilligung aus." ({2}) Zweitens kann ich ausdrücklich bestätigen, woran der Kollege Strauß hier erinnert hat, daß ich in einer Fernsehdiskussion, von der ich auch nicht weiß, ob es wirklich eine Diskussion war - da stimmen wir einmal überein -, festgestellt habe: Jawohl, damals ist der Bundesfinanzminister zu mir gekommen, hat mir von seinem Vorhaben berichtet. Ich habe das für richtig gehalten. Die Zweckmäßigkeit ist damals, übrigens auch jetzt, von Herrn Strauß, nicht in Frage gestellt worden. ({3}) Ich räume Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition ein, daß Ihnen eine Mißbilligung des derzeitigen Bundeskanzlers effektvoller erscheint als die Aufdeckung des wahren Sachverhalts. Sie erwecken mit Ihrem Antrag den Eindruck, als handle es sich bei dem von Ihnen mißbilligten Vorgang um etwas Einmaliges, etwas Neuartiges. Das ist eben nun wirklich nicht wahr. Damit betreiben Sie eine Irreführung der Offentlichkeit. ({4}) Drittens. Natürlich ist es richtig, daß sich das Bundesverfassungsgericht mit einer Verfassungspraxis befaßt hat, die es seit Gründung der Bundesrepublik gegeben hat und ({5}) die in ihrem Inhalt auch nicht durch die Haushaltsreform verändert worden ist. ({6}) Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht zum erstenmal eine Interpretation von Art. 112 des Grundgesetzes gegeben. Der Bundesregierung liegt damit eine insoweit authentische Auslegung der in dieser Bestimmung verwendeten Rechtsbegriffe „unvorhergesehen" und „unabweisbar" vor. Meines Erachtens wäre es in dieser Situation Sache der Opposition, sich gemeinsam mit der Mehrheit und gemeinsam mit der Regierung um Modalitäten über die künftige Handhabung des Haushaltsrechts zu bemühen. Der Entscheid des Bundesverfassungsgerichts enthält vielerlei Hinweise für die künftige Praxis. Für die Opposition mag es mühsam sein, sich hier mit der Regierung zur sachlichen Zusammenarbeit zusammenzufinden. Offenbar soll der Offentlichkeit hier ein Schaulaufen vorgeführt werden. Sie werden nicht erwarten, daß wir uns daran beteiligen. ({7}) Aber eine Fußnote muß ich dann doch noch anbringen, auch wenn sich Herr Strauß eben mehr mit monarchischen Zusammenhängen ({8}) oder, wie er meint, geschichtlichen Bezügen befaßt hat. Herr Kollege Strauß hat, als er gemeinsam mit Herrn Kohl zu dem Vorgang, mit dem wir uns jetzt befassen, eine öffentliche Stellungnahme abgegeben hat, nicht so dahingeredet, sondern - wie später schwarz auf weiß zu lesen war - das Verhalten des heutigen Bundeskanzlers mit dem Verhalten von Juntageneralen verglichen. Nun, Herr Strauß, ich gebe zu, mit Ihrem Sachverstand auf diesem Gebiet kann ich nicht konkurrieren. ({9}) Sie haben Juntageneralen bzw. Juntaobristen Ihre Aufwartung gemacht, während wir den Unterdrückten zu helfen versucht ({10}) und im Rahmen unserer Möglichkeiten uns darum bemüht haben, daß die Kräfte der neuen Demokratie im Süden unseres Kontinents zum Durchbruch kommen konnten. ({11}) Im übrigen, wenn ich auf Herrn Kohl und dessen Rede heute vormittag zurückkommen darf, scheinen Sie zu glauben, daß Sie aus Berichten und Gerüchten unterschiedlicher Art Hoffnungen schöpfen können, was den Zusammenhalt der Sozialdemokratischen Partei und die Zusammenarbeit in der Koalition angeht. Da müssen wir Sie enttäuschen. ({12}) Was die Koalition angeht - ich kann natürlich nicht für die Kollegen von der FDP mitsprechen, aber für uns Sozialdemokraten gilt das -, so geht uns das so: Wenn wir uns manchmal fragen sollten, wie wir in einer loyalen Zusammenarbeit zwischen zwei unterschiedlichen Parteien über die eine oder andere schwierige Geschichte hinwegkommen, dann helfen Sie uns durch Ihre Reden wie die heute vormittag und wie die nach der Mittagspause immer wieder dabei, die Antwort zu finden. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Brandt, Sie haben mich soeben angesprochen. Ist das Zitat, das ich verwendet habe, falsch? Es stammt von einer Redakteurin, die Ihrer Partei angehört und die es heute in einer großen deutschen Tageszeitung niedergeschrieben hat. Ich zitiere: Wie gestern zu hören war, fühlt sich Brandt an Wehners Äußerung vor deutschen Journalisten in Moskau im September 1973 erinnert, als Wehner den damaligen Kanzler Brandt hart kritisierte. Mehr habe ich nicht gesagt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, eine Zwischenfrage - wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf - stellt man zu etwas, was der Redner ausführt. Ich komme noch auf das, worauf Sie jetzt schon warten. ({0}) Was die SPD angeht: Wir haben unsere Probleme ({1}) - jawohl -, wir haben unsere Schwierigkeiten, und mit denen werden wir fertig werden. Darauf können Sie sich verlassen. ({2}) Ich brauche jedenfalls keinen Beifall aus der falschen Ecke. So schön wird die SPD nie werden, daß sie den Beifall von Herrn Strauß bekommen könnte. ({3}) Sie_ mögen hier reden und anderswo anstellen, was Sie wollen: Die Einheit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und ihrer Bundestagsfraktion, die sachliche Übereinstimmung zwischen Partei- und Fraktionsführung werden Sie nicht aufbrechen. ({4}) Das haben andere schon versucht. Daran sind schon andere gescheitert. ({5}) - Ja, das macht Ihnen keinen Spaß. Aber das hilft ja nichts. Sie werden mich eine Stunde anhören müssen, so wie wir Herrn Strauß angehört haben. ({6}) Und wenn Sie auf Meinungsverschiedenheiten zwischen Herbert Wehner und mir anspielen: Zunächst möchte ich Ihnen - zusätzlich zu dem, was man dieser Tage sonst in den Zeitungen lesen kann - eine Neuigkeit mitteilen. Sie können mit Sicherheit davon ausgehen, daß es, noch bevor diese Woche zu Ende gegangen sein wird, ein weiteres Geheimtreffen zwischen Wehner und Brandt gegeben haben wird. Die Journalisten behaupten sogar, es werde demnächst auch ein Geheimtreffen zwischen Herrn Kohl und Herrn Strauß stattfinden. ({7}) Scherz beiseite! Es gibt zwischen Herbert Wehner und mir keine Meinungsverschiedenheit, die uns in der gemeinsamen Überzeugung und Aktion behindert, daß es zu der sozialliberalen Koalition für unser Volk, für Europa und für die unentbehrliche aktive Rolle in der Fortsetzung der Entspannung keine Alternative gibt. ({8}) Das bedeutet, daß ich mit Herrn Kohl sogar in einem Punkt übereinstimme, denn auch für uns ist die Große Koalition keine Alternative. Wir schreiben 1977 und nicht 1966. Auch die Sommerzeit lädt uns nicht dazu ein, diesem auf Deutschland abgewandelten „Ungeheuer von Loch Ness" noch weitere Betrachtungen zu widmen. ({9}) Der Bundeskanzler kann sich auf seine Partei und seine Fraktion verlassen. ({10}) Herr Kohl hat heute vormittag so viel von Verantwortung des Bundeskanzlers gesprochen: Der Bundeskanzler ist verantwortlich - jawohl -, wenn wir heute in der Welt nicht ohne Neid betrachtet werden; dafür ist er z. B. verantwortlich. ({11}) Wer dem Bundeskanzler die Gesamtverantwortung so anlasten will, wie Sie, Herr Kollege Kohl, der zeichnet ihn für die Stellung aus, die die Bundesrepublik Deutschland heute international hat, zumal wir, die Koalition, dies gegen Ihren Willen durchsetzen mußten. Insofern gratuliere ich zu Ihrem Eigentor heute vormittag. ({12}) Unsere Freunde in allen Teilen der Bundesrepublik wissen und sollen es an diesem Tag von dieser Stelle aus erneut bestätigt bekommen: ({13}) Man darf sich durch allen möglichen Unsinn, der unter die Leute gebracht wird, nicht verwirren lassen, ({14}) sondern man kann sich darauf verlassen, daß wir unserer freiheitlichen und sozialen Verantwortung gerecht werden oder - frei nach Kant - daß wir unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit tun. ({15}) Meine Damen und Herren, ich frage mich: Herr Kollege Kohl und Herr Kollege Strauß, wenn man sich, wie ich gleich noch einmal darlegen werde, in den letzten Jahren so geirrt hat, wie die Führer der Union, woher nimmt man dann den Mut, auch heute wieder voller Selbstgerechtigkeit gegen die Bundesregierung und die sie tragende Koalition zu Felde zu ziehen? Woher nimmt man diese Selbstgerechtigkeit? Die Voraussagen der Opposition über die wirtschaftliche Entwicklung haben doch, wie mancher auch aus Ihren Reihen anderswo als in diesem Saal zugibt, eben nicht gestimmt. ({16}) Der Zusammenbruch der Staatsfinanzen, von dem Herr Strauß seit 1970 spricht, oder auch der Zerfall der Währung, von dem damals zu sprechen begonnen wurde, ist doch nicht eingetreten, und eigent2560 lich müßten Sie froh sein, daß Sie unrecht bekommen haben, meine Damen und Herren. ({17}) Eigentlich dürften Sie auch nicht traurig darüber sein, daß Ihre pessimistische Fehleinschätzung der europäischen Dinge durch den tatsächlichen Gang des Geschehens widerlegt worden ist; denn das ist es doch: Wir haben uns hier noch vor zwei Jahren anhören müssen, daß unsere Freunde, denen wir in Portugal und Spanien halfen, Verbündete der Kommunisten seien und daß dort Volksfrontregierungen entstünden. Sie haben sich geirrt, so wie Sie sich mit dieser falschen Alternative erneut irren, Herr Strauß, hier werde in den kommenden Jahren - möglicherweise schon im nächsten Jahr bei den Direktwahlen zum Europäischen Parlament - zwischen Europa und Volksfront entschieden. Nein, entschieden wird über die Einheit Europas oder die Isolierung der Bundesrepublik Deutschland; ({18}) denn mit wem wollen Sie denn Europa bauen, wenn Sie all denen eine Absage erteilen, denen Sie in diesen letzten Jahren eine Absage erteilt haben? ({19}) Gegenüber dem Vorgang von Helsinki von vor zwei Jahren befanden Sie sich in einem Zustand der Isolierung, den ich nicht „vornehm" nennen kann. Es war ja keine volle Isolierung; die kleine Gruppe der italienischen Neofaschisten und die albanischen Kommunisten waren ja auch noch dagegen; das muß ich zugeben. ({20}) Inzwischen deutet Herr Professor Biedenkopf an, daß er das für einen falschen Weg gehalten hat. Ich kann bisher nicht erkennen, daß Herr Biedenkopf schon die erforderliche Zustimmung seiner Fraktion gefunden hätte; das zeigte Ihr Text zum 17. Juni, ich meine den von Herrn Strauß redigierten Text des Herrn Kohl, den Herr Zimmermann vorgelesen hat. ({21}) Wenn man sich diesen Text noch einmal vor Augen hält, ({22}) wird einem doch relativ rasch klar, daß es Ihnen außerordentlich schwerfällt, die beschwörenden Schlagworte hinter sich zu lassen und mit uns und anderen an einer Politik zu arbeiten, die lebenden Menschen konkrete Hilfe bringt. ({23}) Die Herren Strauß und Kohl mögen reden, was sie wollen; sie sind die Vorsitzenden von Parteien der großen Irrtümer. ({24}) Ich möchte - ähnlich wie Herr Strauß es eben aus seiner Sicht getan hat - zunächst noch zu dem Vorgang zurückkehren dürfen, der uns hier am vergangenen Donnerstag beschäftigt hat. Es war gut, daß Herr Kollege Porzner heute früh zu Beginn der Sitzung noch einmal festgehalten hat, gegen was alles Sie sich in der vorigen Woche in namentlicher Abstimmung entschieden haben. Das mußte festgehalten werden. ({25}) Man kann demjenigen kaum widersprechen, der gesagt hat, Sie hätten auch für die Abschaffung der Kirchensteuer gestimmt, wenn Sie gemeint hätten, der Bundesregierung damit Schwierigkeiten bereiten zu können. ({26}) Ich sage: Wer einem so kümmerlichen Opportunismus frönt, ({27}) braucht sich hier nicht als Retter des Vaterlandes aufzuspielen. ({28}) Das ist auch mein Kommentar zu dem Tatbestand, daß sich die CDU der Forderung der CSU gebeugt hat, den Verteidigungshaushalt abzulehnen. Und, Herr Kollege Kohl, lassen Sie sich trotz Ihrer Begründung - sie klang gequält genug - in aller Offenheit sagen: Weder die Bundeswehr noch das Bündnis haben dieses taktische Spiel verdient. ({29}) Dem bei anderen Gelegenheiten strapazierten deutschen Ansehen in der Welt wird damit kein Dienst, jedenfalls kein guter Dienst erwiesen. Das Ansehen Deutschlands in der Welt ist nicht etwas, wofür nur die Regierung verantwortlich zeichnet, aber die Opposition darf nicht so tun, als könne sie sich über die unbestreitbaren Aktiva der Regierungspolitik aus bloßer Lust an der Polemik hinwegsetzen. Das geht nicht. ({30}) Bleiben wir noch einen Augenblick bei dem Vorgang der letzten Woche. Die große Mehrheit unseres Volkes hat mit Befriedigung aufgenommen, daß die Regierung Schmidt /Genscher weiterarbeiten kann. ({31}) Dies ist - ich habe mich davon überzeugt - z. B. die Meinung des größten Teils der Betriebsräte in unserer Bundesrepublik. Dies ist, wie viele von Ihnen durchaus wissen, auch die Meinung einer beträchtlichen Zahl von Unternehmern in der Bundesrepublik Deutschland. ({32}) Sie wissen nämlich, was die Opposition dieses Hauses nicht wahrhaben will, daß dieses Land nicht nur ordentlich und gewissenhaft, sondern mit Erfolg regiert wird, ({33}) zumal wenn man den Erfolg mit dem vergleicht, was andere Länder in dieser Situation für ihre Bürger darzustellen vermögen. ({34}) Außerhalb unserer Grenzen ist natürlich aufmerksam beobachtet worden, ob es gelingen würde, die Bundesregierung aus den Angeln zu heben. Wichtige Partner haben bei gebotener Zurückhaltung in der Offentlichkeit aus ihrer Besorgnis keinen Hehl gemacht. ({35}) Unsere Partner in mehr als einer Himmelsrichtung wissen nämlich - nicht erst seit Helmut Schmidts Teilnahme am Londoner Gipfeltreffen oder Hans-Dietrich Genschers Besuch in Moskau -, was die Bundesrepublik Deutschland unter sozialliberaler Führung für die Stabilität in diesem Teil der Welt, nicht zuletzt auch für die Auseinandersetzung mit den weiterwirkenden weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten bedeutet. ({36}) Wir erleben es immer wieder: Diejenigen, die in diesem Hause für die Opposition sprechen, möchten klüger als alle anderen zusammen sein. Die Vermutung spricht dagegen, daß sie recht haben. Es fällt Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, immer noch außerordentlich schwer, nicht nur die Lage in der Welt und in Europa, sondern auch die Verhältnisse im eigenen Land objektiv zu beurteilen. ({37}) Es fällt Ihnen nicht weniger schwer, losgelöst von Gruppeninteressen an dem mitzuarbeiten, was geboten ist, und statt vom Betrug zu reden, das zu würdigen, was für die Alten und für die breiten Schichten auch bei veränderten ökonomischen Daten an solider Arbeit geleistet wird. Ich spreche jetzt bewußt von der Konsolidierung der Alterssicherung und von der notwendigen Kostendämpfung im Gesundheitswesen. ({38}) Wenn in einem CDU-Entwurf zur Beschäftigungspolitik Punkte enthalten sind, die Herrn Strauß nicht passen, dann stigmatisiert er diese Punkte erst einmal als sozialdemokratisches Gedankengut. Wer weiß, was aus weltwirtschaftlichen Gründen noch auf uns zukommen kann und durch strukturellen Wandel jedenfalls auf uns zukommen wird, wer demzufolge erkennt, daß es einer beschäftigungspolitischen Gesamtorientierung bedarf, der darf nicht mit ideologischen Scheuklappen, wie heute früh mit dem durch nichts in diesen Zusammenhang passenden Schlagwort vom Dirigismus, ans Werk gehen. Diejenigen, die heute keinen Arbeitsplatz finden, und diejenigen, die in den nächsten Jahren in einer Größenordnung von 2 Millionen zusätzlich auf dem Arbeitsmarkt erscheinen, wollen nicht mit Theorien abgespeist werden, egal, ob sie konservativen, liberalen oder sozialistischen Ursprungs sind. ({39}) Die Menschen wollen wissen, ob sich die Kräfte der Wirtschaft und der öffentlichen Verantwortung miteinander darum bemühen, daß es neue, gute, möglichst sichere, zukunftsorientierte Arbeitsplätze gibt. Dabei muß man der Regierung helfen. Dabei darf man sie auch mit den Schlagworten von zuviel Staat nicht im Stich lassen. Sie haben in einem anderen Zusammenhang den Orientierungsrahmen der deutschen Sozialdemokraten zitiert, Herr Kohl, der Ende 1974 in Mannheim beschlossen wurde. ({40}) - Das weiß ich wohl, ich muß nur bezweifeln, daß Sie jemals hineingeguckt haben. ({41}) Deshalb möchte ich zu dem Punkt, zu dem Sie sich äußern, ohne sich sachkundig zu machen, aus dem Abschnitt 2.4.8 mit Erlaubnis der Frau Präsidentin folgendes vorlesen: Die wachsenden Anforderungen der Gesellschaft an den Staat bergen die Gefahr in sich, die Leistungsfähigkeit des Staates zu überfordern und eine bürokratische Ausweitung des Staatsapparates zu erzeugen, dessen Kosten unerträglich wachsen und dessen Effektivität noch immer weit hinter den gesellschaftlichen Anforderungen zurückbleibt. Ich darf einen nächsten Passus hinzufügen: Ohne gesellschaftliche Strukturreformen, die die Fähigkeiten und Bereitschaft der Gesellschaft zur Selbstregulierung und zur Selbsthilfe nutzen und stärken, droht uns eine Entwicklung, in der wachsende lähmende soziale Konflikte nur noch durch den Staat reguliert werden können, der zur Durchsetzung seiner Ziele eines wachsenden Apparates bedarf. Herr Kollege Kohl, was Sie zu diesem Gegenstand hier heute morgen dargelegt haben, geht also am wirklichen Stand der Debatte vorbei. Warum bauen Sie hier solche Türken auf? ({42})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl? - Bitte, Herr Dr. Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Brandt, sind Sie bereit zuzugeben, daß ich heute früh dieses Zitat überhaupt nicht gebraucht habe, ({0}) daß ich den Sozialdemokraten Professor Sontheimer über Ihren Orientierungsrahmen zitiert habe, ({1}) und sind Sie weiter bereit zuzugeben, daß Sie im Augenblick den Eindruck erwecken, ich hätte ein falsches Zitat gebraucht? ({2})

