Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/26/1977

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich folgendes bekanntgeben: Als Nachfolger für den durch Verzicht am 16. Mai ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Glotz hat der Abgeordnete Lambinus am 20. Mai die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag. ({0}) Als Nachfolger für den durch Verzicht am 17. Mai ausgeschiedenen Abgeordneten Sund hat der Abgeordnete Eickmeyer am 23. Mai die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße auch den Abgeordneten Eickmeyer sehr herzlich als neuen Kollegen im Deutschen Bundestag und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit. ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes - Drucksache 8/466 - ergänzt werden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Ich stelle fest, daß das Haus einverstanden ist. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen. Für den aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Sund hat die Fraktion der SPD den Abgeordneten Glombig als Stellvertreter im Vermittlungsausschuß vorgeschlagen. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann stelle ich fest, daß das Haus einverstanden ist und der Abgeordnete Glombig zum Stellvertreter des Abgeordneten Dürr im Vermittlungsausschuß bestimmt worden ist. Für den Abgeordneten Spillecke hat die Fraktion der SPD den Abgeordneten Lemp als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament vorgeschlagen. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann-stelle ich fest, daß der Abgeordnete Lemp zum Vertreter im Europäischen Parlament gewählt worden ist. Ich rufe nunmehr zu einer verbundenen Debatte die Tagesordnungspunkte 2, 3 und 4 auf: 2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß und Akt des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung - Drucksache 8/360 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({2}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland ({3}) - Drucksache 8/361 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({4}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland ({5}) - Drucksache 8/362 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({6}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Das Wort zur Begründung der Regierungsvorlage hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft hat am 20. September 1976 die Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen zum Europäischen Parlament beschlossen. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag als erste Regierung aus dem Kreis der neun Mitgliedstaaten ein vollständiges Gesetzespaket zur innerstaatlichen Durchführung des Beschlusses der Europäischen Gemeinschaft zugeleitet hat. Es war, wie wir alle wissen, ein langer und mühevoller Weg, ehe wir die schon im Jahre 1951 bei Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vereinbarte Direktwahl beschließen konnten. Die breite Zustimmung in der deutschen Öffentlichkeit und im Deutschen Bundestag hat die Bundesregierung bei den sich über zwei Jahre hinziehenden schwierigen Verhandlungen in Brüssel stets bestimmt, mit Zähigkeit und Nachdruck an unserem Verhandlungsziel festzuhalten. Das hat zugleich der Verhandlungsführung im Kreis der neun EG-Partner und auf bilateraler Ebene ein zusätzliches Gewicht verliehen. Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an die so komplizierten Verhandlungen zur Festlegung der Sitzzahl eines künftig direkt zu wählenden Europäischen Parlaments. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat bei diesem Kompromiß Konzessionen machen müssen, um den Verhandlungserfolg sicherzustellen. Erst vor wenigen Tagen ist die dänische Regierung von ihren bis dahin immer noch bestehenden Vorbehalten gegen die Direktwahl abgerückt. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben bei der Verabschiedung des Ratsbeschlusses noch keinen genauen Wahltermin fixiert. Die Regierungen aller Mitgliedstaaten haben jedoch sowohl im p Europäischen Rat als auch im Ministerrat ihre Absicht erklärt, die erste Direktwahl im Zeitraum Mai/ Juni 1978 abzuhalten. Die erforderlichen innerstaatlichen Gesetze werden gegenwärtig von allen Regierungen vorbereitet. Schwierigkeiten treten in einzelnen Ländern der Europäischen Gemeinschaft bei der Diskussion der Befugnisse des Europäischen Parlaments auf. Ich will heute diese Diskussion im Interesse der Sache nicht belasten, aber ich bin sicher, daß ein von den Bürgern Europas direkt gewähltes Europäisches Parlament seine Rechte und Möglichkeiten wahrzunehmen weiß. ({0}) Es wird dies um so nachhaltiger tun, je größer die Zahl hervorragender Politiker aller europäischer Parteien und je höher die Wahlbeteiligung in den neun europäischen Staaten sein wird. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat zur Einbeziehung Berlins in die Direktwahl zum Europäischen Parlament anläßlich der Beschlußfassung im Rat der Europäischen Gemeinschaft am 20. September 1976 eine Erklärung abgegeben, die im Wortlaut dem Akt beigefügt ist. Die gefundene Lösung trägt den Rechten und Verantwortlichkeiten der drei Mächte für Berlin Rechnung, und sie berücksichtigt zugleich die Zugehörigkeit Berlins zur Europäischen Gemeinschaft. Ich glaube, daß damit unter den gegebenen Umständen eine für alle Beteiligten befriedigende Lösung erzielt worden ist. Ich hoffe, daß Plenum und Ausschuß des Deutschen Bundestages das Gesetzespaket der Bundesregierung gründlich und zügig beraten werden, damit die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Einführung der Direktwahl in der Bundesrepublik Deutschland bald geschaffen werden. Die Parteien brauchen Zeit für die Auswahl ihrer Kandidaten. Ebenso wichtig ist die frühzeitige Vorbereitung der deutschen Öffentlichkeit auf dieses wichtige europapolitische Ereignis. Für den Erfolg der Direktwahl und für das Gewicht des Europäischen Parlaments wird die Wahlbeteiligung von wesentlicher Bedeutung sein. Meine Damen und Herren, mit der Direktwahl zum Europäischen Parlament wird ein neuer Abschnitt in der Geschichte der europäischen Einigung beginnen. Wir alle wissen, daß das europäische Einigungswerk stark vom Ökonomischen her bestimmt worden ist und auch weiterhin bestimmt werden wird. Auch das Ziel der europäischen Einigung war stets ein politisches. Gemeinsam wollen wir ein Europa bauen, das im Innern für alle seine Bürger ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung verwirklicht und das in der Welt für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit eintritt. Ein solches Europa aber darf nicht nur ein Europa der Regierungen sein; es muß vielmehr zu einem Europa der Bürger werden. Mit der Direktwahl des Europäischen Parlaments tun wir einen entscheidenden Schritt auf dieses Europa der Bürger zu, einen Schritt in Richtung auf eine Gemeinschaft, in der eben nicht nur die Mitgliedstaaten demokratisch verfaßt sind, sondern die Gemeinschaft selbst auch. Heute erleben die Menschen die Europäische Gemeinschaft vorwiegend als großen Verwaltungsapparat, fern in Brüssel, und als institutionalisierte Dauerverhandlungen zwischen den Regierungen. Die Direktwahl muß hier eine Wende bringen. Zum erstenmal wird ein Parlament entstehen, das europäisch legitimiert ist. Dieses Parlament wird zu einer vorwärtstreibenden Kraft im europäischen Einigungsprozeß werden. Dieses Europäische Parlament muß genauso zum Ort der politischen Auseinandersetzung über die innere Ordnung Europas werden, und wir wollen dabei niemanden darüber im Zweifel lassen, daß wir ein Europa der Demokratie, der Pluralität und der Freiheit wollen. Die Wahlen selbst werden den Europagedanken neu beleben. Schon haben sich gleichgesinnte nationale Parteien zu europäischen Föderationen zusammengeschlossen. Politische Programme von europäischem Zuschnitt entstehen. Der Wahlkampf selbst wird das Thema Europa endgültig aus den Konferenzsälen der Experten und Regierungen heraustragen und zu den Bürgern bringen und ihnen bewußtmachen, wie sehr ihre eigene Zukunft mit der Zukunft der Gemeinschaft verbunden ist. Die europäische Politik muß zur Sache der breiten Öffentlichkeit werden. Gegenüber dem direkt gewählten Europäischen Parlament müssen der Rat und die Kommission der Europäischen Gemeinschaft zu den großen und brennenden Fragen Europas Rede und Antwort stehen. Das muß auch für die Europäische Politische Zusammenarbeit gelten. Die neun Mitgliedstaaten der Gemeinschaft haben sich in dieser Europäischen PolitiBundesminister Genscher schen Zusammenarbeit ein wirksames Instrument geschaffen, um ihre Außenpolitiken zu koordinieren und zu gemeinsamem Handeln nach außen zu gelangen. Die Neun sprechen heute in den Vereinten Nationen und auf internationalen Konferenzen immer mehr mit einer Stimme. Das Europa der Neun wird in der Welt mehr und mehr als aktionsfähige politische Einheit gesehen. Ich bin zuversichtlich, daß die Entwicklung auf eine gemeinsame europäische Außenpolitik auch in Zukunft zügig vorangehen wird. Meine Damen und Herren, mit den Erwartungen in die dynamische Kraft des direkt gewählten Europäischen Parlaments verbinden wir die Entschlossenheit, den Staaten Europas, die in den letzten Jahren nichtdemokratische Herrschaftsformen überwunden haben und die Mitglied der Gemeinschaft werden wollen, den Weg in diese demokratische Gemeinschaft zu öffnen. Wir dürfen die Demokraten Griechenlands, Portugals und Spaniens nicht enttäuschen. ({1}) Wir sehen die ökonomischen Probleme sehr genau. Aber diese ökonomischen Probleme gibt es nicht nur bei den drei Ländern, die jetzt beitreten wollen. Die politische Entscheidung dieser Staaten für Demokratie und für Europa müssen wir mit einer ebenso verantwortungsvollen politischen Entscheidung beantworten. Versuche, egoistische Vorbedingungen für die Zustimmung zum Beitritt zu stellen, werden auf unseren ganz entschiedenen Widerstand treffen. Die historische Entscheidung für die europäische Direktwahl erfordert auch die Kraft, den Staaten Europas, die ihre Zukunft im demokratischen Europa suchen, eine reale europäische Perspektive zu bieten. ({2})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich kann die Befriedigung der Bundesregierung verstehen, heute in diesem Hohen Hause den Beschluß des Rates über die Durchführung der Direktwahl des Europäischen Parlaments dem Deutschen Bundestag zur Ratifikation vorlegen zu können; denn der Versuch, ein Europäisches Parlament in direkter Wahl zu wählen, zieht sich, wie die Bundesregierung in ihrer Begründung zu Recht feststellt, wie ein roter Faden durch die Geschichte der europäischen Einigungsbemühungen. Gerade Christliche Demokraten waren daran an hervorragender Stelle beteiligt, wenngleich wir hier keinen Alleinvertretungsanspruch erheben. ({0}) Ich selber hatte vor nunmehr 17 Jahren zum erstenmal Gelegenheit, im Jahre 1960 an der damaligen Verabschiedung des ersten Direktwahlprojekts des Europäischen Parlaments mitzuwirken. Ich freue mich, daß die damaligen Bemühungen nun ein Stück näher zur Realisierung gekommen sind. Meine Damen und Herren, diese Befriedigung kann natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß nicht alles Gold ist, was da glänzt. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat die Sitzverteilung im Europäischen Parlament angesprochen. Wenngleich ich durchaus zugestehe, daß die neubeschlossene Sitzverteilung besser ist als die alte, so läßt sich doch nicht leugnen, daß sie vom Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit noch sehr, sehr weit entfernt ist. Ich will meine Anmerkung jetzt nicht an dem berühmten Luxemburger Beispiel mit sechs Abgeordneten für 300 000 Luxemburger aufhängen, sondern nur darauf hinweisen, daß die kleineren Mitgliedstaaten der Gemeinschaft mit insgesamt rund 31 Millionen Einwohnern über 86 Abgeordnete in diesem neuen Parlament verfügen, während die Bundesrepublik Deutschland mit der doppelten Zahl von Einwohnern deren nur 81 hat. Das ist keine Kritik an der Bundesregierung, sondern eine ganz nüchterne Feststellung. Ich fürchte, daß sich diejenigen, die der Entwicklung dieses Europäischen Parlaments zum Vollparlament Hindernisse in den Weg legen wollen, auf diese ungewöhnliche Art der Sitzverteilung berufen werden, um daraus Honig für ihre Argumente zu saugen. Herr Bundesminister des Auswärtigen, dies ist eine Befürchtung, die nicht nur wir haben, sondern die haben Sie ja selber in gewisser Weise in der Begründung angesprochen. Auch die Europa-Union weist in ihrer lesenswerten Schrift „22 Fragen zur Direktwahl" darauf hin. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, das einmal kurz vorlesen: Je mehr das Europäische Parlament die Rolle eines voll handlungsfähigen Parlaments einnehmen wird, um so problematischer muß die Durchbrechung des Gleichheitsgrundsatzes werden. Ich merke das hier an, weil ich befürchte, daß diese Frage für die weitere Entwicklung eine große Rolle spielt. Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen. Dabei bedauere ich eigentlich, daß ich vor dem Bundesminister des Innern sprechen muß und nicht erst nach ihm sprechen kann. Dieser zweite Punkt betrifft das Wahlgesetz. Bei diesem Wahlgesetz ist die zentrale Frage - darauf wurde in der ausgezeichneten Aussprache des Bundesrates sehr deutlich hingewiesen - die Frage des Wahlverfahrens. Die Bundesregierung schlägt uns hierfür ein Wahlsystem nach Bundeslisten vor. Meine Damen und Herren, das ist ein Novum in der deutschen Wahlrechtsgeschichte. Diese Bundeslisten schieben die Gliederung der Bundesrepublik Deutschland in Länder beiseite, worauf der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Herr Bernhard Vogel, im Bundesrat mit Recht hingewiesen hat. Im Bundesrat gab es eine große Mehrheit für die Ablehnung der Bundeslisten, eine Mehrheit, die weit über die Zahl der von der CDU und der CSU regierten Länder hinausging. Ein weiterer Punkt, den ich hier ansprechen muß, betrifft Berlin. Der Herr Bundesaußenminister hat dieses Thema im Zusammenhang mit dem ersten Gesetz kurz behandelt. Ich lasse das hier beiseite. Dr. Lenz ({1}) Wir sind nicht glücklich darüber, daß nichts Besseres zu erreichen war. Die Lage ist nun einmal so. Aber, meine Damen und Herren, bei dem Wahlgesetz sind wir in der Gesetzesgestaltung durchaus frei; keine Alliierten haben uns etwas dreinzureden. Hier schlägt uns die Bundesregierung ein System vor, das die Bundesrepublik Deutschland - westlicher Teil Deutschlands - in klarer und scharfer Weise von Berlin trennt: Bundeslisten in Westdeutschland, eine Landesliste in Berlin. Die nach dieser Landesliste von Berlin gewählten Abgeordneten werden dann auch noch unglücklicherweise als Berliner Abgeordnete bezeichnet, was den Bundesrat veranlaßt hat, dagegen Einspruch zu erheben. Die Bezeichnung ist nun fallengelassen worden. ({2}) Berlin gehört, meine sehr verehrten Damen und Herren, ebensogut zur Europäischen Gemeinschaft wie die Stadt Bonn. Es ist überhaupt nicht einzusehen, weshalb hier eine derart unterschiedliche Behandlung vorgenommen werden soll. Es ist übrigens sehr interessant, daß die Bundesregierung selbst - jedenfalls das Bundesministerium des Innern - diesen von mir hier vorgetragenen Standpunkt ursprünglich geteilt hat. In der Aufzeichnung des Bundesministeriums des Innern vom 8. September 1975 heißt es wörtlich: „Das Landeslistenmodell erscheint auch im Hinblick auf die Einbeziehung Berlins in die Direktwahl als das überzeugendste." Der Bundesminister des Innern hat uns einige Monate später - ich glaube, im Dezember war es - eine Denkschrift, die seine Unterschrift trägt, überreicht, in der noch einmal das gleiche - in etwas anderen Worten - steht. Meine Damen und Herren, wir sind in Verfolg des Viermächteabkommens gezwungen worden, die früher regelmäßigen Besuche dieses Hohen Hauses und seiner Ausschüsse in Berlin weitestgehend einzuschränken. Wir sind verpflichtet, dieses Abkommen zu respektieren. Aber da, wo wir Grund haben, darauf zu pochen, nämlich dort, wo es darum geht, die Bindungen und Verbindungen Berlins an den Bund zu stärken, auch da sollten wir es strikt einhalten und voll anwenden. Das geschieht hier nicht. ({3}) Außerdem ist die Aufstellung von Bundeslisten so bürger- und mitgliederfern, wie es in der Bundesrepublik Deutschland nur eben möglich ist. Höher geht's nimmer. ({4}) Es ist kaum möglich, daß ein auf einer Bundesliste gewählter Abgeordneter weiß, welchem Bürger wann und wo er für seine Tätigkeit im Europäischen Parlament Rede und Antwort zu stehen hat; denn sein Wahlkreis reicht von Flensburg bis nach Mittenwald und zum Bodensee. Er ist allen verantwortlich und damit im Ergebnis niemandem. Oder: Er ist demjenigen Gremium verantwortlich, das ihn aufgestellt hat, ({5}) d. h. der jeweiligen Bundesparteileitung, vielleicht gekoppelt mit der jeweiligen Bundestagsfraktion. Und so man in der Lage ist, in der Regierung zu sein, wird er am kurzen Zügel der Regierung sein. Das ist das Gegenteil des unabhängigen Abgeordenten, den sich die Christlich-Demokratische und ChristlichSoziale Union vorstellen ({6}) und dessen Bild auch in dem kürzlich erstatteten Bericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform noch einmal einen überzeugenden Ausdruck gefunden hat. Schließlich ist es notwendig, um diese Abgeordneten überhaupt aufstellen zu können, neue Satzungsbestimmungen in sämtliche Parteisatzungen einzuarbeiten. Da es sich hier um interessante Positionen handelt, wird es natürlich darum einen Kampf geben müssen, wer sie aufstellt und wer wieviel Einfluß hat. Gerade das wird den Zeitpunkt der Herbeiführung der Wahl jedenfalls in Deutschland verzögern; denn solche Machtkämpfe müssen ausgetragen werden. Wenn der Herr Bundesaußenminister soeben von dem Zeitargument gesprochen hat, so spricht das gegen seine Bundeslisten und nicht dafür. ({7}) Aus diesem Grunde hat die Europa-Union Deutschland in ihrem Beschluß vom 11. Dezember 1976 zur Gestaltung des deutschen Wahlrechts für die erste europäische Direktwahl gefordert: Die Europa-Union Deutschland setzt sich dafür ein, das Wahlrecht für die europäische Direktwahl so bürgernah wie möglich zu gestalten, um einen engen personalen und regionalen Bezug zwischen Wählern und europäischen Abgeordneten sicherzustellen. Sie hält daher Bundeslisten nicht für geeignet. ({8}) Die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union stellen demgegenüber die Anwendung des geltenden Bundestagswahlrechts zur Diskussion. Das geltende Bundestagswahlrecht mit seinen Landeslisten und direkt gewählten Abgeordneten gilt in ganz Europa fast als vorbildlich. Viele europäische Nachbarländer beneiden uns um dieses Wahlsystem. In Deutschland ist es unbestritten, weil es einen vernünftigen Ausgleich aller divergierenden Interessen möglich macht. Wenn man dieses Wahlsystem anwenden würde, würden die gesamten Probleme, von denen ich eben gesprochen habe, wie Spreu im Winde verwehen: Die Frage der neuen Parteisatzungen könnte durch eine schlichte Verweisung auf die Bestimmungen zur der Kandidaten bei Bundestagswahlen erledigt werden; der klare regionale Bezug wäre gegeben; die Frage von Berlin wäre nicht anders geregelt als im geltenden Bundestagswahlrecht. Damit wären eigentlich alle Einwendungen gegen dieses Bundeslistensystem ausgeräumt. Nun behauptet die Regierung immer, wir würden mit dem Problem Bremen und Saarland nicht fertig. Das kann nur daran liegen, daß die Regierung in Dr. Lenz ({9}) I der neuen Wahlperiode nicht die Papiere aus der alten Wahlperiode gelesen hat. ({10}) Wenn sie nämlich in ihren Papieren vom September und Dezember 1975 - letzteres wiederum mit der Unterschrift von Herrn Maihofer - freundlicherweise einmal nachlesen würde, würde sie ja feststellen: erstens, daß dort das Landeslistenmodell als das geeignetste bezeichnet wird, und zweitens, daß durchaus interessante Vorschläge gemacht werden, wie man das Problem Bremen und das Problem Saarland lösen kann, die zugegebenermaßen bei nicht phantasievoller Gestaltung des Gesetzes sonst vielleicht mit keinem Abgeordneten vertreten wären. Es sind dort zwei Vorschläge gemacht. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Bundesregierung ihre eigenen guten Gedanken von damals vergessen hat. Wenn sie schon einmal einen hat, dann sollte sie auch endlich daran festhalten. ({11}) Meine Damen und Herren, ich kann nur noch einmal wiederholen: Das Bundestagswahlrecht empfiehlt sich zur Anwendung, einmal weil es vorbildlich ist, und zum zweiten, weil wir es hier ja mit einem Übergangswahlrecht zu tun haben. Das Gesetz, das wir machen, soll ja nach dem Wunsch der Unterzeichner des Abkommens nur einmal zur Anwendung kommen, nämlich bei der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament, und danach durch ein europäisches Wahlsystem entweder in einem Schritt oder schrittweise ersetzt werden. Es empfiehlt sich doch nicht, bei einer solchen Gelegenheit eine Diskussion über Wahlrechtsystem und dergleichen zu eröffnen. Man nimmt das, was man hat, schneidet es auf den konkreten Sachverhalt zurecht, und wählt danach einmal, weil sich wirklich alle Probleme durch einen Hinweis auf das Bundestagswahlsystem lösen lassen. Man braucht niemanden zu instruieren. Die Handbücher sind sozusagen fertig gedruckt; Sie können die von 1976 alle noch einmal benutzen. Wenn ich sage, das geltende Bundestagswahlrecht berücksichtige alle Interessen, so berücksichtigt seine Anwendung auf die Europawahlen vielleicht nicht ganz - das gebe ich zu, und das anerkenne ich auch - die Interessen kleinerer Parteien wie der FDP. Ich gebe zu, daß es vielleicht umständlich sein mag, daß man in elf Ländern Landeslisten aufstellen muß - eine Bundesliste für eine solche Partei ist da einfacher -, wenn man nur eine Handvoll Abgeordnete ins Europäische Parlament zu entsenden hat. Aber ich frage mich, ob hinter diesem parteipolitischen Interesse der FDP die demokratischen, föderativen und nationalen Interessen dieses Volkes zurückgestellt werden sollen. ({12}) - Ich höre aus dem lebhaften Echo von Ihrer Seite, daß ich offenbar am neuralgischen Punkt des Problems angekommen bin. ({13}) Wir haben ja, meine Freunde, durch den Zeitplan, den wir miteinander vereinbart haben, noch bis zum Herbst Zeit, darüber nachzudenken, ob wir dies genauso machen, wie Sie es hier vorgeschlagen haben. Die übrigen Probleme des Wahlrechts will ich hier aussparen. Ich kann nur sagen, daß die bisherigen Diskussionen mich davon überzeugt haben - ich glaube, dem widerspricht auch niemand ernstlich -, daß alle Probleme durch die Anwendung des Bundestagswahlrechts zwanglos gelöst werden können, während Sie bei Anwendung des Bundeslistensystems neue Probleme aufwerfen, wie z. B. das Problem der Kandidatur von Gruppierungen, die nicht Parteien sind. Diesen Punkt sollten wir uns auch noch einmal sehr genau überlegen. Lassen Sie mich aber dieses Thema jetzt abschließen und noch zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen kommen, die der Herr Bundesminister des Auswärtigen gemacht hat. Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber im klaren, daß es in Europa schon bessere Zeiten gegeben hat, ein Europäisches Parlament zu wählen. Anfang, Mitte der 60er Jahre war die Zeit zweifellos außenpolitisch, wirtschaftspolitisch, innenpolitisch in den meisten europäischen Ländern besser als heute. Man kann nicht leugnen - der Bericht von Herrn Tindemans ist dafür lebhaftes Zeugnis -, daß wir uns im Augenblick in einer Zeit der Krise in der europäischen Einigungspolitik befinden. Deshalb haben schon manche die Frage aufgeworfen, ob Wir nicht den richtigen Zeitpunkt für die Einigung Europas schon verpaßt haben. Manche meinen sogar, daß wir angesichts der beunruhigenden innerpolitischen Entwicklungen in manchen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft das Wagnis einer engeren Bindung aneinander, die das Ziel der europäischen Direktwahl ist, nicht auf uns nehmen sollten. Aber wir können uns den günstigen Zeitpunkt für dieses Unternehmen nicht aussuchen. Wenn die Lage heute nicht günstig ist, wer sagt uns denn eigentlich, daß sie morgen günstiger sein wird? Es ist auch die Frage, ob wir unsere Lage verbessern, auch die Lage der europäischen Einigungspolitik, wenn wir die jetzt sich bietende Chance der europäischen Direktwahl ausschlagen und statt dessen auf andere Zeiten warten. Ich meine, dann, wenn man diese Überlegungen durchdenkt, kann man nur sagen: Die Gelegenheit, die sich jetzt bietet, muß ergriffen werden; wir müssen alles tun, damit diese Wahlen zum richtigen Zeitpunkt so bald wie möglich stattfinden. Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es Probleme in Europa. Es gibt vor allen Dingen - darauf hat der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht mit Recht hingewiesen - das Problem der geistigen Führung in Europa. Lange Zeit hatte diese geistige Führung die europäische Kommission unter Walter Hallstein inne, dem wir dafür an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich danken sollten. ({14}) Dr. Lenz ({15}) In der Folgezeit hat die Regierung eines Mitgliedstaates eine ähnliche Rolle zu spielen versucht, doch auch davon ist nicht mehr viel spürbar. Es muß endlich etwas geschehen, damit Europa aus dem gegenwärtigen Zustand der endlosen Ministerkonferenzen über drittrangige Fragen und des Wustes von bürokratischen Papieren herauskommt. Alles, was der Herr Bundesminister des Auswärtigen dazu gesagt hat, kann ich nur voll und ganz unterstreichen, und das ist ja auch neulich bei der Verleihung des Karlspreises der Stadt Aachen an den Bundespräsidenten noch einmal unterstrichen worden. Ich teile auch die Auffassung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen, daß ein Wahlkampf für das Europäische Parlament nicht mit den Themen geführt werden kann, die heute in Brüssel Gegenstand der Ratstagesordnungen sind. Man wird sich dabei wieder auf die hohen Ziele der europäischen Einigung konzentrieren müssen: Wir wollen gemeinsam die Verteidigung der Freiheit, wir wollen unseren Völkern die Chance des Wohlstandes durch einen gemeinsamen europäischen Markt geben, und wir wollen der Stimme Europas in der Welt wieder das Gewicht geben, das ihr gebührt. Darum geht es bei jenen Wahlen zum Europäischen Parlament. Ich glaube mit der Bundesregierung, daß von dieser Direktwahl neue Impulse für die europäische Einigung ausgehen können; denn, meine Damen und Herren, in Europa ist noch nie etwas wirklich Großes ohne die direkte Beteiligung der europäischen Völker geschaffen worden. ({16}) Wir wissen aber auch, daß wir einen hohen Einsatz wagen. Scheitert das Experiment der europäischen Direktwahl, wird nicht nur der europäische, sondern auch der parlamentarische Gedanke eine Niederlage erlitten haben. Es kommt darauf an, all unsere Kräfte so einzusetzen, daß dies vermieden wird und daß die europäischen Direktwahlen zu einem Erfolg für die europäische und die parlamentarische Sache und damit für die Sache unseres Volkes werden. In diesem Geiste werden wir uns an den Beratungen über die vorgesehenen Gesetzentwürfe beteiligen. Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Bemerkung zum Problem der Erweiterung der Gemeinschaft machen, das ,der Herr Bundesminister des Auswärtigen hier aus aktuellem Anlaß angeschnitten hat. Meine Damen und Herren, wir wünschen, daß die Länder, die sich auf dem Wege zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung befinden, so schnell und so eng wie möglich an die Europäische Gemeinschaft angeschlossen werden. Das gilt für Spanien, das gilt für Portugal, das gilt für Griechenland. Meine Freunde, wir sehen aber auch, daß die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft bei der Erweiterung von Sechs auf Neun nicht gerade zugenommen hat, ({17}) und wir müssen die Frage stellen, wie sie bei einer Ausdehnung von Neun auf Zwölf zunehmen soll und ob das Ganze dann nicht ein Koloß auf tönernen Füßen werden wird, den jeder umstoßen kann, der nur genügend Energie dafür aufbringt. ({18}) Schon die Sechsergemeinschaft stellte ganz imperativ die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Gemeinschaftsorgane, auch nach der Durchführung des in den Römischen Verträgen festgelegten Prinzips ,der Mehrheitsabstimmungen. Meine Damen und Herren, je mehr Mitgliedstaaten, desto weniger geht es ohne dieses Prinzip, und deshalb geht unsere Bitte an die Bundesregierung, bei ihren Bemühungen um die Erweiterung der Gemeinschaft, die wir unterstützen, der Frage der Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. ({19})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß wir heute im Bundestag in erster Lesung die drei Gesetze über die Direktwahl zum Europaparlament behandeln können. Diese Direktwahl zum Europaparlament war schon in den Römischen Verträgen vom 30. März 1937 vorgesehen. ({0}) - 1957! Vielen Dank, Herr Kollege Stücklen; das war ein Lapsus linguae. - Dort heißt es in Art. 138 Abs. 3: Die Versammlung arbeitet Entwürfe für allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten aus. Die Versammlung ist dem - wie schon erwähnt wurde - nachgekommen und hat 1960 den ersten Entwurf vorgelegt. Der Ministerrat, der nach der derzeitigen Regelung für die Beschlußfassung zuständig ist, hat den Entwurf nicht verabschiedet. Obwohl das Europäische Parlament wiederholt - 1967 und 1969 - gedrängt hat, kam es nicht zu dem erforderlichen Beschluß. Neue Initiativen entstanden erst, seit diese sozialliberale Koalition 1969 hier die politische Verantwortung übernommen hat und die Zeit dafür reif war. ({1}) Ich darf an die erste Gipfelkonferenz am 1. Dezember 1969 in Den Haag erinnern, bei der wesentliche Impulse für die Erweiterung der EG gegeben wurden. Ich darf weiter an die Beschlüsse von 1974 erinnern, als sich die Regierungschefs erstmals endgültig darauf einigten, daß allgemeine Wahlen zum Europäischen Parlament so bald wie möglich verwirklicht werden sollen. Es ging voran, und es nahm Formen an. Es kam zur Absichtserklärung des Europäischen Rats vom 1./2. Dezember 1975, der die Grundlage für den Akt vom 20. September 1976 war, über den wir heute im Ratifikationsgesetz zu beschließen haben. Dr. Schäfer ({2}) Dieses Ratifikationsgesetz ist der große politische Vorgang, um den es sich hier handelt. Das andere ist innerstaatliche Umsetzung für den einmaligen Vorgang dieser Wahl. Es ist - ich darf es nochmal sagen - ein großer Vorgang und ein bedeutender Abschnitt in der Geschichte Europas. Es kann eine Zäsur werden. Ich sage vorsichtig: Es kann eine Zäsur werden. Davor und am Anfang gab es große Debatten über die Frage der Kompetenzen eines solchen Parlaments. Ich bin froh, daß man diese Frage ausgeklammert hat. Denn nach meiner Überzeugung wird es an diesem künftigen einzigen originär legitimierten Organ in Europa liegen, sich durch seine Leistungen die richtige Position zu erarbeiten. Die Aufgabe dieses Europäischen Parlaments wird es sein, politische Führung in die Hand zu nehmen und politisch integrierend zu wirken. Durch ein direkt gewähltes gesamteuropäisches Parlament muß das große Übel überwunden werden, das uns derzeit allen zu schaffen macht und das vom Herrn Außenminister und von Ihnen, Herr Lenz, mit anderen Worten gestreift wurde, nämlich daß auf europäischer Ebene nationale Politik gemacht wird. ({3}) Dieses Europäische Parlament muß Impulse geben, die, wie ich schon sagte, politische Führung sind und die von der Bevölkerung aufgenommen werden können, damit dieses Parlament getragen werden kann. Hier wird jetzt in jedem Mitgliedsland die entscheidende Weiche gestellt werden. Alle Parteien haben erfreulicherweise erkannt, daß diese Direktwahl, die sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr durchgeführt werden wird, zwar nach nationalen Gesetzen vorgenommen wird, aber politisch keine nationale Wahl mehr sein kann, sondern daß sich die verschiedenen Parteigruppierungen auf europäischer Ebene zusammenfinden müssen. Sie sind auch dabei, das Entscheidende zu tun, nämlich eine Wahlplattform für diese Wahl 1978 vorzulegen. Das ist, glaube ich, die entscheidende Arbeit und Leistung, die die deutschen Parteien jetzt erbringen müssen, zusammen mit den befreundeten Parteien in den anderen Mitgliedstaaten, nämlich eine Wahlplattform aufzustellen, in der deutlich wird: was muß europäische Politik sein? Dabei wird, davon bin ich überzeugt, sehr deutlich werden, wie groß und wie bleibend für die Zukunft der Spielraum der nationalen Politik sein kann und sein muß. Damit werden, so bin ich überzeugt, viele Sorgen derjenigen ausgeräumt werden, die meinen, die nationalen Belange kämen für die Zukunft zu kurz, es werde ein Superparlament geschaffen, das in die nationale Eigenheit hineinregiere. Nein! Dieses Europäische Parlament wird europäische Politik machen, und was europäische Politik sein wird, muß jetzt, vor der Wahl, in der Wahlplattform der Parteien deutlich werden. Das tun sie alle, und das ist richtig so. Das Europäische Parlament muß sich zum politischen Ziel setzen - und ich hoffe, wir unterstützen es alle dabei -, Repräsentant der Völker Europas zu werden, so wie es im EWG-Vertrag schon heißt, daß die Versammlung die Völker der Mitgliedstaaten repräsentiert. Es muß zum echten Repräsentanten der Völker Europas werden. Wenn das Parlament dies schafft, wenn es sich auf das begrenzt, was europäische Politik sein muß, dann ist die Frage des Budgetrechts, die Frage der Gesetzgebung automatisch, möchte ich fast sagen, eine Folge dieser Position. Kein anderes, bürokratisch arbeitendes Organ in der Europäischen Gemeinschaft kann sich dann dem entziehen, daß das Organ „Europäisches Parlament" die Rechte eines Vollparlaments an sich zieht und ausübt. Das ist unser Ziel. ({4}) Das wollen wir in diesem Hause alle. Wir wollen, daß es ein wirkungsvolles Parlament wird. Ich bin froh, daß bislang nirgendwo etwas darüber gesagt wurde, wann denn das Parlament dieses Ziel erreiche. Denn das kann man nicht voraussagen. Da sind so viele Elemente und Momente drin, und da sind so viele Schwierigkeiten, die wir nicht voraussehen. Aber dieses Haus hat im Januar 1973 darüber debattiert und hat seinen einheitlichen Willen bekundet, daß wir diese Entwicklung wollen. Ich sage noch einmal: ich bin froh, daß bislang kein Zeitpunkt genannt wurde, und ich empfehle, es auch für die Zukunft nicht zu tun. Denn das Nennen eines Zeitpunktes birgt die Gefahr in sich, daß man, wenn man das Ziel zu dem Zeitpunkt nicht erreicht, eine politische Niederlage einstecken muß. Wenn wir uns das vergegenwärtigen, was ich eben über die Aufgabe des Europäischen Parlaments gesagt habe, dann ergeben sich daraus einige Folgerungen, für uns Sozialdemokraten die Folgerung, daß dieses Mitgliedsland Bundesrepublik - das einzige Mitgliedsland, das eine föderalistische Ordnung hat - im Gesamten dort auftritt. Dann ergibt sich für uns als selbstverständliche Folge, daß wir eine Bundesliste aufstellen. Herr Lenz, Sie sprachen von einigen nett vorgetragenen Überlegungen, Sorgen usw. Ich habe Verständnis, wenn ich die Debatte der letzten acht Tage bei der CDU/CSU verfolge, daß Sie natürlich Sorge haben, wie Sie eine gemeinsame Bundesliste aufstellen wollen. ({5}) Aber das schaffen Sie allemal. Irgendwie werden Sie es schaffen. Natürlich bringt es bei Ihnen Probleme, aber vielleicht sind diese Probleme ganz förderlich. ({6}) Auf jeden Fall liegt ein Widerspruch darin, Herr Lenz, wenn Sie davon sprechen, daß der Abgeordnete letztlich nur dem Gremium verantwortlich sei, das ihn als Kandidaten aufgestellt habe, niemandem sonst. Ob Landesliste, ob Bundesliste, die Kandidaten werden von Parteien aufgestellt. Ihre Bemerkung würde für den einen wie für den anderen Fall gelten. Und, Herr Lenz, ich denke, daß wir uns einig sind, daß Art. 38 für alle Abgeordneten gilt, daß sie nämlich Vertreter des ganzen deutschen Volkes sind. Dr. Schäfer ({7}) Wir meinen nun, die Aufstellung der Kandidaten sei eine sehr wichtige Sache. ({8}) - Ja, ist eine sehr wichtige Sache. Ich sprach vorhin davon, daß dieses Europäische Parlament Repräsentant werden muß. Diese Repräsentanz muß durch Personen sichtbar werden. So hat der SPD-Vorsitzende Willy Brandt erklärt, daß er für die Wahlen zum Europaparlament kandidieren wolle, und damit deutlich gemacht, welchen Rang das Europaparlament für die Zukunft haben wird. ({9}) Sie haben es nicht gebracht, aber es ist eine Lieblingsidee aus Ihren Reihen, zu sagen, auch Landesminister müßten ins Europaparlament kommen können. Einverstanden, sie können kandidieren. Aber was ist das für ein Widerspruch, wenn ein Landesminister, seinem Eid als Minister folgend, für sein Land das Beste zu tun, dann gleichzeitig in Europa tätig sein soll? Er kommt doch selbstverständlich in einen Interessenkonflikt. Das geht nicht, und deshalb werden wir die Landesminister nicht zulassen und hier eine Inkompatibilität vorsehen, so daß sie nicht gleichzeitig ins Europaparlament gehen können. Ich denke, Sie haben Verständnis dafür, wenn Sie es sich noch einmal überlegen. ({10}) Meine Damen und Herren, ich sprach davon, daß es dieses Europäische Parlament selber in der Hand haben muß und wir es dabei unterstützen müssen, seine Position zu erlangen. Ich will Sie daran erinnern, daß nach der Reichsverfassung von 1871 der Reichstag eine sehr schwache Position hatte. Der Reichstag hat die politische Führung einfach durch die Art und Weise, wie er die politischen Probleme behandelt hat, in die Hand bekommen. Das Parlament kann also so verfahren und wird es tun müssen. Die politische Führung muß so stark sichtbar werden, daß man auch nicht die Kommission am Parlament vorbei bestellen kann. Derzeit kann das Parlament nur die Abberufung verlangen. Das Parlament muß so stark sein, daß es die Herrschaftsbestellung selbst vornehmen kann, auf jeden Fall aber gegen seinen Willen keine Herrschaftsbestellung möglich ist. Das Parlament muß eine Kontrolle ausüben - das kann es heute schon -, die so effektiv werden muß, daß in das, was meine Vorredner die Bürokratie von Brüssel genannt haben, hineingewirkt wird, daß man dieses Parlament nicht nur respektiert, sondern in vielen Dingen auch fürchtet, daß es nach dem Rechten sieht und daß es die Dinge auf die richtige Linie bringt. Wenn dieses Parlament diese Leistungen vollbringt, übernimmt es die politische Führung, und dann hat die Direktwahl mit der originären Legitimation einen neuen Ansatzpunkt geschaffen, wie es, soviel ich sehe, in der Geschichte noch keinen für ein Zusammenwachsen - ich bin sehr vorsichtig, ich sage nicht, in welcher endgültigen Form; auch darüber gibt es verschiedene Vorstellungen - dieser Staaten Europas gibt. Wir meinen bei allen besorgten Überlegungen, die man anstellen kann, daß wir alle Grund haben, dahin zu wirken, daß in diesem freien Teil Europas alle Demokratien Westeuropas und des freien Teils Europas ihre politische Heimat haben und dort festgefügt zusammenstehen. Das ist der Sinn dieser Politik. Meine Damen und Herren, unsere wichtigste Aufgabe ist nun, hinauszugehen und das deutlich zu machen, damit die Bevölkerung sieht, daß das nicht irgendeine Sache ist, die die Politiker da oben in Bonn ausgeheckt haben und die sich neben ihr vollzieht. Entscheidend wird eine hohe Wahlbeteiligung sein, und entscheidend wird sein, daß etwas von dem Elan am Ende der 40er Jahre, der damals dazu geführt hat, daß man den Europarat, daß man die Europäische Gemeinschaft bilden konnte, von uns aus in die Bevölkerung getragen wird. ({11})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bangemann.

Dr. Martin Bangemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000089, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute davon sprechen, daß wir mit der Debatte über die Europawahlgesetze ein 20 Jahre altes politisches und vertragliches Versprechen einlösen, dann ist das nicht nur richtig, sondern sicher auch Anlaß dafür - und meine Fraktion möchte diesen Anlaß gern wahrnehmen -, dieser Bundesregierung und vor allen Dingen diesem Außenminister dafür zu danken, daß diese Zeit von 20 Jahren heute zu Ende geht. ({0}) - Dies, Herr Lenz, wäre, so könnte ich mir vorstellen, auch der Opposition einmal möglich; denn wir sind uns in dem Ziel, die parlamentarische Demokratie in Europa fester zu installieren, durchaus einig, wenn ich mich nicht täusche. Wenn wir das Europäische Parlament direkt wählen, werden wir sicher auch eine Entwicklung einleiten, die für Europa selbst, nicht nur wegen der mangelnden demokratischen Legitimation, die oft beklagt wird, sondern auch wegen des langsamen Fortschritts der Integration nur nützlich sein kann. Es ist ganz offensichtlich: In dem Maße, in dem diese Integration fortschreitet, in dem Maße, in dem politische Entscheidungen in diesem Europa unmittelbare Wirklichkeit werden, muß natürlich angesichts der Tatsache, daß alle Mitgliedsländer parlamentarische Demokratien sind, die Verfassungsstruktur der Gemeinschaft geändert werden. Wir wissen alle, daß das nicht automatisch mit der Einführung der Direktwahl geschieht. Die Diskussion in Frankreich hat das auch ganz deutlich gemacht. Niemand will mit der Direktwahl automatisch eine solche Kompetenzverlagerung auf das Parlament vornehmen. Aber ganz sicher ist, daß diese Direktwahl der erste Schritt zur Abschaffung des demokratischen Defizits ist, unter dem die EuroDr. Bangemann päische Gemeinschaft leidet. Alles, was dazu gesagt werden kann, mangelndes Interesse des Bürgers, ausbleibende Unterstützung durch Parteien in diesem Bereich, ist nur Symbol für dieses demokratische Defizit. In diesem Zusammenhang muß man auch die Erweiterung der Gemeinschaft sehen. Bei der Erweiterung der Gemeinschaft um die hier genannten Länder Spanien, Portugal und Griechenland geht es nicht darum, eine Gemeinschaft einfach größer zu machen. Es ist also nicht der Gedanke der Größe, der maßgeblich sein kann. Umgekehrt darf aber auch nicht der Gedanke an wirtschaftliche Schwierigkeiten allein die Debatte bestimmen. Der allein entscheidende Gesichtspunkt muß vielmehr sein: Wie gelingt es uns, den Gedanken der Demokratie in Europa zu festigen? Das kann nicht nur der Gedanke eines closed shop von neun Mitgliedsländern sein, sondern dieser Gedanke muß in ganz Europa seine Wirksamkeit behalten. Dazu ist der Beitritt dieser Länder in die Europäische Gemeinschaft erforderlich. ({1}) Das ist nicht nur die Frage einer gewissen politischen Moral, aber auch. Ich kann mich erinnern, wie wir alle den Griechen gratulierten, als sie den sehr schwierigen Weg zurück von einer Diktatur hin zu einer Demokratie geschafft hatten. Wir alle wissen, daß das ein sehr viel schwierigerer Weg ist als der umgekehrte. Das gleiche gilt für unsere Gefühle gegenüber Spanien und Portugal. Nun geht es aber nicht an, diese Gratulationen auszusprechen und im selben Augenblick, wo diese Länder die notwendige und logische Konsequenz ziehen wollen und in die Gemeinschaft der demokratischen Länder aufgenommen werden wollen, ihnen die Hand zu schütteln und ihnen zu der wiedergewonnenen Demokratie zu gratulieren und zu sagen: Aber für die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft seid ihr zu arm, ihr seid zu arm für uns. Ich weiß, daß das im Kreis der hier Versammelten sicher nicht gesagt werden wird. Aber es gibt Leute, die diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten aus vordergründigen Überlegungen so betonen, daß dieses demokratische Anliegen dabei vergessen wird. Das scheint uns unerträglich zu sein. Sicher ist auch eine hohe Wahlbeteiligung bei diesen Direktwahlen notwendig. Allein für sich genommen werden sie nicht ein Erfolg werden können. Die Parteien tun, was möglich ist, um eine solche hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Ich habe auch den Eindruck, daß bei uns in der Bundesrepublik andere Organisationen, die Gewerkschaften und Verbände, ihren Teil dazu leisten. Die Europa-Union ist mit Recht von einigen der Vorredner mit Dank und mit Anerkennung erwähnt worden. Sie hat in der Tat schon im Vorfeld dieser Direktwahlen einiges zur Mobilisierung der Bürger und Wähler getan. Was wir jetzt in dieser Debatte tun können, ist, den Versuch zu unternehmen, zu einem Höchstmaß an Gemeinsamkeit zu kommen. Es gibt strittige Punkte, und es gibt sicherlich auch unterschiedliche Auffassungen zu technischen Einzelheiten, zu Wahlrechtsmodalitäten, die letzten Endes ja auch Politik ausdrücken. Das ist richtig, Herr Lenz. Aber ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ihre Rede hat mich etwas erstaunt. Wir haben seit Monaten einen doch nicht abreißenden Kontakt innerhalb der Fraktionen, mit dem Innenministerium und mit dem Außenministerium gehabt, um sicherzustellen, daß unsere eigene Debatte und die Auseinandersetzung um die strittigen Fragen in einer Art und Weise ablaufen kann, die nicht das Gefühl in der Öffentlichkeit erweckt, hier werde vordergründig um parteipolitische Interessen gekämpft, sondern es geht allen Fraktionen in erster Linie um Europa. Ich muß Ihnen leider sagen: Ihre Rede war kein Beitrag zu diesem Versuch. ({2}) - Das wundert mich doch etwas, weil ich den Kollegen Lenz sonst eigentlich anders kennengelernt habe. Deswegen war ich erstaunt, daß er beispielsweise meiner Fraktion vorgeworfen hat, wir wollten aus parteipolitischen Gründen ein System von Bundeslisten einführen, weil das System des geltenden Bundestagswahlrechts, das Sie befürworten, uns angeblich benachteiligt. Aber Herr Lenz, Sie wissen ganz genau, daß uns dieses System in keiner Weise - ({3}) - Er hat gesagt, er habe Verständnis dafür, daß sich eine kleine Partei, die eine Handvoll Abgeordnete ins Europäische Parlament schicke, für diese Bundesliste erwärmen könne und nicht für Ihr System, weil Ihr System dieser Partei eben diese Möglichkeiten noch mehr beschneide. Herr Lenz, zunächst einmal klingt aus dieser Bemerkung die alte und völlig falsche und irrtümliche Vorstellung heraus, daß die Größe einer Fraktion allein schon Ausweis für Qualität politischer Argumentation sein könnte. ({4}) Nicht alles ist Gold, was glänzt, sagte Herr Lenz. Mit dem Blick auf die Opposition kann ich diesen Satz nur bestätigen. Ich muß Ihnen auch sagen, Herr Kohl: Wenn ich unsere Opposition zur Zeit der Großen Koalition mit Ihrer Opposition vergleiche, dann kann ich fast von einem Todenhöferschen Gesetz sprechen. Je größer die Zahl der Mitglieder der Opposition ist, um so wirkungsloser ist sie auch. Es hat keinen Zweck, den Versuch zu unternehmen ({5}) - Wenn Sie diese Debatte so beginnen, Herr Kohl, dann werden wir so antworten. Das ist doch wohl selbstverständlich. Sie können doch nicht von mir erwarten, daß ich hier für meine Fraktion spreche und die Ausführungen von Herrn Lenz unwidersprochen lasse, zumal sie auch sachlich unrichtig sind. ({6}) - „Grad mach ich's Maul auf", wie der Stuttgarter Straßenbahnschaffner sagte. Ich werde Ihnen das beweisen; nun warten Sie doch einmal. „Sachlich unrichtig" : Gestern oder vorgestern haben zwei Kollegen Ihrer Fraktion, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann, behauptet, das System der Bundesliste verhindere eine Wahl in Berlin und schwäche dadurch die Stellung Berlins. - Sie nicken mit dem Kopf. Herr Lenz, Sie wissen ganz genau, Sie müßten es eigentlich wissen, daß das nicht der Fall ist, daß im § 28 des Europawahlgesetzes steht, daß das Berliner Abgeordnetenhaus die drei Berliner Abgeordneten wählt. In Berlin wird nicht nach einer Bundesliste oder einer Landesliste gewählt, sondern das Berliner Wahlverfahren ist das bisherige Wahlverfahren des Berliner Abgeordnetenhauses. Das würde nicht geändert werden, auch dann nicht, wenn wir Landeslisten einführten. Das, was Sie gesagt haben, Herr Lenz, ist sachlich so falsch, daß man sich immer wieder fragt: Warum sagen Sie das? Aber Sie eilen zum Mikrophon, Herr Lenz, und werden mir das jetzt mitteilen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter Bangemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Ich sehe, Sie tun es. - Bitte schön!

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bangemann, sind Sie bereit, vom Herrn Bundesminister des Innern die beiden Notizen vom September und Dezember 1975 anzufordern, sich den Text zu Gemüte zu führen und dann hier vorzulesen?

Dr. Martin Bangemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000089, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Lenz, natürlich bin ich dazu bereit. Aber dadurch wird das, was ich jetzt gesagt habe, überhaupt nicht anders. Sie behaupten - um es noch einmal zu sagen -, Ihr System würde dazu führen, daß in Berlin gewählt werden kann. Sie wissen, daß das nicht wahr ist ({0}) - aber selbstverständlich! - und daß die Bundesregierung alles getan hat, damit die Position Berlins hier gewahrt werden kann. ({1}) - Wir können das ja im Protokoll nachlesen. Genauso zweifelhaft ist das, was Sie zur Zahl der Abgeordneten gesagt haben. Es trifft zwar zu, daß wir mit 81 Abgeordneten, vor allen Dingen im Vergleich zu Luxemburg mit 6 Abgeordneten, nicht entsprechend dem Verhältnis der Einwohnerzahlen repräsentiert sind. Dazu ist folgendes zu sagen: Wir gehen von einer Zusammensetzung des Parlaments aus, die es heute schon gibt. Luxemburg hat in dem jetzigen Parlament 6, wir haben 36 Abgeordnete. Wenn wir auf 81 Abgeordnete gehen, verändert sich das Verhältnis schon zu unseren Gunsten. ({2}) Bei den ganzen Verhandlungen hat aber eine Rolle gespielt, daß Luxemburg nicht unter die Zahl von 6 Abgeordneten zurückfallen wollte, und zwar aus verständlichen Gründen: Denn zum einen wäre das ein Nachgeben gegenüber dem jetzigen Standpunkt, eine Verschlechterung einer bestehenden Situation gewesen. Zum anderen muß ein Land die Möglichkeit haben, durch die Zahl seiner Abgeordneten die politischen Strömungen dieses Landes in etwa zu repräsentieren. Wenn Sie dem zustimmen, ({3}) dann muß man von 6 Abgeordneten für Luxemburg ausgehen. Wenn Sie das dann analog der Proportionalität, die Herr Lenz hier dargestellt hat, hochrechnen, häten wir, glaube ich, ein Parlament von 850 Abgeordneten. Ein solches Parlament von 850 Abgeordneten ist zu groß ({4}) und nicht mehr arbeitsfähig, vor allen Dingen, wenn man die Erweiterung wirklich will. Denn wir müssen wissen, daß ein solches Parlament dann noch einmal erweitert werden müßte. ({5}) Das ist der eine Grund, warum wir gesagt haben, wir wollen die Disproportionalität akzeptieren. Der zweite Grund ist der, daß die augenblickliche Verfassungsstruktur der Europäischen Gemeinschaft nicht so sehr auf das Prinzip „One man, one vote", sondern im Grunde genommen auf das Prinzip „One country, one vote" abgestellt ist. Das mögen wir beklagen, aber es ist so. Diese Tatsache wird sich nur in der Entwicklung der Verfassungsstruktur Europas ändern lassen. Wenn wir z. B. zu einem Zweikammersystem kämen, was nicht auszuschließen ist, dann kann man in der zweiten Kammer das Prinzip „One country, one vote" und in der ersten Kammer oder im Parlament das Prinzip „One man, one vote" verwirklichen. Dies, Herr Lenz, sollten Sie sich doch - wir haben ja auch darüber gesprochen - noch einmal in Erinnerung rufen, um Ihre Kritik zu überdenken. Nun zu dem Wahlsystem im einzelnen. Bei jeder Entscheidung der Frage, ob Bundes- oder Landeslisten, muß man sich zunächst einmal die Frage vorlegen: Welche Funktionen erfüllt dieses Wahlrecht? Erstens. Es ist - das ist eine wichtige Bemerkung - ein Übergangswahlrecht. Es ist ein Wahlrecht, das für eine einzige Wahl gelten soll. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Zweitens. Es soll ein Wahlrecht sein, das einfach ist. Drittens. Es soll ein Wahlrecht sein, das eine möglichst breite Beteiligung aller Regionen in der Bundesrepublik zuläßt. Wenn man diese drei Grundsätze an die Frage anlegt, ob das Bundes- oder Landeslisten werden sollen, so darf ich hier vorausschicken, daß es auch gute Argumente für die Landeslisten gibt. Es wäre völlig unsinnig, hier so zu tun, als ob nur das System der Bundeslisten der Weisheit letzter Schluß wäre. ({6}) - Aber Herr Kohl, Herr Lenz hat den umgekehrten Fehler gemacht. Er hat das System der Bundesliste in Grund und Boden verdammt mit Argumenten, auf die ich gleich noch einmal zu sprechen kommen werde. Er hat einen Fehler gemacht, den man in solchen Fragen nicht machen sollte, nämlich einen Monopolanspruch erhoben, der nicht richtig ist. Für die Landeslisten könnte sprechen, daß mit solchen Listen in der Tat eine stärkere Regionalisierung, eine Bindung der Abgeordneten, die in einem Land aufgestellt und gewählt werden, erreicht werden kann. ({7}) Das könnte so sein. Das setzte aber voraus, daß die Wahlgebiete annähernd gleich groß sind. Das ist nun das Problem bei Bremen und beim Saarland, auch bei einigen anderen Ländern. In diesen Wahlgebieten ist das auch nicht nur ein Problem der FDP, um das ganz klarzustellen, um hier jede Mißdeutung von vornherein auszuschließen. Im übrigen freue ich mich natürlich - ich möchte das ausdrücklich im Protokoll festhalten -, daß Herr Lenz das geltende Bundestagswahlrecht so sehr gelobt hat. Ich habe mich zu erinnern versucht, was Sie dann eigentlich dazu bewogen hat, es vor einigen Jahren zu ändern. Was waren denn damals eigentlich Ihre Argumente, als Sie sagten „Wir wollen dieses Wahlrecht ändern" ? Wir haben es noch nie ändern wollen. Wir begrüßen Sie im Kreis der entschlossenen Verteidiger dieses Bundestagswahlrechts. ({8}) Sollten Sie je noch einmal den Versuch machen, eine solche Änderung anzustreben, wird kein FDP-Mann verfehlen, aus dem Protokoll dieser Debatte Herrn Lenz zu zitieren. Man kann sagen: Sie haben mit diesen Aussagen hier eine gewisse historische FDP-Berühmtheit erlangt. Diese Wahlgebiete sind unterschiedlich groß. Wenn beispielsweise in Bremen oder im Saarland überhaupt ein Abgeordneter gewählt wird, wird es ein Abgeordneter der SPD oder der CDU sein; nach den augenblicklichen politischen Verhältnissen in Bremen wahrscheinlich ein SPD-Abgeordneter, im Saarland ein CDU-Abgeordneter. Das ist aber nicht befriedigend; denn dann wird die Wahl in diesem Wahlkreis vom Prinzip der Verhältniswahl völlig verschoben, und zwar hin zum Prinzip der Mehrheitswahl. Dann ist ein großer Teil der Bevölkerung in diesen Regionen nicht vertreten. Das ist ein ganz erheblicher Einwand gegen das System. Zweitens. Die Bundesliste bietet deswegen eine bessere Möglichkeit der regionalen Beteiligung, weil man einen sehr guten Europa-Mann aus Bremen auf einen der vorderen Plätze der Bundesliste stellen kann; der wird dann gewählt. Sie bietet im Grunde genommen nicht die Gefahr, die Herr Lenz beschworen hat. Eine Landesliste kann genausogut von einem Landesvorstand beeinflußt werden wie eine Bundesliste von einem Bundesvorstand. Aus den Erfahrungen meiner Partei muß ich allerdings auch sagen: Überall dort, wo Vorstände den Versuch gemacht haben, bestimmte Leute auf einen bestimmten Platz zu bringen, war das eine Belastung für den Kandidaten. Der kam dann in der Regel zehn Plätze später, weil die Leute gesagt haben: Der muß sehr schwach sein, daß sich der Fraktionsvorstand oder der Bundesvorstand für ihn eingesetzt hat. ({9}) - Wunderbar. Wenn das in allen Parteien so ist, dann fällt ein ganz wesentlicher Einwand gegen die Bundesliste, den Herr Lenz hier vorgetragen hat, weg. ({10}) - Wir machen ja etwas, was man in einer parlamentarischen Debatte tun sollte: Man sollte sich mit den Argumenten der anderen befassen. Das tue ich jetzt. Wenn ich also ein Gegenargument vorbringe, wenn ich das aufgreife, was Herr Lenz gesagt hat, und ich widerlege Ihnen das, dann empfinde ich Ihr Lachen als eine freundliche Kaschierung des Einverständnisses mit meinen Argumenten, wenn Sie mir diese Interpretation gestatten. ({11}) Ich komme zu einem anderen Argument, das Herr Lenz gebracht hat. Die Beibehaltung des jetzigen Bundestagswahlrechts bedeutete ja auch die Beibehaltung der jetzigen Wahlkreise. Sie haben hier das Modell des jetzigen Bundestagswahlrechts empfohlen, d. h. mit Wahlkreisen. ({12}) Wenn man die drei Berliner Abgeordneten abzieht, verbleiben 78 Abgeordnete; wenn man die Hälfte berücksichtigt, müssen wir etwa 40 Wahlkreise einrichten, weil der Rest ja über die Listen gewählt wird. Das bedeutet aber, Herr Lenz, einen Wahlkreis, der sechs- bis siebenmal so groß sein wird wie der Bundestagswahlkreis. Das mag in Ballungsgebieten angehen. Aber beispielsweise in den Flächenländern - in Niedersachsen oder auch in Baden-Württemberg, in Bayern - führt das zu Wahlkreisen, bei denen die Behauptung, ein Abgeordneter könne diesen Wahlkreis betreuen, eine reine Fiktion wird. ({13}) Man kann es drehen und wenden, wie man will: Für diese Wahl ist ein Landeslistensystem durchaus eine Möglichkeit, die man erörtern kann, die aber so wesentliche Nachteile gegenüber dem Bundeslistensystem aufweist, daß man sagen muß: Hier ist die Regierung in einer Position, die von unserer Fraktion und von der Fraktion der SPD unterstützt wird. Dabei wollen wir in der Diskussion, die wir ja noch führen wollen, nicht den Versuch ausschließen, eine Lösung zu erreichen, die gemeinsam getragen wird. Das, was ich in . Erwiderung auf Herrn Lenz gesagt habe, diente dazu, Ihnen klarzumachen, daß man eine solche Gemeinsamkeit am besten erreicht, indem man unnötige Angriffe unterläßt. ({14}) Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung machen, die auch im Zusammenhang mit dem Versuch zur Gemeinsamkeit zu machen ist, aber darüber hinausgeht. Wenn wir diese Wahlen veranstalten, dann wird jeder, der sich daran beteiligt - auch in den anderen Mitgliedsländern -, wissen müssen, daß das zukünftige Europa ein Europa der Minderheiten sein wird. Keine Nation hat eine Mehrheit in dieser Gemeinschaft. Keine Sprache hat eine Mehrheit in dieser Gemeinschaft. Keine Partei wird eine absolute Mehrheit in dieser Gemeinschaft haben. Das ist nicht nur eine Tatsache, über die man diskutieren kann, sondern das ist meiner Meinung nach ein Charakteristikum der zukünftigen Europäischen Union, das man begrüßen sollte, weil nämlich dieses Europa der Minderheiten uns zwingt, ganz wesentliche Grundsätze anzuwenden, die zum Charakter von Europa gehören: Toleranz, Achtung vor der Haltung des anderen, ein Bekenntnis zur Pluralität, kein Monopolanspruch irgendeiner politischen Auffassung. Jeder von uns wird auch in dieser Direktwahl für seine politische Haltung kämpfen. Es wäre aber verhängnisvoll, wenn wir sagten, was man manchmal hört: „Europe serat socialiste, ou ne serat pas." ({15}) - Herr Kohl, weil dies eine europäische Debatte ist ({16}) und weil ich gerade gesagt habe, daß in Europa keine Sprache die Mehrheit hat. Aber wenn Sie wollen, Herr Kohl, übersetze ich das für Sie. Wenn man sagte: „Europa wird christ-demokratisch sein, oder es wird nicht sein", dann würde man einen schweren Fehler begehen, den Fehler nämlich, die Entschlossenheit, für eine politische Meinung einzutreten, zu verwechseln mit dem Grundgesetz, nach dem Europa gebaut werden muß. Wir werden uns entschlossen dafür einsetzen, daß soviel Liberalität wie möglich in Europa zu verwirklichen ist. Wir werden aber das gleiche Recht Sozialisten, Konservativen und Christdemokraten zugestehen. Auf diesem Grundsatz wird Europa beruhen, und wenn wir diesen Grundsatz verwirklichen, werden wir auch die technischen Fragen rechtzeitig so regeln können, daß der Termin nicht in Zweifel gezogen zu werden braucht. Ein abschließendes Wort dazu. Niemand sollte vorzeitig den Versuch aufgeben, das Frühjahr 1978 noch als realistischen Termin anzusehen. Wenn aus irgendwelchen Gründen, die in anderen Ländern oder bei uns liegen mögen, dieser Termin nicht eingehalten werden kann, werden wir uns anders einrichten; das wird kein Debakel sein. Aber wir sollten jetzt und heute den entschlossenen Versuch machen, an diesem Frühjahrstermin festzuhalten, in der Gewißheit, daß mit dieser Direktwahl zum Europäischen Parlament für Europa eine neue Chance eröffnet wird. ({17})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Prof. Dr. Werner Maihofer (Minister:in)

Politiker ID: 11001414

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach gut 20 Jahren soll endlich die große Vision der Väter der Römischen Verträge von einem Europa der Bürger, das durch ein aus allgemeinen, unmittelbaren Wahlen hervorgegangenes Parlament repräsentiert ist, Wirklichkeit werden. Sie wissen, daß bis zur Schaffung eines für alle Mitgliedstaaten geltenden einheitlichen Wahlverfahrens - was eine der vornehmsten Aufgaben des Europäischen Parlaments sein wird - für die jetzt bevorstehende Wahl noch einmal der nationale Gesetzgeber aufgerufen ist, die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Deshalb hat sich die Bundesregierung - und insoweit ist unser Ausgangspunkt, Herr Kollege Lenz, derselbe - bei der Abfassung des Gesetzentwurfs von dem Ziel leiten lassen, von den bewährten Bestimmungen der Bundestagswahl nur da abweichen, wo die unterschiedliche Ausgangslage einer Europawahl uns dazu veranlaßt. Eben dies ist in erster Linie bei der Festlegung des Systems für die Wahl der 78 deutschen Abgeordneten der Fall. Dies möchte ich mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen in Anknüpfung an das, was Herr Kollege Bangemann gesagt hat, noch einmal als die Begründung der Bundesregierung für den vorliegenden Gesetzesvorschlag verdeutlichen. Wir meinen, das Bundeslistenverfahren ist angesichts der zu vergebenden geringen Zahl von Mandaten am besten oder jedenfalls besser geeignet, sowohl aus der Sicht der Handlungsfähigkeit des Europäischen Parlaments - das ist der eine wichtige Gesichtspunkt - als auch in Hinsicht auf die parteiinterne Kandidatenaufstellung. Und hier gibt es - um es noch einmal zugespitzter zu sagen - nicht gut oder schlecht - da bin ich einer Meinung mit Herrn Bangemann -, sondern hier geht es nur darum, ob dieses Wahlsystem einer Europawahl funktionsgemäßer ist oder nicht. Eben davon sind wir überzeugt; sonst hätten wir diesen Vorschlag nach gründlichen, auch über frühere Diskussionsphasen hinausgehenden Überlegungen nicht gemacht. Zunächst zu dem einen Gesichtspunkt. Die Integrationsfähigkeit der verschiedenen politischen Strömungen aus den Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament wird seine Handlungsfähigkeit als Ganzes entscheidend bestimmen. Rein nationale oder gar regionale Überlegungen sollten angesichts dieses europäischen Ziels zurücktreten. Beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Europäischen Parlaments würde schon eine zu starke Nationalisierung, aber erst recht Regionalisierung der nationalen Sitzkontingente das Parlament nach unserer Überzeugung eher schwächen als stärken. ({0}) Ich möchte die gesamtpolitische Repräsentation jedoch nicht als das alleinige Beurteilungskriterium eines angemessenen Wahlverfahrens verstanden wissen, obwohl dieses schon gewichtig genug ist. Selbstverständlich soll auch das Wahlsystem zur Europawahl die föderative Struktur der Bundesrepublik Deutschland und die entsprechende regionale Repräsentanz nicht vernachlässigen. Insoweit besteht zwischen der Auffassung der Bundesregierung und der Ansicht der Mehrheit der Bundesländer, wie sie in der Stellungnahme des Bundesrates zum Europawahlgesetz zum Ausdruck kommt, kein Unterschied. Die Meinungen gehen nur darüber auseinander, wie dieses Ziel am besten erreicht werden kann: bereits durch Festlegungen im Wahlgesetz oder durch die Parteien im Rahmen ihrer Autonomie zur Bewerberaufstellung? Nur da liegt eigentlich der Unterschied in der Beurteilung. ({1}) Die Bundesregierung ist von den Vorzügen des letzteren Weges überzeugt; denn ein Vorteil des Bundeslistensystems gegenüber einer Wahl mit Landeslisten oder über Wahlkreise und Landeslisten entsprechend dem Bundestagswahlrecht besteht eben wegen der kleinen Mandatszahlen, die auf die einzelnen Parteilisten entfallen, und zwar auf alle, gerade darin, daß sowohl die regionale als auch - und auch dies dürfen Sie nicht unterschlagen - die fach- und gruppenspezifischen Anforderungen bei der Bewerberaufstellung ausgewogener befriedigt werden können; ({2}) sonst kommen Sie immer wieder an den Punkt, daß Sie einen Bewerber, den Sie sehr wohl im Europäischen Parlament sehen möchten, aus irgendwelchen arithmetischen Grenzproblemen eben nicht aufstellen können, wenn Sie nach dem Verfahren der Landeslisten vorgehen. ({3}) Die Bundesliste ermöglicht es demgegenüber trotz der geringen Gesamtzahl und trotz der noch kleineren Zahl von Mandaten, die die einzelnen Parteien erringen können, daß über die parteiinterne Kandidatenaufstellung Abgeordnete ins Europäische Parlament gelangen können, die unsere Bevölkerung in all diesen Hinsichten, den regionalen wie den fach- und gruppenspezifischen, repräsentieren. Den vielfach behaupteten Vorteil um auch dieses Argument von meiner Seite noch einmal aufzunehmen - einer größeren Bürgernähe von Landeslisten, bzw. einer Kombination von Wahlkreisen und verbundenen Landeslisten, vermögen wir erst recht nicht zu sehen. Angesichts der Größenordnungen, um die es geht, erscheint mir Ihre Argumentation, Herr Kollege Lenz, recht theoretisch. Die persönliche, vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Kandidaten und den Bürgern ist mit Landeslisten nicht besser als mit Bundeslisten herzustellen; denn die Zahlenverhältnisse Abgeordneter - Bürger bleiben die gleichen. Auch 39 Wahlkreisabgeordnete, die immerhin jeweils etwa 1,4 Millionen Einwohner zu vertreten oder - wie wir heute auch sagen - zu betreuen hätten, hätten keine bessere Chance, die Distanz zwischen sich und den Bürgern anders als mit den auch in einem bundesweiten Wahlkampf üblichen Mitteln der Wahlwerbung zu verringern. Ja, im Gegenteil: Eine auch zentrale Dotierung des Wahlkampfes, der im Rahmen einer Bundesliste geführt wird, gibt diesen Kandidaten eher eine größere Chance, den Direktkontakt mit diesen immer sehr großen Wählerzahlen überhaupt herzustellen. Zu Berlin hat Herr Kollege Bangemann schon alles Entscheidende gesagt. Ich möchte nur noch zwei abschließende Bemerkungen machen. Eine zur Frage des Wahlvorschlagsrechts, die in der Debatte bisher nicht aufgegriffen worden ist: In diesem Zusammenhang ist nicht zu übersehen, daß die Fünf-Prozent-Sperrklausel die vorhandenen Parteigruppierungen bevorzugt. Das ist beabsichtigt. Die Wirkung ist angesichts des politischen Neuanfangs, den wir mit der ersten europäischen Direktwahl anstreben, jedoch nicht unproblematisch. Das muß man klar aussprechen. Wir sind uns darüber im klaren, daß wir mit dem demokratischen Fundament, das die Gemeinschaft durch Volkswahl erhält, gleichzeitig auch den Weg für einen europäischen Willensbildungsprozeß eröffnen, der längerfristig auch zu einer Veränderung der europäischen Parteienlandschaft führen kann. Deshalb sollte das Europawahlgesetz dafür sorgen, daß sich dieser historische Prozeß so offen und pluralistisch wie möglich entwickeln kann. Das ist der Grund, warum der Entwurf des Europawahlgesetzes auch beim Wahlvorschlagsrecht vom geltenden Bundestagswahlrecht abweicht. Sie wissen, wahlvorschlagsberechtigt sollen neben den politischen Parteien auch sonstige mitgliedschaftlich organisierte politische Vereinigungen sein, d. h. insbesondere auch neugebildete politische Gruppierungen, die sich gerade für die Europawahl selber zusammengeschlossen haben. Wahlvorschlagsberechtigt sollen damit - das ist für uns eine entscheidende Frage; Herr Kollege Lenz, Sie haben sie eigentlich nur so am Rande abgetan - auch jene Parteien und politischen Vereinigungen sein, die ihren Wirkungsbereich eben nicht speziell in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in den europäischen Gebieten der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft haben. Demgegenüber ist im Entwurf kein Wahlvorschlagsrecht für Einzelbewerber vorgesehen, was sich zwangsläufig aus der Entscheidung für ein reines Listenverfahren ergibt. In diesem Gesamtzusammenhang möchte ich abschließend eine Frage ansprechen, die auch von Mitgliedern des Hohen Hauses aufgeworfen worden ist. Es erscheint aus europäischer und nationaler Sicht zweckmäßig, außer der möglichen personellen und damit politischen Verzahnung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Bundestag durch Doppelmandatsträger auch für die übrigen deutschen Abgeordneten, die nur Europaparlamentsabgeordnete sind, eine gewisse Anbindung an das Geschehen im Deutschen Bundestag zu gewährleisten. Hier ist der Deutsche Bundestag selbst angesprochen, im Rahmen seiner Organisations- und Geschäftsordnungshoheit entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Ich meine, es wäre gut, wenn hierfür interfraktionell eine Lösung gefunden werden könnte, um diese Verzahnung sicherzustellen. Das ist die originäre Kompetenz des Parlaments, in die wir uns nicht einmengen können. Diese Gemeinsamkeit - das ist abschließend mein Wunsch - sollte aber nicht nur dieser Frage gelten. Es gehört zum guten parlamentarischen Brauch, über grundsätzliche Spielregeln des demokratischen Prozesses - das Wahlrecht gehört in erster Linie dazu - möglichst einvernehmlich zu entscheiden. Konsens setzt Diskussion und zuletzt Kompromiß voraus. Ich hoffe, daß wir alle mit dieser Einstellung in die Ausschußberatung gehen, um um das Besser und Schlechter in allen heute noch strittigen Punkten zu ringen. Dazu auch die guten Dienste in die weiteren Ausschußberatungen einzubringen, ist die Bundesregierung entschlossen. Ich glaube, wir sollten alles tun, um am Ende wirklich durch faire Kompromisse die politischen Konsense zu erreichen, die uns ein gemeinsames Verfahren bei der heraufkommenden Europawahl ermöglichen. ({4})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seefeld.

