Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir sind heute, am 17. Juni, dem Tag der deutschen Einheit, zusammengetreten, um eine Regierungserklärung entgegenzunehmen und in Erklärungen der drei Fraktionen Grundfragen der Deutschlandpolitik zu erörtern. Ich meine, daß dies eine angemessene und würdige Form ist, um des Tages zu gedenken, der uns allen damals vor fast 25 Jahren als ein erschütterndes und aufrüttelndes Ereignis erschienen ist.
Wegen zahlreicher Veranstaltungen, die heute aus dem gleichen Anlaß in den verschiedensten Teilen unseres Landes stattfinden, habe ich eine größere Anzahl von Abgeordneten von der Teilnahme an der heutigen Sitzung beurlaubt. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herr Abgeordneter Dr. Kohl, hat mich wissen lassen, daß er, von Berlin kommend, auf dem Flugplatz in Köln bisher hat nicht landen können; er wird später eintreffen.
Auf der Diplomatentribüne hat Herr Aimé Paquet, der französische Bürgerbeauftragte, Platz genommen.
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Er hält sich auf Einladung des Deutschen Bundestages zu Informationsgesprächen in Bonn auf. Ich begrüße Sie, Herr Paquet, namens des Deutschen Bundestages herzlich.
Das Wort zur
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem 17. Juni 1953 sind 24 Jahre vergangen, fast ein Vierteljahrhundert. In dieser Zeit - das sollte man ruhig zugeben - war unser Verhältnis zu jenem denkwürdigen Tag niemals ganz einfach. Einer der Gründe dafür ist, daß in all den Jahren oft recht große Worte gemacht worden sind, was bei manchem der Jüngeren eher zu Gleichgültigkeit oder gar zu Abwendung geführt hat; dies auch deshalb, weil sich zwischen dem zu Wünschenden auf der einen Seite und dem tatsächlich und jetzt Erreichbaren andererseits eine immer größere Kluft aufzutun schien und weil gleichzeitig doch der Wunsch, das Verlangen nach Einhalt als geradenwegs erreichbar gedacht oder sogar als geradenwegs erreichbar dargestellt wurde.
Einen anderen Grund für dieses nicht einfache Verhältnis zum 17. Juni hat vor 20 Jahren, 1958, der Historiker Hans Rothfels ausgesprochen, als er ausdrücklich vom „Dilemma" dieses Gedenktages sprach und ausführte:
Wir feiern ihn - wenn es denn ein Feiertag sein soll - in erneuter Vergegenwärtigung von etwas Einmaligem, das ebenso unerwartet und gegen alle Erfolgsaussicht geschah wie nur je ein Widerstand gegen ein schwer bewaffnetes totalitäres System. Wir feiern ihn und müssen zugleich doch inständigst wünschen, daß dieser Tag etwas Einmaliges bleibe - nicht nur, weil jede Wiederholung nach menschlicher Voraussicht noch schwerere Opfer fordern würde, sondern auch, weil wir in gleicher Ohnmacht beiseite stehen müßten.
Ich denke, dem Sinne des Feiertages kommt wohl derjenige am nächsten, der ihn zum Anlaß nimmt, die Frage zu bedenken, ob wir und wie wir die Werte zu verwirklichen bestrebt sind, für die der 17. Juni 1953 symbolhaft steht.
Die Ereignisse jenes Tages erinnern uns daran, daß wir Deutschen eben nicht nur eine obrigkeitsstaatliche geschichtliche Tradition haben. Schon einen Tag nach den Ereignissen schrieb vor 24 Jahren die Londoner „Times" : „Die Berliner haben eine große revolutionäre Tradition, und möglicherweise hat nur die Rote Armee verhindert, daß das Jahr 1953 geschichtlich gleichbedeutend neben die Jahre 1848 und 1918 tritt."
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Die freiheitlich-demokratische Linie, ja freiheitlich-revolutionäre Linie in der deutschen Geschichte ist in den letzten Jahrhunderten gewiß nicht die hervorstechende Linie gewesen. Aber wir dürfen sie nicht vernachlässigen. Wir dürfen unser Geschichtsbewußtsein nicht auf das lange Ringen um nationalstaatliche Einheit einschränken, nicht darauf einengen.
Den Streikenden und den Demonstranten 1953 ging es zunächst um soziale Freiheit, um ihr soziales Recht, um Mündigkeit und Mitverantwortung für den arbeitenden Menschen. In den besten Traditionen des deutschen Patriotismus erwuchs daraus die Forderung nach deutscher Einheit. Am Ende scheiterte man mit dieser Forderung 1953 genauso wie bereits 1848. Doch gerade das Scheitern verpflichtet uns und verpflichtet die Nachgeborenen zur kritischen Selbstprüfung.
Die Erinnerung an den Kampf der Arbeiter in Ost-Berlin und an anderen Orten ist Anlaß, zu prüfen, inwieweit wir selbst in unserem Teil, zu unserem Teil ihren Forderungen nachgekommen sind. Ich denke, daß man sagen darf, in der deutschen Geschichte hat unser Staat, hat die Bundesrepublik Deutschland das bisher höchste Maß an politischer und sozialer Freiheit, an erlebbarer, an erlebter demokratischer Freiheit verwirklicht, auch, gerade durch soziale Sicherung und durch soziale Gerechtigkeit.
Nun können sich oft genug der Kontinuität, der Stetigkeit dieser sozialstaatlichen Freiheit, dieser rechtsstaatlichen Freiheit, dieser demokratischen Freiheit Hindernisse in den Weg stellen. Das zeigt nicht nur der Terrorismus dieser Tage, das zeigen vor allem die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise. Das Erreichte, die erreichte Freiheit können immer unversehens gefährdet werden oder in Gefahr geraten.
Ich denke aber, daß die harten parlamentarischen Auseinandersetzungen dieser Tage - sie gehen ja nächste Woche fort -, die großen Anstrengungen, die hier z. B. zur Wiedererlangung der Vollbeschäftigung auf allen Seiten gemacht werden, beweisen, daß wir uns in unserem Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit und für Freiheit nicht beirren lassen.
Hier weiß jedes Mitglied des Hauses, daß das Grundgesetz uns auffordert, in freier Selbtbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. In den Briefen zur deutschen Einheit anläßlich der Unterzeichnung des Grundvertrages und der Ostverträge ist klargestellt, daß diese Verträge dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland keinen Abbruch tun, „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt" . Ich bin überzeugt, daß die weit überwiegende Mehrheit des Parlaments auch heute jener Passage aus der Regierungserklärung des Kollegen Kiesinger vom 13. Dezember 1966 zustimmt, in der es damals hieß:
Wir wollen entkrampfen und nicht verhärten, Gräben überwinden und nicht vertiefen. Deshalb wollen wir die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen mit unseren Landsleuten im anderen Teil Deutschlands mit allen Kräften fördern.
Meine Damen und Herren, die Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition und ihrer bisherigen drei Bundesregierungen steht in der Kontinuität dieser Sätze des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger, in der Kontinuität des Gedankens, daß wir die menschlichen, wirtschaftlichen, geistigen Beziehungen mit unseren Landsleuten im anderen Teil Deutschlands mit allen Kräften fördern wollen.