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das Protokoll wird etwas anderes ausweisen. Natürlich habe ich registriert, wen Sie zitiert haben, Herr Kollege Kohl; ich habe nur gesagt: das, was Sie über zuviel Staat gesagt haben und uns anhängen wollen, steht in krassem Widerspruch zu dem, was die sozialdemokratische Partei beschlossen hat. Das habe ich darlegen wollen. ({0}) Ich bin - ich darf es noch einmal sagen - für eine beschäftigungspolitische Gesamtorientierung. Ich bin gegen den Defaitismus, als ob wir die jeweils vorhandene Menge Arbeit nur anders zu verteilen hätten. Ich bin gegen die Resignation, als ob nicht viele neue Aufgaben auf uns warteten im Innern und von außen, und ich weiß, daß wir Wachstum nötig haben, wie wir auch Leistung brauchen. Dann müssen wir aber - ich sage es noch einmal, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen - die Scheuklappen und die Voreingenommenheiten beiseite tim; dann müssen wir bereit sein, auch neue Modelle zu prüfen und neue Methoden der Zusammenarbeit zu erproben. ({1}) Das hat dann alles auch mit Vertrauen zu tun. Herr Kohl hat hier im Januar - am 21. Januar war es, glaube ich - davon gesprochen, daß der Vertrauensschwund in der Wirtschaft überwunden werden müsse, und Herr Strauß hat kürzlich - vor einem guten Monat - im Bayerischen Rundfunk nicht wiederholt, daß alles erst noch schlimmer werden müsse, sondern er hat gesagt - ich zitiere wörtlich -: „Arbeit wäre genug da, wenn in der Wirtschaft das nötige Vertrauen vorhanden wäre." ({2}) Erstens ist das nun so einfach nicht; denn die Menschen in unserem Land haben sich Gott sei Dank überwiegend nicht verrückt machen lassen durch alle mögliche Propaganda in diesen Jahren. ({3}) Aber zu dem, was doch dran ist: Warum gehen wir dann insoweit nicht aufeinander zu, um unabhängig von allem, was sonst umstritten ist, Unsicherheit zurückzudrängen, unberechtigtes Mißtrauen abzubauen, Zuversicht zu vermitteln, neues Vertrauen zu begründen? ({4}) Ich habe hier gesagt - und ich meine uns alle miteinander, ich meine gewiß auch die Kollegen der Opposition -: Ihr Ehrgeiz sollte sich nicht darin erschöpfen, die Bundesregierung madig zu machen und fiktive Rechnungen aufzustellen, sondern Sie sollten sich, wie wir es auch tun, selbst prüfen. ({5}) Ich sage noch einmal: Wenn es wahr ist, daß wir wirtschaftlich trotz allem besser dastehen als fast alle anderen Staaten, wenn es wahr ist, daß unsere Währung zu den härtesten Währungen der Welt gehört, wenn es wahr ist, daß unser Netz der sozialen Sicherheit intakt gehalten werden konnte, wenn es wahr ist, daß sich unser Volk im ganzen nicht hat vom Wege der Vernunft abbringen lassen: Was eigentlich hindert die Unionsparteien daran, nicht als Partei der Rechthaberei und des polemischen Starrsinns dastehen zu müssen oder dies zu bleiben? ({6}) Daß Unbehagen an politischen Parteien festzustellen ist, das ist schon fast eine Binsenwahrheit geworden. Dafür gibt es, glaube ich, viele Gründe. Der am tiefsten liegende ist nach meiner Auffassung der, daß sich unser Staat, unsere Gesellschaft, andere Staaten, andere Gesellschaften in einer Entwicklung befinden, in der viele alte Rezepte nicht mehr wirken, in der sich alte Strukturen verändern, in der sich neue Strukturen nur mühsam entwickeln und erst noch undeutlich sichtbar werden. In meiner Partei drückt sich das in einer Unruhe aus, in der wir versuchen, uns den neuen Fragen zu stellen. Das ist schwer, für die Offentlichkeit zuweilen verwirrend. Aber die SPD ist auch in diesem Punkt ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und unseres Volkes, jedenfalls wesentlicher Teile der Gesellschaft und des Volkes ({7}) - wie Sie es auf Ihre Weise sind -, jener Gesellschaft, jenes Volkes, in dem wir leben, in der und in dem auch die neuen Fragen diskutiert werden. Ich gebe gerne zu, Herr Kollege Kohl, daß diese Meinungsbildungsprozesse für Parteien - für meine muß ich es jedenfalls bestätigen - zuweilen sogar schmerzhaft sind. Ich kann auch nicht verhindern, daß Sie das gegen uns ausnutzen. Aber in zwei Punkten können Sie ganz sicher sein, Herr Kollege Kohl: Erstens. In diesen geistigen Auseinandersetzungen um die neuen Fragen, um die Fragen der Zukunft, zum Teil schon der ganz nahen Zukunft, wird die SPD am Ende stärker werden. Wenn Sie, Herr Kollege Kohl, so souverän wie bisher die Empfehllungen Ihres bisherigen Generalsekretärs Biedenkopf mißachten und derartige geistige Auseinandersetzungen scheuen, dann wird Ihre Partei vielleicht geschlossener erscheinen, aber schwächer werden. ({8}) Zweitens. Die Enttäuschung der letzten Woche - für diejenigen, die auf den Sturz der Regierung spekuliert haben - wird sich in dieser Woche wiederholen, zumal heute, wenn über die parlamentarische Vogelscheuche abgestimmt wird, weil die Opposition nicht Manns genug ist, die parlamentarische Kraftprobe durch ein konstruktives Mißtrauensvotum zu wagen. ({9}) Wann immer Sie es wieder versuchen, können Sie sich Ihre Enttäuschung erneut abholen. Die SPD steht, Fraktion und Partei stehen zu ihrem, zu unserem Bundeskanzler. ({10}) Wenn Sie, Herr Kollege Kohl, in CSU und CDU so viel Rückhalt hätten wie Helmut Schmidt in SPD und FDP, dann wären Sie gefährlicher, als Sie sind. ({11}) Die Opposition malt hier das Bild unseres Staates wieder mal in dunkelsten Tönen. Das ist Ihr gutes Recht. Ob es klug ist, werden Sie eines Tages sicher auch noch einmal prüfen. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind auch heute der Versuchung nicht entgangen, maßlos zu übertreiben. ({12}) Das Bild der Bundesrepublik, das Sie zeichnen, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Ihr Blick - dieses zu sagen, daran liegt mir - ist außerdem zu eng. Und wenn Sie so tun, als ob die Bundesrepublik Deutschland eine Insel des Elends, der Krise und der Unordnung wäre, dann ist dies nicht nur objektiv falsch, sondern Sie laden Schuld auf sich, wenn Sie weiter diese Art von Volksverdummung betreiben. ({13}) Der Oppositionsführer, finde ich, muß viel mehr ins Ausland reisen. ({14}) Denn er hat bisher noch nicht genügend draußen gelernt, Herr Kollege Kohl, ({15}) z. B. von seinen christ-demokratischen und konservativen Kollegen im Norden, Westen und Süden der Bundesrepublik Deutschland. ({16}) Es ist doch einfach nicht zu bestreiten, daß es der Opposition schwerfällt, in dieser Debatte auch nur ein einziges westliches Industrieland vorzuführen, das besser dasteht als die Bundesrepublik Deutschland. ({17}) Und wenn Sie es haben, dann kommen Sie doch hier herauf und legen es heute nachmittag dar. Es hören uns doch viele zu, die dies gerne einmal dargelegt bekommen hätten. Nennen Sie das vergleichbare Land, das besser dasteht in der Ausgewogenheit von Wirtschaft und Finanzen, ja, ich sage sogar: der Beschäftigung, sowenig uns die Arbeitslosigkeit befriedigt, auch hinsichtlich der Teuerungsrate und der sozialen Sicherheit. Wir leugnen doch nicht, daß der Wunsch unserer ausländischen Partner nach mehr Leistungen der Bundesrepublik Deutschland eben mit diesen Tatsachen begründet wird. Wenn Sie diesem Staat einen Dienst erweisen wollen, Herr Kollege Kohl, dann fahren Sie raus und erläutern Sie unseren Partnern, wie schlecht es uns geht. Aber mit den Argumenten des heutigen Vormittags werden Sie sich draußen lächerlich machen. Sie müssen also bessere finden. ({18}) Was der Kollege Kohl heute vormittag verschwiegen hat, ist die Notwendigkeit, den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland klarzumachen, daß dieses Land mehr als jedes andere auf eine Politik der guten Nachbarschaft angewiesen ist, ({19}) nicht nur nach Ost und nach West, sondern auch nach Süden, daß wir in unserer hochgezüchteten Industriegesellschaft nicht leben können und keine Perspektive gewinnen, wenn wir nicht um positives Bewußtsein unserer Menschen werben. ({20}) Es geht der Bundesrepublik Deutschland besser als fast allen anderen Staaten der Welt. Wir werden diesen Spitzenplatz nur halten können, wenn wir den Blick nach draußen richten und bereit sind, unserer erhöhten Verantwortung, unserem gewachsenen Gewicht entsprechend auch zu handeln. Es kann der Punkt kommen, an dem wir die Zuwachsraten nicht mehr allein oder fast allein bei uns verteilen können, sondern unseren Menschen sagen müssen, die dadurch gewonnenen Mittel geben wir für die Entspannung und Milderung von Unterschieden, an denen die Welt explodieren kann, wenn sie nicht abgebaut, wenn sie nicht gemindert werden. ({21}) Wie, Herr Dr. Kohl, wollen Sie von unseren Menschen Opfer verlangen, wenn Sie ihnen einreden, wie schlecht es Ihnen gehe? Was ist das für eine Art, sich den eigentlichen Problemen zu nähern, die nicht nur zwischen Nord und Süd in der Welt stehen, sondern die auch zwischen West und Süd in diesem unserem Europa stehen, an dem wir bauen müssen? ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte jetzt meine Rede zu Ende führen. Mit dieser Art, an die Unzufriedenheit der Menschen zu appellieren, nein, sie zum Teil bewußt unzufrieden zu machen, ({0}) lähmen Sie, Herr Kohl, und Sie, Herr Strauß, die Aktionsfähigkeit und den Handlungsspielraum dieser Bundesrepublik. ({1}) Sie schaden unserem Staat mit dieser Haltung, und Sie werden Ihrer Verantwortung, die Sie als Opposition haben wie wir als Koalition, nicht gerecht. Daß Sie darüber hinaus den Anspruch auf Regierungsfähigkeit selbst dementieren, ist dann gar nicht mehr so wichtig. ({2}) Meine Damen und Herren, ich habe schon gesagt, was sich im Süden Europas verändert, wie sehr Sie sich geirrt haben durch das Eingehen auf den Pessimismus derer, die ihre Uhren seit dem Wiener Kongreß nicht mehr neu gestellt haben, - um einmal bei der Geschichte zu bleiben, Herr Kollege Strauß. ({3}) Worum geht es jetzt? Jetzt geht es doch z. B. darum, wie wir in diesem unserem Europa weiterkommen, ob es möglich ist, ihm die Impulse zu vermitteln, die sich aus direkten Wahlen zum Europäischen Parlament ergeben können. Welches Trauerspiel erleben wir dabei? ({4}) Herr Kohl hat am Montag letzter Woche auf seinem kleinen Parteitag als wesentlichen Beitrag beigesteuert, man müsse mit allen Mitteln - so war es in der dpa-Meldung zu lesen; was das eigentlich heißen soll, würde ich gerne bei anderer Gelegenheit einmal hören -, man müsse mit allen Möglichkeiten verhindern, daß ein deutscher Sozialdemokrat Präsident des Europäischen Parlaments werde. ({5}) Sie brauchen sich erstens meinen Kopf nicht zu zerbrechen. Ich bin nicht beim Bonner Arbeitsamt arbeitslos gemeldet, Herr Kollege Kohl. ({6}) Zwei Tage nach Ihnen hat der Führer der Gaullisten, Chirac, in die abendliche Debatte der Französischen Nationalversammlung dasselbe Argument eingebracht, aber er hat es ergänzt. Er hat gesagt: Das darf nicht passieren, denn der will - der Brandt, von dem Sie sagen, mit allen Mitteln müßte man den hindern; Strauß hat es ein paar Wochen vorher auch schon gesagt - zusammen mit den Ministerpräsidenten in Holland, in Belgien, in Luxemburg und in Italien dem Europäischen Parlament Kompetenzen geben. Der deutsche Bundeskanzler hat in diesen Bemerkungen von Chirac, den ich sonst sehr respektiere - wir kennen ihn ja aus der Zeit, als er Premierminister war -, auch noch eine kleine Schramme abbekommen. Natürlich wollen wir dem Europäischen Parlament Kompetenzen geben! ({7}) Er sagt, dadurch nehme man den nationalen Parlamenten Zuständigkeiten. Es ist doch genau umgekehrt. Seit Jahr und Tag werden den nationalen Parlamenten Zuständigkeiten entzogen. Wir nehmen die Regierungen beim Wort, und dann kann es vielleicht schon im nächsten Jahr zu Wahlen kommen. Wir halten es aber für eine Verhöhnung der Wahlbürger Europas, sie direkt wählen zu lassen und dem Parlament keine Zuständigkeiten zu geben. ({8}) Ich greife das Wort von der Konstituante nicht wieder auf. Aber ich sage, es muß doch jedenfalls darum gehen, daß ein direkt gewähltes Parlament eines der beiden gesetzgebenden Organe der Europäischen Gemeinschaft wird; ich sage nicht, das einzige. Wenn das auch Ihre Meinung ist - ich höre jetzt mal keinen Widerspruch -, dann schadet es auch nichts, daß wir in einer solchen Debatte zum Einzelplan des Bundeskanzlers von ernsten Aufgaben der deutschen Politik sprechen, hier nicht nur Gezänk veranstalten, nicht nur Rechthaberei, nicht nur maßlose Reden, sondern von dem sprechen, wie es zu Hause aussieht und was man draußen in Europa und in der Welt von uns erwartet. ({9}) Die Sozialdemokraten in diesem Hause können die Bundesregierung nur sehr ermutigen, mit ihren konstruktiven Bemühungen nicht nachzulassen, wo es um die Thematik von Belgrad, wo es um die von Wien geht. In der letzten Woche hat das bekannte schwedische Friedensforschungsinstitut erschütternde Zahlen veröffentlicht, die besagen, daß im Jahre 1976 auf der Welt 330 Milliarden Dollar für Rüstungen ausgegeben worden sind, verglichen mit 25 Milliarden für Entwicklungshilfe. Die Zahlen zeigen weiter, daß im Laufe von zwei Jahrzehnten der Anteil der Entwicklungsländer an den Rüstungsausgaben der Welt von 5 auf 15 % gestiegen ist, so daß im letzten Jahr fast genau 50 Milliarden DM an Rüstungslasten in den Entwicklungsländern entstanden sind. ({10}) Ich weiß - und ich hoffe, hier wiederum treffen sich die meisten in unserem Hause, und gerade deshalb schmerzt es mich, daß Sie sich zum Verteidigungsetat so eingelassen haben, wie Herr Kohl das heute früh getan hat -, wir treffen uns mit allen denen in diesem Hause, die sagen, es gibt auf das Problem, von dem ich jetzt spreche, keine isolierte, keine einseitige Antwort der Bundesrepublik Deutschland. Aber ich sage auch, es gibt kaum einen Staat, der so vital wie diese Bundesrepublik daran interessiert sein muß, zu verhindern, daß die Rüstungsspirale nochmal eine Umdrehung nach oben macht, ({11}) sondern daß, gestützt auf die mühsamen Verhandlungen, die im Gange sind, ein stabilisierendes Element, und wenn es geht, sogar ein bißchen mehr als dies, ein deutlich stabilisierendes Element zum erstenmal seit dem Zweiten Weltkrieg in die Landschaft eingeführt wird. Ich möchte mich auf Herrn Kollegen Kohl berufen, nämlich was seine Rede unmittelbar nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Schmidt im Dezember letzten Jahres angeht. Herr Kohl hat damals gesagt, CDU und CSU wollten den Auftrag der Opposition annehmen, ohne Wenn und Aber. Aber, so fügte er hinzu: „Wir sind zur Zusammenarbeit im Interesse unseres Landes bereit." Soweit das Zitat. - Ich habe ihm damals geantwortet: Die Eröffnung des Parlaments biete die Chance, wieder einmal neu anzufangen; in vielen Fragen werde dies ein Gegeneinander sein, aber es gebe eine Basis für ein Miteinander, nämlich die gemeinsame Arbeit an der Evolution, am Vorwärtsschreiten der Demokratie in Europa. Ich habe hinzugefügt, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstehe dieser Pflicht nicht anders als die Opposition. Was wir damals ausgetauscht haben - und da steckte von beiden Seiten ja einiges drin -, ist nun gerade ein halbes Jahr her. Es tut mir leid sagen zu müssen, die Rede, die Herr Kollege Kohl heute vormittag gehalten hat - ich lasse mal das von Herrn Strauß jetzt beiseite, ich beziehe mich dann doch lieber auf die Rede von Herrn Kohl -, vermittelt den Eindruck, als seien seine damaligen Äußerungen nicht sechs Monate, sondern sechs Jahre alt. ({12}) Er mag es geschickt finden, am Anfang einer Legislaturperiode richtige und wichtige Worte zur Rolle der Opposition zu Protokoll des Bundestages zu geben und sich ein halbes Jahr danach nicht mehr daran zu erinnern. Ich finde es deprimierend, daß nichts von dem, was damals gesagt wurde, die politische und die parlamentarische Wirklichkeit geprägt hat, die Ihre Fraktion, meine Damen und Herren von CDU und CSU, seither zu verantworten hat. Es gibt Unsicherheit in unserem Volk. Aber es gibt auch bei vielen die Bereitschaft, sich sachlich, ohne unberechtigte Aufregung und ohne Hysterie jenen Problemen zu stellen, die uns alle gemeinsam bedrängen. Wir, die demokratischen Parteien in dieser Bundesrepublik Deutschland, die wir in einem ständigen Ringen um den Weg der deutschen und der internationalen Politik stehen - was natürlich auch mit Auseinandersetzungen, manchmal mit scharfen Auseinandersetzungen verbunden ist -, haben wohl, wenn wir ehrlich sind, gemeinsam festzustellen, daß heute viele wichtige Fragen außerhalb oder jenseits der Parteien erörtert werden. Manchem von uns Älteren wird im Laufe der Jahre klarer, daß mit noch so guten und vernünftigen Gesetzen allein den Problemen, um die es heute geht, nicht beizukommen ist, nämlich jenen Problemen, die die Bürger einzeln und in Gemeinschaften neuer und alter Art verwirren und manchmal in Formen, die wir ablehnen müssen, beschäftigen und beunruhigen. Auf dem Evangelischen Kirchentag, der jüngst in Berlin stattgefunden hat, konnte man erleben, wie viele Tausende zumal junger Menschen ernst miteinander gerungen haben, wie sie unter dem dortigen Motto „Einer trage des anderen Last" über viele Fragen diskutiert haben: über die Qualität des Wachstums, über die Pflichten gegenüber anderen, auch gegenüber den Menschen in anderen Teilen der Welt, über vieles von dem, was auch unsere Aufmerksamkeit mehr als die bloße Polemik beanspruchen sollte. Bei dieser Begegnung der Menschen in Berlin ist fast kein Thema ausgelassen worden. Der Kirchentagspräsident sagte in seiner Zusammenfassung, er meine, dort seien Zeichen für das gesetzt worden, was er eine Tendenz gegen den allgemeinen Hang zur Unsicherheit, Mutlosigkeit und Unzufriedenheit nannte, die unser Land trotz verhältnismäßig günstiger Bedingungen ebenso wie das übrige Europa heimsuchen. Ich habe den Herrn Simon zitiert. Er sagte bei gleicher Gelegenheit: In einer Zeit, in der der Mut zur Freiheit schwinde, habe man erfahren, das Risiko von Freiheit und Offenheit sei gegenüber dem Gewinn gering. Auch das war ein Kommentar zu „Demokratie wagen" für den, der hinzuhören weiß, Herr Kollege Strauß. ({13}) Es knüpft sich daran die Frage, ob aus dem, was sich dort tat, nicht nur andere in der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft Mut schöpfen könnten. Ich möchte, daß dieser Tag und diese Woche nicht nur Streit und Gezänk vermitteln. Ich möchte, daß wir die ermutigen, die engagiert sind und mit uns mehr Verantwortung übernehmen wollen. Dabei stehen wir fest an der Seite des Bundeskanzlers. ({14})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordneten Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Absicht, in erster Linie auf das einzugehen, was die Kollegen Kohl und Strauß gesagt haben. Der Kollege Kohl sprach heute früh zu Beginn davon, es sei der Geburtsfehler dieser Regierung, daß sie gegen die stärkste Fraktion gebildet worden sei. Herr Kollege Kohl, wir können nur feststellen: wir haben genau den Auftrag erfüllt, den wir von den Wählern erbeten hatten und den uns die Wähler gemeinsam gegeben haben, nichts anderes. ({0}) Wenn Sie allerdings damit andeuten wollten, daß die Mehrheit knapper als vorher ist, dann ist Ihnen offensichtlich gänzlich aus dem Gedächtnis entschwunden, daß Sie noch im Wahlkampf selber gesagt haben, mit einer Stimme Mehrheit wollten Sie regieren - wenn Sie sie bekommen hätten, aber Sie bekamen sie nicht. Herr Kollege Kohl, als Sie das so sagten, hatte ich das Gefühl, dahinter steckte doch ein bißchen der Notschrei einer gequälten Seele. Denn Ihre Fraktion ist ja eine Koalition, nur mit dem Unter2566 schied, daß das Zusammenwirken unter Wahrung eigener Standpunkte oft nicht so reibungslos funktioniert, wie es tatsächlich zwischen SPD und FDP geschieht. ({1}) Sie sprachen davon, es habe sich in der vergangenen Woche gezeigt - weil einzelne Kollegen aus der SPD anderer Meinung waren -, daß die Koalition erpreßbar geworden sei. Welchen Ausdruck wählen Sie dann, wenn ich an die Ablehnung des Wehretats durch die CDU/CSU denke? Müßten Sie da nicht das gleiche von sich sagen? ({2}) Ferner sprachen Sie davon, kaum sei etwas gesagt, dann werde es aus den eigenen Reihen attakkiert. Es ist selbstverständlich, daß auch in den Parteien der Koalitionsfraktionen Auseinandersetzungen um das stattfinden, was man für richtig hält. Nur haben Sie offensichtlich in diesem Augenblick nicht einen Moment daran gedacht, was Sie sich geleistet haben, am Donnerstag genau das Gegenteil von dem zu tun, was Sie heute, am Dienstag, mit dem Steuerpaket veranstaltet haben. ({3}) Das ist doch nun das prächtigste Beispiel dafür, daß Sie sich selber im Handeln widersprechen. Sie sprachen davon, daß das Vertrauen in den Staat geringer geworden sei. Das Vertrauen in den Staat kann man auch zerreden und durch solche Handlungen, wie Sie gerade vom Donnerstag auf Dienstag bewiesen haben, in Frage stellen. Denn was soll der Bürger davon halten: am Donnerstag ein Nein zur Vermögensteuersenkung, am Dienstag Ja zur Vermögensteuersenkung, am Donnerstag Nein zur Gewerbesteuersenkung, am Dienstag Ja zur Gewerbesteuersenkung und so fort. Wissen Sie überhaupt nicht mehr, was Sie wollen? Das ist doch der Eindruck, den Sie hier erwecken. ({4}) Hier wird mit dem, was parlamentarische Aufgabe sein sollte, doch wirklich ein Spiel getrieben, das wir nicht mitzumachen bereit sind. Sie haben mit Recht davon gesprochen, Herr Kollege Kohl, daß die Arbeitslosigkeit ein sehr gewichtiges Problem ist, mit dem wir uns ständig auseinanderzusetzen haben. Nur, Herr Kollege Kohl, das, was wir bisher aus Ihren Reihen gehört haben - mit vielen Variationen -, zeigt doch, daß auch Sie mit der Diskussion noch nicht am Ende sind. Denn es sind nun einmal sehr umfassende, sehr vielschichtige Fragen, die hier zu lösen sind. Wir nehmen das Problem ernst. Aber es wäre gut gewesen, wenn Sie das Ganze etwas differenzierter dargestellt hätten. Es geht eben nicht nur darum, daß, wie mit Recht gesagt wurde, zwei Millionen Arbeitsplätze in den nächsten Jahren gebraucht werden. Es geht auch darum, genauer zu erforschen als bisher, warum auf der einen Seite Arbeitsplätze gesucht werden, auf der anderen Seite aber Tausende, ja Hunderttausende von Arbeitsplätzen unbesetzt sind, niemand in diese Arbeitsplätze hineingeht. Das ist doch eine Frage, die Sie zumindest genauso nüchtern beurteilen sollten, wie wir sie zu prüfen bereit sind. Warum ist in der Statistik ein Teil der freien Stellen nicht enthalten? Sie antworten immer darauf, es hänge davon ab, daß hier mehr Vertrauen gebildet werden müsse. Sie werfen uns vor, wir hätten eine Inflationspolitik getrieben. Herr Kollege Kohl, den Vorwurf der Inflationspolitik kann doch ernsthaft nur jemand erheben, der sich mit der Sache überhaupt nicht befaßt hat. ({5}) Denn von Inflationspolitik kann doch seit Jahren keine Rede mehr sein. Im Gegenteil. Wir sind ja von unseren ausländischen Partnern teilweise gescholten worden, daß wir eine so scharfe Politik gegen die Inflation gemacht haben. Nun hier zu behaupten, wir würden Inflationspolitik treiben, ist doch weiter nichts als Effekthascherei. Ein weiterer Punkt war, wir sollten die Probleme nicht mit kleiner Münze lösen. Damit sind wir völlig einverstanden. Nur: ist etwa das 16-MilliardenProgramm, das diese Bundesregierung, das wir gemeinsam hier behandelt und verabschiedet haben, eine kleine Münze? Liegt es aber nicht daran, daß ein Teil der Länder bis zum heutigen Zeitpunkt noch nicht bereit waren, das, was hier gemeinsam verabredet worden ist, zu unterschreiben, und daß es deshalb bisher nicht in die Tat umgesetzt werden konnte? ({6}) Ist hier nicht ein Ansatzpunkt, wo wir uns alle gemeinsam ohne Rücksicht auf die jeweiligen Koalitionen in den Ländern darum bemühen sollten, das, was wir als Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gemeinsam hier getan haben, auch nach unten so schnell umzusetzen, daß es endlich wirksam werden kann? Das wäre eine Aufgabe, die wir gemeinsam anpacken müßten. ({7}) Herr Kollege Kohl, Sie haben beklagt, daß ein Mangel an Ausbildungsplätzen vorhanden sei. Sie haben gesagt, man müsse die Instrumente, die zur Verfügung ständen, nutzen. Ich kann mich noch sehr genau an die Diskussion erinnern, als die Frage gestellt wurde: Sollen für das Jahr 1977 die gesetzlichen Möglichkeiten, die wir geschaffen haben, ausgeschöpft werden oder nicht? Da war die Meinung, das Angebot an Ausbildungsplätzen werde ausreichend sein, so daß eine Anwendung des Gesetzes in diesem Jahre nicht notwendig sei. Dies wurde nicht zuletzt aus Ihren Reihen gesagt. Bin ich falsch informiert, wenn ich daran erinnere, daß beispielsweise die steuerliche Berücksichtigung, die bei diesem Instrument, nämlich bei der möglichen Abgabe, eine Rolle spielt, bis heute beim Bundesrat, bei Ihren Ländern nicht die Gegenliebe gefunden hat, die notwendig wäre, um überhaupt die Voraussetzung zu schaffen, daß dieses Instrument angewendet werden kann? Haben Sie nicht wieder einmal über etwas geklagt, aber selbst durch Ihr praktisches Handeln die Möglichkeiten, die wir vielleicht, zwar nicht in diesem Jahr, aber im nächsten Jahr, einsetzen müssen, dann wieder behindert? Dies ist doch ein Widerspruch in sich. Sie haben davon gesprochen, diese Koalition habe keine Kraft zur wirklichen Sanierung unserer sozialen Systeme und die Opposition habe die bessere Lösung. Wir sind ja gern bereit, über jeden Alternativvorschlag, der in sich geschlossen ist, der langfristige Lösungen bringt, in aller Ruhe und Nüchternheit zu diskutieren. Aber wo ist dieser Vorschlag? Alles, was Sie bisher gebracht haben, alles, was bisher veröffentlicht wurde, wurde, wenn es eine Konzeption hatte, sofort in Ihrer Partei wieder in Frage gestellt. Das heißt: es war nicht ausdiskutiert. Wenn es dann bis hierher ins Parlament kam, waren es Palliativmittelchen, die zu keiner langfristigen Lösung führen. Wir sind gespannt darauf, wann Sie diese Vorschläge auf den Tisch legen. Nur, eins wird durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Wenn Sie dieser Regierung, dieser Koalition vorwerfen, vor der Wahl die Dinge zu günstig dargestellt zu haben, dann frage ich mich immer wieder - und Sie können keine Antwort darauf geben -: Warum haben Sie als erste die 10%ige Erhöhung der Renten garantiert und gleichzeitig gesagt, daß das System ansonsten gesichert sei? Das ist doch ein Widerspruch, den Sie bis heute nicht aufgelöst haben. ({8}) Sie haben davon gesprochen, daß es darum gehe, die Ertragskraft der Unternehmen zu stärken. Sie haben mit Recht davon gesprochen, daß es notwendig sei, für die kleinen und mittleren Unternehmen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie bestehen könnten, daß mehr Chancen für das Selbständigwerden eröffnet werden müßten. Nur, in dem Moment, als diese Koalition mit der Senkung der Vermögensteuer solche Voraussetzungen schafft, sagen Sie nein. Das war wieder einmal ein Blattschuß erster Güte, durch den die Logik auf der Strecke blieb. Wie Sie es überhaupt am laufenden Band fertigbringen, die Logik mit Blattschuß zu erledigen. Ihre Verhaltensweise ist ein Widerspruch in sich. Sie haben davon gesprochen, wir würden uns nicht genügend gegen die Veränderung unseres Ordnungssystems wenden. Das ist völlig falsch. Die Freien Demokraten haben immer klar zu dieser Sozialen Marktwirtschaft gestanden, sie haben diese Marktwirtschaft verteidigt. Aber wir sind in unserer Auffassung nie steril gewesen, sondern haben die notwendigen Folgerungen, die sich aus der allgemeinen Entwicklung ergaben, bei unseren Entscheidungen berücksichtigt. Dabei wird es auch in Zukunft bleiben. Sie, Herr Kohl, haben davon gesprochen, daß ein neuer Kurs notwendig sei. ({9}) Ich möchte nur einmal wissen, was für ein Kurs das sein soll. Ist es etwa der Kurs, von Donnerstag auf Dienstag die Meinung zu ändern? Ist es der Kurs, der auf der einen Seite fordert: die Instrumente müssen genutzt werden, auf der anderen Seite aber die Voraussetzungen für die Instrumente verweigert? Ist es der Kurs, der grundsätzliche Lösungen fordert, dann aber nicht in der Lage ist, in Form eines Gesetzentwurfes diese grundsätzlichen Lösungen einzubringen? Einen solchen Kurs können wir nicht gebrauchen. Davor werden wir die Menschen in diesem Lande bewahren. Wir werden die Mehrheit, die wir haben, behalten und gemeinsam nutzen. ({10}) Sie haben gesagt, es sei eine Gegensteuerung notwendig. Das ist offensichtlich die andere Bezeichnung für den Kurswechsel. Sie haben davon gesprochen, daß durch das Kostendämpfungsgesetz Sozialisierung durch die Hintertür praktiziert werde. ({11}) - Ich kann nur sagen, Herr Kollege Franke, wenn Sie wieder „jawohl" rufen: Ich bin einmal gespannt, ob Sie am Ende dieser oder in der nächsten Woche immer noch „jawohl" rufen. Wir haben mit diesem Kostendämpfungsgesetz Sozialisierung weder durch die Hintertür betreiben wollen noch werden wir sie betreiben. ({12}) Wir werden allerdings eins tun: dafür sorgen, daß alle Beteiligten am Gesundheitswesen - ob Beitragszahler, ob Patienten, ob Ärzte, Apotheker oder Hersteller - gemeinsam dazu beitragen, daß unser Gesundheitssystem finanzierbar bleibt und im Interesse des Patienten so fortschrittlich wie möglich gestaltet wird. Das werden wir allerdings mit diesem Kostendämpfungsgesetz gemeinsam erreichen. Sie haben davon gesprochen, daß durch unseren Gesetzentwurf zum Kriegsdienstverweigerungsrecht die Wehrpflicht ausgehöhlt werde, und haben damit so getan, als höben wir einen Grundsatz des Grundgesetzes durch einen anderen Grundsatz des Grundgesetzes auf. ({13}) Dies ist schlicht falsch. Denn wenn Sie dieser Meinung wirklich wären, dann würden Sie die Kraft dieses Parlaments, das ja jederzeit, wenn sich Gefahren für die Bundeswehr ergeben sollten, die Beschlüsse rückgängig machen könnte, falsch einschätzen. Wir haben mehr Zutrauen zum Deutschen Bundestag, daß er in einer entscheidenden Situation das Richtige tut, als Sie es offensichtlich haben. ({14}) Meine Damen und Herren, in dem Mißbilligungsantrag ist nach den Worten des Kollegen Kohl unterstellt worden, daß ein bewußtes, gewolltes Handeln des damaligen Finanzministers, des heutigen Bundeskanzlers, gegen die Verfassung vorgelegen habe. Das ist mit Sicherheit falsch. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Über die Einzelheiten im Zusammenhang mit dieser Frage hat mein Kollege Hoppe hier ausführlich Stellung genommen. Nur, eines - ich bedauere, daß Herr Kollege Strauß nicht hier ist - hat mich doch merkwürdig berührt. Als Herr Kollege Schäfer über das Ge2568 richtsurteil und eine Stellungnahme des Vorsitzenden Präsidenten sprach, hielt es Herr Kollege Strauß für richtig - ich habe mich an Hand des Protokolls von der Richtigkeit dieses Zwischenrufs überzeugt -, zu sagen, das sei SPD-Kungelei gewesen. ({15}) - Sie rufen: So ist es auch! Haben Sie sich einmal einen kleinen Augenblick überlegt, wie Sie reagiert hätten, wenn wir nach dem Urteil zu § 218 ein ähnliches Wort gesagt hätten? ({16}) Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß Stellungnahmen und Äußerungen aus dem Verfassungsgericht, wenn sie der einen Richtung zugehören, als Kungelei betrachtet werden, wenn sie jedoch der anderen Richtung zugehören und eine Reaktion kommt, als Gerichtsschelte beurteilt werden. Ganz nebenbei: Wenn Sie so schnell mit der Vokabel „Verfassungsbruch" sind, dann kann man ja - ich bekenne das freimütig - als Nichtjurist bald zu der Frage kommen: Sind nun eigentlich die drei Verfassungsrichter, die gegen die Entscheidung gestimmt haben, gegenüber den anderen fünf Verfassungsrichtern Verfassungsbrecher oder nicht? Diese Frage könnte man sich dann ja auch stellen, wenn man hier so vorschnell unterschiedliche Meinungen über die Verfassung als Verfassungsbruch verurteilt, wie es aus Ihren Reihen geschehen ist. ({17}) Daß das Ganze dann zu unhaltbaren Betrachtungen führt, wird an diesem Beispiel deutlich. Herr Kollege Strauß hat am Anfang von „Verfassungsverstoß", später von „Verfassungsbruch" gesprochen. Ich kann nur wiederholen: Das, was über die Folgerungen daraus hier insgesamt zu sagen ist, hat Kollege Hoppe im Detail gesagt. Eines ist allerdings doch unbestreitbar: Für jede Regierung ergibt sich immer wieder die Gefahr, daß sie an die Grenze oder gar über die Grenze der Verfassung hinausgeht; das haben Verfassungsgerichts- und Staatsgerichtsurteile in Bund und Ländern bewiesen. Worauf es ankommt, ist doch dies: ob, wenn ein Urteil gefällt worden ist, nach diesem verfahren wird oder nicht. Der ganze Mißbilligungsantrag hätte dann einen Sinn, wenn nach dem Urteil nicht entsprechend dem Urteil, sondern gegen das Urteil gehandelt worden wäre. Dann wäre das Parlament aufgerufen, gemeinsam seine Rechte wahrzunehmen und sich dagegen zu wehren. Jetzt ist eine Klarstellung erfolgt. Nun hat Herr Kollege Strauß in diesem Zusammenhang von den autoritären Zügen des Bundeskanzlers gesprochen. Daß ausgerechnet Herr Strauß darüber gesprochen hat, war sehr amüsant, aber sonst gar nichts. ({18}) Meine Damen und Herren, es ist davon gesprochen worden, daß dieses Urteil deutlich gemacht habe, welch zweispältiges Demokratieverständnis hier vorherrsche. Dann ist gesagt worden, die Rechtslage sei doch absolut klar gewesen, und dann hat der Kollege Strauß auf die Frage, warum ein halbes Jahr bis zur Einreichung der Klage vergangen sei, gesagt, bei dieser schwierigen Materie habe man diese Zeit gebraucht. - Auch dieses Beispiel zeigt doch wieder, daß selbst während einer Rede des Kollegen Strauß sich widersprechende Standpunkte hervortreten, daß also die Unlogik dabei Pate gestanden hat. Denn entweder es ist eine schwierige Materie, und man hat deshalb so lange gebraucht, um die Klage einzureichen - dann kann ich nicht von vornherein sagen, die Tatbestände sind klar -, ({19}) oder die Tatbestände sind klar. Warum braucht dann die Opposition ein halbes Jahr, um die Klage einzureichen? Eines von beiden stimmt doch nur. ({20}) Dies alles macht doch deutlich - und auch das Zwischenspiel über die Antworten des Bundesaußenministers in einer Fernsehdiskussion haben das deutlich gemacht -, wie man hier versucht, die Dinge zu verschieben. Es ist unbestreitbar, daß 1969 auch der Art. 110 geändert worden ist, aber doch nicht ausschließlich, um damit den dritten Satz von Art. 112 zu erläutern, sondern in erster Linie deshalb, weil wir alle gemeinsam der Meinung waren, daß Haushaltsberatungen - mit dem Weg der Vorlage von der Bundesregierung an den Bundesrat, zurück an die Bundesregierung und dann ins Parlament - zu viel Zeit verstreichen lassen, die wir gebrauchen können, um den Etat rechtzeitiger zu verabschieden. Hier, bei Art. 110, ging es in erster Linie um das Ziel, die Gesamthaushaltsberatungen schneller abzuwickeln. Die Nebenwirkung, die dabei entstanden ist, daß nämlich bei überplanmäßigen Ausgaben auf diesem Wege - in bezug auf den dritten Satz von Art. 112, nach dem das Gesetz das Nähere regelt - die Möglichkeit einer schnelleren Erledigung besteht, ist eine Folgewirkung gewesen. Aber es ist doch nicht so, daß Art. 110 nur wegen des dritten Satzes von Art. 112 geändert worden wäre. Auch dies sollte der Kollege Strauß endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Nun hat er es für richtig gehalten, hier zum, ich hätte fast gesagt, x-undachtzigsten Mal wieder die Helaba einzuführen. Ich verstehe das. ({21}) Nur, eines wäre auch ganz gut: wenn der Kenntnisstand über die tatsächlichen Vorgänge - und die sollten uns doch insgesamt gemeinsam nachdenklich stimmen - etwas besser wäre oder, wenn er vorhanden ist, auch voll ausgesprochen würde. Es wurde heute so getan, als seien die dortigen Kreditbewilligungen den Entscheidungen eines Finanzministers vergleichbar. Beide Dinge haben miteinander überhaupt nichts zu tun. Eines möchte ich hier allerdings noch einmal feststellen: Alle Kreditbewilligungen der Hessischen Landesbank sind durch den sogenannten KreMischnick ditausschuß, in dem zu zwei Dritteln die Kreditinstitute sitzen und nicht etwa die Landesregierung, vorgenommen worden. Das heißt, die Verantwortung für die Vergabe dieser Kredite tragen die Kreditinstitute mindestens genauso wie Vorstände und Verwaltungsrat. ({22}) Dies alles sollte uns aber zum Nachdenken darüber bringen, ob vielleicht die jetzige Verfahrensweise bei den Landesbanken quer durch die Bundesrepublik auf Dauer das Richtige ist, ob die Verantwortlichkeiten derjenigen, die dort sitzen, nicht stärker herausgestellt werden, statt sie dann auf andere Stellen abzuladen. Das ist eine Frage, die uns beschäftigen muß. Das hat doch aber nicht das Geringste damit zu tun, ob ein Finanzminister von Bestimmungen wie den in Art. 112 vorgesehenen Gebrauch macht oder nicht. Das ist nur ein Versuch, hier abzulenken. Dann hat der Kollege Strauß gemeint, er solle oder müsse hier sagen: „die Liberalen, solange sie noch liberal waren ..." Meine verehrten Damen und Herren, wir waren liberal, als der Kollege Strauß das Wort „liberal" kaum in den Mund genommen hat; wir werden noch liberal sein, wenn er es längst wieder vergessen hat. Unsere Liberalität wird sich nicht ändern; da kann er ganz unbesorgt sein. ({23}) Nun ist hier, nachdem dieses manchmal etwas genüßliche Wühlen des Kollegen Strauß in dem Urteil und der Begründung mit allem, was dazu gehörte, beendet war, gesagt worden, wenn man diesem Mißbilligungsantrag nicht zustimme, wende man sich gegen die parlamentarische Kontrolle. Das ist wieder einmal so ein Koboldschlagen, ein Auf-den-Kopf-Stellen oder aber ein bewußtes Falschdarstellen nach draußen, um damit Stimmung zu machen. In Wahrheit geht es darum, daß sich dieses ganze Haus, Koalition wie Opposition, darin einig ist, daß die Rechte des Parlaments gewahrt bleiben müssen und daß daraus die Konsequenzen gezogen werden. Wir sind allerdings nicht bereit, aus einer Feststellung des Verfassungsgerichts über künftige Verfahrensweisen hier einen Schauprozeß zu machen; dies überlassen wir anderen. Wir sind der Auffassung, daß es für uns als Parlamentarier darauf ankommt, in Zukunft die Möglichkeiten, die wir haben, voll zu nutzen. Es kommt aber genauso darauf an, das Verfassungsorgan Regierung mit den ihm in der Verfassung gegebenen Rechten voll funktionsfähig zu halten und nicht etwa diese Rechte, soweit sie im Grundgesetz festgelegt sind, einzuschränken. Wir werden diesen Mißbilligungsantrag ablehnen, weil er nichts weiter als der Versuch ist, auf diese Art und Weise zu demonstrieren, wie gern Sie an der Regierung wären. Wenn Sie wirklich den Mut hätten, einen Mißtrauensantrag einzubringen, ein konstruktives Mißtrauensvotum zu verlangen, dann wäre das eine politische Haltung und Handlung, die Sie als fähig erweisen würde, selbst den Versuch zu machen zu regieren. Daß Sie diesen Versuch nicht unternehmen, beweist erneut, daß Sie selbst gar nicht regierungsfähig sind. ({24})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition hat zu diesem Einzelplan einen Mißbilligungsantrag gestellt. Mit diesem Mißbilligungsantrag und mit den beiden Diskussionsbeiträgen der Opposition vom heutigen Tag wird der Versuch unternommen, den Herrn Bundeskanzler in den Anklagezustand zu versetzen. Es soll der Eindruck erweckt werden, als sei absichtlich, zumindest aber vorsätzlich und schuldhaft gegen das Grundgesetz gehandelt worden. Zu diesem Zweck sind politische, rechtliche, aber leider auch - im Hinblick auf die Ausführungen zu Beginn des heutigen Nachmittags muß ich das sagen - demagogische Argumente vorgetragen worden. ({0}) Ich weiß nicht, was es soll, wenn man bei der Erörterung einer solchen verfassungsrechtlichen Streitfrage einen Zusammenhang mit Nacht- und Nebelaktionen des Dritten Reiches herstellt. ({1}) Nacht- und Nebelaktion des Dritten Reiches bedeutete Tötung und Verschleppung von Menschen durch ein Gewaltregime. Es ist zumindest eine Frage des guten Geschmacks, in einem demokratischen Parlament zwischen diesen Vorgängen und einer Streitfrage unter Demokraten einen Zusammenhang herzustellen. ({2}) Ich weiß auch nicht, ob ausgerechnet der Redner des heutigen Nachmittags legitimiert ist, anderen Parlamentariern die Unwahrheit und die Lüge vorzuwerfen; ich habe Zweifel daran. ({3}) Weiter - auch das gehört in den Bereich der Demagogie - halte ich es zumindest für einen miserablen Stil, in diesem Zusammenhang gegen nicht anwesende Richter, gegen den Präsidenten des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, der sich selbst nicht zur Wehr setzen kann, ehrenrührige Vorwürfe zu erheben, wie es hier geschehen ist. ({4}) Es entspricht durchaus der Tradition des Bundesverfassungsgerichts, seit Höpker-Aschoff über Gebhard Müller bis in die Gegenwart, daß Präsidenten der Senate zu Urteilen Stellung genommen und sich zu Urteilen mit der Zurückhaltung geäußert haben, die für Richter selbstverständlich ist. Ich möchte wissen, ob ein Wort der Kritik daran laut geworden ist - von mir wird diese Kritik nicht geübt -, daß sich der Präsident des Ersten Senates zur Entscheidung zu § 218 in sachlicher und korrekter Weise in Vorträgen geäußert hat. ({5}) Es ist schlechter Stil, einen Abwesenden hier in dieser Art und Weise anzugreifen. Ich bin nicht ressortzuständig; aber im Interesse des Abwesenden weise ich diesen Angriff eindeutig zurück. ({6}) Auf die politischen Argumente des heutigen Vormittags ist bereits geantwortet worden. Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den rechtlichen Argumenten machen. Insgesamt muß ich feststellen, daß sich ein Teil dieser rechtlichen Argumente für mich geradezu als ein Mißbrauch rechtlicher Begriffe und rechtlicher Denkkategorien darstellt ({7}) und daß ein Teil dieser Angriffe der sachlichen Prüfung nicht standhält. Hier ist mit großem Pathos der Bundesregierung „Prozeßverschleppung" vorgeworfen worden. Meine Damen und Herren, ein Blick auf die Daten zeigt, daß der Opposition die Vorgänge im Januar 1974 bekannt geworden sind, daß sie im Juli 1974 die Klage erhoben und nach zweimaliger Mahnung des Bundesverfassungsgerichts schließlich im April 1975 erstmals begründet hat. ({8}) Das ist von der Kenntnis des Tatbestandes bis zur Begründung der Klage ein Zeitraum von 15 Monaten. ({9}) Ich weiß nicht, was auf diesem Hintergrund der Vorwurf der Prozeßverschleppung soll. ({10}) Ich diskutiere nicht auf der Ebene des Herrn, der jetzt auch den Juristen zeigt, wie man eigentlich argumentiert, nachdem er schon dem Oppositionsführer bei jeder Gelegenheit zeigt, wie man eigentlich Oppositionsreden hält. ({11}) Ich argumentiere nicht auf dieser Ebene, aber ich halte die Frage entgegen, ob nicht diese lange Frist bis zur Begründung deswegen so ausgedehnt worden ist, weil man auf ein Urteil kurz vor der Wahl gerechnet hat. So herum könnte aus der Sache auch ein Schuh werden. ({12}) Aber nun ein paar Bemerkungen zum materiellen Gehalt. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie tun heute so, als ob es sich bei dem Verfahren in Karlsruhe um die Entscheidung über eine von Ihnen erhobene Ministeranklage gehandelt hätte. Die Ministeranklage allein wäre das Verfahren, um konkret vorwerfbare, schuldhafte Verfassungsverstöße eines Regierungsmitgliedes oder gar des Regierungschefs festzustellen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wissen ganz genau, warum Sie dieses Verfahren der Ministeranklage nicht gewählt haben: Weil Sie selbst wußten, daß es solche subjektiv vorwerfbare Verstöße nicht gab. Herr Strauß wäre der letzte, der bei Ihnen nicht die Ministeranklage durchgesetzt und ertrotzt hätte, wenn sie eine Spur von Aussicht auf eine Verurteilung gehabt hätte. Deshalb, meine Damen und Herren, haben Sie sich für das Organstreitverfahren entschieden. Das Organstreitverfahren hat aber eben nicht das Ziel der Ministeranklage und Ministerverurteilung. Das Ziel des Organstreitverfahrens ist nicht die Anprangerung einzelner, wie Sie es jetzt versuchen; sein Ziel ist es, bei unsicherer oder zweifelhafter Rechtslage eine objektive und verbindliche Klärung der Verfassungsrechtslage für die Zukunft herbeizuführen. Warum, meine sehr verehrten Damen und Herren, versuchen Sie, beides zu vermischen? Zweite Bemerkung. In den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, die Sie so breit zum Gegenstand Ihrer Ausführungen gemacht haben, findet sich kein einziges Wort des subjektiven Vorwurfs oder der subjektiven Rüge an die Adresse der Bundesregierung oder des Bundeskanzlers ; kein einziges Wort! Das Zitat, das heute von Herrn Zeidler vorgetragen worden ist, bestätigt nur diese Tatsache und diese Selbstverständlichkeit. ({13}) In beiden Urteilen wird dargelegt, daß frühere Bundesregierungen, daß frühere Minister und daß Landesregierungen ebenso gehandelt haben. Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin darf ich zur Untermauerung gerade dieses wichtigen Sachverhalts die einschlägigen Stellen aus beiden Urteilen vorlesen. Im Urteil über die Öffentlichkeitsarbeit heißt es: Die Grenzen zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und verfassungswidrigem Hineinwirken in den Wahlkampf waren bisher umstritten. Ihr Verlauf wird in dieser Entscheidung erstmals näher präzisiert. Diese Grenzen sind nicht nur bei der Bundestagswahl 1976, sondern auch schon zuvor in zunehmendem Maße von den Regierungen in Bund und Ländern überschritten worden. Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, klarer und deutlicher kann die Tatsache nicht ausgedrückt werden, daß es in diesem Urteil eben keinen subjektiven Vorwurf gibt. Im zweiten Urteil heißt es: Mit dieser verfassungsrechtlichen Lage steht die bisherige langjährige Praxis schwerlich in Einklang. An anderer Stelle steht: Die Bundesregierung hat es im Vertrauen auf eine vieljährige Praxis seit der Bildung der ersten Bundesregierung versäumt sicherzustellen, daß sie gemäß § 15 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung vom Bundesminister der Finanzen ... informiert und konsultiert wurde. Dritte Bemerkung: Warum verschweigen Sie eigentlich in Ihrem Antrag, in welchem Umfang frühere Finanzminister von dem Bewilligungsrecht Gebrauch gemacht haben? Herr Kollege Strauß hat doch hier ein Geständnis abgelegt und gar nicht bestritten, daß solche Bewilligungen auch vor 1969 in erheblichem Umfange gegeben wurden. Er bestreitet es gar nicht. ({14}) - Herr Jenninger, Geduld! Wir sind gerade an dem Punkt. Nun wird eingewendet, 1969 habe sich alles durch die Haushaltsreform geändert. Der große Jurist hat das dargelegt. Es gibt Studiumsjuristen und Erfahrungsjuristen. Hier hat heute nachmittag offenbar jemand, der durch zahlreiche Verfahren zum Erfahrungsjuristen geworden ist, gesprochen. ({15}) Dieser Erfahrungsjurist hat uns also hier - ({16}) - Herr Kollege, da eilen Sie der Zeit voraus. Herr Strauß konnte in Bayern noch gar nicht angeklagt werden. Herr Goppel macht ihm keinen Platz. Das geht noch nicht. ({17}) Herr Kollege Vogel, ich gebe Ihnen recht: Gestützt auf das Grundgesetz findet sich die Ministeranklage im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Natürlich haben wir die Verfassungsanklage. ({18}) - Das will ich dann gerne tun. Jetzt will ich erst diesen Gedankengang zu Ende führen. ({19}) - Aber meine Damen und Herren, seien Sie doch nicht so ungeduldig. Eines nach dem anderen! ({20}) 1969, so wird gesagt, habe sich durch die Haushaltsreform alles geändert. Was bis dahin verfassungsgemäß war, nämlich die außerplanmäßigen und überplanmäßigen Bewilligungen durch die Minister der Regierungen vor 1966, ist plötzlich seit 1969 verfassungswidrig. Dem muß ich entgegenhalten, daß trotz der lautstarken Ausführungen hier von dieser Stelle der Art. 112 unseres Grundgesetzes materiell nicht in einem Wort geändert worden ist. ({21}) Eine Änderung erfolgte nur insofern, als man einen Satz 3 hinzugefügt hat. Den lese ich jetzt gerne vor. ({22}) - Aber Herr Professor, wenn Ihnen das in Ihrem Seminar ein Student gesagt hätte, hätte ich nicht hören wollen, was passiert wäre. ({23}) - Er hat ja nie Zeit. Er hat ja immer andere Aufgaben. Ich bitte Sie. Satz 3 heißt: Näheres kann durch Bundesgesetz bestimmt werden. Das ist die einzige Änderung. ({24}) - Aber Herr Althammer, warum sind Sie denn so ungeduldig? ({25}) - Ich habe den Eindruck, es ist wirklich nötig, daß es einzeln vorgelesen wird. Art. 112 - und darauf setze ich den besonderen Akzent - ist materiell-rechtlich mit keinem Wort geändert worden. Wenn nun in der Verfassung gesagt wird: „Das Nähere bestimmt das Gesetz", dann werden mir alle Verfassungsrechtler dieses Hauses zustimmen, daß dies doch keine Ermächtigung bedeutet, vom Inhalt der Verfassung abzuweichen. Das bedeutet nur, daß die Begriffe der Verfassung da und dort präzisiert werden können. Nun kommt der § 37 der Bundeshaushaltsordnung. In dem § 37 ist das, worüber hier gestritten wird, Herr Althammer, was nämlich „unabweisbar" und was „unvorhersehbar" eigentlich bedeutet, keineswegs definiert worden. Es ist nur negativ gesagt worden, daß eine Unabweisbarkeit insbesondere dann nicht vorliegt, wenn die Ausgaben zur Verabschiedung des nächsten Haushaltsgesetzes oder des nächsten Nachtrags zum Haushaltsgesetz zurückgestellt werden können. ({26}) - Ja, aber Entschuldigung, selbst wenn die Praxis, die man nach 1969 fortgeführt hat, dagegen verstoßen hat, wäre das noch immer kein Verfassungsverstoß, sondern ein Verstoß gegen ein einfaches Gesetz. Ich bin ja nicht so rechthaberisch. Ich sage nur, daß über den Begriff „unabweisbar" und über den Begriff „unvorhersehbar" vor und nach 1969 Streit gewesen ist. Sie hätten dann recht, wenn der Begriff „unvorhersehbar" tatsächlich umfassend definiert worden wäre. Das hat man aber bewußt unterlassen. Man hat stärker als vorher auf das zeitliche Moment abgestellt. Aber ob darunter Wochen oder Monate zu verstehen sind, dies war nicht ausgetragen. Das ist durch das Urteil geschehen. Daraus nun eine Anklage zu machen, als wenn ein neuer Catilina in unseren Reihen Platz genommen hätte, das ist, schlicht gesagt, maßlose Übertreibung. ({27}) Ich glaube, manch einer unterschätzt den gesunden Menschenverstand der Zuhörer. Ich habe Ihnen keine Ratschläge zu geben. Aber: Weniger an Kritik wäre weiß Gott mehr gewesen als diese maßlosen Übertreibungen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Gerne.

Prof. Dr. Hans Hugo Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001115, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, darf ich Sie daran erinnern, daß Sie zu meiner Rechtsbelehrung auf die Vorschrift des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zurückkommen wollten, die eine Ministeranklage vorsieht. ({0})

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Professor, ich komme darauf zurück. Ich freue mich ja über den Fortbildungswillen, der auf dieser Seite des Hauses herrscht. ({0}) Offenbar stört Sie an dem Vorgang, den wir gerade erörtern, gar nicht das, was tatsächlich geschehen ist: die Bewilligung vorher und nachher. Das, was Sie stört, ist die Tatsache, daß ein Sozialdemokrat Bundeskanzler ist. Daß Sie dies mißbilligen, verstehe ich; dafür sind Sie in der Opposition. Aber, bitte, verbrämen Sie das nicht mit rechtlichen Scheinargumenten, wie Sie das versuchen. ({1}) Im übrigen ein Wort zu den Ländern. ({2}) - Also, Entschuldigung, Herr Klein, wenn es sie noch nicht geben sollte: Bis Sie Minister werden, sollten wir sie einführen, damit Sie dann zufrieden sind.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Schöfberger macht einen Salto, wenn er das hört!)

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesjustizminister, gestatten Sie bitte die Frage: Ist Ihnen ein ähnlich vergleichbarer Fall einer so falschen Rechtsauskunft eines amtierenden Bundesjustizminister bekannt, wie Sie sie eben Herrn Kollegen Klein gegeben haben? ({0})

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Kollege Kohl, erstens darf ich die Zustimmung dazu, daß Sie Ihre Frage stellen, nachholen, damit wir korrekt miteinander umgehen. Zum zweiten darf ich anheimstellen, daß Sie vielleicht auch gegen mich noch einen Mißbilligungsantrag mit dieser Begründung einbringen. ({0}) - Ich weiß gar nicht, meine Damen und Herren, Sie werden mit den Punkten, über die Sie sich freuen, immer bescheidener. ({1}) Ein Wort noch zu den Ländern. Was Sie jetzt rügen - und das geht nun gerade an Ihre Adresse, Herr Kollege Kohl -, ist doch auch in den Ländern, und zwar nach 1969, geschehen, z. B. im Jahre 1974 in Rheinland-Pfalz beim Einsatz von Mitteln aus der Konjunkturausgleichsrücklage. Da heißt es im Bericht des Landesrechnungshofes: Es ist nicht beachtet worden, daß eine Entscheidung über die Verwendung der Entnahme als zusätzliche Deckungsmittel nur vom Landtag hätte getroffen werden können. Dies ist die Feststellung Ihres Landesrechnungshofes. Es wirkt nicht sehr überzeugend, wenn der Ministerpräsident des Landes, der dies zu verantworten hat und diese Beanstandungen von seinem eigenen Rechnungshof vorgelegt bekommt, hier als Ankläger auftritt und versucht, die Rollen zu vertauschen. ({2}) Noch eine vierte Bemerkung. Niemand bestreitet, daß sich das Bundesverfassungsgericht in den beiden hier in Rede stehenden Fällen gegen die Rechtsauffassung der Bundesregierung entschieden hat. Sie tun aber so, als ob das ein absolutes Novum sei. Ist Ihr Gedächtnis wirklich so kurz? Ich habe hier für die Damen und Herren der Opposition eine Zusammenstellung von über 100 Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht Gesetze oder Maßnahmen der Bundesregierung oder einzelner Bundesminister zwischen 1949 und 1969 für nicht verfassungsgemäß erklärt hat. ({3}) Darunter sind so bedeutsame Fälle wie das Wahlgesetz für den zweiten Bundestag, Bestimmungen mehrerer Einkommensteuergesetze, die Bestimmung über den Stichentscheid des Vaters, Bestimmungen des Jugendwohlfahrts- und des Sozialhilfegesetzes. Darunter ist die Fristsetzung für die seinerzeitige Bundesregierung, endlich den Gleichberechtigungsartikel des Grundgesetzes in die einfache Gesetzgebung zu übernehmen. Darunter ist die Entscheidung über die Gründung der Deutschland-Fernsehen GmbH. Wo sind in allen diesen Fällen die Mißbilligungsanträge? Ich will Sie noch mit einem aktuellen Urteil aus Karlsruhe bekanntmachen. Meine Damen und Herren, es ist seit längerer Zeit Gegenstand der Diskussion, ob es bei der uneinheitlichen Gnadenpraxis der Länder in den Fällen lebenslanger Freiheitsstrafen bleiben kann. Die Koalition hat die Auffassung vertreten, daß es hier einer gesetzlichen Regelung bedarf. Rechtspolitiker der Opposition haben dem nachdrücklich widersprochen. Heute hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Frage der lebenslangen Freiheitsstrafe gesagt, die Möglichkeit der Begnadigung allein sei nicht ausreichend, vielmehr gebiete das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln. Nun frage ich, meine Damen und Herren: Wollen Sie einen Mißbilligungsantrag bezüglich ihrer eigenen Rechtspolitiker einbringen, die die gegenteilige Auffassung vertreten haben? Ich glaube, gerade dieses Beispiel zeigt, daß über verfassungsrechtliche Fragen Meinungsverschiedenheiten bestehen können, die keineswegs zu gegenseitigen Vorwürfen und zu gegenseitigen Anklagen berechtigen. Meine Damen und Herren! Um noch etwas zu tun, was in diesem Hause möglicherweise selten ist, will ich nun hier von mir aus ausdrücklich und öffentlich erklären, daß ich in der Frage der Ministeranklage einer Verwechslung und einem Irrtum unterlegen bin und eine Bestimmung der Bayerischen Verfassung mit einer Vorschrift des Grundgesetzes verwechselt habe. ({4}) Dies erkläre ich hier an dieser Stelle. Ich würde mir wünschen, meine Damen und Herren, daß andere ihre größeren Irrtümer mindestens in der gleichen Frist zugeben und bekennen. Sie zum Beispiel Ihren Irrtum, aus einem normalen Vorgang eine Art Schwurgerichtsanklage gegen den Bundeskanzler zu machen. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem bisherigen Hauptgegenstand der Debatte möchte ich nur noch drei Absätze nachtragen. Zum einen: Soweit es die Bundesregierung angeht, wird das Urteil des Verfassungsgerichts selbstverständlich respektiert und befolgt werden. Die Bundesregierung prüft gegenwärtig, ob und welche Konsequenzen für die zukünftige Haushaltsgesetzgebung und für die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung aus dem Urteil zu ziehen sind. Ich bemerke dazu, daß die tragenden Gründe des Urteils Regeln geschaffen haben, wie es sie so bisher nicht gegeben hat. Die Schlußfolgerungen können nicht aus dem Handgelenk gezogen werden, sondern das muß mit Sorgfalt geschehen. Das Urteil ist, auch in seinen tragenden Gründen, nicht gerade einfach oder lapidar. Ich will in dem Zusammenhang gern die Erinnerung der älteren Mitglieder des Hauses ansprechen. Von den vielen Urteilen, die das Verfassungsgericht im Laufe der 27, 28 Jahre gegenüber Gesetzen - wie es Herr Vogel soeben erwähnt hat - oder Beschlüssen jeweiliger Bundesregierungen ausgesprochen hat, war ja das Fernsehurteil das interessanteste. Damals - Sie können es im Protokoll des Bundestages finden; ich habe es mir dort vor ein paar Wochen angeschaut - sagte der damalige

Not found (Kanzler:in)

„Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat sich mit dem Urteil befaßt und ist einstimmig zu dem Ergebnis gekommen: Das Urteil ist falsch." ({0}) Das sagen wir nun nicht, sondern wir sagen ausdrücklich: Wir werden es respektieren und befolgen. Da unterscheiden wir uns von dem damaligen Bundeskanzler Adenauer. ({1}) Die zweite Bemerkung dazu: Die sachlichen Zwecke der Ausgaben sind heute auch durch Herrn Strauß ausdrücklich nicht bestritten worden. Herr Strauß hat gesagt, daß sie ihren Sinn haben, darüber könne man diskutieren; aber er wolle das nicht bezweifeln. Ich begrüße, daß Herr Strauß dies gesagt hat, und ich rufe dazu in Erinnerung, daß er vor der Presse in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Herrn Abgeordneten Kohl schon eingeräumt hatte, er gehe davon aus, daß der Bundestag - wenn er rechtzeitig und im Vorwege damit befaßt worden wäre - diese Ausgaben auch so gebilligt hätte. Davon gehe ich auch aus. Dritte Bemerkung: Herr Abgeordneter Strauß, ich muß mich wehren gegen solche Worte wie „Verfassungsbruch" - dieser Ausdruck kam wohl von Ihrem Kollegen Kohl - oder „Mißachtung der Verfassung". Dies war nicht Bruch und nicht Mißachtung, sondern ich muß Ihnen sagen: Wir haben damals geprüft. Das Verfassungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, das Ergebnis unserer Prüfung sei falsch gewesen. Das muß ich hinnehmen und respektieren; aber wenn bei der Aufhebung eines Beschlusses eines Verfassungsorgans durch das Verfassungsgericht jedesmal anschließend behauptet würde, dies sei ein absichtlicher Bruch des Grundgesetzes gewesen, dann würde die Gesetzgebungsmehrheit des Deutschen Bundestages zwischen 1949 und 1966 - Ende der Kleinen Koalition - allein 77mal in solcher Weise zu apostrophieren gewesen sein. Das wäre ganz abwegig. Ich bitte Sie herzlich, wenn diese Debatte vorbei ist, wieder zu einem anständigen Sprachgebrauch zurückzukehren. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundeskanzler! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Da Herr Abgeordneter Althammer schon steht, will ich ihm die Zwischenfrage gern zugestehen. Aber es wird im Laufe meiner Rede die einzige bleiben; der Oppositionsführer ist auch durch keine einzige Zwischenfrage unterbrochen worden. Bitte sehr!

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler! Nachdem Sie dazu aufgefordert haben, wieder zu einem anständigen Sprachgebrauch zurückzukehren, darf ich Sie fragen, was Sie dazu sagen, daß aus einem Aktenvermerk in den Prozeßakten klar hervorgeht, daß Sie darauf hingewiesen worden sind, daß hier die Voraussetzungen des Art. 112 des Grundgesetzes eben nicht gegeben sind?

