Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe die besondere Freude, auf der Tribüne eine Delegation des neuseeländischen Parlaments zu begrüßen,
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an deren Spitze der Speaker, der Präsident des Repräsentantenhauses von Neuseeland, Sir Roy Jack, steht. Ich glaube, ich darf namens des gesamten Hauses der neuseeländischen Delegation einen guten Aufenthalt in unserem Lande wünschen und Ihnen sagen, wie sehr wir alle uns darüber freuen, daß Sie uns hier in Deutschland besuchen. Vielen Dank!
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Meine Damen und Herren, ich habe dann einige amtliche Mitteilungen zu verlesen: Als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Hösl hat am 24. März 1977 der Abgeordnete Dr. Rose die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" bezeichneten Vorlagen ergänzt werden:
1. Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Ergänzung zum Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1977 ({3})
- Drucksache 8/270, Anlage zur Drucksache 8/270 -Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes
- Drucksache 8/287 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung,
Bauwesen und Städtebau ({4})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses zu 25 Wahleinsprüchen
- Drucksache 8/263 -4. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Beirat für handelspolitische Vereinbarungen
- Drucksache 8/304 -5. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft
- Drucksache 8/305 Ich höre und sehe keinen Widerspruch dagegen. Ich stelle fest, daß das Haus einverstanden ist und die Erweiterung der Tagesordnung damit beschlossen ist.
Als drittes Mitglied im Europäischen Parlament hat die Fraktion der FDP den Abgeordneten Jung benannt. - Auch hiergegen höre und sehe ich keinen Widerspruch. Ich stelle fest, daß das Haus einverstanden ist. Es ist dann so beschlossen. Damit ist der Abgeordnete Jung als Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt.
Ich darf, um das noch einmal klarzustellen, daran erinnern, daß heute um 14 Uhr, so wie es in der Tagesordnung vorgesehen ist, eine Fragestunde stattfindet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 18. April 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung ({5}) des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse ({6})
Verordnung ({7}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({8}) Nr. 2453/76 über den Transfer von gefrorenem Interventionsrindfleisch aus anderen Mitgliedstaaten an die italienische Interventionsstelle ({9})
Verordnung ({10}) des Rates zur Festsetzung des Richtsatzes für den Fettgehalt der nach Irland und dem Vereinigten Königreich eingeführten standardisierten Vollmilch für das Milchwirtschaftsjahr 1977/78 ({11})
Verordnung ({12}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({13}) Nr. 3168/76 zur Festlegung der Bedingungen für den Verschnitt und die Verarbeitung von Erzeugnissen des Weinsektors mit Ursprung in Drittländern in den Freizonen im Gebiet der Gemeinschaft ({14})
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Aussprache über den Agrarbericht 1977 der Bundesregierung
- Drucksachen 8/80, 8/81 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({15})
Haushaltsausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Spät, aber nicht zu spät findet diese Aussprache über den Agrarbericht 1977 statt. Wir, die CDU/CSU, teilen keineswegs die Meinung eines Journalisten in einem Kommen1476
tar am 19. März dieses Jahres, also einen Tag nach der Einbringungsrede, daß die Agrardebatte nach der Einbringungsrede eigentlich überflüssig sei. So gut war die Rede nun auch wieder nicht.
Meine Damen und Herren, für uns ist entscheidend, daß wir, die CDU/CSU, natürlich in wichtigen Fragen zu einer anderen Beurteilung kommen als die Bundesregierung. Zum anderen muß aber auch, meine ich, dieses Parlament insgesamt jene Entscheidungsprozesse transparent machen, die entweder teilweise oder ganz der parlamentarischen Entscheidung entzogen sind, wie etwa die Gemeinschaftsaufgaben Verbesserung der Agrarstruktur und regionale Strukturpolitik sowie die europäische Politik.
Für die CDU/CSU ist der Agrarbericht 1977 zum einen ein Dokument der Zwiespältigkeit in bezug auf die Einkommenslage der deutschen Land- und Forstwirtschaft, zum anderen ein Dokument der gesamtwirtschaftlichen Instabilität in unserem Land und zum dritten ein Dokument der europapolitischen Ratlosigkeit. Unter diesen drei Beurteilungskriterien will ich versuchen, die Meinung meiner Fraktion zum Agrarbericht und zur Einbringungsrede des Bundesministers einführend darzulegen.
Der Agrarbericht ist, wie ich sagte, ein Dokument der Zwiespältigkeit in bezug auf die Einkommenslage der deutschen Landwirtschaft. Die CDU/CSU begrüßt mit der Bundesregierung, aber natürlich vor allem mit den Bauern, den überdurchschnittlichen Einkommenszuwachs im Wirtschaftsjahr 1975/76; ein Wirtschaftsjahr übrigens, das inzwischen mehr als ein dreiviertel Jahr hinter uns liegt. Wir sehen in diesem guten Ergebnis auch einen Ausgleich für schlechtere Wirtschaftsergebnisse in den Vorjahren.
Aber wir müssen, auch im nachhinein, deutlich machen, daß die Zahlen des Agrarberichtes nicht immer die richtige Deutung in der Öffentlichkeit erfahren haben. Und daran tragen auch Sie, Herr Minister Ertl, ein Stück Schuld; denn Sie haben es zugelassen, daß nach der Verabschiedung des Agrarberichtes im Kabinett Mitte Februar nicht Sie als der zuständige Ressortminister, sondern ein Regierungssprecher diese Zahlen verkündete. Er ließ es an den notwendigen Erläuterungen und Interpretationen fehlen. Als Sie dann eine Woche später das in einem eigenen Pressegespräch nachholten, war es leider nicht mehr möglich, das zum Teil schiefe Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren. Es war eben so, daß es im wesentlichen nur zwei Zahlen waren, die die Diskussion über die Lage der Landwirtschaft bestimmten, nämlich der 20 °/oige Einkommenszuwachs und das Reineinkommen je Arbeitskraft von 25 488 DM. Daß aber von diesen 25 488 die Landwirte für Nettoinvestitionen und Sozialabgaben 40 °/o aufgewendet haben, hat in der öffentlichen Diskussion dann keine Rolle mehr gespielt, so daß eben nicht sichtbar geworden ist, daß. das konsumfähige Einkommen der in der Landwirtschaft Tätigen eben bei monatlich 1 274 DM lag. Das ist nun keineswegs eine so berauschende Zahl, wie es das rosige Bild in der Öffentlichkeit oft glauben machen wollte.
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Wir bedauern auch, daß man unserer Anregung vom Vorjahr nicht folgen konnte oder folgen wollte, gerade die Sonn- und Feiertagsarbeit der Veredelungsbetriebe mit zur Objektivierung der Einkommenslage heranzuziehen; denn in diesem Bereich ist der Landwirt eben gezwungen, jeden Sonn- und Feiertag seine Pflicht im Stall zu verrichten und damit ein besonderes Maß an Arbeit auf sich zu nehmen.
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Zur Euphorie war aber ohnehin kein Anlaß; denn es war Professor Reisch, der bereits auf der Wintertagung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft festgestellt hat, daß trotz der guten Einkommenszuwächse im Jahr 1975/76 die realen Gewinne der Landwirtschaft erst wieder den Stand von 1972/73 erreicht haben. Sie selbst aber, Herr Minister Ertl, sind bis zu einem gewissen Grad Gefangener Ihrer eigenen propagandistischen Erfolgskampagne, vor allem vor der Bundestagswahl geworden; denn nicht nur die Einengung des Handlungsspielraums in Ihrem Einzeletat macht das sichtbar, sondern z. B. auch die steuerpolitischen Attacken Ihres Koalitionspartners in den vergangenen Monaten.
Lassen Sie mich die Meinung der CDU/CSU-Fraktion in der steuerpolitischen Diskussion deutlich machen. Wir haben - das haben wir immer gesagt - nichts gegen eine Überprüfung des geltenden Steuerrechts für die Landwirtschaft. Aber - das sagen wir genauso deutlich - eine generelle Anhebung der Steuerzahlungen kommt für uns nicht in Frage, weil das die Investitionskraft der Landwirtschaft entscheidend schwächen und darüber hinaus die gleichgewichtige Entwicklung des wirtschaftlichen Prozesses im ländlichen Raum weiter stören würde. Für uns bleibt auch in Zukunft gültig, daß nach dem Landwirtschaftsgesetz auch die Steuerpolitik zu jenen Instrumenten gehört, die Ziele dieses Gesetzes zu erreichen, nämlich die Landwirtschaft in den Stand zu setzen, die naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen und ihre Arbeitsproduktivität zu steigern.
Meine Damen und Herren, da weder in der Regierungserklärung noch im Agrarbericht 1977 dieses Thema der Steuerpolitik besonders angesprochen wurde, kann man sich doch des Eindrucks nicht erwehren, daß es eben gerade SPD-Politiker gewesen sind, die diese Diskussion angeheizt haben, wie ich meine: in Fortsetzung jener Studie des SPD-Bundesgeschäftsführers Börner vom August 1975, als erstmalig davon die Rede war, daß es nun darauf ankäme, angebliche Privilegien „privilegierten Berufsgruppen" - dabei wurde die Landwirtschaft an hervorragender Stelle genannt - zu nehmen.
Wir werden die Ergebnisse der jetzt angelaufenen Untersuchungen kritisch prüfen - übrigens auch in bezug auf europäische Vergleiche - und uns gerechten Lösungen nicht verschließen. Dabei gehen wir davon aus, daß bei der Prüfung nicht übersehen wird, daß es sich bei dem Wirtschaftsjahr 1975/76 um ein besonders günstiges Einkommensjahr handelt; denn - damit kommen wird zum gegenwärtigen Jahr - auch der Agrarbericht sagt ja deutlich, daß im laufenden Wirtschaftsjahr 1976/77, das in zweieinhalb Monaten schon wieder abgeschlossen
I ist, die Landwirtschaft mit einem Einkommensrückgang bis zu 6 °/o zu rechnen hat. Dies erscheint uns noch vergleichsweise optimistisch, wenn man bedenkt, daß sich z. B. im Februar die Preis-KostenSchere zuungunsten der Landwirtschaft wieder beachtlich geöffnet hatte, indem die Erzeugerpreise um 2,6 % unter denen des Vorjahres lagen, während die Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel um 4,9 % angestiegen waren. Es darf auch nicht vergessen werden, daß der Abbau des Aufwertungsausgleichs über die Mehrwertsteuer von 0,5 % in diesem Wirtschaftsjahr einkommenspolitisch relevant bleibt.
Damit zur Preisrunde 1977/78, die uns ja schon hinführt zur Einkommensentwicklung im kommenden Wirtschaftsjahr. Man kann schon heute auf Grund dieser Preisrunde gewisse Rückschlüsse auf die Einkommensentwicklung 1977/78 ziehen. Meine Damen und Herren, der Kommissionsvorschlag, wie er ursprünglich vorlag, war - da waren wir uns alle einig - völlig inakzeptabel mit der sogenannten Nullrate. Im letzten, gescheiterten Preismarathon Ende März schien sich ein Kompromiß abzuzeichnen, der darauf hinausläuft, daß für die deutsche Landwirtschaft mit einer nominalen Preisverbesserung bei den administrativen Preisen in Höhe von rund 2 °/o gerechnet werden kann.
Wir wollen hier 'in aller Nüchternheit feststellen, daß dies auch nicht annähernd ausreichen wird, um den Kostenanstieg in der Landwirtschaft aufzufangen. Das heißt, daß hier schon reale Einkommensminderungen vorprogrammiert sind. Das muß man deutlich sagen.
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Eine Verbesserung, wenn überhaupt, ist bestenfalls darin zu sehen, daß der vorgesehene Abbau des Grenzausgleichs nicht wie vorgesehen bei 2,75 %, sondern bei 1,8 % liegen soll. Aber auch dies, in Verbindung mit dem Abbau_ des Grenzausgleichs etwa in Italien, wird die Wettbewerbsposition der deutschen Landwirtschaft zusätzlich beachtlich beeinträchtigen.
Herr Minister Ertl, ich habe den Eindruck, daß Sie sich erstmalig in einer ähnlichen Situation befinden wie Ihr verehrter Amtsvorgänger, der Kollege Höcherl, bis 1969, als er nämlich damals allein gegen andere Partner Preisverbesserungen durchsetzen mußte und als es der Oppositionssprecher Josef Ertl war, der von dieser Stelle aus Preisverbesserungen in Höhe von 1 bis 2 % als zu niedrig kritisierte. Sie werden ja immer als der große Kämpfer und der große Taktiker auf dem europäischen Parkett hingestellt. Wir können Ihnen nur viel Glück im Interesse der deutschen Landwirtschaft wünschen, daß sich das in der nächsten Runde zum Wohl der deutschen Landwirtschaft entsprechend bewährt.
Ich will hier in aller Deutlichkeit aber auch folgendes sagen. Wir sehen durchaus, daß Herr Gundelach, der europäische Agrarkommissar, noch in der letzten Nacht vor dem Europäischen Parlament deutlich gemacht hat, daß nicht auszuschließen ist, daß bei einem nochmaligen Scheitern der Preisverhandlungen der gesamte europäische Agrarmarkt ins
Wanken geraten kann. Diese Gefahr sehen wir durchaus. Aber Sie, Herr Minister Ertl, müssen sich mit dem Ergebnis natürlich trotz aller europäischen Probleme auch an den Erfordernissen für die deutsche Landwirtschaft messen lassen. Dies ist zweifelsohne sowohl Ihre Aufgabe als auch unsere hier als Parlament.
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Meine Damen und Herren,/ einen en Satz zur Lage der Forstwirtschaft. Die Einkomenslage der Forstwirtschaft - hier denke ich besonders an die privaten und kommunalen Waldbesitzer, die staatlichen lasse ich einmal ganz heraus - steht im umgekehrten Verhältnis zur ökologischen Bedeutung. Dies sagt übrigens auch der Agrarbericht sehr deutlich in seiner Ziffer 106. Es scheint mir im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Waldes auch für den Umweltschutz in Zukunft sehr wichtig zu sein, daß wir die Bereitschaft und die Möglichkeit gerade der privaten und kommunalen Waldbesitzer zur Bestandespflege und damit zur Weiterentwicklung des Waldes erhalten. Von daher würden wir es sehr begrüßen, wenn dieses bescheidene Programm zur Bestandespflege im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe verwirklicht werden könnte.
Der Agrarbericht 1977 weist erstmalig erhebliche Fehlerquellen auf. Die Glaubwürdigkeit der Zahlen ist bis zu einem hohen Grad erschüttert worden. Daß es möglich war und möglich sein konnte, daß aus Wertfortschreibungen sich ergebende neue Bodenwerte sich im Agrarbericht als sonstige Einkommen niederschlagen konnten, ist ein grober Fehler, der das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Agrarberichts erschüttert hat.
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Meine Damen und Heren, ich bin nicht sicher, ob die eine Seite Korrektur, die hier vorgelegt wird, dies überhaupt revidieren kann, wenn ich davon ausgehe, daß der Agrarbericht bereits überall in den Landwirtschaftsschulen, in den Fachstellen in der Bundesrepublik Deutschland ausliegt.
Meine Damen und Herren, ich sagte, der Agrarbericht ist für uns auch ein Dokument der gesamtwirtschaftlichen Instabilität. Der Agrarbericht weist auf die Zusammenhänge zwischen einer als unsicher eingeschätzten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einerseits und dem stark nachlassenden Strukturwandel andererseits selbst hin. Die Antworten, die man auf diese Herausforderung sucht, fehlen allerdings oder stammen von gestern. Dabei ist der stark abgebremste Strukturwandel . nach unserem Verständnis eine der stärksten Herausforderungen, auf die Antworten zu suchen uns die strukturellen Ergebnisse des Agrarberichtes zwingen. Meine Damen und Herren, bis 1974/75, über ein Jahrzehnt hinweg, hat sich die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen jährlich um knapp mehr als 4 % vermindert. Diese Zahl ist jetzt auf knapp unter 2 % abgerutscht. Wenn im Agrarbericht so etwas verniedlichend die günstige Einkommenslage dafür verantwortlich gemacht worden ist, dann kann ich nur sagen: Dies hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.
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Es ist vielmehr die hohe Arbeitslosigkeit, es sind die fehlenden Alternativen, beruflichen Alternativen, es sind die immer geringeren Chancen für die Einkommenskombination von landwirtschaftlicher und außerlandwirtschaftlicher Tätigkeit, die zu diesem stark abgebremsten Strukturwandel geführt haben. Dabei, meine Damen und Herren, sind die 2 01e noch relativ optimistisch. In Regionen der Bundesrepublik Deutschland - und davon gibt es recht viele -, in denen die Arbeitslosigkeit 10 °/o und höher ist, nimmt doch die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen sogar wieder zu oder stagniert zumindest. Wir alle sind doch wahrscheinlich miteinander froh, daß der von Arbeitslosigkeit betroffene Nebenerwerbslandwirt wenigstens die Chance hat, die psychologische Last der Arbeitslosigkeit auf seinem kleinen Hof zu überbrücken, im Gegensatz zu seinem arbeitslosen Kollegen, der dies nicht kann.
Machen wir uns nichts vor: Agrarstrukturpolitik hat im letzten Jahrzehnt auch und gerade bei dieser Regierung - ich sage das gar nicht einmal so sehr als Vorwurf - mehr oder weniger unter der Überschrift gestanden: „Wachsen und Weichen". Das war das strukturelle Ergebnis, das wir hier zu verzeichnen haben.
Nun wiederholt der Agrarbericht durchaus bekannte Ziele im Hinblick auf diese Problematik, wenn er sagt: „Deshalb gewinnen Regional-, Raumordnungs-, Struktur- und Agrarsozialpolitik künftig mehr an Bedeutung." Natürlich sind diese Ziele nach wie vor richtig; nur, die konkreten Konsequenzen werden nicht gezogen. Die notwendigen Maßnahmen werden auch nicht andeutungsweise aufgezeigt. Was uns fehlt, ist z. B. das kritische Eingeständnis der Fehlentwicklung in der Gesamtgewichtung der wirtschaftlichen Entwicklung von ländlichen Räumen und Ballungszentren im letzten Jahrzehnt. Lassen Sie mich stellvertretend zwei Beispiele nennen.
Von 1966 bis 1975 haben die Bürger der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 10 Milliarden DM über die Mineralölsteuer für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz aufgebracht. Etwa die Hälfte, wahrscheinlich knapp über die Hälfte dieser Mittel haben die Bewohner ländlicher Räume zu diesem Finanzierungstopf beigetragen. Nur 10 % dieser Mittel sind wieder für Investitionsvorhaben der Verkehrsstruktur ländlicher Gemeinden zurückgeflossen.
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- Das ist das eine Beispiel.
Zweitens. Die Planung im Bereich Streckenstilllegung der Bundesbahn hat über Jahre gerade in ländlichen Räumen zu zunehmender Verunsicherung und auch zu unterlassenen wirtschaftlichen Entscheidungen geführt. Wie unterschiedlich hier ländliche Räume und Ballungsräume gewichtet werden, mag eine Zahl deutlich machen. Das gesamte Defizit der Bundesbahn im Zonenrandgebiet - das Zonenrandgebiet umfaßt immerhin 20 % der Fläche des Bundesgebietes - ist nicht ganz so hoch wie das Defizit im Personennahverkehr in und um München.
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Hier wird doch überdeutlich, wie unterschiedlich sich die Gewichtung auswirkt und wie notwendig es ist, zù einer Besinnung im Bereich der raumwirksamen Politik zu gelangen, um wieder das notwendige Gleichgewicht zurückzugewinnen.
Dazu gehört auch und vor allem - auch aus landwirtschaftlicher Sicht - die Erhaltung einer breiten Schicht mittelständischer Betriebe. Herr Minister Ertl, es ist geradezu ein Witz, wenn Sie in diesem Zusammenhang von einem Erfolg sprechen. 40 000 Konkurse und geschlossene mittelständische Betriebe und 2 Millionen verlorene Arbeitsplätze im letzten halben Jahrzehnt sprechen hier eine deprimierende Sprache, wenn es um die Gesamtheit der wirtschaftlichen Entwicklung ländlicher Räume geht.
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Es fehlt auch an jeder Darstellung etwa besserer Möglichkeiten in der Regional- und Raumordnungspolitik. Herr Minister Ertl, ich weiß, Sie sind dafür nicht zuständig. Aber wäre es nicht auch von Ihrem Ressort her notwendig, in Kooperation mit dem Bundeswirtschaftsminister zu- fragen, ob die Ziele der regionalen Strukturpolitik in der Zukunft unverändert weiter bestehenbleiben sollen, ob die einseitige Schwerpunktbildung bei der Industrieansiedlung noch der richtige Weg ist angesichts der Tatsache, daß die Zeit großer industrieller Neuansiedlung doch dem Ende zugeht? Wäre es nicht auch Ihre Aufgabe, etwa den Bundeswirtschaftsminister dahin zu drängen, daß wir spätestens jetzt darangehen müssen, auch die kleinen und mittleren Betriebe in den Dörfern, d. h. vor Ort, zu ermuntern, ihren Betrieb zu erweitern, sie aber nicht durch Raumordnung oder Landesplanung in ihrer Entwicklung zu behindern? Das ist doch vielfach die Wirklichkeit in den Ländern.
({9}) Nun höre ich das Stichwort - ({10})
- Herr Gallus, ich kenne Sie viel zu gut. Sehen Sie, jetzt kommt das Stichwort: „Die Länder!" Nur, meine Damen und Herren, mit diesem Stichwort können Sie sich doch nicht aus der Verantwortung herausmogeln, die Ihnen daraus erwächst, daß Sie elf Stimmen in dem Planungsausschuß von Bund und Ländern haben.
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Wenn von dieser geballten Stimmenzahl nicht die notwendige Initiative ausgeht, dann sollten Sie doch nicht immer so tun, als seien es nur die Länder, die diese Dinge nicht tun.
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Ich will noch etwas anderes sagen. Es gibt darüber hinaus eine Fülle von Gesetzen, von denen man allmählich den Eindruck hat, daß sie die Entwicklung kleinerer Gemeinden und Betriebe eher behindern, als daß sie sie fördern. Wir alle sollten uns miteinander in dieser 8. Legislaturperiode vorDeutscher Bundestag 8. Wahlperiode Dr. Ritz
nehmen, nicht nur neue Gesetze zu machen und die, die wir machen, dann wenigstens vernünftig zu machen, sondern auch einmal vorhandene Gesetze, die wir beschlossen haben, auf ihre Wirksamkeit bzw. ihre Fehlwirkung im ländlichen Raum zu überprüfen.
({13})
Meine Damen und Herren, uns fehlen auch Konsequenzen für die Agrarstrukturpolitik im allgemeinen und die einzelbetriebliche Förderung im besonderen. Wir werden hier und heute keinen Antrag auf Erhöhung der Mittel in der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" für 1977 stellen. Ich habe aber den Eindruck, Herr Minister Ertl, wir sind uns einig, daß es mittelfristig gelingen muß, diese Mittel wieder kräftig zu erhöhen, um die vorliegenden Programme und auch neue Programme, die dieser veränderten strukturellen Entwicklung Rechnung tragen, nun durchzusetzen.
Ich kann mir hier eine Beurteilung des Investitionsförderungsprogramms insgesamt ersparen. Wir unterstützen jedenfalls, daß dann im Rahmen dieses Investitionsförderungsprogramms von Bund, Ländern und Gemeinden wenigstens ein Teil in die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstrukturverbesserung und Küstenschutz". einfließt, um hier einige wichtige strukturelle Maßnahmen für das Land verstärken zu können und damit den Gestaltungsspielraum in der Agrarstrukturpolitik ein wenig auszuweiten.
Meine Damen und Herren, wir haben durch unsere Kritik und auch durch unsere Vorschläge zum einzelbetrieblichen Förderungsprogramm eine gewisse Auflockerung bei der Förderschwelle erreicht. Dennoch scheint mir dies auch im jetzigen Zustand keine Lösung zu sein in einer Entwicklung, in der sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nicht so weiter vermindern wird, wie wir dies bis vor wenigen Jahren noch als selbstverständlich angenommen haben. So scheint uns das außerlandwirtschaftliche Einkommen immer weniger Kriterium für die Förderungswürdigkeit in einer Zeit zu sein, in der der Block der Betriebe ohne berufliche Alternative immer mehr wächst, immer größer wird. Es wäre vielleicht in dem Zusammenhang auch sinnvoll und vernünftig gewesen, einmal sichtbar zu machen, welche Chancen auch Grenzbetriebe in dieser schwierigen konjunkturellen Situation etwa in der Zusammenarbeit, im Zusammenwirken von Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben haben.
Meine Damen und Herren, in den Gemeinden bis zu 20 000 Einwohnern - und diese umfassen ja wohl den ländlichen Raum - leben rund 50 % aller Bürger unseres Landes. Wir meinen, eine größere Ausgewogenheit von Stadt und Land ist zu einer der großen politischen Herausforderungen für das nächste Jahrzehnt geworden. Zielkonflikte sehen wir hier auch. Die müssen wir offen diskutieren und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Die Landwirtschaft leistet hierbei einen unverzichtbaren Beitrag für die Gesamtentwicklung des ländlichen Raumes. Ich halte von der Durchschnittszahl der in der Landwirtschaft Tätigen im Vergleich zu anderen Berufstätigen überhaupt nichts.
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Viel wichtiger ist für mich, daß in den schwach strukturierten ländlichen Räumen 40 % aller Bürger direkt oder indirekt von der Leistungskraft der Landwirtschaft leben. Darum gilt es, diese Leistungskraft zu erhalten, sie zu fördern und damit insgesamt einen Beitrag zur ausgewogenen Entwicklung von Stadt und Land in diesem Lande zu leisten. Von all dem fehlt uns im Agrarbericht leider alles.
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Ich sagte drittens, der Agrarbericht ist für uns ein Dokument der europapolitischen Ratlosigkeit. Meine Damen und Herren, außer einer unzureichenden Analyse zu Fragen der europäischen Agrarpolitik findet sich aber auch eigentlich gar nichts, was der Problematik und der öffentlichen Diskussion dieses Themas gerecht würde. Wir haben vor wenigen Wochen das zwanzigjährige Jubiläum der Römischen Verträge gefeiert. Es hat dort an Lobpreisungen in Festreden nicht gefehlt. Wir meinen übrigens, zu Recht nicht gefehlt. Denn in der Tat können sich die Erfolge der europäischen Politik in diesen letzten 20 Jahren sehen lassen. Natürlich hat die Zollunion zur Steigerung des Wohlstandes in allen Ländern entscheidend beigetragen, vor allem auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist eben kein Zufall, wenn die Warenlieferungen der Bundesrepublik Deutschland in die EG-Länder sich in eineinhalb Jahrzehnten verdreifacht haben, während sich der Export in Drittländer nicht einmal verdoppelt hat. Trotz dieser Erfolge ist ein Kernstück der europäischen Politik, die Agrarpolitik, immer schärfer und stärker ins Fadenkreuz der Kritik geraten. Auch das Scheitern des AgrarMarathons Ende März hat dies wieder deutlich gemacht. Dabei sind es vor allem drei Vorwürfe, die der Agrarpolitik gemacht werden: zum einen, daß sie nur den Interessen der Landwirtschaft diene, zum zweiten, daß sie zu hohe Kosten verursache und zum dritten, daß sie die Überschußproduktion anreize. Ich meine, es ist gut, diese drei Vorwürfe zu analysieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Zum ersten. Natürlich sind auch Nahrungsmittel teurer geworden - wir anerkennen, Herr Minister Ertl, daß Sie dies genauso deutlich gesagt haben; ich will hier nur die Deckungsgleichheit feststellen -: wir sollten eben nicht übersehen, daß der Vierpersonenhaushalt noch im Jahre 1960 40 % seines verfügbaren Einkommens für Nahrungsmittel ausgab und im Jahre 1975 nur 25 % dafür aufwenden mußte. Mir will scheinen, dies ist ein Erfolg der Agrarpolitik, ein Erfolg der Ernährungspolitik in diesen letzten 20 Jahren. Man sollte einmal dazu vergleichen, wie sich die Wohnungsmieten von 1960 bis 1975 entwickelt haben, um vielleicht danach die Frage zu stellen, was eigentlich erfolgreicher war: die Wohnungsbaupolitik oder die Agrarpolitik.
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1480 Deutscher Bundestag.- 8. Wahlperiode Dr. Ritz
Ein anderes kommt hinzu. Es ist doch nicht zu bestreiten, daß bis 1975 die Nahrungsmittelpreise wesentlich geringer angestiegen sind als die übrigen Preise im Warenkorb des Vierpersonenhaushalts. Das war dann 1976 einmal kurzfristig anders, ist aber zur Zeit wieder wie früher. Wie uns das Statistische Amt für die Monate Februar/März 1977 bestätigt, sind die Preise der Nahrungsmittel geringer gestiegen als die der übrigen Produkte, die unsere Bürger kaufen.
Sehr viel ernster müssen wir die beiden anderen Vorwürfe nehmen, die mit den Stichworten Kosten und Überschüsse zusammengefaßt werden. In der Tat hat sich der EG-Haushalt seit 1972 pro Jahr um durchschnittlich 30 0/o erhöht. Die unbewältigten Überschüsse im Milchsektor bereiten auch uns Sorgen. Wir haben keinen Grund, sie zu verniedlichen. Nur, meine Damen und Herren, ist die Schlußfolgerung richtig, die immer wieder gezogen wird, etwa auch, wenn der Bundeskanzler resümiert hat, die Agrarpolitik sei die teuerste und verschwenderischste Errungenschaft der Europäischen Gemeinschaft? Dies ist nicht nur falsch, sondern gefährdet im Kern europäische Politik.
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Sicher hat es auch falsche, halbherzige und unterlassene Entscheidungen im EG-Ministerrat gegeben. Wir haben überhaupt keinen Grund, dies zu verniedlichen. Daß es bis heute noch kein klares, abgeschlossenes Konzept zur Wiedergewinnung des Gleichgewichts am Milchmarkt gibt, ist im Grunde ein Skandal, für den eben auch die Agrarminister mitverantwortlich sind. Daran ist überhaupt kein Zweifel.
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Die skandalösen Butterverkäufe in die Sowjetunion haben nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in europäische Agrarpolitik zu stärken.
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Sie können sozial schwachen Bevölkerungskreisen und sozialen und karitativen Einrichtungen in Europa nicht klarmachen, daß das das Nonplusultra europäischer Politik sein soll.
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So richtig dies ist, so ist aber auch eine entscheidende Ursache, daß wir dieses Mißverhältnis von Kosten und Überschüssen beklagen, daß die Agrarintegration auf der einen Seite einen Höchststand erreicht hat, während die Integration in anderen Feldern der europäischen Politik immer mehr hinterherhinkt. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist auf der Strecke geblieben. Die Regional- und die Sozialpolitik sind über Merkposten eigentlich nicht hinausgekommen. Überall dort, wo die agrarpolitischen Instrumente genutzt werden, um fehlende Integrationsfortschritte auszugleichen - ich komme noch auf Beispiele -, verursacht dies natürlich Kosten bei der Agrarpolitik. Die Agrarpolitik kann eben nicht auf Dauer Ersatzfunktion für fehlenden Integrationsfortschritt auf anderen Feldern der Politik leisten.
Meine Damen und Herren, ist es denn nicht richtig - ich will jetzt einige ganz nüchterne Fragen stellen -, daß die Briten nach ihrem eigenen Bekunden im Rahmen ihres Stabilitätskonzepts, wie sie das nennen, die Milch- und Rindfleischproduktion so steigern wollen, daß sie 400 Millionen Pfund Sterling an Devisen einsparen? So sagte der Parlamentarische Staatssekretär Strang des Landwirtschaftsministers von Großbritannien im Februar 1977. Ist es denn nicht richtig, daß die Europäische Gemeinschaft nun schon im dritten Jahr über den negativen Grenzausgleich in einem erheblichen Maß die Nahrungsmittel für den britischen Verbraucher subventioniert? Meine Damen und Herren, ist es denn nicht richtig, daß die Franzosen über zwei Jahre hinweg ihren Milchviehhaltern Prämien gezahlt haben, um soziale Hilfen zu gewähren? Ist es denn nicht richtig, daß unsere niederländischen Nachbarn eine offenive Milchstrategie eingeleitet haben und durchführen mit dem Ziel, die Milchproduktion zu steigern, um ihre Handelsbilanz zu verbessern?
Ich will hier gar nicht mehr Beispiele nennen. Ich will auch gar nicht anklagen. Ich glaube sogar, daß die jeweilige nationale Begründung vieles für sich hat. Nur: mit europäischer Agrarpolitik, mit einem integrierten Agrarmarkt hat dies alles überhaupt nichts mehr zu tun.
Deshalb meine Damen und Herren, müssen wir uns fragen: Wie geht dies überhaupt weiter? Ist etwa die Renationalisierung eine Lösung? Nein, sagen wir.
Ich will versuchen, einige Anregungen zu geben, von denen wir glauben, daß wir sie in die Tat umsetzen müssen.
Erstens. Wir dürfen es nicht länger den Agrarpolitikern allein überlassen, die Leistungen der gemeinschaftlichen Agrarpolitik für den Zusammenhalt der EG zu verdeutlichen. Meine Damen und Herren, die Landwirtschaftsminister, auch Herr Minister Ertl, würdigen und sehen dies genauso, wie ich es hier zu verdeutlichen versuche. Nur verpufft die Wirkung in der Öffentlichkeit in dem Moment, wo der Finanzminister etwa wieder die Formel vom „Zahlmeister Europas" gebraucht. Wir teilen hier die Meinung von Herrn Bangemann, die er in der vorletzten Nummer der „Europaunion" geäußert hat. Er belegte diesen Ausdruck mit dem Prädikat, das sei nicht nur taktlos, sondern auch falsch. In der Tat, es ist so.
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Zweitens. Zweifelsfrei brauchen wir in absehbarer naher Zukunft Integrationsfortschritte auf anderen Feldern der europäischen Politik, wenn wir das Erreichte nicht in Frage stellen wollen. Meine Damen und Herren, Herr Lardinois, langjähriger Agrarkommissar, hat beim Abtritt von der europäischen Bühne gesagt - ich zitiere -:
Die europäische Agrarpolitik kann in ihrer jetzigen Form trotz wirtschafts- und währungspolitischer Unterschiede noch einige Jahre funktionsfähig bleiben.
Dem stimme ich zu. Nur, meine Damen und Herren,
was kommt dann? Einige Jahre sind schnell vorbei.
Darum ist nach unserer Überzeugung drittens eine Neubesinnung auf die europäischen Ziele vorrangig. Wer sich weiterhin mit Flickschusterei im Rahmen des Errenichten bedingt, ohne die Ziele zu fixieden, gefährdet das Erreichte in der Gemeinschaft.
Meine Damen und Herren, dies wurde beim Resümee seiner Präsidentschaft von Gaston Thorn, dem luxemburgischen Ministerpräsidenten, Anfang Juli 1976 so formuliert - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Man hat den Eindruck, daß die meisten Regierungen nicht im Sinn haben, die Gemeinschaft zu stärken, sondern es bereits als einen Erfolg ansehen, das Existierende aufrechtzuerhalten.
Man wird auch zustimmen müssen, wenn Gaston Thorn sagt - ich zitiere weiter -:
An der bisherigen Diskussion über den Tindemans-Bericht ist deutlich geworden, daß die neun EG-Regierungen gegenwärtig keine Vorstellungen über den Typ der Gemeinschaft haben, den sie für die Zukunft anstreben. Vier Jahre, nachdem der Begriff der Europäischen Union geschaffen worden ist, steckt die Aussprache über deren Form und Inhalt immer noch in den Anfängen.
Wir können nur fragen: wer und was hindert eigentlich diese Bundesregierung, hier initiativ zu werden, hier Motor zu sein in dieser doch nun wirklich explosiven Entwicklung, in der wir uns in Europa befinden?
Oder ist es vielleicht doch so, daß wenigstens Teile der Sozialdemokratischen Partei nach dem Motto verfahren: Erst einmal abwarten, wie die Mehrheiten im neuen Europäischen Parlament sind, - nach dem Motto von Herrn Mansholt: „Lieber kein Europa, wenn es kein sozialistisches ist" ? Ich frage dies sehr ernst, weil ich der Meinung bin, daß wir jetzt diese Impulse brauchen, uns auch nicht ausschließlich damit zufriedengeben können, daß es ja nun wohl doch zu den Parlamentswahlen kommt. Wir brauchen auch die Initiativen der Ministeräte und auch des Europäischen Rates, um wenigstens wieder zu einer klaren Zielbestimmung in der Europäischen Politik zu gelangen.
Viertens. Bis es zu dauerhaften Fortschritten in der gemeinschaftlichen Politik insgesamt kommt, gilt es deutlich zu machen, daß die Agrarpolitik trotz hoher Kosten eine unverzichtbare Klammer der Gemeinschaft ist und daß diese Kosten eben auch der entscheidende Preis für die Nutzung der Integrationsfortschritte in der Gemeinschaft sind.
Natürlich - und dazu werden mein Kollege Kiechle und andere sicher noch Näheres sagen - gilt es bis dahin, die Instrumentarien der europäischen Agrarpolitik, gerade im Hinblick auch auf das Milchpaket, zu verbessern.
Fünftens. Wir sollten mit Offenheit und mit Redlichkeit die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft auf neue Mitglieder ansprechen. Jeder wird
den Weg dieser Länder nach Europa - sicher nicht zuletzt in diesen Tagen, da der spanische König bei uns zu Gast weilt - mit großem Respekt und mit Sympathie begleiten. Es bleibt aber dennoch wichtig und richtig, sowohl nach den inneren Strukturen der Gemeinschaft nach einer Erweiterung zu fragen als auch nach den konkreten Folgen, auch den finanziellen. Denn dies heute zu klären und hier redlich und ehrlich zu sein, ist notwendig, um nicht morgen eine nicht gewollte Erosion der Europäischen Gemeinschaft zu beklagen.
Lassen Sie mich zum Abschluß zusammenfassend folgendes sagen. Die Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland kann kurzfristige Einkommensrückgänge, wie sie sich jetzt abzeichnen, sicher kurzfristig durch ein günstiges Wirtschaftsjahr wie 1975/76 verkraften. Sie lebt mit diesen Risiken und weiß davon. Aber meistern kann sie ihren permanenten Anpassungsprozeß nur, wenn es gelingt, den negativen Einkommenstrend, in dem wir uns zur Zeit befinden und der durch mögliche Preisbeschlüsse schon wieder vorprogrammiert ist für das nächste Jahr, insgesamt wieder umzukehren. Dies hängt von den anstehenden Preisbeschlüssen und den flankierenden Maßnahmen auf dem Milchsektor entscheidend ab. Aber es hängt auch von der finanziellen Solidität des Staates ab und von einem gesicherten Wachstum in Stabilität. Das sind Voraussetzungen, die keineswegs . in diesem Land erfüllt sind; wir haben Zweifel, ob diese Regierung je in der Lage sein wird, sie zu erfüllen.
Voraussetzung ist aber auch, daß wir in der europäischen Politik im allgemeinen und in der europäischen Agrarpolitik im besonderen wieder notwendige Impulse nach vorne entwickeln. Dies ist die Lage. Sie steht nach unserem Verständnis im umgekehrten Verhältnis zu manch rosigen Darstellungen in der Öffentlichkeit. Für die CDU/CSU ist und bleibt Agrarpolitik ein integraler Bestandteil der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die Landwirtschaft ein unverzichtbarer Teil unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.
In diesem Sinne, Herr Minister Ertl, werden wir auch in den nächsten Jahren - solange Sie noch dieses Amt innehaben sollten - Ihre Politik kritisch begleiten, sie auch unterstützen, wo wir es für richtig halten, sie aber auch kritisieren und eigene Vorstellungen entwickeln, wo wir der Überzeugung sind, daß Sie Fehlentwicklungen einleiten oder zulassen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, ehe ich auf den Agrarbericht eingehe, einige Worte zu dem sagen, was gerade Herr Kollege Dr. Ritz angesprochen hat. Herr Kollege Dr. Ritz, Sie sprachen von einem Dokument der Zwiespältigkeit und begründeten diese Aussage damit, daß diese Debatte ein Dreivierteljahr nach Ende des Wirtschaftsjahres stattfinde und sich die Situation in diesem Dreivier1482
({0})
teljahr geändert habe. Herr Kollege Dr. Ritz, das war in den 60er Jahren genauso wie heute.
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Hier kommt aber etwas anderes hinzu, was ich doch erwähnen möchte. Wir wissen natürlich: Sie reden nicht gerne über einen Agrarbericht, wenn das Ergebnis gut war. Sie reden aber sehr gern über einen Agrarbericht und klagen die Regierung oder wen auch immer an, wenn das Ergebnis schlecht war. Das ist uns bekannt. Das haben wir in den vergangenen Jahren immer erlebt, Herr Kollege Dr. Ritz.
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Ein Zweites. Sie sprachen von der wirtschaftlichen Instabilität und sagten, die Antwort im Agrarbericht würde fehlen. Herr Kollege Dr. Ritz, ich glaube, die Antwort ist doch ,das gute Ergebnis des Wirtschaftsjahres 1975/76. Dieses Ergebnis wurde doch in einem gesamtwirtschaftlich sehr schwierigen Jahr erzielt. Trotz der Schwierigkeiten hat die Landwirtschaft gut abgeschnitten. Das ist doch eine gute Antwort. Eine andere bräuchte man doch gar nicht zu geben.
Drittens. Sie sagten - damit haben Sie auch etwas Positives erwähnt -, heute bräuchte man nur noch 25 % vom Einkommen für Nahrungsmittel auszugeben. Das sei ein Erfolg der Agrarpolitik. Wir freuen uns, daß Sie diese Erfolge der Regierung für die Landwirtschaft anerkennen. Wir freuen uns darüber, Herr Dr. Ritz!
Nun zum nächsten Punkt. Sie haben die Steuer erwähnt. Als Bundesfinanzminister Apel die Besteuerung der Landwirtschaft ansprach, taten Sie so, als sei das etwas Neues. In Wirklichkeit ist es doch ein ganz, ganz altes Problem, das seit Jahren eine Lösung fordert. Selbst von Landwirten wird gefordert, hier einiges zu ändern, denn sie sind diesbezüglich auch unzufrieden. Sie, Herr Dr. Ritz, Herr Kiechle, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes - Sie alle haben sehr schnell ein Urteil gefällt, das dem Sinne nach besagte, die sozialliberale Koalition wolle mit den Steuergroschen der Landwirte das Finanzierungsloch in Bonn stopfen. So haben wir es im Ausschuß gehört; so haben Sie sich in einigen Veröffentlichungen ausgedrückt.
Worum geht es wirklich? In Wirklichkeit geht es darum, mehr Steuergerechtigkeit in der Landwirtschaft durchzusetzen.
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Das wissen Sie genauso gut wie ich, Herr Dr. Ritz. Wir wissen natürlich auch, daß bei kleinen Betrieben ein relativ größerer Teil des Gewinns erfaßt wird als bei wesentlich größeren Betrieben. Das finden wir ungerecht. Das müßten Sie eigentlich auch so empfinden. Wenn Sie es so empfinden, so helfen Sie uns doch, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.
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Sie sprachen weiter von der realen Einkommensminderung, die sich eventuell ergeben könnte, von Belastungen der Landwirtschaft im Zusammenhang mit Preisbeschlüssen in Europa. Herr Kollege Dr.
Ritz, die größte Belastung für die Landwirtschaft war die Getreidepreissenkung in den 60er Jahren. Das wissen Sie auch.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Röhner?
Ja, bitte.
Herr Kollege Müller, ich möchte auf Ihre letzte Passage hinsichtlich der neuen Agrarsteuerpläne der Bundesregierung noch einmal zurückkommen. Trifft es zu, daß in einem SPD-internen Papier erörtert wurde, daß dann, wenn die neuen Steuerpläne hinsichtlich der Landwirtschaft vollzogen würden, die Möglichkeit bestünde, für den Fiskus Mehreinnahmen in Höhe von bis zu 2,5 Milliarden DM zu erzielen?
Nun, Herr Kollege Röhner,
({0})
sehen Sie sich doch einmal die Ergebnisse für die Landwirtschaft hinsichtlich Steuern, Subventionen usw. an! Dort finden Sie die Antwort. Aber darum geht es ja gar nicht bei .dem, was ich angesprochen habe.
({1})
Es geht darum, daß die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe, selbst nach 13 a, steuerlich viel stärker als die größeren landwirtschaftlichen Betriebe belastet werden. Darum geht es und um nichts anderes.
Und nun lassen Sie mich fortfahren.
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Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Nein. Ich möchte jetzt fortfahren.
Sie können jetzt keine weitere Zwischenfrage stellen, Herr Abgeordneter. Der Herr Redner hat es nicht zugelassen.
Ich habe gesagt, Herr Kollege Dr. Ritz: Die größte Belastung war die Getreidepreissenkung.
({0})
- Ach, ich will gar nicht nachprüfen, was Sie alles in bezug auf Steuern usw. geschrieben haben. Ich habe genug Unterlagen hier. Aber wir haben leider nicht genug Zeit zur Verfügung.
({1})
Müller ({2})
Herr Kollege Dr. Ritz, Sie argumentieren heute, dies sei damals für Europa unbedingt erforderlich gewesen. Ich will dem gar nicht widersprechen. Ich stimme dem zu. Nur: dann sagen Sie aber auch, daß auch das, was in Zukunft in Brüssel passiert oder passieren könnte, für Europa erforderlich ist. Denn das Problem zu lösen, ist schwer genug. Deshalb kann ich nur sagen: Nehmen Sie Europa so, wie es wirklich ist. Wunschvorstellungen, die immer wieder anklingen, helfen hier nicht weiter.
Und nun zum Agrarbericht. Deswegen debattieren wir ja heute. Dieser Agrarbericht weist für das Wirtschaftsjahr 1975/76 ein sehr gutes Ergebnis aus. Das haben ja auch Sie angesprochen. Er ist ein Dokument des Erfolges. Dieser gründliche, in Form und Inhalt lobenswerte Bericht - dafür Dank allen Beteiligten - ist ein Beweis, daß die Landwirtschaft im Berichtszeitraum unter günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit dem Glück der Tüchtigen und mit Hilfe einer verantwortungsbewußten Agrarpolitik insgesamt gut abgeschnitten hat. Von den Landwirten selbst wird dies nicht nur zugegeben, sondern auch anerkannt.
Wir Sozialdemokraten stellen darüber hinaus mit Befriedigung fest, daß die Vorausschätzungen der Bundesregierung im vorausgegangenen Bericht 1976 über die weitere Einkommensentwicklung nicht nur richtig waren, sondern sogar übertroffen wurden. Wir stellen fest, daß die Opposition damals unrecht hatte. Dieser Bericht widerlegt auch Ihre damalige Kritik an der Vorausschau, Herr Dr. Ritz. Sie nannten es abwegig, andere sprachen sogar von leichtfertig, geschmacklos und neiderregend, zur Jahreshälfte eine Vorausschau abgeben zu wollen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hätten sich daran erinnern sollen, daß Ihr Kollege Herr Höcherl von der CDU/CSU es war, der 1969 erstmals die Einkommensvorausschätzungen in der heutigen Form in den Agrarbericht der Bundesregierung aufgenommen hat. Das dazu.
Ein Gradmesser der Einkommensentwicklung sind immer die Investitionen. 1975/76 wurden sie stark ausgeweitet. Die Landwirte haben das Mehreinkommen aber nicht auf die hohe Kante gelegt, sondern sich so verhalten, wie die Konjunkturlage es erforderte und wie es das Einkommen der Landwirte ermöglichte: Sie haben kräftig investiert. Dafür gebührt ihnen unser Dank.
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Die Landwirte haben damit ihren Beitrag zur Erhaltung der Arbeitsplätze geleistet und zur Belebung der Konjunktur in der Investitionsgüterindustrie beigetragen. Sicher hat bei diesem Verhalten die von der Bundesregierung beschlossene Investitionszulage eine entscheidende Rolle gespielt; aber das war auch erwünscht und auch beabsichtigt.
Lassen Sie mich trotzdem kritisch anmerken, daß nicht wenige Landwirte, was die Investitionen betrifft, des Guten manches Mal und mancherorts zu viel tun. Manch einer sollte vorher sorgfältiger prüfen, ob die beabsichtigte Investition für seinen Betrieb notwendig und rentabel ist und ob es nicht eine andere Lösung gibt. Natürlich haben Sie recht - Herr Kollege Dr. Ritz hat es auch angedeutet -,
wenn Sie sagen, das Reineinkommen stünde nicht voll für den Verbrauch zur Verfügung. Da will ich um den Prozentsatz gar nicht streiten.
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Wenn aber diese Einschränkung gemacht wird, muß deutlich hinzugefügt werden, Herr Kiechle, daß das Reineinkommen auch nicht mit dem Gesamteinkommen je Familie identisch ist, und das ist ebenfalls kräftig gestiegen. Hier wirkte sich die von der Bundesregierung eingeführte Kindergeldregelung zum erstenmal voll für ein Wirtschaftsjahr aus, und zwar sehr positiv, wie der Agrarbericht ausweist.
({5})
Ich will auf die Zahlen gar nicht hinweisen; die kennen Sie genauso gut wie ich. Sie wissen, wie früher die Freibeträge bei Landwirten zu Buche schlugen oder nicht zu Buche schlugen. Die- Steigerung der Einkommen kann sich also sehen lassen.
Daß es in diesem Wirtschaftsjahr wegen der Dürre nicht so sein wird, wissen wir; aber ich nehme an, für die Dürre werden Sie uns wohl nicht verantwortlich machen.
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- Das scheint doch der Fall zu sein. Dann muß ich für die Zwischenrufer noch etwas hinzufügen. Es gibt nämlich ein schönes Sprüchlein: Wenn die Sonne vom Himmel lacht, hat's die CDU gemacht; gibt es Regen, Eis und Schnee, war's bestimmt die SPD.
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Für die Dürre war nicht der Schnee verantwortlich, sondern die Sonne.
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Im letzten Jahr gab es zuviel Sonne, es gab zuviel CDU/CSU, es gab zuviel Dürre.
({9})
Das bekam den Landwirten nicht gut, das bekam auch dem Steuerzahler nicht gut; denn das wurde sehr teuer, wie wir gesehen haben.
({10})
Die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft läßt sich aber an einem Wirtschaftsjahr nicht messen; darauf habe ich immer wieder hingewiesen. Erntemengen und Marktpreise variieren zu stark. Aber selbst im Mehrjahresdurchschnitt, z. B. seit 1969/70, seit Bestehen der sozialliberalen Koalition, ist das Reineinkommen je Familienarbeitskraft jährlich um ungefähr 11 % gestiegen. Rechnet man das laufende Wirtschaftsjahr mit ein, kommt man immer noch auf einen Zuwachs von 9 % bis 10 %. Damit ist das einkommenspolitische Ziel der Bundesregierung, die Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung, voll und ganz erreicht worden.
Müller ({11})
Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in seiner Regierungserklärung die Aufgabe der Landwirtschaft, eine sichere Versorgung der Verbraucher mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu angemessenen Preisen, besonders hervorgehoben. Aus Verbrauchersicht war die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise im vergangenen Wirtschaftsjahr weniger günstig. Der Index für Nahrungsmittel stieg stärker als der Preisindex für die Lebenshaltung insgesamt. Gewiß sind nicht die Landwirte die eigentlichen Nutznießer dieser Entwicklung. Die Verarbeitungsund Handelsstufen haben kräftig mitverdient; aber die Preissituation hat den Landwirten unbestreitbare Vorteile gebracht. Daß das Einkommen insgesamt so stark angestiegen ist, geht in erster Linie auf die Preisentwicklung auf der Erzeugerstufe zu-rück. Vor allem die saisonabhängigen Nahrungsmittel wie Kartoffeln und Gemüse, aber auch die hohen Schweinefleischpreise haben den Preisindex für Nahrungsmittel stark belastet.
Dabei, meine Damen und Herren, darf allerdings nicht außer acht gelassen werden, daß der Anstieg der Nahrungsmittelpreise in der Bundesrepublik - im Vergleich zu anderen EG-Mitgliedstaaten - dank der Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung deutlich geringer war.
({12})
Denn Stabilitätspolitik nützt vor allem der Landwirtschaft, weil Preissteigerungen bei Betriebsmitteln voll auf die Erzeugerpreise durchschlagen, aber nicht abgewälzt werden können.
Im Bereich des Verbraucherschutzes haben die Bundesregierung und die Bundesrepublik in der Europäischen Gemeinschaft eine führende Rolle übernommen. Die umfassende Reform des deutschen Lebensmittelrechts hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, daß die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Lebensmitteln Priorität gegenüber rein wirtschaftlichen Überlegungen erlangt hat. Zu bedauern ist allerdings, daß die deutschen Bemühungen gelegentlich zu Wettbewerbsverzerrungen führen, weil die europäischen Nachbarn in ihrer Gesetzgebung hinterherhinken. Das ist uns auch bekannt. Wichtig ist deshalb, daß alsbald in der Europäischen Gemeinschaft einheitliche und allgemein verbindliche Regelungen zum Schutze der Verbraucher getroffen werden.
({13})
Der Agrarbericht, meine sehr verehrten Damen und Herren, weist weiter darauf hin, daß in Zukunft sowohl die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte als auch die der landwirtschaftlichen Betriebe nicht mehr so stark wie in den vergangenen Jahren abnehmen werden. Sicher werden in Zukunft nicht so viele außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, sicher wird die Sogwirkung der übrigen Wirtschaft geringer sein. Aber eine entscheidende Rolle spielt auch, daß die Landwirtschaft infolge der verbesserten Einkommenslage attraktiver geworden ist, daß es sich wieder lohnt, Landwirt zu sein. Das können Sie draußen von jungen Landwirten immer wieder hören. Und das ist mit ein Verdienst dieser Bundesregierung, die sich der Verantwortung gegenüber der deutschen Landwirtschaft immer bewußt war und ihr politisches Handeln auch immer danach ausgerichtet hat.
Wenn nun von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, vom Deutschen Bauernverband und seinem Präsidenten kritisiert wird, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 das Ziel, die Teilnahme der deutschen Landwirtschaft an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung, nur in Aussicht gestellt hat, muß ich Ihnen entgegenhalten, daß Sie unsere marktwirtschaftliche Ordnung völlig mißverstehen, wenn Sie glauben, der Staat müsse Einkommensgarantien geben, als seien die Bauern Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes. Das sind sie nicht, und niemand sollte sie auch dazu machen. Die Landwirte sollen ihre unternehmerische Freiheit behalten und sich im Wettbewerb behaupten.
({14})
Der Staat hat nichts zu garantieren, sondern soll Hilfe leisten, wo immer es nötig ist, Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist unser Ziel.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte im Zusammenhang fortfahren.
Wenn ich an die Selbstverantwortlichkeit und Risikobereitschaft der Landwirtschaft appelliere, so will ich dies nicht als Absage an eine konstruktive Einkommenspolitik mißverstanden wissen. Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin mit unserer Unterstützung für einkommenspolitische Maßnahmen einsetzen. Das bedeutet, daß wir auch weiterhin für gezielte Preisanhebungen sind, jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Einkommens- und Kostenentwicklung im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen und stabilitätspolitischen Erfordernisse.
({0})
- Herr Kollege Niegel, das brauche ich Ihnen als Landwirt doch wohl nicht zu erklären, nehme ich an. Oder?
Hier muß ich aber einschieben, daß es eigentlich abwegig ist, von d e r Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland zu reden. Ihre Lage ist so unterschiedlich, das Einkommen so verschieden, daß differenziert werden muß. Ihre Vielfalt reicht von den Veredelungsbetrieben über die Marktfruchtbetriebe, die Gemischtbetriebe bis zu den Futterbaubetrieben; sie reicht vom Getreidebau bis zur Milcherzeugung, von der Bullenmast über die Sonderkulturen bis zum Freizeitgemüsebau. Betriebe über 20 ha schneiden in der Regel besser ab als die unter 20 ha. Da der Anteil kleiner Betriebe unter 20 ha im Süden der Bundesrepublik größer ist als im Norden, ist auch das Einkommensniveau der Betriebe im Süden niedriger als in den norddeutschen Bundesländern.
({1})
Müller ({2})
Hier hat der Süden strukturell noch einiges aufzuholen; Sie aus dem Süden dürften die Frage gar nicht stellen, Herr Kollege Niegel, Sie müssen das eigentlich wissen.
Aber selbst innerhalb derselben Betriebsform erzielen in denselben Größenklassen die Betriebe des obersten Viertels ein Vielfaches des Reineinkommens der Betriebe des unteren Viertels.
({3})
- Vielleicht haben Sie damals etwas versäumt, Herr Niegel. Das kann sein. - In absoluten Zahlen ausgedrückt wird der Abstand sogar von Jahr zu Jahr größer. So betrug dieser Abstand 1969/70 in den Vollerwerbsbetrieben 22 158 DM. Bis 1975/76 hat er sich mehr als verdoppelt, und zwar auf 48 827 DM.
Problematisch ist deshalb vor allem die Situation in den Vollerwerbsbetrieben des unteren Viertels, aber auch in den Zuerwerbsbetrieben. Da die Betriebsinhaber einer außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit vorwiegend nur saisonal nachgehen können, ist ein nachhaltiger, geregelter Zuverdienst kaum möglich. In vielen Fällen gibt es auch keine Ausweichmöglichkeit. Diesen Betrieben hat die Bundesregierung durch die Umstellungs- und Überbrückungshilfe eine Überlebenschance geboten.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch auf die Beziehung zwischen Ausbildungsstand und wirtschaftlichem Erfolg hinweisen. Der Agrarbericht zeigt auf, daß die Ausbildung eines landwirtschaftlichen Betriebsinhabers einer der wesentlichen Faktoren für den Betriebserfolg ist. Er weist diesen Erfolg sogar in Mark und Pfennig nach, je nachdem, ob der Betriebsinhaber Volks- oder Fachschulausbildung, Gehilfen- oder Meisterprüfungen hat.
Die Anforderungen an den Landwirt von morgen sind groß. Er muß naturwissenschaftliche Kenntnisse haben, die Technik beherrschen und wirtschaftlich denken und handeln können. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, wie ein landwirtschaftlicher Betrieb ordnungsgemäß geführt werden soll, ohne Aufzeichnungen zu machen. Zu sagen, das erfordere einen zusätzlichen Arbeitsaufwand, ist für mich kein Argument; denn nur Aufzeichnungen ermöglichen einen wirtschaftlichen Überblick, zeigen den finanziellen Spielraum, helfen Kosten sparen und können den Besitzer vor Verlusten bewahren.
Natürlich sind die praktische Ausbildung, das praktische Können Grundvoraussetzung und können durch nichts ersetzt werden. Es wäre übertrieben, vom Landwirt ingenieur-, medizin- und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung zu verlangen. Aber es sollte das Ziel sein, daß jeder Landwirt, der einen Vollerwerbsbetrieb bewirtschaften möchte, zumindest die landwirtschaftliche Gehilfenprüfung abgelegt hat. Auch der Weiterbildung, die ja gerade auf dem Lande draußen sehr, sehr schwierig ist, sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Hier sollte nach neuen Möglichkeiten gesucht werden.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Probleme gibt es auch in den Nebenerwerbsbetrieben. Deshalb ist es erfreulich, daß sich der Ausschuß mit dem Problem Nebenerwerb in dieser Legislaturperiode intensiv beschäftigen wird. Es geht nicht nur um die Umstellung vom Voll- zum Nebenerwerb; auch der umgekehrte Weg muß in die Betrachtung mit einbezogen werden.
Aber nicht nur die betriebs- und volkswirtschaftlichen Aspekte sind von Bedeutung, sondern auch die soziale Sicherung der landwirtschaftlichen Bevölkerung ist ein wesentlicher Punkt der gesellschaftspolitischen Aufgabe, die Landwirtschaft zu einem gleichrangigen Teil der Volkswirtschaft zu entwickeln.
Das System der agrarsozialen Sicherung muß als vollendet bezeichnet werden. In Zukunft kann es nicht darum gehen, durch neue Versprechungen große Hoffnungen zu wecken, sondern es geht darum,
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das System abzurunden und zu festigen.
Weil Sie diesen Einwurf machen: Ich habe hier eine Pressemitteilung der Katholischen Landjugend, die es wert wäre, einmal gelesen zu werden. Sie haben sie sicher auch bekommen. Ich kann heute nicht zitatweise darauf eingehen.
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- Schauen Sie sich das doch einmal an; vor allem der Zwischenrufer sollte das einmal tun. Es ist ganz interessant, was hier drinsteht.
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- Warten Sie doch einen Augenblick! Seien Sie doch nicht so voreilig; ich komme noch darauf zurück. Ich habe gesagt: Es geht nicht darum, große Hoffnungen zu wecken, sondern es geht darum, das System abzurunden und zu festigen. Dazu gehört auch eine bessere soziale Absicherung der jüngeren Witwen. Für diese Absicherung treten wir alle ein. Aber für deren Verwirklichung kann und sollte niemand von uns einen Termin nennen, denn wir alle wissen, daß dies zur Zeit nicht finanzierbar ist.
Bei den Zuschüssen zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung dürfen wir nicht vergessen, daß es sich um eine freiwillige Leistung handelt. Sie gesetzlich festzuschreiben, wie die Landwirtschaft dies immer wieder fordert, widerspricht dem Sinn von staatlichen Zuschüssen, die nach dem konkreten Bedarf von Jahr zu Jahr und von Fall zu Fall gewährt werden.
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Eine gesetzliche Regelung würde hier zu einem Erdrutsch führen. Mit Recht würden andere Gruppen Gleiches verlangen.
Sollte sich jedoch während der Beratungen des Einzelplans 10 ergeben, daß Möglichkeiten zu Umschichtungen innerhalb des Einzelplans vorhanden sind, dann werden wir prüfen, ob eine Verstärkung
Müller ({8})
der Zuschüsse zur Unfallversicherung möglich ist. Aber auch die Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung müssen selbst prüfen, wie vorhandene Ungleichgewichte in der Beitragsbelastung der Landwirte abzubauen sind.
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Aus dieser Pflicht kann sie niemand entlassen. Darauf hat unser Ausschußvorsitzender, Dr. Schmidt ({10}), zu Recht in einem Beitrag des SPD-Pressedienstes aufmerksam gemacht.
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Der weitere Ausbau der sozialen Sicherung der Landwirte wird mehr denn je von den finanziellen Möglichkeiten des Staates abhängen und ebenso von der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Landwirte.
Untersucht man die verschiedenen landwirtschaftlichen Betriebe, dann scheinen sich die Grünlandbetriebe in der schlechteren Situation zu befinden. Sie liegen meistens in den Problemgebieten, weit entfernt von den wichtigsten Verbrauchszentren, und sie haben kaum eine Möglichkeit, auf andere, rentable Zweige umzusteigen. Deshalb, meine Damen und Herren, sind die Zukunftserwartungen hier so kritisch. Daher haben wir in diesen Räumen so hohe Abwanderungszahlen und nehmen auch hier die Brachflächen zu. Deshalb gelingt es nur schwer, den Schulabgängern in ihren Einzugsbereichen qualifizierte Arbeitsplätze anzubieten. Viele sind gezwungen, in andere Gebiete abzuwandern. Hier hat in der Vergangenheit ein unvorstellbarer Aderlaß an jungen, qualifizierten Menschen stattgefunden. Noch heute hält dieser Aderlaß an. Die Menschen müssen ersetzt und an den Raum gebunden werden. Wir müssen alles tun, diese ländlichen Räume als Wohn- und Arbeitsplatz zu erhalten, sollen weite Gebiete nicht veröden.
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Diese Gefahr besteht nach wie vor, wenn es nicht gelingt, diese Gebiete wieder attraktiv zu machen. Wir brauchen nur Zeitungsberichte zu verfolgen mit der Überschrift: „Massensterben von Einzelhandelsgeschäften". Für den Stadtbewohner, meine Damen und Herren, ist es selbstverständlich, daß er jeden Tag seine frische Semmel, sein Brot, seine Wurst, sein Fleisch einkaufen kann. Viele Menschen auf dem Lande haben diese Möglichkeit schon längst nicht mehr. Im günstigsten Fall können sie an bestimmten Wochentagen einkaufen, wenn ein von Ort zu Ort fahrender Metzger oder Bäcker seine Waren anbietet. Ein Großeinkauf in der Stadt ist für manche Bürger, besonders die älteren, sehr beschwerlich und kostspielig. Wen wundert es, wenn die Lebenshaltungskosten in den dünn besiedelten ländlichen Teilräumen vielfach höher sind als in Ballungsgebieten! Deshalb geht die Errichtung neuer Einkaufszentren in den meisten Fällen zu Lasten der Bewohner auf dem Lande. Die Geschäfte in den Dörfern sind nicht mehr konkurrenzfähig, müssen schließen oder wandern ab. Arbeitsplätze gehen verloren.