Horst Seefeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002138, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem Beschluß der Staats- und Regierungschefs vom Juli des Jahres 1976, das Europäische Parlament im Frühsommer 1978 erstmals direkt wählen zu lassen, ist das Thema Europa wieder stärker in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt worden. Mit der Direktwahl nimmt das Europa des Staatsbürgers einen gleichrangigen Platz neben dem bisherigen Europa der Staaten ein. Uns, den Vertretern der politischen Parteien, bietet diese erste Europawahl die Gelegenheit zu einer Prüfung des bisher Erreichten. Gleichzeitig werden wir uns aber bemühen müssen, Antworten auf Fragen zu geben, die sich aus der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Zeit ergeben haben und die nicht mehr im Rahmen eines Nationalstaates allein, sondern nur noch in einer größeren Gemeinschaft von Ländern gelöst werden können. Unsere Aufgabe wird es sein, dem europäischen Wahlbürger klarzumachen, was dieses Europa uns gebracht hat, warum wir uns seit zwei Jahrzehnten dafür einsetzen und was es für jeden von uns bedeuten würde, wenn das vereinte Europa nicht zustande käme. Nun hat der Herr Bundesaußenminister hier erfreulicherweise einige grundsätzliche Bemerkungen zur Europäischen Gemeinschaft, zu deren Lage, zu deren Erweiterung gemacht, wofür wir ihm sehr dankbar sind. Ich möchte die Gedanken des Herrn Außenministers aufgreifen und einige Bemerkungen zu Europa aus der Haltung meiner Partei machen. Verehrte Kollegen, die Direktwahl bietet uns allen eine große Möglichkeit, unsere Mitbürger für Europa stärker zu engagieren. Es wäre jedoch verfehlt, in der Direktwahl ein Allheilmittel für die mannigfachen Schwierigkeiten der Gemeinschaft zu sehen. Diese Wahlen sind eine Chance, nicht mehr und nicht weniger. Ob wir diese Chance nutzen, wird an uns allen liegen. Die Direktwahl aber - das sollte jeder wissen - ändert nichts am derzeitigen institutionellen Gefüge der Gemeinschaftsorgane. Sie kann nur ein erster Schritt auf dem Wege zu mehr Demokratie sein. Jeder einzelne von uns ist doch Zeuge eines beunruhigenden Phänomens: Mit jedem neuen Beschluß, der in Brüssel oder in Luxemburg vom Ministerrat gefaßt wird und der erhebliche finanzielle Belastungen für die nationalen Haushalte mit sich bringt, wird das Leben unserer Bürger verändert und beeinflußt, und zwar stärker, als viele von uns das glauben wollen. Was viele nicht wissen oder nicht wahrhaben wollen: Wir geben jeden Tag ein Stückchen nationaler Souveränität mehr von hier nach Europa ab, und deshalb, verehrte Kollegen, müssen wir alles tun, um die abgegebenen nationalen Kontrollmöglichkeiten einem anderen parlamentarischen Organ zu übergeben. Ich möchte hier gern einen Vergleich aufnehmen, der mir vor wenigen Tagen zu Gehör gekommen ist, den ich wieder entdeckt habe und der mir eine gute Illustration zu sein scheint, nämlich: So, wie die organisierte Arbeiterbewegung an ihren Anfängen zuerst das allgemeine Wahlrecht forderte, um das politische Mittel zu gewinnen, die Arbeiter allmählich in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft integrieren zu können, so müssen wir nun für eine Parlamentarisierung Europas arbeiten. Daß dafür nicht das Wahlrecht erstritten, sondern das Parlament in seine Rechte gesetzt werden muß, zeigt eben den Unterschied, verehrte Kollegen. ({0}) Europa kann schneller und auf friedlichere Weise erarbeitet werden als seinerzeit die nationalen Demokratien. Wegen bestehender Schwierigkeiten in einigen Mitgliedstaaten, die sich zum Teil aus historischen Entwicklungen und aus unterschiedlichen politischen Traditionen ergeben, halte ich es für ratsam, nur sehr behutsam und nur schrittweise das Problem der Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments anzugehen. Hier wird vor allem das erste direkt gewählte Europäische Parlament aufSeefeld gerufen sein, sich für mehr Rechte einzusetzen und sie - was notwendig sein wird - auch zu erkämpfen. Parlamentarische Rechte werden im übrigen, was die Geschichte uns beweist, nicht von Regierungen gewährt. ({1}) Wie ich bereits erwähnte, wird der Wahlkampf für das Europäische Parlament uns eine hervorragende Gelegenheit bieten, eine Bilanz des Geleisteten vorzulegen und Vorstellungen für die Zukunft zu entwickeln. Wir hoffen sehr, daß sich dieser Wahlkampf an sachlichen Themen ausrichten und nicht, wie bereits heute von manchen Vertretern der Opposition angekündigt, unter der Scheinalternative „Freiheit oder Volksfront" geführt wird. ({2}) Meine Damen und Herren, ich möchte hier in aller Deutlichkeit die Position der deutschen Sozialdemokraten wiederholen. Ein Wort des Vorsitzenden meiner Partei unterstreicht am besten unsere Haltung - ich zitiere wörtlich -: Ich halte nichts davon, die Europapolitik zu ideologisieren. Ich habe es immer abgelehnt, mein europäisches Engagement parteipolitisch abstempeln zu lassen. Ich bin wie in den 50er Jahren gegen jede ideologische Einigung. Das freie Europa braucht Raum für alle gewachsenen Strömungen der Demokratie, und alle müssen sich in ihm zu Hause fühlen. ({3}) Meine Damen und Herren, an diesen Vorstellungen hat sich sozialdemokratische Europapolitik in der Vergangenheit ausgerichtet, und so wird das auch in Zukunft sein. ({4}) Worum geht es, verehrte Kolleginnen und Kollegen? Es geht uns - und ich nehme an, uns allen - vorrangig um Solidarität zwischen den sozialen Gruppen in der Europäischen Gemeinschaft, um Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, um Solidarität zwischen der Gemeinschaft und ihren Partnern in der Welt. Dies sind Grundgedanken, die in der Politik der sozialliberalen Koalition Verwirklichung gefunden haben, ob es sich hierbei um unseren finanziellen Beitrag für die Gemeinschaft handelt, ob es sich um bilaterale Hilfen gegenüber befreundeten Staaten - solchen, die besonders mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben - handelt oder ob es sich um unsere Teilnahme am Lomé-Abkommen handelt. Keiner kann bestreiten: Europa ist eine Realität. Die Bilanz dessen, was in 20 Jahren gemeinsamer Politik geschaffen wurde, ist ja gar nicht so negativ, wie manche dies in der letzten Zeit glauben machen möchten. Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund zum Europa-Pessimismus. Natürlich hätten wir alle uns ein schnelleres Zusammenwachsen der Gemeinschaft gewünscht, aber sind die Vorteile dessen, was wir zustande gebracht haben, nicht auch deutlich? Vielleicht sind sie bei vielen in Vergessenheit geraten - mag sein -, da sie inzwischen zu etwas Selbstverständlichem geworden sind. Wir haben beispielsweise eine Freizügigkeit in Europa erreicht, die vor 20 bis 30 Jahren unvorstellbar war. Wir können uns in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft frei bewegen. Wir haben das Recht, uns auch in jedem anderen Staat der Europäischen Gemeinschaft niederzulassen. Soziale Sicherung ist nicht nur im eigenen nationalen Bereich garantiert. Und die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die weltweit spürbar ist und die, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, alle unsere Staaten getroffen hat, konnten innerhalb der Länder dieser Gemeinschaft gemildert werden. Die Weltwirtschaftskrise hat zwar auch die Grenzen des bisher gemeinschaftlich Erreichten aufgedeckt, aber gleichzeitig die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns deutlich gemacht. Wenngleich die Schwierigkeiten noch keineswegs überwunden sind, so haben doch die Fundamente der Einigung in dieser Gemeinschaft gehalten, weil in mannigfacher Weise Solidarität praktiziert wurde. Meine sehr verehrten Kollegen! Ich habe mich gegen den Europa-Pessimismus gewandt. Ich möchte mich auch mit dem leider oft zu hörenden Vorwurf auseinandersetzen, es gehe nichts voran und es geschehe nichts in Europa, und mich mit der Frage befassen, wie in einem frei gewählten Europäischen Parlament mehr für Europa getan werden kann. Darf ich Fakten nennen, die das Gegenteil dieses Vorwurfs beweisen: Die Europäische Gemeinschaft ist bei der Pariser Konferenz über internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit gemeinsam vertreten. Es gibt konstruktive Zusammenarbeit bei der KSZE, beim euroarabischen Dialog, in der UNO und bei der Nahost- und Mittelmeerpolitik. Das Abkommen von Lomé wurde geschlossen, durch das neue Beziehungen zwischen den Industriestaaten und den Staaten der Dritten Welt geschaffen wurden. Die Weiterungen und Folgen, die ich hier nur annähernd andeuten kann, sind wohl auch in den Beitrittsanträgen von Griechenland und Portugal zu sehen. Wir haben Hilfe vom Sozial- und Regionalfonds bei der Überwindung der Arbeitslosigkeit in Bewegung gesetzt. Es gibt den Beschluß über die Direktwahl des Europäischen Parlaments. Dies und vieles andere mehr muß doch wohl auch jedem Kritiker der Gemeinschaft vor Augen stehen. Bemühen und auch Erfolg sind da. Lassen Sie mich, verehrte Kollegen, noch dies sagen: Wir dürfen nicht vergessen, daß - und dies mag der Grund für das sich manchmal düster darstellende Bild der Gemeinschaft sein - in der letzten Zeit neue Probleme in den Vordergrund getreten sind, von denen bei der Ausarbeitung der Römischen Verträge niemand wissen oder ahnen konnte, daß sie uns eines Tages beschäftigen und heute neuer Lösungen bedürfen würden. Fragen wie Umweltschutz, Kernenergie, Verbraucherschutz, vor allem Arbeitslosigkeit und Inflation sind heute nicht mehr allein und einzelstaatlich zu lösen, sondern müssen gemeinsam gelöst werden. Dies stellt hohe Anforderungen an den Willen zu gemeinsa2050 mem Handeln und an die Einsicht in diese Notwendigkeit. Über seine eigenen Grenzen hinaus spielt Europa heute eine zunehmend dynamische Rolle. Beitritts- und Assoziierungsverträge sind hierfür ein deutlicher Beweis. Manchem von uns kommt es so vor, als stehe das außenpolitische Gewicht der Gemeinschaft in keinem Verhältnis zu ihrem inneren Zustand. Länder außerhalb der EG setzen große Erwartungen auf uns. Wir haben uns sehr anzustrengen, um sie nicht zu enttäuschen. Ich möchte aus diesem Grund hier für meine Fraktion nochmals unterstreichen, daß alle Länder, die die Voraussetzungen für demokratische Ordnungen erfüllen, Mitglied der Gemeinschaft werden können, wenn sie dies als für ihr Land wünschenswert erachten. Der Beitritt weiterer Staaten darf nicht an wirtschaftlichen Schwierigkeiten scheitern. Wir müssen uns jedoch darüber klar werden, was für diese Gemeinschaft eine Erweiterung auf eines Tages vielleicht zwölf Staaten bedeutet. Die Verwirklichung der in den Römischen Verträgen verankerten Prinzipien für gemeinsame Politiken wird durch die Aufnahme von Mitgliedern, die im eigenen Land schwierige sozialpolitische Probleme bewältigen müssen, nicht leichter. Einerseits müssen wir allen, die der Gemeinschaft beitreten wollen, sagen, was der Beitritt für sie bedeutet. Andererseits haben wir darauf hinzuweisen, daß es bei den derzeitigen Unterschieden im wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsstand zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und den beitrittswilligen Staaten unredlich wäre, die Erweiterung und zugleich die baldige Schaffung der europäischen Union zu fordern. Beides gleichzeitig zu erreichen wird nicht möglich sein. Hier müssen wir Prioritäten setzen. Lassen Sie mich abschließend noch eine Frage aufwerfen, die sicher viele von uns beschäftigt. Die europäischen Verträge sind über 20 Jahre alt. Viel ist in dieser Zeit geschehen. Manches hat sich aber nicht so entwickelt, wie es sich manche von uns damals vorgestellt hatten. Bei aller Anerkennung des bisher Erreichten sollte wohl auch die Frage erlaubt sein, ob nicht die Zeit einer Gesamtüberprüfung der europäischen Einigungspolitik gekommen ist. Von einer solchen Bestandsaufnahme könnten sicher wesentliche neue Impulse ausgehen. Wie weit ist z. B. der Dialog mit der heutigen jungen Generation gediehen? Kennen wir deren Vorstellungen? Gibt es Überlegungen bei jungen Europäern, die wir ernsthaft diskutieren möchten? Ich möchte nicht mißverstanden sein. Es geht nicht darum, die Einigung Europas in Frage zu stellen, sondern einzig und allein darum: Ich möchte diese Gemeinschaft - ich hoffe mit Ihnen allen - festigen und stärken, und die bevorstehende Direktwahl zum Europäischen Parlament gibt uns die Möglichkeit, unbefangen an diese und an andere Aufgaben heranzugehen. Vielleicht gelingt es uns, Antworten zu finden. Für meine Fraktion möchte ich noch einmal betonen: wir sagen ja zur Europäischen Gemeinschaft, wir sagen ja zu einem direkt gewählten Parlament. Wir hoffen und wünschen, daß die Beratungen in den Ausschüssen schnell und zügig vorangehen, damit auch wir der deutschen Bevölkerung ein Zeichen dafür geben können, daß die Wahlen zum Europäischen Parlament zum bestmöglichen Zeitpunkt stattfinden können. ({5})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Überweisung der Vorlagen an die Ausschüsse. Hierzu liegen drei verschiedene Anträge vor. Der Vorschlag des Ältestenrates, der auf der Tagesordnung ausgedruckt ist, sah die Überweisung sämtlicher drei Vorlagen an den Innenausschuß zur Federführung, an den Auswärtigen Ausschuß, an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie an den Rechtsausschuß zur Mitberatung und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO vor. Eine interfraktionelle Vereinbarung - das ist die erste Änderung dieses Vorschlages - hat dazu geführt, vorzuschlagen, bei dem Ratifikationsgesetz, also bei Punkt 2 unserer Tagesordnung, auf die Mitbeteiligung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu verzichten. Eine weitere interfraktionelle Vereinbarung, die mir eben zur Kenntnis gebracht worden ist, sieht vor, alle drei Vorlagen auch an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zur Mitberatung zu überweisen. Wenn das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden ist, bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen. Wir kommen zu Punkt 5 unserer Tagesordnung: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Deutschlandpolitik - Drucksachen 8/118, 8/255 Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Abelein.

Prof. Dr. Manfred Abelein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000001, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion und die Antwort der Bundesregierung darauf geben uns Gelegenheit, die Situation der Deutschlandpolitik hier zu erörtern. Die Antwort der Bundesregierung gibt eine aufschlußreiche Gegenüberstellung der Erfolge und Mißerfolge ihrer Deutschlandpolitik. Interessant ist besonders auch, was die Bundesregierung verschwiegen hat. Insgesamt - um das vorwegzunehmen - ist die Bilanz eindeutig negativ, ({0}) auch wenn eine Reihe von Verbesserungen im Reiseverkehr, allerdings überwiegend in Richtung West-Ost, bei der Familienzusammenführung, auf dem Gebiet des Telefonverkehrs und vielleicht auch in der Berichterstattung aus der DDR anzuerkennen ist. Welches sind denn hinter dem Nebel die Realitäten in Deutschland? Die Grenze zwischen den beiden Staaten in Deutschland ist nicht durchlässiger geworden, sie ist dichter geworden; die Staaten haben sich einander nicht angenähert, sondern sie haben sich voneinander entfernt; die DDR hat nicht eine Politik der Annäherung oder der Auflockerung betrieben, wie die Bundesregierung erwartet hat, sondern sie hat eine Politik der Abgrenzung betrieben, sie hat ihre Abschottung sogar noch verstärkt, beschleunigt. Diese Entwicklung setzte verhältnismäßig kurz nach dem Ingangsetzen dieser Deutschlandpolitik ein. Die Bundesregierung selbst weist auf die Rückschläge der letzten Zeit hin, so auf die Verdoppelung des Mindestumtauschsatzes, die noch nicht völlig rückgängig gemacht worden ist, auf die schwerwiegenden Spionagefälle auch nach dem besonders spektakulären Fall Guillaume, auf die Behinderungen auf den Transitwegen, die Ausweisung von Korrespondenten oder die Nichtzulassung von Korrespondenten etwa zur Leipziger Messe, auf die Kontrollen der Besucher der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, auf die zunehmende Zahl der Verweigerungen von Einreisen in die DDR, auf die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren, die schweren Grenzzwischenfälle der vergangenen Jahre - besonders herausragend die Fälle Gartenschläger und Corghi - und auf eine Kette von Maßnahmen der DDR aus der jüngsten Zeit gegen Berlin, um den Status dieser Stadt auszuhöhlen. ({1}) Dazu gehören die Einstellung der Herausgabe des Verordnungsblatts, die Einführung des Visazwanges Für Ausländer, die Einführung der erwähnten Straßenbenutzungsgebühren und vieles andere mehr. Darauf werde ich im einzelnen noch eingehen. Kläglich ist auch die Bilanz auf dem Gebiet der Folgeverträge. Die Bundesregierung deutet selbst lie bisher gescheiterten Bemühungen um den Abchluß der sogenannten Folgeverträge zum Grundvertrag auf dem Gebiet des Rechtsverkehrs, der Kultur und des Umweltschutzes an. Sie spart die Enttäuschungen über die schwierige Zusammenarbeit und die mangelnden Ergebnisse im Bereich des Sports, die Blockierung der Transferabkommen, die vertragswidrig verweigerte Einführung des Selbstwählfernverkehrs zwischen Mittel- und Westdeutschland nicht aus. Die Liste der Mißerfolge läßt sich beliebig erweitern: die zahlreichen Fälle der Zwangsadoptionen von Kindern, die Verweigerung ler Ausreise von Verlobten, die jetzt neuerdings bekannt gewordene Anweisung, Ausreiseanträge von Bürgern der DDR als rechtswidrig zu betrachten, wo doch schon bisher die Antragsteller zahlreichen Schikanen unterworfen worden waren. Gemessen an den Inaussichtstellungen dieser Regierung, laß der Grundvertrag den Anfang vom Ende des Schießens bedeuten würde oder, wie Brandt sagte, laß er ein Einebnen der Gräben in Deutschland bedeuten werde, ist die Bilanz eindeutig negativ. Das ergibt sich auch aus der Antwort der Bundesregierung. Es ist bedrückend, wie auch die Bundesregierung darstellt, wie sich mitten durch Deutschland der Westwall des sowjetischen Imperiums zieht, durch Metallgitterzäune, Minenfelder, Selbstschußanlagen, Betonsperrmauern, Lichtsperren, Erdbunker, Beobachtungstürme, Hundelaufanlagen gekennzeichnet. Man fühlt sich in der Tat an ein sehr kriegerisches Bild erinnert. Ein Symbol der Entspannung ist diese Grenzlinie jedenfalls nicht. ({2}) Wir haben - und man kann das nur immer wiederholen - das größte Minenfeld und den längsten Stacheldraht der ganzen Welt nach wie vor mitten in Deutschland. Die Zahl der politischen Häftlinge nimmt ständig zu. Waren es nach der Amnestie 1973 noch 700, sind es jetzt fast 8 000, darunter mehrere hundert Einwohner der Bundesrepublik Deutschland. Ein Netz von Zuchthäusern, Strafarbeitslagern, Strafvollzugskommandos, Frauenarbeitserziehungskommandos und Schweigelagern überzieht die DDR. Die Berichte, die uns aus dieser Abgeschiedenheit erreichen, sind erschütternd. Diese Zustände in der DDR stehen der düsteren Schilderung Solschenizyns über den Archipel Gulag in der Sowjetunion nicht nach. ({3}) Der Druck auf die Bevölkerung hat nicht abgenommen, sondern zu genommen. Hinzu kommen noch die zahlreichen, meist erfolgreichen finanziellen Erpressungsversuche gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, die fast nicht mehr zu zählenden Verletzungen nahezu aller Abkommen, die mit der Bundesrepublik Deutschland getroffen wurden. Ergebnis: Im Grunde läuft nichts mehr. Bonns Deutschlandpolitik steckt tief in der Sackgasse. ({4}) Das interessanteste Kapitel in der Antwort der Bundesregierung jedoch lautet: Konzeption der Bundesregierung für die weitere Entwicklung in der Deutschlandpolitik. Dieses Kapitel ist deswegen so interessant, weil es überhaupt nicht existiert. So ist die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Deutschlandpolitik nicht nur die Bilanz eines brankrotten Unternehmens, sondern sie ist außerdem ein Dokument der Resignation. Die Bundesregierung - das ergibt sich aus dieser Dokumentation - ist offensichtlich nicht bereit, aus ihren Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Sie setzt die fundamental falschen Ansätze ihrer Deutschlandpolitik immer noch fort, obwohl eigentlich die dickfelligsten Optimisten in der Zwischenzeit erkannt haben müßten, daß es so nicht weitergeht. Sie haben das auch erkannt. Mir ist unverständlich - und es läßt sich rational überhaupt nicht mehr erklären -, wie diese Bundesregierung bereit sein kann, die Ost-Berliner Maßnahmen ohne irgendwelche Gegenreaktionen zu schlucken. Ein Beitrag zur Entspannung ist das jedenfalls nicht, eher zum Gegenteil; denn durch diese nahezu unbegrenzte Nachgiebigkeit, ja Leidensbe2052 reitschaft der Bundesregierung werden die Harten, die Aggressiven, die nicht Verständigungsbereiten, die Vertreter eines sowjetischen Expansionismus in der DDR gestärkt, weil ihnen die Bundesregierung immer den Hinweis gibt, der ihnen erlaubt zu sagen, wie recht die DDR mit ihren harten Maßnahmen doch habe, daß sie immer durchgingen. ({5}) Lassen Sie mich an dieser Stelle einiges zu Berlin sagen, und zwar deswegen, weil Berlin wohl anerkanntermaßen als Gradmesser in der Deutschlandpolitik gilt. Wir stehen gar nicht an, anzuerkennen, daß es einige Verbesserungen auf dem Gebiet des Verkehrswesens gibt. Im übrigen: Keine Politik kann so falsch sein, daß sie nicht auch einige Vorteile bringt. Meine Damen und Herren, gerade die Entwicklung der letzten Monate hat jedoch deutlich gemacht, daß es um Berlin keineswegs gut steht. Die Maßnahmen der DDR aus der jüngsten Zeit - unterstützt von der Sowjetunion - haben eine Reihe von ganz präzisen Zielsetzungen. Dazu gehören erstens die Überwindung des Viermächtestatus von ganz Berlin, zweitens die Drosselung des Besucherverkehrs durch finanzielle Belastungen, drittens die Isolierung West-Berlins mit der letztlichen Zielsetzung, West-Berlin aus seinen Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland herauszulösen. ({6}) Die Lage Berlins ist, nüchtern beurteilt, seit Beginn dieser Deutschlandpolitik nicht besser geworden. Für Berlin wurden nicht mehr Sicherheit und auch nicht mehr Entspannung erreicht. Es gibt nach wie vor die alten Meinungsunterschiede über den Status Berlins. Die Sowjetunion und die DDR haben nicht aufgehört, die Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland zu untergraben, das Viermächteabkommen auszuhöhlen. Leider hat die Bundesregierung hier ein erhebliches Verschulden mitzutragen. Ich erinnere nur an die Gegenreaktion der Bundesregierung auf die Proteste der DDR und der UdSSR anläßlich der Errichtung des Umweltbundesamtes in Berlin, als der Bundeskanzler damals sagte, man wolle in Zukunft nicht noch weitere Streitfälle in die Welt setzen. Das heißt, er selbst - diese Bundesregierung - sieht die Ausfüllung des Viermächteabkommens als eine Provokation für die andere Seite an. Dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn der Druck von der anderen Seite immer härter wird. In der Zwischenzeit ist die Bundesregierung so weit eingeschüchtert, daß sie es nicht einmal mehr wagt, eine harmlose Kulturinstitution wie die Deutsche Nationalstiftung in Berlin zu placieren. Daß sie sich dabei hinter die angeblichen Einwände der Alliierten verkriecht, ist nicht neu. Aber man kann fairerweise von den Alliierten nicht verlangen, daß sie die deutschen Interessen deutscher vertritt als diese Bundesregierung selbst. ({7}) Die Situation war vor Ingangsetzen der Deutschlandpolitik durch diese Bundesregierung erheblich besser. Die Errichtung von Bundesbehörden in Berlin war bis zum Jahre 1969 eine Selbstverständlichkeit. Ich erinnere an das Bundeskartellamt, eine Reihe von Bundesaufsichtsämtern, das Bundesgesundheitsamt und an die Bundesversicherungsanstalt. Der Zusammenhang zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland hat sich seit 1969 also nicht verstärkt, sondern eher abgeschwächt. Die Bundesregierung hat - das muß festgestellt werden - durch ihr Verhalten nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß die Schaffung weiterer Bundeseinrichtungen in Berlin der Zwischenzeit zu einem schwierigen politischen Problem geworden ist. Meine Damen und Herren, es nützt Berlin wenig, über die tatsächliche Situation Berlins zu schweigen. Diese Zusammenhänge haben eine sehr schwerwiegende Auswirkung auf die psychologische Einstellung der Einwohner West-Berlins. West-Berlin ist gekennzeichnet durch eine erheblich höhere Arbeitslosigkeit und Verlust an Arbeitsplätzen, als es auf die Bundesrepublik Deutschland zutrifft, durch einen fast dramatischen Rückgang der wirtschaftlichen Investitionen und durch einen sehr starken Rückgang der Bevölkerungszahl. Es sind die Sprecher des Senats selbst, die diese Entwicklung in West-Berlin als dramatisch bezeichnet haben. Wir schöpfen in diesem Zusammenhang Hoffnung aus der Erklärung der westlichen Regierungschefs auf der letzten NATO-Konferenz zu Berlin. Diese Erklärung erfüllt uns vor allem deswegen mit Befriedigung, weil sie erneut die Bedeutung Berlins in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt hat. Wir freuen uns besonders darüber, daß der neue amerikanische Präsident die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland als ein wesentliches Element des Viermächteabkommens herausgestellt hat. Es ist für Berlin dringend notwendig, auf der politischen Ebene und auf der wirtschaftlichen Ebene mehr zu tun als bisher. Wir sind gern bereit, gemeinsame Initiativen mit der Regierungskoalition auf diesem Gebiet auszuarbeiten und auch nachher mitzutragen. Wir haben dazu bereits einige Vorstellungen entwickelt. Meine Damen und Herren, Berlin ist für uns nicht nur der Gradmesser des Zustandes der Politik zwischen Ost und West, sondern Berlin ist für uns die Hauptstadt der nationalen Einheit. ({8}) Berlin ist gegenwärtig für uns die Hauptstadt der nationalen Einheit, bis es wieder - das ist das Ziel unserer Deutschlandpolitik - die Hauptstadt der staatlichen Einheit Deutschlands werden wird. Auch das möchte ich an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich hervorheben. Im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Deutschlandpolitik gibt es nach wie vor unterschiedliche Konzeptionen, wenn auch mit zunehmenden Nuancierungen zwischen der Bundesregierung und der Opposition. Die Bundesregierung hat natürlich rasch eine Erklärung für die zunehmenden Schwierigkeiten und die Erfolglosigkeit ihrer Deutschlandpolitik parat. Sie sagt, diese liegen an einer zeitweiligen Schwäche des SED-Regimes. Es entbehrt dann sogar nicht einmal einer inneren Logik, wenn sie sagt: Man muß diese Schwäche beseitigen; dann kommt es zu einer stärkeren Lockerung. Die Formel für die weitere Konzeption dieser Bundesregierung lautet: Stärkung, Anerkennung des SED-Regimes. Das ist nicht unsere Konzeption. Ich muß hier fairerweise anmerken: Es zeigen sich im Rahmen der Koalition mitunter gewisse Ansätze zu einer realistischeren Beurteilung. Allerdings: Wenn man Ihr jüngstes „Stern"-Interview liest, Herr Wehner, dann zeigen sich solche Ansätze mit Sicherheit nicht. ({9}) Meine Damen und Herren, im offiziell-offiziösen Organ der Mehrheitspartei der Regierungskoalition, dem „Vorwärts", wird die Meinung vertreten, daß das Ziel einer SPD-Politik nicht vorrangig darin bestehen könne, aus der DDR Jahr für Jahr größere Menschenkontingente herauszuverhandeln. Es steht dort, daß man eine starke DDR will, keine schwache; eine selbstbewußte SED-Führung, keine ängstliche. Ich verstehe nicht, wie man diese SED-Regierung zu noch mehr Selbstbewußtsein gegenüber dieser schüchternen Bundesregierung auffordern kann. ({10}) Gaus, der Ständige Vertreter der Bundesregierung in Ost-Berlin - manchmal hat man den Eindruck, er ist mehr der Ständige Vertreter der Regierung der DDR bei uns als umgekehrt -, hat den Verzicht auf den Gestus des Sachwalters aller Unterdrückten vorgeschlagen und empfohlen, man solle mit Ost-Berlin auf der Basis von „gleich zu gleich" verhandeln. Das ist sehr interessant. Es ist im übrigen typisch deutsch. Das ist der alte deutsche Etatismus, der hier auf eine merkwürdige Weise wiederkehrt. Der eingeläutete Fortschritt erweist sich hier als tiefer Rückfall, nämlich in die Zeiten des Absolutismus, neuerdings in den sozialistischen Absolutismus. So groß sind die Unterschiede gar nicht. ({11}) Die Kämpfer für mehr Feiheit und Demokratie, die Advokaten der Humanität entpuppen sich plötzlich als kalte Vertreter der Staatsräson. Deswegen haben sie auch die Schwierigkeiten mit den Menschenrechten. Denn wenn der Staat für sie die entscheidende Einheit ist, dann stören die Menschenrechte sie eigentlich nur. Solange die Menschenrechte für sie lediglich als abstrakte Prinzipien des internationalen Zusammenlebens gelten, machen sie hier noch mit. Aber wenn es darum geht, daß einzelne Menschen aus Fleisch und Blut eigene Rechte haben sollen, dann kommen sie - dazu werde ich nachher noch einiges sagen - in Schwierigkeiten. Das stimmt völlig überein mit diesem neuen Etatismus der Sozialisten. Hier zeigen sich Gemeinsamkeiten zwischen den Sozialisten in Ost und West. Denn auch im Absolutismus haben die einzelnen Menschen keinen eigenen Rechtskreis. Immerhin, einige Worte widmet die Bundesregierung natürlich auch den Menschen, um sie nicht völlig aus der Konstruktion herauszulassen. Sie findet hier sogar noch das passende Rezept, indem sie in der Kanzleramtsstudie, von der immerhin der Sprecher dieser Bundesregierung gesagt hat, sie liege auf der Linie der Bundesregierung - es sind nur einige verharmlosende Sätze in der Antwort der Bundesregierung darüber enthalten -, sagt: „Die Bevölkerung drüben steht eher an der Seite des DDR-Regimes ... als auf unserer Seite." ({12}) Das ist zwar falsch, aber für diese Bundesregierung sehr beruhigend. Ich möchte nicht wissen, was in den Herzen von Millionen von DDR-Bürgern, die, wie wir wissen, auch jetzt großenteils zusehen und zuhören, vorgeht, die in ihrer Hoffnung auf Freiheit bisher auf alle Bundesregierungen geblickt haben - sei es auch in der Hoffnung auf eine unsichere und fernere Zukunft -, wenn sie aus dem Bonner Bundeskanzleramt die Feststellung hören, sie, die Menschen in der DDR, stünden eher an der Seite des SED-Regimes als umgekehrt. ({13}) Aber die Bevölkerung darf nicht einen falschen Eindruck erhalten. Deswegen sage ich hier, daß wir die Bevölkerung der DDR nicht abgeschrieben haben und auch nicht abschreiben werden. ({14}) Wir haben große Achtung vor denjenigen, die mit einem hohen persönlichen Risiko drüben offen für die Freiheit eintreten. Aber wir haben auch Verständnis für diejenigen, die zu den Verhältnissen drüben schweigen, weil sie keine andere Wahl haben, und sich in die innere Emigration zurückziehen. Die Bundesregierung sagt, die Bevölkerung drüben habe ein eigenes Staatsbewußtsein. Hier verwechselt sie fundamentale Dinge. Ein berechtigter Stolz auf die eigene Leistung, auch auf die sportlichen Leistungen - ich freue micht genauso darüber wie die Bevölkerung in der DDR -, ist noch nicht mit einer Zustimmung zum dortigen Regime zu verwechseln. ({15}) Die Konzeption der Bundesregierung wird durch eine einzige Frage ad absurdum geführt: Wenn die Bevölkerung drüben an der Seite ihres Regimes steht und ein eigenes Staatsbewußtsein entwickelt hat, wieso braucht es denn dann Mauer, Stacheldraht, Minenfelder und Schüsse? ({16}) Das ist doch eine deutliche Demonstration dafür, daß diese Bevölkerung drüben eben nicht ihren Frieden mit dem Regime drüben gemacht hat. Wir sind im übrigen der Meinung, daß die Bevölkerung in der DDR in der Zwischenzeit nicht zu Kommunisten geworden ist; das Gegenteil ist der Fall. Auch der massive Propagandadruck, auf mitteldeutsch die sogenannte „Rotlichtbestrahlung", hat die Menschen nicht zu gläubigen Kommunisten gemacht. Die Menschen in Deutschland sprechen nach wie vor die gleiche Sprache. Ich rede hier nicht von der Funktionärssprache; sie ist nicht sehr maßgeblich. Zumal die Jugend in der DDR ist mit Sicherheit nicht marxistisch. Sie ist viel weniger marxistisch als einige Gruppen hier in der Bundesrepublik Deutschland. ({17}) Die Jugend in der DDR, die einen sehr guten Eindruck auf jeden macht, der die Gelegenheit hat, mit ihr zusammenzukommen, ist in ihrer überwältigenden Mehrheit freiheitlich, westlich eingestellt. Das zeigt sich nicht zuletzt auch in ihrer äußeren Darstellung, in ihren Interessen, in ihrem Geschmack, in ihren Ansichten. Nichts davon ist sowjetisch. Meine Damen und Herren, es wäre eine Überlegung wert und ein Punkt für die Gemeinsamkeit, etwas auszuarbeiten etwa in der Form eines Jugendaustauschprogramms, das die junge Generation in Deutschland einander näherbringt. ({18}) Man könnte natürlich auch noch, um das gleichsam als Floskel zu sagen, an einen Austausch derart denken, daß diejenigen, die bei uns das sozialistische Paradies herbeisehnen, die Gelegenheit erhalten, nach drüben zu gehen, und wir hier einer gleichen Anzahl von solchen, die vom sozialistischen Paradies die Nase voll haben, die Möglichkeit geben, zu uns zu kommen. ({19}) Meine Damen und Herren, man mag vom Deutschen Fernsehen denken, was man will. Ein Gutes hat es: Es ist gleichzeitig das Fernsehen der DDR; denn die Bevölkerung der DDR informiert sich zu 90 °/o aus dem Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland. Hier liegt ebenfalls eine wichtige gemeinsame Aufgabe: in der Programmgestaltung des Fernsehens stärker die Belange der DDR-Bevölkerung zu berücksichtigen. Es kommt hier - zumindest liest man das - teilweise zu merkwürdigen Entwicklungen. Das Deutsche Fernsehen kann einen bestimmten Teil im Südosten der DDR nicht erreichen. Gleichzeitig ist dort eine zunehmende Abwanderung der Arbeitskräfte in Gebiete der DDR festzustellen, in denen man das Deutsche Fernsehen empfangen kann. Vielleicht sollten wir einen Beitrag für die Stärkung der Wirtschaftsstruktur der DDR in ihrem vernachlässigten Südosten dadurch leisten, daß wir die technischen Voraussetzungen schaffen, damit dort das Westdeutsche Fernsehen besser erreicht werden kann. ({20}) Meine Damen und Herren, eine weitere gemeinsame Aufgabe in diesem Zusammenhang! Untersuchungen haben ergeben, daß die junge Generation der DDR über die Bundesrepublik ungleich besser informiert ist als umgekehrt. ({21}) Es ist bei uns festgestellt worden, daß bei den 14-bis 17jährigen in der Bundesrepublik Deutschland wieder ein verstärktes Interesse an den Fragen der deutschen Einheit und Gesamtdeutschlands aufkommt. Ich finde, es ist eine Aufgabe der Bundesregierung, besonders aber des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen, in Zusammenarbeit mit den Länderregierungen zu erreichen - dabei wollen wir gern unseren Beitrag leisten -, daß im Unterricht für die junge Generation in der Bundesrepublik Deutschland Themen wie „Die deutsche Nation", „Die Wiedervereinigung Deutschlands", „Die Menschenrechte" und „Die Stellung und Aufgabe Berlins in Deutschland und in der Welt" wieder den Platz erhalten, der ihnen von Verfassungs wegen zukommt. ({22}) Auch hierin liegt ein Angebot für eine gemeinsame Politik. Eines der Hauptziele unserer Politik - ein Redner wird das nachher noch vertiefen - und ihr moralischer Hintergrund für uns ist die Realisierung der Menschenrechte. Hier soll in erster Linie von den Menschenrechten in Deutschland die Rede sein. Die Menschenrechte werden in Deutschland laufend verletzt. Die Aufzählung eingangs ist gleichzeitig eine Aufzählung der Verletzungen gegen den ganzen Katalog der Menschenrechte. Die Selbstverbrennung des Pfarrers Brüsewitz in Zeitz war zweifellos kein Zeichen für eine neu eingeführte Gewissens-, Meinungs- und Religionsfreiheit in Mitteldeutschland. Ich möchte auch an das Thema der Zwangsadoptionen erinnern. Die Bundesregierung hat durch ihren zuständigen Minister bis vor kurzem behauptet, solche Zwangsadoptionen gäbe es überhaupt nicht. Dafür sind zweierlei Motive denkbar. Entweder der zuständige Minister kennt die Vorgänge tatsächlich nicht - was nicht neu wäre -, oder aber er will sie beschönigen, weil sie nicht zu den Erfolgsmeldungen der Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung passen; auch das wäre nicht neu. Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich hinweisen auf die sehr verdienstvolle Dokumentation der Gesellschaft für Menschenrechte gerade zu diesem Komplex; dort erhalten Sie die Einzelheiten darüber. Ich finde es bezeichnend - angesichts der Untätigkeit der Bundesregierung braucht man sich darüber nicht zu wundern -, daß fünf deutsche Elternpaare in diesen Tagen einen Brief an den US-Präsidenten Carter gerichtet haben, in dem sie ihm schreiben: „Bitte, helfen Sie uns, Herr Carter, damit wir unsere Kinder, auf die wir nun schon so viele Jahre umsonst warten, schnell wiederbekommen." Hier liegt eine wichtige Aufgabe der Bundesregierung. Wir sind bereit, auch auf diesem Gebiet die Bundesregierung zu unterstützen. Es gibt eine ganze Reihe von Wegen, die hier gangbar sind. Die UNO gibt solche Möglichkeiten; davon haben wir schon oft gesprochen. Die Bundesregierung hat bisher alle entsprechenden Anträge von uns über Jahre hinweg abgelehnt. Es gibt den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte. Eine Geltendmachung der Menschenrechte in Deutschland auf der Grundlage dieses Paktes bedeutet keine Einmischung in die inneren AngelegenDr. Abelein heiten, sondern das Festhalten eines Vertragspartners an den vertraglichen Pflichten. ({23}) Wir sind der Meinung, daß man sich in Belgrad auch über die Situation der Menschenrechte im geteilten Deutschland unterhalten muß. Wir wollen eine Dokumentation. Wir wollen gar keine laut vorgebrachten Anklagen oder ein Tribunal. Wir wollen nur, daß diese Dinge zur Sprache gebracht werden. Über die Form der Präsentation lassen wir dann auch mit uns reden. Aber ein Verschweigen der Situation der Menschenrechte halten wir jedenfalls für die ungeeignete Form. ({24}) Meine Damen und Herren, vor kurzem hatten wir die Gelegenheit, uns in Bonn mit zwei Persönlichkeiten der Bürgerrechtsbewegung aus der Sowjetunion zu unterhalten, nämlich mit Bukowski und Amalrik. Wenn ich mir vor Augen halte, wie diese beiden kleinen, fast schmächtigen Männer unter dem Einsatz von Leib und Leben der großen Sowietunion getrotzt haben, dann beginne ich mich zu schämen, wenn die Regierung eines so bedeutenden und starken Landes wie der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Menschenrechte nicht mehr unternimmt. ({25}) Eine der stereotypen Formeln im autogenen Training der Deutschlandpolitik dieser Regierungskoalition lautet, Handel und Wirtschaft taugten nicht als politisches Druckmittel gegenüber der DDR. Es war eine der schlimmsten Fehlleistungen Ihrer Politik, daß Sie Ihre wirtschaftlichen Hilfen und Zahlungen von der übrigen Politik abgekoppelt haben; ({26}) denn diese Abkopplung hat es dem DDR-Regime ermöglicht - und zwar ganz im Sinne der DDR, die ja immer dafür ist -, nach Belieben mit der Bundesrepublik Deutschland umzuspringen. Ich halte es auch nicht für sehr politisch und für sehr klug, wenn die Bundesregierung immer sagt, wirtschaftliche Maßnahmen würden von vornherein ausscheiden; denn damit gäben Sie der Regierung der DDR einen Freibrief für künftige Vertragsverletzungen und Erpressungen. ({27}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wenigstens in zwei, drei Sätzen anführen, worum es hier geht. Durch die im übrigen völlig zweckentfremdeten Swingregelungen hat die DDR einen zinslosen Dauerkredit in Höhe von 850 Millionen DM erhalten, mit einer zig Millionen DM betragenden Zinsersparnis jedes Jahr. Die Bundesregierung hat einen Kreditgarantieplafonds von 2,25 Milliarden DM geschaffen, der eine besonders cünstige Kreditfinanzierung von Lieferungren in die DDR ermöglicht. Wir haben Umsatzsteuervergünstigungen Geschaffen. Ich erinnere im Vorbeigrehen nur an den hohen Wert der EG-Präferenzen von hundert Millionen, die ja keineswegs unumstritten sind. Ich möchte diese Dinge gar nicht in Frage stellen, sondern, und zwar gemeinsam mit Ihnen, nur einen inneren Zusammenhang zwischen Politik und Wirtschaft wiederherstellen. ({28}) Wir sind nicht der Meinung, daß die Bundesregierung gegenüber der DDR lautstark Drohungen ausstoßen und wirtschaftliche und finanzielle Repressalien androhen sollte. Wir sind jedoch - sehr nachdrücklich - der Ansicht, daß es nicht länger angeht, eine Politik der kontinuierlichen Vertragsverletzungen, der Abgrenzung und der Unfreundlichkeiten auch noch mit finanziellen Geschenken zu honorieren. ({29}) Es ist im übrigen nicht nur eine Frage der politischen Klugheit, sondern auch eine solche der Würde einer Regierung, daß sie nicht ständig ohne jegliche Reaktion Nackenschläge von seiten der DDR einsteckt. Ich komme zum Schluß meiner Ausführungen. Welches sind denn die Ansätze einer gemeinsamen Politik? Wir sind sehr für Gemeinsamkeiten. Wir sind auch gerne bereit, mit der Bundesregierung neue Ansätze für eine Deutschlandpolitik zu finden, die aus dieser Sackgasse herausführt. Wir sind auch bereit, in der einen oder anderen Frage einen Kompromiß einzugehen. Wir beobachten in diesem Zusammenhang mit großer Aufmerksamkeit Entwicklungen in der Koalition: ein Verharren in unbelehrbarer Konzessionsbereitschaft auf der einen Seite - ich denke etwa an das ,,Stern"-Interview Wehners - und Ansätze zu einer realistischen Haltung auf der anderen Seite, die Möglichkeiten für Gemeinsamkeiten ergeben können. Der Rahmen für eine Politik der Gemeinsamkeit ist im übrigen klar gezogen; er ist für uns alle verbindlich. Er liegt in dem gemeinsam gefaßten Beschluß des deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972, in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Grundlagenvertrag und im Brief zur deutschen Einheit. Daraus ergibt sich - in Kernsätzen -: Es gibt immer noch Gesamtdeutschland mit einem einheitheitlichen Staatsvolk. Diesen Staat Gesamtdeutschland wieder handlungsfähig zu machen, ist das Ziel unserer Deutschlandpolitik. Berlin gehört zur Bundesrepublik Deutschland; es ist die Hauptstadt der deutschen Nation und demnächst irgendwann einmal wieder des deutschen Staatsvolkes. Nicht zur Disposition gestellt werden darf - und das sollte auch nicht leichtfertig in Diskussionen geschehen - die eine einzige deutsche Staatsangehörigkeit für alle Deutschen. Grenzfragen lassen sich erst von einer von der Bevölkerung eines wiedervereinigten Deutschlands frei gewählten Regierung regeln. Meine Damen und Herren, die deutsche Frage ist für uns nach wie vor offen. Sie weiter offenzuhalten, damit das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine staatliche Einheit wiedererlangt, ist unsere gemeinsame Aufgabe, die gemeinsame Aufgabe aller politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. ({30})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe noch folgenden Tagesordnungspunkt auf: Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - Drucksache 8/238 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({0}) Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß Ich verbinde die Beratung dieses Punktes mit dem schon aufgerufenen Tagesordnungspunkt: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Deutschlandpolitik. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreutzmann.

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer Gelegenheit hat, mit Deutschen zu sprechen, die im anderen deutschen Staat leben, wird immer wieder den Vorwurf hören, daß ihnen die Härte, mit der bei uns Auseinandersetzungen um die Deutschlandpolitik geführt werden, unverständlich ist. Die Gegensätze, um die gerungen wird, kommen ihnen vielfach konstruiert vor. Man äußert, daß den streitenden Parteien das Schicksal der Menschen in der DDR im Grunde genommen gleichgültig sei, daß ihnen die Auseinandersetzungen nur als ein Instrument des innenpolitischen Machtkampfes in der Bundesrepublik dienten, als ein Mittel zur parteipolitischen Profilierung. ({0}) - Das werden Sie in Gesprächen mit Bürgern der DDR, von Deutschen aus der Bundesrepublik, die in der DDR tätig sind, immer wieder hören. Das haben wir in Berlin in einem ausführlichen Gespräch feststellen können, an dem auch Herren Ihrer Fraktion beteiligt gewesen sind. ({1}) Sicherlich mag dieses Urteil von der Tatsache bestimmt sein, daß man dort drüben von einer Diktatur in die andere geraten ist und manchen Erscheinungsformen der Demokratie noch verhältnismäßig unerfahren gegenübersteht. Die Frage, die wir uns in diesem Parlament vorlegen müssen, ist, ob an diesem Vorwurf etwas Wahres dran ist. Um die Frage können wir uns auch bei der Auseinandersetzung um die Große Anfrage der Opposition zur Deutschlandpolitik nicht herumdrücken. Diese Große Anfrage ist nicht der Ansatz zu einem Weg der Verständigung zwischen Regierung und Opposition. Sie ist, wie eine Zeitung bei ihrer Bewertung schrieb, nichts anderes als eine Addition der vielen Vorstöße, die die Opposition in den Fragestunden und in Kleinen Anfragen unternommen hat. ({2}) Sie ist bei aller Anerkennung einer gewissen Sachlichkeit im Grunde genommen nichts anderes als der Versuch, der Regierung eine Negativbilanz in der Deutschlandpolitik zu unterschieben. Der Schluß, der daraus gezogen werden soll, ist der, daß unter allen Umständen, um jeden Preis eine härtere Gangart gegenüber der DDR einfach unerläßlich sei. Ansätze zu einer konstruktiven Weiterentwicklung der Deutschlandpolitik sind von dieser Anfrage so wenig wie aus den Ausführungen meines Vorredners zu entnehmen. Im Gegenteil: Hätte sich die Bundesregierung auf den von der Opposition vorgezeichneten Weg locken lassen, so wäre eine stärkere Vereisung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten die unvermeidliche Folge gewesen. Das kann man, wie viele von Ihnen das tun, mit einer Handbewegung beiseite schieben. Eine solche Feststellung kann man auch damit abtun, daß man Koalition und Regierung eine Geisteshaltung unterstellt, die von angeblicher Knieweichheit und mangelndem Mut gekennzeichnet sein soll, wie wir das gehört haben. Die großen Katastrophen der deutschen Geschichte aber sind nie aus mangelndem Mut zum Handeln entstanden; sie kamen immer, weil wir unsere Kraft und unsere Möglichkeiten gewaltig überschätzt haben. ({3}) Nirgendwo aber ist Nüchternheit in der Einschätzung der Möglichkeiten so angebracht wie in der Deutschlandpolitik. Dabei ist die Bundesregierung in einer keineswegs einfachen Lage. Sie kann nicht alles sagen, was sie weiß, sie kann nicht argumentieren wie eine Opposition, die ja nicht für die Politik der Bundesrepublik als Staat verantwortlich gemacht wird. Sie muß in erster Linie daran denken, welche Folgen ihre Aussagen ({4}) - darauf komme ich zurück, Herr Mertes; gerade dazu werde ich noch einiges zu sagen haben - für die Stellung der Bundesrepublik im Lager ihrer Verbündeten haben, aber auch für die Menschen im anderen deutschen Staat, nicht zuletzt für die Sicherung und Fortsetzung der Politik der Entspannung in Europa und in der übrigen Welt. Der Kollege Mertes hat neulich in einem Vortrag die Aufgabe der Opposition dahin gehend umrissen, daß es ihre Pflicht sei, die legitimen nationalen Interessen des besiegten und geteilten deutschen Volkes in Parlament und Öffentlichkeit besonders deutlich, wenn notwendig, sogar schrill zu artikulieren. Er fährt weiter fort: Eine klug beratene Regierung wird diese unerläßliche Aufgabe der Opposition in ihren Verhandlungen mit den Siegerstaaten nutzen. Das mag manchem als richtig und gut erscheinen. Die Haltung der Opposition kann allerdings für die Regierung nur dann von Nutzen sein, wenn die Opposition die Grenzen des Möglichen erkennt und bereit ist, auch die Position der Regierung sachlich zu prüfen und zu würdigen. Eine Oppositionsstrategie in den nationalen Fragen, die von dem Bestreben gekennzeichnet ist, wie wir es auch jetzt wieder bei Herrn Abelein gehört haben, die Regierung auseinanderzudividieren, indem man einzelne Minister als verfassungstreu und problembewußt darstellt und andere nicht, läßt Absichten vermuten, die verstimmen. Gerade das sind aber die Praktiken, die die Kritik der Menschen im anderen Deutschland auslösen, hier gehe es um handfeste Parteipolitik und nicht um die Interessen der Nation, die nur vorgeschoben würden. Wer die Antworten der Bundesregierung liest, der wird zu dem Ergebnis kommen, daß sie sich um eine ausgewogene Vertretung der Interessen der Nation bemüht hat. Sie hat, was ihr leicht möglich gewesen wäre, nicht Fehler, Versäumnisse deutscher Politik vor 1966 aufgezählt, sie hat eine nüchterne Wertung der Tatbestände vorgenommen. Sie hat nicht nur die positiven Entwicklungen der letzten Jahre herausgestellt, sie hat auch Rückschläge und negative Erscheinungen angesprochen und beim Namen genannt. ({5}) Sie hat damit eine objektive Meinungsbildung ermöglicht, eine objektivere, als sie bei Ihnen üblich ist, die weit entfernt ist von einer billigen Schwarzweißmalerei. Sie hat damit gesagt, was gesagt werden mußte. Sie hat sich aber auch nicht auf das Glatteis locken lassen, mit Drohungen und wütenden Anklagen das zu verschütten, was an wirklichen Fortschritten erreicht worden ist. ({6}) Für den Kollegen Abelein ist diese Gegenüberstellung der Erfolge und Mißerfolge eine eindeutig negative Bilanz. Für ihn ist die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten seit 1969 nicht durchlässiger,_ sondern dichter geworden. Ich frage mich, wie oft er eigentlich an dieser Grenze gewesen ist, um zu solchen Feststellungen zu kommen. Die sicherlich nicht als eine jubelnde Beifallsspenderin der Ostpolitik der Bundesregierung einzuschätzende „Neue Zürcher Zeitung" steht in ihrer Ausgabe vom 7. April dieses Jahres auf einem ganz anderen Standpunkt. Sie schreibt - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -: Trotz ihrer Beteuerungen eines realistischen Deutschlandbildes weigert sich die Opposition, die bisher erzielten Erleichterungen im Reiseverkehr und in der Familienzusammenführung als wesentliche Erfolge zu werten, während die Regierung eher ängstlich jedes Risiko meidet. Ich meine, der Regierung bleibt schließlich auch keine andere Einschätzung der politischen Lage übrig als die, die sie vorgenommen hat. Schließlich sollte es ja auch der Opposition bekannt sein, daß es nicht nur die Existenzangst der DDR-Regierung gegenüber dem ständig gewachsenen Selbstbewußtsein der Bevölkerung ist. Die Bundesregierung weiß, daß die DDR auch mit dem Mißtrauen und der Kritik der Sowjetunion zu rechnen hat, wenn sie glaubt, sich in der Deutschland- oder Berlin-Politik allzuviele eigene Wege erlauben zu können. Solange man aber in Moslkau nicht vollkommen über die Politik Carters im klaren ist, wird man dort bemüht sein, nicht allzuviel in Bewegung zu bringen oder den Spielraum für Zugeständnisse zu erweitern. Die DDR-Regierung wird diese Überlegungen nicht nur, weil sie etwa ein willenloser Satellit wäre, in ihre Politik mit einkalkulieren, sie ist sich ihres eigenen Gewichtes im östlichen Lager voll bewußt. Sie weiß aber auch nur allzu gut, daß sie in ihrer exponierten Stellung für die Sicherung ihrer Stabilität die Unterstützung der Sowjetunion braucht. Wer hier meint, wie der Kollege Abelein in seiner Presseerklärung vom 26. April, mit kategorischen Imperativen der DDR eine totale Änderung ihrer Politik aufzwingen zu können, überschätzt die eigenen Trümpfe. Er verkennt die Rücksichtslosigkeit, mit der Regierungen wie die der DDR politische Ziele und Vorstellungen gegenüber den Interessen der Bevölkerung durchzusetzen pflegen. Schließlich sind von uns alle Maßnahmen und Vorstellungen daran zu prüfen, welche Auswirkungen sie auch für ,die Menschen in der DDR bringen. Es ist leichter - das möchte ich bei allem Respekt vor der mutigen Haltung des amerikanischen Präsidenten in der Frage der Menschenrechte sagen, Herr Abelein - von den Vereinigten Staaten her solche Maxime gegenüber der Sowjetunion zu verkünden, Männer wie Bukowski und Amalrik zu empfangen, als dies vom Boden der Bundesrepublik aus zu tun. Sie können dem entgegenhalten, daß wir Verträge und die Abmachungen von Helsinki haben, und darauf haben Sie auch hingewiesen. Das klingt allerdings, Herr Abelein, als Argumentation aus dem Munde einer Opposition nicht sehr überzeugend, die sich in ihrer Beurteilung der Verträge immer wieder auf - natürlich auch von uns mitgetragene - gemeinsame Entschließungen, Briefe und Urteile des Bundesverfassungsgerichts bezieht, dabei aber so tut, als existierten die Vertragstexte überhaupt nicht, sondern wären bestenfalls von sekundärer Bedeutung. ({7}) Die Beantwortung der Großen Anfrage weist deutlich aus, daß die Bundesregierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, den Brief zur deutschen Einheit und die gemeinsame Entschließung des Bundestages nicht als ein Stück Papier betrachtet. Aber Ausgangspunkt für ihre Politik sind zunächst einmal die Verträge, die sie unterzeichnet hat. Daß sie nach dem Buchstaben und nach dem Geist erfüllt werden - von beiden Seiten erfüllt werden -, ist die wesentliche Prämisse ihrer Politik.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kreutzmann, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß die Führungen dieser Fraktion und der beiden christlich-demokratischen Parteien ausdrücklich die Geltung der geschlossenen Verträge anerkannt Dr. Mertes ({0}) und darauf hingewiesen haben, daß sie wegen ihrer Mehrdeutigkeit richtig ausgelegt werden müssen? ({1})

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mertes, gerade bei den Punktationen, die Sie vor einigen Tagen über Ihre Vorstellungen zur Deutschlandpolitik veröffentlicht haben, haben Sie ausschließlich auf den Brief zur deutschen Einheit und auf die gemeinsamen Entschließungen Bezug genommen; von den Verträgen steht so gut wie kein Wort darin. ({0}) - Ich habe es sehr genau gelesen! Die Opposition behauptet, diese Verträge seien vielfach unklar in ihren Texten und eröffneten kautschukartigen Auslegungen Tür und Tor. Der Begriff „kautschukartige Auslegung" hat ja seinerzeit auch bei den Debatten über den Generalvertrag 1952 hier im Bundestag eine Rolle gespielt, und damals hat, als man gegen die damalige Regierung den gleichen Vorwurf erhob, Konrad Adenauer erklärt, die Verträge hätten über tausend Paragraphen, bei einem solch schwierigen Werk könne nicht alles völlig klar sein, und nicht jeder Paragraph werde dem gewachsen sein, was sich im Laufe der Zeit noch ereignen werde. Ich glaube, das sollten Sie sich bei der Betrachtung dieses Themas auch einmal mit zu Gemüte führen. ({1}) - Ja, es ist, wenn es von Herrn Adenauer kommt, immer ganz anderes als dann, wenn es von dieser Bundesregierung kommt; ({2}) das sind wir von Ihnen ja gewohnt, Herr Mertes. ({3}) Vizeoräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Herr Abgeordneter Kreutzmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude?

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kreutzmann, könnten Sie vielleicht so gut sein, Herrn Kollegen Mertes zur Unterstützung Ihrer Auffassung auch noch in Erinnerung zu rufen, daß es in den in Düsseldorf im März beschlossenen Grundlinien der CDU ausschließlich heißt: Grundlage dieser Politik sind das Grundgesetz, der Deutschland-Vertrag ..., - ich lasse jetzt die Daten weg die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. 5. 1972 zu den Ostverträgen, die Briefe der Bundesregierung zur deutschen Einheit und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts .. . Es folgen wiederum zwei Daten. - Dort ist also von Verträgen mit keinem Wort die Rede.

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, Herr Kollege, das unterstreicht das, was ich vorhin gesagt habe. Ich bin Ihnen für den Hinweis dankbar. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Kreutzmann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Czaja?

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich möchte jetzt langsam mit meinen Ausführungen weiter vorankommen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Auch dafür habe ich durchaus Verständnis. Es ist Ihr Recht, das zu sagen. Wollen Sie die jetzt angemeldete Zwischenfrage noch zulassen?

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Czaja, ich bedaure. - Bitte!

Dr. Heinz Kreutzmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn der Kollege Mertes - darauf möchte ich gleichzeitig hinweisen - erklärt hat, man müsse beim Abschluß von Verträgen mehr Sachverstand zu Wort kommen lassen, ({0}) möchte ich dazu sagen, daß diese Verträge - und das wissen wir doch aus den Sitzungen der zuständigen Ausschüsse - von den zuständigen Fachabteilungen des Auswärtigen Amtes, von den besten Völkerrechtlern der Bundesrepublik bis in ihre Einzelheiten abgeklopft worden sind. Da waren auch Sie dabei. ({1}) Diese Verträge haben schließlich das an menschlichen Erleichterungen gebracht, was zu erreichen war. Daraus, daß es sich dort drüben um eine andere politische Welt und um ein anderes gesellschaftliches System handelt, das die Verträge aus einem anderen Winkel als westliche Staaten sieht, kann niemand die Feststellung ableiten, es wäre mehr und Besseres zu erreichen gewesen. Acht Millionen Besucher in der DDR in einem einzigen Jahr, die fast alle mit eigenem Fahrzeug kommen, sind eine ständige Belastungsprobe für das Regime. Die Familienzusammenführung von Tausenden und die Freilassung von Tausenden politischer Häftlinge sind eine immerwährende Bewährungsprobe. Das Abkommen von Helsinki - das die Opposition ja abgelehnt hat, während sie heute manchmal so tut, als habe sie es erfunden, und dessen Ratifizierung sie mit allen Mitteln zu verhindern suchte - hat mit seinen Absichtserklärungen Hoffnungen und Selbstbewußtsein der Menschen in der DDR in einem Ausmaß geweckt, das zu einer harten Belastungsprobe für die dortige Regierung geworden ist. Sie versucht daher, einer von ihr als lebensgefährlich empfundenen Entwicklung gegenzusteuern. Das tut sie oft in einer Art, die uns unerträglich erscheint und den Wunsch nach harten Reaktionen heraufbeschwört. Aber wer zu wirtschaftlichen Sanktionen rät, weil ihm die DDR gerade auf diesem Gebiet als höchst anfällig erscheint, der sollte immer daran denken, daß man damit nicht nur das Regime, sondern auch die Menschen drüben trifft. Er sollte sich die Außenhandelsstatistik der DDR ansehen: Zwar hat von 1963 bis 1976 der Interzonenhandel um etwa 40 % zugenommen. Aber in der Skala der Wertigkeit der Handelsverbindungen mit dem Westen ist die Bundesrepublik um 2 Prozentpunkte zurückgefallen. Das macht deutlich, daß unsere westlichen Verbündeten zum größten Teil jederzeit bereit sind, einzuspringen, wenn wir mit Handelssperren oder ähnlichen Maßnahmen die DDR unter Druck zu setzen versuchen. Wir sollten bei diesem Thema nie vergessen, was uns Versuche, den Interzonenhandel als Waffe einzusetzen, gebracht haben. Wir sollten nicht vergessen, wie sehr die Verhängung von Handelsembargos - wie der Röhrenaffäre - im Endeffekt ein Schuß nach hinten war. Wir sollten vor allem -nicht vergessen, daß Regierungen des östlichen Lagers noch nie einen Augenblick gezögert haben, bei der Androhung wirtschaftlicher Gegenmaßnahmen zu erklären, man werde der politischen Entscheidung vor ökonomischen Gesichtspunkten den Vorrang einräumen. Ich vergesse nie, wie bei einem Besuch deutscher Parlamentarier in Rumänien auf die Berner-kung, die Haltung der rumänischen Regierung in der Frage der Familienzusammenführung könne Auswirkungen auf das Klima der deutsch-rumänischen Wirtschaftsbeziehungen haben, ein Spitzenpolitiker des dortigen Regimes antwortete: Wir haben in unserer Geschichte schon so viele Versuche der Bedrückung und Unterdrückung erlebt; glauben Sie, wir ließen uns irgendwelche Anliegen von außen aufnötigen? Hier zählt nicht die Illusion, in dieser Hinsicht habe sich in der Zwischenzeit viel gewandelt, so daß wirtschaftliche Momente heute auch die Regierungen in Osteuropa zu Konzessionen zwingen könnten. Wenn man sieht, wie manche von ihnen die Einfuhr rigoros drosseln, um aus dem Leim gegangene Handelsbilanzen ins Gleichgewicht zu bringen, wird man nüchterner urteilen, als es weithin geschieht. Sicher ist es viel einfacher und vielleicht auch wahlwirksamer, mit schneidigen Parolen und harten Anklagen Deutschlandpolitik zu machen, als sich in Geduld zu üben. Das wirkliche Bewegen der Dinge im positiven Sinn ist wesentlich schwerer und weniger spektakulär - nicht zuletzt deshalb, weil das Regime drüben in jeder weiteren Begegnung und in jeder weiteren Familienzusammenführung einen Ansatz dafür sehen muß, daß es ins Rutschen kommt. Wir können also von der Bundesrepublik aus die Machtverhältnisse in der Welt nicht verschieben. Wir können nur das Unsere dazu tun, daß wir nicht zu ihren Opfern zählen. Dazu gehört, daß wir unsere Bündnisverpflichtungen zum Westen hin ausbauen. In diesen Tagen und Wochen sind durch die Haltung des amerikanischen Präsidenten neue Hoffnungen geweckt worden, daß man Unrecht als Unrecht anprangern will. Die KSZE hat die Idee der Menschenrechte nicht als bloßen Ersatz für Politik oder als bloße Deklamation interpretiert. Wir Sozialdemokraten haben das Wort „Menschenrecht" nie als eine Leerformel betrachtet. Diese Partei ist einst als ein Instrument im Kampf um fundamentale Menschenrechte ins Leben gerufen worden. ({2}) Ihr ganzer politischer Weg war von diesem Kampf um die Menschenrechte getragen. Es entspricht auch der Tradition dieser Partei, daß sie das Ringen um die Menschenrechte nicht nur als Aufgabe im nationalen Bereich, sondern stets auch als eine internationale Verpflichtung betrachtet hat. Aber eine Partei, die den Frieden ehrlich will, kann im Ringen um die Menschenrechte immer nur in erster Linie eine moralische Aufgabe sehen. Der Kampf um die Menschenrechte ist ein Instrument der Hilfe für den einzelnen Menschen. Er darf nicht als Instrument von politischen Umstürzen und als Instrument des Unfriedens mißbraucht werden. ({3}) Man kann sich nicht auf die Schlußakte von Helsinki berufen, die die Einmischung in die inneren Verhältnisse anderer Staaten untersagt, und andererseits die Absichtserklärungen über Menschenrechte dazu benutzen, gewaltsame Änderungen in den Staats- und Gesellschaftssystemen anderer erreichen zu wollen. Helsinki stellt keinen revolutionären Aufruf dar. Es will die Vermenschlichung in den Staaten schrittweise erreichen. Es will keine Kreuzzüge gegeneinander. Es hat mit seinen Prämissen Hoffnungen erweckt und Menschen innerlich engagiert. Es kommt darauf an, diese Hoffnungen für die Menschheit in die richtigen Bahnen zu lenken. Vergessen wir nicht: keiner der Aufstände in Osteuropa hat zu einem Umsturz der dortigen gesellschaftlichen Ordnung geführt. Nichts wäre darum falscher, als wenn wir, ausgehend von dem, was wir in Helsinki erreicht haben und durchsetzen konnten, die Vorstellung erweckten, als ob diese Deklaration von hohem moralischen Wert der Weg zu einer Wandlung von Verhältnissen und Gesellschaftssystemen sei. Was Helsinki versprochen hat, sind nicht mehr Menschenrechte gegen Staaten, sondern mehr Menschenrechte in den Staaten. ({4}) Ich glaube, darin liegt ein Unterschied gegenüber dem, was die Opposition oft aus diesen Deklarationen zu machen versucht hat. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage kann daher nicht anders lauten, als sie lautet. Sie kann vor allem nicht einen Weg zu einer neuen Ostpolitik und Deutschlandpolitik darstellen, weil es in den eng gezogenen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland an der Nahtlinie zweier Weltmachtblöcke keine andere Politik geben kann als das zähe Ringen um die Fortsetzung einer Politik der Entspannung. Auch eine Politik der Opposition in der Regierung könnte nicht anders aussehen. Das beweist nicht nur die Politik der CDU/CSU in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung, ihre Reaktion nach der Errichtung der Mauer, ihre Politik auf dem Gebiet des Interzonenhandels und manches mehr. Das beweisen auch Aussagen, die der Oppositionsvorsitzende bei Reisen in den osteuropäischen Bereich gemacht hat. Das hat jüngst wieder der Kollege Mertes in seinem Vortrag unterstrichen. Wer wie der Kollege Mertes die Wahrung des Gleichgewichtes der Macht als Grundlage deutscher Außenpolitik fordert, wer einen Ausgleich mit den östlichen Nachbarn auf der Grundlage übereinstimmender Interessen verlangt, wer einen begrenzten Interessenausgleich mit der Sowjetunion für zwingend notwendig hält, der kann das zwar mit einigen Arabesken versehen, mit denen er gleichgewichtigere Leistungen, eindeutigere Vertragsinhalte und ähnliches fordert - wobei er seine Behauptungen jeweils für jeden Vertrag einzeln belegen muß -, im Prinzip aber kann er keine andere Politik machen, als sie von der Bundesregierung gemacht wird. Sie hat es mit ihrer Politik schließlich erreicht, daß der Versuch gescheitert ist, die Deutschen nicht nur staatlich, sondern auch im menschlichen Bereich voneinander zu trennen. Wenn die Opposition auf der einen Seite, wie das auch vorhin geschehen ist, der Regierung unterstellt, sie sei der Meinung, die Bevölkerung in der DDR stehe bedingungslos auf der Seite des Regimes, aber gleichzeitig darauf hinweist, daß die junge Generation in diesem Lande prowestlich eingestellt sei, dann muß sie sich auch einmal Gedanken über die Ursachen für diese Haltung der jungen Generation machen. Ohne die Politik dieser Regierung, ohne die Öffnung der Tore zu der Vielzahl der Besuche in die DDR hinein wäre diese Haltung der jungen Menschen dort drüben kaum verständlich. ({5}) Denn sie haben ja aus dieser Begegnung heraus sich ihr Bild neu formen können. ({6}) Im übrigen bin ich der Meinung, daß das ganze Problem wesentlich differenzierter zu sehen ist, als es hier mit Vereinfachungen geschieht. Die Kritik an der Bundesregierung ist um so unberechtigter, als sie ja nicht auf den Lorbeeren des Grundvertrages ausgeruht hat. Die vertragliche Basis ist im Gegenteil laufend weiterentwickelt und ausgebaut worden, nicht nur durch eine Kette von Folgevereinbarungen, angefangen vom Gesundheitsabkommen bis hin zur Regelung lokaler Probleme in Berlin und der Vorbereitung weiterer Verkehrsabkommen. Die Ständige Vertretung in Ost-Berlin hat vielen Bundesbürgern Rat und Hilfe gewähren können. Herr Abelein, ich finde es beschämend, wenn Sie dem Leiter dieser Vertretung, der sich weiß Gott um viele Menschen in Not dort drüben verdient gemacht hat, unterstellen, er sei nichts anderes als der Lautsprecher der DDR in der Bundesrepublik. Die Bundesregierung hat in vielen Gesprächen und Verhandlungen immer wieder die Ansichten, Wünsche, Standpunkte und Proteste über die Ständige Vertretung präzisiert und damit einen ständigen direkten Draht zur DDR installiert. Daß es dabei Rückschläge, bittere Enttäuschungen gegeben hat, Probleme der Unmenschlichkeit manche Verbitterung ausgelöst haben, weist die Antwort der Bundesregierung zur Genüge aus. Sie hat sich nicht gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen. Niemand leugnet, daß manche Verhandlungen wegen der Unüberwindlichkeit der gegenseitigen Standpunkte nicht vorangekommen sind. Niemand kann aber bestreiten, daß diese Bundesregierung getan hat, was in ihren Kräften steht. Vor allem hat sie es verstanden - und das kann nicht hoch genug bewertet werden -, das westliche Engagement im Rahmen von EG und NATO für ihre Ost- und Deutschlandpolitik zum Nutzen unseres Landes lebendig zu halten. Hätten an ihrer Stelle andere gestanden mit mehr Forschheit, mit mehr Neigung, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen oder den starken Mann zu spielen, hätten sie sicherlich bald erfahren, was man unseren Verbündeten zumuten kann und was nicht. Wer daran zweifelt, der mag sich einmal die Reden westlicher Staatsmänner auf ihre Substanz hin durchlesen. Man kann dabei auch ermessen, was es bedeutet hat, eine derartige Berlin-Erklärung zustande zu bringen, wie sie auf dem Londoner Gipfel erzielt worden ist. Es ist daher alles andere als den deutschen Interessen dienlich, wenn man versucht, die Bedeutung dieser Erklärung herunterzuspielen, die ja jetzt noch einmal durch die Ausführungen des englischen Außenministers zur Berlin-Frage unterstrichen worden ist. Die Berlin-Erklärung von London ist mit das Ergebnis einer Politik, die nie einen Zweifel daran gelassen hat, welchen Stellenwert sie dieser Stadt in der deutschen Politik beimißt. DDR und Sowjetunion sollen und müssen wissen, daß die Berlin-Politik keine Politik gegen sie ist, sondern eine Politik für die Bürger Berlins, die ohne Hilfe der Bundesrepublik nicht leben können. Eine Politik gegen die Sowjetunion und die DDR käme auch bei der Lage Berlins einem Amoklauf gleich. Wir haben es daher dankbar begrüßt, daß das Viermächteabkommen der Stadt mehr Lebensfähigkeit garantiert hat und daß dieses Abkommen für Berlin funktioniert. Herr Kollege Abelein, wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen, es seien ein paar Reisen mehr nach Berlin möglich geworden, und das vor dem Hintergrund der Tatsache, daß seit Unterzeichnung des Viermächteabkommens 50 Millionen Besucher die Transitwege nach Berlin benutzt haben, dann muß ich sagen, es fehlt bei Ihnen nach meiner Meinung das Gefühl für Proportionen. ({7}) Die Rechte der Besatzungsmächte sind dabei von der Bundesrepublik immer respektiert worden. Das wird auch in Zukunft nicht anders sein. Wir werden das Berlin-Abkommen von unserer Seite immer respektieren und uns am Buchstaben und Inhalt orientieren. Dies sollte ausreichen, um Konflikte zu vermeiden. ({8}) Wir werden uns auch bemühen, das, was zwischen der DDR und der Bundesrepublik an Fragen offen ist, in zähen Verhandlungen weiter auszuräumen, auch wenn man davon ausgehen sollte, daß in der gegenwärtigen Situation keine spektakulären Erfolge zu erwarten sind. Die DDR wird dabei auch ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen. Sie muß sich allerdings auch bewußt sein, daß sich die Bundesregierung nicht über Voten ihrer Verfassungsorgane hinwegsetzen wird und daß auch ihrer finanziellen Macht Grenzen gesetzt sind. Auch die Bundesrepublik kann nur ein begrenztes Maß an Belastungen tragen, ihren Bürgern ein begrenztes Maß zumuten. Sowenig die DDR bereit ist, bis an die Grenze der Selbstaufgabe zu gehen, sowenig kann sie das von der Bundesrepublik verlangen. Aber den Bemühungen, den Frieden zu erhalten und zu sichern, sind Grenzen weder an Phantasie noch an Taten gesetzt. Die Politik zwischen Staaten beruht auf Interessenausgleich. Politik zwischen Staaten beruht auf Kompromissen dort, wo eindeutiger Interessenausgleich nicht möglich ist. Weder der eine deutsche Staat noch der andere kann dem jeweils anderen vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hat. Darum müssen wir immer wieder geduldig miteinander reden. Das ist die Politik, die schwere Politik in dem Deutschland unserer Tage. Niemand, der ehrlich an ihr mitwirken will, kann sich ihren Gesetzen entziehen. ({9})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Deutschlandpolitik ist einer harten Bewährungsprobe ausgesetzt. Ungelöste Fragen, zähflüssige Folgeverhandlungen, aufgeflammter Grundsatzstreit und politischer Schlagabtausch auf höchster Ebene werfen lange Schatten. Und doch ist die Gesamtbilanz der letzten Jahre für die Menschen in beiden deutschen Staaten absolut positiv. Sie ist jedenfalls um vieles besser, als daß man es sich leisten könnte - wie dies Herr Kollege Abelein getan hat -, die Verbesserungen mit einem Halbsatz abzutun. ({0}) Dies gilt insbesondere für alle jene Bereiche, in denen die Zusammengehörigkeit eines Volkes trotz staatlicher Teilung nun wieder praktiziert werden kann. Diese gelebte Gemeinsamkeit wird in ihrer Bedeutung auch nicht dadurch gemindert, daß sich die Begegnungen weitgehend in einer West-Ost- Strömung vollziehen müssen, weil die Freizügigkeit im anderen deutschen Staat doch sehr rationiert ist. Es darf nicht vergessen werden, was tatsächlich in mühevoller Vertragspolitik erreicht worden ist. Der Moskauer Vertrag und das Viermächteabkommen über Berlin, der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, der UNO-Beitritt und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki haben sich mit ihren nationalen und internationalen Aspekten zum Vorteil für die Menschen in unserem geteilten Land ausgewirkt. ({1}) Meine Damen und Herren, Politik soll sich am Interesse der Menschen orientieren. Sie hat es hier in besonders eindrucksvoller Weise getan. Es ist deshalb nicht überraschend, daß die sozialliberale Koalition gerade in der Deutschlandpolitik einen Schwerpunkt ihrer Zusammenarbeit gefunden hat. ({2}) Das bisherige Ergebnis unserer Anstrengungen hat die von Mauer und Stacheldraht zerrissenen Verbindungen wieder neu geknüpft. Es aktiviert jene Zusammenarbeit, die erforderlich ist, um auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Schätzen wir das Erreichte deshalb nicht gering, und lassen wir es uns nicht von denen vermiesen, die jede Vertragspolitik mit Kommunisten rigoros verurteilen und von vornherein für verfehlt halten. ({3}) Auch die Opposition sollte nicht in den Fehler zurückfallen, Kritik nur um der Kritik willen zu üben. ({4}) - Herr Kollege Mertes, Sie sehen aus dieser differenzierten Betrachtung, daß ich Sie mit dem ersten Teil meiner Aussage nicht, jedenfalls nicht voll identifiziert habe. ({5}) Meine Damen und Herren, sicher ist es einfach und deshalb oft verlockend, auf menschenverachtende Handlungen und aggressive Äußerungen der Kommunisten mit aller Schärfe zu reagieren. Man darf sich der Zustimmung der Bevölkerung dabei immer gewiß sein. Und doch haben wir uns alle zu fragen, ob ein solches Verhaltensmuster politisch klug ist. Wer sich den Menschen im kommunistischen Machtbereich wirklich verpflichtet fühlt, muß ihre Interessen voll mit in seine Überlegungen einbeziehen. Wir Freien Demokraten werden alles unterlassen, was die Kommunisten in ihrem Machtbereich stärkt oder auch nur stabilisieren hilft. ({6}) Aber wir werden genauso betont alles vermeiden, was den kommunistischen Regierungen einen billigen Vorwand liefert, der Bevölkerung gewährte Erleichterungen wieder zu entziehen, sie zu gängeln oder einzuschüchtern. ({7})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr, verehrter Herr Kollege Mertes.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hoppe, können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß die ersten Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit kommunistischen Staaten von CDU- geführten Bundesregierungen geschlossen worden sind?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Mertes, deshalb ist ja Ihre heutige Verhaltensweise bei der Durchsetzung praktischer Politik um so unverständlicher. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun stehen die Bemühungen um die Fortsetzung der Vertragspolitik im Augenblick nicht gerade unter einem guten Stern. Die harte Attacke des SED-Chefs auf den Bundeskanzler und die sowjetische Polemik auf die Londoner Erklärung liefern eine schrille Ouvertüre zur Wiederaufnahme des deutsch-deutschen Dialogs und zum bevorstehenden Besuch Breschnews in Bonn. Aber es ist keineswegs sicher, ob mit diesen Dissonanzen eine neue Phase der Politik eingeleitet werden soll oder ob damit nicht vielmehr ein Abschnitt beendet wird, in dem die Kommunisten versuchten, Boden zurückzugewinnen, der in den verschiedenen Verträgen und Vereinbarungen der Vergangenheit aus ihrer Sicht preisgegeben werden mußte. So hat die Sowjetunion, wie mir scheint, in den letzten Monaten ganz offensichtlich den Versuch unternommen, klammheimlich einiges von den Zugeständnissen zurückzuholen, zu denen sie sich in den Jahren von 1969 bis 1972 genötigt sah. Damals litt sie unter den verheerenden internationalen Folgen ihrer militärischen Invasion in der CSSR, verspürte den heißen Atem Maos im Nacken und steckte innenpolitisch in einer akuten Wirtschaftskrise. Dabei begann das Spiel mit dem Viermächteabkommen über Berlin schon bei der Unterzeichnung. Der heutige Auslegungsstreit hat seinen Vorläufer in dem Übersetzungsstreit. (Dr. Mertes [Gerolstein] ({1}) Nach ihren kommentierenden Auslegungen des Viermächteabkommens bei der Unterzeichnung hat die Sowjetunion die Grundlage für ihre Konfliktstrategie beim UNO-Beitritt beider deutscher Staaten in dem Malik-Brief vom 26. Juni 1973 festgelegt. Die Sowjetunion hatte damit ihre Position bezogen und für die Zukunft vorgesorgt. Die Westmächte sind dem stets energisch entgegengetreten. Und doch waren Auseinandersetzungen über die Rechte und Pflichten der Siegermächte in Berlin nicht zu vermeiden. Mit der Verbalnote der Sowjetunion vom 12. Mai 1975 geriet der Meinungsstreit auf den ersten Höhepunkt. Den Westmächten wurden ihre originären Rechte in Berlin bestritten; sie wurden auf das Viermächteabkommen verwiesen. Gleichzeitig wurde versucht, seine Bedeutung wiederum auf die Westsektoren einzuengen. Dies stimmt zwar nicht mit der historischen Wahrheit und der Rechtslage überein, orientiert sich aber konsequent an der sowjetischen Auffassung, daß das Viermächteabkommen eben nur ein Abkommen über West-Berlin ist. Dabei hätte es ohne den Bestand der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Berlin als Ganzes für die Signatarstaaten gar keine Legitimation für das Abkommen gegeben. Die Sowjets haben diese Rechtslage daher bewußt als Ansatz für den Abschluß des Abkommens benutzt. Sie haben damit gleichzeitig aber das Ziel verfolgt, die Westmächte aus ihrer Verantwortung für Gesamtberlin zu drängen und sich selbst unmittelbaren Einfluß auf West-Berlin zu verschaffen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Hoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn es denn sein muß, Herr Präsident. - Bitte sehr!