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Herr Abgeordneter, mit Sprachgebrauch hat das nichts zu tun. Sie fragen ja in sehr sachlicher Weise; ich habe Ihren Sprachgebrauch nicht zu beanstanden. Ich bezweifle, daß es einen solchen Vermerk gibt. ({0}) Ich war aber an dem Prozeß nicht beteiligt, ich habe auch die Bundesregierung dort nicht vertreten. Ich bin auch nicht gehört worden. Ich kenne nur von Dritten Teile dessen, was im Prozeß vorgetragen worden ist. Aber ich nehme an, daß es sich um einen nach den Entscheidungen des Bundesfinanzministers gefertigten Vermerk handelt. Ich weiß darüber nichts anderes und gebe Ihnen eine meinem gegenwärtigen Informationsstand entsprechende, wahrheitsgemäße Antwort. Nun hat der Herr Abgeordnete Kohl heute schon wieder eine neue Verfassungsklage auf einem anderen Feld angekündigt. Ich muß Ihnen sagen, daß ich das nicht mit Freude gehört habe, Herr Abgeordneter Kohl. ({1}) Es kann ja die Fülle der Prozesse Ihren Mangel an politischer Gestaltungskraft auf die Dauer doch nicht überdecken! ({2}) Offenbar soll sich die neu ins Auge gefaßte Klage diesmal nicht auf Verfahrensmängel beziehen, sondern auf den materiellen Inhalt der Wehrpflicht- und Zivildienstnovelle, wenn ich es richtig verstanden habe. Sie haben in dem Zusammenhang gesagt, der Bundeskanzler habe nicht den Mut, sich gegen die Linken in der SPD und FDP durchzusetzen. ({3}) Ich nehme Ihnen nicht übel, daß Sie meine frühere Auffassung dazu nicht kennen. Dazu muß ich Ihnen nun meine Auffassung, die ich durch zwölf Jahre immer wieder öffentlich und auch hier im Bundestag vertreten habe, auch als Verteidigungsminister, darlegen dürfen. Ich habe seit 1964 oder 1965 öffentlich und kontinuierlich immer die Auffassung vertreten, daß die durch ein kollektives Organ vorgenommene Überprüfung der Gewissensentscheidung der einzelnen Person mit dem Geist der Achtung vor der Würde des Menschen nicht vereinbar sei. ({4}) Ich habe allerdings aus dieser Überzeugung heraus, über die denkbaren praktischen Folgen nachdenkend, immer das hinzugefügt, was ich auch jetzt hinzufügen will: Wenn staatliche Behörden oder Ausschüsse dem Gewissen der Person diesen Respekt schulden - wie ich meine -, dann darf daraus nicht eine Verleitung für einzelne Personen entstehen. Infolgedessen haben die staatlichen Behörden, hat der Staat dafür zu sorgen, daß keine Verleitung entsteht. Das heißt: Er hat so viele Ersatzdienstplätze bereitzustelllen, daß diejenigen, die sich im Gewissen so entscheiden, mit derselben Wahrscheinlichkeit und unter den gleichen Voraussetzungen mit der gleichen Chance zum Ersatzdienst herangezogen werden wie die übrigen, die sich im Gewissen anders entschieden haben, zum Wehrdienst herangezogen werden. ({5}) Ich habe in diesen zwölf Jahren, auch als Verteidigungsminister, immer hinzugefügt - Herr Abgeordneter Kohl, Sie haben mich als ehemaligen Verteidigungsminister apostrophiert und vielleicht geglaubt, ich hätte meine Meinung gewandelt; ich hatte diese Meinung aber vorher schon als Verteidigungsminister und habe sie auch heute noch -, daß es meiner Meinung nach notwendig sei, die zeitliche Dauer des Ersatzdienstes etwas länger zu bemessen als die des Wehrdienstes, weil der Wehrdienstleistende später zur Reserveübung geholt werden kann und vielfach auch tatsächlich geholt wird. Dies ist für den Ersatzdienstleistenden nicht gegeben. Herr Abgeordneter Kohl, Sie haben heute des längeren von Verantwortungsbewußtsein gegenüber der jungen Generation gesprochen. Sie sind aber nicht bereit, der jungen Generation, die vor einer solchen Gewissensentscheidung steht, zu vertrauen, daß sie verantwortungsbewußt ihr persönliches Gewissen ausübt. ({6}) Sie haben Erwägungen über die Gefährdung unserer äußeren Sicherheit, die hiermit verbunden sein könnten, hinzugefügt. Mich hat das an eine Floskel erinnert, die Sie mehrfach im Laufe des Herbstes 1976 in Ihren öffentlichen Reden verwandt haben, nämlich an die Floskel: „Wenn die Kosaken kommen ..." ({7}) - Ich weiß, daß es von Naumann ist. Sie haben es häufig verwendet. Das wissen Sie auch. Ich klittere hier nicht, Herr Kohl. Sie haben damit an eine bei Ihnen schon mehrfach zu beobachtende Bemühung angeknüpft, unserem Volk und der öffentlichen Meinung zu suggerieren, die äußere Sicherheit unseres Landes werde durch die sozialliberale Koalition gefährdet. Ich darf Ihnen dazu sagen, daß die Bundeswehr zu den besten Streitkräften in der ganzen Welt gehört. Sie ist allerdings rein defensiv strukturiert, rein defensiv ausgebildet, rein defensiv bewaffnet. Es wäre gut, Herr Abgeordneter Kohl, wenn Sie sich etwas häufiger bei der Bundeswehr umsähen, um sich ein sachgerechtes Urteil bilden zu können. ({8}) Nicht ganz in Übereinstimmung mit manchen anderen Mitgliedern des gemeinsamen Bündnisses handelnd, haben wir, die Bundesrepublik Deutschland, jedes Jahr und ohne Abstriche die Verpflichtungen erfüllt, die wir dem Bündnis schulden. Andere haben das nicht ganz so übereinstimmend getan. Ich finde, Sie sollten erwägen, ob Sie unserem Lande und dem gemeinsamen Bündnis wirklich einen guten Dienst erweisen, wenn Sie den Eindruck erwecken, Sie selbst glaubten, wir gefährdeten die Sicherheit. Ich weiß, daß Sie das persönlich nicht glauben. Sie wollten es nur gern andere glauben machen. ({9}) Sie haben dies alles getan, um zu begründen, daß Ihre Fraktion heuer zum ersten Mal den Einzelplan 14, den Verteidigungshaushalt, ablehnen will. Das steht zu Ihrer Disposition, zu Ihrer Entscheidung. Man kann sich aber dann darüber wundern, wenn man noch die Begründungen im Ohr hat, mit denen Sie in den vergangenen Jahren Ihre Entscheidung gerechtfertigt haben, zwar den Gesamthaushalt abzulehnen, den Einzelplan 14 aber anzunehmen. Aber das steht zu Ihrer Disposition. Nur, Herr Abgeordneter Kohl: Uns wird dann auch von Ihnen zugestanden werden, daß wir darüber nachdenken und reden, welche Gründe Sie wohl haben, in diesem Jahr erstmalig von den Motiven abzuweichen, die Sie in den letzten sieben Jahren hatten, als Sie den Verteidigungshaushalt eben nicht ablehnten. Mir ist das völlig klar: Sie haben sich im Jahre 1977 erstmalig gänzlich der Sonthofener Strategie Ihres Kollegen Strauß unterworfen, ({10}) einer Strategie, die aus drei Elementen besteht: 1. alles herabsetzen, was die anderen tun und leisten, 2. selbst keine alternative Politik anbieten - das hat auch Herr Strauß in 1 1/4 stündiger Rede mit keinem einzigen Satz getan -, ({11}) und 3. auf Strauß hoffen. Aber er will ja nach München. Herr Kohl, was machen Sie eigentlich dann, wenn er weg ist? Dann haben Sie Herrn Zimmermann. ({12}) Herr Strauß hat in der Nachmittagsdebatte in keinem einzigen Punkte die Absicht gehabt, eine alternative Politik anzudeuten oder anzubieten. In der Vormittagsdebatte hat Herr Abgeordneter Kohl jedenfalls die Absicht gehabt, Alternativen auf einigen Gebieten anzudeuten. Diese Andeutungen müssen wir uns etwas näher betrachten. Zum einen haben Sie Steuererleichterungen, Steuerentlastungen gefordert. Es ist schon genug darüber gesprochen worden, daß Sie sie in der letzten Woche noch ablehnten. Das wird auch in der Zukunft noch ein paar Mal wechseln. Zum zweiten haben Sie zusätzliche sozialpolitische Ausgaben verlangt. Das heißt also doch, daß Sie auf der Einnahmenseite die Einnahmen des Staates verkürzen, auf der Ausgabenseite die Ausgaben verlängern. Zum dritten haben Sie gleichzeitig kritisiert, daß der Staat zuviel Kredite aufnehme. ({13}) Das ist nun in sich kaum als schlüssig zu empfinden, zumal ja Ihre Parteifreunde im Bundesrat, in den CDU/CSU-geführten Ländern, jetzt schon überall verkünden, daß das mit den Steuererleichterungen oder Steuerentlastungen ganz gut sein möge. Nur wenn der Staat dadurch insgesamt weniger Geld einnimmt, dann wollen Ihre Kollegen in den CDU/ CSU-geführten Ländern jedenfalls darunter nicht leiden. Darunter soll dann nur der Bund mit seiner Einnahmenseite leiden. Das ist alles nicht recht von innerer Logik zusammengehalten. Aber ich will es nicht sonderlich vertiefen. Ich will nur fragen. Sie sprachen von einem umfassenden wirtschaftspolitischen Programm zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung. Herr Abgeordneter Kohl, ich habe davon auch in der Presse gelesen. Ich habe aber bisher keinen Antrag dieser Art auf dem Tisch des Hauses vorgefunden. Mir ist das auch ganz erklärlich; denn Ihr Kollege Strauß hat das Programm ja sehr schwer kritisiert. Sie haben dann gesagt, es müsse noch einmal überarbeitet werden. Also ehe Sie nun ankündigen, daß es auf den Tisch kommen solle, legen Sie es lieber gleich auf den Tisch. Dann wissen wir, worüber wir mit Ihnen streiten dürfen. Bisher haben wir nur Ankündigungen gehört. ({14}) Sie haben in dem Zusammenhang gemeint, die Opposition bestimme das Gesetz des Handelns der Gesetzgebungs- und Regierungskoalition. Ich glaube, das wird dem Sachverhalt nicht ganz gerecht. Im Zusammenhang mit dem von Ihnen heute erneut angekündigten Programm zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung sollte man wohl besser sagen: Der Herr Abgeordnete Strauß bestimmt das Handeln der Opposition. Das, glaube ich, ist die richtige Beschreibung. ({15}) Die Regierungskoalition, die sozialliberale Gesetzgebungskoalition ihrerseits, die handelt auf dem Felde, von dem wir reden - Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung - auf mannigfache Weise. Am 25. Mai dieses Jahres ist eine Fülle von Beschlüssen gefaßt worden: 1. die Verlängerung des Regionalprogramms, was das Bauen angeht, auch in das Jahr 1978 mit dem gleichen Förderungsvolumen, wie wir es für 1977 haben, 2. im Jahre 1977 eine zusätzliche Förderung von rund 30 000 Wohnungen oder 3. der Antrag auf Bereitstellung von zusätzlich 330 Millionen DM für die Fortführung bewährter Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor allen Dingen für die Problemgruppen des Arbeitsmarktes, die Alteren, die Frauen, die langfristig Arbeitslosen, die Angestellten, oder 4. der Antrag, zusätzlich 270 Millionen DM für einen neuen Schwerpunkt der Arbeitsmarktpolitik auszugeben, nämlich Bereitstellung von Arbeitsplätzen im sozialen Dienst, gerade auch für teilzeitarbeitende Frauen. Ich könnte manches mehr erwähnen. Einiges von dem findet sich dann übrigens in jenem Programm wieder, von den Sie unter der Überschrift, daß es Ihres sei, gesprochen haben. Wichtiger als all das ist es mir, das 16-MilliardenProgramm für Zukunftsinvestitionen in die öffent2576 liche Infrastruktur in Ihr Bewußtsein zu heben. 16 Milliarden DM: Bund, Länder und Gemeinden und zu einem ganz kleinen Teil auch Private zusammengenommen. Darunter finden sich z. B. 675 Millionen DM für die Beseitigung plangleicher Kreuzungen von Straßen und Eisenbahnen oder 500 Millionen DM für die Beseitigung von Unfallschwerpunkten im Bundesfernstraßennetz oder 1 180 Millionen DM für den Bau für Ortsumgehungen oder z. B. 280 Millionen DM für die Umleitung der Ems im Zusammenhang mit dem Dollart-Hafen oder z. B. für den Schallschutz 50 Millionen DM oder Forschungsvorhaben einschließlich der Nachrichtentechnik 400 Millionen DM oder das Rhein-Bodensee-Programm, Abwasserbeseitigung, 2 Milliarden DM, Sicherung der Trinkwasserversorgung 1 410 Millionen DM oder die Infrastrukturmaßnahmen im städtischen Innenbereich 600 Millionen DM, eben noch einmal 600 Millionen DM zur Förderung des Ersatzwohnungsbaus, Auslagerung von Gewerbegebieten aus den Stadtinnenbereichen 600 Millionen DM, Infrastrukturmaßnahmen in Schwerpunktorten, Erhaltung und Erneuerung ausgewählter historischer Stadtkerne - da ist an Lübeck und an wunderschöne Städte in Nord- und Süddeutschland gedacht, die nun wirklich solcher Hilfe bedürfen -, Erhaltung und Wiederaufbau von Baudenkmälern, Kulturbauten, Dorferneuerung - alles zusammen 16 Milliarden DM. Da sagen Sie, das Gesetz des Handelns werde uns von der Opposition vorgeschrieben. Da lachen doch die Hühner in Mainz, Herr Kohl. ({16}) Wahr ist, daß meine Kollegen Apel und Friderichs große Mühe hatten, die Herren Finanz- und Wirtschaftsminister der Länder zum Mittun und Mitziehen zu bewegen. Wahr ist, daß sie dem einen Land hier entgegenkommen mußten - und auch wollten -, daß sie dem anderen Lande dort entgegenkommen mußten - und auch wollten -, um das Ganze zustande zu bringen. Ich bin geradezu glücklich, daß wir in dieser Woche, in der die Haushaltsdebatte stattfindet, sagen können: Endlich haben nun auch alle deutschen Bundesländer der Vereinbarung in rechtsförmlicher Weise zugestimmt. Lange genug hat es gedauert. ({17}) Sie haben dazu kein Wort gesagt, Herr Abgeordneter Kohl. Sie haben auf diesem Felde drei Widersprüche offenbart. Der erste Widerspruch: Sie legen ein Steuerentlastungsprogramm vor, während Sie das der Koalition nur um des oppositionellen Effektes willen abgelehnt haben. Zweiter Widerspruch: Sie präsentieren der Öffentlichkeit, nicht aber dem Bundestag, dem Parlament, ein Arbeitsmarktprogramm Ihres Freundes Geißler, das zwar eine Menge Geld kosten würde, bleiben aber den Bürgern die Antwort darauf schuldig, woher Sie dieses Geld nähmen. Dritter Widerspruch: Sie klagen an, daß der Staat insgesamt, alle öffentlichen Hände, zuviel Kredit aufnehme. Sie haben eine Zahl - ich meine, 300 Milliarden DM oder ähnlich - als Aggregatgröße genannt. In Wirklichkeit aber wollen Sie mit dem Geißlerschen Programm natürlich zusätzlich Geld ausgeben, was ich im Prinzip gar nicht angreife. Ich möchte in dem Zusammenhang etwas sagen, wobei ich manche der Kollegen um Entschuldigung bitten muß, weil sie es schon wiederholt gelesen oder gehört haben. Aber ich sage es eigentlich für den Herrn Oppositionsführer; die anderen müssen nicht unbedingt zuhören. ({18}) - Sie werden doch zugeben, daß das eine überaus zivilisierte Wortwahl ist, verglichen mit den Kaskaden des Herrn Strauß. Das werden Sie ja wohl zugeben. ({19}) Wir alle sind - so wie auch alle Franzosen, Italiener, alle Engländer, alle Regierungen in der Europäischen Gemeinschaft und ebenso in Japan, in Amerika oder in Kanada, überall auf der Welt - von der Notwendigkeit durchdrungen, mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden, die gegenwärtig über die ganze Welt geht. Deswegen denken wir auch alle darüber nach, wie das gemacht werden könne. Dazu ist sicherlich Arbeitsmarktpolitik auch ein wichtiger Beitrag, allerdings nicht der entscheidende. Der entscheidende Beitrag läge sicherlich darin, daß das, was wir in der ganzen industriellen Welt produzieren können, auch tatsächlich produziert wird, daß die technischen Kapazitäten ausgenutzt und zwecks dieser Ausnutzung mehr Menschen beschäftigt werden. Man kann aber auf die Dauer nicht mehr produzieren, als man absetzen, als man verkaufen kann. Also haben wir alle ein Interesse daran, daß der Verkauf der Produktion, der Verkauf der Leistung bewirkt werde. Wir haben ein Interesse daran, daß genug effektive Nachfrage da ist, die diese Produktion von Gütern und Leistungen abnimmt. Nun gibt es, Herr Kollege Kohl, in jedem Staat, jedenfalls in der westlichen Welt, vier mögliche Gruppen, von denen diese effektive Nachfrage ausgehen könnte. Zum ersten - das ist die bei weitem größte Gruppe - gibt es die privaten Konsumenten, die privaten Haushalte. Wenn diese sehr viel mehr nachfrügen - sie tun es gegenwärtig ja bei Automobilen, auch bei Auslandsreisen, von Jugoslawien bis Mallorca -, wenn sie auch auf allen übrigen Märkten sehr viel mehr nachfrügen, z. B. auf dem Wohnungsbaumarkt, würden der Absatz und damit die Beschäftigung steigen. Die privaten Haushalte halten sich aber relativ zurück. Gegenwärtig werden in Deutschland 14 % der privat verfügbaren Einkommen gespart. Infolgedessen richten wir den Blick auf die zweite Gruppe, von welcher effektive Nachfrage ausgehen kann; das tun wir schon seit vielen Jahren, Sie haben es heute auch getan. Die zweite Gruppe, von der effektive Nachfrage ausgehen könnte und von der wir auch hoffen, daß ihre Nachfrage zunehmen wird, sind die privaten Unternehmen, die nachfragen nach neuen Maschinen, neuen Bauleistungen oder, wie man es auch nennt, die dadurch, daß sie investieren, effektive Nachfrage auslösen. Die effektive Nachfrage durch Investitionen enttäuscht uns alle, nicht nur in diesem Land, sondern ebenso in England, Frankreich, Italien und wo immer Sie hinschauen. Infolgedessen richtet sich der Blick auf die dritte Gruppe, von der die effektive Nachfrage kommen könnte: das ist das Ausland. Wir können uns nicht über die ausländische Nachfrage nach deutschen Exporten beschweren. Im Gegenteil, die deutschen Exporte haben in den letzten Monaten einen unerwarteten Rekord erreicht. Wir sehen das konjunktur- und beschäftigungspolitisch mit einem lachenden Auge. Auf die Dauer sehen wir es aber auch mit Besorgnis; denn wir sind inzwischen bei einem Export von 29 O/o des Bruttosozialprodukts angekommen. Daß uns das auf lange Zeit noch abhängiger macht vom Auf und Ab auf den Weltmärkten und von der Weltwirtschaft als schon bisher und gegenwärtig, das spüren Sie genauso wie ich. Nun kann man aber den Export auch nicht überfordern. Wenn also die drei bisher genannten Gruppen, also erstens die privaten Haushalte - sprich: Konsumenten -, zweitens die privaten Unternehmungen und drittens das Ausland, insgesamt nicht genug effektive Nachfrage auf die Beine bringen, dann kann und muß die vierte Gruppe helfen; das sind die öffentlichen Haushalte innerhalb des eigenen Landes. ({20}) Deswegen war es nicht ein Betriebsunfall, Herr Abgeordneter Kohl, sondern in dieser Wirtschaftskrise eine ökonomische Notwendigkeit, daß die effektive Nachfrage der öffentlichen Haushalte ausgeweitet wurde und z. B. durch das 16-Milliarden-DM-Programm ausgeweitet wird, von dem ich hier spreche. ({21}) Wenn sich Gemeinden und Städte und einige der Länder auf diesem Gebiet relativ zurückhalten, dann ist es sehr zum Leidwesen des Bundeshaushaltsministers gleichwohl aus ökonomischer Einsicht für den Bund notwendig, insoweit etwas mehr zu tun als z. B. das Land Baden-Württemberg, das es sich leisten könnte, für die Gesamtkonjunktur in Deutschland etwas mehr zu investieren, als es der Haushalt dieses Landes tut. ({22}) Ich könnte auch andere Beispiele geben. Ich habe dies alles gesagt, damit der Herr Oppositionsführer wenigstens einmal versteht, daß man nicht in ein und derselben Rede zusätzliche Maßnahmen zur Beschaffung von Arbeit verlangen und die Kreditaufnahme des Staates zum Zwecke staatlicher Investitionen ablehnen kann. ({23}) Herr Abgeordneter Kohl hat in seiner Rede auch eine Andeutung in bezug auf alternative Politiken hinsichtlich der Zukunftschancen der neuen Generation, der jungen Generation, gemacht. Auch auf diesem Felde, Herr Abgeordneter Kohl, muß man sich das, was Sie alternativ anbieten, natürlich genau anschauen. Mir ist nicht ganz deutlich geworden, was Sie alternativ anbieten. Ich kann mich aber daran erinnern, daß Sie heute morgen die Bundesregierung dafür kritisiert haben, daß sie z. B. den Numerus clausus an den deutschen Hochschulen noch nicht abgebaut habe. ({24}) Ich kann mich an die Geschichte dieser Debatte nur zu gut erinnern. ({25}) Als der Bundeskanzler der vorigen sozialliberalen Bundesregierung im Frühjahr 1976 gemeinsam mit dem zuständigen Fachminister öffentlich die Forderung auf Abbau des Numerus clausus aufstellte, ist mir öffentlich von seiten christdemokratischer Kultusminister der Länder der Vorwurf der Rattenfängerei gemacht und gesagt worden, dies gehe überhaupt nicht. ({26}) - Ich sehe, daß einige, die Beifall klatschen, heute noch der Meinung sind, daß das Rattenfängerei sei und gar nicht gehe. Etwas später sind dann einige Wortführer der CDU auf die Forderung umgestiegen, die wir gestellt hatten. Wir hatten nämlich nachgewiesen, daß die Kapazitäten an den im Laufe der letzten zehn Jahre enorm ausgebauten deutschen Hochschulen sehr gewachsen sind - allein in den letzten sieben Jahren haben Bund und Länder 18 Milliarden DM dafür ausgegeben oder bereitgestellt -, und zudem stellte sich die öffentliche Meinung hinter unsere Forderung. Es ist dann tatsächlich im Herbst 1976 ein erster wichtiger Schritt unternommen worden. Die Kultusminister der Länder - es ist ja nun so, leider Gottes, kann ich hier nur sagen, es macht mir große Besorgnis, daß der Bundestag und die Bundesregierung hier keine Dispositionsbefugnisse haben, sondern nur die Länder über die Kompetenz verfügen! - haben dann im Herbst 1976 eine Reihe von Fächern aus der Numerus-clausus-Bewirtschaftung herausgenommen. Inzwischen sind die Länder dabei, alle möglichen neuen Überlegungen anzustellen, und mit den Regierungschefs der Länder - für die ja letztlich dasselbe gilt, auch wenn es in Landesverfassungen manchmal anders lautet als im Grundgesetz; ich weiß nicht, ob z. B. in der rheinland-pfälzischen Landesverfassung das Wort von den „Richtlinien der Politik" vorkommt, aber natürlich bestimmt der Ministerpräsident dem Sinne nach in einem Lande sehr weitgehend die Richtlinien der Politik - habe ich infolgedessen darüber gesprochen, zum wiederholten, zum letzten Male am 6. Mai 1977. Ich habe vorgeschlagen, daß wir uns gemeinsam festlegten für den Abbau des Numerus clausus, für die tatsächliche Verwirklichung der Studienreform - auch die Verkürzung der Studiendauer -, für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, für den Ausbau des beruflichen Bildungswesens und damit insgesamt für die Sicherung von Zukunftschancen junger Menschen. Nun ist es ja nicht so, daß Papiere hier ausreichen, sondern es müssen Entscheidungen getroffen werden. Es wäre dankenswert, wenn der Führer der Opposition seinen eigenen politischen Freunden unter den Ministerpräsidenten in den Bundesländern, die, wenn ich mich recht erinnere, alsbald, nämlich am 1. Juli, erneut mit der Bundesregierung zusammentreten und über diese Frage beraten werden, deutlich machen würde, daß - wie das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Urteil selbstverständlicherweise festgestellt hat - das Grundrecht auf Bildung Vorrang hat vor engen Zulassungsregelungen, wie sie von der Bürokratie der Länder in die Welt gesetzt worden sind. ({27}) Die Bundesregierung kann im übrigen auch auf einem Felde, wo sie nun etwas mehr Dispositionsbefugnisse besitzt, nämlich auf dem Felde der beruflichen Bildung, durchaus auf Erfolge hinweisen; einer von Ihnen hat im Laufe des heutigen Tages eine Zahl genannt und hat von 30 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen gesprochen. Die CDU/CSU allerdings kritisiert das Ausbildungsplatzförderungsgesetz. Aber ich muß Ihnen sagen: Dieses Gesetz, das bisher in einem wichtigen Punkt, nämlich der Umlage, nicht angewandt wird, ist ein sehr wichtiges Instrument. Die Besorgnis, daß diese Umlage angewandt werden würde, hat nämlich - ich registriere das mit Anerkennung und mit Dankbarkeit - die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft dazu veranlaßt, allüberall im Lande eine große Kampagne, eine große Anstrengung zu unternehmen, um 100 000 zusätzliche Ausbildungsplätze in diesem Jahr zu schaffen. Es sieht so aus, als ob die Herren Schleyer, Schnitker und wie sie alle heißen, damit durchaus einen erheblichen Erfolg erzielen würden. Ob sie damit einen ausreichenden Erfolg erzielen, wage ich nicht zu prophezeien. Ich will nur die Prophezeiung hinzufügen, daß, wenn der Erfolg nicht ausreichen sollte, die Bundesregierung jene Rechtsverordnung, die die Umlage in Kraft setzt, um mit Hilfe der Umlage zusätzliche Ausbildungsplätze zu betreiben, tatsächlich erlassen wird. ({28}) Ich denke, Herr Abgeordneter Kohl, es ist nicht redlich, wenn man in so pauschaler Weise, wie Sie über dieses Feld gesprochen haben, Anklagen an die Adresse des Bundes richtet, obgleich Sie als langjähriger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz ganz genau wissen, daß ausschließlich die Landtage und die Landesregierungen die Verantwortung für das Schulwesen, das allgemeinbildende Schulwesen, das Berufsschulwesen und für die Hochschulen die Verantwortung tragen. Das ist Sache der Länder. Ich wäre durchaus dazu bereit, gemeinsam mit dem Koalitionspartner, mit der FDP, darüber nachzudenken, ob wir uns dieses Maß von Zerklüftung und Gegeneinander, das im Gewande des Föderalismus daherschreitet, in Wirklichkeit aber in vielen Fällen bloß partikularistische Eigenbrötelei ist, noch lange leisten dürfen. ({29}) Daß ,der Bund im übrigen bereit ist, seinen Beitrag zu leisten, mögen Sie aus dem Haushalt erkennen, den wir heute verhandeln. Darin sind mittelfristig 650 Millionen DM für den Ausbau von Berufsschulen als konkrete Hilfe an die Länder und 850 Millionen DM in einem mehrjährigen Programm für überbetriebliche Ausbildungsstätten enthalten. Sie können es an den beachtlichen Leistungen im Hochschulbau und in der Ausbildungsförderung erkennen. Ich habe dies nur aufgegriffen, weil dies die beiden einzigen Stellen waren, Herr Abgeordneter Kohl, Beschäftigungspolitik einerseits und Ihre Hinwendung an die junge Generation andererseits, wo Sie den Anschein von alternativer Politik erweckten. Ich sage „den Anschein" ; denn mich haben Sie nicht überzeugt. Sie werden wahrscheinlich überhaupt nicht viele Leute mit diesem Anschein überzeugt haben. ({30}) Sie haben ein weites Gebiet der Politik ausgelassen, obwohl Sie am Beginn der Rede - das stand dem Oppositionsführer durchaus zu - angekündigt haben, Sie wollten das ganze Feld der Politik abklopfen. Ich habe zur Außenpolitik kein einziges Wort gehört, weder von Ihnen noch von Herrn Kollegen Strauß. Wenn zwei Spitzensprecher der Opposition reden, sollte man vermuten, daß wir etwas zu Europa oder zum deutsch-deutschen Verhältnis, zu Amerika, zur Dritten Welt, zum Nord-Süd-Dialog, zur Entspannung, zur Sowjetunion oder zum Bündnis hörten. Sie haben dazu nicht gesprochen. ({31}) Ich finde das auch ganz gut; denn Sie haben auf diese Weise zu erkennen gegeben, daß auf diesem Feld von Ihnen nicht einmal der Anschein einer alternativen Politik erweckt werden kann. ({32}) Um zu zeigen, daß das keine Polemik meinerseits ist, Herr Abgeordneter Kohl, möchte ich Ihnen ein paar Hinweise geben, die Sie vielleicht selber schon gelesen haben. Ich habe ein Interview von zehn Schreibmaschinenseiten vor mir, das der hinter Ihnen sitzende Abgeordnete Professor Biedenkopf vor ein paar Tagen dem Deutschlandfunk gegeben hat, ein ausschließlich außenpolitisches Interview. Da wird zunächst von einer gewissen Gemeinsamkeit mit dem Inhalt der Regierungserklärung gesprochen, die ich am Freitag voriger Woche zur deutschdeutschen Politik abgeben durfte. Ich registriere das gern. Es wird irgendwann im Laufe des Interviews davon gesprochen, unter welchen Umständen vielleicht Herr Kollege Genscher von Ihnen ein Amt bekommen könnte, das er längst hat und das er auch behalten wird. ({33}) Aber das sind nicht die Stellen, auf die es mir ankommt. Mir kommt es z. B. auf folgende Stelle an. Da sagt der Herr Abgeordnete Professor Biedenkopf: Der Anlauf, den wir - er spricht von der CDU in Mannheim 1975 mit dem außenpolitischen Teil der Mannheimer Erklärung genommen haben, ist nicht zum Ende geführt worden. Es ist keine Frage, daß es hier einiges aufzuarbeiten gibt, auch und gerade was die ostpolitischen Traumata angeht. Ich nehme an, die Traumata innerhalb der CDU. Er führt dann weiter aus: Das Vertrauen in die Tragfähigkeit der Vereinbarungen, die damals geschlossen wurden, - da spricht er von den Verträgen, die die Herren Brandt und Scheel, der jetzige Bundespräsident, geschlossen haben war zunächst sehr gering. - Bei der CDU, verstehe ich. - Das ist inzwischen stärker geworden. - Bei der CDU, verstehe ich. Es ist zum Beispiel richtig, daß die Opposition heute eine andere Haltung einnimmt zu den Möglichkeiten der Schlußakte von Helsinki als damals, da die Schlußakte beraten wurde. ({34}) - Es ist ja gut, wenn aus Saulussen Paulusse werden, bloß nicht zu viele auf einmal, dann wird es unglaubwürdig. Aber Biedenkopf ist eher glaubwürdig, als wenn es Herr Strauß sagte; es würde keiner glauben, wenn er das sagen würde. Da ist nämlich wirklich noch viel aufzuarbeiten zwischen Herrn Biedenkopf und Herrn Strauß und zwischen Herrn Strauß und Ihnen, Herr Kohl. Sie haben keine Außenpolitik, Sie reden nur das, was andere Ihnen aufgeschrieben haben; und wenn nichts aufgeschrieben ist, dann hören wir nichts dazu. ({35}) Ich stimme dem Abgeordneten Biedenkopf zu, ({36}) mit dem mich sonst nichts verbindet als die normale Kollegalität unter allen Kollegen hier in diesem Hause. ({37}) Ich will ihm mit dem auch nicht schaden, was ich zitiere; aber es steht ja öffentlich zur Verfügung. Ich stimme dem Abgeordneten Biedenkopf ausdrücklich zu, wenn er im Rahmen dieses Interviews sagt: Die Konsequenzen jetzt aus diesen Veränderungen zu ziehen, die entsprechenden neuen Einstellungen zu entwickeln, ist eine wichtige Aufgabe, die die Opposition leisten muß und von der ich - Biedenkopf - meine, daß wir sie möglichst bald anpacken müssen. Sehr richtig, Herr Abgeordneter Kohl, sehr richtig! ({38}) Deswegen begrüße ich, daß Sie in Sachen Außenoder Europapolitik gar nicht erst versucht haben, den Anschein einer alternativen Politik zu erwekken; denn sie soll ja erst noch ausgearbeitet werden. Es tut mir allerdings leid und manchmal - das ist keine Übertreibung - auch ein bißchen weh, ({39}) wenn ich in der Öffentlichkeit von Ihnen andere Formen, andere Aussprüche zum Beispiel zur europäischen Politik oder zur Außen- oder zur Ostpolitik, zur Entspannung höre als die, die Sie heute lieber gar nicht erst machen. Nehmen Sie einmal die Tatsache, daß Sie im Anschluß an die europäische Debatte zum Beispiel im Zusammenhang mit den europäischen Direktwahlen versuchen, die Sozialdemokraten in Europa, die demokratischen Sozialisten in Europa, bei uns, in den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft, in gute und schlechte einzuteilen oder in linke oder rechte aufzuteilen, daß Sie glauben machen wollen, es gehe bei diesen Direktwahlen um - wie heißt es so schön bei Ihnen - „Freiheit oder Sozialismus". Was sagt eigentlich Ihr belgischer christdemokratischer Freund dazu, der Ministerpräsident einer Koalition von Christdemokraten und Sozialdemokraten in Brüssel ist? Er denkt doch nicht im Traum daran, dies mitzumachen. Er glaubt Ihnen auch nicht, daß dies Ihr Ernst ist, Herr Abgeordneter Kohl. Ich glaube auch nicht, daß es Ihr Ernst ist. Es ist nur Ihre Polemik, Ihre Agitation. ({40}) Was sagen eigentlich die neuerdings vereinigten holländischen Christdemokraten dazu, die gemeinsam mit Sozialdemokraten in einer von einem Sozialdemokraten geführten holländischen Regierung sitzen, zu diesem Ihrem Slogan? Glauben Sie, die holländischen Christdemokraten würden sich dem anschließen, möglicherweise ihre Koalition platzen lassen, damit sie mit Herrn Kohl in Deutschland eine gemeinsame Kampagne machen können? Herr Brandt hatte schon völlig recht vorhin, als er erneut darauf hinwies, daß Sie sich, weil Sie den Rat Ihres früheren Generalsekretärs nicht befolgen und nicht aufarbeiten, von allen Leuten isolieren, mit denen Europa gemeinsam doch nur gebaut werden kann. Alle Kräfte gemeinsam müssen das tun. ({41})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. Ich hatte angekündigt, daß ich mit Ausnahme der Frage von Herrn Althammer weitere Zwischenfragen nicht zulassen wollte. Der Vorsitzende der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, hat im Blick auf das direkt zu wählen2580 de Europäische Parlament sehr klar gesagt - und dies nicht nur einmal; heute klang es wieder an -: Die deutschen Sozialdemokraten maßen sich nicht an, Entscheidungen an Stelle der befreundeten Parteien in anderen Ländern zu treffen. Aber mit ihnen sind wir uns beispielsweise einig, daß es im direkt gewählten Europäischen Parlament ohne Vermengung oder Verwischung für uns nur eine Fraktion der demokratischsozialistischen, also sozialdemokratischen Abgeordneten geben kann. ({0}) Er hat mehrere Male auch dies gesagt: „Europa wird pluralistisch sein, oder es wird gar nicht sein." ({1}) Herr Kohl, ein Europa, von dem Sie meinen, nur Ihre Art und Interpretation der Freiheit dürfe es dort geben und das, was sich andere unter einer demokratisch wachsenden Gesellschaftsordnung vorstellen, dürfe es nicht geben, ein solches Europa wird nicht sein. ({2}) Wenn ich einmal einen Moment aus der Rolle des Bundeskanzlers einer Koalitionsregierung herausspringen darf und für eine Minute als Sozialdemokrat sprechen darf - ,das war das, was ich vorhin meinte, als ich sagte, mir täte es manchmal weh; aber ich habe auch die Absicht, mich zu wehren -: Ich finde es zum Kotzen, daß Sie uns Sozialdemokraten immer wieder mit den Kommunisten in einen Topf werfen wollen, mit denen wir nichts zu tun haben. ({3}) Frau Präsidentin, erlauben Sie mir, den Ausdruck zurückzunehmen, 'den ich eben gebraucht habe. Er hat zwar meine Seelenlage zum Ausdruck gebracht, aber vielleicht war er nicht ganz parlamentarisch. ({4}) Der Abgeordnete Kohl hat sodann am heutigen Vormittag mehrere Male - was ihm zusteht und was taktisch für ihn geboten war - davon gesprochen, daß bei uns nicht sicher sei, ob wir die Abgeordneten, die der sozialliberalen Koalition zugehören, bei jeder Abstimmung zu gemeinsamem Abstimmungsverhalten bewegen könnten. Es ist wahr: Sie hatten in der letzten Woche einen Anlaß, solche Bemerkungen zu machen. Zwei Abgeordnete haben gegen eine Vorlage gestimmt. Drei haben sich der Stimme enthalten. Ihre Schadenfreude über das Ende der Bundesregierung war jedoch ein bißchen weit hergeholt, Herr Abgeordneter. Ihre Schadenfreude ist überhaupt ein bißchen schwer verständlich. Ich erinnere mich an viele Ereignisse der letzten Jahre. Nehmen Sie nur einmal 'den Vertrag mit Polen. Herr Kohl war damals Ministerpräsident. Er stimmte im Bundesrat dafür. Herr Strauß war dagegen, nahm aber an der Abstimmung im Bundestag nicht teil. Herr Stoltenberg hat im Bundesrat dafür gestimmt. Herr Professor Carstens, damals noch Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, hat im Bundestag dagegen gestimmt. Herr Barzel hat im Bundestag dafür gestimmt. Herr Dregger war dagegen, hat aber an der Abstimmung im Bundestag nicht teilgenommen. Herr Katzer hat im Bundestag dafür gestimmt, Herr Stücklen hat im Bundestag dagegen gestimmt. Herr Wörner war im Bundestag dagegen, Herr Weizsäcker im Bundestag dafür, Herr Maier im Bundesrat dafür, Frau Wex im Bundestag dagegen. Das wäre noch kein Ende ,der Aufzählung; ich könnte noch sehr viel mehr vorlesen. ({5}) Das war ja aber nicht das erste Mal. Als es darum ging, ob die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der United Nations werden sollte, hat Ihre Fraktion sich hier bei der Abstimmung geteilt: 99 Kollegen waren dafür. Als es um den Grundlagenvertrag mit der DDR ging, waren Sie sich auch nicht einig. Wie es bei den Polen-Verträgen war, habe ich Ihnen eben geschildert. Als es um den Nichtverbreitungsvertrag ging, waren 113 Abgeordnete Ihrer Fraktion dafür, andere waren dagegen. Beim Mitbestimmungsgesetz stimmten 21 Abgeordnete mit Ja, andere mit Nein. Ich sage das alles nicht, um es zu kritisieren. Nur wenn es in Ihrer Fraktion möglich ist, daß in einer schwierigen konkreten Frage Abgeordnete sich verschieden entscheiden, dann wollen Sie das bitte auch anderen politischen Parteien zugestehen, ohne sich moralisch über Sie zu erheben. ({6}) Es wird ja bei Ihnen auch nicht das letzte Mal gewesen sein, Herr Abgeordneter Kohl. Lassen Sie mich zum Zusammenhalt dieser sozialliberalen Gesetzgebungs- und Regierungskoalition sagen, wie sich die Situation mir gegenwärtig darstellt: nicht viel anders als im Laufe der letzten Jahre immer, nämlich daß die Liberalen und wir Sozialdemokraten gemeinsam die große bewegende Kraft für soziale Gerechtigkeit sind, die in unserem Volk auch in den nächsten Jahren gebraucht wird, ({7}) daß wir gemeinsam die Kraft sind, die in Europa auch in den nächsten Jahren gebraucht wird, um den Frieden zu festigen und um sicher zu sein, daß der Frieden nicht gefährdet wird durch leichtfertige Reden oder leichtfertiges Handeln. ({8}) Dies ist mehr als ein Zweckbündnis zur Erlangung von Mehrheiten von Tag zu Tag. ({9}) Dabei sind die gemeinsamen Fundamente die Werte der Humanität, der Liberalität, der Toleranz und die Menschenrechte. Das werden Sie uns bei allem Streit, wie man es konkret bewirkt, mehr Menschenrechte für mehr Menschen herauszuholen, nicht abBundeskanzler Schmidt erkennen wollen. Wir haben übrigens durch unsere Außen- und Entspannungspolitik im Laufe der letzten anderthalb Jahre für 70 000 Menschen volle deutsche Grundrechte im Sinne des Grundgesetzes erlangt, die durch Polemik, Herr Abgeordneter Kohl, nicht zu erlangen gewesen wären. ({10}) Diese sozialliberale Koalition mit zwei aufeinanderfolgenden liberalen Außenministern und zwei aufeinanderfolgenden sozialdemokratischen Bundeskanzlern hat sich wie keine andere Regierung bisher in der Geschichte - es wird ja in Zukunft noch vieles gehofft werden dürfen - als eine Regierung des Ausgleichs im Verhältnis zu unseren Nachbarn in West und in Ost und ganz genauso als eine Regierung des inneren Ausgleichs bewährt. ({11}) Es ist müßig, zu spekulieren, was z. B. geschehen wäre, wenn Herr Abgeordneter Kohl in den letzten Jahren dort gesessen hätte, wenn Herr Abgeordneter Strauß dort gesessen hätte, an den internationalen Konferenzen teilgenommen und die Verhandlungen in Warschau und in Moskau und mit der Deutschen Demokratischen Republik geführt hätten. Das wäre reine Spekulation. Es wäre auch Spekulation, sich zu überlegen, wie es wohl während der gleichzeitigen Strukturkrise der ganzen Weltwirtschaft und während der gleichzeitigen konjunkturellen Rezession in der ganzen Welt mit der Aufrechterhaltung des inneren Friedens unter einer Regierung gewesen wäre, die so redet, wie der Oppositionssprecher Strauß heute nachmittag wieder geredet hat. ({12}) Es wird vielleicht vom lautstarken Geplänkel des Tages bisweilen überdeckt, aber im Verhältnis der gesellschaftlichen und sozialen Gruppen zueinander haben sich im Laufe der letzten Jahre, wie ich meine, so, daß man es spüren kann, neue zusätzliche Erkenntnisse, neue Denkweisen, jedenfalls ein stärker kooperatives Verhalten ergeben. Wir wollen keine Vertuschung natürlicher Gegensätze, aber wir sind doch stolz darauf, daß es gelungen ist, einen besseren Stil des gesellschaftlichen Dialogs und neue Maßstäbe verantwortlichen Handelns in unserer Gesellschaft zu finden und für sie auch Anerkennung zu finden. Nur so ist es ja gelungen, den schrecklichen Druck der letzten Jahre, den wirtschaftlichen Druck auszuhalten, ohne daß es politisch krisenhafte Zuspitzungen gegeben hätte. Manchmal habe ich ein bißchen das Gefühl, daß einige der an der Debatte teilnehmenden Damen und Herren nicht nur hier im Hause, sondern auch in der breiteren Offentlichkeit, nur deshalb so einseitige, so zugespitzte und so polemische Auffassungen äußern können, weil sie sich des Ausmaßes der Gefährdung durch die Weltwirtschaftskrise gar nicht recht bewußt sind. Sie können sich vielleicht auch gar nicht alle dessen bewußt sein, weil wir ein bißchen besser als die meisten Länder die Auswirkungen dieser Krise auf unsere eigene Gesellschaft, auf unsere eigene Volkswirtschaft abgefangen haben. Deswegen ist die Krise bei uns nicht so deutlich sichtbar geworden. Ich sehe, daß der Abgeordnete Kohl - wie meistens bei solchen Auseinandersetzungen - ein mokantes Lächeln aufsetzt. Herr Abgeordneter Kohl, zeigen Sie mir einen Gewerkschafter, der statt mit den deutschen lieber mit anderen Arbeitgebern innerhalb unserer näheren oder weiteren Nachbarschaft, in anderen Ländern verhandeln möchte! ({13}) Zeigen Sie mir einen deutschen Unternehmer, der statt mit unseren Gewerkschaften lieber mit den Gewerkschaften etwas weiter südlich oder östlich oder westlich von unserem Lande verhandeln möchte! ({14}) Ich habe einen großen Respekt vor der Art und Weise, wie Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander umzugehen gelernt haben. Sie sollten aber nicht glauben, daß das völlig ohne Mitwirkung der sozialliberalen Koalition so geworden wäre. Das ist es nicht. ({15}) So ist z. B. die Gesetzgebung in diesem Hause eine wesentliche Voraussetzung für diese vernunftgemäße Entwicklung des wirtschaftspolitischen und des sozialen Klimas in unserem Land. Es gibt zu einer solchen Politik des inneren Ausgleichs keine wirkliche Alternative. Herr Abgeordneter Kohl, begeben Sie sich bitte nicht auf das Feld der Währungspolitik, weder der Binnenwährungspolitik noch der Außenwährungspolitik. Ich begebe mich auch nicht auf alle Felder. Man muß ja als Oppositionführer nicht ausgerechnet etwas aus einem Bereiche vorlesen, von dem man wirklich keine Ahnung hat. ({16}) Es ist doch schwer zu verstehen, wenn der Abgeordnete Kohl die Inflation in Deutschland beklagt, obwohl Deutschland nächst der Schweiz das inflationssicherste Land des ganzen Erdballs ist. So ein Unfug! ({17}) Ich könnte hier zitieren ({18}) - aber es kostet zu viel Zeit -, was der Präsident des amerikanischen Zentralbanksystems vor drei oder vier Wochen in Godesberg in einem privaten, aber großen Zirkel - auch einige Abgeordnete Ihrer Fraktion waren anwesend - kritisch über das Währungsverhalten vieler Staaten in der Welt und lobend über die Währungsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland gesagt hat; und er ist ja nicht der einzige. Daß wir heute in Deutschland die niedrigsten Zinsen haben, auch die niedrigsten Hypothekenzinsen, nicht nur im Verhältnis zu allen anderen Nachbarn und in der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch wenn wir es mit den zurückliegenden zehn oder zwölf Jahren vergleichen, einschließlich der Zeit, in der Herr Strauß Finanzminister war, das ist doch kein Zufall! ({19}) - Wenn jetzt einer „Helaba" und dergleichen dazwischenruft, ist das auch kein Zufall: es zeigt, daß Sie von der Sache nichts wissen und polemisieren wollen, koste es, was es wolle. ({20}) Es hat keinen Sinn, alte Gespensterschlachten immer neu aufführen zu wollen. ({21}) Es gibt zur Politik des inneren und des sozialen Ausgleichs in Wirklichkeit keine prinzipielle Alternative. Darin liegt auf der anderen Seite die große und unverwechselbare Chance dieser sozialliberalen Gesetzgebungs- und Regierungskoalition - nicht nur heute, sondern auch für die Zukunft -: Eine Alternative gibt es nicht. Der verstorbene Kollege Karl-Hermann Flach hat das einmal auf einen Punkt gebracht, den ich quasi als geschichtliche Legitimation dieser Koalition empfunden habe; da heißt es bei Flach: Sozialismus und Liberalismus sind eben nicht Feuer und Wasser, sondern in ihrem ursprünglichen Bemühen um den Menschen durchaus vereinbar. ({22}) - Nein, nicht Maihofer, sondern Flach. Es ist auch nicht zum Lachen, sondern es war von dem verstorbenen Flach ernst gemeint, Herr Kohl, ({23}) und wird von mir im Ernst zitiert. Das Bemühen um I den Menschen ist die Kraft in dieser Koalition. Ideologien sind es nicht. ({24}) Flach ist es darum gegangen, daß man revolutionäre Situationen, die immer dann entstehen, wenn Menschen allzulange unterdrückt und sozial benachteiligt werden, nicht erst entstehen lassen darf, und zwar dadurch, daß man für Reformen arbeitet, für die Menschen, für den Frieden Politik macht. Sein Kernsatz war: „Die eigentlich revolutionäre Gefahr in Westeuropa sind die Konservativen, die Gestrigen, die Reformunfähigen." Uns verbindet auch die Fähigkeit und der Wille zum Kompromiß. Der fehlt Ihnen auch; Sie berufen ja die Strategiekommission schon seit einem halben Jahr gar nicht ein, weil Sie wissen, daß Sie sich nicht würden einigen können. ({25}) Das mit den Kompromissen jede Woche und beinahe jeden Tag ist schwierig, und vieles muß man dabei in sich überwinden. Man muß auch sein eigenes Temperament bisweilen überwinden. ({26}) - Herr Vogel, dann lassen Sie mich auch noch eines hinzufügen. Von Wilhelm II. ({27}) über Adolf Hitler bis auf den heutigen Tag gibt es immer wieder Deutsche, insbesondere leider auch unter den jüngeren Menschen, die meinen, daß der Kompromiß im Prinzip etwas Faules sei. Natürlich gibt es auch faule Kompromisse, aber ich füge hinzu: Wer grundsätzlich den Kompromiß ablehnt oder zu ihm nicht fähig ist, der ist zu einer friedlichen Außenpolitik nicht fähig, und ebensowenig ist er zu einer demokratischen Innenpolitik fähig. ({28}) Vor einem halben Jahr hatte es gegen Schluß der Regierungserklärung am 16. Dezember in sieben Schwerpunkten geheißen: Erstens. Wir wollen weiter den Frieden sichern durch Fortsetzung unserer bisherigen Außenpolitik, durch Fortsetzung unserer bisherigen Politik der guten Nachbarschaft und der Partnerschaft. Ich habe kein Wort der Kritik an Herrn Bundesminister Genscher gehört. An ihm ist ja auch nicht viel zu kritisieren. Nicht einmal Herr Biedenkopf konnte sich um die positive Antwort auf die Frage herumschlängeln, wie es mit Herrn Genscher stehe. Er hat nur gesagt, wenn Herr Genscher in einer CDU/CSU-Regierung Außenminister wäre, müßte er sich vielleicht in einigen Punkten nach der Politik der anderen Regierung richten. Bloß liege deren Außenpolitik noch nicht fest, hat Herr Biedenkopf gesagt. ({29}) Wir haben in diesen sechs Monaten für die Partnerschaft in der Welt zwischen den Staaten des Westens, aber auch im Verhältnis zwischen West und Ost eine ganze Menge hinzugefügt; auch der Außenminister hat eine ganze Menge hinzugefügt. Aber Sie haben darüber heute nicht einmal geredet. Weiter hat es am Schluß der Regierungserklärung geheißen: Zweitens. Wir wollen die Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen - durch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik. Das ist die dickste Sorge, die alle gegenwärtig in jedem Land haben - auch wir in Deutschland. Wir haben dazu das 16-Milliarden-Programm auf den Weg gebracht. Inzwischen ist es sogar von allen Ländern unterschrieben. Sie haben auch ein Programm angekündigt. Es liegt noch nicht auf dem Tisch, aber es wird wohl noch kommen. Nur können Sie unsere positive Zwischenbilanz doch nicht dadurch entkräften, daß Sie sagen, auch Sie kämen demnächst mit einem Papier. Diesem zweiten Schwerpunkt folgte: Drittens. Wir wollen den sozialen Frieden und unsere innere Sicherheit bewahren - durch sozialen Ausgleich und durch liberale Rechtsstaatlichkeit. Ich erinnere an die Rentengesetzgebung. Herr Kohl hat heute morgen von „Rentenbetrug" gesprochen. ({30}) Ich stelle dazu fest, daß die Rentner am 1. Juli eine um 9,9 % höhere Rente bekommen. ({31}) Bei einer Preissteigerung von gegenwärtig 3,7 % sind das netto und real mehr als 6 % für jede Rentnerin und jeden Rentner. Die Gewerkschaften wären glücklich, wenn sie für die aktiven Arbeitnehmer netto und real eine solche Steigerung des Lohnes herausholen könnten. ({32}) Was den liberalen Rechtsstaat angeht, erwähne ich die Novellierung der Kriegsdienst- und Ersatzdienstregelungen, die Sie demnächst in Karlsruhe vor den Kadi ziehen wollen. Diese Novelle ist allerdings Ausdruck von Liberalität, nämlich dem Gewissen der einzelnen Person Freiheit zu lassen. ({33}) Viertens. Festigung des Sozialen Netzes. In dem Steuerpaket, das in der vorigen Woche hier behandelt wurde, ist auch die Kindergelderhöhung enthalten. Als Schwerpunkt hatten wir in der Regierungserklärung genannt: Fünftens. Wir wollen unser gutes Gesundheitswesen wirtschaftlicher machen - durch Sparsamkeit und strukturelle Reformen. Wir sind dabei. Wie Sie wissen, liegt das Gesetzgebungspaket „Kostendämpfung" gegenwärtig im Vermittlungsausschuß des Bundesrates und des Bundestages. Wie mir berichtet wurde, ist es dort heute morgen um drei oder um halb vier Uhr zu einem vorläufigen Abschluß gekommen. Man wird sehen, wie sich der Bundesrat jetzt dazu einstellt. In manchen Feldern ist es ja nicht so, wie es im Grundgesetz steht, nämlich daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt; das ist in manchen Fällen vielmehr leider der Vermittlungsausschuß. Ich bedaure das. Aber ich kann es nicht ändern. Wenn wir nur wüßten, was dort alles Kluges gesagt wird. Aber das darf ja nicht mitgeteilt werden. Wir haben auf diesem Feld unsere Pflicht getan, Herr Abgeordneter Kohl. Sorgen Sie dafür, daß die von der CDU/CSU geführten Länder im Bundesrat ebenfalls ihre Pflicht tun! ({34}) In diesem Zusammenhang muß ich eine Bemerkung anfügen. Einer von Ihnen hat heute morgen eine abfällige Bemerkung über unseren Kollegen Walter Arendt gemacht. Mir liegt am Herzen, darzutun, daß - z. B. was die Kostendämpfung angeht, aber nicht nur dafür - eine Fülle von Vorarbeiten und Konzeptionen in seinem Kopf und unter seiner Federführung entstanden ist. Nicht nur ich, sondern Millionen von Menschen wissen sich Walter Arendt Dank schuldig, das sollten Sie hier nicht lächerlich machen. ({35}) - Herr Präsident, ich kann die Zwischenrufe nicht verstehen. Vielleicht fordern Sie einen oder zwei der Herren auf, einen einzelnen Zwischenruf zu machen. ({36}) - Es war ja nicht das erste Mal und bleibt nicht das letzte Mal, daß Bundesminister, die sich Entscheidungen ausgesetzt sehen, die sie so nicht richtig finden, deswegen von ihren Ämtern zurücktreten. Das haben sehr viele honorige Männer vor Walter Arendt getan, und sehr viele nach ihm werden das tun. Das ist doch kein Grund, sich darüber lustig zu machen! ({37}) Hier sitzt noch einer, der zurückgetreten ist. Er hat heute mittag um zwei Uhr das große Wort geführt. Aus welchem Grunde mußte denn der Herr Abgeordnete Strauß zurücktreten? ({38}) Der sechste Punkt am Schlusse des Regierungsprogramms vom 16. Dezember lautete: Wir wollen unserer Jugend Türen öffnen und gute Chancen in Bildung und Beruf bieten. Wir haben in den sechs Monaten seither auf diesem Felde zum einen das Bundesausbildungsförderungsgesetz novelliert. Wir ringen mit den Ministerpräsidenten - ich habe es Ihnen dargestellt - um den Numerus clausus und andere Veränderungen im Bildungswesen. Wir blicken mit Erwartung auf die gemeinsam von den Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden sowie vom Handwerk mit der Bundesregierung unternommenen Anstrengungen zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze. Da ist in diesen sechs Monaten eine ganze Menge geschehen. Der siebte und letzte Punkt hieß: Wir wollen helfen, unsere Städte, Gemeinden und Landschaften lebenswert zu erhalten... Für diesen Zweck ist eine ganze Menge im 16-Milliarden-Programm eingesetzt. Dazu gibt es den neuen § 7 b für die eigengenutzte Mietwohnung, um sie in Eigentum umzuwandeln - für jedermann und nicht nur für den, der sich ein größeres Haus bauen kann. Dazu gehören die Anstrengungen um umweltfreundlichere Energie, um nur einiges Wenige zu nennen. So haben wir in diesen sechs Monaten, was die sieben zusammenfassenden Schwerpunkte der Regierungserklärung angeht, eine ganze Menge zuwegegebracht. Ich gebe zu, Sie machen bei einigen Punkten noch Schwierigkeiten im Bundesrat; das ist wahr. Das müssen wir wohl ertragen und müssen mit Ihnen dort ringen, so gut wir es können. Allerdings müssen wir auch ertragen, wenn uns immer einmal wieder das Wort „Macher" angehängt wird. Ich habe nichts dagegen, Herr Kohl. Wir haben ja in der Tat einiges gemacht. Wir haben sogar einiges besser gemacht. ({39}) Herr Abgeordneter Kohl, lieber ein Bessermacher als ein Besserwisser! ({40}) Schließlich möchte ich noch auf das Wort von der Staatsverdrossenheit zurückkommen - oder wie immer es geheißen hat -, das einer hier gebraucht hat. Bisher hat sich unser Staat in der Bewältigung der schweren wirtschaftlichen Belastungen, der Krise und ihrer Folgen als intakt und als voll funktionsfähig erwiesen. ({41}) Die bisher erfolgreiche Krisenbewältigung hat in Wirklichkeit das Vertrauen der Bürger in ihren Staat - in ihren Staat, sage ich! - gefestigt. Die Bürger wissen: Unser Staat wird auch in Zukunft jene Bewährungsproben bestehen, an denen der Weimarer Staat schließlich kaputtgegangen ist. Es gibt keine Staatsverdrossenheit, Herr Abgeordneter Kohl. Der Bundestagspräsident hat heute morgen bei dem Einzelplan Bundestag mit Recht darauf hingewiesen, daß das klare Votum der überwältigenden Mehrheit der Wähler für die demokratischen Parteien besagt, daß die Bürger mit dem demokratisch verfaßten Staat, mit unserem parlamentarischen System in ihrer weit überwiegenden Mehrheit zufrieden sind. Eine andere Frage ist, Herr Abgeordneter Kohl, ob die Bürger gegenwärtig mit allen demokratischen Parteien voll zufrieden sind. Das haben auch Sie in Fragestellung angedeutet. Ich unterstreiche Ihre Fragestellung. Da möge jeder in seinem eigenen Hause die Prüfung anstellen. Ich nehme meine Partei, soweit ich für sie reden darf, dabei gewiß nicht aus. Eines allerdings möchte ich noch ein bißchen weiter ausführen, was der Herr Bundestagspräsident heute morgen gesagt hat. Ich denke, daß unsere Politik des sozialen Ausgleichs zum Beispiel die überaus wohltuende Wirkung hat, daß - anders als in anderen europäischen Staaten - bei uns extremistische Gruppierung links oder rechts zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sind, auch wenn sie sehr viel Geräusch machen und auch wenn sie in beiden Kanälen des deutschen Fernsehens etwas häufiger abgebildet werden, als es eigentlich wünschenswert und notwendig ist. ({42}) Es gab bei der letzten Bundestagswahl einen Gesamtstimmenanteil von 0,9 % für diese Gruppen - wirklich keine Spur einer Chance. Das war doch 1969 noch anders! Und es war in der Rezession von 1966 auf 1967 noch ganz anders! Damals hatten wir den großen Aufstieg der NPD in Hessen und in Bayern - Rechtsextreme -, aber auch den Anstieg von Linksextremen. Insofern ist seither eine Festigung eingetreten. Und man sollte, denke ich, das durchaus anerkennen. Sie müssen nicht mit mir darauf stolz sein, daß wir zu einem kleinen Teil dazu beigetragen haben; aber in Wirklichkeit haben auch Sie - die Christdemokraten - zu Ihrem Teil dazu beigetragen. So kann man gemeinsam stolz darauf sein, wenn man überhaupt noch ein bißchen Gemeinsamkeit will und nicht nur immer von der „Gemeinsamkeit der Demokraten" redet, wie es meistens der Herr Oppositionsführer hier im Bundestag tut. Darauf kann man gemeinsam stolz sein, Herr Kohl! ({43}) Man kann auch andere Gemeinsamkeiten entdekken, zum Beispiel die gemeinsame Notwendigkeit, nicht nur mit gesetzgeberischen Maßnahmen gegen eine andere große Besorgnis vorzugehen, die Sie ja doch teilen. Ich rede jetzt nicht von der Arbeitslosigkeit, sondern vom Terrorismus, der ja nicht tot ist - international nicht tot und bei uns auch nicht. Ich denke, wir sollten alle nicht hinnehmen, daß in unseren Bildungseinrichtungen oder in unseren Medien Gewalt verherrlicht wird. Das soll nicht heißen, daß wir kritische und unbequeme Meinungen denunzieren dürften. Wir müssen die Grenzlinien sauber und sorgfältig ziehen, damit da keine falsch verstandenen Solidarisierungen entstehen, die die Isolierung des harten Kerns des Terrorismus verhindern könnten. Aber eine Beschönigung oder eine Verniedlichung von Gewalttat darf es in diesem Lande ebenso wenig geben wie eine indirekte Rechtfertigung durch das scheinbar ganz objektive Verbreiten und Weitergeben terroristischer Argumente. Manches, was hierzulande hier und da zu hören und zu lesen war, hat mich an etwas erinnert, was ich aus der Geschichte sehr gut weiß - nur die älteren Kollegen werden es bewußt miterlebt haben -, nämlich an die Verherrlichung der Gewalttat nach den Morden an Rathenau und Erzberger und Liebknecht und Rosa Luxemburg. Mich macht das tief betroffen, daß es junge Menschen gibt, die wirklich vieles noch nicht recht unterscheiden können, die sich aber hinstellen und meinen, es sei nun schick, die mörderische Gewalttat gegenüber dem Fahrer und dem Justizwachtmeister und dem Generalbundesanwalt zu verherrlichen. Ich denke, wir sollten uns alle darum kümmern, initiativ, nicht bloß als politische Parteien, sondern auch jeder in seinem persönlichen Wirkungskreis, auch in seinem politischen Wirkungskreis. Herr Genscher hat einmal gesagt - er hat damals als Parteivorsitzender der FDP gesprochen -, vielleicht dämmere es eines Tages in konservativen Köpfen, daß sich in der Regierungskoalition mit der FDP die Sozialdemokratische Partei in einer Zeit großer ideologischer Verwerfungen in Europa der schmerzhaften Aufgabe unterzieht, auch Gruppen links von ihr in unsere Demokratie zu integrieren. Wir tun das ja alle. Sie tun das auch. Sie versuchen auch, am rechten Ende des politischen Spektrums zu integrieren. Lassen Sie uns das doch gegenseitig anerkennen und nicht gegenseitig vorwerfen, Herr Abgeordneter Kohl! ({44}) Im übrigen aber bin ich ganz zuversichtlich. Auch wenn in der Sozialdemokratie hart um die Sacho gekämpft wird, immer wieder - das ist in 113, 114 Jahren unserer Geschichte immer so gewesen -: Wenn es hier zum Schwur kommt, dann stehen wir und dann haben wir hier zusammen mit der FDP eine sozialliberale Gesetzgebungsmehrheit. Deswegen bringen Sie ja auch kein konstruktives Mißtrauensvotum ein, weil Sie schreckt, was Herr Kollege Barzel erlebt hat. ({45}) Das Beschwören von Untergangsstimmungen, Herr Abgeordneter Kohl, das Herumhantieren mit der Katastrophe sollten Sie eigentlich den politischen Agitatoren überlassen. Das ist noch keine Politik. ({46}) Was wir brauchen, sind Vernunft und Urteilskraft und sicherlich Leidenschaft im Engagement an der Sache - das Engagement kann durchaus entgegengesetzt sein -, aber bitte auch Stolz auf gemeinsam Erreichtes und Selbstvertrauen. Unser Volk hat Grund zum Selbstvertrauen! ({47})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man nach der Rede des verehrten Kollegen Brandt und des Herrn Bundeskanzlers nach einem Kommentar sucht, dann hat ihn eben die SPD-Fraktion gegeben. Mit dieser Ovation im Aufstehen wollen Sie Ihr schlechtes Gewissen beruhigen. Das ist die wirkliche Lage! ({0}) Das schlechte Gewissen übertönt diese ganze Debatte. Ich will gleich noch ein Wort zu dem Kollegen Brandt sagen. Aber zuvor noch eine Bemerkung, Herr Bundeskanzler! Der Aufwand an Stimme, Gestik und Theatralik, den Sie hier heute erbrachten, steht in keinem Verhältnis zu jenem Verlust an Selbstsicherheit, den Ihre Rede deutlich gemacht hat. ({1}) Franz Josef Strauß hat heute nachmittag Ihr parlamentarisches Bild, Ihr Demokratieverständnis beschrieben. Wenn es überhaupt noch eine Belegstelle, einen Beweis für seine These gebraucht hätte, dann waren es Ihre Ausführungen, Herr Bundeskanzler: Seine Majestät ist beleidigt! Dieses Zitat von Wilhelm II. ist der naheliegende Beleg für ihr parlamentarisches Selbstverständnis. ({2}) Herr Kollege Brandt, ein Wort zu Ihnen. ({3})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, ich wäre dankbar, wenn Sie Platz nehmen oder gegebenenfalls den Saal verlassen würden. ({0}) - Das ist leider ein übliches Bild: Wenn der Redner einer Fraktion geendet hat, verlassen einige Herren der Fraktion des Redners den Saal. Ich bitte, Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Brandt, Sie haben einen weiten Weg zurückgelegt, der heute in dieser Rede kulminierte. Lassen Sie mich das ganz offen sagen: Es war ein Augenblick voller Peinlichkeit, als Sie hier dem Bundeskanzler Helmut Schmidt Ihre pflichtgemäße Loyalität dargebracht haben; ({0}) denn darüber - ich habe genau hingehört - kann es doch wohl keinen Zweifel mehr geben: Sie beide haben sich nichts zu sagen. Sie sprechen in wesentlichen Punkten der Politik - ich komme darauf noch zu sprechen - in der Zwischenzeit wie so viele in der SPD eine gänzlich andere Sprache. Natürlich haben Sie Nachholbedarf. Aber so markige Reden - „Dies ist unser Bundeskanzler!" - lassen doch nur das Gedächtnis darüber auffrischen, daß ganz andere Dinge unterwegs sind und sich bewegen. Meine Damen und Herren, das sind Bekenntnisse, die in der Tat nichts mehr als Wortgeklingel bedeuten. Herr Kollege Brandt, deswegen wollen wir darüber nicht weiter reden. Ich bin sicher, daß diejenigen, die darüber zu beschließen haben, wann die Ara Schmidt in der SPD beendet sein wird, schon unterwegs sind. Und Sie wissen es auch. ({1}) Aber ich will nur drei Fragen aufnehmen, die Sie hier angesprochen haben. Sie haben mir geraten, viel ins Ausland zu reisen. Ich tue das und folge gern Ihrem Rat. Nur, Herr Kollege Brandt: Ich würde Sie gern einmal in Rom treffen und dort erleben, daß Sie mit Ihren sozialistischen Freunden darüber reden, wie die demokratische Mitte in Italien gegen die kommunistischen Anstürme gewappnet werden kann. Das wäre einer dieser Punkte. ({2}) Herr Kollege Brandt, Sie haben mir die Frage gestellt: Mit wem wollen Sie Europa bauen? - Verehrter Herr Kollege Brandt, wir haben bereits unter Konrad Adenauer mit Alcide de Gasperi und Robert Schuman ein Europa gebaut, als Sie noch der Fahne des demokratischen Nationalismus nachliefen. ({3})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brandt?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön!