In vielen Fragen der deutsch-deutschen Politik mag nun zu Zeiten eine Gemeinschaft zwischen Regierung und Opposition sehr schwierig sein, teilweise auch unmöglich sein. Dennoch sehe ich wesentliche Elemente der Gemeinsamkeit zwischen Koalition und Opposition. Ich darf sie andeuten.
Erstens. Wir stimmen darin überein, daß unsere Nation gegen ihr Selbstbestimmungsrecht geteilt wurde. Wir stimmen in dem Willen überein, den das Grundgesetz in der soeben zitierten Präambel zum Ausdruck bringt.
Zweitens. Wir sind gemeinsam der Überzeugung, daß die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeiten für das deutsche Volk, seine Selbstbestimmung auszuüben, nur mit friedlichen Mitteln anstreben kann und darf.
Drittens sind wir uns darin einig, daß Nationalstaatlichkeit, wenn ohne Freiheit und ohne Demokratie, noch keinen Wert an sich darstellt.
Viertens wissen wir gemeinsam, daß die Vorstellung eines vereinten Deutschland bei unseren Nachbarn im Westen wie im Osten Befürchtungen hinsichtlich des europäischen Gleichgewichts auslöst. Deshalb arbeiten wir alle am föderativen Zusammenschluß der Staaten Europas. Wir wollen damit auch der späteren Lösung der deutschen Frage dienen.
Fünftens. Weitgehende, wenn auch nicht vollständige Übereinstimmung besteht am Ende auch darin, daß es in unserer heutigen konkreten Politik darum geht, ein weiteres Auseinanderleben der Deutschen zu verhindern, die Folgen der Teilung zu lindern, Spannungen zu überwinden und solche Verhältnisse zwischen den beiden deutschen Staaten zu schaffen, die besser erträglich sind, als sie es in der Vergangenheit gewesen waren.
Wir wissen, daß eine Lösung der deutschen Frage in Form der Wiederherstellung eines früheren Zustandes nicht denkbar ist. Wir wissen, daß die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gewachsenen Strukturen Europas eine isolierte nationale Lösung nicht zulassen. Die Bundesregierung weiß sich im Einklang mit der übergroßen Mehrheit der Nation, wenn sie gleichwohl die Auffassung zum Ausdruck bringt, daß die deutsche Frage offen ist.
Wir wissen alle: Keiner der beiden deutschen Staaten kann sich aus der deutschen Geschichte und Kultur davonstehlen, keiner kann sich aus deutscher Schuld und aus deutschem Versagen davonstehlen, keiner kann sich nur diejenigen Abschnitte oder Teile der deutschen Geschichte reservieren oder aussuchen, die ihm für seine Ideologie gerade zu passen scheinen.
In der Mitte Europas bleibt - über die jeweils verschiedenen Wert- und Ordnungsvorstellungen in beiden deutschen Staaten hinaus - die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden deutschen Staaten zueinander gestellt. In beiden Staaten muß immer erneut nach einer Antwort auf diese Frage nach dem
Verhältnis der beiden deutschen Teile zueinander gesucht werden.
Für uns in diesem Staat, für uns in der Bundesrepublik Deutschland gilt es, nach Kräften die Gegenwart in unserem Sinne zu gestalten, soweit die Wirklichkeit dies irgend zuläßt. Der Auftrag unserer Generation ist, fest verbunden mit der Gemeinschaft der westlichen Demokratien, einen Ausgleich mit den Völkern des östlichen Europas zu suchen. Indem wir - gemeinsam mit unseren Verbündeten - das Zusammenleben mit den Völkern und den Staaten Osteuropas zu verbessern streben, fördern wir den Frieden in Europa und dienen damit zugleich dem Zusammenhalt unseres eigenen Volkes, unserer Nation.
Im Verhältnis zur DDR setzen wir weiterhin auf das Prinzip der Offenheit.
Was zwischen uns und den Verantwortlichen im anderen Teil Deutschlands möglich ist, das sind Gespräche und Vereinbarungen, welche die durch die erzwungene Spaltung geschaffene Not lindern und die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen zwischen den Deutschen bessern sollen, welche verhindern sollen, daß das deutsche Volk sich von Jahr zu Jahr auseinanderlebt. Diese innere Entkrampfung oder Entgiftung entspräche unserem großen Entwurf einer zukünftigen europäischen Friedensordnung; sie könnte ihr hilfreich dienen.
Was ich hier eben in Erinnerung gerufen habe, stammt aus einer Regierungserklärung des Jahres 1967.
Was in solcher Arbeit, was in solchem Dienst während der letzten acht Jahre erreicht worden ist, das ist bescheiden, wenn man es an der Forderung nach nationaler Einheit mißt. Was im Laufe dieser acht Jahre erreicht worden ist, ist sehr viel, wenn man die tatsächlichen Verhältnisse etwa in den acht Jahren davor, in den acht Jahren zwischen dem Mauerbau 1961 und dem Jahre 1969, vergleicht mit den acht Jahren von 1969 bis heute. Wenn man die Verhältnisse vergleicht, dann ist es sehr viel. Konkrete Zahlen der Reisen, der Besuche, der Telefongespräche, der Ausreisen, der Zusammenführungen belegen diesen Unterschied sehr eindrucksvoll.
Die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition wird auf diesem bewährten, auf diesem erfolgreichen Wege, der den Menschen dient, fortschreiten, um weiteres Auseinanderleben der Nation zu verhindern, um Spannungen zu überwinden, um den Frieden sicherer zu machen.
Lassen Sie mich diesen Abschnitt zusammenfassen: Auf deutschem Boden bestehen zwei deutsche Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Wir aber bejahen die eine Nation, wir halten an ihr fest. Deshalb behält auch der Brief zur deutschen Einheit seine Bedeutung.
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Die deutsche Frage ist offen. Erst die zukünftige Geschichte wird über die Antwort entscheiden.
Inzwischen setzen wir unsere Hoffnungen und unsere Anstrengungen in weitere Fortschritte auf dem Wege zum geregelten Miteinander.
Inzwischen müssen wir unser eigenes, unser freiheitliches System ausbauen. Es wird sich im Wettstreit der Systeme bewähren, wenn wir in der Bundesrepublik auf demokratische Weise um die bestmöglichen Lösungen für das Wohl, die Freiheit und die Sicherheit der Menschen ringen und dafür arbeiten. Ich bin sicher: Im Wettstreit der Systeme wird die Geschichte uns recht geben, wenn wir uns aufrichtig und ehrlich bemühen.
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In unserem Staat besteht ein Grundkonsens im Bekenntnis zur Freiheit und im Bekenntnis zur einen Nation. Dies muß so bleiben. Die Gesellschaft und auch die Politik dürfen sich darüber nicht entzweien.
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Das Kuratorium Unteilbares Deutschland hat zum heutigen Tage eine Erklärung veröffentlicht. Ich mache mir diese Erklärung zu eigen. Es heißt dort gegen Schluß:
Im Blick auf die Belgrader Folgekonferenz nach Helsinki ist festzustellen, daß Fortschritte für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in dem Maße möglich sein werden, wie die Teilnehmerstaaten untereinander und im Verhältnis zu ihren Bürgern die Schlußakte befolgen. Entspannung in Europa braucht Entspannung in Deutschland. Auch deshalb bestehen wir auf Verwirklichung der Menschenrechte für alle Deutschen.