({13})
- Schauen Sie nur einmal, was die bayerische Regierung dafür tut! Das muß ich Ihnen dann hier auch einmal sagen. -({14})
Für die Bevölkerung werden die Wege länger, wird die Versorgung schwieriger und aufwendiger.
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Der Gesetzgeber - wer auch immer: Bund oder Länder ({16})
- und auch die CSU, Herr Niegel, jawohl! - sollte sich dieses Problems möglichst bald annehmen, um größeren, nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verhüten.
({17})
Der Begriff „Politik für den ländlichen Raum" hat inzwischen im Wortschatz der Parteien einen festen Platz.
({18})
Der Agrarbericht würdigt diese Tatsache mit dem Kapitel „Entwicklung des ländlichen Raums", indem er sowohl die übergeordneten Gesichtspunkte der Raumordnung und Regionalpolitik hervorhebt als auch detailliert auf die Probleme der Agrarstrukturpolitik eingeht. Naturgemäß wird die Agrarpolitik immer wesentlicher Bestandteil einer Politik für den ländlichen Raum sein. Aber ebenso geht es dabei um regionale Wirtschaftsförderung, um Raumordnung, Entwicklung der Infrastruktur, insbesondere Sicherung der Verkehrswege. Weiter geht es um medizinische Versorgung, um Bodenrecht, Freizeitpolitik und Bildungs- und Sozialpolitik.
Ziel sozialdemokratischer Politik ist es, daß dünner besiedelte Landstriche nicht sich selbst überlassen werden und ihre Entleerung nicht noch gefördert wird. Deshalb darf die Grundversorgung in Dörfern und kleineren Städten nicht abgeschafft werden.
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- Schauen Sie sich das bayerische Landesentwicklungsprogramm an, Herr Niegel, dann wissen Sie genau Bescheid. Und fragen Sie nach, wo denn überhaupt das Investitionsprogramm, die Fortschreibung ist. Da fehlt doch alles! Machen Sie doch nicht solche Einwürfe, wenn Sie das nicht kennen!
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Müller ({21})
- Sie sollten sich erst einmal sachkundig machen, ehe Sie von Märchen reden, Herr Kollege.
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Deshalb sollten alle Organisationen und Institutionen, meine Damen und Herren, bei ihren Entscheidungen eventuelle Folgen für den ländlichen Raum berücksichtigen.
({23})
Dann dürfte es in Zukunft nicht vorkommen, daß z. B. Versicherungen bei der Neufestsetzung der Kfz-Prämien benachteiligte Gebiete, beispielsweise Röhn/Haßberge, schlechter behandeln als das ebenfalls strukturschwache angrenzende Oberfranken.
Für die Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik in den nächsten Jahren gilt es, einen fairen Interessenausgleich zwischen den Regionen zu finden. Gerade wenn die Bevölkerung zurückgeht und die öffentlichen Mittel knapp werden, darf nicht jede Region, jede Gemeinde rücksichtslos ausschließlich im eigenen Interesse handeln. Für alle gilt, sich am Gemeinwohl zu orientieren, für eine konstruktive Zusammenarbeit zu sorgen. Nicht Konfrontation, sondern Kooperation zwischen Verdichtungsräumen und ländlichen Gebieten muß das Ziel der Politik sein.
Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik müssen zusammenwirken, Bund, Länder und Gemeinden zusammen handeln. Dann, nur dann, hat der ländliche Raum eine Zukunftschance. Wir Sozialdemokraten werden uns auch in Zukunft dieser Aufgabe stellen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Peters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die deutsche Landwirtschaft hatte in den letzten zwei Jahren, in den Wirtschaftsjahren 1974/75 und 1975/76, einen erfreulichen Einkommenszuwachs zu verzeichnen. Diese Einkommensentwicklung war möglich, weil sowohl die Produkterzeugung als auch die Erzeugerpreise ein für die Landwirtschaft günstiges Niveau erreichten.
Von gleicher Bedeutung ist die mäßige Kostensteigerung der Vorleistungen der Landwirtschaft auf Grund der Stabilitätspolitik der Bundesregierung. Die gute Einkommenslage hat ein beachtliches Investitionsvolumen an Bauten und Maschinen in der Landwirtschaft ausgelöst, was in der Zeit der Weltrezession die geringe Nachfrage gestützt hat. Erfreulich ist auch, daß die Einkommen 1975/76 in Süddeutschland in etwa den Bundesdurchschnitt erreicht haben.
Der Grund für die regional unterschiedliche Einkommenstendenz liegt allerdings auch in den Betriebsgrößen. Immerhin haben die Betriebe über 50 ha einen Gewinn je Familienarbeitskraft von 47 000 DM im letzten Jahr erwirtschaftet, während der Gewinn bei den Betrieben von 20 bis 50 ha bei 27 000 DM lag.
Nun habe ich Verständnis dafür, wenn die Opposition und der Bauernverband weniger über das Berichtsjahr als vielmehr über das laufende Wirtschaftsjahr reden wollen. Beim Agrarbericht des letzten Jahres war es umgekehrt. Damals war das Motto der Opposition: Wir reden über das Berichtsjahr und nicht über günstigere, aber unsichere Zukunftsaussichten.
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Die Vorausschätzung für 1976/77 zeigt eine Minderung der landwirtschaftlichen Einkommen um 6%. Die Ursache dafür ist hauptsächlich die starke Trockenheit im Sommer 1976, die in einzelnen Gegenden, vor allen Dingen auf leichten Böden, zu katastrophalen Verhältnissen führte. Eine Folge ist der noch andauernde Zukauf von Futtermitteln. Außerdem spielt eine Rolle, daß der Rinderpreis einige Wochen im Sommer 1976 bei erheblichem Angebotsdruck und trotz starker Interventionen nicht unerheblich zurückging. Darüber hinaus konnte der im Wirtschaftsjahr 1975/76 hohe Schweinepreis nicht gehalten werden.
Nun, meine Damen und Herren, die agrarpolitische und die marktpolitische Lage wird sich mit günstiger Tendenz stabilisieren. Ein wesentlicher Faktor dabei ist die Stabilitätspolitik der Bundesregierung. Seit über anderthalb Jahren - und hier muß ich Ihnen widersprechen, Herr Dr. Ritz - hat sich die Kostenschere im Verhältnis von Erzeugerpreisen zu Betriebsmittelpreisen für die Landwirtschaft geschlossen.
({1})
- Ja, wir müssen aber einen längeren Zeitraum nehmen, und in einem längeren Zeitraum, Herr Dr. Ritz, liegen die Bezugszahlen zwischen 145 und 150 und schwanken nur um 2 °/o, einmal zugunsten der Erzeugerpreise, zum anderen zugunsten der Betriebsmittelpreise. Hier kann man also von einer absoluten Stabilität der Verhältnisse reden.
({2})
Wir wollen jedoch die schwierigen Verhältnisse nicht verkennen, die die zukünftige Agrarpolitik belasten werden. Selbstverständlich werden die Agrarpreisverhandlungen der EG und die Bemühungen um die Herstellung des Marktgleichgewichts bei Milch von großer Bedeutung sein. Bei der Diskussion über diese Probleme sollte Einverständnis darüber bestehen, daß EG-Richt-, -Orientierungs- und -Interventionspreise oberhalb des Kaufvermögens und der Kaufbereitschaft der Verbraucher eine Illusion sind. Aus diesem Grunde ist schon eine mittlere Anhebung bei Fleisch und bei Milch im Markt nicht realisierbar. Das ist der Tatbestand. Fühlbare Preiserhöhungen würden zu geringerem Verbrauch und zu einem weiteren Auseinanderlaufen von EG- und Marktpreisen führen und damit die Intervention zusätzlich belasten.
({3})
Peters ({4})
Dringlich sind Regelungen auf dem EG-Milchmarkt zur Einschränkung der Milcherzeugung und zum reibungslosen Abfließen der Magermilch in den Futtertrog. Dazu bieten sich verschiedene Maßnahmen an wie Prämien für Nichtvermarktung von Milch, eine Erzeugerbeteiligung zum Abbau der Überschüsse, eine starke Verbilligung von flüssiger Magermilch und gegebenenfalls ein Zwang zur Beimischung von Magermilchpulver zum Kälberfutter.
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Es dürfte fraglich sein, ob die im Ministerrat diskutierten Maßnahmen ausreichend sind, um das Problem zu lösen.
({6})
Als weiteres und schwieriges Problem im Rahmen der Preisverhandlungen stellt sich der Währungsausgleich. Die Opposition hat die Formulierung in der Regierungserklärung:
Die Bundesregierung tritt auch künftig für eine
pragmatische Anpassung des Währungsausgleichs mit dem Ziel der Kosteneinsparung ein.
so gedeutet, als beabsichtige die Bundesregierung den Abbau des Grenzausgleichs. Unsere Regierung und im besonderen Minister Ertl haben unter erheblichen Schwierigkeiten den Grenzausgleich in der EG für Marktordnungswaren durchsetzen können. Ohne dieses System wäre der Gemeinsame Markt auf Grund der Währungsverschiebungen in den letzten sechs Jahren nicht zu halten gewesen. Andererseits sollte von deutscher Seite anerkannt werden, daß eine Landwirtschaft, die mit geringen Preissteigerungen für Betriebsmittel arbeitet, günstiger liegt als eine Landwirtschaft, die wie in Italien und in England mit hohen Preissteigerungsraten wirtschaften muß. Deshalb war es angebracht, daß Minister Ertl bei den beiden letzten Agrarpreisrunden der Vorjahre pragmatisch verhandelte und einige Prozentpunkte weniger an Preiserhöhung für die deutsche Landwirtschaft zugestand. Das hat der deutschen Agrarwirtschaft keinen Schaden zugefügt, im Gegenteil, unser Agrarexport ist unter diesen Verhältnissen noch gestiegen.
({7})
Zu einer ähnlichen Beurteilung des Währungsausgleichs, der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik, der Problematik der gemeinsamen Milchpolitik und der künftigen EG-Preispolitik scheinen ja prominente CDU-Politiker gekommen zu sein. Herr Kollege Carstens ({8}) hat in der Haushaltsdebatte vor einigen Wochen an dieser Stelle gefordert, daß - so wörtlich - schärfere Maßstäbe beim EG-Haushalt anzulegen seien. Als Haushaltsmann weiß Kollege Carstens natürlich, daß die landwirtschaftlichen Marktordnungen zwei Drittel des gesamten EG-Haushalts ausmachen und was seine Aussage beinhaltet.
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Ich darf den Kollegen Blumenfeld aus der Debatte des Europäischen Parlaments vom 12. Januar 1977 zitieren:
Seit Monaten schiebt der Ministerrat eine Entscheidung in den Bereichen eines Agrarberichts
vor sich her, nämlich des Milchmarktes und der Währungsausgleichsbeträge. Beide sind wegen ihrer Belastungen für den Haushalt der Europäischen Gemeinschaft von großer Bedeutung. Die gemeinsame Milchpolitik kostet jährlich 2 Milliarden Rechnungseinheiten, und beim gegenwärtigen Stand des Grenzausgleichs muß für 1977 mit Ausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden Rechnungseinheiten gerechnet werden, wenn keine Anpassung des Systems vorgenommen wird.
Zur Frage von Agrarpreiserhöhungen hat sich Freiherr Heereman auf dem Schleswig-Holsteinischen Bauerntag vor der Bundestagswahl folgendermaßen geäußert:
Auf den letzten Prozentsatz Preiserhöhung kommt es gewiß nicht an, wenn die ganze Richtung nicht mehr stimmt.
Dabei hat der Herr Präsident vielleicht an die Möglichkeit gedacht, daß er die nächsten Preisverhandlungen in der EG durchzustehen hätte.
({10})
Es wäre interessant, zu erfahren, wie die offizielle Fraktionsmeinung der Opposition zu den schwierigen Fragen der EG-Finanzierung, der Bewältigung der Überschüsse und des Währungsausgleichs ist. Sie haben zwar Andeutungen gemacht, Herr Dr. Ritz, aber konkrete Fakten, wie Sie es sich vorstellen, haben auch Sie nicht genannt.
({11})
Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß die FDP grundsätzlich am Instrument des Währungsausgleichs festhält, daß sie aber auch entschlossen ist, einschneidende Maßnahmen zur Lösung des Überschußproblems zu unterstützen.
({12})
Viel negativer für die Landwirtschaft wäre es, wenn in diesem Bereich, also im Milchbereich, weiter gewurschtelt würde und schließlich über fehlende Mittel des Agrarfonds die Milchmarktordnung zu Bruch gefahren würde.
Bei dieser Gelegenheit sollte auch betont werden, daß die Überschüsse nicht nur, wie es manchmal behauptet wird, von unseren Partnern, von den Partnerländern produziert werden. Bei steigender Veredlungsproduktion sollte überlegt werden, ob es noch zu verantworten ist, daß Bauten für größere Viehbestände öffentlich, also von Staats wegen oder von der EG, gefördert werden. Ich verneine das und schlage vor, daß sich die Bundesrepublik darum bemüht, nicht nur im eigenen Bereich, sondern generell in der EG große Betriebseinheiten in der Veredlung nicht mehr zu fördern.
({13})
Die Grenze sollte bei Ställen für 40 Kühe und für 400 Schweinemastplätze liegen.
Zur Haushaltspolitik bedarf es einer Richtigstellung gegenüber laufenden irreführenden BehaupPeters ({14})
tungen des Bauernverbandes und der Opposition. Bis 1971 wurden die Marktordnungsausgaben im nationalen Haushalt etatisiert, ab 1972 im EG-Haushalt. Vergleiche sind also nur möglich, wenn man den nationalen Agrarhaushalt und die Marktordnungsausgaben zusammennimmt und dann jahresmäßige Vergleiche zieht. Auf dieser Basis erhöht sich, einschließlich der Ansätze des Investitionsprogramms, die Steigerung des Agrarhaushalts zum Vorjahr auf 6,2 % und der Anteil des Agrarhaushalts am Bundeshaushalt auf 5 %. Damit ist die Steigerungsrate des Agraretats gleich der des Bundeshaushalts.
Auch den Kritikern dieser Regierung und dieser Koalition ist wohl klar, daß die Marktordnungsausgaben mit die bedeutendsten Ausgaben für die deutsche Landwirtschaft darstellen. Es sind nämlich Ausgaben zur Marktstabilisierung.
({15})
Nun noch ein Wort zur Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft. Meine Damen und Herren, hören Sie genau zu! Sie waren ja sehr allergisch, als Sie auf Herrn Müller reagierten. Wer dieses Problem objektiv betrachtet, kann nicht umhin, festzustellen, daß es heute innerhalb der Landwirtschaft starke Unterschiede der Besteuerung und damit Ungerechtigkeiten gibt. Wenn ich Ihnen das genau auseinandersetzen soll, dann kann ich Ihnen sagen: Zumindest im norddeutschen Bereich gibt es in jedem Dorf mehrere Betriebe, die buchführungspflichtig sind, Betriebe um 50, 60 ha, die wie Gewerbe Einkommensteuer zahlen, und zwar in Höhe von 7 000 bis 10 000 DM, während gleich leistungsfähige Betriebe, die nach GDL besteuert werden, entweder überhaupt keine Steuer oder 1 000 DM zahlen.
({16})
Das sind die Verhältnisse. Sie müssen im Interesse der Landwirtschaft geändert werden, meine Damen und Herren. Dafür sollten auch Sie sich einsetzen.
Das wirkt außer in die Steuergesetzgebung auch noch in die Bundesausbildungsförderung und die Regelung des Wohngeldes hinein. Auch im Verhältnis zum Lohnsteuerzahler muß vergleichbare Gerechtigkeit gelten.
({17})
Von den 900 000 landwirtschaftlichen Betrieben sind nach geltendem Recht 100 000 buchführungspflichtig, die wie Gewerbe veranlagt werden, also keine Sondervergünstigungen bekommen. Über 500 000 Betriebe sind Zu- und Nebenerwerbsbetriebe, die über ihre Nebenerwerbseinkünfte zur Lohn- und Einkommensteuer und zusätzlich zur landwirtschaftlichen Durchschnittssatzbesteuerung herangezogen werden, wie es Herr Müller hier schon dargestellt hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bötsch?
Bitte schön.
Herr Kollege, wenn ich Sie richtig verstehe, geht es Ihnen dann also nur um die Frage der Steuergerechtigkeit, oder können Sie bejahen oder dementieren, daß die 2,5 Milliarden DM, die vorhin in einer Zwischenfrage im Gespräch waren, innerhalb der Koalition gehandelt werden?
Ich habe keine 2,5 Milliarden DM genannt. Auch im Subventionsbericht sind keine 2,5 Milliarden DM enthalten. Daß der Betrag, der dort enthalten ist, realisiert werden kann, bezweifle ich sehr.
Nun möchte ich folgendes sagen, und damit komme ich auf den Kern des Problems. Es geht hauptsächlich um eine gerechte Regelung für 200 000 bis 300 000 landwirtschaftliche Betriebe im Haupterwerb, die heute nach § 13 a des Einkommensteuergesetzes besteuert werden. Das ist der Tatbestand. Dort müssen wir gerechte Verhältnisse schaffen.
({0})
Ich bin der Meinung, daß Sie sich dem nicht entgegensetzen sollten. Davon wird gewiß ein wesentlicher Teil in einer Durchschnittsbesteuerung bleiben müssen, schon aus Gründen der rationellen Steuerverwaltung, allerdings bei Änderung der Richtsätze in der GDL-Besteuerung. Nach Fertigstellung der Kommissionsgutachten sollte der Bundestag als Gesetzgeber schnell handeln.
Zusammenfassend stelle ich fest: Die Reineinkommen je Arbeitskraft sind von 1968/69 bis 1975/ I 76 durchschnittlich um 11 % gestiegen, etwas mehr als die vergleichbaren Einkommen. Bezieht man in diese Vergleichsrechnung das Dürrejahr 1976/77 mit dem Minus von 6 % mit ein, verbleibt eine jahresdurchschnittliche Einkommensteigerung von 9 %, leicht unter derjenigen vergleichbarer Berufsgruppen. Mittelfristig hat die Agrarpolitik der Bundesregierung die landwirtschaftlichen Einkommen an die vergleichbare Einkommensentwicklung herangeführt.
In dieser Berechnung ist nicht enthalten, was zusätzlich an Sozialleistungen und Kindergeld in dem Zeitabschnitt in die Landwirtschaft floß. Die Bundeszuschüsse der Agrarsozialpolitik, an die landwirtschaftliche Altershilfe, für die Landabgaberente, an die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und an die Rentner-Krankenversicherung der Landwirte, sind von 900 Millionen DM im Jahre 1969 auf jetzt 2 960 Millionen DM gestiegen, also um über zwei Milliarden DM.
Durch die Neuregelung des Kindergeldes ergibt sich eine Erhöhung um 500 Millionen DM für die landwirtschaftlichen Familien.
Zusammen haben die Agrarpreispolitik, die Hilfen im agrarstrukturellen Bereich und die starke Ausweitung der Agrarsozialpolitik von 1969 bis heute eine sichere Basis für die deutsche Landwirtschaft geschaffen.
({1})
Am Schluß meiner Ausführungen möchte ich betonen, daß wir erwarten, daß es in der EG zu Agrar1490
Peters ({2})
preisbeschlüssen kommt, wie sie von acht Partnerländern schon Unterstützt werden. Unser besonderer Dank gilt Bundesminister Ertl für seine Verhandlungsführung im Ministerrat.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiechle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor drei Abgeordneten der Freien Demokraten,
({0})
vor von eineinhalb Dutzend Ministern einem und wenigstens noch gut zehn Abgeordneten der regierenden SPD
({1})
diskutieren wir heute den Agrarbericht.
({2}) - Wir regieren ja auch nicht.
({3})
Wir diskutieren einen Agrarbericht, der - über zwei Monate verspätet - heute dem Parlament zur Diskussion vorliegt, verschoben mit der Begründung, daß es besser sei, ihn später zu diskutieren, weil dann die Ergebnisse der Brüsseler Preisverhandlungen vorlägen. So die SPD in einer Erklärung.
({4})
Nun haben wir die Ergebnisse trotzdem nicht, aber wir wissen ja, wie die sogenannten Kompromisse in etwa aussehen werden.
In den letzten Jahren verliefen Agrardebatten über weite Strecken nach einem ganz bestimmten Ritus. Die Regierung, bestehend aus SPD und FDP, 1969 angetreten, um erst einmal zu zeigen, was richtige Demokratie eigentlich ist, wies den Agrarbericht immer als eine Art persönlichen Erfolgsbericht aus. Sie verwertete alle positiven Zahlen einer agrarwirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung als Beweis eigener Tüchtigkeit, alle negativen Fakten aber als unbeeinflußbare Naturerscheinung oder als Ergebnisse von Vorgängen außerhalb ihres politischen Einflußbereichs. Die regierungsamtliche, parteipolitisch einseitig ausgerichtete Propagandamaschine, besonders vor Wahlzeiten - wie ja das Verfassungsgericht festgestellt hat -, sorgte dann für eine entsprechende Verbreitung in der Öffentlichkeit.
Die CDU/CSU war jeweils gezwungen, Zusammenhänge zu erläutern, überzogenen Optimismus der Bundesregierung zu korrigieren und Fehlinterpretationen der Koalition aus SPD und FDP zu entlarven. Es war meist ein wenig fruchtbarer Dialog. Diese linksliberale Regierung, von ihrer eigenen Unfehlbarkeit überzeugt, wußte alles besser, hörte auf Anregungen meist nicht hin, bestritt mit unermüdlicher Ausdauer jeweils das Vorhandensein unserer
erarbeiteten Alternativen und pries dafür ihre eigene Superleistung.
({5})
- Den Nachweis sieht das deutsche Volk heutzutage von selbst.
Ziemlich nach den gleichen Kriterien verlief auch heuer der Auftakt zum Bericht über die Lage der Landwirtschaft. Die Presse wurde mit der nicht näher erläuterten Zahl von 20,1 % Einkommenszuwachs ausgestattet. Damit. wurde auch schon das Beurteilungsschema im öffentlichen Erscheinungsbild festgelegt. Herr Ertl hat scheinbar nicht bemerkt, daß besondere Teile der SPD in der Regierung diese überzogenen Erfolgsmeldungen gleichzeitig benutzen, um sie als Waffe gegen die Landwirtschaft einzusetzen.
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Die 6 % Einkommensrückgang - ich erläutere es Ihnen gleich - für das laufende Wirtschaftsjahr verschwinden dann hinter der vorsorglichen Schutzrechnung, dies ergäbe in sieben Jahren immer noch eine durchschnittliche Einkommenssteigerung von 9 %. Daß Betriebsreineinkommen in der Landwirtschaft je Arbeitskraft aber etwas ganz anderes als Nettoeinkommen außerhalb der Landwirtschaft ist, wurde und wird dann zwar - immer ein bißchen später - auch noch gesagt, aber eben leiser, vorsichtiger und nicht mit den vorherigen Fanfarenankündigungen. So bleibt man sozusagen zwar bei der Wahrheit, kommt aber trotzdem zum erwünschten Ergebnis in der Offentlichkeit, daß das erzielte Einkommen großartig sei. Auf die eigentliche Zahl - jene 1 270 DM pro Arbeitskraft und Monat - hat Herr Dr. Ritz schon hingewiesen. Meine Herren, das ist der Durchschnitt! Die große Zahl kleiner Betriebe erreicht dieses bescheidene Durchschnittseinkommen natürlich nicht, und das bei einer sehr langen Arbeitszeit und hohem Kapitaleinsatz.
Da wir heuer am Beginn einer Legislaturperiode stehen, ist die Frage an die Bundesregierung nach der Zielsetzung, dem Konzept und der Weiterentwicklung unserer deutschen Agrarpolitik erforderlich. Die deutsche Agrarpolitik ist - das wissen wir - zwar an die gemeinsame europäische Agrarpolitik gekoppelt, aber die Forderung nach eigenen Initiativen der deutschen Regierung und einer agrarpolitischen Konzeption ist ja wohl trotzdem erlaubt. Weder im Agrarbericht 1977 noch in der Einbringungsrede von Bundesminister Ertl war eine solche Alternative angesichts der Herausforderungen unserer Zeit erkennbar. Herr Ertl und damit die Bundesregierung haben sich auf Zustandsbeschreibungen und Selbstverständlichkeiten beschränkt. Die Frage nach den Alternativen muß man in diesem Fall an den zuständigen Minister zurückgeben.
Da ist zunächst einmal der nationale Gestaltungsbereich der Agrarpolitik. Erforderlich sind Maßnahmen zur Konsolidierung und Verbesserung der Chancengleichheit und der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum. Haben früher die außerlandwirtschaftlichen Verdienstmöglichkeiten für Zu- und Nebenerwerbslandwirte den Strukturwandel wesentlich erleichtert, so sind hier heute kaum noch ChanKiechle
cen zu sehen. Auf dieser Ebene hat die Bundesregierung in den letzten Jahren gründlich versagt. Herr Ertl hat zwar angesprochen, daß das so sei, aber irgendeine Lösung oder eine Maßnahme oder ein Programm hat er nicht aufgezeigt, er hat nichts dazu gesagt.
Hinzu kommt, daß die Arbeitslosigkeit im gewerblich-industriellen Bereich selbstverständlich auch in ländlichen Regionen tiefe Spuren hinterläßt. Die Konkurse mittelständischer Betriebe und damit die Vernichtung von Tausenden von Arbeitsplätzen sind eine traurige Realität. Sie schwächen die Wirtschaftskraft in diesen Bereichen und schmälern die Investitionskraft ländlicher Gemeinden. Die Zurücknahme öffentlicher Verkehrsangebote - wir denken nur an das unglückselige Konzept der Strekkenstillegungen - gehört zur derzeitigen Minusseite der Politik in den ländlichen Räumen. Es gibt seit Neuestem etwas, das sich „Mobilitätszuschuß für Arbeitskräfte" nennt. In einigen Bereichen ist ein solcher Zuschuß möglicherweise durchaus angebracht. In ländlichen Bereichen wirkt diese Prämie faktisch wie eine Abwanderungsprämie.
({7})
Die menschenfreundliche These, die Arbeitsplätze z u den Menschen zu bringen, wird somit zur Zeit in das Gegenteil verkehrt.
Dies hat natürlich auch unmittelbare Auswirkungen auf das Geschehen in der Landwirtschaft. Die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft haben sich wesentlich verschlechtert. Der Agrarbericht belegt, daß die Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft stark zurückgehen. Diese Entwicklung ist höchst bedenklich. Sie signalisiert Stagnation auch auf dieser Ebene. Der wichtigste Motor von Einkommenszuwächsen, wenn auch bescheidenen, läuft deswegen nicht mehr rund. Auch auf diese Herausforderung legt die Bundesregierung kein Konzept vor. Sie läßt die Landwirtschaft im Stich. Sie erstrebt im Gegenteil neue finanzielle Belastungen.
Dieser ganze Bereich derzeitiger Politik für den ländlichen Raum läuft einer modernen Agrarpolitik in unserem dicht besiedelten Deutschland entgegen. Hier ist schnellstens eine Wende erforderlich. Die Investitionsfähigkeit des Mittelstandes als des größeren Gegenstücks zur Wirtschaftskraft der Landwirtschaft ist dringend zu verbessern.
In diesem Zusammenhang ein Wort zur heute schon des öfteren zitierten - ich will es in Anführungszeichen setzen - „neuen Steuerpolitik" Apels gegenüber der deutschen Landwirtschaft. Selbst Sozialisten sollten mittlerweile wissen oder gelernt haben, daß bei dem ökonomischen Kreislauf zwischen Investitionen, Arbeitsplätzen, Produktivitätssteigerungen und Kaufkraft ein unlösbarer Zusammenhang besteht. Ausgewogenheit der Faktoren statt experimenteller Reformen ist dazu allerdings notwendig. Die Wechselbäder von Investitionsprämien und Investitionssteuern haben höchstens dazu beigetragen, daß sich die Wirtschaft erkältet - und selbstverständilch dann auch die Landwirtschaft.
({8})
- Sie wollen es ja ändern!
Nun sind Bauern im allgemeinen Wirtschafter, die investitionsfreudig sind. Sie verreisen wenig ins Ausland, sie haben keine Auslandskonten, und sie legen ihr Geld in der Regel nicht in Gold und Schmuckstücken an. Sie stecken es schlicht und einfach in ihre Betriebe, modernisieren, restaurieren und investieren. Sie tun also genau das, wofür der Finanzminister in anderen Bereichen seit drei Jahren rund 35 Milliarden DM als Prämien und Sondermittel aufgewendet hat und neuerdings wieder 10 bis 15 Milliarden DM aufwenden will, um zu mehr Investitionen zu kommen.
Die Bundesregierung erhofft sich, wie Sie selber sagt, alles Wirtschaftsheil von der Stärkung der Kaufkraft der Bevölkerung. Aber gleichzeitig droht Bundesminister Apel der deutschen Landwirtschaft über seine Steuerpläne einen massiven Entzug von Kauf- und Investitionskraft an. Er übersieht dabei sicher, daß damit sektoral in den großen Zweigen der Landmaschinen-, Dünger- und chemischen Industrie Arbeitsplätze gefährdet werden. Und - in den letzten Wochen und Monaten hört man soviel davon - in einer Art demagogischer Zermürbungstatik in der propagandistischen Vorphase spricht er schlicht und einfach von 2 bis 21/2 Milliarden DM möglicher Höherbesteuerung und betreibt damit natürlich Kaufkraftentzug - alles unter der scheinheiligen Überschrift „Steuergerechtigkeit und Abbau von Privilegien".
({9})
Steuerkommission hin oder her - das ist einfach keine schlüssige Politik. Das zerstört erneut Vertrauen und ist unlogisch und gefährlich schon durch den Ankündigungseffekt. Statt daß jetzt unisono SPD und FDP nach einer sachlichen Diskussion rufen, wäre es besser gewesen, man hätte selber von Anfang an eine sachliche Diskussion statt dieser Polemik eingeleitet.
({10})
Übrigens sehen wir es als einen Skandal an, daß schon jetzt, ehe diese unabhängige Steuerkommission überhaupt arbeitet oder gar Vorschläge erarbeitet hat, im Kabinett begonnen wird, die Steuerschraube für die Landwirtschaft - wenn auch noch langsam, aber immerhin - anzuziehen.
({11})
- Durch den Abbau eines Freibetrags. -Das Bild nach außen, das die Bundesregierung in dieser Frage bietet, sieht zur Zeit folgendermaßen aus - und da soll ein Bürger noch verstehen, was gemeint ist -: Apel will höher besteuern, Ertl will erst prüfen, Schmidt ({12}) will einen SteuerStufenplan und hält die eingesetzte Fachkommission für überflüssig, und das Kabinett erhöht gleich vorsorglich durch Abbau von Freibeträgen *die Belastungen.
Politische Handlungsspielräume, Herr Minister, drücken sich vielfach in Geld aus. Der Haushalt eines Ressortministers ist sein wirklicher Gestaltungsspielraum. Ihr Haushalt, Herr Minister, ist seit 1973 praktisch eingefroren. Ihre Haushaltssteigerungsrate betrug in fünf Jahren 1 %, die des Gesamthaushalts 42 %. Da bedarf es keiner besonderen Qualifizierung mehr, was die Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Belange in dieser Bundesregierung betrifft. Diese Zahlen sprechen ihre eigene Sprache und erlauben auch ein klares Urteil. Bei Fortsetzung dieses Trends sinken in gleichem Umfang die positiven Gestaltungsmöglichkeiten auch der nationalen Agrarpolitik und die Verbesserung der Chancen des ländlichen Raums, da vieles auch Strukturpolitik für diesen Raum und die dort lebenden Menschen ist, was aus Ihrem Haushalt, Herr Ertl, finanziert wird oder finanziert werden sollte. Wenigstens die mittelfristige Finanzplanung muß sich verbessern, sonst folgt nicht nur Stillstand, sondern Rückschritt.
Dasselbe gilt auch für die Mittelbereitstellung im Bereich der, Unfallversicherung. Wir fordern wenigstens die Wiederherstellung des Ansatzes von 1976 und verlangen daher die Aufstockung um 80 Millionen DM.
({13})
Die Deckung dieses Vorschlags ist, wie bereits erkennbar, aus Titeln im Haushaltsplan 10 durchaus möglich. Übrigens wird Herr Susset dazu noch etwas mehr sagen.
In den kommenden Jahren wird die angelaufene Umwelt- und Naturschutzdiskussion verstärkt auch die Agrarpolitik beeinflussen. Dies ist durch die Gesetzgebung der letzten Jahre vorgezeichnet. Es ist Aufgabe der politischen Führung, hier Leitlinien zu entwickeln und unerwünschten Trends vorzubeugen. Land- und Forstwirtschaft - das kann nicht oft genug gesagt werden - sind klassische Pfleger von Natur und Umwelt. Sie leben langfristig vom ökologischen Gleichgewicht. Deshalb sind sie die natürlichen Partner beim Umwelt- und Naturschutz, und sie sind außerdem die wichtigsten Landschaftspfleger.
Es gibt in § 41 des Bundeswaldgesetzes eine Vorschrift, wonach die Bundesregierung alljährlich bei Einbringung des Berichts nach § 4 des Landwirtschaftsgesetzes zugleich über die Lage und Entwicklung der Forstwirtschaft und über die zur Förderung der Forstwirtschaft erforderlichen Maßnahmen berichten soll. Die Vorschläge der Bundesregierung haben sich heuer darauf beschränkt, einfach das Thema Forstzusammenschlüsse anzusprechen. Weitere Ansätze sind nicht erkennbar geworden. Die Forstwirtschaft trägt aber auch einen erheblichen Teil der Lasten durch die Naherholung im Rahmen des allgemeinen Betretungsrechts, und sie müßte deswegen etwas mehr Berücksichtigung finden.
Da in den nächsten Jahren noch eine Reihe von Verordnungen und Ausführungsbestimmungen im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes ergehen werden, ist es erforderlich, die Zielsetzung der erwähnten Partnerschaft dabei stets zu berücksichtigen. Sinnvoller Natur- und Landschaftsschutz kann nur mit, niemals gegen Land- und Forstwirtschaft betrieben werden. Wie blinder Eifer ganz allgemein nur schaden kann, würden Übereifer von gewissen Umweltschützern und bürokratischer Perfektionismus im einschlägigen Gesetzesbereich mehr Schaden als Nutzen stiften.
({14})
Es sind leider Selbstverständlichkeiten, die man hier sagt, die man aber leider nicht oft genug sagen kann, weil immer noch viele diesen Grundtatbestand nicht verstanden haben.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß sich in den Bergregionen durch das Förderungsprogramm bereits positive Entwicklungen auch im Bereich der Ökologie zeigen. Die Union, die dieses Bergbauernprogramm stets gefördert und gefordert hat, sieht darin eine Bestätigung, daß gezielte Maßnahmen auch Erfolg bringen. Wir fordern daher eine langfristige Fortsetzung dieser Maßnahme.
Im Zusammenhang mit dieser Debatte bedarf es auch eines Hinweises auf Verbraucherfragen. Verbraucher sind schließlich die Kunden der landwirtschaftlichen Erzeuger. Bei unseren deutschen Verbrauchern können wir uns, wie ich glaube, für ihr Qualitätsbewußtsein und ihre Erkenntnis bedanken, daß deutsche Lebensmittel qualitativ hervorragend sind. Ich bitte die Verbraucher, zu verstehen, daß Qualität auch ihren Preis hat. Die deutsche Landwirtschaft hat die Qualität ihrer Produkte laufend gesteigert und steht unter der Kontrolle strengster Hygiene-, Rückstands- und Lebensmittelgesetze. Diese Feststellung gehört auch mit zu den Fakten einer Agrardebatte. Und man darf hinzufügen, daß sich die deutsche Hausfrau auf die Qualität deutscher Agrarprodukte verlassen kann.
({15})
Die Anstrengungen, diesen Standard zu halten und trotzdem wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen fortgesetzt werden, wobei die Politik in beiden Bereichen ihren Beitrag leisten muß. Besonders bei der Vereinheitlichung der Qualitätsvorschriften auf EG-Ebene müssen Fortschritte erzielt werden, um neue Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden oder bestehende abzubauen.
An diesem Punkt hat früher insbesondere die FDP oft und hart die Kritik geübt, daß dies nicht gelänge. Seit acht Jahren trägt sie die Verantwortung für die europäische Politik, und es ist nicht nur ein Stillstand, sondern eher noch ein Rückschritt auf diesem Gebiet zu verzeichnen. Meine Herren, die stillen Wettbewerbsverzerrungen auf dieser Ebene haben sich verschärft, und Sie sollten sich dieses Themas und dieses Problems wesentlich mehr als bisher annehmen.
({16})
- Die brauche ich doch einem Fachmann nicht zu liefern; der muß es auch so wissen.
({17})
Mein Kollege Dr. Ritz hat in seiner Rede bereits die Problematik der EG-Agrarpolitik angesprochen.
Wir sehen mit großer Sorge den wachsenden Disintegrationsprozeß in der Gemeinschaft bei gleichzeitigen verbalen Einigungsbeteuerungen und -bemühungen von seiten der Bundesregierung. Der deutsche Beitrag zur weiteren Einigung Europas war - ich muß es leider sagen - von Bundeskanzler Schmidt bis Bundesfinanzminister Apel nicht besonders konstruktiv;
({18})
es waren immer mehr Belehrungen und Besserwisserei.
Auch in der EG-Agrarpolitik zeichnet sich seit geraumer Zeit ein solcher Desintegrationsprozeß ab. Wenn das so weitergeht, kann auch die EG-Agrarpolitik bald nicht mehr ihre wichtige Klammerfunktion in der Gemeinschaft erfüllen. Und dies ist politisch höchst gefährlich. Es sollte - jedenfalls aus unserer Sicht - wieder in positivem Sinne geändert werden.
Lassen Sie mich hier ganz konkret sagen, .meine Damen und Herren: Mit den jüngsten Vorschlägen zur Agrarpreisfestsetzung für das Wirtschaftsjahr 1977/78 ist nach unserer Meinung kein positiver Beitrag in Richtung Europa geleistet worden. Für Deutschlands Bauern nur unwesentliche Verbesserungen, die aber real sogar Preissenkungen bedeuten, für alle anderen unterschiedlich positive Preisraten - das kann doch wohl nicht gutgehen. So etwas fördert die Europa-Verdrossenheit, und ich nehme an, daß es Ihnen fast so geht wie uns; ich -weiß nicht, mit wem Sie diskutieren, aber in meinen Diskussionen draußen stelle ich jedenfalls - ich sage das ausdrücklich, auch deswegen, weil wir so für Europa sind - mit Sorge eine zunehmende Reserviertheit gegenüber dem Europa-Gedanken in der bäuerlichen Bevölkerung fest, die ja schließlich bisher nicht nur darüber reden durfte, sondern auch die wirklichen Lasten einer solchen Europapolitik hat tragen müssen. Die Bundesregierung ist hier eigentlich gefordert, als Sachwalterin der deutschen Bauern deren Interessen etwas stärker wahrzunehmen.
Im Zusammenhang mit der vorgesehenen sogenannten Erzeugermitbeteiligung würde, Herr Minister, für die Mehrzahl der deutschen Landwirte eine empfindliche Preissenkung eintreten. Wie auch immer der Ministerrat, in dem ja Sie als beteiligter Minister Sitz und Stimme haben, beschließen wird: Die von Ihnen und dieser Bundesregierung initiierte Zwangsabgabe in der angekündigten Höhe von jetzt ca. einem Pfennig je Liter Milch wäre beim jetzigen Preisvorschlag der EG-Kommission sehr problematisch.
({19})
- Sie machen ja sonst auch nicht alles, was der Bauernverband sagt! - Ich bin ohnehin kein Freund dieser Abgabe, denn ich fürchte, das könnte eine Dauerlösung werden. Außerdem werden Regionen ohne Produktionsalternativen ebenso zur Kasse gebeten wie solche mit Produktionsalternativen, Marktmolkereien genauso wie Interventionsmolkereien.
Wenn diese Zwangsabgabe, Herr Minister, letztlich nicht zu verhindern sein sollte, müßten aus unserer Sicht folgende Bedingungen erfüllt werden: Erstens. Der Berufsverband muß über die Höhe und die Dauer des Aufkommens mitentscheiden können. Zweitens. Er muß bei der Verwendung dieser Mittel mitentscheiden können. Und drittens bitte ich Sie, Herr Minister, dringend, für den Fall der Beschlußfassung mit dafür zu sorgen, daß das überwiegende Schwergewicht bei der Verwendung dieser Gelder auf einer Nichtvermarktungs- und Umstellungsprämie liegt. Nur damit kann man nämlich wahrscheinlich das Ziel des relativen Marktgleichgewichts herstellen.
Im übrigen wäre es ein Trugschluß, wenn irgend jemand glauben wollte - egal ob Landwirt oder nicht, ob Verbraucher oder sonstwer -, man könnte die Produktion von Lebensmitteln dem Verbrauch auf das Kilo genau anpassen. Das geht nicht, ist nie gegangen und wäre angesichts einer teilweise hungernden Dritten Welt auch unklug.
Europa soll nun wieder erweitert werden. Einschließlich der Konsequenzen, die damit auch dieses Mal verbunden sein werden - wir sind ja dafür, daß Europa größer wird, sich im größeren Kreis einigt -, begrüßen wir das. Aber neue Länder, die eventuell sogar Vollmitglied werden, werden auch neue Probleme bringen. Die Bundesregierung und auch Bundeskanzler Schmidt haben dem Vorhaben der in Betracht kommenden Länder ihre Unterstützung zugesagt. Damit kommen dann aber auch wieder neue Schwierigkeiten auf den Agrarmarkt zu. Noch sind ja die Übergangsbestimmungen für Großbritannien in Kraft, noch steigen auch wegen des damaligen Beitritts von drei Staaten die Kosten des Agrarmarktes. Es wird immer wieder übersehen, daß Bundeskanzler Schmidt den Beitritt der drei Länder damals in Dublin so sehr begrüßt hat, im Wissen, daß das für längere Zeit Geld kosten wird. Und heute hören wir dann immer wieder das Klagelied. Was also die Kosten anbetrifft, wird sowohl von Bundeskanzler Schmidt als auch von Minister Apel, die diese Entwicklung ursprünglich begrüßt hatten, immer wieder Kritik geübt. Es steht zu befürchten, daß sich dieses peinliche und unwürdige Spiel, sollte es nach denselben Regeln ablaufen, wiederholen könnte.
Da ist doch wohl die Frage erlaubt: Glaubt die Bundesregierung, glauben Sie, Herr Minister Ertl, daß bei einem Beitritt von weiteren drei Ländern im Bereich Agrarmarkt und Agrarmarktordnungen alles beim alten bleiben kann? Können die heutigen Mechanismen nach Ihrer Meinung wirklich auf Neumitglieder ohne Agrarstatistiken, mit hohen Beschäftigtenzahlen in der Landwirtschaft, mit einer wesentlich geringeren Verwaltungskapazität und zum Teil einseitigen Produktionsstrukturen übertragen werden? Ich stelle Ihnen ernsthaft die Frage: Welche Überlegungen hat sich die Bundesregierung, hat sich der zuständige Minister gemacht? Welche Alternativen hat die Bundesregierung, deren Finanzminister heute schon sagt, wir seien nicht Europas Zahlmeister? Mit welchem Konzept, mit welchen Zielvorstellungen geht die Bundesregie1494
rung angesichts der bereits zugesagten Unterstützung in die bevorstehenden Verhandlungen?
Hierzu haben wir von Ihnen in Ihrer Einbringungsrede kein Wort gehört, obwohl das doch für die kommenden vier Jahre ein wesentliches politisches, damit aber auch agrarpolitisches Ereignis ist. Wir befürchten allerdings, daß wieder die alte tibetanische Gebetsmühle von den unerträglichen Agrarmarktkosten erneut gedreht wird: zu Lasten der Bauern und des EG-Agrarmarktes. Ich glaube, es wäre gut, darüber nachzudenken, ob nicht andere, einfachere und praktikablere Regelungen auf dem Agrarmarkt eines nochmals erweiterten Europas notwendig und möglich wären, wenigstens zu Beginn dieses erweiterten Europas oder nur für die neuen zusätzlichen Mitglieder. Vielleicht wäre der direkte Finanzausgleich nach dem Vorbild des Bund-Länder-Finanzausgleichs ein Weg. Jedenfalls ist es die Pflicht der Bundesregierung, Alternativen zu erarbeiten und ins Spiel zu bringen - rechtzeitig und den absehbaren, den kommenden Entwicklungen angepaßt -, statt hinterher wegen der Kosten über einen politischen Akt, den man selbst mitvollzogen hat, zu jammern.
Das sind jedenfalls einige vor uns liegende Aufgaben der Agrarpolitik sowohl bei uns im Innern - von den Problemen des ländlichen Raums über die Einkommenssicherung und die viel zitierte Steuergerechtigkeit bis hin zur weiteren Gestaltung Europas, die politisch sehr erwünscht ist und von uns mitgetragen wird, aber agrarpolitisch langfristig wohl nicht mehr in derselben Form und mit denselben Regularien wie bisher erfolgen kann als auch im Äußeren der Gemeinschaft, für die wir Verantwortung tragen, zu der wir gehören und von der auch wir profitieren. Diese Aufgaben hätten wir gern von Ihnen angesprochen gesehen, Herr Minister.
Ich wollte dies am Beginn dieser Legislaturperiode hier ins Gespräch bringen, damit jedermann sehen kann, daß Agrarpolitik nicht nur Bauernpolitik ist, daß sie nach vorn gerichtet ist und sein muß. Allerdings haben wir bis jetzt auf die entsprechenden Konzepte und Initiativen Ihrer Regierung umsonst gewartet. Es wäre höchste Zeit, daß Sie sich, statt unfruchtbare Auseinandersetzungen auf ideologischen und anderen Gebieten zu führen, solchen wichtigen Zukunftsaufgaben verstärkt zuwenden.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kiechle, ich verstehe ja ihre Pflichtübung, die Sie hier vorne zu vollbringen haben. Aber ich will nur einen Punkt aus Ihrer Rede herausgreifen, weil ich ihn sonst vergessen könnte; das ist die Erzeugerabgabe bei Milch.
Mich wundert es - das habe ich auch beim Bauernverband gemerkt -, daß gerade Betriebe aus dem süddeutschen Raum sich widersetzen, da es doch so sein wird, daß die 8 000-Liter-Kuh doppelt so
hoch belastet ist wie die 4 000-Liter-Kuh. Diese 4 000 Liter werden nicht von der Landwirtschaft als solcher erzeugt, sondern mit Soja- und Abfallprodukten der Margarineindustrie.
Es ist doch auch so, daß Großbetriebe ein Vielfaches von dem zu leisten hätten, was kleine Betriebe zu leisten haben.
({0})
Ich bin also der Meinung, daß wir uns dieser Überlegung nicht verschließen können, gerade um zu erreichen, daß in Gebieten, wo es keine Alternativen gibt, die Milcherzeugung aufrechterhalten bleibt. Alle wollen doch, daß der Milchmarkt nicht zusammenbricht.
Meine Damen und Herren, die Agrardebatte hat gezeigt, daß alle politischen Parteien hier in diesem Hause eine leistungsfähige Landwirtschaft wollen. Das bleibt zunächst einmal festzuhalten. Aber nach dem, was ich hier heute von der Opposition über die Agrarpolitik hören mußte, drängt es mich als einer der wenigen noch praktizierenden Landwirte im Parlament, hier heute in diesem Hohen Hause das Wort zu nehmen.
Um es vorweg ganz klar zu sagen: Auch ich bedaure zutiefst die immer noch herrschende Benachteiligung des ländlichen Raums, was das Fehlen einer modernen Infrastruktur und die ungünstigen Lebensverhältnisse trotz guter Luft und weniger Lärm angeht.
({1})
Hier gilt es, die Versäumnisse einer über zwanzigjährigen Agrarpolitik aufzuholen,
({2})
die unter der Politik für den ländlichen Raum nur berufsspezifische Interessen verstanden hat, die letztlich weder uns Bauern, noch den Nichtlandwirten in den ländlichen Räumen geholfen hat. Wer hat denn über Alternativen nachgedacht? Agrarpolitik ist Politik für den ländlichen Raum und für alle in ihm lebenden Menschen. Hier gilt es, noch vieles zu leisten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Bitte schön.
Herr Kollege, wenn Sie von der Agrarpolitik für den ländlichen Raum sprechen: Ist Ihnen bekannt, daß Ihre Partei auf dem Parteitag in Hannover im Jahre 1973 Raumordnungsthesen verabschiedet hat, in denen von Einzugsgebieten in der Größenordnung von 40 000 Einwohnern gesprochen wird, die praktisch nur gefördert werden können? Hat das noch etwas mit dem ländlichen Raum zu tun?
Herr Kollege, ich komme gleich noch auf den ländlichen Raum.
({0})
Sie wollen doch nicht bestreiten, daß es in der Vergangenheit, in der Sie Verantwortung trugen, im ländlichen Raum immer hieß: Wer Landwirt ist, kann Landwirt bleiben.
Aber ich komme darauf zurück; ich möchte mich jetzt nicht von meinen Gedanken abbringen lassen.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Völlig unberechtigt, meine Damen und Herren, sind die Jammerlieder der Opposition über die Situation der bäuerlichen Betriebe und der Landwirtschaft im allgemeinen, die die Opposition auch in diesem Jahr hier vorbringt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder?
({0})
Ich möchte meine Zeit ausnutzen, Herr Kollege. - Das ist doch alle Jahre wieder der gleiche Chor, den wir nach der Veröffentlichung des Agrarberichts hören. Das schlägt jedes Jahr der Regierungskoalition und der Regierung ins Gesicht.
Nun, meine Damen und Herren, ich will hier nicht über Prozente oder Zahlen streiten. Das wesentliche ist doch, daß die Agrarpolitik der letzten Jahre, insbesondere des hier zur Debatte stehenden Wirtschaftsjahres, für die Bauern eine sehr erfolgreiche Sache war. Wer wie ich mit vielen Berufskollegen zusammenkommt, kann das immer wieder feststellen. Die Bauern sind deshalb auch mit der Entwicklung zufrieden und nicht unzufrieden, wie Sie uns Glauben machen wollen. Im Grunde, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, müssen Sie doch einräumen, daß es Ihnen von Jahr zu Jahr schwerer fällt, noch ernst zu nehmende Texte für diese Jammerhaltung zu finden.
({0})
Auch als Neuling in der Politik habe ich schon eine Reihe von Diskussionen mit Vertretern der Opposition und der Bauernverbände zu agrarpolitischen Fragen gehabt. Ich bin überrascht, wie groß die Übereinstimmung in wesentlichen Fragen ist. Natürlich tut die Regierung aus der Sicht der Bauernverbände nie genug. Das geht ihr mit anderen Interessenorganisationen auch so. Die Union würde natürlich alles noch besser machen - sagt sie in der Opposition. In den Einzelheiten aber sind ihre Vorschläge, wenn es ernst wird, sehr viel bescheidener als ihre Versprechungen gegenüber den Bauern.
({1})
Ich will das hier nicht vertiefen, sondern nur noch einmal feststellen, daß auch die Landwirtschaft mit der Politik dieser Regierung und der sie tragenden Parteien bisher zufrieden sein konnte und zufrieden ist.
({2})
Wer bei den heutigen Marktordnungs- und sozialen Bedingungen einen guten bäuerlichen Betrieb hat und ihn ordnungsgemäß zu führen versteht,
({3})
kann die Versorgung seiner Familie und die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz in unserer Industriegesellschaft nachhaltig gewährleisten. Dies muß unsere Jugend wissen. Die Klagelieder Jeremias' aus dem oppositionellen Testament sind unverantwortlich, weil sie nur dazu beitragen, daß junge Landwirte hinsichtlich ihrer eigenen Situation mißtrauisch werden und Lust und Liebe zu ihrem Beruf verlieren.
Meine Damen und Herren, dabei will ich gar nicht so tun, als ob alles so wäre, wie wir es uns vorstellen.
({4})
Wenn man von den Globalzahlen ausgeht, stellt man fest, daß die Lage der bäuerlichen Familien im einzelnen sehr unterschiedlich ist. Der Abstand zwischen den gut Verdienenden und den weniger, zu wenig Verdienenden ist viel zu groß. Wir werden gerade auch als Sozialdemokraten unser Augenmerk noch stärker auf diese Probleme richten und nach Wegen suchen, was man tun kann, um die Zurückbleibenden mehr zu fördern. Von jungen Landwirten höre ich oft genug, daß sie mit ihrem Einkommen zufrieden sind, aber vor lauter Arbeitsbelastung weder Zeit für sich selbst, noch für ihre Familien haben. Hier werden wir nach Wegen suchen, um z. B. durch Förderung überbetrieblicher Zusammenarbeit Erleichterungen für den Menschen auf den Höfen zu schaffen.
({5}) : Davon hat er noch nichts gehört!)
Hilfe zur Selbsthilfe heißt auch, daß der Staat vor allem dort hilft, wo sich die Menschen selbst am wenigsten helfen können. Auch in der Agrarpolitik geht es zunächst um den Menschen und dann erst um. seinen Betrieb.
({6})
Wir sind stets für die volle und gleichberechtigte Eingliederung der Landwirtschaft eingetreten. Dort, wo sie bereits erreicht ist, müssen dann aber auch die gleichen Regeln gelten wie für andere Gruppen in unserer Gesellschaft. Wer sich für eine gesunde, sich selbst tragende Landwirtschaft einsetzt und wer mit mir die hohen sozialen Leistungen für die Landwirtschaft will, muß auch bereit sein, eine angemessene Eigenleistung zu erbringen. Hier gilt es, vor allem auch in der Witwenversorgung weiterzukommen. Auch die Landwirtschaft hat die Pflicht, ihren Sozialbeitrag wie jede andere Gruppe in unserer Gesellschaft zu leisten, wenn sie oder wenn wir
glaubwürdig bleiben wollen. Bestimmten Leuten möchte ich sagen, daß ihre Glaubwürdigkeit daran gemessen wird, wieweit sie bereit sind, solche Konsequenzen auch gegenüber den eigenen Bauern zu vertreten.
({7})
In der Frage der Besteuerung dürfen wir vor allen Dingen die Steuergerechtigkeit nicht außer acht lassen. Herr Peters hat darauf hingewiesen, daß es im norddeutschen Raum in jedem Ort diese Ungerechtigkeit gibt. Wenn das in Süddeutschland nicht so ist, dann gibt es wahrscheinlich keinen, der so sehr herangezogen wird. Aber um das klarzumachen: nach dem GDL ist es so, daß ein Betrieb mit 50 ha Fläche 2 500 DM oder - bei starkem Hackfruchtanteil - 5 000 DM im Jahr von der Fläche zu versteuern hat. Das bringt dann in der Regel nichts, während der buchführungspflichtige Betrieb und der Schätzungsbetrieb bei gleichem Einkommen und gleicher Größe 50 000 DM - da ist die Viehhaltung nicht einbezogen - zu versteuern hat. Das ist eine Steigerung um das Zehn- bis Zwanzigfache. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht unser Wollen sein, zumal in der Regel der Steuervorteil wächst, je größer der Betrieb wird.
({8})
Wer den Zuerwerbsbetrieben, den Nebenerwerbsbetrieben und den in den benachteiligten Gebieten um ihre Existenz kämpfenden Betrieben eine Chance gönnt und wer aufsteigenden Betrieben staatliche Hilfe zuteil werden lassen will, der muß auch bereit sein, ohne Hinhaltetaktik leistungsfähige Vollerwerbsbetriebe gerecht und gleichmäßig zu besteuern.
Ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit und Freiheit für den ländlichen Raum muß weiterhin das Ziel sozialliberaler Regierungspolitik sein. Auf dem Wege dahin - das werden die ehrlich abwägenden Bauern auf dem Lande jedem von Ihnen bestätigen - sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Die alljährlichen Agrarberichte, die ja schließlich im Zusammenwirken mit den Landwirtschaftsverwaltungen der Länder erstellt werden, geben davon ein beredtes Zeugnis. Wir Landwirte sind dankbar, daß uns und der Offentlichkeit dieses umfassende Informationswerk präsentiert wird. Der Deutsche Bundestag täte gut daran, diesen Bericht und die daraus von der Bundesregierung bezogenen Erkenntnisse und Folgerungen einmütig zur Kenntnis zu nehmen.
Sozialdemokraten haben nie versprochen und können auch jetzt nicht versprechen, daß in Zukunft jeder Bauer bleiben kann, der will. Aber ich rufe unserer jungen Generation zu, unseren dynamischen Menschen auf dem Lande: Es ist eine schöne Aufgabe, Bauer zu sein, und man kann dabei leben.
({9})
Die Landwirtschaft ist vorangebracht worden durch eine gezielte Strukturpolitik, die im Gegensatz zum Gießkannenprinzip von der Anlage her redlich und in Verbindung mit der sozialen Absicherung zugleich für die Menschen erträglich war. Im sozialen Bereich ist während der letzten Jahre mehr erreicht worden als in den über 20 Jahren Regierungszeit der heutigen Opposition.
({10})
Dieses ist inzwischen unbestritten und wird im landwirtschaftlichen Bereich allgemein anerkannt. Tausende von Mitbürgern - und Sie wissen das auch aus Ihren Dörfern, wenn Sie es nur zugeben wollen - haben das am eigenen Leibe erfahren.
Durch die Preispolitik ist das Einkommen der Landwirte im Durchschnitt der letzten Jahre um mehr als 11 % gestiegen. Ich gehe nicht nur von diesem Jahr aus. Das ist deshalb so erfreulich, weil gleichzeitig der Anteil der Nahrungsmittelkosten, gemessen am Einkommen der Verbraucher, gesenkt wurde. Das alles zusammen ist erfolgreiche sozialliberale Agrarpolitik, sowohl für den Verbraucher als auch für den Produzenten.
({11})
Nur durch diese Politik ist auch die Firmenbezeichnung wieder ins richtige Lot gerückt worden: Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
({12})
Meine Damen und Herren, unsere Sorge gilt allen Menschen im ländlichen Raum. Sorgen wir gemeinsam für ein Mehr an Gerechtigkeit. Dies verbessert die Chancen aller.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eingangs, daß ich meinen Kollegen Kiechle ganz kurz darauf hinweise, daß unsere Fraktion nicht mit drei Mitgliedern, sondern mit sechs Mitgliedern vertreten war.
({0})
- Sie werden mir erlauben, daß wir unsere Minister und die Präsidentin einbeziehen, wenn sie hier im Saale sind.
({1})
- Sie können ja den Prozentsatz ausrechnen und wieviel dann von Ihrer Fraktion da sein müßten.
({2})
Wenn die heutige Debatte einiges deutlich gemacht hat, dann dieses: Die Opposition hat zur Agrarpolitik von Josef Ertl und dieser Bundesregierung keine Alternative. Weil sie agrarpolitisch nichts zu bieten hat, weicht sie auf Polemik aus. Hier will man unseren Minister etwas madig machen, dort bringt man die Steuer, dort die Gemeinschaftsaufgabe, dort die Bundesbahn. Ich sage Ihnen, wenn. Sie unseren Minister madig machen wollen, dann geht
diese Rechnung nicht auf, weil sehr viele Landwirte wissen, was Josef Ertl geleistet hat. Sehr viele Ihrer Wähler und Parteimitglieder sagen, daß Josef Ertl der Beste ist, den wir je hatten, er sei nur bei der verkehrten Partei.
({3})
Zur Steuer sage ich Ihnen: wir sind für eine gerechte Steuer und wir sind auch der Meinung, daß selbst der Bundesfinanzminister Apel nicht will, daß aus der Landwirtschaft das letzte herausgepumpt wird, weil auch er weiß, daß diese Landwirtschaft sofort wieder investiert.
({4})
Ich glaube, daß Ihre Art des Schlagabtausches dem Ziel dient, Ihr schlechtes Gewissen zu verdecken. Die Union hatte ja 20 Jahre Zeit, der Agrarpolitik einen Stellenwert zu verschaffen, wie er heute selbstverständlich ist,
({5})
Statt dessen mußte damals die Agrarpolitik das Dasein eines Mauerblümchens fristen.
({6})
Schon damals war es üblich, schwache agrarpolitische Leistungen durch eine strenge ideologische Haltung zu überdecken.
({7})
- Ich möchte meine Rede zu Ende führen. Ich habe
nur eine Viertelstunde Redezeit, lieber Herr Kollege.
Die Verluste allerdings, die der deutschen Landwirtschaft durch die Getreidepreissenkungen entstanden sind - ich kann es beinahe selber schon nicht mehr hören, wenn man das immer wieder bringen muß; aber es war und ist eben Wahrheit -, waren durch noch so schöne Worte nicht mehr aus der Welt zu schaffen. - Dies ist das eine.
Das andere ist, daß Josef Ertl bewiesen hat, was Mut, Tatkraft und Rückgrat in der Politik bewegen können. In Brüssel war es nicht länger falsche politische Rücksichtnahme, sondern Partnerschaft mit gleichen Rechten und Pflichten für alle, die das Handeln des deutschen Landwirtschaftsministers bestimmte. Damit wurde der Grundstein für die Gesundung der Landwirtschaft gelegt. Unsere Landwirte wissen aus eigener Erfahrung, was sie in den 70er Jahren an Freiheit gewonnen haben, und zwar durch größere wirtschaftliche Sicherheit und durch die Erreichung der lang verschleppten sozialen Gleichstellung mit anderen Bevölkerungsgruppen. Das verstehen wir unter Freiheit, wenn wir von Freiheit des selbständigen Landwirts sprechen.
Die CDU/CSU hat aus ihren Fehlern und aus der Geschichte nichts gelernt. Sie ist ihrer Doppelzüngigkeit treu geblieben. Unseren Bauern will sie ein Agrarprogramm schmackhaft machen, das ohne zusätzliche Ausgaben von 1 Milliarde DM gar nicht zu realisieren ist. Sie weckt damit Erwartungen, die sie gar nicht erfüllen kann, es sei denn, ihre Redner in der Haushaltsdebatte hätten nur zum Fenster hinaus gesprochen.
({8})
So weit braucht man aber gar nicht zu gehen. Herr Franz Josef Strauß selbst hat das Agrarprogramm der Union in der Fernsehsendung „Bilanz" am 25. August 1976 als grobe Täuschung der landwirtschaftlichen Bevölkerung entlarvt. Keinen Pfennig hätte er nach der Wahl bereitgestellt. Alles war nur Bauernfängerei.
({9})
Unseren Bauern und unserer Bevölkerung nützt auf die Dauer nur eine ehrliche Politik, die die grünen Scheuklappen ablegt und auf den Ausgleich der Interessen ausgerichtet ist. Der Verbraucher ist bisher mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln sicher und letztlich preiswert versorgt worden. Dies ist für eine hochsensible Industriegesellschaft gar nicht hoch genug zu veranschlagen. Auch in Zukunft aber wird der Erzeuger nur mit einem kaufkräftigen Verbraucher bestehen können. Verantwortliche Agrarpolitik darf diesen Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Was der einzelne Landwirt dazu tun kann, ja tun muß, ist, seine Chance im Markt zu suchen und zu nützen. Eine gesicherte Nahrungsmittelversorgung erfordert auch in Zukunft Interventionsgarantien. Es nützt jedoch auch dem Landwirt nichts, wenn diese den Kräften des Marktes nicht genug Spielraum lassen. Gerade der Landwirt, der sich dem Markt und den Absatzmöglichkeiten gegenüber anpassungsfähig zeigt, muß künftig eines erwarten können: daß mit den Mitteln der Strukturpolitik nicht extrem hohe Bestandsgrößen gefördert werden, die überzogenen Investitionstendenzen Vorschub leisten. Die Agrarpolitik ist als Politik für den ländlichen Raum erfolgreich gewesen, weil sie der Strukturpolitik durch die Gleichwertigkeit der Förderung von Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben eine vernünftige Zielrichtung gegeben hat. Wir haben mit der Gießkannenförderung Schluß gemacht, die viele Landwirte in die Überschuldung und um ihr Eigentum gebracht hat.
Ländlicher Raum ist heute gleichbedeutend mit lebenswerten Dörfern, geordneten Lebensverhältnissen und einer intakten Natur- und Erholungslandschaft. Keiner sollte Ländern und Gemeinden ihren Anteil daran streitig machen. Kein Land sollte sich aber auch mit fremden Federn schmücken, wie dies beim Bergbauernprogramm immer wieder geschieht.
Denen, die nicht die Größe haben, Tatsachen anzuerkennen, sei ins Stammbuch geschrieben: Ein Großteil ihrer Politik wäre über das Schubladensystem nie hinausgekommen, wenn es die Agrarpolitik von Josef Ertl und dieser Regierung nicht gegeben hätte.