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, wissen Sie nicht, daß in diesen ganzen letzten Wochen die Vertreter Ihrer Bruderpartei, der Christlich-Demokratischen Partei Italiens, von morgens bis abends mit den Vertretern der Kommunistischen Partei verhandelt haben ({0}) und daß nach der dortigen Schlachtordnung die Sozialisten dort erst an dritter Stelle stehen? Warum sagen Sie zu diesem Punkt an dieser Stelle nicht das, was die Wahrheit ist, sondern versuchen, abzulenken? ({1})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, dies ist in der Tat eine erstaunliche Frage für den Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale. ({0}) Ich muß es ganz drastisch formulieren, Herr Kollege Brandt: entweder wissen Sie nicht, was Sie fragen, oder Sie halten dieses Hohe Haus für dumm. Das ist die einzige Alternative. ({1}) Es kann doch keinen Zweifel darüber geben, daß die Regierungskrise in Italien und die Notwendigkeit der Gespräche mit den Parteien des sogenannten Verfassungsbogens vor allem darauf zurückzuführen sind, daß sich Ihre politischen Freunde in Italien leichtfertig ihrer Verantwortung entzogen haben. ({2}) Und, Herr Kollege Brandt, sollte Ihnen wirklich in dem Olymp, in dem Sie offensichtlich leben, entgangen sein, daß Ihre sozialistischen Freunde für ihren Eintritt in eine neue Regierung den Eintritt der Kornmunisten zur Voraussetzung gemacht haben? ({3}) Sie haben hier die Frage gestellt -

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf den Satz gerade noch zu Ende führen: Sie haben mich gefragt, ob ich nicht empfinde, daß wir in Europa isoliert sind. Herr Kollege Brandt, Sie sind isoliert; ({0}) Sie wissen ja nicht einmal, was in der Sozialistischen Internationale vor sich geht. ({1}) Bitte schön!

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, ist Ihnen bekannt, daß in diesem Augenblick Sozialdemokraten in sieben der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft an oder in der Regierung sind und daß in keinem dieser sieben Staaten Sozialdemokraten mit Kommunisten regieren, während - ich sage es noch einmal in Italien Christdemokraten mit Kommunisten verhandelt haben und sich jetzt einigen werden? ({0})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, dies ist ein Paradebeispiel ({0}) Brandtscher Logik oder Brandtscher Diffamierung; Sie können es sich aussuchen. ({1}) Herr Kollege Brandt, wir sprachen über Rom und Italien; ich spreche gleich über die anderen europäischen Länder. ({2}) Nur noch einmal, damit Sie es nicht vergessen: In Italien entstand die Notwendigkeit, auch mit Kommunisten zu sprechen, wegen der Verweigerung der Verantwortung der italienischen Sozialisten. Das ist die Wahrheit! ({3}) Nun noch einmal zu Ihrem europäisch-sozialistischen Bekenntnis, weil dies vorhin im Lärm unterging: Wir haben keinen Nachholbedarf in europäischen Fragen. Dieses Europa wurde gebaut, sein Grundstein wurde gelegt in den bitteren Stunden nach dem Zweiten Weltkrieg von großen Männern aus unserem Überzeugungsbereich, den der Herr Bundeskanzler hier in der ihm eigenen Sprache, die er anzuwenden beliebt, wenn er andere disqualifiziert, als - in der Bedeutung der Formulierung, die er wiedereingeführt hat - „konservativ" bezeichnet hat. Wir sind dankbar dafür, daß einer der ganz großen Konservativen, der ganz großen Geister Europas, der eigentliche Sieger des Zweiten Weltkrieges, Winston Churchill, nach dem Kriege erklärt hat: Wir müssen den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts überwinden, wir wollen aufbrechen zu einem neuen, größeren Europa. Das war ein Bekenntnis aus unserem Geiste, und das bleibt so! ({4}) Ich sage es Ihnen noch einmal, Herr Kollege Brandt: Wir haben keinen Nachholbedarf und brauchen keinen Nachhilfeunterricht zum Thema Europa. Als Sie nach dem Zweiten Weltkrieg - in den ersten Wahlen nach dem Krieg, bis hin zur Bundestagswahl 1949 - noch darüber nachsannen, ob nicht doch die nationalistische Karte ziehen könnte, nämlich ein nationaler Sozialismus - ({5}) - Nun, Herr Kollege Wehner, ich habe in jener Zeit schon genau wie Sie Wahlversammlungen gemacht, ({6}) bloß bin ich vielleicht damals aufmerksamer gewesen als Sie, weil ich bestimmte Vorbehalte nicht hatte, die Sie damals bereits hatten. ({7}) - Zu einem Zeitpunkt, als in diesem Hause über den Eintritt in den Europarat und über andere wichtige und grundlegende Entscheidungen gestritten wurde, ({8}) standen Sie doch abseits ({9}) und haben die Politik Adenauers in der Bundesrepublik diffamiert! ({10}) - Verehrter Herr Abgeordneter Wehner, ({11}) ich bin nicht unbedingt bereit, Ihnen in der deutschen Hochsprache zu entgegnen, die Sie in den Parlamentarismus eingeführt haben. Das ist Ihre Sache, und Sie sollten bei diesem Stil bleiben. ({12}) Der zweite Punkt, Herr Kollege Brandt: Der Bundeskanzler sprach auch von einem pluralistischen Europa. Von wem stammt das eigentlich? Haben wir je ein anderes Konzept als ein pluralistisches Europa gehabt? Herr Bundeskanzler, wir brauchen nicht Ihre arroganten Belehrungen, daß ein Europa nur möglich ist, wenn alle demokratischen Gruppierungen zusammenleben. Jener böse Satz: „Europa wird sozialistisch sein oder es wird nicht sein", stammt doch von Ihrem potentiellen Nachfolger, Herr Kollege Brandt, als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale, von Ihrem Freund Mitterrand, der dabei ist, mit der Volksfront in Frankreich an die Macht zu kommen. ({13}) Aber dieser Satz sollte hier nicht im Klartext ausgesprochen werden. Der verehrte Kollege Bangemann hat diesen Satz vor ein paar Tagen in der Europadebatte auch zitiert; aber er hat ihn freundlicherweise aus Freundschaft und Rücksicht auf den Koalitionspartner auf französisch zitiert und war auch nicht bereit, den Urheber dieses Satzes zu nennen. Wenn ich das Programm von Herrn Mitterrand, seine Äußerungen und das betrachte, was langfristig vorgenommen werden soll, dann werden Sie in der Tat uns, der CDU/CSU, schon gestatten müssen, daß wir sagen: Das Europa Mitterrands ist niemals das Europa, das wir aus unserem Geiste heraus für lebenswert und wünschenswert halten. ({14}) Ich komme zu einem dritten Punkt, Herr Kollege Brandt. Sie hatten die Freundlichkeit, meine Rede zum 17. Juni vom vergangenen Freitag zu zitieren. Die persönlichen Bemerkungen, die Sie in diesem Zusammenhang gemacht haben, disqualifizieren Sie selbst; ich brauche dazu wirklich nichts zu sagen. ({15}) Um es auch gleich zu sagen, Herr Bundeskanzler: Wenn wir überhaupt noch einigermaßen normale bürgerliche Umgangsformen pflegen wollen, ({16}) so lassen Sie es bitte sein, hier einem politischen Gegner, einem Mitglied dieses Hauses so beiläufig nachzusagen: Sie lesen vor, was andere aufgeschrieben haben. Wenn ich Ihre Regierungserklärung betrachte, Herr Bundeskanzler, so haben viele viel Unsinn hineingeschrieben, und Sie haben es Stunde um Stunde brav hier vorgelesen. ({17}) Herr Brandt, Sie sprachen im Zusammenhang mit meiner Rede zum 17. Juni erneut von der internationalen Isolierung der Christlichen Demokraten oder der Christlich-Sozialen Union. Der Hauptteil dieser Rede - wenn ich einmal vom geschichtlichen Bezug absehe, den diese Rede natürlich auch enthält - beschäftigt sich - ({18}) - Sie werden mir zugeben, daß in einer Rede zum 17. Juni ein geschichtlicher Bezug enthalten ist. Daß Sie offensichtlich jedes Empfinden für geschichtliche Traditionen und Zusammenhänge verloren haben, ist Ihre Sache. Das habe ich nicht zu vertreten. ({19}) In dieser Rede beschäftige ich mich vor allem auch, Herr Kollege Brandt, mit dem Thema der Menschenrechte. Ich frage mich wirklich: Wo leben Sie eigentlich, daß Sie uns in der Frage der Menschenrechte nach internationaler Isolierung fragen? Der wichtigste Mann der freien Welt, der amerikanische Präsident, wird nicht müde, an jedem Tag und an jedem Platz in der Frage der moralischen Qualität der Politik auf die Bedeutung der Menschenrechte hinzuweisen. Es sind Sie, der Herr Bundeskanzler und viele aus dem Bereich der Sozialdemokratie, die aus Gründen der Opportunität dieses Thema totschweigen wollen. Das läßt sich nicht leugnen. ({20}) - Herr Kollege Brandt, wenn Sie das als unerhört empfinden, so lesen Sie doch einmal nach, was Ihr - ({21}) - Ich bin ganz sicher, daß Ihr Hinweis auf Ihr höheres Lebensalter in dieser Debatte ein bedeutendes Argument ist. ({22}) Herr Kollege Brandt, ich rate Ihnen nur - ich verstehe es, daß Sie das, was Ihr Banknachbar Herbert Wehner sagt oder schreibt, nicht mehr lesen und zur Kenntnis nehmen -, einmal nachzulesen, was er erst kürzlich zu dem Thema Menschenrechte gesagt und uns in diesem Zusammenhang vorgeworfen hat. Mit einem Wort: Wir befinden uns in der besten internationalen Gesellschaft, und wir werden nicht müde werden, über Menschenrechte zu reden, weil dies ein Grundverständnis unserer Freiheitsvorstellung ist. ({23}) - Verehrter Herr Kollege Brandt, zum Wesen freiheitlicher Demokratie gehört, daß man über seine Gedanken und Ideale frei reden kann. Das lassen wir uns von Ihnen nicht verbieten. ({24}) Ein letzter Punkt zu Ihren Ausführungen. Sie haben mich zu dem Thema Gemeinsamkeit aus der Erklärung zitiert, die ich hier für die Fraktion zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers abgab. Daran hat sich nichts geändert. Ich will nur sagen, Herr Kollege Brandt, ich habe von Ihnen in diesen ganzen Monaten kein Signal erlebt. Ich will ein Beispiel sagen, wo Sie ganz persönlich zu stören versuchten. Der Herr Bundespräsident ist an die Fraktionen und Parteien mit dem Wunsch herangetreten, ungeachtet aller parteipolitischen Auseinandersetzung zu einem vernünftigen Übereinkommen in der Hilfe für Berlin und für die Bevölkerung Berlins zu kommen. Wir alle - Franz Josef Strauß, ich, Sie, Hans-Dietrich Genscher - haben sofort zugesagt. Aber keiner von uns hat diesen Briefwechsel so veröffentlicht, daß der Eindruck hätte entstehen können, er sei der Initiator dieser Sache. Sie haben in der Sache selbst gar nichts getan, Sie wollten nur eine entsprechende Schau in der Offentlichkeit abziehen. Das muß man einmal so sagen, wie es in der Wirklichkeit war. ({25}) Herr Kollege Brandt, weil wir gerade bei dem Thema Gemeinsamkeit sind: Ich habe hier von diesem Pult und bei anderer Gelegenheit in der Offentlichkeit und im sogenannten Nuklearrat angeboten, daß wir doch versuchen sollten, aus einer parteipolitischen Polarisierung im Bereich der Energiepolitik herauszukommen, daß wir versuchen sollten, in den wichtigen Grundfragen und Grunddaten der deutschen Energiepolitik - das gilt insbesondere auch für die Reaktorprobleme - zu einer gemeinsamen Politik zu kommen. Wenn ich mir so überlege, wie Ihr Anteil an diesen Sitzungen war und wie „beredt" Sie so vor sich hinschwiegen, wenn Sie überhaupt da waren, dann muß ich Ihnen ganz offen sagen, Herr Kollege Brandt: Wir haben die Gemeinsamkeit erbracht. Da gab es kürzlich im Zusammenhang mit internationalen Verträgen sehr schwierige Probleme. Da war es doch die Opposition - neben der FDP -, die die Bundesregierung sofort unterstützt hat. Von Ihrer Seite, von seiten von Herrn Wehner kam in dieser entscheidenden Sitzung kein Wort der Unterstützung. So verstehen Sie Gemeinsamkeit. Gemeinsamkeit heißt nicht, daß wir das Sauerstoffzelt für eine immer mehr im Verfall begriffene SPD oder Regierungskoalition sind. ({26}) Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Rede wie immer, wenn Sie gestellt werden, in einem virtuosen Schauspiel wild um sich geschlagen. Die Sünder sind der Reihe nach vorgeführt worden. Das waren die lauten Kapitel, und das war das Tremolo jenes Mannes, der die Herzen der Völker bewegen will. Es kam alles vor. Walter Arendt kam vor. Ich frage Sie ganz einfach, wie ich es empfunden habe: Schämen Sie sich eigentlich nicht, in diesem Stil in der Debatte zu operieren? ({27}) Herr Bundeskanzler, Sie haben es doch nicht einmal gewagt, Ihren Genossen in der eigenen Fraktion vor der Abstimmung über die Wahl des Bundeskanzlers - wegen der Angst, die Sie ausgestanden haben -, den Rücktritt von Walter Arendt vorzutragen. ({28}) Mein Eindruck ist - lassen Sie mich das drastisch formulieren -, daß Sie jetzt dabei sind, die Stimmen einzeln einzusammeln für die kommenden Abstimmungen der nächsten Wochen und Monate. ({29}) Dann war noch etwas sehr bemerkenswert. Wir wollen das festhalten, weil es sonst im Furioso einer solchen Sitzung untergeht. Hier steht ein Mißbilligungsantrag an. Sie werden hier von der Fraktion der CDU/CSU wegen grober Verfassungsverstöße gestellt. ({30}) Wenn ich Ihre ganze lange Rede noch einmal Revue passieren lasse, muß ich sagen, Sie haben auf diesen gravierenden Tatbestand kaum drei Minuten Redezeit verwandt. Das spricht Bände. ({31}) Sie sind mit keinem Wort auf die detaillierten Ausführungen, die der Kollege Strauß hier heute gemacht hat, eingegangen, ({32}) weil Sie darauf natürlich gar nicht eingehen konnten. Sie haben doch in Ihrer Souveränität erklärt, diese Akten hätten Sie gar nicht zur Kenntnis genommen. ({33}) Wer kann Ihnen denn auch zumuten, als Bundesfinanzminister oder Bundeskanzler Akten zur Kenntnis zu nehmen! Das ist doch etwas für die unteren Range! ({34}) Das, was Sie hier als Entlastung seitens der Regierung vorgezeigt haben, das hätten Sie besser versteckt. Ich habe noch nie einen Bundesminister der Justiz sich so jämmerlich blamieren sehen, wie dies der Bundesjustizminister heute getan hat. ({35}) Herr Bundesminister Vogel, da Sie dauernd die Herrn Professoren süffisant - das ist übrigens auch ein interessanter tiefenpsychologischer Vorgang - angesprochen haben, kann ich nur sagen: Mit der Leistung heute wären Sie an einer deutschen Universität in der Tat nicht einmal in den Besitz des kleinen Staatsrechtsscheins gekommen. ({36}) Herr Bundeskanzler, wenn hier schon der Bundesjustizminister so versagt hat, dann hätte ich von Ihnen, der Sie doch allzuständig sind - das haben Sie heute wieder für sich in Anspruch genommen -, wirklich erwartet - das war auch die Pflicht des Regierungschefs -, daß Sie die Akten gelesen und dem Kollegen Strauß Antwort gegeben hätten. Diese Antwort sind Sie dem Hohen Hause schuldig geblieben. ({37}) Es paßt in Ihren Stil, daß Sie zunächst von Ihrem anständigen Sprachgebrauch sprechen, dann erklären, es kotze Sie an, und, wenn Sie es ausgesprochen haben, mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknehmen. Das, meine Damen und Herren, ist wirklich Stil feiner Leute mit internationalen Umgangsformen, - um das einmal deutlich zu sagen. ({38}) Herr Bundeskanzler, Sie sprachen eindrucksvoll davon, wie das sei mit der Genealogie der Minister, die kommen und gehen, und der Bundeskanzler und Regierungschefs, die kommen und gehen. Keiner weiß, wie später das Blatt der Geschichte aussehen wird. Ich bin aber bereit, Ihnen heute eines zu versichern: Sie werden in die Geschichte als der Bundeskanzler mit der schlechtesten Kinderstube eingehen. Das ist immerhin etwas - wenn man das einmal so sagen darf. ({39}) - Ja, meine Damen und Herren, das ist in der Tat ein Thema, das Sie nach Ihren dauernden Darbietungen in diesem Saal erregt. ({40}) Da wir gerade bei diesem Thema sind, Herr Bundeskanzler: Sie haben dann - entsprechend der von Ihnen selbst gewählten Regie, wenn Sie von den Dingen des Staates sprechen - mit gedämpfter ernster Stimme davon gesprochen, was staatspolitisch notwendig wäre. Dann kamen Sie auf die Polen-Verträge. Glauben Sie wirklich, Herr Bundeskanzler, daß die Chance einer Gemeinsamkeit in nationalen Fragen dadurch vergrößert wird, daß der amtierende Regierungschef in einer so schnöden Weise eine so schwierige Frage wie die Verabschiedung der Polen-Verträge nach Jahr und Tag hier behandelt? ({41}) Sie haben heute - Sie haben auch hier einen großen Nachholbedarf; ich komme noch darauf zu sprechen ({42}) dauernd den Herrn Vizekanzler zitiert. Es wäre nützlich gewesen, wenn Sie den Vizekanzler und FDP-Vorsitzenden auch im Zusammenhang mit den Polen-Verträgen zitiert hätten. Herr Bundeskanzler, Sie sprachen vorhin in anderem Zusammenhang von Traumata. Seit jenem 7. März des vergangenen Jahres weiß ich, daß Sie in einer so wichtigen Frage überhaupt keine Gemeinsamkeit anstrebten. Sie wollten billiges parteipolitisches Material im Wahlkampf gegen die Union gewinnen. Das war Ihre wirkliche Ausgangsposition in der Frage der Polen-Verträge. ({43}) Und, Herr Bundeskanzler, ein Wort zu dem Thema Wehrpflicht. Ich habe dem, was ich heute früh sagte, überhaupt nichts hinzuzusetzen. ({44}) - Nun, Herr Kollege, ich weiß nicht, warum Sie jetzt auch noch Ihre Soll-Erfüllung in der Koalition vornehmen müssen. Ich bin der Meinung, Sie hätten heute viel Gelegenheit gehabt, wirklich liberale Gesinnung zu bezeugen, und wir geben Ihnen in den nächsten Wochen noch mehr Gelegenheit. Nun zu dem Thema Wehrpflicht. Herr Bundeskanzler, wir brauchen nicht Ihre Belehrung über unsere patriotische Pflicht im Blick auf die Bundeswehr. Diese CDU/CSU-Fraktion stand schon zur Bundeswehr, als Sie auf einem Parteitag aus dem Parteivorstand abgewählt wurden, weil Sie bereit waren, eine Reserveoffiziersübung abzuleisten. Das ist ja ein Stück der Erinnerung an deutsche Geschichte. ({45}) Die Vorträge über Bundeswehr und die Notwendigkeit der Verteidigung halten Sie bitte in den Zirkeln der SPD-Fraktion! Dort besteht ein großer Nachholbedarf auf diesem Gebiet. ({46}) Wir sagen selbstverständlich ein klares Ja zur Bundeswehr, die die Bundeswehr aller Demokraten, also unsere Bundeswehr in der Bundesrepublik Deutschland ist. Aber ich habe heute früh gesagt und wiederhole es: in der Frage der Wehrpflichtnovelle stellen Sie eine Weiche von Grund auf neu und anders. Sie zerschneiden - und ich muß nach dem heutigen Tag vermuten, mit Absicht - die Gemeinsamkeit der Demokraten in Sachen Bundeswehr. Sie wollen gar nicht, daß die Opposition dieses Feld der Politik mitträgt. Denn Sie wissen ganz genau, daß aus unserem und übrigens aus dem Verständnis vieler Ihrer eigenen Freunde von Verfassung und Wehrpflicht diese jetzige Entscheidung unerträglich ist, so daß wir sie zu Fall bringen müssen. Und wir werden es tun. ({47})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf gerade diesen Satz noch sagen. Und wissen Sie, Herr Bundeskanzler, wenn es um Bundeswehr geht - auch das lassen Sie mich einmal ganz ruhig sagen -, finde ich es ziemlich unerträglich und unter Ihrem Niveau, daß Sie in diesem Zusammenhang den Kollegen Franz Josef Strauß ansprechen. Denn wenn es um Verdienste gegenüber der Bundeswehr geht, hat er Ihnen gegenüber mit Sicherheit keinen Nachholbedarf. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Ehmke!