Es geht uns dabei nicht um einen überholten Alleinvertretungsanspruch, sondern es geht uns darum, daß die deutsche Frage am ehesten dann lösbar sein wird, wenn der größere Teil, die Bundesrepublik Deutschland, entschieden die Zusammenarbeit mit der Deutschen Demokratischen Republik, dem kleineren Teil, fördert, wenn wir zweitens zugleich aber unser eigenes Haus gut bestellen und wenn drittens die Bundesrepublik Deutschland dazu beiträgt, daß eine stabile Friedensordnung geschaffen wird, die es den Völkern und Staaten erlaubt, mit ihren Nachbarn in Frieden zu leben und zusammenzuarbeiten.
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Für die Einheit der Nation und für die Menschen, die ihr angehören, weiter nach Wegen der Öffnung zu suchen, ist ein Prozeß, der Beharrlichkeit verlangt, der Tapferkeit bei Rückschlägen verlangt und der viel, viel Geduld erfordert. Diese geduldige, stetige Mühe hat uns auf dem Wege der Friedenssicherung vorangebracht. Die bisherigen Erfolge der Entspannungspolitik in Europa zwischen West und Ost waren und sind keine Selbstverständlichkeiten.
Die Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa war einer der Meilensteine auf dem langen Wege, der die erstarrten Fronten der Vergangenheit hinter uns lassen soll. Die Folgekonferenz in Belgrad muß - bei gebotener kriti2456
scher Bilanzierung der bisherigen Ergebnisse - zu weiteren Schritten nach vorne führen; sie muß zu weiterer Verwirklichung führen. Die Bundesregierung will mit dafür sorgen, daß es bedeutsame Schritte sein werden.
Wir bleiben bemüht, durch Verständigung dem Frieden zu dienen. Unsere Arbeit gilt dem Frieden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Fernsehnachrichtensendung leitete gestern abend zu einem Bericht über die beginnende Reisewelle und über das Wetter mit folgendem Satz über: „Der 17. Juni sorgt in diesem Jahr für ein langes Wochenende". Ich füge hinzu: nicht nur in diesem Jahr. Von Anfang an ist es schwer gefallen, den Sinngehalt dieses Feiertages gegen seinen Freizeitwert zur Geltung zu bringen.
Diese Feststellung schließt Fragen ein: die Frage an uns Parlamentarier nach der Form der Erinnerung an den 17. Juni 1953 - wir bleiben darauf seit Jahren, meine ich, die Antwort schuldig - und die Frage nach dem angemessenen Inhalt des Gedenkens. Dazu haben wir oft und unterschiedlich, auch kontrovers und polemisch geantwortet.
Wie immer man über die Form denken und hoffentlich bald neu entscheiden wird - über unsere heutige Entscheidung für den Arbeitstag des Parlaments hinaus -, die Ereignisse des 17. Juni 1953 sind wichtiger Bestandteil der deutschen Geschichte. Sie dürfen nicht vergessen werden. Sie erinnern uns an das Ziel der sich auflehnenden Menschen in Ost-Berlin und in der DDR. Ebenso aber mahnen sie uns an die bittere Lehre der Niederlage des mutig geäußerten Freiheitswillens. Vor allem die Opfer an Menschenleben verpflichten uns, die damals und seither gemachten Erfahrungen zu beherzigen und in unserem politischen Handeln strikt zu beachten.
Der 1953 unternommene Versuch, durch spontane Aktionen des Volkes Freiheit und die Einheit Deutschlands zu erreichen, scheiterte blutig. Es gab keine Aussicht, diesen wichtigen Teil des sowjetischen Machtbereichs durch Auflehnung im Innern abzulösen. Es gab zugunsten des Friedens keine Bereitschaft, ihn mit Gewalt von außen loszureißen. Anderes zu hoffen oder zu erwarten war ein schwerer Irrtum. Vielen wurde er zum Verhängnis.
Die Tragweite und Bedeutung dieses Vorgangs für die Chance einer Wiedervereinigung nahm man im Westen damals nicht zur Kenntnis, jedenfalls nicht in öffentlichen Erklärungen. Die falsche Auffassung, beharrliches Fordern werde auch ohne den Versuch eines vollen Interessenausgleichs mit dem Osten Deutschland seiner Einheit in Freiheit näherbringen, blieb unverändert. Harte Maßnahmen zur Verfestigung der deutschen Teilung, auch die Sperrgrenze des 13. August 1961 und der
Schießbefehl, bewirkten zunächst ebenfalls keine Einsicht. Die Politik der damaligen Bundesregierungen war ungeeignet, die Schritt für Schritt weitergeführte Verschärfung und Vertiefung des Spalts zwischen den deutschen Staaten auch nur zu behindern. Für die Einheit wurde nichts erreicht. Für die betroffenen Menschen ging vieles zusätzlich verloren, z. B. die für Westberliner noch einige Male bestehende Möglichkeit, über Passierscheine den östlichen Teil der Stadt zu besuchen.
Bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre hinein hat es gedauert, bevor auch der damalige Bundeskanzler Kiesinger die Fruchtlosigkeit der bloßen Konfrontation politischer und rechtlicher Standpunkte öffentlich anerkannte und die Möglichkeiten des Zwischenfeldes für die Entkrampfung, für die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Deutschen ins Auge faßte. Daß - jetzt kommt ein Zitat - „im Augenblick die deutsche Frage nicht gelöst werden kann", nannte er dabei eine bittere Wahrheit, „die aber unser Volk hüben wie drüben längst erkannt hat".
In der Tat hatte das Volk aus der Entwicklung und auch aus den Ereignissen vom 17. Juni 1953 und vom 13. August 1961 längst die richtigen Einsichten gewonnen, und zwar bevor die politische Führung in der Bundesrepublik solche Einsichten auszusprechen wagte. Das Volk erwartete praktische Konsequenzen in der Politik der Bundesregierung. Daß sie ausblieben, daß den verheißungsvoll klingenden Ankündigungen keine Taten folgten, hat die Wahlentscheidung des Jahres 1969 maßgeblich mit-beeinflußt.
Die damals sogleich begonnene neue Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung hat die in sie gesetzten Erwartungen der Bürger nicht enttäuscht.
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Besonders deutlich - Sie alle werden sich daran erinnern - haben das die Bundestagswähler des Jahres 1972 zum Ausdruck gebracht.
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Die neue Politik war bestimmt von der Überzeugung, daß die in Deutschland und in Europa entstandenen Realitäten nicht länger ignoriert werden durften. Sie beherzigte die Erfahrung auch des 17. Juni 1953, daß von Volk zu Volk, von Deutschen zueinander kein Weg an den Regierungen vorbeiführt.
Diese Politik machte nicht den abenteuerlichen Versuch, der uns hier noch kürzlich von der Opposition empfohlen wurde, die DDR-Regierung durch einen von Anklagen und Forderungen geprägten Verhandlungsstil der Unzuständigkeit in eigenen Angelegenheiten öffentlich zu überführen. Nur Verhandlungen ohne jede Diskriminierung konnten weiterführen. Nur die Einbettung dieser Bemühungen in die Politik der Verträge mit der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten ermöglichte Fortschritte in den innerdeutschen Beziehungen.