({10})
Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zur Begründung unseres Entschließungsantrags. Wir sind der Meinung, daß durch agrarstrukturelle Maßnahmen der Überproduktion in der Veredelung entgegengewirkt werden muß. Deshalb sollten wir öffentliche Mittel für Bauten, für Rinder- und Schweineställe großen Betriebseinheiten nicht mehr zur Verfügung stellen. Vielmehr sollten die zur Verfügung stehenden Mittel mittelbäuerlichen Betrieben vorbehalten bleiben. Das heißt aber nicht, daß nicht auch große Bauten gebaut werden können oder sollten. Wir wollen nur haben, daß dann die Großen, die die Förderung nicht brauchen, vom Staat nicht mehr gefördert werden.
({11})
- Regen Sie sich nicht so auf, Herr Niegel!
In der landwirtschaftlichen Sozialpolitik ist erkennbar, daß Bundeszuschüsse für die landwirtschaftliche Altershilfe und die Rentnerkrankenversicherung der Landwirte nicht in dem Maß benötigt wurden, wie angenommen wurde. Die hier freiwerdenden Mittel, die also keine zusätzlichen Haushaltsmittel sind, möchten wir den Berufsgenossenschaften zur Verfügung stellen, allerdings unter der Bedingung, daß die Jahresarbeitsverdienstgrenze der selbständigen Landwirte ab 1. Januar 1977 von 9 000 auf 10 800 DM angehoben wird. Das bedeutet die Anhebung einer vollen Versehrtenrente auf 600 DM monatlich. Auch bei einer Erhöhung der Bundeszuschüsse von 320 auf 400 Millionen DM müßten die Beiträge der landwirtschaftlichen Betriebe zur Berufsgenossenschaft noch erheblich erhöht werden.
Zum Schluß sage ich Ihnen: Die Agrarpolitik und somit der Agrarbericht dieser Bundesregierung von SPD und FDP kann sich sehen lassen.
({12})
Nur mit dem Fleiß unserer Bäuerinnen und Bauern und mit dem erklärten Willen dieser Regierung, auch die Landwirtschaft an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilnehmen zu lassen, war dieses Ergebnis möglich. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes hat anläßlich der Grünen Woche in Berlin gesagt: Wir Landwirte und Bauern sollten wieder mehr Mut zur Wahrheit haben. Diesen Mut will ich an dieser Stelle beweisen und Ihnen als Landwirt sagen, daß unsere Landwirte draußen im Land zum großen Teil zufrieden sind und daß sich das Ergebnis des Wirtschaftsjahres 1975/76 mit einem Reineinkommen von 25 488 DM je Familienarbeitskraft sehen lassen kann.
Wer meint, daß man den Agrarbericht zu kritisieren hat, wenn das Ergebnis schlecht ist, -der muß auch endlich einmal zugeben, daß der Agrarbericht für alle Jahre da ist, daß er auch da ist, wenn ein gutes Ergebnis vorliegt. Das muß auch hier anerkannt sein.
({13})
Ich bin der Meinung, die Wahrheit ist: unsere Landwirte haben im Wirtschaftsjahr 1975/76 gut verdient,
haben viel invesfiert, w r hatten gute Preise bei unseren landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Im sozialen Bereich meine ich, können sich die Leistungen dieser Regierung sehen lassen. Auch ist die Bevölkerung mit hochwertigen Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen gut versorgt worden. Unsere Kulturlandschaft wurde gepflegt. Das alles war der Erfolg dieser Bundesregierung und des Ministers Josef Ertl.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem verschiedene Kollegen sowohl der SPD wie der FDP dem Bundesfinanzminister Apel Schützenhilfe leisten - ich glaube, es gab überhaupt niemanden, der es unterlassen hat -, um die unsinnigen Steuerpläne zu verteidigen, muß man doch fragen: Gibt es in dieser Koalition noch genügend Kollegen, die zu dem stehen, was unsere Aufgabe ist, auch mit Maßnahmen der Steuerpolitik die Landwirtschaft in die Lage zu versetzen, ein vergleichbaren Berufsgruppen entsprechendes Einkommen zu erzielen?
({0})
Nun, daß Herr Apel etwas gegen die Landwirtschaft hat, dafür habe ich Verständnis.
({1})
Er ist doch vom Pferd getreten worden,
({2})
und das ist ein in der Landwirtschaft sehr häufig vorkommendes Tier.
Herr Abgeordneter Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aus Zeitgründen würde ich fast nein sagen, aber der Herr Oostergetelo - ({0})
- Ah, danke schön, Herr Wehner.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage? - Gut.
Herr Kollege Susset, ich frage Sie: Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen, wenn der eine Landwirt beim selben Einkommen das Zwanzigfache von dem zu bezahlen hat, was der andere zahlen muß? Und wenn ich das noch hinzufügen darf: Wie wollen Sie denn nüchtern prüfen, was der Finanzminister vorhat, wenn Sie von vornherein das Ergebnis schon festgeschrieben haben?
({0})
Ja, Herr Kollege Oostergetelo, wir wollen prüfen. Wir haben von vornherein zugestimmt, daß eine Kommission eingesetzt wird, während der Vorsitzende des Ausschusses der Meinung war, das könne man ohne die Kommission tun.
Es wäre Aufgabe der Bundesregierung gewesen, bei der Einbringung des Agrarberichtes diesen Bericht etwas differenzierter darzustellen. Ich muß mich wundern, daß hier verschiedene süddeutsche Kollegen wie der Kollege Müller und der Kollege Paintner auch in dieses Horn gestoßen haben, als ob die Verbesserung der Einkommenslage so allgemein sei. Wir müssen doch feststellen - und das kommt im Agrarbericht zum Ausdruck -, daß die durchschnittlichen Reineinkommen in den süddeutschen Vollerwerbsbetrieben je Familienarbeitskraft bei 22 000 DM liegen. Wir müssen weiter feststellen, daß für das Jahr 1977 zum Erreichen der Förderschwelle ein Einkommen von 24 000 DM notwendig ist. Daran wird doch deutlich, daß der Durchschnitt dieser Vollerwerbsbetriebe nicht einmal in der Lage ist, das zur Überschreitung der Förderschwelle notwendige Einkommen zu erreichen.
({0})
Nun, man darf sicherlich nicht unberücksichtigt lassen - das trifft für die süddeutschen Länder zu -, daß in hängigen, klimatisch ungünstigen Gebieten die optimalen Produktionsmöglichkeiten äußerst begrenzt sind. Aus diesem Grunde gibt es dort nicht die Betriebsgrößen und Produktionsmöglichkeiten, wie sie bei ebenen Ackerlagen gegeben sind. Wir müssen vor allen Dingen zur Kenntnis nehmen, daß gerade die durchschnittliche Teilstückgröße, die ja in Norddeutschland fünf- bis zehnmal größer als in Süddeutschland ist, wesentlich dazu beiträgt, daß die Bewirtschaftung im norddeutschen Raum ergiebiger ist. Was ist zu tun? Wir müssen die Bundesländer durch Bereitstellung von Mitteln im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" in die Lage versetzen, die notwendigen Flurbereinigungen durchzuführen.
Ich muß auch einiges zum einzelbetrieblichen Förderungsprogramm sagen, weil der Kollege Paintner glaubte, hier Lobeshymnen darauf anstimmen zu müssen. Wir haben uns seit jeher für mehr Flexibilität bei den Förderungsgrundsätzen eingesetzt. Uns geht es um die Frage, wie und unter welchen Voraussetzungen dem einzelnen Betrieb geholfen werden kann. Die Förderschwelle hat sich gerade in agrarstrukturell schwierigen Gebieten zum Nachteil der nicht förderungsfähigen Betriebe ausgewirkt, und zwar in der Weise, daß die Chancengleichheit auch für zukunftsorientierte landwirtschaftliche Betriebe nicht mehr gewährleistet ist. Vergegenwärtigen Sie sich doch einmal, was für ein Kampf um Pachtflächen in diesen Gebieten zwischen förderungswürdigen und nicht geförderten Betrieben entsteht. Obwohl doch überhaupt keine Alternative im außerlandwirtschaftlichen Bereich vorhanden ist, müssen die Betroffenen im ländlichen Raum in ihren Betrieben bleiben, weil ihnen die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung nichts anderes ermöglicht. In den 20 Jahren - Herr Kollege Oostergetelo, damit komme ich auf das zu sprechen, was Sie sagten -, in denen die CDU/CSU hier die Wirtschaftspolitik gemacht hat, war es möglich, daß die Landwirte in außerlandwirtschaftlichen Berufen einen entsprechenden Ausgleich fanden. Dieser Weg ist heute verbaut.
({1})
Wenn man die Zahlen der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeit heranzieht, so muß man feststellen, daß sich die Bundesregierung einfach nicht in der Lage sieht, diese Entwicklung mittelfristig zu verbessern. Deshalb müssen wir auch bei der Förderung gerade in diesen Gebieten andere Wege gehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seitens des Herrn Bundesministers und auch seitens des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs wird in letzter Zeit immer wieder der unbürokratische Agrarkredit gefordert. Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, daß dies eine Möglichkeit wäre, Betriebe, die die Förderschwelle nicht erreichen, zu fördern. Man darf aber nicht nur von einer solchen Möglichkeit reden. Man muß vielmehr auch etwas tun. Es hat doch keinen Sinn, wenn sich der Kollege Gallus immer nur damit begnügt, auf Versammlungen auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Wir müssen doch wissen, daß die derzeitige Förderungspraxis dazu führt, daß von Landwirten gesagt wird - wir haben dies bei einer Reise des Ausschusses in Nordrhein-Westfalen erlebt -: Wenn wir einen zinsgünstigen Kredit bekämen, würden wir unseren Kuhbestand von 20 auf 30 aufstocken; wir werden aber nicht gefördert, wir müssen 50 Kühe halten, um gefördert zu werden! - Dies ist staatlich sanktionierter Unsinn, wenn man sich auf der anderen Seite darüber Gedanken macht, wie man den Milchmarkt in Ordnung bringen will.
({2})
Ich meine, daß wir bei der Suche nach neuen kostengünstigen Förderungskriterien die Entscheidung wieder mehr in die Hand des Landwirts legen und die Beurteilung seiner Hausbank überlassen müssen.
Auch die Agrarsozialpolitik wurde hier angesprochen. Ich möchte hier feststellen, daß die CDU und die CSU die entscheidenden Grundlagen für die Agrarsozialpolitik geschaffen haben und daß es nun darum geht, noch bestehende Lücken zu schließen. Die landwirtschaftliche Bevölkerung hat einen Anspruch auf eine soziale Sicherung, die der anderer Bevölkerungsschichten gleichwertig ist und die gleichzeitig die durch den Strukturwandel entstehenden Härten berücksichtigt.
Wir haben schon früher in einigen Anträgen unsere Forderung zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung nun endlich darangehen sollte, etwas für die soziale Versorgung der Witwen von landwirtschaftlichen Unternehmern zu tun. Bundesminister Ertl sprach dieses Problem ja in seiner Einbringungsrede an. Wir sind an sich davon ausgegangen, daß Sie, Herr Minister Ertl, es bei den Koalitionsverhandlungen in Gesprächen mit dem Herrn Bundeskanzler und den Koalitionsfraktionen ermöglichen könnten, die Witwenrente jetzt einzu1500
führen. Wir verweisen auf unsere Anträge aus früherer Zeit.
Ein weiteres dringliches Problem ist die Erhöhung der Zuschüsse für die Berufsgenossenschaften. Der Kollege Paintner hat hier einen Antrag der Koalitionsfraktionen begründet. „Es wird geprüft", steht darin. Ich kann hier sagen: Wir, die CDU/CSU, haben geprüft und werden morgen im Ausschuß Anträge stellen, bei deren Annahme es ohne Ausweitung des Einzelplans 10 möglich ist, die Bundeszuschüsse so anzuheben, daß die dringend notwendige Anpassung der Jahresarbeitsverdienste realisiert wird und die Beitragserhöhungen der Berufsgenossenschaften in Grenzen gehalten werden können. Das wäre nach dem derzeitigen Haushaltsansatz, der vom Herrn Bundeslandwirtschaftsminister vertreten wurde - der Herr Bundesfinanzminister ist ja inzwischen auch da -, unmöglich gewesen.
Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt. Darin gehen wir zunächst auf die Buttergeschäfte mit der UdSSR ein. In einem weiteren Punkt ersuchen wir darin die Bundesregierung, bei den abschließenden Agrarpreisverhandlungen in Brüssel dafür einzutreten, daß der deutschen Landwirtschaft, der ja nach Aussage des Agrarberichts für 1977 Einkommensverschlechterungen ins Haus stehen, die Preisstagnation nicht zugemutet wird, die infolge des Abbaus des Grenzausgleichs und infolge der geringen Preisanhebungsrate zu erwarten ist. Im letzten Punkt unseres Entschließungsantrags bitten wir die Bundesregierung, in der mehrjährigen Finanzplanung die Mittel für die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes so anzusetzen, daß die Maßnahmen, die ich eben teilweise angesprochen habe, durchgeführt werden können.
Ziel jeder richtig verstandenen Politik - nicht nur der Agrarpolitik - ist es, den Menschen so zu dienen, daß ein möglichst hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit und persönlicher Freiheit für den einzelnen Bürger verwirklicht wird. Agrarpolitik ist Politik für alle Menschen, unabhängig davon, ob sie in oder außerhalb der Landwirtschaft tätig sind, und unabhängig davon, ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben. Wo es um Menschen geht, geht es auch um die wirtschaftliche Sicherheit.
Die Landwirtschaft hat ihren Auftrag, den Verbraucher mit gesunden Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen zu versorgen, erfüllt. Sie wird dies auch in Zukunft tun, wenn wir den in der Landwirtschaft Tätigen und den im ländlichen Raum Lebenden die Unterstützung zukommen lassen, auf die sie auf Grund ihrer Leistung für das gesamte Volk einen Anspruch haben.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Grunenberg.
({0})
- Meine Damen und Herren, es war ursprünglich vorgesehen, bis 12 Uhr die Agrardebatte abzuschließen. Doch infolge der Wortmeldungen, die hier aus
den Fraktionen vorliegen, und auf Grund des Wunsches des Ministers, zum Abschluß der Agrardebatte das Wort zu ergreifen, läßt sich dieser Termin 12 Uhr nicht einhalten. Ich bitte daher die parlamentarischen Geschäftsführer, sich zu orientieren, ob wir die Finanzpunkte der Tagesordnung noch vor der Mittagspause aufrufen sollen.
Ich bitte Sie, Herr Abgeordneter Grunenberg, das Wort zu nehmen, es sei denn, Sie verzichten.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit es in dieser Agrardebatte nicht untergeht, will ich das ansprechen, was uns an der Küste immer wieder Sorgen bereitet. Einmal hat uns der „Blanke Hans" im Januar 1976 erneut eine Jahrhundertsturmflut beschert, die wir alle nach der Sturmflutkatastrophe von 1972 so schnell nicht mehr erwartet hatten. Dank der mit 2½ Milliarden DM von der Bundesregierung geförderten Gemeinschaftsaufgabe Küstenschutz sind wir aber vor verheerenden Auswirkungen im großen und ganzen verschont geblieben. Die jetzige Erhöhung des jährlichen Investitionsvolumens auf 240 Millionen DM für den Küstenschutz verkürzt die Ausbauzeit der Schutzvorrichtu gen um zwei bis drei Jahre und gibt uns die H ffnung, künftig hinter den Deichen sicher und gebo gen zu leben. Die Menschen hinter den Deichen - i bin einer von ihnen - sind der Bundesregierung ankbar dafür.
Aber auch die obleme vor den Deichen auf der Hohen See machen uns Sorgen. Die deutsche Fische- rei, ein regional lenswichtiger Wirtschaftsfaktor, ist durch die Seere tsentwicklung stark benachteiligt. Die Zweihu dert-Seemeilen-Wirtschaftszone wird kommen. Damit werden u. a. 85 % der bislang wirtschaftlich genutzten Fischbestände der Hoheit des jeweiligen Küstnstaates unterstellt, der damit auch über die fast uneingeschränkten Rechte hinsichtlich Erforschung, Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung der Fische verfügt. Auch die Feststellung und Festsetzung des Eigenanteils an der Gesamtfangmenge innerhalb der Zweihundert-SeemeilenZone obliegt den Küstenstaaten; nur der Überschuß steht anderen Ländern zur Verfügung. Daneben wird eine Zwölf-Seemeilen-Hoheitszone eingerichtet werden, die ausschließlich der fischereimäßigen Nutzung der Küstenstaaten unterliegt.
Dieser Entwicklung ist die EG nicht zuletzt dank der vorausschauenden Bemühungen der Bundesregierung gefolgt. Seit dem 1. Januar 1977 ist das EG-Meer Wirklichkeit. Das, meine Damen und Herren, hat zu der von uns allen nicht erwarteten Defacto-Anerkennung der EG durch die Ostblockstaaten geführt. Die Fischereipolitik der EG ist zu begrüßen. Vorbehalte einzelner Partnerstaaten gegenüber einer gemeinsamen Nutzungsordnung im EG-Meer auf der Grundlage der Römischen Verträge sind zwar höchst bedauerlich, sollten aber mit Übergangsregelungen und Strukturhilfen zu überwinden sein.
Die exklusive Zwölf-Meilen-Fischereizone sollte auch im Hinblick auf die zukünftige Möglichkeit
akzeptiert werden, z. B. größere Aquakulturen, wie Schalen- und Krustentierzüchtungen einzurichten. Fischereirechte in diesem Bereich sollten bilateral ausgehandelt werden; Schutz und Kontrolle den jeweiligen Anrainerstaaten unterliegen.
Wertvoll sind die Bemühungen um bestanderhaltende Maßnahmen, insbesondere auch um die drastische Reduzierung der Industriefischerei. Bedauerlicherweise hat die in dieser Hinsicht bestehende Einsichtslosigkeit einzelner Partner in jüngster Zeit zu verstärkten Fangaktivitäten an der westlichen Ostsee geführt.
Wir Sozialdemokraten begrüßen ebenfalls den Ansatz der EG, die Heringsbestände schnellstens wieder aufzustocken. Fraglich ist, ob die jetzigen zeitlichen Fangbegrenzungen für diesen inzwischen kostbar gewordenen Konsumfisch zur Regeneration ausreichen.
Von größter Wichtigkeit ist, dafs sich die Gemeinschaftsländer schnellstens über Quotenzuteilung untereinander und gegenüber Drittländern einigen. Dabei ist es unerläßlich, daß Fischereischutz- und -kontrolle im Gemeinschaftsmeer von der Europäischen Kommission wahrgenommen werden. Eine derartige Konstruktion ist am besten geeignet, die Aufgaben sowohl den Fischfang betreibenden Gemeinschaftsländern als auch Drittländern gegenüber streng und fair zu erfüllen, und würde denkbare Konflikte, z. B. mit Ostblockländern, verhindern, stehen doch hinter einer EG-Institution immerhin neun Partnerstaaten.
So schmerzlich die Einschnitte zwecks Bestanderhaltung und Regeneration für Partnerstaaten und Drittländer sein mögen, so schnell werden sich die auferlegten Beschränkungen durch Wiederanwachsen der Fischbestände auszahlen. Die dadurch eintretende Vermehrung natürlichen Reichtums begünstigt schließlich schon in absehbarer Zukunft Gemeinschafts- wie Drittländer.
Die Aktivitäten der Bundesforschungsanstalt für Fischerei mit dem Ziel, vorhandene, aber wenig bekannte große Konsumfischbestände im atlantischen Teil des EG-Meeres für den Markt nutzbar zu machen, müssen intensiviert werden. Besonders die Frosttrawler der Bundesrepublik werden hier die Aufgabe haben, vorläufige Lücken in der Marktversorgung mit Fisch schließen zu helfen.
Die hohen Ziele der Dritten UN-Seerechtskonferenz, das Meer als gemeinsames Erbe der Menschheit zu betrachten und nicht als Selbstbedienungsladen einiger weniger, die in der Lage sind, die unermeßlichen Schätze der Tiefsee zu heben, sollten zum Wohle der EG-Partner und der traditionell fischenden Drittländer ihren Niederschlag im zukünftigen Fischereiregime der EG im Sinne einer gerechten, nicht diskriminierenden Nutzungsordnung über die lebenden Ressourcen des Meeres finden.
Eine persönliche Empfehlung: Wegen der künftigen großen politischen Bedeutung der Fischerei für die EG sollte der deutschen Vertretung in Brüssei ein Attaché beigeordnet werden, der speziell
beauftragt ist, sachkundig und ausgewogen die deutschen Fischereiinteressen in der EG zu vertreten.
Abschließend darf ich erwähnen, daß ich mich im Zuge der Haushaltsberatungen mit Unterstützung meiner Freunde für eine Verbesserung der Förderungsmöglichkeiten der für uns so wichtigen mittelständischen Familienbetriebe der Kutterfischerei mit Nachdruck einsetzen werde.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland ist das durch die Einrichtung nationaler 200-Seemeilen-Fischereizonen und die einschneidenden Schonmaßnahmen für die Fischbestände am meisten getroffene Land. Schon vor Abschluß der Seerechtskonferenz, deren weitere Ergebnisse mit Spannung erwartet werden, ist diese negative Feststellung zu treffen. Denn wir besitzen zwar eine traditionsreiche, leistungsfähige Fischwirtschaft - von den Familienbetrieben der Küsten- und kleinen Hochseefischerei über die große Hochseefischerei bis zur fischverarbeitenden Industrie und den verschiedenen Bereichen des Fischhandels -, unsere geographische Situation bringt es aber mit sich, daß wir im internationalen Verteilungskampf mit unseren kurzen Küsten keine der Wirtschaft entsprechende Stärke besitzen. An der Raubfischerei für die Fischmehlerzeugung, die zu den Schonmaßnahmen geführt hat, háben wir uns niemals beteiligt. Wir sind als die größten Heringsverbraucher Europas aber besonders betroffen und in unseren verarbeitenden Betrieben durch das Heringsfangverbot vor große Probleme gestellt.
Diese kurze Skizzierung der Situation eines wichtigen Wirtschaftszweiges, der für die nationale Versorgung mit wertvollstem Nahrungsgut, für die wirtschaftsschwache Küstenregion und für Tausende qualifizierter, hart arbeitender Menschen von größter Bedeutung ist, soll, ohne daß ich hier auch nur ansatzweise von den Ursachen sprechen oder die Gefahren für die lebendigen Fischwirtschaftszentren an der Küste beschreiben könnte, der eine Teil meines Beitrags in der heutigen Debatte sein, mit dem ich inmitten der großen agrarpolitischen Probleme Ihre Aufmerksamkeit und die der deutschen Öffentlichkeit auf die Sorgen der Fischerei und der Küste lenken möchte.
Den zweiten Teil lassen Sie mich bitte in der heute gebotenen zeitlichen Knappheit geradezu stichwortartig an die Adresse der Bundesregierung richten. Herr Grunenberg hat es ja eben leider unterlassen, kritische und der Situation angemessene Fragen zu formulieren. Er hat unangebracht Freundliches und unrealistisch Wünschenswertes in für die Betroffenen unbrauchbarer Mischung hier vorgetragen, was ich im Sinne der Küste sehr bedaure.
Herr Minister Ertl, Sie haben am 18. März von dieser Stelle aus bei der Einbringung des Agrarberichts 1977 ganze vier Sätze für die Fischwirt1502
Schaft übriggehabt und haben dabei von den jüngsten Erfolgen Ihrer Fischereipolitik gesprochen. Das
Heringsfangverbot haben Sie undifferenziert begrüßt. Erlauben Sie mir dazu bitte die Anmerkung:
Vier Sätze sind angesichts der Not eines ganzen
Wirtschaftszweiges ja fast nichts. Wenn man die
Sätze hört oder liest, muß man aber sagen: Es wäre
sogar besser gewesen, Sie hätten gar nichts gesagt;
({0})
denn offenbar haben Sie nicht einmal die wenigen Passagen Ihres eigenen Agrarberichts zur Fischwirtschaft gelesen, in denen jedenfalls von Erfolgen keine Rede ist, sondern von schweren Einbußen und düsteren Zukunftsperspektiven. Ein solches Maß an offenbarem Desinteresse und Unkenntnis des verantwortlichen Ministers haben die Betroffenen nicht verdient und sind wir nicht bereit hinzunehmen.
Der Nordatlantik muß das Hauptmeer der deutschen Hochseefischerei bleiben. Verbrauchergewohnheiten, Markt- und Produktionstradition, die nicht beliebig austauschbar sind, gebieten das. Was haben Sie in Brüssel für ein neues Abkommen mit Island für den Zeitpunkt getan, wenn zum Jahresende unser Vertrag ausläuft?
({1})
Haben Sie die Lösungsmöglichkeiten für das Problem der EG-Außenzölle, das entsteht, wenn unsere Hochseefischerei mit Drittländern ins Geschäft kommt? Ich nenne als Stichworte nur Argentinien
oder Kanada. Ich fürchte, daß die Fischereidivision
der EG-Kommission ebenso zu schwach ist wie Ihre eigene Mannschaft im Ministerium, die durch weitere Fachleute ergänzt und in den Stand gesetzt werden müßte, die schwièrigen Fragen zu lösen.
Von wem soll das gerade jetzt dringend gebotene Strukturprogramm deutscher und der EG-Fischereipolitik erarbeitet werden?
Der Schiffbau stockt. Wie soll der wirtschaftlich gebotene EG-Meer-Hochseekutter aussehen? Haben Sie die mittelständischen Werften des Küstenraumes, die Hochsee- und die Küstenfischerei in Uberlegungen solcher Art einbezogen?
Was ist davon zu halten, daß sich die Bundesrepublik Deutschland mit einer Fangquote von 18 000 Tonnen für Dorsch in der Ostsee für 1977 zufriedengibt, eine völlig unzureichende, von anderen Ländern nicht akzeptierte Quote, die schon jetzt nahezu erschöpft ist? Und dann will man den Nordseefischern auch noch untersagen, sich an dieser Quote zu beteiligen, obwohl das ein traditionelles Fanggebiet der deutschen Fisdierei ist. Man sollte hier nicht in den Zynismus verfallen, auch noch innernationale Grenzen der Fischierei aufzubauen.
Gerade für die Küsten- und kleine Hochseefischerei - mit den besten Männern im Einsatz - müßte ich noch manche Frage stellen, die jetzt aus zeitlichen Gründen unterbleiben muß.
Lassen Sie mich mit einem Blick auf die Lage der Forschung schließen. Die Bundesforschungsanstalt
für Fisdierei wird dem im Bundeshaushalt näher bezeichneten Auftrag der Erforschung aller Fragen der See- und Binnenfischerei nicht gerecht. Das liegt nicht an den dort Beschäftigten, sondern daran, daß die Mittel nicht ausreichen, nicht gezielt genug eingesetzt werden.
({2})
Die deutsche Fischwirtschaft fühlt sich von der Forschung nicht genügend unterstützt. Das gilt ganz besonders für die Fischindustrie. Das Nebeneinander eines mehrjährigen Forschungsprogramms im Bereich der Meeresforschung unter der Federführung und mit allerdings reichlicher finanzieller Ausstattung durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie einerseits und der Bundesforschungsanstalt für Fischerei des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten andererseits ist offenbar höchst unfruchtbar. Allein mit dem Krill ist der deutschen Fischwirtschaft nicht geholfen; vielmehr scheint es so zu sein, als hindere das Krill-Projekt andere wichtige Forschungsvorhaben wie z. B. die Erforschung der Fischgründe außerhalb der 200-Seemeilen-Zone und wichtiger Verarbeitungs- und Vermarktungsfragen. Das gilt gerade auch für den technologischen Bereich.
Ich rege an, sich einmal das englische System einer staatlichen Auftragsforschung mit Kostenbeteiligung der Wirtschaft näher anzusehen. Das macht Kosten transparent und gewährleistet sinnvolle, praxisnahe, konzentrierte Arbeit, ohne daß zusätzliche öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden müßten.
Ein besseres Kommunikationssystem zwischen den Mitgliedsländern der EG muß erarbeitet werden.
Meine Damen und Herren, ich sehe nicht nur Probleme, Gefahren und Verluste. Es gibt positive Ansätze nach Schaffung des EG-Meeres, auch in Verhandlungen mit Drittländern. Die Römischen Verträge nach innen und kluge Einigkeit nach außen sind unsere Chance. Die Bundesregierung darf aber Fischerei und Fischwirtschaft nicht länger stiefmütterlich behandeln.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem offensichtlich der letzte Redner der Opposition glaubt, den Bundesminister darauf hinweisen zu müssen, daß er seinen eigenen Agrarbericht nicht gelesen habe, muß ich sagen: Ein Teil der Oppositionsrvedner haben offensichtlich zur Kenntnis gegeben, daß sie ihn nicht gelesen haben. Das gilt auch für Sie, Herr von Geldern.
({0})
Wenn Sie diese Feststellungen in dieser polemischen Form machen, muß ich sie so zurückweisen.
Das steht schlichtweg im Gegensatz zu all dem, was
im Agrarbericht, der als Grundlage für die Debatte gilt, breit ausgeführt ist.
Es ist selbstverständlich, daß der Bundesminister in seiner Einbringungsrede nur in einigen Akzenten
- weil er sich auch immer vornimmt, nur 40 Minuten zu reden - auf die Probleme eingehen kann. Er ist dabei auch darauf eingegangen, daß es ein großer Erfolg ist, was Sie übrigens bestätigt haben
- dafür bedanke ich mich; das steht im Gegensatz zu Ihren sonstigen polemischen Ausführungen -, daß es gelungen ist, in sehr schwierigen Verhandlungen überhaupt die Voraussetzungen für ein EG-Gemeinschaftsmeer zu schaffen. An diesen Verhandlungen hat die Bundesregierung einen entscheidenden Anteil.
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- Nein, Sie schon gar nicht, Herr Niegel; das traue ich Ihnen gar nicht zu. Es wäre für mich beleidigend, wenn Sie „Halleluja" riefen.
({2})
Es geht vielmehr nur um Form und Stil sowie Inhalt einer Debatte, die ja sonst von der Opposition her sachlich geführt wurde, mit Ausnahme von Herrn von Geldern. Das muß ich dann in der nötigen Form zurückweisen.
Im übrigen, Herr von Geldern, kann ich Ihnen nur folgendes sagen. Was Sie hier vortragen, steht in krassem Widerspruch zu dem, was bei mir schriftlich und mündlich aus der Fischereiwirtschaft vorgetragen wurde. Ich weiß nicht, wer Ihnen das alles aufgeschrieben hat; das kann ja nicht von Ihnen kommen. Es ist nicht so, daß ich nicht wüßte, daß es große Probleme auf dem Fischereisektor gibt. Daß es eine 200-Seemeilen-Grenze gibt, liegt sicherlich nicht in der Verantwortung der Bundesregierung. Sie hat sich aber mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Sie hat es durch ihr Geschick verstanden, dazu beizutragen, daß wir uns überhaupt in der Phase der Gemeinschaftsverhandlungen befinden, wodurch z. B. die Tür für Verhandlungen mit Drittländern geöffnet wird. Erkundigen Sie sich einmal bei der kleinen und großen Hochseefischerei, welche Schrittmacherdienste wir bezüglich der Verhandlungen mit Kanada und Argentinien geleistet haben. Das möchte ich nur am Rande sagen, um darauf hinzuweisen, daß Ihre Darstellung nicht zutrifft.
Der Herr Kollege Ritz hat gesagt - dafür bin ich ihm sehr dankbar -, daß die Opposition meine Agrarpolitik kritisch begleiten und mit Alternativen versehen will. Die Alternativen der Opposition habe ich allerdings auch hier und heute nicht gehört. Darauf warte ich noch; darauf warte ich seit siebeneinhalb Jahren.
({3})
Ich nehme mir auch noch ein paar Jahre Zeit, um diese Alternativen zu hören.
Ich freue mich darüber, daß wir sagen können: Im großen und ganzen gibt es in der Agrarpolitik einen doch nicht unwesentlichen Konsens zwischen Opposition und Koalition. Das ist für mich ein erfreulicher Tatbestand. Ich möchte mich bei der Opposition dafür bedanken. Dies nur als generelle Feststellung.
Nun noch zu einigen Punkten in Kürze; ich muß hier etwas punktuell vorgehen. In meiner Einbringungsrede habe ich zur Steuerfrage aus der Sicht der Bundesregierung Stellung genommen. Ich kann hier und heute noch einmal sagen: Herr Kollege Apel hat die ihm unterstellten Zahlen nie in der Öffentlichkeit genannt. Wer sie also noch einmal nennt, muß dann auch den Beweis liefern, wann und wo sie von ihm gesagt wurden. Sonst muß er sich gefallenlassen, daß gesagt wird, er unterstelle bewußt etwas. Herr Kollege Apel hat das mir gegenüber noch einmal betont. Ich habe es auch von ihm nie gehört; es war nie ein Gesprächstatbestand zwischen uns; allerdings war es ein Gesprächstatbestand angesichts der Zusage der Bundesregierung - und auch der Einhaltung dieser Zusage -, die Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen zu lassen. Diese Zusage haben wir bis heute eingehalten.
Natürlich ist auch zu prüfen, inwieweit dem Motiv der steuerlichen Gerechtigkeit auch für die Besteuerung der Landwirtschaft unter Einbeziehung des Landwirtschaftsgesetzes und ähnlichem mehr Rechnung getragen werden muß. Herr Kollege Kiechle, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gehen Sie offensichtlich weiter als der eigene Berufsstand. Ich muß Ihnen sagen: Dann führen Sie keine Gespräche mit den Bauern selbst. Mehr will ich dazu hier und heute nicht sagen.
Es gibt die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission. Die Bundesregierung wird aus der Arbeit dieser Kommission politische Schlußfolgerungen ziehen, und sie wird dann dem Parlament Vorschläge machen. Dann wird das Parlament zu entscheiden haben. Soviel zu diesem Punkt.
Ein weiterer Punkt: Herr Kollege Ritz, Sie haben Herrn Professor Reisch zitiert. Wenn Sie so etwas tun, dann bitte ich Sie, den entsprechenden Passus doch vollständig zu zitieren. Aus der Darstellung des Herrn geht eindeutig hervor, daß sich das Einkommen seit 1966/67 immerhin verdoppelt hat. Dies bitte ich dann doch mit zu bedenken. Das heißt: Unsere Globalzahlen, so wie sie im Agrarbericht ausgeführt worden sind, treffen also zu.
Lassen Sie mich nun noch einige weitere Bemerkungen machen. Es ist hier heute morgen gesagt worden, der Agrarbericht sei ein Dokument der Zwiespältigkeit. Ich habe nicht herausbekommen, was an diesem Agrarbericht zwiespältig sein soll. Mit Recht konnten Sie lediglich kritisieren, daß wir eine Korrektur vornehmen mußten. Diese Korrektur habe ich bei der Einbringungsrede quantifiziert. Den Inhalt und die Relation des Agrarberichts allerdings hat sie nicht verändert. Aus der Detailinformation wissen Sie sehr genau, daß es sich hier um eine Korrektur handelt, die bei 10 000 Buchführungen zu meinem Leidwesen einmal erforderlich sein kann. Ich bedaure das zwar ebenso wie Sie, aber diese Korrektur hat, wie gesagt, den materiellen Gehalt des Agrarberichts nicht wesentlich verändert. Ich glaube,
daß muß man sagen. Denn sonst wäre der Vorwurf der Zwiespältigkeit berechtigt. Dieser Ihr Vorwurf kann also so nicht stehenbleiben. Im übrigen ändert es auch nichts daran, daß die Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilgenommen hat.
Da immer wieder das Nettoeinkommen zitiert wurde, möchte ich hier wegen der Schwierigkeiten der Diskussion, die wir im Zusammenhang mit anderen Problemen führen, doch darauf hinweisen, daß das Nettoeinkommen des beschäftigten Arbeitnehmers 1975 grosso modo bei 1354 DM lag, dies nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes. Ich möchte mich jetzt - auch wegen der schon fortgeschrittenen Zeit - nicht auf eine vergleichende Betrachtung darüber einlassen, welche Steuern und Sozialabgaben dem Arbeitnehmer und den in der Landwirtschaft Tätigen entstehen. Nur so viel: Diese Betrachtungen werden natürlich in allen Bevölkerungskreisen angestellt. Ich glaube, der Landwirtschaft und der Agrarpolitik nutzt man am besten, wenn man die Dinge objektiv, transparent. darstellt.
Weiter wurde gesagt, der Agrarbericht sei ein Dokument der gesamtwirtschaftlichen Instabilität. Diesen Vorwurf höre ich öfter. Nur, wenn ich internationale Statistiken lese, dann stelle ich fest, daß die Bundesrepublik Deutschland mit das stabilste Land der Welt ist.
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Das nennen Sie wohl politische Instabilität! Oder trifft es nicht zu, daß die D-Mark die härteste Währung der Welt ist!
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- Ja, das gebe ich gerne zu, aber mit abnehmender Tendenz, Herr Sauter. - Trifft es nicht zu, daß wir neben der Schweiz die geringste Preissteigerungsrate der Welt haben?
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Ist das etwa ein Zeichen der Instabilität? Zwar haben wir noch eine Million Arbeitslose, aber, wie gesagt, mit fallender Tendenz. Im übrigen soll das Investitionsprogramm einen Beitrag dazu leisten, daß wir die Zahl der Arbeitslosen - wir haben berechtigte Hoffnung, daß uns das gelingt - unter eine Million drücken können. Und wenn Sie hier davon sprechen, der Agrarbericht sei ein Dokument der Instabilität, dann darf ich Sie einmal fragen: Was ist denn in Amerika mit 8,7 % Arbeitslosen los?
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Das ist ein demokratisches Land. Und was ist in Frankreich, in England los? Ich frage mich, was angesichts der Verhältnisse in diesen Ländern Ihr Vorwurf hier soll.
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- Herr Niegel, Sie sollten endlich einmal vernünftig und zivilisiert zwischenrufen. Denn ich kann Sie
nicht einmal ' akustisch verstehen. Ich möchte Sie
nämlich nicht in die Kategorie der Urwaldbewohner einordnen.
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Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, dann können Sie sich doch bei mir melden. Sie wissen doch, daß ich gern mit Leuten rede. Aber, wie gesagt, Sie sind akustisch nicht zu vernehmen.
({10})
- Aber ist doch wahr: Er brüllt, und ich verstehe ihn nicht, Herr Kohl.
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- Herr Kohl, ich darf ihm aber doch sagen, daß ich ihn nicht verstehe, daß ich ihn akustisch nicht wahrnehmen kann, auch wenn er brüllt.
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- Also gut, wenn es Ihnen darauf ankommt, dann räume ich ein: Das ist mir rausgerutscht, okay. Darüber läßt sich mit mir reden. Ich muß Ihnen sagen, ich bin gegen Gebrüll allergisch, Herr Kohl, weil Brüllen nicht zu christlich-sozialen und christlich-demokratischen Menschen paßt.
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Meine Vorstellung von zivilisierter christlicher Würde ist eben anders, noch dazu wenn man weiß, daß hier vorn einer steht, mit dem man reden kann. Jetzt muß ich meinen Vater zitieren. Mein Vater hat mir beigebracht: Selbst mit Rindviechern redet man; die brüllt man nicht nur an.
({14})
Dies ist meine Lebensweisheit, die ich von einem einfachen Bauern mitbekommen habe.
Ich möchte noch einmal zusammenfassen. Die deutsche Landwirtschaft, Herr Kollege Ritz - so sehen es zumindest unsere Partner -, hat, wenn Sie den Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft, aber auch über die Gemeinschaft hinaus, betrachten, durch die Stabilitätspoltik ihre Wettbewerbsposition in der Gemeinschaft und am Weltmarkt stärken können. Dazu hat die Stabilitätspolitik der Bundesregierung entscheidend beigetragen.
({15})
Gerade für die Zukunft ist es ganz entscheidend, daß diese Stabilitätspolitik fortgesetzt wird. Damit komme ich zu einer entscheidenden Frage in der Gemeinschaft. Diese Bundesregierung muß, gerade weil sie die Zukunft der Gemeinschaft sichern will, nicht nur aus der Sicht unserer eigenen wirtschaftlichen Stabilität, sondern auch aus der Sicht der Genesung und des Weges zurück zur Stabilität bei unseren Partnern ihre Stabilitätspolitik fortsetzen.
Ein Redner - ich habe mir den Namen nicht gemerkt - hat auch die Probleme des Haushalts hier
anklingen lassen. Ich glaube, es war Herr Kiechle; aber ich weiß nicht genau, ob er es war. Auch das kann ich so nicht im Raum stehenlassen. Ich will dazu nur wenige Sätze anfügen, weil es nicht fair ist, EG-Ausgaben unter Einzelplan 60 zu verbuchen, wohl wissend, daß über die EG-Agrarausgaben die Preise und die Einkommen in der Landwirtschaft erheblich mitgestaltet werden und daß diese Mittel als Steuerausgaben und als Leistungen aus dem Bundeshaushalt aufgebracht worden sind.
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- Das stimmt, das ist hundertprozentig richtig. Wenn Sie die deutsche Agrarpolitik ein klein wenig zurückverfolgen, werden Sie zugeben müssen: eine so starke Interventionsgarantie, wie es sie im Moment in den wesentlichen Bereichen Getreide, Fleisch und Milch gibt, hat es vor den EG-Marktordnungen noch nie gegeben. Wenn Sie das bestreiten, müssen Sie mir Fakten nennen, müssen Sie mich überzeugen. Es tut mir leid; Sie zwingen mich hier zu Offenbarungen, über die ich eigentlich gar nicht gern reden will. Aber dann müssen Sie auch die von unseren Steuerzahlern über den Bundeshaushalt geleisteten Zahlungen zur Stützung des Preis- und Einkommensniveaus der Landwirtschaft als Leistungen des Bundeshaushalts für die deutsche Landwirtschaft akzeptieren. Das können Sie doch nicht unterschlagen. Das wäre schlichtweg unredlich.
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Nehmen Sie die Zahlen aus dem Jahre 1977 mit 2,9 Milliarden DM und mit einem Anstieg um plus 11 %. Dann kommen Sie, wenn Sie die übrigen Details dazunehmen, auf eine Steigerung von 4,8%. Das muß hier noch einmal erwähnt werden. Insoweit ist das keine Position, die Sie gegenüber der Gesamtheit der Bevölkerung vertreten können.
Aber das waren nur einige Richtigstellungen. Ich glaube, sagen zu können, daß wir insgesamt in der Betrachtung der anstehenden Probleme gar nicht so weit auseinanderliegen. Ich freue mich über Ihr Angebot, mich kritisch zu begleiten und gegebenenfalls Alternativen vorzulegen. Ich bin der letzte, der sich nicht Alternativen stellt und sie nicht kritisch durchdenkt, und zwar bis hin zur Gestaltung des ländlichen Raums. Herr Kollege Kiechle, eines steht fest: In der Bilanz von 1969 bis 1977 steht die jährliche Förderung von 100 000 außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen im wesentlichen durch die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur". Diese Zahl kann sich sehen lassen. Es wird doch niemand bestreiten, daß dies das Ziel unserer Agrarpolitik war. Der ländliche Raum ist wieder attraktiv geworden, er ist schöner geworden, das Leben dort ist wertvoller geworden, und zwar nicht nur für die Landwirte, sondern für alle Menschen auf dem Lande.
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Dies ist doch ein Faktum, das Sie nicht abstreiten können. Der Lebensstandard ist besser geworden im Bayerischen Wald, in der Rhön - ich spreche von Grenzgebieten -, im Schwarzwald, in der Eifel. Reden Sie doch mit den Betroffenen. Deshalb ist unsere Agrarpolitik in ein Gesamtkonzept eingebettet worden. Sie können doch Agrarstrukturpolitik nur betreiben, wenn sie in eine gesamte wirtschaftspolitische Konzeption bis hin zur Infrastrukturpolitik eingebettet ist. Diese Verzahnung ist gegeben. Wo sie manchmal fehlt - das will ich ganz offen sagen -, da hindert mich das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgaben.
Meine Freunde, ich will hier und heute nicht das Grundsatzproblem des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgaben aufrühren. Den Freien Demokraten und diesem Bundesminister werden Sie sicher nicht vorwerfen können, er habe dieses Gesetz über die Gemeinschaftsaufgaben initiiert oder durchgesetzt. Das haben andere getan, die weder föderalistisch noch sinnvoll gedacht haben. Das muß ich hier leider wiederholen, damit ich nicht auch die Verantwortung dafür noch übernehmen muß.
Wie ernst wir es mit der Gleichstellung des ländlichen Raumes aus allgemein gesellschaftlichen und gesamtpolitischen Gründen meinen, beweist unser neues Programm zur Verbesserung der Agrarstruktur bzw. unser Anteil bei den Zukunftsinvestitionen, wo schwerpunktmäßig alle mit dem Wasser zusammenhängenden Probleme behandelt werden, sei es die Verbesserung der Trinkwasserversorgung, sei es die Verbesserung der Abwasserbeseitigung. Hier wird ein neuer Teilbereich erschlossen: Gestern hat der Planungsausschuß endgültig die Dorferneuerung beschlossen. Ein neuer Weg, Herr Kollege Kiechle, nur dieser Regierung! Sie haben immer gesagt, die CDU habe immer das Bergbauernprogramm gewollt. Sie mögen es gewollt haben, aber Sie haben es in Ihrer Verantwortung nie realisieren können. Diese Regierung hat das Bergbauernprogramm realisiert. Wir haben die Dorferneuerung begonnen und vieles andere.
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Es ist ja wirklich merkwürdig, wenn man so etwas hört, wie mancher glaubt, er könne etwas für sich beanspruchen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Agrarpolitik in unserer Zeit und auch für die Zukunft ist eingebettet in die Pflicht der Römischen Verträge. Darüber muß in aller Deutlichkeit gesagt werden: Natürlich war es eine Illusion, zu glauben, die gemeinsame Agrarpolitik könne auf 'die Dauer mit festen Wechselkursen rechnen. Dies hat aber nicht dieser Minister zu verantworten. Genauso gilt aber unverändert, daß das, was bisher in der Gemeinschaft geschaffen wurde, nicht so wenig ist, wie es hier heute manchmal geklungen hat. Es ist auch nicht so gut, daß wir zufrieden sein können; das ist sicher. Letzten Endes besteht die Gemeinschaft aber aus der Zollunion auf dem industriell-gewerblichen Sektor und dem gemeinsamen Agrarmarkt und den neuen Schritten auf dem Sektor der Fischerei mit vielen Problemen, aber doch in der Form, daß wir heute einen Zustand erreicht haben, wo sich niemand mehr vorstellen kann, daß es einen Weg zurück von der Gemeinschaft geben könnte, und wo wir sagen müssen, daß die schwerwiegenden Probleme natürlich im Währungsbereich liegen, aber doch nicht verursacht durch unsere Stabilitätspolitik, sondern ver1506
ursacht durch die gesamten Veränderungen auf dem ökonomischen Sektor in der Welt mit vielen schwerwiegenden Folgen bei unseren Partnern, möglicherweise dort auch mit viel geringerer Bereitschaft zur Stabilität. Natürlich gilt dann auch, daß sich diese Probleme nur lösen lassen in pragmatischer Form, nicht in einer Form der totalen Veränderung.
Agrarpolitik hat im inneren Bereich die Funktion und die Aufgabe, den ländlichen Raum als Lebensraum für alle Menschen, die dort auf Dauer oder befristet wohnen, so zu gestalten, daß dieser ländliche Raum nicht nur Existenzmöglichkeit, sondern auch Möglichkeit zu Erholung und Freizeit bietet; denn das braucht gerade die Industriegesellschaft, das braucht die städtische Bevölkerung.
Ich möchte auch hinzufügen: Agrarpolitik hat unvermindert die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, unsere Verbraucher preiswert und angemessen zu versorgen und auch eine Garantie für die Ernährungssicherung im Verbund der heutigen größeren Gemeinschaft zu geben.
Agrarpolitik hat aber auch die Aufgabe, ein Siedlungsgleichgewicht sicherzustellen. Die Erkenntnis nimmt zu, daß die Industriegesellschaft am Ende ihre gesellschaftlichen, sozialen und politischen Probleme nur lösen kann, wenn es nicht zu starke Siedlungsungleichgewichte gibt. Hier kommt der Infrastruktur und der Agrarstruktur eine wesentliche Bedeutung zu.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Agrarpolitiker und Ernährungspolitiker dürfen die Augen nicht vor den großen Herausforderungen verschließen, die durch Bevölkerungswachstum und damit zunehmenden Hunger in der Welt auf uns alle zukommen. Ich habe manchmal Angst, daß man glaubt, die großen Probleme des Jahres 2000 bestehen vorwiegend auf dem Energiesektor. Das Ernährungsproblem könnte für die Menschheit (im Jahre 2000 ebenso schwer wiegen wie das Erergieproblem. Auch daran müssen wir, glaube ich, heute und morgen denken. Wir müssen dabei wissen, daß Agrarproduktionen wie nur ganz wenige andere Produktionen enorm abhängig von Menschen, Boden und Klima sind, so daß sich aus diesen natürlichen drei Faktoren von vornherein zwangsläufige Beschränkungen ergeben. Es ist, glaube ich, auch notwendig, daran zu denken, daß das Jahr 2000 nicht so weit weg ist, damit wir uns nicht eines Tages schuldig machen. Lassen Sie es mich mit anderen Worten sagen. Sicherlich wird man die Frage der Überproduktion nur mit Entwicklungshilfe nicht lösen können. Aber zu glauben, die Entwicklungshilfe könne allein in der Stärkung der Eigenproduktion bestehen, könnte möglicherweise auf lange Sicht ebenso fatale Irrtümer nach sich ziehen. Hier werden wir einen mittleren Weg beschreiten müssen, wenn wir nicht die moralische Schuld - das wäre eine große Schuld - auf uns nehmen wollen, zwar viel vom Kampf gegen den Hunger geredet, aber keinen konstruktiven Beitrag geleistet zu haben.
Dies wollte ich hier zum Abschluß sagen. Ich möchte mich noch einmal bei allen Diskussionsrednern bedanken. Ich hoffe, daß wir gemeinsam
im nächsten Jahr sehen können, wie auf Grund der Vorausschau die Bilanz ist. Natürlich gibt es nicht immer nur gute Jähre. Es wird auch einmal schlechte Jahre geben. Ich habe das wiederholt in den 7½ Jahren mitgemacht. Ich freue mich doch sehr, noch einmal sagen zu können, daß ich im Grundtenor nicht so viele Unterschiede festgestellt habe.
({20})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Agrarbericht 1977 der Bundesregierung auf Drucksachen 8/80 und 8/81 dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - sowie dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Es liegen noch zwei Entschließungsanträge auf den Drucksachen 8/189 und 8/306 vor. Sie sollen ebenfalls dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und auch dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung treten wir jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 8/285 Zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Lattmann auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß bei der Verleihung der Bundesfilmpreise 1977, wie in Zukunft, die Auszeichnung für die künstlerische Gesamtgestaltung eines prämiierten Films in erster Linie dem Autor und Regisseur gebührt, und gedenkt sie, dies bei der Übergabe der Preise öffentlich deutlich zu machen auch in Fällen, in denen wie bei dem diesjährigen ersten Preis - dem Film „Heinrich" von Helma Sanders - in der offiziellen Mitteilung des Juryergebnisses für die Presse nur die Produktion genannt wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, den Preis und die Prämie im Rahmen des Deutschen Filmpreises für den besten programmfüllenden Spielfilm - das heißt die Goldene Schale, verbunden mit einer Prämie von 500 000 DM, oder das Filmband in Gold, verbunden mit einer Prämie von 400 000 DM - erhält nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der Filmförderungsrichtlinien des Bundesministers des Innern der Hersteller des Preisfilms. Hersteller des in diesem Jahr mit der Goldenen Schale ausgezeichneten Spielfilms „Heinrich" ist die Berliner Filmproduzentin Regina Ziegler. Sie hat
Parl. Staatssekretär von Schoeler
I mithin einen Rechtsanspruch auf die Übergabe des Preises. Ungeachtet dessen steht es dem Hersteller eines Preisfilms selbstverständlich frei, sich bei der Entgegennahme des Preises durch den Regisseur vertreten zu lassen oder den Preis gemeinsam mit dem Regisseur entgegenzunehmen.
Die Regisseurin und Drehbuchautorin des Films, Frau Helma Sanders-Brahms, wurde mit einem Filmband in Gold für das Drehbuch ausgezeichnet. Dies ist in der von meinem Hause veröffentlichten Pressemitteilung ausgeführt worden.
Bei der Neufassung der geltenden Filmförderungsrichtlinien zum 1. Januar 1977 ist die Regelung getroffen worden, daß in begründeten Fällen gemäß § 8 Abs. 2 Preis und Prämie dem Regisseur des Preisfilms zuerkannt werden können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lattmann.
Herr Staatssekretär, können Sie schon konkret sagen, wie Ende Juni in Berlin, unmittelbar vor Beginn der Filmfestspiele, die Situation sein wird, wenn voraussichtlich der Bundesinnenminister oder ein Stellvertreter die Laudatio hält? Wird die Laudatio stark auf die künstlerische Leistung abheben?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben sicherlich Verständnis dafür, daß ich hier nicht eine Laudatio vorwegnehmen kann, die später gehalten wird. Aber Sie können versichert sein, daß die Überlegungen, die den Auswahlausschuß zu der Auszeichnung des Films und zu der Auszeichnung der Regisseurin veranlaßt haben, auch in dieser Rede berücksichtigt werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lattmann.
Herr Staatssekretär, im Sinne einer Verdeutlichung frage ich Sie zusätzlich, ob sich die kulturelle Filmförderung, die beim Bundesinnenministerium ressortiert, von der Wirtschaftsfilmförderung jedenfalls dadurch unterscheidet, daß ihre Hauptaufgabe die Förderung der künstlerischen Leistung ist und dies auch Priorität besitzt.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Der Würdigung der künstlerischen Leistung kommt im Rahmen der geltenden Filmförderungsrichtlinien wesentliche Bedeutung zu.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Lattmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Richtlinien für die kulturelle Filmförderung dahin gehend zu verbessern, daß bei der Verleihung von Goldenen Schalen und Filmbändern jeweils der Filmautor über die Verwendung des mit der Auszeichnung verbundenen Geldpreises mitbestimmen kann, weil anders die Preisverleihung so ausfiele, als hätte vergleichsweise nicht Günter Grass einen Literaturpreis für „Die Blechtrommel" erhalten sondern der Verlag des Romans?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist sich der Problematik bewußt, daß bei der Zuerkennung des Deutschen Filmpreises an den Hersteller die künstlerische Leistung des Regisseurs nicht sichtbar gewürdigt wird, wenn Regisseur und Hersteller, was häufig der Fall ist, nicht identisch sind. Der Vergleich mit der künstlerischen Leistung eines Schriftstellers gegenüber der des Verlegers bei der Verleihung eines Literaturpreises erscheint indessen nicht gänzlich nachvollziehbar. Ein literarisches Werk ist fast immer die Leistung eines einzelnen, ein prämiierter Film hingegen eine künstlerische Gemeinschaftsleistung, an der neben dem Regisseur auch Darsteller, Kameraführung, Ausstattung, Schnitt oder Filmmusik beteiligt sind. Hervorragende Einzelleistungen können nach den Richtlinien über die Vergabe von Preisen, Prämien und Stipendien zur Förderung des deutschen Films auch zusätzlich zur Auszeichnung des gesamten Films mit Filmbändern in Gold ausgezeichnet werden. Von dieser Möglichkeit hat der Auswahlausschuß in diesem Jahr in neun Fällen, so auch bei Frau Sanders-Brahms als Drehbuchautorin, Gebrauch gemacht.
Die Bundesregierung ist aber bereit, auch die erst vor kurzem neugefaßten und in zahlreichen Punkten liberalisierten Filmförderungsrichtlinien weiterzuentwickeln mit dem Ziel, künstlerischen Leistungen noch stärker als bisher Geltung zu verschaffen. Dies sollte in Abstimmung mit den sachkundigen Mitgliedern des Auswahlausschusses geschehen, dem auch Sie, Herr Kollege Lattmann, angehören.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lattmann.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der Filmautor, sehr häufig also derjenige, der das Drehbuch verfaßt hat und auch Regie führt, jedenfalls die Möglichkeit hat, seinen privaten Vertrag mit der Produktion so zu gestalten, daß er auch an einem etwaigen späteren Preis beteiligt ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir sind keine rechtlichen Gesichtspunkte bekannt, die es verbieten würden, eine solche Vertragsausgestaltung vorzunehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lattmann.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie schließlich fragen, ob das Bundesinnenministerium es für wünschenswert hält, daß die kulturelle Filmförderung sich so auswirkt, daß die Autoren flexibel bleiben und nicht etwa infolge der Geldpreise an eine bestimmte Produktion gebunden sind?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Neufassung der Filmförderungsrichtlinien zum 1. Januar 1977 versucht der Auszeichnung der künstlerischen Leistungen z. B. des Regisseurs noch mehr i echnung zu tragen als bisher. Ich habe in meiner Antwort auf Ihre Frage bereits dargestellt, daß wir
Parl. Staatssekretär von Schoeler
bereit sind, mit den Mitgliedern des Auswahlausschusses in eine Diskussion darüber einzutreten,
inwieweit dies in weiteren Schritten möglich ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 61 des Abgeordneten Dr. Geßner auf. - Der Abgeordnete scheint nicht im Saal zu sein. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Für Frage 62 des Abgeordneten Dr. Geßner gilt das gleiche.
Zu Frage 63 - des Abgeordneten Dr. Marx - bittet der Fragesteller um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 64 des Abgeordneten Engelsberger auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, durch klare gesetzliche Regelungen eine vermutlich langjährige Rechtsunsicherheit zu beseitigen, damit es nicht zu unterschiedlichen Gerichtsurteilen kommen kann, wonach der gleiche Kraftwerkstyp in einem Fall nicht begonnen und im anderen Fall weiter gebaut werden darf, und um zu gewährleisten, daß ein realistisches Energiekonzept erstellt werden kann?
Herr Kollege, die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob durch eine stärkere Verrechtlichung von technischen Regeln und Richtlinien auf gesetzlicher oder Verordnungsebene ein Mehr an Rechtssicherheit erreicht werden kann. Sie ist sich dabei des Problems bewußt, daß technische Regeln und Richtlinien vor allem im technischen Sicherheitsrecht häufig einer dynamischen Entwicklung unterliegen. Starre gesetzliche Regelungen können daher eine flexible Anpassung an neuere Erkenntnisse und einen gestiegenen Sicherheitsstandard erschweren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Staatssekretär, sind die zuständigen Gerichte im Hinblick auf die Standortwahl und die Reaktorsicherheit von Kernkraftwerken wegen der schwierigen technologischen Materie nicht überfordert, und ist, es nicht erforderlich, daß der Gesetzgeber klare Rechtsvorschriften zum Bau von Kernkraftwerken erläßt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie müssen berücksichtigen, daß die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Atomgesetz kein Einzelfall ist, sondern daß dies in unserer Rechtsordnung auf einer Vielzahl von Gebieten geschieht. Das Problem, das sich den Gerichten stellt, ist also ein generelles, nicht nur auf diesem Bereich auftretendes Problem. Aus der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen läßt sich jedenfalls unter keinen Umständen die Schlußfolgerung ziehen, die gesetzlichen Grundlagen seien unklar.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Staatssekretär, welche Bedeutung haben die Energieprogramme der Bundesregierung, wo ganz bestimmte Ausbauleistungen für Kernkraftwerke festgelegt sind, denn überhaupt noch, wenn noch nicht einmal die Standortfragen für die zu errichtenden Kraftwerke geklärt sind bzw. die Baugenehmigung in Frage steht?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung zur Zeit die in Ihrer Ausgangsfrage gestellten Überlegungen prüft. Man sollte jedenfalls nicht vorschnell auf Grund von zwei divergierenden Urteilen, die wir ja mittlerweile haben, in die Versuchung geraten, bewährte Prinzipien des technischen Sicherheitsrechts ohne nähere Prüfung in Frage zu stellen, um den Entscheidungsspielraum von Gerichten einzuengen. Auch unter dem Gesichtspunkt dieser Prüfung besteht im Augenblick keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß etwa die Energieprogramme der Bundesregierung eine andere Bedeutung hätten als bisher.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 65 der Abgeordneten Frau Erler auf:
Treffen Presseberichte zu ({0}), wonach das Bundesinnenministerium den Bundesgrenzschutz angewiesen haben soll, Inhaber chilenischer Reisepässe, die von chilenischen Auslandsvertretungen ausgestellt sind, grundsätzlich zurückzuweisen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich beide Fragen zusammen beantworten könnte.
({1})
Dann rufe ich auch Frage 66 der Abgeordneten Frau Erler auf:
Wie läßt sich gegebenenfalls diese Anweisung mit dem Grundrecht auf politisches Asyl vereinbaren?
Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, eine große Zahl chilenischer Staatsangehöriger aufzunehmen, deren Leben oder Freiheit in Chile durch Verfolgung aus politischen Gründen bedroht ist. Die humanitären Erwägungen, die dieser besonderen Aufnahmeaktion zugrunde liegen, gelten nicht für solche chilenische Staatsangehörige, die der Gefahr politischer Verfolgung bereits durch die von einem andern Staat erfolgte Aufnahme als politische Flüchtlinge entgangen sind.
Dafür, daß solche Exilchilenen, die in einem anderen Land bereits Asyl erhalten haben, von dort in die Bundesrepublik Deutschland gelangen wollen, gibt es eine Reihe von Anhaltspunkten. Mit einer dauernden Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland ist regelmäßig die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verbunden. Hierzu muß vor der Einreise nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes eine Aufenthaltserlaubnis in der Form eines Sichtvermerks vorDeutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21: April 1977 1509
Parl. Staatssekretär von Schoeler
liegen. Durch entsprechende Weisung sind die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs betrauten Stellen angehalten worden, die Einhaltung dieser Rechtsvorschrift nachzuprüfen. Dabei ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß es keinen Unterschied macht, ob der Reisepaß bei der Ausstellung durch die chilenischen Auslandsvertretungen besonders gekennzeichnet wurde. Insofern trifft der von Ihnen erwähnte Pressebericht nicht zu.
Diese Weisung betrifft chilenische Staatsangehörige, die um Asyl nachsuchen, in keiner Weise. Für diese Fälle gelten die allgemeinen, für alle Asylsuchenden geltenden Vorschriften. Das Grundrecht auf politisches Asyl ist keinesfalls berührt.
Sie wünschen eine Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bewußt, daß damit Anhänger der Diktatur in Chile ungehindert in die Bundesrepublik einreisen können, während Anhänger der Demokratie in Chile nicht mehr ungehindert in die Bundesrepublik einreisen dürfen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie müssen davon ausgehen, daß die Frage, wer in unser Land einreist, bei Chilenen nicht anders gehandhabt wird als bei den Staatsangehörigen aller anderen Länder. Ich lege besonderen Wert auf die Feststellung, daß in den Anweisungen an die Grenzschutzbehörden auch ausdrücklich niedergelegt worden ist, daß die Kennzeichnung des Passes, von der in der Pressemitteilung, die Sie angesprochen haben, die Rede ist, keine Rolle spielt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Wie sollen nach Ansicht der Bundesregierung die dem Datenschutz unterworfenen datenverarbeitenden Stellen die im Bundesdatenschutz ohne Präzisierung verwendeten Formeln „berechtigte Interessen" und "schutzwürdige Belange" beim praktischen Vollzug des Bundesdatenschutzgesetzes ({0}) gegeneinander abgrenzen, insbesondere hinsichtlich der Verwirklichung der im Anhang zum BDSG enthaltenen und einem doppelten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfenen Maßnahmen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Bundesdatenschutzgesetz stellt in einer Reihe von Regelungen über Zulässigkeit der Datenverarbeitung, z. B. der Datenübermittlung durch Behörden an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs ({1}) oder durch nichtöffentliche Stellen für eigene Zwecke ({2}) auf das berechtigte Interesse des Empfängers der Daten an ihrer Kenntnis und zum andern auf die schutzwürdigen Belange des Betroffenen ab, auf den sich die Daten beziehen. Dies entspricht unserer Verfassungsordnung, wonach bei allem staatlichen Handeln eine Interessenabwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeitssphäre und dem öffentlichen Interesse unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips durchzuführen ist.
Die im Bundesdatenschutzgesetz verwendeten unbestimmten Begriffe „berechtigtes Interesse" und „schutzwürdige Belange" sind justitiabel. Sie sind in unserer Rechtsordnung und Gesetzessprache durchaus üblich. Ihre Anwendung auf Grund der richtungweisenden Leitlinien und Gesichtspunkte des Bundesdatenschutzgesetzes ist alltägliche Aufgabe von Rechtspraxis und Rechtsprechung. Sie wird hier nicht mehr Schwierigkeiten bereiten als in anderen Rechtsbereichen.