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, es ist Ihnen doch sicher bekannt, daß das Problem darin besteht, daß wir auf der einen Seite durch Bündnisvertrag und durch Gesetz Höchststärken der Bundeswehr haben und daß wir schon in diesem Jahr mehr Dienstpflichtige haben, als die Bundeswehr einstellen kann, daß in den nächsten Jahren damit gerechnet wird, daß bei den geburtenstarken Jahrgängen bis über 50 O/o mehr da sind, als die Bundeswehr an Mannschaften braucht. Halten Sie dann ein willkürliches Auswahlverfahren sowohl der Kriegsdienstverweigerer als auch bei der Rückstellung vom Militärdienst bei dieser Zahl von Leuten für sinnvoller, als hier der individuellen Entscheidung größere Freiheit einzuräumen, wenn der Spielraum dafür da ist? ({0})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehmke, für einen so rational denkenden Menschen und Kollegen, wie Sie das ohne Zweifel sind, eine erstaunliche Frage. Denn ich muß jetzt die Frage verlängern. Wenn ich mich auf Ihren Diskussionsstandpunkt begeben würde, bedeutet das doch, daß, wenn wir in einigen Jahren geburtenschwache Jahrgänge haben, das jetzige System geändert werden muß. Hat denn so etwas mit Gewissensfreiheit zu tun, wie das hier der Bundeskanzler gesagt hat? ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, das ist doch nicht so schwer zu verstehen. ({0}) Würden Sie mir nicht darin zustimmen, daß wir es immer mit der Abwägung von Rechten und Pflichten zu tun haben? Wenn wir jetzt in einer Situation sind, in der wir dieser Freiheit größeren Raum einräumen können, ({1}) dann wählen wir die freiheitlichere Lösung. Worauf Sie hinweisen, was bei geburtenärmeren Jahrgängen passieren würde: ({2}) dafür sieht das Gesetz selbst ja eine Regelung vor.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, dann frage ich mich doch: Wie kann dann die Begründung des Bundeskanzlers stimmen? Er hat doch hier mit Leidenschaft vorgetragen, er vertraue auf die Gewissensentscheidung des einzelnen jungen Mannes in der Bundesrepublik. Wenn das, was Sie sagen, logisch ist - es ist nicht meine Meinung, aber Ihre Logik -, dann heißt das doch: Wenn es weniger Geburten gibt, wenn sich die Demographie verändert, dann ist eben das Vertrauen in die Gewissensentscheidung der jungen Leute nicht mehr so groß wie heute. ({0}) Ich habe schon mancherlei Philosophie gehört, Herr Kollege Ehmke, und Politiker - das sage ich selbstkritisch an unser aller Adresse - pflegen für meinen Geschmack in der Politik oft allzu schnell von Gewissen zu reden, daß aber Gewissen und Stärke eines Geburtenjahrgangs miteinander in einer bestimmten Beziehung stehen, das ist mir völlig neu. ({1}) Für den Verfassungsgerichtsprozeß, verehrter Herr Kollege Ehmke, ist das aber ein interessanter Hinweis, den Sie uns heute hier gegeben haben. ({2}) Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat uns dann noch die Freude gemacht, sich intensiv mit unserem Steuerentlastungsprogramm zu beschäftigen, und hat uns die zeitliche Distanz vom Donnerstag letzter Woche bis zum heutigen Tage vorgerechnet. Ich habe in der Eile nicht mehr alle Programme zusammengebracht, aber meine in dieser Frage von der Arbeit her viel sachkundigeren Kollegen versichern mir, daß wir bereits im Herbst 1972 genau diese Anträge eingebracht haben. Es erhebt sich die Frage, Herr Bundeskanzler: Warum haben Sie das damals nicht bejaht und unterstützt? Doch deswegen, weil Ihnen die damalige Situation immer noch geeignet erschien, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu erproben, sozialistisch-ideologische Experimente zu machen. Damit haben Sie den Grund für die wirtDr. Kohl schaftliche Mißentwicklung in der Bundesrepublik gelegt. ({3}) Interessant war übrigens auch folgendes, meine Damen und Herren: Fünf Viertelstunden lang hat der Kanzler heute gesprochen, der stellvertretende Vorsitzende der SPD, der nach ihrem Selbstverständnis größten deutschen Arbeitnehmerpartei. Haben Sie ein Wort zur Arbeitslosigkeit bei ihm gehört? ({4}) Haben Sie ein Wort zu jenem wichtigen Bereich gehört - er sprach von den staatlichen Programmen, übrigens falsch, wie ich gleich nachweisen werde -, ({5}) daß er gesagt hätte, wir brauchen wegen der Arbeitslosigkeit jetzt eine Politik, die in der Bundesrepublik zu Privatinvestitionen, die allein die Wende bringen können, ermuntert und herausfordert? ({6}) Herr Bundeskanzler, daß Sie ein gebrochenes Verhältnis zum Föderalismus haben, ist bekannt. Das hängt wahrscheinlich mit Ihrer Amtszeit als Senator in Hamburg zusammen und hat vielleicht dort begreifbare Gründe. Lassen Sie aber doch dann bitte die Zitate weg, wenn sie nicht stimmen. Warum schimpfen Sie auf den Kollegen Filbinger wegen seines Landesinvestitionsprogrammes? Hätten wir doch in der Bundesrepublik den Prozentsatz Arbeitslose wie in Baden-Württemberg. Wir würden uns doch gegenüber der Lage, in der wir uns jetzt befinden, glücklich preisen. ({7}) Das ist ein Punkt, Herr Bundeskanzler, an dem bei Ihrer sozialistischen Geschichtssicht ein Nachholbedarf besteht: Warum ist das in Baden-Württemberg besser als in vielen anderen Bereichen der Bundesrepublik? Weil es dort seit den Zeiten von Friedrich List eine vernünftige politisch-wirtschaftliche Entwicklung gab, in der Leistung gefördert wurde, in der Leistung angereichert wurde, in der eine gesunde mittelständische Struktur entstehen konnte. Das ist der Vorteil, den Baden-Württemberg heute in der jetzigen Lage hat. ({8}) Deswegen, Herr Bundeskanzler, hat es auch Ihr Freund Erhard Eppler in Baden-Württemberg so schwer; denn in einem Land, in dem die Leute wissen, daß derjenige, der etwas schafft, auch Anspruch auf Entgelt für seine Leistung hat, lassen sich natürlich solche ideologischen Vorstellungen, wie sie Herr Eppler, der neue selbsternannte Linksaußen Ihrer Parteiführung, vertritt, mit Sicherheit politisch nicht gut verkaufen. Sie sind dort die klassische Minderheitspartei, und Sie werden es lange bleiben auf Grund dieser Wirtschaftsstruktur in Baden-Württemberg. ({9})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Dr. Kohl, sind Sie bereit, da Sie die Vorzüge und die bessere Situation des Landes Baden-Württemberg, zurückgeführt auf dessen Politik, in Vergleich zur Gesamtsituation der Bundesrepublik setzen, auch ein Wort darüber zu sagen, wie es denn kommt, daß die Gesamsituation der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu der benachbarter Länder ebenfalls besser ist als in diesen Ländern? ({0})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage, Graf Lambsdorff, beantworte ich Ihnen gern. Nur eines muß ich vorweg sagen. Ich bin eigentlich etwas enttäuscht, daß Sie nicht zunächst noch auf dieses Hohelied von Baden-Württemberg eingegangen sind; denn das ist doch eine der Großtaten der baden-württembergischen Liberalen gewesen. Allerdings jener Liberalen, die mit der heutigen Koalition gar nichts im Sinne haben! Das wissen Sie auch aus der Vergangenheit. ({0}) Aber zur Frage selbst, verehrter Graf Lambsdorff. Ich habe heute früh dazu gesprochen. Sie haben 1969 mit der sogenannten sozialliberalen Koalition ein blühendes Gemeinwesen übernommen. Der Finanzminister Franz Josef Strauß hinterließ Ihnen Kassenverhältnisse, von denen der Nachfolger von Herrn Apel nur träumen könnte, wenn er ins Amt kommt. Das wissen Sie doch. Sie haben beispielsweise eine Entwicklung im Land übernommen, in dem der Gedanke - ich hoffe, wir sprechen jetzt die gleiche Sprache - der Sozialen Marktwirtschaft allgemein als gesichert galt. Erst Ihr Koalitionspartner, den Sie überhaupt erst regierungsfähig gemacht haben, ({1}) hat auf seinen Beitrag - ({2}) -- Meine Damen und Herren von der FDP, die Frage nehme ich gern auf.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Kohl, darf ich zunächst fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sperling zulassen?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gern auf Herrn Sperling zurück, wenn ich das gerade noch beenden kann. Ich komme gern auf Ihren Zwischenruf zurück. Sie meinen die Große Koalition. In der Großen Koalition war es nicht möglich, weil CDU und CSU am Kabinettstisch saßen, Anschläge gegen den Geist und die Idee der Sozialen Marktwirtschaft vorzubereiten und durchzusetzen. Das ist der entscheidende Unterschied. ({0}) Bitte schön, Herr Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, ist Ihnen denn entgangen, daß 1966 eine gemeinsame Regierungsfähigkeit von CDU/CSU und SPD dadurch hergestellt wurde, daß wir ein nicht mehr blühendes Gemeinwesen zunächst einmal gemeinsam mit Ihnen sanieren mußten, ({0}) um dann dazu zu kommen, daß man 1969, Gott sei Dank ohne Sie, eine bessere Politik machen konnte? ({1})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sperling, ich habe heute früh schon darauf hingewiesen, daß unsere Mitbürger immer mehr von den Goldenen fünfziger und sechziger Jahren sprechen. Das ist die Antwort auf Ihre Frage. ({0}) Wenn ich die Wirtschaftsdaten, die Zahl der Arbeitslosen - und was sonst noch in Betracht kommt - beim Abgang Ludwig Erhards und die Zahlen des Bundeskanzlers Helmut Schmidt betrachte, dann kann ich nur sagen, da war Ludwig Erhard wirklich der Großmeister in all diesen Klassen. ({1}) Eines haben wir nicht getan, Herr Kollege Sperling: wir sind nicht mit solchen Reden und Formulierungen gegen Ludwig Erhard vorgegangen, wie es der jetzige Bundeskanzler damals zu tun beliebt hat. Herr Bundeskanzler, Sie sprachen über unser Arbeitsmarktprogramm. Ich bin sehr gespannt, was Sie sagen' werden, wenn wir nach der Sommerpause hier über diese Vorlage diskutieren. Ich bin deswegen sehr gespannt, weil es einen erstaunlichen Zuspruch auf diesem Feld gibt. Herr Vetter hat sich überaus positiv geäußert. Auch Herr Schleyer hat sich positiv geäußert. Da Sie ja immer mehr vom Parlament weggehen und die Führer der gesellschaftlichen Gruppen zu Ihren Gesprächspartner und Beratern ernennen, sind wir durchaus in einer guten Gesellschaft. Der Altvater der Sozialdemokratie, Herbert Wehner, hat das instinktiv gespürt, als er die Fraktionssitzung am Montag der vorigen Woche zu einer arbeitsmarktpolitischen Konferenz umfunktioniert hat. ({2}) Herr Mischnick hat in der Zwischenzeit zum gleichen Thema eine Kommission berufen. Wir fühlen uns da in einer guten Gesellschaft. Wir behaupten ja nicht, das Patentrezept zu haben. Wir haben Vorschläge, und die müssen ernsthaft und seriös auf ihre Machbarkeit und ihre Finanzierbarkeit diskutiert werden. Sie aber haben weder Vorschläge noch Ideen. Das ist der Unterschied zwischen uns auf diesem Feld. ({3}) Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen persönlich nicht vorgeworfen, daß Sie im Zusammenhang mit dem Thema „Zukunftschancen der jungen Generation" die volle Schuld und Verantwortung tragen. Die Anmerkung, die ich dazu zu machen habe, besteht aus zwei Teilen. Erstens. Die Probleme der deutschen Bildungspolitik wurden zu einem erheblichen Teil durch die Entwicklung der sozialdemokratischen Bildungsideologie der letzten 15 Jahre herbeigeführt. ({4}) Sie haben in Ihren Reihen jene Pädagogen förmlich gezüchtet, die eine Konfliktpädagogik und was weiß ich sonst noch alles herausgebracht haben. Sie haben Erwartungshorizonte hochgezüchtet, die heute in der Arbeitswelt nicht mehr standhalten. Sie als stellvertretender Vorsitzender der SPD sind für diese Entwicklung mitverantwortlich. ({5}) Zweitens. Zu dem Feld, das ich einfach und klar als Wahlbetrug charakterisiert habe, gehört auch Ihr vor der Bundestagwahl gegebenes Versprechen, den Numerus clausus sozusagen mit einem Federstrich zu beseitigen. Sie können keine Äußerung von mir oder von einem anderen unter uns finden, die dem Gedanken widersprochen hat, daß wir das Menschenmögliche tun müssen, um den Numerus clausus abzubauen. Daß man ihn nicht abschaffen kann, wie Sie es versprochen haben, wissen Sie so gut wie ich. Darin besteht der Wahlbetrug. ({6}) Weiter haben Sie, Herr Bundeskanzler, in der Ihnen eigenen Art Anstoß genommen, daß ich in der mir heute zur Verfügung stehenden Redezeit nicht über Außenpolitik gesprochen habe. Nun, meine Damen und Herren, wir hatten in den letzten Wochen eine ganze Reihe von außenpolitischen Debatten - zum deutsch-deutschen Verhältnis erst am vergangenen Freitag, am 17. Juni. Ich habe angekündigt, daß wir eine ganze Reihe von Debatten von unserer Seite aus herbeiführen werden, auch etwa über den Nord-Süd-Konflikt. Was soll das, wenn ich und der Kollege Strauß hier bei einem Mißbilligungsantrag im Zusammenhang mit dem Haushaltsgeschehen nicht die Asien-Politik der Bundesrepublik erwähnen, sondern die Tatsache, daß Sie vom Bundesverfassungsgericht Verstöße gegen die Verfassung für schuldig befunden worden sind? ({7}) Das hat doch nichts mit dem Anschein zu tun, - ({8}) - Ja wollen Sie denn sagen, daß Herr Schmidt in dieser Sache unschuldig ist? ({9}) Meine Damen und Herren, dazu trotzdem noch ein paar kurze Sätze. ({10}) Ich habe unsere Position zum Thema Europapolitik deutlich gemacht. Wir haben, Herr Wehner, da keinen Nachholbedarf, weder im Bereich der internationalen Beziehungen noch sonstwo. Herr Bundeskanzler, lassen Sie es meine Sorge sein, wie wir mit meinem Freund Leo Tindemans auskommen. Ich bin ganz sicher, daß Leo Tindemans - das weiß ich aus langjähriger persönlicher Freundschaft - ({11}) Herr Kollege Wehner, ich bin nicht allwissend. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden. ({12}) Aber Sie sollten sich Ihre Kraft noch etwas aufsparen; auch Sie müssen ja anschließend noch Ihre Loyalitätsrede halten. ({13}) Warten wir also ab, bis es soweit sein wird. ({14}) - Es ist, Herr Kollege Wehner, beinahe ein Bild für eine moderne Plastik: Die tragenden Riesen, die den Kanzler wie einen Atlas auf ihren Schultern tragen, - bis sie ihn bei nächster Gelegenheit fallenlassen, klammheimlich. ({15}) Herr Wehner, wenn ich dies hier sage, machen viele in Ihrer Fraktion schon bedenkliche Gesichter. Sie fragen sich nämlich, ob die Rosen für die Verabschiedung schon bestellt sind. ({16}) Herr Bundeskanzler, weil es mir gerade noch einfällt: Lassen Sie bitte die Hinweise auf diesen oder jenen Rücktritt! Wenn über Rücktritte gesprochen wird, dann müssen Sie mal über Ihren Vordermann reden. Vielleicht werden Sie bald in dessen Lage sein. Deswegen seien Sie etwas zurückhaltender in der Bewertung solcher geschichtlicher Vorgänge! ({17}) Ich sage es noch einmal: wir haben in der Europapolitik keinen Nachholbedarf. Wir sind fest entschlossen - als Teil der europäischen Volkspartei -, gemeinsam mit unseren christlich-sozialen und christlich-demokratischen Freunden in den Ländern Europas und gemeinsam mit unseren konservativen Freunden das Menschenmögliche zu tun, daß 1978 die Europawahl stattfindet, daß wir als stärkste Fraktion ins Europäische Parlament einziehen und, Herr Kollege Brandt - das ist des Schweißes der Edlen wert -, dafür Sorge zu tragen, daß Sie nicht der erste Präsident dieser Versammlung werden. ({18}) Herr Kollege Brandt, man sagt gerne: durch Erfahrung wird man klug. Es ist ein Akt europäischer Freundschaft und Solidarität, daß wir nach unseren Erfahrungen mit Ihnen als Bundeskanzler unseren europäischen Freunden dieses Schicksal ersparen wollen. ({19}) Jetzt erlauben Sie mir noch ein kurzes Wort zum philosophischen Teil bei Helmut Schmidt. ({20}) - Ich kann mich wirklich in diesem Zusammenhang nicht überheben, ich bespreche ja die Philosophie von Helmut Schmidt. ({21}) Er hat über die Koalition gesprochen, und dann kamen die lyrischen Töne, voller Hoffnung auf die Zukunft. Da war die Rede davon - man muß sich das einmal überlegen! -: die Koalition ist mehr als ein Zweckbündnis. Da habe ich dann den Zwischenruf gemacht: Ist das noch der alte Maihofer? Denn der neue Maihofer hat ja seine Erfahrungen in der Koalition, der kann es nicht sein. ({22}) Da kann ich nur sagen: Soll das, Herr Kollege Schmidt - ich darf das so sagen, weil Sie jetzt auf der Abgeordnetenbank sitzen -, ({23}) soll das die Begründung eines neuen ideologischen Blocks sein? Dann wäre das in der Tat eine interessante Sache. Da schaue den Grafen Lambsdorff an, der doch jedes Wochenende mindestens zwei Interviews zur Abgrenzung gegenüber den Linken gibt. ({24}) Da schaue ich den Bundeswirtschaftsminister an, - ein Mann, der in der Blüte seiner Jahre durchs Land zieht, damit die Unternehmer feuchte Augen bekommen, wenn sie seine liberalen Reden hören. ({25}) Dabei, verehrter Herr Kollege Friderichs, können Sie das alles nur machen, weil es eben uns gibt und Sie genau wissen: bestimmte Veränderungen dieser Republik sind in diesem Lande wegen der Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat, wegen der Existenz von CDU und CSU nicht möglich. ({26}) Es war die Rede: „Dies ist das Bündnis von Liberalität und Toleranz." Das kommt mir seltsam vertraut vor. Franz Josef Strauß hat es aus der Regierungserklärung von 1969 zitiert. Sie haben sich über den Ausdruck „Macher" beschwert. Sie haben anderen gesagt, sie würden etwas vorlesen, was andere aufgeschrieben haben. Herr Bundeskanzler, ich habe den Eindruck, Ihre PR-Berater haben gesagt, sie müßten jetzt etwas Toleranz im Gesicht tragen. Das sei schick in der Bundesrepublik. Liberalität gehöre auch dazu. Deswegen haben Sie das gesagt. ({27}) Toleranz nach dieser Rede dieses Bundeskanzlers! Ich beschwere mich nicht über die Schärfe der Auseinandersetzung, überhaupt nicht. Das gehört zu diesem Parlament. Aber wenn es Politiker aus der allerersten Reihe gibt, die auch im menschlichen Bereich anderen genau dort zu nahe treten, wo es unter Demokraten nicht möglich und notwendig sein sollte, dann, Herr Bundeskanzler, gehören Sie zu diesen. ({28}) Mein Freund Richard von Weizsäcker hat Sie - ich glaube, es war im letzten Jahr in der gleichen Debatte beim Kanzleretat - auf diesen Tatbestand angesprochen. Sie haben offensichtlich nichts dazugelernt. Welch ein Ausdruck von politischem Größenwahn ist es, wenn einer von diesem Pult aus sagt, diese Regierung sei eine Regierung des Ausgleichs im Inneren und nach außen, der Liberalität und Toleranz; sie habe sich bewährt wie keine Regierung vorher. ({29}) - Meine Damen und Herren, wenn Sie klatschen, was reden Sie dann draußen dauernd auf Ihren Parteitagen? Was reden denn die Schleswig-Holsteiner, die Jusos, und wie sie alle heißen? ({30}) Meine Damen und Herren, das ist doch schizophren, was Sie hier dem deutschen Volke bieten. ({31}) Hier stehen Sie auf und bringen Herrn Schmidt Ovationen, damit das Publikum sieht, wie einig Sie vermutlich sein könnten. Draußen sagen Sie, man müsse den Bundeskanzler daraufhin prüfen, ob er noch lernfähig ist. ({32}) Das wäre übrigens ein Test, der mit Sicherheit negativ ausgehen würde, auch das kann ich Ihnen voraussagen. ({33}) Herr Bundeskanzler, wie kommen Sie sich eigentlich vor? Sie müssen sich doch - ich will es zurückhaltend formulieren - seltsam vorkommen, wenn Sie selbst hier an diesem Pult des Deutschen Bundestages den Griffel spitzen und die Kritik der Geschichte über ihre eigene Regierungszeit jetzt schon festschreiben wollen. Ich kann Ihnen nur sagen, in der Weltgeschichte haben es viele versucht. Das ging immer schief. Je mehr Sie dies von diesem Pult aus oder anderswo versuchen, um so schlechter wird es für Sie aussehen. Das zeigt nur, wie sehr Sie den Abgang der Ara Schmidt voraussehen, wenn Sie jetzt schon festlegen wollen, wie das Urteil über Sie sein wird. ({34}) Dann - das darf bei Helmut Schmidt nie fehlen - kommt ganz am Ende bei dem dramatischen Abgang die Abteilung „Verteufelung Andersdenkender". Dann heißt es - ich habe es mir notiert -: Was wäre gewesen, wenn Kohl, Strauß, Dregger, und wen Sie sonst alles nennen, im Amt wären. Dann haben Sie ein schönes Beispiel gebracht, das zeigt, wie weit Sie sich wirklich vom normalen Denken eines Bürgers, der Dienst an der Gemeinschaft erbringt, entfernt haben. Da sagen Sie: Zeigen Sie einen Unternehmer in der Bundesrepublik, der nicht mit unseren Gewerkschaften verhandeln will, der nicht mit Gewerkschaften etwa im Süden Europas verhandeln will. Sie sagen das Umgekehrte für die Gewerkschaften. Ja, meine Damen und Herren, haben Sie denn die Unternehmerverbände oder die Gewerkschaften gegründet? Wo sind wir denn eigentlich in der Bundesrepublik Deutschland? ({35}) Den BDA, den BDI, den DGB gab es lange, bevor Sie die Regierung in diesem Lande übernommen haben. ({36}) Welch eine Omnipotenz, welch eine Arroganz ist das im Umgang mit den Gruppen unserer Gesellschaft, wenn hier ein Kanzler kommt und sie alle für sich vereinnahmt und beansprucht. Ich habe den Eindruck, Herr Bundeskanzler, Sie sollten sich um die Gruppen, die Sie angesprochen haben, sehr sorgen, denn die Wahlergebnisse zeigen, daß die Mitglieder beider Gruppen im großen Umfang Ihnen ihre Stimme längst nicht mehr geben. Und von der Demoskopie will ich schon gar nicht mehr reden. Da sind Sie inzwischen bei der Größenordnung angekommen, wie sie Erich Ollenhauer aufzuweisen hatte. Das ist ja auch ein Hinweis für die politische Entwicklung. ({37}) Herr Bundeskanzler, eine noch so harte Kritik, die Sie an Ihren Kritikern vorzunehmen belieben, noch so viele Ausflüge in die Gefilde der Weltpolitik können nicht davon ablenken, daß es in unserem Land in den Jahren Ihrer Regierungszeit in wichtigen Bereichen schlechter geworden ist, daß Sie 1969 zusammen mit Ihren politischen Freunden und dem Koalitionspartner ein blühendes Gemeinwesen von Kurt Georg Kiesinger übernommen haben, daß wir heute eine Million Arbeitslose haben - wir haben keine Freude daran -, daß die Fragen der Zukunftschancen der jungen Generation ungelöst sind, daß Sie bei den wichtigsten Zukunftsproblemen - ob es die Energiepolitik ist, ob es die Möglichkeiten der modernen Technologie für unser Land betrifft oder vieles andere mehr - nicht weitergekommen sind. Sie haben heute einmal mehr zur Kenntnis nehmen müssen - das ist einfach die Wahrheit , daß Sie eben nicht mehr Bundeskanzler wären, wenn nicht diese Wahlbetrugsmanöver vor der Wahl gewesen wären: der Rentenbetrug, Albert Osswald - er ist hier genannt worden - und vieles andere mehr. Wenn der deutsche Wähler die Verfassungsgerichtsurteile und den Verstoß gegen ein Königsrecht des Parlaments gekannt hätte: Sie säßen - so wie es Franz Josef Strauß heute vormittag formuliert hat - ganz sicher auf den Bänken der Opposition. Das wissen Sie ganz genau. ({38}) Herr Bundeskanzler, Sie haben am Ende Ihrer Ausführungen einen guten Satz gesprochen, dem ich zustimme: Das deutsche Volk hat Grund zum Selbstvertrauen. Ich will nur sagen: In manchen kulturpessimistisch gestimmten Diskussionen, die bisweilen von Leuten, die dafür bestens bezahlt werden und deren soziale Probleme damit auch gelöst werden, draußen künstlich entfacht werden, ist anderes zu hören. Wir haben Grund zum Selbstvertrauen, weil es den deutschen Demokraten und damit der deutschen Demokratie gelungen ist, in fast 30 Jahren Geschichte unter der Herrschaft der freiheitlichsten Verfassung, die die Deutschen je hatten, diesen Staat - ich sage bewußt - gemeinsam wieder aufzubauen. Alle demokratischen Parteien haben daran ihren Anteil. Und die Geschichte der Bundesrepublik datiert eben nicht vom Herbst 1969, sie datiert von jenem Zeitpunkt, als in vielen deutschen Städten und Gemeinden die Demokraten in der Kommunalpolitik den völlig verfahrenen Karren der zerstörten Städte und Dörfer wieder aus dem Dreck zogen, als die deutschen Bundesländer - noch vor dem Bund - gegründet wurden, als damit erste deutsche Staatlichkeit begründet wurde, als es möglich war, mit den Stimmen der Union und der FDP gegen Ihren erbitterten Widerstand den Durchbruch mit Ludwig Erhard im Wirtschaftsrat der Bizone für die freie, marktwirtschaftliche, soziale Ordnung unseres Landes zu erreichen, ({39}) als der Parlamentarische Rat ein Grundgesetz schuf, das - ich sage es noch einmal - zur freiheitlichsten Verfassung unseres Landes wurde. Wir haben dieses geschriebene Verfassungsrecht mit Leben ausgefüllt, es ist zur lebendigen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geworden. Darauf stolz zu sein, haben wir Grund. Wir sind auch stolz darauf, daß bei der Wahl am 3. Oktober 1976 bei einer Wahlbeteiligung von 90 % nur 0,9 % der Wähler ihre Stimmen Rechts- oder Linksradikalen gaben. Das ist ein bemerkenswertes Zeugnis für die politische Reife der Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Das alles gehört in dieses Bild. ({40}) Aber dieser Stolz auf die gemeinsame Geschichte, dieser Grund zum Selbstvertrauen ist kein Grund für Sie, stolz zu sein und Selbstvertrauen zu haben. ({41}) Wer die letzten sechs Monate Ihrer Regierung, wer die berühmten 100 Tage Ihrer Regierung miterlebt hat, weiß, daß der Keim des Endes dieser Regierung bereits in der Geburtsstunde gelegt war. ({42}) Meine Damen und Herren von der SPD, Sie mögen noch so lautstarke Ovationen vom Stapel lassen, Sie mögen sich erheben und den Kanzler hochleben lassen: Draußen glaubt Ihnen das längst keiner mehr, und das ist das Entscheidende. Sie, Herr Bundeskanzler, müssen eben damit leben - wie ich Ihnen heute schon einmal sagte -, daß Sie von einigen wenigen in Ihrer eigenen Fraktion inzwischen politisch erpreßbar geworden sind. Das ist zugleich das Signum Ihrer Regierungszeit. Damit werden Sie leben müssen, und damit wird diese Regierung auch ihr Ende finden. ({43})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu vorgerückter Stunde noch über ein Thema sprechen zu sollen und zu wollen, das so breitgetreten worden ist wie eben von meinem Herrn Vorredner, ist natürlich nicht leicht und nicht beneidenswert. Herr Kohl, es kommt die Stunde, da werden Sie selber, nachdem es Ihnen vorher andere gesagt haben, sagen, daß Sie heute Pech gehabt haben. ({0}) Das war zuviel, um wahrhaftig zu sein, Herr Kohl; das war Kohl. ({1}) Nun, meine Damen und Herren, um es kurz zu machen: Wir werden ja abstimmen; da brauchen wir nicht vorher solche Gesänge anzustiften, wie Sie sie eigentlich - wahrscheinlich auch noch nach Noten - gern hätten haben wollen. Sie verstehen unter parlamentarischer Demokratie lediglich Ihre komische profane Selbstdarstellung und haben keinen Respekt und keine Achtung vor dem parlamentarischen Gegner. Das ist Ihr Unglück; das wird sich noch zeigen. ({2}) Sie kommen mir immer vor wie eine Figur auf dem Gemälde von Repin, wo jene Kosaken mit ihren Gläsern herumsitzen, und man hört sie beinahe gröhlen. Viel Glück, Herr Kohl, auf Ihrem seltsamen Weg zum Sauerkohl! ({3}) Nein, nein, wie können Sie denn eine solche Frage stellen, wie Sie sie hier gestellt haben? ({4}) Wie können Sie denn eine solche Frage stellen wie die an den Bundeskanzler? ({5}) - Ja, Sie sind alle nur große Öffnung vorn, weiter sind Sie nichts, wenn es Ihnen darauf ankommt. Und doch werden Sie hier heute keine Mehrheit sein, Sie Möchtegern-Regierer; etwas anderes sind Sie doch nicht. ({6}) Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen, machen Sie das noch ein halbes Jahr, dann werden Sie es selber leid sein. Wenn wir das erste Jahr dieser Legislaturperiode hinter uns haben, werden Sie diesen Jokus selbst leid sein. ({7}) - Nein, nein! Halbjährige darf man sich wohl erlauben! Weil Sie hier so blödsinnig geredet haben ({8}) über jene Regierung, die seinerzeit - im Jahre 1966 - die einzige Möglichkeit gewesen ist, überhaupt eine Regierung zustande zu bringen, ({9}) kann ich Ihnen nicht vorenthalten und ersparen, was damals die Regierungserklärung enthielt: Der Bildung dieser Bundesregierung, in deren Namen ich die Ehre habe, zu Ihnen zu sprechen, ist eine lange schwelende Krise vorausgegangen, deren Ursachen sich auf Jahre zurückverfolgen lassen. Ihr offener Ausbruch erfolgte kaum ein Jahr nach den Wahlen zum 5. Deutschen Bundestag, die - und so weiter und so weiter. Dann kommen die Feststellungen, daß es eben nicht gegangen ist, und das kann auch nicht durch Ihre jetzige Art verklärt werden. Denn: In der Folgezeit belasteten innenpolitische Schwierigkeiten, innerparteilicher Zwist und außenpolitische Sorgen die Arbeit der Regierung, bis schließlich die Uneinigkeit über den Ausgleich des Bundeshaushalts 1967 und über die auf lange Sicht notwendigen finanzpolitischen Maßnahmen zum Auseinanderbrechen der bisherigen Koalition und zu einem Minderheitskabinett führten. Das war es, Herr Kohl, während Sie so taten, als hätten Sie damals Sozialdemokraten in eine Regierung bekommen, damit die auch einmal mitregieren können. Ich will ja nicht sagen, daß Sie direkt ignorant seien, aber Sie tun so, weil Sie meinen, das sei volkstümlich. ({10}) Und dann komme ich zu Ihren überheblichen Torheiten, mit denen Sie herumgegaukelt haben: zum Beispiel uns etwas über Europa erzählen zu wollen! ({11}) Wie kommen Sie sich eigentlich vor? Wer hat Ihnen denn das erzählt, was Sie hier so - eigentlich - dahersingen wollten? Wer hat Ihnen denn das gesagt - etwas ganz anderes -, wie Helmut Schmidt einmal abgewählt worden sei? Unterrichten Sie sich, ehe Sie hergehen und Döntjes erzählen, von denen Sie nur irgendwo einmal ein paar Brocken gehört haben! Sie sind ein seltsamer Döntjes-Erzähler, Herr Kohl! ({12}) Wir haben hier Debatten gehabt über Europa. ({13}) - Ich bitte Sie: „Abgesang"! Dazu ist Ihr Bart viel zu schön, als daß Sie mir das sagen können! Nein, nein! Nach einer solchen Vorstellung, wie es die Ihres Kohl war, bleibt mir ja nur noch übrig, mit einer gewissen Wehmut den Versuch zu machen, einiges davon aufzuspießen und Ihnen im übrigen noch einmal zu sagen, wie es Ihnen in der nächsten Stunde bei den Abstimmungen ergehen wird, mit denen wir es zu tun haben werden. Nein, was Sie über Europa und über die Rolle der Sozialdemokraten in dieser schwierigen Entwicklung zu Europa zusammengefaselt haben, das geht auf keine Kuhhaut! Das betrifft auch das, was Sie über Churchill gesagt haben, und das betrifft auch das, was Sie hier von der „Fahne des demokratischen Nationalismus" zusammengefaselt haben. War Ihnen nie bekannt, daß im Heidelberger Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands -1925 - die Vereinigten Staaten von Europa der Mittelpunkt gewesen sind? Haben Sie nie davon gehört, daß wir hier auch darüber diskutiert haben, daß wir die zum Teil weit voraussehenden Begründungen bedeutender Politiker jener Zeit hier diskutiert haben ({14}) - und zwar unter Teilnahme von Konrad Adenauer, als Sie noch draußen im Land umherliefen und so taten, als seien Sie wer -, daß wir hier über die Frage diskutiert haben, wer denn zu Europa beigetragen hat. ({15}) Die Sozialdemokraten müssen sich doch von Ihnen nicht belehren lassen, auch wenn Sie so tun, als hätten Sie glänzende Augen, wenn Sie den einen oder anderen Namen von Europäern aussprechen. ({16}) Wir waren doch z. B. in jenem Parlamentsvorgänger, der Gemeinsamen Versammlung der Kohle- und Stahl-Gemeinschaft. Wir haben dort angefangen, ehe Sie sagen konnten, daß Sie die Väter dessen geworden seien. Wir sind doch Gefährten von Jean Monnet nicht nur gewesen, sondern bis heute, und nehmen einander ernst. Und Sie kommen hierher und machen eine Vorstellung, bei der Sie uns sozusagen austricksen wollen, genauso mit all den anderen Modebegriffen, mit den „Menschenrechten", von denen Sie sagten, wir wollten dieses Thema totschweigen. ({17}) - Ja, ist das nicht so? Ist das nicht so? ({18}) - Nein, nein! Das ist doch so: Sie wollen doch alles nur sich selbst aneignen, um den Eindruck zu erwecken, daß Sie eine Weile mit bestimmten Schlagworten andere Leute betören, bezirzen. Mit wirklicher Politik hat das alles nichts zu tun. ({19}) Außerdem muß man sich ja vorsehen: Wenn Sie es eine Weile so machen werden, werden sich manche fragen, ob sie zu Besprechungen, zu denen sie geladen sind, zusammen mit Ihnen kommen werden, wenn Sie dann solche Märchen erzählen, wie z. B. jene vom Berlin-Komitee oder -arbeitsgruppe oder von diesem Energierat, und dann anfangen, den Leuten Phantasien zu erzählen, wie jemand, der sagen will: Ich war ja dabei, und die anderen hatten eigentlich gar nichts zu sagen. ({20}) Nein, meine Damen und Herren, wer es ernst meint mit der parlamentarischen Demokratie, muß in sich gehen ({21}) und muß zum Beispiel bedenken, mit wie wenig sachlicher Präzision in diesem freigewählten Bundestag bedeutungsvolle Regierungserklärungen wie kürzlich die vom 12. Mai über die Londoner Gespräche und Verhandlungen hier debattiert worden sind. So haben wir es von Anfang an in der 8. Wahlperiode gehabt. Erst wollten Sie nicht, höchstens eine Runde, und dann dauerte es bis in die zweite Hälfte des Januar, ehe Sie bereit waren, noch einmal und noch einmal zu debattieren. Nein, Sie verstehen völlig anders die Rolle des Parlaments, der Opposition und auch derer, die die Regierung in einem Parlament zu tragen haben. Sie sind der Meinung: Irgendwann muß es passieren, daß Sie ganz obenauf schwimmen. Das wird Ihnen aber nicht passieren. Da müßten Sie ganz etwas anderes leisten. ({22}) Wir kranken daran, daß Leute die parlamentarische Demokratie so auffassen, wie Sie sie zum Beispiel auffassen, daß Sie sie für Vorstellungen dieser Art gebrauchen und daß Sie dabei ihr und ihren Möglichkeiten nicht gerecht werden. Ich will Ihnen jetzt hier noch einmal im Namen der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion erklären, daß wir der Auffassung sind und es heute auch bestätigt bekommen haben, daß CDU und CSU den Spruch des Bundesverfassungsgerichts zum Verhalten der Bundesregierung und des damaligen Bundesfinanzministers Helmut Schmidt im Jahre 1973 lediglich als einen Vorwand für ihren Angriff auf den Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Politik benutzen. Die Bundestagsfraktion der SPD wird diesen Angriff in namentlicher Abstimmung zurückweisen. Unser Nein zum Mißbilligungsantrag ist zugleich unser Ja zu Bundeskanzler Helmut Schmidt, ({23}) und mit der Zustimmung zum Haushalt des Bundeskanzlers auch in namentlicher Abstimmung - von uns ja gefordert - sprechen wir Helmut Schmidt und seiner Regierung, der sozialliberalen Koalition, unser Vertrauen und unsere Unterstützung aus. Das ist das eine. ({24}) Ich will noch einiges sagen, das ich zum Teil aus dieser Debatte und entsprechenden Bemerkungen sowie zu Meldungen und Kommentaren über Äußerungen, die mir zugeschrieben worden sind, zu sagen für notwendig halte. Es handelt sich dabei vor allem um die Konferenz der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD in Saarbrücken. Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihnen sagen zu wollen, worum es dort ging, würde Sie wahrscheinlich überfordern. ({25}) - Und Sie am meisten. Das würde Sie überfordern, weil Sie keine Ahnung vom Ringen um Meinungen haben. ({26}) Sie haben bestenfalls ein Erlebnis oder eine Kette von Erlebnissen, bei denen der eine den anderen zu überlisten und aufs Kreuz oder auf den Bauch zu legen versucht. ({27}) - Sie können von mir halten, was Sie wollen. ({28}) Ich erkläre Ihnen hier folgendes: Es geht entgegen dem, was im Zusammenhang mit Kommentaren und Meldungen gesagt wird, nicht darum, Helmut Schmidt als Bundeskanzler abzulösen und Willy Brandt als Vorsitzenden der SPD auszuwechseln. Es geht mir darum, die SPD mit ganzer Kraft und unter der Führung Willy Brandts zur Unterstützung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Schmidt eintreten und wirken zu lassen. ({29}) - Da feixt Ihr Haufen! ({30}) Ich habe meine Aufgabe darin gesehen, beiden zu helfen. Daran hat sich nichts geändert. Als Willy Brandt 1974 als Bundeskanzler zurücktrat, ({31}) habe auch ich mich entschieden dafür eingesetzt, daß er nicht nur Vorsitzender der SPD bleiben, sondern es wieder werden sollte, womit ich meine Auffassung in Erinnerung bringen will. Der Schwierigkeiten war ich mir bewußt. Aber ich war entschlossen, meinen Teil dazu beizutragen, sie zu überwinden. ({32}) Wenn Sie nun wissen wollen, was nun kommt, wenn die nächsten Gerüchte verbreitet werden: Wir hatten eine Unterredung im Präsidium. ({33}) - So bald nicht. - Wenn Sie aber wissen wollen, was diejenigen, die damals Unwahrheiten verbreitet haben, geantwortet haben, als ich Ihnen Briefe geschrieben habe, bin ich gern bereit, Ihnen diese Texte zu geben, damit Sie sie lesen können. Aber als Jokus dienen sie nicht. Nun war gestern eine Sitzung des Präsidiums der SPD. Ich sage freimütig, wie es da gegangen ist. Da waren alle gegen einen. In dieser Art von Fällen ist das besser, als stünde einer gegen alle. Der eine bin ich gewesen. Das heißt: Dieser eine nimmt die Kritik auf sich. Als einzelner freut er sich sogar, daß die anderen alle einig sind. ({34}) Dem, was Willy Brandt heute gesagt hat, füge ich hinzu: Es gibt tatsächlich keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß es keine Alternative zur sozialliberalen Koalition gibt. ({35}) Meine Damen und Herren, ich bin mir der Tatsache bewußt, daß die Herren, die auf die SPD angesetzt wurden, die einmal als Erler-Gesellschaft anfingen und neuerdings als SDU figurieren sollen, nichts anderes als die fünfte Kolonne des Herrn Franz Josef Strauß sind. ({36}) So, wie diese fünfte Kolonne ihr Werk zu tun versucht, geschieht es auf der anderen Seite durch andere, die zum Teil Narren sind, zum Teil aber nicht nur das, sondern eben auch Schlimmeres. ({37}) - Ich bin sofort fertig, verehrter Herr Haase. Soweit es mir möglich ist, bin ich auf dem Platz, auf dem es ankommt, daran mitzuwirken, daß weder die fünfte Kolonne des Herrn Strauß noch andere diese SPD zerbröseln oder zerbröckeln können. ({38})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Mißbilligungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/595. Es ist Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt worden. Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß ich, sobald die Abstimmung geschlossen ist, den Änderungsantrag auf der Drucksache 8/616 aufrufen und dem Herrn Abgeordneten Schröder ({0}) das Wort geben werde. Anschließend wird über den Einzelplan 04 in namentlicher Abstimmung abgestimmt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den Mißbilligungsantrag. Meine Damen und Herren, ich mache vorsorglich noch einmal darauf aufmerksam, daß wir in sehr kurzer Zeit eine zweite namentliche Abstimmung haben werden. Meine Damen und Herren, ich schließe die namentliche Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Inzwischen fahren wir in den Beratungen fort. Ich rufe den Änderungsantrag der CDU/CSU zum Einzelplan 04 auf Drucksache 8/616 auf. Das Wort hat der Abgeordnete Schröder ({1}).

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor wir zum eigentlichen Zahlenwerk des Einzelplans 04, des Haushalts des Bundeskanzlers kommen, gestatten Sie mir noch zwei Bemerkungen über den Verlauf der heutigen Debatte. Diese Debatte, insbesondere die Debattenbeiträge der Vertreter der Koalition, haben zwei bemerkenswerte Dinge zutage gebracht, zum einen eine selten dargebotene Arroganz der Macht und zum anderen eine unerwartete Rechtfertigung eines Verfassungsverstoßes. ({0}) Meine Damen und Herren, es hat mich bei aller Würdigung der strapazierten Nerven des SPD-Fraktionsvorsitzenden einigermaßen erstaunt, daß ausgerechnet er der Opposition vorwirft, keinen Respekt vor dem parlamentarischen Gegner zu haben. Was hat es denn mit Respekt vor dem parlamentarischen Gegner zu tun, wenn sich der Herr Bundeskanzler in einem übermäßigen Anflug von Arroganz der Macht hinstellt und dem Oppositionsführer, dem Abgeordneten Helmut Kohl, empfiehlt und nahelegt, von Dingen, von denen er angeblich keine Ahnung hat, hier nicht zu reden? ({1}) Wenn dies der Stil ist, dann müssen wir der Ahnung einmal etwas auf den Grund gehen. Gestatten Sie mir, in einem eigenen Anflug von Arroganz darauf hinzuweisen, daß wir ja eine Gemeinsamkeit haben: Wir haben beide unser Volkswirtschaftsstudium an der Hamburger Universität absolviert, und wir waren beide Schüler von Karl Schiller. Ich hoffe, daß Sie jenen Karl Schiller noch ebenso gut im Gedächtnis behalten haben, vor allen Dingen als Schröder ({2}) Maßstab Ihrer volkswirtschaftlichen Kenntnisse, wie das bei mir der Fall ist. Wenn in diesem Zusammenhang von Ahnung die Rede ist, dann frage ich Sie: Hat es etwas mit Ahnung zu tun, wenn man volkswirtschaftliche Zusammenhänge so verkennt, daß man von „5 % Inflation statt von 5 % Arbeitslosigkeit" redet? Dann frage ich Sie: Hat es mit Ahnung etwas zu tun, wenn man von Stabilität als einem Modewort redet

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, es geht jetzt um die Antragsbegründung. Die allgemeine Aussprache ist zu Ende. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich auf das Thema konzentrierten. ({0})