Solche Fortschritte wurden erreicht in einem Maße, das uns durchaus nicht befriedigt, das aber die zu Beginn gehegten Erwartungen in vielen Punkten übersteigt. Und dazu sage ich in aller Klarheit: Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu dieser Ost- und Deutschlandpolitik in allen ihren Bestandteilen.
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Die Gegner dieser Politik, die nicht ablassen, den eingeschlagenen Weg als von Anfang an verfehlt zu verwerfen, fordern wir auf, uns einen einzigen Vertrag, uns ein einziges Abkommen zu benennen, der oder das nicht hätte abgeschlossen werden sollen. Wer andere Inhalte oder andere Zeitpunkte für die Abschlüsse fordert, muß dazu auch die Möglichkeiten aufzeigen. Sonst zieht er sich den Vorwurf jener Unbeweglichkeit zu, die dem Verhängnis bis 1969 seinen Lauf gelassen hat.
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Weil die Forderungen „so nicht" und „jetzt nicht" von solchen Alternativen niemals begleitet waren, galt und gilt für uns nach wie vor, was unser Kollege Ehmke von dieser Stelle im Mai 1972 der Opposition entgegengerufen hat: So und jetzt!
Die Einheit Deutschlands, nach der sich die Menschen des 17. Juni 1953 sehnten und nach der zu streben unsere Verfassung uns verpflichtet, haben wir nicht aufgegeben. Aus der Erkenntnis aber, daß es für sie auf lange Zeit keine Chance der Verwirklichung gibt, haben wir den nach unserer Überzeugung notwendigen Schluß gezogen. Wir bleiben nicht bei Beschwörungen und der Betonung von Rechtspositionen. Wer sich auf die Bewahrung von Rechten und Ansprüchen beschränkt, wendet sich allein den statischen Elementen einer Deutschlandpolitik zu. Er kann damit nichts bewegen, sondern verliert, was er besonders sorgsam zu erhalten meint. Das Recht wird überfordert und auf die Dauer bis zur Bedeutungslosigkeit geschwächt, wenn man seine tatsächlichen Grundlagen vernachlässigt. Ein Anspruch auf Herstellung staatlicher Einheit in Deutschland, dem das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit bei den Deutschen nicht zur Seite steht, wird auf die Dauer zu einer papierenen Bagatelle, die gelegentlich ohne nennenswerten Kraftaufwand politisch abgeräumt werden kann.
Den Menschen, die unter der Teilung leiden, Erleichterung zu bringen und durch millionenfache Begegnungen das Empfinden der Zusammengehörigkeit zu stärken war und ist das Ziel und ist in großem Umfang jetzt bereits das Ergebnis sozialliberaler Deutschlandspolitik.
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Was an menschlichen Beziehungen mit den in den letzten Jahren ermöglichten Besuchen und Kontakten bestärkt und neu begründet worden ist, trägt weiter als eine noch so gefestigte Rechtsprechung bundesdeutscher Obergerichte zur deutschen Frage.
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Was sagt denn wohl dem Bürger der verfassungsgerichtlich formulierte Begriff eines nicht organisierten und deshalb handlungsunfähigen Staates Gesamtdeutschland ohne genau bestimmte Grenzen?
Wieviel Kraft liegt dagegen in dem Erlebnis, als Bundesbürger beim Besuch in der Mark Brandenburg oder in Sachsen Deutschland zu sehen, zu fühlen und dank der Gastfreundschaft unserer Landsleute sogar zu schmecken! Was bewirkt denn die einheitliche Staatsangehörigkeit allein? Sie ist doch nur ein Angebot an diejenigen DDR-Bürger, die in den Schutzbereich bundesdeutscher Hoheitsträger gelangen und das Angebot annehmen. Erfahren kann die Staatsangehörigkeit doch nur werden, wenn es gewisse Möglichkeiten zur Übersiedlung gibt und sich der Rentner oder die Verlobte dann ohne weiteres hier seinen bzw. ihren Paß abholt.
Die jährlichen Zahlen von Reisen, von Telefonaten und anderen Kontakten sind beeindruckend - durch ihre Höhe und ihren Anstieg in den letzten Jahren. Längst aber werden noch nicht alle Möglichkeiten genutzt, nicht alle Angebote etwa des touristischen Verkehrs in die DDR wahrgenommen. Lassen Sie uns gemeinsam darauf hinwirken, daß das geschieht.
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Lassen Sie uns mit Kraft und Phantasie dazu beitragen, daß die Bindungen des zu uns gehörenden Berlins an die Bundesrepublik genutzt und entwikkelt werden.
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Mit Recht weist der Regierende Bürgermeister Stobbe darauf hin, daß Berlin diese Bindungen hat, um sie zu praktizieren, nicht um mit ihnen zu demonstrieren.
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Berlin hat keinen Bedarf an Konfrontation durch Experimente, bietet es doch zahllose unproblematische Möglichkeiten für die wirkliche Stärkung seiner Lebensfähigkeit.
Dieser Aufgabe widmet sich u. a. die Ende 1976 vom Parteivorstand der SPD gebildete Arbeitsgruppe Berlin unter dem früheren Regierenden Bürgermeister und heutigen Parteivorsitzenden Willy Brandt. Worum es geht, wird mit erfreulicher Klarheit auch in der Londoner Berlin-Erklärung vom 9. Mai 1977 beschrieben, wenn dort die drei Mächte die Bemühungen der Bundesregierung und des Senates würdigen,
mit denen sichergestellt wird, daß es sich auch weiterhin lohnt, in den Westsektoren Berlins zu investieren und zu arbeiten.
In dieser Formulierung erkennt man Ihre Sprache, Herr Bundeskanzler, und Ihnen gebührt besonderer Dank dafür, daß dieser für Berlin derzeit wohl wichtigsten Aufgabe in London eine ausdrückliche Anerkennung durch die Schutzmächte verschafft wurde.
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Wir kennen und bedauern die Meinungsverschiedenheiten mit der Sowjetunion über die Tragweite der Bindungen und die Außenvertretung Berlins. Wie wichtig wir diese Frage mit Recht nehmen und nehmen müssen, wird im Ausland manchmal nicht ganz verstanden, zuweilen sogar mit Reserve betrachtet. Auch unter diesem Gesichtspunkt findet die nachhaltige Vertretung der Interessen Berlins durch Sie, Herr Bundesminister Genscher, in den
letzten Tagen in Moskau unsere dankbare Anerkennung.
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Wir werden den eingeschlagenen deutschlandpolitischen Weg unbeirrt fortsetzen. Dabei werden wir Geduld und Zähigkeit brauchen, um auch die mühsamen Fortschritte zu erzielen und die immer wieder möglichen Rückschläge zu überwinden. Lassen Sie uns bei allen Unterschieden der Meinungen über den Weg und der Bewertungen der Ergebnisse die Gefahr beachten, daß sich die Bürger mit Verdruß vom Thema einer Deutschlandpolitik abwenden, bei der dem Mangel an Durchbrüchen und Patentlösungen noch ein Übermaß an polemischer Parteienauseinandersetzung zur Seite tritt.