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Es muß nicht sein, Herr Kollege Hoppe. Es liegt in Ihrem Ermessen.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hoppe, darf ich Sie nach Ihrer zutreffenden Darstellung des sowjetischen Verhaltens daran erinnern, daß die Bundesregierung bei den Beratungen über den Beitritt zu den Vereinten Nationen diesem Hause zugesagt hat, daß auch nach sowjetischer Auffassung die Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen völlig zweifelsfrei gesichert sei?

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist sie nach unserer Rechtsauffassung auch. Wenn Sie mir noch etwas zuhören und mir noch etwas Zeit für meine Ausführungen gestatten, werden Sie sehen, daß ich auf diesen Punkt noch ausführlich zurückkommen werde, Herr Kollege Mertes. Für die öffentlichen Auseinandersetzungen über den Status von Berlin, auf die Sie abheben, hat die sowjetische Seite immer wieder neuen Anlaß gefunden. Da die Westmächte den verbalen Angriffen aber auf der Grundlage einer gesicherten Rechtsauffassung, verehrter Herr Kollege Mertes, stets konsequent begegneten, wich die Sowjetunion nun auf ein anderes Betätigungsfeld aus und ließ in Ost-Berlin Fakten schaffen. Die Beseitigung des Verordnungsblattes für Ost-Berlin, der Verzicht auf die Kontrollpunkte zwischen dem Ostsektor und der DDR und die Einführung der Straßenbenutzungsgebühr, die es für westliche Besucher bisher nur auf den Straßen der DDR gegeben hatte und die es jetzt auch in Ost-Berlin geben sollte - all dies sollte demonstrieren, daß Ost-Berlin ein integraler Bestandteil der DDR sei und nicht unter Viermächteverantwortung stehe. Die Westmächte hatten bereits im Januar festgestellt, daß weder Handlungen noch Erklärungen die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte und damit den Status von GroßBerlin verändern könnten. Aber gleichwohl schienen die Sowjets und die DDR willens, die Demontage am Berlin-Status fortzusetzen. Diese Penetranz war ursächlich für die Londoner Erklärung der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs und der Bundesrepublik. Sie hat die Diskussion mit wünschenswerter Klarheit auf den Inhalt des Viermächteabkommens zurückgeführt. Die deutliche Sprache war angesichts der einseitigen Basteleien am Status der Stadt unvermeidlich geworden. Die heftige Reaktion der Sowjetunion zeugte offenbar vom schlechten Gewissen eines Ertappten. Meine Damen und Herren, so wenig der Rechtsstatus Berlins einseitig verändert werden kann, so wenig erfolgversprechend ist auch der Versuch, den Inhalt des Abkommens selbst im Sinne sowjetischer Machtpolitik einschränkend zu interpretieren. Eine Weltmacht kann das zwar versuchen. Sie kann die Anwendung des Abkommens dadurch sehr einschränken, aber sie schafft damit kein Vertrauen, sondern erzeugt nur Unsicherheit und wird als Partner unglaubwürdig. Erst wenn die strikte Einhaltung und volle Anwendung der getroffenen Vereinbarungen zum bestimmenden Inhalt der praktischen Politik gehören, kann der unmittelbare Nutzen der Übereinkunft in Berlin und für die Beziehung zwischen Ost und West voll wirksam werden. Die Entwicklung in Berlin und der Fortgang der Entspannungspolitik stehen nun einmal in einer untrennbaren Wechselbeziehung. Die Freien Demokraten begrüßen deshalb die Bekundung sowjetischer Politiker, daß Berlin von Spannungen freigehalten werden soll. Wir würden große Befriedigung empfinden, wenn sich auch Ost-Berlin von dieser Auffassung leiten ließe. Schön wäre es, wenn auch die Zitierkunststücke endlich der Vergangenheit angehören würden; denn in dem entscheidenden Punkt des Abkommens ist nun einmal festgelegt, daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden und daß dabei wie bisher darauf zu achten sei, daß Berlin kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist und nicht von ihr regiert werden darf. Dieses Kernstück des Abkommens läßt sich nun einmal nicht beliebig aufspalten. Wer es dennoch tut und sich nur heraussucht, was ihm paßt, verfälscht den Inhalt und muß sich der Manipulation zeihen lassen. Zu den wichtigsten Bindungen Berlins an die Bundesrepublik gehört die Befugnis des Bundes, Berlin nach außen zu vertreten. Verehrter Herr Kollege Mertes, damit bin ich bei Ihrem Thema; ich nehme Bezug auf Ihre Zwischenfrage. ({0}) Das Recht beruht auf den Erklärungen der dafür allein zuständigen drei Westalliierten und ist im Viermächteabkommen noch einmal bestätigt worden. Auch die sowjetische Regierung hat dies in dem Viermächteabkommen über Berlin, soweit nicht Sicherheits- und Statusfragen betroffen sind, ausdrücklich zugestanden und erklärt, daß sie dagegen nichts mehr einwenden werde. Die Umsetzung dieser Regelung in die Praxis scheint der sowjetischen Regierung allerdings immer noch schwerzufallen. Es wäre aber für die beiderseitigen Beziehungen äußerst vorteilhaft und nutzbringend, wenn diese Frage nach dem Besuch Breschnews in Bonn vom Tisch wäre und nicht länger versucht würde, die außenpolitischen Elemente der Bindungen zwischen Berlin ({1}) und der Bundesrepublik Deutschland dadurch zu schmälern, daß mit einem ungerechtfertigt ausgeweiteten Statusvorbehalt die Einbeziehung Berlins in bilaterale Verträge verweigert wird. Jedenfalls spricht nach meiner Einschätzung jetzt einiges dafür, daß sich an diese Auseinandersetzung wieder ein Abschnitt der sachlichen Zusammenarbeit anschließen wird. Die Weltmächte haben nach anfänglichen Kontaktschwierigkeiten jetzt deutlich gemacht, daß sie gewillt sind, die Signale für die internationale Entspannungspolitik wieder auf Grün zu stellen. Diese Klimaveränderung wird auch die Atmosphäre um Berlin günstig beeinflussen. Berlin selbst ist auf die neue Phase der Politik gut vorbereitet. Durch die Umbildung des Senats hat es beste Voraussetzungen dafür geschaffen, daß es sich konstruktiv in den Dialog einschalten kann. ({2}) Wichtig dabei ist, daß dies überall von einer nüchternen Einschätzung der Lage in der geteilten Stadt begleitet wird. Meine Damen und Herren, Berlin ist auch nach dem Viermächteabkommen mit den daraus resultierenden unbestreitbaren Verbesserungen und spürbaren Erleichterungen eben doch kein normaler Platz. Wer dennoch die Normalität beschworen hat und Berlin zu einer Großstadt wie viele andere erklären wollte, darf sich dann auch nicht wundern, wenn es ausgerechnet dort zu ganz normalen und für diese Stadt leider nur schwer zu ertragenden Unternehmensentscheidungen gekommen ist. ({3}) Gerade in den letzten Wochen ist deutlich geworden, daß es immer noch erforderlich ist, Vorbehalte gegen den Industriestandort Berlin abzubauen. Es muß auch künftig für jeden deutlich sein, daß man auf Berlin und die Entwicklung seiner Wirtschaft vertrauen kann. Es ist deshalb erfreulich, daß bei allen Parteien des Deutschen Bundestages die Bereitschaft vorhanden ist, das bestehende Förderungsinstrumentarium angesichts der aktuellen Probleme in dieser Stadt um gezielte Maßnahmen zu ergänzen. Meine Damen und Herren, der Verlust an Arbeitsplätzen, insbesondere der dramatische Rückgang im industriellen Bereich, verlangt ein wirksames Gegenkonzept. Der Senat von Berlin hat seine Vorstellungen in einem Vierzehn-Punkte-Programm zusammengefaßt. Der Bundestag hat in einigen Fällen bereits darauf in erfreulicher Geschlossenheit reagiert und wird dies gewiß auch weiterhin tun. Der Senat von Berlin hat damit den Rückhalt für jene Entscheidungen, die nach übereinstimmender Auffassung von Politik und Wirtschaft an diesem Platz getroffen werden müssen. Die internationalen Rahmenbedingungen, die sich günstig auf die Berlin-Politik auswirken dürften, sollten auch das deutsch-deutsche Verhältnis aus seiner Verkrampfung lösen. Der Schlagabtausch zwischen dem Bundeskanzler und dem SED-Chef mag dann auch mehr befremdend als dirigierend wirken. Er kann aber gleichzeitig auch befreiend gewesen sein. Betrachten wir diese Episode als den Schlußpunkt eines Zwischenspiels, das nicht ohne Härte und Verbissenheit ablief. Die klare Zielansprache des Bundeskanzlers war ein sehr deutscher Beitrag zur Menschenrechtsdiskussion. Im direkten Umgang miteinander ist so etwas manchmal unvermeidlich und muß dann auch ertragen werden können. Wenn sich der SED-Chef allerdings in seiner Replik zu der Gleichung versteigt, die Mauer bedeute Sicherheit und Frieden, dann ist dies sehr entlarvend und bedrükkend zugleich. Der Friedensbegriff wird jedenfalls für mein Verständnis damit in unerträglicher Weise pervertiert. Dabei kann und will ich mit einem Kommunisten nicht einmal darüber streiten, daß für ihn die Freiheit offensichtlich nicht zu den höchsten Gütern der Menschen zählt. Tatsächlich ist es ja nun einmal so, daß in den kommunistischen Staaten die Pflicht zur genauen Befolgung der Parteidirektiven an die Stelle der persönlichen Freiheit getreten ist. Dem Zynismus Honeckers ist dann auch mit der Feststellung Carters zu begegnen, wonach die Mauer nichts anderes als eine sehr erregende Antwort auf den Freiheitshunger der Menschen in Ostdeutschland ist. Aber, meine Damen und Herren, bei den nun einmal bestehenden unauflösbaren Gegensätzen zwischen der kommunistischen Doktrin und der freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung wird diese, Trennungslinie auch künftig bestehenbleiben. Unseren Freiheitsbegriff können die Kommunisten nur um den Preis der Selbstaufgabe übernehmen. Wir wissen, daß dies nicht zu erwarten und nicht zu erreichen ist, und wir sollten uns deshalb in unserer praktischen Politik auch darauf einstellen. Die deutschen Probleme werden wir weiterhin beim Namen nennen. Aber wir werden sie nur durch direkte Verhandlungen einer Lösung zuführen. ({4}) Auf internationaler Ebene und internationalen Konferenzen haben wir uns zu bemühen, daß die nationale Interessenlage soweit wie möglich Eingang in das Gemeinschaftskonzept unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft und im Bündnis findet. Wir würden unsere Partner allerdings überfordern, wenn wir ihnen unsere nationalen Probleme als zentrales Thema aufzwingen wollten. ({5}) Das zwischen den beiden deutschen Staaten bestehende Sonderverhältnis verlangt nun einmal den direkten Weg, wenn wir zum Beispiel bei Familienzusammenführungen und Reiseerleichterungen weiterkommen wollen. Auch dabei werden und können wir es nicht anderen überlassen, die Grundsätze und Prinzipien der Menschenrechte Schritt für Schritt durchzusetzen. Das geschärfte internationale Gewissen wird uns diese Aufgabe im deutschen Zwiegespräch allerdings sehr erleichtern. Weder dort noch an anderer Stelle werden wir uns das Recht der freien Meinungsäußerung bestreiten lassen. Ich wiederhole deshalb hier noch einmal, daß wir uns derartige Belehrungen vor allem von solchen Regierungen verbitten, die sich selbst mit dem Vorwurf der Menschenrechtsverletzungen konfrontiert sehen. ({6}) Zu schnellen und spektakulären Erfolgen werden wir bei diesen Bemühungen nicht gelangen. Die kommunistischen Regierungen haben sowieso schon Mühe, sich auf jene Verhaltensänderungen einzustellen, die mit den aufgeflammten Bürgerrechtsbewegungen nur sehr unzulänglich gekennzeichnet sind. Nach Helsinki tritt den kommunistischen Regierungen der selbstbewußte Bürger mit dem Anspruch auf Rechtsgewährung entgegen. In der DDR bedeutet dies das konkretisierte Verlangen nach Freizügigkeit. Wir werden die Kommunisten nicht aus diesem Dilemma entlassen. Sie haben nun einmal die Verwirklichung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz versprochen und ihre Absicht, zu einer weltoffenen Politik auf dem Gebiet der Information, der Bildung, der Kultur und des Reiseverkehrs zu kommen, lauthals verkündet. An diesen Absichtserklärungen müssen sie sich messen lassen. Mit dem Widerspruch von Theorie und Praxis werden sich die Bewohner der DDR und anderer kommunistischer Staaten nicht zufriedengeben, und auch wir können uns damit nicht abspeisen lassen. ({7}) Der stellvertretende DDR-Außenminister Nier hat es in einem Aufsatz über den gegenwärtigen Stand der Beziehungen zwischen dem Sozialismus und dem Imperialismus auch nicht vermocht, wie mir scheint, diesen Widerspruch aufzulösen. Einerseits wird bei den doch sehr theoretischen Konstruktionen für den deutsch-deutschen Hausgebrauch zunächst die feste Gemeinschaft der Staaten des Sozialismus beschworen, dann gerühmt, daß die Wende vom kalten Krieg zur Entspannung den Bemühungen der sozialistischen Gemeinschaft zu verdanken sei, und schließlich werden die Prinzipien von Helsinki als Ausdruck des humanistischen Wesens des Kommunismus hingestellt. Im selben Atemzug verwahrt er sich dann gegen alle imperialistischen Versuche, unter dem Deckmantel der Informationsfreiheit, der menschlichen Kontakte und Freizügigkeit das sozialistische Gesellschaftssystem zu diskreditieren und sich in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Staaten einzumischen. Meine Damen und Herren, der Mann meint, was er sagt. Auch wenn das für unsere Begriffe sehr konfus wirkt und uns mehr mitleidiges Lächeln als Widerspruch zu entlocken vermag, so ist dies doch die Position der kommunistischen Welt. Läßt das dogmatische Konzept den Ideologen des Ostblocks schon wenig Spielraum, so wird dadurch die Angst weiter eingeengt, die selbstbewußt gewordenen Bürger könnten jetzt den totalen Herrschaftsanspruch in Frage stellen. Dies zu erkennen und sich in dem eigenen Verhalten darauf einzustellen, heißt nun nicht, Nachsicht mit Kommunisten zu üben oder sie gar zu schonen; ({8}) aber in Kenntnis der systemimmanenten Reaktion kommunistischer Machthaber gebietet es das Interesse der in ihrem Machtbereich lebenden Menschen, sie vor solchen Reaktionen zu schützen. Ich wäre dankbar, wenn Sie nun immer noch „sehr richtig" sagen würden; ({9}) denn die Herrschenden dort werden sich ihre Probleme immer wieder in der ihnen eigenen Art vom Halse schaffen. Dieser Preis ist uns um der Menschen willen zu hoch. ({10}) Ringen um Menschenrechte: ja! Diskussionen über ihre Verletzung: ja! Aber Ziel und Methode müssen bestimmt bleiben vom Interesse derer, für die wir mehr Menschenrechte erstreiten wollen. Denen hilft es wenig, daß wir ihren Regierungen die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen ständig in aller Öffentlichkeit um die Ohren schlagen. Leisere Töne können hier größere Wirkung haben. Auch der Präsident der Vereinigten Staaten, Carter, dessen Engagement so viele lauttönende Epigonen hervorbrachte, hat die Notwendigkeit dieses Prinzips, das ich soeben zu beschreiben versucht habe, wiederholt bekräftigt, u. a. auch in dem Interview, das „Die Welt" am 3. Mai 1977 veröffentlichte. Dort unterstreicht Carter seine ausdauernde Haltung in der Menschenrechtsfrage und hebt zugleich hervor, sie müsse auf sehr feinfühlige Weise vertreten werden. Ich rate uns sehr, auch diese Anwendung in der politischen Praxis nicht außer acht zu lassen. Die zurückliegende etwas sterile Zeit der Deutschlandpolitik wurde allenfalls durch die umstrittenen Interviews der Herren Gaus und Honecker belebt. Beide haben wahrscheinlich mehr zur Schärfung des Problembewußtseins beigesteuert, als daß sie für den Fortgang der Verhandlungen und die Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen etwas Handfestes auf den Tisch gebracht hätten. ({11}) Genährt wurde allerdings der Verdacht, daß von der DDR eine Revision der Geschäftsgrundlage der Vertragspolitik angestrebt wird. Bei Abschluß des Grundlagenvertrages waren beide Seiten übereingekommen, die wegen unvereinbarer Rechtsstandpunkte nicht zu lösenden Probleme offenzulassen. Das sind die Fragen der Staatsangehörigkeit und der Einheit der Nation. Honecker hat besonders auf die Staatsangehörigkeit abgehoben und erklärt, solange die Bundesrepublik Deutschland die Staatsangehörigkeit der DDR nicht anerkenne, könne von einer generellen Reisefreiheit ins westliche Ausland überhaupt nicht die Rede sein. Da er aber im übrigen das Interesse und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit hervorhob und auch später immer wieder betonte, hat das Verlangen nach Anerkennung der eigenen Staatsbürgerschaft doch wohl primär eine sehr starke innenpolitische Entlastungsfunktion. Honecker brauchte einen Grund dafür, daß er die angekündigten Erleichterungen der Reisebedingungen nun eben doch nicht gewähren kann. Dagegen ist eine Regelung der Staatsangehörigkeit im Sinne der DDR nicht Voraussetzung für Sachverhandlungen. Das wäre gewiß auch ein sehr probates Mittel gewesen, den Anlauf neuer Verhandlungen schon im Vorfeld zu blockieren. Insoweit scheint sich der von Honecker beschworene Realismus nun auch tatsächlich einzustellen. Er ist auch unverzichtbar, wenn die Vertragspartner im Interesse der Normalisierung ihrer Beziehungen zu weiteren Ergebnissen gelangen wollen. In der Annahme, daß es auch in den deutschdeutschen Beziehungen wieder vorangehen kann, wird man nicht zuletzt dadurch bestärkt, daß der Streit um Grundsatzpositionen nach dem Austausch schriftlicher Stellungnahmen als beendet angesehen werden kann. Wie mit der Londoner Erklärung an die Adresse der Sowjetunion, so war auch mit dem Aide-mémoire der Bundesregierung vom 18. Februar 1977 gegenüber der DDR-Regierung das Notwendige gesagt. Rechtspositionen sind wieder gerade-gerückt. Dort, wo Einvernehmen nicht zu erzielen war, ist klargestellt, daß es auch weiterhin dabei bleibt, daß jeder seine Rechtsposition wahrt und die offengehaltenen Entscheidungen auch weiter offen bleiben. Weder der einen noch der anderen Seite ist es gestattet, diese Situation zu ihrem Vorteil verändern zu wollen. Damit scheint die Ausgangsposition erreicht, von der aus eine neue Verhandlungsrunde erfolgversprechend eröffnet werden kann. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur Deutschlandpolitik und die vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen herausgegebene und der Öffentlichkeit vorgestellte Dokumentation über die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten in der Zeit von 1969 bis 1976 machen noch einmal sichtbar, was schon erreicht wurde, was unbefriedigend ist und was es noch zu tun gibt. Welchen Anteil nimmt nun aber die Bevölkerung an diesem Stück unserer Politik? Was bedeutet Deutschlandpolitik eigentlich noch für die Deutschen? In der Januar-Beilage der Wochenzeitung „Das Parlament" wird ein Ausschnitt aus der Fernsehsendung „Heiteres Beruferaten" abgehandelt, und zwar eine Szene, die im September 1976 über den Bildschirm flimmerte. In dem Artikel sieht der Autor danach den Staat zwischen Elbe und Oder dem Bewußtsein der meisten Deutschen entrückt. Er spricht vom „Verblassen der gesamtdeutschen politischen Tradition im westdeutschen Meinungsbild" und glaubt, daß „die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland auf dem Wege sei, die deutsche Frage als solche zu liquidieren". Was war geschehen? Robert Lembke hatte seinem Publikum als prominenten Rategast den Opernsänger der Ost-Berliner Staatsoper Theo Adam präsentiert. Mit eingespielter Routine lief dann das Fragespiel. „Kommen Sie aus einem deutschsprachigen Land?" - „Ja." „Kommen Sie aus der Bundesrepublik?" - „Nein." „Aus Osterreich?" - „Nein." „Sie kommen also aus der Schweiz?" - „Nein." „Vielleicht rechnen Sie im weiteren Sinne Holland zum deutschsprachigen Gebiet?" - „Nein". Erst dann der rettende Einfall: „Dann kommen Sie aus Ostdeutschland." Meine Damen und Herren, ist es nun tatsächlich so, daß die Frage nach der nationalen Identität aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit verdrängt ist, wie man aus diesem Vorgang ableiten wollte, ({12}) und empfindet die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich nur noch die Bundesrepublik Deutschland als nationales Bezugssystem? Ich glaube das ganz und gar nicht. ({13}) - Herr Straßmeir, hören Sie noch einen Augenblick zu, dann brauchen Sie nicht mehr zu fragen. Sie brauchen sich auch nicht mit Magendrücken zu beschäftigen. Ich glaube nämlich, daß diese Schlußfolgerung und diese Sorge sehr voreilig und absolut falsch sind. Dieser Vorgang sagt nämlich überhaupt nichts über Nationalbewußtsein und über den Begriff Deutschland oder deutsche Nation aus. Er spiegelt lediglich den Erfahrungswert wider, der sich im Verlauf von über fünfzehn Jahren, nämlich nach dem Mauerbau, hier bei uns gebildet hat. ({14}) Nachdem die DDR ihre Bürger zunächst eingesperrt, dann Reisemöglichkeiten nur in die Ostblockländer eröffnet hat und, abgesehen von Rentnern, im Grundsatz auch heute in den freien Westen nur auf Bezugsschein reisen läßt, hat der Rategast aus der DDR eben Seltenheitswert. Verständlich also, daß er sehr schwer Eingang in die Vorstellungswelt des Rateteams findet. Rudi Carell ist eben auf bundesdeutschen Bildschirmen häufiger zu sehen als Theo Adam von der Ost-Berliner Staatsoper. ({15}) Ich will damit keinesfalls bestreiten, daß es notwendig sein könnte, sich gleichwohl stärker als bisher mit der deutschen Geschichte und der deutschen Gegenwart zu befassen. Es wird eine Aufgabe der Kultusministerkonferenz bleiben, dafür Sorge zu tragen, daß sich unsere Schulen dieser Verpflichtung stellen. Aber davon abgesehen bin ich eigentlich sicher, daß die menschlichen Bindungen und der Wille zur Bewahrung der nationalen Einheit in beiden deutschen Staaten lebendig sind. Dies beschränkt sich nicht auf die ältere Generation, die vor 1945 noch in einem einheitlichen Staatsverband zusammengelebt hat. Es sind gerade die jüngeren Menschen, die den Praktiken des Kommunismus den Rücken kehren wollen und die es dem kommunistischen Staat eben gerade deshalb so schwer machen. Gerade weil sich die junge Generation trotz eines Theorieüberangebots in Marxismus-Leninismus nicht mit dem kommunistischen System identifiziert, hat die DDR-Führung noch immer über ein mangelndes Staatsbewußtsein zu klagen. ({16}) Und weil das Staatsbewußtsein, von dem die Polen, die Ungarn und die Tschechen reden können, in der DDR noch immer fehlt, kann sie die Reisebeschränkungen eben nicht aufheben. Ihre Führung glaubt also selbst nicht daran, daß die Jugend die Errungenschaften des Sozialismus höher schätzt als das Leben in einer freien Gesellschaft. ({17}) Meine Damen und Herren, die ältere Generation mag resignieren oder sich anpassen; die Jugend ist auch in der DDR hierzu nicht bereit. ({18}) Mein Fazit nun: Wir sollten aufhören, das Erreichte geringzuschätzen. Allen Schwierigkeiten zum Trotz ist in der Deutschlandpolitik ganz Erhebliches geleistet worden. 8 Millionen Besuche jährlich haben ihr Eigengewicht und haben im Leben der DDR-Bürger inzwischen einen festen Platz gefunden. Das ist kein Zufallsprodukt, sondern das Resultat zäher Verhandlungen. Wir sollten alle Kräfte darauf konzentrieren, das bisherige Ergebnis der innerdeutschen Verhandlungen zu bewahren und Fortschritte im innerdeutschen Verhältnis zu erzielen. Dazu gehört allerdings auch, daß sich die DDR ebenso zu dem bekennt, was vereinbart wurde. Nur bei Ausbalancierung beiderseitiger Wünsche und Vorstellungen wird es gelingen, einen konstruktiven Dialog zu führen und sinnvolle Vereinbarungen zustande zu bringen. Die Prinzipien von Helsinki haben die Entspannungspolitik für weite Teile der Bevölkerung mit konkretem Inhalt gefüllt. Dieser fast sensationell zu nennende Erfolg der Konferenz von Helsinki hat selbst die Opposition mattgesetzt. Vor zwei Jahren machte sie noch gegen die Vereinbarungen von Helsinki Front. ({19}) Heute ist sie kräftig und lautstark dabei, die politischen Forderungen einzutreiben, ({20}) die andere in einem großen, Europa übergreifenden Entspannungsdialog ausgehandelt haben. In Belgrad muß der nächste Schritt zur Ausfüllung der vereinbarten Prinzipien getan werden. Wir sind froh, daß wir ihn - wie schon bei der Vorbereitung der Helsinki-Konferenz - wieder in engem Einvernehmen und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im Atlantischen Bündnis gehen können. Es wäre eine beachtliche innenpolitische Demonstration, wenn es gelänge, diese europäische und atlantische Gemeinsamkeit über die Parteigrenzen hinweg in diesem Parlament zustande zu bringen. ({21}) Ich bekräftige daher nochmals den Appell und die Absicht der Freien Demokraten, zu dieser gemeinsamen Willensäußerung in Fragen der KSZE-Nachfolgekonferenz und der Menschenrechte zu kommen, muß aber wohl leider registrieren, daß das nicht gelungen ist. Der Herr Kollege Abelein wagte in seinem Diskussionsbeitrag die Feststellung, in der Frage der Menschenrechtsdokumentation sei nicht das Problem der Form entscheidend gewesen. Diese Beteuerung, der Opposition gehe es bei Menschenrechtsfragen nicht um die Form, kann ich - ich bitte um Nachsicht - überhaupt nicht begreifen. Denn gerade am Problem der Form ist die Einigung gescheitert; gerade daran sind unsere Bemühungen gescheitert. ({22}) Darüber, meine Damen und Herren, ({23}) wird hier noch in einer gesonderten Debatte zu sprechen sein. ({24}) An praktischen Verbesserungen haben wir noch viel mit der DDR zu regeln. Dazu gehören die noch ausstehenden Folgevereinbarungen zum Grundlagenvertrag, die Verbesserungen im Reise- und Besuchsverkehr und nicht zuletzt Fortschritte im wirtschaftlichen Bereich. ({25}) Auch zu Ihren Ausführungen dazu, verehrter Herr Kollege Abelein, möchte ich kurz etwas anmerken. Sie haben für die Union hier die Ansicht vertreten, man könne und solle die wirtschaftlichen Geschäfte mit der DDR endlich auch politisch ausnutzen. Ich brauche nicht auf die Erfahrungen zurückzugreifen, die schon unter dem Bundeskanzler Adenauer gesammelt und unter dem Bundeskanzler Kiesinger verwertet worden sind, sondern kann Sie viel aktueller bedienen, nämlich mit einer Äußerung, die Ministerpräsident Filbinger jüngst gemacht hat. Er hat während seiner China-Reise ausdrücklich erklärt - und doch wohl nicht nur für die bundesdeutsche Region Baden-Württemberg, sondern auch für die CDU -, wirtschaftliche Geschäfte seien nicht an politische Bedingungen zu knüpfen. ({26}) Was dort gilt, dürfte auch an anderer Stelle gelten. Wie sehr es gerade im innerdeutschen Bereich gilt, hatten wir schon vor dem Einfall in die CSSR erfahren müssen. Wir haben es von der Großen Koalition im Zusammenhang mit diesem bitteren Ereignis hier praktiziert bekommen, und wir haben sie deswegen nicht gescholten. Dabei steht für die Fraktion der Freien Demokraten immer aufs neue die Lebenssicherung Berlins im Vordergrund. Eine Politik der Verständigung und Entspannung wäre wenig überzeugend, wenn sie sich nicht gerade für Berlin bewähren würde. ({27})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich erteile dem Herrn Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Franke das Wort.

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Große Anfrage der CDU/CSU zur Deutschlandpolitik begrüßt und gern zum Anlaß genommen, um erneut und umfassend die Grundprinzipien der Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition und die Erfahrungen unserer Beziehungen zur DDR darzustellen. Beide, Grundprinzipien und Erfahrungen, möchte ich folgendermaßen zusammenfassen. Erstens. Das deutsche Volk ist heute in zwei voneinander unabhängige Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen geteilt. ({0}) - Ach, Herr Kollege Jäger, ich darf mal auf Ihren Zwischenruf eingehen. Warum haben Sie uns denn eigentlich diese Fragen vorgelegt? Die sind doch auch immer gleich. Wenn man darauf sachlich antwortet, dann sagen Sie: „Ach, wie neu!" Anscheinend haben Sie das inzwischen vergessen. Wir werden es immer sagen müssen, damit Sie sich vor Illusionen bewahren. ({1}) Veränderungen der Beziehungen zwischen den beiden Staaten zum Nutzen der Menschen müssen auf dem Verhandlungsweg angestrebt werden. Zweitens. Voraussetzung für eine realistische Beurteilung der Deutschlandpolitik ist eine nüchterne Einschätzung der Machtverhältnisse in Europa und der Stellung der beiden deutschen Staaten innerhalb der jeweiligen Bündnissysteme. Nur so kann ver2068 hindert werden, daß die Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland zur Verbesserung der Lage in Deutschland überschätzt werden. Drittens. Die Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition seit 1969 ist erfolgreich. Das ist feststellbar. ({2}) Daß Sie das nicht erkennen können, spricht nicht für Sie. Aber Sie stehen ja auch ziemlich allein da. Andere schreiben das, und sogar Sie sind ab und zu genötigt, zu bestätigen, Herr Professor, daß das doch wohl anders ist, als Sie hier sagen. ({3}) Denn Sie gehören zu denen, die von mir recht oft Briefe bekommen, in denen steht, daß menschliche Schicksale gerade durch diese Politik einer Lösung zugeführt werden können. ({4}) Wenn Sie das hier leugnen, ja sogar in diskreditierender Weise meinten, das würde - - ich komme noch einmal darauf, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nicht mehr auf Sie in der Öffentlichkeit zu reagieren, weil das vergeudete Mühe ist. ({5}) Sie helfen den Menschen nicht, um die es geht. Diese Politik ist seit 1969 erfolgreich. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Bewahrung des Friedens in Europa - und dazu hat Deutschland einen beachtlichen Beitrag zu leisten - wie auch unter Berücksichtigung der erreichten Verbesserungen für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland. Sie können das mit Fleiß ignorieren. Aber Sie werden sich darauf einstellen müssen, daß das tatsächlich ein großer Faktor, ein großartiges Ergebnis der Bemühungen ist und daß Dinge zur Selbstverständlichkeit geworden sind, die vor Jahren in dieser Dimension nicht einmal erträumt werden konnten. Viertens. Durch eine Reihe von Einzelmaßnahmen hat die DDR in den letzten Jahren das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten belastet. Eine der Hauptursachen für die in der Antwort der Bundesregierung genannten neuen Belastungen durch die DDR ist die erkennbare Einschätzung der dortigen Führung, daß der Bevölkerung der DDR um der Stabilität des kommunistischen Systems willen kein größeres Maß an Kommunikation mit den Staaten des Westens zugebilligt werden kann. Das ist in der Tat ein Problem, mit dem Sie sich einmal vertraut machen sollten. Sie sollten hier nicht immer nur gute Sätze deklamieren, die mit der Praxis wenig zu tun haben. Fünftens. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, von der Voraussetzung abzugehen, daß beide deutschen Staaten nach wie vor ein Interesse am weiteren Ausbau ihrer Beziehungen haben. Wenn wir das nämlich aufgäben, würden wir sagen: mehr ist nicht erreichbar. Wir sind aber nicht dieser Auffassung, und wir sehen das täglich bestätigt, obwohl es, wie zu Beginn von uns vorausgesagt, immer nur um kleine Schritte gehen wird, nur um ein millimeterweises Vorankommen geht. Dies wird bestätigt. Wir hatten keine Illusion. Sie haben welche daraus in der Öffentlichkeit entwickelt. Die Bundesregierung ist entschlossen, ihre Politik mit dem Ziel der Normalisierung der Beziehungen auch gegen Widerstand fortzusetzen. Hierbei ist besonderes Augenmerk darauf zu richten, daß auch die Situation von Berlin ({6}) und der Bewohner dieser Stadt verbessert wird. Der Herr Redner der CDU/CSU hat übrigens zu diesem Problem Aussagen für sinnvoll gehalten, die bei den drei Schutzmächten ein ganz eigenartiges Klingen in den Ohren hervorgerufen haben müssen. Denn was Sie hier über die Entwicklung nach 1969 gesagt haben, ist geradezu unerträglich, wenn es darum geht, für Berlin in Gemeinsamkeit mit den Schutzmächten zu wirken. ({7}) Was Sie da gesagt haben, hört sich nicht sehr gediegen an, wenn man es ernst meint mit der Verbesserung der Situation in Berlin. ({8}) Sechstens. In der Vorbemerkung zur Großen Anfrage stellt die Fraktion der CDU/CSU fest, die bisherigen Erfahrungen mit der seit 1969 verfolgten Deutschlandpolitik erforderten neue Antworten. Demgegenüber erklärt die Bundesregierung: Bei Abwägen der bisherigen praktischen Erfahrungen, der Fortschritte und Verbesserungen wie auch der Belastungen und Beeinträchtigungen, ergibt sich, daß eine neue Antwort weder möglich noch notwendig ist. Die Bundesregierung bleibt sowohl bei dem bisherigen Ansatz ihrer Deutschlandpolitik als auch bei den bewährten Methoden der Durchführung. ({9}) Siebtens. Stand und Ergebnis sowohl der innerdeutschen Beziehungen als auch der allgemeinen WestOst-Beziehungen sind im Vorfeld der Belgrader KSZE-Folgekonferenz sorgfältig durchzusehen. Nach Auffassung der Bundesregierung sind die Antworten auf die Große Anfrage der Opposition sowie auch der im April vorgelegte Bericht über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik von 1969 bis 1976 ein Beitrag und eine Hilfe zur Versachlichung der notwendigen Diskussion in Parlament und Öffentlichkeit. Das ist jedenfalls unsere Absicht und unser Bemühen gewesen. Daß es bei Ihnen nicht diese Resonanz auslöst, kann ich verstehen; denn es ist schwierig, einzusehen, daß Sie sich mit Ihren Thesen auf einem Holzwege befinden. Sie hatten auch in der letzten Zeit zuvor Gelegenheit gehabt, praktische Erfahrungen zu sammeln, und auch da hat sich nichts bewegt. ({10}) Meine Damen und Herren, diese Debatte über die Große Anfrage der Opposition und ihre Beantwortung durch die Bundesregierung darf nicht ausklammern, was diese Große Anfrage beabsichtigte und wie sie einzuordnen ist. In den ersten Wochen und Monaten dieses Jahres waren wiederholt Anzeichen für einen möglichen deutschlandpolitischen Stil- und Sinneswandel der Opposition festzustellen. Zu diesen Anzeichen möchte ich u. a. auch die Art rechnen, wie Herr Kollege Dr. Kohl die Große Anfrage seiner Fraktion zur Deutschlandpolitik hier in Bonn auf einer Pressekonferenz vorstellte. ({11}) Dies hat die Presse jedenfalls so empfunden, und es waren interessante Überschriften zu lesen: Gibt es doch Möglichkeiten, zu einer Versachlichung zu kommen? Gibt es doch Möglichkeiten, Gemeinsamkeiten zu finden? Weitere Anzeichen dafür, daß die CDU ein größeres Verständnis für die Bedingungen und realen Spielräume der Deutschlandpolitik an den Tag legen könnte, fanden sich in einigen Reden prominenter CDU-Vertreter. Ich nenne keine Namen. Sie kennen sie, Sie wissen, wer in der Tat seriös aus dem Bereich der CDU/CSU etwas zu diesem Thema anzumerken hat. Ich will das gar nicht polemisch benutzen, sondern dankbar begrüßen, daß es Ansätze dafür gibt, darüber nachzudenken, ob nicht doch etwas daran richtig sein kann, in der Art, wie wir uns bemühen, die Probleme zu lösen, zu Ergebnissen zu kommen. Jedenfalls war das in einigen Passagen der deutschlandpolitischen Entschließung des Düsseldorfer CDU-Parteitages auch zu erkennen. Auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, zeichneten sich hier Ansätze und Absichten ab, die von der Einsicht ausgingen, daß die deutschlandpolitischen Probleme nicht länger von innenpolitischen Spannungen der Bundesrepublik Deutschland verfremdet werden dürfen, daß dieses Thema nicht zum innerdeutschen Schlagabtausch um die Erringung von Mehrheiten in diesem Parlament mißbraucht werden darf. ({12}) Dies ließ uns hoffen. Aber was ich heute morgen hier erlebt habe, waren fröhliche Urständ jener Dinge, die wir schon jahrelang erlebt haben, nur daß das Datum heute ein anderes war. Die Worte und die Aussagen waren nicht anders. ({13}) Meine Damen und Herren, diesen Ansichten, die da zum Tragen kamen, kann man nur beipflichten. Ich tue es ausdrücklich. Der Schaden, der von der innenpolitischen Verfälschung der Deutschlandpolitik ausgeht, breitet sich nicht nur unter den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland aus, sondern als Enttäuschung oder Resignation auch unter den Menschen in der DDR. Herr Kollege von Weizsäcker hat das auf der diesjährigen Jahrestagung des Kuratoriums Unteilbares Deutschland Anfang März in Berlin eindringlich dargelegt. Ich hoffe, daß ich dies so sagen durfte. Ich habe das jedenfalls so verstanden und meine, daß wir in dieser Art auch weiter miteinander sprechen müßten und das weiterentwickeln müßten. Ich weiß, wie schwierig es ist, nach Jahren großer Gegensätzlichkeit Anknüpfungspunkte zu finden, um zu versuchen, gemeinsam vorankommen zu können. Aber ich muß sagen: Gerade in den letzten Wochen mußten wir feststellen, daß sich in der CDU/ CSU-Fraktion wieder der Hang Bahn bricht, die Deutschlandpolitik und die Entspannungspolitik überhaupt mit polemischen Forderungen zu überfrachten. Ein besonders krasses Beispiel für diesen Stil bietet die Reihe von 15 abgestimmten KSZE-Anfragen, die Herr Kollege Genscher von dieser Stelle aus in der Fragestunde am 5. Mai zu beantworten hatte. Die Richtung, aus der der Wind nun wieder kommt, gab der CSU-Abgeordnete Dr. Jaeger im „Deutschland-Union-Dienst" am 27. April unmißverständlich zu erkennen. Gleich der erste Absatz seines Beitrages unter der Überschrift „Bonn sucht den Erfolg um jeden Preis" schließt mit der Behauptung, die Bundesregierung sei bereit, in der Menschenrechtsfrage das zu tun, was man in Ost-Berlin und Moskau wünsche. Meine Damen und Herren, das sind eigenartige Klänge. Sie machen es sich zu leicht mit diesem Problem. Sie haben sich einen neuen Knüppel entwickelt, mit dem Sie meinen die ernsthaften Bemühungen um mehr Verwirklichung der Menschenrechte auch zum Erfolg führen zu können. Diese Art, dieser Stil der Auseinandersetzung, der mit bewußten Überforderungen und Unterstellungen arbeitet, ist leider allzu bekannt und vertraut, um in der Öffentlichkeit überhaupt noch registriert zu werden. ({14}) Aber er ist eben wieder da. Das ist nicht zu übersehen. Man muß sich wohl die Frage stellen, wieso die erkennbaren Anstrengungen innerhalb der CDU, eine sachgemäßere deutschlandpolitische Opposition zu treiben, so wenig Erfolg gezeitigt haben. Ein Erfolg in dieser Richtung setzt allerdings gewisse Einsichten in die Realitäten in Deutschland und um uns herum voraus, Einsichten, die neuerdings mit Vorliebe im Namen der Menschenrechte verweigert werden. Das zeigte schon die Diskussion auf dem CDU- Parteitag. Um sich von Professor Gasteygers nüchternen Aussagen abzuschirmen, legten viele die Menschenrechte gleichsam als Augenbinde an. So ersparten sie sich, die Machtlage und den eigenen Verantwortungsspielraum ringsum wahrzunehmen. Als Alibi für politische Drückebergerei oder gar Obstruktion sind jedoch die Menschenrechte nicht tauglich. Das wird sich rasch zeigen. Wer die Menschenrechte so benutzt, wie ich das eben geschildert habe, tut ihnen und sich selbst keinen guten Dienst. ({15}) Viele erliegen auch dem Irrtum, sie leisteten bereits etwas für die Durchsetzung der Menschenrechte, wenn sie diese verbal und pauschal reklamieren und deklamieren. Das ist deswegen ein Irrtum, weil, so meine ich, Menschenrechte und Menschlichkeit miteinander zu tun haben; denn es ist doch ganz offensichtlich: Bei den Menschenrechten geht es um den einzelnen Menschen, um sein Wohl und Wehe. Würden wir etwa im Rahmen unserer Deutschlandpolitik das Prinzip der Menschenrechte ohne Rücksicht darauf verfolgen, ob es einzelnen Menschen - und wie vielen Menschen - mehr schadet oder mehr nützt, so würden wir nach meinem Verständnis dem Sinn der Menschenrechte zuwiderhandeln. Hinzu kommt als spezielles Problem die einzigartige Größenordnung der humanitären Notlage, die zwischen den beiden deutschen Staaten besteht. Bei uns gibt es keine Agenturmeldung und keine ministerielle Mitteilung, wenn 15 Menschen die Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik genehmigt erhalten. Wenn hingegen 15 Menschen aus der DDR nach England ausreisen dürfen, so teilt der DDR-Botschafter in London dies dem stellvertretenden britischen Außenminister mit, und die französische Nachrichtenagentur macht daraus eine Meldung aus der britischen Hauptstadt; so geschehen am 4. Mai. Ich will damit sagen: Die Bundesregierung hat bei ihrem Tun und Lassen das Lebensglück Tausender von Familien zu beachten. Das erlegt ihr die besondere Pflicht auf, etwa das Risiko eines Rückschlages, wo es nur eben geht, zu vermeiden. Allein im Rahmen der Familienzusammenführung, die wir bearbeiten und übersehen, durften in den Jahren 1975 und 1976 zusammen 10 500 Personen aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln - eine Zahl, die man gar nicht laut genug ausrufen kann, um immer wieder in Erinnerung zu rufen, daß es ja nicht so ist, daß nichts erreicht wurde. Hier sprechen die Zahlen und vor allen Dingen auch die beteiligten Menschen für sich. Das wissen Sie so gut wie ich, da Sie sich auch mit bemüht haben, indem Sie mir solche Vorgänge gemeldet haben. Sie kennen die Antworten, die ich Ihnen gegeben habe. Sie wissen um die Dankesbriefe, die Ihnen diese Menschen schreiben. Ich sage Ihnen: Jeder einzelne Fall ist es wert gewesen; daß wir diese Politik betrieben haben. ({16}) Wer das bagatellisiert und in Abrede stellt, indem er immer noch sagt: das ist nichts, der überschätzt unsere Möglichkeiten und der überschätzt die je erreichbare Bereitwilligkeit der anderen. Seite, der tut so, als hätte er eine Zauberwaffe in der Hand, ({17}) die es gar nicht gibt, die Sie in der Zeit, in der Sie die Regierungsgewalt in den Händen hatten, nicht angewendet haben. Im letzten Jahr wurden insge samt fast 10 Millionen Reisen - ich wiederhole: 10 Millionen Reisen - in Deutschland gemacht, weitaus die meisten davon in Ost-Richtung, wo 17 Millionen Menschen wohnen. Da hat mehr als jeder zweite Besuch aus der freien Bundesrepublik Deutschland bekommen. Wenn Sie das alles ignorieren, meine Damen und Herren - mehr kann man das eigene Nest gar nicht bekleckern. ({18}) Anstatt stolz darauf zu sein, daß wir das erreicht haben, versuchen Sie das abzuqualifizieren. Das ist unerträglich. Mit dieser Größenordnung, mit der die beiden deutschen Staaten aufwarten können, stehen sie im KSZE-Rahmen soweit es um die Erfüllung dieses Punktes geht, ziemlich einsam an der Spitze. Das ist gut so. Das hat auch seine speziell deutschen Gründe. Aber das muß man eben sehen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal etwas zu dem einfügen, was der Herr Professor Abelein zu diesem Thema ausgeführt hat. Er hat gesagt, wir sollten uns mehr darum kümmern, die Jugend mit den Problemen vertraut zu machen, wir sollten sie auf die nationalen Probleme hinweisen. Derselbe Abgeordnete hat in dem Ausschuß, in dem mein Ministerium die notwendigen Mittel dafür beantragen mußte, die Bitte um Erhöhung von Mitteln zur Anschaffung von Filmen und Aufklärungsmaterial in Höhe von 500 000 DM abgelehnt; mit anderen zusammen, wie ich gerne bereit bin zuzugestehen. Aber das steht doch im krassen Widerspruch zu dem, was Sie hier fordern. ({19}) Noch etwas zu einem anderen Thema. Sie stellen sich hier hin und behaupten wieder, daß es in der DDR Zwangsadoptionen als Folge und Begleiterscheinung gescheiterter Fluchtversuche der Eltern in sogenannten Republikfluchtfällen gibt. Gehen Sie bitte behutsam damit um. Ich sage es noch einmal: Alle Fälle, die uns bekanntgeworden sind, in denen Eltern von ihren Kindern getrennt wurden, lassen es schwer ergründen, ja geradezu unmöglich erscheinen, daß diese Trennung, als Folge oder Begleiterscheinung quasi eine zusätzliche Strafmaßnahme für gescheiterte Republikflucht ist. ({20}) Als wir das Thema hier in aller Breite behandelt haben, habe ich gefordert: Nennen Sie mir konkrete Fälle! ({21}) Ich bin nicht bereit, auf Zeitungsmeldungen einzugehen. Hinsichtlich dieser Fragen bin ich bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen. Das müssen Sie mir auch bestätigen. Alle, die Sie da sitzen, haben mir konkrete Fälle genannt, und ich habe sie konkret bearbeitet und habe sie erfreulicherweise zum großen Teil lösen können, nicht weil Sie es gewollt haben, sondern weil die DDR mitgemacht hat. Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Nennen Sie mir Fälle, bei denen das ganz klar auf der Hand liegt, und wir gehen jedem einzelnen Fall nach. Lassen Sie dieses Thema lieber auf sich beruhen, denn da kommen Sie nicht weiter. ({22}) - Herr Kollege, gerade zu diesem Thema wollte ich mich hier nicht äußern. Ich bin aber gern bereit, darauf zurückzukommen. Ich freue mich, daß dieser Zwischenruf heute im Protokoll festgehalten wird. ({23}) Setzen Sie sich bitte nicht aufs hohe Roß! Sie werden überrascht sein, was Sie einmal eines Tages hören werden. Ich hatte keine Gelegenheit, vorher mit einigen Herren zu sprechen. Ich habe da Informationen, die Sie überraschen werden. Und dann werden Sie nie wieder den Namen nennen. Seien Sie also bitte ruhig! Das ist meine Verantwortung, die ich gern übernehme. ({24}) Man wird mir nicht in Abrede stellen können, daß ich nicht in schwierigsten Fällen bereit gewesen bin, mich zu engagieren. ({25}) - Hören Sie auf, Herr Jäger! Sprechen Sie einmal mit Leuten aus Ihrer Fraktion, die inzwischen auch ein bißchen mehr darüber wissen. Sie werden sich selber melden. In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage hat die Bundesregierung - und das nicht zum ersten Mal - darauf hingewiesen, daß Verhandlungen mit der DDR prinziziell nur dann zur Vereinbarung und zwar Zusammenarbeit führen, wenn entweder ein gemeinsames Interesse der beiden Staaten vorliegt oder wenn abweichende Interessen gegeneinander aufgewogen und in einem für beide Seiten tragbaren Kompromiß verbunden werden können. Wer sich bei den innerdeutschen Verträgen und Vereinbarungen auch nur ein bißchen auskennt, wird wissen, daß sie im wesentlichen nach der Methode der Verschränkung von unterschiedlichen Interessen zustandegekommen sind und nicht anders. Das muß sich jeder vor Augen halten, der sofort nach Sanktionen und Vergeltung ruft, wenn die DDR Dinge tut - oder läßt -, die uns nicht passen. In Wahrheit praktiziert die Bundesregierung schon seit Jahr und Tag das, was die CDU/CSU-Opposition glaubt, von ihr fordern zu müssen: das Prinzip des Gebens und Nehmens. Gerade weil das so ist, muß jeder wissen: Jede nennenswerte Verminderung des Gebens - zur Strafe, als Sanktion - zöge auch eine Verminderung des Nehmens nach sich. Die wäre uns im Transitverkehr von und nach Berlin, im Reiseverkehr, im Postverkehr mit der DDR, aber auch im innerdeutschen Handel unter Umständen sehr unangenehm. Das sind ganz konkrete Dinge, die ich Ihnen da nenne. Nebenbei gesagt: Wenigstens was den innerdeutschen Handel als Bestrafungsschauplatz angeht, so scheint es auch in der Union eine gewisse Besonnenheit zu geben. Ich denk da an entsprechende Äußerungen des Kollegen von Wrangel, des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und von Herrn Filbinger, der hier heute schon genannt worden ist. Es ist immerhin interessant, daß wir nicht allein der Meinung sind, daß das ungeeignet ist. ({26}) Meine Damen und Herren, wer wie wir humanitäre Anliegen verfolgt, dem können und dürfen nicht alle Mittel recht sein, dem muß der Glaubwürdigkeit seines Bemühens wegen als erste Voraussetzung Einsicht in die Bedingtheit unserer Lage abverlangt werden, die schließlich das Verhalten zu bestimmen hat. Wer wie die Opposition vorgibt, unsere Position für stärker zu halten, als sie ist, wird sich auch nicht scheuen, diese Politik des sorgsamen Interessenausgleichs zu überfordern und damit möglicherweise in ihrer Wirksamkeit zu schädigen. Wer aber derart agiert und agitiert - wohlgemerkt -, dessen Beteuerungen, er stehe zu den Verträgen und befürworte die Verhandlungen unserer Vertragspolitik, sind nicht glaubhaft. Sie werden es auch dadurch nicht, daß sie unterschiedlich interpretiert und unterschiedlich dargestellt werden. Meine Damen und Herren von der Opposition, es liegt an Ihnen, Ihre eigene Glaubwürdigkeit in dieser Debatte darzustellen. Sicherlich wird es heute noch heiße Auseinandersetzungen zu diesem Thema geben. Aber wir sollten uns angesichts des Mottos „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus" gemeinsam bemühen, zu einem anderen Ton zu kommen. Aber das konnte ich Ihnen nicht ersparen. ({27})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, für die Fragestunde sind im Augenblick nur noch 15 Fragen angemeldet, so daß Sie davon ausgehen können, daß die Debatte bereits vor 15.30 Uhr wieder aufgenommen werden kann. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das bei Ihren Dispositionen für die Mittagspause berücksichtigen würden. Ich unterbreche die Beratung. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 8/458 Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung. Die Fragen 50, 05 bis 107 und 110 bis 117 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich komme zur Frage 108 des Herrn Abgeordneten Dr. Probst. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vizepräsident Stücklen Ich rufe die Frage 109 des Abgeordneten Niegel auf: Treffen Informationen zu, daß die Bundesregierung zusammen mit anderen Staaten in Verhandlungen steht bzw. Überlegungen anstellt, die zum Ziele haben, Teile der weißen Bevölkerung, insbesondere von Deutschen bzw. Deutschstämmigen in Südwestafrika, für den Fall der Machtübernahme durch die schwarze Mehrheit, insbesondere durch Swapo, nach Südamerika umzusiedeln, und wie sind diese Überlegungen gegebenenfalls in Einklang zu bringen mit den bisherigen Stellungnahmen der Bundesregierung, daß auch bei einer Machtübernahme durch die schwarze Mehrheit in Südwestafrika der weißen Bevölkerung nicht das Schicksal der weißen Bevölkerung von Angola und Moçambique drohen würde?

Not found (Gast)

Herr Kollege Niegel, diese Informationen treffen nicht zu. Die Bundesregierung steht nicht mit anderen Staaten in Verhandlungen bzw. stellt auch keine Überlegungen an, wie Teile der weißen Bevölkerung nach Südamerika umgesiedelt werden können. Auf Grund der großen Anzahl Bleichlautender Berichte in der Presse sah sich die Bundesregierung veranlaßt, ihre Position erneut zu erläutern. Am 8. Mai wies der Sprecher des Auswärtigen Amtes darauf hin, daß die Bundesregierung weder in vertraulichen Gesprächen noch an anderer Stelle die Möglichkeit einer derartigen Umsiedlung sondiert hat. Die Bundesregierung hat auch wiederholt darauf hingewiesen, daß sie der Meinung ist, daß die Deutschen und Deutschstämmigen in einem unabhängigen Namibia einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau des Landes leisten können. Die Politik der Bundesregierung ist darauf gerichtet, in einem unabhängigen Namibia ein gleichberechtigtes und friedliches Nebeneinander der verschiedenen Rassen zu ermöglichen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung tatsächlich der Überzeugung, daß es gelingen kann, ein Nebeneinander von verschiedenen Rassen zu erreichen, insbesondere auch im Hinblick auf die weiße Bevölkerung, wenn die Swapo die Macht übernehmen sollte, und daß die Weißen dann nicht dasselbe Schicksal erleiden werden wie die in Angola und Moçambique?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß, wenn zügig genug eine Politik der schwarzen Mehrheit in Südafrika durchgeführt wird, noch die Möglichkeit besteht, daß die verschiedenen Rassen dort in Zukunft in Frieden miteinander leben können. Allerdings ist eine zügige Politik die Voraussetzung dafür.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, welche Gründe veranlassen die Bundesregierung dazu, mit der Machtübernahme nur der Swapo zu rechnen, nicht aber auch der anderen an der Turnhallenkonferenz Beteiligten?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat immer gesagt, daß alle Betroffenen und Beteiligten an dem Wandel in Namibia mitwirken sollten. Gerade deswegen geht sie davon aus, daß auch der Swapo dabei ein erhebliches Gewicht zukommen muß.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe die Frage 118 des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann auf: Ist bei der am 23. Mai beginnenden sechsten Session der UN- Seerechtskonferenz sichergestellt, daß die Europäische Gemeinschaft mit einem einheitlichen Konzept über das EG-Meer in diese neue Verhandlungsrunde geht?

Not found (Gast)

Die Antwort auf Ihre Frage, Herr Kollege Müller-Hermann, lautet: Ja, die Gemeinschaft hat in einem längeren Koordinierungsprozeß ein gemeinsames Konzept zu den Wirtschaftszonenartikeln des revidierten Verhandlungstextes entwickelt. Dieses ist hinsichtlich der Fischereiartikel noch einmal überarbeitet worden, nachdem die EG-Staaten ihrerseits Fischereizonen bis zu 200 Seemeilen in der Nordsee und im Nordatlantik am 1. Januar 1977 errichtet haben. Bekanntlich sind die Beratungen über das EG-interne Fischereiregime in diesen Gewässern - sogenanntes EG-Meer - noch im Gange. Dieses ist jedoch ohne Bedeutung für das gemeinsame Auftreten in der Konferenz.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind Sie sicher, daß die Uneinigkeit über das interne EG-Meer die Gemeinschaft nicht bei den gemeinsam abgestimmten Gesprächen auf der Seerechtskonferenz behindern wird?

Not found (Gast)

Herr Kollege Müller-Hermann, es gibt für diese gemeinsamen Gespräche eine gemeinsame Position. Aber ich will nicht verhehlen, daß wir als Gemeinschaft natürlich stärker wären, wenn wir die internen Probleme, die hier noch offengeblieben sind, inzwischen geregelt hätten. Wir sind deswegen entschlossen, wenn irgendmöglich vor Ende Juni die gemeinsame Regelung des internen Fischereiregimes zustande zu bringen. Sie wissen, es hat dabei an der Bundesregierung nicht gefehlt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Angesichts der Tatsache, daß ja dieserhalb ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig ist, möchte ich fragen: Wird sich der Ministerrat auf seiner Sitzung Ende Juni dazu durchringen, in dieser Frage zu einer Mehrheitsentscheidung zu kommen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Müller-Hermann, man kann aus den Praktiken der Vergangenheit ableiten, daß es in Fragen, die für alle Partner so ernst sind, darauf ankommt, einen Konsens, eine gemeinsame Position, herzustellen. Darum war die Bundesregierung bemüht, und darum bleibt sie bemüht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe auf Frage 119 des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann: Kann die Bundesregierung zusichern, daß für die deutsche Fischerei die Möglichkeit zum Fischen in ihren traditionellen Fanggründen vor den Küsten Kanadas, Norwegens, der USA und Islands auch nach einer Errichtung einer 200-Seemeilen-Wirtschaftszone mittelfristig sichergestellt ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die mittelfristige Sicherung unserer künftigen Fangtätigkeit in Drittlandsgewässern kann auf Grund der veränderten internationalen Fischereibedingungen praktisch nur noch im Verhandlungswege erreicht werden. Da die Fischereipolitik in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft fällt, liegt die Verhandlung über Fischereirechte in Drittlandsgewässern bei der Kommission. Nach Verabschiedung der notwendigen Mandate durch den EG-Rat am 3. November 1976 hat die Kommission ein umfangreiches Verhandlungsprogramm bewältigt. In bezug auf die in Ihrer Frage genannten Länder wurden bisher folgende Ergebnisse erzielt: Erstens. Mit den Vereinigten Staaten wurde am 15. Februar 1977 ein zunächst bis zum 1. Juli 1984 befristetes Rahmenabkommen unterzeichnet. Zweitens. Mit Norwegen steht der Abschluß eines zehnjährigen Rahmenabkommens bevor. Drittens. Vor Kanada besteht noch bis Ende 1977 die Möglichkeit, im Rahmen der für 1977 in der Nordwestatlantischen Fischereikommission festgelegten Quotenregelung weiter zu fischen. Verhandlungen für Fischereitätigkeiten danach sind von der Gemeinschaft bereits im Dezember 1976 formell aufgenommen worden. Viertens. Im Juni wird eine EG-Delegation erneut zu Gesprächen nach Island reisen, um die isländische Regierung zu Verhandlungen über ein Fischereiabkommen auf Gegenseitigkeit zu bewegen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin alles in ihren Kräften Stehende daransetzen, die traditionellen Fangmöglichkeiten der deutschen Hochseefischerei im Rahmen der Bestandserhaltungspolitik durch Gemeinschaftsverhandlungen zu sichern. Die Bundesrepublik fordert, daß bei der noch vorzunehmenden EG-internen Fangquotenaufteilung insbesondere auch etwaige Fangverluste der Mitgliedstaaten in Drittlandsgewässern voll berücksichtigt werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, es ist richtig, daß die Zuständigkeit für diese Verhandlungen bei der EG-Kommission liegt. Sie haben aber selbst darauf hingewiesen, daß bezüglich Island und Kanada die Unsicherheitsfaktoren noch sehr groß sind. Deshalb frage ich: Ist sich die Bundesregierung und ist sich die Kommission darüber im klaren, daß für die Fischwirtschaft, die Fischindustrie und die Fischfangflotten mittel- und langfristige Dispositionen außerordentlich schwierig sind, solange diese Verhandlungen mit den Drittländern immer noch in der Schwebe sind, und daß auch die Versorgung des Marktes mittel- und langfristig so lange nicht sichergestellt ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege Müller-Hermann, die Bundesregierung hat die Interessen der deutschen Hochseefischerei und der deutschen Verbraucher in den Mittelpunkt ihrer Verhandlungen in der Gemeinschaft gestellt. Wir haben deswegen für diese Verhandlungen mit Drittländern einen erheblichen Teil auch unserer eigenen Energie aufgebracht, u. a. für die Formulierung von entsprechenden Verhandungsmandaten. Sowohl die Hochseefischerei als auch Verarbeiter und Verbraucher in der Bundesrepublik können sicher sein, daß die Bundesregierung jeden erdenklichen Versuch macht, um die Interessen der Bundesrepublik Deutschland in diesen für uns sehr schwierigen Fragen zu sichern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe die Frage 120 des Abgeordneten Böhm ({0}) auf. - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung. Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Peters ({1}) auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß deutsche Futtermittelhersteller Magermilchpulver bei EG-Ausschreibungen auf Grund unterschiedlicher Währungsberechnungen erheblich teurer als ihre Konkurrenten in anderen EG-Ländern einkaufen und deshalb kaum Magermilchpulver abfließt, und ist die Bundesregierung bereit, bei der EG eine Änderung dieses Zustands zu erwirken?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege Peters, auf Grund der Abweichungen der „Grünen Paritäten" von den tatsächlichen Wechselkursen sind die Verkaufspreise für Magermilchpulver ab Interventionsstelle im Rahmen der Ausschreibungsregelung in einzelnen Mitgliedsstaaten unterschiedlich. Daraus ergibt sich für die Bundesrepublik Deutschland als Aufwertungsland mit dem höchsten Aufwertungssatz der höchste Preis in der Gemeinschaft. Da dieses Magermilchpulver mit importierten pflanzlichen Eiweißfuttermitteln, die zu den tatsächlichen Wechselkursen gehandelt werden, konkurriert, ist der Absatz des Magermilchpulvers aus deutschen Interventionsstellen im Rahmen der Ausschreibungsregelung nur schleppend. Dies hat die Bundesregierung veranlaßt, bei der EG-Kommission auf die Einführung eines monetären Korrektivs zu drängen. Die Kommission hat der Bundesregierung auf erneute Vorsprache hin nunmehr die Einführung eines entsprechenden Koeffizienten angekündigt, durch den die dargelegten Preisunterschiede ausgeglichen werden sollen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters.

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, rechnet die Bundesregierung damit, daß durch einen Ausgleichskoeffizienten der Währungsunterschied zwischen der „Grünen Parität" der D-Mark und der wirklichen Parität ausgeglichen werden kann?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, dies ist so. Es kommt allerdings auf die Höhe des Koeffizienten an. Wir erwarten den vollen Ausgleich.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe die Frage 64 des Abgeordnete Peters ({0}) auf: Ist die Bundesregierung bereit, sich bei der EG dafür einzusetzen, daß der sogenannte Null-Austauscher für die Kälberfütterung, der bisher keine Anteile Magermilchpulver enthält, über einen Beimischungszwang bestimmte Anteile Magermilchpulver enthalten muß, und daß die Verbilligung für Magermilchpulver zur Verfütterung an Kälber erhöht wird?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung des Marktes für Kälberfuttermittel, wo durch sogenannte Null-Austauscher das Magermilchpulver aus Milchaustauschfuttermitteln graduell verdrängt wird, sehr aufmerksam. Eine Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Anteile an Magermilchpulver besteht nur dann, wenn für die Herstellung von Milchaustauschern eine Beihilfe beantragt wird, die mindestens 60 °/o Magermilchpulver enthalten. Für eine weitgehende Beimischungsauflage also ohne Bindung an die Beihilfegewährung - oder gar ein Verbot der Herstellung der „Null-Austauscher" besteht gegenwärtig keine futtermittelrechtliche Handhabe. Die Bundesregierung hat das Problem der „NullAustauscher", zu dessen wirksamer Lösung es einer gemeinschaftsweiten Regelung bedürfte, wiederholt in Brüssel zur Sprache gebracht. Der eine Weg über die Anhebung der Beihilfen für Magermilchpulver zur Herstellung von Kälberfuttermitteln wurde bereits beschritten. Die vorgenommene Anhebung auf 39 Rechnungseinheiten reicht jedoch nicht aus; die Bundesregierung strebt vielmehr eine weitere Erhöhung der Verfütterungsbeihilfen an. Ob außer der erweiterten Verbilligung noch weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen, läßt , sich noch nicht absehen. Insbesondere bleibt zu prüfen, ob es eines - aus grundsätzlichen marktwirtschaftlichen Erwägungen problematischen - futtermittelrechtlichen Eingriffs bedarf und ob sich gegebenenfalls Möglichkeiten für dessen gemeinschaftsweite Durchsetzung böten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters.

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, daß die Verbilligung von Magermilchpulver für Rinder, die über fünf Monate alt sind, und für Schweine größer sein soll als die Verbilligung von Magermilch, die an Kälber im Alter von bis zu fünf Monaten verfüttert wird?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Die Frage kann nicht einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden. Tatsache ist, daß nur eine bestimmte Menge von überschüssigem Magermilchpulver in den Kälbermagen wandern kann. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese Menge so hoch wie möglich sein sollte. Hier ergeben sich gewisse Meinungsunterschiede in der EG insofern, als die Gefahr des „NullAustauschers" von uns anders bewertet wird als von den übrigen Ländern und von der EG-Kommission. Wir sind der Meinung, daß die Verbilligung von Kälberfuttermitteln verstärkt werden müßte, daß also der Preis von gegenwärtig 188 DM pro Doppelzentner Magermilchpulver weiter gesenkt werden sollte, wie ich dies in meinen Ausführungen bereits dargelegt habe. Wir halten es darüber hinaus für durchaus sinnvoll, daß diejenigen Mengen von Magermilch, die nicht im Kälberfutter untergebracht werden können, an die Schweine verfüttert werden. Die Kommission hat auch Rinder über fünf Monate deshalb einbezogen, weil im letzten Jahr während der Dürreperiode mit der Verfütterung von Magermilch gute Erfahrungen gemacht worden sind; man glaubt, 'daß in diesen Bereich dann auch die so verbilligte Magermilch abfließen wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters.

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Trennung von Magermilch für Tiere unter und über fünf Monate im Rindersektor verwaltungsmäßig überhaupt für durchführbar?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Die Bundesregierung ist hier auf Erfahrungen angewiesen, die die EWG in den verschiedenen Regionen sammeln muß. Dann muß entschieden werden, ob ,das beibehalten werden kann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.

Ignaz Kiechle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001091, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung über das von Ihnen angekündigte Prüfen und Zur-Sprache-Bringen hinaus in Brüssel wenigstens versuchen, zu erreichen, daß der Begriff Kälbermilch oder Kälbermilchaustauscher oder ähnlich klingende Ersatzbezeichnungen bei Futtermitteln nicht verwendet werden dürfen, die überhaupt keine Milch enthalten?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Regelung ist so, daß eine Verbilligung von Magermilchpulver nur dann erfolgt, wenn dem Kälbermischfutter mindestens 60 °/o Magermilchpulver beigefügt werden. Wir können andererseits aus rechtlichen Gründen - so ist die Lage im AugenblickNull-Austauscher ohne Magermilchpulverbeimischung nicht verbieten. Außerdem muß ich sagen, daß wir innerhalb der EG mit unserer Auffassung allein stehen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, das Gespräch kann im Anschluß an die Fragestunde fortgesetzt werden. Ich rufe die Frage 65 der Frau Abgeordneten Geier auf: Hält die Bundesregierung eine staatliche Verbilligung von Trinkmilch an Kindergärten und Schulen im Interesse der gesundheitlichen Wirkung sowie zur Förderung des Milchabsatzes für eine sinnvolle Maßnahme, und in welchem Umfang ist die Bundesregierung bereit, ein solches Programm zu unterstützen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, die Bundesregierung begrüßt im Interesse einer gesunden Ernährung die Abgabe von verbilligter Trinkmilch an Kinder in Schulen. Sie hat deshalb auch dem Vorschlag der Kommission für eine gemeinschaftliche Finanzierung von Schulmilchprogrammen, die in den Mitgliedstaaten aufgestellt und durchgeführt werden, im Rat zugestimmt. Die entsprechende Verordnung sieht neben den Gemeinschaftsmitteln auch eine finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand in den Mitgliedstaaten vor. Gemäß den Erwägungsgründen der Verordnung kann es sich dabei um Mittel aus dem Staatshaushalt oder um Mittel regionaler oder örtlicher Körperschaften handeln. Die Zuständigkeit für die Durchführung derartiger Maßnahmen liegt laut Art. 30 und 83 ff. des Grundgesetzes bei den Ländern, denen deshalb auch gemäß Art. 104 a Abs. 1 unserer Verfassung die Finanzierung obliegt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Geier.

Erna Maria Geier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann uns die Bundesregierung sagen, welcher Betrag des von der EWG zur Verfügung gestellten Finanzvolumens auf die Bundesrepublik entfallen wurde?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Das kann ich im Augenblick nicht. Aber ich kann Ihnen sagen, daß die gesamte Verbilligungsaktion im Fünf-Jahre-Programm für die Bundesrepublik 159 Millionen DM ausmachen würde, pro Jahr 31,8 Millionen DM.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.

Ignaz Kiechle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001091, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, finden Sie es mit mir nicht auch merkwürdig, daß die Bundesregierung in Brüssel zwar Beschlüsse faßt, dann aber erklärt, sie sei nicht zuständig, sondern die Länder müßten das machen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, wir haben eine Verfassung und nach dieser einen föderativen Aufbau unseres Staates. Seit der Durchführung der Finanzreform, die nun schon mehr als fünf Jahre zurückliegt, ist es eindeutig so, daß die Durchführung dieser Maßnahmen und damit auch die Finanzierung bei den Ländern liegen. Diese Rechtslage ist seither noch nie in Zweifel gezogen worden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Susset.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnten Sie, nachdem Sie den Betrag, den die EG zur Verfügung stellen würde, auch die Höhe der Mittel angeben, die vom Bund oder den Ländern zur Verfügung gestellt werden müßten, um diese Schulmilchverbilligung in attraktiver Weise durchführen zu können?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ich habe die Zahl genannt, in deren Höhe Mittel von nationaler Seite zur Verfügung gestellt werden müßten: insgesamt 159 Millionen DM. Die übrigen Zahlen kann ich Ihnen nur schriftlich zugehen lassen. Dabei muß noch bedacht werden, daß von den Schülern selbst ein 50 °/oiger Anteil an den Kosten zu tragen ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.

Peter Würtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann man erfahren, wann die lobenswerte Aktion in Gang gesetzt wird?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die lobenswerte Aktion wird dann in Gang gesetzt, wenn klargestellt ist, daß sich diejenigen, die hier die Durchführung zu vollziehen haben, damit einverstanden erklären, diese Aufgabe zu übernehmen. Das sind in diesem Fall die Länder.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Geldern.

Dr. Wolfgang Geldern (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, habe ich Ihre Äußerungen zur Verfassungslage vorhin richtig verstanden, daß Sie der Meinung sind, es sei der Bundesregierung verwehrt, selbst auch zur Finanzierung beizutragen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Nach unserer Verfassung und nach unserer Finanzverfassung, Herr Kollege, ist es so, wie ich das Problem dargelegt habe.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß unabhängig von der Regelung der EG die Länder und Gemeinden schon heute in der Lage wären, z. B. durch Zuschüsse die Trinkmilch an den Schulen wesentlich zu verbilligen, damit dort durch höheren Verbrauch von Trinkmilch dem gesundheitlichen Aspekt der Schüler mehr Rechnung getragen wird?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, genauso ist es. Die Mittel der öffentlichen Hand brauchen nicht nur von den Ländern zu kommen. Sie können von den Gemeinden, von den Kirchen oder anderen Organisationen kommen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Dr. von Geldern auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß weite Kreise der Mischfutterbranche seit Inkrafttreten der neuen futtermittelrechtlichen Vorschriften ausschließlich die geschlossene Deklarationsform bei Mischfutter anwenden und sogar mit Unterstützung einiger Landesbehörden in Wort und Schrift den Eindruck erwecken, als sei die offene Gemengteildeklaration nicht mehr zugelassen, obwohl der Ernährungsausschuß des Bundestags den Verbänden der Futtermittelwirtschaft in einem Schreiben vom 2. Mai 1975 den Wunsch mitgeteilt hat, „daß auch künftig bei Mischfuttermitteln alle Gemengteile im Interesse der landwirtschaftlichen Verbraucher offen deklariert werden", und was gedenkt die Bundesregierung konkret dafür zu tun, daß die entstandene Unsicherheit in der Landwirtschaft beim Kauf von Mischfutter beseitigt wird und nachteilige Auswirkungen der Anwendung der geschlossenen Gemengteildeklaration auf die Entwicklung der Märkte und auf die Agrarpolitik vermieden werden?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, entsprechend den wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Tierernährung hat das neue Futtermittelrecht das Schwergewicht von den Angaben über die Komponenten der Mischfuttermittel auf die Angaben der Inhaltsstoffe ({0}) verlagert. Der Bundesregierung ist bekannt, daß seit Inkrafttreten des neuen Futtermittelrechts Unsicherheiten beim Kauf von Mischfuttermitteln entstanden sind. Dabei stehen zwei Probleme im Vordergrund: Einmal machten eine Reihe von Unternehmen von der Möglichkeit Gebrauch, die Gemengteile nicht mehr zu deklarieren. Viele Landwirte empfinden dies als unbefriedigend. Zum anderen wird vielfach bei Normtypfutter die verkürzte Deklaration der Inhaltsstoffe gemäß Spalte 3 der Futtermittelverordnung verwendet. In Anbetracht der Qualitätsunterschiede, die auch bei Normtypfutter möglich sind, wird diese verkürzte Deklaration häufig als unzureichend angesehen. Auf meine Initiative hin hat die Normenkommission für Futtermittel des Zentralausschusses der deutschen Landwirtschaft, in der die beteiligten Wirtschaftsverbände und Berufsorganisationen zusammengeschlossen sind, bereits in einer Sitzung am 28. April 1977 in Anwesenheit von Vertretern meines Hauses die im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Mischfuttermitteln entstandenen Schwierigkeiten beraten. Als Ergebnis dieser Sitzung wird zur Zeit geprüft, ob und inwieweit die Information des Landwirts noch erhöht werden kann. Weiterhin wird der Land- und Hauswirtschaftliche Auswertungs- und Informationsdienst ({1}) in Kürze eine Aufklärungsbroschüre für Landwirte herausgeben, um aufgetretene Unsicherheiten beim Kauf von Mischfuttermitteln zu beseitigen. Ähnliche Aufklärungsmaßnahmen werden auch von einigen Ländern durchgeführt. Darüber hinaus haben sich die Vertreter der Mischfuttermittelverbände bereit erklärt, auf ihre Mitgliedsunternehmen dahin einzuwirken, daß zukünftig auf freiwilliger Grundlage auch bei Normtypfutter alle Inhaltsstoffe gemäß Spalte 5 der Futtermittelverordnung deklariert und dem Landwirt, wenn er darum bittet, in jedem Fall die Gemengteile des gelieferten Futters bekanntgegeben werden. Von einem Verband ist der Bundesregierung bereits bekannt, daß ein entsprechendes Rundschreiben an die Mitgliedsunternehmen verschickt wurde. Grundsätzlich ist die Bundesregierung der Auffassung, daß vor einer etwaigen Änderung der Verordnung alle Möglichkeiten für eine Regelung der Probleme auf freiwilliger Basis ausgeschöpft werden sollten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Engholm zur Verfügung. Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Heyenn auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die regional zuständigen Kammern und Verbände nicht in der Lage sind, die Zahlen der neugeschaffenen Ausbildungsplätze für ihren Bereich konkret zu nennen und folgerichtig auch eine bundesweite zuverlässige Zählung nicht möglich sein kann, und wie beabsichtigt die Bundesregierung bejahendenfalls, die genaue Zahl der neugeschaffenen Ausbildungsplätze zu ermitteln, um eine Kontrolle über die Angaben des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsausbildung zu haben?