Dr. h. c. Horst Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002080, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hat es etwas mit Ahnung zu tun, meine Damen und Herren, wenn man hier von „Problemchen" redet und in Wirklichkeit das größte Problem vor sich hat? Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zum Haushalt des Bundeskanzlers selbst kommen, denn dieser Haushalt des Bundeskanzlers ist ein Spiegelbild des Gesamthaushalts, ist ein Spiegelbild der Politik dieses Bundeskanzlers und dieser Bundesregierung. Dieser Haushalt zeichnet sich durch drei Kriterien aus: durch Zweckentfremdung, durch Aufblähung und durch Verschwendung. Meine Damen und Herren, die Zweckentfremdung zeigt sich beispielsweise auch in diesem Haushalt 1977 an der schon oft von uns angesprochenen Planungsabteilung, über die ich keine Ausführungen im einzelnen mehr machen muß. Sie ist ein Überbleibsel jener Ehmkeschen Reformillusionen, jenes Ehmkeschen Alles-durcheinander-Bringens, um irgend etwas Neues zu produzieren, egal was. Meine Damen und Herren, die Aufblähung des Bundeskanzleramtes hat sich auch 1977 fortgesetzt. Obwohl wir - selbst diese Regierung - ausdrücklich gesagt haben, in diesem Jahr gibt es keine Ausweitung des Stellenplanes mit Ausnahme von Stellen für die innere Sicherheit, wurde das Bundeskanzleramt wieder einmal personell aufgebläht, und zwar um sechs Planstellen und zehn neue Stellen für Lohnempfänger. Allein der Leitungsstab ist von 42 auf 47 Mitarbeiter gewachsen. Im Stellenplan dieses Bundeskanzleramtes befinden sich beispielsweise fünf Stellen für ein Pressereferat, obwohl das gesamte Bundespresse- und Informationsamt Teil des Bundeskanzleramtes und dem Bundeskanzler unmittelbar zugeordnet ist. Dieses Pressereferat ist völlig überflüssig. Es beschäftigt sich auch nur zu einem geringen Teil mit Pressearbeit; denn in diesem Pressereferat werden u. a. solche Aufgaben erledigt wie das Sommerfest des Bundeskanzlers und die Naturschutz- und Vogelschutzaktivitäten von Frau Loki Schmidt. Dem Bevollmächtigten der Bundesregierung in Berlin, der formal dem Bundeskanzleramt zugehört, stehen im Bundeskanzleramt selber sieben Mitarbeiter zur Verfügung, obwohl er eine eigene Behörde in Berlin hat und als Staatssekretär des Innerdeutschen Ministeriums über den gesamten Apparat dieses Ministeriums verfügen kann. Auch dies grenzt schon an Verschwendung. Mangelhafte Sparsamkeit und fehlender Sparwillen sowie das schlechte Beispiel des Bundeskanzlers selber drücken sich auch darin aus, daß der persönliche Verfügungsfonds des Bundeskanzlers in diesem Jahr erneut von 310 000 auf 390 000 DM aufgestockt worden ist. Wir stellen den Antrag, hier wieder um 100 000 DM abzustocken, nicht nur, damit der Bundeskanzler die Möglichkeit erhält, als Vorbild ein Zeichen der Sparsamkeit und Sparbereitschaft zu setzen, sondern auch um deutlich zu machen, welche überflüssigen Ausgaben aus diesem Haushaltstitel finanziert werden, etwa jenes sogenannte Sommerfest, das allein in diesem Jahr wieder rund 100 000 DM verschlingen wird. Die Verschwendung im Kanzleramt äußert sich an einer Vielzahl von Einzelheiten. Auch der Etat des Bundeskanzlers ist nicht frei geblieben von jenem schon angesprochenem Mißbrauch des Bundeshaushalts für Wahlkampfzwecke. Bundeskanzler Helmut Schmidt ließ sich im letzten Jahr wegen des Wahlkampfs vom Finanzminister zusätzlich 50 000 DM für den Reiseetat des Amtes bewilligen. Das Geld wurde vom Bundesfinanzminister mit der Begründung angefordert, daß die als Reisekosten zur Verfügung stehenden 100 000 DM wegen des Wahlkampfes nicht ausreichen würden. Sie sehen auch hier in den kleinen und kleinsten Dingen, wie man so tut, als ob der Bundeshaushalt eine persönliche Verfügungsmasse sei, und den Grundsatz der treuhänderischen Handhabung der Gelder unserer Steuerzahler vernachlässigt, auch in den kleinen Dingen. ({0}) Lassen Sie mich zum Schluß kommen. ({1}) Der Haushalt des Bundeskanzlers ist ein Spiegelbild der gesamten Haushalts- und Finanzpolitik dieser Regierung. Er ist großspurig und unsolide. Er müßte eigentlich vom gesamten Parlament mißbilligt werden, wenn dieses Parlament eine seiner vornehmsten Aufgaben noch ernst nähme, nämlich Treuhänder der anvertrauten Steuergelder unserer Bürger zu sein. Aus diesem Grunde bitten wir Sie, in namentlicher Abstimmung deutlich zu machen, daß noch eine Mehrheit in diesem Hause das vornehmste parlamentarische Recht wahrnimmt, nämlich darauf zu achten, daß die Gelder unserer Steuerzahler sparsam verwaltet und sparsam ausgegeben werden. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte ging es weite Strecken um ,die beiden haushaltsrechtlichen Begriffe „unvorhersehbar" und „unabweisbar". Ich darf den Inhalt dieser Debatte mit diesen beiden Begriffen zusammenfassen: Es war nicht unvorhersehbar, daß die Opposition keine Alternative liefern wird, und es ist deshalb unabweisbar, daß die sozialliberale Koalition noch lange die Regierungsverantwortung tragen muß. ({0}) Die großen Auftritte sind vorbei, und nun kommt Herr Schröder und fegt die noch unbeachtet gelassenen Krümel zusammen. Genießbarer als das andere ist das auch nicht, Herr Schröder. Sie, lieber Herr Kollege Schröder, wollen dem Kanzler auch noch anhängen, daß er in seinem eigenen Hause Verschwendung betreibe. Um das loszuwerden, konnten Sie nicht einmal bis zur zweiten Lesung warten; da mußten Sie die Gazetten schon vorher scharf machen. Tatsache ist jedenfalls, daß die Regierungszentrale einer der größten Industrienationen dieser Welt jährlich etwa jedem Deutschen 50 Pfennig kostet, d. h. den Gegenwert von einer Rolle Drops. ({1}) Sie werden mir gestatten, daß ich bei dieser Größenordnung nicht mehr auf das Zahlenwerk von Herrn Schröder eingehe, sondern lediglich Goethe zitiere, der einmal gesagt hat: Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet, Der immerfort an schalem Zeuge klebt, Mit gier ger Hand nach Schätzen gräbt Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet. Guten Appetit bei Ihren Regenwürmern, meine Herren von der Opposition! Wir speisen nicht mit. Wir werden Ihren Antrag auf Drucksache 8/616 ablehnen und dafür in einem eindeutigen Votum den Kanzleretat beschließen. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in der Antragsberatung. Wer dem Antrag auf Drucksache 8/616 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich schlage vor, daß wir nunmehr mit der zweiten namentlichen Abstimmung beginnen. Sie betrifft den Einzelplan 04. Ich eröffne die Abstimmung. Meine Damen und Herren, haben sämtliche Mitglieder des Hohen Hauses Ihre Stimmkarte abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie wieder Platz nähmen, weil ich inzwischen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Mißbilligungsantrag Drucksache 8/595 bekanntgeben kann: Mit Ja haben 243 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 253. Von den Berliner Abgeordneten haben 11 mit Ja und 11 mit Nein gestimmt. ({0}) Ergebnis Abgegebene Stimmen 496 und 22 Berliner Abgeordnete; davon ja: 243 und 11 Berliner Abgeordnete, nein: 253 und 11 Berliner Abgeordnete Ja CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Dr. Aigner Alber Dr. Arnold Dr. Barzel Bayha Dr. Becher ({1}) Dr. Becker ({2}) Frau Benedix Benz Berger Biechele Dr. Biedenkopf Biehle Dr. von Bismarck Dr. Blüm Blumenfeld Böhm ({3}) Dr. Bötsch Braun Breidbach Broll Bühler ({4}) Burger Carstens ({5}) Carstens ({6}) Conrad ({7}) Dr. Czaja Damm Daweke Dr. Dollinger Dr. Dregger Dreyer Engelsberger Erhard ({8}) Ernesti Dr. Evers Ey Eymer ({9}) Dr. Eyrich Feinendegen Frau Fischer Francke ({10}) Franke Dr. Friedmann Dr. Früh Dr. Fuchs Frau Geier Geisenhofer Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({11}) Gerstein Gierenstein Glos Dr. Gölter Dr. Gruhl Haase ({12}) Haberl Dr. Häfele Dr. Hammans Handlos Hanz Hartmann Hasinger von Hassel Hauser ({13}) Hauser ({14}) Helmrich Dr. Hennig von der Heydt Freiherr von Massenbach Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({15}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger ({16}) Dr. Jahn ({17}) Dr. Jahn ({18}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({19}) Dr. Jobst Josten Frau Karwatzki Katzer Kiechle Dr. h. c. Kiesinger Dr. Klein ({20}) Klein ({21}) Dr. Klepsch Klinker Dr. Köhler ({22}) Dr. Köhler ({23}) Köster Kolb Krampe Dr. Kraske Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kunz ({24}) Lagershausen Lampersbach Landre Dr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs Leicht Lemmrich Dr. Lenz ({25}) Lenzer Link Lintner Löher Lücker Dr. Marx Dr. Mende Dr. Mertes ({26}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Müller ({27}) Müller ({28}) Dr. Müller-Hermann Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer Pieroth Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Reddemann Regenspurger Dr. Reimers Frau Dr. Riede ({29}) Dr. Riedl ({30}) Dr. Riesenhuber Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe Russe Sauer ({31}) Sauter ({32}) Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein Dr. Schäuble Schartz ({33}) Schedl Frau Schleicher Schmidhuber Schmidt ({34}) Schmitz ({35}) Schmöle Dr. Schneider Dr. Schröder ({36}) Schröder ({37}) Schröder ({38}) Dr. Schulte ({39}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({40}) Dr. Starke ({41}) Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stommel Strauß Stücklen Stutzer Susset de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer Frau Tübler Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({42}) Vogt ({43}) Volmer Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Frau Dr. Walz Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Wawrzik Weber ({44}) Weiskirch ({45}) Dr. von Weizsäcker Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({46}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissebach Wissmann Dr. Wittmann ({47}) Dr. Wörner Baron von Wrangel Würzbach Dr. Wulff Dr. Zeitel Zeyer Ziegler Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Amrehn Frau Berger ({48}) Dr. Gradl Kittelmann Kunz ({49}) Luster Müller ({50}) Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe Nein SPD Adams Ahlers Dr. Ahrens Amling Dr. Apel Arendt Augstein Baack Bahr Dr. Bardens Batz Dr. Bayerl Becker ({51}) Biermann Bindig Blank Dr. Böhme ({52}) Frau von Bothmer Brandt Brandt ({53}) Brück Buchstaller Büchler ({54}) Büchner ({55}) Dr. von Bülow Buschfort Collet Conradi Coppik Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. von Dohnanyi Dürr Dr. Ehrenberg Eickmeyer Frau Eilers ({56}) Dr. Emmerlich Dr. Enders Engholm Frau Erler Esters Ewen Fellermaier Fiebig Dr. Fischer Flämig Frau Dr. Focke Franke ({57}) Friedrich ({58}) Gansel Gerstl ({59}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar Haase ({60}) Haehser Hansen Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Henke Heyenn Höhmann Hoffmann ({61}) Hofmann ({62}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({63}) Jahn ({64}) Jaunich Dr. Jens ({65}) Junghans Jungmann Junker Kaffka Kirschner Klein ({66}) Koblitz Konrad Kratz Kretkowski Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lange Lattmann Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Dr. Meinecke ({67}) Meinike ({68}) Meininghaus Menzel Möhring Müller ({69}) Müller ({70}) Müller ({71}) Müller ({72}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Neumann Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Paterna Pawelczyk Peiter Dr. Penner Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({73}) Rappe ({74}) Ravens Reuschenbach Rohde Rosenthal Roth Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({75}) Dr. Schäfer ({76}) Scheffler Scheu Schirmer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({77}) Schmidt ({78}) Schmidt ({79}) Schmidt ({80}) Schmidt ({81}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber Schulte ({82}) Schwabe Dr. Schwencke ({83}) Dr. Schwenk ({84}) Seefeld Sieler Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Spöri Stahl ({85}) Dr. Staudt Dr. Steger Frau Steinhauer Stockleben Stöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm Tönjes Topmann Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak Dr. Vogel ({86}) Vogelsang Voigt ({87}) Waltemathe Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Walther Dr. Weber ({88}) Wehner Weißkirchen ({89}) Wendt Dr. Wernitz Wiefel Wilhelm Wimmer ({90}) Wischnewski Dr. de With Wittmann ({91}) Wolfram ({92}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({93}) Dr. Dübber Egert Männing Mattick Frau Schlei Schulze ({94}) Sieglerschmidt FDP Angermeyer Dr. Bangemann Baum Cronenberg Eimer ({95}) Engelhard Ertl Dr. Friderichs Frau Funcke Gärtner Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Hölscher Hoffie Jung Kleinert Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Ludewig Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Mischnick Möllemann Ollesch Paintner Peters ({96}) Schmidt ({97}) von Schoeler Frau Schuchardt Snitzmüller Dr. Vohrer Dr. Wendig Wolfgramm ({98}) Wurbs Zywietz Berliner Abgeordnete Hoppe Damit ist der Antrag abgelehnt. Nach den mir vorgelegten Protokollen habe ich hier noch folgendes zu sagen. Wenn auch die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Kohl, der Bundeskanzler sei vom Bundesverfassungsgericht des Verstoßes gegen die Verfassung für „schuldig" befunden worden, der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht wird, so muß ich doch den wiederholten Zuruf des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schäfer „Sie sind ein Verleumder!" mißbilligen. Herr Abgeordneter Schäfer, ich rufe Sie zur Ordnung. ({99}) Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Einzelplan 04, Drucksache 8/494, bekannt. Mit Ja haben 253 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 11 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein 243 und 11 Berliner Abgeordnete. Insgesamt abgegebene Stimmen: 496 und 22 von Kolleginnen und Kollegen aus Berlin. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 496 und 22 Berliner Abgeordnete; davon ja: 253 und 11 Berliner Abgeordnete, nein: 242 und 11 Berliner Abgeordnete, ungültig: 1 Ja SPD Adams Ahlers Dr. Ahrens Amling Dr. Apel Arendt Augstein Baack Bahr Dr. Bardens Batz Dr. Bayerl Becker ({100}) Biermann Bindig Blank Dr. Böhme ({101}) Frau von Bothmer Brandt Brandt ({102}) Brück Buchstaller Büchler ({103}) Büchner ({104}) Dr. von Bülow Buschfort Collet Conradi Coppik Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. von Dohnanyi Dürr Dr. Ehrenberg Eickmeyer Frau Eilers ({105}) Dr. Emmerlich Dr. Enders Engholm Frau Erler Esters Ewen Fellermaier Fiebig Dr. Fischer Flämig Frau Dr. Focke Franke ({106}) Friedrich ({107}) Gansel Gerstl ({108}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar Haase ({109}) Haehser Hansen Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Henke Heyenn Höhmann Hoffmann ({110}) Hofmann ({111}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({112}) Jahn ({113}) Jaunich Dr. Jens ({114}) Junghans Jungmann Junker Kaffka Kirschner Klein ({115}) Koblitz Konrad Kratz Kretkowski Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lange Lattmann Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Dr. Meinecke ({116}) Meinike ({117}) Meininghaus Menzel Möhring Müller ({118}) Müller ({119}) Müller ({120}) Müller ({121}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Neumann Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Paterna Pawelczyk Peiter Dr. Penner Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({122}) Rappe ({123}) Ravens Frau Renger Reuschenbach Rohde Rosenthal Roth Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({124}) Dr. Schäfer ({125}) Scheffler Scheu Schirmer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({126}) Schmidt ({127}) Schmidt ({128}) Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Schmidt ({129}) Schmidt ({130}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber Schulte ({131}) Schwabe Dr. Schwencke ({132}) Dr. Schwenk ({133}) Seefeld Sieler Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({134}) Dr. Staudt Dr. Steger Frau Steinhauer Stockleben Stöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm Tönjes Topmann Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak Dr. Vogel ({135}) Vogelsang Voigt ({136}) Waltemathe Walther Dr. Weber ({137}) Wehner Weißkirchen ({138}) Wendt Dr. Wernitz Westphal Wiefel Wilhelm Wimmer ({139}) Wischnewski Dr. de With Wittmann ({140}) Wolfram ({141}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({142}) Dr. Dübber Egert Manning Mattick Frau Schlei Schulze ({143}) Sieglerschmidt FDP Angermeyer Dr. Bangemann Baum Cronenberg Eimer ({144}) Engelhard Ertl Dr. Friderichs Frau Funcke Gartner Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Hölscher Hoffie Jung Kleinert Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Ludewig Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Mischnick Möllemann Ollesch Paintner Peters ({145}) Schmidt ({146}) von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller Dr. Vohrer Dr. Wendig Wolfgramm ({147}) Wurbs Zywietz Berliner Abgeordnete Hoppe Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Dr. Aigner Alber Dr. Arnold Dr. Barzel Bayha Dr. Becher ({148}) Dr. Becker ({149}) Frau Benedix Benz Berger Biechele Dr. Biedenkopf Biehle Dr. von Bismarck Dr. Blüm Blumenfeld Böhm ({150}) Dr. Bötsch Braun Breidbach Broll Bühler ({151}) Burger Carstens ({152}) Carstens ({153}) Conrad ({154}) Dr. Czaja Damm Daweke Dr. Dollinger Dr. Dregger Dreyer Engelsberger Erhard ({155}) Ernesti Dr. Evers Ey Eymer ({156}) Dr. Eyrich Feinendegen Frau Fischer Francke ({157}) Franke Dr. Friedmann Dr. Früh Dr. Fuchs Geisenhofer Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({158}) Gerstein Gierenstein Glos Dr. Gölter Dr. Gruhl Haase ({159}) Haberl Dr. Häfele Dr. Hammans Handlos Hanz Hartmann Hasinger von Hassel Hauser ({160}) Hauser ({161}) Helmrich Dr. Hennig von der Heydt Freiherr von Massenbach Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({162}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger ({163}) Dr. Jahn ({164}) Dr. Jahn ({165}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({166}) Dr. Jobst Josten Frau Karwatzki Katzer Kiechle Dr. h. c. Kiesinger Dr, Klein ({167}) Klein ({168}) Dr. Klepsch Klinker Dr. Köhler ({169}) Dr. Köhler ({170}) Köster Dr. Kohl Kolb Krampe Dr. Kraske Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kunz ({171}) Lagershausen Lampersbach Landré Dr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs Leicht Lemmrich Dr. Lenz ({172}) Lenzer Link Lintner Löher Lücker Dr. Marx Dr. Mende Dr. Mertes ({173}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({174}) Müller ({175}) Dr. Müller-Hermann Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer Pieroth Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Reddemann Regenspurger Dr. Reimers Frau Dr. Riede ({176}) Dr. Riedl ({177}) Dr. Riesenhuber Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe Russe Sauer ({178}) Sauter ({179}) Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein Dr. Schäuble Schartz ({180}) Schedl Frau Schleicher Schmidhuber Schmidt ({181}) Schmitz ({182}) Schmöle Dr. Schneider Dr. Schröder ({183}) Schröder ({184}) Schröder ({185}) Dr. Schulte ({186}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({187}) Dr. Starke ({188}) Graf Stauffenberg Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stommel Strauß Stücklen Stutzer Susset de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer Frau Tübler Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({189}) Vogt ({190}) Volmer Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Frau Dr. Walz Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Wawrzik Weber ({191}) Weiskirch ({192}) Dr. von Weizsäcker Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({193}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissebach Wissmann Dr. Wittmann ({194}) Dr. Wörner Baron von Wrangel Würzbach Dr. Wulff Dr. Zeitel Zeyer Ziegler Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Amrehn Frau Berger ({195}) Dr. Gradl Kittelmann Kunz ({196}) Luster Müller ({197}) Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe Damit ist der Einzelplan 04 in namentlicher Abstimmung angenommen. ({198}) ({199})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich rufe auf: Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksache 8/495 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann Abgeordneter Gärtner dazu Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Vorbereitung einer Dokumentation über die menschenrechtliche Lage in Deutschland und der Deutschen in den kommunistischen Staaten Osteuropas zu dem Antrag der Fraktion der SPD, FDP Verwirklichung der KSZE-Schlußakte und Wahrung der Menschenrechte - Drucksachen 8/152, 8/221, 8/603 Berichterstatter: Abgeordneter Mattick Abgeordneter Dr. Mertes ({1}) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung und zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung des Berichts der deutschen Delegation über die 22. Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung - Drucksachen 8/27, 8/110, 8/604 -Berichterstatter: Abgeordneter Blumenfeld Abgeordneter Dr. Corterier Abgeordneter Möllemann Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Herr Abgeordneter Picard hat sich zu Wort gemeldet.

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner kurzen Ausführungen zum Einzelplan 05 - auch für meine Fraktion - der Genugtuung Ausdruck geben, daß unser Außenminister auf einer seiner - wie die Presse das sagt - Stippvisiten einmal wieder in Bonn ist. ({0}) Ich will dieses Thema nicht allzusehr ausbreiten, aber mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich doch einen kleinen Pressebericht zitieren. ({1}) - Ob die Bemerkung überflüssig war, weiß ich nicht. Die deutsche Presse - nicht nur die, die der Regierung nicht so wohl will, sondern auch besonders die, die der Regierung wohl will - ist jedenfalls der Meinung, daß eine solche Bemerkung nicht überflüssig ist, ({2}) insbesondere dann nicht, wenn die Frage in der Öffentlichkeit seit langem erörtert wird, warum unser Außenminister in Konkurrenz zu Herrn Kissinger getreten ist und nach einem solchen Pressebericht seiner Freude darüber Ausdruck gegeben haben soll, den Rekord des Herrn Kissinger gebrochen zu haben. Es erhebt sich dann nämlich die Frage, warum wir nicht nur einen Minister, sondern auch noch zwei Staatsminister haben.Vielleicht wird der Herr Minister nachher die Güte haben, darauf einzugehen; denn diese beiden Staatsminister sollten doch gerade der Entlastung des Außenministers bei diesem sehr schwierigen Geschäft dienen. ({3}) Reisen müssen sein. Gerade ein Außenminister muß notwendigerweise auch reisen. Aber daß er seine Aufgabe deshalb, weil er Außenminister heißt, außerhalb der Bundesrepublik wahrzunehmen hat, während er früher, als er Innenminister war, sie im Innern wahrzunehmen hatte - ich glaube, so einfach kann man das nicht machen. So hin und wieder wäre es gar nicht schlecht, wenn sich der Herr AuPicard ßenminister den Aufgaben im Hause und nicht nur denen draußen etwas häufiger widmen könnte. Ich sage damit gar nichts gegen die Reisen, sondern ich habe den Eindruck - sehr viele in diesem Lande haben diesen Eindruck -, daß der eigentliche Grund für die nur noch sporadische Anwesenheit des Ministers im Auswärtigen Amt der miserable Zustand von Regierung und Koalition ist: Herr Genscher ist als Parteivorsitzender mehr als vertretbar mit den Versuchen beschäftigt, die Koalition am Leben zu halten, die Risse zu kitten, Warnungen hören zu lassen und - wie kürzlich geschehen - auch noch Drohungen auszusprechen, mit dem Verwirrspiel endlich einmal aufzuhören. Wir wünschen Ihnen, Herr Minister, bei diesem Unternehmen viel Erfolg.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bangemann?

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Martin Bangemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000089, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, wären Sie bereit zuzugeben, daß man als Vorsitzender der FDP, wenn in der FDP etwas zu regeln ist, das wohl sehr schwer im Ausland tun kann und daß deswegen die Reisen des Außenministers wohl mehr mit seinem Auftrag als Minister zu tun haben als mit seiner Eigenschaft als Bundesvorsitzender meiner Partei?

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe im Augenblick nicht von der Aufgabe gesprochen, auf den Reisen die Koalition zu kitten, sondern gesagt: Wenn er schon einmal im Lande ist, ist er über Gebühr durch Aufgaben beeinträchtigt, die mit seiner Tätigkeit als Außenminister nichts zu tun haben. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Ich habe sehr viel Verständnis, Herr Kollege Bangemann, daß es Ihnen schwerfällt, das zuzugeben. ({0}) Die Anwesenheit des Ministers wäre wünschenswert; denn er hat - ich glaube, zu Recht - in diesem Hause seit langem ein hohes Ansehen genossen, das aber in den letzten Monaten etwas zurückgegangen ist. Da erhebt sich die Frage: Warum? Das hat natürlich nichts mit den großen Fragen der Außenpolitik zu tun, sondern mit den Fragen der Leitung eines so komplizierten Hauses. Da ist die - so scheint uns - berechtigte Klage junger Karrierebeamter über die Bevorzugung von „Seiteneinsteigern". Diese Klagen kommen nicht von CDU-Leuten, sondern diese Klagen kommen von Leuten, die dieser Regierung als Mitglieder einer der beiden sie tragenden Parteien in vielen Fällen durchaus loyal dienen, die aber mit Verwunderung sehen, daß hin und wieder jemand aus ganz anderen Gründen in das Auswärtige Amt gelangt. Sie bemühen sich dann, die Offentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, daß das eigentlich eine etwas eigenartige Behandlung loyaler Beamter sei. In der Zeitung wird dann von Protesten gegen Parteikarrieren geschrieben. Es gibt Personalentscheidungen in der jüngsten Zeit, die nicht auf allseitige Zustimmung gestoßen sind. Im Gegenteil, einige Besetzungen haben erhebliche Kritik hervorgerufen. Da gab es einmal die Affäre Hoffmann, die ich jetzt nicht in der Breite darstellen will, sondern die ich nur deshalb anziehe, weil sie ein Licht auf das Verständnis vom Bundesbeamtengesetz wirft sowie zeigt, was man unter einem politischen Beamten versteht. Dann gab es eine Affäre, die dem jetzigen Bundesaußenminister zwar nicht angelastet werden kann, deren Folgen er aber zu tragen hat. Das ist die Aktion „Früher Herbst" aus dem Jahre 1969, nämlich die Entlassung von 26 Beamten gegen Recht und Gesetz. Ich hätte das nicht vorgetragen, wenn wir heute nicht eine Debatte geführt hätten, die mindestens bei Teilen dieser Regierung ein sehr unterentwickeltes Verhältnis gegenüber Recht und Gesetz zum Ausdruck gebracht hat. ({1}) Das hat nämlich nicht erst bei Finanzminister Schmidt angefangen, sondern bereits bei dem ehemaligen Bundesaußenminister Brandt, der seinem Nachfolger, Außenminister Scheel, eine vorgefertigte Liste mit den Namen von 26 Beamten übergab, die Herr Scheel im Vollgefühl der gerade errungenen Macht entließ -, abgesegnet von einem Bundespräsidenten, der seine Wahl - das wissen wir doch alle - als Zeichen des Machtwechsels verstanden wissen wollte. Meine Damen und Herren, diese Aktion der Euphorie der ersten Tage der sozialliberalen Koalition hat damals schon 3 Millionen DM gekostet, und das Presseecho aus der damaligen Zeit war nicht positiv; es lautete etwa: „parteipolitisch motivierte Aktion", „Institut des politischen Beamten gerät ins Zwielicht", -„politische Gründe bei den Neubesetzungen, wenn nicht schon bei den Entlassungen" und „Offenbar sollte mit dieser Exekution einer der SPD genehmeren Garnitur von Diplomaten Platz gemacht werden"; denn die Aktion war ja von Herrn Brandt vorbereitet. Diese Verjüngungskur hat nicht nur damals Geld gekostet, sondern hat - das könnte der Herr Außenminister uns inzwischen wohl sagen - auch jetzt noch einmal ein paar Millionen gekostet, weil wir uns das Vergnügen erlaubt haben, 26 qualifizierte Spaziergänger zu unterhalten. Meine Damen und Herren, es ist kein Trost, wenn der Sprecher des Auswärtigen Amtes - nach einer deutschen Zeitung - gesagt haben soll: Hans-Dietrich Genscher wäre das nicht passiert. Es mag ja sein, daß der jetzige Außenminister zu klug gewesen wäre. Wir erwarten deshalb von Ihnen, Herr Minister, daß Sie als Außenminister sich mehr uni das Haus und seine eigentlichen Aufgaben kümmern, und wir meinen, daß gerade im Auswärtigen Amt eine Personalpolitik notwendig ist, die ausschließlich die Eignung des Beamten wertet. Das sollte in unser aller Gedächtnis zurückgerufen werden. Lassen Sie mich zu einem anderen Thema kommen. Meine Damen und Herren, die sozialliberale Koalition war immer groß in der Ankündigung. Das ist sie auch heute noch; mir scheint, das ist ihre einzige Größe. Was nach der jeweiligen Ankündigung schließlich eintraf, entsprach nie der Größe der Ankündigung, sondern es kreißte ein Berg, und bestenfalls wurde ein Mäuschen geboren. Ein Beispiel für die Diskrepanz zwischen Vision und Realität ist die auswärtige Kulturpolitik. Die berühmte dritte Säule der Außenpolitik ist bestenfalls ein Säulchen, und wenn man Presseberichten und warnenden Rufen der Betroffenen glauben darf, ist zu befürchten, daß auch dieses Säulchen noch zerbröselt. Die Presse schreibt über die Auszehrung der Institute - gemeint: das Goethe-Institut -, das Goethe-Institut habe keine Lobby, die auswärtige Kulturpolitik sei unterbelichtet, „Goethe auf Sparflamme", „Kultur ohne Konzept für 1 Milliarde DM". Wenn Herr Minister Genscher in den „Bonner Perspektiven" vom vergangenen Sonntag von der großen Bedeutung der Bundesrepublik sprach und sagte, daß diese große Bedeutung auch Verpflichtungen mit sich bringt - und wir stimmen ihm da zu -, so ist doch gerade deshalb das Mißverhältnis zwischen wirtschaftlicher und politischer Bedeutung der Bundesrepublik einerseits und Präsentation der Kultur dieses Landes im Ausland andererseits nicht zu übersehen. Es ist bisher nicht deutlich geworden, und es ist uns nicht gelungen, der Welt verständlich zu machen, daß Deutschland nicht nur ein wirtschaftlicher Riese, eine politische Macht ist und eine militärische Garantie in der NATO darstellt, sondern auch eine Kulturnation ist. Es wäre höchste Zeit, daß wir auf diesem Felde endlich aktiver werden. ({2}) - Keine Bange; das ist bei jeder Haushaltsberatung so. Ich spreche nicht lange über auswärtige Kulturpolitik; das kann man jetzt nicht in aller Breite behandeln. Ich stelle nur fest, es gibt in der ganzen Zeit der sozialliberalen Koalition keine einzige Kabinettsentscheidung, die die Grundlinien der auswärtigen Kulturpolitik klarlegte. Der Versuch, die ehemals verfaßten Leitlinien durch das Kabinett zu bringen, ist kläglich gescheitert. Es gibt kein Konzept, wie den überproportional steigenden Personal-und Sachkosten auf diesem Felde gesteuert werden kann. Wir haben vier Fünftel fixe Kosten und ein Fünftel operative Mittel. Wir nähern uns, etwas salopp ausgedrückt, dem Zeitpunkt, wo wir die Mitarbeiter im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik für das Däumchendrehen bezahlen. Das, meine Damen und Herren, ist ein teures Vergnügen. Wir sollten, so scheint es uns jedenfalls, den Versuch unternehmen, spätestens anläßlich der Diskussion um den Bericht der Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik hier eine Debatte zu führen, die eine Meinungsbildung des Parlaments deutlich macht und der Regierung zwingt, sich ihrerseits auf den Weg zu machen. Das Parlament wartet immer noch auf eine Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Enquete-Bericht, die für den März angekündigt war, vor der Sommerpause abgegeben werden sollte, aber mit Sicherheit nicht mehr kommt, weil die Sommerpause am Ende dieser Woche anfängt. Das, meine Damen und Herren, ist eine Vernachlässigung dieser bedeutenden Möglichkeit, friedliche deutsche Außenpolitik in der Welt zur Geltung zu bringen. Natürlich gibt es den einen oder anderen Kraftakt. Ein solcher Kraftakt hat uns - und dafür sind wir dankbar - zwei neue Goethe-Institute in den USA beschert. Dennoch gibt es in diesem Haushaltsjahr Rückschläge, die von einer gravierenden Bedeutung sind. Die Streichung von Stipendien und Programmen der Nachkontakte hat negative Auswirkungen, die über Nacht nicht wieder aufgefangen werden können. Noch nie wurde in so kurzer Zeit wie in den letzten Monaten so ausführlich, so positiv, so sachverständig, mit großem Ernst und Wohlwollen und mit nachdrücklicher Betonung der Notwendigkeit der Verstärkung der vielfältigen Aktivitäten in der auswärtigen Kulturpolitik in der deutschen Presse berichtet. Statt daß sich Regierung und Parlament diese öffentliche Unterstützung zunutze gemacht hätten, haben wir eine interfraktionelle Initiative, wenigstens 6 Millionen DM für die dringendsten Notwendigkeiten zuzulegen, durch die Koalition im Haushaltsausschuß scheitern sehen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zur privaten Initiative in diesem Bereich sagen. Natürlich ist derjenige, der irgendwo in der Welt in der auswärtigen Kulturpolitik tätig ist - ob als Mitarbeiter im Goethe-Institut, ob als einer, der für den DAAD draußen ist, ob als Lektor oder als Kulturattaché -, durch seine Existenz, durch sein Agieren, durch sein Sprechen und Handeln ein Aktivposten. Dennoch, operative Mittel in dem jetzt vorhandenen Ausmaß sind in ihrem geringen Umfang nicht weiter vertretbar. Ein wesentlicher Teil der auswärtigen Kulturpolitik vollzieht sich auf dem Wege des Austauschs. Da gibt es eine private Institution, vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten gegründet, das German-American Partnership Program, das im vergangenen Jahr über 1 000 Schüler aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland für mehrere Wochen in deutsche Familien und Schulen und im Gegenzug deutsche Schüler in etwa gleicher Zahl nach den Vereinigten Staaten gebracht hat. Dieses Programm, in Amerika entstanden, von Mitarbeitern des Goethe-Instituts begonnen, inzwischen mit Beteiligung von amerikanischen führenden Leuten aus der Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Leben unterstützt, bedarf dringend einer zusätzlichen finanziellen Hilfe, damit auch in diesem Lande eine Anlaufstation und so etwas wie ein Minimum an Organisation errichtet werden kann. Ich empfehle das der Abteilung für Auswärtige Kulturpolitik und besonders Ihnen, Frau Staatsminister. Lassen Sie mich noch einmal auf den interfraktionellen Versuch mit der Erhöhung um 6 Millionen DM zurückkommen. Natürlich gibt es Haushaltsgesichtspunkte. Ich bedauere, daß wir die 6 Millionen DM nicht eingestellt haben mit der wahrscheinlichen Begründung, es sei kein Deckungsvorschlag erfolgt. Wir haben deshalb heute den Antrag eingePicard bracht, der noch 1 710 000 DM umfaßt, in dem wir beantragen, Kap. 05 02 Tit. 686 41 „Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland ({3}) " um diesen Betrag zu erhöhen. Wir legen keine Zweckbestimmung für diesen Betrag fest, weil er nicht so bedeutend ist, daß man ihn noch für bestimmte Zwecke aufsplitten sollte. Wir hoffen, daß der Antrag in diesem Hause Annahme findet. Wir haben dazu den Deckungsvorschlag gemacht, Kap. 05 01 Tit. 531 01 „Öffentlichkeitsarbeit" zu streichen. Wir haben diesen Antrag deshalb gemacht, weil bis zum vergangenen Jahr ein Titel für Öffentlichkeitsarbeit im Auswärtigen Amt nicht vorhanden war und auswärtige Öffentlichkeits- und Informationsarbeit immer durch die Auslandsabteilung des Bundespresseamtes gemacht worden ist. Wir denken, daß man dabei bleiben sollte oder wieder zu dieser Übung zurückkehren könnte. Wir bitten deshalb um die Annahme dieses Antrags. Lassen Sie mich ganz deutlich zum Ausdruck bringen: Wir haben den Haushalt beim Einzelplan 23 auch um einige -zig Millionen ausgeweitet, ohne im eigenen Haushalt Deckungsvorschläge zu machen, weil wir die Bedeutung der Entwicklungspolitik erkennen und gemeint haben, das sei vertretbar. Wir denken, daß auch das Gewicht der auswärtigen Kulturpolitik den Möglichkeiten und den Einflußmöglichkeiten der Entwicklungspolitik in etwa gleichzusetzen ist. Deshalb sind wir bereit, wenn die Koalition damit einverstanden wäre, auch den alten Antrag einer Erhöhung um 6 Millionen DM bei dem genannten Titel mitzutragen. Ich möchte abschließend noch ein Wort des Bedauerns darüber sagen, daß wir die im Jahre 1978 anstehenden Direktwahlen zum Europäischen Parlament bis jetzt in diesem Etat nicht dadurch unterstützt haben, daß wir die überparteilichen Organisationen, wie Europaunion und Rat der Europäischen Bewegung, durch eine finanzielle Dotierung dazu in den Stand setzen. Das muß nicht unbedingt in diesem Etat geschehen; es gibt mit Sicherheit einen Nachtragsetat. Ich wäre deshalb sehr dankbar, wenn Regierung und Koalition bereit wären, heute verbindlich zu erklären, daß wir das, was wir zur Vorbereitung der Direktwahlen für das Europäische Parlament tun können - das ist keine große Summe -, im Nachtragsetat bewilligen werden. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Bußmann.

Dr. Bernhard Bußmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem Einzelplan 05, insbesondere aber unter Verweis auf die Rede des Kollegen Picard möchte ich alle Kollegen, aber ganz besonders die Kollegen von der Opposition, auf den Einzelplan 05, Seite 42 ff. hinweisen. Dort stehen nämlich ganz interessante Dinge. Dort stehen drei Einzelpositionen, die sich zu insgesamt 502 Millionen DM summieren, in keiner Weise finanziell aufgegliedert und praktisch der Kontrolle des Gesamtparlaments entzogen. Es hat sich jedenfalls auch durch seine eigene Enquete-Kommission um eine genaue Kontrolle dieser Titel noch nicht gekümmert. Einblick können bestenfalls hier nur die Berichterstatter haben, weil nur sie die Unterlagen bekommen. Deshalb hat die Mehrheit im Haushaltsausschuß beschlossen, vom nächsten Jahr an eine stärkere Aufgliederung zu bekommen, damit endlich einmal im Detail in die Aktivitäten der einigen Dutzend Zuwendungsempfänger, die für uns Kulturpolitik machen, hineingesehen werden kann und damit man - jedenfalls in etwa - die Politik einiger Dutzend Beamter im Auswärtigen Amt auf diesem Gebiet besser in den Griff bekommen kann. Das hat jetzt hier im Plenum nur Bedeutung für den Antrag; denn wenn wir den Anträgen des Kollegen Picard auf Erhöhung um entweder 1,7 oder 6 Millionen DM folgen würden, würden wir den Globalzuweisungen von rund 500 Millionen einige Millionen zur Bewirtschaftung durch die Beamten und zur Verwendung durch die Zuwendungsempfänger hinzufügen, ohne daß irgend jemand in diesem Parlament auch nur verbindliche Hinweise dafür geben könnte, was die damit zu machen hätten. Damit könnten die tun und machen, was sie wollen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Picard?

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bußmann, ist Ihnen nicht mehr im Gedächtnis, daß bei dem Antrag auf Erhöhung um 6 Millionen DM genau aufgeschlüsselt war, für welche Zweckbestimmung welcher Beitrag gewünscht war, und zwar nicht nur von der Opposition, denn es war ja, wie gesagt, eine übereinstimmende Vorstellung all derer, die sich in den drei Fraktionen mit diesen Fragen intensiv beschäftigen?

Dr. Bernhard Bußmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, das ist richtig, Herr Kollege Picard, daß das in dem Antrag auf Erhöhung um 6 Millionen DM so war. Da war im einzelnen festgelegt, wofür das war. Aber dieser Antrag steht hier nicht zur Debatte, sondern wir haben hier nur die Drucksache 8/617, und darin gibt es keinerlei Zweckbestimmung. Eine solche Zweckbestimmung wäre auch gar nicht möglich; der Antrag müßte ganz anders aussehen. Denn im ausgedruckten Bundeshaushaltsplan finden wir auf Seite 42 vorne unter dem Titel die Bestimmung, daß die zugrunde liegenden Bewirtschaftungspläne verbindlich sind. Wenn sie verbindlich sind, kann man nicht auf diesem Wege Korrekturen anbringen. Ein anderer Weg mag möglich sein, aber nicht dieser.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bußmann, haben Sie wirklich ein so großes Mißtrauen gegen die von Ihnen getragene Regierung, sie würde den Wunsch des Parlaments mißachten, der ja bei dem Antrag auf Erhöhung um 6 Millionen DM deutlich zum Ausdruck gekommen und auch im Hause selbst bei den drei Fraktionen sehr genau bekannt ist?

Dr. Bernhard Bußmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Picard, wir haben überhaupt kein Mißtrauen der Regierung gegenüber, möchten aber natürlich ungern Geld in den Haushalt einsetzen, das dann etwa zur Verwendung von Regionalkonferenzen des Goethe-Instituts da ist. Die würden dann nämlich nach den Grundsätzen darüber verfügen, die sie für richtig halten. Vielleicht täten die sogar das Richtige; das bestreite ich gar nicht. Wenn hier aber Geld bewilligt werden soll, dann soll das seinen ordentlichen Gang im Genehmigungsverfahren gehen, und dann wollen wir das Königsrecht der Kontrolle dabei nicht aufgeben. ({0}) - Ja, auch schon deshalb würde ich sagen, daß wir diesen Antrag ablehnen müssen. Er durchbricht unsere Haushaltssystematik. Er widerspricht der Haushaltssystematik. Allerdings ist damit dem Anliegen des Kollegen Picard und der Kulturpolitik aller Fraktionen gar nicht widersprochen. Wir wissen ja, daß in diesem Jahr ein Nachtragshaushalt fällig ist. Wenn sich die Regierung entschließen kann, diesen Nachtragsetat etwa für einen Kulturfonds so aufzugliedern, daß er für das Parlament und die Ausschüsse durchsichtig wird, könnte die Frage der Mittelverwendung im weiten Kulturbereich anders gestellt werden. Denn eines ist klar, besonders klar muß das für die Damen und Herren der Opposition sein: so wie in den letzten Jahren geht es im Kultursektor nicht weiter. Damit meine ich, daß wir ständig steigende Beträge haben - ich lese gleich einmal vor -, die aber fast ausschließlich von den Personalkosten aufgezehrt werden. Hier müssen auch vom Parlament ganz deutliche Zeichen gesetzt werden, damit operative Mittel unter Umständen freigemacht oder ausschließlich bewilligt werden, aber nicht alles in dieser Form in eine von uns nicht zu kontrollierende Personalentwicklung hineinfließt. Der Kulturfonds ist hinsichtlich seiner gesamten Größenordnung gar nicht zu kritisieren; im Gegenteil, er hat eine sehr erfolgreiche und erfreuliche Entwicklung genommen. Ich nehme einmal den rein operativen, den eigentlichen Kulturfonds, in dem das Goethe-Institut enthalten ist. 1970 betrug der Ansatz 172,6 Millionen DM. Ich nenne nur die IstBeträge. 1971 waren es 185,9 Millionen, 1972 197,5 Millionen, 1973 219,7 Millionen, 1974 246 Millionen, 1975 280 Millionen und 1976 284 Millionen DM. Hier muß allerdings noch hinzugefügt werden, daß in diesem Jahr noch Beträge hinzuzusetzen sind, wenn die Personalverstärkungsmittel kommen. Der Kulturetat insgesamt hat Steigerungsraten, die man sicherlich als erfreulich bezeichnen muß. Damit ist nicht die Misere behoben, daß hier tatsächlich bet den operativen Mitteln, mit denen Kulturpolitik gemacht und nicht nur Personal bezahlt wird, ein Engpaß entstanden ist. Das leugnen wir nicht. Aber das wollen wir beheben durch stärkere Kontrolle seitens des Parlaments und gleichzeitig im neuen Haushalt durch die entsprechende Aufgliederung, die jedem Kollegen hier die Einsichtsmöglichkeit gibt - und nicht nur den drei Geheimwissenschaftlern, die sich Berichterstatter nennen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Bernhard Bußmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bußmann, da Sie die Steigerungsraten des Kulturetats vorgetragen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie diese einmal mit den durchschnittlichen Steigerungsraten des Haushalt verglichen haben und zu welchem Ergebnis Sie gekommen sind?

Dr. Bernhard Bußmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Steigerung von 172 auf 284 Millionen DM liegt über der allgemeinen Haushaltssteigerung. Sie liegt weit über den Steigerungsraten des Einzelplanes 05. ({0}) Das sind die beiden Vergleichszahlen, die Sie nehmen können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zwischenfrage. - Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß wir nach diesem Einzelplan noch einen weiteren zu behandeln haben. ({0})

Dr. Bernhard Bußmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will mich jetzt auch von der Kultur abwenden. Für meine Fraktion bringe ich hier zum Ausdruck: Wir lehnen diesen Änderungsantrag ab. Die Begründung habe ich vorher geliefert. Ihre Eingangsbemerkungen möchte ich hier zumindest noch kurz kommentieren. Ich glaube, lieber Herr Picard - und ich denke, ich richte mich damit an alle Kolleginnen und Kollegen -, man kann dem Auswärtigen Amt zwar alles mögliche vorwerfen; aber niemand wird in der Lage sein, ihm vorzuwerfen, daß dort eine einseitige oder gar parteipolitisch beeinflußte Personalpolitik in den letzten sieben, in den letzten zehn, ja - ich sage sogar - in den letzten 15 Jahren betrieben worden ist. ({0}) Das ist einfach nicht geschehen, und ich bedaure manchmal, daß das praktisch dazu geführt hat, daß wir im Auswärtigen Amt heute fast ausschließlich Besetzungen haben, die von seiten der Karrierebeamten erfolgen. Es wäre für mein politisches Verständnis sehr viel erfreulicher, wenn die Praxis des verstorbenen Altbundeskanzlers Adenauer wiederaufgegriffen würde, der in viel stärkerem Maße als alle Außenminister nach ihm Außenseiter auf die Posten gebracht hat - Außenseiter, die vor allen Dingen an politisch empfindsamen Stellen in dieser Welt politisch agierten, politisch mitdachten und zum guten Teil auch die Vertreter der jeweiligen Regierungsmehrheit waren. Dagegen ist ja nichts zu sagen. Die Regierungen ändern sich ja vermutlich gelegentlich, und dann ist es richtig, hier die entsprechende Vertretung zu haben. Dem Auswärtigen Amt hier Einseitigkeit vorzuwerfen, geht sicher nicht. Es gibt im Auswärtigen Amt noch einige andere Personalverkrampfungen, die gelegentlich in DenkDr. Bußmann schriften zum Ausdruck kommen. Da kommt zum Beispiel die Denkschrift junger Beamter des höheren Dienstes, in der sich diese dagegen wehren, daß allzuviel Seiteneinsteiger kommen. Der Herr Kollege Picard hat schon ausgeschlossen, daß es sich hier um politische Seiteneinsteiger handelt. Es handelt sich hier um Seiteneinsteiger, die aus dem gehobenen Dienst, zum Teil sogar aus dem mittleren Dienst über den gehobenen Dienst in den höheren Dienst kommen. Dies ist eine im Grunde genommen sehr erfreuliche Angelegenheit. ({1}) Grundsätzlich sollte meiner Ansicht nach diese Durchlässigkeit - so bekunden wir auch immer, wenn es hier um Beamtengesetze geht - gefördert und in keiner Weise behindert werden. Im Auswärtigen Amt besteht allerdings die Schwierigkeit, daß Jahr für Jahr bestimmte Quoten - Nachwuchsquoten - in die Ausbildungsstätten fließen und daher eine bestimmte Nachwuchsgruppe vorhanden ist, die um ihre eigenen Aufstiegsmöglichkeiten fürchtet, wenn zu viele dieser nicht politischen, nicht parteipolitischen Seiteneinsteiger kommen. Hier besteht eine Problematik; aber diese kann nicht so gelöst werden, daß es hier ein Monopol für die Einsteiger des höheren Dienstes unter Ausschluß der anderen geben sollte. ({2}) Was die Reisetätigkeit des Ministers angeht, so wird ebenfalls dieses Haus insgesamt zustimmen müssen, wenn ich hier feststelle, daß niemand - von links bis rechts und umgekehrt - dem Minister vorwerfen könnte, in der Amtszeit auch nur ein einziges Mal an wichtigen Punkten abwesend gewesen zu sein oder in wichtiger Angelegenheit versagt zu haben. Wenn jemand dieses Amt so geführt hat, wie es ein administrativ hochbefähigter Staatsmann in einem Ministerium tun sollte, dann war es der Minister, ({3}) nicht zuletzt dank der Unterstützung von zwei Staatsministern, die wir haben und die sich in diesem Amt wirklich bewährt haben. Der eine - dies ist die interne Arbeitsteilung - ist für die Verbindung zum Parlament und für die gesamte auswärtige Kulturpolitik, die hoffentlich dadurch auch neue Form und neuen Inhalt in den nächsten Jahren gewinnen wird, zuständig. Der andere soll vor allen Dingen auf dem europäischen Gebiet den Minister entlasten und die unzähligen Termine und Verpflichtungen in politischer Verantwortlichkeit wahrnehmen - er tut das viel besser, als ein Beamter das könnte -, die sich auf diesem Gebiete ergeben. Sie sind auch berechtigt. Es ist ja auch logischerweise kein Änderungsantrag, kein Streichungsantrag oder dergleichen hier gestellt worden. Der „goldene Lebensabend", der 1970 einigen beschert wurde, als 26 Beamte frühzeitig ihren Abschied nahmen oder die Regelung der flexiblen Altersgrenze in Anspruch nahmen, ist allerdings in einem einzigen Punkt, Herr Picard, schiefgegangen, nämlich in dem Punkt, daß der Minister des Auswärtigen in die Entlassungsurkunden damals hineingeschrieben hat „wegen Verjüngung des Stabes des Auswärtigen Amtes insgesamt", während es im Gesetz heißt, daß Beamte ab A 16 in diesem Amt jederzeit ohne Begründung gehen können. Die Ehrlichkeit wurde gewissermaßen sechs oder sieben Jahre später gerügt. Dies als Lehre für weitere. Aber insgesamt ist diese Aktion sicherlich auch nicht unberechtigt gewesen, zum einen unter politischen Gesichtspunkten -- dagegen haben die Leute ja auch nichts; das ist nicht diskriminierend -, und zum zweiten ist der Verjüngungsgesichtspunkt auch nicht „ohne". Ohne jede Kritik ist er zum Beispiel seit Bestehen der Bundeswehr ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Außerdienststellung von Generalen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Picard?