Lassen Sie uns Resignation vermeiden, aber auch jene Emotionen, die nicht nach Realitäten und tatsächlichen Möglichkeiten fragen. Die Demonstranten des 17. Juni 1953 haben beides, Realitäten und Möglichkeiten, falsch eingeschätzt - und viele von uns damals mit ihnen. Solche Irrtümer können wir vermeiden, solche Opfer darf es nicht mehr geben. Diese Mahnung des 17. Juni ist und bleibt uns Verpflichtung.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Niemandem wird entgangen sein, daß die meisten Beiträge zum Gedenken an den Aufstand vom 17. Juni 1953 in letzter Zeit stärker als in der Vergangenheit von der Bereitschaft zu nüchterner Analyse und realistischer Zukunftsbetrachtung bestimmt waren. Gewiß, es gibt da noch bedauerliche Ausnahmen. Aber im ganzen, so scheint mir, ist das große Pathos geschwunden, das Pathos jener 50er Jahre, das oft in einem beklemmenden Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen im gespaltenen Deutschland stand.
Heute können wir rationaler, aber auch konkreter über die Lage in den beiden deutschen Staaten reden, weil verschiedene Probleme gegenüber früher faßbarer gemacht worden sind. Damit wurden Grundlagen für ein Mindestmaß an Zusammenarbeit und Verständigung über die Teilungsgrenzen hinweg geschaffen. Das hat ohne Zweifel dazu geführt, daß Brücken geschlagen werden konnten, Brücken, die die Menschen zueinander führen und folglich das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Gemeinsamkeit wieder im echten Sinne des Wortes erlebbar machen. Das ist gewiß ein simpler Tatbestand, aber darin liegt doch der Kern dessen, was in Wahrheit den Zusammenhalt dessen beinhaltet, was wir die deutsche Nation nennen; denn ohne daß die Menschen zusammenhalten, kann auch eine deutsche Nation auf Dauer nicht mehr bestehen.
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Millionenfache Begegnungen der Menschen aus beiden deutschen Staaten, ihr Gedankenaustausch tragen mehr Kapital für eine gemeinsame Zukunft der Deutschen bei, als das in früheren Jahren mit einer fast ausschließlich geübten Beschwörung der deutschen Einheit geschah. Mit den mühsamen, aber durchaus schon ertragreichen Versuchen, die Menschen über Stacheldraht und Mauer hinweg einander wieder näher zu bringen, sind wir nach meiner Überzeugung dem Sinn des 17. Juni 1953 gerechter geworden als durch Parolen ohne praktischen Nutzen für die Menschen.
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Damals wie heute ging und geht es um Menschenwürde, um das Recht des einzelnen Menschen, um seine Freiheit. Und genau dafür ist in den letzten Jahren Entscheidendes geschehen.
Die deutsche Geschichte ist nicht reich an geglückten Versuchen, aus eigener Kraft Fesseln abzustreifen. Im letzten Jahrhundert gab es 1848 den bewunderungswürdigen Kampf um ein parlamentarisch-demokratisches System, in diesem Jahrhundert die Aufstände am 20. Juli 1944 und am 17. Juni 1953. Alle diese Unternehmungen sind letztlich gescheitert. Aber gerade weil das so ist, besteht die damit verbundene Herausforderung an uns fort, nämlich dieses Engagement, was Hunderten den Tod gebracht hat, nicht nur zum Anlaß von Gedenkfeiern zu nehmen, sondern als ständigen Anstoß zu politischen Initiativen zu nutzen. Darauf kommt es an.
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Und es kommt nach meiner Überzeugung darauf an, Konkretes zu erreichen und weniger träumerischen, phantasievollen Perspektiven nachzuhängen, die jenseits des Erreichbaren liegen.
„Patriotismus", so sagte einmal ein kluger Mann, „verlangt die Erkenntnis dessen, was ist, und den Versuch, immer wieder herauszufinden, was möglich ist." Diesen so verstandenen Patriotismus gilt es nach meiner Überzeugung täglich aufs neue zu beweisen. Damit werden wir dem Sinn des heutigen Tages am besten gerecht. Nicht gerecht werden wir dieser Forderung an uns selbst allerdings, wenn wir das Pochen auf Rechtsstandpunkte über alles und die Regelung humanitärer Fragen dahinterstellen. Das darf nicht die Grundlage der Politik sein.
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Weil wir dieser Meinung waren und sind, ist es nur folgerichtig, daß wir ohne Kaschierung der fundamentalen gesellschaftspolitischen Gegensätze zwischen den beiden deutschen Staaten den mühseligen steinigen Weg der Vertragsabschlüsse beschritten und damit Nutzen für die Menschen in ganz Deutschland bewirkt haben. Wir haben uns an den elementaren Interessen der Menschen orientiert und nicht an dem lange Zeit so beliebten unseligen Standpunkt des Alles oder Nichts, der ja in den 50er und 60er Jahren weitgehend die offizielle Politik bestimmt hat. Ob es als redlich anzusehen ist, wenn gerade diejenigen heutzutage große Anklagereden über die zu geringen Fortschritte im deutsch-deutMischnick
schen Verhältnis halten, die unverändert an vorgestrigen Positionen festhalten oder nur unvollkommen nachvollziehen wollen, was längst geschah, wage ich allerdings zu bezweifeln.
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Die Deutschlandpolitik, die nach diesem Muster betrieben wurde, hat nicht das Ziel erreicht, das sie sich setzte. Die Einheit unseres Vaterlandes wurde nicht verwirklicht; die Gräben wurden damals tiefer, nicht heute. Auch die schweren Krisen um Berlin bleiben unvergessen, wie die zeitweilige völlige Unterbrechung und lange Zeit bittere Erschwerung menschlicher Kontakte und die ständige Störanfälligkeit der Verkehrsverbindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland.
Schließlich scheinen manche völlig vergessen zu haben, daß das häßliche Mahnmal des kalten Krieges und der Unmenschlichkeit, die Mauer, 1961 errichtet wurde - und nicht als Folge der Verträge.
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Im Gegenteil, die Verträge bemühen sich, die Folgen der Mauer erträglicher zu machen. Ich will hier nicht vorrechnen und vorhalten, was damals - teils gemeinsam, teils von der einen, teils von der anderen Seite - falsch gemacht worden ist. Mir geht es nur darum, daß die Kritiker von heute bei ihren Betrachtungen mehr Augenmaß anwenden, damit sich Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen können. Das ist der entscheidende Punkt, wenn wir zurückblicken.
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Meine Damen und Herren, manchmal hat man den Eindruck, daß manche mit ihren Ausfällen gegen die Verständungspolitik der Bundesregierung ihr schlechtes Gewissen wegen eigener Unterlassungen in der Vergangenheit betäuben wollen.