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Herr Kollege Heyenn, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Die für die Berufsausbildung zuständigen Stellen, also etwa die Kammern, können nur Angaben über die abgeschlossenen Ausbildungsverträge machen. Die Ermittlung der neu geschaffenen bzw. neu bereitgestellten Ausbildungsplätze würde dagegen eine individuelle Erhebung bei den Betrieben voraussetzen, da den zuständigen Stellen die Zahl der den Arbeitsämtern zur Vermittlung angebotenen, aber unbesetzt gebliebenen Ausbildungsstellen nicht bekannt ist. Daher hat der Gesetzgeber, wie Sie wissen, im Arbeitsplatzförderungsgesetz die Erfassung des Gesamtangebots an Ausbildungsplätzen - das ist die für die Beurteilung der Ausbildungsstellensituation relevante Größe - über die Zusammenführung der Statistiken der Kammern und der Arbeitsämter vorgesehen. Eine Kontrolle der Angaben des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung, nach der Sie gefragt haben, wird also bei der Ermittlung des Gesamtangebots am 30. September 1977 möglich werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich hoffe, der Herr Präsident hat nichts dagegen, wenn ich Ihnen zunächst Glück für Ihr neues Amt wünsche ({0}) und daran eine Frage anknüpfe.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gegen Glückwünsche hat der Präsident nie etwas einzuwenden. ({0})

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank! - Ist der Bundesregierung in Würdigung dieses Sachverhalts bekannt, daß von den heute neu angebotenen Ausbildungsstellen viele bereits in den vergangenen Jahren angeboten, aber nicht besetzt wurden, weil sie entweder unattraktiv waren oder die entsprechenden Arbeitsplätze nicht in adäquatem Umfang vorhanden waren?

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Dies ist der Bundesregierung bekannt, Herr Kollege Heyenn. Es gibt zwei Dinge, auf die ich in diesem Zusammenhang hinweisen darf. Erstens wissen Sie, daß die Arbeitsverwaltungen verpflichtet sind, sich in Verbindung mit den jeweils zuständigen Stellen die angebotenen Ausbildungsplätze vor der Vermittlung anzusehen und auf ihre Qualität zu überprüfen. Zum zweiten ist die Bundesregierung im Verein mit vielen gesellschaftlichen Gruppen, die an der Ausbildung beteiligt sind, ständig dabei, durch eine Reform der Ausbildungsordnungen bessere Strukturen für die Ausbildungen zu schaffen. Ich darf nur diese beiden Beispiele nennen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe Frage 44 des Abgeordneten Heyenn auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß auf Grund von Appellen der Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern und ähnlicher Verbände auch die Ausbildungsplätze, die in den vergangenen Jahren im direkten Kontakt Betrieb-Auszubildender vermittelt wurden und bisher nicht in den Statistiken der Arbeitsverwaltung auftauchten, nun als neu geschaffene an die Arbeitsverwaltung gemeldet werden, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun?

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Ich beantworte Ihre Frage wie folgt, Herr Kollege: Die Bundesregierung geht davon aus, daß durch die Bemühungen der Wirtschaft und durch die ständigen Appelle auch der Bundesregierung selbst unter der Norm des Ausbildungsplatzförderungsgesetzes mehr Ausbildungsplätze angeboten werden als im vergangenen Jahr. Die Bundesregierung begrüßte es, wenn zugleich die Zahl der den Arbeitsämtern zur Vermittlung angebotenen Plätze ansteigen würde, da sie, wie bereits im Berufsbildungsbericht ausgeführt, ausschließlich die Arbeitsämter als diejenige Stelle ansieht, bei der Angebot und Nachfrage zusammentreffen sollten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, angesichts sehr widersprüchlicher Meldungen in der Öffentlichkeit über die in diesem Jahr vorhandenen Ausbildungsplätze und angesichts der Tatsache, daß wir rechtliche Grundlagen haben, jede Kuh und jedes Schwein in der Bundesrepublik zu zählen, nicht auch der Meinung, daß wir Grundlagen für eine Meldepflicht für Ausbildungsplätze schaffen sollten?

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Diese Frage, Herr Kollege Heyenn, ist innerhalb der Bundesregierung und mit vielen beteiligten Kräften in der Gesellschaft - wie etwa mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, mit der Bundesanstalt für Arbeit und anderen Einrichtungen - sehr lange und ausführlich diskutiert worden. Ich mache nach wie vor kein Hehl daraus, daß ich ja, als ich dort saß, zu denen gehörte, die eine Anwendung des § 9 des Arbeitsförderungsgesetzes für richtig gehalten hätten. Es gibt in dieser Frage nur sehr geringfügige Kompromißmöglichkeiten. Ein Kompromiß, den ich nach wie vor in meiner neuen Aufgabe gern im Auge behalten möchte, ist der, daß wir modellartig versuchen, das von Ihnen sehr richtig skizzierte Problem in zwei flächendeckenden Modellen in den Griff zu bekommen. Ich bin gern bereit, Sie über den Fortgang dieser Bemühungen zu unterrichten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, aus welchen Gründen verhält sich die Bundesregierung gegenüber einer Meldepflicht für Ausbildungsplätze so zurückhaltend, wo doch die Vorteile für eine vernünftige Planung bei Anwendung der gesetzlichen Vorschriften auf diesem Sektor offenkundig sind?

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Es gibt hier eine ganze Reihe von Argumenten. Ich glaube, das gewichtigste Argument besteht darin, daß die Bundesregierung nicht der Träger der Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland ist. Sie werden deshalb wahrscheinlich Verständnis dafür haben, daß die Bundesregierung auf das Klima Rücksicht nimmt, wenn Sie so wollen, auf die Psychologie derjenigen, die in unserem Land Ausbildung leisten. Hier ist, so würde ich sagen, eine Barriere, die manchmach nur schwer überwindbar ist. Ich komme dennoch auf mein Angebot zurück, über die Möglichkeiten von Modellen auf diesem Felde zu berichten. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter Milz.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Kollegen mitzuteilen, daß die Bundesunternehmen Bahn und Post ihre Ausbildungsplätze vor mehr als zwei oder drei Jahren um über 50 % reduziert und im vergangenen Jahr auf 75 % der alten Anzahl aufgestockt haben und dies nun als Erfolg vermelden?

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Herr Kollege, in diesem Haus hat in der Regel Einigkeit darüber bestanden, daß auch bei den großen Bundesunternehmen wie Bahn und Post Sparprogramme nötig seien. Die Bundespost und die Bundesbahn haben in diesem Jahr nachweisbar - darüber ist bereits in mehreren Fragestunden berichtet worden - über den bei ihnen bestehenden Bedarf hinaus Nachwuchs ausgebildet. Sie haben mit der Festellung recht, daß dennoch ungenutzte Ausbildungskapazitäten bei Bahn und Post vorhanden sind. Ich weise auf die Möglichkeit hin, daß diese anderen Trägern - Arbeitgebervereinigungen, Gewerkschaften, Betrieben und Unternehmen der Wirtschaft - gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden können. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch Sie dazu beitragen würden, in Ihrem Wahlkreis die Arbeitgeber auf die Existenz dieser Möglichkeit hinzuweisen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter Stahl ({0}).

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bezugnehmend auf die Frage des Kollegen Milz: Herr Staatssekretär, stimmen Sie meiner Einschätzung zu, daß dann, wenn Industrie und Handwerk in gleicher Höhe im laufenden Jahr und in den nächsten Jahren Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen würden, die Not, junge Leute in Ausbildungsstellen zu vermitteln, nicht groß wäre, sondern die Plätze ausreichend wären und wohl auch besetzt würden?

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Ich kann Ihnen im Grundsatz zustimmen, daß dies so ist, Herr Kollege. Ich erinnere daran, daß die Bundesregierung wie, glaube ich, auch das Parlament daran interessiert sind, daß Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie die von ihnen gemachten Zusagen einlösen, bis zum Herbst dieses Jahres rund 100 000 Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung zu stellen. Die Wirtschaft steht ebenso wie der öffentliche Dienst im Wort.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble wurde vom Fragesteller zurückgezogen. Die Frage 104 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein ({0}) wird im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Walther auf: Ist die Bundesregierung angesichts der nach wie vor hohen Rate von jugendlichen Arbeitslosen bereit, noch im Jahr 1977 Mittel zur Verfügung zu stellen, um nachgewiesenermaßen unausgelastete Ausbildungskapazitäten bei der Deutschen Bundespost und der Deutschen Bundesbahn voll auszunützen?

Björn Engholm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000476

Herr Kollege Walther, zu dem in der Frage angesprochenen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit Jugendlicher und der Berufsausbildung ist darauf hinzuweisen, daß Jugendarbeitslosigkeit nur beschränkt durch bildungspolitische Maßnahmen beseitigt werden kann. Die hier von Ihnen gestellte Frage nach un-ausgelasteten Ausbildungskapazitäten bei der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost betrifft insofern nur einen von mehreren Aspekten der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Die Frage, ob noch im Jahr 1977 zusätzliche Mittel aus öffentlichen Haushalten bereitsgestellt werden sollen, um Ausbildungskapazitäten bei der Bundespost und der Bundesbahn zu nutzen, ist durch die Entscheidung mitbeantwortet, die von der Bundesregierung auf Grund ihres Berufsbildungsberichts über die Durchführung der Berufsausbildungsfinanzierung im Jahr 1977 getroffen wurde. Nach den Aussagen der Spitzenverbände der Arbeitgeber im Hauptausschuß des Bundesinstituts für Berufsbildung kann - darauf habe ich bei der Beantwortung einer vorangegangenen Frage bereits hingewiesen - in diesem Jahr mit einer erheblichen Steigerung des Angebots an Ausbildungsplätzen gerechnet werden. Dazu müssen - wie hier schon erwähnt - auch die öffentlichen Unternehmen und Verwaltungen ihren eigenständigen Beitrag leisten. Eine Finanzierung zusätzlicher Ausbildungsplätze aus öffentlichen Mitteln wäre zu diesem Zeitpunkt und unter diesen Umständen noch nicht sinnvoll oder vertretbar. Selbstverständlich wird die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, falls die Vorausschätzung, an die wir uns nach wie vor zu halten haben, nicht eintrifft.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe die Frage 103 der Abgeordneten Frau Simonis auf. - Die Fragestellerin ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt. Wir fahren fort in der Aussprache zu dem bereits heute vormittag aufgerufenen Punkt 5 der Tagesordnung: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Deutschlandpolitik. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann.

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst ein paar Worte zu den Ausführungen meiner Vorredner sagen. Herr Kollege Kreutzmann, wir tun keineswegs so, als ob wir Helsinki erfunden hätten. Wir verlangen nur, daß Sie das einfordern, was in Helsinki beschlossen und unterschrieben worden ist, sonst nichts. ({0}) Sie haben doch Helsinki damit gerechtfertigt, daß die Staaten des Ostblocks als Gegenleistung für die westliche Anerkennung des politischen Status quo in Europa Absichtserklärungen hinsichtlich der Menschenrechte und hinsichtlich menschlicher Erleichterungen gemacht haben. Das, was Sie als Vorteil für den Westen verkauft haben, ist doch nur dann ein Vorteil, wenn man auf der Erfüllung dieser Absichtserklärungen besteht. Es ist aber gar nichts, wenn man es toleriert, daß die unterschreibenden Ostblockstaaten ihre Absichtserklärungen als ungeschehen betrachten. Es ist noch weniger, wenn man sogar Verständnis dafür aufbringt, daß die Ostblockstaaten gegen diese Absichtserklärungen handeln und damit Geist und Buchstaben der KSZE- Schlußakte laufend verletzen. Wir bitten also um nichts anderes, als daß Sie bei der NachfolgekonfeDr. Zimmermann renz das einfordern, was vorher feierlich verpflichtend unterschrieben worden ist, nichts sonst. ({1}) Herr Kollege Hoppe hat dankenswerterweise sehr differenziert gesprochen. Es gibt manches - wie man ja wohl aus unserem Beifall gemerkt hat -, wo wir durchaus übereinstimmen. Es war nicht die holzgeschnittene und, wie ich sagen muß, ungewöhnlich simple Betrachtungsweise, die der amtierende Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen an den Tag gelegt hat. ({2}) - Herr Kollege Graf Huyn?

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Zimmermann, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß während dieser Debatte, die über die Grundlagen der deutschen Nation geführt wird, weder der Bundeskanzler noch auch in diesem Moment der Bundesminister -({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Graf Huyn, der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen ist im Saal. Er befindet sich in den rückwärtigen Bereichen des Plenarsaals.

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es bedarf keiner Aufregung, meine Herren von der Regierungskoalition, es bedarf nicht der geringsten Aufregung. Denn wer formuliert, wie das hier geschehen ist, „als Alibi sind die Menschenrechte nicht brauchbar", von dem muß man wirklich annehmen, daß er überhaupt kein Verständnis für die wirklichen Sorgen und Anliegen der Opposition hat. ({0}) Aber das Interesse der Bundesregierung und das Interesse des Bundeskanzlers ist nicht nur durch die ungeheure Präsenz auf der Regierungsbank belegt, sondern der Stellenwert, den die Bundesregierung diesen Problemen der deutschen Nation und ihrer Spaltung zubilligt, war schon in der letzten Zeit ungewöhnlich gering. ({1}) Wir haben keinen Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland erhalten. - Sie können sich die Frage sparen, Herr Corterier, ich beantworte sie ihnen gleich: Wenn die Fragestunde so früh zu Ende geht, wird man Verständnis dafür haben müssen, daß die Präsenz im Hause noch nicht so groß ist. ({2}) Aber die Präsenz im Hause kann so groß sein, wie sie will, Herr Mattick, das ist Sache des Hauses. Die Präsenz der Regierung dagegen ist eine Verpflichtung, die in der Geschäftsordnung steht. Deswegen gibt es die Herbeiholung, wenn Sie wollen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann, einen Augenblick bitte. Normalerweise läuft die Fragestunde 90 Minuten. Wir sind heute mit den Fragen früher fertig geworden. Wir wollten keine Zeit verlieren und haben die Debatte sofort im Anschluß daran fortgesetzt. Ich bitte, das auch zu berücksichtigen.

Dr. Friedrich Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir brauchen nicht auf Nebenthemen auszuweichen. ({0}) Die Sache, über die wir zu reden haben, ist eine andere: Ich sage Ihnen, daß uns Ihre Regierung den Bericht zur Lage der Nation bis heute schuldig geblieben ist, daß in der Regierungserklärung vom 16. Dezember kein solcher Bericht enthalten war, auch wenn Sie das immer wieder behaupten. Das ist die Tatsache. In der sonst monströsen Regierungserklärung war ein kleiner Absatz der deutschen Frage gewidmet. Das, was gesagt worden ist, hat von wenig Engagement gezeugt. Die ganze Nation und ihre Lage ist bei Ihnen hinuntergestuft worden in den Rang des Beiläufigen. Das ist die Wirklichkeit. ({1}) Trotzdem stehe ich nicht an, zu sagen, daß einige Punkte Ihrer Antwort positiv zu bewerten sind. Sie halten fest, wie Sie sagen, an dem Ziel, einen Zustand des Friedens in Europa zu erreichen, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. ({2}) Auch wollen Sie an der einen deutschen Staatsangehörigkeit festhalten. Sie sichern zu, daß ein Staatsvertrag über die Zonengrenze nicht in Betracht kommt. Sie nennen eine Reihe wichtiger Tatsachen, die für das innerdeutsche Verhältnis charakteristisch sind und die Zeugnis von den traurigen Zuständen ablegen, die dieses Verhältnis prägen. Sie zeigen einerseits, wie sehr im innerdeutschen Handel die Bundesbürgschaften in die Höhe gegangen sind und welch bedeutender Faktor dieser Handel für die SED-Planwirtschaft ist, wie wichtig er ist, daß drüben Planungsfehler ausgeglichen, Störungen in der Planerfüllung behoben werden können, die Produktivität in der Wirtschaft erhöht wird und was dadurch an Leistungsverpflichtungen im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe erfüllt werden kann - alles positiv. Während Sie also auf der einen Seite einen für die SED-Planwirtschaft höchst vorteilhaften und praktisch unverzichtbaren innerdeutschen Handel konstatieren, weisen Sie auf der anderen Seite auf eine ganze Reihe politischer Vorgänge hin, die vom SED-Regime ausgelöst wurden und von Ihnen als Belastung des innerdeutschen Verhältnisses gewertet werden. Es fehlt dabei weder der Fall Guillaume noch fehlen die Journalistenausweisungen, die zu2080 nehmende Zahl von Einreiseverweigerungen und auch die Mordtaten an der Grenze. Sie fehlen alle nicht. Sie stellen auch die administrative und strafrechtlichen Schikanen dar, die das SED-Regime an ausreisewilligen Bewohnern Mitteldeutschlands praktiziert. So positiv, so wahrheitsgemäß diese Feststellungen auch sind, insgesamt ist die Antwort der Bundesregierung trotzdem nicht befriedigend. Es werden wichtige Dinge beschönigt oder unzulänglich dargestellt, aber auch verschwiegen. Vor allem wird nirgendwo gesagt, welche politischen Konsequenzen die Regierung aus den von ihr selbst gesehenen Belastungen ziehen will. Sogar Ihr Bekenntnis zur Einheit der Nation, zur einen deutschen Staatsangehörigkeit, zur Rechtsnatur der innerdeutschen Grenze erscheint im Ton, in der Sprache, in der Darstellung und auch nach dem, was heute von der Regierung gesagt worden ist, als eine Pflichtübung ohne Engagement. Was läge eigentlich näher, als in diesem Zusammenhang das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag zu nennen, sich zu dieser für unser Staats- und Nationsverständnis fundamentalen Gerichtsentscheidung zu bekennen? Das Karlsruher Urteil legt Handlungspflichten fest. Danach ist jedes Verfassungsorgan, an allererster Stelle die Bundesregierung, verpflichtet, in ihrer Politik auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands hinzuwirken. Tut diese Pflicht weh, so muß man die Bundesregierung fragen, weil sie sich nicht ausdrücklich zu ihr bekennt? Stört das Bekenntnis zu dieser Pflicht? Kann es nicht in Einklang gebracht werden mit dem, was die Regierung Entspannung und Normalisierung nennt? Die Bundesregierung hätte sich auch in ihrer Antwort durchaus engagierter, weniger buchhalterisch zu der Tatsache äußern sollen, daß es in Mitteldeutschland eine Menschen- und Bürgerrechtsbewegung gibt. Besser, als nur trocken festzustellen, daß der Tod des Pfarrers Brüsewitz für sich selbst spreche, hätte es der Regierung angestanden, etwas zur geistigen Not unserer Landsleute zu sagen, die nach wie vor, trotz eines relativ gestiegenen Wohlstands, vorhanden ist. Warum versteckt sich die Bundesregierung, wenn es um Berlin geht, hinter der auch von uns als sehr positiv erachteten Berlin-Erklärung der Westmächte? Warum gibt sie keine eigene Antwort? Berlin ist doch kein Kolonialgebiet fremder Mächte. Es ist doch unsere Stadt, die eigentliche Hauptstadt Deutschlands. ({3}) Warum spricht die Bundesregierung im Zusammenhang mit ihrer Sorgepflicht für alle Deutschen nicht mit für die Deutschen in Mitteldeutschland? Warum tritt sie leise auf bei der Antwort auf unsere Frage, was für die Durchsetzung der Menschenrechte in Mitteldeutschland von ihr getan wird? Was soll die Halbherzigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, daß sie sich zwar allgemein zu einer auf die Durchsetzung der Menschenrechte abzielende Politik bekennt, es aber ablehnt, ausgerechnet dem SED-Regime gegenüber, Nägel mit Köpfen zu machen? ({4}) Warum wartet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang mit der schwammigen Formulierung auf, daß sie die „vielfältigen politischen und humanitären Wirkungsmöglichkeiten nicht gefährden" wolle, die ihr die Politik des Interessenausgleichs in den letzten Jahren angeblich verschafft habe? Das ist wenig. Das ist flach. Das ist undeutlich. Das ist verschwommen. Das ist nebulös. Das ist nicht handfest, nicht deutlich, nicht engagiert, ohne Herz gesagt. Das ist entscheidend. ({5}) Meine Damen und Herren, Menschenrechte und Politik des Interessenausgleichs sind kein Gegensatz. Ein Interessenausgleich zwischen Ost und West, das heißt doch eine Berücksichtigung auch unserer Interessen. Sie wird um so leichter möglich sein, je unmißverständlicher, je eindeutiger wir unser wirkliches Interesse formulieren und vertreten. Zu diesem Interesse gehört eben auch die Verwirklichung der Menschenrechte im anderen Teil Deutschlands. Wer für alle Deutschen die Freiheit und für das ganze deutsche Volk die staatliche Einheit will, der darf nicht davor zurückschrecken, die Welt mit der Einheit dieser Nation zu konfrontieren, und zwar immer wieder und unaufhörlich, ({6}) der darf nicht davor zurückschrecken, auch vor der UNO auf den ungerechten, unerträglichen, unwürdigen Zustand hinzuweisen, der in der Mitte Europas herrscht, der muß beharrlich und durch eine konsequente Politik zum Ausdruck bringen, daß die deutschen Forderungen unverzichtbar sind. Die Forderung, daß eine Nation staatlich geeint sein muß, wird heute überall in der Welt verstanden. Denken Sie bitte an die als selbstverständlich genommene Wiedervereinigung Vietnams unter kommunistischer Flagge. Heute sind die Deutschen neben den Koreanern das einzige große Kulturvolk, das getrennt leben muß. Wir wissen doch, daß die Teilung Deutschlands eine Ungeheuerlichkeit ist. Sie ist es auch heute. Sie wird mit verbrecherischen Mitteln aufrechterhalten und kann auch nur so, mit verbrecherischen Mitteln, aufrechterhalten werden. Stört die Bundesregierung die offene Erörterung dieser Fakten? Stört das die Politik der sogenannten Entspannung und Normalisierung? Meine Damen und Herren, diese Deutschlandpolitik ist heute an einem Punkt angelangt, wo es Zeit wird, mit diesem terminologischen Blendwerk aufzuräumen, das seit 1969 verwendet wird, um den wahren Charakter der Ost-West-Beziehungen, den wirklichen Stand des innerdeutschen Verhältnisses, den Kern der von Ihnen erfundenen neuen Ostpolitik vor der Öffentlichkeit zu verbergen. ({7}) In Deutschland findet doch keine Entspannung, kein Prozeß der Normalisierung statt. Das sagen Sie doch bloß. Reiseverkehr, Verbesserungen, Familienzusammenführung - ja. Aber in welcher Weise und um welchen Preis, verglichen mit den hochfliegenden Erwartungen, die die neue Ostpolitik Willy Brandts seit 1969 eingeläutet haben und die mit einer Fülle von Zusagen, Verprechungen und Hoffnungen genährt worden sind! „Wandel durch Annäherung" war das Stichwort. Fundamentale Verbesserungen, menschliche Erleichterungen in großem Stil, absolut störungsfreie Bindungen zu Berlin wurden versprochen. Und als es an die Formulierung der Verträge ging, mußte man Unwiderrufliches rechtsverbindlich geben und bekam dafür in unverbindlicher Weise lediglich Widerrufliches. ({8}) Das ist der Sachverhalt. Nahm man diese Unausgewogenheit eigentlich hin, weil man bereits ein zartes Lächeln des Vertragspartners als wohltuende Leistung empfand? Wovor wir von Anfang an gewarnt hatten, trat ein. Kaum hatte man drüben sein Schäfchen im trockenen, kaum hatte das System DDR den mit Beharrlichkeit erstrebten Status internationaler Gleichberechtigung erreicht, da nahmen die Machthaber in Ost-Berlin ihre Schikanen wieder auf. Heute sind wir doch immer wieder Zeugen, wie das SED-Regime gewährte Erleichterungen systematisch zurücknimmt. Und wir werden morgen Zeugen sein, wie diese Erleichterungen gegen neue Zugeständnisse wieder gewährt werden können. Ist es wirklich Entspannung, ist es Normalisierung, wenn Zugeständnisse im allermenschlichsten Bereich nicht um ihrer selbst willen gemacht werden, sondern nur als ein machtpolitisches Mittel der Erpressung figurieren? Das innerdeutsche Verhältnis wird durch die Bedingungen bestimmt, die die Sowjetunion für das Ost-West-Verhältnis insgesamt diktiert. Was sind diese Konditionen? Eine durch keinerlei nachbarschaftliche Rücksichtnahme gehemmte Aufrüstung der Sowjetunion zur größten Militärmacht aller Zeiten, permanente Versuche der Sowjets, ihren Einflußbereich teils mit machtpolitisch-militärischen, teils mit subversiv-revolutionären Methoden weltweit zu vergrößern. Wir sehen eine sowjetische Politik der Verweigerung der Menschen- und Bürgerrechte. Wir spüren den brutalen Willen der Sowjetunion, sich den von ihr wider jegliches Recht beherrschten Teil Deutschlands entgegen dem Willen der Deutschen hüben und drüben für alle Zeiten zu sichern. Alle diese Fakten haben mit Entspannung und Normalisierung eben leider nichts zu tun. Sie sind die Beweise für das Gegenteil und dafür, daß die Sowjetunion augenblicklich nicht im Traum daran denkt, Entspannung zu betreiben und Normalisierung herbeizuführen. Wie sollte es unter diesen Umständen möglich sein, ausgerechnet die DDR, diesen Moskau hörigsten Satelliten, mit den harmlos-illusionistischen Mitteln dieser Bundesregierung auf einen Kurs der Entspannung und der Normalisierung zu bringen? Wie sollte das möglich sein, wenn man nicht voll von Illusionen ist! Das Verhältnis zum kommunistischen Osten, in das das innerdeutsche Verhältnis ja einzementiert ist, ist nur insoweit gut, als man von uns etwas braucht. Es ist gut im wirtschaftlichen Bereich, wo wir den Sowjets, den Polen und allen anderen dringend Benötigtes - Industriegüter, technisches Know-how und nicht zuletzt Geld - bieten können. Deswegen hat Honecker auf der Leipziger Messe auch so biedermännisch gesagt, daß die angeblich nur „mitunter" auftretenden politischen Differenzen die Entwicklung der ökonomischen Beziehungen nicht zu beeinträchtigen brauchten. Doch nicht einmal im wirtschaftlichen Bereich heißt „gut", daß auch wir echte Vorteile aus diesen Beziehungen haben sollen. „Gut" heißt nur, daß man uns auf diesem Gebiet weitgehend freundlich behandelt und sich der ansonst üblichen Beschimpfung unseres Landes wohlweislich enthält. Dort aber, wo die Sowjets und ihre Satelliten von uns nichts haben wollen, weil sie das, was sie von uns wollen könnten, schon haben, sind die Beziehungen frostig. Wenn wir uns für die Wahrnehmung unserer eigenen Rechte und berechtigten Interessen einsetzen - als da sind: Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung vor inneren Feinden, Verteidigung dieser Ordnung gegen äußere Feinde, Streben nach Selbstbestimmung und Wiedervereinigung, Beharren auf dem Heimatrecht unserer Vertriebenen -, wenn wir das sagen, was legitim, was unser Recht ist, dann werden wir beschimpft und diskreditiert, wo immer sich eine Gelegenheit bietet. ({9}) Im ost-westlichen Verhältnis liegt nicht Entspannung, sondern Spannung vor. Die Substanz der sogenannten Entspannungspolitik, die der frühere Bundeskanzler Brandt getrieben hat und die die jetzige Bundesregierung fortsetzt, besteht allein darin, daß die Bundesregierung gegen die vom Osten gesetzten Spannungsursachen kaum noch aufbegehrt, ja daß sie sie gleichsam leugnet. ({10}) Und wenn sie doch einmal, wenn sie doch e i n -m a 1 aufbegehrt - wie wütend war die Reaktion Honeckers, als der Bundeskanzler vorige Woche in Berlin die Interpretation des Berlin-Abkommens der anderen Seite zurückwies, wonach der Viermächte-status angeblich nur mehr für West-Berlin gilt. Dabei hat der Kanzler gar nicht alles gesagt, was er hätte sagen können, ({11}) nämlich daß das freie Berlin ein Land der Bundesrepublik Deutschland ist, so dieser Tage Staatssekretär Hartkopf vom 'Bundesinnenministerium. Es hat zwar wegen der alliierten Rechte einen geminderten Status, es ist kein konstitutiver Teil, aber es ist doch ein Bundesland. Normalisierung in Deutschland wäre, meine Damen und Herren, wenn ein Prozeß in Gang käme, an dessen absehbarem Ende die Gewährung der Menschen- und Bürgerrechte für alle Deutschen, das Selbstbestimmungsrecht und die Wiedervereinigung stünden. Das alles mag heute unerreichbar sein. Deswegen aber das Leugnen der Spannung 'Entspannung und das Hinnehmen des Unnormalen Normalisierung zu nennen, ist der Wahrheit Gewalt angetan. ({12}) Die Bundesregierung weiß genau, wie die Lage wirklich ist. Nur verwendet sie bei der Schilderung dieser Lage Worte, die manchmal einen falschen Eindruck hervorrufen müssen. Wenn wir von der CDU/CSU verlangen, der Westen möge auf dem bevorstehenden KSZE-Überprüfungstreffen in Belgrad das einfordern, was auch die kommunistischen Staaten 1975 in Helsinki unterschrieben haben, oder die Bundesregierung möge die Ost-Berliner Politik der Nichterfüllung und des Bruchs von Verträgen nicht mehr tatenlos hinnehmen, dann hören wir von der Bundesregierung, daß man von „Sanktionen" nichts halte, daß man „nichts erzwingen und nichts erkaufen" könne, daß es, wenn wir die „Politik des großen Knüppels" machten, mit Entspannung und Frieden Schluß sei. Meine Damen und Herren, wer auf Vertragserfüllung besteht und verlangt, daß Vertragsbruch geahndet wird, plädiert nicht für eine „Politik des großen Knüppels", sondern für die Durchsetzung und Wiederherstellung des Rechts und damit für eine Grundvoraussetzung der Entspannung. Durch eine solche Politik würde daher auch nicht mit Entspannung und Frieden Schluß gemacht. Es würde nur vollends offenbar werden, daß wahre Entspannung und wahrer Frieden eben nicht gegeben sind. Die Bundesregierung will das nicht zugeben. Sie will nicht zugeben, daß sie sich von Anfang an korrigieren müßte. Natürlich wissen wir, daß das niemand gern tut. Die Bevölkerung weiß ohnehin, was los ist und wie die Lage wirklich ist. Der Sowjetkommunismus hat sich hinsichtlich seiner Zielsetzung nicht geändert und wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Aber geändert haben sich auch nicht unsere unverzichtbaren Rechte und Interessen. Wir kommen deswegen um eine ideologische Auseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus nicht herum. Es gibt Mittel, und die Bundesregierung hätte Mittel, die für eine aktive Politik geeignet wären. Das eine Mittel ist die Wirtschaft. Der ganze Ostblock ist so sehr auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Westens angewiesen, daß der Westen den Osten durch eine gezielte Dosierung der Verweigerung auf dem Gebiet der Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik durchaus treffen könnte. Das andere sind die Menschenrechte. Die Diskussion um sie, die weltweit mit einer elementaren Kraft in Gang gekommen ist, ist ohne Frage einer der bedeutendsten Vorgänge unserer Zeit. Die Menschenrechtsdiskussion kann, richtig genutzt, zum Vehikel der Politik des Westens werden. Auch eröffnet sie absolut Chancen, in der deutschen Frage endlich wieder einmal voranzukommen. ({13}) Die Verhandlungen müssen in erster Linie darauf gerichtet sein, den Verantwortlichen für die Teilung Deutschlands, die Sowjetunion, in Pflicht zu nehmen. Es hilft uns gar nichts, wenn wir in Ost-Berlin für Dinge zahlen, die letztlich nur Moskau gewähren kann. Natürlich wird sich Moskau weigern, sich an seine Mitverantwortung in der deutschen Frage erinnern zu lassen, in dieser Frage Verpflichtungen zu bestätigen, denen es sich durch die Ostpolitik dieser und der letzten Bundesregierung enthoben glaubt. Auch wird sich Moskau weigern, auf Ost-Berlin in unserem Sinne Druck auszuüben oder mit uns und den Verbündeten in innerdeutschen Angelegenheiten unmittelbar zu verhandeln. Das verkennen wir nicht. Wir haben jedoch eine ganz realistische Chance, das Moskauer Interesse an Gesprächen über Deutschland dennoch zu wekken. Wir müßten nur den Ostberliner Machthabern eine Stunde der Wahrheit bereiten, und die Bundesregierung könnte das. Sie könnte das, wenn sie bei künftigen Verhandlungen mit dem SED-Regime folgende von uns seit längerem aufgestellte Forderungen konsequent beachtete, nämlich: daß bei neuen Verhandlungen nicht bloß Scheinerfolge, sondern echte Erfolge angestrebt werden; daß das Prinzip der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung zur Anwendung gebracht wird; daß die Bundesregierung sich bemüht, daß bereits geschlossene Verträge voll ausgeschöpft werden, daß insbesondere der Verkehrsvertrag so angewendet wird, daß der innerdeutsche Reiseverkehr wirklich der üblichen internationalen Praxis entspricht; daß sie neue Abmachungen anstrebt, die über Reiseerleichterungen und Familienzusammenführungen hinausgehen und ganz allgemein auf die Verwirklichung der Menschenrechte in Mitteldeutschland gerichtet sind; daß sie die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Ost-Berlin nicht mehr isoliert voneinander betrachtet und insbesondere wirtschaftliche Maßnahmen nur noch unter der Bedingung zusichert, daß das SED- Regime politische Zugeständnisse macht, wie es Manfred Abelein vorher mit Recht gefordert hat; ({14}) daß sie sich nicht auf Wünsche des SED-Regimes einläßt, auf der bevorstehenden Belgrader Konferenz die Menschenrechtsfrage dadurch herunterzuspielen, daß sie auf das offensive Eintreten für die Durchsetzung der Menschenrechte in Mitteldeutschland und insbesondere auch auf die Vorlage einer Dokumentation über die Verletzung der Menschenrechte durch das SED-Regime verzichtet; daß sie bei jeder Abmachung mit den Machthabern in Mitteldeutschland im Auge behält, daß die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands in Freiheit das unverzichtbare Ziel jeder deutschen Politik sein muß. Unter solchen Umständen müßte das SED-Regime, dessen Unzuständigkeit für die eigenen AngelegenDr. Zimmermann heiten sich zwangsläufig erweisen würde, entweder passen oder Moskau ins Spiel zu bringen versuchen, was Moskau nicht gleichgültig sein könnte. Nur durch eine solchermaßen orientierte Politik der Verhandlungen, die im übrigen durch eine entsprechende Politik gegenüber Moskau zu ergänzen wäre, könnten wir eine Chance schaffen, Moskau - und damit auch Ost-Berlin - für Maßnahmen der Entspannung zu gewinnen. Nun wird die Bundesregierung nicht müde, öffentlich dafür Verständnis zu bekunden, daß das SED-Regime nicht alle vertraglich gemachten Zusagen einhalten und nicht auch noch Zusätzliches zusagen könne und daß sich insbesondere der frische Luftzug der freien menschlichen Begegnung regimebedrohend auswirken müßte. Auch in der Antwort auf die Große Anfrage kommt dieses seltsame Verständnis zum Ausdruck. ({15}) Wir sind hier ganz anderer Meinung. ({16}) Wer die Schonung des Regimes predigt - und Herbert Wehner hat in einer Hamburger ,,Stern” -Stunde entsprechende Ausführungen gemacht -, wer insbesondere auch gegen Sanktionen redet, die allmählich dringend erforderlich wären, der handelt nicht im Sinne der Entspannung, der bestärkt die Kommunisten in ihrer Überzeugung, mit ihrer Politik der Maximalforderungen, der Erpressung, der Mißachtung geschlossener Verträge auf dem richtigen Wege zu sein. ({17}) Wer das tut, der macht sich der Kapitulation vor dem Rechtsbruch und vor der Gewalt schuldig. Eine Kapitulation aber, meine Damen und Herren, sollten wir unterlassen, um den Unterdrückten nicht die Hoffnung zu nehmen, aber auch im Interesse unserer eigenen Freiheit. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Anfrage, über deren Beantwortung wir heute hier sprechen, haben wir von seiten der SPD-Fraktion mit gemischten Gefühlen entgegengesehen. Und ich muß sagen, die Rede des Kollegen Zimmermann hat den negativen Akzent dieser gemischten Gefühle voll und ganz bestätigt. ({0}) Auch hier konnten wir wiederum nur erleben, wie in der Anfrage selbst, daß alles, was hier behauptet, gefragt und verdächtigt wird, nicht einmal, sondern mehrmals in diesem Plenarsaal und an anderer Stelle vorgetragen worden ist. Natürlich hatten wir die Sorge - und die habe ich nach der letzten Rede immer noch -, daß erneut eine jener quälenden und fruchtlosen Debatten hier stattfindet, mit polemisch hochgestochenen Vorwürfen und Verdächtigungen gegen die Bundesregierung von seiten der Opposition, wie wir es jetzt gerade erlebt haben, ohne das Angebot einer Alternative. Es sei denn, man nimmt den abenteuerlichen Vorschlag des Kollegen Zimmermann, die Unzuständigkeit der DDR-Regierung in eigenen Angelegenheiten zu entlarven, als eine Alternative. Aber die lassen wir gern im Raum stehen. Dies spricht für sich. Dies kann nicht ernst gemeint sein. Es kann nur ein innenpolitischer Angriff auf die Bundesregierung sein, der damit beabsichtigt wird. ({1}) Andererseits ist es für Regierung und Regierungsparteien notwendig, die Schwierigkeiten, die es natürlich gibt, nüchtern darzustellen, und die bisher erreichten Verbesserungen zum wiederholten Male aufzuzeigen, sie in Erinnerung zu rufen. Dieses kann eine Debatte mit einer im ganzen keineswegs positiven Auswirkung werden; denn wir verzeichnen es ja jetzt schon, daß bei Bürgern der Bundesrepublik Deutschland der Verdruß an der Behandlung dieses Gegenstandes in dieser Form steigt. Natürlich kann es das Interesse nicht wecken und fördern, wenn eine solche Politik derartig schlechtgemacht wird, ohne daß eine Alternative angeboten wird. Da braucht man sich nicht zu wundern, wie es Herr Abelein tut, daß bei der Jugend die Information über den zweiten deutschen Staat verhältnismäßig gering ist. Ich kann auch nur bestätigen, was uns Herr Kreutzmann schon heute vormittag gesagt hat, daß sich nämlich bei den DDR-Bürgern, die diese Debatte verfolgen können, Verbitterung entwickelt, daß sie fragen: Denkt man in Bonn wirklich an uns, oder geht es nicht nur um einen Parteienstreit mit rein innenpolitischer Zielsetzung? ({2}) Ich sagte schon, diese Sorge ist aktualisiert worden. Wir als Parlament sollten die Chance nützen zur nüchternen Bestandsaufnahme. Wir sollten eine Klärung versuchen, die weiterführt, und uns heute nicht in der Konfrontation erschöpfen. Ich möchte gleich sagen, die Bundesregierung hat ihre Chance, die ihr mit dieser Anfrage geboten wurde, hervorragend genutzt, sie hat in der Antwort eine ausgewogene und umfassende Bilanz der Leistungen der Bundesregierung seit 1969 gegeben. Sie hat eine nüchterne Analyse der Lage vorgestellt, bei der sie auch die Schwierigkeiten im innerdeutschen Verhältnis nicht verschweigt. Die sachliche Gegenüberstellung der Rückschläge und Fortschritte seit 1969 - und ich muß sagen, bei Herrn Dr. Zimmermann habe ich nicht einen einzigen Fortschritt hier erwähnen hören, auch nicht die Andeutung, daß er da etwas bemerkt hat ({3}) zeigt: diese Deutschlandpolitik seit 1969 hat sich im ganzen gelohnt; sie hat sich gelohnt für die Menschen, sie hat sich gelohnt zur Sicherung und Stärkung Berlins, und sie hat sich gelohnt für die Erhaltung und Stärkung der Beziehungen und Verbindun2084 gen über die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten hinweg. ({4}) Wenn wir sagen - und das will ich ganz klar machen -, dieses ist eine Politik ohne Alternative, dann meinen wir damit: dieses ist die einzig richtige Politik gewesen, auch im Rückblick auf das Jahr 1969 und die folgenden Jahre. ({5}) Wir wollen diesen Weg trotz der fortbestehenden Gegensätze, trotz der Rückschläge fortsetzen. Wir wollen weitere Bereiche der Zusammenarbeit erschließen, Möglichkeiten des Interessenausgleichs mit der DDR nutzen. Wie steht nun die Opposition dazu? Würdigt sie den Realismus der Darlegungen in der Antwort der Bundesregierung? Nutzt sie die Chance zu einer gemeinsamen Überlegung, wie Opposition und Regierung und Regierungsparteien gedeihlich und ergiebig an Hand der hier vorgelegten nüchternen Bilanz zusammenwirken können? Natürlich müssen wir fragen: Geht sie endlich einmal - wenigstens andeutungsweise - auf Distanz zum ständigen Nein zu fast allen abgeschlossenen Vereinbarungen, zu fast allen getroffenen Maßnahmen, zur gesamten Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung? Wir können solche neuen Ansätze in der Sache heute hier nicht feststellen, obwohl es im Vorfeld dieser Debatte einige Hinweise darauf gegeben hat; so hat zum Beispiel die Vorbereitung und Ankündigung des Bundesparteitags der CDU Anfang März in Düsseldorf zumindest in der Öffentlichkeit erhebliche Erwartungen geweckt. Es fand Beachtung und Interesse, daß die CDU dort auch kritische Referenten einlud. Man fragte sich: Sollen in der Tat die festgefahrenen Standpunkte noch einmal zur Debatte gestellt, sollen sie überprüft werden? Es fand Aufmerksamkeit, daß ein ganzer Tag unter dem Thema „Unsere Verantwortung für Deutschland" stand. Man erwartete von diesem Parteitag deutschlandpolitische Signale. Nun, sie sind ausgeblieben. Das ist vielleicht kein Wunder, wenn man sich vor Augen hält, wie eng der Bewegungsraum dieser Partei dort gewesen ist, von vornherein begrenzt durch die CSU und durch diejenigen, die die CSU-Linie auch innerhalb der CDU vertreten. Die Presse konstatierte am Ende Ratlosigkeit, sie konstatierte, daß die alteingefahrene Politik des Alles oder Nichts dort fortgesetzt wird. Vielleicht noch interessanter war der Kommentar, den wir von Herrn Zimmermann lesen konnten, der kühl erklärte: „Darum scheint mir dieser Parteitag noch nicht ein Parteitag der Klärung der Positionen, sondern ein Parteitag der Fragestellungen zu sein." Aber wo diese Fragen beantwortet werden sollen - ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 16. März 1977 -, das sagte uns Herr Zimmermann auch gleich: „Die Antwort auf diese Fragen werde in erster Linie die Bundestagsfraktion zu geben haben. Hier fühle sich die CSU besonders angesprochen, weil sie gerade auf diesem Gebiet eine besonders klare und eindeutige Meinung vertreten habe." Die haben wir dann ja heute von Herrn Zimmermann zur Genüge erlebt. Andererseits haben wir im Vorfeld dieser Debatte einiges an Diskussionsbeiträgen aus den Reihen der CDU gehört: Es gebe doch erhöhte Chancen zum außen- und deutschlandpolitischen Konsens. Es liege doch im Interesse der Bundesrepublik, ja im gesamtdeutschen Interesse, wenn ein solcher Konsens zustande komme. In wesentlichen Bereichen gebe es Übereinstimmung. Und schließlich die verwegen klingende Folgerung, die CDU/CSU würde bei einer Regierungsübernahme den gleichen Kurs verfolgen wie die jetzige Bundesregierung. Wir haben das mit großem Staunen zur Kenntnis genommen; denn so etwas könnte ja hoffnungsfroh stimmen. Ich sage: es könnte, wenn es nicht reine Taktik wäre. Herr Kollege Kreutzmann hat schon darauf hingewiesen: Das, was als Bundesregierung angesprochen wird, wird auseinanderdividiert. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Jedenfalls sind nur zwei Gute übriggeblieben, und nach den Zeitungsmeldungen der letzten Tage ist einer der Guten aus dem Töpfchen wieder herausgenommen worden. Im Moment bleibt von dieser Bundesregierung also ein Minister, dem Sie Ihre Sympathie zuwenden und von dem Sie sagen, daß Sie mit ihm übereinstimmen. Das zweite: An den inhaltlichen Grundpositionen hat sich nichts geändert. Das hat die Debatte in Düsseldorf gezeigt, das hat heute Herr Kollege Zimmermann mit der Behauptung bewiesen, hier sei seit 1969 in der Ostpolitik ein Blendwerk aufgebaut worden, das beseitigt werden müsse. Herr Abelein ist vorhin hergegangen und hat die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage als Bankrotterklärung bezeichnet, also damit feststellen wollen, diese Ostpolitik sei bankrott. ({6}) Da fragt man sich natürlich, was soll das für eine Opposition sein, die im Falle der Regierungsübernahme in der Lage wäre, diese Politik fortzusetzen, ({7}) wenn sie sie doch von Anfang an für verfehlt hält. Da nützt es gar nichts, wenn Sie darauf verweisen, daß Sie an irgendwelchen weniger auffälligen Stellen auch erklärt haben, Sie akzeptierten die abgeschlossenen Verträge; denn diese Verträge sind keine tot daliegenden Gleise, auf denen man in der angezeigten Richtung ganz von selbst weiterfährt. Es sind empfindliche Instrumente, die behutsam gehandhabt, die mit Leben erfüllt werden müssen. Eine alte Politik auf neuer Grundlage wird es nicht geben, wenn man nicht will, daß die Grundlage verrottet, daß sie unter den Belastungen, denen sie ausgesetzt wird, zerbricht. Das könnte dann allenfalls nachträglich noch dazu führen, daß Sie sagen, die vertragliche Grundlage sei doch sehr schlecht gewesen. Oder wir hören - auch gestern im Auswärtigen Ausschuß - von Kollegen der CDU/CSU, es könne doch ein Wechelspiel oder gar Zusammenspiel zwiDr. Schmude sehen Opposition und Regierung geben. Man müsse doch die weitergehenden Möglichkeiten der Oppotion nutzen. Es sei ja ganz verständlich, daß die Bundesregierung Zurückhaltung zu üben, manchmal einen stillen Weg zu gehen habe. Die Opposition aber könne da mit lautstarken Erklärungen durchaus hilfreich sein. Diese Arbeitsteilung mag für Sie verlockend sein, aber sie ist leider wiederum nur rein taktisch, innenpolitisch gemeint. Natürlich muß sich die Regierung im Interesse der Wirksamkeit an der Offenlegung aller ihrer Bemühungen, Ziele und Absichten gehindert sehen. Sie muß sich auch daran gehindert sehen, öffentlich Vorwürfe und Anklagen gegen andere Staaten und Regierungen zu erheben, mit denen sie gleich anschließend über denselben Gegenstand erfolgreich verhandeln will. Die Opposition nutzt das nun nicht, um Verständnis zu zeigen, um Hilfe zu leisten. Sie nutzt es zu Vorwürfen der Nachgiebigkeit, der Feigheit, der Untätigkeit. Heute haben wir einiges Neue dazubekommen. Eine Leidensbereitschaft unterstellt Herr Abelein der Bundesregierung, und Herr Zimmermann geht sogar so weit, zu sagen, das sei alles verschwommen, das sei ohne Herz. Wir sagen Ihnen ganz klar: Dies ist ein miserables Rollenspiel, mit dem Sie uns dort kommen. Das wird durch das beleuchtet, was in Düsseldorf auf den Beitrag des Herrn Carstens geschehen ist. Die „Zeit" berichtete darüber in einem Artikel am 11. März: Brausender Beifall begleitete Karl Carstens, als er in den Saal rief, wenn man zugunsten stillerer Methoden den Verzicht auf offene Worte zu den Menschenrechtsverletzungen im Ostblock verlange, dann sei dieser Preis für die Entspannung zu hoch. Nun ja, brausender Beifall! Wir fühlen uns demgegenüber durch die Äußerung etwa des Kollegen Hoppe vertreten, der heute morgen genau entgegengesetzt formuliert hat: Leisere Töne können größere Wirkung haben. ({8}) Wir können es Ihnen nicht ersparen, die Doppelbödigkeit Ihrer Anstöße zu beleuchten. Wir werden nicht zulassen, daß Sie auf uns einschlagen und zugleich mit scheinbar wohlwollendem Augenzwinkern der Regierungspolitik signalisieren, einiges sei doch ganz richtig und notwendig, was da geschehe. Das ist es in der Tat. Es sind aus unserer Sicht goldene Worte, wenn es in der Antwort zur Großen Anfrage heißt: Die Regierung wird sich in erster Linie von der Wirksamkeit des Handelns bestimmen lassen, bei dem Eintreten für Menschenrechte allein die Interessen der Betroffenen im Vordergrund sehen. Damit kommen wir zum Thema der Menschenrechte, das uns in diesen Tagen auch im Zusammenhang mit mehreren Entschließungsanträgen beschäftigt, die im Hinblick auf die Folgekonferenz in Belgrad eingebracht worden sind. Wir haben zu verzeichnen gehabt und haben es zunächst gar nicht geglaubt, daß das ernst gemeint war und wirklich geschehen sollte, daß die CDU/CSU erneut versuchte, mit einem eigenen Entschließungsantrag spezielle deutsche Probleme zum Gegenstand internationaler Verhandlungen zu machen, in die Belgrader Folgekonferenz über eine Dokumentation einzubringen und auf diese Weise das Gesamtunternehmen dort natürlich zu belasten. Wir sind keineswegs der Auffassung, daß über Menschenrechte in Belgrad nicht gesprochen werden sollte. Wir ha- ben immer wieder deutlich gemacht, daß alle Prinzipien und Erklärungen der Schlußakte von Helsinki gleichermaßen dort behandelt werden müssen. Dazu gehören allein um der Folgerichtigkeit willen natürlich auch die Menschenrechte. Wer diesen Teil aber in den Vordergrund stellt, wer zudem noch eine spezielle deutsche Note hineinbringt, der wird erleben müssen, daß er das gesamte Vorhaben belastet, daß er die Fortführung der in Helsinki so erfolgreich begonnenen Politik gefährdet, daß er sogar, wie Herr Hoppe mit Recht gesagt hat, die eigenen Partner überfordert. Nun haben Sie angekündigt, Sie würden eine eigene Dokumentation über Menschenrechtsverletzungen in Deutschland und an Deutschen erstellen, und Sie würden sie gegebenfalls auf einem besonderen Wege nach Belgrad bringen. Wir sind sehr gespannt, welche Regierung sich in dieser Welt findet, eine solche Dokumentation für Sie zu transportieren und dort abzugeben. Wir sehen Sie bisher in der KSZE-Politik, und zwar seit 1975, international isoliert und einsam auf weiter Strecke. Zum Bereich der Menschenrechte gehört in weiterem Sinne die Familienzusammenführung, über die in der Antwort auf die Große Anfrage einiges gesagt worden ist. Wir unterstreichen voll, wenn Bundesminister Franke auf die Wichtigkeit und den Wert jedes gelösten Einzelfalles hinweist. Die Zahlen dort - das kann man aus der Antwort entnehmen - sind stark angestiegen. Hinter jeder Zahl steckt ein Einzelschicksal, das auf diese Weise gelöst werden konnte. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die DDR verhältnismäßig großzügig vorgegangen ist, indem sie auch andere Personen, die nicht unter den engen Begriff der Familienzusammenführung fallen, hat ausreisen lassen. Aber nun erleben wir - und wir erleben es leider auch in Form von Kampagnen auf unserer Seite -, daß versucht wird, den Bereich der Familienzusammenführung sozusagen gewaltsam auszuweiten. Wir geben zu bedenken, daß das sehr schnell dazu führen kann, daß auch in denjenigen Fällen Rückschläge und Verzögerungen eintreten, in denen echte Familienzusammenführungen vorliegen. Das mag jeder bedenken, der meint, er könne über dieses Instrument eine große Öffnung schaffen, durch die viele DDR-Bürger aus der DDR ausreisen können. Es ist durchaus nicht unsere Sache, von hier, vom Westen aus Ausreisewünsche, die von dort kommen, zu bewerten, möglicherweise gar negativ zu bewerten. Aber wir können doch bei aller Vorsicht vielleicht feststellen: Es können nicht alle von drüben weg; es kann nicht einer Normalisierung in Deutschland dienen, wenn es eine große Auswanderungswelle oder auch nur den Versuch dazu gibt, wenn sich das wiederholen soll, was in den Jahren 1961 mit ständig größeren Schlagzeilen bei uns ja so deutlich registriert worden ist. Ich will noch zwei Punkte ansprechen, bei denen wir in der Tat sehen, daß hier eine bedenkliche Erscheinung zu verzeichnen ist. Das eine sind die Einreisesperren, die wir Anfang des Jahres für solche registrieren mußten, die dort ihre Angehörigen, insbesondere ihre Verlobten, besuchen wollten. Es ist im Einzelfall eine sehr harte Belastung, wenn eine solche Einreisesperre ausgesprochen wird; das ungewisse Schicksal der künftigen Familie belastet ohnehin genug. Wir sind der Bundesregierung dankbar dafür, daß sie sich bemüht, in diesen Fällen auf Abhilfe zu drängen. ({9}) Mit Recht hat Bundesminister Franke darauf hingewiesen, daß es beim Stichwort „Zwangsadoptionen" erforderlich ist, zu differenzieren, den Einzelfall zu untersuchen und festzustellen, ({10}) wie der Vorgang dort eigentlich gewesen ist. Und dann wird sich herausstellen, daß es im Einzelfall drüben Anlässe zu Entscheidungen gegeben hat, die durchaus ihr Gewicht haben, und daß es in anderen Fällen reine Vorwände sind, die dazu geführt haben, daß man im Einzelfall eine andere Sorgerechtsregelung getroffen hat. Ich meine, das können wir so nicht anerkennen, und es ist richtig und gut, daß auch das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in diesen Fällen nicht locker läßt, sondern sich weiterhin um eine Lösung zugunsten der getrennten Familien bemüht. ({11}) - Man kann das „Bemühen" nennen, und es hat in vielen Fällen bereits zu positiven Lösungen geführt. Das ist uns wichtiger als Sonntagsreden und Demonstrationen. ({12}) Nun hat der Staatsratsvorsitzende der DDR vor etwa zwei Monaten in einem Interview davon gesprochen, verbesserte Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger stünden im Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeitsfrage, und hat damit die Erwartung ausgedrückt, wir würden durch Rechtsänderung bei uns dafür sorgen, daß es getrennte Staatsangehörigkeiten gibt. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort sehr kurz, knapp und mit unüberbietbarer Deutlichkeit erklärt, sie halte an der deutschen Staatsangehörigkeit fest, wie sie durch Grundgesetz und Gesetz vorgeschrieben ist. - Ich möchte dazu noch etwas ergänzen, denn auch aus dem Bereich der Bundesrepublik gibt es ja Fragesteller, die sagen: Nun ja, nun ist das drüben ein Staat; warum laßt ihr nicht auch zu, daß die Staatsangehörigkeiten fein säuberlich getrennt werden? - Wir müssen darauf verweisen, daß sich Deutschland in einer ganz besonderen Lage befindet, daß es gegen seinen Willen geteilt ist und noch lange nach der Teilung beide Teile von einer einheitlichen Staatsangehörigkeit ausgegangen sind. Diese Staatsangehörigkeit steht für uns aus rechtlichen und politischen Gründen nicht zur Disposition. Sie enthält keinen Angriff auf die DDR und keine Einmischung in innere Angelegenheiten der DDR. Sie enthält ein Angebot an diejenigen, die es nutzen wollen und nutzen können. Niemand bei uns hätte Verständnis dafür, wenn seine Eltern, die als Rentner die DDR verlassen und hier Wohnsitz nehmen können, oder seine Verlobte, die er aus der DDR holt, eingebürgert werden müßten. Wir nehmen mit dieser Rechtspraxis der DDR nichts von ihrer Staatlichkeit. Ja, wir sehen uns in dieser Beurteilung in Übereinstimmung mit ihr. Denn sie selbst hat durch das ausdrückliche Offenlassen der Staatsangehörigkeitsfrage im Grundvertrag bestätigt, daß das mit einer eigenen Staatlichkeit durchaus übereinstimmen kann. Es besteht außerdem überhaupt kein Zusammenhang mit dem Reiseverkehr und den Reisemöglichkeiten. Denn sonst könnte man von seiten der DDR nach anderen Staaten, mit denen etwa Konsularabkommen bestehen, den Reiseverkehr freigeben. Soweit freilich im Hintergrund daran gedacht ist, später zu einer Art Auslieferungsabkommen zu gelangen, möge man uns das klar sagen. Ich denke, wir sind uns alle ohne jedes Zögern völlig einig: Eine Auslieferung und eine Abschiebung kann und wird es nicht geben. Das muß man auch denen sagen, die sich als Bürger der DDR über eine Erweiterung des Reiseverkehrs Gedanken machen und meinen, hier könnte man vielleicht etwas tun. Von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Opposition, gibt es immer wieder den Vorwurf, diese Deutschlandpolitik der Bundesregierung sei nicht ausgewogen. Ich habe als besonders leuchtendes Beispiel in der „Welt" von Ende März in einem Artikel des Herrn Kollegen Abelein den Satz gefunden: Aber von der Bundesrepublik werden hohe finanzielle Leistungen erbracht, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Wirtschaftsbeziehungen stehen, sondern die darauf abzielen, ein entgegenkommenderes politisches Verhalten von seiten der DDR zu erreichen. ({13}) Ich wiederhole:. . . ein entgegenkommenderes politisches Verhalten von seiten der DDR zu erreichen. Ich habe gehofft, der Herr Kollege Abelein werde heute Gelegenheit nehmen, uns zu sagen, was das denn für Leistungen sind, bei denen man angeblich noch etwas machen kann. ({14}) Statt dessen hat er das gesteigert mit der Erklärung, es gebe finanzielle Geschenke. Da sollten Sie endlich klar werden und nicht pauschale Vorwürfe und Beschuldigungen vorbringen, sondern sagen, wo Sie einen Hebel ansetzen wollen ({15}) und wo nach Ihrer Meinung mit Sinn und Verstand durch Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung noch etwas zu machen wäre, was versäumt worden ist. Es ist nichts versäumt worden. Die Ausgewogenheit ist bei jeder Leistung deutlich eingehalten worden. Wir haben heute mehrmals gehört - auch Herr Zimmermann hat darauf hingewiesen -, man könne beim Interzonenhandel etwas machen. Die Auseinandersetzung darüber sollten Sie erst mit den sogenannten Nordlichtern in Ihrer eigenen Partei führen. Es war ja Herr Stoltenberg, ({16}) der mitten im Wahlkampf Herrn Kohl mit der Erklärung widersprach: Am Interzonenhandel ist nicht zu rühren; er ist kein Instrument zum Durchsetzen einer anderen Politik. Bei einer Gesamtbetrachtung können Verlauf und Stand der Deutschlandpolitik der Bundesregierung seit 1969 zusammenfassend so gewürdigt werden: Es gibt keinen großen Durchbruch. Es gibt auch heute noch keine Patentlösung. Fortschritte sind nur mit Zähigkeit, Geduld, Kraft und Selbstbescheidung auf das Mögliche zu erreichen. Dieser Weg war richtig und erfolgreich. Er hat weniger erbracht, als wir heute wünschen. Aber er hat mehr erbracht, als wir zu Beginn für diesen Zeitraum erwartet haben. ({17}) Diese positive Würdigung bleibt trotz Rückschlägen und trotz der Tatsache, daß vieles nicht erreicht werden konnte, sachlich gerechtfertigt, wie gerade diese heute debattierte Antwort ausweist. Sie bleibt auch politisch notwendig, um dem Verdruß an dieser Politik und diesem Gegenstand zu steuern, damit die Kraft gewahrt bleibt, die wir brauchen, um den erreichten Stand zu erhalten, um den Bürgern die Möglichkeit zu sichern, Verbindungen mit drüben zu haben und zu nutzen, und um weitere Verbesserungen zu erreichen. Wir werden auch künftig keine Fortschritte erleben, die von Glockengeläut begleitet sind. Aber wir haben schon heute in Deutschland Verbesserungen erzielt, die im nachhinein ein Glockengeläut wohl wert sind. Lassen Sie uns solche Chancen auch künftig geduldig und kraftvoll nutzen! ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Jung.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschlandpolitik ist für die Liberalen nur als Friedens- und Entspannungspolitik denkbar, die darauf zielt, Konfrontationen in Europa abzubauen und systemübergreifende Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Es ist in unserer Lage selbstverständlich, daß dabei auch begrenzte Fortschritte große Anstrengungen rechtfertigen. Deshalb sollte jeder von uns das Erreichte vor allem an dem real Möglichen messen und sich nicht durch das ideal Wünschbare den Blick verstellen lassen. Tatsache ist nun einmal: das deutsche Volk lebt heute in zwei voneinander unabhängigen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, und zweitens: jeder dieser beiden Staaten ist in andere Allianzen eingereiht. Drittens ist die deutsche Frage zwar ein internationales Problem, die Problemlösung kann aber nur bilateral angegangen werden. Tatsache ist auch: die gesamteuropäische Entspannungspolitik kam erst dann voran, als durch die bilateralen Verhandlungen im Rahmen der sozialliberalen Ostpolitik die Verhältnisse zu osteuropäischen Staaten geregelt waren. Multilaterale Verhandlungen wie etwa die KSZE wären ohne diese bilateralen Verträge kaum möglich gewesen. Die Schlußakte der KSZE ist gerade in der Menschenrechtsfrage in West- wie in Osteuropa zu einem zentralen Dokument geworden. Gerade an ihm wird der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Entspannungspolitik deutlich. Wer zu den Menschenrechten ja sagt, muß automatisch und zuerst für Entspannung sein. Wer wie wir zuerst Entspannung fordert, weiß, daß sie es war, die zu Helsinki geführt hat und damit zu der Schlußakte, die erstmals die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions-und Überzeugungsfreiheit zum Gegenstand zwischenstaatlicher Beziehungen erklärt hat. Wenn die Opposition also jetzt die Menschenrechtsfrage derart in den Mittelpunkt Ihrer politischen Strategie stellen kann, ist dies in erster Linie ein Ergebnis der die deutschen Belange verfolgenden Politik der Regierung Schmidt/Genscher, die von der Opposition so erbittert bekämpft wurde. Die KSZE muß folglich in die heutige Betrachtung einbezogen werden. Denn der Katalog von Themen in der Großen Anfrage der Opposition ist schließlich inhaltlich fast identisch mit den Unionsstrategien für Belgrad. Leider - ich muß es noch einmal betonen - haben wir gestern im Auswärtigen Ausschuß erlebt, wie wenig eigentlich der Opposition offenbar an der von uns geforderten und zumindest verbal auch von ihr betonten notwendigen Gemeinsamkeit in dieser Frage gelegen ist. Da hilft auch nicht die Entschuldigung, die Sie, Herr Kollege Abelein, anzubringen versucht haben. Tatsache ist, daß von seiten der Opposition diese gemeinsame Linie - im Interesse unserer Sache - nicht mit eingehalten wurde. Die Schlußakte von Helsinki ist, wie gesagt, ein Ergebnis der Deutschland- und Ostpolitik dieser sozialliberalen Bundesregierung. Dieser Weg zur Entspannung und Menschenrechtsgarantie, zum Ausbau von Ansätzen zur Konfliktlösung in Europa ist ein praktisches Stück Deutschlandpolitik. Es hat dazu beigetragen, Erleichterungen für die Menschen in Deutschland zumindest einzuleiten. Ohne die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wäre der heutige Stand der Menschenrechtsdiskussion nicht vorstellbar. Wir müssen uns aber davor hüten, diese Diskussion vom hohen Roß herab zu führen. Hier finde ich mich - zu meinem eigenen Erstaunen - seltsamerweise in Übereinstimmung mit dem Kollegen Dr. Dregger, der - in einem völlig anderen Zusammenhang zwar - am 12. Mai festgestellt hat - ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren -: Wir können anderen Ländern nur gerecht werden, wenn wir sie von ihren eigenen Bedingungen und nicht von den unseren her beurteilen. Im übrigen müssen wir uns dagegen wehren, daß die Menschenrechtsdiskussion einseitig und nach ungleichen Maßstäben geführt wird. Wie wahr! Wir sollten uns gegenüber ehrlich genug sein, unsere Maßstäbe hochzuhalten sie aber nicht zur ausschließlichen, letztlich ausschließenden Leitlinie unseres Verhaltens im internationalen Rahmen zu machen. Der Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 ist ein Produkt dieser Politik. Wir halten daran fest, daß die erreichten menschlichen Erleichterungen ihr Gewicht haben. Ich betone ausdrücklich, daß wir weiterhin darauf bestehen, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegen Menschenrechtsverletzungen auftritt, wo immer sie ihr bekannt werden. Wenn aber z. B. in Belgrad das große gegenseitige Anklagen und Beschweren ausbricht - ich will nicht sagen, daß die Opposition dies will, aber dies wäre möglich, wie wir gestern bei der Beratung des Antrags deutlich gemacht haben -, wenn dort also dieses Tribunal stattfände, dann erreichen wir allenfalls die Neuauflage unfruchtbarer UNO-Sitzungen. Beim Aufrechnen, meine Damen und Herren - jedenfalls haben wir den Eindruck -, halten die anderen zumindest mit, Wahrheitsgehalt hin, Wahrheitsgehalt her. Was wirklich zählt, sind eben die erreichten Erfolge, die heute wiederholt dargestellt wurden. Ich möchte noch einmal daran erinnern: rund 3 Millionen Besuche von DDR-Bürgern in der Bundesrepublik und in West-Berlin, rund 8 Millionen Besuche von Westdeutschen und West-Berlinern in Ost-Berlin und der DDR. Meine Damen und Herren, und bevor man zum rhetorischen Frontalangriff gegen Menschenrechtsverletzungen antritt, sollte man auch prüfen, wie der andere deutsche Staat in Sachen Familienzusammenführung und Heiratsgenehmigung für Heiraten mit Westbürgern - nicht nur Westdeutschen - abschneidet. Herr Minister Franke hat dazu heute Zahlen genannt. Nur pauschal möchte ich anmerken, daß es auch in anderen Bereichen, im Bereich des Fernmeldewesens, im Verkehrsbereich Fortschritte gibt, wenn auch nicht in dem großen Maße, wie wir sie uns als Endziel vorstellen. Diese Probleme werden aber nicht in unserem Sinne lösbar, wenn wir grobe Keile einsetzen. Es empfiehlt sich nicht, Menschenrechtsprobleme grundsätzlich aggressiv vor internationale Foren zu bringen. Die Drohung, vor ein Tribunal gestellt zu werden, gehört heute zwar grundsätzlich zum politischen Handwerkszeug, aber Drohfaktoren verlieren nun einmal ihren politischen Gehalt, wenn sie zum alleinigen Mittel werden. Es ist natürlich sehr viel schwieriger, eine Politik des Friedens, der Verständigung und der Zusammenarbeit zu entwickeln und zu praktizieren, als einen Kurs der Konfrontation und des Konflikts zu steuern. Im Verhältnis zwischen dem demokratischen Westen und dem totalitär geführten Osten stellt sich die Aufgabe, den gesicherten Frieden zu erreichen, als besonders schwierig dar; denn hier geht es nicht nur um einen machtpolitischen Ausgleich, sondern vor allem darum, im vollen Bewußtsein ideologisch bedingter unaufhebbarer Gegensätze Konflikte zu begrenzen und so die notwendigen Freiräume für eine Zusammenarbeit zwischen den Blöcken zu schaffen. Das bedeutet aber: Verhandlungen und Verträge trotz Schießbefehl an der Grenze der DDR und ungeachtet der Tatsache, daß nach unserem Verständnis in den meisten Staaten des Warschauer Pakts die Menschenrechte verletzt werden. Die Grundsätze der UN-Charta sind nachprüfbar Leitlinien unserer Politik. Aber wir ziehen es vor, statt mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, uns auf die Bedingungen und die politische Umland-situation des jeweiligen Verhandlungsgegenübers einzustellen. Der Kollege Professor Dr. Carstens hat in einer Rede am 22. April in Berlin festgestellt, daß wir es in den östlichen Nachbarstaaten mit völlig anderen Zielvorstellungen über das Verhältnis des Menschen zur Gemeinschaft zu tun haben. Das ist nichts Neues. Wir müssen es nur auch in Betracht ziehen, wenn wir Ansprüche verfolgen. In diesem Zusammenhang gehe ich davon aus, daß wir heute die Berlin-Frage einvernehmlich beurteilen. Die DDR und ihre Bündnisgenossen mögen so oft sie wollen und so lautstark sie können die Viermächteverantwortung für die ehemalige Reichshauptstadt Berlin regional halbieren. Damit wird verbrieftes Recht nicht verändert. Es liegt nicht zuletzt an uns allen, daß nicht aus ständig wiederholter Falschinformation in der Öffentlichkeit so etwas wie ein Ansatz für eine Art Gewohnheitsrecht wird. ({0}) Im übrigen gelten auch für Berlin als Ganzes die Regelungen der KSZE-Schlußakte. Einvernehmliche Änderungen des Status quo in und um Berlin sind möglich, wenn die Betroffenen und die vier Signatarstaaten es so beschließen. Wir Freien Demokraten vertreten also die Meinung: Die KSZE-Schlußakte ist ein guter Ansatz, im gesamteuropäischen Rahmen wie innerhalb unserer Bündnisverpflichtungen, Menschenrechte für alle Deutschen in Anspruch zu nehmen. Deshalb die Weiterverfolgung dieser letztlich allen zugute kommenden Entspannungspolitik, einer Politik, die in erster Linie der Friedenssicherung dient. Das Ziel liberaler Politik, die Entspannung zu fördern, die sich aus Systemwidersprüchen ergebende Auseinandersetzung friedenssichernd zu organisieren, ist auf Dauer für alle Europäer, nicht nur für alle Deutschen menschenrechtsdienlich. Wir bedauern, daß Verpflichtungen aus internationalen Abkommen, wie etwa aus der KSZE- Schlußakte, oft beschränkt und einseitig ausgelegt werden. Die jüngsten Schritte der DDR-Machthaber z. B., den Bereich der politischen Bildung ihrer Bürger so umzustellen, daß daraus eine „ImmunisieJung rung gegenüber westlichen Einflüssen" - wie es dort heißt - wird, ist eigentlich ein Beweis für die Richtigkeit unserer Überlegungen, daß nur mit dieser Politik - zwar langsam, aber beständig - eine liberalere Entwicklung drüben eingeleitet werden kann. Mit den oberflächlichen Parolen des kalten Krieges war dies nachweisbar nicht zu erreichen. Die Große Anfrage der Opposition zur Deutschlandpolitik dokumentiert die ganze Unsicherheit in der Frage, wie es mit der Entspannungspolitik weitergehen wird. Die KSZE-Schlußakte hat im Ostblock dazu geführt, daß der Begriff Menschenrechte einen Inhalt bekam, der der westlich-demokratischen Beschreibung entspricht und eben nicht mehr parteilich-ideologisch auslegbar ist. Dieser Sachverhalt wird weitgehend sichtbar im Entstehen und Wachsen der Bürgerrechtsbewegung dokumentiert. Ohne Helsinki wäre weder diese Bewegung möglich geworden noch gäbe es eine Erklärung für das Interesse der Weltöffentlichkeit an ihr. Die verschiedenen Ostblockreaktionen weisen auf die dort entstandende Unsicherheit hin. Aber auch der Meinungswandel in der deutschlandpolitischen Auseinandersetzung hier im Bundestag zeugt davon. Es liegt noch nicht so lange zurück - und es wurde heute schon gesagt -, daß die CDU/CSU mit allen ihr so geläufigen Mitteln versuchte, diese Entspannungspolitik zu verteufeln. Der Kollege Strauß z. B. sah in der Konferenz von Helsinki ein neues gigantisches München. Andere Unionskollegen sprachen von der Kapitulation vor dem Unrecht, von einer der Sowjetunion frei Haus gelieferten Stabilisierungsaktion. Ganz anders klingt das heute. Kollege Professor Biedenkopf etwa befürchtet, daß die durch Helsinki begünstigte Destabilisierung allzuleicht in eine militärische Aktion gegen den Westen münden könnte. Herr Kollege Mertes - Herr Schmude hat Sie in der Frage auch schon angesprochen -, ich freue mich, daß Sie sich so eindeutig auf den Standpunkt stellen: „Pacta sunt servanda". Das mag selbstverständlich klingen. Aber ich sehe darin eine gewisse Bestätigung auch Ihrerseits der Richtigkeit unserer Politik, wenn Sie dies auch nicht offen aussprechen. Sie haben zwar versucht, etwas umzudrehen, aber gestatten Sie, daß ich Sie hier in einem korrigiere: Meine Partei hat Ihre Haltung in der Ost- und Entspannungspolitik weder verändert noch an irgendwelche Interessen der Opposition angenähert. Sie wissen wie ich, daß es in dieser Opposition Kollegen gab und gibt, die in diesem Bereich der Politik mit uns eher übereinstimmen als mit ihren eigenen Fraktionskollegen. Aber wenn es in der Union Überlegungen gibt, eine Dokumentation über die Verletzung der Menschenrechte in der DDR auf Schleichwegen nach Belgrad zu bringen, und zwar isoliert von der gemeinsamen Dokumentation der europäischen Partner, dann hat das mit der treuhänderisch-kritischen Rolle, die - so Herr Kollege Dr. Mertes - die Opposition für das Parlament übernimmt, überhaupt nichts mehr zu tun. Die Parteien in diesem Parlament - das möchte ich hier unterstreichen - sind absolut unverdächtig, geistige Komplicen von Menschenrechtsverletzern jeglicher Art zu sein. Es wäre unerträglich für das politische Miteinander in diesem Land, wenn wir dem politischen Gegner diese Grundhaltung absprächen. Die unbestreitbaren Chancen, die sich z. B. vielen DDR-Bürgern nach Helsinki eröffneten, die vertraglich vereinbarte Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten „einzuklagen", würden bei hemmungslosen Anklagetiraden sicherlich verschüttet. Bei allem Verständnis für das Bestreben einer jeden Opposition, den jeweils Regierenden Schwächen und Versäumnisse vorzuhalten; sie sollte nicht aus den Augen verlieren, daß auch sie Verantwortung nicht nur für das deutsch-deutsche Verhältnis, sondern auch dafür trägt, daß es nicht zu einer Neuauflage des kalten Krieges kommt. Ich habe eigentlich gehofft, daß die Opposition die heutige Debatte dazu nutzt, die Meinungsbildung, die anläßlich der deutschlandpolitischen Diskussion des Düsseldorfer CDU-Parteitages versucht wurde, endgültig in Gang zu bringen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jung, können Sie mir irgendein Mitglied dieses Hauses von der CDU/CSU nennen, das zu irgendeinem Zeitpunkt hemmungslose Anklagereden und hemmungslose Attacken in puncto Menschenrechte in Belgrad gefordert hat?