Im übrigen hat die Bundesregierung keinen Anlaß, die von Bundestag und Bundesrat bei den Beratungen des Datenschutzgesetzes getroffenen Entscheidungen zu bewerten.
Sie wünschen eine Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung nicht doch die Gefahr der Rechtsunsicherheit, die sich aus dem Fehlen der inhaltlichen Bestimmung des Schutzzweckes im Hinblick auf die Privatsphäre des Bürgers und aus der Tatsache ergibt, daß die Rechtsprechung das sich öffnende weite Feld für freie Rechtsschöpfung deshalb in absehbarer Zeit nicht wird ausfüllen können, weil es zunächst an gerichtlich anhängigen Konfliktfällen mangelt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe vorhin im Rahmen der Antwort auf eine andere Frage bereits Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, daß man aus der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen in Gesetzen, die unvermeidlich ist, nicht auf Rechtsunsicherheit schließen darf. Im übrigen sieht die Bundesregierung die von Ihnen erwähnte Rechtsunsicherheit nicht. Sie befindet sich damit im Einklang mit den gesetzgebenden Körperschaften, dem Bundestag und dem Bundesrat, die das Bundesdatenschutzgesetz verabschiedet haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, plant die Bundesregierung für besondere Bereiche Entwürfe von Spezialgesetzen und speziellen Rechtsvorschriften zum Schutze personenbezogener Daten vorzulegen und in welchem zeitlichen Rahmen wird sie gegebenenfalls Initiativen ergreifen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Diese Fragen befinden sich in der Prüfung.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Wie bewertet die Bundesregierung für die Durchführung des BDSG die im § 2 BDSG gegebene Definition des Dateibegriffs, derzufolge personenbezogene Daten, die z. B. von Auskunfteien in Aktensammlungen geordnet und manuell geführt werden, nicht unter das Gesetz fallen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in Akten und Aktensammlungen gespeicherte personenbezogene Daten fallen nach § 2 Abs. 3 Nr. 3
Parl. Staatssekretär von Schoeler
in Verbindung mit § 1 Abs. 2 des Bundesdatenschutzgesetzes nicht unter den Anwendungsbereich des Bundesdatenschutzgesetzes, sofern die Akten und Aktensammlungen nicht durch automatisierte Verfahren umgeordnet und ausgewertet werden können. Im übrigen möchte ich auf meine Antwort auf Ihre erste Frage verweisen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie wegen der großen praktischen Bedeutung im Blick auf den Vollzug des Bundesdatenschutzgesetzes nochmals fragen: Sind nach Auffassung der Bundesregierung Handelsauskunfteien und Detekteien wegen ihrer heute durchgängig üblichen Arbeitsweisen mit Aktenordnern, Aktendeckeln und Aktensammlungen von der Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes im allgemeinen ausgenommen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe in meiner Antwort auf Ihre Frage 68 bereits darauf hingewiesen, daß Akten und Aktensammlungen dann nicht in den Anwendungsbereich des Bundesdatenschutzgesetzes fallen, wenn die Akten und Aktensammlungen nicht durch automatisierte Verfahren umgeordnet oder ausgewertet werden können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können nach Ansicht der Bundesregierung manuell geführte Registraturen, in denen personenbezogene Daten in Form von Aktenablagen nach bestimmten Merkmalen geordnet sind, als Aktensammlungen im Sinne des § 2 des Bundesdatenschutzgesetzes aufgefaßt werden, und fallen sie damit nicht unter das Gesetz?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gern bereit, eine entsprechende rechtliche Prüfung anzustellen und Ihnen das Ergebnis mitzuteilen.
Im übrigen muß ich darauf hinweisen, daß sich alle Fragen auf die Auslegung eines Gesetzes beziehen, das von den gesetzgebenden Körperschaften erst vor kurzem beschlossen worden ist und noch nicht einmal in Kraft getreten ist. Daher sieht die Bundesregierung im Augenblick keinen Anlaß, zusätzliche Wertungen dazu abzugeben, bevor erste praktische Erfahrungen da sind.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Milz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt des Verfassungsschutzes die geplante Zusammenarbeit von Jugendorganisationen ({0}) mit kommunistischen Gruppierungen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr` Kollege, wenn Sie einverstanden sind, würde ich gern beide Fragen zusammen beantworten.
({1})
Ich rufe daher gleich die Frage 70 des Abgeordneten Milz auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, derartigen Kooperationsbestrebungen entgegenzuwirken, und wenn ja, in welcher Weise?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Fragen enthalten keinen Hinweis darauf, ob Sie sich auf ein konkretes Ereignis beziehen. Sie geben mir daher lediglich Anlaß, wie in der Vergangenheit in einer Vielzahl öffentlicher Verlautbarungen, namentlich in den jährlichen Verfassungsschutzberichten, aber auch in Antworten auf parlamentarische Anfragen von der Bundesregierung bereits mehrfach geschehen, zum wiederholten Male auf die Gefahren der kommunistischen Bündnispolitik hinzuweisen und vor einer Zusammenarbeit mit kommunistischen Organisationen zu warnen. Die Bundesregierung hat seit jeher die Auffassung vertreten, daß eine Zusammenarbeit mit kommunistischen Organisationen abzulehnen ist. Die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien haben sich stets uneingeschränkt dieser Auffassung angeschlossen.
Eine Zusatzfrage.
Um auf den konkreten Anlaß zu kommen: Herr Staatssekretär, in mehreren Presseverlautbarungen ist nachzulesen, daß das kommunistisch gelenkte „Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit" unter anderem von den Jungsozialisten und den Jungdemokraten unterstützt werden sollte. Sind Sie mit mir der Auffassung, daß politisch alles getan werden muß, und zwar nicht nur verbal, sondern mit allen rechtlichen Mitteln, damit es zu dieser Zusammenarbeit nicht kommt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, vielleicht kann ich Ihre Information dahin vervollständigen, daß weder von Jungsozialisten noch von Jungdemokraten noch, soweit mir bekannt ist, von der Jungen Union eine Unterzeichnung oder eine Unterstützung dieses Komitees beabsichtigt sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß beispielsweise die Jugendorganisation „Die Falken" in Westfalen förmlich beschlossen hat, mit diesem Komitee zusammenzuarbeiten?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Sie hatten in Ihrer Frage auf die Jugendorganisationen, insbesondere die Jungsozialisten, abgestellt. - Entschuldigen Sie, das ist, glaube ich, in Ihrer nächsten Frage.
({0})
- Richtig. Insofern habe ich darauf Bezug genommen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß eine solche Zusammenarbeit geradezu herausgefordert wird, wenn die ehemalige Vorsitzende der Jungsozialisten erklärt, es sei besser, mit Kommunisten zusammenzuarbeiten als beispielsweise mit dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube nicht, daß es die Aufgabe der Bundesregierung ist, hier in der Fragestunde zu Einzeläußerungen von Mitgliedern demokratischer Parteien Stellung zu nehmen. Ich möchte sie darauf hinweisen, daß man es bei der Wertung der Vorgänge der letzten Wochen durchaus würdigen muß, daß innerhalb der Jugendorganisationen ein Meinungsbildungsprozeß in einer von uns allen eigentlich nur gutzuheißenden Richtung stattgefunden hat.
Die letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Gegenstand, mit dem sich gestern das Plenum des Deutschen Bundestages beschäftigt hat, in seiner Gefährlichkeit unter anderem durch die offensichtliche Zusammenarbeit zwischen Jungdemokraten, Jungsozialisten und Kommunisten gefördert wird?
({0})
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe wenig Verständnis dafür, daß Sie eine solche Frage stellen, nachdem beide Jugendorganisationen erklärt haben, daß sie diese Aufrufe nicht unterzeichnen werden. Ich glaube, es dient der uns allen gemeinsamen Sache, wenn wir solche Entwicklungen und Ergebnisse von Meinungsdiskussionen innerhalb der Jugendorganisationen hier zur Kenntnis nehmen und nicht einfach so tun, als hätten sie nicht stattgefunden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 159 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, polnischen Wünschen nach einer Änderung des Vertriebenengesetzes dahin gehend entsprechen zu wollen, daß die Deutschen, die Ostdeutschland heutzutage deshalb verlassen wollen, weil ihnen ihre Heimat durch polnische Besetzung, Massenaustreibung des Großteils ihrer Landsleute unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg und Vorenthaltung jeglichen Schutzes ihrer Volksgruppe zur Fremde geworden ist, nicht mehr als „Vertriebene" bezeichnet werden dürfen, und inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung, weiteren polnischen Forderungen nach sogenannter Revision unserer Rechtsordnung, insbesondere nach solcher des Grundgesetzes, zu entsprechen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes sind Deutsche, die heute die Gebiete östlich von Oder und Neiße verlassen, Aussiedler. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, daß er in diesen Personen eine eigene Gruppe sieht, die er besonders gekennzeichnet hat.
Auf die Aussiedler werden alle Vorschriften, die die Betreuung, Eingliederung und Entschädigung der Vertriebenen zum Ziele haben, uneingeschränkt
angewandt. Soweit die Anwendung des Gesetzes auf Aussiedler in den Ausreiseländern zu Fragen und Mißverständnissen geführt hat, hat die Bundesregierung diesen den Sinn des Gesetzes erläutert. Die Bundesregierung sieht jetzt keinen Anlaß zu Erwägungen, das Vertriebenengesetz dahin gehend zu ändern, daß Aussiedler nicht mehr als Vertriebene bezeichnet werden dürfen, wie Sie es in Ihrer Fragestellung formuliert haben. Sie sieht ebenfalls keinen Anlaß zu einer Änderung des Grundgesetzes.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich bewußt, daß Sie damit im Widerspruch zu einer Auskunft stehen, die der Staatsminister beim Bundeskanzler mit Schreiben vom 15. April 1977 an ein Mitglied dieses Hauses gegeben hat, in dem es wörtlich heißt:
Danach geht es bei der Absicht der Bundesregierung, das Bundesvertriebenengesetz zu ändern, darum, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die Aussiedler aus Polen und den anderen osteuropäischen Staaten mit der geltenden Bezeichnung des Vertriebenengesetzes nach Auffassung der Bundesregierung nicht zutreffend bezeichnet werden.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe keinen Widerspruch; denn ich habe hier ausdrücklich ausgeführt, daß die Bundesregierung nicht erwägt, Gesetzesänderungen dahin gehend einzuleiten, daß Aussiedler nicht mehr als Vertriebene bezeichnet werden dürfen. Dieses steht auch nicht in dem von Ihnen erwähnten Brief.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, erwägt die Bundesregierung, das Bundesvertriebenengesetz dahin gehend zu ergänzen, daß neben den Begriff des Vertriebenen auch der des Aussiedlers gesetzt wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Begriff „Aussiedler" ist bereits in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes enthalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf § 1 des Bundesvertriebenengesetzes hingewiesen, und dort wird gesetzlich festgestellt, daß die Aussiedler Vertriebene sind. Ich frage Sie nun, ob Ihre Aussage nicht im Widerspruch zu den Behauptungen des Sprechers der Bundesregierung, Grünewald, steht, daß die Aussiedler unter einem falschen Etikett segeln, wenn sie als Vertriebene bezeichnet werden, und daß innerhalb der Bundesregierung zügig an der Änderung des Bundesvertriebenengesetzes gearbeitet wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Äußerungen des Regierungssprechers zielten darauf ab, möglichen Schwierigkeiten im Prozeß der Aussiedlung im Interesse der Betroffenen zu begegnen. Im Vordergrund stand hierbei die Bezeichnung der heute aus den Oder/Neiße-Gebieten kommenden Deutschen. Die hier bereits durch das Bundesvertriebenengesetz getroffenen Differenzierungen habe ich dargelegt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich, daß nach Ablauf von über zwei Jahrzehnten seitens der polnischen Regierung plötzlich die Forderung erhoben wird, daß wir hier in unserer Gesetzgebung anders als bisher verfahren sollen? Halten Sie das nicht für eine unangemessene und unangebrachte Einmischung?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, hier Spekulationen über Motive der Regierung eines anderen Landes anzustellen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Auskünfte dahin gehend verstehen, daß Sie mir nicht widersprechen, wenn ich feststelle, daß die Bundesregierung keine Änderung des Vertriebenengesetzes dahin gehend beabsichtigt, daß Aussiedler zukünftig aus dem Vertriebenenbegriff herausgenommen werden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung jetzt keinen Anlaß sieht, eine solche Gesetzesänderung vorzunehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Kollege von Schoeler, welche Änderung des Bundesvertriebenengesetzes hat dann der Herr Staatsminister beim Bundeskanzler in dem Schreiben an ein Mitglied dieses Hauses gemeint?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist das Schreiben nur in dem zitierten Teil bekannt. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich jetzt nicht zu dem Schreiben, das ich nur auszugsweise soeben gehört habe, Stellung nehmen kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß die Bundesregierung früher oder später in die Lage kommt, den Begriff der Vertriebenen dem Statut der Internationalen
Flüchtlingsorganisation anzupassen, wonach nur die Personen, die sich infolge von Ereignissen vor dem 1. Januar 1951 und aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder der politischen Überzeugung außerhalb des Landes ihrer Nationalität befinden und nicht willens sind, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, als Flüchtlinge oder Vertriebene angesehen werden können?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben mich gefragt, ob die Bundesregierung irgendwann einmal zu solchen Überlegungen kommen kann. Sie werden Verständnis dafür haben, daß man über solche Zeiträume wie die, nach denen Sie gefragt haben, keine Auskunft geben kann.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Milz.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, den hier anwesenden Staatsminister Wischnewski zu bitten, zu dem von ihm verfaßten Brief hier eine Stellungnahme abzugeben?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ici glaube, der Präsident wird diese Frage nicht zulassen.
Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich nicht zulassen; sie fällt nicht in den Rahmen dieser Fragestunde.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Wischnewski bereit.
({0})
Ich rufe Frage 138 des Abgeordneten Kunz ({1}) auf:
Was hat den Staatsminister Wischnewski veranlaßt, öffentlich zu erklären, er werde sich einer Übernahme des Amts des Regierenden Bürgermeisters niemals entziehen?
Herr Kollege Kunz, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Staatsminister Wischnewski hat zu keiner Zeit - weder öffentlich noch nichtöffentlich - eine derartige Erklärung abgegeben.
({0})
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich mir erlauben, Ihnen diesbezüglich alsbald eine Reihe von Interviews zuzustellen?
Ich freue mich sehr darauf.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, beinhaltet diese gegebene Antwort, daß sich die ganze deutsche Presse in der Wiedergabe dieser Ihrer Äußerungen getäuscht hat?
Herr Kollege, ich habe alle Aussagen zu dieser Frage vor mir liegen. Es gibt dabei nicht eine einzige, die das beinhaltet, was die Frage hier aussagt. Sie können sie gerne von mir zur Verfügung gestellt bekommen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Kollege, könnten Sie mir bitte sagen, welches der Inhalt der jetzt debattierten Mitteilung war, die der Herr Staatsminister Wischnewski in der Talk-Show gegeben hat?
({0})
Es gab in der Talk-Show eine Frage, auf die ich z. B. gesagt habe - das ist ein längerer Abschnitt, und ich hoffe, daß Sie nicht erwarten, daß ich das alles hier vortrage -, daß ich weder ein Kandidat bin noch je ein Kandidat für eine solche Aufgabe gewesen bin. Und es gibt auch eine andere Erklärung von mir, in der ich dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, meinem Freunde Klaus Schütz, auch für die Zukunft für seine schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe viel Erfolg wünsche. Und dabei bleibt's.
({0})
Herr Staatsminister Wischnewski, die Beantwortung mit „Staatsminister Wischnewski" und später mit „ich" ist doch wohl das gleiche? Nur zur Klarstellung für das Protokoll.
({0})
Herr Präsident, dies ist eine Entscheidung, die ich gern Ihnen überlasse.
({0})
Ich rufe die Frage 139 des Abgeordneten Straßmeir auf:
Hat Staatsminister Wischnewski seine öffentliche Äußerung, er werde sich der Übernahme des Amts des Regierenden Bürgermeisters von Berlin niemals entziehen, im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler abgegeben, und ist bejahendenfalls daraus zu entnehmen, daß auch der Bundeskanzler einen Wechsel im Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin für notwendig hält?
Da Staatsminister Wischnewski eine derartige Äußerung nicht getan hat, bestand auch keinerlei Anlaß, sie mit dem Bundeskanzler abzustimmen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem das Ereignis, von dem wir alle seit fünf Minuten intensiv sprechen, nicht stattgefunden hat, möchte ich Sie fragen, ob es Aufgabe der Bundesregierung ist, sich auf diese Weise in die Grabenkämpfe - wie es eine Zeitung schreibt - um die Nachfolge von Schütz einzumischen.
Es ist keine Aufgabe der Bundesregierung, aber es kommt schon einmal vor, daß jemand in einem Interview Fragen gestellt bekommt, bei denen er sich auch mit Dingen beschäftigen muß, die mit seiner amtlichen Tätigkeit nicht das Geringste zu tun haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, glauben Sie wirklich, daß es richtig ist, das Spannungsverhältnis zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin auf diese Weise zu erörtern?
Ich muß die These von einem Spannungsverhältnis zwischen dem Bundeskanzler oder dem Bundeskanzleramt und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin in aller Deutlichkeit zurückweisen. Die Zusammenarbeit ist ausgezeichnet.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köhler.
Herr Staatsminister, der bisherige Verlauf dieses Frage- und Antwortspiels läßt mich Sie fragen: Sind Sie ganz sicher, daß Ihnen Herr Staatsminister Wischnewski zu diesem Sachverhalt sämtliche Informationen zur Verfügung gestellt hat?
({0})
Ich habe mit ihm darüber gesprochen und bin sicher, daß das der Fall ist.
({0})
Vizepräsident -Stücklen: Herr Staatsminister Wischnewski, können wir uns nicht darüber einigen, in der ersten Person zu sprechen - im Hinblick auf das Protokoll?
Ich bin gerne zu einer Einigung bereit, Herr Präsident.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, kann man davon ausgehen, daß die Ereignisse der letzten Tage Sie dazu bestimmt haben, nun heftig zu dementieren, daß Sie Interesse daran haben, Regierender Bürgermeister von Berlin zu werden?
Die Ereignisse der letzten Tage ändern auch nichts an den Tatsachen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.
Herr Staatsminister, Sie haben soeben erklärt, Sie seien kein Kandidat gewesen und seien es auch jetzt nicht. Können Sie diese Erklärung vervollständigen: Sie werden auch kein Kandidat sein?
Ich Kane das zitiert - darum bin ich gebeten worden -, was ich zu diesen Fragen gesagt habe. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wittmann.
Herr Staatsminister, lassen sich die Probleme der Wahl der dritten Person und der Ich-Form sowie Ihr sicheres Auftreten nicht dadurch auf einen Nenner bringen, daß Sie in Zukunft den Plural majestatis wählen und. „wir" sagen?
Meine Lateinkenntnisse sind nicht mehr so aktuell, so daß ich die Frage nur beantworten kann, wenn Sie bereit sind, sie zu übersetzen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, können Sie die Frage, um die sich eigentlich alles dreht, jetzt beantworten: Sind Sie dazu entschlossen, für das Amt des Regierenden Bürgermeisters zu kandidieren, oder schließen Sie das aus?
Ich glaube, ich habe hier ganz klare Aussagen gemacht. Berlin hat einen Regierenden Bürgermeister, der seine Aufgabe in hervorragender Weise wahrnimmt. Es bedarf daher überhaupt keines Kandidaten.
({0})
Eine letzte Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.
Herr Staatsminister, wurde Ihre Stellungnahme zur Sache auch dadurch erleichtert, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Berliner CDU nach der nächsten Wahl den Regierenden Bürgermeister stellen wird?
Erstens. Ich habe für mich keine Entscheidung zu fällen gehabt. Zweitens: So gerne ich mit Ihnen übereinstimmen würde - in vielen anderen Fällen habe ich das auch getan -, bin ich tieftraurig, in dieser Frage mit Ihnen in gar keiner Weise übereinstimmen zu können, weil ich die politische Situation in Berlin insoweit völlig anders beurteile als Sie, verehrte Frau Kollegin.
({0})
Ich rufe die Frage 140 des Abgeordneten Nordlohne auf:
Welche Gründe haben den Bundeskanzler seinerzeit veranlaßt, Frau Schlei für die Ernennung zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorzuschlagen, und sieht er die von ihm seinerzeit in ihre Amtsführung gesetzten Erwartungen auch nach ihrer kürzlich durchgeführten Afrikareise als voll erfüllt an?
Herr Kollege Nordlohne, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Der Herr Bundeskanzler hielt und hält Frau Schlei zur Bekleidung ihres Amtes für gut geeignet. Die zur Mrikareise von Frau Bundesminister Schlei im „Spiegel" und anderen Presseorganen wiedergegebenen Zitate sind zu einem großen Teil aus dem Zusammenhang gerissen und deshalb nicht richtig wiedergegeben. Einige wörtlich wiedergegebene Äußerungen sind ganz offensichtlich nicht gemacht worden.
Frau Bundesminister Schlei hat auf ihrer Reise nach Botswana, Sambia und Kenia mit den dortigen Regierungen konkrete Fragen unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit erörtert. Aus den Reaktionen der Gesprächspartner, Mitteilungen unserer Botschaften in diesen Ländern und umfangreichen Medienberichten in diesen Ländern wissen wir, daß die Ausführungen von Frau Bundesminister Schlei bei den Gesprächspartnern ein sehr positives Echo gefunden haben und als nützliche Erläuterungen unserer Entwicklungspolitik bzw. unserer Afrikapolitik bezeichnet worden sind.
Hieraus ergibt sich, daß die Reise von Frau Bundesminister Schlei zum gegenwärtigen Zeitpunkt zur weiteren Vertiefung der deutsch-afrikanischen Beziehungen beigetragen und dadurch die in sie gesetzten Erwartungen in vollem Umfang erfüllt hat.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Nordlohne.
Herr Staatsminister, bedeuten Ihre gerade erfolgte Einlassung und die Haltung des Bundeskanzlers am Dienstag vor der SPD-Bundestagsfraktion, daß sich der Bundeskanzler bei diesem Staatsbesuch in der gleichen Art und Weise verhalten hätte wie Frau Schlei?
Zunächst bitte ich Sie, sich darüber informieren zu lassen, daß UnterStaatsminister Wischnewski
schiede bestehen zwischen Staatsbesuchen und Arbeitsbesuchen. Dieses war ein typischer Arbeitsbesuch. Ich glaube, daß alle Voraussetzungen für diesen Arbeitsbesuch, nämlich mit den Regierungen dieser drei Länder Gespräche über unsere entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu führen, zum anderen darum bemüht zu sein, unsere Afrikapolitik gerade in diesem Raum deutlich zu machen, in vollem Umfang erfüllt worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, entsprechen die Meldungen der Presse der Wahrheit, daß Mitarbeiter der Frau Ministerin Tanzvorführungen veranstalteten, und sind das etwa neue Formen der Entwicklungshilfe dieser Regierung?
Ich habe nicht die Möglichkeit gehabt, das Verhalten aller Mitarbeiter während der Reise zu beobachten. Aber ich empfinde es nicht als unmenschlich, wenn bei irgendeiner Gelegenheit ein Mitarbeiter in einer vielleicht etwas angenehmeren Stunde im Rahmen einer anstrengenden Reise sich auch betont menschlich verhält, und so sollten wir es alle sehen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu diesem speziellen Punkt der Frage sollten wir die Antwort als erschöpfend betrachten.
Eine Zusatzfrage in anderer Richtung, Frau Abgeordnete Dr. Focke, bitte sehr.
Herr Staatsminister, könnten Sie uns noch etwas näher informieren über die Einschätzung der Reise von Frau Bundesministerin Schlei durch den Außenminister, durch das Auswärtige Amt, durch unsere Botschaften in den besuchten Ländern und über das Presseecho in den besuchten Ländern?
Der Herr Bundesaußenminister hat in einer der letzten Kabinettsitzungen Stellung genommen in bezug auf die Berichterstattung, die aus den Botschaften in diesen Ländern im Auswärtigen Amt vorliegt. Ich würde den Kollegen, die hier eine kritische Haltung haben, dringend empfehlen, das Auswärtige Amt zu bitten, die entsprechenden Berichte zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus gibt es auch, verehrte Frau Kollegin Dr. Focke, eine umfangreiche Zusammenstellung der Pressewirksamkeit des Besuchs von Frau Bundesminister Schlei in den drei Ländern, die ausgesprochen positiv ist.
Schließlich gibt es etwas, was jetzt besonders interessant ist, nämlich Reaktionen aus den drei Ländern, die einen Teil des Echos hier bei uns in
der Bundesepublik überhaupt nicht verstehen können.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rühe.
Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, das eine Reihe von Äußerungen, die im „Spiegel" wiedergegeben worden sind, so nicht gefallen sind. Könnten Sie bitte nur die wichtigsten der Äußerungen nennen, die im „Spiegel" stehen, aber so nicht gefallen sind?
Da sich der entwicklungspolitische Ausschuß mit dieser Frage gestern ausführlich beschäftigt und außerdem mit Mehrheit eine positive Bilanz gezogen hat
({0})
- das ist eine völlig andere Frage; es gibt trotzdem Mehrheiten; ich habe von der Mehrheit gesprochen -, sehe ich keinen Anlaß, zu einzelnen Formulierungen hier jetzt Stellung zu nehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kaffka.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, eventuell Botschaftsberichte zu veröffentlichen, damit klar wird, daß die Opposition in die verkehrte Richtung schießt?
Herr Kollege, ich werde das dem Auswärtigen Amt zu prüfen empfehlen. Die Entscheidung in dieser Frage liegt beim Auswärtigen Amt. Ich habe alle Botschaftsberichte hier. Sie stehen insbesondere den Kollegen der Opposition gern zur Verfügung. Ich weiß nicht, ob das Auswärtige Amt sie - im Interesse der Gesprächspartner von Frau Schlei - veröffentlichen kann. Normalerweise ist es nicht üblich, das zu tun. Aber den Kollegen des Bundestages, die Wert darauf legen, sollten die Berichte in jedem Fall zur Verfügung gestellt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, waren es die von Ihnen soeben erwähnten vorzüglichen Presseberichte im Ausland, die den Pressereferenten der Frau Minister veranlaßt haben, sie um die Betrauung mit einer anderen Tätigkeit zu ersuchen?
Ich glaube nicht, daß sich der Pressereferent des Ministeriums mit der dortigen Presse beschäftigt hat. Er hat sich offensichtlich mehr mit einem Teil der unsrigen beschäftigt. Das jedenfalls ist mein Informationsstand in dieser Frage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Todenhöfer. - Er verzichtet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köhler.
Herr Staatsminister, würden Sie mir bestätigen, daß es zutrifft, daß sich Frau Minister Schlei veranlaßt gesehen hat, zu verschiedenen Vorkommnissen auf ihrer Reise hinterher in Interviews erläuternd und in einer Pressekonferenz dann auch mit Schlußfolgerungen für ihr künftiges Verhalten Stellung zu nehmen?
Mir ist bekannt, daß Frau Bundesminister Schlei nach ihrer Rückkehr eine Pressekonferenz abgehalten hat, in der sie sich mit Erfolg und intensiv darum bemüht hat, Klarstellungen in den Fragen herbeizuführen, in denen dies unbedingt notwendig war.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Braun.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung auf Grund der nun nach Ihren Worten vorliegenden positiven Berichte der Botschaften von der Presse der Bundesrepublik Deutschland Richtigstellungen verlangen?
Wenn man in jedem Falle, hinsichtlich jeder Frage, die es überhaupt gibt, eine Richtigstellung verlangen würde - das betrifft nicht nur die Regierung, sondern das betrifft alle Parteien -, dann wären wir mit viel Arbeit beschäftigt. Ich glaube aber, die Bundesregierung wird sich sehr darum bemühen, die Grundtendenz dieser Berichterstattung für die Zukunft deutlich zu machen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Möller. - Er verzichtet. Ich bitte alle Damen und Herren Kollegen, die sich gemeldet haben und dann verzichten, mir das durch Handzeichen mitzuteilen, Ich nehme das sehr gern zur Kenntnis.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schlaga.
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß der Berichterstatter, ein Journalist des „Spiegel", auf dessen Bericht anscheinend die gesamte Fragestellung der Opposition fußt, nur wenige Tage an der Reise der' Bundesministerin teilgenommen und den Rest nachher wahrscheinlich an seinem Hamburger Schreibtisch geschrieben hat, und ist es weiterhin richtig, daß dieser Berichterstatter vor Antritt der Reise gesagt haben soll: „Die Staatsministerin werde ich abschießen"?
Mir liegen ähnliche Informationen vor. Aber meine Möglichkeiten, darüber Auskunft zu geben, sind begrenzt, aus dem einfachen Grunde, weil ich selbst an der Reise nicht teilgenommen habe.
Heute scheinen einige Schwierigkeiten bei der protokollarisch richtigen Bezeichnung zu bestehen. Es handelt sich nicht um die „Staatsministerin", sondern um die Bundesministerin.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffacker.
Herr Staatsminister, es ist ja nicht so, daß nur „Der Spiegel" über die Reise von Frau Schlei berichtet hätte. Warum ist bislang von allen übrigen Zeitungen bis ins Ausland hinein - ich erinnere an die „Neue Zürcher Zeitung" -keine Gegendarstellung verlangt worden, um diese Darstellungen zu widerlegen?
Ich habe bereits vorhin auf eine Frage eines Ihrer Kollegen sagen dürfen, daß sich Frau Bundesminister Schlei in einer Pressekonferenz nach ihrer Rückkehr in aller Eindeutigkeit um eine Klarstellung bemüht hat.
({0})
Herr Abgeordneter Hoffacker, Sie haben bereits Ihr Kontingent erschöpft.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, würden Sie mir als Bundestagsabgeordneten raten, in Zukunft, um Erfolgsmeldungen über die Arbeit der Bundesregierung verfolgen zu können, mehr die afrikanische als die deutsche Presse zu lesen?
({0})
Verehrter Herr Kollege, wenn Sie sich für die Probleme Afrikas in besonderem Maße interessieren, d. h. insbesondere für die sehr schwierigen Probleme in Botswana, in Sambia und in Kenia, dann empfehle ich Ihnen in der Tat dringend, auch von Zeit zu Zeit einen Blick in deren Zeitungen zu werfen. Das wird Ihren Wissensstand wesentlich erweitern.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß die Angriffe sowohl der Presse als auch der Opposition gegen die Person der Frau Minister in Wirklichkeit die erfolgreiche Südafrikapolitik der Regierung treffen sollen?
({0})
Ich kann mir durchaus vorstellen, daß die Angriffe mit Vorstellungen in der Richtung, die Sie angesprochen haben, verbunden sind.
Ich rufe die Frage 141 des Abgeordneten Nordlohne auf:
Ist aus der Tatsache, daß der Bundeskanzler nach der Afrikareise von Frau Bundesminister Schlei deren Entlassung nicht vorgeschlagen hat, zu schließen, daß er die von ihr praktizierte Form der Selbstdarstellung der Bundesregierung für richtig hält?
Herr Kollege Nordlohne, bei der Afrikareise ging es nicht um eine „Selbstdarstellung der Bundesregierung", sondern um sachliche Gespräche mit den Regierungen der besuchten Länder über konkrete Fragen unserer Entwicklungshilfe. Wenn Sie sich ein umfassendes Bild machen wollen, ist das Auswärtige Amt sicher gerne bereit, Ihnen die Berichte der Botschaften zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, mißachtet der Bundeskanzler durch seine Nichtdistanzierung von der praktizierten Form dieses Besuches, egal ob Arbeits- oder Staatsbesuch, nicht die Bedeutung, die der Entwicklungspolitik außenpolitisch und wirtschaftlich für die Bundesrepublik Deutschland zukommt?
Nein. Ich glaube, daß alle Aussagen, die im Zusammenhang mit dem Besuch von Frau Bundesminister Schlei in diesen drei Ländern gemacht worden sind, auch die Aussagen, die hinterher gemacht worden sind, die Bedeutung unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit den drei Ländern, aber auch die besondere Bedeutung der Afrikapolitik in dieser Zeit deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Von einer Mißachtung kann also in gar keinem Fall die Rede sein.
Weitere Zusatzfragen? - Graf Huyn.
Herr Staatsminister, könnten Sie Ihre Äußerung, auch Ihnen lägen Informationen vor, daß von seiten deutscher Presseorgane bereits von vornherein die Absicht bestanden habe, negative Berichterstattungen zu leisten, näher erläutern, um diesen schwerwiegenden Vorwürfen gegen eine objektive Pressepolitik nachgehen zu können?
Ich habe wie viele andere auch gehört und erfahren, daß ein Journalist, der in diese Länder oder einen Teil dieser Länder gefahren ist, sich vorher so oder so ähnlich geäußert hat, wie es vorhin angesprochen worden ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 142 des Abgeordneten Rühe auf:
Hat der Bundeskanzler Frau Bundesminister Schlei nach ihrer Afrikareise veranlaßt, künftig eine andere Form der Selbstdarstellung der Bundesregierung im Ausland zu wählen, oder ist verneinendenfalls damit zu rechnen, daß die Bundesrepublik Deutschland künftig weiterhin in der Form in der Dritten Welt repräsentiert wird, in der dies auf der letzten Afrikareise von Frau Bundesminister Schlei geschehen ist?
Herr Präsident, die Frage des Herrn Kollegen Rühe beantworte ich wie folgt:
Aus den vorhergehenden Antworten ergibt sich, daß an der Verhandlungsführung durch Frau Bundesminister Schlei aus der Sicht der Bundesregierung nichts zu beanstanden ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, bedeutet diese Aussage, daß der Bundeskanzler die Frau Bundesministerin Schlei in Zukunft verstärkt auf Auslandsreisen schicken wird, damit sie werbend für die Bundesrepublik tätig sein kann?
Auslandsreisen werden nach Notwendigkeit gemacht. Wenn sich die Notwendigkeit ergibt, werden sie durchgeführt. Ich kann im Augenblick nicht sagen, ob sich solche Notwendigkeiten im Augenblick in besonders verstärktem Maße ergeben. Jedenfalls ist es eine Selbstverständlichkeit, daß derjenige, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist, auch die Entwicklungsländer besucht und mit den dort verantwortlichen Politikern Gespräche führt. Daran wird sich nichts ändern.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß die Herstellung guter menschlicher Kontakte, die Frau Minister Schlei nach den Botschaftsberichten und nach den Zeitungsberichten aus den besuchten Ländern ganz offensichtlich gelungen ist, unserer Politik nützt und nicht schadet?
Verehrte Frau Kollegin, ich bin in den letzten 20 Jahren etwa einhundertmal in Afrika gwesen und habe bei diesen Gelegenheiten festgestellt, daß die menschlichen Kontakte in diesem Kontinent geradezu von entscheidender Bedeutung sind und daß man auch in der Lage ist, über schwierige politische und ökonomische Fragen besser miteinander zu reden, wenn die menschlichen Kontakte gut sind.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, welche Äußerungen der Frau Bundesminister Schlei haben nach Kenntnis der Bundesregierung dazu geführt, daß sie auf ihrer Pressekonferenz die bezeichJäger ({0})
nende Äußerung getan hat, sie werde sich in Zukunft manche Offenheit und manche Vertrauensseligkeit abgewöhnen müssen?
Dies ist sicher eine Aussage, die in gar keiner Weise etwas mit den sachlichen und politischen Gesprächen zu tun hatte, die sie mit den Mitgliedern der dortigen Regierungen geführt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatsminister, Sie stellen eben auf sachliche und politische Gespräche ab, und Sie sagten vorhin, die Bundesregierung habe die Verhandlungsführung nicht zu beanstanden. Darf ich also fragen, ob außerhalb dieser Verhandlungsführung und außerhalb dieser sachlichen und politischen Gespräche das Verhalten, vielleicht doch beanstandbar sein könnte?
Es gibt nichts, was in bezug auf das Verhalten von Frau Bundesminister Schlei im Zusammenhang mit dieser Reise zu beanstanden wäre.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Minister, wenn sich die Bundesregierung in so eindrucksvoller Form mit dem Verhalten von Frau Ministerin Schlei identifiziert, ist sie dann bereit, auf Grund der protokollarischen Unterlagen dieser Reise auch der breiten Offentlichkeit Einblick in die Vorkommnisse zu geben?
Ich habe bereits gesagt, daß Ihnen die Berichterstattung der Botschaften in diesen drei Ländern gerne zur Verfügung steht. Aber ich bitte folgendes zu entschuldigen. Es gibt doch nicht die Möglichkeit, Arbeitsgespräche, sehr wichtige politische Gespräche mit ausländischen Politikern hier zu veröffentlichen. Den Mitgliedern des Deutschen Bundestages steht das gerne zur- Verfügung. Aber ich bitte um Verständnis dafür, daß wir Politiker in anderen Ländern, mit denen wir befreundet sind, nicht in bezug auf Aussagen, die sie der Bundesregierung gegenüber gemacht haben, in schwierige Lagen bringen.
({0})
Die Abgeordnete Frau Schleicher ist mit einer schriftlichen Beantwortung ihrer Fragen 143 und 144 einverstanden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 145 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Ist die Aussage des Bundeskanzlers vor der SPD-Fraktion ,im Falle der Aushebelung dieser Regierungskoalition komme es zu sozialen Unruhen in der Bundesrepublik' in ihrem Wahrheitsgehalt so zu verstehen wie seine Aussagen zur Rentensicherheit vor der Wahl, oder ist diese Aussage als Zweifel des Bundeskanzlers an der Fortexistenz unserer freiheitlichen Demokratie zu verstehen?
Herr Kollege Ey, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Die von Ihnen zitierte Äußerung - übrigens hatte der Herr Bundeskanzler tatsächlich „soziale Unruhe", nicht „Unruhen" gesagt - brachte die Ansicht des Herrn Bundeskanzlers zum Ausdruck, daß es dieser Bundesregierung besser gelungen ist, den sozialen Frieden zu bewahren, als es einer CDU/CSU-Regierung gelingen könnte.
({0})
Herr Abgeordneter Ey, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, trifft die Vermutung eines Kommentators der Zeitung „Die Welt" zu, daß diese Äußerung möglicherweise den Wunschvorstellungen des Kanzlers entsprochen haben mag?
Die Aussage des Herrn Bundeskanzlers wird durch seine Einschätzung der Situation bestimmt. Es gibt in der Vergangenheit auch entsprechende Vorkommnisse, die seine Einschätzung der Situation stützen. Den Kommentar aus der von Ihnen angesprochenen Zeitung kenne ich bedauerlicherweise nicht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, ist der Wahrheitsgehalt dieser Äußerung des Bundeskanzlers so zu bewerten wie seine Aussagen zur Frage der Rentenversicherung vor der Wahl?
({0})
Das, was vor der Wahl gesagt wurde - ich nehme an, Sie meinen den Termin vom 1. Juli -, entspricht genau dem, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat: Anhebung der Renten am 1. Juli um 9,9 °/o. Ich sehe da keine Differenz. Ich will nicht bestreiten, daß es zwischendurch bei ernsthaften Überlegungen, mit bestimmten Schwierigkeiten fertigzuwerden, auch andere Überlegungen gegeben hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß von 1949 bis 1969, also als in der Bundesrepublik Deutschland CDU-geführte Regierungen regierten, sozialer Friede geherrscht hat?
Ich glaube, daß erst einmal - das wissen Sie mindestens genauso wie ich, verehrter Herr Kollege -- die weltwirtschaftlichen Probleme größer geworden sind. Ich glaube
deshalb nicht, daß Sie die letzte Periode ohne weiteres mit der vorhergegangenen vergleichen können. Außerdem müßten Sie nicht 1969 sagen, sondern auf 1966 zurückgehen; denn am 1. Dezember 1966 haben die Sozialdemokraten mit Ihnen zusammen, was ich korrekt feststelle, bereits die Regierung mitgetragen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob in absehbarer Zeit damit zu rechnen ist, daß der Bundeskanzler die nachweislich wiederholte Aussage über die sozialen Unruhen auch damit in Verbindung bringen wird, daß er möglicherweise in einer Streßsituation gehandelt hat?
Ich habe der Aussage, die ich hier gemacht habe, nichts hinzuzufügen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lintner.
Herr Staatsminister, wird der Bundeskanzler in seiner Meinung unter Umständen dadurch bestärkt, daß wir in unserem Land seit mehr als zwei Jahren über eine Million Arbeitslose haben?
Ich habe gesagt, worauf der Bundeskanzler seine Haltung stützt. Wenn Sie Wert darauf legen, bin ich gern bereit, eine Vielzahl von Punkten aufzuführen, z. B. den, daß von dem Generalsekretär einer politischen Partei vor wenigen Monaten eine riesengroße Kampagne gegen die größte gesellschaftliche Gruppe, nämlich die organisierte Arbeitnehmerschaft in diesem Lande, organisiert worden ist.
({0}) Daran sollten Sie sich bitte erinnern.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Milz.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer letzten Antwort entnehmen, daß Sie und die Bundesregierung der Auffassung sind, daß im Falle eines Regierungswechsels der Deutsche Gewerkschaftsbund soziale Unruhen vom Zaun brechen wird?
Ich habe eine solche Aussage, wie Sie sie eben gemacht haben, nicht gemacht. Ich bitte sehr dringend darum, mir das Wort nicht im Mund herumzudrehen, und ich bitte hierzu um die Unterstützung des Herrn Präsidenten.
({0})
Herr Staatsminister Wischnewski, Sie haben das Recht, eine Frage, auch eine Zusatzfrage, in der Fragestunde nicht zu beantworten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, Sie haben bei einer Ihrer Antworten, die diese Debatte ausgelöst hat, eine Hypothese aufgestellt, wonach Sie das angemessene Wirken der stärksten Fraktion dieses Hauses im Sinne unseres freiheitlich-sozialen Rechtsstaates in Frage stellen. Würden Sie das etwas verdeutlichen und eventuell korrigieren?
Ich habe zu keiner Zeit etwas Derartiges getan, was Sie hier eben behauptet haben.
({0})
Herr Abgeordneter Sauer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister Wischnewski, würden Sie die Freundlichkeit haben, dem Hohen Hause einmal mitzuteilen, unter welcher Regierungszeit in der Bundesrepublik Deutschland die ersten wilden Streiks stattgefunden haben?
({0})
Zu der Frage von Arbeitsauseinandersetzungen habe ich bereits Stellung genommen.
({0})
Da gibt es ja hoffentlich keine Differenzen. Ich nehme an, daß Sie den Unterlagen,
({1})
die die Kommission der Europäischen Gemeinschaft herausgibt, entnommen haben, daß es in keinem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft zur Zeit so wenig Arbeitsauseinandersetzungen gibt, wie es in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist.
({2})
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihr Recht auf eine Zusatzfrage erschöpft.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Möller.
Herr Staatsminister, würden Sie dem Hohen Hause mitteilen, auf welche Tatsachen Sie Ihre Vermutung gründen, daß es bei einer Änderung der Regierungskoalition zu sozialen Unruhen kommen würde? Ich bitte um eine Feststellung der einzelnen Tatsachen.
Ich könnte eine Vielzahl von Gründen anführen, eine Vielzahl von Gründen,
({0})
die dazu beitragen, daß man mit Recht die Auffassung haben kann, daß eine von der CDU/CSU geführte Regierung mit bestimmten Problemen im Interesse unseres Landes nicht so gut fertig werden könnte, wie das im Augenblick der Fall ist.
({1})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Rawe.
Herr Staatsminister, nachdem Sie wiederholt versucht haben, konkreten Fragen auszuweichen, wiederhole ich die Frage des Kollegen Sauer. Teilen Sie bitte dem Hohen Hause mit, unter welcher Regierungszeit es erstmals in diesem Land wilde Streiks gegeben hat!
Ich habe in der Frage, die Sie mir gestellt haben, keine Ursache gefunden, mich auf eine solche zusätzliche Frage vorzubereiten. Ich bin gern bereit, das nachzuvollziehen und Sie dann schriftlich darüber zu informieren.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von der Heydt.
von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}) : Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß die besondere Qualifikation der gegenwärtigen Regierung im Umgang mit schwierigen sozialen Fragen dadurch nachgewiesen werden kann, daß die Bundesregierung die Lage der Rentenfinanzierung richtig vorausgesehen hat oder, wenn das nicht der Fall gewesen ist, sich doch mit einem sehr merkwürdigen Umgang mit dem Achten Gebot weiterzuhelfen versuchte?
Sie wissen, daß zu den Schwierigkeiten, die entstanden sind, die Bundesregierung konkrete Vorschläge gemacht hat, um sie zu beseitigen. Was aber die Sorge hervorruft, die zu den Formulierungen des Bundeskanzlers geführt hat, darf ich z. B. an den Titel einer Studie der CDU/CSU zur Sozialpolitik mit der Überschrift „Last der Wohltaten" erinnern - wenn Sie dieses Thema ansprechen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz ({0}).
Herr Staatsminister, welches sind in concreto die Probleme, mit denen eine CDU/CSU-geführte Regierung - wie Sie es vorhin festgestellt haben - nicht so fertigwerden könnte wie die Bundesregierung der SPD/ FDP.
Wer eine solche Kampagne gegen die organisierte Arbeitnehmerschaft macht, wie das im vergangenen Jahr der Fall gewesen ist, muß damit rechnen, daß seine Probleme größer sind, als derjenige, der sich darum bemüht, mit der Arbeitnehmerschaft eine hervorragende Zusammenarbeit zu haben.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte alle Damen und Herren des Hauses, die sich für eine Frage oder Zusatzfrage gemeldet haben, sich ans Mikrofon zu begeben, damit auch die Einschaltung des Mikrofons rechtzeitig erfolgen kann.
Herr Abgeordneter Kittelmann zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, um sich dem völlig unberechtigten Vorwurf etwaiger Drückebergerei durch Nichtbeantwortung einer Frage zu entziehen, der völlig falsch wäre, eine Zusammenstellung über Einzelfälle zu geben, die den Herrn Bundeskanzler dazu bewogen haben könnten, diese Äußerung vor der Fraktion der SPD zu machen, und mir zuzusenden?
Der Fraktion
der - -?
„SPD" war gesagt, Herr Staatsminister.
Tut mir herzlich leid, Herr Präsident, ich habe die Frage nicht verstanden.
Herr Abgeordneter Kittelmann, wären Sie bereit, die Frage zu wiederholen?
Gern. Ich darf sie kürzer fassen: Herr Staatsminister, wären Sie bereit, entsprechend der mehrmaligen Anführung, die Sie eben gemacht haben, daß es zu weit ginge, alle Fragen zu beantworten, die Fälle schriftlich zusammenzufassen und mir zuzustellen, die den Bundeskanzler bewogen haben, die hier behauptete Äußerung zu machen?
Es gibt sicher eine ganze Reihe von Fragen. Ich bin gern bereit auf einige, aber gravierende Punkte aus der großen Zahl der Liste einzugehen und sie mitzuteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatsminister Wischnewski, darf ich aus Ihren Antworten entnehmen, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß die Mehrheit der deutschen Wähler für soziale Unruhen ist?
Daß die - - ?
- die Mehrheit der deutschen Wähler für soziale Unruhen ist?
Ich muß Ihnen eine traurige Mitteilung machen. Sie scheinen mit dem letzten Wahlergebnis nicht vertraut zu sein. Die Mehrheit ist eindeutig.
({0}) - in Hessen?
({1})
- Ich habe nicht den Eindruck, daß wir hier über Kommunalwahlen reden. Ich dachte, Sie meinten das letzte Bundestagswahlergebnis. Das ist nämlich die Grundlage für diese Bundesregierung, und die Mehrheit scheint mir eindeutig zu sein.
({2})
- Ich habe die Frage beantwortet.
Herr Abgeordneter Lagershausen, die Bundesregierung hat das Recht, die Fragen überhaupt nicht zu beantworten.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rawe.
Herr Staatsminister, würden Sie bitte noch mal dem Hause sagen, ob auch Sie selbst wie der Bundeskanzler davon überzeugt sind, daß die Mehrheit des deutschen Volkes eine demokratisch zustande gekommene Regierung nicht akzeptieren würde?
Ich habe eine solche Behauptung nicht aufgestellt. Sie hat auch nichts mit dem zu tun, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat. Ich kann also eine solche Frage in diesem Zusammenhang nur ganz scharf zurückweisen. So eine Behauptung ist nie aufgestellt worden.
({0})
Herr Abgeordneter, Zwiegespräche sind in der Fragestunde nicht vorgesehen. Es gibt dafür aber andere Möglichkeiten.
Die letzte Zusatzfrage stellt Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, sind Sie sich bewußt, daß Sie mit Ihren Ausführungen gesagt haben, daß in den Jahren der SPD-geführten Bundesregierung diese Regierung und die sie tragenden Parteien es dahin gebracht haben, daß der normale demokratische Wechsel nach Ansicht dieser Regierung nur mehr mit sozialen Unruhen möglich ist?
({0})
Ich habe eine solche Aussage nicht gemacht,
({0})
sondern ich habe gesagt, daß es dieser Bundesregierung besser gelungen ist, den sozialen Frieden zu bewahren, als es einer CDU/CSU-Regierung gelingen könnte.
({1})
Ich bitte, mir nicht das Wort im Munde umzudrehen.
Ich rufe die Frage 146 des Abgeordneten Ey auf:
Welche Darstellung fiber das Gesprächsergebnis des Bundeskanzlers im Vatikan trifft zu, die des Sprechers der Bundesregierung oder die vatikanische Erklärung?
Herr Kollege Ey, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Regierungssprecher hat zu diesem Gespräch keine förmliche Erklärung abgegeben. Seine Ausführungen zur Unterrichtung der Presse vom 25. März 1977 geben ein zutreffendes Bild vom Inhalt des Gesprächs. Da es sich hierbei aber nur um eine zusammenfassende Würdigung dieses in vielfacher Hinsicht bedeutungsvollen Gedankenaustausches handeln konnte, bot sich dem Sprecher des Vatikans Gelegenheit zu einigen Ergänzungen. Beide Sprecher haben zutreffend zum Ausdruck gebracht, daß Papst Paul VI. auf die zwischen der katholischen Soziallehre und dem Godesberger Programm der SPD bestehenden Berührungspunkte hingewiesen hat. Außerdem hat Papst Paul VI. aber auch die selbstverständlich zwischen der katholischen Soziallehre und dem Godesberger Programm bestehenden Unterschiede erwähnt, ohne sie allerdings zu spezifizieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie die nach Ihrer Meinung und offensichtlich auch nach Meinung Ihrer Regierung objektive Berichterstattung über den Besuch des Kanzlers beim Vatikan für vollkommen, obwohl vom Sprecher der Bundesregierung aus der vatikanischen Erklärung der folgende Satz - ich zitiere ihn wörtlich aus der vatikanischen Erklärung -:
Aber dennoch muß man sich die bestehenden doktrinären Unterschiede vergegenwärtigen, die offensichtliche Vorbehalte erfordern.
weggelassen wurde? Halten Sie diesen Zusatz nicht für so erheblich, daß er mit in diese Berichterstattung hineingehört hätte?
Nach einem genauen Studium der Dolmetscheraufzeichnung und nach einer genauen Prüfung dessen, was der Sprecher der Bundesregierung gesagt hat, und dessen, was der Sprecher des Vatikans gesagt hat, kann ich mir vorstellen, daß es sich in dieser Frage nur um ein Mißverständnis handelt. Ich sage das ausdrücklich nach einer genauen Prüfung der Dolmetscherauf1522
zeichnung. Ich bitte aber sehr um Verständnis dafür, daß ich nicht die Absicht habe, in meiner Aussage darüber hinauszugehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, muß die Bundesregierung nicht besonderen Wert darauf legen, in ihrem Verhältnis zum Vatikan eindeutig festzustellen, auf welcher Seite hier der Irrtum zu suchen ist, in ihrer Erklärung oder in der des Vatikans?
Ich sage es noch einmal: Nach einer genauen Prüfung der Dolmetscheraufzeichnung komme ich zu der Auffassung, die ich hier vertreten habe. Im übrigen ist die Bundesregierung daran interessiert, zum Vatikan wie bisher das denkbar beste Verhältnis zu haben.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lintner.
Herr Staatsminister, hat sich der Papst im Verlauf des Gesprächs mit dem Herrn Bundeskanzler zum Godesberger Programm lobend oder kritisch geäußert?
Ich bin gern bereit, Ihnen in einem persönlichen Gespräch die Aussagen wiederzugeben, die gemacht worden sind und die den Sprecher der Bundesregierung veranlaßt haben, diese Haltung einzunehmen. Aber ich glaube, es wäre ganz abträglich, wenn ich hier vorlesen würde, was Papst Paul VI. in dem Gespräch gesagt hat. Ich hoffe, das Haus hat Verständnis dafür, daß ich eine solche Haltung einnehme.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, ist es angesichts Ihrer Äußerung, der Sprecher der Bundesregierung habe keine förmliche Erklärung abgegeben, nicht um so bedeutsamer, daß der Heilige Stuhl sogar eine nicht förmliche Erklärung in so deutlicher Form zurückgewiesen hat?
Ich sehe keine so deutliche Form der Zurückweisung, sondern ich sehe in allen wesentlichen Punkten eine Übereinstimmung,
({0})
- bis auf einen Punkt, bei dem ich in meiner Ausdrucksweise eine andere Haltung eingenommen habe.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, da Sie nun mit einer neuen Behauptung von Mißverständnissen der beiderseitigen Sprecher auf Grund von Dolmetscheraufzeichnungen hier auftreten, frage ich Sie, ob Sie bereit sind, die Dolmetscheraufzeichnungen, die zu diesen Mißverständnissen führten, und die Protokollnotizen darüber dem Auswärtigen Ausschuß vorzulegen?
Nein, ich bin nicht dazu bereit. Ich bin bereit, dem Vorsitzenden der Oppositionsfraktion genau Kenntnis zu geben. Aber ich halte es nicht für im Interesse der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zum Vatikan liegend, dem Ausschuß in seiner Gesamtheit ein Dokument über ein persönliches Gespräch unter vier Augen vorzulegen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben von einem Mißverständnis gesprochen. Hat es seitens der Bundesregierung diplomatische Schritte gegeben, um sich beim Vatikan für dieses Mißverständnis zu entschuldigen?
Es hat für diplomatische Schritte in dieser Frage keinen Anlaß gegeben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hartmann.
Herr Staatsminister, war und ist es dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Staatssekretär Bölling nicht geläufig, daß es schon protokollarisch völlig unüblich ist, über eine Privataudienz beim Papst inhaltliche Erklärungen überhaupt öffentlich abzugeben?
Ich habe ausdrücklich gesagt, daß der Sprecher der Bundesregierung, Herr Staatssekretär Bölling, keine offizielle Erklärung abgegeben, sondern einige erläuternde Worte zum Besuch des Herrn Bundeskanzlers gesagt hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatsminister Wischnewski, Sie haben hier erklärt, der Sprecher der Bundesregierung habe keine förmliche Erklärung abgegeben. Ist die Bundesregierung, um in Zukunft Mißverständnisse zu vermeiden, bereit, ihren Sprecher grundsätzlich anzuweisen, zu erklären, ob er eine förmliche oder eine nicht förmliche Erklärung für die Bundesregierung abgegeben hat?
Die Bundesregierung hat keinen Anlaß, am Sprecher der Bundesregierung, Staatssekretär Bölling, Kritik zu üben. Ganz im GeStaatsminister Wischnewski
genteil: Er bemüht sich, seine Informationspflicht in hervorragender Weise zu erfüllen.
({0})
Die letzte Zusatzfrage von dem Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, die Frage des Kollegen Lagershausen zu beantworten?
Ich weiß nicht, welche Frage gemeint ist. Sind Sie so nett, sie zu wiederholen?
Darf ich sie wiederholen, Herr Staatsminister?
Warum hat er sie denn nicht gleich wiederholt?
Ist die Bundesregierung bereit, um Mißverständnisse in Zukunft zu vermeiden, dem Sprecher der Bundesregierung aufzuerlegen, jeweils zu erklären, ob es sich bei einer von ihm abgegegebenen Erklärung um eine förmliche oder um eine nicht förmliche handelt?
Die Frage ist von mir beantwortet.
({0})
Der Beantwortung habe ich kein Wort hinzuzufügen.
({1})
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 147 des Abgeordneten Lintner auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung rechtlich und politisch die Praxis der Tschechoslowakei, bei Visaanträgen von deutschen Staatsbürgern, die in der CSSR geboren sind und diese nach dem Krieg verlassen haben, eine Erklärung darüber zu verlangen, ob sie aus der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft entlassen worden seien, bzw. wann und aus welchen Gründen der Antragsteller das Gebiet der CSSR verlassen hat?
Herr Präsident! Die Frage des Herrn Abgeordneten Lintner beantworte ich wie folgt. Die in Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, geschilderte Praxis bei Visaanträgen für die CSSR ist dem Auswärtigen Amt bekannt. Sie dient der Feststellung, ob der Sichtvermerksbewerber aus der Sicht der CSSR noch tschechoslowakischer Staatsangehöriger ist. Bejahendenfalls kann der Betreffende nach den tschechoslowakischen Vorschriften, die insoweit internationaler Regel entprechen, nicht mit einem deutschen oder auch einem anderen, sondern nur
mit einem tschechoslowakischen Paß in die CSSR einreisen. Ihm wird demzufolge auch kein Visum in seinen deutschen Paß erteilt.
Dieses Verfahren entspricht der völkerrechtlichen Regel, wonach ein sogenannter Doppelstaatler von jedem Staat, dem er angehört, als eigener Staatsangehöriger behandelt werden kann. Nach Ansicht der Bundesregierung liegt eine Klärung der Staatsangehörigkeitsverhältnisse auch im wohlverstandenen Interesse des Sichtvermerksbewerbers, da unsere Botschaft in Prag gehindert sein könnte, einem deutsch-tschechoslowakischen Doppelstaatler in der CSSR diplomatischen und konsularischen Schutz zu gewähren.
Die erwähnte tschechoslowakische Praxis bezieht sich im übrigen nicht auf Deutsche, die bis zum Stichtag des 7. Mai 1953 aus der CSSR vertrieben wurden oder ausgewandert sind. Ihre etwaige frühere tschechoslowakische Staatsangehörigkeit ist nach tschechoslowakischem Recht erloschen. Dieser Personenkreis muß nur die Frage nach dem Zeitpunkt der endgültigen Ausreise aus der CSSR beantworten.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 148 des Abgeordneten Lintner auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß diese Praxis mit den Vereinbarungen der KSZE und dem Inhalt des Prager Vertrags vereinbart werden kann?
Herr Abgeordneter, Staatsangehörigkeitsfragen sind in der KSZE-Schlußakte nicht geregelt. Diese ist ein politisches Dokument, nicht aber eine Konvention zur Regelung rechtlicher Fragen. Hierüber waren sich Bundesregierung und Opposition während der Genfer Verhandlung einig. Die KSZE-Schlußakte sollte kein neues regionales Völkerrecht schaffen. Ich habe das aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Oktober 1974 zitiert. Daß dies gelang, ist eine der wesentlichen Erfolge der westlichen Verhandlungsführung. Die geschilderte Praxis ist auch mit dem deutsch-tschechoslowakischen Vertrag von 1973 durchaus vereinbar. Dieser regelt bekanntlich Staatsangehörigkeitsfragen nicht, sondern läßt die sich aus der Rechtsordnung jeder der beiden Vertragsparteien ergebende Staatsangehörigkeit lebender und verstorbener Personen unberührt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lintner.
Frau Staatsministerin, wie erklärt sich die Bundesregierung die Tatsache, daß diese Praxis der CSSR erst in den letzten Jahren aufgetaucht ist, zumal Sie die Rechtslage hier so eindeutig geschildert haben?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das im Augenblick nicht erklären, ich kann hier nur feststellen, daß im Normalfall eine solche Regelung gar nicht in Kraft tritt
und daß der Normalfall, nämlich eine rasche Erteilung von Visen, dazu geführt hat, daß der Reiseverkehr zwischen der Bundesrepublik und der CSSR stark und erfreulich zugenommen hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wäre die Bundesregierung bereit, die damit verbundene Verunsicherung sudetendeutscher und deutscher Staatsbürger, die solche Visaanträge stellen und dann diese Formulare zugeschickt bekommen, durch eine entsprechende öffentliche Aufklärung abzubauen?
Herr Abgeordneter, ich darf es noch einmal wiederholen: Ein Vertriebener, der bis 1953 aus der CSSR ausgewiesen wurde oder sie verlassen hat, fällt nicht unter die Regelung. Wir sind gern bereit, Herr Abgeordneter, eine entsprechende Aufklärung vorzunehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Frau Staatsministerin, sind Sie nicht der Auffassung, daß auch dann, wenn es sich völkerrechtlich so verhält, wie Sie es dargestellt haben, die Vereinbarungen in der Schlußakte von Helsinki trotzdem eine Verpflichtung aller beteiligten Regierungen zur Erleichterung auch des individuellen Reisens mit dem Ziel begründen, z. B. auch solche Schwierigkeiten leichter überwinden zu helfen?
Herr Abgeordneter, die Teilnehmerstaaten haben im dritten Korb der Schlußakte in der Tat ihre Absicht erklärt, Möglichkeiten für umfassenderes Reisen ihrer Bürger aus persönlichen oder beruflichen Gründen zu entwickeln. Es ist auch durchaus richtig, daß die Praxis der osteuropäischen Staaten in dieser Hinsicht allgemein noch viel zu wünschen übrig läßt. Wir werden deshalb auf diesen Punkt bei dem Folgetreffen in Belgrad hinweisen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 149 ,des Abgeordneten Dr. Penner auf:
Hält es die Bundesregierung unter außenpolitischen Gesichtspunkten für richtig, daß die Eingliederung von deutschstämmigen Umsiedlern aus Osteuropa in die Bundesrepublik Deutschland sich auch nach Gesetzen vollzieht, denen der Füchtlingsoder Vertriebenenstatus zugrunde liegt?
Herr Abgeordneter, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Das Bundesvertriebenengesetz nennt die Aussiedler als eine eigene Gruppe innerhalb der Personen, die nach diesem Gesetz zu betreuen sind. Das war ja vorhin schon Gegenstand einer Frage des Abgeordneten Wittmann.
In dieser Form wird das Bundesvertriebenengesetz seit vielen Jahren auch auf Aussiedler angewandt. Damit wird bezweckt, Aussiedlern die gleichen Eingliederungshilfen zu gewähren, wie sie Vertriebenen zustehen.
Soweit die Anwendung des Gesetzes auf Aussiedler in den Ausreiseländern zu Fragen und Mißverständnissen geführt hat, hat die Bundesregierung diesen den Sinn des Gesetzes erläutert.
Eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Ist es nicht einfühlbar, daß andere Staaten derlei Handhabungen als diskrimierend empfinden können?
In den Gesprächen mit den Vertretern dieser Staaten ist dieser Gesichtspunkt geltend gemacht worden, Herr Abgeordneter, und wir haben bei dieser Gelegenheit wiederholt darauf hingewiesen, wie dieses Mißverständnis zustande kommen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Darf ich aus Ihrer anerkennenswerten Antwort auf diese Frage und aus der Antwort des Bundesinnenministeriums schließen, daß die zuständigen Ministerien hier eine klare Stellung beziehen, die sich entscheidend von der des Herrn Ministers Wischnewski unterscheidet, eine Stellung, die eine Einmischung in unsere innerstaatlichen freiheitlichen, zum Menschenrecht nicht in Diskrepanz stehenden Gesetze ablehnt?
Herr Abgeordneter, ich habe meinen bisherigen Ausführungen in dieser Frage nichts mehr hinzuzufügen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Frau Kollegin, da ich Ihren Worten entnehmen kann, daß die Bundesregierung das Bundesvertriebenengesetz nicht ändern will, möchte ich die Frage stellen, warum dann der Herr Staatsminister beim Bundeskanzler unter dem 15. dieses Monats einem Mitglied dieses Hauses geschrieben hat:
Danach geht es bei der Absicht der Bundesregierung, das Bundesvertriebenengesetz zu ändern, darum, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die Aussiedler aus Polen und den anderen osteuropäischen Staaten mit der geltenden Bezeichnung des Bundesvertriebenengesetzes nach Auffassung der Bundesregierung nicht zutreffend bezeichnet werden.
Herr Abgeordneter, vielleicht läßt sich ein anderer Weg finden, um die gebotene Verdeutlichung, daß AussiedStaatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher
her auch unter unser Vertriebenengesetz fallen, zu realisieren.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde angelangt. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet, und die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. - Frau Staatsminister, es tut mir leid, daß wir mit Ihrem Geschäftsbereich nicht zu Ende kamen.