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Dabei könnte man sich doch ganz ruhig über einige grundsätzliche Sachverhalte verständigen. Natürlich ist es unbestreitbar, daß die Teilung unseres Landes von den Deutschen nicht gewollt wurde, aber durch deutsches Verhalten mit verursacht worden ist. Auch darf nicht übersehen werden, daß die Eingliederung der beiden Teile in gegensätzliche gesellschaftliche Systeme und Militärblöcke nicht zueinander-, sondern auseinandergeführt hat. Daß es dafür aus der jeweiligen Zeit heraus gewichtige, ja, überragende Gründe gab, ist unbestritten. Darauf, daß diese Folgen eintreten konnten, ist allerdings schon damals aufmerksam gemacht worden. Dies sollten wir heute nicht übersehen. Gerade wenn man immer wieder nach einer Bestandsaufnahme ruft - und dies ist berechtigt -, sollte man diese Ausgangspunkte nicht völlig vergessen, weil sie mit in die Betrachtung einbezogen werden müssen, wenn man die Reaktionen und Zielsetzungen der Gesprächs- und Verhandlungspartner von der anderen Seite richtig einschätzen will.
Es ist müßig, jetzt im einzelnen darüber zu reden, in den Unterlagen zu blättern und darüber nachzusinnen, wie viele echte oder vermeintliche Chancen in der Vergangenheit vertan worden sind, in einer Zeit, als durchaus erkennbare Schwankungen der sowjetischen Deutschlandpolitik nicht rechtzeitig genügend ausgelotet und für eigene deutschlandpolitische Initiativen genutzt wurden. Dieses Kapitel - ich meine allerdings, kein gutes Kapitel - ist abgeschlossen. Die Fragen nach Möglichkeiten, Vergeblichkeiten oder damals unterbliebenen Bemühungen sind jetzt noch unbeantwortet. Bei Öffnung der Archive in einem gehörigen Zeitabstand wird manches klarer sein.
Gerade diese deprimierenden Erfahrungen mit den Folgen mancher deutschlandpolitischen Untätigkeit waren es aber doch, die dann vielfältige Kräfte mobilisierten, um die wenigen noch verbliebenen Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu erhalten und womöglich zu stärken. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie wir Freien Demokraten mit schlimmen Verdächtigungen bedacht wurden, als wir frühzeitig nach - wie wir es damals nannten - gesamtdeutschen Gesprächen verlangten.
Die Haltlosigkeit und Kurzlebigkeit solcher Abqualifizierung läßt sich übrigens trefflich am Beispiel der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa belegen. Man kann das Vorgehen unserer Kollegen von der Union als eine Art Purzelbaumpolitik bezeichnen. Sie sind nämlich vom isolierten Gegner der Schlußakte von Helsinki nun zum übereifrigen Notar geworden.
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Wie gesagt, es waren damals Verdächtigungen, keine seriösen Alternativen zu einer pragmatischen Vertragspolitik, die Schluß machte mit den Berührungsängsten gegenüber dem anderen deutschen Staat. Aber nur durch diese Politik war es möglich, auch Konkretes für die Menschen zu erreichen.
Zum wiederholten Male stelle ich fest: Das, was erreicht ist, ist noch nicht genug. Aber für einzelne, für viele einzelne Menschenschicksale ist etwas erreicht: mehr Freiheit, mehr Menschenrechte, mehr Menschenwürde als vorher. Das ist das, worauf wir stolz sind, diesen Menschen geholfen zu haben.
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Meine Damen und Herren, wenn auch so mancher Sprecher, schon fast verzweifelt, immer wieder das Gegenteil behauptet: Richtig ist: Grenze und Mauer sind durchlässiger geworden. Mehr als 40 Millionen Reisen und tägliche Besuche seit 1970 sprechen ihre eigene Sprache und sind ein Beweis für Verbesserungen. Aber natürlich wird gerade uns, die wir Schritt für Schritt weitere Verbesserungen erreichen wollen, dies nicht zufriedenstellen. Wir werden mit Nachdruck daran arbeiten, zusätzliche praktische Fortschritte zu erreichen.
Dazu gehören natürlich auch die noch ausstehenden Folgevereinbarungen zum Grundlagenvertrag, weitere Möglichkeiten im Reise- und Besuchsverkehr und qualitative Verbesserungen in den Beziehungen insgesamt, im wirtschaftlichen Bereich, im wissenschaftlichen Bereich.
Selbstverständlich ist die Lebenssicherung Berlins eine entscheidende Aufgabe unserer Politik. Deshalb ist Berlin in alle Verträge und Abkommen einbezogen worden. Dies wird auch weiterhin geschehen - im Gegensatz zu mancher Zeit vor dieser Vertragspolitik.
Gerade mit dem Blick auf die Folgekonferenz von Helsinki in Belgrad gilt es, erneut festzustellen, daß die Menschen in Deutschland, ganz besonders in Berlin, um so zuversichtlicher in die Zukunft blicken können, je mehr Zusammenarbeit zwischen West und Ost ermöglicht wird und damit auch der Frieden stabilisiert wird. Die Verständigung zwischen den Gesprächspartnern ist die Voraussetzung dafür, daß die deutsche Spaltung erträglicher wird und daß die Menschenrechte für immer mehr Deutsche eben nicht nur auf dem Papier stehen, sondern realisiert werden.
Wer immer noch glaubt, zur Erreichung dieses Zieles seien nur große Worte und Gebärden nötig, hat aus den Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit machen mußten, allzuwenig gelernt.
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Was an Mängeln besteht, soll und will niemand verschweigen. Unsere Forderungen müssen und werden wir überall hörbar vertreten. Aber lautstarkes Anklagen allein - ohne die Bereitschaft zum praktischen Handeln und zum gegenseitigen Verständnis - führen uns eben nicht weiter, wie die Erfahrung lehrt.
Jeder ernsthafte Alternativvorschlag findet unsere volle Aufmerksamkeit. Aber die Substanz dieser Vorschläge muß so sein, daß man damit auch weiterkommt und nicht nur Hürden aufbaut, von denen man von vornherein weiß, daß sie weder so noch so genommen werden können.
Auch sollte man aufhören, Fragen der Ost- und Deutschlandpolitik - lassen Sie mich das gerade an diesem Tage sagen - mehr unter innenpolitischen oder, besser gesagt, wahltaktischen Gesichtspunkten zu sehen
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als unter der Notwendigkeit, gemeinsam das derzeit Mögliche für die Menschen zu erreichen. Das sollte doch immer der Sinn unserer Politik sein.
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Ich kann nur den Appell wiederholen, den wir schon mehrfach an alle gerichtet haben, zu einem vernünftigen gemeinsamen Stil
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der Auseinandersetzung in der Deutschlandpolitik zu finden. Je weniger aggressiv das Klima bei den notwendigen Auseinandersetzungen - und sie sind notwendig; das bestreitet niemand - über den richtigen Weg in der Deutschlandpolitik ist, desto eher besteht die Chance, daß aus grundsätzlichen Gemeinsamkeiten auch praktisches gemeinsames Verhalten zum Nutzen der Menschen wird. Eine allmählich wachsende Kooperation könnte der Deutschlandpolitik eine neue Qualität geben.
Gleichzeitig würden damit aber auch jene Irritationen verringert werden, die bei den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR bisweilen durch eine unerträgliche Polemik gerade auf diesem Gebiet bestehen.
Meine Damen und Herren, der 17. Juni gewänne einen zusätzlichen Sinn, wenn über das gemeinsame Gedenken an die Ereignisse vor 24 Jahren hinaus endlich eine Bereitschaft entstünde, das parteitaktische Gegeneinander in ein durchaus kritisches Miteinander zu wenden.