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nicht direkt, Herr Kollege Jäger. Aber wenn ich an Ausführungen von Ihnen denke, ({0}) dann muß ich zumindest vermuten, daß Sie nicht gerade mit Samthandschuhen nach Belgrad gehen würden. Ich möchte hier feststellen, daß mich die heutige Debatte in der Hoffnung, der ich soeben Ausdruck gegeben habe, nicht sehr bestärkt hat. Es nützt einer parlamentarischen Opposition grundsätzlich wenig, der Lösung der deutschen Frage aber überhaupt nicht, wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Haltung in der deutschlandpolitischen Frage unentschieden lassen, immer wieder ausweichen oder eben unverändert auf dem sogenannten Hallstein-Kurs bleiben. Die Deutschlandpolitik sollte ebenso gründlich ausscheiden, wenn es darum geht, die Einflußmöglichkeiten verschiedener Flügel oder Strömungen in den eigenen Reihen zu testen. Insofern sollten Sie, Herr Kollege Dr. Mertes, verdeutlichen, ob in dieser Frage Ihr „Pacta sunt servanda" die Privatmeinung des diplomatisch geschulten Einzelgängers oder aber die Meinung der Gesamtpartei ist. ({1}) - Herr Kollege Abelein, Sie sagen „sicher". ({2}) Die Union sollte wenigstens klären, ob sie die Ostverträge formal oder aus innerer Überzeugung akzeptiert. Erst dann läßt sich über die Fortentwicklung der Deutschlandpolitik auf gemeinsamer Grundlage diskutieren. ({3}) Es ist die falsche Politik, im Hinblick auf die Verbesserung der Lage der Menschen im geteilten Deutschland immer wieder nur die kommende Eiszeit zu prophezeien oder über die Sackgasse der Entspannungspolitik zu lamentieren. Wenn wir Dr. Dregger folgen und die DDR z. B. von ihren eigenen Bedingungen her beurteilen, kommen wir nicht daran vorbei, festzustellen, daß sich das dortige Grundrechtsverständnis mit dem hiesigen nicht vereinbaren läßt. Diese unterschiedliche Bewertung und Einschätzung wird sich zwangsläufig auf ihre Handhabung auswirken. Aus dieser Situation heraus ist verstehbar, daß Rechtsansprüche, wenn sie überhaupt existieren, eine andere Zielrichtung, eine andere gesellschaftliche Funktion haben. Insofern hat also die Schlußakte von Helsinki sowohl für den einzelnen Bewohner der DDR als auch für den dortigen Machthaber ein besonderes Gewicht. Das notwendige Maß an Realismus zwingt uns, diese besondere Funktion der Schlußakte zu achten und zu beachten. Die Konferenz von Helsinki hat den Status quo in Europa nicht festgeschrieben. Sie hat ausdrücklich und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die Möglichkeiten friedlicher und einvernehmlicher Änderungen anerkannt und damit sowohl die deutsche als auch die europäische Option offengelassen. Der Deutsche Bundestag hat festgestellt, daß auf der KSZE die deutschen Interessen gewahrt worden sind. Er sieht darin einen bedeutsamen Beitrag zur Vertiefung der Entspannung in Europa, der erstmals konkrete Maßstäbe für die Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens der Völker in ganz Europa setzte. Hierin liegt der gewichtige Teil seines Wertes für uns als Bürger einer geteilten Nation. Nur auf der Basis geregelten, vereinbarten Verhaltens mit der ausdrücklichen Zielsetzung Entspannung können wir hoffen, das Problem der deutschen Frage zu lösen. Aber hüten wir uns vor der Illusion, es könne eine Politik geben, mit der uns schon am Anfang des Entspannungsprozesses all das in den Schoß fällt, was wir am Ende als sein Ergebnis für möglich halten. Lassen Sie mich, Herr Präsident - ich sehe, die rote Lampe leuchtet auf -, zum Schluß aber noch einen Gedanken aufgreifen, den Herr Kollege Zimmermann hier in diesem Zusammenhang eingeführt hat, nämlich unsere Verpflichtung gegenüber dem Grundgesetz. Ich möchte die Beweisführung anhand eines politischen Vorgangs versuchen, an dem Sie selbst maßgebend mitgewirkt haben und der ein Beispiel für eine auf die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates gerichtete Politik ist. Für die Deutschlandpolitik in Europa wäre es gut, sich daran zu erinnern, daß Frankreich - und dies ist das Beispiel - bereit war, die separatistische Politik aufzugeben, weil die Bundesrepublik gegenüber Frankreich eine Versöhnungspolitik betrieb. ({4}) Die Beibehaltung einer kalt-kriegerischen Politik der Erbfeindschaft hätte sich auch hier als nutzlos erwiesen. Die Wiedereingliederung der Saar in die Bundesrepublik wäre nicht möglich gewesen. ({5}) - Herr Kollege Jäger, ich will ja versuchen, an einem Beispiel, das weit zurückliegt, deutlich zu machen, daß man einen langen Atem braucht, um gute Ergebnisse zu erzielen, wenn man Entspannung einbringt und Versöhnungspolitik betreibt. Denn die bekannten bündnispolitischen, militärischen und sozio-ökonomischen Verhältnisse bringen es heute mit sich, daß es inzwischen erheblich länger dauern wird, die noch getrennten Teile Deutschlands wieder zusammenzufügen. Wir werden uns auf Zwischenstufen einrichten müssen, etwa auf die im Urteil zum Grundlagenvertrag genannte Föderation. Eine auf die Wiederherstellung der Einheit unserer Nation gerichtete Europapolitik muß, will sie letztendlich erfolgreich sein, die endgültige Versöhnung zwischen Deutschland und Rußland und die Eingliederung der sich vereinigenden Teile Deutschlands in ein sich ökonomisch und sicherheitspolitisch zusammenschließendes Europa zum Ziel haben. Dies setzt aber voraus - das ist der Schluß aus dem Beispiel -, daß es etwa in einer gemeinsamen Deutschland-Resolution dieses Hauses heißen müßte: Im Mittelpunkt unserer Deutschlandpolitik steht die weitere Verbesserung und Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zur Sowjetunion. Diese Politik ist eingebettet in unsere Bemühungen um Realisierung und Fortentwicklung des von der KSZE erarbeiteten Aktionsprogramms. ({6}) Dies wäre eine realistische Deutschlandpolitik ohne Illusionen und Träume, allerdings eine Deutschlandpolitik, die auch einen langen Atem braucht. Sie entspräche dem Willen der Menschen deutscher Nationalität und verhindert, daß Deutschland zum Alptraum für die Staaten in Europa würde. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete von Wrangel.

Olaf Wrangel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den beiden Rednern, die vor mir gesprochen haben, ist nur eines zu sagen: Herr Kollege Schmude, der Immobilismus dieser Koalition wird durch die Flügelkämpfe in der SPD gekennzeichnet. Deshalb sollten Sie sich über angebliche Ratlosigkeit der CDU/CSU keine Sorgen machen. ({0}) Ich möchte hier gleich zu Anfang etwas anderes sagen. Die Bundesregierung und die Koalition haben in den letzten Jahren geradezu wie eine Gebetsmühle wiederholt, daß es zu ihrer Ost- und Deutschlandpolitik keine Alternative gebe. ({1}) Das ist eine Feststellung, die für die Bundesregierung und die Koalition doch ein sehr hartes Urteil ist; denn wer behauptet, es gebe keine Alternative, bindet sich selbst die Hände, zieht sich eine Zwangsjacke an und, was noch viel schlimmer ist, er vermindert doch den Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschland und demontiert die eigene Verhandlungsposition. ({2}) Wie selten zuvor zieht das SED-Regime - ich habe das hier schon einmal gesagt - die Schraube der flexiblen Unmenschlichkeit immer stärker an. Die Beziehungen sind nun einmal - wir bedauern das; wir freuen uns nicht darüber - leider gekennzeichnet von Spannungen und Irritationen oder, wie wir nun leider auch spüren, von einer erbitterten Feindseligkeit gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Eine erfolglose Politik zu betreiben, ist eine Sache; aber keine Politik darf so schlecht sein, daß sie keine Alternativen mehr besitzt. Natürlich gibt es Alternativen - darüber werde ich noch sprechen - auch dann, das muß ich leider sagen, wenn die Bandbreite durch die Tatsachen, die durch Ihre Politik geschaffen wurden, immer schmaler geworden ist. ({4}) Es ist einfach unwahr, wenn Sie erneut wider besseres Wissen behaupten, auch die Union habe in der Vergangenheit keine Alternativen vorgelegt. Meine Damen und Herren, wir haben die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, wenigstens das, was in den Anlagen zum Grundlagenvertrag steht, rechtsverbindlich zu machen. Das ist ja auch heute von unseren Kollegen gesagt worden. Aber für Sie, meine Damen und Herren von der Koalition - diesen Eindruck habe ich leider heute wieder erhalten -, ist die Deutschlandpolitik so eine Art Entlastungsoffensive, die von den innenpolitischen Problemen dieser Koalition ablenken soll. Genau dies ist der Vorwurf, den wir erheben. Wir dürfen es nicht zulassen, daß Außen- und Deutschlandpolitik ständig mit dem Blickwinkel auf vermeintliche innerpolitische Erfolge gemacht werden. ({5}) Meine Damen und Herren, Sie fragen immer wieder: Welche Alternativen hat denn die Opposition? Ich möchte mich hier einmal zu einigen methodischen Fragen äußern dürfen, die sicherlich für diese Debatte von erheblicher Bedeutung sind. Die CDU/CSU hat immer wieder methodisch wie inhaltlich Alternativen aufgezeigt. ({6}) Die Bundesregierung würde sich und vor allem unserem Land einen großen Gefallen tun, wenn sie sich endlich dazu entschließen könnte, diese Anregungen auch aufzugreifen - Herr Bundesminister Franke, ich bitte Sie, mir einen Moment zuzuhören - und ernsthaft zu diskutieren; denn aus dem innerdeutschen Tief führt kein Weg heraus, wenn man - Herr Kollege Schmude, in der Tat - in den alten Gleisen, die Bahr und Brandt gelegt haben, fortfahren möchte. ({7}) Hier hilft nur ein neuer Ansatz. ({8}) - Ein neuer Ansatz! Es würde schon genügen, Herr Kollege Schmude, wenn es endlich gelänge, wenigstens ein Minimum dessen auszufüllen, was seinerzeit an Erwartungen geweckt worden ist. ({9}) Hier ist auch heute wieder von Signalen der Gemeinsamkeit und von sachlichen Diskussionen gesprochen worden. Meine Damen und Herren, wir verschließen uns doch gar nicht der sachlichen Diskussion. Wir verschließen uns auch gar nicht gemeinsamen Anstrengungen, wie wir sie gestern im Auswärtigen Ausschuß gemacht haben. Nur eines müssen wir Ihnen mit aller Klarheit und Deutlichkeit sagen. ({10}) Wir haben, Herr Kollege Wehner, keinen Anlaß, nur das Feigenblatt für eine Politik zu sein, von der wir nicht glauben, daß sie zu einem Erfolg führen wird. ({11}) Warum ignorieren Sie denn hartnäckig und unbelehrbar unsere Anregungen? Wie laut müssen wir denn eigentlich unsere Argumente vortragen, damit Sie auch einmal hinhören? Wann suchen Sie endlich einen ernsthaften Dialog mit der Opposition, anstatt aus innenpolitischen Profilierungsbestrebungen Deutschlandpolitik an der größten Fraktion dieses Hauses vorbeizumachen? ({12}) Übereinstimmung und Gemeinsamkeit könnte und müßte zum Beispiel über das richtige Verständnis unserer nationalen Sorgepflicht erzielt werden. Ich glaube, es ist nötig, gerade in dieser Debatte noch einmal zu sagen, was sich aus dieser Sorgepflicht ergibt. Sie ist rechtlich vorhanden, sie ist moralisch eine Selbstverständlichkeit, und sie gehört zum demokratischen Selbstverständnis unseres Staates. Lange Zeit wurde man als ein unverbesserlicher Nationalist bezeichnet, wenn man von dem hohen Stellenwert der deutschen Nation gesprochen hat. Aber gerade im Hinblick auf unsere europäischen Ver2092 pflichtungen wird man uns auch daran messen, wie glaubwürdig wir mit den Werten unserer eigenen Nation umgehen. ({13}) Dies halte ich für einen ganz entscheidenden Punkt. In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage haben Sie erklärt, daß Sie dieser Sorgepflicht nachkommen wollen. Dies ist vom Kollegen Zimmermann eingehender ausgeführt worden. Die Einhaltung der Verfassung sollte doch eine Selbstverständlichkeit sein. Aber ich meine, daß die nationale Sorgepflicht doch eine hohe politische und moralische Dimension hat, und weil dem so ist, sollten wir uns über den Formalismus hinaus unterhalten und darüber diskutieren. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, schon nicht auf uns von der CDU/CSU hören wollen, dann hören Sie doch wenigstens auf die eigenen Parteifreunde. Ich meine hier den Aufruf des KurtSchumacher-Kreises vom vergangenen Monat. Dort wird die Forderung erhoben, die Deutschlandpolitik müsse auf die Verwirklichung der Menschenrechte abgestellt werden, und alle Verträge mit der DDR müßten an die Menschenrechte gebunden sein. Ich halte dies, meine Damen und Herren, in der Tat für einen Satz, den wir voll und ganz unterschreiben können. Herr Kollege Schmöle, das steht genau im Gegensatz zu dem „Vorwärts"-Artikel, von dem der Kollege Abelein heute morgen gesprochen hat. Ein weiterer Punkt, Herr Bundesaußenminister. Eine Initiative der Vereinten Nationen in der Frage des Menschenrechtsgerichtshofes ist von Ihnen seinerzeit angekündigt worden. Dies war übrigens auch in Variationen - das werden Sie nicht bestreiten - eine Anregung, die die CDU/CSU immer gegeben hat. Aber, Herr Bundesaußenminister, wir möchten Sie heute fragen, was denn aus dieser Initiative im einzelnen geworden ist. Ich möchte früheren Argumenten gegen solche Initiativen eines entgegenhalten. Das Argument, es gebe bei den Vereinten Nationen keine Mehrheit für unsere Anliegen, ist kein politisches Argument; ({14}) denn wir haben unsere Interessen und Vorschläge dort auch dann zu vertreten, wenn wir nicht unbedingt Mehrheiten erreichen können. ({15}) Wir haben in diesem Hohen Hause wiederholt das Thema der Verletzung der Menschenrechte angeschnitten. Mein Kollege Claus Jäger wird darauf noch näher eingehen. Aber lassen Sie mich eines sagen - gerade auch 'im Zusammenhang mit den Erklärungen des amerikanischen Präsidenten Carter -: Wie eigentlich soll die freie Welt den Unterdrückten Hoffnung geben, wenn sie aus vermeintlich taktischen Überlegungen darauf verzichten würde, vorbehaltlos für die Freiheit der Unterdrückten 'in Deutschland einzutreten? Kommen Sie jetzt nicht mit der so oft wiederholten, für meine Begriffe vordergründigen Behauptung, daß dies alles in geheimen, stillen Verhandlungen geschehen müsse. Meine Damen und Herren, wir wissen - und ich darf jetzt auch wieder Sie, Herr Bundesaußenminister, ansprechen -, daß vieles nicht auf dem offenen Markt ausgetragen werden kann. Auch die CDU/CSU-Regierungen haben immer danach gehandelt. Aber hier gibt es doch eine Parallelität zwischen Verhandlungen und der Notwendigkeit des öffentlichen Protests. Genau dies machen Sie sich für Ihre Verhandlungen nicht zunutze. ({16}) Um es an die Adresse der Koalitionsparteien noch einmal zu sagen: Wir sind für Verhandlungen, aber wir sind nicht bereit, uns aus angeblich taktischen Rücksichten den Mund verbinden zu lassen. Darum kritisieren wir ja auch, daß sich die Bundesregierung nicht einmal die simpelste Faustregel demokratischer Politik zu eigen gemacht hat - und dies hat der Kollege Abelein heute morgen auch gesagt -, nämlich endlich die öffentliche Meinung zur Verstärkung der eigenen Verhandlungsposition zu nutzen. Sie haben Ihrer Politik eine falsche Analyse zugrunde gelegt. Weil Sie von dieser falschen Analyse nicht Abschied nehmen wollen, stolpern Sie ständig von einer Falle in die andere. Daß mit Gefälligkeiten gegenüber Kommunisten und Faschisten nichts zu gewinnen ist, haben wir doch gerade in den letzten Wochen und Monaten alle miteinander schmerzlich zu spüren bekommen. ({17}) Ich sage noch einmal, weil wir ja im Laufe dieser Debatte sicherlich gefragt werden, was wir denn für Alternativen oder Anregungen gegeben haben: Bündeln Sie doch endlich unsere vitalen Interessen in einem Verhandlungspaket! Synchronisieren Sie die wirtschaftlichen und die politischen Beziehungen! Akzeptieren Sie nur rechtsverbindliche Zusagen, und sorgen Sie mit Klauseln dafür, daß Vereinbarungen nicht ständig folgenlos verletzt werden! ({18}) Dann wird sich sicherlich mehr Übereinstimmung in diesem Hause herbeiführen lassen. Ich möchte noch einige Bemerkungen zu den internationalen Aktivitäten der DDR machen. Mittlerweile versteht sich die DDR ja nicht mehr nur als Speerspitze in Westeuropa, sondern Ost-Berlin ist durch den Kolonialvertrag längst zu einer Art Speerspitze in der Dritten Welt geworden. Als Folge ihrer weltweiten Anerkennung ist die DDR inzwischen doch dabei, durch militärische Aktionen das deutsche Ansehen zu schädigen. Es ist die Pflicht der Bundesregierung, das Trugbild einer friedliebenden DDR weltweit zu entlarven, damit das Deutschlandbild im Ausland nicht Schaden nimmt. Auch das ist eine Aufgabe, von der ich meine, daß sie zur nationalen Sorgepflicht gehört. Auf alle Fälle darf die Deutschlandpolitik kein Reservat mehr für Illusionisten oder für verhinderte Jahrhundertarchitekten sein, darf auch kein Reservat für Träumer und Dilettanten in der Deutschlandpolitik sein. ({19}) Ich meine, diese Dilettanten sollen endlich das Feld räumen. ({20}) Aber, meine Damen und Herren, solange Sie alternativlos und mit fast nostalgischer Verbissenheit immer wieder versuchen, der von Brandt und Bahr konzipierten, von Guillaume vielleicht verratenen und von Ihnen fortgesetzten Politik nachzuhängen, ({21}) werden Sie schwer Gemeinsamkeiten im Interesse unserer Nation erreichen. Wir, die CDU/CSU, sind jeden Tag zu einer Deutschlandpolitik des Fortschritts und des Friedens bereit. Sie aber sind immer noch nicht bereit, aus den schlechten Erfahrungen die richtigen Konsequenzen zu ziehen. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Schulze.

Waldemar Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002110, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man kann sich eigentlich nur fragen, was das für eine Debatte ist. Die Opposition wirft uns vor, wir würden diese Debatte nur führen, die Deutschlandpolitik nur betreiben, um uns innenpolitisch zu profilieren. Ich kann nur sagen, die Opposition tut das, um sich parteipolitisch zu profilieren. Sie haben die Große Anfrage gestellt; Sie haben sie beantwortet bekommen. Wo sind Sie denn? Die Opposition ist doch überhaupt gar nicht anwesend. Von Ihnen sind - ich will einmal hoch schätzen - vielleicht 20 Abgeordnete anwesend, die diesem heißen Thema folgen wollen. ({0}) Alle anderen Abgeordneten sind nicht anwesend. ({1}) Ich muß sagen: Ich finde das alles sehr bedauerlich, wenn Sie das auch noch so hochstilisieren. Meine Damen und Herren, ich möchte mich gern dem Berliner Problem zuwenden, insbesondere dem Komplex „Bindungen". Zunächst will ich auf die Bedeutung der Londoner Berlin-Erklärung der vier Staats- und Regierungschefs der USA, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Bundesrepublik vom Mai dieses Jahres hinweisen, die schon an sich eine Besonderheit darstellt. Sie betont den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Stand der Entspannung und dem Verhalten der Signatarmächte zu den Verpflichtungen aus dem Viermächteabkommen vom 3. September 1971 und die Unberührtheit der Rechte und Verpflichtung der vier Mächte aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Sie bekräftigt die Rechte und die Pflichten gegenüber dem Status des besonderen Gebietes Berlin - hier muß man auf den Terminus achten, der dort verwendet worden ist -, den vier Sektoren und Deutschland als Ganzem und weist alle Versuche, diese Rechte und Verpflichtungen in Frage zu stellen, zurück. Schließlich werden die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland als ein wesentliches Element des Viermächteabkommens dargestellt. Dies ist nach meiner Einschätzung wohl weiter formuliert als in anderen Erklärungen. Die Londoner Berlin-Erklärung bestätigt die Richtigkeit der Vertragspolitik der sozialliberalen Bundesregierung. Interessanterweise sieht die Opposition in ihr eine wichtige Bestätigung ihrer deutschlandpolitischen Haltung; so der Herr Kollege Marx im Pressedienst der CDU/ CSU. Berlin, meine Damen und Herren, muß aus dem parteipolitischen Streit herausgehalten werden. Darum können Berliner eigentlich nur bitten. Die Voraussetzung für die Lösung der Probleme Berlins ist eine Zusammenarbeit der Parteien im Bundestag und im Abgeordnetenhaus von Berlin. Auch das ist mitunter sehr schwierig. Ich möchte noch einmal folgendes in Erinnerung rufen. Der Viermächtestatus von ganz Berlin wird durch das Londoner Protokoll der drei Mächte vom 12. September 1944 und vom Londoner Abkommen der vier Mächte vom 14. November des gleichen Jahres begründet. Im Londoner Protokoll wird u. a. - hier im Abschnitt 5 - die Einrichtung der inter-alliierten Behörde zur gemeinsamen Verwaltung Groß-Berlins bestimmt. Das Londoner Abkommen bestimmt die Bildung des Kontrollrates, dessen Aufgabe, die Verwaltung von Groß-Berlin mit Hilfe des dafür bestellten Organs, und die Einrichtung der Kommandantura zur gemeinsamen Verwaltung von Groß-Berlin. Dieser Viermächtestatus von ganz Berlin bleibt unberührt vom Viermächteabkommen vom 3. September 1971, wo es heißt: ... unter Berücksichtigung der bestehenden Lage in dem betreffenden Gebiet, . . . - dies in der Präambel des Abkommens -, obwohl einseitige Maßnahmen den Status der gemeinsamen Verwaltung untergraben haben. Der Status der drei Westsektoren wird in einer Erklärung der drei Alliierten vom 5. Mai 1955 präzisiert. Abschnitt 1 dieser Erklärung bestimmt die Rechte, Befugnisse und Verantwortlichkeiten Berlins nach der Verfassung aus dem Jahre 1950 unter Berücksichtigung der Vorbehalte des Abschnitts 2, der die besatzungsrechtlichen Verpflichtungen und Einschränkungen beschreibt. Auch dieser Erklärung wird mit dem Viermächteabkommen im wesentlichen entsprochen. Die Bindungen West-Berlins zur Bundesrepublik Deutschland sind nach 1948 mit Hilfe und durch Maßnahmen der drei Westmächte gewachsen. Am 4. Mai 1949 trafen die vier Mächte ein Übereinkommen, nach dem die Handels-, Transport- und Verkehrsverbindungen zwischen Berlin und den drei Zonen wiederhergestellt werden. Die Pariser Außenministerkonferenz bestätigte dies am 20. Juni 1949, und die Alliierte Kommandantur präzisierte - hier Schulze ({2}) allerdings ohne die UdSSR - am 5. Mai 1955 diese Bindungen. In der Erklärung heißt es - und hier bitte ich Sie, noch einmal aufzupassen -, daß Berlin die Gesetzgebung entsprechend dem zugelassenen Verfahren übernimmt, insbesondere die Gesetzgebung in bezug auf Währung, Kredite, Devisen, Aus- und Einwanderung, Auslieferung, Vereinheitlichung der Zoll- und Handelsgebiete usw., Staatsangehörigkeit, Reisepässe. Die Fixierungen von Status und Bindungen offenbaren seit 1949 einen Dissens zwischen den Rechtsauffassungen der Westmächte und denen der Bundesregierung. Die Bundesregierung und auch das Bundesverfassungsgericht sahen Groß-Berlin immer als ein Land der Bundesrepublik an. Der Öffentlichkeit war nicht bewußt, daß die Westmächte Art. 23 des Grundgesetzes suspendiert hatten, was zur Folge hatte, daß Bundesgesetze nicht automatisch in Berlin ({3}) gelten, die Berliner nicht direkt ihre Bundestagsabgeordneten wählen, Berliner nicht zur Bundeswehr eingezogen werden und Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ausland für Berlin eine Klausel enthalten müssen. Die früheren Bundesregierungen haben alle Sonderrechte der Alliierten akzeptiert. Demgemäß waren nie die Bindungen als Ersatz für den Bundesland-Charakter das Wesentliche, sondern die Sicherheit der Stadt. Ohne die Duldung der Sonderrechte wäre die Sicherheit Berlins' gefährdet worden. Die Bundesregierungen haben den Dissens nie öffentlich gemacht, um die Solidarität des Westens zu erhalten. Aber damit haben sie gleichzeitig die Unkenntnis über die tatsächlichen Verhältnisse noch vertieft. ({4}) - Die ist so, Herr Kollege! Das können Sie überall nachlesen. - Die heutige Opposition, Sie also, trägt immer noch dazu bei, daß der Inhalt des Begriffs „Bindungen" entstellt wird. ({5}) Hier geht es nämlich nicht um die Bundespräsenz, um die Bundesfahne, sondern um solche Bindungen, die der Lebensfähigkeit der Stadt dienen, wie sie bereits in der alliierten Erklärung vom Mai 1955 beschrieben worden sind. Dort können Sie es auch noch einmal nachlesen. ({6}) Die Londoner Erklärung vom 8. Mai 1977 rückt die Bindungen sehr ins Blickfeld. Sie betont zum erstenmal jenen Teil des im Viermächteabkommen gefundenen Kompromisses, ({7}) der wiederholt Angriffen des Vertragspartners Sowjetunion ausgesetzt war. Aber weder historisch noch sachlich hatten oder haben die Bindungen den Primat bei der Gewährleistung der Sicherheit der Stadt. ({8}) Der Regierende Bürgermeister von Berlin erklärte heute in seiner Regierungserklärung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus zu dieser für die Stadt wichtigen Frage - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -: Unsere Sicherheit beruht auf der Anwesenheit der Schutzmächte und der Fortdauer der Besatzungsrechte Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten in Berlin, auf der Entschlossenheit ihrer Regierungen, dies zu praktizieren. Die drei Mächte haben ihre Verpflichtung für Berlin auch in schwierigen Situationen der Nachkriegsgeschichte eingehalten. Sie haben immer wieder bewiesen, daß das Vertrauen der Berliner in ihre Standfestigkeit gerechtfertigt ist. Die Erklärung von London, die ich auch hier nachdrücklich begrüße, hat erneut gezeigt, daß diese Haltung auch für die Zukunft gilt. Für die Berliner sage ich von dieser Stelle aus: Wir danken den drei Mächten. ({9}) Wir haben aber auch ihre Entscheidungen zu respektieren, die sie in Ausübung und im Interesse ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und sein Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland getroffen haben. Das heißt: Wir haben zu respektieren, daß der freie Teil Berlins nach dem Willen der drei Mächte nach wie vor kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik ist und weiterhin nicht von ihr regiert werden darf. ({10}) Das Viermächteabkommen beruht ja auf folgendem Kompromiß. Einerseits bekräftigen die drei Mächte den besatzungsrechtlichen Status der Westsektoren und die daraus abzuleitende Nichtzugehörigkeit Berlins zum Bund und die Nichtregierbarkeit durch den Bund. Andererseits garantiert die UdSSR den freien Zugang von und nach Berlin und anerkennt nachdrücklich die Bindungen, die zwischen Berlin und dem Bund bestehen. Die Erfüllung des sowjetischen Interesses schuf keinen neuen Zustand, während der Westen - dies ist wichtig - von der UdSSR etwas qualitativ Neues erhielt, nämlich den freien und ungehinderten Zugang von und nach Berlin. ({11}) - Auch dies; sicher! So ist die Frage der Bindungen, zu deren wesentlichen Grundlagen der freie Zugang gehört, nur ein Teil der einen Seite des Kompromisses. Weil das Viermächteabkommen nicht in erster Linie der AufSchulze ({12}) rechterhaltung und der Entwicklung der Bindungen dient, gefährden nach meiner Ansicht das ständige Herausstellen der Bindungen, ihre demonstrative Betonung und ihre Identifizierung mit der Präsenz des Bundes das eigentliche Ziel, ({13}) nämlich - nun hören Sie doch erst mal zu! - die Sicherheit und die Lebensfähigkeit der Stadt. ({14}) - Sie dürfen gleich weiterhören! Übrigens hat nicht diese Bundesregierung, sondern rdie Regierung Erhard die Frage der gewachsenen Bundespräsenz und der demonstrativen Bundespräsenz aufgebracht. ({15}) Welche Haltung die Regierung Adenauer und andere CDU/CSU-geführte Regierungen zu Berlin eingenommen haben, zeigt am besten die Tatsache, daß sie Verträge mit Staaten des Ostblocks ohne die Einbeziehung Berlins abgeschlossen haben. ({16}) Als Beispiel nenne ich nur 'das Kulturabkommen mit der Sowjetunion. ({17}) Demgegenüber haben die sozialliberalen Bundesregierungen bei allen Verträgen, die mit osteuropäischen Staaten geschlossen wurden, die Einbeziehung Berlins erreicht, und zwar bei vier Verträgen mit der UdSSR, bei sieben Verträgen mit Polen, bei zwei Verträgen mit der CSSR, bei acht Verträgen mit Rumänien, bei einem Vertrag mit Ungarn und bei zwei Verträgen mit Bulgarien. ({18})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Schulze, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?

Waldemar Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002110, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte gern zu Ende vortragen. Sozialliberale Bundesregierungen haben keinen Vertrag mit osteuropäischen Staaten abgeschlossen, dessen Ausdehnung auf Berlin ({0}) nicht garantiert ist, und sie werden keinen solchen Vertrag abschließen. Die Bundesregierung hat in der Deutschland-Politik und besonders bei all ihren guten Taten für die Berliner immer auch das komplizierte Kräfteverhältnis in der Deutschland- und Berlin-Politik zu berücksichtigen. Der Opposition sollte aus eigener Regierungsverantwortung bekannt sein, daß auf diesem Feld keiner der Beteiligten eine rein nationale Interessenpolitik betreiben und die vier Dimensionen außer acht lassen kann, die diesem Verhältnis zugrunde liegen. Dabei handelt es sich zum ersten um das Verhältnis der vier Mächte, mit Rechten und Verantwortlichkeit ausgestattet. Zum zweiten geht es um das interne Verhältnis nach dem Vertrag vom 26. Mai 1952 zwischen der Bundesrepublik und den drei Mächten, dem wir Sozialdemokraten am 19. März 1953 nicht zugestimmt haben, weil wir nicht einsehen wollten, warum der Regierung Adenauer das nationale Interesse weniger galt als das atlantische Interesse. Als dritte Dimension der Deutschland- und Berlin-Politik hat die Regierung das interne Vertragsverhältnis zwischen der UdSSR und der DDR nach dem Vertrag vom 7. Oktober 1975 zu berücksichtigen. Viertens ist jene Entsprechung der zweiten Dimension zu beachten, und zwar das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR nach dem Vertrag vom 12. August 1970, dem viele von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, wohl sehr gern zustimmen wollten, aber nicht zustimmen durften. ({1}) Daraus folgt, daß, obwohl die Bundesrepublik nicht Vertragspartner im Viermächteabkommen ist, sich bestimmte Interessenlagen überdecken, und zwar im Prozeß der Entspannung auch im Raum Berlin. Die Bundesregierung hat sich immer bemüht, im Spiel dieser Kräfte das Durchsetzbare kompromißbereit abzuwägen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung behauptet - auch heute wieder -, eine Politik der Entspannung zu betreiben. Entspannungspolitik, die diesen Namen verdient, muß vor allem den Menschen dienen. Das höchste Gut des Menschen aber ist in unseren freiheitlichen Wertvorstellungen die Menschenwürde. Sie drückt sich in den Menschenrechten aus, wie sie die Vereinten Nationen in ihrer Charta, in der Menschenrechtsdeklaration und in ihren Menschenrechtspakten niedergelegt haben. Ursprung und Verankerung der Menschenrechte in der Würde des Menschen sind übrigens erst wieder bei der Konferenz von Helsinki von 35 Staats- und Regierungschefs ausdrücklich bekräftigt worden. Entspannungspolitik unter Ausklammerung der Menschenrechte verdient also diese Bezeichnung nicht. Sie ist bloße Beschwichtigungspolitik und dient allenfalls den Regierenden, nicht aber den Menschen. Was soll in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, der künstliche Gegensatz, den Sie heute hier wieder errichtet haben, zwischen einem tatkräftigen Eintreten für die Menschenrechte auf der einen Seite und einer Entspannungspolitik auf der anderen Seite? Jäger ({0}) Im Jahr 1975 hat Ihr Parteivorsitzender von der SPD, der heute auch durch Abwesenheit glänzt, obwohl es doch um die Folgen seiner Politik geht, gesagt: Der Menschenrechtsfrage gebührt der Rang einer hohen politischen Aufgabe. Gelegentliche Proteste gegen Unrechtssysteme reichen nicht aus. Es ist beispielsweise von großer Bedeutung, daß Organisationen wie Amnesty International oder die Gesellschaft für bedrohte Völker Gehör finden, daß sich engagierte Mitbürger für diese und ähnliche Bemühungen öffentlich einsetzen, ohne Furcht vor Einschüchterung oder Nachteilen, auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten sich diese Worte Ihres Parteivorsitzenden hinter die Ohren schreiben. Oder gilt das heute nicht mehr, was vor zwei Jahren gesagt worden ist? ({1}) In seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976, in dieser Legislaturperiode, hat der Bundeskanzler erklärt: Das Verhältnis zur DDR werden wir auf der Grundlage der bestehenden Verträge und Vereinbarungen weiter entwickeln und gestalten. Zur Frage der Menschenrechte gibt es klare Verträge und Vereinbarungen. Ich frage Sie: Warum werden sie nicht endlich angewendet? Hier ist von verschiedenen Kollegen, zuletzt vom Kollegen Jung, die Frage gestellt worden, ob wir denn, wenn wir uns dafür einsetzten, daß Verträge zu halten seien, dies bloß, wie Sie sich ausdrückten, formal täten oder aus innerer Überzeugung. Herr Kollege Jung, wir haben diese Verträge damals für schlecht gehalten und wir halten sie, weil sie sehr verschieden auslegbar sind, auch heute noch für. schlecht. Aber sie gelten, und weil sie gelten, werden wir uns an sie halten, jetzt in der Opposition und morgen wieder in der Regierung. ({2}) Was machen, ist etwas anderes. Sie behaupten, sich auf die Verträge zu berufen, lassen aber das Entscheidende beiseite, nämlich: sie so anzuwenden, daß die Interpretation zugrunde gelegt wird, die das Bundesverfassungsgericht für diese Verträge festgelegt hat und die allein die deutschen Interessen und die Interessen der Menschen zu wahren geeignet ist. Im Licht dieser kurzen Überlegungen erweist sich das, was Sie mit Ihren eigenen Verträgen anstellen, im Grunde doch als eine bloße Papierpolitik. Sie lassen Verträge aushandeln, unterzeichnen sie, preisen sie in der Öffentlichkeit als großartige Erfolge, und wenn es dann darum geht, von der anderen Seite die praktische Durchführung zugunsten der Menschenrechte zu verlangen, dann sagen Sie: Das geht nicht, denn wir können doch nicht von heute auf morgen den Sozialismus in seiner Substanz ändern. Meine Damen und Herren, das ist Papierpolitik. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie sich eines sagen: Jede Änderung zugunsten der Menschlichkeit, jedes kleine Stück mehr Menschenrechte verlangt doch von Kommunisten eine Änderung ihrer Praxis. Wer nicht mehr bereit ist, zu verlangen, daß Kommunisten ihre Praxis zugunsten von mehr Menschlichkeit ändern, und wer alles auf die Verschiedenheit der Gesellschaftssysteme abschiebt, der verzichtet doch im Grunde auf jede Politik. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben drei Verträge, in denen Menschenrechte klar geregelt sind. In Art. 2 des Grundlagenvertrages verpflichten sich beide Seiten zur Achtung und Wahrung der Menschenrechte, wie sie in den Bestimmungen der Vereinten Nationen niedergelegt sind. Wir haben zweitens den Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte und daneben den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Das sind völkerrechtlich verbindliche Verträge, und wir fragen: Warum hält sie der Vertragspartner nicht ein? Meine Damen und Herren, wir haben daneben als drittes eine Vereinbarung, die zwar kein Vertrag ist, von der die Sprecher der Bundesregierung aber unermüdlich versichern, es handle sich um eine Absichtserklärung von hoher moralisch-politischer Verbindlichkeit, von hohem Rang: die Schlußakte von Helsinki. Was hat der Bundeskanzler zu dieser Schlußakte von Helsinki gesagt? Ich muß es diesem Hause in Erinnerung rufen und darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren. In Helsinki sagte der

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Die Politiker werden in allen Staaten, unabhängig von deren Verfassungssystem oder von deren gesellschaftspolitischem System, ... daran gemessen, ob sie die moralische Stärke und ob sie die politische Kraft aufbringen, aus vernünftigen Prinzipien, die hier im Augenblick auf dem Papier stehen, ob sie daraus nachprüfbare Wirklichkeit machen. Die Bürger in allen unseren Ländern haben schon viele internationale Konferenzen beobachtet, und sie sind manchmal demgegenüber skeptisch gestimmt. Wir müssen sie durch substantielle Fortschritte in den Beziehungen zu ihren europäischen Mitbürgern davon überzeugen, daß es sich bei diesen Dokumenten nicht bloß um ein kunstvolles Werk der Diplomatie handelt, sondern um eine Aufforderung zum Handeln, die keiner, ohne Schaden für sich selbst, später ignorieren kann. Wo bleiben diese zu beherzigenden Worte des Bundeskanzlers? Schließlich fährt er dann fort: Die Unterschrift, ... die wir hier leisten, bedeutet deswegen eine schwerwiegende Verpflichtung für uns alle, die wir unterschreiben, den Worten dann die Taten und die Praxis folgen zu lassen. Hier steht die Glaubwürdigkeit eines jeden einzelnen von uns, eines jeden ... Staats- und Regierungschefs in West und Ost auf dem Spiele. Jäger ({0}) Wenn wir betrachten, was daraus seit 1975 geworden ist, dann kann ich nur sagen: Dieser Bundeskanzler und mit ihm die Staatschefs von Ost und West, die sich hier nicht genügend angestrengt haben - erst Präsident Carter hat neuen Wind in die Dinge hineingebracht -, müssen sich diesen Vorwurf gefallen lassen, den der Bundeskanzler selbst erhoben hat. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt ({0}) ?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Jäger, wie vereinbaren Sie das, was Sie jetzt sagen, mit der Zustimmung der CDU in der Aprilsitzung des Europarats zu folgendem Satz: Die Mitglieder der Versammlung - also auch die CDU glauben nicht, daß die Abkommen von Helsinki schon allein durch die Tatsache ihrer Unterzeichnung einen plötzlichen Verhaltensumschwung hinsichtlich der Probleme der persönlichen Grundrechte oder der zwischenstaatlichen Beziehungen hervorrufen werden, sondern daß ein Wandel in diese Richtung nur möglich ist, wenn der Dialog aufrechterhalten wird und wenn die Teilnehmerstaaten ihre Zusammenarbeit in allen Bereichen weiterentwikkeln. ({0}) Wie erklären Sie das im Zusammenhang mit dem, was Sie jetzt unmittelbar von der Helsinki-Akte fordern?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Voigt, daß wir genau diese Auffassung, die dort zum Ausdruck kommt, in diesem Hohen Hause vertreten haben, konnten Sie doch daran sehen, daß wir, weil wir nicht daran geglaubt haben, daß dies, was Sie ausgehandelt haben, zu einem Erfolg führen könnte, davor gewarnt und gesagt haben: Diese KSZE-Beschlüsse lehnen wir ab. Meine Damen und Herren, wir haben doch nicht daran geglaubt, daß ein so leichtfertig von Ihnen ausgehandeltes Papier zum Erfolg führen kann. Aber nachdem es nun unterschrieben ist und nachdem es nun die Grundlage internationaler Vereinbarungen geworden ist, haben wir als Opposition das Recht, von Ihnen zu verlangen, daß Sie, die Sie daran geglaubt haben, das nun auch ausfüllen und in die Tat umsetzen. ({0}) Meine Damen und Herren und lieber Kollege Voigt, lassen Sie es mich deutlich sagen: Es ist der Skandal dieser Bundesregierung, daß sie bis zum heutigen Tage noch keinen ernsthaften Versuch unternommen hat, mit der DDR und mit anderen osteuropäischen Staaten über die substantielle Verwirklichung der in den Menschenrechtspakten niedergelegten und im Prinzip VII der KSZE enthaltenen Menschenrechte in Unterhandlung zu treten. Damit hat doch die Bundesregierung ihr eigenes Handeln ad absurdum geführt. Das neueste Beispiel dafür, wie ernst die Bundesregierung die Menschenrechte nimmt, bekamen wir vor wenigen Tagen auf den Tisch, den „Bonner Almanach '77", eine umfangreiche alphabetisch geordnete Darstellung der Politik der Bundesregierung. Außer einem kurzen Hinweis, daß es eine Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen gibt, steht in diesem umfänglichen Werk nicht ein einziger Satz über die Menschenrechte, weder über die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen noch über Prinzip VII der KSZE. Meine Damen und Herren, das ist eine erbärmliche Selbstdarstellung Ihres Verhältnisses zu den Menschenrechten. ({1}) Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und von der Koalition, begreifen Sie denn nicht, daß wir Deutschen in einer anderen Lage sind als andere europäische Völker, wenn wir für Menschenrechte kämpfen, ({2}) daß 16 Millionen Deutsche in der DDR und darüber hinaus weitere Hunderttausende im Osten unter kommunistischer Herrschaft Menschenrechte entbehren müssen und daß wir deswegen intensiver und nachhaltiger als andere die Sache der Menschenrechte zu unserer eigenen Sache machen müssen? Sie müssen doch feststellen, daß ein Staat, die DDR, die Sie selber international hoffähig gemacht haben, dem Sie zu weltweiter Anerkennung und zur Aufnahme in die Vereinten Nationen verholfen haben, die Menschenrechte nach wie vor mit Füßen tritt. ({3}) Dort gibt es keine Meinungsfreiheit. Dort gibt es keine Presse- und Informationsfreiheit. Dort gibt es keine politische und Wahlfreiheit. Ich denke etwa an den Wahlzirkus vom 17. Oktober letzten Jahres, die sogenannte Volkskammerwahl. Dort gibt es kein Streikrecht, keine Freiheit gewerkschaftlicher Tätigkeit. Dort gibt es keine Vereinigungsfreiheit, keine Freiheit vor willkürlicher Verhaftung, keine unparteiischen Gerichte, keinen fairen Prozeß, keine Freizügigkeit, keine Achtung der Privatsphäre und auch keine echte Religionsfreiheit, keine Versammlungsfreiheit und keinen Schutz der Familie. Meine Damen und Herren, vorhin hat sich in diesem Hause ein Zwischenfall ereignet. Eine Frau hat von den Zuschauerrängen dieses Hauses in den Saal heruntergerufen. Diese Frau - ich habe mich nachher hinbegeben und mich mit ihr unterhalten - war die Mutter eines der Kinder, die unter Verletzung menschenrechtlicher Bestimmungen seit vielen Jäger ({4}) Jahren von der SED ihren Eltern vorenthalten werden. Sie hat angesichts des herzlosen Geschwätzes, das ein Kollege hier in diesem Hause in dem Augenblick von sich gab, die Nerven verloren und entgegen den Gebräuchen und Vorschriften dieses Hauses hier heruntergerufen. Ich kann nur sagen: Ich war erschüttert darüber, wie mit solch kalter Herzlosigkeit über die Frage der Zwangsadoptionen geredet werden kann, wo es doch um vitale menschliche Fragen in diesem Volk geht. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ({0})?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird, bitte.

Egon Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jäger ({0}), sind Sie bereit, mir zunächst einmal recht zu geben, daß das in der Tat ein bedauerlicher Auftritt war, der sich hier vorhin ereignete, obwohl er durch Ihre Mithilfe zustande kam, weil Sie der Dame die Eintrittskarte besorgt hatten und wußten - ({1}) - Lassen Sie mich weiterreden. Ich stelle die Frage an den Herrn Kollegen Jäger. Ist Ihnen entfallen - Sie wissen, um wen es geht; ich nenne den Namen nicht -, was ich Ihnen gerade zu diesem Thema in der Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses gesagt habe? Ich will es zur Erinnerung noch einmal vorlesen, damit Sie daran die Qualität dieses Problems erkennen können. ({2}) - Ich frage doch, ob es Ihnen entfallen ist. Er soll es doch nur bestätigen oder nicht bestätigen. ({3}) Dieses Protokoll ist das Ausschußprotokoll. Ich lese ohne Namensnennung vor: Eine junge Frau flüchtete 1968 aus der DDR und hinterließ dort in der Obhut ihrer Eltern ihr damals zweijähriges Söhnchen. Diese Eltern - also die Großeltern dieses Kindes -entschlossen sich ein Jahr später bei einem Rentnerbesuch in der Bundesrepublik, nicht mehr in die DDR zurückzukehren. Diese Großeltern teilten diesen Entschluß dem zuständigen Referat Jugendhilfe in der DDR mit. - Die Referate Jugendhilfe in der DDR sind, wenn überhaupt Vergleiche angestellt werden können, mit unseren Jugendämtern vergleichbar. Das Kind kam für einige Wochen in ein Heim. Dann wurde es zu seinen jetzigen Adoptiveltern in Pflege gegeben. ({4}) - Hören Sie ein bißchen hin! Das Urteil auf Ersatz der Einwilligung der Mutter zur Annahme an Kindes Statt erging im Mai 1972. Berufung wurde mit Einverständnis der hier lebenden Mutter - das war die Dame von vorhin - nicht eingelegt. Wir hatten uns darum bemüht. Ist Ihnen das entfallen? Wir versuchten, auf dem Rechtsweg diesen Fall durchzufechten. ({5}) Dazu war die Ermächtigung der Mutter erforderlich, aber die hat sie verweigert.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich darf Ihnen dazu folgendes sagen. Mir ist gut erinnerlich, was Sie damals gesagt haben. Ich habe mich inzwischen über diesen Fall informiert und kann Ihnen nur sagen, daß Sie falsch informiert sind. Die Mutter ist darüber getäuscht worden, daß überhaupt noch eine Berufungsmöglichkeit gegeben ist. Deswegen hat sie von einer Berufung abgesehen. Sie ist hinters Licht geführt worden. Dadurch ist ihr das Rechtsmittel abgeschnitten worden. Das sage ich Ihnen, damit Sie genau wissen, wie sich die Sache wirklich verhalten hat. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Egon Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Jäger ({0}), wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß unsere Anwälte, die in diesem Fall treuhänderische Funktion wahrzunehmen haben, die Frau hinters Licht geführt haben? Wollen Sie das damit sagen? ({1})

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ich habe hier keine Wertung vorgenommen, sondern einen Sachverhalt geschildert. ({0}) Ich habe den Sachverhalt geschildert, daß dieser Frau unrichtige Angaben über ihre Berufungsmöglichkeit gemacht worden sind und daß sie deswegen davon abgesehen hat, Berufung einzulegen. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur das eine sagen: Ein Bundesminister, der sich mit solchen Angelegenheiten befaßt, sollte sich besser mit der MaJäger ({1}) terie vertraut machen, ehe er die Sache zum Gegenstand einer parlamentarischen Polemik macht. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn wir Fälle wie diesen betrachten, dann möchten wir von der CDU/ CSU heute aus diesem und vielen anderen Anlässen die Aufforderung an die Bundesregierung richten, endlich dafür zu sorgen, daß auch die Möglichkeit der individuellen Beschwerde für die von solchen Dingen betroffenen Menschen eingeführt wird. Wir fordern deswegen die Bundesregierung auf, alle bisherigen Bedenken, auch wenn sie sachlich durchaus Hintergründe hatten, zurückzustellen, das Fakultativprotokoll zu unterzeichnen, das zu dem internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte vorgesehen ist, um ein gutes Beispiel dafür zu geben, daß auch andere Staaten dieses Protokoll unterzeichnen. Nur dann können wir diesen Menschen wirksamer, als es heute möglich ist, in der Praxis helfen. Nehmen Sie diese Aufforderung zur Kenntnis! Wir bitten Sie, entsprechend zu handeln. ({3}) Meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung sind Menschenrechte Rechte des Menschen und keine Gnade. Diese Menschenrechte stehen den Menschen gegen den Staat zu. Erst dieser Tage hat eine bekannte tschechische Künstlerin, Vlasta Chramostova, in einem Brief, den der „Spiegel" veröffentlicht hat, geschrieben: Ich unterzeichnete die Charta 1977. Ich kam zur Einsicht, daß ich es nicht als Erfüllung der Menschenrechte, wo auch immer auf der Welt, ansehen kann, wenn sie als Gnade erteilt werden. Insofern kann ich dem nicht folgen, was Herr Kollege Kreutzmann heute hier gesagt hat: Menschenrechte gelten gegen den Staat; sie gelten bloß im Staat. Wer den Menschenrechten kein Recht gegen den jeweiligen Staat zuerkennt, verficht im Grunde die Interessen derjenigen, die diese Menschenrechte verkürzen wollen, und nicht die Interessen der Menschen in diesem Land. ({4}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Die Menschenrechtspolitik ist heute ein entscheidendes Kernstück der Deutschlandpolitik. Nur wer sie tatkräftig und glaubwürdig betreibt, nur wer die bestehenden vertraglichen Verpflichtungen der Partner einfordert und damit den unterdrückten und zum Teil resignierenden Menschen wieder Mut und Zuversicht gibt, beschreitet den Weg zu einer freiheitlichen Zukunft Deutschlands. Dies ist unser Weg. Kehren Sie um, meine Damen und Herren von der Koalition, und gehen Sie diesen Weg mit uns! ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Büchler.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, man darf jetzt feststellen, daß wir soeben den Gipfel der Geschmacklosigkeit hier erlebt haben. ({0}) Das muß ich leider sagen. ({1}) Denn es ist ein starkes Stück, wenn Sie uns und 45 Staaten ({2}) bei der Unterzeichnung von Verträgen Leichtfertigkeit unterstellen. Hinzu kommt noch, daß Sie jetzt in Widerspruch zu dem geraten sind, was Sie heute früh gesagt haben. Jetzt fordern Sie wieder die Umkrempelung von Staaten. Ich möchte mich, Herr Jäger, auch nicht lange mit Ihnen aufhalten. Vielmehr hätte ich mich lieber an Herrn Kohl gewandt, wenn er im Saale wäre. ({3}) Ich hätte ihn gern ,gefragt, warum er heute Herrn Abelein, Herrn Zimmermann, Herrn von Wrangel und jetzt, so zusagen als Krönung, Herrn Jäger, nicht aber Herrn Mertes hat reden lassen. Ich hätte heute zu gern Herrn Mertes gehört. Ich bin der Überzeugung, daß Herr Mertes seine Thesen nicht auf eigene Faust vorgetragen hat. ({4}) Im Gegensatz dazu bin ich überzeugt, daß die heutigen Redner der CDU/CSU-Fraktion auf eigene Faust ihre Meinung vertreten haben. ({5}) - Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich komme dazu. Ich habe mir angehört, was die Kollegen der CDU/ CSU heute in ihren Reden gesagt haben. Vergleicht man diese Aussagen mit dem, was der Kollege Mertes, andere Politiker Ihrer Fraktion oder Herr Stoltenberg zu bestimmten Themen der Deutschlandpolitik - Herr Stoltenberg hat z. B. zum Interzonenhandel Stellung genommen - gesagt bzw. geschrieben haben, dann kann man zunächst einmal ohne jede Polemik feststellen: In Ihrer Fraktion sind die Differenzen in der Deutschlandpolitik nicht mehr zu überbrücken. Das möchte ich hier einmal ganz deutlich sagen. ({6}) - Herr Mertes, Sie können heraufkommen und Ihre Thesen hier wiederholen. Dann werden wir sehen, was los ist. ({7}) Büchler ({8}) In Ihrem Vorwort zur Großen Anfrage liest man: Die Politik einer vorgeblichen Entspannung gegenüber der DDR, die vom Gegeneinander zum Miteinander führen sollte, ist nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion in eine Sackgasse geraten. ... Die Enttäuschungen und Ernüchterungen gerade im letzten Jahr fordern neue Antworten. So weit Sie. Können Sie mir, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen, wie die soeben zitierte Aussage zu der Aussage von Herrn Mertes steht, der feststellt: Seit der Bildung der Regierung Schmidt/Genscher haben sich die Chancen eines außen- und deutschlandpolitischen Konsenses erhöht. ({9}) Das haben Sie doch ganz deutlich gesagt. ({10}) Ich muß mich mit Ihren widersprüchlichen Meinungen, die Sie über die Deutschlandpolitik der Koalition haben, beschäftigen. ({11}) - Lassen Sie mich bitte meinen Gedanken zu Ende führen! - Wenn dieser Widerspruch ein Einzelfall wäre, verdiente er es nicht, erwähnt zu werden. Aber dieser Widerspruch ist kein Einzelfall. Herr Mertes, ich möchte Sie noch einmal bitten: Kommen Sie hier herauf und nehmen Sie dazu Stellung. Da mir nur eine beschränkte Redezeit zur Verfügung steht, möchte ich jetzt fortfahren. Unsere Fraktion wird immer bereit sein, sich mit Ihnen über unterschiedliche Auffassungen und Überzeugungen - das ist ein Angebot - auseinanderzusetzen. ({12}) Das ist überhaupt keine Frage. Aber leider müssen wir uns - das möchte ich hier in aller Offenheit sagen - mit Auffassungen aus den Reihen Ihrer Fraktion auseinandersetzen, deren Vertreter die Deutschlandpolitik der Bundesregierung nur destruktiv begleiten wollen, denen die Zerstörung dieser Koalition ({13}) mehr bedeutet als unser gemeinsames nationales Anliegen. ({14}) Da sich die Widerstände gegen diese destruktive Politik in Ihren Reihen von Tag zu Tag, so meine ich, mehren, hoffen wir zu Recht, daß wir uns bald mit einer neuen Deutschlandpolitik der Opposition auseinandersetzen dürfen. Sie von der Opposition sind da in eine merkwürdige Situation hineingeraten. Die meisten von Ihnen müssen nach außen Meinungen vertreten, die sie längst nicht mehr vertreten wollen. ({15}) Mehr noch: Sie praktizieren eine Politik in dubio contra cordem, eine Politik im Zweifel gegen Ihre warnenden Gefühle. Sie fühlen und wissen nur zu gut, daß es zur Deutschlandpolitik der Koalition keine Alternative gibt, aber nur die wenigsten von Ihnen geben dies zu. So ist das und nicht anders. ({16}) Wenn die meisten von Ihnen aber Meinungen permanent wiederholen müssen, dann nur, um so etwas wie Beständigkeit oder Linie in ihre Politik einzubringen. Ich nenne das eine traurige Beharrlichkeit. Warum wagen Sie nicht endlich den notwendigen Aufbruch? Warum bleiben Sie so inkonsequent? Warum ließen Sie sich die guten Ansätze vor dem Düsseldorfer Parteitag der CSU zunichte machen? ({17}) - Ich bin Bayer; deshalb CSU. - Sollte es Ihnen nicht möglich sein, zu einer Politik zu kommen, die allein - ohne Rücksicht auf parteitaktische und koalitionstaktische Überlegungen, ohne Rücksicht darauf, wer in diesem Lande regiert - den Interessen der Bürger in beiden deutschen Staaten dient? Ringen Sie sich zu dem durch was alle Demokraten in der Bundesrepublik Deutschland wünschen! Dann hätten Sie in der Tat die gute Chance, gemeinsam mit der Koalition die Deutschlandpolitik verantwortlich mitzugestalten. Heute war dieser Wandel leider noch nicht abzusehen. Sie haben sich gegen Ihre innerste Überzeugung entschieden. Sie haben sich gegen Ihre warnenden Gefühle ausgesprochen. Einige von Ihnen verfolgen weiter ihre Politik der kalten Logik. Die Enttäuschungen und Ernüchterungen in der Deutschlandpolitik - das sei zugegeben - seit dem Grundlagenvertrag und den Folgeverträgen muß man bewußt wahrnehmen, darf man nicht beiseite schieben. Sonst ist man ein Träumer; daran besteht gar kein Zweifel. Da verbucht man eine Verdoppelung der Mindestumtauschsätze - natürlich ist sie teilweise wieder zurückgenommen worden - und die Behinderung auf den Transitwegen, z. B. auch für Mitglieder der Jungen Union. Auch muß man Spionagefälle, Ausweisungen, Einreiseverweigerungen, Erschießungen Unschuldiger an der Grenze wahrnehmen. Das alles und mehr lastet schwer. Die Bundesregierung - um das auch hier noch einmal zu sagen - hat nichts versäumt. Sie hat angemessen reagiert und vor allem vor der Weltöffentlichkeit eine deutliche Sprache gesprochen. Bei jedem neuen Zwischenfall allerdings sind Sie von der Opposition wie eine tibetanische Gebetsmühle da mit Ihrer Standardformel, daß unsere Politik der Entspannung gescheitert ist. So bedauerlich und unmenschlich derartige schwere Zwischenfälle sind, müssen wir die Frage Büchler ({18}) stellen, warum die DDR so reagiert. Man sollte meinen, wenn man dem Gedankengang von Herrn Wohlrabe folgt, daß die Bundesregierung Milliarden verschleudert, oder wenn man gar die Aussage von Herrn Abelein ernst nimmt, daß die Vertragspolitik einseitig zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland geht, daß die DDR ganz anders reagieren müßte. Sie brauchen wenig Phantasie, um sich vorzustellen, daß man einen Verrtagspartner, den man ausnutzen kann, durch den man Vorteile anhäufen kann, doch wohl bei guter Laune hält. Wenn es so wäre, daß - wie Sie sagen - die DDR einseitig Vorteile aus den Verträgen zieht, meinen Sie dann ernsthaft, daß die DDR darauf aus wäre, diese Vorteile durch Schikanen und Vertragsbrüche wieder aufzugeben? Nein, ich meine, die DDR versucht einiges zu korrigieren. Sie muß Beträchtliches verkraften. Sie versucht deshalb, eine vermeintlich längerfristig für sie ungünstige Entwicklung einzudämmen. Mag sein, daß die DDR beim Abschluß des Grundlagenvertrages und der sich daran anschließenden Verträge und auch der Akte von Helsinki die Folgen falsch einkalkuliert und die Eigendynamik des Entspannungsprozesses, auf die wir mit Recht bauen, nicht gesehen hat. ({19}) - Sie sehen die Bewegungen in den osteuropäischen Ländern. In diesem Zusammenhang darf ich auch an Herrn Honecker einmal die Frage richten, ob denn die Folgen dieser Verträge für ihn wirklich so ungünstig sind. Wenn die Verhältnisse wirklich so positiv sind, wie sie von Herrn Honecker und anderen immer wieder dargestellt werden, dann ist es doch gut, wenn möglichst viele Menschen diese Verhältnisse kennenlernen. Ich möchte Herrn Honecker zurufen: Haben Sie Mut, wenn sie so gut sind. Da hat nun Werner Lamberz, SED-Mitglied des Politbüros, in dieser Woche im „Neuen Deutschland" geäußert: „Millionenfach findet die Begegnung von Bürgern beider Gesellschaftssysteme statt. Das schafft dem Sozialismus große Einflußmöglichkeiten für sein Wirken." Wenn das so wäre, dann müßten sie -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein ({0})?

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich muß schauen, daß ich hier zu Ende komme. ({0}) - Sie brauchen keine Sorge zu haben. Sie haben noch genügend Gelegenheit. Wenn Sie mir die Zeit dazugeben, stehe ich Ihnen gern zur Diskussion zur Verfügung. An dieser Stelle muß ich der Opposition mit aller Deutlichkeit sagen, daß sie selbst alles Erreichte aufs Spiel setzt, wenn sie die Frage der Menschenrechte vom politischen und ökonomischen System der DDR abhängig macht, wenn sie die Verwirklichung persönlicher Freiheiten mit Systemänderungen verknüpft, wie Herr Jäger das in seinem Beitrag wieder getan hat. Wir wollen deren System nicht, und die drüben Mächtigen lehnen das unsrige ab. Wir wollen sie nicht stabilisieren - das ist nicht wahr -, und sie uns auch nicht. Aber was wir wollen - und das sagen wir der Führung in der DDR offen -, das sind ({1}) mehr Menschenrechte, mehr persönliche Freiheit und mehr zwischenmenschliche Beziehungen über die Ländergrenzen hinaus. Wir treten ein für mehr menschliche Freiheit der Bürger in allen Staaten, auch und gerade in der DDR, damit sie dort freier leben können, wo sie leben wollen oder leben müssen. Wir werden die Verwirklichung der Menschenrechte auch in der DDR nicht an Konditionen binden, die das System der DDR zur Disposition stellen. Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß die millionenfache Begegnung in Deutschland das Ergebnis einer mit der DDR gemeinsam eingeleiteten Vertragspolitik ist. Das sind keine einseitigen Erfolge, die man wegen des millionenfachen Transports von westlicher Ideologie in die DDR mit höhnischem Gehabe aufrechnen sollte. Wir werden unsere Politik nicht daran messen, was sie dort drüben bei unseren politischen und ideologischen Gegnern bewirkt; das muß auch ganz klar sein. Die Vertragspolitik der Bundesregierung wollte und will zum einen die Verbesserung der Beziehungen mit den Verantwortlichen der Politik in der DDR. Gleichzeitig aber - und das ist der Kern aller Bemühungen - zielt diese Vertragspolitik auf mehr Verbindung und Zusammenarbeit zwischen Menschen, Organisationen und Institutionen beider Staaten, um ein weiteres Auseinanderleben der Deutschen in Ost und West zu verhindern. Auf dieser Basis haben wir Erfolge, die uns keiner ernsthaft streitig machen kann, es sei denn, er stellt die Wirklichkeit bewußt auf den Kopf, um seine wahren Motive zu verbergen. Ich darf ein paar Beispiele nennen. Dabei geht es mir nicht um die vollständige Aufzählung aller Folgeverträge - das liest man besser in der Antwort der Bundesregierung nach -, sondern um ein paar Beispiele, die klar zeigen, worauf die Vertragspolitik abzielt. Das Abkommen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens ist ein Beispiel. Es hat die Lage der Menschen bei Reisen und Besuchen wesentlich verbessert. Ein anderes Beispiel sind die Sportbeziehungen. Sicher, gemessen an den Wünschen und Vorstellungen der Sportvereine in der Bundesrepublik und - das sage ich bewußt - auch in der DDR, ist die Zahl der Wettkämpfe natürlich noch viel zu gering. Das muß man mit Bedauern feststellen. Die DDR ist meistens nur daran interessiert, einen Leistungsvergleich mit den Spitzensportlern zu demonstrieren. Wir dagegen sind an menschlichen Begegnungen interessiert, die sich vor allem durch den Kontakt kleinerer Vereine verwirklichen ließen. Das muß nach meinem Dafürhalten weiter ausgebaut werden. Büchler ({2}) An vielen weiteren Beispielen könnte man demonstrieren, was es bedeutet, die zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbessern. Wir können also feststellen: Die Bilanz der Vertragspolitik der Bundesregierung mit der DDR kann sich sehen lassen, vor allem dort, wo es um die Verbesserung der menschlichen Beziehungen geht. Das ist weder eine Kleinigkeit noch einfach ein Erfolg; dies ist von fundamentaler Bedeutung. Um das deutlich zum Ausdruck zu bringen: wir werden nicht müde, Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, zu sagen, daß diese Politik, die auf menschliche Erleichterungen abzielt, eine Politik ohne Alternative ist. Wir lassen uns nicht davon abbringen, diese Politik fortzuführen; denn dies ist die Politik für die Menschen in den beiden Teilen Deutschlands. Für jeden Bürger bei uns im Lande läßt sich diese Politik nachvollziehen und mit Zahlen belegen. Gerade weil diese Politik der kleinen Schritte nachzuvollziehen ist, sind Sie von der Opposition in eine so schwierige Lage, in eine so hoffnungslose Defensive geraten. Sie haben sich durch Ihre Politik in eine Position verrannt, die bei jedem neuen Aufschrei aus Ihren Reihen über die angeblich vergebliche Entspannungspolitik der Regierung nur noch verfahrener wird. Es ist so wie bei einem, der im Sumpf verzweifelt strampelt und dabei immer tiefer sinkt. ({3}) - Sie strampeln und kommen immer tiefer. Scheinbar sehen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre einzige Chance darin, unsere Politik mit Maßstäben zu messen, die der Realität nicht gerecht werden: Grundlagenvertrag, was ist das schon, wenn die Mauer noch steht? Kulturverhandlungen, Verhandlungen über Zusammenarbeit auf den Gebieten von Wissenschaft und Technik, Rechtshilfeverhandlungen, was ist das schon, wenn die Mauer noch steht? Und wenn acht Millionen Menschen von hier nach drüben reisen dürfen, fragen Sie: Was ist das schon? Aber - ich muß es kurz machen - wir haben durch die Vertragspolitik, durch den Grundlagenvertrag und die Folgeverträge, schon sehr viel erreicht. Wir haben viele Löcher in die Mauer gebohrt. Darüber gibt es keinen Zweifel. Es sind nur erste Schritte, gemessen an den Wünschen und Problemen, die noch nicht vertraglich geregelt werden konnten. Das Wort von Willy Brandt bei der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags trifft den Kern. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren: Der Vertrag wird nicht, jedenfalls nicht über Nacht, die Last von uns Deutschen nehmen, die wir als Ergebnis des zweiten Weltkrieges und der Spaltung Europas tragen. Er räumt nicht auf einmal die Barrieren weg, die uns voneinander trennen; aber er öffnet doch Wege, die lange verschlossen waren. Die Beseitigung von Mauer und Stacheldraht, die wünschenswerte Freizügigkeit, dies alles und anderes bringt der Vertrag nicht. Um all dies werden wir uns weiter zu bemühen haben, hartnäckig und mit Geduld. Wie wahr! Wer andere Erwartungen in die Welt gesetzt hat oder setzt, ist oder war ein unredlicher Gegner dieser Politik oder verkennt in naiver Weise das Wesen der Vertragspolitik und wird ihrer Zielsetzung nicht gerecht. Die Bundesregierung jedenfalls hat niemals andere Erwartungen geweckt. Nichts wurde beschönigt, wie es heute manche gern hinstellen möchten. Wir werden auch weiterhin keine Illusionen nähren, sondern wir warnen ganz im Gegenteil ausdrücklich vor Illusionen, Schwärmerei und Euphorie. Die große Leitlinie, die Richtschnur für die Verbesserung der Lage der Menschen in beiden Teilen Deutschlands, die wir seit 1969 vorgezeichnet und an die wir uns gehalten haben, führt durch das steinige Gelände, auf dem wir uns hartnäckig bemühen, Ansatzpunkte zu suchen und zu finden. Sie ist nicht an großen Worten und großen Sprüngen orientiert. Die Deutschlandpolitik der Koalition denkt nicht in Zeiträumen; sie denkt in Permanenz. ({4}) Sie hat einen langen Atem und Geduld, die für Stetigkeit und Kontinuität so dringend erforderlich ist. Bei dieser Politik geht es letztlich darum, für die jetzt lebenden Menschen und für spätere Generationen Erleichterungen zu schaffen. Weil dem so ist, sind die Schwierigkeiten niemals Grund genug, aufzugeben, zu resignieren. Wir werden trotz aller Schwierigkeiten die Geduld und Ausdauer haben, die für das Gelingen unserer Politik Voraussetzung ist. Davon wird uns niemand abbringen. Das, was richtig und vernünftig ist, bleibt auch dann richtig und vernünftig, wenn die Politik nicht sofort und überall zum Zuge kommt. Der Versuch muß weiter unternommen werden, durch viele einzelne Schritte einen Interessenausgleich herzustellen. Ich meine, mehr noch: Ein dichtes Geflecht von Interessenausgleichen muß geschaffen werden, damit keine Seite dieses Netz ohne Nachteil zerreißen kann. Das wird langsamer gehen, als man denkt. Die Diskussion über diesen Weg muß realistisch geführt, sie muß vertieft werden, sie muß auf eine vernünftige Basis gestellt werden. Daran führt kein Weg vorbei. Auf dieser realistischen Basis mit uns zu diskutieren, dazu sind Sie eingeladen; denn, meine Damen und Herren von der Opposition, illusionär wäre es, wenn man sich erhoffen würde, durch eine Politik der starken Worte, durch eine massive Stimmungsmache die DDR unter Druck setzen zu können. Die Opposition nagt an ihrer eigenen Substanz in doppelter Hinsicht. Zum einen schaden Sie sich durch die Erklärungen, die Sie ständig herausgeben, mit denen Sie sich zu profilieren suchen: starke Worte, die Ihnen nichts einbringen und Sie Glaubwürdigkeit kosten. So stellt sich Ihr Verhalten doch bei den Bürgern in unserem Lande dar. Zum anderen stören Sie die Entspannungsbemühungen zwischen uns und der DDR empfindlich. Beides ist äußerst bedauerlich.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme sofort zum Ende. Mein Kollege Kreutzmann hat mit allem Ernst darauf hingewiesen, daß viele Bürger in der DDR den Streit über die Deutschlandpolitik in unserem Lande - nehmen Sie sich das zu Herzen - als parteipolitisches Gerangel bewerten. Deshalb möchte ich Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, doch noch einmal bitten, den. politischen Kurs zu verfolgen, den einige Kollegen Ihrer Fraktion schon eingeschlagen haben oder gerne einschlagen wollen, um mit uns zusammen auf der Grundlage der vorgegebenen Realitäten Politik für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands durchzusetzen. Wir, die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, unterstützen die Bundesregierung in ihren Bemühungen, den Menschen in der DDR zu helfen, das Auseinanderleben der Menschen in Ost und West zu verhindern und durch diese Politik auch ein Stück Friedenssicherung zu verwirklichen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, diese Debatte mutet in einzelnen Passagen schon geradezu gespenstisch an. ({0}) Wenn ein Abgeordneter der SPD hierherkommt und aus tiefem Herzen Sorge um die Einheit der CDU/ CSU zum besten gibt, dann kann ich nur eines sagen: Der hat offenbar überhaupt nicht begriffen, um was für Äußerungen es sich hier handelt. ({1}) Er hat den Kollegen Alois Mertes zitiert. Wenn Sie etwas zitieren, dann sollten Sie das auch ganz zitieren oder vorher zumindest ganz gelesen haben; ({2}) denn was Herr Kollege Mertes gesagt hat - daß die Möglichkeit eines Konsenses auf bestimmten Gebieten gegeben sein könnte -, hat er unter der Voraussetzung gesagt, daß auch die vereinbarten Interpretationen der Verträge von Ihnen eingehalten werden. Aber Sie sind doch schon wieder dabei, auf der schiefen Ebene hin zu den Interpretationen Moskaus abzurutschen. ({3}) Das sind doch die Tatsachen. ({4}) Wenn ich dann sehe, welche Redner von diesen beiden Seiten des Hauses hierhergekommen sind, und wenn ich höre, was etwa der Herr Schulze über Berlin gesagt hat, und auf der anderen Seite die sehr abgewogene Rede des Kollegen Hoppe dagegenhalte, dann meine ich, wäre es vielleicht eher angezeigt, daß man sich innerhalb der Koalition angesichts des Zustandes, in dem sie sich ohnehin befindet, doch wenigstens in diesen Grundfragen der Politik um etwas mehr Konsens bemüht. Gespenstisch mutet es auch an, wenn der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hier zu einem Fall von Zwangsadoption Stellung nimmt. Ich meine, es wäre die Aufgabe von uns allen, ohne Ansehen der Fraktion und der Partei und der Haltung, rein aus menschlichen Gründen alles in unserer Kraft Stehende zu tun, wenn solche unmenschlichen Vorfälle passieren. Aber hier haben wir wenigstens zum erstenmal gehört, daß es überhaupt solche Zwangsadoptionen gibt. Dies ist ja gerade von der Bundesregierung immer geleugnet worden. Es ist ja zunächst erklärt worden, so etwas gebe es gar nicht. Wir sind wenigstens jetzt erfreut zu hören, daß die Bundesregierung dies zur Kenntnis genommen hat. Ich habe vom Kollegen Jäger eine Dokumentation erhalten; ich habe sie gerade erst hier vor Augen bekommen. Daraus geht hervor, daß die Frau, von der die Rede war, die gegen das Urteil Berufung einlegen sollte, erst Jahre später, als es für sie zu spät war, Berufung einzulegen, erfahren hatte, daß ein solches Urteil überhaupt ergangen war. Ein Fazit können wir aber aus dieser Debatte und der hilflosen Argumentation aus Ihren Reihen ziehen, nämlich daß das, was Sie als Maxime der Deutschlandpolitik gesetzt haben, gescheitert ist. Es war doch Herr Brandt, der zu Anfang seiner angeblich so neuen Deutschland- und Ostpolitik erklärt hat - ich zitiere ihn wörtlich -, es gehe um die Humanisierung der Lebenswirklichkeit der Deutschen und der Europäer in Ost und West. Wie sieht es aus? Heute stehen wir doch vor den Trümmern eben dieser Deutschlandpolitik. Wo immer wir hinschauen, ist es doch schlechter geworden, steht es schlechter um die Menschen, steht es schlechter um die Trennung. Die Abgrenzungspolitik ist intensiviert. ({5}) - Das sind doch die Tatsachen. Der Vollzug des Schießbefehls wurde automatisiert. All das hat mein Kollege Claus Jäger schon ausgeführt. Wir haben darüber auch anläßlich der Debatte über die Menschenrechte hier gesprochen. Wir werden weiter über diese Dinge in diesem Haus sprechen. Die Frage, die wir uns stellen müssen, heißt doch: Was können wir hier tun, um den Menschen drüben zu helfen, östlich von Zonengrenze und von Berliner Mauer? Es geht um das, was Herr Kollege Hoppe in die Worte gekleidet hat: „konkretisierte Erfüllung der Freizügigkeit". Das müssen wir tun. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmude?

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gern. 2104 Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode Dr. Schmude ({0}) : Herr Kollege Huyn, wenn Sie sagen, daß alles schlechter geworden ist, würden Sie dann auch sagen, daß acht Millionen Reisen in die DDR jährlich schlechter als 1,5 Millionen sind?

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich kann dazu nur folgendes sagen. Sie haben auf gewissen Gebieten sehr begrenzte Erfolge zu Lasten von Leistungen, die unwiderruflich sind. ({0}) Das ist doch gerade das, was wir Ihnen vorwerfen: Sie haben die entscheidenden Hebel aus der Hand gegeben. Das ist der Vorwurf, den wir schon vor Jahren erhoben haben und den wir heute hier wiederum erheben. ({1}) Daß wir heute hier als frei gewählter Deutscher Bundestag über diese Fragen diskutieren, zeigt aber doch den gesamtdeutschen Anspruch dieses frei gewählten deutschen Parlaments, daß wir uns hier stellvertretend für jene, denen das Recht der freien Rede und das Recht der freien parlamentarischen Vertretung nicht gegeben ist, für die Menschen, die unter dieser Unterdrückung leiden, einzusetzen haben. Ich wiederhole das, was ich eben auf Ihre Frage, Herr Schmude, sagte. In der Bilanz, die wir ziehen, sehen wir, daß Sie mit Vorleistungen und mit ungleichen Verträgen versucht haben, Erleichterungen zu schaffen. Diese Politik ist doch gescheitert, weil sie eben vom Ansatz her falsch war. ({2}) Sie haben darüber hinaus noch ein goldenes Füllhorn von Unterstützungen und Subventionen, von Krediten und Zahlungen über die Machthaber in Ost-Berlin ausgeschüttet, und ich muß sagen, es ist geradezu naiv, wenn Sie sich heute die Augen reiben und sich darüber wundern, daß all diese Leistungen und all diese Zahlungen nicht, wie Willy Brandt sagte, der Humanisierung der Lebenswirklichkeit der Deutschen, sondern im Gegenteil der Aufrüstung des Warschauer Paktes, der Zementierung der kommunistischen Zwangsherrschaft und der Unterdrükkung der Menschen in Mitteldeutschland dienen. Geradezu entwaffnend ist es jedoch, Herr Schmude - das haben Sie gefordert, und ich gehe gerne darauf ein -, hier nun von uns, von der Opposition, Alternativen zu fordern. Sie haben erst den kommunistischen Machthabern in Ost-Berlin gegeben, was die haben wollten: ({3}) staatliche Anerkennung, internationale Aufwertung, Aufnahme in die Vereinten Nationen und darüber hinaus noch Kredite. Und jetzt wundern Sie sich darüber, daß hier nicht mehr Menschenrechte gewährt, sondern die Daumenschrauben der Unfreiheit noch stärker angezogen werden, und stellen sich dann hin und sagen: Jetzt, nachdem der Karren verfahren ist, liebe Opposition, kannst du ihn ja aus dem Dreck ziehen, jetzt zeig' uns doch mal die Alternativen! ({4}) Meine Damen und Herren, das ist doch Ihre Argumentation. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude?

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön!

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen entgangen, Herr Kollege Huyn, daß SPD und FDP Ihre Fraktionskollegen seit acht Jahren - nicht erst heute - vergeblich um die Darstellung einer gangbaren Alternative bitten? ({0})

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Schmude, ich glaube, Ihnen ist hauptsächlich entgangen, daß es für die Menschen im Osten eine sehr viel wirksamere Deutschlandpolitik gegeben hat, bevor diese Koalition an der Regierung war. ({0}) Sie brauchen z. B. nur einmal die Zahlen der Deutschen, die zur Zeit Adenauers, Erhards und Kiesingers aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, ({1}) mit den Zahlen derer zu vergleichen, die danach gekommen sind; dann können Sie das nachrechnen. ({2}) - Ja, ich gehe noch darauf ein, und ich gehe noch auf Ihre Frage ein, Herr Schmude. Ich sage Ihnen, wie die Alternative heißt, und jetzt hören Sie einmal gut zu. Sie heißt ganz einfach Reziprozität, heißt Verhandeln auf Gegenseitigkeit, eben nicht einseitige Leistungen, sondern Gegenseitigkeit. Dabei geht es nicht, Herr Franke, um Sanktionen, nicht um Vergeltung, aber um das, was in der zwischenstaatlichen Politik das „du ut des", Geben gegen Nehmen, genannt wird. Ich kann nur sagen, das ist ein Grundsatz, der eben von dieser Regierung nicht angewandt worden ist. ({3}) Allein in den Jahren 1970 bis 1975 erhielt OstBerlin aus dem Bundeshaushalt sowie aus dem Haushalt des Landes Berlin und den Haushalten von Bundespost und Bundesbahn insgesamt etwa 2,5 Milliarden DM. ({4}) Es geht nicht an, daß diese Quellen zugunsten der SED-Machthaber weiter fließen. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie wiederum eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmude?