Ich rufe die Punkte 3, 4 und 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Hinderung des Umsatzsteuergesetzes, des Bundeskindergeldgesetzes, des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 8/292 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude
- Drucksache 8/286 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Möglichkeiten zur Einführung eines Einkommensteuertarifs mit durchgehendem Progressionsverlauf - Tarifbericht ({2}) -- Drucksache 8/62 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({3})
Haushaltsausschuß
Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, daß die Aussprache zu diesen Tagesordnungspunkten gegen 20 Uhr beendet sein soll. Der Ältestenrat wäre sehr dankbar, wenn Sie diesen Zeitplan einhalten könnten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Politik ist einem bekannten Sprichwort zufolge die Kunst des Möglichen. Diese sehr allgemeine Feststellung gilt für die Steuerpolitik ganz besonders. Steuerpolitik hat eben nicht nur die Aufgabe, dem Staat die notwendigen Finanzmittel zuzuführen, sie muß dabei auch die steuerliche Gerechtigkeit und die Belastungsfähigkeit der Bürger beachten und außerdem in unserer föderalen Struktur sicherstellen, daß beide Kammern, der Bundestag wie der Bundesrat, den Vorhaben zustimmen. Das hat schon bei der
Steuerreform in der letzten Legislaturperiode Kompromisse notwendig gemacht. Diese Kompromisse, die dann von allen politisch relevanten Kräften in der Bundesrepublik getragen wurden, lassen natürlich manche Frage offen und führen auch zu Kritik, die nicht immer völlig unberechtigt ist. Dennoch - ich glaube, das können wir heute feststellen - hat unsere Steuerreform insgesamt sehr gute und zukunftsweisende Ergebnisse gezeitigt.
Unter den Gesichtspunkten muß auch das Ihnen heute von der Bundesregierung vorgelegte Steuerpaket beurteilt werden. Es nur an eigenen theoretischen Vorstellungen zu messen, mag zwar intellektuell sehr reizvoll sein, entspricht aber in keiner Weise dem, was wir von einem politischen Menschen an Beurteilungsfähigkeit fordern müssen. Steuerpolitik heißt handeln, heißt manchmal auch, unpopuläre Maßnahmen zu treffen. Unser Steuerpaket hat deutliche Konturen, die unsere wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Absichten untermauern.
({0})
Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in der Regierungserklärung vom Dezember vorigen Jahres die künftigen finanz- und steuerpolitischen Akzente gesetzt. Neben der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte werden gezielte Erleichterungen im Bereich der Einkommen- und Lohnsteuer sowie des Familienlastenausgleichs und im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern angestrebt. Außerdem - das läuft parallel zu dem, was ich soeben gesagt habe - sollen bestimmte konjunktur-, arbeitsmarkt-und eigentumspolitische Zielsetzungen durch steuerrechtliche Maßnahmen verwirklicht werden. Wir wollen heute, anders als vor den Bundestagswahlen, etwa die Hälfte der steuerlichen Mehreinnahmen unmittelbar für Steuersenkungen und für die Kindergelderhöhung einsetzen.
Das ist - das kann ich offen sagen - für den Einnahmeminister, der ich ja auch bin, schmerzlich. Es ist aber das Ergebnis meiner eigenen Wertung zwischen dem Wunsch nach einem baldmöglichen und schnellen Abbau der Haushaltsdefizite einerseits und dem Erfordernis, zu Beginn einer neuen Legislaturperiode den steuerpolitischen Kurs dieser Koalition deutlich zu markieren.
Eins muß zu Beginn dieser Debatte allerdings sehr deutlich gesagt werden: Wer der Meinung ist, daß Steuererleichterungen notwendig sind, wer aber gleichzeitig Einnahmeverbesserungen für die öffentlichen Hände zur Deckung der entstehenden Ausfälle ablehnt, gaukelt den Bürgern Möglichkeiten vor, die es angesichts der finanziellen Lage der öffentlichen Hände jetzt nicht gibt.
({1})
Damit bin ich bereits bei meiner Bewertung, der Beurteilung der uns bisher bekanntgewordenen Vorstellungen der Opposition. Die Opposition beklagt ständig die hohe Steuerlast, insbesondere bei den Lohn- und Einkommensteuerzahlern.
({2})
Es kann nicht bestritten werden, daß die Lohn- und
Einkommensteuer in den letzten Jahrzehnten zuneh1526
mend zu einer tragenden Säule der öffentlichen Finanzen geworden sind. Aus diesem Grunde war es auch notwendig, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Lohn- und Einkommensteuerreform und der Reform des Kindergelds, des Familienlastenausgleichs, ab 1975 insgesamt 14 Milliarden DM jährlich an Leistungsverbesserungen bzw. Steuersenkungen zu beschließen. Im übrigen ist es für midi aus dieser Perspektive auch nicht vertretbar, daß wir zur Finanzierung unabweisbarer Bedürfnisse der öffentlichen Hand die Lohn- und Einkommensteuer erhöhen; denn das träfe gerade diejenigen, die die hohe Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft mit erwirtschaften.
Andererseits halte ich es für nicht zulässig, dem Bürger ein Bild zu suggerieren, nach dem die Lohn-und Einkommensteuerbelastung für den Durchschnittsverdiener bereits Größenordnungen erreicht hat, die prohibitiv wirken und seinen Leistungswillen einschränken. In diesem Zusammenhang wird gern darüber geredet, daß in gewissen Einkommensbereichen von jeder Mark Mehrverdienst ein hoher Prozentsatz an öffentlichen Abgaben weggenommen wird, die verfügbare Einkommensmasse also unerträglich reduziert wird. Auch der Kollege Strauß zeichnet in diesem Zusammenhang durch einen, wie ich meine, zu unbekümmerten Umgang mit Zahlen und Belastungsvergleichen ein falsches Bild.
({3})
Nun ist der Herr Kollege Strauß kein Generalist,
sondern finanzpolitischer Sprecher der Opposition.
({4})
- Wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann zwar die Regierung herbeigerufen werden, aber die Regierung kann nie das Parlament herbeirufen. Insofern kann ich darauf keine Antwort geben.
({5})
- Den können Sie aber herbeirufen.
({6})
- Lassen Sie uns doch über Ihre steuerpolitischen Vorstellungen sprechen und nicht dauernd ausweichen auf andere Fragen!
({7})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich jetzt mit den Aussagen des Herrn Strauß anläßlich der Debatte des Jahreswirtschaftsberichts heute vor vier Wochen auseinandersetzen, in der Herr Strauß erneut in einer für mich unverständlichen Weise die Begriffe „Abgabenquote" und „Steuerquote" durcheinandergeworfen hat, um nachzuweisen, daß die Steuerbelastung in den letzten Jahren ständig gewachsen ist. Das ist falsch, und das wird auch durch
Zahlenspielereien nicht besser. Ich bitte doch darum, daß wir zwischen Abgabenquote und Steuerquote sehr säuberlich unterscheiden.
Die Abgabenquote gibt den Anteil der Steuern und der Sozialversicherungsbeiträge am Bruttosozialprodukt wieder. Die Steuerquote - und dies steht hier zur Debatte - gibt den Anteil allein der Steuern am Bruttosozialprodukt wieder. Wenn wir uns die Verteilung der Gesamtabzüge des Bürgers auf die beiden Bereiche Sozialversicherungsbeiträge auf der einen Seite und Lohnsteuer auf der anderen Seite ansehen, dann wird sofort deutlich, wo die eigentliche Belastung für den Durchschnittsverdiener liegt: Sie liegt bei den Sozialabgaben. Die Höhe dieser Sozialabgaben wird in besonderem Maße durch die Leistungen aus der Kranken- und Rentenversicherung bestimmt.
Nun muß ich allerdings fragen - dies müssen wir uns alle fragen, meine Damen und Herren -, ob, da ja unsere Bürger eine Versicherung gegen das Risiko Krankheit und gegen das Risiko Alter brauchen, es für die Bürger billiger würde, wenn sie an die Stelle der Solidarversicherung und damit auch der Solidarabgaben private Versicherungen setzten. Ich fürchte: nein. Insofern ist auch dieses in gewissem Sinne eine Scheindebatte. Wir sind aber dennoch alle zusammen aufgerufen, die Dynamik der Abzüge im Bereich der Sozialversicherung zu brechen. Wenn von der Opposition, so z. B. von Herrn Strauß im Zusammenhang mit Herrn Katzer, zur Sanierung der Rentenversicherung an eine fühlbare Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung gedacht worden ist, dann muß diesen beiden Herren deutlich gemacht werden, daß sie damit die Abgabenquote erhöhen und damit gegen eigene Postulate verstoßen wollten.
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Ich wenigstens rede hier über das, was hier zur Debatte steht: über die Steuerquote. Wenn wir uns hier die Zahlen angucken, wie es sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, dann kommen wir zum ehrlichen Ergebnis. Die Steuerquote betrug 1962 24,0 %. Sie betrug 1975, nach der Steuerreform, 23,2 %. Sie war um einen Prozentpunkt zu hoch, weil das Kindergeld ja durch die öffentlichen Kassen durchläuft, damit die Steuerquote erhöht und dann den Bürgern zufließt. Sie wird in 1977 23,8 % eigentlich: 22,8 % - betragen. Sie sehen, meine hochverehrten Damen und Herren von der Opposition, daß man in der Tat eher ein leichtes Sinken der Steuerlastquote verzeichnen kann, als daß man hier in eine Polemik ausbrechen sollte, die einen falschen Eindruck erweckt.
Im übrigen - dies sollten wir vielleicht, wenn wir mit dem Bürger über Abgaben, insbesondere über Steuern, reden, berücksichtigen - kann ja wohl nicht übersehen werden, daß Steuereinnahmen nicht auf Nimmerwiedersehen im Schlund eines anonymen Gebildes versdwinden. Allein 45 %, fast die Hälfte aller Steuereinnahmen, geben wir für Renten, für die Unterstützung von Arbeitslosen, für die Sozialhilfe und für Kindergeld aus, also für sogenannte Transferleistungen - fast die Hälfte, meine
sehr verehrten Damen und Herren! 15 % der Ausgaben der öffentlichen Hände - genau: 14,5 % -gingen im letzten Jahr in den Bereich der Bildung und Ausbildung. 14 % wurden für unsere Polizei, für die Innere Sicherheit und für die Verteidigung unseres Landes in Form von Leistungen an die Bundeswehr ausgegeben.
Gucken wir uns im übrigen auch, was die Lohnsteuerbelastung anbelangt, die Fakten genau an. Die Steuer- und Kindergeldreform des Jahres 1975 hat für die Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen sichergestellt, daß sich die Mehrheit der Steuerpflichtigen, die überwältigende Mehrheit, in den letzten Jahren in einer weit ausgedehnten Proportionalzone befindet. Hier wird nach hohen steuerfreien Einkommenssockeln jede Mark, die dann über diese steuerfreien Einkommenssockel hinausgeht, mit 22 Pfennigen pro Mark besteuert. Natürlich wird in absehbarer Zeit die Zahl derer zunehmen, die wieder in der Progression sind. Deswegen kann die jetzt geltende Tarifstruktur natürlich auch keinen Ewigkeitswert haben. Aber idh füge hinzu: Es entspricht unserem Steuersystem, daß gut verdienende Bürger von einem Mehr an Einkommen auch ein Mehr an Steuern zahlen sollen. Progression im Lohn- und Einkommensteuertarif hat eben auch die Aufgabe, Steuergerechtigkeit mit zu verwirklichen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zum Tarifbericht der Bundesregierung machen, wie er hier in der verbundenen Debatte mit aufgerufen worden ist. Wir sind im Finanzministerium - und mit uns zusammen die Bundesregierung - im Auftrage des Gesetzgebers mit aller Sorgfalt und ohne Vorurteile daran gegangen, zu prüfen, ob es möglich wäre, einen durchgehenden progressiven Steuertarif ab 1. Januar 1978 einzuführen. Das Ergebnis unserer Untersuchungen liegt uns vor. Ich ziehe deswegen aus diesen Untersuchungen, aus dieser umfassenden Dokumentation nur das Fazit.
Das Fazit ist, daß ein durchgehender Progressionstarif eine gewisse Verwaltungsmehrarbeit auf die ohnehin schon hoch belasteten Finanzämter zukommen lassen würde. Nun kann dies kein entscheidender Grund sein. Der entscheidende Grund ist, daß ein durchgehender Progressionstarif nach unseren Erfahrungen weder steuerpolitisch noch haushaltspolitisch zu verantworten wäre. Wenn wir nämlich nicht viele Milliarden, eine zweistellige Milliardensumme, an Steuerausfällen bewußt hinnehmen, um einen durchgehenden Progressionstarif zu schaffen, dann würde bereits bei Steuerpflichtigen im oberen Bereich der Proportionalzone mit einem Familieneinkommen um 2 000, 2 500 DM bei der Einführung eines solchen Tarifs jede zusätzlich verdiente Mark mit einer Verschärfung der Besteuerung bestraft werden. Das ist der Grund, weswegen die Bundesregierung Ihnen keinen durchgehenden Progressionstarif vorschlägt, aber an Stelle dieser ursprünglich einmal von uns allen anvisierten Reform den Weg gezielter Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuerpflicht gehen will.
Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie von einem „Lohnsteuerstaat" sprechen, so höre ich diese Feststellung mit Aufmerksamkeit. Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß es gerade die Opposition ist, aus deren Reihen immer wieder Vorschläge kommen,
({9})
bei denen die Steuern im Unternehmensbereich, was ihre Absenkung anbelangt, im Mittelpunkt des Interesses stehen. Im übrigen kann jede Mark, die wir zur Steuersenkung einsetzen, nur einmal ausgegeben werden. Meine Herren von der Opposition, eine Konzentration der Steuersenkungspläne weit über das hinaus, was die Bundesregierung für geboten hält, auf den Unternehmensbereich führt natürlich dazu, daß im Bereich der Lohnsteuer kaum Möglichkeiten zur Entlastung bleiben.
Andererseits muß ich Sie fragen, meine Damen und Herren von der Opposition, wie es eigentlich möglich sein soll, die Belastung bei den ertragsunabhängigen Steuern, die sicherlich unsere Unternehmen in einer konjunkturell schwierigen Phase stärker belasten als in einer Hochkonjunktur, abzubauen, wenn diese Steuerentlastungen nicht durch Mehreinnahmen finanziert werden können. Man kann doch wirklich nicht auf der einen Seite jede Haushaltsberatung, jede wirtschaftspolitische Debatte in diesem Parlament mit dem Etikett bevorstehenden, drohenden Staatsbankrotts belegen, den Staatsbankrott ankündigen und prognostizieren, über die viel zu hohe Verschuldung der öffentlichen Hände reden und gleichzeitig aus dem soeben von Ihnen konstatierten zu kleinen Steuerkuchen weitere Steuersenkungen finanzieren wollen.
Sehr gern höre ich in diesem Zusammenhang - ich höre diese Aufforderung ja von vielen Seiten - das Wort vom „Mut zur dynamischen Betrachtung". Konkret wird darunter verstanden, daß der Finanzminister auch einmal den Mut haben müßte, Steuersenkungen zugunsten der Wirtschaft vorzunehmen in der Hoffnung, daß dann später daraus auch ein vielfacher Mehrertrag in die Kasse fließt.
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- Ich komme darauf, Herr Dr. Sprung. Ich bin für diese dynamische Betrachtung, und wir haben im übrigen ja auch Zeugnis davon abgelegt. Durch die Steuerreform haben wir den Unternehmensbereich jährlich um 1 Milliarde DM entlastet. Die Einführung des Verlustrücktrages bringt den Unternehmen Steuererleichterungen von einer halben Milliarde DM pro Jahr. Bei der Investitionszulage haben wir aus eben dieser dynamischen Betrachtung heraus auf 7 Milliarden DM verzichtet. Die Körperschaftsteuerreform ist sicherlich auch eine Reform, die eher wirtschaftsfreundlich ist. Ich weiß also nicht, was dieser Ruf nach dynamischer Betrachtung soll. Wir haben unter Zurückstellung auch mancher Überlegungen zur steuerlichen Gerechtigkeit ein Vielfaches getan, um unserer Wirtschaft steuerliche Erleichterungen zu bringen. Aber ich darf als Finanzminister zweierlei nicht vergessen. Zum einen darf ich nicht übersehen, daß es für mich die Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes in Normallagen gibt, die nämlich besagt, daß die Verschul1528
dung des Bundes an die Obergrenze der Finanzierung der Investitionen gebunden ist. Zum zweiten darf ich nicht übersehen, daß auch die Steuerpolitik unter das oberste Gebot der sozialen Gerechtigkeit zu stellen ist.
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Nun lehnen Sie, meine Damen und Herren, die Mehrwertsteuererhöhung wegen ihrer Wirkungen auf die Preise ab. Ich stehe nicht an, hier zuzugeben, daß natürlich die Mehrwertsteuererhöhung Konsequenzen für die Preise hat, 1,3 bis 1,4 % preissteigernd wirken kann; das hängt von der jeweiligen konjunkturellen Lage ab. Aber jede Steuererhöhung, jede Einnahmeverbesserung, hat ihre schwerwiegenden Probleme. Dieser Weg wäre nur zu vermeiden, wenn wir einen anderen Weg fänden, um unsere Finanzprobleme zu lösen. Darüber werde ich noch zu sprechen haben.
Eines akzeptiere ich allerdings keineswegs, nämlich daß die Mehrwertsteuer eine unsoziale Steuer sei. Die Mehrwertsteuer trifft alle Bürger unseres Landes, soweit sie kaufen. Dabei wird der Bedarf des täglicher. Lebens, insbesondere die Nahrungsmittel, wesentlich geringer belastet als die Güter, die zum gehobenen Bedarf gehören. Auf diese Weise wird die unabweisbare Steuermehrbelastung auf alle Bürger verteilt. Eine Belastung nur derer, die lohn- und einkommensteuerpflichtig sind, würde viel stärker als eine Anhebung der Mehrwertsteuer diejenigen treffen, die bereits heute zu einem hohen Prozentsatz die Finanzierung des Gemeinwesens Bundesrepublik Deutschland tragen.
Wir wollen doch nicht übersehen, daß die Mehrwertsteuererhöhung im übrigen die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft intakt läßt, indem beim Export unserer Güter die Mehrwertsteuer erstattet wird und bei der Einfuhr die Mehrwertsteuer auf die importierten Güter voll draufgeschlagen wird.
Die Mehrwertsteuer ist kein Investionshemmnis.
Angesichts der für uns doch alle erkennbaren Tatsache, daß der Anteil der indirekten Besteuerung am Gesamtsteueraufkommen rückläufig ist, während die ertragsabhängigen Steuern, insbesondere die Lohn- und Einkommensteuer einen wachsenden Anteil an der Staatsfinanzierung haben, ist für mich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auch aus Gründen der Gerechtigkeit und zur Erhaltung der Leistungsbereitschaft der Bürger vertretbar.
Im übrigen bedeutet diese Mehrwertsteueranhebung auch einen Schritt in Richtung Europa, indem nämlich die in der Bundesrepublik geltenden Steuersätze bei der Mehrwertsteuer schrittweise dem Durchschnitt der höheren Besteuerung bei der Mehrwertsteuer in den anderen EG-Staaten angeglichen werden.
Für mich ist die Haltung der Opposition zur Mehrwertsteuererhöhung und zu unserem Steuerpaket mehr als durchsichtig. Den Bürgern wird der Eindruck vermittelt, als würden sie von einer Steuerlast bedrückt, die unerträglich sei, und als wolle und könne die Opposition diese Steuerlast wesentlich
mindern. Den Unternehmen wird versprochen, daß sie von der Opposition über die von uns angekündigten Maßnahmen hinaus weitere Steuersenkungen zu erwarten hätten. Gleichzeitig wird die Mehrwertsteuererhöhung abgelehnt. Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um die Quadratur des Kreises, hier geht es schlicht und ergreifend darum, den mündigen Bürgern in unserem Lande Sand in die Augen zu streuen.
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Er soll nicht sehen, daß die Opposition kein Konzept hat, und einige Politiker von der Opposition - ({13})
- Ich gebe ohne weiteres zu, daß die Tatsache, daß Sie kein Konzept haben, so einen Bart hat. Das kann icht nicht bestreiten.
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Meine Damen und Herren, einzelne Politiker der Opposition - und hier muß ich leider den nicht anwesenden Herrn Dr. Strauß zitieren - scheinen ja diese Konzeptionslosigkeit zu erkennen. Er hat vor vier Wochen hier und gestern erneut seine Stellungnahme zur Mehrwertsteuererhöhung deutlich gemacht und hat gezeigt, daß er sich damit anfreunden könne, wenn der Mehrertrag zu 100 Prozent für Steuererleichterungen bzw. Leistungsverbesserungen verwandt werden könne.
Andere Oppositionspolitiker, so der Herr Fraktionsvorsitzende, vermitteln dagegen den Eindruck eines bedingungslosen Nein. Ich gehe davon aus, daß wir heute in dieser Frage keine Klarheit bekommen. Die Opposition wird weiterhin ihre Strategie verfolgen, den Bürger über ihre Pläne im Bereich der Steuerpolitik weitgehend im unklaren zu lassen. Das mag eine Position sein, die einer unbedeutenden Oppositionspartei gemäß ist. Eine Bundestagsfraktion, die sich selbst unter die anmaßende Prophetie ihres Fraktionsvorsitzenden stellt, der doch jedem Bürger nach den Bundestagswahlen eine Wette darüber angeboten hat, daß er noch im Jahre 1978 Kanzler werden wird,
({15})
kann sich diese Position nicht leisten.
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- Aber Herr Häfele, ist es denn polemisch, wenn ich den hochverehrten Fraktionsvorsitzenden und sein Wettangebot zitiere? Das ist eher ein Beitrag zur Erheiterung der Szenerie, weiter doch nichts.
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- Das habe ich aus den Zeitungen.
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Ja, aber ich will Ihnen das gerne nachliefern. Das ist kein Problem, das mache ich gerne.
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Wir können ja nachher auch noch eine Wette darüber abschließen, ob ich in der Lage bin, Ihnen dieses Zitat beizubringen.
Meine Damen und Herren, es gibt in den letzten Wochen Stellungnahmen von zwei wirtschaftswissenschaftlichen Instituten, die der Meinung sind, man solle auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten, weil sie nicht nötig sei, um die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren. Dazu ist folgendes festzustellen: Einmal muß ich dem interessierten Bürger deutlich sagen, daß ein Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung natürlich auch einen Verzicht auf wesentliche, von der Bundesregierung vorgeschlagene Leistungsverbesserungen bzw. Steuererleichterungen bedeutet. Nur einzelne Finanzpolitiker der Opposition haben bisher behauptet, Steuersenkungen beziehungsweise Leistungsverbesserungen seien auch ohne die Mehrwertsteuererhöhung finanzierbar. Diese Behauptungen stehen in einem krassen Gegensatz zu den Klagen der Länder und der Gemeinden über eine ungenügende Finanzausstattung.
Wer also die Verbesserung des Kindergeldes will, wer der Meinung ist, daß das Kindergeld für das zweite Kind von monatlich 70 auf 80 DM angehoben werden sollte, wer der Meinung ist, daß für das dritte und jedes weitere Kind das Kindergeld von 120 auf 150 DM angehoben werden sollte, der muß auch die Einnahmeverbesserungen akzeptieren, denn die Erhöhung des Kindergeldes kostet jährlich 1,8 Milliarden DM. Wenn die geschiedenen Väter von uns eine steuerliche Entlastung fordern, dann müssen sie wissen, daß sie ebenfalls nur aus einer Mehrwertsteuererhöhung zu finanzieren ist, denn der von uns vorgesehene Abzugsbetrag bewirkt jährliche Ausfälle von 200 Millionen DM. Wenn uns viele Bürger sagen, daß sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Sonderausgaben, hier insbesondere ihre Ausgaben für die Krankenversicherung und für die Alterssicherung bei der Steuer geltend zu machen, weil die Sonderausgabenhöchstbeträge dazu nicht reichen, und wir bereit sind, hier einen weiteren Schritt zur Erhöhung der Sonderausgabenhöchstbeträge zu tun, dann müssen diese Bürger wissen, daß auch dies im Interesse der Solidität der öffentlichen Finanzen an Einnahmeverbesserungen gekoppelt sein muß, denn die Anhebung der Höchstbeträge bringt. einen jährlichen Steuerausfall von 2,5 Milliarden DM.
Wer also die Mehrwertsteuererhöhung ablehnt, der lehnt damit dieses Steuersenkungsprogramm ab. Das mag dann durchaus in das parteipolitische Kalkül mancher Oppositionspolitiker passen, indem sie sich zum Ziele setzen, dieser Bundesregierung Einnahmeverbesserungen zu verweigern und sie
gleichzeitig unter dem Druck von Forderungen nach Leistungsverbesserungen und Steuersenkungen zu halten.
Das ist dann allerdings erneut eine Position der Destruktion, kein Nachweis von Fähigkeit, Verantwortung mitzutragen oder Steuerpolitik mitzugestalten.
({20})
Im übrigen muß die Opposition wissen, daß jede Position, die sie in dieser Frage einnimmt, eine Position ist, an die sie für Jahre gebunden ist, denn man kann eben nicht seine eigene Position zu einer so zentralen Frage und die eigene Meinung dazu und zu den damit verbundenen Möglichkeiten und Grenzen wie ein Hemd von heute auf morgen wechseln.
({21})
Wer die Meinung vertritt, daß die Finanzmasse für die öffentlichen Hände ausreicht und es keiner Einnahmeverbesserungen bedarf, der kann morgen nicht an einer anderen Stelle im Bundesrat oder aber in den Gremien der Gemeindeverbände und der Gemeindevertretungen genau die umgekehrte Position vertreten und an den Bund massive Forderungen. stellen zur Verbesserung der eigenen Finanzausstattung. Er wird dann auch dort an sein Wort gebunden sein. Er wird insbesondere im Deutschen Bundestag kritisch daraufhin betrachtet werden, ob er denn nun auch einen konstruktiven Beitrag zur Reduzierung der Staatsausgaben leistet. Hier konnten wir doch schon in den ersten Monaten dieser Legislaturperiode feststellen, wie wenig konsistent die Argumentation der Opposition ist.
War es nicht der Fraktionsvorsitzende der Oppositionsfraktion, Herr Kohl, der eine wesentliche Steigerung der Entwicklungshilfe gefordert hat, und zwar in der Debatte zur Regierungserklärung? Waren es nicht er und andere, die sich für eine Erhöhung der Mittel für die Bundeswehr ausgesprochen haben? Waren es nicht die Politiker der Opposition, die über das hinausgehen wollten, was die Bundesregierung meint bereitstellen zu können an Unterstützungen für Schüler und Studenten?
({22})
- Ich habe es hier gesagt: in der Debatte über die Regierungserklärung. Herr Dr. Kohl, ich zitiere nicht Ihr Wahlprogramm. Ich will Sie doch nicht in Verlegenheit bringen. Ich zitiere das, was Sie hier im Deutschen Bundestag gesagt haben.
({23})
Hier wird deutlich, daß auch die letzte Flanke in der Argumentation der Opposition, die Forderung nach mehr Sparsamkeit, unbedeckt bleibt. Ich habe heute morgen gehört, wie die agrarpolitischen Sprecher der Opposition erneut weitere Forderungen angemeldet haben.
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Schon in der Debatte zum Bundeshaushalt 1976 hatte uns die Union Sparvorschläge in der Höhe einer zweistelligen Milliardensumme angekündigt. Geblieben ist davon nichts.
Nun haben Herr Kollege Althammer und auch Herr Kollege Leicht sozusagen mit leichter Hand Sparvorschläge in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM angekündigt. Auch dies wird sich am Ende als das herausstellen, was es ist, nämlich als eine propagandistische Ankündigung, die aktuelle Schwierigkeiten bei der Union übertünchen und den Eindruck von Aktivität erwecken soll, ohne daß der Ankündigung Taten folgen.
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Ich werde im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nachlassen, den Haushalt auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite auf Schadstellen und ungerechtfertigte Vorteile abzuklopfen.
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- Das ist so. Wir haben ja heute morgen darüber debattiert, daß Herr Kollege Ertl und ich uns überlegen, ob wir nicht bei der Besteuerung der deutschen Landwirtschaft etwas ändern müssen. Ob! Alles andere, was von Ihnen dazu gesagt worden ist, war im übrigen die Unwahrheit.
({27})
- Das ist nicht nur hart, sondern auch zutreffend. Manchmal ist die Wahrheit hart; das gebe ich ohne weiteres zu.
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Ich lehne aber, meine Damen und Herren .- das sage ich, damit mich alle Seiten des Hauses sehr gut verstehen -, eine konjunktur- und sozialpolitisch gefährliche, sinnlose Demontage öffentlicher Ausgaben und damit wichtiger Aufgaben in dieser Konjunkturlage entschieden ab. Damit wir uns hier ganz klar verstehen!
({29})
Ich kann es auch nicht in Kauf nehmen, daß die öffentlichen Hände in den nächsten Jahren jegliche Dispositionsmasse verlieren und Steuererleichterungen und Leistungsverbesserungen unmöglich werden. Wir müssen die Investitionen der öffentlichen Hände stabilisieren. Wir können doch auch nicht umhin, massive binnen- und außenwirtschaftliche Haushaltsrisiken die Deutsche Bundesbahn, die UNO, die EG, der Nord-Süd-Dialog -, die zur Zeit natürlich schwer quantifizierbar sind, zu berücksichtigen.
Deshalb stehen im übrigen auch die Äußerungen der beiden Institute, man könne ohne Steuersenkungen zu Konsolidierungen kommen, in einem deutlichen Widerspruch zu den Aussagen des Sachverständigenrats und des Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Auch das Infrastrukturprogramm mit einem Volumen von 16 Milliarden DM ist eben finanzwirtschaftlich nur deswegen denkbar, weil wir davon ausgehen, daß wir parallel zu diesen
großen Anstrengungen Einnahmeverbesserungen für die öffentlichen Hände bereitstellen, die die Nettokreditaufnahme in Grenzen halten. Ich füge hinzu: Wir müssen doch wohl auch alle selber ein Interesse daran haben, daß wir auf Grund der Finanzentwicklung der öffentlichen Hände in den nächsten Jahren wirtschafts- und finanzpolitisch handlungsfähig bleiben.
Herr Häfele, Ihre Zahlenbeispiele sind falsch. Wir können an Zahlenbeispielen, die wir bei jeder beliebigen Gehaltsgruppe wiederholen können, feststellen, daß dieses Steuerpaket eine deutliche Begünstigung der Mehrkinderfamilie enthält. Hier wird das erste wesentliche Element dieses Steuerpakets sichtbar. Es ist ja wohl falsch, die Leistungen aus dem Bundeskindergeldgesetz nicht in einen direkten Zusammenhang mit der Steuerbelastung zu bringen. Es ist doch in Wirklichkeit so, daß das Kindergeld die monatliche Steuerbelastung des Steuerzahlers beträchtlich vermindert. Und unsere Kindergeldregelung sieht vor, daß Kindergeld auch dann gezahlt wird, wenn ein steuerpflichtiges Einkommen nicht erwirtschaftet wird.
Allein die Verbesserung des Kindergeldes kostet, wie ich bereits gesagt habe, den Bundeshaushalt 1,8 Milliarden DM. Wir sollten uns einmal vor Augen führen, was wir für das Kindergeld insgesamt ausgeben. In diesem Haushaltsjahr geben wir dafür 14,3 Milliarden DM aus. Das ist etwa die Hälfte des Verteidigungshaushalts. Das ist die Summe, die die Minister für Wirtschaft, für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, für Forschung und Technologie sowie für Bildung und Wissenschaft zusammen zur Verfügung haben.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß wir in diesem Zusammenhang auch eine Abzugsfähigkeit von 600 DM jährlich für die geschiedenen und getrennt lebenden unterhaltspflichtigen Väter und Mütter einführen wollen. Wir binden diesen Freibetrag allerdings - das halte ich für wichtig - an den Nachweis, daß der Steuerpflichtige seiner Unterhaltspflicht auch wirklich nachkommt. Ich bin sicher, daß diese Maßnahme, die, wie gesagt, 200 Millionen DM kostet, die Proteste nicht völlig beenden wird. Ich muß jedoch darauf aufmerksam machen, daß dieses Parlament den Familienlastenausgleich einstimmig im Rahmen der Steuerreform grundlegend umgestaltet hat. Aus steuerpolitischen wie aus verfassungsrechtlichen Überlegungen halte ich es deswegen nicht für vertretbar, über unseren jetzigen Vorschlag hinaus Maßnahmen zu treffen, durch die die damaligen Grundsatzentscheidungen, die wir einvernehmlich gefunden haben und die von allen Parteien gebilligt worden sind, in Frage gestellt werden.
Ich komme zu der zweiten Komponente unseres Steuerpakets. Die Bundesregierung hat sich hinsichtlich des Absenkens der Unternehmensbesteuerung ihre Entscheidung nicht leichtgemacht. Die Anhebung der Freibeträge für Gewerbekapital, Gewerbeertrag- und Lohnsummensteuer ist im wesentlichen an den Interessen der kleineren Unternehmen ausgerichtet. Die Anhebung der Freibeträge führt dazu, daß in Zukunft nur noch 40 % aller Gewerbebetriebe Gewerbekapitalsteuer zu zahlen haben
werden, nur noch 45 % werden Gewerbeertragsteuer zahlen. Im übrigen: bei aller Bereitschaft, die Sorgen und Nöte der Gemeinden zu akzeptieren, muß ich wohl darauf hinweisen, daß sich durch unsere steuerpolitischen Maßnahmen bei der Gewerbesteuer ein Ausfall von nur 2 % des Gesamtaufkommens aus der Gewerbesteuer ergibt.
Was die Senkung der Vermögensteuersätze angeht, so liegt ihre Begründung darin, daß in Zeiten einer Rezession jede ertragsunabhängige Besteuerung die Gefahr enthält, zu einer Substanzbesteuerung zu werden. Eine Verbesserung der degressiven Abschreibung, die die Bundesregierung nach eingehender Beratung nicht für zweckmäßig erachtet hat, würde nur den Unternehmen zugute kommen, die in der Gewinnzone sind; während die andern überhaupt keine Abschreibungen geltend machen können.
Ich möchte im übrigen darauf aufmerksam machen, daß jedes Warten auf weitere Steuererleichterungen überflüssig ist. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, daß sie nicht daran denkt, als nächsten Schritt eine Verbesserung der degressiven Abschreibung ins Auge zu fassen.
Hier sehen Sie also die zweite Komponente, den zweiten Abschnitt dieses Steuerpakets. Neben dem bereits von uns beschlossenen umfassenden Infrastrukturprogramm, dem umfangreichsten und größten Infrastrukturprogramm, das jemals in der Bundesrepublik beschlossen wurde, neben den Maß- nahmen der Arbeitsmarktpolitik - und wir geben. für die Arbeitsmarktpolitik in diesem Jahr zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit rund 1,5 Milliarden DM aus -, neben anderen, insbesondere internationalen Hilfsmaßnahmen zur Stabilisierung des Aufwärtstrends wollen wir auch steuerpolitische Maßnahmen treffen. Wir wollen durch eine Absenkung der ertragsunabhängigen Steuern die Unternehmen in die Lage versetzen, ihren Beitrag zum stetigen Aufschwung, zur Modernisierung unseres Produktionspotentials und zur Sicherung der Arbeitsplatze zu leisten.
Wir sollten uns allerdings auch über die Größenordnung keine Illusionen machen. Allein die Senkung des Zinssatzes um einen Prozentpunkt entlastet die deutsche Wirtschaft brutto um 5 Milliarden DM, netto um 3 Milliarden DM. Da macht die Senkung der Vermögensteuersätze gerade 50 % dieser Kostenentlastung aus. Auch die Steigerung der Lohnkosten, die wir mit 5 bis 6 Milliarden DM bei einem Prozentpunkt Lohnkostensteigerung ansetzen, macht deutlich, daß die Vermögensteuersenkung nur etwa 25 % eines Prozentpunktes Lohnkosten ausmacht. Dennoch bin' ich davon überzeugt, daß diese Steuersenkung insbesondere für viele mittelständische Betriebe - und an ihrem Fortbestehen hat die Bundesregierung ein zentrales Interesse - von großer Bedeutung ist.
Ich muß aber darauf hinweisen, daß gerade der von mir angesprochene Zusammenhang der Zinssenkungstendenzen und der in ihrer Folge eintretenden
Entlastungswirkungen auch deutlich macht,
daß die Nettokreditaufnahme aus der Sicht des Haushaltes Grenzen hat. Wenn eine nicht vertretbare Erhöhung der Nettokreditaufnahme die Konsequenz hat, daß die Zinsen steigen, dann ist der Vorteil für unsere Wirtschaft dahin. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, daß die durch eine Umsatzsteuererhöhung ermöglichte Verringerung der staatlichen Kreditaufnahme einen anhaltenden Druck auf das allgemeine Zinsniveau auslösen kann und daß auf diese Art und Weise eine Kostensenkung und damit eine Erhöhung der Investitionsneigung denkbar ist. Ich sage Ihnen ganz offen, ich bin sehr froh darüber, daß es uns gerade in den letzten Monaten und Wochen gelungen ist, den Zinssenkungstrend - auch durch eine vernünftige Schuldenpolitik der öffentlichen Hände - anhalten zu lassen, zu fördern und fortwirken zu lassen. Wir müssen diese Vorteile erhalten.
Ich komme damit zur dritten Komponente unseres Steuerpakets. Das Konzept, über das wir heute gemeinsam debattieren, enthält auch die Ausweitung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes auf den Erwerb von Althäusern und bereits genutzten Eigentumswohnungen und die Befreiung von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von eigengenutzten Wohnungen. Dieses Vorhaben ist augenscheinlich zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages unstrittig. Ich begrüße das ausdrücklich, weil auf diese Art und Weise deutlich wird, daß es durchaus Gemeinsamkeiten in der Steuerpolitik zwischen der Unionsfraktion und der sozialliberalen Koalition geben kann. Nachdem der § 7 b seine ursprüngliche Funktion erfüllt hatte, nämlich Anreiz für private Initiativen zum Wiederaufbau unseres Landes zu sein, und das Bedürfnis nach Neubauten nicht mehr in dem gleichen Maße gegeben war, wie das vor einigen Jahrzehnten der Fall war, haben wir uns die Frage gestellt, ob es nicht auch denkbar wäre, § 7 b zu streichen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen,. wir sollten dieses nicht tun, sondern die eigentumspolitische Komponente des § 7 b unterstreichen. Dann allerdings ist es vernünftig, die Regelung des § 7 b auf den Erwerb von Eigentumswohnungen und Eigenheimen auszuweiten, die bereits gebaut sind und die sich ja normalerweise in den Stadtkernen befinden. Auf diese Art und Weise setzen wir den § 7 b auch ein, um einen Beitrag zur Sanierung der Stadtkerne und somit gegen die Stadtflucht zu leisten. Wenn wir die bereits existierenden anderen steuerlichen Vorteile hinzunehmen, wird deutlich, daß hiermit auch ein Beitrag zur Sanierung unserer Innenstädte geleistet wird, daß für den Bürger ein Anreiz geboten wird, in der Stadt zu bleiben und dort Eigentum zu erwerben.
Es ist die Frage zu stellen, ob die Ausweitung des § 7 b auf Althäuser und alte Eigentumswohnungen nicht denen Möglichkeiten eröffnet, die wir normalerweise als Spekulanten bezeichnen. In dieser Hinsicht gibt es keine Befürchtungen, denn der § 7 b beinhaltet ein ganz individuelles Recht. Es steht dem einzelnen Bürger im Leben nur einmal, einem Ehepaar zweimal zu. Damit wird schon deutlich, daß der
§ b selbst und seine Ausweitung keinen Anreiz für Spekulation bieten.
Wichtig scheint mir zu sein - der Herr Kollege Ravens kann dazu sicherlich weitere Bemerkungen machen -, daß sichergestellt sein muß, daß dann, wenn eine Mietwohnung von einem Nichtmieter erworben wird, wenn also ein anderer eine Mietwohnung, die vermietet ist, erwirbt, der Mieter vor Verdrängung geschützt sein muß. Hierfür sorgen die allgemeinen Kündigungsschutzvorschriften, die im BGB stehen. Wir haben Gott sei Dank bereits im Jahre 1974 hinsichtlich des Verkaufs von Mietwohnungen als Eigentumswohnungen wesentliche Verschärfungen zum Schutz der Mieter von Eigentumswohnungen. erreicht. Bei Sozialwohnungen können darüber hinaus nur mit Genehmigung der zuständigen Stellen Veräußerungen vorgenommen werden.
Idh habe bereits darauf hingewiesen, daß die Befreiung von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb eigengenutzter Wohnungen und Häuser eine Maßnahme ist, die insbesondere die Mobilität unserer Bürger fördern soll. Es ist ja oft so, daß ein Bürger, der anderswohin ziehen muß, um dort einen Arbeitsplatz zu suchen und anzunehmen, zweimal von der Grunderwerbsteuer getroffen werden kann, einmal beim Verkauf seines Eigentums am früheren Wohnort und erneut durch Belastung mit Grunderwerbsteuer am künftigen Wohnort. Nun muß ich allerdings zugeben, daß der Ausfall, der durch diese Befreiung von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb eigengenutzter Wohnungen und Häuser eintritt, beträchtlich ist. Insofern habe ich Verständnis dafür, daß die Kommunen Bedenken gegen diese Steuersenkung anmelden.
Soweit der Bundesrat Vorschläge gemacht hat, die zu einem geringeren Steuerausfall führen, ist die Bundesregierung durchaus offen, zu prüfen, ob wir nicht das von uns angestrebte Ziel auch mit nuanciert anderen Regelungen erreichen können.
. Hier ist nicht der Ort, um über die laufenden Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern zur Umsatzsteuerneuverteilung zu sprechen. Wir haben das bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts getan.
Wesentlich scheint mir zu sein, daß wir bei der Verabschiedung dieses Steuerpakets wie bei den parallel dazu laufenden Verhandlungen zur Umsatzsteuerneuverteilung nicht vergessen, daß der kooperative Föderalismus unsere Aufgabe und zugleich unser Schicksal ist. Wie auch immer wir politisch zueinander stehen mögen und welche Rollen auch immer wir auf Grund politischer Mehrheiten zu spielen haben, wichtig scheint mir zu sein, daß wir dabei nicht den Blick für das Ganze verlieren. Schadenfreude oder die Absicht, in der Finanz- und Steuerpolitik kurzsichtig Steuervorteile einzuheimsen, sind keine guten Ratgeber.
Deswegen bin ich bereit, die Debatte über dieses Steuerpaket und die damit verbundenen Probleme der Finanzwirtschaft und der Finanzpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden offen und fair zu führen.
({30})
Die Finanzdecke ist überall zu kurz. Die Finanzminister und die Stadtkämmerer haben überall ihre großen Sorgen. Die Stützung der Konjunktur und die Erhaltung des sozialen Netzes verlangen auch weiter von uns ein großes Maß an Verantwortungsbewußtsein und Augenmaß.
Nicht zuletzt an diesem Steuerpaket wird sich zeigen, ob wir gemeinsam dieses Augenmaß und dieses Verantwortungsbewußtsein für das Ganze besitzen zum Wohl unseres Staates.
({31})
Meine
Damen und Herren, damit sind die Vorlagen der Bundesregierung begründet.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor kurzem erschien in einer Tageszeitung - ich glaube, es war die „Kölnische Rundschau" - eine kurze Kolumne mit der mitleidheischenden Überschrift „Hans Apel im Pech". Ich möchte heute das Gegenteil behaupten. Der Bundesfinanzminister hat in diesen letzten Wochen ein unerhörtes und ganz unerwartetes Glück gehabt.
({0})
Er ist ein „Hans im Glück" insofern, als durch den kentenskandal, den Abhörskandal, die Generalsaffäre, die öffentlich beglaubigte Unfähigkeit dieser Bundesregierung, das Energieproblem zu regeln, und neben der dreisten Vertuschung des Sicherheitsproblems unseres Landes sein Skandal, nämlich das vor uns liegende Steuerpaket, in der öffentlichen Diskussion in den Hintergrund getreten ist.
({1})
Heute tritt das in den Vordergrund. Dieser Gesetzentwurf ist skandalös.
Es ist skandalös deshalb, weil vor Ihnen, Herr Bundesfinanzminister Dr. Apel, noch kein Bundesfinanzminister es gewagt hat, den parlamentarischen Körperschaften den Entwurf eines Steuergesetzes vorzulegen, dessen Steuererhöhungsteil so unnötig, so preistreibend, so konjunkturpolitisch verfehlt, so unsozial, so kommunalfeindlich und so die Sparer schädigend ist.
Lassen Sie mich diese - ich gebe es zu - etwas herbe Kritik begründen. Sie schlagen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 18 % vor.
({2})
Andernorts schritte bei solchen Erhöhungen das Kartellamt ein; hier wird es das Parlament selber tun.
({3})
Daß diese von Ihnen vorgeschlagene Erhöhung der Mehrwertsteuer unnötig ist, hat Ihnen bereits der Bundesrat nachgewiesen, als er Ihnen überhöhte Ausgabenansätze und andere Luftbuchungen in der
Größenordnung von 6 Milliarden DM nachwies. Sie haben seinerzeit - offenbar wegen des Datums jener Debatte - gesagt, das sei ein Aprilscherz. Aber in der Zwischenzeit
({4})
geben Sie bei der Ergänzung zum Haushalt 1977 selber zu, daß die Ausgaben 1977 für das Investitionsprogramm in Höhe von mehr als einer halben Milliarde DM auf Grund aktueller Berechnungen durch vertretbare Herabsetzungen von Ansätzen des Regierungsentwurfs ausgeglichen werden. Dies zeigt mit Deutlichkeit: das richtige Mittel für die Konsolidierung der Bundesfinanzen ist nicht das der Einnahmenerhöhung, nicht der Steuererhöhung; richtiges Mittel ist vielmehr neben der Sparsamkeit die Einleitung der richtigen Wachstumspolitik. Eine Mehrwertsteuererhöhung hemmt dieses Wachstum, zumindest fördert sie es nicht.
Diese Mehrwertsteuererhöhung, wie Sie sie vorschlagen, ist nicht nur unnötig, sie ist auch preistreibend. Auch dies geben Sie selbst zu. Man kann sich darüber streiten, Herr Bundesfinanzminister, ob das Preisniveau um 1 % oder, wie Sie es in Ihrer Regierungsvorlage selbst darlegen, um 1,3 bis 1,4 % oder ob es um 1,5, um 2 % oder gar noch stärker steigt. Ich will das hier nicht weiter ausführen. Hierzu haben die Wirtschaftsverbände Ihnen und uns anschauliches Material gegeben.
Wohl kein Zweifel kann darüber bestehen - das ist unser Hauptpunkt, Herr Bundesfinanzminister -, daß die Mehrwertsteuererhöhung zum konjunkturell falschen Zeitpunkt hier von Ihnen vorgeschlagen wird. Als sich die Koalition nach den Wahlen im Spätherbst darauf festlegte, die Mehrwertsteuer zum 1. Januar 1978 zu erhöhen, da - das unterstellen wir einmal aus Liebenswürdigkeit - mochte sie noch glauben, daß sich im Laufe des Jahres der Aufschwung stabilisieren und stetig an Kraft gewinnen könnte. Wie ist es denn jetzt? Jetzt ist es doch mehr als leichtfertig, noch an dieser Erwartung zu hängen. Der Aufschwung. hat an Kraft verloren. Um mit Karl Schiller zu sprechen: Die Pferde saufen nicht. Warum? Den Unternehmen fehlt weiterhin der Mut zum Investieren, und die Verbraucher gehen sparsam mit dem Geld um. In dieser Lage wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen?
Die Unternehmen haben zu befürchten, daß sie diese Steuererhöhungen nicht, wie Sie es unterstellen, an die Verbraucher voll abwälzen können, wie es der Sinn der Mehrwertsteuer ist. Die Umsatzsteuer wird, wenn sie nicht ganz abgewälzt werden kann, ein zusätzlicher Kostenbestandteil, sie wird eine zusätzliche Kostenbelastung der Unternehmen. Die Bundesregierung sagt, daß sie die Unternehmen zum Investieren bringen wolle, aber gleichzeitig dämpft sie die Ertragserwartungen und die Ertragsaussichten. Niemand weiß sicher, wie die Konjunktur am Ende dieses Jahres aussieht. Sicher aber ist, daß Sie mit dieser Steuererhöhung nichts dafür tun, den Aufschwung zu kräftigen.
({5})
Die Wirtschaftsdaten der letzten Wochen müßten Sie eigentlich zwingen, Ihre Steuerpläne zumindest zu überdenken, zu korrigieren, wie es erforderlich ist. Hoffentlich merken Sie dies nicht auch diesmal wieder zu spät.
Aber selbst wenn die Unternehmen, wie Sie es erwarten, die zusätzliche Steuerlast abwälzen können, so wäre es doch nicht auszuschließen, daß die Gewerkschaften diese Einschränkung der Arbeitnehmerkaufkraft durch höhere Löhne auszugleichen versuchten. Auch dann wäre also mit einer wachsenden Kostenbelastung der Wirtschaft zu rechnen. Sie können es drehen und wenden, wie Sie es wollen: Diese Steuererhöhung ist mit dem ständig wachsenden Risiko belastet, daß Investitions- und Wachstumsimpulse, die wir so dringend brauchen, gedämpft oder gar vernichtet werden.
Daß die Mehrwertsteuererhöhung unsozial ist, auch wenn Sie dies nicht wahrhaben wollen, zeigen nicht zuletzt Ihre eigenen Berechnungen, aus denen sich ergibt, daß z. B. ein Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen mit 28 DM mehr belastet wird. Ich halte die Zahl von 28 DM für zu gering geschätzt; aber gehen wir einmal von Ihrer eigenen Berechnung aus. Als Ausgleich, sozusagen als eine soziale Wohltat, schlagen Sie u. a. eine Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind um 10 DM monatlich vor. Also, daß muß man sich zweimal anhören, daß muß man zweimal lesen, sonst glaubt man es nicht. Was wird hier vorgeschlagen? Die Zweikinderfamilie wird mit mindestens 28 DM, wahrscheinlich mit 30 oder 40 DM, im Monat durch die Mehrwertsteuererhöhung mehr belastet und erhält als „sozialen Ausgleich" dafür 10 DM. Es wird hier also eine Begünstigung gemacht, die die Begünstigten sich selber zahlen.
Die Begünstigten bezahlen aber nicht nur einmal; sie bezahlen, wenn Ihre Zahlen stimmen, sogar dreifach. Sie wollen einen Betrag von 1,77 Milliarden DM für die Erhöhung des Kindergeldes ausgeben. Gleichzeitig belasten Sie aber den Bürger, die Familien mit mehr als 5 Milliarden DM. Wo bleiben denn da das soziale Verständnis und das soziale Gewissen?
Aber unterstellen wir einmal, Sie vergessen es: Wo bleibt denn da Ihr Gedächtnis? Hat denn nicht noch am 9. Mai 1974 - das ist also noch gar nicht so lange her - der Bundeskanzler vor der SPD-Fraktion die Mehrwertsteuererhöhung als „Betrug am kleinen Mann" gekennzeichnet?
({6})
Und haben nicht auch Sie selbst, Herr Bundesfinanzminister, Ende August 1974 in Hamburg-Wandsbek ausgeführt - an so etwas erinnert man sich natürlich ungern, aber ich muß es Ihnen vorhalten -: „Für Sozialdemokraten wäre dies - nämlich eine Mehrwertsteuererhöhung - ein schlechter Witz, und schlechte Witze" - so Apel - „machen wir nicht."
({7})
„Wir denken nicht daran", sagte Herr Apel weiter, „dem Bürger mit der einen Hand zu geben und mit der anderen Hand zu nehmen." - Also, wenn ich mir dieses Paket anschaue, habe ich das Gefühl, Sie nehmen mit zwei Händen und geben mit einer halben Hand weiter.
({8})
Das scheint mir ein weiteres Beispiel dafür zu sein, wie es sich mit Ihrer sozialen Einstellung im Bereich der Steuerpolitik in Wirklichkeit verhält.
Ich habe unter den vielen Beispielen, die man hier aufführen könnte, nur eines, das ich Ihnen nochmals vorhalten möchte. Das betrifft die Besteuerung von Einkommen, die unterhalb der Sozialhilfegrenze liegen. Ich halte es für unmoralisch, daß ein Betrag, den ein Arbeitnehmer verdient, der genauso hoch ist wie der Betrag, den ein Sozialhilfeempfänger erhält, mit Lohnsteuer belastet wird. Damit wir uns ganz richtig verstehen: Ich halte nicht die Sozialleistungen, die von uns gezahlt werden, für zu hoch, aber ich halte es für überzogen, daß bereits in diesem Bereich die Einkommen- oder Lohnsteuer eingreift. Unter diesem Aspekt wollen Sie den Tarifbericht, wie Sie ihn gegeben haben, rechtfertigen? Ich glaube, darüber gilt es noch sehr eingehend miteinander zu reden.
({9})
Darüber hinaus ist die von Ihnen vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung kommunalfeindlich. Erst vor wenigen Tagen haben die kommunalen Spitzenverbände dargelegt, daß für die Kommunen die finanzielle Belastung durch das vorliegende Steuerpaket nicht tragbar ist. Nach Angaben dieser Verbände - und sie sind noch nicht widerlegt - ergeben sich für die kommunalen Gebietskörperschaften mindestens Haushaltsmehrbelastungen von fast einer Milliarde DM im Jahre 1978
({10})
und dann bis 1981 von fast. 1,3 Milliarden DM jährlich. Das heißt also, in den nächsten vier Jahren belasten Sie die Haushalte der Kommunen hierdurch mit weit mehr als 4 Milliarden DM. Verstehen Sie denn nicht, daß dies mit einer der entscheidenden Gründe für die Kommunen ist - und auch für die Länder, die ja für die Finanzierung der Kommunen verantwortlich sind -, darauf zu bestehen, daß dieses Steuerpaket keine Wirksamkeit erlangen kann? Als ich Ihr Steueränderungsgesetz 1977 las, habe ich mir eigentlich gedacht, Sie haben das Steuerpaket so zugeschnitten, damit es auf keinen Fall jemals Rechtswirksamkeit erlangt.
({11})
Die Steuerausfälle bei der Gewerbesteuer sind in den eben genannten Zahlen bereits enthalten, aber noch nicht die Ausfälle durch die Grunderwerbsteuerbefreiung, die - wir sind für diese Grunderwerbsteuerbefreiung im Bereich der Neuformulierung des
§
7 b - aber doch ganz erhebliche Beträge ausmachen, Beträge, die an die halbe Milliarde DM pro Jahr ausmachen. Die Kommunen wehren sich deswegen - nach unserer Auffassung mit Recht - dagegen, daß der Bund sein steuerpolitisches Konzept einseitig zu Lasten der Städte, Gemeinden und Kreise verwirklichen will.
Zu der Rücksichtslosigkeit gegenüber den Gemeinden auf dem Gebiete der Ausgaben - was haben denn die Gemeinden für Ausgaben? Sie haben doch einen Großteil dessen finanziell auszubaden, was durch Bundesgesetze beschlossen wird;
({12})
denken Sie doch z. B. nur an die vorhin schon erwähnte Sozialhilfe, die die Bürger immer mehr in Anspruch nehmen müssen, wenn die Arbeitslosigkeit weiterhin dieses Ausmaß beibehält - kommt noch die Rücksichtslosigkeit auf dem Gebiet der Einnahmen.
({13})
Die Reihe der Argumente, die hier und heute gegen die Mehrwertsteuererhöhung geltend gemacht werden können, ließe sich noch fortsetzen. Ich will aber nur noch ein Argument erwähnen, das mir allerdings sehr wichtig erscheint: Die Mehrwertsteuererhöhung schädigt - Sie haben das zwar vorhin bestritten, aber gerade deswegen muß man es ja darlegen - wieder einmal den Sparer, der ohnehin der Hauptverlierer einer Inflation ist. Sie meinen zwar, insoweit sei alles gut, weil die Ersparnisse von der Umsatzbesteuerung freigestellt werden. Das war uns natürlich auch vorher klar. Aber Sie übersehen - besser, meine ich: Sie wollen es nicht wahrhaben, Sie sehen es sehr wohl -, daß bei einem Geldvermögen von 940 Milliarden DM in Deutschland eine nur einprozentige Inflation jährlich 9,4 Milliarden DM an Vermögen einfach vernichtet, wegfrißt. Bei einem erwarteten Preisschub von 1,5 % wird der Wertverlust also 14,1 Milliarden DM betragen. Was hier vernichtet wird, ist mehr als das, was die Mehrwertsteuererhöhung brutto überhaupt ausmacht.
Bei der Vielzahl der Argumente ist es kein Wunder, daß diese Mehrwertsteuererhöhung, die zur Finanzierung der Ausweitung des Staatsanteils, zum Stopfen von Inflationsschlaglöchern dienen soll, von allen, aber wirklich von allen Bevölkerungsgruppen und von allen Verbänden einhellig abgelehnt wird. Nur zwei Ausnahmen gibt es: die SPD und offenbar auch die FDP. Meinen Sie wirklich, Sie vertreten bei diesem Ihren Antrag, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, das Volk? Meinen Sie nicht vielmehr, daß Ihnen in dieser Frage - wie in vielen anderen ja übrigens auch - der Kontakt zum Volk völlig verlorengegangen ist? Deshalb müssen Sie nun auch versuchen - und Sie versuchen es in dem vorliegenden Steuerpaket -, Ihre unseriöse Finanz- und Haushaltspolitik der vergangenen Jahre zu kaschieren und zu vertuschen. Ich habe mich vorhin gefragt, als Sie von den unabwendbaren Staatsaufgaben und dem Erfordernis sprachen, desDr. Kreile
wegen die Staatseinnahmen zu erhöhen: Ja, wer hat denn den Staatshaushalt dahin gebracht, daß er im Moment nicht mehr Einnahmen hat? Das waren doch Sie mit Ihrer Finanzierungspolitik, das waren doch Sie mit Ihrer Haushaltspolitik, mit Ihrer Gesamtpolitik. Sie können doch nicht so tun, als wäre es sozusagen ein von oben gegebenes Fatum, daß Sie zu wenig Geld haben. Sie haben es verschleudert.
({14})
- Na ja, dann lassen Sie mich mal einen anderen Stil wählen! Auch wenn er Sie stört, müssen Sie sich überlegen, ob das, was ich sagte, nicht richtig ist, ob Sie das widerlegen können.
({15})
Sie finden nicht den Mut, Ihre Fehler, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben, einzugestehen, sondern Sie suchen Ihr Heil in der Flucht nach vorn, in der Flucht in eine immer höhere Steuer-und Abgabenbelastung der Bürger, in einer Flucht in den Steuer- und Abgabenstaat;, denn es ist doch ganz unbestreitbar: Das vorliegende Steuerpaket ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Mit der Steuererhöhung soll der übermäßige Anstieg des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt - wir nähern uns ohnehin bald der 50 %-Grenze - nachfinanziert werden. Wenn wir uns hiergegen wehren, dann aus der klaren Erkenntnis, daß dieser Anstieg zum Stillstand gebracht werden muß. Wir werden ohnehin genügend Schwierigkeiten haben, nachdem es soweit vorangeschritten ist, diesen Staatsanteil wieder zurückzudrängen.
Herr Bundesfinanzminister, das Bezeichnendste au Ihrer Einführungsrede war für mich, daß Sie nach wenigen Einleitungsfloskeln, wie beispielsweise der umwerfend neuen Erkenntnis, daß die Politik die Kunst des Möglichen sei - ich meine: Ihr Steuerpaket ist die Kunst des Unmöglichen -,
({16})
und nach der weiteren Einleitungsfloskel, daß Steuersenkungen für einen Einnahmenminister schmerzlich seien, aufgehört haben - ich möchte fast sagen: aufgegeben haben -, Ihr Steuerpaket offensiv zu vertreten und zu begründen.
({17})
Sie haben sich statt dessen in die Defensive geflüchtet und versucht, die Darlegungen der Opposition über die Höhe der Abgaben- und der Steuerquote zu relativieren.
Darüber, was Steuerquote und was Abgabenquote sind, müßten wir uns doch wohl seit längerer Zeit einig sein. Aber wenn Sie meinen, das Parlament hier als eine Art Volkshochschule betrachten zu müssen - gut, dann soll Ihnen das gern gestattet werden.
({18})
- Verehrter Herr Kollege, jetzt nennen Sie mir bitte einmal einen von uns, der nur zehn Tage hier in diesem Parlament gewesen ist - der ja nicht ganz aus Zufall gewählt worden ist, sondern deshalb, weil die Wähler geglaubt haben ({19}), daß er politischen Sachverstand nicht erst im Parlament erwirbt, sondern schon vorher mitbringt - und der nicht in der Lage ist, den Unterschied zwischen Abgabenquote und Steuerlastquote zu erkennen. Sie wollen es bloß angesichts der hohen Abgabenquote nicht wahrhaben.
Mir ist auch ganz klár gewesen, daß sich der Bundesfinanzminister gedacht hat: Da soll der Bundesarbeitsminister, Herr Ehrenberg, einmal selber herkommen, und der soll die Prügel dafür beziehen, daß sich seine Sozialversicherungsbelastungsquote immer erhöht, wodurch Sie in die Schwierigkeit geraten, daß man auf eine außerordentliche Gesamthöhe kommt, wenn man beide Quoten gemeinsam betrachtet, was der Bürger natürlich auch tut, weil er von beiden Faktoren belastet wird.
Herr
Kollege Kreile, Sie gestatten die Zwischenfrage des Kollegen Westphal?
Herr Kollege Kreile, ist es richtig, daß die Sprecher der Opposition - Herr Strauß und Katzer -, die eigentlich über dieses Thema Bescheid wissen müßten, wie Sie es eben erläutert haben, durch die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge um 1 °/o die Abgabenquote erhöhen wollten? Können Sie mir dies bestätigen? Dann haben Sie nämlich den Tatbestand, daß diese Herren dabei sind, die Abgabenquote und die Steuerquote durcheinanderzubringen.
Wir waren bei dem Thema.
({0})
- Verehrter Herr Kollege, wir wollen ja keine staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen hier machen. Ich sage Ihnen: Die Abgabenquote ist zu hoch, und die Steuerbelastungsquote wird zu hoch werden. Das ist unser Thema. Dabei schließe ich natürlich nicht aus - niemand von uns wird das tun ({1})
- ich werde Ihre Frage gleich beantworten, stehe aber gern für weitere zur Verfügung -, daß man innerhalb der Quoten Änderungen bringt. Wogegen wir uns wehren, ist der Trend - um das ganz klär zu sagen -, mit allen Maßnahmen die Abgabenquote, die sich aus der Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge und aus der Steuerlastquote ergibt, zu erhöhen und damit den Staatsanteil auf 50 °/o zu bringen. - Bitte ,schön.
Da Sie mir nicht widersprochen haben, daß eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge um 1 °/o eine Erhöhung der Abgabenquote zur Folge hat, frage ich Sie in diesem Zusammenhang, ob die Wirkungen, die sich daraus ergeben, von Ihnen bestritten werden. Im Vergleich dazu hat der Herr Bundesfinanzminister vorhin Zahlen vorgelegt, nach denen die Steuerquote als Teil der Abgabenquote im Vergleich der Jahre 1962 und 1964 mit dem Jahr 1977 zurückgegangen ist, dazu noch unter Einschluß des Tatbestands, daß jetzt das Kindergeld über die außerhalb des Staatsfiskus liegende Kasse der Arbeitsverwaltung läuft.
({0})
- Darf ich vorher ganz kurz die Frage des Kollegen Westphal beantworten. - Herr Kollege, wenn Sie mir die Frage so stellen, dann fühle ich mich an den Konkursrichter erinnert, der in der Gläubigerversammlung den Vorwurf bekommt, daß das Unternehmen, das er aus dem Konkurs herausziehen soll, überhaupt in Konkurs gegangen ist. Unsere Aufgabe ist es doch, die Finanzierung, die Sie verfehlt haben, die Verschuldung, die Sie herbeigerufen haben, mit manchmal schmerzhaften Mitteln
- das werden Sie sicherlich noch merken - in Ordnung zu bringen.
({1})
Das, was Sie mich gefragt haben, ist doch das, was Sie sich selber anlasten müssen.
({2})
Herr Abgeordneter Kreile, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege Kreile, würden Sie dem verehrten Herrn Kollegen Westphal zur Kenntnis geben, daß weder Herr Kollege Katzer noch Herr Strauß gefordert haben, den Beitrag zur Rentenversicherung zu erhöhen, sondern daß beide zum Ausdruck gebracht haben, daß als ultima ratio, sofern andere Maßnahmen zur Sanierung der Rentenfinanzen nicht möglich sind, eventuell auf eine Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages zurückgegriffen werden müßte?