Als Vorbild und Anregung könnte uns dienen, was führende Vertreter von SPD, CDU/CSU, FDP, den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden, dem Deutschen Städtetag in einer gemeinsamen Erklärung des Präsidiums des Kuratoriums Unteilbares Deutschland 1973 erklärt haben. Es heißt dort - ich zitiere -:
Das Bemühen um eine Zusammenführung der Deutschen wird um so glaubwürdiger und erfolgreicher sein, je entschiedener die Deutschen selbst politisch und persönlich am Abbau von Spannungen in Deutschland, in Europa und in der Welt mitarbeiten. Alle politisch Verantwortlichen, alle politisch handelnden Kräfte in der Bundesrepublik sollten sich diesen Aufgaben in Gemeinsamkeit des Willens und der konkreten Arbeit zuwenden. Die deutsche Wirklichkeit ist so kompliziert, daß Meinungsverschiedenheiten unvermeidlich sind darüber, was jeweils am besten zu tun sei. Aber in der Art, wie sie ausgetragen und wie gemeinsame Aussagen und Bemühungen versucht werden, kann der deutsche Wille überzeugender zum Ausdruck kommen als durch wohlklingende Formeln.
Diese gemeinsame Erklärung aller Parteien und der verschiedenen gesellschaftspolitisch tätigen Organisationen sollte für uns Anlaß sein, dies nicht nur einmal zu bedenken, sondern auch so zu handeln. Für die Menschen in Deutschland wäre das der beste Weg.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zimmermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmude hat Polemik und Parteienauseinandersetzung beklagt. Er hat sich leider bei seinen Ausführungen nicht an seine eigene Maxime gehalten. Es war manchmal peinlich, und es war, was den früheren Bundeskanzler Kiesinger betraf, verfälschend, wie hier deduziert wurde.
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Auch Sie, Herr Kollege Mischnick, wären besser beraten gewesen, das ernste Thema von heute ohne Seitenhiebe anzufassen. Es lohnt nicht und dient niemandem, vor allem jenen nicht, die wir ansprechen wollen und die uns hören sollen, wenn wir uns hier so verhalten, wie das auch an einzelnen Stellen Ihrer Rede geschehen ist.
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Wir gedenken in dieser Stunde jener Landsleute, die am 17. Juni 1953 ihr Leben lassen mußten, weil sie von einer Herrschaft frei sein wollten, deren TräDr. Zimmermann
ger das Volk nicht gerufen hatte und die es davonzujagen sich anschickte. Sie starben, weil sie ein menschenwürdiges Leben führen wollten und weil sie ihr Recht auf Selbstbestimmung und Selbstentfaltung verwirklichen wollten. Wir gedenken jener Deutschen, die in den Jahren seit 1949 sterben mußten, weil sie von Deutschland nach Deutschland wollten, weil sie von einem politischen System unterdrückt wurden. 1953 waren Panzer und Maschinengewehre die Antwort der Kommunisten auf den Anruf von mehr Freiheit und Menschlichkeit, heute sind es immer noch Mauer, Stacheldraht und Todesmaschinen. Bis heute ist das die Realität der sozialistischen deutschen Republik.
Keine Propaganda hat es bisher vermocht, dieses Zeugnis der DDR wider sich selbst, wider ihren eigenen politisch-moralischen Anspruch zu entkräften. Die DDR spricht vom Frieden in Europa, aber sie rückte mit ihren Truppen in die CSSR ein. Die DDR spricht von Sicherheit in Europa, erklärt aber in ihren Verlautbarungen den Atomkrieg als Fortsetzung des Klassenkampfes, des gerechten Krieges. Die DDR spricht von Zusammenarbeit in Europa, betreibt aber eine Politik der Abgrenzung. Die DDR spricht von Verwirklichung der Menschenrechte, tritt sie aber tagtäglich mit Füßen. Wir sind nicht gewillt, diese Heuchelei zu ertragen. Wir werden darüber reden, heute am 17. Juni, aber auch sonst, im Bundestag, an jedem anderen Ort, so lange, bis das Ziel der Selbstbestimmung für alle Deutschen erreicht ist.
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Würden wir schweigen, würden wir nicht nur unsere Mitbürger in der DDR verraten, sondern auch unsere eigenen Prinzipien und Überzeugungen. Der 17. Juni ist für uns nicht nur ein historisches Datum. Er bleibt für uns ein politisches Datum. Er hat im politischen Handeln in unserem Land und für unser Land Maßstäbe gesetzt, an denen wir einmal später gemessen werden. Dieser Herausforderung an uns alle im freien Teil Deutschlands kann niemand von uns ausweichen. Das können auch jene nicht, die das Thema Freiheit und Einheit schon zu den historisch erledigten Akten abgelegt haben.
Der Aufstand am 17. Juni wurde niedergeschlagen. Doch der Ruf nach Freiheit, die Forderung nach den Menschenrechten konnten nicht zum Schweigen gebracht werden.
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Im Gegenteil, wir erleben, wie die Stimmen in Osteuropa und in der DDR zunehmen, die ihre Rechte als Menschen einfordern. Wir erleben, wie immer mehr Menschen bereit sind, ihre persönliche Existenz dafür aufs Spiel zu setzen. Sie führen uns auf den eigentlichen Inhalt von Entspannungspolitik zurück: Es geht um den Menschen und nur um ihn.
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Entspannung und Menschenrechte sind nicht voneinander zu trennen. Die Menschenrechte bilden die Grundlage der Entspannung. Nicht derjenige sorgt für Spannung, der Menschenrechte fordert, sondern derjenige, der sie verweigert.
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Wo der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt steht, kann es Menschlichkeit nicht geben - und Freiheit ohnehin nicht. Denn Menschlichkeit und Freiheit bilden eine Einheit. Menschenrechte sind deshalb weder opportunistisch noch prinzipiell manipulierbar. Menschenrechte sind national nicht begrenzbar. Sie sind auch nicht durch Gesellschaftssysteme oder -klassen begrenzbar, noch können sie in sogenannte bürgerliche oder wirkliche Menschenrechte eingeteilt werden. Menschenrechte sind auch nicht bloß Abwehrrechte gegen Unmenschlichkeit. Sie sind zugleich politische Grund- und Mitwirkungsrechte. Sie stehen jedem zu, und zwar gegenüber jedem Staat. Sie sind international anerkannt. Ihre Durchsetzung ist eine internationale Aufgabe.
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Warum sonst hätten die Vereinten Nationen eine allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet? Auch die KSZE-Schlußakte von Helsinki fordert, die universelle und wirksame Achtung dieser Rechte und Freiheiten in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen zu fördern. Deshalb ist Solidarität mit denen, die ihre Menschenrechte einfordern, keine Einmischung in die Politik anderer Staaten. Deshalb geht es auch nicht an, daß das Prinzip der Menschenrechte nur insoweit Geltung erhält, wie es den Entspannungsprozeß nicht behindert, sondern fördert. Wir wehren uns entschieden gegen jeden Versuch, Entspannungspolitik gegen die Forderung nach Verwirklichung der Menschenrechte auszuspielen.