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich habe mich mit einigen Zwischenfragen auseinandergesetzt. Ich werde mich gern noch nachher auch mit Herrn Schmude unterhalten, aber jetzt möchte ich meine Rede im Zusammenhang zu Ende führen. Ich bitte um Verständnis dafür. Ich bin der Meinung, daß Leistungen nur dann vereinbart und gewährt werden dürfen, wenn auch von der anderen Seite die Gewährung und die Leistung gesichert sind. Bestehende Verpflichtungen dürfen nur dann pünktlich erfüllt werden, wenn auch von der anderen Seite bestehende Verpflichtungen pünktlich erfüllt werden. Wenn wir sehen, wie die Verpflichtung Ost-Berlins aus dem die Freizügigkeit behandelnden Artikel 13 der von ihm ratifizierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wonach jeder das Recht hat, jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassen, nicht erfüllt wird, und wenn wir die himmelschreienden Fälle von unterbleibender Familienzusammenführung und von Zwangsadoptierung sehen, dann dürfen wir doch nicht eine Politik betreiben, die die Erfüllung des Worte Lenins ist - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -: Die taubstummen kapitalistischen Hamsterer und ihre Regierungen werden uns Kredite eröffnen, welche die Kassen der kommunistischen Organisationen in ihren Ländern füllen, und werden mit der Lieferung von Waren aller Art unsere Kriegsproduktion vergrößern und verbessern, die wir für künftige siegreiche Angriffe gegen unsere Lieferanten benötigen. Das sind Worte Lenins. Leider führt die Politik der Bundesregierung auf diese Wege. ({0}) In ihrer Antwort auf die Große Anfrage erklärt die Bundesregierung, die Vorteile der DDR aus dem Sonderstatus des innerdeutschen Handels ließen sich nicht quantifizieren. Aber es gibt sehr wohl Kenner, z. B. Professor Werner Gumpel, die das sehr genau quantifizieren und die zu Vorteilen im Betrag von jährlich weit über einer Milliarde DM kommen. Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, die Einwirkungsmöglichkeiten zu prüfen. Ich betone: „Prüfen" bedeutet nicht unbedingt, diese Hebel anzuwenden. Denn selbstverständlich wollen wir nicht Erschwernisse im innerdeutschen Verhältnis, sondern Erleichterungen und Verbesserungen im innerdeutschen Verhältnis. ({1}) Um diese zu erreichen, müssen wir jedoch Hebel ansetzen. Und es gibt Hebel! Ich nenne sieben Beispiele: Erstens. Prüfung der langfristigen Möglichkeiten eines Abbaus des stets einseitig von Ost-Berlin genutzten Swings. Zweitens. Die Agrarexporte der Europäischen Gemeinschaft nach Ost-Berlin und in die DDR werden zumindest zum Teil im Rahmen der EG-Regelungen subventioniert, weil die DDR in dieser Beziehung als Drittland behandelt wird. Es geht nicht an, daß Ost-Berlin Agrarprodukte, die zu Lasten unserer Steuergelder subventioniert sind, zu Niedrigpreisen erhält und womöglich in einzelnen Fällen an die Bundesrepublik Deutschland zu den hohen EG-Agrarmarkt-preisen verkauft. ({2}) Drittens. Das mit Bekanntmachung vom 28. September 1970 eingeführte Preisprüfungsverfahren für Lieferungen aus der DDR kann verschärft werden. Viertens. Die Einfuhr von bestimmten Waren aus Mitteldeutschland, etwa von Textilien, kann kontingentiert werden. Fünftens. Die Mehrwertsteuer-Sonderregelung kann überprüft werden. Sechstens. Es ist nicht einzusehen, daß zwar Ost-Berlin Straßenbenutzungsgebühren erhebt, aber die Bundesregierung bisher keine Initiative ergriffen hat, dies abzubauen, etwa dadurch, daß unsererseits Kraftfahrzeugsteuern für DDR-Lastkraftwagen eingeführt werden. ({3}) Siebtens. Der kumulierte Passivsaldo Ost-Berlins im innerdeutschen Handel, der auf weit mehr als zwei Milliarden DM angewachsen ist, ({4}) könnte z. B. durch Einbehaltung fälliger Transitgebühren im Zug des „do, ut des" verringert werden. Sie sehen, meine Damen und Herren: Trotz all Ihrer Vorleistungen gibt es durchaus noch ein Instrumentarium. Doch ich frage mich: Wollen Sie das denn? Eine Überschrift auf der ersten Seite des heutigen „Darmstädter Echos" lautet: „Bonn will der DDR-Post mehr zahlen". ({5}) Mit dieser Politik werden wir für die Menschen in Deutschland natürlich nichts erreichen. Deswegen appelliere ich an die Bundesregierung, der Politik der Leistung deutscher Steuergelder, die hier nur zum Aufbau des Weltkommunismus dienen, ein Ende zu machen. Die Bundesregierung muß die ihr zur Verfügung stehenden Mittel benutzen, um auf den innerdeutschen Handel einzuwirken. Sie muß der Verpflichtung unserer Verfassung nachkommen, als Sachwalter für alle Deutschen zu wirken. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte nähert sich ihrem Ende. Sie läßt zumindest schon die Erkenntnis zu, wohin die Opposition wollte, als sie 39 Fragen stellte. Was übriggeblieben ist, sind die Blaupausen einer Schablone eines Rituals, die Sie seit Jahren „Deutschlandpolitik" nennen ({0}) und die, wenn man das einmal nacheinander nachlesen wird, eine geistig-politische Mißhandlung der deutschen Probleme sind. ({1}) Soweit es um den Abgeordneten Jäger von der CDU geht, muß man etwas Nachsicht mit ihm haben, wenn man ihn kennt, auch aus den Ausschüssen. Aber ich bin der Meinung, es gibt Grenzen der unanständigen Behandlung dieses Parlaments, so wie es selber mit sich umgeht. ({2}) Ich frage mich, warum eigentlich der CDU-Abgeordnete und Oppositionsführer und jeden zweiten Tag selbsternannte Kanzler von morgen eine Pressekonferenz mit 39 Fragen abgehalten hat, sie dort vorgestellt, aber nicht versucht hat, sie hier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages zu begründen. Was ist da eigentlich in der Union zwischen dieser Pressekonferenz und der Debatte heute geschehen? Ich frage mich also, was ist bei dieser Debatte von Ihrem Deutschlandtag der Union übriggeblieben? Wo hat sich ein einziger Redner auf jene berufen, die Sie bei Ihrem Deutschlandtag geladen hatten, um aus dem Munde der Kirche und der Wissenschaftler zu hören, was man dort von der deutschen Frage hält. ({3}) Wo war davon in dieser Debatte die Rede, wenn man Bilanz ziehen muß? Und wo ist ein Abgeordneter wie Richard von Weizsäcker, den Sie bei jeder Evangelischen Akademie und bei jedem ostpolitischen Gespräch gern vorzeigen, wenn es um Deutschlandpolitik geht? Warum spricht er heute nicht? ({4}) Wenn ich an meinen Vorredner denke, denke ich auch an das, was in den Jahren 1964, 1965 der damalige Außenminister der CDU, Gerhard Schröder, versucht hat, als er zu begreifen begann, daß die deutsche Frage in eine Sackgasse gerät. Heute spricht jener, der damals als sein Mitarbeiter versucht hat, ihn in den Kniekehlen abzusägen. ({5}) Wenn ich den Namen hier höre und wenn ich frage: warum ist Herr Kohl nicht hier - ({6}) - Sie haben doch eine Große Anfrage gestellt, und sie ist vom Minister beantwortet worden. Ich frage also: was ist denn die Ursache, was blieb? ({7}) Wenn ich die Namen lese: Abelein, Zimmermann, von Wrangel, Jäger, Graf Huyn, dann stelle ich fest, daß die Entscheidung von Kreuth und der 13. Dezember 1976 eine tiefe politische Konsequenz für die Außenpolitik der Union hatte und daß Herr Kohl heute nicht hier ist, weil er in der Außenpolitik und in der Deutschlandpolitik absolut bewegungsunfähig ist. ({8}) Die zweite Frage, die zu beantworten ist - ({9}) - Ich schweige gern, da auch einmal auf den Tonbändern des Deutschen Bundestages eine neapolitanische Fischmarktkulisse sein soll. ({10}) - Ich schweige gerne, wenn Ihre ganze Fähigkeit, auf meine Darlegungen zu reagieren, darin besteht, daß Sie plötzlich ganz aufgeregt werden. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich bitte den Redner fortzufahren.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verstehe, daß Herr Jenninger Sehnsucht nach einer neuen Staeck-Ausstellung hat, um sein Temperament beweisen zu können. Welche Konsequenzen hat aber diese Debatte für dieses Land, wenn die Union, was sie jeden Tag erklärt, morgen an der Regierung wäre? Da will ich nur ein Zitat bringen. Der Abgeordnete Abelein - und er war heute nicht nur Abgeordneter, sondern auch der Sprecher seiner Fraktion zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage, was ihm ein besonderes Gewicht gibt - hat gesagt: Berlin gehört zur Bundesrepublik Deutschland. - Berlin! Berlin insgesamt gehört zur Bundesrepublik Deutschland! Er sagte nicht „Berlin ({0})". Es ist die Hauptstadt der deutschen Nation. Nun bestreite ich nicht, daß es für einen Abgeordneten ehrenwert ist, diesen Wunsch auszusprechen. Friedrich ({1}) Aber dies für die CDU/CSU-Fraktion als Tatsache festzustellen, - -({2}) - Herr Abgeordneter Abelein, hören Sie jetzt einmal zu, was vor anderthalb Stunden der Regierende Bürgermeister von Berlin in seiner Regierungserklärung gesagt hat. Ich möchte einmal hier im Deutschen Bundestag die Frage aufwerfen, ob die Union Berlin in einen schlimmen Zweifrontenkampf führen will. Diese Frage muß einmal aufgeworfen werden, ({3}) nachdem es uns gelungen ist, den Satz abzudrücken, daß Berlin auf dem Territorium der DDR liegt. ({4}) Der neue Regierende Bürgermeister sagte: Unsere Sicherheit beruht auf der Anwesenheit der Schutzmächte und der Fortdauer der Besatzungsrechte Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten in Berlin, auf der Entschlossenheit ihrer Regierungen, diese zu praktizieren. Die drei Mächte haben ihre Verpflichtung für Berlin auch in schwierigen Situationen der Nachkriegsgeschichte eingehalten. Sie haben immer wieder bewiesen, daß das Vertrauen der Berliner in ihre Standfestigkeit gerechtfertigt ist. Die Erklärung von London, die ich auch hier nachdrücklich begrüße, hat erneut gezeigt, daß diese Haltung auch für die Zukunft gilt. Er dankt dann den drei Mächten und sagt: Wir haben auch ihre Entscheidungen zu respektieren, die sie in Ausübung und im Interesse ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und sein Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland getroffen haben. Und dann sagt der Regierende Bürgermeister: Das heißt, wir haben zu respektieren, daß der freie Teil Berlins nach dem Willen der drei Mächte nach wie vor kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik ist und weiterhin nicht von ihr regiert wird. Seit der Entstehung der Bundesrepublik haben die drei Mächte jedoch keinen Zweifel daran gelassen, daß sie ihrerseits den Willen der Berliner respektieren, unter denselben Lebensformen, in derselben Gesellschafts-, Rechts-, Finanz- und Wirtschaftsordnung zu leben wie in der Bundesrepublik. Er sagt dann: Jeder, der es mit der Entspannungspolitik ernst meint, hat es zu respektieren. Ich bedaure, daß in die Begründung der Großen Anfrage eine Position eingefügt worden ist, die zu Lasten der Berliner geht, und daß die Berliner in eine sinnlose, weil politisch nicht durchhaltbare Zweifrontensituation getrieben werden. Dies ist verantwortungslos und gefährlich, Herr Abgeordneter Abelein. Verantwortungslos und gefährlich! ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes ({0})?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Friedrich, können Sie dem Hause bestätigen, daß es für die Rechte der Westmächte in Berlin wesentlich ist, daß auch wir immer wieder darauf hinweisen, daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes sich auf Berlin als Ganzes, weil nämlich die Hauptstadt Deutschlands, beziehen? ({0})

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mertes, es wäre gut, wenn der Zustand Ihrer Fraktion so wäre, daß Sie nicht Politiker hier an dieses Pult schicken müßten, um Ihre Position zu begründen, die gefährlich für die Situation Berlins sind. Sie sollten vielmehr jene schicken, die auch fähig sind, im Rahmen der Rechtspositionen deutsche Politik zu begründen. ({0}) Es wäre gut, wenn der Vorsitzende der CDU, Kohl, in Ergänzung Ihres Parteitagsbeschlusses auch dazu etwas sagen würde.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen Augenblick. Ich bin gleich soweit. Es wäre gut, wenn Herr Kohl etwas dazu sagen würde, ob die Union die Absicht hat, unter Berufung auf das Urteil vom 31. Juli 1973 die geschlossenen, ratifizierten, also völkerrechtlich gültigen Verträge in Frage zu stellen. ({0}) Warum verschweigen Sie das immer? Warum schicken Sie Referenten aus, die Mitarbeiter Ihrer Fraktion sind und die diesen Eindruck erwecken müssen? Warum ist das in dem Beschluß Ihres Parteitages nicht enthalten? Es ist ganz klar: Überall, wo es einen Dissens gibt, klammert man aus. Daran hat schon die Große Koalition gelitten. Deshalb konnte sie nicht weitergeführt werden. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Luster?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Rudolf Luster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wollten Sie mit dem Zitat der Rede des Regierenden Bürgermeisters von heute dartun, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin eine andere Auffassung zum Status Berlins habe, als sie in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Jahre 1973, wie das der Staatssekretär Hartkopf in diesen Tagen noch einmal ausdrücklich bestätigt hat, zum Ausdruck kommt, wonach Berlin ({0}) Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich darf Sie darauf aufmerksam machen - ich weiß nicht, ob Sie da waren, als Herr Abelein gesprochen hat -, daß er von Berlin gesprochen hat, nicht von Berlin ({0}). ({1}) - Herr Abelein, Sie wissen ganz genau, daß die Zweideutigkeiten, mit denen Sie hier auftreten, immer zu Lasten der Berliner gehen. ({2}) Soweit es um den Regierenden Bürgermeister geht, bin ich dankbar für Ihre Frage, weil ich der Meinung bin: Bei den engen Bindungen zu Berlin und bei unserem Willen, Berlin zu unterstützen, ist es gut, hier zu bekräftigen, was heute nachmittag der Regierende Bürgermeister gesagt hat. Das ist auch eine Antwort. Ich stimme mit ihm völlig überein, wie auch die Sozialdemokratische Partei alles tun wird, ihm sein schweres Amt tragen zu helfen. ({3}) Er nannte folgende Schwerpunkte der Regierungsarbeit: Stärkung der wirtschaftlichen Leistungskraft West-Berlins, wobei der Vorrang bei der Sicherung bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze liegen soll. Zweitens soll eine bewußte Hinwendung zur Stadtpolitik erfolgen. ({4}) Wer die Situation kennt, weiß, was es für Berlin bedeutet, in diesen Altbauvierteln Wandlung herbeizuführen. Drittens will der Senat an den Stolz der Berliner appellieren, ihren Sinn für die Urbanität der Stadt zu schärfen. Das heißt, Berlin muß unter den gegenwärtigen Bedingungen seine Zukunftsvision entwikkeln. Jetzt die Antwort auf die gestellte Frage: Der Senat will sich für die Behauptung der geschichtlichen Position Berlins einsetzen, wobei er sich ohne Wenn und Aber für die Politik der Verständigung und des partiellen Interessenausgleichs zwischen beiden deutschen Staaten ausspricht. Gerade dies ist die Politik der sozialliberalen Koalition. Eines, was heute in dieser Debatte deutlich geworden ist, ist sehr bedrückend. Der Herr Kollege Gradl, der nachher noch das Wort ergreifen soll, wird sich noch an die Kritik bei der Jahrestagung des Kuratoriums Unteilbares Deutschland erinnern können. Es ging um die Frage: Werden die Deutschen mit ihrer Geschichte fertig? Inwieweit sind wir fähig, deutsch-deutsche Politik aus der Verantwortung dieses Landes für Europa zu begreifen? Sicher, wir haben keinen Anlaß, uns unserer Leistungen zu schämen, vor allem der der letzten 30 Jahre. Aber wir wollen nicht ganz deutsche Geschichte vergessen. ({5}) Denn mit der Werdung der deutschen Nation 1871 war verbunden, daß dieses Deutschland nicht fähig war, im Zustand einer neuen Nation Europa im Gleichgewicht zu halten. Daraus resultierte die Entwicklung 1914 und 1939. Man muß sich hier einmal die Unfähigkeit der konservativen Politik vor Augen halten. Ich glaube, da liegt die Schwierigkeit der Diskussionen im Bundestag seit 1949. Man muß hierbei z. B. auch an die Überlegungen von 1916 denken. - Kollege Mertes, mir ist das durchaus nicht zum Lachen. Ich habe in der Vorbereitung auf diese Debatte nachgelesen, ({6}) was die Männer des 20. Juli noch 1941 wollten. Damals waren sie z. B. der Auffassung, daß der Anschluß bestätigt werden müsse, waren sie der Auffassung, daß die Grenzen von vor 1914 wiederhergestellt werden müßten. Anderthalb Jahre vor Kriegsende hat man das dann reduziert. Man war immer noch der Meinung, es müsse die Ostgrenze von 1914 wiederhergestellt werden, und Südtirol müsse zu Deutschland gehören. Das war noch 1943. Ich will nur sagen: Dies war vier Jahre vor der Formulierung des Grundgesetzes, während wir heute bereits im 28. Jahr nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes leben. Dies muß man sich einmal vor Augen halten. Daher möchte ich die Frage aufwerfen, inwieweit wir uns in der Unfähigkeit, hier zu Rande zu kommen, mit zwei Erbübeln der Deutschen, so will ich es einmal ganz offen sagen, herumschlagen müssen, nämlich mit dem Realitätsdefizit und der Maßlosigkeit. ({7}) Dies war die Ursache dafür, daß Deutschland in Europa nicht seine eigene Rolle finden konnte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Friedrich, erinnern Sie sich an die gesamtdeutschen Reden des sozialdemokratischen Abgeordneten Adolf Arndt, und würden Sie das, was Sie soeben gesagt haben, auf diese Reden anwenden wollen?

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Mertes, ich verehre Adolf Arndt als eine der großen geistigen Persönlichkeiten. ({0}) Ich weiß sehr wohl, daß ein Kurt Schumacher und ein Adolf Arndt verzweifelt versucht haben, nach den katastrophalen Fehlern der Konservativen das Deutsche Reich unmittelbar nach 1949 zu erhalten. Das kann man ihnen doch nicht vorwerfen. ({1}) Ich bekenne mich zu Adolf Arndt. Aber ich halte ihn für eine zu große geistige Persönlichkeit, als daß er Ihre Starrheit, die Sie heute zeigen, nachvollziehen könnte. ({2}) Ich will auch sagen, warum ich diese historischen Positionen hier einführe: weil sie auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 spürbar werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Für die Frage, ob die Anerkennung der Grenze zwischen den beiden Staaten als Staatsgrenze mit dem Grundgesetz vereinbar sei, ist entscheidend die Qualifizierung als staatsrechtliche Grenze zwischen zwei Staaten, deren Besonderheit ist, daß sie auf dem Fundament des noch existierenden Staates Deutschland als Ganzes existieren, daß es sich also um eine staatsrechtliche Grenze handelt, ähnlich denen, die zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland verlaufen. Ich spüre hier die Problematik, die sich für eine deutsche Regierung ergibt, wenn sie die Grenze zur DDR ähnlich einer Grenze zwischen Hessen und Bayern behandeln wollte. Denn bisher mußten wir doch davon ausgehen, daß das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland die Verfassungsfrage als Machtfrage definiert. Was wäre die Konsequenz, wenn ein verantwortlicher Politiker der Bundesregierung oder Herr Stoltenberg oder Herr Albrecht oder Herr Börner oder Herr Goppel als Ministerpräsidenten in Verfolg dieses Urteils den Versuch unternähmen, z. B. ihre Polizei anzuweisen, die Grenze zur DDR als eine Grenze wie zwischen anderen Ländern zu behandeln? Hier ist doch zu beachten: Die Grenze, die vom Bundesverfassungsgericht als Grenze ähnlich der zwischen Bundesländern definiert worden ist, ist zugleich die Grenze zwischen den stärksten Militärblöcken der Welt. Sie ist eine harte ideologische Grenze. Sie ist eine Grenze zwischen absolut unterschiedlichen Wirtschaftssystemen. Sie ist die Grenze der Großmachtbereiche. Das heißt: Wir stehen hier vor der schwierigen Frage, daß das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsfrage aus der deutschen Situation heraus als Ohnmachtsfrage definiert hat. Denn kein deutscher Politiker wird es wagen, die Grenze zur DDR als eine Grenze wie zwischen Baden-Württemberg und Bayern durchzusetzen, weil wir alle um die Konsequenzen wüßten. Auf der anderen Seite - und da müssen Sie sich nun einmal entschließen, wohin Sie wollen - hat das Bundesverfassungsgericht den Grundlagenvertrag als mit dem Grundgesetz vereinbar bezeichnet und ihn gleichzeitig als eine wichtige Weichenstellung gekennzeichnet. Die Frage ist: Wohin wollen Sie gehen? Wir jedenfalls sind der Meinung, daß es bei der deutsch-deutschen Politik, die seit dem Westfälischen Frieden nie eine deutsch-deutsche Angelegenheit, sondern immer eine Frage der Weltpolitik war, nicht nur um Grenzen geht, die denen zwischen Bundesländern vergleichbar sind. Eine Bundesrepublik Deutschland - und hier vermisse ich heute Herrn Kohl -, der nach dem Londoner Gipfel von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" bescheinigt worden ist, sie sei in die vorderste Linie der Weltpolitik eingerückt und müsse jetzt auch zu dieser Verantwortung stehen, muß sich den Wahrheiten ihrer Verantwortung stellen. Ich will hier sechs unbequeme Wahrheiten nennen. Erstens. Die Machtlage in der Welt läßt nicht erwarten, daß im Jahre 2000, also in 23 Jahren, die deutsche Teilung beendet ist. Zweitens. Es ist falsch, davon auszugehen, nur die Sowjetunion und nur die Deutsche Demokratische Republik strebten danach, die innerdeutsche Grenze in eine ständige Grenze zu verwandeln. Drittens. Für die meisten Staaten der Welt ist die Teilung des Deutschen Reiches nach zwei Weltkriegen eine Garantie des europäischen Gleichgewichts. Ich weiß, daß es den Vorwurf gibt, man sei ein schlechter deutscher Patriot, wenn man eine Realität ausspricht. Trotzdem muß sie ausgesprochen werden. Viertens. Die Erwartung, mit unseren Verbündeten könne die deutsche Teilung durch eine Veränderung der Machtlage kurz- oder mittelfristig verändert werden, endete spätestens beim hingenommenen Mauerbau in Berlin. In diesem Zusammenhang sollten Sie sich vielleicht doch einmal das Kommunique über die Begegnung zwischen Konrad Adenauer und dem sowjetischen Botschafter in Bonn vom 15. August 1961 ansehen und einmal nachlesen, was der Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer damals zu den Konsequenzen des Mauerbaus gesagt hat. Er sagte: Das darf die Beziehungen nicht belasten. Das war damals das Ergebnis. Fünftens. Angesichts einer vermuteten politischen und wirtschaftlichen Hegemonialrolle der Bundesrepublik unter den Mittelmächten der Welt würde, gäbe es dazu eine ernsthafte Chance, eine Wiedervereinigung auf den heftigen Widerstand von Staaten in Ost und West stoßen. Sechstens. Es ist absurd, unmittelbar vor der ersten Wahl des erstmals direkt gewählten Europäischen Parlaments, das sich zum Ziel gesetzt hat, den alten Nationalstaat abzubauen, aus der Kategorie Friedrich ({3}) des deutschen Nationalstaats im 19. Jahrhundert heraus die künftige deutsche Einheit zu begreifen. ({4}) In der DDR lebt bereits die dritte Generation. Wenn es je wieder eine deutsche Nation geben wird, dann werden die jungen Generationen beider Staaten sich aufmachen müssen, um ihre eigene Nation zu finden, unter eigenen gesellschaftlichen und staatlichen Bedingungen. Siebtens. Soweit es um den Rechtsstandpunkt geht, könnte man sich über vieles verständigen. Aber niemand wird im Völkerrecht an der Wahrheit vorbeikommen: Auf die Dauer wird ein Rechtsstandpunkt im internationalen Recht nur durchsetzbar sein, wenn seine Begründung imstande ist, sich in der Wirklichkeit der Beziehungen zwischen den Völkern zu behaupten. Ihre Politik hat sich bereits Mitte der 60er Jahre nicht mehr in der Wirklichkeit der Beziehungen der Völker behaupten können. ({5}) Dies ist doch Ihr Verhängnis, daß Sie nicht fähig sind, jene bereits damals vollzogene Wirklichkeit in der Welt zu begreifen. In diesem Zusammenhang darf ich zitieren, was in „Foreign Policy", einer Zeitschrift, deren Redakteure zur Hälfte in die Carter-Administration eingerückt sind, von einem Mann geschrieben wurde, den viele hier kennen, nämlich Robert Gerald Livingstone. Er schrieb: „Die Vereinigten Staaten gehen in ihrer Europapolitik von einem Gleichgewicht aus, das auf der fortdauernden Gebietsteilung des ehemaligen Deutschen Reiches beruht." Zu diesem Artikel hat der CDU-Abgeordnete Kiep ein Nachwort geschrieben, und er hat zu diesem Komplex keinen einzigen Satz vermerkt. Nur der Sozialdemokrat Professor Richard Löwenthal hat dies korrigiert. Wo ist denn Herr Kiep, um einmal die ganze Spanne der Union in dieser Frage sichtbar zu machen? ({6}) - Er war, als er diesen Artikel schrieb, noch der außenpolitische Sprecher des CDU-Präsidiums. ({7}) - Verdrängen Sie das noch nicht! Versuchen Sie heute hier doch nicht, ein geschlossenes Bild zu bieten, weil Sie nur die Kreuther Riege hier sprechen lassen. ({8}) Das ist doch eine Irreführung der Öffentlichkeit. ({9}) Nun zur KSZE, zum Schluß. ({10}) - Diese Rede hat Ihnen weh getan; das begreife ich schon. ({11}) Jedenfalls steht eines fest: Dieses Parlament war das einzige Parlament, das vor Verabschiedung der Schlußakte zusammengetreten ist. Es ist nur deshalb zusammengetreten, weil als einziger Punkt der Antrag der CDU auf der Tagesordnung stand: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Schlußakte nicht zu unterzeichnen". ({12}) - Ich muß doch nicht noch den Part der Union übernehmen, wenn man hier schon ungeduldig ist, Herr Kollege Mertes. Aber was ist seit Helsinki eingetreten? Vor allem jene, die den kommunistischen Systemen kritisch gegenüberstehen, bestätigen, daß es nach Helsinki zum erstenmal in kommunistischen Staaten etwas gegeben hat, was es bis dahin nicht gab, nämlich in der Gesellschaft eine autonome, vom System unabhängige Äußerung. Das ist ein neues Phänomen. Die Frage ist nun, ob wir eine Politik betreiben, aus der heraus dieser Prozeß zurückgeschraubt wird. Hier warne ich davor, in eine Politik einzusteigen, die vom Freund-Feind-Denken ausgeht, von der Siegparole. ({13}) - Herr Kollege Mertes, die Parole „Freiheit oder Sozialismus" ist eine Siegparole. Auch wenn Sie auf Demokraten angewendet wird, muß sie in der Konsequenz wie alle Siegparolen zur Menschenverfolgung führen. Dies ist eine Siegparole. Aber wenn Sie sich heute auf den amerikanischen Präsidenten Carter berufen, ({14}) dann will ich nur zwei Sätze aus der Rede des Präsidenten vom letzten Wochenende zitieren. Er sagte: Wir haben Feuer mit Feuer bekämpft und niemals daran gedacht, daß Feuer besser mit Wasser bekämpft wird. Dieser Weg schlug fehl, wobei Vietnam das beste Beispiel für seine geistige und politische Armut ist. Ich kann mich sehr wohl erinnern, welch leidenschaftliche Ablehnung von Ihnen kam, als ich einen ähnlichen Satz in der letzten Legislaturperiode von diesem Platz aus gesprochen habe. Das zweite ist das - und damit wird widerlegt, was der „Zimmermann von Kreuth" hier ausgeführt hat -, was

Not found (Mitglied des Präsidiums)

„Ich glaube an die Entspannung im Verhältnis zur Sowjetunion. Für mich bedeutet sie Fortschritt in Richtung auf den Frieden." Friedrich ({0}) Um zum Schluß zu kommen: Die Opposition ist aus den letzten Wahlen gestärkt hervorgegangen; das bestreiten wir Ihnen nicht. Aber dieses Land würde in einen schlimmen Weg steuern, wenn die Opposition mit einer solchen politischen Konzeption - die keine ist - die Verantwortung für die internationale Rolle dieses Landes übernehmen müßte. Dann müßte man in der Tat um das politische Gleichgewicht in der Welt fürchten. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Gradl.

Dr. Johann Baptist Gradl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine verehrten Kollegen! Für mich hat meine Fraktion - ich gestehe es - eine etwas längere Redezeit beantragt. Ich geniere mich beinahe, davon Gebrauch zu machen, aber ich werde es tun. Ich will also vorsorglich warnen. Nur möchte ich auf folgendes aufmerksam machen. ({0}) Es macht mir Spaß, in Debatten gelegentlich einmal mitzuschreiben, wie die Verteilung ist. In diesem Augenblick ist es so, daß in dieser Debatte von seiten des Regierungslagers exakt 250 Minuten gesprochen worden ist und von der Opposition 125 Minuten. Ich finde, das wäre ein Thema, mit dem sich die Geschäftsführer einmal gründlich beschäftigen sollten; denn dies ist keine Ausgewogenheit. ({1}) Dann darf ich zu dem Kollegen Friedrich zwei kurze Bemerkungen machen. Die eine deshalb, weil ich mich da als Berliner angesprochen fühle. Herr Kollege Friedrich, ich möchte sicher sein, daß ich Sie richtig verstanden habe. Sie haben - wenn ich richtig gehört habe - zitiert, was der Regierende Bürgermeister von Berlin heute in seine Rede gesagt hat. Er hat nämlich die Frage gestellt, ob die CDU Berlin die Absicht habe, Berlin in einen Zweifrontenkrieg zu bringen. Habe ich das richtig verstanden? ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Sie müssen schon versuchen, Ihre Ausführungen in eine Frage zu kleiden.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Sie fragen, ob Sie mich richtig verstanden haben, wenn ich darlegen wollte, daß die Ausführungen des Kollegen Professor Abelein zu dieser Schlußfolgerung führen müssen?

Dr. Johann Baptist Gradl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein! Das ist etwas völlig anderes als das, was wir hier verstanden haben. Aber dann brauche ich dazu nicht zu reden. Nur will ich vorsorglich sagen, wenn ein solcher Vorwurf erhoben worden sein sollte, dann müßte ich entgegnen, Herr Kollege Friedrich, die Berliner CDU hat gerade in den letzten Monaten sehr intensiv Vorschläge ausgearbeitet und die Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit erklärt. Nichts liegt ihr ferner als ein Zweifrontenkrieg. Die Auseinandersetzung, die sie mit Ihren Freunden in Berlin führt, ist allerdings dadurch hervorgerufen, daß sie nach Möglichkeit neben den äußeren Pressionen einen weiteren Schaden, quasi einen Zweifrontenschaden in Berlin vermeiden will; denn der Schaden, der angerichtet worden ist und der das Bild Berlins so sehr getrübt hat, ist leider von Ihren Parteifreunden ausgelöst worden; mit dem muß man allerdings fertigwerden. ({0}) Die zweite Bemerkung, Herr Kollege Friedrich, damit das nun endlich mal vom Tisch kommt. Sie und nicht nur Sie, sondern viele in Ihren Reihen - auch draußen in Diskussionen -, tun immer so, als ob unsere Berufung auf die Verfassungsgerichtsurteile etwas damit zu tun habe, daß wir die Verträge, die Ostverträge kurz gesagt, in Wahrheit nicht zu halten beabsichtigten. Spüren Sie eigentlich nicht, welchen Schaden Sie deutscher Politik mit einem solchen Zweifel zufügen? Wir sind in der Tat die Opposition, aber wir sind doch möglicherweise auch die Regierung von morgen. Welcher Eindruck soll eigentlich in der Welt draußen entstehen, wenn der einen Hälfte dieses Hauses der Vorwurf gemacht oder der Verdacht angehängt wird, daß sie völkerrechtlich verbindliche Verträge nicht zu halten beabsichtige?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich?

Dr. Johann Baptist Gradl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Oh, sicher.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gradl, kann ich nach Ihren Feststellungen davon ausgehen, daß Sie sich in Ihrer Fraktion darum bemühen werden, daß Zweideutigkeiten in dieser Frage künftig ausgeräumt werden?

Dr. Johann Baptist Gradl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Friedrich, es gibt in dieser Sache keine Zweideutigkeit. Hier ist nicht nur einmal, sondern hundertmal erklärt worden, ({0}) daß die Verträge für uns verbindlich sind, auch wenn uns manches an diesen Verträgen nicht gefällt; aber gebunden sind wir durch diese Verträge. Nun möchte ich aber zu meinem eigentlichen Thema kommen und mit folgender Feststellung beginnen, nämlich der: Noch immer ist der menschliche und politische Freiheitsraum der Deutschen in der DDR hart eingeengt, noch immer ist ihre Bewegungsfreiheit von Ost nach West auf das Rentenalter und eine minimale Zahl von Auslandsreisen beschränkt, und noch immer steht der Grenzverkehr zur Bundesrepublik unter dem Druck äußerster Gewalt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Absicht, meine Betrachtungen vorrangig in diese Perspektive zu stellen; es ist die Perspektive der Deutschen in der DDR. Die Bundesregierung weist - und das tut sie mit Recht - auf die Fortschritte hin, die für die Beziehungen der Menschen zueinander durch die Erleichterung des Reise- und Besuchsverkehrs und des Transitverkehrs nach Berlin erzielt worden sind. Niemand von uns bestreitet diese Fortschritte. Aber wir sagen - das hat gar keinen polemischen Beiklang, wenn ich dies hier so formuliere -, diese Fortschritte, deren wir alle uns erfreuen, kommen doch in der Hauptsache den Deutschen im freiheitlichen Teil Deutschlands zugute. Die Deutschen im anderen Teil Deutschlands, die Deutschen in der DDR, haben davon gewissermaßen nur einen passiven Nutzen. Sie gewinnen die menschliche Begegnung mit Verwandten, Freunden und anderen Besuchern; aber ansonsten ist, von Kleinigkeiten und Einzelheiten abgesehen, in der Phase der Vertragspolitik die Situation für sie so geblieben, wie sie immer war. Ich sage das nicht, um Verantwortung zu verschieben. Ich weiß genauso, wie wir es alle wissen, daß die Verantwortung dafür die Führung der SED in Ost-Berlin hat. Aber ich finde, wir sollten uns diese gespaltene Situation bei jeder deutschlandpolitischen Diskussion immer sehr deutlich vor Augen halten. Wenn wir das tun, werden Sie wahrscheinlich Verständnis dafür haben, wenn die Frage gestellt wird - und ich stelle sie jetzt auch wieder -, ob denn die Deutschlandpolitik der Bundesregierung nicht anders gestaltet und angesetzt, ob sie angesichts dieser Situation nicht mit mehr Nachdruck betrieben werden muß, um Spannungsherde abzubauen. Das halten wir jedenfalls für notwendig. Der Tenor der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ist in dieser Hinsicht eigentlich von dem Gedanken bestimmt: weitermachen wie bisher. Auf unsere Frage nach Alternativen lesen wir in der Vorbemerkung der Antwort der Bundesregierung: Keine neuen Konzeptionen. Das genügt aber insbesondere im Blick auf die Deutschen drüben im Jahre fünf des Grundvertrages - und das haben wir: im Jahre fünf - nicht. Nun werden wir von Ihrer Seite gerne zur Geduld gemahnt. Aber ich meine, das ist nicht das Problem. Wir wissen natürlich auch, daß wir Deutsche nach einer solchen geschichtlichen Katastrophe wie der von 1933/45 gewiß einen langen Atem haben müssen, um die Folgen zu überwinden. Aber in dieser Phase der Deutschlandpolitik, die jetzt beginnt und gewissermaßen ihren äußerlich sichtbaren Anfang in Belgrad hat, geht es um einen humanen, um einen menschenfreundlichen Modus vivendi während der politischen Spaltung. Da kann man die Menschen nicht immer wieder auf Warten verweisen. Sondern was Von uns allen erwartet werden muß - ob in Belgrad, ob nach Belgrad, ob in bezug auf die Deklaration von Helsinki oder in bezug auf die allgemeine deutschlandpolitische Lage -, ist, daß der Deutschlandpolitik ein Schub gegeben wird, der deutlich macht, daß wir auch im Blick auf die Deutschen drüben zu einer politisch offensiven Aktivität kommen. Das ist jedenfalls unser Verlangen. Weil wir dabei naturgemäß besonderes Gewicht auf die Menschenrechte legen, werfen Sie uns vor, wir überbetonten die Menschenrechte. Auch dieser Vorwurf geht fehl. Wir wissen natürlich auch: Es würde die andere Seite nicht in den notwendigen humanitären Zugzwang bringen, sondern notwendige Schritte nur blockieren, wollte man die Menschenrechte als eine Art Allzweckwaffe gegen kommunistische Regime handhaben. Wir wissen, daß in dieser Situation politisches Augenmaß, nüchterner Sinn notwendig sind. Und es bleibt doch auch dabei - das muß man ja ebenfalls bedenken -, daß Forderungen vor allem von den Menschen drüben, die es besonders angeht, die ihr System sehr genau kennen und die viel besser als wir ermessen können, was situations- und zeitgerecht ist, verstanden werden müssen. Das alles ist uns klar, das brauchen Sie uns nicht immer vorzuhalten. Wir wissen, daß kein Maximalismus angebracht ist, wir wissen allerdings auch und sind der Überzeugung, daß kein Minimalismus angebracht ist. Wenn wir das, was in den Fragenkatalogen der Regierung zusammengestellt worden ist, einmal an unserem Auge vorbeigehen lassen, habe ich eher das Gefühl, daß da zwar sehr viele Positionen aufgezählt sind - jedenfalls soweit sie bekanntgeworden sind, wir sind ja allein auf die Presse angewiesen -, daß aber die wirklich wichtigen Schritte, die die eingangs geschilderte Situation der Menschen wesentlich verbessern könnten, nicht in der rechten Weise - jedenfalls nach meiner Erkenntnis - zur Geltung kommen. Unverzichtbar ist auf alle Fälle das entschiedene Fordern dessen, was dem System realistischerweise irgendwie zumutbar ist, z. B. der stufenweise Abbau von Reiseschranken. Ich füge hinzu: Weder in unserem Lande noch in der Weltöffentlichkeit würde jetzt in dieser kommenden Phase, die ja auch deutschlandpolitisch und international von dem Thema Menschenrechte so stark bestimmt ist, verstanden, wenn die menschliche Last aus der zwangsweisen Spaltung nicht deutlich gemacht und wenn Abhilfe nicht entschieden verlangt würde. Es wird berichtet, daß die Menschenrechte auf der Tagung der Sozialistischen Internationale in Amsterdam eine Rolle gespielt hätten, daß es eine Auseinandersetzung gegeben habe und daß wichtige Teilnehmer eine Position prinzipieller Härte eingenommen hätten. Von dem holländischen Ministerpräsidenten den Uyl wird berichtet, er habe erklärt, die Menschenrechte seien untrennbarer Bestandteil von Frieden und Sicherheit. Man müsse auf ihre Verwirklichung weiter drängen und sollte sich darum nicht schämen. Ich nehme an, die Information ist richtig. Die Sprache jedenfalls läßt es vermuten. Ich kann nur sagen, wir stimmen den Uyl in dieser Sache vollkommen zu. Das ist genau unsere Meinung. In der Situation, in der sich unser geteiltes Land befindet, ist der international mit Vorsprung ausgestattete Katalog der Menschenrechte ein legitimes Instrument deutscher Politik. Wir alle können und wollen nichts mit Gewalt erzwingen. Also bleibt doch nur, deutlich auszusprechen, was anzuklagen ist, und das Gebührende zu verlangen. Dazu bedarf es keiner Lautstärke und Überzeichnung. Wenn wir das sagen, wird uns immer gleich entgegengeDr. Gradl halten, wir wollten kalten Krieg. Mitnichten! Da braucht man gar nichts zu überzeichnen. Das Registrieren der Fakten in der DDR kennzeichnet die Situation selbst zur Genüge. Die reine Wirklichkeit ist die deutlichste Kennzeichnung. Wenn man das so sieht, dann muß ich sagen, daß ein Satz in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Dezember 1976 im Grunde nicht zu verstehen ist; es sei denn, die Regierung nähme an, man könnte mit einem verbalen Stirnrunzeln oder mit einer gütigen Ermahnung die harten Vertreter Ost-Berlins zu einer Wandlung in diesem Bereich bewegen. Da hat der Bundeskanzler damals zum Kapitel innerdeutscher Reiseverkehr wörtlich gesagt - man muß das recht sanft sprechen; dann wird es ganz deutlich -, man wolle die DDR ermutigen, den Umfang des für möglich Gehaltenen neu zu überdenken. Es tut mir leid, ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Art Sprache - und dahinter steckt auch eine Haltung - die andere Seite beeindruckt. Bisher war jedenfalls nichts Positives zu vermerken. Nun will ich an wenigen Beispielen das, was ich jetzt allgemein ausgeführt habe, konkretisieren. Ich habe schon gesagt, die Bundesregierung hebt - das tut sie mit Recht - als Erfolg ihrer Politik die Millionenzahl westdeutscher und Westberliner Besucher in der DDR hervor. Der menschliche Gewinn dieser Besuche ist überhaupt nicht abzuschätzen. Das ist unleugbar. Aber nun muß ich doch gleich hinzufügen: Wenn jedoch nicht auch den jüngeren Generationen der DDR ein verwandtschaftlich-freundschaftliches Hin und Her möglich wird, dann muß doch die Gefahr ernstgenommen werden, daß das Geflecht der menschlichen, verwandtschaftlichen Beziehungen hin und her verkümmert - eine böse Gefahr; schon die Vorstellung ist schrecklich. Nun, die Wirklichkeit ist so, daß wir in Verbindung mit dem Moskauer Vertrag und dem Verkehrsvertrag neben den 1964 geöffneten Schranken für die Rentnerreisen die von Altersgrenzen freie Reisemöglichkeit für DDR-Bürger in dringenden Familienfällen haben. Die Gesamtzahl bewegt sich um ganze 30 000, wenig genug. Und irgendwie ist es, finde ich, für die Situation kennzeichnend, daß sich in den ersten vier Monaten dieses Jahres - die letzten Zahlen sind gerade heute herausgekommen - ergibt, daß selbst dieses niedrige Niveau gegenüber der Vergleichszeit im Vorjahr noch um 6 % - genau, glaube ich, um 5,9 % - gesunken ist. Das ist eine Kennzeichnung für die rigorose Genehmigungspraxis, die auf diesem Gebiet drüben ausgeübt wird. Keiner wird mir wiedersprechen können, wenn ich schlicht sage: Seit der Regelung vor fünf Jahren - denn vor fünf Jahren haben wir diese Ausnahmereisen erwirkt - ist man im Reiseverkehr aus der DDR in die Bundesrepublik nicht ein Stückchen weitergekommen. Ich sage das nicht, um einen Vorwurf zu erheben. Das ist im Augenblick nicht mein Thema; darüber können wir uns noch lange unterhalten. Ich sage das nur, weil ich deutlich machen will: Hier ist einer der wichtigsten praktischen Ansatzpunkte für ein aktives deutschlandpolitisches Drängen im Interesse der Menschen selbst. Ich maße mir jetzt nicht an, die Leute in Ost-Berlin mit irgendeinem Argument, das ausgerechnet ich vorbringe, überzeugen zu können, aber vielleicht kann das der ungarische Ministerpräsident und Parteichef Kadar. Vielleicht kann er die DDR-Führung eines Besseren belehren. Jeder Ungar hat ein gesetzliches Recht auf einen Paß für Westreisen. Alle drei Jahre erhält er dafür einen respektablen Devisenbetrag. Braucht er keine Devisen, weil er zu Verwandten oder Freunden reisen kann, kann er öfter reisen. Das ist dort die Situation. Nun hat Kadar bei seinem Staatsbesuch im Dezember letzten Jahres in Wien gesagt, mit der politischen Entscheidung, seine Staatsbürger in den Westen fahren und dort Urlaub machen zu lassen, habe Ungarn gute Erfahrungen gemacht. Er hat das u. a. so begründet: Alles, was verboten ist, werde interessant; die im Westen bestehende Lebensunsicherheit und Arbeitslosigkeit lehre, daß auch im Westen die Zäune nicht aus Wurst seien; durch das Reisen sei ein Erziehungsprozeß in Ungarn in Gang gekommen. So Kadar. Ich werde mit ihm jetzt hier nicht einen Streit über seine Argumentation anfangen. Ich meine, sie sollte aber die Verantwortlichen in Ost-Berlin interessieren. Es wäre ganz gut, wenn ihr Propagandafeldzug, den sie jetzt starten, auch einmal unter diesem Gesichtspunkt überprüft würde. - Tatsache ist, daß die Fluchtquote gering ist, und dies, obwohl die Beziehungen über die Grenze zwischen Ungarn und Österreich hinweg ja immer noch sehr eng sind und die Sprachbarriere kein allzu großes Gewicht hat. So also Ungarn. Herr Honecker hat nun in seinem bekannten Interview in der „Saarbrücker Zeitung" auf das Devisenproblem hingewiesen. Die Frage drängt sich doch auf, warum die wirtschaftlich stärkere DDR mit den Devisen nicht das fertigbringt, was Ungarn fertigbekommt, zumal doch die DDR aus den bekannten mannigfachen Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland, und zwar allein aus den öffentlichen Zahlungen, einen Sonderzustrom an Devisen von jährlich weit mehr als 600 Millionen DM hat - dies ganz abgesehen von allen wirtschaftlichen Hilfen. Als dringenden Wunsch an die Bundesregierung möchte ich äußern: Das Mindeste, was jetzt im Reiseverkehr von der DDR-Führung verlangt werden muß, ist ein erster großer Schritt. Wer 50 Jahre alt ist, hat sein Zuhause, seine Freunde, seine Arbeitsstelle, seine Familie und seinen ganzen Lebenskreis; die schwere materielle Not ist auch drüben überwunden. Man darf doch wohl annehmen, daß Menschen, die ihren Platz gefunden haben, nicht leichten Herzens fliehen, schon gar nicht, wenn ihnen das Gefühl ,des ewigen Eingesperrtseins genommen würde. Hier ist ein entscheidender deutschlandpolitischer Ansatz. Man muß sich manchmal die Situation der Menschen drüben vor Augen halten. Neulich hat mir ein Kölner einen Brief gezeigt, den er von seinem 55jährigen Bruder aus Dresden erhalten hat. Darin steht unter anderem: „Bleibt nur zu hoffen, daß ich endlich 65 werde." Ein anderer schreibt: „Nächstes Jahr bin ich mauermündig." Kann man sich vor2114 Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode Dr. Gradl stellen, was für bittere Qual der Isolierung hinter solchen Aussagen steckt? Da müssen wir aktiv sein. Das ist gar nicht so schwer. Manchmal kann man aus der Vergangenheit lernen. Aus der DDR in die Bundesrepublik gekommene Ärzte haben im vorigen Jahr dem SED-Generalsekretär Honecker in einem Brief - den Sie kennen - geschrieben, daß nicht Gehälter, nicht Urlaubszeit und nicht medizinisch-technische Ausrüstung die Gründe ihres Weggehens waren, sondern die ständige Überwachung, die Benachteiligung der Kinder im Studium, ,die Abhängigkeit der Facharztzulassung vom fünfjährigen Besuch der Marxismus-Leninismus-Kurse und die Verweigerung der Teilnahme an westlichen Fachkongressen. Wenn man in Ost-Berlin sucht, wie man mit der Unzufriedenheit der Bevölkerung fertig werden kann, dann soll man sich dies vor Augen halten. Diese ideologische Penetranz und politische Verwaltung sind der eigentliche Grund des Mißmuts und der inneren Not der Menschen drüben und des Verlangens, die DDR zu verlassen. Diese Menschen wehren sich dagegen, daß sie das System nicht nur ertragen, sondern auch anbeten sollen. Das ist ihre Situation. Die christlichen Kirchen in der DDR sind - darüber gibt es eine ganze Reihe neuer Verlautbarungen - wahrhaft um Loyalität und ein sachlich-konstruktives Verhältnis gegenüber ihrer Staatsmacht bemüht. Was sie gegen die Einengungen des religiösen Lebens, gegen die Beschränkungen religiöser Erziehung und gegen den mannigfachen Druck auf Christenmenschen, vor allem auf Eltern und junge Leute, vorzubringen haben, ist viel und wiegt schwer. Sie bringen es besonnen und abgewogen vor. Gerade deshalb ist ihre verhaltene Klage so bedrückend. Sie kennzeichnet den Abgrund zwischen dem offiziell versprochenen Grundrecht auf Gleichberechtigung ohne Unterschied der Religion und Weltanschauung einerseits und der DDR-Wirklichkeit andererseits. An amtlichen Erklärungen für Glaubens- und Gewissensfreiheit fehlt es in der DDR nicht. Aber jüngst sagte ein verantwortlicher Kirchenmann drüben wörtlich: „Worauf es entscheidend ankommt, ist, daß das Erklärte sich prägend auswirkt." Genau daran, so muß man hinzufügen, fehlt es eben entscheidend. Was oben gesagt wird, wird vom Apparat nicht getan, und der Apparat selbst glaubt zumindest, daß er sich mit seinem Verhalten in einem stillen Einverständnis mit Oben befindet. Auf der Görlitzer Synode vor wenigen Tagen gab es die Aussage, daß engagierte junge Christen - so wörtlich - wenig Aussicht hätten, auf wichtige Posten zu gelangen, auch wenn sie noch so tüchtige Fachleute und gute Kollegen seien. Auch dies ist bezeichnend. So wird berichtet, daß Lehrer unter Hinweis auf die Zukunft der Kinder die Eltern davor warnen, die Kinder an der christlichen Unterweisung teilnehmen zu lassen. Können wir uns hier eigentlich die Gewissenskonflikte vorstellen, in die Eltern drüben gestellt sind? Man kann, glaube ich, verstehen, daß ideologischer Druck, staatsparteilicher Zwang und Überheblichkeit jemandem eben zuviel werden kann - so viel, daß ein christlicher Pfarrer meint, sogar mit seinem Leben ein wirklich unübersehbares Zeichen, ein Signal geben zu müssen. Ich frage mich, sind die Verantwortlichen der DDR, die solche Sorge um ihre innere Stabilität zeigen, wirklich nicht fähig, sich vorzustellen, wie es auf die vielen nachdenklichen und nolens volens auch zur Loyalität bereiten DDR-Bürger wirkt, die hinterher im SED-Zentralorgan den Satz lesen mußten - wörtlich -: In unserer Gesellschaft kann jeder nach seiner Façon selig werden. In einer sehr kritischen Zeit, in der sie ebenfalls von der Angst der Instabilität geplagt war, wurde im Verhalten der DDR-Führung plötzlich deutlich, daß sie genau wußte, was die Menschen unerträglich quält, und daß sie zwar zu später, aber doch vernünftiger Reaktion fähig war - ich würde gern sagen „ist", ich muß sagen „war". Man muß sich das einen Augenblick vergegenwärtigen. Es hilft für eine Aktivität in der Zukunft. Im Sommer 1958, einer Zeit großer Fluchtbewegungen, geriet unter anderem die ärztliche Betreuung in Gefahr. Damals rang sich das SED-Politbüro schließlich zu einer Milderung des ideologischen Druckes durch. Im Kommunique vom 16. September 1958 erklärte das Politbüro, daß die Ausübung des Arztberufes und die wissenschaftliche Tätigkeit in der DDR keiner weltanschaulichen Verpflichtung für den dialektischen Materialismus unterliege, und weiter wörtlich: daß Ärzte und Wissenschaftler, die sich zu einer anderen Weltanschauung bekennen, die Möglichkeit zu ungehinderter schöpferischer Arbeit haben. So weit reichte damals die Einsicht unter dem Eindruck der Spannung. Aber sie reichte eben nur bis zum Bau der Mauer. Die Ostberliner Konferenz für Propaganda, die in diesen Tagen abläuft, könnte sich die Arbeit sehr erleichtern. Sie brauchte nicht mehr so viel über Propagandafluten nachzudenken, mit denen sie das Denken und Fühlen der Menschen zudecken will, wenn sie sich diese Erkenntnisse von damals vor Augen führte und vielleicht daraus Konsequenzen zöge. Wenn man in diese Richtung deutschlandpolitisch vorstoßen will, muß man sich mit dem Verhalten der DDR auseinandersetzen, die jede Kritik dieser Art zu einem Verstoß gegen das völkerrechtliche Prinzip der Nichteinmischung in innere Verhältnisse anderer Staaten erklärt. Ich finde, die Bundesregierung verhält sich gegenüber diesem Mißbrauch des Nichteinmischungsprinzips so, als ob es sich um eine in Gelassenheit hinzunehmende DDR-Agitation handle. Ich habe jedenfalls bisher keine offene, klare Auseinandersetzung mit diesem Vorwurf vernommen. Dabei läge sie doch nahe, denn eine prinzipielle Priorität staatlicher Souveränität gegenüber den grundlegenden Persönlichkeitsrechten wäre menschenrechtlich ein Widerspruch in sich, es sei denn, die DDR wollte sich nach Artikel 4 der Konvention vom Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte auf Staatsnotstand berufen. Das wird sie ja doch wohl nicht tun wollen. Die Bundesregierung, so sagte ich, verhält sich gegenüber diesem Mißbrauch so, als ob es sich um eine in Gelassenheit hinzunehmende DDR-Agitation handle. Aber tatsächlich handelt es sich um den äußerst ernst zu nehmenden Versuch, die Menschenrechte generell der Ideologie und dem absoluten Wert- und Machtanspruch des kommunistischen Staates und seiner Partei unterzuordnen. Auf diesem Wege will man sich der unbedingten Verbindlichkeit der Menschenrechte entziehen. In diesem Mißbrauch des Nichteinmischungsarguments - und damit muß eine Regierung rechnen, die menschenrechtlich aktiv werden will - erweist sich die raffinierte Zweigleisigkeit kommunistischer Regime gerade für deutsche Verhältnisse als besonders gefährlich: Als Staat bekennt man sich zur friedlichen Koexistenz und gewinnt den Schutz des Nichteinmischungsarguments als Abwehrinstrument gegen menschenrechtliche Ansprüche - so glaubt man jedenfalls -, als Staatspartei beruft man sich auf weitergehenden Kampf der Klassen, der Weltanschauungen und praktiziert unbekümmert Einmischung. Es gibt einen Aufsatz in der Zeitschrift „Militärwesen" des DDR-Verteidigungsministeriums aus diesen Tagen, in dem ganz unverblümt gesagt wird, friedliche Koexistenz und Entspannungspolitik bedeuteten keine Festschreibung des sozialistischen Status quo, keinen Verzicht auf den Klassenkampf in nichtsozialistischen Ländern. Aber dieses - und deshalb hebe ich es hervor - DDR-Bekenntnis zu prinzipieller Einmischungspolitik und zu systematischer revolutionärer Aufwiegelung rechtfertigt doch erst recht das kategorische Zurückweisen des Ostberliner Einmischungsvorwurfs gegen menschenrechtliche Kritik von unserer Seite. Wir wollen doch nicht vergessen, daß die DDR gar keine Hemmungen hat, die Möglichkeiten unserer pluralistisch-toleranten Ordnung recht eingehend auszunutzen. Sie hat hier ihren eigenen Parteiapparat, der von ihr finanziert wird, der macht Parteitage, da kommt die SED-Prominenz, deren Namen wir alle kennen, aus Ost-Berlin, um dort zu reden. Das alles wird als selbstverständlich in Anspruch genommen. Für eine demokratische Partei der Bundesrepublik - es ist beinahe grotesk, das auszusprechen - gibt es natürlich keine hauseigene Plattform in der DDR. Ich habe dies nicht hervorgeholt - damit kein Mißverständnis entsteht -, weil ich zum Verbot der DKP animieren will. Es wäre aus mancherlei Gründen nicht gut, sie in den Untergrund zu drängen. Aber ein unwiderlegliches Argument, mit dem man jedem Vorwurf, wir mischten uns in die inneren Verhältnisse der DDR ein, wenn wir menschenrechtliche Kritik üben, begegnen kann, ist es auf alle Fälle. Meine Damen und Herren, es gibt ein Wort von einem amerikanischen Völkerrechtler, Stowell, das lautet: Rechte, die nicht respektiert werden, fallen wie tote Blätter vom Baum. Genau dies bezweckt die Politik der DDR mit ihrem Bemühen, das Gebot der Nichteinmischung so extensiv zu interpretieren, daß für die Inanspruchnahme der Menschenrechte in der Gestaltung der innerdeutschen Beziehungen möglichst wenig, am liebsten gar kein Raum bleibt. Ich fasse zusammen: Erstens. Menschenrechte - dies ist, glaube ich, unser aller Standpunkt - haben Vorrang. Zu ihrer Einhaltung sind beide Staaten in Deutschland in erhöhtem Maße angehalten. Beide haben - um nur dies zu nennen - die Menschenrechtskonventionen von 1966 und die Schlußakte von Helsinki unterzeichnet. Darüber hinaus haben sich beide gegenseitig im Grundvertrag zur Wahrung der Menschenrechte ausdrücklich verpflichtet. Zweitens. Alle politischen, moralischen und rechtlichen Mittel, auch öffentliche Kritik, sind für die Menschenrechte in ganz Deutschland zu nutzen. Drittens. Die Menschenrechte sind zugunsten aller Menschen und Völker zu vertreten. Ich wage aber hinzuzufügen: Angesichts der Situation im deutschen Bereich muß draußen auch verstanden werden - und notfalls verständlich gemacht werden -, daß wir uns besonders auf den deutschen Bereich konzentrieren. Die Menschen jenseits der Teilungslinie sind schließlich unsere Nächsten. Im übrigen: Was der DDR ihre Ideologie ist, sind uns eben die Menschenrechte. Wenn es der DDR recht ist, sich an unseren politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik zu beteiligen - was sie tut -, dann kann unserer Seite ein analoges Verhalten in der Sache der Menschenrechte in der DDR nur billig sein. Ich schließe mit der Feststellung: Die Deutschen hüben und die Deutschen drüben, die es sehr viel schwerer haben als wir, sollten sich - so verlangt das die internationale Situation - einstweilen damit zurechtfinden, daß ihnen das nationale Selbstbestimmungsrecht verwehrt bleibt. Aber um so mehr hat das deutsche Volk das Recht auf Öffnung von Mauer und Minenstreifen für das menschliches Zueinander in beiden Richtungen, auf menschliche Begegnungen, Kultur, Sport und alles dies. Die Bundesrepublik ist in den Ostverträgen gerade zugunsten der DDR weitgehende Verpflichtungen eingegangen. Daß diese Verpflichtungen für die andere Seite höchsten Wert haben, hat die Intensität bewiesen, mit der die Sowjetunion und die DDR darauf gedrängt haben. Alle diese Verpflichtungen - das können wir und insbesondere die Regierung doch redlich sagen - hat die Bundesrepublik Deutschland erfüllt. Alle Parteien und Fraktionen - wir alle - sind gebunden. Aber es war doch wohl niemand unter uns, der damals, 1972/73, die Gewaltverzichtsgarantien, die Respektserklärungen, die Grenzaussagen etc. Vertrag werden lassen wollte, um die innerdeutsche Trennungslinie als Schreckensgrenze und Isolierwand zu Lasten der Deutschen drüben zu verewigen. Meine Damen und Herren, gerade wenn und weil wir uns um des Friedens willen und auf der Basis der nun einmal verbindlichen Verträge mit dem jetzigen Zustand der staatlichen Spaltung für eine ungewiß lange Zeit einzurichten haben - wir alle, wir hier und wir drüben -, muß um so mehr auf der vorrangigen Wahrung der Menschenrechte für die Gesamtheit der Deutschen bestanden werden. Es geht darum, daß die DDR endlich die Gegenleistungen voll erbringt, zu denen sie grundvertraglich verpflichtet ist: gute Nachbarschaft und Verwirklichung der Menschenrechte. Die Bundesregierung ist aufgefordert - und eigentlich sollten wir sie alle auffordern -, entsprechend energisch zu handeln. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Franke. ({0})

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich wieder einige Minuten Zeit in Anspruch nehmen muß, wird das Ungleichgewicht - es tut mir leid - vielleicht etwas verstärkt. Ich hoffe aber, daß die nachfolgenden Redner dadurch noch Gelegenheit finden, wenigstens auf das zu antworten, was ich sage. Das ist fairer, als wenn ich versuchen würde, hier den Schlußreigen zu tanzen. Zunächst möchte ich mich bei Herrn Kollegen Gradl in besonderer Weise für seine Sachlichkeit bedanken. Ich meine, daß in der Tat sehr interessante Ansatzpunkte durchklangen, über die gemeinsam nachzudenken sich lohnt und wo man versuchen sollte, etwas weiterzukommen. ({0}) Aber das schließt nicht aus, daß ich auch zu einigen anderen Dingen, die hier gesagt wurden, noch etwas ausführen muß, weil sie nicht so im Raum stehen bleiben können. Eine Frage war: War unsere Politik bisher erfolgreich oder nicht? Haben wir nur einseitige Leistungen erbracht, also ohne eine Gegenleistung dafür zu bekommen? Ich habe während meines ersten Beitrags zur heutigen Debatte zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung nicht zum erstenmal darauf hingewiesen hat und wieder darauf hinweisen mußte, daß Verhandlungen mit der DDR prinzipiell nur dann zu Vereinbarungen und zur Zusammenarbeit führen, wenn entweder ein gemeinsames Interesse der beiden Staaten vorliegt oder abweichende Interessen gegeneinander aufgewogen und in einem für beide Seiten tragbaren Kompromiß verbunden werden können. Außerdem habe ich an jene Kolleginnen und Kollegen appelliert, die schon seit vielen Jahren mit in diesem Geschäft stehen, und zwar mit der Formulierung: Wer sich bei den innerdeutschen Verträgen und Vereinbarungen auch nur ein bißchen auskennt, wird wissen, daß sie im wesentlichen nach der Methode der Verschränkung von unterschiedlichen Interessen zustande gekommen sind. Das ist eine Antwort darauf. Ich verstehe nicht, warum Sie immer so tun, als hätten wir uns nicht danach verhalten. Denn Sie können doch wirklich nicht behaupten - so haben Sie sich mit Ihren Ausführungen eigentlich selber ad absurdum geführt, Herr Kollege Huyn -, wie Sie es getan haben, seit 1969 sei alles nur schlechter geworden. Das kann doch nicht aufrechterhalten bleiben. Da sehen wir doch die Unterschiedlichkeit Ihrer Aussagen. Der eine ist bereit, gerade im humanitären Bereich in breitem Maße seine Zustimmung dazu zu geben, daß sich da etwas bewegt. Wenn wir uns über Menschenrechte unterhalten, dann geht es doch um die Verwirklichung der Humanität. Und wo es hierum geht, wird sich mit dieser Bundesregierung kaum jemand messen können in dem Bemühen, sie überall in der Welt zum Tragen zu bringen. Nur fehlen uns die Mittel, mit unseren Gesetzen in anderen Staaten zu wirken. Vielmehr müssen wir versuchen, auf der politischen Ebene durch entsprechende Verhandlungen zu Ergebnissen zu kommen. Hierzu liegen konkrete Daten vor. Ich glaube, was da gesagt wurde, darf so nicht im Raum stehen bleiben. Seit 1969 hat sich Grundlegendes zugunsten der Begegnungsmöglichkeiten der Menschen in beiden Teilen Deutschlands verändert. Das ist zu einem besonderen Politikum auch für die SED geworden. Wer die jüngsten Aussagen dort betrachtet, sieht, daß das neue Probleme für die Menschen drüben gebracht hat. Die brauchen wir gar nicht so zu werten, aber da ist etwas in Bewegung gekommen, was letztlich mit dazu beiträgt. Man muß also sehen, wie die Dinge da laufen. Sie sprachen von den Aussiedlerzahlen und sagten, man sollte das, was jetzt ist, doch einmal mit den Zahlen aus der Zeit der Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger vergleichen. Die Zahlen sind einsehbar. Sie liegen vor. Ich darf Ihnen sagen, daß in den Jahren von 1959 bis 1969, also in elf Jahren, Jahr für Jahr aus den sechs Ostblockländern, mit denen wir zu tun haben - die DDR ist dabei ausgeklammert -, durchschnittlich rund 22 000 Menschen herübergekommen sind. In den sechs Jahren seit 1970 bis 1976 sind es im Jahresdurchschnitt über 26 000, also 4000 Menschen mehr gewesen. Das mag Ihnen nicht genügen. Auch mir genügt es nicht. Nur, eine Verschlechterung ist in der Zeit, in der wir die Regierungsverantwortung tragen, nicht eingetreten. Das ist einfach unrichtig. Und nehmen Sie es doch bitte bei der Kompliziertheit der Problematik mit in Kauf, daß wir auch mit diesen wenigen Dingen schon Positives registrieren können. Wir sagen doch, daß das ein Anfang ist, daß es ein langer, mühsamer Weg ist. Wie oft hören wir, daß wir einen langen Atem brauchen. Sie haben ihn nicht. Ihnen ist die Puste ausgegangen, bevor wir überhaupt richtig angefangen haben. ({1}) Und noch etwas zu diesem Thema. Sie haben hier den Swing angesprochen. Sie haben empfohlen, man sollte doch einmal überprüfen, ob das nicht ein brauchbares Instrument zur Durchsetzung politischer Forderungen sei. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang einmal ein paar Zahlen nennen, damit Sie nachdenklicher werden. Im übrigen darf ich hier noch kurz anmerken, daß der Swing keine Erfindung der sozialliberalen Koalition ist. Ihn gibt es bereits seit 1949. Von 1949 bis einschließlich 1968, also in jener Zeit, in der die Regierungsführung nicht von uns, sondern von Ihren Parteifreunden gestellt wurde, hat sich der Swing um ein Zwölffaches erhöht. In dieser Zeit - ich darf Sie daran erinnern -, in den Jahren 1949 bis 1968 lag der 17. Juni 1953, und von 1952 auf 1953 hat man den Swing gegenüber der Zeit davor verdoppelt. In der gleichen Periode lag der Mauerbau vom 13. August 1961. Auch das hat nicht dazu geführt, daß unter der Verantwortung der CDU-Regierungen etwa dieses Instrumentarium überhaupt in Erwägung gezogen wurde. Warum sage ich das? Ich sage das, damit wir uns endlich einmal davon losmachen, in Bereichen herumzuturnen, die auch nach Ihren Erfahrungen zur Durchsetzung unserer politischen Wünsche und Forderungen als nicht brauchbar erscheinen. ({2}) Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Anmerkungen zu dem machen, was der Herr Kollege Jäger hier gesagt hat. Ich kann das so, wie er es gesagt hat, hier nicht stehenlassen. Ich hatte mich, als ich meinte, zur sachlichen Klärung eines bestimmten Problems beitragen zu sollen, auf meinen Angeordnetenplatz begeben und Fragen gestellt. ({3}) - Natürlich, das ist die Methode, die jeder anwendet. Das ist doch nichts Neues. - Ich wollte das sofort wahrnehmen. Er hätte die Gelegenheit gehabt, die Sache in einer vernünftigen Form zum Abschluß zu bringen, sei es nur, daß er gesagt hätte, wir können uns im Ausschuß einmal näher darüber unterhalten. Das müssen wir sogar, damit das noch deutlicher wird. Sie, Herr Jäger, haben hier gesagt - ich habe mir das Protokoll beschafft -: Ich habe den Sachverhalt geschildert, daß dieser Frau unrichtige Angaben über ihre Berufungsmöglichkeit gemacht worden sind und sie deswegen davon abgesehen hat, Berufung einzulegen. Weiter heißt es: Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur das eine sagen: Ein Bundesminister, der sich mit solchen Angelegenheiten befaßt, sollte sich besser mit der Materie vertraut machen, ehe er die Sache zum Gegenstand einer parlamentarischen Polemik macht. Zwar ist es jedem Abgeordneten freigestellt, zu sagen, zu behaupten, was er für richtig hält, aber ich muß Ihnen zurückgeben: Ich hielte es für sinnvoller, wenn Sie sich nicht nur auf eine dubiose Dokumentation stützten, die zwar viele Daten enthält, aber deren Wert, deren Gehalt doch als sehr umstritten gelten muß. Ich meine vielmehr, daß ich die richtige Adresse bin, wenn es um Unmittelbarkeit geht. Das habe ich so und so oft angeboten. Viele von Ihnen machen auch Gebrauch davon. Im übrigen enthält das vorhin erwähnte Dokument - schon bei flüchtiger Durchsicht erkennbar - zwei wichtige Daten überhaupt nicht. Es fällt auf, daß die Mutter in diesem Fall, der vorhin Anlaß zu dieser Zwischenfrage war, für meine Begriffe eine sehr eigenartige Rolle gespielt hat. Ich muß das zur Verdeutlichung noch einmal sagen und bin bereit, das jederzeit zu wiederholen. ({4}) - Entschuldigen Sie einmal! Diese Sache ist so weit gegangen, daß sich der Vorstand des Anwaltvereins in Berlin damit befassen mußte. An den hatte sich diese Frau gewandt. Als dieser Vorgang akut war, als es darum ging, Rechtsmittel einzulegen - und nur so lange kann man etwas unternehmen -, als diese Frau zu unserem Vertrauensrechtsanwalt, und zwar in West-Berlin, vorgeladen wurde, wurde ihr deutlich gemacht: Hier liegt der Fall so und so vor. Sie müssen sich jetzt erklären. Wollen wir dagegen Rechtsmittel einlegen? Das müssen wir tun, wenn wir das Anrecht erhalten wollen, daß eine Familienzusammenführung erfolgen kann. Sie wissen ja, daß das Ganze durch eine Familientrennung zustande kam: Die Mutter war von ihrem Kind getrennt; wir hätten sie im Zuge unserer Bemühungen zusammengebracht. Dann hat diese Frau bei dem Anwalt erklärt, sie wolle keine Rechtsmittel dagegen einlegen. Sie wollte einige Monate auf Reisen gehen. Das war 1972; sie meldete sich erst drei Jahre später, im Jahre 1975, wieder, als durch die „Spiegel"-Veröffentlichung das Thema wieder aktualisiert wurde. Bis dahin galt folgendes. Bei der Begegnung vor unserem Anwalt hat diese Frau erklärt: Mein Mann und ich, wir haben uns schon lange damit abgefunden, daß daran nichts mehr zu ändern sein wird. - Sie hat die Gelegenheit nicht genutzt. Herr Kollege Jäger, ich bin bereit, im Ausschuß die Dokumente vorzulegen und den Fall im einzelnen zu behandeln. Nur muß ich hierzu sagen: Einen solchen Fall zu benutzen, um zu sagen, daß die andere Seite unmögliche Dinge macht, können Sie in Verbindung damit doch wohl schlecht aufrechterhalten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Ja, bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, warum verschweigen Sie dem Hause, daß sich, wie Sie sagten, die Frau zwar erst wieder 1975 gemeldet hat, das Urteil, um das es geht und von dem Sie gesprochen haben, aber überhaupt erst im Frühjahr 1976 ergangen ist und die Frau erst genau acht Tage vorher von der Tatsache des Urteils informiert wurde, ohne daß man ihr gesagt hat, wann die Frist zur Einlegung der Berufung abläuft?

Egon Franke (Minister:in)

Politiker ID: 11000570

Herr Kollege, dies ist doch nicht der Fall, um den es dabei geht. Hier geht es um den konkreten Vorgang, daß, als diese Entscheidung in der ersten Instanz gefallen war, ein Rechtsmittel eingelegt werden konnte. Wir bieten jedem Bürger, der sich an uns wendet, Rechtsschutz und Rechtshilfe. Als uns geschildert wurde, wie der Fall lag, haben wir gesagt: Geben Sie uns die Voll2118 macht, damit wir das zu einem Fall der Familienzusammenführung machen können. - Darauf hat die Frau verzichtet; sie ist erst nach drei Jahren wieder darauf zurückgekommen. ({0}) - Moment! Es kommen noch einige Dokumente, die ich vorhin erwähnt habe, hinzu. Diese Frau hat sich erst nach drei Jahren wieder gemeldet. Sie hat sich dann beschwerdeführend an den Anwaltsverein gewandt. Die Antwort des Vorstands des Berliner Anwaltsvereins sollten Sie sich einmal mit anschauen, damit ganz klar wird, wie es mit diesem Fall liegt. Leider gibt es auch noch andere Fälle. Darum habe ich auch gesagt, wie schwierig es in all diesen Fällen ist, einen Zusammenhang herzustellen. Es ist zu leichtfertig, zu sagen: Das ist eine Zwangsadoption als politische Strafe. ({1}) - Aber doch nicht als eine Folge- und Begleiterscheinung einer gelungenen Flucht, sondern das ist eine Folgeerscheinung des Sich-nicht-Kümmerns um ein unmündiges Kind durch die Sorgeberechtigten gewesen. Ich werde Ihnen das belegen. ({2}) - Ich beleidige hier niemanden. Aber Sie haben mich beleidigt. Ich hielt es für angebracht, die Sache richtigzustellen. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kunz ({0}).