Dr. Bernhard Bußmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja!

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bußmann, ich habe mich nur deshalb gemeldet, weil das ein sehr wichtiger Punkt ist. Ist Ihnen entgangen, daß es inzwischen eine höchstrichterliche Definition dessen gibt, was ein „politischer Beamter" ist? Das, was hier unterstellt wird, daß nämlich Beamte ab A 16 im Auswärtigen Amt ohne Angaben von Gründen nach Hause geschickt werden könnten, ohne daß eine nicht zu erwartende Loyalität mehr möglich sei, scheint mir ein Punkt zu sein, der außerordentlich wichtig ist, denn die 26 Betroffenen waren ja nicht alle Leute, die sich geweigert haben, loyal der damaligen Regierung zu dienen.

Dr. Bernhard Bußmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das war es nicht. Das habe ich eben gesagt. Es haben Verjüngungsgründe eine Rolle gespielt. Es mögen meinetwegen auch andere eine Rolle gespielt haben; dies wären aber Personaldetails, die wir hier nicht diskutieren können. Insgesamt habe ich zu einigen Punkten Stellung genommen. In der Frage der „vorgezogenen Abendsonne", in Fragen des Kulturetats und auch in Fragen der Aktivität und der ständigen Repräsentanz dieses Ministers da, wo es notwendig ist, kann hier nicht ernsthafte Kritik geübt werden. Deshalb ersuche und bitte ich das Haus, dem Einzelplan 05 zuzustimmen und aus den eingangs genannten Gründen den Änderungsantrag der Opposition abzulehnen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Mertes ({0}).

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser späten Stunde möchte ich noch einen Debattenbeitrag zum Verständnis dessen leisten, was uns, die CDU/CSU, von der Regierung und von der Koalition trennt und worüber zwischen uns Konsens besteht. Zunächst einmal muß ich etwas klären und richtigstellen, was der Herr Kollege Ehmke um Ende Di. Mertes ({0}) der letzten deutschlandpolitischen Debatte einseitig, ja falsch dargestellt hat. Er hat so getan, als sei für uns die Diskussion über die Möglichkeit einer Verbindung des Entschließungsantrages der CDU/ CSU mit dem der SPD /FDP - beide zur KSZE - ein rein taktischer, innenpolitisch motivierter Streit gewesen. Ich möchte auf das hinweisen, was der Herr Kollege Mattick und ich in unserem Bericht sagen; es gibt die Sache richtig wieder: In einer interfraktionellen Arbeitsgruppe des Ausschusses wurde geprüft, ob sich alle Fraktionen auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag einigen könnten. Die Koalitionsfraktionen legten hierzu eine Neufassung ihres Antrags vor mit der Aufforderung an die Bundesregierung, „sich dafür einzusetzen, daß die Partner des Atlantischen Bündnisses zur Vorbereitung auf das Belgrader Treffen eine gemeinsame Dokumentation über die Verwirklichung aller Absichtserklärungen der Schlußakte von Helsinki, einschließlich der Achtung der Menschenrechte, erstellen". Die Opposition sah sich nicht imstande, dieser Neufassung zuzustimmen, da gerade eine öffentlich zu behandelnde Dokumentation positive Wirkungen verspreche. Die Koalition blieb bei ihrer Bewertung, wonach gerade die Offentlichkeit des Verfahrens der Verwirklichung der Menschenrechte abträglich sein werde. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es handelt sich hier nicht um ein innenpolitisches Spiel, es handelt sich hier nicht um prozedurale und taktische Fragen, wie der Kollege Ehmke es dargestellt hat, sondern es handelt sich um einen echten Dissens zwischen der Opposition und der Koalition. Wir sind für eine sachliche, aber öffentliche Behandlung der Thematik „Bilanz von Belgrad". Auch unsere Sprecher haben darauf hingewiesen, daß wir mit unserem Antrag auf Vorlage einer Dokumentation nicht anklagen wollen. Aber wenn schon auch im SPD /FDP-Antrag eine Bilanz gefordert wird, dann muß diese Bilanz auch offengelegt werden; denn es handelt sich hier um elementare Fragen unseres Landes, unseres Volkes und der Deutschen im Bereich der KSZE. ({1}) Hierzu eine Anmerkung in Richtung FDP. Der Kollege Hoppe hatte bei der Debatte im März 1977 den Eindruck erweckt, als sei es möglich, die beiden Anträge miteinander zu verbinden. Diese Verbindung wäre in der Tat möglich gewesen. Wir waren bereit, das Wesentliche der Aussagen des Antrags der SPD und der FDP zu übernehmen, wenn die Regierungsseite, wenn die Koalitionsseite das wesentliche Petitum unseres Antrags, nämlich eine öffentliche Dokumentation, über die menschenrechtliche Lage in Deutschland und der Deutschen im Geltungsbereich der Schlußakte von Helsinki akzeptiert hätte. Wir haben den Eindruck gewonnen, daß der Kollege _ Hoppe zwar guten Willens war, daß sich die FDP aber innerhalb der Koalition nicht durchsetzen konnte, sondern daß die Freien Demokraten in dieser Frage vor der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gekniffen haben. ({2}) Es ist klar: Was uns hier trennte, war die nicht vorhandene Bereitschaft der Koalitionsfraktionen zur öffentlichen Behandlung eines unser Volk ständig bedrängenden und bewegenden Problems: der Verwirklichung der Menschenrechte für alle Deutschen. Ein weiterer Punkt. Wir sind in der letzten deutschlandpolitischen Debatte und in der Offentlichkeit in der letzten Zeit wegen unserer Haltung zu den Ostverträgen und zur Schlußakte von Helsinki häufig angegriffen worden: Wir seien in unseren Aussagen mehrdeutig, rein formal usw. Vielleicht kann man in dieser Stunde zumindest einen Beitrag zum gegenseitigen Sich-Verstehen leisten. Gegenseitiges Verständnis ist schließlich etwas anderes als gegenseitiges Einverständnis. Was waren die sachlichen Gründe in ihrer Essenz, die uns bewogen haben, gegen die Ostverträge zu stimmen? Es gab im wesentlichen zwei Gründe. Der erste Grund war die Sprache, die Ausdrucksweise der Texte der Verträge. Sie war und ist so gestaltet, daß wir die Gewißheit hatten, daß unsere östlichen kommunistischen Vertragspartner nach dem Inkrafttreten die Verträge in einer völlig anderen Weise auslegen und politisch nützen würden als wir. Wir mußten annehmen, ,daß es nicht zu einer Willenseinigung in den großen strittigen Fragen gekommen war - obwohl die öffentliche Meinung dies annahm -, sondern zu einem Formelkompromiß, der die virulent bleibenden politischen Zielgegensätze nur überdeckt. Herr Bundesaußenminister und Herr Bundeskanzler, wir haben niemals die Interpretationen der Bundesregierung angegriffen, auch nicht bei der KSZE-Schlußakte, sondern wir haben nur gesagt: Sie begeben sich in ein Vertragsverhältnis oder - bei der Schlußakte - in eine politischmoralische Bindung zur Sowjetunion und ihren Verbündeten, die eingehalten werden müssen, die aber einen institutionalisierten Auslegungsstreit begründen, nicht aber Entspannung in der Sache. Ich erinnere mich an die Rede des Kollegen Kiesinger vom 17. Mai 1972, in der er deutlich begründet hat, worauf es uns ankam: Wir wollen, daß die Bundesrepublik Deutschland gegenüber unseren östlichen Vertragspartnern ein berechenbarer Partner ist, auf dessen eindeutiges Wort man sich eindeutig verlassen kann. Das hat nichts mit Antifriedens- und Antientspannungshaltung zu tun. Im Gegenteil: Wir wollen gerade, daß unser Land auch gegenüber der Sowjetunion und den kommunistischen Staaten ein berechenbarer Partner ist. Nur Berechenbarkeit und Verläßlichkeit des gegebenen Wortes schaffen Frieden. Wenn man Verträge abschließt, muß man sie zwar auch, wie man journalistisch sagt, mit Leben erfüllen, aber man muß sie zunächst einmal halten. Deshalb muß man auch wissen, was mit den Verträgen in der Sache gemeint ist. Deswegen hat sich die CDU/CSU vor der Ratifikation der VerDr. Mertes ({3}) träge darum bemüht, völkerrechtlich verbindliche Interpretationen durchzusetzen, die dafür Sorge tragen, daß nach der Ratifikation die Organe der Bundesrepublik Deutschland diese Verträge in einer Weise handhaben, die mit dem Grundgesetz und seiner politischen Ethik übereinstimmt. Das ist doch nicht Legalismus, sondern es handelt sich hier um eine grundlegende Forderung, nämlich die nach Übereinstimmung unserer Außenpolitik mit den moralischen Grundaufträgen unserer Verfassung. Hätte nicht die Opposition im Frühjahr 1970 in diesem Hause immer wieder bohrende Fragen nach der Verfassungsmäßigkeit gestellt, dann gäbe es nicht die beiden sehr guten Briefe zur deutschen Einheit, die beim Moskauer Vertrag und beim innerdeutschen Grundvertrag unseren Partnern übergeben worden sind. Dann gäbe es auch nicht die Gemeinsame Entschließung in der ganz eindeutig gesagt wird, was für uns alle in diesem Hohen Hause bei der Auslegung dieser Verträge maßgeblich ist. Diese Entschließung ist ein Dokument der Bundesrepublik Deutschland, das den Vertragspartnern in Moskau und Warschau förmlich übermittelt wurde. Im übrigen, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, sind diese Verträge doch auch nach Ihrer Auffassung mehrdeutig; sonst hätten Sie doch dem Prinzip eines Interpretationstextes nicht zugestimmt. Sonst hätte es doch beim innerdeutschen Grundvertrag nicht den Gang nach Karlsruhe geben müssen. ({4}) - Herr Kollege Bangemann, ich werde schon zu einem sehr konstruktiven, auf die Zukunft gerichteten Punkt kommen. Ich nehme an, Sie werden mir dann sogar Beifall zollen. Unser zweites großes Bedenken gegen die Ostverträge war dies: Die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland sind statusmäßiger und politischer Art, sie sind oft unwiderruflich; hingegen sind die Leistungen der östlichen Seite im humanitären Bereich - die wir im übrigen sehen und auch würdigen -- und im atmosphärischen Bereich widerruflich. Das heißt, es kann eine Situation eintreten, in der die andere Seite nach Einheimsung unserer Leistungen für die Erfüllung ihrer eigenen humanitären Leistungen neue Bedingungen stellt. Nun aber, meine Damen und Herren, ist das alles Geschichte. Für uns gilt: Die Mehrheit hat entschieden, und nun gelten diese Verträge, und zwar auf der Basis der Auslegungen, die für alle Organe der Bundesrepublik Deutschland verbindlich sind. Wer sagt, wir seien nur für eine formale Geltung der Verträge, sagt nicht die Wahrheit. Wir sind für eine inhaltliche Geltung der Verträge, aber den Inhalt, soweit er strittig ist, bestimmen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, die Gemeinsame Entschließung und der Brief zur deutschen Einheit. Das eigentliche Problem für eine wirksame Vertretung der außenpolitischen Interessen unseres Landes, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, ist aber heute gar nicht die Opposition. Das Problem liegt bei Ihnen, in Ihrem eigenen Lager, vor allen Dingen in der sozialdemokratischen Fraktion, die durch sehr namhafte Sprecher wie beispielsweise Herrn Bruno Friedrich oder Herrn Willy Brandt oder Herrn Herbert Wehner deutlich machte, daß diese Interpretationstexte gar nicht so verbindlich sind und gar nicht die Bedeutung haben, die sie in Wirklichkeit zweifelsfrei besitzen. Das Prinzip „pacta sunt servanda" gilt auch innerhalb dieses Hauses; d. h., wir müssen uns auf grundlegende inhaltliche Absprachen wie die Gemeinsame Entschließung vom 17. Mai 1972 verlassen können. Die Opposition und die Bundesregierung müssen erwarten, daß auch die sie tragende sozialdemokratische Fraktion zu den Interpretationen steht, die für uns verbindlich sind. Lassen Sie mich also sagen, der Kampf gegen die Verträge endete im Augenblick ihres Inkrafttretens. Seitdem gelten sie, seitdem sind sie ein wesentlicher Bestandteil unseres außenpolitischen Instrumentariums - unter der Voraussetzung, daß sie im Sinne der Texte rechtlich ausgelegt und politisch genutzt werden, die ich eben genannt habe. Bei dieser Frage spielt auch in Zukunft immer wieder - das spüren wir - die Bedeutung des Rechtes überhaupt und insbesondere des Friedensvertragsvorbehaltes für Deutschland eine große Rolle. Ich war über Sie beim kürzlichen deutschpolnischen Forum sehr betroffen, Herr Kollege Bruno Friedrich. Ich hatte den Eindruck, daß die Äußerungen des Bundeskanzlers über die Bedeutung unserer obersten Gerichte und ihrer Entscheidungen abends gegenüber den deutschen und polnischen Gästen, die er geladen hatte, die Dinge zurechtgerückt haben. Der Friedensvertragsvorbehalt, über den es zwischen Ihnen, Herr Friedrich, und uns auf dem Forum Streit gab, ist keine juristische Marotte, sondern ist die Voraussetzung der Rechte der Westmächte in Berlin. Er ist auch die Voraussetzung dafür, daß die deutsche Frage nicht nur politischmoralisch, sondern auch völkerrechtlich offen ist. In der Gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 steht, daß dieser Friedensvertragsvorbehalt in vollem Umfang gilt. Es steht doch auch fest, daß Bundesaußenminister Scheel ausdrücklich erklärt hat, der Vertrag mit der Volksrepublik Polen binde die Bundesrepublik Deutschland, nicht aber einen gesamtdeutschen Souverän. Zu diesem Souverän hat die Bundesregierung in den Briefen zur deutschen Einheit gesagt, es sei das Ziel - nicht irgendein Ziel, sondern das Ziel - der Bundesrepublik Deutschland, auf einen Zustand des Friedens hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbtsbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußenminister, wir begrüßen es, daß Sie z. B. am 17. Juni und vor den Vereinten Nationen dieses Ziel bekundet haben. Nur müssen wir darauf achten, daß die rechtlichen, die diplomatischen Instrumente unserer Außenpolitik nicht durch Vertreter dieses Hauses, durch die SPD, vor der Öffentlichkeit geschwächt werden. In dieser Frage sind nicht wir, die CDU/CSU, Ihr Problem, sondern ist ein Teil der Koalition Ihr Problem: nämlich derjenige, der die Bedeutung des Dr. Mertes ({5}) Friedensvertragsvorbehalts für die gesamtdeutsche Frage und für Berlin offensichtlich gar nicht erkennt. Berlin hat die Präsenz der Westmächte, weil die deutsche Frage noch nicht gelöst ist. Die Westmächte sind dort, weil Berlin die Hauptstadt des einen besiegten Deutschlands ist. Die Westmächte haben vor dem Viermächteabkommen über Berlin mit der Sowjetunion sehr hart gerungen über das, was die Rechtsgrundlagen der Präsenz der Westmächte in West-Berlin sind. Die Westmächte haben den Bemühungen der Sowjetunion widerstanden, aus dem Viermächteabkommen eine Rechtsgrundlage für die westliche Präsenz zu machen. Die Westmächte haben erreicht -- das steht im Berlin-Abkommen -, daß die entscheidenden Texte der Jahre 1944 und 1945 nach Auffassung der vier Partner des Abkommens gelten. Diese Sonderrechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und auf Berlin als Ganzes haben natürlich in einem gewissen Sinn den Charakter von Besatzungsrechten und können insofern von uns nicht sozusagen mit Ergötzen verteidigt werden. Aber das Entscheidende an diesen Rechten ist, daß sie immer wieder daran erinnern - und das tut ganz konkret die Stadt Berlin -, daß die deutsche Frage offen und damit auch die Position der Sowjetunion in Deutschland eine vorläufige ist. Im übrigen erinnert die Sowjetunion auf diskrete Weise ihrerseits oft an diese Tatsache. Seit einiger Zeit nennt sie ihre Truppen in der DDR wieder „Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland". Die Sowjetunion betont die Geltung des Art. 107 der Charta der Vereinten Nationen - der eine reine Übergangsregelung ist -, weil nach ihren Maßstäben und im Sinn ihrer langfristigen Interessen die Deutschlandfrage noch offen ist. Wir haben aus hochpolitischen Gründen allen Grund, dafür zu sorgen, daß diese Rechtsgrundlagen - ich sage es noch einmal - aus historisch-politisch langfristigen Gründen unangetastet bleiben und daß das sozialdemokratische Gerede von der juristischen Einengung der deutschen Politik endlich aufhört. Ich hatte neulich bei dem Forum mit den Polen den Eindruck, daß wir, die Vertreter der CDU und der CSU, die treuesten Vertreter der rechtlichen Position des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers sind und daß die Kollegen der Koalition - eingeleitet wurde das ja schon 1972 durch den Herrn Kollegen Wehner - die Interpretationstexte als ein Draufsatteln ansehen, das vorübergehend gestattet wurde, damit die Opposition die Verträge nicht scheitern ließ, nicht aber als verbindliche Texte. Hätten diese Kollegen recht, so müßte man sich fragen: Können wir uns auf das Wort der Fraktion der SPD nicht mehr verlassen? Mein letztes Wort gilt der oft diskutierten Frage nach dem Konsens zwischen Regierung und Opposition und dem Ausmaß des Dissenses. Ich bin hierin von einigen Kollegen der Regierungsparteien nach einem Vortrag, den ich im Mai in Godesberg gehalten habe, falsch verstanden worden. Es liegt doch auf der Hand, daß wir nicht konsensfeindlich sind. Bei dieser Gelegenheit muß daran erinnert werden, daß auch der deutschlandpolitische Konsens in unserem Land und in diesem Haus von der Regierung Brandt /Scheel durch die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 zerbrochen worden ist. Das müssen wir in Erinnerung behalten! ({6}) 20 Jahre lang haben wir - alle Fraktionen dieses Hohen Hauses - uns gegen die sowjetische ZweiStaaten-Forderung gewehrt. Und dann wurde sie ohne jede Beratung in diesem Hause, ohne jede Beratung in der Offentlichkeit, und ohne Beratung mit den Vier Mächten über Nacht von uns selbst erfüllt. Dann folgten die geheimen Ansprachen zwischen Herrn Bahr und Herrn Gromyko. Ich sage das nur, um daran zu erinnern, daß nicht wir die Konsense zerbrochen haben. Und wer hat den Konsens in der Frage der Wehrpflicht zerbrochen? ({7}) Ich kann immer wieder nur fragen: Wer zerbrach, wer zerbricht zum schweren Schaden für die Außen-und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland die Konsense in diesem Hause? Nehmen Sie die MBFR! Wer ist denn in dieser Frage der treueste Paladin des Bundesministers des Auswärtigen und des Bundesministers der Verteidigung, der zur Bündnispolitik steht? Das ist die Opposition. ({8}) Dort, in der SPD-Fraktion sitzen die Leute, die die Positionen der Bundesregierung mit einer zähen Stetigkeit auf die verschiedenste Weise angreifen. Ich diskutiere nicht über die Motive dieser Kollegen. Nur: Dies geschieht in einer Weise, die objektiv den Interessen des Bündnisses und der Linie dieser Bundesregierung eindeutig widerspricht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Corterier?

Dr. Peter Corterier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000339, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mertes, darf ich Sie fragen: Wenn Sie so ein treuer Paladin des Bundesverteidigungsministers sind - Sie haben das eben auf MBFR bezogen; noch im Mai haben Sie geschrieben, daß Sie ganz allgemein für seine Politik seien -, wieso wollen Sie dann den Verteidigungshaushalt ablehnen?

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, das ist doch nun heute ganz klar gesagt worden. Unsere Ablehnung richtet sich doch nicht gegen die MBFR-Politik von Herrn Leber. Sie richtet sich auch nicht gegen die Tatsache, daß er in der nuklearen Planungsgruppe gut mit den Amerikanern kooperiert und daß er die Strategie des westlichen Bündnisses nicht vertritt. Sie richtet sich auch nicht dagegen, daß er im Gegensatz zu anderen in Ihrer Fraktion gegen den Vorschlag des Ostens für einen NichtErsteinsatz von Kernwaffen ist. Es gibt eine ganze Reihe von wichtigen Einzelfragen der Bündnispolitik, bei denen wir in der Tat mit dem VerteidigungsDr. Mertes ({0}) minister übereinstimmen. Die Entscheidung, den Verteidigungshaushalt abzulehnen, ist eine politische. Das wird auch zur Genüge bei der Debatte des Haushalts 14 dargelegt werden. Ich stelle noch einmal fest - und dies ist auch nützlich für die Stellung unseres Landes gegenüber dem Ausland -, daß diese Opposition, nicht weil sie die Koalition sympathisch findet, sondern weil sie es aus objektiven Sachgründen für richtig hält, in einigen Punkten mit dieser Regierung übereinstimmt. Der Kollege Strauß ist kürzlich im Nahen Osten gewesen. Er hat in Ägypten ausdrücklich gesagt, daß in der Nahostfrage zwischen Opposition und Regierung Übereinstimmung besteht. Ich habe dies eben auch in bezug auf MBFR gesagt. Bei MBFR kommen ja die Schüsse gegen die Regierung aus den eigenen Reihen. Und wie steht es mit den Berliner Status-Fragen? Die Erklärungen des Staatssekretärs van Well vom Auswärtigen Amt und des Staatssekretärs Hartkopf vom Bundesinnenministerium haben unsere ausdrückliche Zustimmung gefunden. Aber hören Sie sich doch mal um, woher die Kritik gegen die Positionen der Bundesminister des Auswärtigen und des Innern kommt. Sie kommt doch wieder aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei. Wir, die Unionsfraktion, sind doch nicht Gegner des staatspolitisch notwendigen Konsenses, sondern die Gegner des Konsenses sitzen in Ihren eigenen Reihen, Herr Minister. Das müssen wir doch in dieser Situation einmal festhalten. Eine volle Übereinstimmung hat es zwischen uns und Ihnen in der Frage des Nuklearexportes nach Brasilien gegeben. Enumerativ könnte ich Ihnen eine Reihe von Punkten nennen, und ich stehe auch hier nicht an zu sagen: Wenn die heutige Opposition als Regierung von morgen die Verantwortung übernimmt, in welcher Koalition und in welcher Besetzung auch immer, wird sie aus staatspolitischer und aus Sachverantwortung in diesen Fragen eine Politik der Kontinuität betreiben, die den Interessen unseres Landes dient. Diese Interessen sind unser Maßstab. Konsens und Konfrontation, das sind nicht Werte oder Unwerte in sich. Wenn Konfrontation notwendig ist - wie vor den Verträgen -, dann von der Sache her. Ich selbst habe zu allen diesen Verträgen aus den eingangs genannten Gründen -sehr bewußt nein gesagt. Ich habe aus diesen Gründen auch zum Atomwaffensperrvertrag und zum UNO-Beitritt nein gesagt. Ich erinnere daran - weil der Herr Bundeskanzler heute davon gesprochen hat -, daß damals derjenige Teil meiner Fraktion, der dem UNO-Beitritt zugestimmt hat, dem Wort des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt geglaubt hat, die Frage der Berlin-Vertretung bei den Vereinten Nationen sei völlig eindeutig geklärt. Wir haben hinterher gesehen, daß diese Ankündigung von Herrn Brandt nicht stimmte, sondern daß der Berlin-Konflikt bei den Vereinten Nationen weiter schwelt. Es gibt also Bereiche, in denen unsere Auffassung mit der der Regierung aus eigener Interessenerkenntnis und -vertretung übereinstimmt, Bereiche, in denen der Widerstand meistens aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei kommt. Aber es gibt einen Bereich, in dem wir in der Tat als Christlich-Demokratische Union und als Christlich-Soziale Union nicht nur die Akzente anders setzen, sondern wesentliche Punkte anders sehen als Sie. Das muß jetzt abschließend gesagt werden. Im Grunde genommen bezieht sich dieser Unterschied auf das Verhältnis zur Sowjetunion. Nicht ein größerer oder geringerer Grad an Feindseligkeit gegenüber der Sowjetunion ist es, den ich hier anspreche, sondern es ist das Ernstnehmen der Kategorien der sowjetischen Politik. Wir haben den Eindruck, daß wir die Sowjetunion in ihrer Zielrichtung, in ihren Machtmitteln und in ihren langfristigen Kategorien anders einschätzen als Sie, ich könnte auch polemisch sagen: ernster nehmen als Sie. Die ganze Diskussion um die Mehrdeutigkeit der Verträge war letzten Endes ein Ringen darum, daß wir gegenüber dieser Weltmacht, die für unser geteiltes Land von so großer Bedeutung ist, ein berechenbarer Partner sein müssen. Unsere Außenpolitik muß für die internationale Umwelt berechenbar sein. Deshalb gilt ja auch die Notwendigkeit eines möglichst weitgehenden außenpolitischen Konsenses zwischen Regierung und Opposition, soweit er zu schaffen ist. Noch einmal sei es gesagt: Was die Sowjetunion angeht, sind wir der Auffassung, daß wir die Sowjetunion in einem gewissen Sinne richtiger sehen und uns ihr gegenüber angemessener verhalten. Das hat in der jetzigen Situation folgendes zur praktischen Konsequenz. Im Gegensatz zu Ihnen - ich komme auf unsere Forderung nach einer öffentlichen menschenrechtlichen Dokumentation vor dem Belgrader KSZE- Folgetreffen zurück - sind wir mit den Menschenrechtskämpfern und Bürgerrechtlern, die aus der DDR, aus Polen, aus der Sowjetunion zu uns kommen, gleicher Auffassung. Sie sagen: Sprecht öffentlich, öffentlich und nochmals öffentlich. Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußenminister, wir wissen doch auch, daß eine Regierung diskret verhandeln muß. Aber es gibt doch in dieser rechtsstaatlichen Demokratie eine Rollenverteilung. Es gibt doch das Parlament. Das kommt von parlare, von reden. Wir können doch als Parlament nicht die Methoden der Diplomatie übernehmen. Ich habe diesem ehrenwerten Stand 20 Jahre angehört und befürworte die Notwendigkeit der Geheimhaltung und des diskreten Verhandelns. Aber ich erinnere mich noch daran, daß wir, Kollegen des Auswärtigen Amtes der verschiedensten politischen Tendenz, immer darauf gewartet haben: wann werden denn das Parlament, die einzelnen Abgeordneten, die Fraktionen etwas sagen? Ich finde, daß der Deutsche Bundestag, der ohnehin nicht sehr viele Rechte in der Außenpolitik hat - die Prärogative liegt hier aus gutem Grund bei der Bundesregierung -, seine Position viel stärker ins Spiel bringen muß. Wir sagen ja auch mit Ihnen - Herr Kollege Zimmermann hat es am 17. Juni ausdrücklich betont -, wir wollen in Belgrad nicht das Tribunal, die Anklage. Aber wenn Sie schon in Ihrer Entschließung Bilanz verlangen, dann müssen darin die Guthaben und die Schulden stehen. Dann muß offen und vorher auch öffentlich beim Namen ge2614 Dr. Mertes ({1}) nannt werden, was ist. Wir sind der Auffassung, daß in maßvoller Sprache, aber ganz eindeutig in der Sache die Frage der Menschenrechte in Deutschland, für die Deutschen im Bereich der KSZE und für die Menschen unserer Nachbarvölker in Erinnerung gebracht werden muß, und zwar - ich wiederhole es: im Sinne unserer Dokumentationsforderung - öffentlich. In Zusammenhang der Menschenrechtsfrage noch ein Hinweis auf die Deutschlandfrage. Die Sowjetunion empfindet die Nichtgelöstheit der Deutschlandfrage in Verbindung mit der Menschenrechtsproblematik als eine schwere politische Bedrängnis. Sie ist in der Defensive. Wir wollen die Sowjetunion nicht militärisch in die Defensive drängen. Aber wir möchten, daß eine Macht, die eben nicht mit Zustimmung der dortigen Bevölkerungen politisch und militärisch in der DDR, in Polen, in der CSSR, in Ungarn steht, weiß, daß ihre Position jenseits der Elbe nach den Maßstäben der Freiheit und nach den Maßstäben des Völkerrechtes eine vorläufige ist. Wir würden als verantwortliche Regierung in diesem Sinne in unserer Politik die menschenrechtlichen Gesichtspunkte der Deutschen und die menschenrechtlichen Gesichtspunkte der Osteuropäer in einer deutlichereren und klareren, keineswegs eifernden, aber in einer deutlichen Sprache zum Ausdruck bringen. Dabei auch noch folgender Hinweis: Wir nehmen alles das, was in den Verträgen steht, auch insofern ernst, als wir beispielsweise daran erinnern dürfen, daß in Zusammenhang mit Artikel 4 des Moskauer Vertrages auch der Deutschlandvertrag gilt. Herr Bundesaußenminister, Ihr Vorgänger, der Bundesaußenminister Scheel, und der damalige Staatssekretär Bahr haben in den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses und in den Plenarberatungen ausdrücklich erklärt, der Artikel 4 des Moskauer Vertrages bedeute, daß gerade auch der Deutschlandvertrag weiter gelte. Ich darf daran erinnern, daß das Folgende geltendes Recht für die Bundesrepublik Deutschland und für die Westmächte ist. Der Artikel 7 des Deutschlandvertrages lautet: Die Unterzeichnerstaaten sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß. Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlichdemokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist. Als das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit des innerdeutschen Grundvertrages mit dem Grundgesetz erklärte, formulierte es eine aktive Aufgabe jedes Parlamentariers und aller Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland. Ich zitiere das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1973 mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident: Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland darf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben, alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken - das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Innern wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten. Seit 1974 - das haben unsere kompetenten Sprecher und Gremien anerkannt - gehen die Bundesregierungen einen realistischeren Weg als ihre Vorgängerinnen. Wir erlebten eine Desillusionierung nach dem Entspannungsrausch der Brandt-Zeit. Ich denke noch daran, wie der Kollege Bahr in Moskau im März 1974 über Berlin verhandelt und uns von dort eine Berlin-Formel mitgebracht hat, von der Außenminister Genscher hinterher sagte, sie sei nicht akzeptabel. Wir begrüßen es, Herr Bundesaußenminister, daß Sie auch bei Ihrem letzten Besuch in Moskau in dieser Sachfrage eine so eindeutige Position bezogen haben. Die Regierung hat sich unserer stets nüchtern gebliebenen Einschätzung und Betrachtung der Dinge und der Möglichkeiten genähert. Der große Irrtum, der fast unverantwortliche Irrtum der Regierung von 1969 war, daß sie dem deutschen Volke vorgaukelte, es gebe in der Außenpolitik die große Alternative, man könne jetzt alles ganz anders machen. Wir haben damals gesagt, die Bewegungsräume unserer Deutschlandpolitik und unserer Außenpolitik sind viel geringer, als es die hoffnungserweckenden Worte Willy Brandts von Erfurt und Kassel ankündigten. Seither ist bei Ihnen ein Ernüchterungsprozeß eingetreten, den wir begrüßen. Wer nimmt eigentlich Abschied von den Illusionen? Das sind doch Sie. Herr Kollege Wehner, Sie haben neulich daran erinnert, daß Sie, Ihre Fraktion, 1960 den Sprung zur Bejahung der Westverträge gewagt haben; wir sollten jetzt das gleiche mit den Ostverträgen tun. Sie können das einfach nicht miteinander vergleichen. Es war immer schon falsch, die eindeutigen Westverträge, also die Verträge mit unseren Freunden und unseren Sicherheitsgaranten waren, auf eine Stufe mit den Verträgen mit unseren potentiellen Gegnern im Osten zu stellen, Partnern, die jedenfalls nicht - wie der Westen - unsere Werte, unsere politischen Grundbegriffe teilen. Diese Verträge waren in ihrer Grundanlage eindeutig. Herr Wehner, wir haben sofort nach dem Inkrafttreten der Ostverträge gesagt: diese Verträge sind nun auch für uns geltendes Recht, und zwar auf der Basis der verbindlichen Auslegungstexte. Der Kollege Kreutzmann hat in rührender Weise gesagt, es gebe auch in den Westverträgen, die Tausende von Artikeln umfaßten, bei dieser oder jener Bestimmung eine Interpretationsnotwendigkeit. ({2}) Dr. Mertes ({3}) - Sie haben recht, Herr Kollege Kreutzmann. Adenauer hat gesagt, bei 1 000 Artikeln könne es auch einmal einen Artikel geben, den man verschieden interpretieren könne. Herr Kollege Kreutzmann, Sie haben uns völlig mißverstanden. Das Problem sind nicht einzelne Formulierungen. Wenn Herr Gromyko bei der Ratifizierung des Moskauer Vertrages im Obersten Sowjet sagt, es handele sich nicht um einen Gewaltverzichtsvertrag, sondern um einen endgültigen Anerkennungsvertrag, aber der deutsche Außenminister und Bundeskanzler Brandt dem Deutschen Bundestag sagen, es handele sich nur um einen Modus-vivendi-Vertrag, nur um einen Gewaltverzichtsvertrag, nicht um einen Anerkennungsvertrag, dann wird hier der langfristige Auslegungsstreit grundgelegt. Wir haben die Gefährlichkeit dieser Mehrdeutigkeit erkannt und die Sicherung unserer verfassungsgemäßen Auslegung durchgesetzt. Wir stehen bereits auf dem Boden der Verträge, da ist nichts mehr nachzuholen. Aber dieselben Illusionen der 50er Jahre, die Sie die sowjetische Politik nicht erkennen ließen, sind es gewesen, die Sie in diese Formelkompromisse hineingezogen haben. Die Formelkompromisse sind nun da, sie sind interpretiert, und sie gelten auch für uns. Herr Bundesaußenminister, ich stelle fest: Soweit dieses Haus in allen entscheidenden Fragen auf dem Boden des Grundgesetzes steht, das die Kodifikation unserer moralischen Werte ist, besteht - das hat der Bundeskanzler in seiner Rede vom 17. Juni 1977 gesagt - ein Grundkonsens. In der operativen Außenpolitik gibt es einzelne enumerative Bereiche, in denen wir mit Ihnen übereinstimmen. Aber es gibt andere Bereiche, in denen wir als Opposition auf Grund unserer Sicht der Kräfteverhältnisse und Kräftebewegungen die Dinge anders sehen. Für unsere Partner in Ost und West, in Nord und Süd und für die Öffentlichkeit ist es gut, ja notwendig, daß sie wissen, wo es in diesem Hause Grundkonsense, wo es in den Tagesfragen Übereinstimmung aus sachlichen Gründen gibt; ich habe einige Fälle genannt. Aber es ist auch wesentlich zu wissen, daß diese Opposition auf Grund ihrer Einschätzung der Weltlage, auf Grund ihrer Menschenrechtsforderungen, auf Grund ihrer Vorstellungen in der Deutschlandfrage einen anderen Weg ginge, eine Kurskorrektur vollzöge. Diese Korrektur hätte auch zum Inhalt - das soll der letzte Satz sein -, daß wir uns gegenüber dem Westen nicht wie jemand verhalten, der dankbar dafür ist, daß die moralischen Kategorien unserer rechtlichen und politischen Verfassung auch von unseren Partnern geteilt und im Bündnis geschützt werden. Wir müssen vielmehr vom Westen erwarten, daß unsere Entscheidung für die endgültige Bindung an den Westen als Gegenleistung die Solidarität mit unseren moralischen Grundwerten und damit auch mit unserem nationalen Ziel nach sich zieht. Dies ist eine politische und geschichtliche Notwendigkeit, die sich aus der westlichen Wertordnung ergibt, zu dem unser ganzes Volk sich bekennt. Und diese Wertordnung muß glaubwürdig bleiben. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Friedrich.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist bisher eine erstaunliche Debatte. Da liegt dieses Land in der Mitte Europas, ist geteilt, jeder dritte Arbeitsplatz ist abhängig von internationalen Beziehungen, und der Vorsitzende der CDU sagt, weil er seinen Antrag begründen müsse, könne er nicht über Asien reden. In welchem Kontinent ist der CDU-Vorsitzende eigentlich aufgewachsen? ({0}) Das bedeutet - einiges, was wir gerade gehört haben, spricht ja dafür -, so wie der Konflikt um die Außenpolitik jahrelang das Ergebnis eines innenpolitischen Kalküls war, ({1}) erwecken Sie heute den Eindruck, als ob Sie die Außenpolitik bei dieser Debatte aus innenpolitischen Gründen ausklammern. Dies ist eine interessante Entwicklung, und dazu ist noch einiges zu sagen. Deshalb ist es auch kein Wunder, daß die „Zeit" auf einer ganzen Seite ihrer dieswöchigen Ausgabe die Undifferenziertheit der Opposition beklagt, wobei Sie, Herr Kollege Mertes, sehr gut differenzieren und Positionen verschieben können; es ist gut, daß ich meinen Text von Godesberg dabeihabe, den wollen wir hier zu Protokoll geben. Und Sie werden ja im Bulletin die Rede des Herrn Bundeskanzlers lesen, ({2}) - ja, und Sie werden feststellen: irgendwo haben Sie einmal zuwenig oder zuviel geklatscht. Nun, hier muß etwas zur Politik der Regierung auf der Grundlage ,der Regierungserklärung gesagt werden. Dies ist eine Politik für den Frieden, und es wäre schlimm, wenn bei der geographischen Situation dieses Landes und bei der historischen Situation dieses Landes in dieser Debatte am ersten Tag kein Wort eines entschiedenen Bekenntnisses zur Politik für den Frieden gesprochen würde. Die Elemente dieser Politik sind in der Regierungserklärung festgehalten: erstens Einordnung in den Kreis der freiheitlichen Demokratien, zweitens als Ergänzung die Politik der Entspannung mit dem Ziel guter Nachbarschaft zum Osten, drittens gleichberechtigte Partnerschaft mit der Dritten Welt. Diese Politik, in der Regierungserklärung angekündigt, ist im ersten Jahr verwirklicht worden, denn die Bundesrepublik Deutschland ist heute in Europa das Zentrum der politischen und der wirtschaftlichen Stabilität. Dies ist ja nun unbestritten, und vielleicht ist dies auch eine der Ursachen dafür, daß die Opposition heute einen so großen Bogen um die Situation der Bundesrepublik macht. Warum, so fragen wir, ist die Opposition eigentlich so traurig darüber, daß die Bundesrepublik Friedrich ({3}) Deutschland so gut in der Welt dasteht? Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Erlaubnis aus dem Interview mit dem österreichischen Bundeskanzler Kreisky vom 13. Juni zitieren. Da wird er gefragt: Eine letzte Frage: Wie beurteilt der Kanzler der Republik Österreich den weltpolitischen Stellenwert der Bundesrepublik Deutschland, und welche Rolle sollte diese Bundesrepublik Deutschland Ihrer Meinung nach im europäischen Konzert spielen? Antwort des österreichischen Bundeskanzlers: Daß heute die Bundesrepublik Deutschland der zweitgrößte Wirtschaftsstaat im demokratischen Bereich ist, weiß jeder; der zweitwichtigste jedenfalls. Daß die Politik der Bundesrepublik überhaupt erst die Entspannung ermöglicht hat, darüber kann kein Zweifel bestehen. So furchtbar die Verantwortung Deutschlands in der Geschichte in der Zeit Hitlers war, so großartig hat die deutsche Politik sich bewährt in der Zeit vor ungefähr zehn Jahren, als diese große neue Phase begonnen hat. Hier hat die deutsche Politik eine große Bewährungsprobe abgelegt im Interesse des Friedens und der Entspannung, und dafür kann man eigentlich nur dankbar sein. Soweit der österreichische Bundeskanzler. Aber da Sie nun möglicherweise unterstellen, dies sei ja ein Sozialdemokrat ({4}) -Das ist er auch, und deshalb hat für Sie das Urteil in der Regel einen minderen Wert. ({5}) Aber ich bin froh, daß Sie diesem Zitat zustimmen, denn dann müßten Sie anschließend bei der Abstimmung über den Etat des Bundesaußenministers Ihre Position korrigieren und zustimmen. Das ist doch dann die Konsequenz dessen. Wenn ich, Herr Präsident, eine andere Stimme - diesmal zum Londoner Gipfel - zitieren darf: Das für die Bundesregierung erfreuliche Ergebnis des Gipfeltreffens enthält jedoch auch eine Verpflichtung. Bonn ist in der Weltpolitik ins vorderste Glied gerückt. Außenpolitik bedeutet heute zu einem erheblichen Teil Wirtschaftspolitik. Wenn die Vorstellungen der Bundesregierung auf diesem Felde sich zum Maßstab für die führenden Industrienationen entwickeln, wird nicht nur die Verantwortung größer, sondern verstärkt sich auch das Engagement. Die These, die Bundesrepublik sei zwar wirtschaftlich eine Großmacht, politisch jedoch nur ein Gnom, ist veraltet. Der Londoner Gipfel markiert die Wende. So die „FAZ" am 10. Mai 1977. Dem Oppositionsführer kann man da nur sagen: „FAZ" lesen, bevor er eine Rede hält; oder er liest diese Zeitung und legt sie weg. Es ist interessant, einmal nachzuspüren, wann und warum der Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die CDU/CSU begonnen hat, sich vom außenpolitischen Kurs der Regierung dieses Landes abzukoppeln. Zunächst einmal haben alle demokratischen Parteien die Grundentscheidung für die westliche Demokratie getragen. Aber in den 50er und auch noch in den 60er Jahren hat sich die Union in der ideologischen Auseinandersetzung so festgebissen, daß sie in dieser Festlegung nicht begreifen wollte, daß ein Land in der Mitte Europas - gerade aus unserer Situation heraus - auch eine aktive Ostpolitik braucht. ({6}) Sie, die Sie gerade die nationalen Bedingungen für sich beanspruchen, haben die nationalen Bedingungen hier aus ideologischer Überzeugung aus den Augen verloren.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Jaeger?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001006, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Friedrich, kennen Sie die Friedensnote der Regierung Erhard?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die kenne ich sehr wohl, und ich kenne auch die Rede des Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger von 1967. Nur, Sie haben die damals eingeleitete Politik verlassen, und ich sage Ihnen nochmals: aus innenpolitischem Kalkül. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Warum ist denn Ihre Fraktion heute nicht fähig, durch den Parteivorsitzenden, durch einen Stellvertreter oder durch den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses über Außenpolitik zu diskutieren? Warum ist denn die letzte Äußerung eines Vorstandsmitglieds, die des Herrn Biedenkopf, gerade durch Herrn Abelein wieder zurückgenommen worden? Weil Sie in Ihrer eigenen Fraktion über eine gemeinsame außenpolitische Linie Ihrer Partei nicht abzustimmen vermögen! Dies ist doch für Sie das zentrale Problem. ({0}) Das zweite ist, daß Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollten, daß für unsere Nachbarn, und zwar im Osten und im Westen, ein neues Gleichgewicht der Kräfte entstanden ist, das für sie von der Teilung Deutschlands ausgeht, und das nach dieser Situation eine Annäherung nur über einen sehr langen Prozeß, der auch die Veränderung der Systeme zur Voraussetzung hat, - ({1}) - Aber Herr Mertes, warum halten Sie, wenn Sie das Rußland des Zarismus und die Geistesgeschichte Europas kennen, nicht die Weiterentwicklung aller Staaten zu mehr Humanität für möglich? Ich würde mich nicht in die Arroganz begeben, daß wir z. B. Friedrich ({2}) nicht fähig sein sollten, die politischen, freiheitlichen Grundrechte eines Tages durch soziale Grundrechte zu ergänzen. ({3}) Dies will auch die katholische Soziallehre, von der ich annehme, daß Sie sie kennen. Natürlich, Herr Kollege Mertes, ist hier der entscheidende Punkt, der Dissens in der Diskussion um den Antrag. Wir waren bereit, Ihnen sehr weit entgegenzukommen, und wir haben angeboten, im Ausschuß noch einmal mit Ihnen zu verhandeln; aber Sie sagten: Wir wollen abstimmen. Wenn ich die Diskussion in der Union zu dieser Frage in den letzten Wochen verfolge, dann wird bestätigt, was Herr Böhm im „Rheinischen Merkur" schreibt, daß man nämlich die KSZE zu einem ideologischen Feldzug benutzen muß. Darum geht es uns nicht, sondern uns geht es um die konkrete tatsächliche Hilfe für die Menschen. Wer dies konkret und tatsächlich will, kann keine ideologischen Feldzüge beginnen. Das muß die Überlegenheit einer Demokratie gegenüber einem totalitären, gegenüber einem autoritären Staat sein. ({4}) Sie haben ein Realitätsdefizit, das Sie mühsam aufholen; aber ich kann das, was Sie gerade zum deutsch-polnischen Forum in Godesberg sagten, am besten dadurch korrigieren, daß ich den Wortlaut meiner Ausführungen in Godesberg zitiere, damit er im Protokoll steht. Sie können das dann vergleichen. Im übrigen ist es auch im Pressedienst meiner Fraktion verteilt worden. ({5}) - Ja, natürlich, Herr Kollege Mertes, Sie haben dort für alle Parteien gesprochen, wie Sie jetzt meinen, in Anspruch nehmen zu können, Sie müßten für den Bundeskanzler gegen die SPD argumentieren. Das ist der entscheidende Punkt. ({6}) - Darauf komme ich noch zu sprechen. Ich habe den Art. 1 des Warschauer Vertrages wörtlich zitiert. Darüber ist hier lange genug gestritten worden; ich muß ihn nicht wiederholen. Ich habe dann hinzugefügt: Wer 1977 meint, diesen Art. 1 des Warschauer Vertrages relativieren zu können, gefährdet die Aussöhnung. Dies hat der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Walter Scheel erkannt; denn er schrieb beim Abschluß des Warschauer Vertrages über die Grenzfrage - ich darf den damaligen Außenminister aus der Veröffentlichung in der Dokumentation der Bundesrepublik zitieren -: Wer also die deutsch-polnische Verständigung will, muß sich schon mit der Grenzfrage selbst befassen. Er darf dieser Kernfrage des deutschpolnischen Verhältnisses nicht ausweichen. Wer ausweicht, nimmt damit in Kauf, daß es zu der Aussöhnung eben nicht kommt, daß dieses weite Feld weiterhin brach liegt, mit allen negativen Konsequenzen, die das für Frieden und Sicherheit in Europa haben mag. Wer dennoch die Grenzfrage weiterhin unter allen Umständen offenhalten will, - erhebt dieses „offenhalten" hervor muß sich darüber hinaus fragen lassen, was er damit zu erreichen hofft, wenn Gewalt als Mittel zur Veränderung der Grenzen in jeder Hinsicht ausscheidet. Eine friedliche Veränderung erscheint weder jetzt noch in irgendeiner irgendwie absehbaren Zukunft denkbar; denn die polnische Seite wird sich zu einer freiwilligen Herausgabe von Gebietsteilen nicht bereitfinden. Und unter unseren Verbündeten gäbe es niemand, der in dieser Hinsicht auf Polen einzuwirken bereit wäre. Der damalige Außenminister Scheel fuhr fort: Das Offenhalten bewirkt lediglich die Blockierung jedes Versuchs, die Beziehungen zu Polen nachhaltig zu verbessern. Es ist die Absage an die Zukunft, die eigentliche Festschreibung der negativen Aspekte des Status quo, die Garantie dafür, daß sich in unseren Beziehungen zum Osten nichts ändern wird. Damit werden aber auch unsere Beziehungen nach Westen in bedenklicher Weise mit Hypotheken belastet, die unsere westeuropäischen Partner, mit denen wir eine immer engere Verflechtung suchen, kaum zu übernehmen bereit sind. Der damalige Bundesaußenminister Scheel hat bewußt die Grenzfrage als eine in der Praxis der Beziehungen endgültige Frage interpretiert. Daran ist nach diesem Text kein Zweifel. Ich füge jetzt noch aus dem, was ich in Godesberg erklärt habe, hinzu: Wir müssen aus gegebenem Anlaß davor warnen, eine andere Interpretation des Vertrages einzuführen, ihn rückwärts verengend zu interpretieren, eine andere Interpretation, als die, die bei Abschluß des Vertrages aus dem Geist des Vertrages entstanden ist. Das habe ich in Godesberg erklärt, Herr Kollege Mertes. Wenn Sie es nachlesen, werden Sie feststellen, daß der Bundeskanzler eben eine Interpretation zurückgewiesen hat, die zu einer Mißdeutung unserer Haltung in der Grenzfrage führen kann. Dies ist das Ergebnis. Das werden Sie im Bulletin finden. Sie können das ja dann interpretieren, wozu Sie sicherlich geneigt sind. Wenn ich mir die Entschließung Ihres Parteitages ansehe, stelle ich fest, Sie berufen sich auf sehr viel, auf den Deutschland-Vertrag, auf die Gemeinsame Entschließung zu den Ostverträgen, auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts; aber die Verträge selbst werden in Ihrer Entschließung nicht genannt. ({7}) Friedrich ({8}) Es ist eben jene Zweideutigkeit, die nach meiner Meinung bei Ihnen ganz bewußt und gewollt ist, wenn in dieser Entschließung steht, daß wir für die Deutschen eintreten, sei es in Ostpreußen oder Schlesien, sei es in Brandenburg oder Thüringen. ({9}) Das ist eine Absicht, wenn es um bestimmte Dinge geht. Aber so, wie es bezogen ist, ist hier eben ein ganz bestimmtes Offenhalten gemeint, das mit dem Geist der Verträge nicht zu vereinbaren ist. ({10}) So dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Ihnen ständig Mißtrauen entgegenschlägt. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes und des Abgeordneten Kohl?