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Die Kommunisten selbst haben immer erklärt, friedliche Koexistenz bedeute keinen Verzicht auf die ideologische Auseinandersetzung. Wir nehmen sie jetzt beim Wort. Die Menschenrechte sind unsere Antwort, die Antwort der Demokraten auf die ideologische Herausforderung des Kommunismus.
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Wenn jetzt von den kommunistisch regierten Staaten gesagt wird, daß der Kampf um die Menschenrechte ihre innere Ordnung und Stabilität gefährde, dann wird hier der innere Widerspruch des kommunistischen Systems wirklich aufgedeckt.
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Noch 1975 konnte man im FDJ-Organ „Junge Welt" der DDR lesen - ich zitiere :
Ein Staat, der sich der Aggression, des Rassismus, der Negierung der Menschenrechte schuldig macht, kann dabei keinesfalls unter Berufung auf das Nichteinmischungsprinzip fordern, daß sein Treiben toleriert werden müsse. Nichteinmischung darf nicht gleichgesetzt werden mit einer Pflicht, gegenüber völkerrechtswidrigen, reaktionären Umtrieben teilnahmslos und stumm zu bleiben.
So das Zitat.
Nicht einmal zwei Jahre später, nun selbst im Innern und vor der Weltöffentlichkeit mit der Forderung nach Verwirklichung der Menschenrechte kon2462
frontiert, werden die Menschenrechte auf einmal zur inneren Angelegenheit souveräner Staaten erklärt und jede Auseinandersetzung darüber als völkerrechtswidrig bezeichnet. Wir werden uns davon nicht beirren lassen, gerade weil wir selbst keine Debatte über die Verwirklichung der Menschenrechte in unserem eigenen Land zu scheuen haben. Wir werden weiterhin nicht dazu schweigen, wenn Menschenrechte verletzt werden.
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Wir sind davon überzeugt, daß dauerhafte Entspannung letztlich nur in dem Maß möglich ist, in dem die Menschen- und Bürgerrechte in ganz Europa verwirklicht werden. Wir gäben uns doch einer gefährlichen Selbsttäuschung hin, wenn wir glaubten, daß ein Verzicht auf die Forderung nach Verwirklichung der Menschenrechte in der DDR und in Osteuropa die Hindernisse für eine dauerhafte Entspannung aus dem Wege räumen würde. Wir würden uns einer Selbsttäuschung hingeben, wenn wir der These folgten, wir müßten dazu beitragen, der SED-Führung Stärke und Selbstbewußtsein zu vermitteln, und sei es über weitere Zugeständnisse ohne Gegenleistung, damit sich die DDR öffnen könne.
All unsere Politik, die hier in (den letzten Jahren gemacht worden ist, ist mit einer verschärften Politik der Abgrenzung beantwortet worden. Die wachsende Instabilität des Regimes liegt weder in einer akuten Gefahr von außen noch in der Offensive der freien Welt für die Menschenrechte begründet. Sie ist vielmehr Ausdruck eines Systems, das zu Reformen und Veränderungen unfähig ist. Das ist der entscheidende Punkt.
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Wer uns in der freien Welt dazu auffordert, auf die internationale Durchsetzung der Menschenrechte zu verzichten, die ideologische Herausforderung des Ostens ohne Antwort zu lassen, der verlangt von uns, daß wir einem System Entlastung geben, das sich selbst durch seine innere Schwäche herausgefordert sieht, das sich noch immer den notwendigen Veränderungen durch Repressionen zu entziehen versucht, das sich seinen eigenen Systemkritikern nicht stellt, sondern versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Wir sind nicht bereit, dazu Hilfestellung zu geben.
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Meine Damen und Herren, Nationen bleiben nicht geteilt. Wenn ein Teil den Anspruch auf Einheit aufgibt, zieht der andere Teil den Anspruch an sich. Der Anspruch, für die ganze Nation zu sprechen, findet stets eine Stimme. Entscheidend ist also nur die Frage, wer letzten Endes die Wiedervereinigung vollzieht, die Kräfte der Freiheit oder die der Unfreiheit. Die DDR ist dabei, einen solchen nationalen Alleinvertretungsanspruch vorzubereiten. Das neue Programm und Statut der SED sprechen eine deutliche Sprache. Wir müssen auf diese Herausforderung eine Antwort geben, nicht in Form von Geschichtslosigkeit durch Abschaffung des Geschichtsunterrichts noch in der Form eines Rückfalls in einen neuen Nationalismus. Unsere Antwort muß lauten: Unser Patriotismus ist die Freiheit für das ganze
Deutschland, für ein Deutschland, das seinen selbstverständlichen Platz in der Gemeinschaft des freien Europas hat.
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Unser Dank gilt in diesen Tagen auch dem amerikanischen Präsidenten, der bei seiner Amtseinführung sagte: Weil wir frei sind, können wir niemals gleichgültig sein gegenüber dem Schicksal der Freiheit anderswo. Der Präsident, der es als eine moralische Pflicht ansieht, den Menschenrechten auch in anderen Nationen Geltung zu verschaffen, hat damit Maßstäbe für die gesamte westliche Welt gesetzt. Wir haben Anlaß, dem amerikanischen Präsidenten für diesen moralischen Einsatz in der Frage der Menschenrechte dankbar zu sein.
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Wir haben noch einen anderen Anlaß, Präsident Carter dankbar zu sein. Wir haben es begrüßt, daß die amerikanische Regierung eine Dokumentation über die Handhabung der KSZE-Schlußakte von Helsinki in überzeugend sachlicher Form und in aller Öffentlichkeit vorgelegt hat. Wir sehen uns damit in unserer Forderung an die Bundesregierung bestätigt, ihrerseits eine Dokumentation über die Lage der Menschenrechte in Deutschland vorzulegen.
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Berlin und die Verletzung der Menschenrechte mitten in Deutschland bleiben zuallererst eine Herausforderung an die Deutschen selbst. Wir fordern deshalb die Bundesregierung erneut auf, zur Überprüfungskonferenz in Belgrad eine nüchterne, aber öffentliche Bilanz zu erstellen. Daß das ohne Polemik möglich ist, hat die amerikanische Regierung beispielhaft bewiesen.
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Auch wir wollen kein Tribunal. Wenn wir das sagen, heißt das aber nicht, daß wir der Sowjetunion und vor allem der DDR den kritischen Dialog über die tatsächlichen Entwicklungen in den letzten beiden Jahren ersparen wollen. Neue Initiativen können nicht im luftleeren Raum entwickelt werden. Sie müssen die Erfahrungen seit Helsinki einbeziehen. Vom 17. Juni 1953 bis zur Überprüfungskonferenz 1977 spannt sich ein Bogen der Entwicklung. Es muß sich zeigen, ob die Bedingungen gesamteuropäischer Politik im Geist der Freiheit, der Selbstbestimmung und der Menschenrechte andere, d. h. bessere geworden sind. Wir wollen und müssen das unsere dazu beitragen, indem wir die Sowjetunion und die DDR im kritischen Dialog stellen. Solschenizyn hat einmal gesagt:
Der Preis der Feigheit ist nur das Böse. Wir ernten Mut und Sieg nur, wenn wir Opfer wagen.
Das bleibt die Botschaft der Frauen und Männer vom 17. Juni.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung für Dienstag, den 21. Juni 1977, 9 Uhr ein und schließe die Sitzung.