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Franke, Sie bitten die Opposition in all den Fällen, in denen es um Zwangsadoptionen geht, um differenzierte Betrachtung. Abstrakt möchte ich sagen: Wenn Sie mit „differenzierter Betrachtung" meinen, daß wir von Fall zu Fall auf Grund des Falles unterscheiden sollen, dann tun wir dies. Wenn Sie aber meinen- und manchmal schwingt das bei einigen Verlautbarungen leider mit -, daß das Thema leiser behandelt werden soll, dann sagen wir nein. ({0}) Ich möchte überhaupt zu dem Thema „laut und leise" sagen: Es kommt auf die Situation an. Ich weigere mich, einer Methode das Wort zu reden, nach der man sagt: nur laut. Ich weigere mich aber auch, einer Methode das Wort zu reden, bei der es hieße: nur leise. Diese Akzentuierung ist unsere Politik. ({1}) Ich bin davon überzeugt, daß es in der DDR Zwangsadoptionen gibt. Herr Minister, ich habe Sie selbst so verstanden, daß Sie in diesem Fall eingeräumt haben, daß die Umstände zwar so oder so sein mögen, daß es aber ein Fall einer Zwangsadoption ist. Wir werden konkret mit Ihnen zusammen im Innerdeutschen Ausschuß Gelegenheit haben- Kollege Jäger, Sie und ich werden sich der Sache noch einmal annehmen -, uns genau mit diesem Thema zu befassen. Herr Minister, ich möchte aber eines grundsätzlich sagen. Ich muß sagen, daß ich die Zwangsadoption nicht nur als rechtliche Institution sehe. Ich sehe auch die große Zahl faktischer Zwangsadoptionen. Ich meine damit kleine Kinder, die ihren Eltern vorenthalten werden. Es gibt in der Wirklichkeit der gesamtdeutschen Politik kaum etwas Furchtbareres als diese Sache. Hier ist es notwendig, daß in einem geeigneten Fall dieses Haus einmal aufschreit. Dies verlangen die höchst natürlichen Beziehungen von Eltern zu ihren Kindern und umgekehrt. ({2}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich habe mir vorgenommen, zu Berlin zu sprechen. Ich muß aber das um so mehr tun, als der Kollege, der mit mir im selben Berliner Bezirk arbeitet, der Kollege Waldemar Schulze, der in dem Bezirk Kreuzberg mit mir arbeitet, wo sich die Mauer in besonders schmerzlicher Weise durch Berlin hindurchzieht, es für richtig gehalten hat, der Oppsoition vorzuwerfen, sie dramatisiere und demonstriere den Begriff der Bindungen. Der Kollege Schulze und ich haben immer große Meinungsverschiedenheiten gehabt. Ich habe aber nicht gedacht, daß sie so groß sein würden. Daß unter Abgeordneten aus Berlin der Begriff der Bindungen schon relativiert wird, ist eine politische Unmöglichkeit. ({3}) Es ist enorm viel in der letzten Zeit - ich glaube sogar zuviel - darüber geredet worden, wie man die Funktion Berlins inhaltlich beschreiben soll. Wir erinnern uns an die verschiedenen Beschreibungen. Sie fingen an mit „Drehscheibe", „Brückenkopf zwischen Ost und West", und dann kam jenes fatale Modell, das eine schlimme Nachwirkung hatte: Berlin als moderne Großstadt. Ich war noch Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, als der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz dieses Wort brachte. Selten hat etwas Berlin mehr geschadet als dieser ganz unmögliche Begriff. Berlin muß aus seiner Besonderheit her begriffen werden. ({4}) - Überzeugen Sie sich lieber einmal an Ort und Stelle, ehe Sie mir ins Wort fallen, Herr Kollege. ({5}) Berlin ist nach dem Kriege in Sektoren aufgeteilt worden. Ganz Berlin hatte eine Sonderfunktion. Jede Macht hatte für sich in Anspruch genommen, einen Teil Berlins zu besetzen. Aus einigen der Mächte sind Freundschafts- und Schutzmächte geworden. Die Sowjetunion hat bis heute ihren Antagonismus gegen das freie Berlin nicht aufgegeben. Kunz ({6}) Warum wohl hat jede Macht beansprucht, einen Teil Berlins zu besetzen? Weil Berlin so normal ist? Weil Berlin etwas Außergewöhnliches, etwas Besonderes ist! Berlin war die Hauptstadt des Kaiserreiches. Berlin war die Hauptstadt der Weimarer Republik, Hauptstadt in furchtbaren Jahren danach. Und es gibt keine andere Funktion für Berlin als die, wieder Hauptstadt zu sein. ({7}) Berlin ist die Hoffnung der Deutschen. Die Sorgen, die Berlin hat, sind die Sorgen aller Deutschen. Wenn ich sage, die Hoffnungen aller Deutschen - die SPD scheint das für ein besonders amüsantes Thema zu halten -, weiß ich, daß das sachlich anspruchsvoll und hoch gegriffen ist. Aber es ist notwendig, und es ist richtig. Ich räume allerdings ein, daß Ihre Politik dazu geführt hat, daß Teile der jungen Generation nicht mehr die Vorstellung von diesem Begriff haben wie zum Beispiel wir, die wir täglich in Berlin wohnen, und wie sie der Kollege Schulze ({8}) haben sollte. Aber er hat sie nicht in genügendem Maße; sonst wäre seine Rede anders gewesen. Berlin ist für uns nationale Aufgabe, und nationale Aufgabe bedeutet, Berlin von außen und von innen zu stärken. Berlin von außen zu stärken, heißt zunächst einmal, daß alles getan wird, um die Außenvertretung des Bundes für Berlin zu sichern. Die Außenvertretung des Bundes für Berlin ist nicht kompromißfähig. Weiterhin bedeutet es, daß Berlin in alle Verträge eingebunden werden muß. Es gibt bekanntlich sachlich ausgehandelte Verträge. In diese Verträge muß Berlin einbezogen werden. Die Sowjetunion weigert sich aber bis heute, dies zu tun. In Klarheit und Festigkeit muß der Sowjetunion immer wieder deutlich gemacht werden: die Summe der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion kann nicht besser sein als die Haltung der Sowjetunion zum freien Berlin. ({9}) Die Lebensfähigkeit Berlins zu sichern, heißt natürlich erst recht, daß wir immer wieder klarmachen, üben und praktizieren, daß das Viermächteabkommen von „Bindungen" spricht. Ich finde es absurd, wenn in diesem Hause der Vorwurf gegen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erhoben wird, wir würden den Begriff „Bindungen" dramatisieren und demonstrieren. Ich erinnere mich an die Entwicklung vor dem Viermächteabkommen. Es war damals der Begriff der demonstrativen Bundespräsenz da. Dieser Begriff der demonstrativen Bundespräsenz wurde aus dem Koalitionslager erfunden, geprägt, ja so weit geritten, daß er eine Belastung der Verhandlungen vor den Verhandlungen ergab. Ich hoffe sehr, daß nicht wieder im Zusammenhang mit den „Bindungen" eine ähnliche Entwicklung eingeleitet wird, die dazu führt, daß wir eines Tages selber dazu gebracht würden, nicht mehr von Bindungen, sondern von Verbindungen zu sprechen. Diese Sorge besteht aktuell. Die Lebensfähigkeit Berlins muß natürlich auch von innen her gesichert werden. Hier ist eines besonders notwendig. Es ist notwendig, daß das politische Vorbild des Bundes für Berlin in Zukunft wieder deutlicher dargestellt wird, als das in den letzten Jahren der Fall war. Ich sehe es nicht als überzeugende Darstellung des politischen Vorbildes des Bundes für Berlin an, wenn ein Bundeskanzler zwar davon spricht - zu Recht davon spricht -, eine Nationalstiftung zu schaffen, dann aber selbst und Teile dieser Koalition diese Nationalstiftung so lange zerreden, bis tatsächlich die Gefahr besteht, daß nichts aus ihr wird. ({10}) Wir halten gerade wegen Berlins an dieser Nationalstiftung fest. Wo kann denn ihr Sitz sonst sein? Doch nur in Berlin! ({11}) Gehört es eigentlich zu dem überzeugenden Vorbild des Bundes für Berlin, wenn wir von Bundeskanzler Schmidt die Äußerung hören, daß die Messingschilder gar nicht von so großer Bedeutung seien. Was ist dies für eine Sprache, was ist dies für ein Umgang mit der Stadt, die mehr Sorge als jede andere verdient! ({12}) Ein Drittes. Wie sieht es eigentlich zum Beispiel mit Sitzungen von Aufsichtsräten und mit Hauptversammlungen von Bundesunternehmen in Berlin aus? Zu Recht appellieren wir an die deutsche Industrie, an die Wirtschaft: Bitte, leitet solche Sitzungen für Berlin ein, führt sie durch. Wo ist aber das Vorbild des Bundes? Wo haben in letzter Zeit solche Sitzungen stattgefunden? Dies alles ist nicht das, was das politische Vorbild sein muß. Der Punkt nach vorn, wohin das politische Vorbild dringend muß, ist, daß der Förderungsvorsprung für Berlin unbedingt erhalten und ausgebaut werden muß. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Berlin, Herr Elfe, hat vor kurzem erklärt, daß dieser Förderungsvorsprung in Gefahr ist, daß der Förderungsvorsprung, insbesondere durch Förderungsmaßnahmen auf anderen Gebieten, für Berlin verlorengehen könnte. Er darf nicht verlorengehen; er ist lebensnotwendig.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wie können Sie eigentlich das, was Sie jetzt sagen, mit der Tatsache in Übereinstimmung bringen, daß die ersten Verträge, die eine CDU/CSU-geführte Regierung mit osteuropäischen Ländern geschlossen hat, alle ohne Berlin-Klausel geschlossen wurden? Für sie gab es Berlin doch gar nicht, als Sie damals Ihre Politik machten. ({0})

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehmke, meine Antwort umfaßt mehrere Teile. Erstens muß ich sagen: Welche Regierung hat eigentlich zusammen mit den Berlinern und mit den Westmächten Kunz ({0}) dafür Sorge getragen, daß Berlin wieder aufgebaut werden konnte? Es waren die CDU/CSU-Regierungen unter allen ihren Kanzlern, allen voran Konrad Adenauer. ({1}) Punkt zwei: Sie spielen doch auf das Kulturabkommen an, Herr Ehmke. Den Punkt kenne ich auch. Diesen einen Fall gab es. ({2}) Auf diesem Fall reiten Sie immer herum. Aber dagegen steht eine Reihe von Fällen, und ich muß sagen, daß die CDU/CSU es insgesamt geschafft hat, Berlin in Verträge einzubinden, und zwar mit substantiellen Klauseln im Gegensatz zu den Klauseln, die wir heute vielfach haben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege, Sie sprachen von einem einzigen Fall. Ist Ihnen entgangen, daß z. B. das Schiffahrts- und das Konsularabkommen ohne eine Klausel waren, hier aber erklärt worden ist, daß das nichts bedeute, weil man feste Zusicherungen habe, ein halbes Jahr später jedoch erklärte, die Berliner kämen ja wohl auch so durch?

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wehner, ich habe mich etwas näher mit dem Kulturabkommen befaßt. Ihnen ist besser als mir bekannt, in welcher Situation sich diese Frage damals stellte. Wir haben neulich diesen Fall im Ausschuß für Bundesangelegenheiten des Abgeordnetenhauses von Berlin in allen Einzelheiten durchgesprochen. Damals hatten wir, wenn ich mich recht erinnere, eine Situation - vor dem Bau der Mauer -, in der gehofft werden konnte, daß die Sowjetunion ihre Praxis aufgibt. Jetzt aber haben wir eine Situation, wo Sie Verträge mit der Sowjetunion geschlossen haben, ({0}) wo Sie auf den Modus vivendi abstellen. Wo ist denn der Modus vivendi? Es ist in Teilen schlimmer als vorher. ({1}) - Herr Kollege Wehner, ich werde vielleicht noch öfter Gelegenheit haben, auf diesen Fall zurückzukommen. ({2}) Ich fahre mit meinem Thema fort. Es geht um die Frage: Wie kann die Lebensfähigkeit Berlins durch weitere Maßnahmen von innen her gestärkt werden? Wir haben eine Reihe von weiteren Problemen positiv für Berlin zu regeln. Wir haben die Energieversorgung für Berlin zu regeln. Im Zusammenhang mit dieser Energieversorgung ist ein Vorschlag gemacht worden, der unsere Aufmerksamkeit verdient: daß bei künftigen Swing-Verhandlungen bedacht wird, eine Stromschiene von Helmstedt nach Berlin zu legen und beides miteinander zu verknüpfen. Ich glaube, daß dieser Vorschlag in die richtige Richtung weist. Gleichwohl muß auch bei diesem Projekt daran gedacht werden, daß Berlin auf keinen Fall in eine Situation der Erpreßbarkeit durch den Osten in bezug auf seine Energiesituation kommen darf. Was ist weiter für Berlin notwendig? Die Bundesregierung plant ein Informations- und Datenprogramm. Dieses Informations- und Datenprogramm ist weiß Gott nicht spektakulär - womit ich nicht das Vokabular anderer übernehme -, aber es geschieht nach meinem Eindruck nicht genügend, der Stadt auf diese Weise weitere Funktionen zuzuführen. Wir brauchen in Berlin industrienahe Datenzentren, nicht aber primär Zentren, die mit der Industrie wenig zu tun haben. Wir haben die Stiftung für Entwicklungsländer in Berlin. Die Arbeit dieser Stiftung ist hervorragend. Diese Stiftung muß gestärkt werden. Sie benötigt weitere Funktionen. Ich denke insbesondere daran, dieser Stiftung Aufgaben im Bereich der Fortbildung von Bürgern der Entwicklungsländer zuzuweisen. Ich glaube darüber hinaus, daß dort auch Seminare mit Blick auf den Nord-Süd-Dialog abgehalten werden können. Die Bundesregierung muß dafür die Mittel bereitstellen. Wir werden dafür eintreten. Ich kann nur einige wenige Beispiele bringen. Sie stehen für das Ganze. Als letztes schließlich: Berlin selbst muß alles tun, damit sich seine Anziehungskraft erhöht. Ich muß sagen, daß es nach wie vor ganz schlecht ist, daß in Berlin in bezug auf die zurückgehende Bevölkerungszahl in Teilen von SPD und FDP von gewissen Vorteilen der Gesundschrumpfung geredet wird. Das ist eine unheimliche Vokabel, eine furchtbare Vokabel, eine für die Stadt unerträgliche Vokabel. Ein Zweites. Wir sagen immer: Forschungsvorhaben nach Berlin. Ja, wenn der Zustand der Berliner Universitäten so bleibt, wie er ist, dann wird auch das schwierig bleiben. Berlin hatte Faszination, als seine Universitäten Faszination hatten. Ich bin versucht zu sagen, daß dies auch umgekehrt gilt. Gewiß, es gibt auch andere Universitäten, die in einem schlimmen Zustand sind. Aber Berlin ist etwas anderes. Seine Universitäten müssen anders sein. Wenn etwas schlecht ist, kann man auch nicht schnell gucken, wo es ein noch schlechteres Beispiel gibt. Berlin muß seine Universitäten wieder unter Pflicht nehmen. Die Universitäten müssen wieder das Niveau erhalten, das sie hatten. Ich komme noch zu einem Wort, das der Regierende Bürgermeister Stobbe gesagt hat, allerdings zu einer Zeit, als er noch nicht Regierender Bürgermeister war; aber er stand kurz davor. Im allgemeinen weiß man ja so etwas. Er hat gesagt, man dürfe mit dem Viermächteabkommen nicht Prinzipienreiterei betreiben. Wenn man so einfach sagt „keine Prinzipienreiterei", dann muß man sich doch die Kunz ({3}) Frage gefallen lassen: Was meint man damit eigentlich? Ich habe den Eindruck, damit war gemeint, man könne in den Grundsätzen, in denen man fest sein muß, vielleicht nicht so fest sein. Meine Damen und Herren, ein Regierender Bürgermeister kann nicht im Hinblick auf das Viermächteabkommen von Prinzipienreiterei sprechen - er gerade nicht. Der Regierende Bürgermeister muß eines tun, ({4}) er muß unbequem sein, er muß regieren. - Sehr richtig! Das ist eigentlich eine gute Analyse für den Zustand bis jetzt. ({5}) Er muß regieren, und wir können nur hoffen, daß er es im Interesse der Stadt tut. Der Regierende Bürgermeister muß unbequem sein, unbequem dem jeweiligen Bundeskanzler gegenüber, egal, wie dieser Bundeskanzler heißt. Wenn er nicht unbequem ist, verfehlt er sein Ziel. Ernst Reuter war Konrad Adenauer gegenüber unbequem. Die Sache hat es verlangt. Herr Stobbe scheint zu meinen, daß er da vielleicht elastischer sein kann. Wir werden sorgsam darauf achten, wie fest er zu den Prinzipien steht, die für uns unverzichtbar sind, allen voran, daß der freie Teil Berlins Land der Bundesrepublik Deutschland ist und daß Berlin in seiner Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft genauso sicher dasteht, wie Bonn der Europäischen Gemeinschaft zugehörig ist. Die Sorge um Berlin muß auch in diesem Haus noch mehr unsere Sorge sein. Lieber Kollege Schulze - er ist, wenn ich richtig sehe, nicht hier -, tun Sie es uns nicht wieder an, in Sachen Bindung eine Lesart zu bringen, die der sowjetischen sehr nahekommt! ({6})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Schmude. ({0})

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich darauf beschränken, das Thema der Nationalstiftung, das Herr Kollege Kunz hier angesprochen hat, kurz zu behandeln. Es genügt auch, dem Mißbrauch, den er mit diesem Gegenstand an dieser Stelle getrieben hat, entgegenzutreten, um damit zugleich seine Argumentationsweise im übrigen zu beleuchten. Ich glaube, daß niemand an jenem 18. Januar 1973, als der damalige Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung die Nationalstiftung erstmals erwähnte, damit gerechnet hat, welch ein mittlerweile schändliches Spiel damit getrieben werden würde. Es ging darum, die Künste in unserem Land durch eine einheitliche Einrichtung zu fördern, es ging darum, kulturelle Maßnahmen von gesamtstaatlicher Bedeutung zu finanzieren und zu regeln. Weil dies eine) so bedeutende Angelegenheit war, stand für die Bundesregierung wie für die Koalitionsfraktionen - aber ich denke, auch für andere - von vornherein fest, daß diese Stiftung gemeinsam mit den Bundesländern errichtet werden sollte. Was die Notwendigkeit einer solchen Stiftung anlangt, hat es einen Streit eigentlich nicht gegeben; auch von Ihrer Seite ist diese durch Herrn Kollegen von Weizsäcker anerkannt worden. Aber das erste, was dann kam, als noch gar nicht feststand, wie die Organisation und welches der Aufgabenbereich der Stiftung sein sollte, war die lautstark vorgetragene Forderung: Diese Stiftung muß nach Berlin, ihr Sitz muß in Berlin sein. ({0}) Und da fragt man sich denn doch, und das fragen Sie doch einmal Ihre eigenen Parteifreunde unter den Ministerpräsidenten der Länder: ({1}) Wie kommt es eigentlich, daß die Bundesländer nach wie vor beanspruchen, in dieser Stiftung das Sagen zu übernehmen, weil dies doch eine Sache sei, die weitgehend in ihre kulturellen Angelegenheiten hineinreiche, während Sie andererseits hier im Bundestag die Auffassung vertreten und uns mit Vorwürfen vortragen, es sei eine Angelegenheit von derartig gesamtstaatlichem Rang, daß sie unbedingt nach Berlin müsse? Da besteht ein ganz klarer Widerspruch, und diesen Widerspruch sollten Sie ausräumen. ({2}) Hier sollten Sie keine Doppelstrategie betreiben, indem einerseits verhindert wird, daß diese Stiftung überhaupt zustande kommt, und andererseits gefordert wird, sie müsse nach Berlin, als sei dies eine Bagatelle, als könne man dies ohne weiteres tun. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, wären Sie bereit, mir im Sinne Ihrer Ausführungen für die sozialdemokratische Fraktion die Zusage zu geben, dann, wenn diese föderalen Probleme bereinigt werden, mit uns für den Sitz Berlin zu stimmen?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, wir haben seit je die Auffassung vertreten, daß es hier angebracht ist, die Entscheidungen in der richtigen Reihenfolge zu treffen, ({0}) und wir haben es seit eh und je als ein unzulässiges Spiel angesehen, vor der Lösung aller sachlichen Fragen die Sitzfrage nach vorn zu bringen und dieses Vorhaben damit zu belasten. ({1})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich noch einmal fragen: Sind Sie dann, wenn all die Probleme, die Sie eben wieder erwähnt haben, bereinigt werden, bereit, mit uns für den Sitz Berlin zu stimmen?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte gerade darauf kommen, dies etwas näher auszuführen. ({0}) Ich möchte Sie bitten, diese Ausführungen eben noch anzuhören.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das möchte ich jetzt auch wirklich ausführen. ({0}) Wir hatten hier vor einiger Zeit - ich glaube, es war im Februar oder im März - eine Debatte, in der etwa um diese Tageszeit der Kollege Mattick daran erinnerte, welche Diskussionen aus Anlaß der Verlegung des Umweltbundesamtes mit einem westalliierten Botschafter hier in Bonn geführt worden sind. Er hat deutlich gemacht, daß von jener Seite eine solche Sitzverlegung als Belastung angesehen wurde, die sich nicht wiederholen dürfe. Darauf gab es aus den Reihen der Opposition nur die indignierte Bemerkung, dies müsse man hier ja nun nicht gerade ausplaudern; mit anderen Worten, Sie wußten sehr wohl, wie unsere westalliierten Verbündeten darüber denken, ({1}) aber Sie wollten es nicht offen angesprochen haben. Da geht es nun auch nicht an, daß uns Herr Abelein heute morgen sagt, die Alliierten tun mehr für Berlin als wir. ({2}) Dies ist eine miese Unterstellung, die wir zurückweisen. ({3}) Tatsächlich ist es so, daß in bezug auf Berlin ein enges Einvernehmen und eine wirkungsvolle Zusammenarbeit mit den Alliierten bestehen und daß dort niemand, wie Sie das hier unterstellen, den anderen zu schieben oder zu drängen braucht. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gradl?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Kollege Gradl.

Dr. Johann Baptist Gradl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000717, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmude, darf ich Sie, da ich bei diesem Gespräch mit diesem Vertreter einer westlichen Macht dabei war, vielleicht bitten, folgendes zur Kenntnis zu nehmen. Erstens. Der Vertreter der westlichen Macht hat seine persönliche Meinung gesagt; er hat das ausdrücklich betont. Zweitens. Er hat diese Meinung in der Tat auf die Zukunft bezogen. Drittens. Er hat sofort von allen Deutschen, die anwesend waren, starken Widerspruch gefunden. Viertens. Er hat daraufhin noch einmal - und nun sehr viel betonter - erklärt, es sei nur seine persönliche Meinung gewesen. Wenn der Herr Kollege Mattick es so dargelegt hätte, wäre dieser Irrtum in der Deutung wahrscheinlich nicht entstanden. ({0})

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es hätte Gelegenheit gegeben, Herr Kollege Gradl, dies in jener Debatte am 19. Januar 1977 hier darzulegen, statt, wie es Herr Wohlrabe getan hat, kurzerhand zu sagen; das brauche man ja nicht alles auszuplaudern. Aber auch wenn dies seine persönliche Meinung gewesen ist, hat dieser Herr ja wohl Grund gehabt, diese Darlegungen zu machen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Dr. Schmude, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde jetzt gern zu Ende führen. Ich frage Sie, woran Ihnen mehr liegt: ob Ihnen mehr daran liegt, daß eine Institution ({0})] von einem doch recht bescheidenen organisatorischen Umfang ungeachtet aller Probleme, die daraus entstehen können, unbedingt nach Berlin kommen muß, oder ob Ihnen nicht vielmehr daran liegen müßte, daß diese Institution ihre Wirksamkeit in Berlin entfaltet und daß dorthin die Mittel, die sie zu verwalten hat, jedenfalls zu einem großen Teil fließen. Ich glaube, von der Organisation hat Berlin nichts; von der Arbeit kann es sehr viel haben, ({1}) wenn diese Einrichtung endlich geschaffen wird. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Frau Präsidentin. Ich möchte keine Zwischenfrage mehr zulassen. ({0}) Auf diese Institutionen warten - das sollten Sie zur Kenntnis nehmen - die Kulturschaffenden und die Künstler in unserem Land mit großer Ungeduld und nachgerade mit großem Zorn, weil sie den Eindruck haben, dies werde alles verzögert und dies sei eine Ankündigung gewesen, die sich nicht erfüllen werde. In letzter Zeit gibt es einen Gedanken, um dieses Vorhaben in sehr wirkungsvoller Weise doch noch in Gang zu bringen, nämlich den Gedanken, dem Bundespräsidenten die Betreuung dieser Einrichtung anzutragen. Ich glaube, damit wäre der Stiftung eine hohe Wirksamkeit garantiert, die sich, wie ich nochmals sage, durchaus auch nach Berlin entfalten kann und soll. ({1}) Uns allen müßte daran liegen, daß auf diesen Gedanken zurückgegriffen und daß er für die Stiftung nutzbar gemacht wird. Aber das kann nicht gutgehen, wenn man gleichzeitig darauf besteht, der Sitz der Stiftung müsse in Berlin sein. Auch Sie sollten die Unvereinbarkeit einer solchen Konstruktion sehen. ({2}) - Wenn Sie fragen, was ich will, sage ich Ihnen: Ich möchte, daß wir eine Stiftung bekommen, die arbeitet, und ich möchte, daß wir das Ende eines Streits bekommen, - -({3}) - Sie kann auch in Berlin arbeiten. Das war von vornherein in der Diskussion. Aber diese Diskussion muß nun beendet werden. Die Stiftung muß eingerichtet werden. Sie muß arbeiten. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß das Thema diese Art der Behandlung nicht verträgt. Ich wäre dankbar, wenn Sie den Redner aussprechen lassen würden. ({0})

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie mich ausreden lassen, will ich Sie daran erinnern, daß ich eben gesagt habe: Ich würde es für eine gute Lösung halten, wenn sich der Bundespräsident bereit fände, diesen ihm angetragenen Vorschlag anzunehmen. Ich habe zugleich gesagt: Das würde bedeuten, daß dann Berlin als Sitz nicht in Betracht kommen könnte. Das ist ja wohl mit genügender Deutlichkeit gesagt. Ich sage Ihnen noch einmal: Uns geht es darum, daß die Stiftung kein Truggebilde bleibt und daß nicht der Eindruck eines leeren Versprechens aufkommt, sondern daß sie endlich entsteht. Ihnen geht es darum, vor der Lösung aller übrigen Probleme einen parteipolitischen Streit über dieses Thema zu führen. Ich hoffe, daß wir das nicht mehr lange erleben müssen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, diese Debatte hat jetzt einen interessanten Punkt erreicht. Wenn es nicht im Unverbindlichen bleiben soll, sollte man doch jetzt den Versuch, ein Stück Gemeinsamkeit zu fördern und zu bauen, in dieser Stunde begründen. Mein Vorschlag ist ganz einfach: daß alle hier im Saal vertretenen demokratischen Parteien, die alle, auch in Länderkoalitionen, Mitträgerschaft der Landesregierungen darstellen, den Versuch unternehmen - ich darf das für die CDU/CSU-geführten Länder aus meiner Position als Parteivorsitzender zusagen -, in jenen Fragen sehr rasch eine Einigung zu erzielen, die aus dem jetzigen Diskussionsstand - Verhältnis Bund/Länder herrühren, etwa bezüglich des Verwaltungsrats. Dann sollten wir möglichst rasch - ich könnte mir vorstellen, das könnte noch vor der Sommerpause sein, wenn wir alle das gemeinsam wollen - uns hier zusammenfinden, die Nationalstiftung begründen und den Sitz nach Berlin legen. Dann haben wir ein deutliches Beispiel unserer Gesinnung gebracht. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordneter Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Berlin ist uns zu wichtig, als daß es zum Gegenstand eines solchen Ballspiels gemacht werden darf. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß es entschieden ablehnen, daß dieser Vorschlag in den Zusammenhang eines Ballspiels gebracht wird. Wenn wir diese Debatte hier gemeinsam ernst nehmen und damit unsere eigene parlamentarische Arbeit und wenn es in dieser Debatte eine solche Zuspitzung an dem Punkte gibt, dann muß es doch möglich sein, Herr Kollege Wehner - und das ist doch das Wesen freiheitlicher Demokratie und eines vernünftig funktionierenden Parlamentarismus , daß aus der Debatte, geboren aus der Sorge um die Zukunft der Stadt und der Einheit und der Identität der deutschen Nation, hier ein solcher Vorschlag gemacht wird. ({0}) - Verehrter Herr Kollege Wehner, über unsere Strategie brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Augenblick noch! - An Ihrer Stelle würde ich darum besorgt sein, daß Sie die Enden Ihrer eigenen Fraktion zusammenhalten. Dann haben Sie einen Full-time-Job für die nächsten Jahre. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf den Satz noch ausführen. - Darum geht es mir wirklich überhaupt nicht, auch gar nicht um eine polemische Note. Hier geht es ausschließlich darum, daß diese Debatte eine überraschende Chance geboten hat. Ich will diese Chance von uns aus aufnehmen. Ich sage noch einmal: es gibt Diskussionen zwischen den Ländern und dem Bund in dieser Sache, Diskussionen, die man so und so - das ist nicht zunächst eine parteipolitische Frage - behandeln kann. Wenn es aber wirklich um ein nationales Anliegen geht, glaube ich, daß, wenn alle Demokraten zusammenwirken, hier im Hause und in den Bundesländern über die Bundesparteien der Bundesrepublik eine Möglichkeit der Ausräumung dieser Spannungsverhältnisse Bund/Länder möglich sein wird. Ich biete hier für die CDU/CSU unseren guten Dienst und unsere Hilfe an. Allerdings habe ich den Wnusch, daß wir dann, wenn wir das ausgeräumt haben, gemeinsam beschließen, daß ganz selbstverständlich Berlin Sitz der deutschen Nationalstiftung ist. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Friedrich.

Bruno Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000590, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man muß dem Oppositionsführer Dr. Kohl sehr dankbar sein, daß er sich zu Wort gemeldet hat. Denn wir gingen mit großen Erwartungen in diese Debatte. Vom 7. bis 9. März hat die Union auf ihrem Parteitag in einem Deutschlandpolitischen Tag eine Bestandsaufnahme versucht. Das, was der CDU-Abgeordnete Kohl jetzt ausgeführt hat, ist der Rest seiner Ansätze. ({0}) Etwas anderes konnte er am Ende dieses Tages nicht sagen. Es ist eine Bestätigung dessen, Herr Kohl: Wer als Parteivorsitzender und Möchtegernkanzler in eine Pressekonferenz geht und 39 Fragen ankündigt und zu keiner der hier aufgeworfenen Fragen hier Stellung nimmt, kann nicht Bundeskanzler werden. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Straßmeir.

Günter Straßmeir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte ist noch einmal lebhaft geworden, aber nicht deswegen, weil wir von der SPD die Antworten erfahren hätten, die sie hätte geben müssen, wenn sie konkrete und richtige gehabt hätte. ({0}) Dieses Thema ist offengeblieben. Die Zusagen von zwei Bundeskanzlern sind hier von ehemaligen parlamentarischen Staatssekretären im Innenministerium, dem federführenden Ministerium, mit einem Federstrich gestrichen worden. Die Einladung des Oppositionsführers an die Parteien, sich hier zu erklären, ist rundweg abgelehnt worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine verbundene Debatte. Es ist nicht nur die Anfrage der Deutschlandpolitik aufgerufen, sondern auch der von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes. Die CDU/CSU-Fraktion hat ihren Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes aus der 7. Legislaturperiode erneut im Bundestag eingebracht, damit künftig im Wechselverkehr einfahrende Lastkraftwagen aus der DDR auch bei uns zur Kraftfahrzeugsteuer herangezogen werden können. ({1}) Wir haben deshalb im Kraftfahrzeugsteuerrecht die Unterscheidung zwischen einheimischen und gebietsfremden Kraftfahrzeugen eingeführt. Bei dieser Begriffsbestimmung war insbesondere die deutliche Unterscheidung zwischen ausländischen und einheimischen Kraftfahrzeugen und denen der DDR zu treffen. Wir halten diese Maßnahme für erforderlich, damit zunächst im Wechselverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR annähernd gleiche Bedingungen für Lkw-Transporte geschaffen werden können. Das politische Ziel - dies sei vorweg gesagt - ist allerdings, daß möglichst schnell ein gegenseitiger Verzicht auf Steuern und Gebühren dieser Art überhaupt wirksam wird. Dies muß nach meiner Meinung nicht notwendigerweise in der Form eines Doppelbesteuerungs- oder Befreiungsabkommens geschehen. Vielmehr könnte der Verzicht auch durch jeweilige Setzung innerstaatlichen Rechts vollzogen werden. Wir haben diesen Antrag erneut eingebracht, weil die Bundesregierung trotz wiederholter Zusagen seit eineinhalb Jahren untätig geblieben ist, weil die umfassende Kfz-Steuerreform nicht schnell zu erwarten ist, weil die DDR die Straßenbenutzungsgebühren am 1. März 1977 willkürlich auch auf Ost-Berlin erstreckt hat und weil wir schließlich die parlamentarische Behandlung dieses Gegenstandes noch vor Einläutung der neuen Verhandlungsrunde mit der DDR für erforderlich hielten. Die Frage der Straßenbenutzungsgebühren hat ebenso einen wirtschaftlichen wie einen politischen Aspekt, was die grundlegende Regelung vertraglicher Verhältnisse zwischen uns und der DDR anlangt. Trotz unserer umfassenden Verkehrsverhandlungen vom Dezember 1975 hat die DDR zum Januar 1976 die Straßenbenutzungsgebühren drastisch erhöht und dabei ungeniert - und von der Bundesregierung unwidersprochen hingenommen - die bisherigen Höchstsätze teilweise bis zum Achtfachen heraufgesetzt. ({2}) Wenn ein Berliner Fuhrunternehmer für eine Fahrt nach Potsdam, also ca. 25 Kilometer, für seinen 38Tonner 280 DM Straßenbenutzungsgebühren zahlen muß, dann steht das eben nicht mehr in einem vertretbaren Verhältnis zur Frachteinnahme. ({3}) Darüber hinaus zieht die DDR bis dahin befreite Spezialfahrzeuge zusätzlich zu den Gebühren heran. Die Bundesregierung hat dies alles hingenommen, obwohl sich dadurch weitere Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten unserer Transportunternehmungen, insbesondere der Berliner, ergeben, die ohnehin schon stark unter den Dumpingpraktiken der Staatshandelsländer zu leiden haben. Die DDR verschafft sich auf diese Weise nicht nur eine beträchtliche Mehreinnahme, sondern sie versucht zugleich, in dem Umfang, wie die Kapazitäten ihres eigenen staatlichen Verkehrsbetriebes anwachsen, unsere Wettbewerber aus dem Markt zu verdrängen. Die Bundesregierung hat dies schließlich auch hingenommen, obwohl außer der Bundesrepublik Deutschland in der Praxis kein anderes Land mehr von den Straßenbenutzungsgebühren der DDR betroffen ist. Dieser Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, soll vor allem einen Beitrag dazu leisten, daß die Bundesregierung endlich ihre verheerende Vertragspolitik beendet, die es dem Vertragspartner DDR bisher ohne das geringste Risiko erlaubte, seine Einnahmen zu unseren Lasten ohne die entsprechende Gegenleistung zu erhöhen. ({4}) Zur Herstellung der Gleichheit oder wenigstens ähnlicher Voraussetzungen sind wir in Wahrung der Interessen unserer Steuerzahler oder, wie in diesem Fall, der unmittelbar betroffenen Bürger verpflichtet, das uns verbliebene, ohnehin sehr schmale Instrumentarium gesetzlicher oder administrativer Maßnahmen voll einzusetzen. ({5}) Die Bundesregierung hat dieses Problem durchaus erkannt. Im Bericht zur Lage der Nation hat Bundeskanzler Schmidt im Januar 1976 eine Änderung der Haltung der Bundesregierung in der Frage der ungerechtfertigten Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren zugesagt. Auf die drängenden Fragen der Opposition hat die Bundesregierung weiterhin eine Prüfung zugesagt, ob gesetzliche oder individuelle Hilfsmaßnahmen einzuleiten sind. Später allerdings konnte man in der deutschen Publizistik und aus dem Lager der Koalitionsfraktionen hören, daß die Veränderung unseres Kraftfahrzeugsteuergesetzes unzweckmäßig sei, ({6}) weil sie lediglich Gegenreaktionen der DDR hervorrufen würde. Meine Damen und Herren, wer so argumentiert, verzichtet von vornherein auf jede Verbesserung im Verhandlungsweg. ({7}) Wer so argumentiert, kann sich im Grunde darauf beschränken, jährlich einmal bei der Regierung der DDR nachzufragen, wie hoch denn der Bedarf an Deutschen Mark zur Deckung ihres Devisen- oder Haushaltsdefizits sei. Dann brauchten wir nur noch jährlich pauschal zu zahlen. ({8}) Immerhin, Herr Bundesminister Franke hat am 10. Mai erneut von Überlegungen der Bundesregierung in bezug auf die Besteuerung von DDR-Lkw gesprochen. Nur, geschehen ist nichts. Nach der Veränderung unserer Kraftfahrzeugsteuerdurchführungsverordnung vom Oktober 1976 ergibt sich in der Praxis folgendes Bild: Wir besteuern alle gebietsfremden Lkw, nur nicht die der DDR. Die DDR ihrerseits belegt kein Fahrzeug eines anderen Landes mit Gebühren, außer denen aus der Bundesrepublik Deutschland. ({9}) Dies, finde ich, ist eine gute Praxis auf Gegenseitigkeit. ({10}) Die Gründe für das Zögern der Bundesregierung, ihren eigenen, vorhanden gewesenen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen, liegen letztlich in jenem durch nichts zu rechtfertigenden, aber von der Bundesregierung ständig praktizierten Wohlverhalten gegenüber der DDR, um beim Vertragspartner nur ja nicht die geringste Spur von Verstimmung aufkommen zu lassen. ({11}) Die CDU/CSU fordert die Bundesregierung auf, endlich die Konsequenzen aus ihrer eigenen Denkschrift zum Verkehrsvertrag zu ziehen, wonach die Prinzipien der Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung zu wahren sind. Wir, die CDU/CSU, meinen, daß die DDR nur dann bereit ist, auf die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für unsere Lkw zu verzichten, wenn ihr zur Gewißheit wird, daß wir andernfalls ihre Lkw zur Kraftfahrzeugsteuer heranziehen. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion sieht deshalb auch in den Anfügungen zum § 17 vor, daß die völlige oder teilweise Befreiung von der Steuer möglich ist, wenn die Gegenseitigkeit gewahrt ist. Diese Ausgewogenheit und Gegenseitigkeit ist nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion die grundlegende Voraussetzung jeder künftigen Vertragsgestaltung gegenüber der DDR. Es darf eben nicht weiterhin Verträge geben, die die Leistungen unserer Seite festlegen, die der DDR andererseits aber die Möglichkeit geben, sich ihren Verpflichtungen durch Veränderungen ihres innerstaatlichen Rechts zu entziehen. ({12}) Die CDU/CSU-Fraktion bittet alle Fraktionen des Hauses, diesem Antrag zuzustimmen, damit in Deutschland endlich wieder ein Stück von dem verwirklicht wird, was wir seit der Gründung des Deutschen Zollvereins im Jahre 1834 überwunden glaubten. ({13})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Was die Steuer betrifft, so wollen Sie nun offenbar so eine Art doppelte Zweistaatentheorie verwirklichen. ({0}) - Ja, aber natürlich. Wenn ich das höre, was Sie sagen, sind Sie der Meinung, daß man die DDR einmal wirklich als Ausland behandeln müßte. Anders kann ich das nicht verstehen. ({1}) - Ich habe das Gesetz schon gelesen. Darüber werden wir ja noch im Ausschuß reden. Es ist natürlich ohnehin schwierig, das ganz zu verstehen, wie Sie noch sagen. Sehen Sie, ich hatte immer einen Streit mit meiner eigenen Regierung, weil ich immer der Meinung bin, man sollte einmal die Akten auf den Tisch legen, die die Rolle der CDU in Sachen Berlin betreffen, als Sie noch in der Bundesregierung waren. ({2}) - Lieber Herr Klein, bleiben Sie doch beim Deutschlandmagazin, und machen Sie hier keine Zwischenrufe! ({3}) Zunächst einmal ist es so, daß die Regierung das nie gemacht hat. Ich sage Ihnen nur eines: Falls ich die Regierung eines Tages doch noch überzeuge, daß es richtig ist, Ihre Rolle in Sachen Berlin zu Zeiten einer CDU-Bundesregierung darzustellen, dann stehen Sie nicht so gut da. Das sage ich Ihnen ganz offen. Ich bin auch der Meinung, das schadet nicht Berlin, das schadet der CDU. Aber bis jetzt habe ich die Kollegen in der Regierung nicht überzeugen können. ({4}) Zum zweiten. Herr Kollege Kohl ist schon wieder weg. Ich entsinne mich noch an die Zeit vor dem Wahlkampf 1976. Da machte Herr Kohl seine Rundreise, um den „Duft der großen weiten Welt" mit in den Wahlkampf einzubringen. Da ist er auch bei Präsident Ford gewesen. Ich empfehle Ihnen, einmal nachzulesen, was Herr Kollege Kohl zur Frage der Nationalstiftung und ihrem Sitz in Berlin gesagt hat, als er bei Ford war. Das klang ganz anders als das, was er heute gesagt hat. Ich finde das nicht gut. Nach meiner Meinung sollten wir hier das sagen, was wir auch draußen sagen, damit kein Widerspruch entsteht. ({5}) - Bevor Sie sagen, das sei unrichtig, lesen Sie es einmal nach! Nun ist Herr Kollege Kohl leider weg. (Dr. Jenninger ({6}) - Er hat gesagt, er sei von Präsident Ford mit dem Eindruck zurückgekommen, daß die Frage des Sitzes Berlin offenbar doch sehr viel schwieriger und sehr ernst zu überlegen set. ({7}) - Aber, Herr von Wrangel, ich verstehe doch, daß die CDU in Sachen Berlin einen Nachholbedarf hat. ({8}) Das verstehe ich voll. Nur sollte die Befriedigung dieses Nachholbedarfs nicht auf Kosten von Berlin gehen. Das ist das einzige, was ich hier zu später Abendstunde noch zu sagen versuche. Ich darf noch zu einem weiteren Punkt kommen. ({9}) - Ich bin überhaupt nicht aggressiv. Warum sollte ich Ihnen gegenüber aggressiv sein? Das lohnt sich doch gar nicht. ({10}) - Ich bin auch nicht intolerant, überhaupt nicht, wirklich nicht. ({11}) - Ich bitte um Entschuldigung, daß ich nicht an die hohen Maßstäbe Ihrer Vorredner anknüpfen kann. Ich darf einmal auf die Gemeinsamkeit kommen. ({12}) - Wenn Sie sich doch die Mühe geben würden, noch fünf Minuten zuzuhören; ich will etwas ganz Ernstes sagen. - Herr Kohl hat hier wieder die Gemeinsamkeit beschworen. Wir haben in den letzten Tagen gerade so eine Übung in Gemeinsamkeit in bezug auf die Menschenrechte gemacht. Das betrifft auch die deutschlandpolitische Frage. Sehen Sie, da ist die Situation in der CDU doch so: Herr Kollege Hoppe von der FDP hat gefragt, ob man hinsichtlich der Menschenrechte nicht zu einer gemeinsamen Resolution kommen sollte. Das hat Herr Kollege Mertes aufgegriffen. Dann sind wir in den Ausschuß gegangen und haben es ein bißchen besprochen. Ich sage Ihnen, daß ich für eine gemeinsame Erklärung bin. Dafür habe ich zwei Gründe. Der erste Grund ist ein grundsätzlicher. Nach meiner Meinung ist es nicht gut, so zu tun, als ob die demokratischen Kräfte in diesem Land in Sachen Menschenrechte nicht einer Meinung seien. Nach meiner Auffassung sind wir einer Meinung. Etwas anderes hielte ich nicht für gut. Der zweite Grund ist taktischer Natur. Ich bin der Meinung, Menschenrechte sind ein Thema, bei dem man überflüssige Streitigkeiten wirklich weglassen sollte. Herr Kollege Kohl, da Sie die Gemeinsamkeit verbal immer beschwören: Wie ist das denn gelaufen? Wir haben uns hingesetzt und eine gemeinsame Entschließung, einen Vorschlag gemacht, in dem steht: Der Bundestag ist für die weltweite Verwirklichung der Menschenrechte. Ferner steht darin, was er zu Helsinki sagt. Auch steht eine Einschränkung in dem Beschlußvorschlag, eine Einschränkung dahin, daß das nicht alles sofort geht. Aber dagegen konnten Sie nichts haben. Das ist nämlich aus dem Europarat übernommen; da haben Sie zugestimmt. Wie war das denn nun gestern mit der Gemeinsamkeit, Herr Kollege Kohl? Es war so, daß es Kollegen in der CDU gab, die es für wichtig hielten, eine gemeinsame Sache nach draußen zu machen und da nicht noch weiter den Streit nach innen gehen zu lassen. Die waren auch der Meinung, es wäre hinsichtlich der deutschen Position sehr klug - da waren wir alle einer Meinung -, in Belgrad mit einer einheitlichen Position anzutreten. Und nun kam es auf folgenden Punkt, Herr Kollege Kohl: In dem Prozeß der Vorbereitung von Belgrad muß das deutsche Auswärtige Amt im Rahmen der Neun und im Rahmen der NATO einen Beitrag leisten hinsichtlich der Frage, wie Helsinki positiv oder negativ verwirklicht worden ist, was also geklappt hat und was nicht. Darüber besteht kein Streit. Das hat das deutsche Auswärtige Amt auch lange gemacht, einschließlich der deutschlandpolitischen Fragen. Das ist in eine Dokumentation der Neun und der Fünfzehn in der NATO eingegangen, die im Augenblick noch intern ist. Alles unbestritten. Allerdings eine Frage - und Sie reden von Gemeinsamkeit, Herr Kohl - war in der Arbeitsgruppe streitig: Sie sind der Meinung, dieser spezielle deutsche Beitrag zu den Menschenrechtsfragen in Deutschland müsse publik gemacht und kontrovers diskutiert werden. Unser Argument ist: Wir sollten, wenn wir die deutsche Position stärken wollen, innerhalb der Neun und innerhalb der NATO keinen Alleingang machen. Vielmehr sollten wir unseren Teil innerhalb der NATO mit einbringen. Wir haben dann gesagt: Wir sind bereit, dafür zu plädieren, daß das Ganze veröffentlicht wird. Das alles aber hat keinen Zweck, wenn Sie uns in der Praxis vorführen, daß es Kollegen in der CDU gibt, die bereit sind, diesen Weg mitzugehen, die aber nicht dürfen, weil es andere Kräfte in Ihrer Fraktion gibt, die das nicht zulassen. ({13}) - Das, was ich zitiert habe, war vollständig. Das war der eigentliche Streitpunkt. Diese Parteien zerstreiten sich in der zentralen Frage der Menschenrechte darüber, ob das, Herr Jäger ({14}) - ich sage Ihnen, so war es -, im ersten Schritt veröffentlicht wird oder nicht. Herr Kohl, Sie können mir mit allen Reden über Gemeinsamkeit gestohlen bleiben, wenn in einer so zentralen Frage, in der die Koalition den Versuch gemacht hat, Ihnen entgegenzukommen - nicht aus Altruismus" aus unserem Interesse, aus dem deutschen Interesse -, das Endergebnis das ist, daß bei Ihnen diejenigen, die das machen wollen, das nicht dürfen, weil es welche gibt, die sagen: Gemeinsamkeit läuft nicht. Das hat doch gar keinen Zweck. ({15}) - So war das, Herr Abelein. ({16})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte das jetzt abschließen. - Kerr Kohl, ich glaube Ihnen ja, daß Sie es mit der Gemeinsamkeit ernst meinen. Nur, Tatsache ist, daß Sie das innerhalb Ihrer Fraktion nicht durchsetzen können. ({0}) Das gilt für Berlin, das gilt für die Menschenrechte. Wir sind darüber nicht schadenfroh. Wir können es bei so zentralen Fragen wie Berlin und Menschenrechte im gemeinsamen Interesse nur bedauern, daß wir das offenbar weiterhin - leider - allein auf unseren Schultern tragen müssen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ehmke, Sie wissen so gut wie ich - ich will das gleich vorweg sagen, auch wegen der Zuhörer -, daß ich jetzt zu dem Termin der Fernsehdiskussion der Parteivorsitzenden muß. Sie wußten das auch, bevor Sie erwähnten, daß ich bereits den Saal verlassen hätte. ({0}) - Ich habe angenommen, daß Sie wenigstens insofern über das öffentliche Geschehen der Bundesrepublik unterrichtet seien. ({1}) - Ich würde schon sagen, daß die Diskussion der Parteivorsitzenden zum öffentlichen Geschehen gehört. Daß Sie Willy Brandt da vielleicht nicht mehr mit einbeziehen, ist Ihre Sache, meine Damen und Herren. ({2}) Der zweite Grund, weshalb ich mich gemeldet habe, Herr Kollege Ehmke, ist folgender. Meine Kollegen werden über die Sachfragen, die Sie ansonsten angesprochen haben, noch Ausführungen machen. Nur: Was soll's, wenn Sie auf dem Wege zu einer neuen Karriere in der Fraktion vor allem Ihr Soll in der Beschimpfung des politischen Gegners erfüllen? Darin kann ich keine rechte Position der Gemeinsamkeit erkennen. ({3}) Ich habe mich überhaupt nur zu Wort gemeldet, um Ihrem Versuch der Legendenbildung - darin sind Sie ja Meister - vorzubeugen. Sie haben von dieser Stelle aus eine Behauptung aufgestellt, die einfach falsch ist. Ich habe gegenüber dem amerikanischen Präsidenten bei meinem letzten Besuch - wie auch gegenüber den Beamten und dem damaligen Secretary of State - dieselbe Haltung vertreten wie bei meinen Besuchen in London und auch in Paris. Ich habe bei all diesen Gelegenheiten gesagt, daß diejenigen - und das geht doch tief hinein in den Bereich Ihrer eigenen Partei, Herr Kollege Ehmke; das ist doch keine Sache der CDU/CSU oder eine Sache, in der SPD-Leute und FDP-Leute nicht genauso denken; das weiß ich so gut wie Sie -, die aus guten, geschichtlich gewogenen Gründen den Sitz der Deutschen Nationalstiftung in Berlin begründen wollen, überhaupt nicht Gegner der Entspannungspolitik sind, sondern Männer und Frauen und deutsche Patrioten, die den Versuch unternehmen, in der Situation der Teilung unseres Vaterlandes ein Stück Signal, ein Stück Gemeinsamkeit der Identität der deutschen Nation in der alten Hauptstadt Berlin aufzurichten. Das ist das, was wir wollen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme auf die Frage zurück. Das hat nichts mit Gegnerschaft zur Entspannung zu tun oder damit, die Kunst des Unmöglichen zu versuchen. Ich habe dem amerikanischen Präsidenten die Frage zurückgegeben - es ist nicht indiskret, wenn ich das auf Ihre Frage hierhin auch öffentlich bekunde -: Was empfände wohl ein amerikanischer Präsident, wenn sein Vaterland geteilt wäre, wenn mitten durch Washington, am Capitol vorbei, eine Mauer diese Hauptstadt der Vereinigten Staaten trennte und wenn dann die Amerikaner in dem einen Teil, im freien Teil Amerikas sagten: „Wir wollen aber eine Stiftung, welche die Identität der amerikanischen Nation symbolisiert, selbstverständlich nach Washington legen"? Das ist ein ganz einfacher Anspruch aus unserem deutschen Selbstverständnis. Das hat nichts zu tun mit Mangel an Bereitschaft zur Entspannungspolitik oder gar, wie Sie es ja konstruieren wollen - draußen tun Sie das -, mit einer Gesinnung des kalten Krieges. Nur: Wer will eigentlich den Berlinern Hoffnung geben, wenn wir uns nicht einmal in dieser Frage zu einer gemeinsamen Haltung durchringen können, auch wenn das draußen im Ausland zugegebenermaßen nicht jeder auf den ersten Blick verstehen kann? Das ist unsere, das ist meine Position. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Bitte schön, Herr Lattmann.

Dieter Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, können Sie sich erinnern und können Sie hier vor diesem Hause bestätigen, daß Sie unmittelbar nach Ihrer Rückkehr von jener Reise durch die Vereinigten Staaten und dem Gespräch mit Präsident Ford in einem Fernsehinterview von einem Journalisten gefragt wurden, wie es denn mit dem Gespräch über die Nationalstiftung sei, und daß Sie sich - ich erinnere mich genau daran, denn es fiel mir als bemerkenswert fair auf - in der Situation ganz anders ausgesprochen haben als heute, indem Sie nämlich sinngemäß gesagt haben, es werde mit Berlin wohl ziemlich viele Schwierigkeiten geben? Sie haben in dieser Situation des Fernsehinterviews kein eindeutiges Votum für Berlin abgegeben.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, ich kann beim besten Willen in Ihrer Frage keinen Gegensatz zu dem eben hier Vorgetragenen erkennen. ({0}) Ich habe, wie das ganz selbstverständlich ist - das ist wirklich selbstverständliche Fairneß gegenüber einem Gesrächspartner, der gar nicht hier ist -, über dieses Gespräch nichts in die Öffentlichkeit getragen. Nur, der Kollege Ehmke hat hier eine Behauptung aufgestellt. Er hat den Versuch unternommen - ich sage es noch einmal -, eine neue Legende in dieser Frage zu begründen, und dieser Legende bin ich entgegengetreten. Ich habe in Amerika, ich habe in London und Paris mit keiner anderen Zunge geredet als hier von diesem Platz im Deutschen Bundestag. ({1}) Ich habe gerade vor drei, vier Minuten in meinen Schlußausführungen gesagt, daß für diese Haltung draußen im Ausland - auch im befreundeten Ausland - nicht überall Verständnis zu finden ist. Aber ich habe am Beispiel einer Teilung Washingtons und der Vereinigten Staaten deutlich gemacht, daß unsere Freunde im Ausland uns besser verstehen, wenn man sehr plastisch hervorhebt, um was es uns wirklich geht: überhaupt nicht um kalten Krieg, überhaupt nicht um Gegnerschaft zur Entspannungspolitik, aber um den Verfassungsauftrag, die Einheit der deutschen Nation zu bewahren. Dazu sind wir alle auch nach dem Grundgesetz verpflichtet. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Böhm.

Wilfried Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000218, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am Ende dieser Debatte stellt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Betroffenheit fest, daß in zwei konkreten Punkten, in denen die Opposition der Regierungskoalition die Hand zur Gemeinsamkeit gereicht hat, nämlich in den Fragen der Nationalstiftung und der Veränderung des Kraftfahrzeugsteuerrechts, dieses Angebot schnöde zurückgewiesen worden ist. Wir bedauern das außerordentlich, weil wir meinen, daß am Ende dieser Diskussion wenigstens in einigen wenigen Punkten eine gemeinsame neue Politik zum Wohle der Menschen in Deutschland gestaltet werden könnte. Herr Professor Ehmke, Sie haben in Ihrer Einlassung auf die Ausführungen des Kollegen Straßmeir den absurden Versuch unternommen, der CDU/CSU zu unterstellen, sie wolle mit der Veränderung des Kraftfahrzeugsteuerrechts eine Art Zweistaatentheorie einführen. Sie haben offenbar das nicht gehört, was der Kollege Straßmeir vorgetragen hat. Er hat nämlich eindeutig ausgeführt, daß die Unterscheidung zwischen einheimischen und gebietsfremden Fahrzeugen in diesem Gesetzentwurf vorgesehen und daß bei dieser Begriffsbestimmung insbesondere auf die deutliche Unterscheidung zwischen ausländischen Kraftfahrzeugen und Fahrzeugen aus der DDR zu achten sei. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf das eingehen, was der Kollege Dr. Schmude vorhin sagte, als er erklärte, draußen in der Öffentlichkeit wachse Verdrossenheit über die Art und Weise, in der in diesem Hause deutschlandpolitisch diskutiert werde. In der Tat ist das so. Aber warum? Weil Sie mit Ihrer Politik Illusionen und Erwartungen gezüchtet haben, die nunmehr mit der Realität nicht in Einklang gebracht werden können. Genau das - und nichts anderes - hat zu Verdrossenheit bei den Bürgern in unserem Lande geführt. ({0}) Es sind die zusammengebrochenen Illusionen, es ist die Folge der von Ihnen vorgenommenen Wählertäuschung, die das Ergebnis Ihrer Politik ausmachen. Willy Brandt sah sich doch mit seiner Koalition 1972 auf dem Weg dorthin, wo - ich zitiere -„nicht mehr geschossen wird". Derselbe Willy Brandt erklärte im Juli 1973 zu der Hoffnung, daß die streng bewachte Grenze unblutig und durchlässiger werde und daß Schluß mit den Schüssen an der Mauer und an der Grenze zur DDR gemacht werde, wörtlich: „Es sind nicht mehr nur Erwartungen und bloße Hoffnungen." Und Egon Bahr sagte kurz vor der 72er Wahl, daß der Schießbefehl hinfällig werde, wenn der Grundvertrag erst unterschrieben sei. ({1}) Meine Damen und Herren, an diesem Anspruch und an diesen erklärten Zielen müssen Sie sich heute messen lassen, wenn nach dem Erfolg Ihrer Deutschlandpolitik gefragt wird. Meine Damen und Herren! Heute ist der Tag, an dem genau vor 25 Jahren die DDR mit der Errichtung der ersten Sperranlagen den entscheidenden Schritt zur Teilung Deutschlands tat. Es wäre schlimm, wenn das deutsche Parlament bei der heutigen Debatte an diesem Tag achtlos vorbeiginge. ({2}) Wir stehen in der Folge dieser Politik der DDR heute vor einer Politik der totalen Abgrenzung, die eine Todeszone von der Ostsee bis zum Bayerischen Wald errichtet hat, um unsere Landsleute in der DDR daran zu hindern, den Weg in die Freiheit der Bundesrepublik zu gehen. Die 1 400 km lange Zonengrenze ist mit Metallgitterzäunen, doppeltem Stacheldrahtzaun, einem sogenannten Schutzstreifenzaun und Minenfeldern mit rund 1,2 Millionen Minen bestückt. 22 000 Selbstschußgeräte vom Typ SM 70 sind installiert, bekannt als automatische Tötungsanlagen, die den Schießbefehl automatisieren und dem menschlichen Gewissen entziehen. Um freies Schußfeld zu haben, wurden durch die DDR entlang der Demarkationslinie 742 Gebäude abgebrannt, gesprengt oder mit der Spitzhacke dem Boden gleichgemacht. Ganze Dörfer verschwanden oder stehen als entvölkerte Gespensterdörfer entlang dieser Grenze. 30 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges betreibt die DDR im Herzen Deutschlands eine Politik der verbrannten Erde, über die in diesem Hause und vor der Weltöffentlichkeit gerade an diesem Tag gesprochen werden muß und die nicht hinter den Zahlen des Reiseverkehrs versteckt werden darf. ({3}) Um einen Kilometer ihres fünf Kilometer tief in die DDR hineinreichenden Sperrsystems anzulegen und auszubauen, muß die DDR 5 Millionen Mark ausgeben. Das sind rund 7 Milliarden Mark für die Anlage dieses Sperrsystems zur Verhinderung der Flucht der eigenen Bürger! Im Herzen Deutschlands entsteht auf vielen Tausenden von Quadratkilometern eine ungeheure Verwüstung der Landschaft mit abgeholzten Waldgebieten und langsam sich Böhm ({4}) herausbildenden Sandwüsten. An dieser Grenze starben 171 Menschen, die von ihrem Menschenrecht auf Freizügigkeit Gebrauch machen wollten. Über die Unmenschlichkeit dieser Grenze muß offen, laut und deutlich gesprochen werden, nicht nur in diesem Hause, nicht nur vor der deutschen Öffentlichkeit, sondern vor der Öffentlichkeit der ganzen Welt. ({5}) Es muß zur guten Übung werden, daß ausländische Politiker, die als Gäste in die Bundesrepublik Deutschland kommen, Berlin und die Zonengrenze wieder besuchen. ({6}) Gerade Gäste aus der Dritten Welt, die zu uns kommen, um unsere wirtschaftlichen und finanziellen Hilfen zum Aufbau ihrer Länder in Anspruch zu nehmen, werden beim Anblick der Zonengrenze ihre natürlichen Verbündeten im Kampf um Selbstbestimmung und Menschenrechte erkennen. Und wenn es noch so unbequem ist: Diese Probleme der deutschen Teilung dürfen im Getriebe des Weltgeschehens nicht untergehen, sie dürfen nicht nur, Herr Kollege Professor Ehmke, in irgendwelchen geheimen NATO-Dokumentation vorhanden sein, sondern müssen auf den Tisch der öffentlichen Diskussion. Darum wollen wir diese Dokumentation über die Verletzung der Menschenrechte in unserem geteilten Vaterland. ({7}) Wer, wenn nicht wir hier, die Deutschen selbst, soll diese Fragen vor aller Welt diskutieren?! Wir können doch von keinem Ausländer erwarten, daß er sich in diesen Fragen stärker als wir Deutschen selber engagiert. Dazu gehört aber auch, daß in der Bundesrepublik Deutschland selbst die Information über die Situation im gespaltenen Deutschland wesentlich verstärkt wird. Es muß zur Selbstverständlichkeit werden, daß jeder Schüler in der Bundesrepublik Deutschland während seiner Schulzeit einmal in Berlin oder an der Zonengrenze die deutsche Teilung persönlich erlebt. ({8}) Der Anblick dieser Teilung, der Anblick dieser Grenze ist noch immer das eindrucksvollste Erlebnis praktischer politischer Bildung. Statt dessen aber erhalten immer mehr Gruppen eine Absage, wenn sie sich mit der Bitte um Förderung von Reisen an die Zonengrenze oder nach Berlin an die zuständigen Stellen wenden, und es fehlen Aufklärung und Informationsmaterial für Besucher an der Zonengrenze. Zum erstenmal ist in diesem Jahr auch der Bericht des Bundesgrenzschutzes über das abgelaufene Jahr nicht in großer Auflage zur öffentlichen Verteilung gekommen. Diese Bundesregierung verwendet eben bedauerlicherweise die für solche Informationen bestimmten finanziellen Mittel allein dazu, eitle Selbstdarstellung und plumpe Regierungspropaganda zu betreiben. ({9}) Wer sich allein dem Rausch von Besucherzahlen hingibt, der erweckt den Eindruck einer normalen Grenze in Deutschland. Wer nachlässig z. B. vom „kleinen Grenzverkehr" spricht, wenn er die Möglichkeit zu Tagesaufenthalten in der DDR meint, erweckt den Eindruck, als ginge es an dieser Grenze zu wie beim wirklichen kleinen Grenzverkehr, z. B. bei Schaffhausen zwischen Deutschland und der Schweiz. Kleiner Grenzverkehr - das ist nun einmal das spontane Hin und Her von Menschen ohne bürokratische Antragsverfahren, um auf der anderen Seite Verwandte zu besuchen, eigene Felder und Wiesen zu bestellen, billig einzukaufen und die Grenze an anderen als dafür vorgesehenen Stellen zu überschreiten. Von einem solchen Zustand ist die Lage an der Zonengrenze in Deutschland doch weiß Gott weit entfernt. Wer dennoch nachlässig Begriffe aus der Welt des Normalen zur Schilderung anomaler Zustände benutzt, verharmlost die Wirklichkeit und täuscht sich und andere. Wenn die Bundesregierung auch heute wieder positive Entwicklungen bei den Reisezahlen anführt, um Erfolge ihrer Politik vorzuweisen, dann sei der Erfolg verstärkter Reisemöglichkeiten von West nach Ost und in dringenden Familienangelegenheiten und für Rentner von Ost nach West ausdrücklich anerkannt. Das haben wir immer getan, auch wenn man das von Ihrer Seite nicht wahrhaben wollte. Aber jedermann sollte wissen, daß das Echo auf diese Reisezahlen nun einmal lautet: zahlen, zahlen, zahlen, und zwar in bar. Nichts an menschlichen Erleichterungen hat die DDR wegen eines fiktiven Geistes der Entspannung gewährt, sondern alles, was sie getan hat, wird teuer aus dem Bundeshaushalt oder aus den Portemonnaies der Reisenden selbst bezahlt. Die Geldschneiderei der DDR erweist sich als eine neue künstliche finanzielle Schranke, die gegen den Reiseverkehr errichtet wird und die den Wunsch nach familiären und freundschaftlichen Kontakten zwischen Deutschen in Ost und West zum Goldesel für die Staats- und Parteikassen der DDR macht. ({10}) Nehmen wir ein Beispiel. Warum - so müssen wir uns fragen - reisen nur so wenige Bürger, die formal die Möglichkeit zu Tagesaufenthalten haben, in die DDR? Rund 6,5 Millionen Bürger in den dafür vorgesehenen Städten und Landkreisen in der Bundesrepublik könnten solche Reisen antreten. 1975 taten es jedoch nur 463 000; 1976 sank diese Zahl aber auf 445 000 ab. Das bedeutet, nicht einmal 7 % derer, die reisen könnten, tun es tatsächlich. Und diese Bürger reisen deshalb nicht, weil die ausgehandelten Reisebedingungen diese Reisen so schwierig machen. Zu wenige Grenzübergänge, der Zwang, für die Ausreise denselben Übergang zu benutzen wie bei der Einreise, die Beschränkung des Aufenthalts bis 24 Uhr am Einreisetag, das bürokratische Antragsverfahren, Schikanen und Willkür bei der Grenzkontrolle, die hohen Visagebühren, Straßenbenutzungsgebühren und der Zwangsumtausch schrecken viele Bürger ab. Hier muß die Bundesregierung ansetzen, um Verbesserungen zu erreichen. Ich begrüße, daß die Antwort auf unsere Große Anfrage in vielen Punkten mit diesen Zielen überBöhm ({11}) einstimmt, die wir im Bundestag immer wieder als notwendige Verbesserungen angesprochen und gefordert haben. Aber auch die Bundesregierung selbst muß überlegen, wie sie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland dazu beitragen kann, mehr für die Gemeinsamkeit der Menschen im geteilten Deutschland zu tun. Ist das Begrüßungsgeld für Rentner aus der DDR angesichts gestiegener Preise noch hoch genug? Könnte die Erstattung der Visagebühren über den Bereich der Rentner hinaus eine mögliche Verstärkung des Reiseverkehrs in die DDR bewirken und die Kosten für diejenigen nachhaltig senken, die reisen wollen? Reicht die im Einkommen- und Lohnsteuerrecht gewährte Pauschale für Pakete und Päckchen in die DDR mit 50 bzw. 30 DM heute noch aus? Welche zusätzlichen steuerlichen Erleichterungen für Geschenke in die DDR sind denkbar? Wie können die Bürger über Reisemöglichkeiten sachlich und ohne propagandistische Verzerrung so aufgeklärt werden, daß für sie nicht die tatsächlichen Erlebnisse bei der Reise in die DDR im Gegensatz zu den Erwartungen stehen. ({12}) Wie können die Bürger dazu bewogen werden, Behinderungen und Schikanen den Behörden zur Kenntnis zu bringen, um die große Dunkelziffer zu überwinden, die bei der Erfassung von Vertragsbrüchen durch die DDR nun einmal besteht? Wie können wir schließlich denen helfen, die aus der DDR zu uns in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, gleichgültig ob freigekauft oder als Flüchtlinge mit oder ohne Inanspruchnahme von Fluchthilfe, und die bei uns aus welchen Gründen auch immer in finanziellen und wirtschaftlichen Sorgen und Schwierigkeiten stecken? ({13}) Die Zukunft der Deutschlandpolitik kann nach unserer Auffassung nur in einer klaren, auf Leistung und Gegenleistung bedachten Vertragspolitik und gleichzeitig und unabhängig davon in einem klaren und unerschütterlichen Eintreten für Menschenrechte und Selbstbestimmung bestehen. Es ist nicht so, daß Fortschritte in der Vertragspolitik nur durch Leisetreterei in der Frage der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts zu erreichen wären. Die Bundesregierung hat sich nach dem Schüren von Hoffnungen und Erwartungen einem unheilvollen Erfolgszwang und damit den Erpressungen der anderen Seite in hohem Maße ausgesetzt. ({14}) Der Versuch aus Ihren Reihen eine Theorie zu entwickeln, nach der die Stärkung der DDR die Voraussetzung für die Entspannung und ein geregeltes Nebeneinander ist, ist der untaugliche Versuch, von einer falschen Deutschlandpolitik zu retten, was zu retten ist. ({15}) Kehren Sie statt dessen zu den Gemeinsamkeiten in der Deutschlandpolitik zurück, die Sie leichtsinnig verlassen haben, damit nach dem Ende Ihrer Illusionen eine realistische Deutschlandpolitik begonnen werden kann, die Verträge achtet und den Menschenrechten dient! ({16})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil die unseriöse Art der Argumentation des Herrn Kollegen Böhm mich dazu bewogen hat. Zunächst einmal, Herr Kollege Böhm, haben Sie gesagt, daß hier und heute zwei konkrete Angebote zu gemeinsamer Zusammenarbeit von uns schnöde zurückgewiesen wurden. So hatten Sie sich ausgedrückt. Ich habe gar nicht den Eindruck, daß hier irgendwelche Angebote schnöde zurückgewiesen wurden, zumal dazu noch niemand, zumindest niemand von meiner Fraktion, Stellung genommen hat. Bezüglich Ihrer sonstigen Behauptungen bin ich skeptisch, da ich vor einiger Zeit ein Schlüsselergebnis mit Ihnen gehabt habe. Ich habe Sie um Informationen gebeten, die Sie, wie Sie behaupteten, von einem Vorgang in der DDR bzw. auf der Reise nach Berlin hatten. Weil wir diesem Vorgang gern nachgegangen wären, habe ich Sie gebeten, Fakten darzulegen. Bis zur Stunde warten wir noch auf diese Fakten. Meine Frage zur Nationalstiftung ist ja leider nicht mehr zugelassen worden, weil Herr Kohl sehr schnell das Podium verlassen hat. Ich hätte Herrn Kohl gerne gefragt, ob er als Ministerpräsident eines Landes seinerzeit die Chance, von der er sprach, genutzt hat, nämlich mit den anderen Ministerpräsidenten die Fragen zu klären, um die Voraussetzungen zu schaffen, die Nationalstiftung in Berlin einzurichten. Herr Kollege Böhm, der Antrag der CDU/CSU zur Kfz-Steuer, möchte ich meinen, werden wir natürlich in den dafür zuständigen Ausschüssen beraten. Aber uns kommt es darauf an - ich glaube, das ist auch von seiten der SPD deutlich geworden -, daß wir zu einer Regelung kommen, wie sie beispielsweise zwischen Frankreich und der DDR besteht: zum gegenseitigen Verzicht auf die Besteuerung. Meine Damen und Herren, dies wollte ich nur klarstellen. Denn es ist nicht so, wie Sie, Herr Böhm sagten, daß hier durch uns eine schnöde Zurückweisung erfolgt wäre; vielmehr gibt es - und damit möchte ich die Gemeinsamkeit wiederherstellen - eine Bereitschaft von seiten der SPD und von seiten der FDP, in dieser Frage gemeinsam mit Ihnen eine Lösung zu finden. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmöle.

Hans Werner Schmöle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte - zumindest was die Redner meiner Fraktion anlangt 2132 möchte ich einige wenige Punkte zusammenfassen und einige Fragen an die Koalition richten. Herr Friedrich, Sie haben heute für die Koalition gefragt, wo der Oppositionsführer mit seiner Rede bliebe. Nun, Sie haben ihn heute noch gehört, und er hat einige praktische Vorschläge gemacht. ({0}) - Ja, ich nehme an, Sie werden es zumindest als Vorschlag werten, wenn wir sagen, hier werden bestimmte Angebote gemacht. Nur frage ich Sie: Wo sind denn Ihre sogenannten Architekten der Ostverträge und des Grundlagenvertrages, Brandt und Bahr, ({1}) heute geblieben? Wenn man hier nach ihrem Erscheinen urteilen müßte, muß die Politik doch eindeutig fehlgeschlagen sein. ({2}) Das zweite ist, daß diese Debatte wie schon eine Reihe anderer Debatten zumindest bei Ihnen immer um die Frage geht, ob Ihre Deutschlandpolitik in den vergangenen Jahren denn wirklich so erfolglos gewesen sei. Sie sagen: Nein, sie war ja gar nicht so erfolglos, denn viele Beispiele deuten darauf hin, daß sie eben doch Erfolg gehabt hat. ({3}) Nun, niemand von uns hat bestritten, daß im humanitären Bereich gewisse Erfolge zu verzeichverzeichnen sind, und auch ich will das nicht bestreiten. Aber wenn Sie schon nicht die Frage stellen wollen, ob denn Leistung und Gegenleistung dabei in einem wirklich ausgewogenen Verhältnis gestanden haben, dann messen Sie doch diese Erfolge Ihrer Politik wenigstens an dem, was Sie selbst an Erwartungen daran geknüpft haben. Das zumindest sollten Sie doch wenigstens noch gelten lassen. ({4}) - Und dann, Herr Kollege Möllemann, darf ich zwar nicht Ihre Hauspostille, aber die der SPD, und zwar den „Vorwärts" aus dem Jahre 1973 mit Genehmigung der Frau Präsidentin einmal zitieren, um dadurch wenigstens zu einem Vertragswerk, über das wir ja heute auf Grund der Anfrage auch konkret sprechen wollen, Ihre Meinung zu hören. Hier wird gesagt - ich zitiere -: Artikel 6 des Grundvertrages verpflichtet die deutschen Staaten, die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten zu respektieren. Was indessen die Wahrung der Menschenrechte betrifft, so handelt es sich hier nicht um die innere oder äußere Angelegenheit eines Staates, sondern um ein Gebiet vorstaatlicher und außerstaatlicher Kompetenz. Jedermann darf und muß aber jeder öffentlichen Gewalt, die diese Grund- und Menschenrechte unterjocht, überall auf der Welt entgegentreten. ({5}) Denn jede öffentliche Gewalt, die Grund- und Menschenrechte angreift, verletzt oder unterdrückt, richtet sich unmittelbar gegen die allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnende Würde und ihre gleichen und unveräußerlichen Rechte. ({6}) Und jetzt kommt etwas ganz Wichtiges in bezug auf die Beurteilung des Grundvertrages. Es geht weiter im „Vorwärts" : Die Deutsche Demokratische Republik wird hinsichtlich des Maßes ihrer Vertragstreue zum Grundvertrag sich daran messen lassen müssen, inwieweit sie auf ihrem Territorium endlich den unabdingbaren Menschenrechten nicht nur Geltung verschafft, sondern sie darüber hinaus schützt und verteidigt. Dies ist ein klarer und einfacher Maßstab, den jeder handhaben und mit dem jeder messen kann, wie die Deutsche Demokratische Republik ihre Verpflichtung aus dem Grundvertrag erfüllt. ({7}) In der Tat: Das ist ein klarer Maßstab. Aber wenn das, was Sie 1973 gesagt haben, heute noch gelten soll, dann greifen Sie doch die DDR wegen Verstößen in dieser Frage genauso kompromißlos an wie wir! Nur dann können wir für die Menschen drüben wirklich etwas erreichen. ({8}) - Entschuldigung, verehrter Herr Kollege, Ich habe sehr wohl in allen Debatten zugehört. Es geht zur Zeit doch darum, daß Sie nicht sagen: Wir wollen kompromißlos darauf achten, daß diese Verpflichtungen erfüllt werden. Vielmehr sagen Sie: Wir müssen die Weiterführung der Entspannung vor der Diskussion über die Menschenrechte behandeln. Dieser Ansatz in Ihrer Politik ist absolut falsch. ({9}) Lassen Sie mich abschließend auf einen Punkt eingehen, der uns zur Diskussion der Frage bringen kann, was wir in Zukunft tun müssen. Bei den Überlegungen, was aus dem Grundvertrag und den Folgeverträgen zu machen ist, werden wir zu einer mehr offensiven und mehr initiativen Haltung gegenüber der DDR kommen müssen. Es ist nicht gut, daß wir immer nur darauf warten, welche Vertragsabschlüsse uns die DDR vorschlägt, und daß wir nicht die Initiative ergreifen, beispielsweise auf den Gebieten Kultur, Sport und Jugendaustausch Vertragsvorschläge, für die die Bevölkerung Verständnis hat und die für sie begreifbar und deutlich sind, zu unterbreiten, damit die DDR endlich in die Defensive gerät und nicht immer nur wir in der Defensive sind. ({10}) Es stellt sich doch die Frage: Warum können wir der DDR nicht vorschlagen, im gesamtdeutschen Sport zu institutionalisierten jährlichen Begegnungen zu kommen? Warum können wir nicht fragen, ob im Kulturaustausch etwas Ähnliches möglich ist? Wenn Sie sagen, diese Vorschläge seien illusionär, dann frage ich Sie: Wie sollen wir dann weiterkommen, wenn wir nicht anhand von Vorschlägen, die Hand und Fuß haben und weit greifen, die DDR endlich zwingen, draußen Farbe zu bekennen, wie es bei ihr mit den Folgeverträgen zum Grundlagenvertrag wirklich bestellt ist? Lassen Sie mich mit einer Überlegung zu Ihrem immer wieder vorgetragenen Einwand schließen, man müsse die Deutschland-Politik und die Ostpolitik an den Realitäten messen. ({11}) Daß man sie an den Realitäten messen muß, darin stimme ich mit Ihnen überein, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. Aber zwischen uns dürfte doch auch unstrittig sein, daß sinnvolle Politik nur darin bestehen kann, unerwünschte Realitäten in wünschenswerte Realitäten zu ändern. ({12}) Wenn Sie das in Ihrer Politik etwas mehr als bisher berücksichtigen würden, dann wäre dem Interesse aller Deutschen in Deutschland schon eine Menge gedient. ({13})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner der SPD-Fraktion erlaube ich mir, einleitend zu sagen: 20 Jahre CDU-Politik haben die Gräben zwischen den beiden deutschen Staaten schaffen helfen. Sie werfen uns heute vor, daß wir es in kurzer Zeit nicht erreicht haben, diese Gräben völlig zuzuschütten. ({0}) Ich verstehe das. Aber Sie verstehen wahrscheinlich ebenso, daß wir nicht darauf verzichten können, immer wieder darauf hinzuweisen, wer neben der Politik des Ostens von westlicher Seite durch seine Politik beigetragen hat, diesen Graben in Deutschland so tief zu machen, wie wir ihn bei unserem Regierungsbeginn vorgefunden haben. ({1}) Sie haben heute keine neuen Argumente vorgetragen. Ihre alten Argumente waren in sich widersprüchlich. Ihr gemeinsamer Nenner war, daß Sie innerhalb Ihrer Fraktion eine Gemeinsamkeit nur im Nein finden konnten. Ansonsten waren Sie widersprüchlich. Nur im Nein haben Sie eine Gemeinsamkeit finden können. Dies hat ja schon der Kollege Ehmke über die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und der Kommission, die in der Menschenrechtsfrage eine Gemeinsamkeit gesucht hat, berichtet. ({2}) - Herr Jäger, Sie sind das beste Beispiel dafür. Denn Sie haben sich erst für die gemeinsame Kommission - die Arbeitsgruppe - benennen lassen und sind dann gar nicht mehr zu der Sitzung erschienen, als die Gemeinsamkeit erarbeitet werden sollte. ({3}) Sie sind doch das beste Beispiel dafür. Wie reden Sie jetzt über diesen Versuch, wenn Sie selber diese Sitzung geschwänzt haben, ({4}) wenn das nicht politische Gründe waren. ({5}) Die Verträge werden, das kann man heute in der Debatte sagen, auch von der CDU/CSU in ihrer Rechtsgültigkeit nicht mehr bestritten. ({6}) - Das ist immerhin schon mal was. Aber was Sie bestreiten und was Sie offensichtlich noch nicht erkannt haben oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen, ist die politische Realität der Situation und der Prozesse, die zwischen der Bundesrepublik und der DDR, zwischen den vier Mächten und zwischen den Staaten Ost- und Westeuropas im Entspannungsprozeß und in dem Vollzug der Vielzahl von bilateralen und multilateralen Verträgen geschaffen worden sind. Sie nehmen nur die Verträge, die Rechtsgültigkeit zur Kenntnis. Die Realität der politischen Prozesse und Ereignisse, die inzwischen eingetreten sind, können Sie noch nicht zur Kenntnis nehmen. Ihnen fehlt einfach der Mut zur Respektierung der einmal geschaffenen politischen Tatsachen, wie ihn Herbert Wehner 1960 hatte und wie er ihn hier vor dem Bundestag vertreten hat. Ich sage: Ihnen fehlt nicht nur der Mut dazu, sondern Ihnen fehlt auch den Kopf dazu, ({7}) dies hier strategisch und konzeptionell zu vertreten. Ein Kohl reicht nicht allein, um diesen Kopf hier vor uns darzustellen. ({8}) Den inneren politischen Zusammenhang zwischen den Verträgen, der Entspannungspolitik und den einzelnen Ergebnissen, die Sie immer so en passant unter den Tisch fegen wollen - nämlich der menschlichen Erleichterungen, des Kontaktes, von dem Sie ja auch Gebrauch machen, der Reiseer2134 Voigt ({9}) leichterungen, der Telefonkontakte -, wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Ich sage Ihnen: wenn Sie die Entspannungspolitik blockieren, dann gefährden Sie auch die menschlichen Erleichterungen. Da Sie die Entspannungspolitik konzeptionell blokkieren, sind Sie diejenigen, vor denen jeder, der die menschlichen Erleichterungen weiter in Anspruch nehmen will, eigentlich Angst haben müßte. Deshalb werden Sie als Risiko empfunden, in Osteuropa - das stört Sie ja offensichtlich nicht weiter -, aber auch in Westeuropa bei unseren Partnern jenseits des Atlantiks und bei den westeuropäischen Staaten. ({10}) - Meine Damen und Herren, regen Sie sich nicht auf. Wenn Sie bei der KSZE die Zustimmung nur der Länder haben, die Sie damals gehabt haben, von Albanien und der neofaschistischen MSI in Italien, dann sollten Sie sich doch allmählich überlegen, ob Sie sich aus diesem Zusammenhang nicht etwas lösen sollten. ({11}) Konzeptionell haben Sie es nicht. Es reicht nicht, wenn Sie sich - neben Albanien - ab und zu noch mal nach China begeben. Das ist auch kein Ausweg. China kann uns in der KSZE nicht sehr helfen. ({12}) Sie haben eigentlich - das merke ich aus Ihren Vorschlägen - nicht die Absicht, mit den Vorschlägen konstruktive Verbesserungen zu erreichen, sondern Sie haben so etwas wie eine Sehnsucht nach dem kalten Krieg, ({13}) nach den guten alten Zeiten, wo die Fronten noch klar waren, wo man wußte, wo der Gegner war, ({14}) den man anprangern konnte, den man anprangern mußte und wo man dann im Innern - ja, so war das doch - jeden, der die Entspannungspolitik forcierte, als einen innenpolitischen Verbündeten der DDR darstellte. Das war doch die Zeit, nach der Sie sich jetzt offensichtlich wieder zurücksehnen: Deklamationen, Anprangern, Gräben aufreißen, statt sie zu überbrücken. In der Frage der Menschenrechte, dachte ich eigentlich, hätten wir zu einer größeren Gemeinsamkeit kommen können. Der Hinweis auf die Veranstaltungen der Sozialistischen Internationale in Amsterdam veranlaßt mich zu der Bemerkung, daß Sie sich besser mal die Reden ansehen sollten, die z. B. Willy Brandt auf dem Kongreß der Sozialistischen Internationale in Genf, wo ich selber Delegierter war, über die Frage der Menschenrechte gehalten hat. Er hat deutlich gemacht, daß es einen inneren Zusammenhang zwischen den Menschenrechten der Freiheit von Furcht und der Freiheit von Not gibt und daß es eine weltweite Frage der Menschenrechte gibt und nicht nur eine innerdeutsche Frage.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Jäger, bitte sehr.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Voigt, halten Sie es wirklich für einen guten Stil in dieser Debatte, dem Hohen Hause vorzuführen, mit welchen Methoden der Argumentation es Ihnen gelungen ist, in Frankfurt Herrn Leber davonzujagen? ({0})

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie wüßten, Herr Jäger, wie sehr und weit heute Herr Leber und ich ein Herz und eine Seele sind, ({0}) dann könnten Sie sich Ihre Döntjes über die innere Zerspaltenheit ({1}) der SPD und der SPD-Fraktion bald an den Nagel hängen, weil Sie wüßten, daß dort kein Spalt hineinzubekommen ist und Sie in Wirklichkeit mit Ihrem Spalt viel mehr zu tun haben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Möllemann?