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Friedrich, gilt nach Ihrer Auffassung nach wie vor zwischen allen Fraktionen des Deutschen Bundestages der Satz 2 der Gemeinsamen Entschließung vom 17. Mai 1972, welcher besagt: „Die Verträge nehmen eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland nicht vorweg und schaffen keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen." Gilt dieser Satz nach wie vor?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mertes, diese Entschließung war eine Krücke; ({0}) sie ändert aber nichts an - ({1}) - Er war eine Krücke für eine Fraktion, die nicht bereit war, ihren Fraktionsvorsitzenden zu folgen, der nicht mehr hindurchsah. ({2}) Durch das, was in dieser Entschließung steht, Herr Kollege Mertes, wird nicht verändert, was im Art. I des Warschauer Vertrages steht. Da heißt es: Die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen stellen übereinstimmend fest, daß die bestehende Grenzlinie, deren Verlauf im Kapitel IX der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der Lausitzer Neiße und die Lausitzer Neiße entlang bis zur Grenze mit der Tschechoslowakei festgelegt worden ist, die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen bildet. Abs. 2: Sie bekräftigen die Unverletztlichkeit ihrer bestehenden Grenzen jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich gegenseitig zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität. Abs. 3: Sie erklären, daß sie gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben werden. Die Bundesrepublik Deutschland steht zu diesem Artikel; sie kann aber nach dem Grundgesetz - und dazu stehen wir natürlich auch - nicht ein späteres vereinigtes Deutschland festlegen. Ich meine, dies ist die klare Position. Deshalb habe ich, um jedes Mißverständnis auszuschließen, den Vertragstext vorgelesen. Aber ich würde davor warnen, mit Blick auf die Vorläufigkeit Verträge der Bundesrepublik Deutschland als von geringerem Wert zu interpretieren; das schadet unserer Glaubwürdigkeit und unserer internationalen Vertragsfähigkeit. Das ist der entscheidende Punkt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nun kommt die Zwischenfrage. Bitte schön, Herr Kollege Mertes.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Friedrich, habe ich richtig verstanden, daß die Gemeinsame Entschließung vom 17. Mai 1972, die der Sowjetunion als offizielles Dokument der Bundesrepublik Deutschland notifiziert worden ist, von Ihnen als eine Krücke bezeichnet worden ist?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dies war eine Hilfe -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Friedrich, darf ich bitten, die Frage von Herrn Abgeordneten Dr. Kohl, die Sie auch zulassen wollten, noch dazuzunehmen? Dann könnten wir das zusammen erledigen. ({0})

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte erst die Frage des Kollegen Mertes beantworten. Herr Kollege Mertes, da die Opposition der Hilfe bedurft hat, kann man das, mit dem man ihr entgegengekommen ist, durchaus eine „Krücke" nennen. ({0}) Dies ist eine Bezeichnung, die man im interfraktionellen Bereich gelten lassen kann. Im Protokoll ist es eine Entschließung des Bundestages. Ich habe - das möchte ich ausdrücklich festlegen - damit keine Minderung des Wertes dieser Entschließung vornehmen wollen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nun die Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Dr. Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Durch den Fortgang der Debatte und die Zwischenfragen sind wir schon etwas von dem Thema weggekommen. Das darf ich vorweg sagen. Herr Abgeordneter Friedrich, Sie haben eben über die Frage der Vertragstreue der CDU/CSU im Hinblick auf die Verträge von Moskau und Warschau gesprochen. Sind Ihnen das Wahlprogramm und, die Wahlplattform der CDU/CSU und der Text zu dieser Frage bekannt?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kohl, Sie müßten dann schon zitieren, was in Ihrem Programm Sie meinen. ({0}) - Herr Kohl, ich schlage vor, daß Sie Ihr Programm ablichten und anstreichen, was Sie in diesem Fall meinen. Schicken Sie mir das bitte zu. Wenn Sie derart qualifizierte Fragen stellen, dann kann ich sie nicht anders beantworten. ({1}) Im übrigen habe ich nur 25 oder 30 Minuten Redezeit angekündigt. Nachdem die Uhr während der Fragen weitergelaufen ist, kann ich die Zeit nicht mehr für Ihre Frage verwenden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Friedrich, die Sorge könnte ich Ihnen abnehmen.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Herr Kollege Kohl könnte doch das, worauf er sich bezieht, hier sagen. Dazu ist er aber nicht bereit. Er meint, die Vertreter der Regierungsparteien müßten alle Programme der Union auswendig kennen. Das ist sehr schwer bei den vielen Erklärungen seit Ihrem Parteitag, Herr Kohl. Sie hatten Herrn Gasteyger und einige andere geholt und sind dann - wie Herr Biedenkopf Ihnen vorgestern bescheinigt hat - aufgelaufen, festgefahren. Das wissen Sie doch. ({0}) - Jetzt setzen Sie sich hin, weil Sie daran erinnert werden, daß Ihr Generalsekretär erklärt hat: Wir haben seit Jahren in der CDU keine außenpolitischen Diskussionen mehr geführt. In der Tat, da müssen Sie sich hinsetzen. ({1}) Sie haben hier nichts zu den Beziehungen zu den USA und zu Frankreich gesagt. Sie haben nichts zur hervorragenden Entwicklung der Beziehungen zu Polen sagen können. Ich möchte aber noch einiges zu dem ausführen, was - ({2}) - Herr Kohl hat jetzt, spät am Abend, einen Nachholbedarf in Sachen Außenpolitik. Mittags war der noch nicht vorhanden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön.

Dr. Peter Corterier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000339, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Friedrich, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß hier vom Kollegen Czaja als Erklärung für die Äußerung von Herrn Biedenkopf die Tatsache angeführt wurde, daß Herr Biedenkopf nur Wirtschaftspolitiker und nicht Außenpolitiker sei? ({0})

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme das gerne zur Kenntnis, weil es eine Ergänzung der gerade durchgekommenen „dpa"-Meldung ist, wonach Herr Biedenkopf nach der Meinung von Herrn Abelein ein Konzept für eine eventuelle Außenpolitik der Union vorweggenommen habe. Wann diese Wirklichkeit wird, das weiß man nicht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Friedrich, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte meine Ausführungen jetzt fortführen. - Ach so. Ja, bitte schön. ({0}) - Aber meine Herren von der CDU/CSU, ich habe jetzt von Ihnen so viele Fragen beantwortet, daß ich auch eine Frage aus der Fraktion der FDP zulassen kann. Ich glaube, das ist fair.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Graf Lambsdorff, bitte sehr.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Friedrich, würden Sie bitte davon Kenntnis nehmen, daß nach meinem Wissen Herr Professor Biedenkopf nicht Wirtschaftspolitiker, sondern Rechtsprofessor ist? ({0})

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß nicht, was noch. Jedenfalls sitzt er Herrn Kohl hier in diesem Hause im Nacken. Aber da schreibt heute Herr Kremp, frisch aus China zurück: „Biedenkopf aus dem Busch", Untertitel: „Die CDU braucht ein neues außenpolitisches Konzept." Heute haben wir erfahren, die CDU ist noch nicht so weit. Es ist auch interessant, daß Herr Kremp nicht sagt: Die CDU/CSU braucht ein neues außenpolitisches Konzept. Denn das außenpolitische Konzept der CSU hat ja Herr Strauß dem Herrn Kremp bereits am 12. April in der „Welt" verkündet. Dazu ist nachher noch einiges zu sagen. ({0}) Die Frage ist: Wie viele Divisionen hat denn Herr Biedenkopf bei Ihnen? Oder anders gefragt, Herr Kohl: Warum hat Herr Biedenkopf das, was er interessanterweise am Sonntag im Deutschlandfunk Friedrich ({1}) gesagt hat, bei Ihnen nicht als Generalsekretär sagen dürfen? Vielleicht sagen Sie etwas dazu, ob Sie dagegen waren, daß er es gesagt hat, oder ob Sie sich als Vorsitzender zu schwach gefühlt haben, diese Meinung gegen den CSU-Vorsitzenden Strauß durchzusetzen. ({2}) Dann darf ich auf das eingehen, was Herr Biedenkopf in seinem Interview inhaltlich ausgeführt hat. Er sagt, man sei der Regierung Schmidt /Genscher jetzt nähergekommen, weil diese Regierung, wie er sagt, nüchterner und praxisnäher sei. Dann frage ich mich nur, warum die CDU/CSU am 25. Juli 1975 in diesem Bundestag gegenüber der Regierung Schmidt /Genscher, von der Herr Biedenkopf sagt, sie sei nüchterner, den Antrag gestellt hat, die KSZE-Schlußakte nicht zu unterzeichnen. Ist das heute eine andere Regierung Schmidt /Genscher als im Sommer 1975, ({3}) oder haben Sie andere Spekulationen? Das kann man ja fortspinnen. Herr Biedenkopf sagt, Herr Genscher könnte auch ein guter Außenminister der CDU sein. Nun, das ist sicher die souveräne Entscheidung der FDP und des Kollegen Genscher; darüber habe ich nicht zu befinden. Aber dies wäre doch nur unter zwei Bedingungen möglich ({4}) - unter zwei -, entweder nämlich, daß Herr Genscher der Meinung wäre, um des Ministeramtes willen diese Position in einer CDU-Regierung übernehmen zu sollen. Dies zu unterstellen, würde ich nach all dem, was ich an politischer Überzeugung des Bundesaußenministers in den letzten zehn Jahren kennengelernt habe, als infam empfinden. Ich unterstelle auch nicht, daß Sie dies meinen. ({5}) Das heißt, Sie wären doch zu einer Koalitionsoption gegenüber der FDP nur fähig, wenn Sie selbst eine Kurskorrektur vornehmen. Das ist ja Ihre Schwierigkeit, damit fertig zu werden. ({6}) Ich darf abschließen etwas zu Europa und zu dem sagen, was der Mann dazu gesagt hat, der am 12. April meinte - wenn ich zitieren darf -: „Die CDU/CSU hat keinen Außenminister, der etwa als Mitglied eines Schattenkabinetts diesen Platz füllt" usw. Herr Strauß hat dann auch gesagt, warum er der richtige Mann sei. Dann sagt Herr Strauß wörtlich: Die europäische Einigung und die Schritte dorthin, wie die Urwahl eines Europäischen Parlaments, haben nur einen Sinn, wenn die Grundsätze abendländischer Tradition, humanistischer Gesinnung, liberaler Politik und demokratischer Staatsgestaltung im Konsens der politischen Kräfte den Rahmen darstellen, innerhalb dessen die politische Architektur Europas und die Ausstattung der Räume des europäischen Hauses vollzogen werden. Anders gesagt, wir müssen uns ernsthaft überlegen, ob ein von Amerika wegdriftendes und durch eine Reihe rhetorischer Gemeinplätze mit Washington verbundenes, einer sozialistischen Zukunft zutreibendes Europa für uns noch ein erstrebenswertes politisches Ziel ist. Hier würde ich sagen: nein. Ich sage das deshalb, weil man hier bei dem ansetzen muß, was Herr Strauß unter abendländischer Gesinnung versteht. Sie haben vor wenigen Wochen dem Nachfahren der letzten Habsburger, Otto von Habsburg, den Konrad-Adenauer-Preis verliehen. Franz Josef Strauß hat dabei die abendländische Gesinnung eines Mannes gerühmt, dem wir nicht vorwerfen, daß seine Vorfahren Robert Blum füsiliert haben und er selbst in Österreich lange nicht einreisen durfte. ({7}) Aber als Berater der CSU hat Otto von Habsburg nach der portugiesischen Revolution, Salazar verteidigend, erklärt, man habe sich in Portugal überraschen lassen und das dürfte sich nicht wiederholen. ({8}) Das macht uns mißtrauisch gegenüber dieser „abendländischen" Staatsgesinnung. ({9}) Die Arroganz einer solchen „abendländischen" Staatsgesinnung berührt sich fast mit der Arroganz des Rassismus in Südafrika. ({10}) Insoweit wird Ihre Haltung wenig zu einem Europa beitragen, in das ein demokratisches Spanien, ein demokratisches Portugal und ein demokratisches Griechenland hineinwachsen müssen, und zwar unter der Notwendigkeit, jahrzehnte-, jahrhundertelang versäumte soziale Reformen nachzuholen. Das werden nicht jene nachholen, die dafür verantwortlich sind, daß dieser Rückstand besteht. Deshalb kann es für uns nur ein Europa der sozialen Demokratie geben. Das ist unser Ziel, und wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung mit Bundeskanzler Schmidt und Bundesaußenminister Genscher hier auf dem richtigen Wege ist. Wir werden dem Haushalt des Bundesaußenministers zustimmen. ({11}) Nach all dem, was Herr Biedenkopf gesagt hat, sollten Sie auch einmal zeigen, inwieweit Sie in diesen Dingen glaubwürdig sind. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl. ({0})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Bemerkungen meines Vorredners können hier nicht unwidersprochen bleiben. Deswegen habe ich mich noch einmal zu Wort gemeldet. In der Sache selbst braucht man über diese Rede wirklich nichts weiter zu sagen. Hier hat einmal mehr ein Mann seine Komplexe abreagiert, der in Bayern zur Minderheit verdammt ist und das hier in Bonn austragen muß. ({0}) Ich will auch an die persönlichen Gehässigkeiten, mit denen der Abgeordnete Friedrich inzwischen bundesweit bekannt ist, keine weitere Bemerkung anschließen. ({1}) Wenn Sie, Herr Friedrich, gelegentlich von der Gemeinsamkeit in der Außenpolitik sprechen: Es gibt wenige in diesem Hause - ich betone das: wenige -, die so wenig Beitrag zur Gemeinsamkeit leisten, wie Sie das tun. ({2}) Ich bin gern bereit, das jederzeit auch außerhalb des Hauses mit Ihnen auszutragen. Angesichts Ihrer systematischen Verleumdungskampagne gegen die Union will ich doch darauf hinweisen - gerade weil Sie sich in einem bestimmten Zusammenhang auch in einer Begegnung mit Polen vor einigen Tagen, etwas diffiziler als sonst in der Öffentlichkeit, aber aus Ihrer Sicht mit gleichbleibendem Wert, dazu geäußert haben -, daß wir selbstverständlich, wie immer die Verträge zustande gekommen sind, wie die Verhandlungen waren, wie unsere Kritik war, zu jedem Zeitpunkt gesagt haben, daß die Verträge von Moskau und Warschau von einer rechtmäßig gewählten Regierung rechtmäßig abgeschlossen wurden und daß sie selbstverständlich geltendes Recht sind. Sie haben nicht das Recht - das will ich Ihnen hier einmal auch für das Protokoll des Bundestages sagen -, in einer solchen Weise aufrechte deutsche Demokraten, deren Kritik Sie wegen Ihres politischen Tuns fürchten müssen, fortdauernd zu diffamieren, wie Sie das zu tun belieben. ({3}) Zweitens. Einen Parteitag wie den, den die CDU in Düsseldorf hatte, können Sie natürlich nicht durchführen. Da ginge es bei Ihnen drunter und drüber, von Bayern angefangen bis hin zur Bundespartei. Ich muß Ihnen schlicht und einfach sagen: Ich verbitte mir als Vorsitzender der CDU, daß Sie den Inhalt dieser Entschließung in so falscher Weise zitieren, wie Sie es hier getan haben. Für uns ist im Zusammenhang mit der hier angesprochenen Frage - das gilt für die CDU wie für die CSU - das gemeinsame Wahlprogramm maßgebend;, ich habe nicht ohne Grund gesagt: das offizielle Wahlprogramm der CDU und CSU. Ich erwarte von Ihnen nicht, daß Sie dieses Wahlprogramm lesen - Sie haben im Zweifelsfall Ihr eigenes überhaupt nicht gelesen -, ({4}): Sie sind ein Flegel!) sondern ich erwarte von Ihnen nur, daß Sie, wenn Sie zitieren, korrekt zitieren. - Herr Kollege Wehner, in den Wettstreit darüber, wer ein Flegel ist, trete ich mit Ihnen jederzeit gern ein; damit das klar ist! ({5}) Drittens. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß Sie auf die wiederholte Frage des Kollegen Mertes hier wörtlich erklärt haben, daß für Sie die Entschließung vom 17. Mai 1972 eine Krücke sei. ({6}) - Entschuldigung, Sie haben zunächst gesagt, daß dies eine Krücke sei, und Sie haben dann erklärt, daß es eine Krücke sei, um uns eine bestimmte Politik zu ermöglichen. Aber diese Entschließung trägt in Ihrer Formulierung und in Ihrem Ansehen die Bezeichnung Krücke. Herr Bundesaußenminister, ich erwarte, daß die Bundesregierung jetzt in ihrer Schlußreplik zu Ihrem Etat auf diese Äußerung des Abgeordneten Friedrich eingeht. Ich stelle Ihnen ganz konkret die Frage, oh Sie - erstens - die Formulierung „Krücke" für diese gemeinsame Entschließung, der damals die Bundesregierung nach den Worten Ihres Vorgängers und des damaligen Bundeskanzlers einen eigenen Rang einräumen wollte - und ich unterstelle, daß sie den auch eingeräumt hat -, für angemessen halten. Zweitens darf ich Sie noch einmal um eine Interpretation der Bundesregierung zu dem Rang dieses Schriftstücks bitten, den es heute aus ihrer Sicht einnimmt. Ich bitte Sie sehr herzlich, diese beiden Fragen zu beantworten. Denn, meine Damen und Herren, ich möchte nicht zulassen, daß auf dem Wege zur verbrannten Erde im Bereich der deutschen Außenpolitik Weggenossen wie der Abgeordnete Friedrich unwidersprochen ihr in jeder Weise gefährliches Tun fortsetzen können. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ankündigung des Vorsitzenden der Oppositionsfraktion, daß wir in der kommenden Zeit über alle Themen der Außenpolitik gründlichere Aussprachen haben werden, erleichtert es mir, Ihnen heute abend nur eine Stellungnahme zu den Bemerkungen, die hier gemacht worden sind, und selbstverständlich, Herr Kollege Kohl, auch eine Antwort auf die Fragen zu geben, die Sie hier gestellt haben. Ich habe zu Beginn den in die Form einer Berichterstattung gekleideten Diskussionsbeitrag des Kollegen Picard natürlich mit großem Genuß gehört. Wer hört nicht gern Positives über sich und seinen Fleiß! Auch Auslandsreisen sind ja ein Ausdruck meiner Dienstbegeisterung. Die Frische hat nicht gelitten. Und wenn Sie, Herr Kollege, über die Vereinbarkeit des Amtes des Außenministers mit dem des Parteivorsitzenden philosophieren, kann ich Ihnen sagen: Insofern haben Sie recht, als nicht jeder Parteivorsitzende es sich leisten kann, soviel im Ausland zu sein, ohne daß in seiner Partei etwas passiert. ({0}) Ich füge Ihnen hinzu: Es kann sich auch nicht jeder Koalitionspartner leisten, abwesend zu sein, wenn er nicht sicher wäre, daß der partnerschaftliche Geist in einer solchen Regierung bei seiner Abwesenheit nicht leidet. Wer es von Ihnen noch nicht geglaubt hat, hat es heute bei der Abstimmung über den Etat des Bundeskanzlers gespürt. ({1}) - Aber verehrter Herr Kollege, die Jungdemokraten sind ja geradezu Gegenstand meiner ganz persönlichen Pflege. ({2}) Das müßte Ihnen doch bekannt sein. Auch dafür habe ich noch genug Zeit. Wenn Sie sehen, wieviel wichtige Mitglieder der Fraktion der Freien Demokratischen Partei, des Bundesvorstands, des Präsidiums aus den deutschen Jungdemokraten kommen, ja, sogar solche, von denen von Ihren Sprechern gesagt wird, sie könnten in einer Regierung mit Ihnen Außenminister sein, dann sollten Sie die Frage noch einmal überlegen, die Sie eben gestellt haben. ({3}) Herr Kollege Picard, mit dem ich es ja schon als Innenminister in ,der positivsten Weise zu tun hatte, wollte uns hier wohl eigentlich nur eine gewisse Rezitation von Pressemeldungen geben. Aber ich denke, daß er hinsichtlich seiner Bemerkungen über die Personalpolitik vielleicht doch ein Wort zuviel gesagt hat, einen Satz gesagt hat, den er noch einmal überdenken sollte, nämlich seine Aussage: Da ist ein Schreiben gemacht worden von jungen Beamten Ihres Hauses; das waren nicht etwa Mitglieder der CDU - hat er gesagt -, sondern solche, die dieser Regierung loyal gegenüberstehen. Herr Kollege Picard, ist das eigentlich das richtige Verständnis? Ich nehme alle Beamten meines Hauses, auch die, die Ihrer Partei nahestehen oder zugehören, gegen den Verdacht in Schutz, daß sie nicht loyal gegenüber jeder gewählten Regierung stehen. ({4}) Was über den Seiteneinstieg zu sagen ist, hat der Kollege Bussmann, der andere Berichterstatter, hier in der vorzüglichsten Weise zum Ausdruck gebracht. Ich denke, wir sollten alle - fragen Sie einmal die Kollegen, die bei Ihnen etwas mit Beamtenrecht zu tun haben - die Möglichkeiten des Aufstiegs nicht gering einschätzen. Daß es im Bereich ,des Auswärtigen Amtes, wo es z. B. für eine große Anzahl von Auslandsvertretungen notwendig ist, Pressesprecher zu bestellen, nützlich ist, auch Journalisten zu beschäftigen, die nicht den normalen Karriereweg gegangen sind, sollte jeder wissen. Das war bei früheren Außenministern so, das wird bei künftigen so sein, und das bleibt auch bei mir so, weil ich der Meinung bin, daß die gute publizistische Vertretung der Politik der Bundesregierung und damit der Bundesrepublik Deutschland im allgemeinen Interesse liegt. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleibt von der Kritik des Herrn Kollegen Picard die Anmahnung der Stellungnahme der Bundesregierung zum Enquete-Bericht übrig. Das ist genau der Punkt, wo er in der Tat Recht hat. Wir hätten sie gern schon im März vorgelegt, aber wir machen die Arbeit gründlich, damit auch der Wunsch des Kollegen Picard, eine Konzeption der Fortschreibung der Konzeption zur Kulturpolitik zu bekommen, in der sorgfältigsten Weise erfüllt werden kann. Das wurde mir um so mehr erleichtert, als ja feststand, daß diese Stellungnahme der Bundesregierung auf keinen Fall noch vor den Parlamentsferien diskutiert worden wäre. Wir werden die Stellungnahme in den Parlamentsferien vorlegen. Sie können dann unmittelbar nach den Parlamentsferien zu einer Diskussion hier im Deutschen Bundestag zusammentreten. Bei dieser Gelegenheit werden Sie spüren, wie sehr die Staatsminister des Auswärtigen Amtes geradezu darauf aus sind, den Außenminister bei seiner schweren Aufgabe zu unterstützen. Da wird Frau Kollegin Hamm-Brücher hier vor dem Bundestag diese Stellungnahme genauso vertreten wie der Kollege von Dohnanyi in Europa als Beauftragter für die Politik in den Europäischen Gemeinschaften die Position der Bundesregierung vertritt. ({5}) - Ja, Herr Kollege Kohl, mit den Tränen haben Sie es ja heute! Jetzt sind es Ihre Tränen, beim Kollegen Friderichs waren es die Tränen der Unternehmer! Ich kann verstehen, daß Unternehmer, wenn sie die Reden und die Politik des Kollegen Friderichs beurteilen, Tränen in den Augen haben, weil diese Politik nicht von der Partei gemacht wird, denen viele ihre Spenden und auch ihre Stimme gegeben haben. ({6}) Ich möchte mich jetzt mit dem Diskussionsbeitrag des Herrn Kollegen Mertes beschäftigen. Er hat gesprochen zu der Frage, was uns trennt und was uns verbindet, zur Möglichkeit der Konsensfähigkeit, zur Möglichkeit der Zusammenarbeit, zur Respektierung abgeschlossener Verträge. Da bin ich voll Ihrer Meinung, daß die Glaubwürdigkeit eines Landes davon abhängt, daß die tragenden politischen Kräfte abgeschlossene Verträge respektieren. Das ist doch eine pure Selbstverständlichkeit und ist bei jeder Stelle zu vertreten. Nur, Herr Kollege Mertes, Sie haben dann noch etwas dazu gesagt - das fand ich besonders beachtlich -, und zwar im Zusammenhang auch mit der KSZE, nämlich: Ich verstehe ja gut - ich habe mich jahrelang damit beschäftigt -, daß eine Regierung viele Dinge im Wege der Geheimdiplomatie durchsetzen muß, daß sie nicht die Sprache sprechen kann, die das Parlament sprechen muß; da gibt es eine Rollenverteilung zwischen Regierung und Opposition. - Dem kann ich voll zustimmen, jedem Wort. Nur, Herr Kollege Mertes, dann sorgen Sie bitte dafür, daß die Redner Ihrer Fraktion draußen und hier im Hause die Bundesregierung nicht der Leisetreterei zeihen, wenn sie nach dieser Methode verfährt. ({7}) Wir nehmen für uns in Anspruch, daß wir mit Klarheit die Belange unseres Landes vertreten und daß dabei nichts verschwiegen wird. Sie wissen möglicherweise, wovon Sie sprechen. Wenn wir von Menschenrechten reden, so ist für mich der Tag in unvergeßlicher Erinnerung, an dem in Deutschland diese Menschenrechte für mein Gefühl am stärksten berührt worden sind: das war der Tag, an dem die Mauer in Berlin gebaut wurde, der 13. August 1961. Wenige Tage nach dem Bau der Mauer hat der damalige Bundeskanzler Adenauer den sowjetischen Botschafter Smirnow empfangen. Über dieses Treffen gibt es ein Kommuniqué, in dem es heißt: Das Zusammentreffen fand auf die Initiative des Botschafters statt. Im Laufe des Gesprächs unterrichtete der Botschafter im Auftrag des Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR, Nikita Sergejwitsch Chruschtschow, den Bundeskanzler über die nächsten Pläne der Sowjetregierung auf dem Gebiet der Außenpolitik und über die möglichen Wege der Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik. Der Bundeskanzler versicherte, daß er alles vom Botschafter Vorgetragene sorgfältig prüfen wird, und wies seinerseits darauf hin, daß die Bundesregierung keine Schritte unternimmt, welche die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR erschweren und die internationale Lage verschlechtern. ({8}) Der Bundeskanzler nahm die Gelegenheit wahr, um Botschafter Smirnow seine Auffassung über die Lage in Berlin darzulegen. Sie werden zur damaligen Zeit, als es in einer außerordentlich schwierigen Situation darauf ankam, nicht zu einer Spannung beizutragen, nicht gehört haben, daß eine der beiden damaligen Oppositionsparteien erklärt hat, das sei Leisetreterei, obwohl man sich etwas mehr Deutlichkeit gewünscht hätte. ({9}) Damit will ich Ihnen sagen, wie es sich für eine Regierung darstellt, wenn sie den zweckmäßigsten Weg suchen muß. ({10}) - Aber, verzeihen Sie, Herr Kollege Wohlrabe. Ich darf doch hier zitieren, was im Bulletin der Bundesregierung vom 17. August 1961 publiziert worden ist. Das muß ich doch sagen dürfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zu dem eigentlichen Punkt dessen, was Herr Kollege Mertes hier vorgetragen hat, nämlich zu der Frage, warum eine von ihm gesehene Annäherung der Positionen der Bundesregierung einerseits und der Opposition oder seiner eigenen Person andererseits zu verzeichnen ist. Er hat gesagt, die Regierung Schmidt /Genscher habe weniger Illusionen oder sie sei desillusioniert; deshalb sei das alles leichter. Herr Kollege Mertes, Sie sollten einmal genau nachlesen, was der stellvertretende Vorsitzende Ihrer Partei - ich muß den Herrn Kollegen Biedenkopf in diesem Zusammenhang noch einmal zitieren - in dem heute schon mehrfach erwähnten Interview des Deutschlandfunks gesagt hat. Er hat nämlich gesagt: Und das Vertrauen in die Tragfähigkeit der Vereinbarungen, die damals geschlossen wurden, war zunächst sehr gering. Er meinte die Verträge. Das ist inzwischen stärker geworden. Und er sagte weiter: Es ist z. B. richtig, daß die Opposition heute eine andere Haltung einnimmt zu den Möglichkeiten der Schlußakte von Helsinki als damals, als die Schlußakte beraten wurde. Daß diese Schlußakte eine solche Dynamik in den Ostblockstaaten in Gang setzen würde, wie sie dann in dem Verhalten von Sacharow, dem Bürgerrechtler, und der Initiative zum Schutz der polnischen Arbeitnehmer, die eingesperrt wurden auf Grund des Streiks, und anderer in Gang gekommen ist, das haben wir nicht angenommen. Ich fand, daß diese Erklärung des Kollegen Biedenkopf ein sehr wertvoller Beitrag zur Klärung der Position einer wichtigen Partei im deutschen Parteiengefüge ist. Aber Sie müssen dann bitte eine solche Erklärung auf dem Hintergrund der Bemerkung des Kollegen Czaja sehen. Sie müssen, wenn Sie über KSZE reden, sich noch einmal in Erinnerung rufen, was sich hier im Deutschen Bundestag vor wenigen Wochen zugetragen hat, als ich 70 Minuten lang von der Regierungsbank aus Fragen zur KSZE beantwortet habe. Das war eben ein anderer Geist. ({11}) Wenn ich mich an die beiden großen Aussprachen zurückerinnere, die wir hier über die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gehabt haben, so muß ich sagen, daß die erste Aussprache in mir die Hoffnung, und zwar die Hoffnung im Interesse der deutschen Politik, erweckt hat, es könnte möglich sein, daß wir uns in bezug auf diese Konferenz in Helsinki verständigen, daß wir mit der Schlußakte und auch Ihrer möglichen Zustimmung dazu ein Kapitel zuschlagen, das uns in der Auseinandersetzung über die Ostpolitik getrennt hatte. ({12}) In der zweiten Diskussion hat das dann nicht zu dem erhofften Erfolg geführt. Das ist eine schwierige Frage für Sie. Ich finde, es hat keinen Zweck, jetzt so zu tun, als ob eine Veränderung der Position der Bundesregierung stattgefunden hätte. Wir stehen doch zu den Verträgen. Wir halten sie so, wie sie sind, für richtig. Wir halten die Schlußakte von Helsinki, so wie sie ist, für richtig. Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie einmal den Gedanken des Kollegen Biedenkopf nachgehen und prüfen, ob er nicht wirklich recht hat, daß Traumata beseitigt werden müssen, daß Sie manches aufarbeiten müssen, daß Sie vielleicht diese oder jene Entwicklung falsch eingeschätzt haben. Das ist doch in der Politik keine Schande. Nun bin ich sicher nicht in dem Verdacht, daß ich den Kollegen Biedenkopf deshalb hier in positiver Weise erwähne, weil er mir sozusagen eine Zusage für Weiterverwendung gemacht hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das stehe außer Zweifel; denn das Amt, das er mir zugesagt hat, habe ich ja schon. Mir geht es darum, in dieser Debatte, wenn Sie schon diese Frage aufwerfen, einen Beitrag dazu zu leisten, wie es möglich sein wird, daß Ihre Partei in der Frage der Ostverträge und in der Frage der Schlußakte von Helsinki über die formale Bejahung der Verbindlichkeit dieser Verträge auch den Zugang zu den Möglichkeiten eines Ausgleichs mit dem Osten findet, die uns mit diesen Verträgen geboten sind. Das ist das, worauf es jetzt eigentlich ankommt. ({13}) Darum bemühe ich mich. Zu diesen Verträgen gehört natürlich auch, Herr Kollege Kohl, die damals genannte Entschließung die an ihrer Verbindlichkeit nichts eingebüßt hat. Ich habe nicht den Eindruck, daß der Kollege Friedrich diese Verbindlichkeit in irgendeiner Weise hat in Frage stellen wollen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Jäger ({0})?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Ja, natürlich.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, teilen Sie nicht meine Auffassung, daß zu allererst einmal die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien mit den Beschlüssen von Helsinki dadurch ernst machen sollten, daß sie die von uns geforderte Dokumentation der Menschenrechte, die eine Voraussetzung der von Ihnen geforderten Bilanz in Belgrad darstellt, endlich unterstützen und mit uns zusammen beschließen?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Sehen Sie, Herr Kollege, Sie bestätigen im Grunde mit der Art, wie Sie mit Ihrer Frage etwas unterstellen, die Notwendigkeit der Aufarbeitung in Ihrer Partei. ({0}) Sie kennen doch genau den Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP in der hier zur Abstimmung vorliegenden Fassung. Da heißt es: Die Bundesregierung wird aufgefordert, dazu beizutragen, daß im Rahmen des Meinungsaustauschs auf dem KSZE-Folgetreffen in Belgrad eine nüchterne Bilanz der Verwirklichung aller Absichtserklärungen der Schlußakte von Helsinki einschließlich der Achtung der Menschenrechte gezogen wird. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich dafür einzusetzen, daß die Partner des Atlantischen Bündnisses zur Vorbereitung auf das Belgrader Treffen eine gemeinsame Dokumentation über die Verwirklichung aller Absichtserklärungen der Schlußakte von Helsinki, einschließlich der Achtung der Menschenrechte, erstellen. Herr Abgeordneter, ich muß Sie fragen: Was wollen Sie eigentlich mehr? Was ich mir allerdings bei Ihrem Antrag gewünscht hätte, das will ich Ihnen offen sagen: daß Sie nämlich, nachdem Sie erkannt haben, daß aus dieser Schlußakte positive Wirkungen in Europa hervorgegangen sind, wenigstens einen einzigen Satz aufgenommen hätten, in dem Sie gesagt hätten, diese Schlußakte sei ein wertvolles Dokument auch für die Politik der Bundesrepublik Deutschland. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Bitte schön.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, sind Sie bereit zu bestätigen, daß der Unterschied zwischen dem Text, den Sie eben zitiert haben, und dem Antrag der CDU/CSU darin besteht, daß die Dokumentation, von der im Antrag der Koalitionsparteien die Rede ist, vertraulich gehalten werden soll, und daß man sich im Ausschuß geweigert hat, den Mitgliedern der Opposition Exemplare dieser Dokumentation auch nur auszuhändigen, sondern nur bereit war, uns daraus vorzulesen? ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Abgeordneter, ich möchte Ihnen dazu sagen, daß die Bundesregierung gerade bei der Vertretung der Interessen, die uns als Deutsche in einer geteilten Nation in besonderer Weise berühren, den Weg wählen wird - ich könnte auch hier noch den Kollegen Biedenkopf zitieren -, der für die Durchsetzung dieser unserer Interessen am effektivsten ist, und daß es darum geht, daß wir für jede einzelne Bemühung, die wir unternehmen, die Unterstützung auch aller unserer Partner bekommen. Wenn Sie sich die Geschichte der KSZE ansehen, werden Sie feststellen, daß es damit begann, daß die Initiatoren nicht wollten, daß die Vereinigten Staaten und Kanada daran teilnehmen. Uns ist es gelungen zu erreichen, daß die Vereinigten Staaten und Kanada zu den Unterzeichnern dieser Schlußakte gehören, was doch wohl bedeutet, daß alle Unterzeichnerstaaten die Sowjetunion eingeschlossen - die Verantwortung der Vereinigten Staaten in und für Europa durch ihre Unterschrift dort anerkannt haben. Das ist eine positive Sache, die wir nie im Alleingang, sondern nur gemeinsam mit unseren Partnern in der Gemeinschaft und in Brüssel durchsetzen konnten. ({0}) Dasselbe gilt für die Frage der Möglichkeiten der friedlichen Grenzveränderung. Auch das hätte durchaus eine positive Bewertung nahegelegt. Das gilt auch für den Korb III, das gilt für die Aufnahme des Prinzips der Menschenrechte, es gilt für die humanitären Fragen, für die Fragen der Information. Spüren Sie gar nicht - auch in Ihrer eigenen Argumentation -, daß Sie selbst mit diesem Dokument eine neue Basis für die Diskussion dieser brennenden Fragen erhalten haben, dessen Ablehnung Sie uns noch vor zwei Jahren in diesem Hohen Hause empfohlen haben? ({1}) Deshalb wäre es ein guter Ansatz für einen Konsens auf einem wichtigen, zugegebenermaßen beschränkten Gebiet der Außenpolitik gewesen, wenn in Ihrer Entschließung ein einziger positiver Satz zu dieser Schlußakte stünde, weil das ermöglicht hätte, zu einer Gemeinsamkeit zu gelangen. ({2}) In Ihrem Antrag steht das heute nicht. ({3}) Ich möchte Ihnen deshalb sagen: Für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland wird es wirklich von großer Bedeutung sein, daß wir in den kommenden Monaten Feld für Feld unsere außenpolitischen Positionen abklopfen und in aller Offenheit darüber sprechen, was uns trennt und was uns verbindet, aber daß wir uns nicht unterstellen: Da haben die einen Illusionen verloren und verfolgen heute etwas anderes, als sie früher wollten. Wir stehen zu diesen Verträgen, wir stehen zur Schlußakte. Das ist eine gemeinsame Leistung dieser Koalition, für die ich heute als Außenminister zu sprechen die Ehre hatte. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 und die damit in Zusammenhang stehenden Anträge. Zum Einzelplan 05 liegt auf Drucksache 8/617 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich stelle diesen Änderungsantrag zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. ({0}) Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 05. Wer dem Einzelplan 05 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit großer Mehrheit angenommen. Auf Drucksache 8/603 liegen noch zwei BeschlußEmpfehlungen des Auswärtigen Ausschusses vor. Der Berichterstatter wünscht dazu nicht das Wort. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt in Drucksache 8/603 unter Buchstabe a, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 8/152 abzulehnen. Wer dieser Empfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag des Ausschusses ist angenommen. Auf der gleichen Drucksache 8/603 empfiehlt der Ausschuß unter Buchstabe b, den Antrag der Fraktionen der SPD, FDP Drucksache 8/221 in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung anzunehmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Auf Drucksache 8/604 liegen zwei weitere Beschlußempfehlungen des Auswärtigen Ausschusses vor. Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses Drucksache 8/604 unter Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses Drucksache 8/604 unter Ziffer 2, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 8/110 abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen - Drucksache 8/510 - Berichterstatter: Abgeordneter Augstein Abgeordneter Hoppe Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 27. Wer Einzelplan 27 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht - Drucksache 8/506 -Berichterstatter: Abgeordneter Picard Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Eine Aussprache wird auch nicht gewünscht. Wer Einzelplan 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. ({0}) - Ich habe keine Gegenstimme gesehen. ({1}) - Gut, zwei Gegenstimmen wurden gesehen. Es tut mir leid, daß ich das nicht gesehen habe. Ich trage es nach: zwei Gegenstimmen. Ich rufe auf: Einzelplan 20 Bundesrechnungshof - Drucksache 8/507 Berichterstatter: Abgeordneter Augstein Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Auch zur Aussprache wird das Wort nicht gewünscht. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der für heute vorgesehenen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Mittwoch, den 22. Juni 1977, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.