({0})
Verehrter Herr Dr. Jenninger, ich gestehe Ihnen das sehr gerne zu. Ich gehe sogar gern noch weiter und erinnere daran, daß dieser Vorschlag, der hier nicht als Vorschlag, sondern, Herr Kollege Westphal, als ultima ratio gedacht worden ist, kurz nach der Wahl auch auf Ihrer Seite gedacht worden ist. Die turbulente Fraktionssitzung, die Sie damals gehabt haben, ist ja nicht zuletzt darauf zurückzuführen gewesen, daß Ihre
Finanzpolitiker ebenfalls gesehen haben, daß ultima ratio ihrer eigenen Finanzpolitik möglicherweise nur das sein könnte.
({0})
Nach diesem Ausflug, der ein dringender Ausflug - ich gestehe es Ihnen zu - in die Sozialpolitik war, sollten wir wieder zu der Steuerpolitik dieses Bundesfinanzministers zurückkehren. Er hat es herbeigeführt, daß wir über die unterschiedlichen Auffassungen über die Abgabenquote und die Steuerlastquote hier zu sprechen haben. Herr Bundesfinanzminister, über eines sind wir uns doch wohl klar: Rechnerisch betrug die sogenannte volkswirtschaftliche Steuerquote, die Sie in der Definition hier so schön wiedergegeben haben, 1976 23,54 %. 1977 wird sie bereits 23,8 % betragen. Nun wollen Sie die Steuerlastquote um den Betrag, des Kindergeldes mindern. Darüber kann man reden. Aber Sie dürfen dann natürlich auch nicht vergessen, daß sich die Steuerlastquote dann um die einmalige Investitionszulage erhöht. Wie auch immer - unter Einbeziehung dessen, was Sie gesagt haben -: Die bereinigte Steuerquote, die auf diese Weise bereinigte Steuerquote hat schon 1976 die traditionelle Steuerschallmauer von 24 % entweder anvisiert oder durchbrochen. Das sollen die Rechner miteinander ausmachen. Wir können uns darüber einig sein: Anvisiert oder durchbrochen ist diese Grenze von 24 %. Weiter müssen wir uns über folgendes im klaren sein: Eine Umsatzsteuererhöhung um zwei Prozentpunkte würde die volkswirtschaftliche Steuerlastquote um einen Prozentpunkt und damit auf 25 % anheben.
Kurzum und immer wieder: Steuererhöhungen sind der falsche Weg, um einerseits die öffentliche Verschuldung zu verringern und andererseits die Investitionsfähigkeit und Investitionsbereitschaft zu wecken und damit die Voraussetzungen für den Abbau der Arbeitslosigkeit zu schaffen. Arbeitslosigkeit und Verschuldung sind nur bei einem ausreichenden Wirtschaftswachstum zu beseitigen. Die Sachverständigen schätzen die längerfristig erforderliche durchschnittliche Wachstumsrate auf 6 °/o ein. Solches Wachstum ist nur bei einer Zunahme der realen Investitionen um 8 °/o jährlich zu erreichen. Dazu bedarf es einer Steigerung der Investitionsfähigkeit und vor allem einer Überwindung der Vertrauenskrise, vornehmlich bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Die vielfältigen Äußerungen von in Ihrer Partei maßgebenden und von derzeit auch noch nicht maßgebenden SPD-Politikern, die sich aber anheischig machen, es bald zu werden, lassen doch die Unternehmer das Gefühl nicht loswerden, daß die Systemveränderer mit gewetzten Messern bereit stehen und auf ihre Stunde warten. Wo, meine Damen und Herren, frage ich Sie, soll bei solchen Gesetzen und bei solchen Vorgängen denn das Vertrauen herkommen?
Notwendig ist es, hier ein deutliches Zeichen zu setzen. Im Bereich der Steuerpolitik müssen die Weichen erkennbar umgestellt werden, und zwar in Richtung auf eine wieder wirtschaftsgerechte Gestaltung des Steuersystems, wobei ich, um einem
Zwischenruf gleich zuvorzukommen, sagen möchte: ich verstehe unter Wirtschaft ebenso Arbeitnehmer wie Arbeitgeber.
Wir sind uns klar darüber, daß bei dieser Finanzmisere nicht alles gleichzeitig getan werden kann. Allerdings muß der Abbau der heimlichen Steuererhöhungen, zumindest ein Teilabbau, im Vordergrund stehen. Der Abbau der Überbelastung mit ertragsunabhängigen Steuern, wobei ich insbesondere an die Gewerbekapitalsteuer und an die geradezu zum Abbau von Arbeitsplätzen herausfordende Lohnsummmensteuer denke, muß dazukommen, ebenso wie eine stärkere Förderung von Forschungsinvestitionen und im sozialen Bereich eine stärkere Förderung der kinderreichen Familien. Das, Herr Finanzminister, wäre ein Steuerprogramm, das diesen Namen wirklich verdiente. Doch was Sie auf der Entlastungsseite Ihres Steuerpakets anbieten, ist - ich darf dieses Zitat wieder bringen - reine Flickschusterei.
({1})
Ich verkenne nicht, daß es Sie enorme Anstrengungen und enorme Überwindung gekostet haben muß, die Senkung der Vermögensteuersätze zu beschließen. Wem dies noch nicht klar war, der wird es in Ihrer Rede gemerkt haben, wo Sie dieser Vermögensteuersenkung einen ganzen Satz gewidmet haben, einen Satz, ,der zudem nicht bloß die Vermögensteuer betraf, sondern der besagte, daß alle ertragsunabhängigen Steuern an die Substanz gehen können. Wenn ich jetzt unten im Parlament säße, würde ich rufen: „Sehr wahr, Herr Bundesfinanzminister!"
Aber sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Anhebung der Vermögensteuer seinerzeit bei der großen Steuerreform einer der Kardinalfehler Ihrer von Ihnen heute wieder gepriesenen und als zukunftsweisend bezeichneten Steuerreform gewesen ist, daß es ein Kardinalfehler war, daß Sie damals wider alle Vernunft und auch wider alle Warnungen die Erhöhung der Vermögensteuersätze durchgepaukt haben, die Sie jetzt zurückzuziehen und zu reduzieren gezwungen sind?
({2})
- Bedauerlicherweise; aber wir wollten damals das Inflationsentlastungsprogramm, das für uns ganz entscheidend wichtig war, retten, und deswegen haben wir zugestimmt. Aber nie mehr werden wir einem Steuerpaket zustimmen, bei dem man uns einen guten Tropfen in einer Summe von schlechten Tropfen serviert.
({3})
Ich werte die jetzige Absicht, diesen Schritt rückgängig zu machen, immerhin als einen Sieg der Vernunft über die Ideologie, und ich möchte dazu sagen: diejenigen, die in Ihrer Partei dazu beigetragen haben, sind des Dankes sicher.
({4})
- Ja, nicht Ihres; das ist mir schon klar. Doch
warum glauben Sie, daß Sie das Rückgängigmachen
des Fehlers mit einer Mehrwertsteuererhöhung koppeln müssen? Man kann doch nicht einen Fehler dadurch korrigieren, daß man einen neuen begeht.
({5})
Warum kann oder will die Bundesregierung denn diesen Fehler nicht dadurch rückgängig machen, daß sie genau auf die Steuern verzichtet, die sie vier Jahre nach ihrer eigenen Meinung offenbar fälschlicherweise erhoben hat? Man muß, wenn man Fehler gemacht hat, diese berichtigen und sollte sie nicht mit neuen Fehlern kaschieren.
Eine ähnliche Frage stellt sich auch bei den sogenannten heimlichen Steuererhöhungen, die dadurch eintreten, daß der Einkommenstarif und zahlreiche Freibeträge, Freigrenzen, Obergrenzen usw. nicht oder nur unzureichend an die Entwicklung des Geldwerts angepaßt werden, die seit der Einführung oder der letzten Änderung der Freibeträge eingetreten ist. Diese heimlichen Steuererhöhungen, deren steiler Anstieg 1975 mit der von Ihnen konzipierten Steuerreform bereits vorprogrammiert war, betragen ganz grob gerechnet zwischen 5 und 6 Milliarden DM im Jahr. Die Steuereinnahmen, die auf heimlichen Steuererhöhungen beruhen, addieren sich also von Jahr zu Jahr, im ersten Jahr 5 Milliarden, im zweiten Jahr 5 plus dem zusätzlichen Betrag. Kurzum, wir haben einen heimlichen Steuererhöhungsbetrag, den man griffweise wohl auf 10 bis 14 Milliarden DM schätzen kann. Ich muß sagen „wohl", denn Sie, Herr Bundesfinanzminister, weigern sich ja ausdrücklich, eine Kleine Anfrage der Opposition zu beantworten, die nur haben wollte, daß Sie das berechnen; die überhaupt noch nicht Anträge stellen wollte, welche heimlichen Steuererhöhungen berichtigt werden müssen. Denn das ist uns klar, daß man nicht alles gleichzeitig machen kann. Sie haben in der Antwort auf die Kleine Anfrage erklärt, das sei zu schwierig, bringe eine zu große Arbeitsbelastung mit sich, und dann haben Sie weitschweifig und umfangreich anderes beantwortet, was überhaupt nicht gefragt worden ist. Ich weiß nicht, wer Ihnen diese von Ihnen unterschriebene Antwort vorgelegt hat, aber sie hat ein außerordentliches Maß an Unverfrorenheit. Wir werden Sie in diesem Punkt weiter fragen, bis wir die Antwort entweder bekommen oder bis wir uns die Antwort im Bundesfinanzministerium selbst ausrechnen können.
({6})
- Ich habe das ja alternativ gesagt. Wir werden es schon herausbekommen, dessen können Sie versichert sein.
Ihre vorgeschlagenen Entlastungsmaßnahmen in dem Bereich, in dem Inflationsanpassungen von Ihnen vorgenommen werden, stellen doch überhaupt nichts anderes als den Abbau der heimlichen Steuererhöhungen dar, und zwar nur in einem ganz schmalen Bereich. Die Erhöhung der Sonderausgabenhöchstbeträge um 300 DM erfolgt gerade in dem Ausmaß, wie die Lebenshaltungskosten seit 1975 gestiegen sind, sie deckt aber in keiner Weise die
Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge bis zum 1. Januar 1978 ab.
({7})
Was ist das, mit Verlaub gesagt - Herr Dr. Böhme, weil Sie hier gerade zurufen -, für eine Volksverdummung, wenn man sagt, dies sei eine Steuererleichterung! Das ist eine notwendige Steueranpassung, die Sie machen. Sie sollten sagen: Diese Steueranpassung müssen wir wegen der inflationären Politik machen. Aber das als Steuererleichterung zu bezeichnen, dazu würde der Herr Bundesfinanzminister mit seinem Sprachschatz auf hanseatisch sagen: Das ist unseriös. In der Tat, Herr Bundesfinanzminister, genau das ist es auch!
({8})
- Ich darf darauf später noch einmal zurückkommen.
Die von der Bundesregierung vorgesdilagene Gewerbesteuersenkung durch die Erhöhung der Freibeträge ist kein echter Einstieg in die notwendige Gewerbesteuerreform. Nicht nur dieses Hohe Haus, sondern jeder an der Steuerpolitik interessierte Bürger und jeder von der Steuerpolitik betroffene Bürger wird dodi nodi die Worte des FDP-Vorsitzenden Genscher drei Tage vor der Wahl im Ohr haben, der gesagt hat:
Wir müssen auch einmal daran denken, daß die Gewerbesteuer, die es praktisch nur bei uns gibt, verschwinden müßte. Es gibt eine Reihe von Bundesländern, die noch die Lohnsummensteuem erheben - in einer Zeit, wo wir uns um die Schaffung von Arbeitsplätzen bemühen, ist das doch geradezu eine Arbeitsplatzbestrafungssteuer. Das muß in diesen Bundesländern weg.
Hat denn die FDP diese Einsichten, die auch ihr Wirtschaftsminister in seinen Sonntagsreden so hervorragend eloquent immer wieder vorträgt, jetzt nach der Wahl vergessen? Natürlich, Sie haben sie nicht vergessen. Das ist mir schon klar. Aber ich meine, wenn Herr Genscher sagt, man müsse daran denken, dann muß man auch einmal darangehen, hier zu handeln.
({9}) Wir werden Sie daran erinnern.
({10})
Herr Kollege Kreile, könnten Sie uns vielleicht eine Andeutung machen, in welcher Richtung Sie über das hinaus, was jetzt als Erleichterung auf dem Gebiet der LohnsummenSteuer vorgeschlagen wird, tätig werden könnten und wollten?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, ich darf hier damit antworten, was ihr Parteivorsitzender zu dieser Frage gesagt hat. Uns. allen
ist es klar, daß das Problem der Gewerbesteuerbeseitigung nur mit einer Gesamtregelung und Gesamtneustrukturierung unseres Steuersystems gelöst werden kann. Das ist es doch, was ich diesem Steueränderungsgesetz 1977 vorwerfe: daß Sie Detailprobleme, sozusagen nur das, was Sie gerade sehr beißt, regeln, obwohl wir jetzt am Anfang einer neuen Legislaturperiode die Möglichkeit gehabt hätten, uns über einen großen Wurf, auch über das, was Sie sozusagen konzeptionell schon vorweggedacht haben - da sind wir uns ja völlig einig -, hätten hier unterhalten können. Wir hätten uns darüber unterhalten können, wie diese totale Neukonzeption - eine Neukonzeption im europäischen Bereich - hier stattfinden kann.
({0})
Dann könnten wir über manches andere reden, aber nicht auf diese kleinliche und buchhalterische Weise des Steuerpakets 1977.
Herr
Abgeordneter Kreile, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Kollege Kreile, ich möchte eine Zusatzfrage stellen. Erlauben Sie, daß wir zur Kenntnis nehmen, daß Sie davon ausgehen, daß wir die Mehrwertsteuer in diesem Zusammenhang dann wohl auch auf europäisches Niveau anheben könnten. Hätten Sie die Güte zu sagen, wo Sie dann mit Ihren konjunkturpolitischen, sozialpolitischen und ähnlichen Bemerkungen blieben; denn Sie wissen wohl ebensogut wie wir, wo das europäische Niveau der Mehrwertsteuer heute liegt?
Ich freue mich, daß Sie zur Kenntnis genommen haben - das haben Sie ja schon früher gewußt; das ist ja heute nicht das erste Mal -, daß wir bei einer Neustrukturierung unseres Steuersystems im Rahmen der europäischen Harmonisierung, bei einer Abschaffung der Gewerbesteuer, bei einer Abschaffung der einheitswertunabhängigen Steuern in dem Bereich, die die Substanzbesteuerung bringt, bei Nichterhöhung der Steuerlastquote natürlich eine völlig andere Ausgangsbasis haben, als sie jetzt bei Beibehaltung dieser Petrefakte im Bereich des Steuerrechts gegeben ist. Unser Vorwurf ist doch, daß nicht darangegangen wird. Unser Vorwurf ist doch, daß Sie das erkennen und daß Sie es jetzt nicht tun. Aber ich gebe Ihnen zu, daß Sie es möglicherweise in Ihrer. jetzigen Situation nicht tun können.
({0})
Wir können uns ja über diesen Punkt dann noch weiter unterhalten.
Lassen Sie mich langsam zum Ende kommen.
({1})
Was in diesem Steuerpaket von Ihrer Seite überhaupt nicht berücksichtigt ist, eine Sünde, die Sie in diesem Steuerpaket erneut begangen haben, ist der Verstoß gegen die Vereinfachung des Steuerrechts. Ich denke nur an die wirklich erschreckende
Regelung, die Sie hier bei den Sonderausgaben für bestimmte Arbeitnehmergruppen vorgesehen haben. Sie umfaßt eine ganze Schreibmaschinenseite. Das ganze Problem, über das Sie dann im Kabinett gestritten haben, macht 20 Millionen DM aus. Dafür haben Sie sich aber wahrscheinlich aus ideologischen Gründen und wohl durchaus in der Erkenntnis, daß das so kommen wird, den Verdacht aller deutschen Beamten zugezogen, daß Sie gegen sie sind. Sie können deswegen nicht erstaunt sein, wenn die Steuerbeamten, die ja dieses neue Steuersystem wieder zu praktizieren haben, das den Steuerdschungel wiederum zu einem Dickicht machen will, über Sie folgendes sagen. Ich darf es Ihnen vorlesen. Sie kennen es wahrscheinlich. Es freut Sie nicht, aber ich muß es trotzdem tun. Die deutschen Steuerbeamten haben hier vorgetragen:
Der Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1977 ist eine eindeutige Absage an systematische Steuerpolitik und widerspricht den Grundsätzen der Steuergerechtigkeit einschließlich der Steuervereinfachung; er ist das Produkt konzeptionsloser Tagesgeschäftigkeit mit aneinandergereihten Nettigkeiten nach dem Gießkannenprinzip mit dem Weg des geringsten Widerstandes.
Dies können wir nur noch als Absage
- so sagen die deutschen Steuerbeamten an Steuerpolitik im eigentlichen Wortsinn verstehen, was nur noch als Folge der Tatsache zu erklären ist, daß die Bundesrepublik Deutschland zwar über einen Haushalts- und Währungsminister,
- na, darüber kann man auch streiten aber nicht über einen Steuerminister verfügt, der sich der mühsamen Steuerstrukturpolitik widmet, deren Erfolg angesichts der bedrückenden Steuerlast allein auf Dauer einen deutschen Glistrup oder Poujade verhindern kann.
Das ist ein vernichtendes Urteil. Sie werden es uns nicht verübeln, wenn wir uns diesem Urteil anschließen.
({2})
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben für die Bundesregierung diesen Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1977 vorgelegt und haben dem Bundesrat nicht die Möglichkeit gegeben, zu diesem Zeitpunkt, zu der heutigen Auseinandersetzung in der ersten Lesung, seine Stellungnahme abzugeben. Sie haben natürlich das formale Recht, hier die Eilbedürftigkeit zu behaupten. Man muß Ihnen, wenn es behauptet wird, die Eilbedürftigkeit konzedieren. Aber Sie haben - Sie sind ja nicht erst seit der Wahl im Amt, sondern schon ein bißchen länger; Sie haben doch gewußt, was Ihnen bevorsteht - nun doch eine geraume Zeit gehabt, diesen Steueränderungsgesetzentwurf vorzulegen. Zu diesem Zeitpunkt, wo Sie ihn vorlegen, verhindern Sie jedoch eine wirklich alle Argumente ausbreitende Debatte, indem Sie dem Bundesrat die Möglichkeit nehmen, hier rechtzeitig die eigene Stellungnahme abzugeben. Natürlich schreiben Sie in Ihrer Vorlage, der Bundesrat habe die Möglichkeit, seine Stellungnahme nachzureichen. Ganz sicher werden wir im Finanzausschuß dann über die nachgereichte Stellungnahme zu 'diskutieren haben. Aber der Sinn unseres Gesetzgebungsverfahrens, wie es das Grundgesetz als Regelfall vorsieht, ist, daß bereits zur ersten Lesung der Bundesrat seine Argumente vorgebracht hat. Es ist bedauerlich, daß Sie das hier nicht ermöglicht haben.
Die Bundesregierung hat heute durch die Einführungsrede des Bundesfinanzministers erklärt, wenn die Mehrwertsteuererhöhung abgelehnt werde, falle auch das Steuersenkungsprogramm, und das Steuerpaket, das Steueränderungsgesetz 1977, könne nur so, wie es vorgelegt werde, angenommen oder abgelehnt werden. Herr Bundesfinanzminister, mit der gleichen Eindeutigkeit kann ich hier für die CDU/ CSU-Fraktion erklären: Dieses Steuerpaket, dieses Steueränderungsgesetz 1977 wird von uns abgelehnt. Es wird - so, wie es ist - im Gesetzgebungsverfahren scheitern.
Nötig sind jetzt nicht Steuererhöhungsgesetze. Nötig ist ein Gesetz, das die derzeitige Oberbesteuerung ändert, also ein wirkliches Steueränderungsgesetz. Sein Ziel muß der Abbau der leistungsfeindlichen, investitionshemmenden und damit arbeitsplatzvernichtenden Besteuerungsvorschriften sein. Sein Ziel ist die Schaffung von mehr Steuergerechtigkeit durch Beseitigung der unsozialen heimlichen Steuererhöhungen. Dieses Ziel wird die Union für den Steuerbürger, für die Arbeitnehmer und für die Wirtschaft, d. h. für unseren Staat, erreichen.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Böhme.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Kreile, im Finanzausschuß wird es niemanden geben, der Ihre Sachkompetenz und Ihre Fairneß in der Verhandlung des Finanzausschusses in Frage stellen würde. Deswegen bedaure ich sehr, daß Sie vorhin diese Rede gehalten haben. Sie haben, Herr Dr. Kreile, mit dieser Rede Ihr Licht bestimmt unter den Scheffel gestellt.
({0})
Ich will zur Sache kommen. Meine Damen und Herren, schon vier Monate nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers liegen zu allen wesentlichen steuerpolitischen Vorhaben, die in der Regierungserklärung genannt sind, die ausformulierten Gesetzentwürfe vor, nämlich das Steueränderungsgesetz 1977 und der Gesetzentwurf zur Neuregelung von § 7 b des Einkommensteuergesetzes sowie der Grunderwerbsteuer. Während die Opposition uneins ist und fast jeden Tag mit widersprüchlichen Erklärungen zur Mehrwertsteuer aufwartet, handelt die Bundesregierung: in der Steuerpolitik mit dem Steueränderungsgesetz und der Neufassung des § 7 b, in der Zukunftsvorsorge für unsere Volkswirtschaft mit einem 16-Milliarden-Pro1540
Dr. Böhme ({1})
gramm und in der Haushaltspolitik durch die Vorlage eines ausgeglichenen Etats 1977. Allein in der Finanzpolitik sind diese drei Brocken in den letzten sechs Wochen vom Kabinett entschieden worden. Schon das Volumen dieser Vorlagen beweist Tatkraft und politischen Führungswillen dieser Bundesregierung und der sie tragenden sozialliberalen Koalition.
({2})
Es war zu erwarten, daß die Opposition auch in dieser Debatte kein glaubwürdiges Konzept einer steuerpolitischen Alternative auf den Tisch legte. sondern ihre einseitige Polemik fortsetzte, die sich immer wieder auf die gleiche Formel bringen läßt: vom Staat mehr Ausgaben verlangen und dem Staat gleichzeitig mehr Einnahmen verweigern.
({3})
Beides zusammen geht nicht. Deshalb nenne idh diese Politik der CDU/CSU-Opposition unehrlich, unredlich und ohne jede Verantwortung.
({4})
Unehrlich und unredlich, weil bei den Bürgern der Eindruck erweckt werden soll, die CDU/CSU würde die Steuern senken, und zwar für alle Gruppen in unserem Lande, für Arbeiter, Angestellte, Beamte, Selbständige und natürlich die Unternehmer.
({5})
Typisch ist in diesem Zusammenhang die Kleine Anfrage der CDU/CSU zum Thema „heimliche Steuererhöhungen”. In dieser Anfrage werden 63 - ich wiederhole: 63! - Freibeträge und Freigrenzen genannt, welche die Bundesregierung auf die Anpassung an die Geldentwertung überprüfen soll. Was soll diese Anfrage, möchte idh hier feststellen, wenn nicht gleichzeitig gefragt und politisch entschieden wird, welche Freibeträge oder welche Freigrenzen geändert werden sollen und in welcher Höhe? Oder sollen, Herr Dr. Kreile, alle 63 Freibeträge und Freigrenzen angehoben werden? Man weiß es nicht. Auf konkrete Ergebnisse kommt es nicht an, sondern offensichtlich nur darauf, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, die CDU/CSU sei die Hüterin und Sachwalterin der Abgabenentlastung in diesem Staat.
({6})
Die Wirklichkeit - ich komme gerade darauf - sieht leider anders aus. Denn immer dann, wenn man Sie beim Wort nehmen kann, z. B. in der letzten aktuellen Diskussion über die Rentensanierung, ist die CDU/CSU für die Erhöhung von Abgaben eingetreten. Ihre Sprecher Katzer und Strauß waren für die Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung, was natürlich die Abgabenquote erhöht, den Staatsanteil ausgeweitet und die Wirtschaft belastet hätte. Alles Argumente, Herr Dr. Kreile, die jetzt von ihnen gegen die Mehrwertsteuererhöhung vorgebracht werden!
Was heißt hier in der Zwischenfrage des Herrn Dr. Jenninger „Ultima ratio"? Ultima ratio ist immer, wenn die Kasse leer ist, und darum geht es: daß wir hier Sparmaßnahmen durchführen müssen.
({7}) Ihr seid doch die
Plünderer! - Weitere Zurufe von der CDU/
CSU))
Sie haben die Möglichkeit, Ihren Sparwillen beim Programm zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen unter Beweis zu stellen.
({8})
An dieser Argumentation der CDU/CSU wird beispielhaft deutlich, daß hier bedenkenlos Positionen ausgetauscht werden. Das halte ich für unredlich, wenn gleichzeitig die Frage der Abgabenbelastung von Ihren Sprechern zu einer Grundsatzfrage hochstilisiert worden ist und die Freiheit für den einzelnen gefordert wird gegen den „Steuern-und Abgabenstaat" .
({9})
Diese Argumentation - ich komme noch darauf zurück - ist aber auch ohne jede Verantwortung. Denn wenn die Steuern und Abgaben gesenkt werden sollen, müssen entsprechend auf der Ausgabenseite Kürzungen vorgenommen werden. Davon ist jedoch keine Rede. Ganz im Gegenteil. Bei jeder Gelegenheit sonnt sich die Opposition geradezu in neuen Forderungen nach mehr Wohngeld, nach mehr BAföG, mehr Kindergeld, mehr Entwicklungshilfe, mehr Mitteln für die Bundeswehr, für die innere Sicherheit usw. usw. Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun. Das ist hier in den Haushaltsdebatten erhoben und erörtert worden von Ihnen.
({10})
Natürlich, alles Forderungen, die Geld kosten, was der Staat nur über Steuern finanzieren kann. Auf dem unpopulären Gebiet der Steuergesetzgebung möchte die CDU/CSU dann aber von ihren Ausgabenwünschen nichts mehr wissen und entzieht sich, wie ich vorhin sagte, der Verantwortung. Für die Steuerpolitik der Union gilt: Aus allem höre ich stets das Nein. Im Grunde ist diese Dauerpolemik - es tut mir leid, dies zu sagen; aber so ist es - ein Appell zur Steuerverweigerung unserer Bürger, ein Poujadismus in christdemokratischer Verpackung.
({11})
Mit dieser Art der Auseinandersetzung ist dem Bürger draußen freilich nicht geholfen. Jeder weiß, daß die Frage der Steuern und Soziallasten, also der Abgaben insgesamt, in der Offentlichkeit zu einem Schwerpunktthema geworden ist. Mit Recht will. der Bürger wissen, wie es hier weitergeht. Solchen Fragen muß sich dieses Parlament stellen. Polemik ersetzt keine Politik.
({12})
Dr. Böhme ({13})
Es kommt also darauf an, offen und ehrlich die Daten und Fakten, was die Abgabenbelastung angeht, zu benennen und gleichzeitig den Zusammenhang zwischen staatlicher Last und staatlicher Leistung herzustellen. Das Zahlen von Steuern und Sozialabgaben ist schließlich nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, welche Leistungen der Staat dem Bürger mit diesem Geld zur Verfügung stellt.
Lassen Sie mich hier einige Punkte nennen, die auch die Verschiebungen in unserem Steuerrecht berücksichtigen und erklären helfen sollen.
Erstens. Die Gliederung unseres Steueraufkommens, also die Zusammensetzung unserer Steuereinnahmen insgesamt hat sich in den letzten Jahren langsam, aber stetig verändert. So hat sich das Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern von 1960 bis 1976 geradezu umgekehrt. Während 1960 die indirekten Steuern noch den überwiegenden Anteil am gesamten Steueraufkommen aufwiesen - nämlich einen Anteil von 51 % -, sackte dieser Anteil bis zum Jahre 1976 auf 41 °/o ab. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der direkten Steuern, also insbesondere der Lohn- und Einkommensteuer, von 49 % im Jahre 1960 auf 59 % im Jahre 1976 angestiegen. Davon betrug allein der Anteil der Lohnsteuer 31 %.
({14})
- Das war ein sehr intelligenter Zwischenruf.
Wer also das weitere Ansteigen der direkten Steuern - vor allem also der Lohnsteuer - dämpfen will, muß zum Ausgleich bei den indirekten Steuern bereit sein. Deshalb spricht die steuerpolitische Logik und die Balance zwischen den einzelnen Steuerarten für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitiger Senkung der Steuerlast bei den direkten Steuern. Meine Damen und Herren, genau auf dieser Linie liegt unser Steueränderungsgesetz mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Senkung der Steuerbelastung durch die direkten Steuern. Natürlich wird hier nicht einem allgemeinen Austauschgeschäft zwischen Lohnsteuersenkungen und Mehrwertsteuererhöhungen das Wort geredet. Dies kann angesichts der vorherrschenden Größenordnung wirklich nicht behauptet werden. Wer jedoch in der gegenwärtigen Situation Steuerentlastungen will, ohne die öffentliche Hand gleichzeitig zu strangulieren, muß bereit sein, bei den indirekten Steuern etwas zu tun.
Zweitens. Innerhalb des Bereichs der direkten Steuern ist der Anteil der Gewinnsteuern am Gesamtsteueraufkommen von 34 % im Jahre 1960 auf 25 % im Jahre 1976 abgesunken, während der Anteil der Lohnsteuer - ich sagte es schon - gleichzeitig auf 31 % angestiegen ist. Offensichtlich - dies nenne ich eine Strukturänderung - hat die steigende Lohnsteuer die fallenden Gewinnsteuern und den fallenden Anteil der indirekten Steuern kompensiert. Wer dies einräumt, muß zu dem Ergebnis kommen, daß künftige Steuerentlastungen vor allem im Lohnsteuerbereich erfolgen müssen. Meine Damen und Herren, was soll in diesem Zusammenhang das ständige Gerede der CDU/CSU von der Überbesteuerung der Wirtschaft, wenn die Zahlen besagen, daß der prozentuale Anteil der Gewinnsteuern der Unternehmungen am Gesamtsteueraufkommen zurückgegangen ist,
({15})
und wenn man weiß, Herr von der Heydt, daß bei den Gewinnsteuern weitere Aufkommensnischen bestehen, und zwar durch Steuerrückstände und durch die Veranlagungspraxis. In der Veranlagungspraxis sieht es ja so aus, daß zwischen Veranlagung und Begleichung der Steuerbeträge oft ein Time-lag von mehreren Jahren besteht, während Arbeitnehmer gläserne Taschen haben und jede zusätzlich verdiente Mark jeweils am 1. des nächsten Monats versteuern müssen. Die Verzinsung von Steuerguthaben beim Staat und von Steuerforderungen des Staates gegen Steuerschuldner stellt sich hier in einem besonderen Licht dar und wird zu einem besonderen Gerechtigkeitsproblem in unserem Steuerrecht.
Herr
Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stutzer?
Bitte!
Herr Kollege Dr. Böhme, geben Sie zu, daß die Mehrwertsteuer gerade die geringverdienenden Arbeitnehmer besonders stark belastet?
Herr Kollege, ich komme darauf zurück und mache Ihnen die Rechnung, wie die Belastungen tatsächlich sind, für mehrere Haushalte auf. Ich bin nicht Ihrer Meinung. Natürlich - da stimme ich Ihnen zu - wird die Mehrwertsteuererhöhung eine Belastung der privaten und der öffentlichen Haushalte zur Folge haben. Ich komme darauf zurück.
Der dritte Punkt, den ich hier ansprechen will, ist dieser: Die Bürger zahlen nicht nur Steuern und Sozialabgaben, sondern erhalten vom Staat auch Geld zurück. Diese staatlichen Geldleistungen, die man Transferleistungen nennt, z. B. Renten, BAföG, Kindergeld, Wohngeld, Sparprämien, haben inzwischen ein beachtliches Volumen erlangt und 1976 die Summe von 235 Milliarden DM erreicht. Rund 3 800 DM sind 1976 pro Kopf der Bevölkerung ausgezahlt worden. Rund 45 °/o der gesamten staatlichen Ausgaben flossen damit als Transferleistungen an die Bürger zurück. Bei diesem Volumen wird erklärlich, daß heute für den Lebensstandard des Bürgers nicht nur das Lohneinkommen entscheidend ist, sondern auch jenes Einkommen, das er als Kindergeld, Wohngeld, Sparprämie, BAföG usw. erhält.
Dieser Zusammenhang der steuerlichen Lasten mit den Leistungen unseres Staates muß jedem Bürger bewußt gemacht werden. Deshalb war bei der Reform des Familienlastenausgleichs geplant, die Kindergeldleistungen mit der Steuer zu ver1542
Dr. Böhme ({0})
rechnen. Dann hätte jeder Bürger auf dem Lohnstreifen gesehen, wie Lohnsteuer und Kindergeld einander gegenüberstehen und daß netto durch die Kindergeldzahlung mehr übrigbleibt. Dann hätte Klarheit bestanden. Die Lohnsteuerquote wäre von vornherein gemindert gewesen. Viele heutige Berechnungen der Lohnsteuerquote sind verzerrt, weil das Kindergeld nicht berücksichtigt ist.
Damit wird klar, daß bei jeder Abgabenerhöhung auch zu fragen ist, welche Auswirkungen dadurch auf die staatlichen Transferleistungen und damit das gesamte verfügbare Einkommen gegeben sind.
Natürlich gibt es hier erhebliche Probleme in der Abstimmung von Lohneinkommen und Transferleistungen, wenn z. B. die staatlichen Leistungen an Einkommensgrenzen gebunden sind. Deshalb ist es richtig und wichtig, daß die Bundesregierung eine Transfer-Enquetekommission einberufen hat, die den Einfluß der staatlichen Transfereinkommen auf die insgesamt verfügbaren Einkommen verschiedener Haushalte ermitteln und Vorschläge zu einer besseren Abstimmung zwischen marktmäßigem Einkommen und staatlichem Transfereinkommen sowie Belastungen entwickeln soll.
In diesem Zusammenhang ein Wort zum Ansteigen der Belastung durch Abgaben. In der öffentlichen Diskussion wird immer auf die sogenannte Grenzsteuerbelastung abgehoben. Die Grenzsteuerbelastung ist jene Belastung, die nur auf dem Lohnzuwachs liegt, also danach fragt, welche zusätzliche Steuer gerade auf die Lohnerhöhung zu liegen kommt. Von entscheidendem Interesse für den Bürger ist jedoch, wie das Gesamteinkommen, der Gesamtbetrag des Lohns, besteuert wird - und nicht nur der jeweilige Lohnzuwachs. Diese Gesamtbelastung kommt in der Durchschnittsbelastung des jeweiligen Gehalts zum Ausdruck.
Diese Durchschnittsbelastung ist wesentlich niedriger als die sogenannte Grenzsteuerbelastung. Im Jahre 1976 betrug die Durchschnittsbelastung mit Lohnsteuer und Kirchensteuer sowie den Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung laut Angaben des Ifo-Instituts knapp 30 °/o, wobei noch das Kindergeld mit rund 2 °/o in Abzug zu bringen ist. Für die gestiegenen Abgabenbelastungen, von denen vorhin schon die Rede war, sind im übrigen vor allem die Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich.
Die gesamte Steuerlast war im Jahre 1976 mit 23,4 °/o nicht größer als im Jahre 1952 mit 23,5 °/o, während die Sozialversicherungsquote von 7,5 °/o im Jahre 1952 auf 13,7 % im Jahre 1976 angestiegen ist. Dies ist die Kehrseite der Medaille unserer Bemühungen um Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Bei den gestiegenen Sozialversicherungsbeiträgen ist jedoch zu berücksichtigen, daß den Beiträgen ganz konkrete Gegenleistungen gegenüberstehen. Der hohe Stand der Sozialversicherungsleistungen, den es zu wahren gilt, hat in der Bundesrepublik Deutschland dazu beigetragen, daß es nicht zu sozialen Spannungen wie in anderen Ländern gekommen ist.
({1}) Der soziale Friede, den unser soziales Netz gewährleistet, ist das Fundament unserer weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlicher Entwicklung.
({2})
Aber es ist nicht nur das, sondern erst die soziale Sicherheit schafft auch die persönliche, die individuelle Freiheit; denn für die Mehrzahl unserer Bürger ist die persönliche Freiheit erst durch die soziale Sicherheit erlebbar und real. Dies ist der Hintergrund dafür, daß wir uns wehren, wenn die CDU/CSU versucht, dem Staat die notwendigen Finanzmittel zu verweigern, und gleichzeitig noch Mehrausgaben, vom Staat fordert.
({3})
In Wahrheit ist diese Doppelstrategie darauf gerichtet, den Staat finanziell zu strangulieren; aber hier soll nicht nur die jetzt amtierende Bundesregierung in die Zange genommen, sondern hier soll der gesamte Sozialstaat in Mißkredit gebracht und fertiggemacht werden. Das ist der entscheidende Punkt.
({4})
Dagegen wehren wir uns mit guten Gründen, weil wir meinen - das steht in unserem Grundsatzprogramm -, daß Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zusammengehören.
Das Steuerpaket, wie es jetzt zur Entscheidung ansteht, umfaßt zwei Teile, nämlich das sogenannte Steueränderungsgesetz 1977 und die Neuregelung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes nebst der Grunderwerbsteuer.
Die Ausdehnung der Sonderabschreibung des § 7 b auf alte Wohngebäude und eigengenutzte Altbauwohnungen ist unabhängig von der Mehrwertsteuererhöhung. Diesen Punkt will die CDU/CSU immer vergessen machen. Auch Sie, Herr Dr. Kreile, sprachen vorhin vom Steuerpaket, das Sie insgesamt ablehnen werden. Wollen Sie vielleicht den § 7 b ablehnen? Wahrscheinlich war das nur ein Versprecher; ich nehme das an. Das Steuerpaket umfaßt eben auch § 7 b, der von der Mehrwertsteuer nicht abhängig ist.
({5})
- Das Steuerpaket umfaßt nach unserer Meinung das Steueränderungsgesetz und § 7 b, und deswegen gibt es auch eine verbundene Debatte.
({6})
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist im Steueränderungsgesetz geregelt. Vom Mehraufkommen von 12 Milliarden DM soll rund die Hälfte zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und die andere Hälfte, also die anderen rund 6 Milliarden DM zu Steuerentlastungen eingesetzt werden. Es ist nur dann, wenn hier eine größere Finanzmasse geschaffen wird, möglich, diese Steuerentlastungen überhaupt zu geben. Wer somit Steuerentlastungen das Wort redet, muß bereit sein, auch zur Erhöhung der Mehrwertsteuer ja zu sagen.
({7})
Dr. Böhme ({8})
Lassen Sie mich etwas zu dieser Mehrwertsteuererhöhung in einigen Punkten sagen. Hier wurde gesagt, die Investitionen würden beeinträchtigt. Tatsächlich ist es so, daß die gesamte Industrie die Möglichkeit hat, die Mehrwertsteuer, die auf den Preis aufgeschlagen wird, als Kostenfaktor weiterzugeben. Es ist gerade der Sinn dieser Mehrwertsteuer, daß die Steuer weitergegeben werden kann und deswegen auch offen ausgewiesen ist. Die Mehrwertsteuer ist an sich kein Kostenfaktor für die Wirtschaft, und zwar auch nicht im Falle des Exports - Herr Dr. Kreile, das wissen Sie ganz genau -, weil im Falle des Exports die Mehrwertsteuer an der Grenze vergolten wird, und bei Importen, die ins Land kommen, wird die Mehrwertsteuer zusätzlich erhoben.
({9})
- Natürlich - das ist gar keine Frage - wird die Mehrwertsteuererhöhung auch die Preise beeinflussen: 1,3 °/o bis 1,4 °/o sind ausgerechnet worden. Nur meine ich, es muß auch dem Staat einmal möglich sein, eine Steuer zu erhöhen, die entsprechende Auswirkungen hat, wenn gleichzeitig alle Konzerne in diesem Land, angefangen bei den Benzinpreisen, bis zu den Autos, bis zu der Großchemie ihre Preise regelmäßig erhöhen. Das ist der entscheidende Punkt.
({10})
Es ist nicht einzusehen, daß dann eine Steuererhöhung nicht möglich sein soll, die dann zugegebenermaßen zu Preiserhöhungen in Höhe von 1,3 °/o bis 1,5 % führen wird. Dies ist vertretbar.
Herr Dr. Kreile, im übrigen ist die ganze Argumentation, die hier prinzipiell gegen die Mehrwertsteuererhöhung vorgetragen worden ist, im tiefsten Kern scheinheilig;
({11})
denn wer anders als Ihr Obersprecher Strauß hat noch vorgestern eine Presseerklärung abgegeben, in der er gesagt hat: Mehrwertsteuererhöhung ja, wenn ... Das heißt, Sie haben überhaupt keine prinzipiellen Einwände. Und für Ihren sonstigen Finanzsprecher, Herrn Häfele - ich sehe ihn gerade nicht -, ist die Mehrwertsteuererhöhung geradezu eine Lieblingsidee. In der letzten Debatte habe ich einen Aufsatz von ihm aus dem Jahre 1974 zitiert - das ist erst ein paar Jahre her -, da hat er gesagt: Die Mehrwertsteuererhöhung ist das Richtige. Und es war mir sehr interessant, was Sie, Herr Kreile, vorhin gesagt haben. Sie sagten: Jawohl, im Zuge der Harmonisierung sind auch wir bereit, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Aber dann, so haben Sie gesagt, muß es Steuerentlastungen geben. Und wissen Sie, was Sie dann gesagt haben? - Die Gewerbesteuer muß weg, und alle ertragsunabhängigen Steuern müssen weg. Aber kein Wort ist z. B. zum Arbeitnehmerbereich gesagt worden! Ich habe es mir aufgeschrieben; ich fand dies sehr typisch.
({12})
Wir wollen uns über diesen Punkt nicht streiten. Tatsache ist, daß die Mehrwertsteuererhöhung so,
wie sie jetzt konzipiert ist, vertretbar ist und von Ihnen nicht im Prinzip abgelehnt wird. Alles, was Sie hier vorbringen, ist kurzfristige polemische Argumentation, um dieser amtierenden Bundesregierung nicht die Mittel für die Erfüllung ihrer Aufgaben auf dem Gebiet der Finanzen zu gewähren. Das ist der Punkt, sonst gar nichts.
({13})
Lassen Sie mich zu einem zweiten Punkt kommen, der im Steueränderungsgesetz nicht geregelt ist, aber damit in Zusammenhang steht. 'Ich meine die Einführung eines progressiven Tarifs. Mit Recht hat die Bundesregierung im Tarifbericht ausgeführt, daß die Einführung eines solchen durchgehend progressiven Tarifs zur Zeit nicht möglich ist. Es wurden, wie der Herr Minister vorhin ausgeführt hat, mehrere Modelle geprüft. Das Ergebnis war, daß die Einführung eines solchen progressiven Tarifs mit einer nennenswerten Steuerentlastung - und nur dann hätte ja die Einführung eines solchen progressiven Tarifs für die Bürger draußen Sinn gehabt - Ausfälle von. 10 bis 15 Milliarden DM zur Folge gehabt hätte. Und dieses Geld ist nicht da, es sei denn, die Herren auf der Bank des Bundesrates wären bereit gewesen, mit dem Bund auf 15 Milliarden DM Mehreinnahmen zu verzichten. Das ist völlig unmöglich.
({14})
Meine Damen und Herren, die Frage eines neuen Tarifs ist damit nicht ad acta gelegt. Allerdings kann die Frage der Eindämmung der Lohnsteuerlast nicht isoliert unter dem Gesichtspunkt des Tarifs diskutiert, sondern muß im Zusammenhang mit der gerechten Verteilung der Steuerlast insgesamt und dem Rückfluß der Steuermittel an die Bürger in Form von staatlichen Transfer-Leistungen gesehen und beurteilt werden. Die Ergebnisse der genannten Transfer-Kommission sind abzuwarten.
Wegen dieser Schwierigkeiten einer unverzüglichen Änderung des Tarifs ist die Absicht der Bundesregierung zu unterstützen, an Stelle der Tarifänderung andere Steuerentlastungen zu gewähren und das Kindergeld zu erhöhen. Die Anhebung der Sonderausgabenhöchstbeträge, Herr Dr. Kreile, bringt eine Steuerentlastung von 2 Milliarden. Ich stimme Ihnen darin zu, daß die jetzige Erhöhung nicht lange währen kann. Aber ich kann Sie herzlich dazu einladen, daß wir die Debatte, die wir bei der Steuerreform geführt haben, noch einmal aufnehmen. Da war ein Volumen von 20 000 DM für Familien mit zwei Kindern vorgesehen. Wir werden sehen, ob es gelingt, zusammen mit Ihnen eine Systemumstellung zu machen, nach der wir die Sonderausgaben nicht bei der Bemessungsgrundlage abziehen, sondern bei der Steuerschuld. Sind Sie bereit, diese Frage mit uns im Finanzausschuß zu prüfen?
({15})
An uns wird es nicht liegen. Und dann können wir die Sonderausgaben erhöhen - noch mehr, als es jetzt der Fall ist.
Der nächste Punkt: Die steuerlichen Erleichterungen zugunsten geschiedener Ehegatten und die Be1544
Dr. Böhme ({16})
rücksichtigung ihrer Unterhaltsverpflichtungen werden im Ausschuß besonders geprüft werden, und zwar deshalb, weil diese Frage in der Offentlichkeit und bei den Betroffenen auf besondere Kritik gestoßen ist. Hier wird man mit den betroffenen Personen sprechen müssen. Deswegen sind von der Vorsitzenden des Finanzausschusses diese Gruppen, die sich inzwischen organisiert haben, zur Anhörung eingeladen worden, um ihre Auffassungen vorzutragen. Hier soll niemand das Gefühl haben, daß man nicht mit ihm spricht. Es ist ein Anliegen von mir, dies hier zu äußern.
Die SPD-Bundestagsfraktion - das sage ich zum Schluß zu diesem Steuerentlastungsteil im Arbeitnehmerbereich - wird außerdem prüfen, ob zusätzlich zu den bisherigen Entlastungen eine Aufstockung des Weihnachtsfreibetrages im Rahmen des finanziell Möglichen erreicht werden kann.
({17})
Neben diesen Entlastungen stehen weitere Steuererleichterungen für Unternehmen bei der Vermögensteuer und bei der Gewerbesteuer. Bei der Gewerbesteuer werden Freibeträge neu eingeführt oder erhöht, was vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommt. Diese Maßnahme wird von der SPD-Bundestagsfraktion, die sich der kleinen und mittleren Unternehmen annimmt, voll und ganz unterstützt und begrüßt.
({18})
Die Senkung der Vermögensteuersátze dagegen wird von der SPD-Fraktion kritisch beurteilt. Unsere Fragen gehen vor allem in die Richtung, ob diese Steuersenkung wirksame Anstöße zur Belebung der Konjunktur oder zur Verbesserung der Struktur im Unternehmensbereich geben kann. Hinzu kommen natürlich verteilungspolitische Gesichtspunkte. Deshalb wurde von uns vorgeschlagen und in der Öffentlichkeit erörtert, die sogenannte Plafondierung der Vermögensteuer zur Abwehr einer Substanzbesteuerung zu püfen. Wir sind uns bewußt, daß dieser Teil des Steuerpakets Ausdruck eines Kompromisses der Koalition ist, sozusagen die Mitgift unseres Koalitionspartners.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spilker?
Bitte schön.
Herr Kollege, habe ich richtig gehört, daß die Frage der Entlastung bei der Vermögensteuer von der SPD-Fraktion kritisch beurteilt wird,
({0})
oder ist Ihren Worten zu entnehmen, daß sie abgelehnt wird?
Herr Kollege, Sie haben richtig gehört: Es wird kritisch beurteilt. Wir werden in den Beratungen des Finanzausschusses eine Plafondierung der Vermögensteuer prüfen und die Fragen stellen, die Herr Dr. Kreile, der vor Ihnen sitzt, in einem Artikel im "Handelsblatt" ja auch aufgegriffen hat. Sie können doch nicht so tun, als sei die Frage der Plafondierung etwas, was vom Himmel gefallen ist, sondern das ist ein Institut, das in mehreren vergleichbaren Industrieländern praktiziert wird. Das ist eine Sache, über die man sich sehr wohl unterhalten kann.
Herr Abgeordneter Dr. Böhme, Sie gestatten eine weitere
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kreile?
Bitte schön.
Herr Dr. Böhme, sind Sie sich darüber im klaren, daß das Problem der Plafondierung völlig unabhängig von der Frage zu beurteilen ist, ob die Vermögensteuer 1 % oder 0,7 % beträgt? Denn auch bei 0,7 % ist dann, wenn das Unternehmen keinen Ertrag hat, eine Substanzbesteuerung gegeben. Haben Sie das erkannt, daß die Frage der Plafondierung nichts mit der Vermögensteuersenkung zu tun hat?
Ja, das ist richtig. Ich möchte den Gesichtspunkt der Substanzbesteuerung aufnehmen. Viele in unserer Fraktion, unsere Arbeitsgruppe „Selbständige", haben die Frage der Substanzbesteuerung mit einer Reihe von Vertretern der Unternehmen in diesem Bereich geprüft, z. B. mit den Vertretern des Handwerks. Unsere Überlegung war die, daß es Gesichtspunkte gibt, die Substanzbesteuerung zu verhindern. Da gibt es überhaupt keinen Dissens. Die Plafondierung wäre ein Mittel, unabhängig von den Sätzen; da stimme ich Ihnen zu. Wir werden uns aber in dieser-Frage - das kann ich Ihnen versichern - nicht zerstreiten, sondern hier wird fair verhandelt und am Schluß solidarisch entschieden.
({0})
Ich fasse zusammen. Erstens. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Erhöhung der Mehrwertsteuer zu. Die Steuererhöhung ist notwendig, um die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren und Steuersenkungen, vor allem im Lohnsteuerbereich, zu finanzieren.
Zweitens. Eine Neugestaltung des Einkommensteuertarifs mit wirksamen Entlastungen ist zur Zeit nicht durchführbar. In diesem Zusammenhang sind der Einfluß staatlicher Transfereinkommen und die dort bestehenden Einkommensgrenzen auf die verfügbaren Einkommen privater Haushalte näher zu ermitteln.
Drittens. Die Erleichterungen im Lohnsteuerbereich durch die Anhebung der Sonderausgabenhöchstbeträge werden von uns begrüßt. Die SPD-Bundestagsfraktion wird im Rahmen des Beratungsverfahrens außerdem prüfen, ob eine Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages im Rahmen des finanziell Möglichen erreicht werden kann.
Viertens. Die Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind auf 80 DM und für das dritte und jedes
Dr. Böhme ({1})
weitere Kind auf 150 DM ist eine gezielte Maßnahme
für kinderreiche Familien und wird voll unterstützt.
Fünftens. Die Anhebung der Freibeträge bei der Gewerbesteuer ist eine Erleichterung für kleine und mittlere Unternehmen. Das begrüßen wir. Bei der Senkung der Vermögensteuer wird eine Plafondierung der Vermögensteuer zur Prüfung vorgeschlagen.
Sechstens. Die Ausweitung von § 7 b auf Altbauten wird der Verödung unserer Innenstädte entgegenwirken und ist städtebaulich von großer Bedeutung. Gleichzeitig wird für weite Bevölkerungsschichten ein Anreiz geschaffen, Wohneigentum in Stadtlagen zu erwerben.
Letzter Punkt. Knapp vier Monate nach der Regierungserklärung sind alle wesentlichen steuerpolitischen Vorhaben, die in der Regierungserklärung angekündigt worden sind, dem Parlament in Gesetzesform zugeleitet worden. Die CDU/CSU hat bis heute kein glaubwürdiges Gegenkonzept aufgestellt. Die Steuerpolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition bleibt ohne Alternative.
({2})
Meine
Damen und Herren, das Wort hat Frau Kollegin Funcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Die mehrjährige Finanzplanung zur Wiederherstellung des strukturellen Gleichgewichts des Bundeshaushalts ist mit Schwerpunkt bei der Ausgabenseite zu sehen. Da jedoch das gesamtwirtschaftlich anzustrebende Ausgabenvolumen aus den nach geltendem Recht zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht zu finanzieren ist oder nur durch eine übermäßige Verschuldung zu decken wäre, sind zusätzliche Einnahmeverbesserungen unvermeidbar.
Die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Anhebung der Mehrwertsteuer ist anderen Steuererhöhungsmöglichkeiten vorzuziehen. Als allgemeine Verbrauchsteuer verteilt die Mehrwertsteuer die Steuerlast auf Millionen Verbraucher und beeinflußt kaum die Investitionstätigkeit und das Wirtschaftswachstum.
Meine Damen und Herren, dies sind nicht meine Worte, sondern das steht als Begründung in dem Regierungsentwurf zur Erhöhung der Mehrwertsteuer, den die Regierung Kiesinger/Brandt im Jahre 1967 unter der Federführung von Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß eingebracht hat. Ich empfehle allen Mitgliedern dieses Hauses, sich gelegentlich früherer Äußerungen und Taten einmal zu erinnern. Es wäre, Herr Kollege Kreile - in aller Freundschaft gesagt -, ganz zweckmäßig gewesen, Sie hätten sich auch dieses hier einmal durchgelesen. Dann hätten Sie manches Argument etwas vorsichtiger ausgedrückt. Und die Zitierung von Äußerungen des derzeitigen Finanzministers, in denen er
einer eventuellen Steuererhöhung abschwört, hätten Sie vielleicht fairerweise um eine Fülle von Äußerungen ergänzt, die Strauß seinerzeit gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in diesem Hause getan hat.
Damals lag die große Umstellung der Umsatzsteuer knapp vier Monate zurück. Alle Parteien dieses Hauses hatten nachdrücklich den Verbrauchern und der besorgten Wirtschaft gesagt, daß damit nicht eine verkappte Steuererhöhung verbunden sein sollte. Keine vier Monate später wurde dann mit einem Schlage die Umsatzsteuer erhöht.
Nun bitte ich auch die Vertreter der Länderregierungen, mir zuzuhören. Seinerzeit hatte nicht ein einziges Land Bedenken. Es hat keine sozialpolitischen, wirtschaftspolitischen, konjunkturpolitischen Bedenken gegeben, auch keine Erwägungen darüber, ob die Gemeinden dabei gut oder schlecht fahren. Dieses ganze Gesetzeswerk ist in drei Tagen in erster, zweiter und dritter Lesung einschließlich Finanzausschußberatung durch dieses Haus gegangen.
Ich kann deswegen sehr gut verstehen, daß Herr Strauß heute lieber nicht da ist, sondern seine einschlägige Rede gestern per Presse verbreitet hat und dabei gleidizeitig dann wohl audi die Richtung angeben wollte, wie marschiert werden sollte. Wir hätten gern einiges an Hand seiner Zitate mit ihm diskutiert. Ich hätte auch gern mit ihm über das diskutiert, was er einleitend in dieser Presseverlautbarung gestern geschrieben hat, nämlich:
Das Steueränderungsgesetz 1977 - also das jetzt vorliegende ist ein weiterer Schritt in den sozialistischen Abgabenstaat. Die Belastungsfähigkeit des Steuerbürgers soll weiter erprobt werden.
Meine Damen und Herren, wir haben hier schon verschiedentlich über die Steuerlastquote gesprochen. Richtig ist, daß diese Steuerlastquote noch nie wieder jenen Stand erreicht hat, den uns Franz Josef Strauß im Jahre 1969 zurückgelassen hat.
({0})
Damals betrug sie etwas über 24 %. Sie ging dann zurück auf 22,5 % und wird 1977 auf 23,7 % geschätzt. Dabei wurde - nicht mangels Wissen, sondern wegen der besseren Optik, Herr Kollege Kreile - verschwiegen, daß durch die vom ganzen Haus gewünschte Umstellung der Kindergeldzahlung vom Abzug von der Steuer zum direkten Leistungsgesetz naturgemäß eine formale Ausweitung von Steuereinnahmen und entsprechenden Ausgaben ohne faktische Mehrbelastung des Steuerbürgers verbunden ist.
({1})
Wenn Sie das richtig umrechnen - das macht rund 1,3 % aus -, dann haben wir für 1977 eine geschätzte Steuerlastquote von 22,5 °/o, im Vergleich zu 24,2 % im Jahr 1969. Meine Damen und Herren, wenn wir 1978 durch die Mehrwertsteueranhebung wirklich um ein Prozent höher kommen, wären wir
immer noch unter dem, was uns Herr Strauß zurückgelassen hat.
({2})
Ich kann deswegen nicht verstehen, wie das ein Weg in den „sozialistischen Abgabenstaat" sein kann, was noch unter dem liegt, was Finanzminister Strauß seinerzeit dem Steuerbürger zugemutet hat.
Frau
Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Kreile zu?
Frau Funcke: ({0}) : Gern.
Frau Vizepräsidentin, da ich Ihnen so ungern widerspreche, möchte ich Sie fragen, ob Sie überhört haben, daß ich genau das, was Sie vermißt haben, ausgeführt habe, daß ich nämlich gesagt habe, daß man über den Vorschlag von Bundesfinanzminister Apel, das Kindergeld in die Steuerlastquote einzuberechnen, sprechen könne, daß man aber dann, wenn man das tut, auch die Investitionszulage mit hereinnehmen müsse?
({0})
Ist es richtig, daß Sie das möglicherweise nur überhört haben?
Ich habe in der Tat mehr auf die Investitionszulage geachtet, die ja einmalig ist und deswegen in einen laufenden Vergleich natürlich nicht einbezogen werden kann.
({0}) Herr Kollege, das wissen Sie so gut wie ich.
Nun möchte ich aber doch einmal ein paar Worte zu dem sagen, was denn nun eigentlich die Opposition im finanzpolitischen Bereich will.
({1})
Meine Damen und Herren, Herr Häfele hat uns vor einiger Zeit über die Presse mitgeteilt, daß die CDU mit konkreten Vorschlägen kommen wolle, sobald die Bundesregierung ihre Vorschläge vorgelegt habe.
(Dr. Häfele [CDU/CSU] : Wo habe ich das
mitgeteilt? Sagen Sie bitte, wo!
- Herr Kollege, natürlich haben Sie das getan.
({2})
- Das steht alles in der CDU-Korrespondenz.
({3})
- Also, Sie wollen nicht mit Vorschlägen kommen? Idh nehme das zur Kenntnis.
({4})
- Gut, wir können uns hinterher darüber unterhalten. Aber ich kann ja lesen. Das habe ich schon vor etlichen Jahren gelernt. Also auf Hochdeutsch: Sie wollen keine zusammenhängenden Vorschläge machen?
({5})
Ich darf einmal vorlesen, was wir an Vorschlägen alles haben.
({6})
Es ist ja nicht so, als hätten Sie keine. Ich darf Ihnen die entsprechenden Stellen nun einmal mit Datum zitieren. Herr Kohl in der Aussprache zur Regierungserklärung:
Die Familienpolitik bedarf dringend einer neuen Weichenstellung. Die von Ihnen in Aussicht gestellte Verbesserung des Familienlastenausgleichs reicht noch nicht einmal aus, um den Kaufkraftschwund auszugleichen.
Auf Hochdeutsch: Es muß mehr sein. Kohl zur gleichen Zeit:
Eine positive Alternative muß nach unserer Auffassung eine Steigerung der öffentlichen Entwicklungshilfe beinhalten.
Herr Strauß: Senkung der gewinnabhängigen Steuern. Das heißt: Rücknahme der am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Anhebung der ertragsneutralen Steuern. Herr Strauß am 17. Dezember 1976: Abbau auch der Gewerbesteuer. Biedenkopf: Steuersenkung für Alterssicherung der Selbständigen. Stoltenberg am 19. Januar: Die öffentlichen Investitionen müssen gesteigert und die Investitionen der Wirtschaft von Staats wegen gestützt werden. Herr Häfele - damit Sie auch drankommen - am 13. Januar: Die Bundesregierung sollte endlich die Linie der CDU/CSU übernehmen, die Sanierung der öffentlichen Finanzen mit dem Rotstift zu betreiben.
({7})
Da werden Sie sagen: Gut. Das ist ja auch richtig. Nur, das, was wir vorhin gehört haben, waren leider alles Aussagen, die zu Mehrausgaben des Staates und nicht zur Streichung von Ausgaben führen. Herr Hornhues am 4. Februar: Mehr für BAföG; Anhebung der Freibeträge. Herr Althammer: Das Kindergeld muß endlich ohne Steuererhöhung angepaßt werden. Das Wundermittel, wo die Finanzierung herkommt, hat er nicht mitgeteilt. Herr Häfele plädierte am 3. März für eine Vermögensteuerentlastung.
({8}) - Jawohl,
({9})
alles Entlastungen, die aus nicht erhobenen Steuern finanziert werden sollen. Dann geht es weiter: Herr Strauß: Verbesserung der degressiven AfA, Herr Barzel hier in diesem Hause: Ermutigung der Investitionen in der Wirtschaft - ich nehme an, mit staatlichen Finanzmitteln -, Herr Kreile in München: Senkung der Vermögensteuer und, wie wir
jetzt gehört haben, dazu noch die Plafondierung und die Beseitigung der Doppelbelastung der Körperschaften mit Vermögensteuer. Herr Gaddum beklagt den Rückgang an öffentlichen Investitionen. Dann hat Herr Burger am 1. April - ich nehme an, das Datum beeinträchtigt nicht die Ernsthaftigkeit - in der „Frauen-Rundschau" noch einmal die Forderung nach einem allgemeinen Erziehungsgeld aktualisiert. Herr Kiechle hat heute morgen jede Menge Mehrausgaben in der Landwirtschaft gefordert. Herr Wörner hält die Verteidigungsausgaben für zu gering. Die Klage über die öffentliche Verschuldung ist bei Ihnen sehr laut. Dann bringt der Bundesrat erneut das Gesetz zur Steuerbegünstigung bei historischen Gebäuden ein. Außerdem müssen die Gemeindefinanzen auf jeden Fall verbessert werden.
Meine Damen und Herren, bitte, sagen Sie uns doch angesichts dieses Wirrwarrs von Forderungen, die beim besten Willen nicht realisierbar sind, was Sie denn nun eigentlich wollen,
({10})
welche dieser Forderungen ernst gemeint sind und was davon Schaugeschäft ist, und dies bitte dann auch im Zusammenwirken mit den Ländern. Wir sind ja bereit, über Vernünftiges zu sprechen. Aber das, was Sie in der Welt herumerzählen, ohne auch nur eine bescheidene Abstimmung herbeigeführt zu haben, ist wirklich kein Angebot für eine geordnete Diskussion über eine geordnete Staatsfinanzierung.
Frau
Kollegin Funcke, darf ich einen Augenblick unterbrechen. Wir haben die große Freude, daß Herr Minister Ghosaibi von Saudi-Arabien unserer Einladung gefolgt ist, an den Verhandlungen über dieses Steuerpaket teilzunehmen. Ich darf ihn sehr herzlich hier in unserer Mitte begrüßen.
({0})
Frau Funcke: ({1}) : Meine Damen und Herren, wir verfolgen mit dem Steueränderungsgesetz drei Zielsetzungen. Eine Zielsetzung ist die Fortschreibung der Steuergesetzgebung unter den Gesichtspunkten inzwischen eingetretener wirtschaftlicher, konjunktureller, sozialer und internationaler Entwicklungen, denen Rechnung zu tragen ist. Zum zweiten geht es um eine Verbesserung der Haushaltslage in Bund, Ländern und Gemeinden und drittens um eine Hinwendung unserer Steuergesetzgebung in Richtung auf eine Harmonisierung in Europa. Der vorliegende Gesetzentwurf strebt alle diese Ziele an.
Wir haben - um damit anzufangen - im Bereich der Besteuerung breiter Schichten unseres Volkes das Problem, das jeder progressive Einkommensteuertarif mit sich bringt, nämlich daß, wo immer wir progressive Steuern nehmen, eine gelegentliche Korrektur oder Überprüfung notwendig ist. Denn sowohl infolge von Geldwertverschiebungen als auch infolge einer darüber hinausgehenden Verbesserung der Löhne und Einkommen ergibt sich das Hineinwachsen in Progressionen.