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Möllemann, bitte.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, wären Sie bereit, den Kollegen, der vor mir gesprochen hat, aufzufordern, im Anschluß an Ihre Rede hier zu definieren, was der „gute Stil" von Debatten in diesem Hause nach seiner Meinung ist ({0}) und dies besonders angesichts seiner eigenen hier geleisteten Debattenbeiträge zu präzisieren? ({1})

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Wirklichkeit war das von dem Kollegen Jäger ja eine Art Selbstkritik. Er hat gesagt, ich soll es nicht ganz so schlimm machen, wie er selbst es macht, dann sei es fast schon guter Stil. Ich akzeptiere das, und ich werde mich bemühen, mich wie bisher auch weiterhin in meiner Rede daran zu halten. In der Frage der Menschenrechte hätten wir vielleicht zu einer Gemeinsamkeit kommen können, aber ich habe zwei Dinge von den Kollegen Gradl und Zimmermann gehört, die mich doch bedenklich stimmen - zusätzlich zu dem, was der Kollege Ehmke bereits aufgegriffen hat. Der Kollege Gradl hat gesagt: „Menschenrechte sind ein legitimes Instrument deutscher Politik." Instrument deutscher Politik! „Was der DDR ihre Ideologie ist, sind uns Voigt ({0}) die Menschenrechte." Der Kollege Zimmermann: „Menschenrechte, richtig genutzt, kann man als Vehikel zur Auseinandersetzung selber benutzen." ({1}) Meine Damen und Herren, das ist eigentlich etwas, was mich tief erschreckt. Für uns Sozialdemokraten - und ich glaube, das gilt ebenso für die FDP - sind Menschenrechte kein Instrument, sondern es geht um ihre reale Durchführung und Verwirklichung. Wir wollen sie nicht als Kampfinstrument gen Osten benutzen, sondern wir wollen Menschenrechte hier und rdort immer mehr verwirklichen. Ich glaube, das unterscheidet uns grundsätzlich. ({2}) - Einen Augenblick, Herr Kollege Wissmann, bevor wir auf die Fragen der Jungen Union zu sprechen kommen - das können wir später noch abhaken -, lassen Sie mich bitte noch fortfahren. Ich glaube, daß wir hier auch deshalb Wert darauf legen müssen, daß es positiv ist, daß die osteuropäischen Staaten in der Frage der Menschenrechte selber Formulierungen im Prinzip VII und in Korb III zu gestimmt haben. Man sollte sie deshalb auch mit an dieser Zustimmung packen und Gemeinsamkeiten im Prozeß herstellen, dies aber nicht als Instrument der ideologischen Auseinandersetzung gegen sie benutzen. Nun zur Frage der Individualrechte, die von Ihnen heute so häufig in die Diskussion gebracht worden ist.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wissmann?

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es sein muß, bitte sehr. ({0})

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Voigt, Sie sprechen gerade von der Notwendigkeit der Verteidigung der Menschenrechte. Darf ich Sie fragen, wie Sie denn in dem Zusammenhang die Tatsache bewerten, da Sie ja als ehemaliger Jusovorsitzender auf diesem Gebiet gewisse Erfahrungen haben dürften, daß der letzte Juso-Bundeskongreß im Zusammenhang mit Menschenrechten zwar in bezug auf Chile und Afrika Stellung genommen hat, aber eine klare Aussage zu der Unterdrückung in Osteuropa verweigert hat. ({0})

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Wissmann, wenn das stimmte, würde ich das bedauerlich finden, aber es stimmt nicht! Es ist genau das, was Sie immer über die Jungsozialisten verbreiten. Dort hat aber nicht nur Wolfgang Biermann gesprochen, sondern dort ist eine Resolution verabschiedet worden. Die sowjetische Delegation ist zeitweilig deshalb sogar ausgezogen, und kürzlich hat der Bundesvorstand der Jungsozialisten zur Frage Michnik und Polen eine Erklärung verabschiedet. Ich persönlich war 1968 unter den ersten Demonstranten gegen den Einmarsch in die CSSR. Sie haben Leute nach den 68er Ereignissen unterstützt und haben uns verteufelt, weil wir sie vor 1968 auch unterstützt haben. Diese Frage, die Sie eben gestellt haben, beweist, daß Sie allmählich selbst an Ihre Demagogie und Ihre Verleumdung der Jungsozialisten zu glauben beginnen. Das ist sehr bedenklich. Ich werde Ihnen die Unterlagen besorgen. ({0}) Nun zur Frage der Individualrechte. Ich möchte nur sagen, wer die Individualrechte gegenüber der DDR betont, zu Recht betont, der darf auch nicht in der Bundesrepublik jedesmal, wenn irgendein Konflikt oder ein terroristischer Akt oder ein Ereignis an den Hochschulen passiert, als erstes danach rufen, die Individualrechte hier einzuschränken. Das macht ihre Haltung unglaubwürdig. Hier gibt es auch einen Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit, die wir nicht aus den Augen verlieren wollen. Ich habe in einer langen Zeit - natürlich nicht innerhalb des Parlaments, aber als politisch Engagierter - festgestellt und feststellen müssen, daß diejenigen, die das Wort Nation am meisten in den Mund nehmen, in der deutschen Geschichte der Nation am meisten geschadet haben. Die heutige Debatte hat mich in dieser Überzeugung bestärkt. „Viel Feind, viel Ehr" mag für die nationale Tradition ein Motto sein. Für die SPD-Fraktion ist das Motto: „Viel Freundschaft, viel Verständigung". Das ist gut für die deutsche Politik. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die verbundene Aussprache zu den Tagesordnungspunkten 5 und 6. Wir haben den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes an die Ausschüsse zu überweisen. Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrats liegt Ihnen vor. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe nunmehr Punkt 8 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude - Drucksache 8/286 - a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 8/471 - Berichterstatter: Abgeordneter Löffler Vizepräsident Frau Funcke b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 8/453, 8/463 Berichterstatter: Abgeordneter Gobrecht Abgeordneter Dr. Voss ({2}) Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart worden, heute abend keine Abstimmungen mehr vorzunehmen. Das bedeutet, daß wir nur die Debatte in der zweiten Lesung führen können und die Abstimmung in der zweiten Lesung und auch die dritte Lesung morgen sein werden. Ich nehme aber an, daß wir uns dahin gehend verständigen können, daß die Aussprache heute im Rahmen der zweiten Lesung stattfindet. Ich frage weiter, ob auch der Änderungsantrag - Drucksache 8/479 -, der uns von der Fraktion der CDU/CSU vorgelegt worden ist, im Rahmen dieser allgemeinen Aussprache begründet werden kann? - Das ist der Fall. Ich darf zunächst den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Gobrecht aufrufen.

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich berichte über die Behandlung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude, den der Finanzausschuß in mehreren Sitzungen eingehend beraten hat. Angesichts der Zeit möchte ich das sehr knapp machen und insoweit im wesentlichen auf den Ihnen schriftlich vorliegenden Bericht hinweisen. Der Finanzausschuß billigt einmütig die Zielsetzung des Entwurfs, aus vermögenspolitischen, arbeitsmarktpolitischen, städtebaulichen und wohnungspolitischen Gründen die Abschreibungsbegünstigungen nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes auf alle Anschaffungen von bestehenden Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen auszudehnen und deren Erwerb zur Eigennutzung im Rahmen einer Freibetragsregelung von der Grunderwerbsteuer zu befreien. Der Finanzausschuß hat die Regierungsvorlage in ihren Grundsätzen unverändert übernommen, jedoch einige Ergänzungen und Klarstellungen vorgenommen. Ich darf die in aller Knappheit vortragen. Erstens. Der Finanzausschuß hat ausführlich erörtert, ob eine familienfreundliche Komponente, etwa durch die Neugestaltung des Höchstbetrages, in das Gesetz eingeführt werden könnte. Die Ausschußmehrheit will auch eine familienfreundliche Komponente. Sie hat jedoch einen Antrag der Fraktion der CDU/CSU aus steuersystematischen Gründen abgelehnt, weil sie der Auffassung ist, daß bei Absetzungen für Abnutzung eine Berücksichtigung familiärer Kriterien keinen Platz hat. Statt dessen hat die Mehrheit des Ausschusses vorgeschlagen, die Bundesregierung durch eine dem Gesetz anzufügende Entschließung zu ersuchen, dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Dezember 1978 Modellrechnungen und Alternativmöglichkeiten vorzulegen, die eine Umstellung der Sonderabschreibungen nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes auf ein System der Direktförderung oder des Abzugs von der Steuerschuld, jeweils unter Berücksichtigung familienfreundlicher Komponenten, zum Gegenstand hat. Zweitens. Auch künftig kann jeder Steuerpflichtige die erhöhten Absetzungen für ein Objekt - Eheleute für zwei Objekte - in Anspruch nehmen. Neu wird sein, daß diese Objektbegrenzung künftig - allerdings mit Ausnahmen - auch in Berlin gelten wird. Drittens. Der Ausschuß hat einmütig die Regelung gebilligt, wonach ein Steuerpflichtiger, der die erhöhten Absetzungen nicht ausnutzen kann, weil er nicht bis zum Ablauf des Begünstigungszeitraums Eigentümer des Objekts ist, die erhöhten Absetzungen für den Rest des Begünstigungszeitraums bei einem Folgeobjekt vornehmen kann. Er kann damit die Begünstigung gleichsam mitnehmen. Dies sieht auch der Ausschuß als einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Mobilität der Eigentümer an. Viertens. Der Finanzausschuß hat nach Prüfung mit Mehrheit nicht den Gedanken übernehmen können, die 1973 aus konjunkturpolitischen Gründen ausgesetzte Inanspruchnahme der 7 b-Abschreibung für die Zukunft wieder in Kraft zu setzen, weil dies Schwierigkeiten im Hinblick auf künftige Konjunkturlenkungsmaßnahmen bereiten würde. Fünftens. Im Bereich des Berlinförderungsgesetzes hat der Finanzausschuß die Vorschläge der Bundesregierung aufgegriffen, die sie einem Wunsch des Bundesrats entsprechend und auf Grund von Verhandlungen mit dem Berliner Senat in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hat und die den besonderen Belangen Rechnung tragen. Sechstens. Die neuen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und des Berlinförderungsgesetzes in Sachen § 7 b sind rückwirkend ab 1. Januar 1977 anwendbar. Bei den Anschaffungen ist der Zeitpunkt des Abschlusses des obligatorischen Vertrags oder des diesem gleichstehenden Rechtsakts maßgebend. Siebtens. Im Bereich der Grunderwerbsteuer hat der Finanzausschuß die Vorschläge des Entwurfs, den Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen zur eigenen Nutzung im Rahmen einer Freibetragsregelung zu befreien, mit einigen Änderungen aufgegriffen, die ich hier aus Zeitgründen nicht im einzelnen darlegen will. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen, die sich unterhalten wollen, den Saal zu verlassen. Wir sollten dem Redner Gelegenheit geben, hier seinen Bericht vorzutragen.

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Aber ich habe Verständnis dafür, daß bei dieser trockenen Materie - als Berichterstatter sollte man ja möglichst ruhig und ohne starke Wertung vortraGobrecht gen - nicht gerade das allergrößte Interesse für diesen Sachbeitrag aufkommen kann. Ich werde mich bemühen, nachher in der politischen Rede dies etwas weniger trocken vorzutragen. Namens des Finanzausschusses bitten die Berichterstatter, der vorliegenden Beschlußempfehlung zuzustimmen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Voss.

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt diesen Entwurf grundsätzlich, weil er zur Verwirklichung vernünftiger und erstrebenswerter vermögens-, arbeitsmarkt-, städtebau- und wohnungspolitischer Ziele beitragen kann. Aber leider muß ich zugleich einen gehörigen Tropfen Wermut in diesen Wein gießen; denn, meine Damen und Herren von der Koalition, dieser Gesetzentwurf könnte noch bedeutend besser sein, wenn sich Ihre Mitglieder im Finanzausschuß nicht den Alternativen in Form von Änderungsanträgen verschlossen hätten. Die Berechtigung und die Brauchbarkeit dieser Änderungsanträge sind nämlich schon daraus zu ersehen, daß auch einige Kollegen aus dem Lager der Koalition zumindest einige Änderungen für prüfens- und erstrebenswert hielten. Aber das zustande gekommene Ergebnis hat einmal mehr gezeigt, daß Ihr ständiges Geschrei nach Alternativen, Verbesserungsvorschlägen und sachlicher Mitarbeit reine Heuchelei ist. In Wirklichkeit wollen Sie das alles gar nicht. ({0}) Sie beten es nur immer wieder wie die Leier einer Gebetsmühle herauf und herunter, um der Öffentlichkeit vorzuführen, daß nur Sie Ideen hätten und der Sachverstand allein bei Ihnen sei. Erlauben Sie mir einige Bemerkungen. Erstens haben Sie unseren Antrag auf Berücksichtigung einer familiengerechten Komponente bei § 7 b des Einkommensteuergesetzes abgelehnt, nämlich das Abschreibungsvolumen um 50 000 DM für Steuerpflichtige mit mehr als zwei Kindern zu erhöhen. Dabei hatte der Kollege Gobrecht in der ersten Lesung wörtlich ausgeführt - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -: Schließlich - und das ist uns wichtig -: Wir werden im Gesetzgebungsverfahren, das jetzt eingeleitet ist, prüfen, ob und wie eine familiengerechte Komponente, wie z. B. der Bundesrat sie zu Recht gefordert hat, - das, meine Damen und Herren, war genau das, was wir zum Inhalt unseres Antrages gemacht haben -eingebaut werden kann. Denn es ist ja ganz offensichtlich, daß Familien mit mehreren Kindern sehr viel eher ein größeres Maß an Wohnraum brauchen. An einer anderen Stelle seiner Rede erklärte er dann, eine solche familiengerechte Komponente sei natürlich nur im Wege der Systemveränderung und der Systemumstellung unseres Abschreibungsrechtes möglich. Herr Dr. Böhme, Obmann der SPD-Fraktion im Finanzausschuß, begründete die Ablehnung mit „steuersystematischen Gründen". Diese Begründung ist jedoch völlig unzutreffend und falsch. Gott sei Dank vermag auch keine Mehrheit etwas daran zu ändern. Wenn nämlich etwas am § 7 b systemwidrig ist, so ist es die Beschränkung des Volumens überhaupt. Denn normalerweise vollzieht sich eine Abschreibung von den tatsächlichen Herstellungs- und Anschaffungskosten und nicht von einem mehr oder weniger willkürlich festgesetzten Betrag, wie hier z. B. vom Betrag von 150 000 oder 200 000 DM. Keinesfalls ist dagegen die Erhöhung dieses Volumens systemwidrig, und zwar selbst dann nicht, wenn diese Erhöhung - wie in unserem Änderungsvorschlag vorgesehen - auf Grund persönlicher Merkmale erfolgt. Denn es ist ganz eindeutig und klar, daß die genannten persönlichen Merkmale weder den Abschreibungszeitraum noch den Abschreibungssatz und damit die Abschreibung selbst beeinflussen, sondern lediglich das Volumen, von dem abgeschrieben wird und das ohnehin aus systematischen Gründen nicht hätte der Höhe nach beschränkt werden dürfen. Wir von der CDU/CSU haben daher bei unseren Anträgen im Finanzausschuß bewußt auf Vorschläge verzichtet, bei denen persönliche Merkmale, beispielsweise die Zahl der Kinder, den Abschreibungssatz erhöht - etwa von 5 % auf 6 % oder X-% - oder die Abschreibungszeit etwa um 8 auf 9 oder X-Jahre verlängert hätten. ({1}) - Nein, wir wollten auch etwas für Kinderreiche tun. - Die Fraktion der CDU/CSU ist aber aus überzeugenden Gründen nicht bereit, auf eine familiengerechte Komponente in § 7 b zu verzichten. Deshalb wird der Kollege Köster hier einen weiteren Änderungsantrag einbringen und begründen. Als recht kurios erscheint mir, daß man gesetzliche Verbesserungen, wie hier die familiengerechte Komponente, als systemwidrig abtut, obwohl dies nicht zutrifft, gleichzeitig aber auf jede Möglichkeit lauert, das System unserer steuerlichen Abschreibung radikal zu ändern, um über einen Abzug von der Steuer zu einem Subventionssystem zu gelangen. Dies wäre ein weiterer Schritt in das so sehnlich erwartete und so heiß herbeigesehnte überbürokratisierte Funktionärssystem, in dem man in der sattsam bekannten Weise immer mehr lenken zu können glaubt. Mit dem Zulagesystem wäre natürlich eine Einkommenbegrenzung verbunden. Dann wären wir mit § 7 b genau an der Stelle, wo nur noch diejenigen förderungswürdig sind, die gar keine eigene Wohnung erwerben können, weil sie finanziell nicht dazu in der Lage sind. Zweitens. Ihre von Ihnen verbal immer so hochgelobte Liebe zu Berlin vermochten Sie bei den Beratungen auch in Grenzen zu halten. Denn entgegen den Ausführungen des Kollegen Gobrecht, „Berlin sei bei Sozialdemokraten ganz besonders gut aufgehoben", konnten Sie sich nicht dazu durchringen, auch den Erwerb von Mehrfamilienhäusern, die vor 1918 erbaut worden sind, steuerlich zum Zwecke der Modernisierung zu begünstigen. Zwei Drittel dieses 450 000 Wohneinheiten umfassenden Altbaubestandes in Berlin, kann von den jetzigen Eigentümern nach der jetzt auf Grund von § 14 b Berlinförderungsgesetz geltenden Regelung nicht modernisiert werden, weil die Eigentümer finanziell dazu nicht in der Lage sind. Auch der Berliner Wirtschaftssenator hatte sich in einem Schreiben vom Januar dieses Jahres für die von uns vertretene Begünstigung des Erwerbes ausgesprochen. Es wäre interessant, zu erfahren, warum und wodurch sein Sinneswandel herbeigeführt worden ist. Die für die Ablehnung gegebene Begründung, die Mieten würden steigen und minderbemittelte Mieter müßten ausziehen, ist jedenfalls sehr vordergründig. Wenn nämlich in Berlin über die jetzt bestehenden Möglichkeiten hinaus nichts geschieht, werden die minderbemittelten Mieter spätestens in einigen Jahren ausziehen müssen, weil die Häuser dann verfallen sind und die Baupolizei eingreifen muß. ({2}) Aber dies scheint Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, nicht sonderlich zu interessieren, weil Sie selbst nicht mehr daran glauben, daß Sie dann noch in Berlin politisch verantwortlich sind. Nur müssen Sie wissen, daß Sie den Steuerzahler durch Ihre jetzigen Versäumnisse und Fehlentscheidungen zusätzlich und übermäßig belasten. Drittens. Nach alledem, was wir im Finanzausschuß erlebt haben, war nicht mehr zu erwarten, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bei der Grunderwerbsteuerbefreiung durch eine Verlängerung der Fünfjahresfrist für die Eigennutzung die Nachteile beseitigen würden, die Sie durch Ihre Änderungen des Mietrechts herbeigeführt hatten; ({3}) denn danach ist es durchaus möglich, daß ein Erwerber, der die erworbene Eigentumswohnung oder das Einfamilienhaus für drei Jahre vermietet hat, was ihm durchaus freisteht, innerhalb der Fünfjahresfrist diese auch eigennutzt, weil sich der Mieter auf Kündigungs- und Räumungsschutz beruft. Erfahrene Rechtsanwälte vermögen Räumungen nach dem jetzt geltenden Mietrecht bis zu sieben Jahren hinauszuzögern. ({4}) Viertens. In ebenfalls nicht überzeugender Weise lehnten Sie unseren Änderungsantrag ab, die Härten, die durch die 3. Konjunkturverordnung vom 7. Juni 1973 entstanden sind, wenigstens ab 1. Januar 1977 für die noch verbleibende Restzeit der normalen acht Abschreibungsjahre zu mildern; denn nach dieser Verordnung sollten die Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser und Eigentumswohnungen, für die der Antrag auf Baugenehmigung innerhalb des Zeitraums zwischen dem 8. Mai 1973 und dem 1. Mai 1974 gestellt worden waren, keine Abschreibung nach § 7 b erfahren können. Die Fraktion der CDU/CSU hat sich immer gegen diese Maßnahmen gewandt, weil sie sie für falsch und konjunkturschädlich gehalten hat. Diese Erkenntnis kam dann auch der damaligen Regierung, jedoch leider - wie fast immer - zu spät. Es wurde nur die Laufzeit dieser Verordnung auf den 1. Dezember 1973 begrenzt. Hier und heute hätte die Möglichkeit bestanden, vergangene Fehler und dadurch für den Bürger entstandene Härten, verbunden mit einem Beweis für Lernfähigkeit, zum Teil wiedergutzumachen. Statt dessen zogen Sie sich darauf zurück, daß die nachträgliche Aufhebung von konjunkturpolitischen Maßnahmen die Glaubwürdigkeit künftiger Maßnahmen in Frage stellen könnte. Ich meine, meine Damen und Herren von der Koalition, auch hier unterschätzen Sie die Vernunft und das Einsichtsvermögen unserer Burger. Unsere Bürger stellen nämlich darauf ab, ob es jemand verdient, daß man ihm glaubt, und ob das, was er macht, vernünftig ist. Diesbezüglich scheint mir diese Bundesregierung aber schon so weit unterhalb des Nullpunkts zu sein, daß sie hier verhältnismäßig unbeschwert agieren kann. ({5}) Fünftens. Ein weiterer kritischer Punkt ist, daß die Landkreise und die kreisfreien Städte infolge der Grunderwerbsteuerbefreiungen durch Einnahmeverluste belastet werden. ({6}) Wir wissen, daß dies im Rahmen dieses Gesetzes nicht regelbar ist, erwarten aber, daß die Bundesregierung bei den Verhandlungen über die Steuerneuverteilung hier Abhilfe schafft. ({7}) Sechstens. Daß es einige sinnvolle Gründe für den uns hier vorliegenden Gesetzentwurf gibt, habe ich bereits zu Anfang gesagt. Aber dies erübrigt nicht die Frage, ob nicht hinter diesem Gesetzentwurf doch in erster Linie große Wohnungsbaugesellschaften stehen, die sich von ihrem alten Wohnungsbestand trennen wollen, um ihn nicht modernisieren zu müssen und um liquide Mittel zu erlangen zum Bau neuer Wohnungen und zur Sanierung von ihnen nahestehenden Wohnungsbauunternehmen. Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden der „Neuen Heimat", Vietor, mit dem Tenor „Die Mieter - Eigner ihrer Sozialwohnung" zeigen durchaus in diese Richtung. Zum Schluß, meine Damen und Herren von der Koalition, möchte ich Ihnen meine Dankbarkeit für den Fall ankündigen, daß Sie mir einmal mitteilen könnten, wie Alternativen, Verbesserungsvorschläge und Mitarbeit aussehen müßten, damit sie von Ihnen nicht so, wie ich es soeben geschildert habe, abgespeist und abgetan würden. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Gobrecht.

Horst Gobrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein sehr verehrter Vorredner hat verbal versucht, dem großen Meister Franz Josef Strauß nachzueifern. Aber ich habe den Eindruck, daß er durch das Vorlesen ein bißchen daran gehindert worden ist, so recht zum Ausbruch zu kommen. Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Ausdehnung des § 7 b und die Erweiterung der Grunderwerbsteuerbefreiung für alle Eigentumswohnungen, Einfamilienhäuser und Zweifamilienhäuser. Dabei geht es uns darum, erstens dem Wunsch unserer Bürger nach Eigenturn beim Wohnen, nach dem eigenen Haus, der eigenen Wohnung auch dann Rechnung zu tragen, wenn das im Rahmen eines Neubaus zu teuer ist. - Dies ist der vermögenspolitische Aspekt der Neuregelung. Zweitens geht es uns darum, der Ausblutung der Innenstadtbereiche unserer großen Städte entgegenzuwirken, der Abwanderung junger Familien Einhalt zu gebieten und die Erneuerung des Altwohnbaubestands mit privaten Mitteln zu fördern. - Dies ist der städtebauliche und wohnungspolitische Aspekt. Drittens geht es uns darum, den Wunsch nach Eigentum im Wohnbereich und die erforderliche Mobilität der Bürger zu synchronisieren, indem die Möglichkeit eingeführt wird, die Sonderabschreibungen des § 7 b mitzunehmen, wenn der Wohnort gewechselt wird. - Dies ist der arbeitsmarktpolitische Aspekt. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, einige wichtige Punkte ansprechen. Erster Punkt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist - im Gegensatz zu dem Eindruck, den mein Vorredner zu erwecken versucht hat - für eine familienfreundliche Komponente beim § 7 b und zugleich für eine gerechtere Ausgestaltung dieser Steuerentlastungsvorschrift. Diese Vorhaben waren im jetzigen Gesetzgebungsverfahren nicht sogleich zu verwirklichen, weil hiermit - und das muß jeder,, der sich mit diesen Dingen beschäftigt, einräumen - schwierige Fragen verbunden sind, die wir jedenfalls - die Mehrheit im Finanzausschuß und in diesem Haus - nicht übers Knie brechen wollten. Außerdem wollten wir aber andererseits keine zeitlichen Verzögerungen; denn die Bürger erwarten zu Recht von uns nach der Ankündigung, daß diese neuen Begünstigungen so schnell wie möglich rückwirkend zum 1. Januar 1977 in Kraft gesetzt werden. Wir haben deshalb - und das zu betonen ist mir sehr wichtig - gemeinsam mit unserem Koalitionspartner eine Entschließung diesem Hohen Haus vorgelegt, die die Bundesregierung ersuchen soll, dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Dezember 1978 Modellrechnungen und Alternativmöglichkeiten vorzulegen, die eine Umstellung der Sonderabschreibungen des § 7 b Einkommensteuergesetz auf ein System der Direktförderung oder des Abzugs von der Steuerschuld jeweils unter Berücksichtigung familienfreundlicher Komponenten zum Gegenstand haben. Wir haben die Absicht, noch in dieser Legislaturperiode daraus Folgerung zu ziehen. Daß eine Zustimmung von Sozialdemokraten zu den Vorschlägen der Opposition, nämlich die Höchstbeträge erheblich heraufzusetzen und, wie ein Kollege in einem Zwischenruf vorhin schon gesagt hat, im Grunde genommen sozusagen Reiche und nicht Kinderreiche zu begünstigen, nicht in Frage kommt, bedarf sicher keiner weiteren Begründung. ({0}) Wenn die CDU/CSU heute auf rosa Papier uns für die morgige Abstimmung zu diesem Thema einen neuen Änderungsantrag vorlegt, dann möchte ich aus Höflichkeitsgründen annehmen, daß der CDU/ CSU-Fraktion ihre Mitglieder im Finanzausschuß abhanden gekommen waren, als sie über diesen Entschließungsentwurf abgestimmt und das hier vorgelegt hat; denn bestenfalls - mit Höflichkeit - ist daraus guter Wille zu erkennen. Aber am Sachverstand mangelt es doch sehr. Ich will mich auf knappe Fragen beschränken. Erstens. Wie soll denn die jeweils richtige Kinderzahl bei Absetzung für Abnutzung einkommensteuersystematisch überhaupt eingeordnet werden? ({1}) - Das habe ich sehr wohl gelesen. Warten Sie einmal ab, das kommt noch viel schlimmer. Zweitens. Der Begriff „eigengenutzt" ist im § 7 b Einkommensteuergesetz fremd. Das ist offenbar mit dem Grunderwerbsteuergesetz verwechselt. Das ist zwar in diesem Zusammenhang nahebei; aber die Verwechselung ist doch nicht ganz verzeihlich für eine so große Fraktion. Selbst wenn man das so wollte, wie es dieser Änderungsantrag vorsieht, muß man fragen, wann denn Kinder und welche Kinder berücksichtigt werden sollen, ob die da wohnen oder auswärts studieren, ob der Kindbegriff des Einkommensteuergesetzes oder der anderer Gesetze verwendet werden soll. Ich will es einmal dabei bewenden lassen. Aber schließlich die vierte Frage - und das wundert mich sehr und paßt natürlich gut zur deutschlandpolitischen Debatte, die wir hier gehabt haben -: Wie ist es denn möglich, daß eine so große Fraktion wie die der Opposition hier einen Entscheidungsvorschlag vorlegt, der für den § 7 b im Bundesgebiet eine solche Kinderbegünstigung vorsieht, aber die Kinder in Berlin ausnimmt? Da muß man doch wirklich sagen, in der deutschlandpolitischen Debatte werden Krokodilstränen geweint, und in der steuerpolitischen Debatte wird etwas vorgelegt, worin Berlin schlankweg nicht vorkommt und folglich die Kinder in Berlin unberücksichtigt blieben, wenn man das annähme. Das finde ich nicht gut. ({2}) Fazit: Die sozialdemokratische Fraktion wird diesen Antrag mit Sicherheit ablehnen müssen, denn der Antrag ist unausgegoren und unvernünftig. ({3}) Zweiter Punkt der Punkte, die ich erwähnen wollte: Die Prüfung, die wir in den Beratungen des Finanzausschusses und schon in der Vorbereitung auf die Beratungen des Finanzausschusses in meiner Fraktion hinsichtlich der Frage vorgenommen haben, für Objekte, für die 1973 aus konjunkturellen Gründen ein Ausschluß des § 7 b festgelegt war, ab 1977 wenigstens noch die restliche Abschreibung zu gewähren, ist negativ verlaufen, weil die teilweise Aufhebung dieser Konjunkturverordnung künftige Konjunkturlenkungsmaßnahmen von vornherein in nicht zu verantwortender Weise einschränken würde und weil mit einer solchen nachträglichen Aufhebung keine zusätzliche Eigentumsförderung - und das ist ja ein Punkt, den wir mit diesem Gesetzentwurf heute wollen - verbunden wäre. Dritter Punkt der Punkte, die ich erwähnen will. Wir folgen hinsichtlich der Berlin-Regelung den jetzigen Vorschlägen, die die Bundesregierung im Beratungsverfahren nach Abstimmung mit Berlin aus dem Bundesrat vorgelegt hat und die nach unserer Auffassung den besonderen Belangen Berlins Rechnung tragen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion lehnt die Vorschläge der CDU/CSU ab, auch Erwerbern von vor 1918 errichteten Mehrfamilienhäusern in den ersten drei Jahren eine erhöhte Absetzung von bis zu 50 v. H. der Anschaffungskosten zu gewähren; denn dadurch entstünden in Berlin sowohl soziale als auch städtebauliche Probleme, die wir nicht akzeptieren können, nämlich z. B. unerwünscht verstärkter Eigentumserwerb durch Abschreibungsgesellschaften. Dies können wir überhaupt nicht wollen. Die Gefahr städtebaulichen Wildwuchses entstünde. Außerdem hätte eine solche Regelung einen erheblichen Einfluß auf die Entwicklung der Mieten. Im übrigen - das wundert mich doch sehr, und das sage ich an die Adresse meines Vorredners - ist es ja schon heute so, daß 15 000 bis 20 000 Wohnungen von den privaten Eigentümern in Berlin renoviert werden. Es bedarf also auch aus dieser Sicht nicht einer solchen einseitig begünstigenden Abschreibungsregelung. Ich komme zur Schlußbemerkung. Die sozialliberale Bundesregierung hat mit diesem Vorschlag einen guten Gesetzentwurf über die Erweiterung steuerlicher Begünstigungen bei Wohngebäuden vorgelegt. Der Gesetzentwurf bringt erhebliche Verbesserungen für unsere Bürger, indem es - neben vielem anderen - Eigentum im Wohnbereich ermöglicht. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich die Erweiterung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes auf Altbauten und die entsprechende Grunderwerbsteuerbefreiung sowie die zügige Beratung im Finanzausschuß. Der Bürger wartet zu Recht auf dieses Gesetz; denn mit diesem Gesetz sind erhebliche Verbesserungen und Vergünstigungen beim Erwerb und Bau von Eigentumswohnungen und Eigenheimen für den Bürger verbunden. Leider ist durch diese Änderung der § 7 b noch komplizierter geworden, als er schon ist. Bereits heute umfaßt der Wortlaut des § 7 b ungefähr fünf Schreibmaschinenseiten. Lassen Sie mich deswegen die für den Bürger interessanten Merkmale dieses Gesetzentwurfes kurz in vier Punkten zusammenfassen. Erstens. Jeder Bürger kann einmal im Leben für den Bau oder die Anschaffung eines Ein- oder Zweifamilienhauses oder einer Eigentumswohnung, die zu mehr als zwei Dritteln Wohnzwecken dient, die Herstellungs- oder Anschaffungskosten innerhalb von acht Jahren zu je 5 % der Kosten bis zu einem Höchstbetrag von 150 000 DM bzw. 200 000 DM absetzen. Dabei ist das Alter des Gebäudes ohne Belang. Auch ist ohne Belang, ob ein Voreigentümer den § 7 b bereits in Anspruch genommen hat. Zweitens. Wenn die Absetzungen nicht voll in Anspruch genommen werden - z. B. weil der Steuerpflichtige etwa nach vier Jahren aus beruflichen Gründen unvorhergesehen umziehen muß -, kann er den § 7 b bei einem zweiten Objekt ausnutzen; er kann den § 7 b also bis zur Restlaufzeit mitnehmen. Drittens. Im Rahmen der Höchstbeträge sind auch die nachträglichen Herstellungskosten begünstigt. Das ist vor allem für Altbauten mit niedrigem Gebäudewert und hohem Modernisierungsaufwand von besonderem Interesse. Viertens. Der Erwerb der entsprechenden Gebäude ist dann, wenn sie zu zwei Dritteln Wohnzwecken dienen und innerhalb von fünf Jahren ein Jahr lang eigengenutzt werden, von der Grunderwerbsteuer befreit. Wir gehen davon aus, daß durch die Kombination dieser vier Merkmale einem Anliegen entsprochen wird, das aus städtebaulichen, wohnungspolitischen, vermögenspolitischen, konjunkturpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Gründen von großer Bedeutung ist. Erstens. In städtebaulicher Hinsicht hoffen wir, daß einer Verödung der Innenstädte, wie wir sie heute feststellen können, entgegengewirkt wird. Manche junge Familie, die sich heute entschließt, an den Stadtrand zu ziehen, um dort mit Hilfe des § 7 b einen Neubau zu errichten, wird in der Innenstadt wohnen bleiben. Auch mit den entsprechenden begünstigten Renovierungsaufträgen wird der Wohnwert in den Innenstädten erhöht werden, so daß dieses Gesetz mit Sicherheit ein Beitrag gegen die Stadtflucht sein wird. Ein Weiteres: Unter vermögenspolitischen Gesichtspunkten ist dieser Gesetzentwurf besonders bedeutsam, da jetzt auch weniger begüterte Kreise in den Genuß von Wohneigentum kommen werden, weil sie dann in der Lage sein werden, den sehr viel billigeren Altbau zu kaufen, statt den teuren Neubau errichten zu müssen. Konjunkturpolitisch - das war ja ein entscheidender Grund für dieses Gesetz - erhoffen wir uns erhebliche Renovierungsaufträge gerade für sehr alte Gebäude mit niedrigem Gebäudewert und hohem Modernisierungsbedarf. Das wird im Ausbaugewerbe zu sehr vielen zusätzlichen Aufträgen führen. Das ist auch der Grund, warum wir die zügige Verabschiedung begrüßen; denn obwohl die Bundesregierung seit Monaten erklärt, daß dieser Gesetzentwurf rückwirkend zum 1. Januar 1977 wirksam werden wird, warten doch sehr viele Leute mit einer Bau- oder Kaufentscheidung ab, um sicherzugehen, daß das Gesetz auch kommt. Eine zügige Entscheidung des Bundestages ist also sehr wichtig, damit ein möglicher Attentismus verhindert wird. Deswegen haben wir auch die, wie ich finde, sehr sachliche und informative Aufklärungsanzeige der Bundesregierung vor einiger Zeit in deutschen Tageszeitungen begrüßt. ({0}) - Sie schütteln den Kopf. Ich glaube, daß war nun wirklich ein Vorbild von sachlicher Information, auf die die Bürger auch Wert legen. ({1}) Arbeitsmarktpolitisch erhoffen wir uns positive Auswirkungen auf die Mobilität. Wer hat nicht schon Nachbarn in seiner Umgebung wohnen gehabt, die ganz gerne in einer anderen Stadt einen Arbeitsplatz angenommen hätten, sich aber scheuten, weil ihnen dann der § 7 b verlorengegangen wäre? Die Kombination der Mitnahmemöglichkeit des § 7 b und der Befreiung von der Grunderwerbsteuer wird die Mobilität ganz sicher erleichtern. Aus mobilitätspolitischen Gründen mußten wir im Ausschuß auch den Antrag der CDU/CSU ablehnen, die Frist, binnen derer Eigennutzung von einem Jahr notwendig sein soll, von fünf auf zehn Jahre zu erhöhen. Die vorgesehene Steuerbefreiung soll dazu dienen, Bürgern, die z. B. aus beruflichen Gründen gezwungen sind, ihr Eigenheim aufzugeben und in ein anderes zu ziehen, den notwendigen Arbeitsplatzwechsel zu ermöglichen. In einem solchen Fall - sicher dem Normalfall - wird der Bürger, der in ein neues Eigenheim, in eine neue Eigentumswohnung zieht, in aller Regel darauf achten, daß diese auch frei sind, daß er also binnen weniger Wochen und Monate in dieses Objekt einziehen kann. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Fünfjahresfrist, binnen der nach dem Gesetzentwurf ein Jahr lang Eigennutzung Voraussetzung ist, meiner Meinung nach schon außerordentlich lang. Eine Verlängerung auf zehn Jahre ist unter diesem Gesichtspunkt völlig überflüssig. Diese Grunderwerbsteuerbefreiung hat nämlich nicht das Ziel, das An- und das Verkaufen von Eigenheimen und Eigentumswohnungen zu begünstigen, die dann weitervermietet werden sollen. Nun zu dem Antrag der CDU/CSU betr. die familienpolitische Komponente. Wir haben einen solchen Antrag im Ausschuß abgelehnt, und wir von der FDP-Fraktion werden auch den neuen Antrag bei der morgigen Abstimmung ablehnen. Herr Kollege Gobrecht hat schon verschiedenes dazu gesagt. Lassen Sie mich noch andere Dinge hier hinzufügen: Wir halten die vorgesehene Abstellung einer Verlängerung des Begünstigungszeitraums auf das achte Jahr für völlig willkürlich. Warum prüfen Sie nicht die Kinderzahl im siebenten oder sechsten Jahr? Ist es nicht sehr viel sinnvoller, das erste Jahr zu nehmen? Denn wenn es richtig ist, daß der Wohnraumbedarf mit der Kinderzahl steigt - ,das stimmt in der Tat -, dann kommt es selbstverständlich auf das erste und nicht auf das achte Jahr an. ({2}) - Ich komme gleich dazu. Immer langsam. Wir haben ja schließlich hier einen Entschließungsantrag vorgelegt. ({3}) Ein Weiteres. Sie sagen in Ihrer Begründung - ich darf zitieren -, die Feststellung der Kinderzahl im achten Jahr erlaubt es jungen Familien, Wohnraum für eine gegebenenfalls noch wachsende Familie zu planen. Wie ist das zu verstehen? Wenn das Kind nun erst im neunten Jahr oder im zehnten Jahr kommt, dann ist die Vergünstigung nach § 7 b weg. Was machen Sie für den Fall, daß eine Frau im achten Jahr des Begünstigungszeitraums schwanger ist, und andere Dinge mehr? Dieses Abstellen auf das achte Jahr ist völlig willkürlich. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köster?

Gottfried Köster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, könnten Sie mir einen Rat geben, welches Jahr wir auf Grund Ihrer Erfahrungen als zweckmäßig einsetzen sollten?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gehe sofort auf die Vorschläge, ,die wir für eine familienpolitische Komponente vorsehen, ein. Da schlagen wir nämlich vor, bei der Direktförderung auf das Jahr abzustellen, in dem das Kind schon da ist, oder aber, wenn der Zuschuß auf mehrere Jahre aufgeteilt werden werden sollte - das ist noch völlig offen -, dann pro Jahr den direkten Zuschuß pro Kind zu erhöhen. Furchtbar einfach! Ein zweiter Punkt spricht gegen Ihren Antrag. Sie schaffen ein neues Zuordnungsproblem. Wir haben doch alle im Ausschuß und hier im Plenum das Problem der Kinderadditive miterlebt. Wem sollen Kinderadditive bei der Scheidung zugeordnet werden? Sie schaffen hier durch den vorliegenden Antrag ein neues Problem. Wem soll z. B. eine solche Begünstigung zugeordnet werden, wenn eine Ehe geschieden wird? Was schlagen Sie da vor? Ein zusätzliches Zuordnungsproblem entsteht. ({0}) - Entschuldigen Sie, Sie können doch nicht sehenden Auges in ein Problem hineinlaufen, das wir heute kennen und für das übrigens die FDP beim Steuerpaket sehr konkrete Vorschläge gemacht hat, die Sie bisher abgelehnt haben. ({1}) Drittens - das ist für uns das Hauptargument -: Eine Berücksichtigung der Kinderzahl ist mit dem System von Abschreibungen nun beim besten Willen nicht zu vereinbaren. Eine Berücksichtigung von Kinderzahlen bei Abschreibung gibt es im ganzen deutschen Einkommensteuerrecht nicht. Das hat es nicht gegeben. ({2}) Von daher sehe ich folgende Gefahr. Wenn wir einmal zulassen, daß eine Sache anders als sonst üblich, nämlich unter Berücksichtigung der Kinderzahl, abgeschrieben werden kann, dann frage ich Sie: Was soll man dann bei anderen Abschreibungsmöglichkeiten gegen die gleiche Argumentation und gegen gleiche Wünsche entgegenhalten? Herr Köster, ich glaube, es ist kein Zufall - das wissen Sie ja auch -, daß dieser Antrag, der hier heute auf dem Tisch liegt, nicht von Ihren Steuerfachleuten gekommen und begründet worden ist - im Ausschuß übrigens auch nicht -, weil dann nämlich klar würde, daß dieser Vorschlag unter steuersystematischen Gründen Schlichtweg abenteuerlich ist. ({3}) Was haben wir uns vorgestellt, und was stellen wir uns vor? Die Koalition und die FDP-Bundestagsfraktion wollen eine familienpolitische Komponente. ({4}) Das wollen sie, und aus diesem Grunde haben wir ja den Entschließungsantrag hier vorgelegt, weil Sie nach unserer Ansicht diese familienpolitische Komponente im Rahmen einer Abschreibungsregelung nicht erreichen können. ({5}) Wir meinen, daß aber bei einer Umstellung von der heutigen Abschreibungsregelung auf ein anderes Förderungssystem eine familienpolitische Komponente zu berücksichtigen wäre. Aus diesem Grunde haben wir die Regierung gebeten, bis Ende 1978 entsprechende Vorschläge zu machen. Sie wissen - ich habe das auch schon in der ersten Lesung gesagt -, daß ich persönlich eine solche Umstellung auch aus anderen Gründen sehr bevorzugen würde. Denn eines kommt in der ganzen öffentlichen Diskussion und auch bei Ihnen viel zu kurz. Herr Voss, Sie sprachen hier von bürokratischer Lenkung bei einer Umstellung. Sie müßten nun doch wirklich einmal konkret beweisen, wieso es ein Ausdruck von mehr Lenkung sein soll, wenn man statt einer Abschreibungsregelung einen direkten positiven Förderungsbetrag einführt. Ich kann z. B. unser heutiges Kindergeldsystem, das ja von einem vorherigen Kinderfreibetrag auf einen direkten Förderungsbetrag umgestellt ist, nicht für bürokratischer als das bisherige System halten. Und es ist mit Sicherheit gerechter. ({6}) Ein wichtiger Grund für die Umstellung ist der konjunkturpolitische Effekt. Wenn eine solche Umstellung mit dem Ergebnis erfolgen würde, daß zu Beginn des Bauens das, was bisher über acht Jahre in einer Steuersubvention verteilt worden ist, aufsummiert in einem festen Zuschußbetrag gezahlt würde, würde dies zweifellos bisher Bauwillige, die aber nicht in der Lage waren, das erforderliche Eigenkapital zu Beginn des Bauens zur Verfügung zu stellen, in die Lage bringen, tatsächlich zu bauen. Wir hätten also nicht nur einen zusätzlichen vermögenspolitischen Effekt, sondern auch einen konjunkturpolitischen, weil mit der Eröffnung einer solchen Möglichkeit zusätzliche Bevölkerungskreise ein Haus bauen könnten, ({7}) da sie ja dann das erforderliche Startkapital hätten. Und schließlich wäre eine solche Umstellung wegen der nicht mehr vorhandenen Progressionswirkung auch sozial gerechter. Das kann man, glaube ich, nicht bestreiten. Ein letztes zu diesem Punkt: Die FDP-Fraktion ist in der Frage des Ob einer Umstellung und des Wie einer Umstellung noch offen und unentschieden. Wir werden dies entscheiden, wenn bis Ende des Jahres 1978 von der Regierung entsprechende Alternativvorschläge und -berechnungen vorgelegt werden. Sie haben auch beantragt, die Aussetzung des 7 b für das Jahre 1973 rückgängig zu machen. Meine Damen und Herren, konjunkturpolitische Maßnahmen wie die genannte Aussetzung des § 7 b haben das Ziel, die Bürger durch staatliche Anreize oder durch das Weglassen von Anreizen zu einem bestimmten Verhalten zu motivieren. Konjunkturpolitische Maßnahmen würden in Zukunft völlig unglaubwürdig, wenn der Bürger darauf hoffen könnte, ein konjunkturpolitisch unerwünschtes Verhalten später dadurch honoriert zu bekommen, daß die Regierung später eine solche Maßnahme rückgängig machen würde. Das heißt, konjunkturpolitische MaßFrau Matthäus-Maier nahmen würden in Zukunft ins Leere laufen, wenn wir sie nachträglich wieder rückgängig machen würden. Ein weiteres: Keines der Ziele die die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf verfolgt, würde durch eine nachträgliche Gewährung des § 7 b für die Bürger, die im Jahre 1973 den Bauantrag gestellt haben, erreicht. Zum Beispiel würde das eigentums- und wohnungspolitische Ziel nicht erreicht, denn diese Leute haben ja bereits 1973 gebaut und sind Eigentümer geworden. Auch das konjunkturpolitische Ziel dieses Gesetzes würde nicht erreicht, denn der Bau steht ja bereits und soll nicht etwa erst gebaut werden. Auch die mobilitätspolitische Zielsetzung würde überhaupt nicht zum Tragen kommen, denn entweder fühlen sich die Bürger in dem 1973 gebauten Haus wohl und wollen auch dort bleiben - dann brauchen sie keinen mobilitätspolitischen Anreiz -, oder sie wollen umziehen; dann können sie das immer noch, denn wer damals gebaut hat, hat nicht den § 7 b verloren, sondern kann ihn für ein anderes Bau- oder Erwerbsobjekt in Anspruch nehmen. ({8}) Selbstverständlich sind mit dieser Regelung Härten im Einzelfall verbunden. Doch Härten entstehen auch für jene Bürger, die im August, September oder Oktober des vorigen Jahres einen Altbau erworben haben und nicht in den Genuß des § 7 b gekommen sind. Dies kann also keine Begründung für eine Aussetzung sein. Ich will nicht verschweigen, daß bei der jetzigen Regelung des § 7 Probleme offengeblieben sind, die wir unter Umständen in Zukunft durch Novellierung behandeln müssen. Ich möchte nur ein Beispiel nennen. In dem Gesetzentwurf ist wie im geltenden Recht geregelt, daß der Anteil an einem Objekt zum Objektverbrauch am gesamten Objekt führt. Dies gilt nicht für Ehegatten, solange die Ehe besteht, da diese zweimal den § 7 b in Anspruch nehmen können und zwar auch für Häuser, die gemeinschaftliches Eigentum der Ehegatten sind. Aber es kann folgende Situation eintreten, die wir im Finanzausschuß diskutiert haben. Wenn beide Ehepartner den § 7 b in Anspruch nehmen wollen, dann können sie es in einer intakten Ehe nebeneinander oder hintereinander tun. Das ist unproblematisch. Es kann jedoch der Fall eintreten, daß, nachdem ein Ehepaar den § 7 b einmal in Anspruch genommen hat, nach der Scheidung der Ehe der § 7 b nicht zum zweitenmal in Anspruch genommen werden kann, weil durch den Anteil an dem Objekt Objektverbrauch für beide insgesamt eingetreten ist. Das würde mit Sicherheit im Einzelfall zu erheblichen Härten führen. Denn dies würde nur bei gemeinschaftlichem Eigentum der Ehegatten eintreten. Aber eigentlich wünschen wir ja gemeinschaftliches Eigentum der Ehegatten, weil es Ausdruck der partnerschaftlichen Beziehungen in einer Ehe ist. Wir von der SPD haben dies zwar im Ausschuß angesprochen, meinen aber, daß eine Lösung dieses Problems außerordentlich kompliziert ist. Falls sich Unzuträglichkeiten einstellen, müssen wir darauf zurückkommen. Mein letztes Wort gilt der Berlin-Regelung des § 7 b. Herr Gobrecht hat die Anträge der CDU/CSU zu Berlin im einzelnen mit der zutreffenden Begründung zurückgewiesen. Ich möchte nur noch hinzufügen: Wenn Sie so sehr für Berlin eintreten wollen, dann ist uns völlig unerklärlich, warum der Bundestagsausschuß für innerdeutsche Beziehungen in seiner Sitzung in Berlin das zwischen dem Senat von Berlin und der Bundesregierung abgestimmte Förderungskonzept für die Altbausanierung e i n s t i mm i g gebilligt hat. Sie müssen doch wissen, was Sie wollen! Wenn der Innerdeutsche Ausschuß einstimmig meint, das sei so in Ordnung, dann wird Berlin doch wohl ausreichend berücksichtigt worden sein. Ich komme zum Schluß. Nach dem Rentenpaket, nach dem Gesetz zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen und mit dem morgen zu verabschiedenden Gesetzentwurf zur Abschaffung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer verwirktlicht der Bundestag mit diesem Gesetzentwurf zu § 7 b und zur Grunderwerbsteuererleichterung einen wichtigen Programmpunkt aus der Regierungserklärung der sozialliberalen Koalition vom Dezember 1976. Dies zeigt, daß die sozialliberale Koalition nach einem - wie ich finde - etwas schlechten Start Tritt gefaßt hat und dabei ist, die Gesetzesvorhaben, die sie sich vorgenommen hat, zügig durchzuführen. ({9})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Köster.

Gottfried Köster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zu so später Stunde ist es notwendig, über einige Punkte unseres Änderungsantrags zu sprechen und in Erinnerung zu rufen, daß die Mehrheit des Finanzausschusses den Versuch der CDU/ CSU-Fraktion, dem § 7 b eine familienfreundliche Ausprägung zu geben, mit der - heute wiederholten - Begründung abgelehnt hat, aus steuersystematischen Gründen könnten im gegenwärtigen System des § 7 b familiäre Kriterien keinen Platz und keine Berücksichtigung finden. Die Vordergründigkeit dieser Argumentation ist auch daran erkennbar, daß dieselbe Mehrheit den Wunsch der CDU/ CSU ablehnte, die Bundesregierung um Prüfung zu bitten, ob die Berücksichtigung einer familienfreundlichen Komponente auch ohne Systemumstellung im Rahmen des geltenden § 7 b möglich ist. Ich bedanke mich bei Herrn Staatssekretär Offergeld, daß er heute abend nochmals prüfen will, ob die Ausdehnung unseres Antrags auf Berlin möglich ist. Wir haben dann einen der wesentlichen Punkte, die Herr Gobrecht vorgebracht hat, beseitigt. Die SPD/FDP-Koalition hat also verhindert, daß das Finanzministerium tätig werden konnte, einen vollständigen Vorschlag auszuarbeiten, der den Familien auf andere Weise als durch bloße Erhöhung der Höchstbeträge hätte helfen können. Wir haben uns trotzdem entschlossen, einen Änderungsantrag - also eine wirkliche Alternative, nach der ja immer geschrien wird - zu stellen, der systemgerecht und familienfreundlich ist. Der von der CDU/CSU zuerst im Ausschuß gemachte Vorschlag der Erhöhung der Höchstbeträge für kinderreiche Familien mit drei und mehr Kindern sollte den Charakter einer Sofortmaßnahme haben. Von einer Soforthilfemaßnahme kann man nicht die familienpolitische Ausfeilung und Ausprägung erwarten, die im Interesse auch finanzschwacher Familien wünschenswert war. Der heute vorgelegte Änderungsantrag erfüllt die Bedingungen einer familienfreundlichen Ausprägung des § 7 b. Ein gerechter Familienlastenausgleich, wo immer er zum Tragen kommt, kann auf eine duale Struktur nicht verzichten. Ein gerechter Familienlastenausgleich muß einerseits die Existenzsicherung von finanzschwachen Familien mit Kindern gewährleisten, andererseits aber auch das Engagement einer finanziell leistungsfähigeren Familie für ihre Kinder angemessen berücksichtigen. Familienlastenausgleich in einem leistungsorientierten, sozial geprägten Staat kann weder auf das Instrument einer Sockelgarantie verzichten, wie es beim Kindergeld, Wohngeld, in der Sozialhilfe, im BAföG oder bei der Wohnungsbauprämie angewandt wird, noch darauf verzichten, daß finanziell leistungsfähige Familien mit Kindern gegenüber Familien gleicher Leistungsfähigkeit ohne Kinder durch Freibeträge einen Ausgleich für ungleiche steuerliche Belastungsfähigkeit erhalten. Wenn wir diese Grundsätze für eine familienfreundliche Gestaltung des § 7 b anwenden, müssen wir die Familien berücksichtigen, die finanziell unabhängiger sind und durch Mehraufwendungen für ihre Kinder sich den notwendigen Wohnraum selber beschaffen können, dürfen aber auch und vor allem diejenigen Familien nicht aus den Augen verlieren, die wegen ihrer Kinderzahl und der damit verbundenen Finanzschwäche nicht in der Lage sind, steuerliche Vergünstigungen durch erhöhte Aufwendungen in Anspruch zu nehmen. Wer bei einer familienfreundlichen Gestaltung Familien mit Kindern vergißt, die eben nicht in der Lage sind, 150 000 DM für den Neubau oder den Erwerb eines Altbaus für ihren Wohnbedarf bereitzustellen, genügt den Anforderungen eines gerechten Familienausgleichs nicht. Die Wirklichkeit sieht doch so aus, daß viele Familien den notwendigen Wohnraum für ihre Kinder dadurch bereitstellen, daß sie durch hohe Selbsthilfe beim Neubau oder durch Selbsthilfe bei Reparaturen nicht zu teurer Altbauten ihr Ziel zu erreichen suchen. Der Wert der eigenen Arbeitsleistung aber gehört nicht zu den begünstigten Herstellungskosten. Dieser Leistung kann man nur dadurch gerecht werden, daß man den Begünstigungszeitraum verlängert: für ein oder zwei Kinder um ein Jahr usw., wie es in unserem Antrag vorgesehen ist, im Höchstfall - also bei sechs und mehr Kindern - um vier Jahre. Die Verlängerung des Begünstigungszeitraumes für Familien mit Kindern hat den Charakter eines Freibetrages, der um so besser wirksam wird, als Familien mit und ohne Kinder - und das ist von der Koalition nie erwähnt worden - seit dem 1. Januar 1975 bei gleichem Einkommen gleiche Einkommen- oder Lohnsteuer zu zahlen haben. Unser Vorschlag ist steuersystematisch nicht anfechtbar. Herr Gobrecht hat ein wenig überheblich unseren Vorschlag als unausgegoren, unvernünftig bezeichnet, „kein Sachverstand". So etwas sagt man nicht ohne Begründung, wenn man fair mit dem politischen Gegner umgeht. ({0}) Wir begrenzen die Anwendbarkeit der von uns vorgeschlagenen Regelung auf selbst genutztes Wohneigentum. Es wird also nur der Personenkreis berücksichtigt, der auch unter § 21 a des Einkommensteuergesetzes fällt. Ist Ihnen bekannt, daß bis vor wenigen Jahren der § 7 b als Instrument auch auf eigengenutzte Wohnungen eingeschränkt war? Derjenige, der § 21 a in Anspruch nehmen kann, ist berechtigt, den Nutzungswert der eigengenutzten Wohnung mit 1,4 % des Einheitswertes jährlich abzugelten. Unabhängig davon, ob diese Vorschrift nun sinnvoll ist oder nicht, erlaubt sie dem Eigentümer einer eigengenutzten Wohnung wegen des niedrig bemessenen Nutzwertes die zusätzliche Abschreibung nach § 7 b, die er acht Jahre lang in Anspruch nehmen kann. Was also Frau Matthäus eben so klug gesagt hat - daß alles dem Abschreibungsgrundsatz unterstellt werden müsse -, ist falsch, denn derjenige, der eine eigengenutzte Wohnung bewohnt und § 7 b in Anspruch nimmt, schreibt 140 % ab. Wenn das so ist, ist die Erweiterung der Abschreibungsmöglichkeit für Familien mit Kindern durch Verlängerung der Abschreibungszeit in dieser Beziehung also keine Abweichung im System, sondern nur eine Abweichung einer Meßzahl. Statt 8 Zwanzigstel von den Herstellungs- und Erwerbskosten zusätzlich abschreiben zu können, wird auch nach unserem Vorschlag eine Familie mit Kindern 9, 10, 11, im Höchstfalle 12 Zwanzigstel über die volle Abschreibung hinaus abschreiben können. Das scheint Herr Gobrecht noch nicht verstanden zu haben. Unsere Lösung macht auch keine weiteren Feststellungen durch die Finanzverwaltungen erforderlich als die, die schon in jeder Einkommensteuererklärung zu machen sind. Die Kinderzahl ist wegen der Kinderadditive und der Kirchensteuer festzustellen. Es ist Gerede, wenn man sagt, daß dieses eine sachfremde, in der Einkommensteuererklärung nicht vorhandene Feststellung sei. Eine Kontrolle über die Jahre der Abschreibung ist sowieso zu führen. Ob die Wohnung eigengenutzt ist, ergibt sich aus der Angabe über den Nutzungswert. Wir haben keine Abweichung von der Systematik des bisherigen § 7 b feststellen können. Auch in der Verbindung mit eigengenutzten Häusern mit Einliegerwohnungen halten sich die Veränderungen im Rahmen der bisherigen Toleranzgrenzen auf die Abschreibungszeit. Bei Inanspruchnahme des § 7 b wird die normale Abschreibungszeit eines Gebäudes von 50 Jahren auf 48 Jahre, d. h. um zwei Jahre verkürzt. In unserem Falle würde die Abschreibungszeit bei Familien mit mehr als sechs KinKöster dern auf 52 Jahre verlängert. Das sind auch nur 4 % Abweichung von der Abschreibungszeit, wenn man den Restwert 40 Jahre lang mit 2,5 % abschreiben kann. Auch hier haben wir also keinen Übergang geschaffen, der holpriger wäre als der, der bereits durch die vorhandene Gesetzgebung existiert, wenn man sich als Norm an einer 2 %igen Abschreibung in 50 Jahren orientiert. Die Feststellung der Kinderzahl im achten Jahr der Anwendung des § 7 b erlaubt es, wie eben schon zitiert wurde, jungen Familien, in den Wohnraum hineinzuwachsen. Ich möchte als familienpolitisch interessierter Politiker darauf hinweisen, daß sich vielfach nach unserer Gesetzgebung erst dann der Fall der Sozialberechtigung, der Unterstützung kinderreicher Familien ergibt, wenn ihre Wohnungen überbelegt sind. Ich möchte bewirken, daß durch eine vernünftige Familienplanung erreicht werden kann, daß Familien gemäß ihrer Größe in Wohnungen hineinwachsen und daß sie keinen Zeitpunkt erleben müssen, wo sie in einer überbelegten Wohnung sitzen. Frau Matthäus hat diese Probleme sicher nicht erkannt. In meinem Wahlkreis, in dem ich mit Erfolg kandidiert habe und sie auch kandidiert hat, wird sie Gelegenheit haben, diese Probleme bei den Familien zu studieren, die solche Probleme haben. ({1}) Mir scheint - und das möchte ich Frau Matthäus zugestehen -, daß man darüber streiten kann, ob man für die Festsetzung des Verlängerungszeitraums das achte oder das erste Jahr heranziehen soll.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Köster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Gattermann?

Gottfried Köster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, bitte schön.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Köster, ich gehe mit Ihnen davon aus, daß Sie mit Ihrer familiengerechten Komponente - ({0}) - Um die Frage verständlich zu machen ist leider die Voraussetzung, daß ich diesen einen Satz sage. Ich gehe mit Ihnen davon aus, daß Sie nur für die Zukunft die Anschaffung von Eigenheimen und Wohnungen durch kinderreiche Familien anreizen wollen. Stimmen Sie mir darin zu, daß sich nach der Formulierung Ihres Antrages die finanziellen Auswirkungen und Entlastungen erst nach acht Jahren einstellen, so daß Sie eigentlich mit uns zusammen Zeit hätten, die Lösung dieses Problems nach Vorlage der Ergebnisse der durch unseren Entschließungsantrag geforderten Prüfung zu suchen? ({1})

Gottfried Köster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich erst den Satz zu Ende bringen, den ich noch Frau Matthäus sagen wollte. Wenn an dem Feststellungszeitpunkt - achtes oder erstes Jahr - die Zustimmung hängen sollte, bin ich gerne bereit, auf die Vorschläge von Frau Matthäus-Meier einzugehen. Dies war der erste Punkt. Zweiter Punkt: Das Problem der Eigenkapitalbeschaffung ist sicher ein Problem, dem wir uns zuwenden müssen. Ich bin durchaus bereit, als Politiker in meiner Fraktion, außerhalb der Fraktion, überall im vorparlamentarischen Raum mitzuarbeiten, um eine Lösung des Problems der Eigenkapitalbeschaffung für finanzschwache Familien zu finden. Aber bedenken Sie auch, daß eine Familie, die zwölf Jahre die Sonderabschreibungen nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes in Anspruch nehmen kann, tatsächlich die Möglichkeit hätte, diesen Anspruch, der voraussehbar ist, zu beleihen, daß diese Familie, ob sie nun fünf oder sechs Kinder hat, die gleiche Einkommensteuer wie eine Familie ohne Kinder mit gleichem Einkommen zahlen muß und daß insofern dieses System durchaus zur Eigenkapitalfinanzierung und -bereitstellung genutzt werden kann. Unser Vorschlag, den § 7 b des Einkommensteuergesetzes familienfreundlicher zu gestalten, bringt keine Verwaltungsmehrarbeit. ({0}) Eine besondere Systemwidrigkeit ist nicht nachzuweisen. Er hilft allen Familien mit Kindern, ein Wohneigenturn leichter zu erwerben als bisher, ohne die finanzschwachen Familien zu vergessen. Ich hoffe auf ihre Zustimmung am morgigen Tag. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Weitere Wortmeldungen liegen hierzu nicht vor. Wir werden die Abstimmung zur zweiten und dritten Lesung morgen früh vornehmen, und zwar nach Beendigung der Beratungen zu Punkt 7 der Tagesordnung. Ich rufe nunmehr den Punkt 9 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes - Drucksache 8/370 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß ({0}) Innenausschuß Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete de Terra. de Terra ({1}) : Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist ein kurzer Entwurf. Er richtet unsere Blicke auf ein Problem unserer Bundeswehr. Ich bitte mich da richtig zu verstehen: mit der Betonung „unsere Bun2146 de Terra deswehr" meine ich alle Seiten des Hauses. Ich nehme das Ergebnis vorweg: Der Entwurf weist einen Weg, der verspricht, das Problem erfolgreich zu bewältigen. Anders als in anderen Bereichen bilden wir unsere Soldaten in einer Art und Weise aus, daß sie auch anderweitig gut genutzt werden können. Aber die Erfüllung der Aufgaben unserer Bundeswehr erfordert es, daß wir die Herren auch behalten dürfen. Ich möchte dem Eindruck entgegenwirken, den eine flüchtige Kenntnisnahme des Entwurfs aufkommen lassen würde, nämlich daß uns die Herren hier etwa in Scharen weglaufen würden. Das wäre nachteilig; denn wer die Verpflichtung bei der Bundeswehr als Lebensberuf wählt, sollte von dem Verdacht frei sein, schon in Kürze seine Meinung zu ändern und die Bundeswehr wieder verlassen zu wollen. Es gibt bestimmte Gruppen, die, wenn sie auch der Zahl nach klein sind, für die Verteidigungsbereitschaft unserer Bundeswehr so wichtig sind, daß wir sie behalten möchten. Das in die Ausbildung investierte Kapital rechtfertigt es auch, diese Gruppen längere Zeit zu nutzen. Ich erwähne zwei Gedanken, die wir bei der Beratung des Entwurfs sicherlich prüfen werden. Das eine ist die Frage der Ausgewogenheit der Gruppen, die den Status des Berufssoldaten haben, und der Gruppen, die von Zeitsoldaten gebildet werden. Das kann natürlich die Gewichtigkeit dieses Gesetzes nach der einen oder anderen Seite beeinflussen. Einen besonders kritischen Blick werfe ich aber auf die Übergangsvorschriften. Hier ist - ich unterstelle das - entsprechend der Rechtsprechung sicherlich ein vorsichtiger Weg vorgeschlagen worden, durch den vermieden werden soll, daß kritische Situationen entstehen, die zu weiterer Rechtsprechung Anlaß geben. Ich meine aber, unsere Hochachtung vor den Gerichten sollte immer eine kritische Hochachtung sein. Ich würde gern diese Übergangsvorschriften in der Richtung geändert sehen, daß wir dem Ziel, das wir mit diesem Gesetz erreichen wollen, noch näher kommen. Der Zeitraum, bis die Auswirkungen des Gesetzes sichtbar werden, sollte nicht zu weit gezogen werden. Bei den Beratungen des Gesetzentwurfs sollten wir gerade dieser Vorschrift unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Ich schließe mit dem Gedanken, mit dem ich meine kurzen Ausführungen begonnen habe. Hier wird uns ein Problem der Bundeswehr vorgeführt. Der Entwurf weist einen Weg, der mir vielversprechend erscheint. Wir können das Ziel auf dem vorgeschlagenen Weg erreichen. Ich meine, wir werden diesem Gesetzentwurf nach der Behandlung in den Ausschüssen einmütig zustimmen können. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hinsichtlich dessen, was Herr Kollege de Terra gesagt hat, stimme ich damit überein, daß wir im Ausschuß die Übergangsvorschriften tatsächlich noch einmal prüfen sollten. Ich sage ganz freimütig, daß ich nicht in der Lage bin, abzuschätzen, welche rechtlichen Auswirkungen sie haben. Aber wir sollten das noch einmal prüfen. Dieses Gesetz schließt eine Lücke. Wer in der Bundeswehr eine Ausbildung in Anspruch nimmt, sollte auch für eine angemessene Zeit in der Bundeswehr entsprechend nutzbar verwendet werden. Wir verfolgen dabei zwei Ziele. Einmal soll die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte gewährleistet werden. Dabei geht es um jene Funktionen, für die eine lange Ausbildung notwendig ist. Zum zweiten geht es hier auch um eine Frage der Gerechtigkeit. Ich sage das in aller Offenheit. Wir wollen hier keine Lücke für Leute offenlassen, die sich auf billige Art und Weise eine wertvolle Ausbildung sichern wollen, ohne dafür eine Leistung zu erbringen. Auch das muß man sehen. Der Inhalt des Gesetzentwurfs besagt, daß mindestens die dreifache Zeit der Ausbildung als Dienstzeit zu erbringen ist. Das stellt nach meiner Auffassung eine sinnvolle Relation zwischen Ausbildungs- und Verwendungszeit dar. Damit werden die Voraussetzungen erfüllt, die wir im Ausschuß immer wieder von dem neuen Bildungs- und Ausbildungskonzept verlangt haben. Die sozialliberale Koalition verbesserte in einem erheblichen Maße die Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten. Solche wurden neu geschaffen. Von Anfang an haben wir aber auch betont, daß wir das nicht einfach im Sinne eines vorgegebenen Systems machen wollten. Darin waren sich alle Fraktionen einig. In den Ausbildungs- und Rechtsfragen wollten wir vielmehr jeweils an den Erfahrungen lernen, die wir bei der Entwicklung der Ausbildungsstufen gewonnen haben. Das hat in diesem Bereich als Konsequenz zu entsprechenden Verbesserungen im Ausbildungssystem geführt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein kleiner Schritt dahin, Mißbrauch zu verhindern, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr bei den Funktionsstellen zu garantieren und auch dem Soldaten eine klare Ausbildungsplanung zu eröffnen und damit zur Verbesserung des Bildungs- und Ausbildungsbereichs in der Bundeswehr beizutragen. Wir stimmen der vorgeschlagenen Überweisung des Gesetzentwurfs zu. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Ludewig.

Walther Ludewig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001383, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Zielsetzung, die Lösung und die Begründung für den Gesetzentwurf Drucksache 8/370 vom 10. Mai 1977 möchte ich nicht, auch nicht mit anderen Worten, wiederholen. Jedoch darf darauf hingewiesen werden, daß die FDP bereits seit vielen Jahren gefordert hat, eine im militärischen Rahmen erfolgenLudewig de spezielle Ausbildung an den Hochschulen, an den Fachschulen oder an den Waffenschulen der Bundeswehr so zu definieren, daß sie auch im zivilen Bereich verwendbar ist. Gott sei Dank ist es noch nicht so weit, daß die Bundeswehr etwa auch zur Beschaffung von Lehrstellen herhalten soll oder muß. Zu hoffen ist aber, daß in allerkürzester Zeit die Maßnahmen der Bundesregierung zu greifen beginnen, die ausreichende Ausbildungsplätze für Jugendliche schaffen. Soweit aber jetzt und auch in absehbarer Zukunft Auszubildende als Soldaten Dienst tun, soweit Soldaten neben ihrer militärischen auch eine zivil verwendbare Ausbildung erhalten - dafür, so sagte ich schon, hat sich die FDP bereits seit Jahren eingesetzt -, muß die Bundeswehr vor einer Ausdünnung an ausgebildeten Fachkräften bewahrt werden. Bei der Formulierung und Ausformung des gesamten Ausbildungsprogramms der Bundeswehr hatte sich eine Lücke ergeben. Der Gesetzgeber hat sie seinerzeit wohl nicht erkannt. Heute können wir diese Lücke schließen. Zu diesem Zweck liegt Ihnen der Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes vor. Die politische Bedeutung ist mit diesen wenigen Worten hoffentlich ausreichend unterstrichen. Es ist nur noch zu empfehlen, eine Zusammenfassung des geplanten Bereiches zu bringen. Der Überweisung an die Ausschüsse stimmt die FDP-Fraktion zu. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Verteidigungsausschuß - federführend - und an den Innenausschuß - mitberatend - vor. Wer diesem Vorschlag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der für heute vorgesehenen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Freitag, den 27. Mai, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.