Nun wird an dieser Stelle von der Opposition immer wieder beklagt - Herr Kreile hat sich damit zu meiner Überraschung und Freude allerdings nicht besonders lange befaßt -, daß wir keinen durchgängig steigenden Tarif haben. In der Tat ist ein solcher seinerzeit von allen Parteien und auch von der Regierung erwogen worden. Er wurde jedoch damals von den Ländern bereits im Vorgespräch abgelehnt, so daß statt dessen die Proportionalzone verdoppelt wurde. Wenn wir das jetzt ändern, ist es eindeutig so, daß die Einkommensgruppen zwischen etwa 20- bis 25 000 und 30- bis 35 000 DM in eine steigende Progression hineinkommen. Ich frage mich, wem daran in der Opposition eigentlich gelegen ist. Es ist ein Mißverständnis, anzunehmen, als würde der plötzliche Tarifsprung von 22 auf 30,8 °/o, der am Ende der Proportionalzone entsteht, einen sprunghaften Anstieg der Besteuerung überhaupt ausmachen. Das ist ja nicht der Fall. Die Gesamtbelastung steigt nur langsam und kontinuierlich auch bei einem solchen Sprung. Ich darf das einmal am Beispiel eines Verheirateten ohne Kinder mit Zahlen belegen. Bei einem zu versteuernden Einkommen - das wirkliche Bruttoeinkommen ist dann höher - von 25 000 DM beträgt die Steuerbelastung 16,7 °/o. Sie steigt bei einem Einkommen von 35 000 DM, also bei 10 000 DM mehr, lediglich um 2,3 °/o, nämlich auf 19 °/o Gesamtbelastung. Diese 2,3 °/o Anstieg werden also über die 10 000 DM Mehreinkommen ganz langsam erreicht, so daß wir gerade bei einem Tarif mit einer breiten Proportionalzone ein behutsames Ansteigen haben. Wenn Sie einen kontinuierlich progressiven Tarif haben wollen, meine Damen und Herren, müssen Sie in Kauf nehmen, daß gerade diese Gruppe bei leistungsbedingten Mehrverdiensten viel stärker in Anspruch genommen wird als bei dem Tarif, bei dem wir uns entschlossen haben zu bleiben.
Sicherlich brauchen wir Entlastungen in diesem Bereich. Der Gesetzentwurf sieht daher vor, die Sonderausgabenhöchstbeträge um 300 DM pro Person anzuheben. Das wirkt sich mit bis zu 450 DM pro Kopf aus, weil noch die Hälfte hinzukommt. Sie mögen sagen, das sei auch nicht viel. In der Tat, die meisten Menschen können allein schon ihre Pflichtbeiträge nicht in diesem Höchstbetrag unterbringen. Nur sind Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die letzten, die das beklagen können; denn es war ja Ihr Wunsch, die ursprünglich sehr viel größeren Volumen für Sonderausgaben auf diese bescheidenen Beträge von 1 800 DM pro Person herabzudrücken, um für die Höchstverdiener die höchste prozentuale Entlastung durchzusetzen. Wenn Sie das anders haben wollen; wir sind nach wie vor bereit - das darf ich für meine Fraktion sagen -, den Kompromißvorschlag, der damals im Vermittlungsausschuß angenommen wurde, wieder zur Diskussion zu stellen. Er brächte ein größeres Volumen, innerhalb dessen man Sonderausgaben steuersenkend geltend machen kann.
Über das Kindergeld werden wir sicherlich gleich noch einiges hören. Wir bejahen die Anhebung. Sicherlich würde jeder gern sehen, daß hier mehr geschieht. Aber hier stellt sich die Frage, wie man
das im Gesamtkonzept der Belastungen und Entlastungen unterbringen kann.
Meine Damen und Herren, bei den ertragsunabhängigen Steuern - dies gilt für die Lohnsummensteuer, die Gewerbekapitalsteuer und die Vermögensteuer - ist eine Entlastung vorgesehen. Herr Kollege Kreile, ich wundere mich, daß Sie da etwas wiederholt haben, was Ihr Vorsitzender gestern in seiner Verlautbarung - deutlich an der Wahrheit vorbei - veröffentlicht hat,
({2})
nämlich den Hinweis, die Bemühungen der FDP um die Entlastung bei den ertragsunabhängigen Steuern seien im Kabinett nicht einmal vorgetragen, geschweige denn mit einem Ergebnis diskutiert worden. Ich meine, ein Blick in den Gesetzentwurf müßte doch nun wahrlich Herrn Kollegen Kreile und auch Herrn Kollegen Strauß von der Unwahrheit dieser Behauptung überzeugt haben. Es ist doch kein Geheimnis - und Herr Kollege Böhme hat es gerade auch gesagt -, daß dies sicher nicht gerade der Punkt ist, wo wir am stärksten übereinstimmen. Aber das Kabinett hat sich auf einer gemeinsamen Linie zur Begrenzung der ertragsunabhängigen Steuern gefunden. Denn die erhebliche Belastung mit ertragsunabhängigen Steuern wird gerade dann besonders fühlbar, wenn die Erträge zurückgehen und auch keine Aussicht besteht, daß sie wieder explosiv nach oben gehen. Sie wirken unabhängig vom Ertrag.
Es gilt, die Eigenkapitalbasis der Betriebe zu stärken; denn nur auf einer hinreichenden Eigenkapitalbasis können Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze finanziert werden. Unsere deutsche Wirtschaft ist besonders unterkapitalisiert. Das ist bekannt. Das ist naturgemäß besonders dann, wenn noch eine hohe Belastung darauf liegt, im internationalen Wettbewerb fühlbar, es wird aber auch fühlbar in den Klein- und Mittelbetrieben, die nicht so leicht an den Kapitalmarkt kommen, und es wirkt sich in Zeiten labiler Wirtschaftslage besonders aus, da dort, wo nicht ein gewisses Eigenkapitalpolster vorhanden ist, die Gefährdung der Arbeitsplätze in einer Rezession besonders groß ist. Eine Wirtschaft, die mit Risiko rechnet, muß auch die Chance eröffnen, für das Risiko eine gewisse Ausstattung zu haben, um nicht gleich in Gefährdungen zu Lasten aller an diesem Wirtschaftsprozeß Beteiligten zu geraten.
Nun wird uns im Finanzausschuß die Diskussion um die Plafondierung sicherlich beschäftigen. Nur, meine Damen und Herren, Sie müssen natürlich wissen, daß, wer Plafondierung will, sie mehr oder weniger nur für die Großbetriebe einführt, für die kleinen und mittleren Betriebe allenfalls für ein Ausnahmeverlustjahr, so daß wir hier eine einseitige Entlastung der kapitalintensiven Großbetriebe schaffen würden, nicht aber eine Stärkung der Eigenkapitalbasis im Bereich der mittleren und kleineren Betriebe, die sonst nicht genügend wettbewerbsfähig und erneuerungsfähig wären. Wir werden sicherlich über diese Argumente noch sprechen, auch über die verwaltungstechnischen Schwierigkeiten. Wie soll z. B. der Plafond bei einem
Aktienbesitzer ermittelt werden, bei dem man ja nie wissen kann, wie denn eigentlich seine Einkommensteuerbelastung ist und bis wohin dann die Gesellschaft Vermögensteuer ermäßigt bekommt, ganz abgesehen davon, Herr Finanzminister, meine Herren Landesminister, wie das laufen soll, wenn nach vier oder fünf Jahren die Betriebsprüfung zu anderen Steuerverpflichtungen bei der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer oder Vermögensteuer kommt? Das gibt sicherlich ein gewaltiges Beschäftigungsprogramm für sonst möglicherweise arbeitslose Finanzbeamte.
Meine Damen und Herren, die Gewerbesteuer soll in allen drei Arten gesenkt werden, hier mit einem besonderen Schwerpunkt im Bereich der mittelständischen Betriebe, des Handwerks, des Kleingewerbes, wo gerade die Gewerbesteuer in besonderem Maße prozentual drückt.
Aber natürlich ist dies alles nicht einfach vom Weihnachtsmann zu haben. Wer Steuererleichterungen gibt, muß wissen, wie er den notwendigen Staatsbedarf finanziert. Vorgesehen ist daher eine Anhebung der Mehrwertsteuer um 2 °/o. Nun wissen wir ja alle, daß man eine Fülle von Argumenten dagegen vorbringen kann. Jedem von uns fällt dazu einiges ein. Nur eines können Sie von der Opposition nun einfach nicht wegdiskutieren, auch nicht durch Ablehnung: daß wir bei der europäischen Steuerharmonisierung ganz sicher erheblich über diese 13 °/o hinaus müssen. Wenn schon eine Anhebung von 2 °/o, im unteren Bereich 1 °/o, als sozial so bedenklich angesehen wird - ich bin da nicht der Meinung von Herrn Strauß in seiner von mir vorhin zitierten Begründung, das verteile sich auf viele, das sei nicht so schlimm -, dann ist eines Tages eine Anhebung von 4 oder 5 Punkten ungleich schwerwiegender. Herr Kollege Kreile, die Hoffnung, daß man das in einer riesigen Umverteilung bei einer Steuerreform mit wieder gigantischem Ausmaß ausgeglichen machbar machen kann, ist eine Illusion, denn eine anderweitige Steuerentlastung hilft natürlich den Rentnern überhaupt nichts; sie werden nicht besteuert und können daher auch steuerlich nicht entlastet werden. Das heißt, sie müßten alles das auffangen, was bei einer solchen fühlbaren Anhebung mit einem Male nebenbei an Härten entsteht.
Wer also die Mehrwertsteuererhöhung in Stufen ablehnt, muß entweder nicht an die Übernahme der Regierungsverantwortung glauben - beinahe klingt mir das so -, oder er will die Steuerharmonisierung in Europa nicht. Sonst muß er sich überlegen, daß man eine solche Angleichung mit Umstrukturierung des gesamten Steuerbereichs nicht in einer Simultanschöpfung machen kann, sondern daß sie in schrittweisen Anpassungen sehr viel weniger Erschütterungen mit sich bringt. Darum sehen wir in dieser Anhebung einen Schritt in einem hinreichend langen Zeitraum hin zur europäischen Harmonisierung. Wenn Sie das alles ablehnen, meine Damen und Herren, müssen Sie schließlich auch die Frage beantworten, ob Sie überhaupt die europäische Harmonisierung der Steuern wollen. Dies
ist allerdings wegen der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht ganz ohne Bedeutung.
Meine Damen und Herren, natürlich spielen konjunkturpolitische Erwägungen eine Rolle. Wir werden sie sehr sorgfältig prüfen. Im Export spielt die Mehrwertsteuer zwar keine Rolle. Aber sie spielt natürlich in anderen Bereichen eine Rolle. Nur, man kann sie nicht ablehnen und gleichzeitig alles andere an Steuererleichterungen und Mehrausgaben wollen und dann immer nur mit dem Zauberwort „Einsparungen" operieren. Ich darf damit Sie, Herr Häfele, ansprechen, den es allerdings offensichtlich so wenig interessiert. Das mag sein. Nur, wir müssen uns ja einmal dafür interessieren, Herr Häfele. Sie haben vom Rotstift gesprochen. Ich finde das mit dem Rotstift sehr gut. Nur, wo wollen Sie ihn ansetzen? Wenn Sie die gesetzlichen Ausgaben mitbeschlossen haben - und das haben Sie -, müssen Sie sagen, welche ausgabewirksamen Gesetze Sie nicht mehr wollen.
Was den Personalsektor betrifft, meine Damen und Herren, so wissen wir alle, daß man einen Beamten nicht entlassen kann. Da kann eine Einsparung nur durch eine Nichteinstellung von unten erfolgen, d. h. auch durch eine Nichteinstellung bei der Ausbildung im staatlichen Bereich. Meine Damen und Herren, sprechen Sie einmal mit Ihren Kollegen aus dem Arbeits- und Sozialbereich darüber. Wer sich für die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit und der Jugendausbildungsnot interessiert, kann ja nicht gleichzeitig die Ausbildungsplätze im staatlichen Bereich vernichten wollen. Das aber wäre die notwendige Folge, wenn man rigoros bei den Personalkosten glaubt einsparen zu können oder zu sollen.
Der zweite Bereich, wo wir sparen können, meine Damen und Herren, ist der ganze Tief- und Hochbau. Ich frage die Kollegen von der Opposition: Wollen Sie eine rigorose Rücknahme von öffentlichen Aufträgen? Ich glaube, Sie wollen gerade das Gegenteil. So klingt es ja auch hier von der Bundesratsbank.
Die dritte Möglichkeit ist die rigorose Streichung bzw. Rücknahme von Aufträgen in den Branchen, in denen der Staat normalerweise seine Aufträge vergibt, auch was mobile Dinge betrifft. Das bedeutet wiederum Vernichtung der Arbeitsplätze. Und daneben wollen Sie dann ein Riesenprogramm zur Ankurbelung. Was soll's! Es bleibt immer dabei, daß jede Mark nur einmal eingenommen und nur einmal ausgegeben werden kann. Sie müssen uns schon sagen, wie alle Ihre Wünsche finanziert werden sollen.
({3})
Frau
Kollegin Funcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß ohne Zutun der Opposition z. B. bei der Bundespost viele tausend Ausbildungsplätze leerstehen?
Ja, natürlich. Deswegen frage ich Sie, ob Sie das noch dadurch verschlimmern wollen, daß Sie auch sonstige Ausbildungsplätze im öffentlichen Bereich vernichten wollen.
({0})
Das würde dann ja die Inspektorenausbildung und den mittleren und einfachen Dienst in der Breite betreffen. Ich bin der Meinung, daß die Post ihre Kapazität generell zur Verfügung stellen sollte. Allerdings sollte sich das nicht auf den einspurigen Ausbildungsgang allein bei der Post beschränken, wenn die Post die Leute auf die Dauer nicht braucht, sondern hier sollte eine breitere Ausbildung angestrebt werden, die auch für andere Bereiche eine gute Voraussetzung ist. Aber das geht doch nicht damit, daß Sie einfach sagen: Wir wollen in dem Bereich sparen. Denn damit vernichten Sie praktisch Ausbildungsplätze.
Meine Damen und Herren, eine Schwierigkeit unserer heutigen Diskussion um dieses Steuerpaket liegt eindeutig darin - das zeigen auch die parallel tagenden Bundesratsausschüsse -, daß ein solches Steuergesetz schwerlich ohne gleichzeitige Ubersicht über die Verteilung der Steuern auf Bund, Länder und Gemeinden diskutiert werden kann. Wir gehen seitens der FDP davon aus, daß das Steuergesetz für sich genommen nicht automatisch Einbußen oder Gewinne bei der einen oder anderen Seite bringen darf, sondern daß in Verbindung damit die Verteilung neu geregelt werden muß. Eine Verschlechterung der Finanzlage der Gemeinden hält die FDP für nicht vertretbar. Es muß daher darum gehen, im zeitlichen Zusammenhang mit der Beratung dieses Gesetzes die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern besonders auch im Hinblick auf die Gemeinden zu regeln.
Die FDP ist der Meinung, daß der Finanzbedarf des Staates sicherlich nicht unnötig ausgedehnt werden darf. Das ist, wie Sie durch den Hinweis auf die Steuerlastquote wissen, auch nicht der Fall. Wir müssen aber wissen, daß neue und wachsende Aufgaben in dieser Welt auf uns zukommen, denen wir uns in Verantwortung stellen müssen. Auch die CDU spricht das immer wieder an. Ich glaube, in dem Punkte sind wir uns einig. Die Aufgaben, die über den Bereich unserer Nation hinausgehen, können allerdings nicht ohne Begrenzung der ständig wachsenden Ansprüche allgemeiner Art in unserem Land erfüllt werden. Wir müssen die wachsenden Ansprüche irgendwo begrenzen. Das wird von vielen verantwortlichen Menschen innerhalb und außerhalb der Politik gesagt. Doch hilft das nichts, wenn diese Erkenntnisse nicht in den Entscheidungen dieses Hauses ihren Niederschlag finden.
Unsere Volkswirtschaft ist auf Export angewiesen. Davon hängen unsere Arbeitsplätze erheblich ab. Exportmöglichkeiten und Exportwachstum setzen allerdings wirtschaftlich gestärkte Partnerstaaten voraus. Um den Frieden in dieser Welt zu sichern, bedarf es verstärkter Bemühungen zugunsten der Dritten und Vierten Welt. Daher ist es das Bestreben der FDP, die Finanz- und Steuerpolitik
1550 Deutscher Bundestag --- 8. Wahlperiode Frau Funcke
unter längerfristigen Gesichtspunkten zu betreiben. Dieses Gesetz ist ein Stück auf diesem Wege.
In den Beratungen der nächsten Wochen wird meine Fraktion für ernsthafte, zusammenhängende, finanzierbare Vorschläge offen sein und auch für solche, die der Gerechtigkeit und der Ausgewogenheit einen Schritt näherkommen. Voraussetzung ist allerdings, daß diese Vorschläge, wie gesagt, zusammenhängend finanzierbar sind und daß sie den drei von mir genannten Zielsetzungen entsprechen und daß sie schließlich helfen, eine Gemeinsamkeit dafür zu finden.
({1})
Das Wort
hat die Frau Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Bundesregierung hat ihr Versprechen aus der Regierungserklärung vom 16. Dezember vorigen Jahres, das Kindergeld' für das zweite Kind auf 80 DM und für die weiteren auf 150 DM zu erhöhen, mit dieser Gesetzesvorlage erfüllt. Damit wird das Kindergeld für Familien mit drei Kindern um 16,6 °/o, mit vier Kindern um 19,4 °/o und mit fünf und mehr Kindern um 20,8 0/o verbessert.
({0})
Seit 1975 fließen den Familien 4 Milliarden DM mehr Kindergeld zu. Jetzt soll das Kindergeld um weitere 1,8 Milliarden DM erhöht werden.
Aus der Opposition verlautet, daß die Inflation, so heißt es, das Kindergeld nahezu oder gar völlig aufgezehrt habe. Ich möchte hier nachdrücklich in Erinnerung rufen, daß nach der Ablösung der alten Steuerregelung mit den Kinderfreibeträgen durch das neue Kindergeldsystem z. B. beim ersten Kind statt zu erzielender ca. 230 DM tatsächlicher Entlastung aus einem steuerfreien Betrag von 1 200 DM im Jahr nunmehr 600 DM an echter Verbesserung gewährt worden sind, und zwar bei Familien, die steuerpflichtig waren; wenn jemand wegen niedrigen Einkommens nicht steuerpflichtig war, so hat er nämlich gar keine Entlastung gehabt und hat volle 600 DM mehr bekommen für das erste Kind und für die anderen noch mehr.
Nun möchte ich diese Verbesserung zusammen mit der jetzigen Entwicklung zum Anlaß nehmen, zu sagen: das, was hier geschehen ist, ist eine solche Erhöhung, daß die Inflationsraten sie keineswegs aufgezehrt haben können. Sie betrifft nämlich nur einen Gesamtzeitraum von drei Jahren bis 1978. Jeder kennt ja die relativ niedrigen Inflationsraten gerade unseres Landes.
Die Opposition stellt sich immer als Hüter der Familie hin. Sie hat aber zu der Zeit, als sie die Regierungsverantwortung hatte, eigentlich wenig zur Entlastung der Familien getan. Es ist wohl unbestritten, daß erst mit Übernahme der Regierungsverantwortung durch die sozialliberale Koalition die wichtigen finanziellen Hilfen für die Familien eingegesetzt haben, z. B.
({1})
- ich werde Ihnen ein paar nennen - 1970 mit dem Ausbildungsförderungsgesetz, das die Eltern weitgehend von Bildungskosten für die Kinder entlastet, gerade auch die Eltern aus den unteren Einkommensschichten. Insbesondere den Mädchen wurden damit erheblich bessere Bildungschancen gegeben. Als weiteres Beispiel nenne ich das Wohngeldgesetz. Es stammt ebenfalls aus dem Jahre 1970. Es hat gerade den größeren Familien endlich geholfen, bessere Wohnungen zu finden. Wir werden diesen Standard halten und auch noch ausbauen, indem wir das Wohngeld ebenso wie die Ausbildungsförderung verbessern. Die staatlichen Aufwendungen für das Wohngeld werden bis 1980 um rund 700 Millionen DM steigen. Bei der Ausbildungsförderung steigen die Bundesaufwendungen von 1,6 Milliarden DM im Jahre 1976, also im vorigen Jahr, auf 2,2 Milliarden DM im Jahre 1980. Man muß alle diese Leistungen mit dem Kindergeld im Zusammenhang sehen, um das Ausmaß der finanziellen staatlichen Förderung der Familie zu erkennen.
Lassen Sie mich aber noch einmal auf die finanzielle Entlastung für Kinder in der Zeit zurückblicken, als die familienfreundliche Opposition die Regierungsverantwortung trug und als es weder Wohngeld noch Ausbildungsförderung gab.
({2})
- Ich werde Ihnen das gleich aufzeigen. - Damals hatte man zwar steuerliche Kinderfreibeträge; die kamen aber nur den gutverdienenden Eltern zugute. Für einkommensschwache Eltern gab es - seit 1955 - nur vom dritten Kind an 25 DM Kindergeld. Erst 1961 wurde ein Kindergeld für das zweite Kind eingeführt.
({3})
- Ich glaube, daß die Einkommensverbesserungen schlechthin hier auch zu berücksichtigen sind. Dann sieht das ganz anders aus. Mir kann niemand weismachen, sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition, daß 1964, als Sie zum letzten Mal das Kindergeld anpaßten, die Belastungen der Eltern durch Kinder gerade in einkommensschwachen Familien, die nichts von Steuerfreibeträgen hatten, durch die Zahlung von 25 DM für das zweite Kind
- bei Einkommensgrenze -, 50 DM für das dritte und 60 DM für das vierte Kind spürbar erleichtert wurden.
Die Opposition behauptet jetzt, daß eine bedrückend große und wachsende Zahl von Familien mit Kindern hinsichtlich ihrer Einkommenssituation unter die Sozialhilfeschwelle abgesunken ist. Nach den Zahlen von 1974 - neuere habe ich leider nicht - sind es aber nur 1,2 °/o aller Familien, die in ihrem Lebensunterhalt laufend auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Frau
Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gern.
Frau Minister, ist Ihnen bekannt, daß trotz dieser zusätzlichen Zuwendungen an die Familie die Realleistung an die Familie unter den Stand von vor 1969 gesunken ist?
Die Realleistung für die Familie?
({0})
- Sie müssen sämtliche Einkommen vergleichen. Da gibt es unterschiedliche Wirkungen.
Wenn Sie immer behaupten, wir könnten hier mit großen Zahlen operieren, so muß ich Sie eines Besseren belehren. Ich gebe gern zu, daß die Zahl in den letzten zwei Jahren von 1,2 % auf 1,5 % gestiegen sein mag. Dies unterstelle ich. Ich möchte Ihnen aber sagen, daß die Familien, die Sozialhilfe beziehen, zu zwei Dritteln Halbfamilien sind, daß es sich also um alleinstehende Elternteile mit Kindern handelt und daß diese in einer besonderen Situation sind. An vollständigen Familien finden Sie hier sehr wenig. Unser Denkansatz muß von daher geprägt sein. Auf jeden Fall können Sie 1,2 % oder 1,5 % der Familien - zwei Drittel davon sind, wie gesagt, Halbfamilien - nicht für eine erschreckend große Zahl halten. Außerdem müssen wir natürlich berücksichtigen - das ist in diesem Zusammenhang wichtig -, daß wir die Sozialhilfe in den letzten Jahren gemeinsam verbessert haben und daß heute sehr viel mehr Menschen Anspruch auf solche Hilfen haben. Nach Ihrer Armutsdefinition wird die Zahl der Armen mit jeder Verbesserung der Sozialhilfe steigen. Dies ist ein merkwürdiger und, wie ich meine, irreführender Maßstab. Letztendlich heißt das: Je besser wir die Armen - nämlich durch die Sozialhilfe - stellen, desto mehr Arme bekommen wir. Das kann doch wohl nicht ganz richtig sein.
Schließlich möchte ich noch etwas zu dem Vorwurf sagen, daß die Mehrwertsteuererhöhung die Kindergeldverbesserung ganz aufzehre. Es ist richtig, daß bei den kleinen Familien keine bedeutende Verbesserung eintritt. Bei den Familien mit drei Kindern beträgt die Kindergeldverbesserung aber z. B. 40 DM monatlich. Dem steht als Folge der Mehrwertsteuererhöhung ein Anstieg der durchschnittlichen Unterhaltskosten für drei Kinder um 12 DM monatlich gegenüber. Unter dem Strich beträgt die Verbesserung also 28 DM. Das sind 70 % der nominellen Kindergelderhöhung. Wenn Sie hier natürlich die Gesamtbelastung der Familie heranziehen und nicht die pro Kind, dann muß - das muß ich Ihnen sagen - die Gesamtbelastung aus dem Gesamteinkommen gedeckt werden und nicht allein durch die Kindergelderhöhung. Aber, wie gesagt: Je größer die Familie ist, desto größer ist der wirkliche Effekt der Kindergelderhöhung.
Ich finde, die ständigen Angriffe, die Sie auf unsere Familienpolitik in jeder Weise richten, werden nicht dadurch besser, daß Sie sie immer wiederholen. Die Bundesregierung kann auf eine Fülle familienorientierter und familienfördernder Maßnahmen hinweisen. Sie hat damit den besonderen Rang der Familienpolitik im Rahmen der gesellschaftspolitischen Aktivitäten deutlich gemacht.
Bei der Planung und Durchführung konkreter Maßnahmen zur Förderung der Familien werden wir wie bisher dort ansetzen, wo die Familie auf öffentliche Hilfen angewiesen ist. Wir erkennen damit an, daß die Familie wie keine andere Institution in der Lage ist, Kindern Geborgenheit und Sicherheit zu geben und ihnen die Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, die sie zur Entfaltung ihrer emotionalen, sozialen und schöpferischen Fähigkeiten brauchen.
Es liegt nun aber an Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Verbesserung der finanziellen Situation gerade der Mehrkinderfamilien jetzt nicht zu blockieren. Die Mehrkinderfamilie liegt Ihnen doch so sehr am Herzen. Hier liegt doch der Akzent, wenn man Steuerpaket und Kindergeldgesetz zusammen sieht.
Wir müssen uns - das betone ich bei aller Wichtigkeit der finanziellen Probleme - auch vor Augen halten, daß Familienpolitik sich nicht in der finanziellen Unterstützung der Familie erschöpfen darf. Familienpolitik muß breit gefächert ansetzen. Praktische Hilfen sind die Schaffung eines familien- und kinderfreundlichen Meinungsklimas in unserer Gesellschaft. Dies halte ich für ebenso wichtig wie die finanzielle Unterstützung. Ich glaube, jeder ist aufgerufen, dazu beizutragen. Indem man sich kontrovers auseinandersetzt, hilft man noch gar nicht. Man hilft, indem man das Bewußtsein der Gesellschaft an jeder Stelle verbessert. Nur das kann uns helfen.
({1})
Meine
Damen und Herren! Gemäß Art. 43 des Grundgesetzes erteile ich Herrn Staatsminister Gaddum ({0}) das Wort.
Staatsminister Gaddum ({1}): Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Im Jahre 1976 nahm die Lohnsumme in der Bundesrepublik gegenüber dem Vorjahr um 6,7 % zu, aber das Lohnsteueraufkommen in der gleichen Zeit um 13,4 %, also genau doppelt so schnell. Für das laufende Jahr 1977 werden die Zuwachsrate der Lohnsumme auf 8,6 % und die Zuwachsrate des Lohnsteueraufkommens auf rund 14 % geschätzt. Die Aufkommenselastizität der Lohnsteuer liegt also weiterhin erheblich über 1,5. Das heißt, die Belastung der Lohnempfänger wird auch in diesem Jahr überproportional zunehmen. Die Belastung der Lohnsteuerpflichtigen steigt im Durchschnitt um 50 °/o stärker als das Bruttoeinkommen. Vor diesem Hintergrund und im Wissen um zirka 1 Million Arbeitslose in unserem Land erfolgt der dritte Anlauf der Bundesregierung zur Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Staatsminister Gaddum
Aus der Sicht eines Bundeslandes möchte ich an dieser Stelle, um nicht alle bekannten Argumente zu wiederholen, nur auf einige Punkte eingehen, und zwar auf die Fragen: Wer trägt diese Steuer? Wie wirkt sie sich auf die Arbeitsmarktsituation aus und wie auf die Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden?
Bei der Begründung, die der Bundesfinanzminister für das Steuerpaket gibt, habe ich den Eindruck, daß er sich nur als Haushaltsminister sieht und nicht zugleich als Steuerminister, der auch die Belastbarkeit und die Wirkungen der Maßnahmen auf die Steuerpflichtigen zu sehen hat.
Das Bundesfinanzministerium geht davon aus, daß die Erhöhung der Mehrwertsteuer den Preisindex der Lebenshaltung um etwa 1,4 oder 1,5 v. H.-Punkte in die Höhe treibt. Dieser Preisschub muß die Gewerkschaften veranlassen, einen entsprechenden Inflationsausgleich in ihre Lohnforderungen einzurechnen. Die Arbeitgeber haben in den Tarifabschlüssen der letzten Jahre die Berechtigung eines Inflationsausgleichs stets anerkannt. Es ist deshalb damit zu rechnen - und es hat keinen Zweck, davor jetzt die Augen zu schließen -, daß die Belastung der Arbeitnehmer durch die Mehrwertsteuererhöhung mit Hilfe der Tarifabschlüsse des Jahres 1978 abgewälzt wird oder daß zumindest versucht wird, sie abzuwälzen.
Dann stellt sich jedoch die Frage, wo und bei wem die höhere Mehrwertsteuerlast dann hängenbleibt. Einen großen Teil wird der Staat in Form von Mehraufwendungen für Sach-, Investitions- und Personalausgaben selbst tragen müssen, die etwa 40 bis 50 % des Mehraufkommens beanspruchen. Dieser Sachverhalt ist inzwischen wohl unumstritten, nachdem Herr Kollege Apel im Herbst vorigen Jahres die Diskussion um eine Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Juli 1977 mit dem Argument beendete, daß anderenfalls die Tarifvertragsparteien und die Unternehmen die fragliche Erhöhung in ihr Verhalten einbeziehen werden. Genau dies hat wohl auch noch. heute Gültigkeit.
Neben dem Staat sind aber auch Steuerpflichtige und insbesondere die Arbeitnehmer von der Mehrwertsteuererhöhung im zweiten Sdiritt betroffen, selbst wenn es ihnen gelingt einen vollen Ausgleich für die erwarteten Preissteigerungen durchzusetzen. Die höheren Löhne ziehen eine überproportional steigende Lohnsteuerbelastung nach sich, wie die eingangs genannte Zahl über die Aufkommenselastizität der Lohnsteuer deutlich macht. Die Arbeitnehmer werden also am Ende des Jahres 1978 feststellen, daß sie zwar die Mehrbelastung mit indirekten Steuern durch ihre Lohnpolitik möglicherweise ausgeglichen haben; aber zugleich legen sie den Grundstein für eine stärkere Belastung durch die direkte Steuer.
Im Augenblick befinden sich noch etwa 50 % der Arbeitnehmer in der Proportionalzone des Einkommensteuertarifs. Mit der Mehrwertsteuererhöhung und den dadurch ausgelösten kompensatorischen Lohnerhöhungen führt der Staat die Masse der Arbeitnehmer in eine gefährliche Nähe zur Progressionsstufe. Viele Arbeitnehmer werden diese Progressionsstufe erstmalig überschreiten, und für sie war die Besteuerung des Weihnachtsgeldes 1976 nur ein Vorgeschmack dessen, was dann in größerem Maßstab auf sie zukommt.
({2})
Die Auszehrung der Freibeträge durch inflationäre Prozesse und das inflationsbedingte Klettern auf den Sprossen der Progressionsleiter ist der eigentliche Grund für die überproportional wachsende Besteuerung, die ich Ihnen vorhin in Zahlen deutlich gemacht habe. Mit der Mehrwertsteuererhöhung wird hier kräftig nachgeholfen, und sie führt zu einem noch härteren Zugriff der Lohn- und Einkommensteuer.
Der Staat darf nicht von sich aus die Tarifpolitik der Sozialpartner erschweren. Genau dies würde aber geschehen, wenn in der gegenwärtigen Konjunkturphase eine Erhöhung der Mehrwertsteuer beschlossen würde. Der Staat würde dem Inflationsrad wieder neuen Schwung geben und damit den Verteilungskampf verschärfen. ,Die entgegengesetzte Politik, nämlich Steuererleichterungen für die Arbeitnehmer im Rahmen des überproportionalen Einnahmezuwachses des Staates als Anreiz für stabilitätskonforme Lohnabschlüsse und zur Stärkung der privaten Konsumnachfrage, wäre dagegen unter Konjunkturgesichtspunkten wohl angebracht.
({3})
Es ist schon bemerkenswert, daß ausgerechnet eine Verbesserung des Kindergeldes, Frau Kollegin Hu ber, ausdrücklich an eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gebunden wird. Nach dem Gesetzentwurf nimmt der Staat bei den Familien mit Kindern mit der einen Hand durch die Preiswirkungen das, was er mit der anderen Hand gibt,
({4})
und die Bundesregierung verkündet dies als sozialen Fortschritt, ja sogar als Zielsetzung des Gesetzentwurfs.
({5})
- Daß dies die Zielsetzung des Gesetzentwurfs ist, können Sie in der Drucksache selbst nachlesen. Der Staat profitiert doch von dem überproportionalen Wachstum der Lohnsteuer u. a. deshalb, weil es keine Kinderfreibeträge mehr gibt. Diese Freibeträge hatten in der Vergangenheit wenigstens dafür gesorgt, daß die steuerliche Entlastung der kinderreichen Familien mit dem inflationsbedingten Hineinwachsen in die Progressionszone automatisch zunahm.
({6})
- Ich habe Sie darauf hingewiesen, Herr Kollege, daß die Lohnsteuersteigerung der beiden letzten Jahre so verläuft, daß diese Belastung um 50 % stärker steigt als die Lohneinkünfte. Woher soll das denn kommen?
({7})
Staatsminister Gaddum
Alle absoluten Zahlen täuschen nicht über die Tendenz hinweg. Die Umstellung auf das Kindergeld und - jetzt kommen wir zu einem sehr entscheidenden Punkt - die von Ihnen durchgesetzte Festschreibung dieses Kindergelds in inflationären Zeiten hat es dem Staat ermöglicht, die Aufkommenselastizität der Lohnsteuer zu Lasten der Familien mit Kindern zu steigern.
({8})
Und daher kommt doch das Steueraufkommen!
({9})
Und ausgerechnet bei dieser Steuerzahlergruppe bindet der Bundeskanzler die teilweise Entlastung an eine neue Mehrbelastung. Es ist bemerkenswert: nur bei diesem Punkt, nicht bei den anderen Entlastungsmaßnahmen,
({10})
die die Bundesregierung in diesem Gesetzentwurf vorgesehen hat. Nur bei diesem Punkt!
Die Entlastungen bei der ertragsunabhängigen Besteuerung sind eine notwendige Voraussetzung für ein verbessertes Investitionsklima. Insofern stimmen wir auch der Intention dieses Gesetzes zu. Bei einer Koppelung mit einer Mehrwertsteuererhöhung können Sie aber dieses Ziel eben nicht erreichen. Die Senkung der Vermögensteuer und der Gewerbesteuer kann sich für die Unternehmen als ein Danaergeschenk erweisen, wenn sie an die Erhöhung der Mehrwertsteuer gekoppelt ist. So werden beispielsweise die mittelständischen Unternehmen durch die von der Steuererhöhung ausgelösten höheren Lohnkosten stärker belastet, als sie bei der Vermögensteuer entlastet werden. Die Mehrwertsteuer wirkt bei dem Fixkostencharakter, den die Löhne auf Grund der Sozialgesetzgebung weitgehend angenommen haben, heute genau wie andere ertragsunabhängige Steuern. Gerade wenn man die Entlastung der Betriebe von ertragsunabhängigen Kostensteuern will, muß man wohl alles unterlassen, was - wie die Mehrwertsteuererhöhung - augenblicklich gegenteilig wirkt.
Eine Steuererhöhung, die letztlich die Lohnkosten erhöht, verstärkt, meine Damen und Herren, den Druck zu Rationalisierungsinvestitionen zu einem Zeitpunkt hoher Arbeitslosigkeit. Und ich bitte doch, sehr zu überlegen, ob dieser Weg richtig ist. Wir dürfen doch nicht jetzt die Kosten des Einsatzes menschlicher Arbeitskraft erhöhen. Die Mehrwertsteuererhöhung führt dann über höhere Preise und Lohnkosten letztlich zur Vornahme von Rationalisierungsmaßnahmen und damit zu einer Belastung des Arbeitsmarktes, und das ist das, was wir heute zuallerletzt gebrauchen können.
({11})
Die Bundesregierung gibt in ihrer Gesetzesbegründung an, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fortzusetzen. Bei diesem Ziel ist der öffentliche Gesamthaushalt zu sehen, und so ist es auch in der Begründung der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf nachzulesen. Allerdings hat
der Gesetzentwurf materiell lediglich die Konsolidierung des Bundeshaushalts im Sinn und kümmert sich dann um die anderen Haushalte überhaupt nicht mehr.
({12})
- Wenn Sie mir einen Punkt nachweisen können, an dem durch dieses Gesetz eine Konsolidierung der Haushalte der Gemeinden stattfindet, bin ich gern bereit, mich zu korrigieren.
({13})
Wir haben hier die bekannte Kombination von Kostenwirkungen auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte in der Gegenrechnung zum Steuermehrertrag. Sie wissen, daß diese Rechnungen nicht nur von CDU/CSU-regierten Ländern, sondern auch von anderen Ländern, die von anderen Koalitionen regiert werden, und vom Städtetag und vom Gemeindetag aufgemacht worden sind, und sie alle kommen zu dem gleichen Ergebnis: daß nämlich dieses Paket den Bund zu Lasten insbesondere der Städte und Gemeinden - bei einem Ergebnis von etwa 0 : 0 für die Länder - begünstigt.
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz weist aber nun den Ländern die Interessenwahrnehmung für die Gemeinden zu. Von den Ländern ist - übrigens in voller Übereinstimmung auch mit den kommunalen Spitzenverbänden - wiederholt auf den Rückgang der kommunalen Investitionsausgaben seit 1974 wegen der Verschlechterung ihrer Investitionsfähigkeit hingewiesen worden. Es muß deshalb um so mehr erstaunen, wenn das Bundesfinanzministerium nunmehr eine überaus optimistische Zeichnung der kommunalen Finanzen vorlegt, wonach die Kommunen 1976 ihre Haushalte konsolidiert haben.
({14})
Damit soll offensichtlich diese Debatte hier etwas erleichtert werden.
({15})
Aber dabei wird doch einerseits übersehen, daß der Vergleich des Jahres 1976
({16})
mit dem Rezessionsjahr 1975 mit Sicherheit nicht aussagekräftig ist.
({17})
Und es wird offensichtlich darüber hinaus übersehen, daß die Reduzierung der Kreditaufnahme im Jahre 1976 - und diese Reduzierung der Kreditaufnahme gilt im Sinne der Überlegungen des Bundesfinanzministeriums als eines der Indizien für die Besserung der Situation - nur möglich war, weil auch die Investitionsausgaben wiederum absolut zurückgegangen sind, und zwar stärker als befürchtet. Wenn die Investitionsausgaben wegen der Investitionsunfähigkeit der Gemeinden - weil diese die Folgelasten nicht mehr tragen können - zurückgehen und deshalb die Kreditaufnahmen zu1554
Staatsminister Gaddum
rückgehen, ist dies, meine Damen und Herren, doch kein Indiz für die Besserstellung der Gemeinden!
({18})
Es muß ja schließlich, wenn man die Einnahmen beurteilt und sagt, die laufenden Einnahmen hätten sich erhöht, auch gesehen werden, welche Einnahmen sich erhöht haben; denn diese Erhöhungen der Einnahmen der Gemeinden haben sich im steuerlichen Bereich nicht in besonderer Weise vollzogen, sondern aus dem Rahmen fällt der Anstieg der Gebühreneinnahmen mit über 16 %. Dieses Ansteigen der Gebühreneinnahmen spiegelt eben das Anwachsen besonderer Leistungsbereiche der Gemeinden wider, die dann durch Gebühren finanziert werden müssen. Aber das hat doch nichts mit einer Besserung der allgemeinen Finanzlage zu tun. Es ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit, wenn die Gemeinden anstreben, ihre Abwasserhaushalte und ihre Verkehrshaushalte über Gebühren auszugleichen. Das kann man ihnen doch nicht quasi anlasten und von ihnen noch erwarten, daß sie das mit Krediten tun.
({19})
- Ihnen wird doch sicherlich bekannt sein, Herr Kollege, daß die Gebührenhaushalte der Gemeinden eine ungleich größere Rolle spielen als bei den Ländern und beim Bund, weil diese Art der öffentlichen Dienstleistung ganz eindeutig bei den Gemeinden konzentriert ist.
({20})
Da die Gemeinden gerade in den letzten Jahren ihre Leistungen in diesem Bereich in besonderer Weise erhöht haben, verändert sich natürlich die Struktur ihrer Haushalte. Das ist ganz normal und hat nichts mit der Verbesserung ihrer gesamten Finanzsituation zu tun.
Ich habe am 1. dieses Monats im Bundesrat darauf hingewiesen, daß es verfehlt wäre, eine Konsolidierung der Bundesfinanzen zu Lasten der Länder und Gemeinden betreiben zu wollen. Die ökonomische Funktion der öffentlichen Haushalte, durch eine Verstärkung ihrer Investitionsausgaben auch konjunkturstützend abzusichern, kann nur erfüllt werden, wenn den im Vergleich zum Bundeshaushalt eben wesentlich investitionsintensiveren Haushalten der Länder und insbesondere der Gemeinden und Gemeindeverbände der hierzu erforderliche finanzwirtschaftliche Spielraum erhalten bleibt. Jetzt geht es nicht darum, ihn auszudehnen, sondern es geht darum, ihn zu erhalten.
({21})
In Anbetracht der Steuerbeschlüsse der Bundesregierung und im Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Neuverteilung der Umsatzsteuer ab 1977 besteht sicherlich besondere Veranlassung, auf diesen Zusammenhang auch hier noch einmal hinzuweisen.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Bundeshaushalt 1977 und zum Finanzplan wiederum auf beachtliche Haushaltsreserven hingewiesen. Der Bundesfinanzminister hat - entgegen seiner Kritik an dieser Stellungnahme, die er in einer Pressemitteilung äußerte - durch den vorgelegten Ergänzungshaushalt deren Richtigkeit doch zumindest in Teilen bestätigt
({22})
- so ist es -, indem er nämlich den ersten Teilbetrag zur Finanzierung des Investitionsprogramms ohne Veränderung des Haushaltsvolumens und ohne zusätzliche Kreditaufnahme eben doch finanzieren kann.
({23})
- Ich bin der Meinung, daß eine halbe Milliarde DM immer noch Geld ist. Wir sollten uns daran gewöhnen, daß das so ist und daß das immer noch beachtenswerte Zahlen sind.
({24})
- Herr Kollege, bitte radizieren Sie das doch einmal auf die Aufwendungen, die in diesem Jahr noch anfallen werden. Die Bundesregierung hat immer wieder erklärt, daß dieses Programm noch in diesem Jahr in wesentlichen Punkten konjunkturwirksam würde. Es ist festzustellen, daß der Bundesfinanzminister glaubt, es sei möglich, daß das ohne zusätzliche Kreditaufnahme zu finanzieren sei. Ich halte das für erfreulich; ich kritisiere das nicht.
({25})
- Nur, wenn das so ist, dann zeigt sich ganz offensichtlich, daß eben diese Luft auch noch im Haushalt drin war.
({26})
In den Haushaltsabschlüssen der Jahre 1975 und 1976 ergaben sich bekanntlich ganz erhebliche Verbesserungen. Auch in der Zukunft sind, wie der Bundesrat aufgezeigt hat, Verringerungen der Kreditaufnahme ohne Erhöhungen der Steuereinnahmen durch Gesetzesänderungen möglich.
({27})
- Nein, da irren Sie sich. Ich bitte Sie, die Vorlage des Bundesrates einmal exakt zu lesen. Wir haben die Schätzansätze gerade nicht geändert!
({28})
Die von der Bundesregierung mit dem Steueränderungsgesetz angestrebten Ziele, nämlich Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Entlastung der Steuerpflichtigen, werden durch dieses Paket nicht erreicht.
Meine Kritik läßt sich wie folgt zusammenfassen. Dieses Steuerpaket ist, so wie es jetzt hier vorgelegt wird, konjunktur- und beschäftigungspolitisch falsch, sozialpolitisch ungerecht sowie finanzwirtschaftlich nicht hilfreich und insbesondere für die Gemeinden unzumutbar.
Staatsminister Gaddum
Da in diesem Zusammenhang immer nach der Alternative gefragt wird, lassen Sie mich dieses Programm einmal nach seinem Inhalt umschreiben. Der Inhalt dieses Steuerpakets ist doch nichts anderes als ein Hineingreifen in die rechte Hosentasche des Bürgers, um dasselbe Geld mit einem entsprechenden staatlichen Apparat wieder in die linke Hosentasche hineinzustecken, wobei Sie noch nicht einmal einen erfreulichen Umverteilungseffekt vom Stärkeren zum Schwächeren erzielen. Exakt denen, denen Sie in die rechte Hosentasche hineingreifen, stecken Sie das Geld auf Umwegen in die linke Hosentasche wieder hinein. Meine Damen und Herren, erwarten Sie doch nicht bei uns eine Alternative, die dann nur so aussieht, daß in die linke Hosentasche hineingegriffen und in die rechte gegeben wird. Dies ist eben keine Alternative.
({29})
Es besteht nur die Möglichkeit, daß Sie sich von diesem Paket trennen, weil es eben in dieser Situation - ich sage: in dieser Situation - falsch ist.
Herr Minister, Sie gestatten die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Staatsminister Gaddum ({0}) : Aber gern.
Herr Minister Gaddum, wenn Sie schon zu diesem Thema sprechen, egal, ob linke oder rechte Hosentasche: Würden Sie uns denn wenigstens sagen, welche Hosentasche Herr Strauß meint, der ja nicht nur die Hälfte dessen, was durch die Umsatzsteuererhöhung aufkommt, umverteilen will, sondern das Ganze? Da Sie hier sind und sich mit ihm ja wohl auch ein bißchen über das Verhalten der Opposition dort, wo sie Mehrheiten durch Länderregierungen hat - im Bundesrat -, abstimmen müssen, wäre es vielleicht ganz hilfreich, von Ihnen zu hören, wie Sie mit seinen Auffassungen fertig werden wollen.
Staatsminister Gaddum ({0}) : Ich finde es außerordentlich interessant, daß Sie hier in diesem Kontext offensichtlich nach der Meinung des Bundesrats fragen, nur muß ich Ihnen sagen: Ich gehe davon aus, daß alle Politiker jenseits allem Ideologischen, mit mehr oder weniger großen Verklemmungen oder Bindungen oder nicht vorhandenen Verklemmungen zwei Hosentaschen haben, so daß sie von daher nicht in die Situation kommen, daß sie bei sich solche Umverteilungsprobleme lösen müssen. Ich gehe davon aus, daß der Herr Kollege Strauß bei solchen Äußerungen, wie er sie gestern noch machte - Sie haben sie angesprochen -, in der Tat über den reinen Umverteilungsprozeß genau hinausgehen möchte.
({1})
- Wenn Sie lesen können, ist dies ja wohl deutlich.
Wenn ich in diesem Zusammenhang hier eine andere Position beziehe, ist das aus dem, was ich gesagt habe, deutlich geworden. Das ist für mich gar kein Geheimnis.
({2})
Dies hier ist eine Stellungnahme eines Mitgliedes des Bundesrats. Ich bin der Meinung, daß es eine sinnvolle Sache ist, in einer solchen Situation beide Verfassungsorgane zu hören, denn sie haben beide mitzuwirken.
({3})
Meine Damen und Herren, die auch von mir für notwendig gehaltenen steuerlichen Entlastungen müssen aus den Steuereinnahmen erfolgen, die über den Zuwachs des Sozialprodukts hinaus in den staatlichen Kassen ankommen. Dies ist, so meine ich, der Kernpunkt der Alternative zur Gesamtkonzeption, die zur Zeit die Bundesregierung in diesem Programm hier vertritt.
Ich meine, wir müssen uns daran gewöhnen, daß sich die Mittel, die uns aus Steuereinnahmen zur Verfügung stehen, in der Tat in dem Rahmen halten müssen, der im allgemeinen auch dem Bürger mit dem Zuwachs des Bruttosozialprodukts zufließt. Natürlich begrenzt das die Ausgabenmöglichkeiten - das weiß ich -, aber nicht im Sinne eines Herabfahrens oder eines Minus oder eines Schrumpfens, sondern es geht lediglich um eine Begrenzung der Zuwachsraten. Wir müssen durch eine Begrenzung der Zuwachsraten wieder Raum schaffen für echte steuerliche Entlastungen, die geeignet sind, private Investitionen und Konsum anzuregen, um dadurch, zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit und zu organischen Mehreinnahmen des Staates zu kommen. Nur auf diese Weise, meine Damen und Herren, ist eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf die Dauer möglich und erreichbar.
({4})
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst eine Bemerkung .zum ersten Debattenredner der Opposition, Herrn Kreile, machen. Herr Kreile, einige Randbemerkungen vorweg. Sie haben lebhaft beklagt, daß wir den Bundesrat in nicht gehöriger Weise vorher im Vorlauf gelassen haben. Ich will Ihnen sagen, warum wir das gemacht haben. Wir haben das gemacht, weil wir der Meinung sind, daß es klüger ist, parallel zu tagen, damit Sie hier im Bundestag, im Finanzausschuß genügend Zeit für die Beratungen haben. Es geht ja schon am Freitag, d. h. morgen, mit der Beratung des Steuerpaketes los. Ich glaube, das ist auch angemessen. Es kommt - lassen Sie mich das noch sagen - weiterhin hinzu, daß der Finanzausschuß unser Steuerpaket heute mit 6 : 5 Stimmen ohne Debatte abgelehnt hat.
({0})
- Ich bitt' Sie! Warum klatschen Sie? Daß die Herren nicht einmal mehr reden und einfach die Guillotine fallen lassen!
({1})
- Ich bitt' Sie! Sie sind aber wirklich leicht zu erheitern. Das freut mich aber sehr für Sie, das muß ich schon sagen.
({2})
- Herr Kollege Kreile, bitte schön!
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie sich darüber im klaren, daß das Grundgesetz nicht das zweigleisige Verfahren vorsieht, sondern Ihnen nur die Möglichkeit gibt, das von Ihnen eingeschlagene Verfahren dann zu wählen, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit besteht? Sind Sie sich also darüber im klaren, daß Sie soeben dargelegt haben, daß Sie dieses Verfahren nicht aus Gründen der besonderen Eilbedürftigkeit, sondern aus anderen Zweckmäßigkeitsgründen gewählt haben?
Nein, das sehe ich überhaupt nicht ein. Denn man muß hier ja berücksichtigen, daß es in der Debatte eine dead-line gibt. Die dead-line, sozusagen der Redaktionsschluß in der Debatte, ist die parlamentarische Sommerpause. Wenn wir eine Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 1978 haben wollen - das werden Sie, Herr Dr. Kreile, genauso wissen wie ich -, dann brauchen z. B. die Versandhäuser ein halbes Jahr Vorlauf. Wir können also eine derartige Entscheidung nicht im September oder im Oktober treffen. Wenn dies stimmt, daß die Debatte Mitte Juli, so denke ich, zu Ende sein muß, wenn Sie als Parlamentarier in eine große Anhörung eintreten wollen
- das kann ich durchaus verstehen -, dann ergibt sich hieraus für mich eine zwingende Notwendigkeit hinsichtlich der Termingestaltung. Den Herren des Bundesrates wird damit im übrigen keine Möglichkeit beschnitten. Herr Kollege Gaddum hat hier im übrigen auch schon soeben diese Meinung geäußert. Und ich habe gerade gesagt, daß der Finanzausschuß ohne Debatte abgestimmt hat.
({0})
- So ungefähr ist das, Herr Kollege Wehner!
Nun zu einzelnen Punkten. Sie sagen - das kommt auch beim Herrn Kollegen Gaddum zum Durchbruch -, diese Steuererhöhung, die Einnahmeverbesserung, der Teil, der für Einnahmeverbesserungen bliebe, sei eigentlich überflüssig. Der Bundesrat habe uns ja vorgerechnet, wieviel Milliarden DM wir an Luftbuchungen oder Sparmöglichkeiten im Haushalt hätten. Dies ist natürlich - sowohl von Herrn Gaddum als auch von Ihnen - eine eher erheiternde Bemerkung. Denn haben Sie uns und
der deutschen Offentlichkeit im Wahlkampf nicht immer vom Finanzchaos, vom bevorstehenden Zusammenbruch der öffentlichen Finanzen erzählt! Jetzt aber sind plötzlich sechseinhalb Milliarden DM mehr da.
({1})
Da kann ich nur sagen: Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.
({2})
Aber gucken wir uns das doch einmal an. Herr Gaddum hat soeben gesagt, er wolle Schätzansätze nicht korrigieren. Aber Herr Gaddum, dann kennen Sie Ihre eigene Vorlage nicht! Sie sind im wesentlichen im Bereich der Schätzansätze. Allerdings haben Sie einige dicke Positionen, hinsichtlich derer Sie meinen, daß wir sparen sollten. Sie sind z. B. der Meinung, wir sollten die Ablieferungspflicht der Deutschen Bundespost an den Bundeshaushalt sofort wieder in Kraft setzen. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, Ihre Freunde, hat das im übrigen heute bei der Beschlußfassung zum Posthaushalt nicht beschlossen. Sie sind der Meinung, die Post möge uns 2 Milliarden DM geben. Sie wollen damit also den Prozeß der Aufstockung des Eigenkapitals bei der Post beenden. Sie wollen also damit den Telefonkunden signalisieren, daß sie über ihre Gebührenrechnung den Bundeshaushalt zu sanieren haben.
({3})
- Aber ich bitt Sie! Dies heißt es doch am Ende. Wir dagegen sind der Meinung, die Eigenkapitalentwicklung der Deutschen Bundespost soll sich, wie von uns gewünscht, in Richtung auf 33 % des Kapitals fortsetzen.
Dann sagen Sie in diesem Papier jetzt ferner, wir sollten der Bundesanstalt für Arbeit ein Darlehen
- 1,25 Milliarden DM -, das wir ihr gegeben haben, wieder wegnehmen. Rein formell können wir das. Das ist richtig. Aber ist dies die kluge Politik? Ich habe in meiner Eingangsrede gesagt, in diesem Jahr geben wir 1,5 Milliarden DM für Arbeitsmarktpolitik aus. Davon sind 1,2 Milliarden DM Mittel der Bundesanstalt für Arbeit. Was soll eigentlich diese Politik? Wollen Sie eine Institution, die über Arbeitsmarktpolitik Wichtiges macht - Mobilitätszulagen, Lohnzuschüsse, Umzugszuschüsse -, in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigen? Über die soeben aufgezählten Maßnahmen hinaus wird sicherlich noch manches andere geschehen müssen, um insbesondere die Gehandikapten in den Arbeitsprozeß zu geben. Wollen Sie die nur wegen eines taktischen Vorteils im Streit mit uns ausbluten lassen? Ist dies eine vernünftige Politik? Ich kann mich über diese Vorschläge, ehrlich gesagt, wirklich nur wundern. Ich verstehe sie in der Tat nur unter dem Gesichtspunkt: Hier wollen wir einmal Positionen aufbauen, um unsere eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Aber dann darf man so weit nicht gehen.
({4})
Lassen Sie mich eine vorletzte Bemerkung zu diesem Papier machen; dadurch erspare ich Ihnen nachher einige Ausführungen in der Debatte zum
Ergänzungshaushalt. Sie sagen: Den EG-Anteil, das, was ihr an die EG zahlen müßt, könnt ihr um 660 Millionen DM kürzen. Ich weiß heute, wie ich hier stehe, daß wir auf Grund der jetzt anscheinend gefaßten oder zu fassenden Beschlüsse zur Agrarpolitik 200 Millionen DM mehr für Brüssel brauchen. Das wissen wir heute schon, und das EG-Jahr ist noch nicht einmal halb herum.
Dann sagen Sie: Setzt doch einmal 700 Millionen DM in die globale Minderausgabe. Wenn Sie die Schätzansätze dazunehmen, kommen Sie am Ende auf die von mir angesprochenen 6,2 Milliarden DM. Dazu sagt Herr Professor Kreile: Da sieht man, es sind 6 Milliarden DM im Bundeshaushalt drin.
({5})
- Ist er das nicht?
({6})
- Es hat sich so angehört. Dann sagt Herr Dr. Kreile, dies seien Luftbuchungen. Sie ändern nicht nur Ihre Argumentation innerhalb weniger Monate, Herr Dr. Kreile, sondern Sie stützen sich dabei wirklich auf Angaben, die unzutreffend sind,
Nun können Sie sagen: Aber du selbst, Bundesfinanzminister, nimmst 527 Millionen DM für die Finanzierung der Barausgaben für das Konjunkturprogramm aus deinem eigenen Haushalt. - Das stimmt. Ich habe es überhaupt nicht zu scheuen, hier zu sagen: wir sind beim Lohnabschluß etwas günstiger weggekommen als erwartet. Das ist im übrigen bei den Ländern genauso. Zweitens gibt mir die schnelle Zinssenkung Möglichkeiten, hier zuzugreifen.
Im übrigen werden die Kollegen im Haushaltsausschuß allesamt sowieso alle s Schätzansätze durchprüfen. Nur, diese Summen kommen nicht heraus. Übrigens haben wir uns einmal den Spaß gemacht, bei den Länderhaushalten nach den gleichen Kriterien zu rechnen. Dabei kommen wir auch auf 8 Milliarden DM „Luftbuchungen" in den Länderhaushalten. Ich weiß nur nicht ganz, was das eigentlich soll. Ich bin für eine rationale Betrachtung der Probleme.
Sie sagten dann, Herr Kollege Dr. Kreile, dies sei eine familienfeindliche Vorlage. Nun stehe ich nicht an zu sagen, daß natürlich, wenn 6 Milliarden DM mehr in die Kasse kommen sollen - es sind ja nur fünf Komma soundso viel Milliarden, wenn wir den § 7 b und die Grunderwerbsteuer dazurechnen -, damit zusätzliche Belastungen auf den Bürger zukommen. Aber nun wollen wir uns einmal die Rechnung angucken.
Ich habe hier sechs Rechnungen. Nehmen wir einmal die Rechnung, die meine Beamten als realistisch ansehen, nämlich daß die Sonderausgabenhöchstbeträge, die wir heraufsetzen, nicht voll ausgeschöpft werden. Dann ergibt sich bei einem Ehepaar ohne Kinder mit einem Bruttoeinkommen von 3 000 DM durch das Steuerpaket eine Mehrbelastung von 16 DM monatlich, weil 22 DM mehr an Mehrwertsteuer anfallen und andererseits 6 DM monatlich auf Grund der Anhebung der Sonderausgabenhöchstbeträge gespart werden, aber eben
unter der Prämisse, daß sie nicht voll ausgenutzt werden. Würden sie voll ausgenutzt werden, sähe das Bild schon günstiger aus. Dann kommt das Ehepaar mit zwei Kindern; hier werden 5 DM Steuern mehr im Monat gezahlt. Bei dem Ehepaar mit vier Kindern werden 45 DM Steuern im Monat gespart. Ich hätte auch die anderen Zahlen bei voller Ausschöpfung der Sonderausgabenhöchstbeträge nehmen können. Wir haben das nicht getan. Ich bin also der Meinung, daß in der Tat hierin eine familienfreundliche Komponente enthalten ist.
Weiter sagen Sie, dies sei eine kommunalfeindliche Gesetzgebung.
({7})
Dies hat Herr Minister Gaddum auch gesagt. Gucken wir uns hier doch die Rechnungen an. Mit „Sehr richtig!" ist wenig anzufangen, sondern man muß sich die, Zahlen angucken.
({8})
- Es ist doch klar, daß auch Politiker zwei Seelen in ihrer Brust haben. Das geht auch einer Reihe von sozialdemokratischen Abgeordneten so, die hier als Gemeindevertreter sitzen und Bundespolitik vertreten. Auch die werden mit mir darüber streiten, wie nachher das Mehraufkommen zu verteilen ist. Das ist doch nicht der Punkt. Wir müssen uns zunächst einmal Zahlen ansehen.
({9})
Da stellen wir fest, 1978 nimmt der Bund, wenn wir alles zusammen nehmen, auch § 7 b und die Grunderwerbsteuer, 4,4 Milliarden DM mehr ein, die Länder nehmen 813 Millionen DM mehr ein, und die Gemeinden verlieren rund 1 Milliarde DM. Wenn Sie Länder und Gemeinden zusammen nehmen, dann gleicht es sich grosso modo aus.
Nun sagen Sie, Herr Kollege Gaddum, die Zahlen, die Herr Haehser vorgelegt hat, seien ganz falsch. Ich will Ihnen nicht das ganze Paket vorlesen, das wir dazu haben, aber lassen Sie mich bitte zwei Zahlenreihen vortragen. Ich meine die Nettokreditaufnahme im Verhältnis zu den Gesamtausgaben. Wieviel Prozent mußte man bei den Ausgaben über Schuldenmachen finanzieren? Im Jahre 1976 beim Bund 16 °/o, bei den Ländern 10 °/o, bei den Gemeinden 5 °/o. Wie haben sich die Steuereinnahmen im Jahre 1976 erhöht? Bei den Gemeinden um 12,9 °/o, bei den Ländern um 10,5 °/o, beim Bund um 7,8 °/o. Mein Gott, ich fange - auch angesichts der Person dès Vizepräsidenten, der hier amtiert - nicht den Streit mit den Gemeinden an. Lassen Sie uns doch aber die Dinge einmal nüchtern betrachten. Im übrigen werden wir am Ende - Frau Funcke hat sehr richtig darauf hingewiesen - auch über die Verteilung der Mehreinnahmen zu sprechen haben.
Herr Bundesfinanzminister, Sie gestatten die Zwischenfrage des Herrn Kollegen Waffenschmidt?
Ihre Frage war so formuliert, da das Ihr natürlicher Verbündeter ist, daß ich midi dem gar nicht widersetzen kann.
({0})
Herr Bundesfinanzminister, Sie sprachen eben von der Pressekonferenz und dieser sogenannten Dokumentation Ihres Parlamentarischen. Staatssekretärs Haehser. Sind Sie denn bereit zuzugeben, daß Sie inzwischen bereits eine mit guten Gründen versehene, fundierte Stellungnahme des Städtetages auf dem Tisch des Hauses haben, die eben alle diese Darlegungen des Staatssekretärs als irreführend widerlegt hat? Ich meine, es gehört zur Redlichkeit, das hier zuzugeben.
({0})
Der Beifall könnte von allen Seiten des Hauses kommen. Ich habe das natürlich erhalten, und ich weiß, daß wir in diesen Fragen miteinander reden müssen. Ich habe in meiner Einbringungsrede gesagt, daß ich hier offen und fair reden werde. Ich bitte Sie, Herr Kollege Waffenschmidt, Sie brauchen hier keine allzu große Sorge zu haben, ich werde niemanden hereinlegen. Das entspricht gar nicht meiner Natur.
Lassen Sie midi zu einem letzten Punkt von Herrn Dr. Kreile kommen. Herr Dr. Kreile, mich hat an Ihrer Argumentation zweierlei gestört. Erstens haben Sie gesagt, es müsse endlich die Gewerbesteuer weg. Sie haben das nicht für sofort verlangt, zugegeben, aber Sie wollen sie abschaffen. So muß ich Sie doch verstehen. Oder sehe ich das falsch? So muß ich Sie verstehen, so darf ich Sie verstehen.
({0})
- Dann müssen Sie aber ein bißchen über anderes nachdenken, das Sie gesagt haben. Die Gewerbesteuer bringt im Moment 22 Milliarden DM. Wollten wir sie ersetzen durch eine andere Einkommensart - und das muß ja wohl sein; wir können den Gemeinden nicht 22 Milliarden DM wegnehmen, wenn Herr Waffenschmidt und Herr Schmitt-Vockenhausen und Herr Koschnick sich schon bei ganz anderen Beträgen angesprochen fühlen -, müssen wir die Mehrwertsteuer mindestens um vier Prozentpunkte anheben. Da möchte ich Sie ganz gerne einmal fragen, wo Sie dann mit Ihrer sozialen und sozialkritischen Argumentation bleiben.
({1})
Ich muß sagen, da kann man gar keinen anderen Weg gehen, als daß man hier durch Anhebung der Freibeträge sehr vorsichtig voranschreitet.
Nun kommt ein Zweites. Sie sprechen vom Abbau der heimlichen Steuererhöhungen, von der Senkung der Gewerbesteuer, von verstärkter Senkung der Vermögensteuer, obendrauf der Plafondierung, Verbesserung des Kindergeldes. Ich habe einmal grob gerechnet, das bedeutet wohl 10 Milliarden DM Steuerausfall. Ich möchte dann gerne eine Antwort darauf haben - das richtet sich auch
an Herrn Gaddum -, wo das Geld herkommen soll. Herr Gaddum, Sie sagen, dann muß eben mehr gespart werden.
({2})
- Wenn Sie „ja" sagen, wäre es ganz gut, wenn einmal irgendeine Anregung von Ihnen käme. Bin ich nicht heute morgen scharf kritisiert worden, weil ich daran denke, daß wir uns einmal die Besteuerung der Landwirtschaft zu Durdischnittssätzen angudcken? Hat Herr Dr. Kreile mir nicht den Vorwurf gemacht, ich hätte wegen 20 oder 30 Millionen DM beim sogenannten Beamtenprivileg eine unnötige Schlacht angefangen? Dann legen Sie doch einmal „ein bißchen Butter bei die Fische". Dann sagen Sie uns doch einmal, wo Sie es gerne hätten. Audi Sie, Herr Kollege Gaddum. Sie sind ja Landesfinanzminister.
({3})
- Das ist natürlich ein bißchen zu einfach. Man kann nicht sagen: Wir überlassen das der Regierung. Ich gebe Ihnen meine Antwort. Ich weiß nicht, Herr Kollege Gaddum, ob Sie vielleicht Jurist sind. Es wäre nun kein Vorwurf, wenn Sie es wären. Aber wenn Sie Ökonom wären, dann müßte ich darum bitten, endlich einmal aufzuhören, über undifferenziertes Zusammenstreichen von öffentlichen Ausgaben in einer schwierigen Konjunktursituation so zu reden, wie Sie das hier tun. Das geht doch nicht.
({4})
Wir brauchen im Gegenteil eine Stützung des Aufschwungs durch öffentliche Ausgaben und öffentliche Aufgaben. Wenn dies so ist, dann, meine ich, kann man nicht sagen: Steuersenkungen sind besser, wir finanzieren sie dann eben über Einsparungen. Sie haben ein Beispiel verwandt. Sie haben gesagt: Ihr finanziert einen Teil der Wohltaten, indem ihr woanders in die Tasche greift. Wenn ich nun in diesem Bild bleiben will, sage ich: Sie greifen auch in die Tasche, nur in eine Tasche, in der überhaupt nichts drin ist, es sei denn, Sie wollten eine erhöhte Verschuldung - die hat ja auch bei Ihnen verfassungsmäßige Grenzen, denke ich - in Kauf nehmen.
Ich bin damit bei dem Herrn Kollegen Gaddum. Ich finde, es ist alles gar nicht so ganz schlecht, was er sagt. Was mir nur am Ende fehlt - das fehlt mir in dieser Debatte -, ist die Konsequenz. Sie sagen: Mehrwertsteuererhöhung wollen wir nicht, Leistungsverbesserung - sprich: Kindergeld
- wollen wir, Steuersenkungen wollen wir, und zwar noch viel mehr als Ihr, beim Sparen fällt uns nichts ein; aber wir wollen es dennoch alles so machen.
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- Aber ich bitte Sie, so ist es doch. Dann frage ich noch einmal ab: Wollen Sie das Kindergeld anheben, ja oder nein?
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- Er hat „ja" gesagt. Wollen Sie die Vermögensteuer und die Gewerbesteuer senken und die Abschreibungsverbesserungen einführen? Dies wollen Sie.
({7})
- Na also, Sie wollen es. Die Einnahmeverbesserungen wollen Sie nicht. Sparvorschläge legen Sie nicht auf den Tisch. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege Gaddum, dies ist keine Politik, dies ist Magie.
({8})
Das ist noch nicht einmal Magie, sondern Sandstreuen.
({9})
Aber bei Herrn Gaddum habe ich doch das Schlupfloch herausgehört. Er hat sich am Ende offengelassen, im Vermittlungsausschuß noch einmal zu debattieren und dann schlauer zu werden. Darauf hoffen wir alle.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäuble.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der letzten Intervention des Herrn Bundesfinanzministers ist man, wenn man aufmerksam zugehört hat, nicht mehr so ganz sicher, was er eigentlich mit seinem Steuerpaket will. Ob es ein Belastungs- oder ein Entlastungspaket ist, ist schon lange fraglich. Das wird ja je nach dem Publikum, vor dem man gerade redet, ganz unterschiedlich dargestellt. Nach dem, was Sie jetzt gesagt haben, bin ich mir nicht mehr ganz sicher, Herr Bundesfinanzminister, ob es am Ende bei alledem, was Sie hier gesagt haben, nicht nur um Ihr persönliches Prestige geht, daß Sie eben irgendwann einmal die Mehrwertsteuererhöhung durchsetzen müssen, von der Sie seit Jahren reden.
Wenn Sie von den Berechnungen Ihrer Beamten gesprochen haben, vor denen wir ja großen Respekt haben,
({0})
dann müssen wir Sie daran erinnern, daß Sie bei all diesen Berechnungen sehr vorsichtig sein müssen.
({1})
Sie haben sich schon einmal von Berechnungen Ihres Hauses in einer Weise distanzieren müssen, die Sie für jede Karnevalssession noch immer sehr zitierfähig macht.
Zu der Art, wie Sie hier zu dem Beitrag meines Kollegen Dr. Kreile Stellung genommen haben, möchte ich vorab sagen: Wenn ich Sie so titulierte, wie Sie Herrn Kreile hier apostrophiert haben, dann würde ich möglicherweise mit dem amtierenden Präsidenten ein bißchen in Konflikt kommen.
Aber die Art, wie Sie sich hier mit den Argumenten meiner Kollegen auseinandergesetzt haben, wird am besten deutlich durch die Form Ihres Vorgehens. Sie sprechen ja immer davon, man solle auf Tatsachen zurückgehen. Dann zählen Sie alle möglichen Forderungen, Wünsche und Anträge auf, die die Opposition gestellt habe, und summieren sie in Milliardenhöhe. Nennen Sie mir einmal die Anträge, die die CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause in der 7. oder 8. Legislaturperiode gestellt hat, und addieren Sie die einmal, um die Einnahmeminderungen oder Ausgabesteigerungen zusammenzubekommen; dann werden Sie sehen, daß die Opposition mit dem Geld dieses Bundeshaushalts viel verantwortungsvoller umgegangen ist, als Sie dazu als Bundesfinanzminister im Stande gewesen sind.
({2})
Sie haben dann das Spiel mit der Steuerlastquote und der Abgabenlastquote gemacht, Herr Bundesfinanzminister und Herr Kollege Böhme. Sie müssen - Herr Gaddum hat das gesagt - den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Steuerlastquote und der Entwicklung des Aufkommens der einzelnen Steuerarten sehen. Dann sind wir bei dem Kernproblem der wachsenden Belastung insbesondere der Arbeitnehmereinkommen. Das sind ja diejenigen, die durch die von Ihnen geplante Mehrwertsteuererhöhung am stärksten belastet sind. Das ist der Zusammenhang.
Wenn Sie dann sagen, es habe in der Opposition ja Erwägungen gegeben, im schlimmsten Fall, wenn alles andere bei der Sanierung der Rentenversicherung nicht hilft, möglicherweise auch den Beitrag zur Rentenversicherung zu erhöhen, dann sollten Sie doch auch so ehrlich sein, zu sagen, daß Sie bei der Rentensanierung etwas ganz anderes vorhaben, nämlich das Ding unter dem Tisch zu verstecken, indem Sie die Lösung über die Krankenkassenbeiträge suchen. Das erhöht die Abgabenbelastung der Bürger genauso. Nur ist es der unehrliche Weg, so wie Sie die Finanzen des Bundes auf unehrliche Weise sanieren wollen, indem Sie das, was Sie für den Bund brauchen, durch Tricks den Ländern und Gemeinden wegnehmen. Das ist keine solide und seriöse Politik. Damit werden Sie im Bundestag und Bundesrat scheitern.
Wir lehnen dieses Paket der Steuererhöhung ab. Wir glauben auch nicht - das ist inzwischen ein bißchen unklar geworden -, daß der Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen - betreffend § 7 b des Einkommensteuergesetzes und Einschränkung der Grunderwerbsteuer - nun doch noch hergestellt werden soll. Das ist inzwischen ganz unklar. Wir wären für eine Antwort dankbar, ob Sie das als ein Paket ansehen. Ich bin dankbar, daß Sie sagen, das Scheitern des Steueränderungsgesetzes bedeute nicht, daß der Gesetzentwurf auf Drucksache 8/286 nicht bleibt. Dies ist eine wichtige Klarstellung. Ich möchte hier ausdrücklich zu Protokoll geben, daß der Bundesfinanzminister dies hier jedenfalls konkludent selber bestätigt hat. Es ist so unklar geworden.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion, meine Damen und Herren, begrüßen die Absicht dieses Gesetzentwurfs. Wir begrüßen, daß der Zusammenhang mit der Mehrwertsteuererhöhung nicht hergestellt worden ist und auch weiterhin nicht hergestellt wird. Wir sehen in diesem Gesetzentwurf eine Chance, vernünftige vermögenspolitische, städtebauliche und wohnungspolitische Ziele anzustreben.
Gleichwohl haben wir bei diesem Gesetzentwurf mit großer Sorgfalt zu prüfen. Wir haben schon erhebliche Bedenken, ob die Ausfallberechnungen, die Sie für die Auswirkungen dieses Gesetzentwurfs angestellt haben, tatsächlich zutreffend sind. Wir haben von vornherein anzumerken, daß auch dieser Gesetzentwurf das offenbar übliche Prinzip der Bundesregierung enthält, daß man Steuererleichterungen vorschlägt, die im wesentlichen von den Gemeinden und Ländern finanziell zu verkraften sind. Dies ist kein Weg, auf dem wir die Probleme in unserem Bundesstaat gemeinsam bewältigen können.
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- Das werden Sie, Herr Kollege Huonker, genauso zu tun haben.
Herr Bundesfinanzminister, es ist keine Frage: wenn wir die Mehrwertsteuererhöhung ablehnen, dann ist unser Spielraum für steuerpolitische Maßnahmen, wie es Herr Kreile hier mit aller Deutlichkeit angesprochen hat, in dieser Situation, in die wir gekommen sind, natürlich sehr begrenzt.
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- Das ist doch keine Frage. Nennen Sie mir Anträge, die dem entgegenstehen! Nennen Sie mir einen Antrag, der dem entgegensteht! Sie diffamieren uns immer wahrheitswidrig.
Wenn dieser Spielraum so eng ist, meine Damen und Herren, dann bleibt zu fragen, ob es wirklich das Optimale im Rahmen des sehr begrenzt Möglichen ist, was hier in dem Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude vorgeschlagen ist, ob wir nicht unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten mit dem Volumen, das bei der Verwirklichung dieses Gesetzentwurfes zur Verfügung gestellt werden muß, etwas anderes anstellen könnten. Jedermann wird es für wünschenswert und richtig halten, die Höchstbeträge der begünstigungsfähigen Herstellungskosten bei Ein- und Zweifamilienhäusern zu erhöhen. Dies wäre ein Punkt, den man sehr genau prüfen müßte. Ich füge heute schon an, daß wir in den Beratungen des Finanzausschusses sehr genau prüfen werden, ob wir nicht einen Weg miteinander, hoffe ich, finden können. Das ist auch im Finanzausschuß des Bundesrates angesprochen worden. Man könnte eine Familienkomponente in die Höchstbeträge der berücksichtigungsfähigen Herstellungs- und Erwerbskosten einführen. Diesen Punkt müssen wir mit aller Sorgfalt prüfen.
Wir werden bei den Beratungen des Gesetzentwurfes auch mit großem Ernst zu prüfen haben, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, die im Rahmen des § 7 b durch die Dritte Konjunkturverordnung entstandene Lücke endlich einmal zu schließen, die bei der Entwicklung der konjunkturpolitischen Landschaft und der Landschaft der Gesetzgebung nadi dem Erlaß der Dritten Konjunkturverordnung inzwischen ein fortdauerndes Unrecht geworden ist.
Wir werden bei den Beratungen im Finanzausschuß mit großem Nachdruck und großem Ernst zu prüfen haben, wie es mit der Verfassungsmäßigkeit der Grunderwerbsteuergesetze noch bestellt sein wird, die ja mehr und mehr zu einer Besteuerung von Ausnahmetatbeständen führen. Dies ist ein schwieriges Problem. Ich glaube, es besteht im Grunde im Bundesfinanzministerium auch schon Klarheit darüber, daß wir, wenn das Gesetz so verwirklicht würde, wie es uns im Entwurf vorliegt, in den Grunderwerbsteuergesetzen der Länder - in dem, was an Recht noch bleibt - so unerträgliche, widersprüchliche Situationen in den einzelnen Ländern bekämen, Herr Böhme - z. B. wir in Baden-Württemberg -, daß wir ganz sicher Korrekturen in dem Gesetzentwurf gemeinsam finden müssen, um die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu sichern.
Sehr viel Aufmerksamkeit werden wir der besonders schwierigen Wohnungsmarktsituation in Berlin zuwenden müssen. Es gilt zu prüfen, ob wir nicht in Berlin unter den Voraussetzungen, die wir in der Berlin-Förderung bei der spezifischen Problematik immer gesehen haben, die Erwerbsvorgänge in einem weiteren Umfange in die Begünstigung einbeziehen können.
Dies alles sind Themen, die wir in den kommenden Wochen in einer zügigen Beratung mit großer Sorgfalt zu prüfen haben. Wir sind zu dieser zügigen Beratung mit dem Ziel einer baldigen positiven Beschlußfassung über das Gesetz bereit. Wir müssen schon deswegen zügig beraten - auch dies will ich anmerken -, weil wir durch die Art dieser Vorlage und ihrer öffentlichen Ankündigung einen Erwartungsdruck gerade auch hinsichtlich der Grunderwerbsteuer in der interessierten Öffentlichkeit geschaffen haben. Dieser zwingt uns als Gesetzgeber, sehr rasch endgültige Klarheit zu schaffen. In diesem Sinne hoffen wir von der CDU/CSU-Fraktion, daß es uns gelingt, gemeinsam rasch zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
Ich bitte noch einmal darum, daß wir die Beratungen dieses Gesetzes nicht mit der Mehrwertsteuerproblematik belasten. Der vorgeschlagenen Überweisung des Gesetzentwurfs stimmen wir zu.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gobrecht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wesentlicher Beitrag zur Steuerpolitik ist mir bei meinem Vorredner nur in Erinnerung geblieben, daß er sich über die Anrede irgendwie betroffen gefühlt hat, die der Herr Bundesminister Apel für den Kollegen Kreile gewählt hat. Bisher ist mir nicht klar gewesen, daß
der Titel, den Herr Minister Apel dem Kollegen Kreile gegeben hat, irgend etwas Degradierendes darstellte.
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Ich darf dann bei dem Kollegen Kreile und seinem Bild von den Händen und der Mehrwertsteuer anknüpfen. Das paßt -ein wenig auch noch auf das Programm der CDU/CSU zur Steuerpolitik. Denn immer dann, wenn gefragt wird: wo sind denn die Vorschläge?, und Sie zeigen Ihre Hände, dann sind die leer oder, umgekehrt, sie sind voll von Widersprüchlichkeiten, wie die Kollegin Funcke das vorhin eindtucksvoll dargelegt hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte - in aller Kürze - ganz besonders auf die Erweiterung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes eingehen, des berühmtesten Paragraphen des Einkommensteuergesetzes, wie man wohl sagen kann. Die SPD-Fraktion begrüßt ausdrücklich die Ausdehnung der steuerlichen Abschreibung auf alle Eigentumswohnungen, Einfamilienhäuser und Zweifamilienhäuser und die Erweiterung der Grunderwerbsteuerbefreiung für diesen Bereich, wie sie der Herr Bundes- kanzler in seiner Regierungserklärung angekündigt hat und wie sie nun im Gesetzentwurf über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude vorgesehen ist. Diese Regelungen sollen rückwirkend vom 1. Januar 1977 an in Kraft gesetzt werden.
Worum geht es uns bei dieser Neufassung des § 7 b? Es geht uns darum, dem Wunsch vieler Bürger - und zwar auch der weniger begüterten, der weniger einkommensstarken Schichten der Bürger - nach einer eigenen Wohnung, nach einem eigenen Einfamilienhaus Rechnung zu tragen. Dies soll auch dadurch erreicht werden, daß wir die Geltung des § 7 b auf den Altwohnbaubestand ausdehnen, denn gerade den weniger einkommensstarken Schichten ist ein Neubau oft zu teuer. Ich habe sehr wohl gehört, was mein unmittelbarer Vorredner hier hinsichtlich der Bedenken gesagt hat, die im Hinblick auf die Erweiterung des .§ 7 b bestehen.. Mich wundert es schon, daß Sie ausgerechnet dort ansetzen, wo es darum geht, auch die einkommensschwächeren Schichten einmal zu bedenken, wenn es um Eigentumsmaßnahmen geht.
Meine Damen und Herren, es geht hier zugleich darum, einen vermögenspolitischen Beitrag zu leisten, der in konkretem Zusammenhang mit der bisherigen Vermögenspolitik der sozialliberalen Koalition steht. Ich will es mir verkneifen, hier auf die einzelnen Punkte einzugehen, weil die Debatte zeit- lich schon so weit fortgeschritten ist.
Es geht weiter darum - dies ist ein sehr wesentlicher Punkt im Zusammenhang mit dem § 7 b des Einkommensteuergesetzes -, der Ausblutung der großen Städte und vor allem ihrer innerstädtischen Bereiche entgegenzuwirken und der Abwanderung der jungen Familien - insbesondere aus dem Bereich der Aufsteiger - Einhalt zu gebieten. Es geht zugleich darum, die Erneuerung des Altwohnbaubestandes, die wir mit öffentlichen Mitteln bei weitem nicht in dem Maße, wie es notwendig ist, durchführen könnten, mit privaten Mitteln zu fördern. Natürlich wird dann, wenn man Eigentum zu einem günstigen Preis erworben hat, die Bereitschaft ganz besonders ausgeprägt sein, auch Altbauten so herzurichten, daß sie neuzeitlicher Ausstattung entsprechen. Meine Damen und Herren, dies ist im Zusammenhang mit dem § 7 b eine wesentliche städtebauliche und wohnungspolitische Zielsetzung und entspricht auch einer Forderung, die der Deutsche Städtetag seit langem an die Verantwortlichen gestellt hat. Außerdem mußte die bisherige Konzentration der Förderung auf Neubauten zu diesem Zeitpunkt, wie Minister Apel schon dargelegt hat, auf jeden Fall überprüft werden. Wir meinen, es ist gut, daß diese Prüfung zu dem Ergebnis geführt hat, daß der § 7 b auf alle Anschaffungen ausgedehnt werden soll, weil damit die bisherige Verweisung von Wohneigentum auf die Randzonen der Städte eingeschränkt wird und weil wir so dazu kommen können, eine ausgewogenere Siedlungs- und Sozialstruktur in den städtischen Bereichen zu erhalten.
Meine Damen und Herren, es geht schließlich darum, die Mobilität der Bürger zu fördern, ohne ihnen Verluste zuzumuten, denn der Entwurf des neuen § 7 b des Einkommensteuergesetzes ermöglicht sozusagen die Mitnahme der Steuervergünstigung, die Fortsetzung der Steuerabschreibung an einem anderen Objekt, wenn der Wohnort beispielsweise auf Grund eines neuen Arbeitsplatzes gewechselt und das bisherige Objekt verkauft wird.
Es ist - gerade für Sozialdemokraten - klar, daß es keine Vertreibung von Mietern, die nicht kaufen können oder kaufen wollen, aus ihren Wohnungen geben darf und geben wird. Dafür werden wir sorgen. Klar ist auch, daß keine Unbefugten Sozialwohnungen kaufen dürfen, und klar ist ebenso, daß der notwendige Bestand an mietgünstigen Sozialwohnungen nicht unangemessen vermindert werden darf. Zu diesem gesamten Komplex gibt es ja auch bereits Besprechungen und Verhandlungen zwischen dem Bundesministerium für Raumordnung, BauWesen und Städtebau und den entsprechenden Länderinstanzen.
Schließlich - und dies ist uns wichtig -: Wir werden im Gesetzgebungsverfahren, das jetzt eingeleitet ist, prüfen, ob und wie eine familiengerechte Komponente, wie z. B. der Bundesrat sie zu Recht gefordert hat, eingebaut werden kann. Denn es ist ja ganz offensichtlich, daß Familien mit mehreren Kindern sehr viel eher ein größeres Maß an Wohnraum brauchen.
Herr Kollege Gobrecht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Ja!
Herr Kollege, Sie sprechen von der Sozialbelastung hinsichtlich der steuerlichen Vergünstigungen bei Wohngebäudeerwerb. Ist es theoretisch möglich, daß jemand beim Erwerb einer Wohnung in den Genuß der Grunderwerb1562
steuerbefreiung kommt, wenn er etwa drei Jahre warten mùß, bis er einem Mieter kündigen kann - wobei dem Mieter dann noch die Sozialklausel zur Seite steht -, und wenn es im Gesetzentwurf heißt, die Wohnung sei mindestens ein Jahr lang selber zu nutzen?
Wir wollen ja auch durch diese Neuregelung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes gerade vermeiden, daß Mieter aus ihren Wohnungen vertrieben werden.
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Dadurch werden wir erreichen, daß nur solche Wohnungen gekauft werden, die zur Eigennutzung wirklich zur Verfügung stehen. Das allerdings kann man durch die gesetzlichen Bestimmungen sicherstellen. Ganz abgesehen davon ist gegen den erbitterten Widerstand der Opposition die Mietgesetzgebung durchgebracht worden, die hier wesentliche Voraussetzungen schafft.
Wichtig ist mir, wie ich eben schon sagte, daß wir im Zusammenhang mit der Forderung des Bundesrates prüfen, eine familiengerechte Komponente einzuführen. Aber klar ist, daß dies nur möglich sein wird, wenn wir den § 7 b im System umstellen, und zwar von der Abschreibung von der steuerlichen Bemessungsgrundlage hin zum Abzug bestimmter Beträge von der Steuer. Gerade dieser Veränderung hat sich meine Partei, die SPD, bereits 1971 auf ihrem Parteitag zur Steuerreform verschrieben. Es ist unsere - und, was ich ganz besonders unterstreichen möchte, auch meine persönliche - Auffassung, daß die Erweiterung des § 7 b noch in dieser Wahlperiode genutzt werden muß,, diese Bestimmung gerechter in diesem Sinn zu gestalten. Denn für einen Sozialdemokraten ist nicht einzusehen, warum ein Großverdiener in den acht Jahren der Geltung des § 7 b rund 20 000 DM mehr an Steuervergünstigung erhalten soll als ein Normalverdiener. Deshalb ist bei dieser Prüfung zu beachten: Dieser Progressionsvorteil muß fallen, damit ein noch familiengerechterer § 7 b herauskommt, ganz wie ihn auch der Bundesrat sich wünscht.
Schließlich werden wir prüfen, ob der § 7 b auch auf jene Fälle ausgedehnt werden kann, die 1973 aus konjunkturpolitischen Gründen von der Vergünstigung ausgeschlossen wurden. Dabei ist klar, daß diese Prüfung nur dahin gehen kann, ob für die restlichen vier Jahre ab 1977 erhöhte Absetzungen gewährt werden können. Das wird sicher eine schwierige Prüfung im Zusammenhang mit Haushaltsausfällen sein.
Zu Berlin brauche ich hier sicher kein besonderes Wort zu sagen, weil Berlin bei Sozialdemokraten ganz besonders gut aufgehoben ist und es ganz selbstverständlich ist, daß wir in diesem Zusammenhang die Regelungen, was Berlin anbelangt, auch zugunsten Berlins eingehend prüfen werden.
Zum Schluß: Wichtig ist für die Bürger, daß so schnell wie möglich die Änderung des § 7 b in Kraft gesetzt wird - das haben ja alle Seiten vor -, und zwar rückwirkend zum 1. Januar 1977. Zugleich sollten unsere Bürger aufgefordert werden, jetzt zu
kaufen und jetzt zu bauen. Denn das gegenwärtige niedrige Zinsniveau ist ein besonders guter Ansatzpunkt im Zusammenhang mit den Neuregelungen, davon Gebrauch zu machen.
Schließlich lassen Sie mich etwas hinzufügen, was die Kollegin Frau Funcke heute schon hier angesprochen hat. Der Kollege Strauß hat die Steuerpläne der Regierung als einen weiteren Schritt in den sozialistischen Abgabenstaat bezeichnet. Das zeigt zum einen die berühmte sachliche Art, in der sich der Kollege Strauß mit politischen Themen auseinanderzusetzen pflegt, und zum anderen gerade im Zusammenhang mit dem § 7 b, den die sozialliberale Koalition in der geschilderten Weise ändern will, mit welch pointierten und subtilen Schritten - wie die Ausweitung des § 7 b einer ist - wir in den sozialistischen Abgabenstaat schreiten.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist wieder von seiten der Opposition sehr intensiv über die Staatsquote oder die Abgabenquote gesprochen worden.
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- Es ist auch über die Abgabenquote gesprochen worden, die Steuerquote war nur ein Teil davon, hier wurde auch breit über die Staatsquoten diskutiert. Herr Dr. Kreile, Sie geben mir sicher recht, daß Sie darüber gesprochen haben. - Herr Dr. Kreile nickt; sehen Sie, er hat besser aufgepaßt.
Einige Worte möchte ich kurz dazu sagen. Da Herr Dr. Kreile die Ausführungen des Bundesfinanzministers als, wie er sagte, Belehrung nach Volkshochschulart empfand, möchte ich eine andere Autorität zur Steuerquote zitieren, die Ihnen vielleicht eher genehm ist. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat in seinem Gutachten zur Aussagefähigkeit staatswirtschaftlicher Quoten am 2. Juli 1976 ausdrücklich festgestellt:
Deshalb sind Steuerquoten, die in politischen Auseinandersetzungen oftmals als angebliche objektive Belege für das Ausmaß der Belastung einer Volkswirtschaft verwandt werden, sehr viel vorsichtiger und zurückhaltender zu interpretieren, als es im allgemeinen geschieht.
Man hat fast den Eindruck, als ob der Wissenschaftliche Beirat bei dieser Bemerkung Ihren bevorstehenden Wahlkampf im Auge gehabt, sich darauf vorbereitet hätte und Sie hätte warnen wollen.
Das zweite zur Sozialabgabenquote: Ich glaube, man kann mit Fug und Recht die Frage stellen, ob es überhaupt korrekt ist, die Sozialabgabenquote unter die Staatsquote zu packen, denn der Staat erhält von diesen Ausgaben der Bürger für die Sozialversicherung nicht einen einzigen Pfennig. Nach dem Versicherungsprinzip fließen sämtliche der dort eingezahlten Gelder an die Versichertengemeinschaft zurück, vermehrt um staatliche ZuFrau Matthäus-Maier
schösse und mit einer außerordentlich hohen Rendite. Warum ist es denn z. B. so, daß die Arbeitnehmerorganisationen den Vorschlag der Regierung in dem 20. Rentenanpassungsgesetz zur Möglichkeit der Aufstockung für Pflichtversicherte bis zur Beitragsbemessungsgrenze so sehr begrüßen? Das ist doch wohl nicht deshalb so, weil sie - so muß man es in Ihrer Terminologie sagen - sich darum reißen, die Staatsquote zu erhöhen, sondern weil sie wissen, daß Sozialversicherung für den Betroffenen etwas bringt. Oder warum erleben wir es im Petitionsausschuß immer wieder, daß dort Eingaben vorgebracht werden, in denen einzelne Bürger über die gesetzlichen Möglichkeiten hinaus den Wunsch äußern, freiwillig in die Sozialversicherung hineinzukommen? Das geschieht doch wohl nicht deswegen, um in Ihrem Sinne die Staatsquote zu erhöhen, sondern weil sie wissen, daß Freiheit auch auf sozialer Absicherung beruht.
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Ein Drittes. Unabhängig von der Frage der Sozialabgabenquote besagt die Staatsquote oder die Abgabenquote nicht, daß der Staat in Höhe dieser Quote über einen Anteil des Bruttosozialprodukts verfügt, ihn für sich in Anspruch nimmt. Eine Milliardenmasse von Transferleistungen in Form von Ausbildungsförderung, Wohngeld, Unternehmenssubvention, Sparprämien usw. fließt an die Steuerbürger zurück. Wenn man beurteilen will, wie hoch das frei verfügbare Einkommen des einzelnen ist, dann muß man den Saldo aus der Abgabenschuld und diesen Transferleistungen betrachten. Vielleicht darf ich zum Abschluß wiederum dieses Gutachten zitieren, in dem steht:
Da der Staat regelmäßig einen Teil seiner Einnahmen in Form von Transfers wieder an die Privaten zurückleitet, ist aus der Abgabenquote nicht zu erkennen, in welchem Umfang Einkommensteile endgültig aus der privaten in die öffentliche Verwendung übergegangen sind. Aus der gesamtwirtschaftlichen Perspektive muß die Last der Besteuerung in Verbindung mit den Vorteilen beurteilt werden, die der Staat mit seinen Ausgaben unmittelbar oder mittelbar den Privaten zukommen läßt.
Zum Abschluß möchte ich dazu sagen: In Anbetracht dieser Tatsache, die man in weiten Bereichen überhaupt nicht ändern kann, solange man z. B. indirekte Steuern kennt, kann es nicht darum gehen, mit der in ihrer Aussagekraft sehr zweifelhaften Staatsquote hier zu jonglieren, sondern nur darum, staatliche Transferleistungen und ihre Wirkungen sowie die zugrunde liegenden, oft sehr unterschiedlichen und unkoordinierten Einkommensgrenzen transparent zu machen, die insgesamt verfügbaren Einkommen der verschiedenen Haushalte insgesamt zu ermitteln und Vorschläge zu machen, wie man eine bessere Abstimmung erreichen kann. Zu diesem Zweck wird die Regierung laut Regierungserklärung eine Transfer-Enquete-Kommission einsetzen.
Nun zu den Gesetzentwürfen: Zu dem § 7 b und der Grunderwerbsteuererleichterung ist zu sagen, daß die Bundesregierung damit einem Anliegen entspricht, das unter städtebaulichen, konjunkturpolitischen, vermögenspolitischen und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten von erheblicher Bedeutung ist. Das erreicht sie durch die Kombination dreier Merkmale: Erstens. Jeder Mensch hat einmal im Leben den § 7 b zur Verfügung, sei es bei Altbauten, sei es bei Neubauten; das ist die sogenannte Einmalklausel. Zweitens. Diese Vergünstigung kann bis zur vollen Ausnutzung auf ein neues Bauprojekt mit übernommen werden; das ist die sogenannte Mitnahmeklausel. Drittens. Der Erwerb von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen zur eigenen Nutzung wird von der Grunderwerbsteuer befreit.
Ich möchte nicht die vielen heute vorgetragenen guten Argumente dafür wiederholen, daß diese Maßnahmen städtebaulich wie auch arbeitsmarktpolitisch - nämlich im Sinne der Mobilität - und vermögenspolitisch von Bedeutung sind. Ich möchte hier nur noch zusätzlich betonen, daß dieses Paket auch konjunkturpolitisch sehr bedeutsam ist. Denn wir erwarten auf Grund dieser Änderungen erhebliche Renovierungsaufträge gerade bei sehr alten Gebäuden mit niedrigem Gebäudeanschaffungswert und hohem Modernisierungsbedarf, und dies ist uns auch konjunkturpolitisch deswegen sehr lieb, weil dadurch Aufträge für die Bauindustrie geschaffen werden, und zwar insbesondere Aufträge für die auf diesem Gebiet spezialisierten kleineren und mittleren Unternehmen.
Lassen Sie mich auf der anderen Seite sagen, daß wir schon deswegen, weil die Steuerausfälle natürlich gerade auch bei den Gemeinden hoch sein werden, seitens der FDP die Anregung des Bundesrates aufgreifen möchten, die Angehörigenklausel einzuschränken. Denn es besteht bei dieser Klausel die Gefahr, daß sie zu einer Ausweitung der Begünstigung führt, wenn ein kapitalkräftiger Erwerber mehrere Eigentumswohnungen kauft und die Eigennutzung, die nach dem Gesetz erforderlich ist, durch entfernte Verwandte wie z. B. Großneffen erfüllen läßt. Wir von der FDP würden allerdings ungern den Vorschlag des Bundesrates ganz aufgreifen; wir meinen, daß auch aus familienpolitischen Gründen eine engere Eingrenzung des Angehörigenbegriffs für diese Fälle ausreicht. Wir möchten nämlich gern die Eigennutzung und die Nutzung durch Eltern oder Kinder zulassen.
Ein Wort noch zu Ihrer Anregung, Herr Gobrecht, hinsichtlich der Korrektur im Zusammenhang mit der Aussetzung des § 7 b für das Jahr 1973. Hier ist die FDP entschieden der Ansicht, daß eine Korrektur dieser Aussetzung nicht erfolgen sollte. Es wird überhaupt nicht übersehen, daß das im Einzelfall zu Härten bei den Betroffenen führen kann, die diese auch nicht gut verstehen. Nur sind wir der Ansicht, daß die Glaubwürdigkeit des Staates bei konjunkturpolitischen Maßnahmen auch für die Zukunft erheblich eingeschränkt wird, wenn wir hier eine solche Maßnahme rückgängig machen. Der Bürger wird dann auch in Zukunft davon ausgehen können, daß der Staat Fristen, die ja das Ziel haben, in bestimmten konjunkturell interessanten Landschaften zu dem einen oder dem anderen Ergebnis zu kommen, nicht einhält.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön.
Frau Kollegin, darf ich davon ausgehen, daß Sie dabei auch überlegen, daß diejenigen, die damals in der 7-b-losen Zeit 1973 gebaut haben, ihre Häuser verkaufen könnten, die Erwerber die 7-b-Abschreibung geltend machen könnten und die Verkäufer aus dem Erlös erneut durch § 7 b begünstigt kaufen könnten und dann die volle Abschreibung für acht Jahre hätten?
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Entschuldigen Sie bitte, erstens haben wir ja, falls da echt manipuliert werden sollte, eine Mißbrauchsbestimmung - ({0})
- Moment, Moment! Ich komme ja dazu. Hören Sie doch erst einmal zu Ende zu! - Wenn also eine Manipulation vorliegen sollte so haben wir erstens eine Mißbrauchsklausel gegenüber bestimmten Angehörigen, und es gibt in der Abgabenordnung sowieso eine Mißbrauchsklausel.
Aber 'das Zweite: Dann, wenn für ein Haus in der Tat noch nie der § 7 h in Anspruch genommen worden ist, können solche Leute selbstverständlich so handeln; dann ist es aber wiederum auch kein Mißbrauch.
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- Aber schauen Sie, die Kosten sind nach unserer Ansicht für den Staat wesentlich höher, wenn wir dazu übergehen, konjunkturpolitisch bedeutsame Fristen nachträglich mit der Wirkung einzuschränken, daß der Bürger auch in Zukunft nicht mehr an konjunkturpolitische Fristen glauben wird. Entschuldigen Sie, eine Frage an Sie: Haben Sie nicht auch die Briefe, die ja auch schon beim Petitionsausschuß eingingen, auf dem Tisch liegen, in denen Bürger uns fragen, warum nun ausgerechnet sie, die im Dezember oder im November des Jahres 1976 gebaut haben, die also noch viel näher an unserer Frist sind, hier nicht in unser Gesetz einbezogen werden? Wenn Sie so argumentieren, wie Sie es getan haben, kommen Sie,. meine ich, überhaupt nicht darum herum, auch sie einzubeziehen, und das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein.
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Irgendwann müssen Fristen auch einmal durchgreifen, und für diejenigen, die sich unmittelbar vor der Frist befinden, ist das immer eine Härte.
Ein letztes Wort zum § 7 b. Über die begrüßenswerte Erweiterung hinaus könnte ich mir persönlich eine Fortentwicklung dieser Vorschrift dahin gehend vorstellen, daß sie umgewandelt wird von einer Steuererleichterung in Form einer fiktiven Abschreibung zu einem offenen Zuschuß, zahlbar bei Baubeginn. Allerdings nicht unter Abzug von der Steuerschuld; ich bin da anderer Ansicht als Sie, Herr Gobrecht. In Frage käme ein Betrag in Höhe von etwa 20 000 DM. Das entspräche in etwa dem Barwert der Steuerersparnis, unter Berücksichtigung des Zinsgewinns, die sich bei einem Steuersatz von 40 °/o entsprechend den Sonderabschreibungen in den ersten acht Jahren ergibt.
Ich glaube, daß eine solche Umstellung auf einen offenen Zuschuß, zahlbar bei Baubeginn, vier Vorteile hätte. Erstens. Eine solche Umstellung hätte zusätzliche konjunkturelle Bedeutung; denn heute schon Bauwillige würden in zusätzlichem Maße überhaupt erst baufähig gemacht. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen' wäre das Volumen, das dem einzelnen zur Verfügung stünde, höher, und zum zweiten würde das Kapital statt über acht Jahre komprimiert zum Baubeginn als Startkapital gezahlt. Auf diese Weise könnten zusätzliche Bevölkerungsgruppen überhaupt erst bauen.
Zweitens. Die vermögenspolitische Bedeutung liegt darin, daß zusätzliche Bevölkerungskreise in den Genuß von Wohneigentum kämen.
Drittens. Diese Umstellung wäre auch sozial gerechter, da die -progressive, also mit zunehmendem Einkommen wachsende Begünstigung wegfiele.
Der letzte Vorteil: Bei einer Umstellung auf einen direkten Zuschuß bestünde auch endlich die Möglichkeit einer familienpolitischen Komponente. Im Unterschied zum Bundesrat bin ich nämlich der Ansicht, daß eine familienpolitische Komponente in eine Abschreibungsregelung nicht hineingebaut werden kann. Bei uns in der Bundesrepublik gibt es noch nicht einmal die Berücksichtigung von Kindern bei den Abschreibungen. Das ist systemwidrig. Von daher kann das nur konsequent durchgeführt werden, wenn Sie eine Umstellung auf einen festen Zuschuß vornehmen. Dieser Zuschuß wird schlicht und einfach erhöht. Ich hoffe sehr, daß dieser Vorschlag, der z. B. auch von der Steuergewerkschaft erhoben wird, in den nächsten Monaten und Jahre weiter diskutiert wird, auch bezüglich seiner finanziellen Auswirkungen, die für den Staat sicherlich teuer sind, da der Betrag, der sonst in einem Zeitraum von acht Jahren anfällt, als Anfangskapital auf einmal gezahlt werden müßte.
Nun zu den übrigen Teilen des Gesetzentwurfs. Ich möchte mich dabei auf zwei Probleme konzentrieren. Herr Dr. Kreile, .Sie haben sehr ausführlich dargelegt, daß die Erhöhung der Mehrwertsteuer unsozial sei, wenn man durch diese Erhöhung auf der anderen Seite die Erhöhung des Kindergeldes finanzieren wolle. In der Tat kann man sich sozialere Finanzierungsmöglichkeiten vorstellen, um die vorgesehenen Ziele 'durchzusetzen. Nur, bei diesen sozialeren Finanzierungsmöglichkeiten machen Sie ja nicht mit.
Dazu nur zwei Beispiele. Wenn es nach den Vorstellungen dieser Koalition gegangen wäre, hätten wir bei der Steuerreform 1974 das Sonderausgabensystem dahin gehend umgestellt, daß die Sonderausgaben nicht mehr vom Einkommen, sondern von der Steuerschuld abgezogen worden wären. Diese Umstellung hätte doch den höchst unsozialen Zustand abgeschafft, daß bei gleichbleibenden VersiFrau Matthäus-Maier
cherungsleistungen von z. B. 3 000 DM der Spitzenverdiener vom Staat 1 680 DM hinzubekommt, der Kleinverdiener aber nur 600 DM, d. h. über 1 000 DM weniger. Dabei müßte eigentlich berücksichtigt werden, daß der Klein- oder Mittelverdiener zur Aufbringung dieser 3 000 DM Versicherungsleistung erheblich mehr geleistet hat; die werden ihm mehr gekostet haben, unter Umständen unter Konsumverzicht.
Wenn wir diese gewünschte Umstellung vorgenommen hätten, hätte das allein in den letzten Jahren jeweils 750 Millionen DM gebracht. Da wir gleichzeitig vorgesehen hatten, die Sonderausgabenhöchstbeträge erheblich anzuheben, hätten wir die Sonderausgaben heute nicht schon wieder anheben müssen, wozu wir jetzt gezwungen sind. Da das zusammengerechnet allein wieder 2,5 Milliarden DM ausmacht, haben wir auf Grund Ihres Verhaltens bei der Verabschiedung der Steuerreform bereits 3,25 Milliarden DM verloren, die wir heute verbraten könnten, wenn Sie dieses Geld 1974 nicht für unsozialere Zwecke verbraten hätten.
Ein anderes Beispiel: Wenn es nach den Vorstellungen dieser Koalition gegangen wäre, gäbe es vom 1. Januar 1977 an nicht die neuen Ausbildungsfreibeträge in Höhe von 4 200 DM bzw. 2 400 DM. Bei diesen Ausbildungsfreibeträgen tritt doch die unsoziale Wirkung ein, daß der Freibetrag einem Spitzenverdiener eine monatliche Steuererleichterung bis zu 196 DM verschafft, einem Durchschnittsverdiener aber nur 77 DM.
Diese Ausbildungsfreibeträge sind von der Opposition damals im Bundesrat in dieses Gesetzeswerk mit der Begründung hineingeboxt worden, man wolle eine Abfederung für die mittleren Einkommensgruppen erreichen, die zuviel verdienten, um noch Ausbildungsförderung zu bekommen, und zu wenig, um selber finanziell das Studium ihrer Kinder tragen zu können. Aber das Ergebnis ist doch, daß genau diese mittlere Gruppe am allerwenigsten erhält. Die kleineren Verdiener erhalten Ausbildungsförderung nach dem BAföG, die großen erhalten einen sehr hohen Steuervorteil, und genau diese mittlere Gruppe bekommt relativ am wenigsten. Daß das nun die große soziale Tat sein soll, kann ich nicht einsehen.
Diese Ausbildungsfreibeträge, die zu einem jährlichen Steuerausfall von 440 Millionen DM führen, sind von der CDU/CSU - gerade vom Land Rheinland-Pfalz - damals im Bundesrat eingebracht worden, von einem Land, dessen Sozialminister, heutiger Generalsekretär der CDU, doch immer wieder und so gern das Wort von der „Neuen Sozialen Frage" im Munde führt, der sich draußen hinstellt und beklagt, daß diese Bundesregierung die kinderreichen Familien in die Sozialhilfe treibe - mit zum Teil nachgewiesenermaßen falschen Berechnungen -, der aber innendrin, nämlich im Bundesrat, eine Regelung initiiert, die ich nun wirklich nicht für sozial halten kann, sondern die nach dem Motto läuft „Wer hat, dem wird gegeben" oder „Die Reichen sollen noch reicher werden".
Es gibt also in der Tat sozialere Finanzierungsmittel. Nur, die haben Sie bisher abgelehnt. Sie können aber nicht hierherkommen und die zweitbeste
Finanzierungsmöglichkeit, nämlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer, ablehnen, wenn Sie sich strikt weigern, bei den anderen Möglichkeiten mitzumachen. Eigentlich wollte ich Herrn Kohl fragen; da er aber nicht mehr da ist, frage ich Herrn Dr. Kreile. Es tut mir leid; ich weiß, daß Sie ganz anderer Meinung waren. Wollen Sie nicht endlich dem Wort von der „Sozialen Frage" in der Praxis etwas mehr Wert beimessen? Können Sie sich nicht dazu bereit erklären, daß z. B. nicht der Mehrverdienende für seine Vorsorgeleistungen zweieinhalbmal soviel staatliche Hilfe hinzubekommt wie derjenige, der weniger verdient? Können wir uns nicht auf eine andere Regelung der Ausbildungsfreibeträge einigen? Der RCDS ist mittlerweile schon auf unsere Position eingeschwenkt. Ich meine, dann könnte die CDU auch langsam mitmachen.
Noch ein letzter Punkt zu einer Frage, die nach meiner Ansicht und nach Ansicht der FDP im Gesetzentwurf noch nicht mit einer letztendgültigen Lösung versehen worden ist. Ich meine das Problem der Unterhaltsleistungen von geschiedenen Elternpaaren. In diesem Zusammenhang müssen zwei Problemkreise unterschieden werden: einmal die Unterhaltszahlungen geschiedener Eltern für ihre Kinder, zum anderen die Unterhaltszahlungen geschiedener Eltern an den geschiedenen Ehepartner. Die Problematik ist, glaube ich, hinreichend bekannt, so daß ich sie hier nicht erläutern muß.
Grundsätzlich ist zu sagen, daß die Grundentscheidungen, die wir bei der Steuerreform getroffen haben, richtig sind, denn sie haben einerseits bei der Frage des Unterhalts an die Kinder dafür gesorgt, daß die Benachteiligungen der Ehepartner, die in ehelicher Gemeinschaft leben, abgeschafft worden sind. Vorher bekamen nämlich Geschiedene alle Kinderfreibeträge doppelt. Das haben wir zu Recht abgebaut. Andererseits sind nunmehr die Freibeträge bei den Unterhaltszahlungen an die geschiedene Frau nicht mehr vom Verschulden in der Ehe abhängig. Wir meinen, daß diese Grundentscheidungen richtig sind. Deshalb sind sie von allen Parteien dieses Hauses beschlossen worden.
Wir könnten uns trotzdem noch eine Möglichkeit zur endgültigen Regelung vorstellen. Wir schlagen Ihnen daher folgende Regelung vor, die wir allerdings im Finanzausschuß mit Vor- und Nachteilen noch breit diskutieren sollten. Wir meinen, daß fünf Grundsätze zu beachten wären.
Erstens. Es darf keine Schlechterstellung des sorgeberechtigten Elternteils - in der Regel die Mutter - geben, d. h., es können auf keinen Fall die Kinderadditive einfach auf den unterhaltsverpflichteten Teil, also in der Regel den Mann, einfach umverteilt werden.
Zweitens. Es darf keine Bevorzugung von geschiedenen gegenüber in ehelicher Gemeinschaft lebenden Eltern geben.
Drittens. Die Scheidung darf nicht finanziell über Gebühr erschwert werden.
Viertens. Es darf keine finanztechnischen Mehrbelastungen der Verwaltung geben, d. h., es darf keine neue Steuerklasse geben.
Fünftens. Jede Lösung muß an den Nachweis der Unterhaltsleistungen gekoppelt werden.
Unter diesem Gesichtspunkt schlagen wir vor, daß bei der Frage des Unterhalts an die geschiedene Mutter die Regelung ins Auge gefaßt wird, daß zwischen den ehemaligen Ehepartnern einvernehmlich das sogenannte Realsplitting vereinbart werden kann. Das heißt: Der Unterhaltsverpflichtete kann den Unterhaltsbetrag absetzen, der Unterhaltsberechtigte muß ihn versteuern, aber nur auf freiwilliger Basis, damit der Unterhaltsberechtigte keinen Nachteil hat. Darüber hinaus schlagen wir einvernehmlich die gleiche Regelung für die Kinderadditive vor. Wenn Mann und Frau sich einig sind, sollen die Kinderadditive dem zugeordnet werden, zu dem sie nach dem Willen beider hin sollen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich habe den Vorteil, der vorletzte Redner dieser Debatte zu sein. Ich hatte gehofft, bis hierher einige konkrete Vorschläge von seiten der Opposition zu hören. Da ich fast am Schluß dran bin, kann ich sagen: Ich habe keine gehört. Dies halte ich für sehr schlecht. Die „Rheinische Post" hat am 26. Januar 1977 geschrieben: „Die Opposition hält ihre Steuerpläne noch zurück." Meine Damen und Herren, bitte, enttäuschen Sie doch nicht die Hoffnung, die diese Zeitung äußert, daß Sie nämlich erstens Vorschläge haben und sie zweitens nur „noch" zurückhalten, daß sie also noch kommen werden.
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Ich hoffe darauf, daß sie noch kommen. Bisher bin ich enttäuscht worden.
({4})
Vielleicht liefern Sie sie im Finanzausschuß nach.
Wir warten alle darauf, hoffentlich nicht vergebens.
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Das Wort hat der Abgeordnete Vogt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Finanzminister ist in der letzten Zeit oft gescholten worden. Herr Minister, ich habe mich am Ende der Debatte eigentlich nur zu Wort gemeldet, weil ich Ihnen ein doch anerkennendes und lobendes Wort aussprechen will. Ich muß nämlich feststellen, daß Sie - um das einmal aufzugreifen - lernfähig sind. Im Mai 1975 noch wurde nämlich von der Koalition die Forderung abgelehnt, daß an der Steuerreform Korrekturen erforderlich seien. Heute allerdings muß ich einen Teil des Steueränderungsgesetzes, das Sie hier vorgelegt haben, als eine Korrektur jener Steuerreform, die Sie damals abgelehnt haben, auffassen. Aber die Lektion ist, glaube ich, nicht ganz gelernt worden. Denn das Steueränderungsgesetz 1977 ist nach dem Motto angelegt: „Mit Speck fängt man Mäuse."
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- Aber eben nur Mäuse. - Dabei darf ich daran erinnern, meine Damen und Herren, daß ursprünglich einmal die Absicht bestanden hat, die Mehrwertsteuer um zwei Punkte anzuheben. Das ist damals am Widerstand der CDU/CSU gescheitert. Jetzt meinte man, durch Anreicherung dieses Mehrwertsteuer-Erhöhungsgesetzes wenigstens doch einen Punkt hier durchzubringen. Ich meine, das Ist ein relativ billiger Trick. Der Speck, der hier ausgelegt worden ist, ist ziemlich ranzig.
Es tut mir leid, daß Frau Minister Huber nach ihrer Rede den Saal so fluchtartig verlassen hat. Es war eine Flucht in die Vergangenheit, die sie angetreten hat. Es ist nämlich auch ein ranziger Speck für die Familien ausgelegt worden. Das kann man gar nicht anders sagen. Denn, meine Damen und Herren, es läßt sich nicht bestreiten, daß selbst nach Regierungsangabe eine Zwei-Kinder-Familie monatlich mit 28 Mark belastet wird, während sie 10 DM zurückerhält. Das ist eben kein sehr sauberer Speck. Nach anderen Berechnungen wird die Kaufkraft des am 1. Januar 1975 eingeführten und seither nicht erhöhten Kindergeldes bis 1978 um mehr als 20 % verringert. Was wir also hier durch eine Erhöhung der Kindergeldleistungen haben, ist ja noch nicht einmal ein Ausgleich dieses Verlustes. Im übrigen werden die Familien mit etwa 6 Milliarden DM an der Aufbringung der Mehrwertsteuer beteiligt sein, während sie 1,6 Milliarden DM zurückerhalten. So sieht das mit der Familienpolitik aus, die Frau Minister Huber hier so lobend hervorgehoben hat.
In dem Zusammenhang nur noch eine Bemerkung, meine Damen und Herren, weil der Kollege Böhme das vorhin angesprochen hat: Es ist sicherlich so, daß die Kinderfreibeträge, über die man. urteilen mag, wie man will - mein Urteil steht fest -, einen dynamischen Charakter hatten. Sie wirkten sich dynamisch aus. Deshalb war es ein grundlegender Fehler bei dieser Kindergeldreform, wenn sie schon auf einheitliche Zahlungen hinauslief, die Dynamisierung dieser einheitlichen Zahlungen abzulehnen, wie es damals geschehen ist. Das ist der Systemfehler dieses Familienlastenausgleichs. Das ist eben durch eine Mehrwertsteuererhöhung und durch ihre Rücknahme zu einem kleinen Teil mit neuen Leistungen für die Familie nicht auszugleichen.
Man kann es drehen, wie man will: die Familien werden stärker belastet. Der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung gesagt, die Regierung wolle mithelfen, daß es die Familien in Zukunft leichter hätten. Dazu kann ich Ihnen nur den Vorschlag machen: Ziehen Sie dieses Steueränderungsgesetz 1977 zurück. Dann machen Sie es tatsächlich den Familien in diesem Lande leichter, meine Damen und Herren.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Böhme?
Aber selbstverständlich! Ich habe noch drei Minuten Zeit.
Herr Kollege Vogt, darf ich Sie, nachdem Sie das angesprochen haben, ganz konkret fragen, ob Sie für eine Dynamisierung des Kindergeldes in der vorgesehenen Regelung sind.
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Herr Kollege Böhme, ich habe davon gesprochen, daß im Zusammenhang mit der angeblichen Steuerreform zum 1. Januar 1975 und der Neuregelung des Bundeskindergeldgesetzes der entscheidende Fehler dieser neuen Regelung in der Nichtdynamisierung gelegen hat. Das ist meine Aussage, und die wiederhole ich.
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Jeder Sachkundige war sich darüber im klaren, daß man dynamische Kinderfreibeträge nicht ersatzlos streichen kann, und das haben Sie hier getan.
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Herr Kollege Vogt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Weber?
Aber selbstverständlich!
Herr Vogt, würden Sie zur Kenntnis nehmen, erstens, daß das Bundesverfassungsgericht die jetzige Regelung des Kindergeldes für verfassungskonform erklärt hat, zweitens, daß Ihre Fraktion, für die Sie jetzt sprechen, dieser Kindergeldregelung ausdrücklich zugestimmt hat,
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nachdem Ihr damaliger Sprecher anfangs verfassungsrechtliche Bedenken geäußert hatte, und, drittens, daß der Bundesfinanzhof in seiner ständigen Rechtsprechung die Dynamisierung als einen Verstoß gegen die Goldwährungsklausel in § 3 des Währungsgesetzes und als rechtswidrig ansieht?
Herr Kollege Weber, hier ist nicht behauptet worden, daß diese Kindergeldregelung verfassungswidrig sei. Sie ist politisch falsch gewesen, und sie hat familienpolitisch eine verheerende Auswirkung. Das habe ich gesagt, sonst nichts. Sie haben auch im Zusammenhang mit weiteren Debatten hier genügend Gelegenheit, diese Korrektur im Bundeskindergeldgesetz anzubringen.
Ich will noch eine weitere Bemerkung machen, die mir wichtig erscheint. Die geplante Mehrwertsteuererhöhung - Sie konnten das in dieser Debatte nicht bestreiten - wirkt sich natürlich auf die Preise aus, sie verteuert die Lebenshaltung. Das muß natürlich auch mit Blick auf die Personenkreise gesehen werden, denen Sie hier keinen Speck hinlegen können. Das sind etwa die Rentner und die Sozialhilfeempfänger, die die preisliche Auswirkung einer Mehrwertsteuererhöhung tragen müssen und die keinen entsprechenden Ausgleich erhalten. Im Gegenteil, im Zusammenhang mit der Reform oder der Konsolidierung der Rentenversicherung machen Sie sogar noch den Versuch, die Bruttolohnanpassung wenigstens zeitweilig auszusetzen und eine Nettoanpassung vorzunehmen, um damit gleichzeitig auch das Rentenniveau zu senken.
Eine letzte Bemerkung, die ich hier machen möchte. Es ist natürlich richtig, daß in der Belastungsquote die Steuerlastquote und die Sozialabgabenquote stecken, und es ist auch richtig, was hier in der Debatte gesagt worden ist, daß gerade auch die Belastung über die Sozialabgaben stärker gestiegen ist. Aber gerade weil das so ist und weil wir wahrscheinlich alle Anfang Mai hier werden feststellen müssen, daß es entweder nur über eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge oder der Krankenversicherungsbeiträge möglich sein wird, wenigstens zum Teil eine Konsolidierung der Sozialversicherung zu erreichen, ist es um so wichtiger, daß wir jetzt nicht auf steuerlichem Gebiet die Belastungsquote weiter erhöhen. Deshalb wird eben dieser Gesetzentwurf abgelehnt. Es ist eben, Frau Kollegin Matthäus, eine sachliche Alternative, ob Sie es nun wahrhaben wollen oder nicht, den Bürger vor einer Steigerung der Steuerlastquote zu bewahren. Das ist eine politische Alternative zu dem, was Sie hier vorschlagen.
Meine Damen und Herren, Herr Minister, das ist mein Letztes, was ich hier sagen möchte: Wenn Sie aus den Ausführungen von Herrn Minister Gaddum herausgehört haben sollten, daß er heute und morgen und übermorgen an den Vermittlungsausschuß denkt, darf ich Ihnen in Übereinstimmung mit ihm sagen, daß Sie sich getäuscht haben. Hier war offenbar der Wunsch der Vater des Gedankens. Dieses Steueränderungsgesetz wird abgelehnt.
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Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Überweisung. Zu den Punkten 3, 4 und 5 ist Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - vorgeschlagen, ferner bei Punkt 3 zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie an den Haushaltsausschuß, an letzteren auch gemäß § 96 GO, bei Punkt 4 zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie den Haushaltsausschuß, an letzteren wiederum auch gemäß § 96 GO, und bei Punkt 5 neben dem federführenden Finanzausschuß zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß. Wer diesen Überweisungsvorschlägen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Zusatzpunkte zur Tagesordnung auf:
Vizepräsident Frau Funcke
Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Ergänzung zum Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1977 ({0})
- Drucksache 8/270, Anlage zur Drucksache 8/270Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Bitte schön, Herr Minister.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife das Wort nur deshalb, weil von den Fraktionen eine Runde von Erklärungen verlangt wird, und dann gehört es sich, daß der Bundesfinanzminister eingangs wenige - das verspreche ich Ihnen - Bemerkungen macht.
Erstens. Es geht bei diesem Ergänzungshaushalt darum, die haushaltsmäßige Realisierung des Programms Zukunftsinvestitionen durchzusetzen. Eile ist bei diesem Programm vonnöten. Wir möchten nämlich noch 1977 Aufträge in einer Größenordnung von 3,5 Milliarden DM plazieren, davon ein Drittel im Hochbau. Wir brauchen beim Bund im Jahre 1977 relativ wenig Geld in bar, nämlich genau 527 Millionen DM. Wir brauchen allerdings Verpflichtungsermächtigungen in einer Größenordnung von 3,9 Milliarden DM. Wir werden allerdings bereits im Jahre 1978 2 Milliarden DM Baransätze brauchen. Um diesen Betrag wird sich der Haushalt erhöhen müssen. Wir brauchen 1979 2,3 Milliarden, 1980 2 Milliarden und danach noch 1,4 Milliaden DM.
Wir haben - das ist meine zweite Bemerkung - mit zwei Bundesländern noch nicht die völlige Übereinstimmung herstellen können, um am 6. Mai die Sammelvereinbarung zwischen Bund und elf Bundesländern nach Art. 104 a GG zu verabschieden. Aus Bayern fehlt uns noch die formelle Zusage, und wir haben noch mit Niedersachsen über das Problem Dollart-Hafen zu reden. Beide Probleme sind aber lösbar.
Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute dem Haushaltsausschuß diesen Ergänzungshaushalt überweisen und der Haushaltsausschuß die einzelnen Etatansätze beschließt, dann ist nach einer Absprache die Auftragsvergabe möglich, dann kann der Auftrag erteilt werden, Auch deswegen bitten wir um eine gewisse Beschleunigung.
Ich denke, ich kann mir Bemerkungen zu den 527 Millionen DM und den damit nach Meinung der Opposition und des Bundesrates sichtbaren Einsparungsmöglichkeiten im Bundeshaushalt ersparen. Wir haben bereits in der vorangegangenen Debatte darüber gesprochen. Wir nehmen hier 527 Millionen DM aus dem Etat heraus, um diese Baransätze zu finanzieren. Sie sind überhaupt kein Beweis dafür, daß die Argumentation des Bundesrates zutrifft.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waigel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ergänzung des Bundeshaushaltsplans enthält das lange angesagte und mit großer öffentlicher Wirksamkeit vorausgesagte mehrjährige öffentliche Investitionsprogramm zur wachstums- und umweltpolitischen Vorsorge, in der Kurzfassung „Programm für Zukunftsinvestitionen" genannt. Interessant ist eines immer wieder: daß die politische Semantik der Bundesregierung ihr politisches Vermögen weit übersteigt;
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denn wenn ich mir die Namen der bisherigen Programme allein seit dem Jahre 1973 zu Gemüte führe, dann kommen mir fast die Tränen. Das ist wie eine Rhapsodie in Blau. Allerdings stehen die. Güte und die Qualität dessen, was herausgekommen ist, in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur Namensgebung. 1973: 1. Stabilitätsprogramm, 2. Stabilitätsprogramm, Maßnahmen zur wirtschaftlichen Belebung im Anschluß an die Ölkrise, Konjunkturpolitische Beschlüsse der Bundesregierung. 1974: Sonderprogramm für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen, Programm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung, Programm zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum bei Stabilität, Stabilitätsgerechter Aufschwung. Dann 1975: Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen. 1976: Arbeitsmarkt- und berufspolitisches Programm der Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Wenn man das alles liest und wenn man weiß, daß dafür über 30 Milliarden DM verwandt worden sind, dann frage ich bloß : Wo ist der Erfolg geblieben?
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Genauso wie bei den anderen Programmen steht auch diesmal der wohltönende Name im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Wirksamkeit und zur Qualität. Es ist ein Programm, das wieder einen Schritt in die falsche Richtung enthält. Es ist zwar richtig, daß wir auch mehr öffentliche Investitionen brauchen. Es ist aber falsch, dies in erster Linie durch eine höhere Verschuldung anstatt durch Umschichtung zu Lasten konsumtiver Ausgaben zu finanzieren, wie dies nach 1977 vorgesehen ist, in 1977 aber nicht, was wir begrüßen. Aber es wäre richtig, diesen Weg auch 1978 und die folgenden Jahre zu gehen.
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Wir sind der Meinung, daß der Schwerpunkt der Investitionen in erster Linie im privaten Bereich liegen müßte. Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum vollzieht sich nur auf der Basis einer ausreichenden privaten Investitionstätigkeit, und gerade die Wirksamkeit für die Arbeitnehmer, die Wirksamkeit für den Arbeitsmarkt, wird sich nur dann ergeben, wenn auf diesem Wege entscheidende Schritte durchgeführt werden und wenn die Regierung bereit ist, jene Rahmenbedingungen zu verbessern, die wir immer gefordert haben, und wenn die bereitgestellten Mittel oder jedenfalls ein Großteil dieser bereitgestellten Mittel für die Investitionstätigkeit der Wirtschaft, für die InvestitionsDr. Waigel
bereitschaft der Unternehmen ausgegeben werden. Diesen Weg geht die Regierung wieder nicht. Darum sind wir der Meinung, daß dieses Programm wiederum ein Programm in die falsche Richtung ist, wenngleich man über Einzelmaßnahmen durchaus diskutieren kann. Wir haben Ihnen oftmals die Vorschläge der Opposition zu dieser Grundlinie genannt. Sie haben diese Vorschläge immer wieder vom Tisch gewischt oder sie nur als Köder benutzt, um z. B. Ihre Steuererhöhungspläne durchzusetzen, wie es ja schon vorher in der Debatte deutlich geworden ist.
Wenn man sich die Frage nach der Größenordnung und Wirksamkeit dieses Programms stellt, dann könnten 16 Milliarden DM eigentlich eine ganz passable Summe darstellen. Nur wenn man die entsprechenden Relationen sieht, wenn man den Umfang dieses Programms zum normalen Umsatzvolumen oder auch nur zu den normalen Investitionen in Beziehung setzt, dann bleiben lediglich Promillesätze oder winzige Prozentsätze übrig. Es ist ja auch sehr zweifelhaft, ob dieses Programm langfristige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben kann.
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In erster Linie sind Investitionen im Tiefbaubereich vorgesehen. Jeder weiß, daß gerade hier kein großer Spielraum für die Schaffung neuer Arbeitsplätze besteht, wobei wir durchaus anerkennen, daß eine verbesserte Kapazitätsauslastung auch in diesem Bereich wichtig und notwendig ist.
Wir bezweifeln auch, ob dieses Programm ein echtes Wachstumsprogramm ist. Es entspricht vielmehr einem Ressortprogramm als einem Programm, das Wachstumsimpulse für die notwendigen Investitionen geben könnte. So schön Museumsbauten, Grünflächen und Erhöhungen von Bahnsteigkanten sind und so wichtig sie sein mögen, wachstumspolitisch erscheinen sie mir, Graf Lambsdorff, jedenfalls nicht besonders bedeutend und relevant zu sein.
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Aber Ihr Parteifreund, der Wirtschaftsminister, hat das jedenfalls in dieses Programm mit eingehen lassen.
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Wir sind auch sicher, daß man bereits heute wieder den Schuldigen kennen wird, wenn dieses Programm nicht die entsprechenden Wirkungen zeitigt. Es ist sicherlich die schlecht verlaufende Weltkonjunktur, die nicht dazu beigetragen hat, diesen großen Ansatz entsprechend in die Tat umzusetzen.
Wenn wir uns auch die von mir genannten vorhergehenden Programme überlegen, dann stellt sich die Frage: Hat eigentlich die Bundesregierung die notwendigen Untersuchungen, die wissenschaftlichen Analysen, die Wirksamkeitsuntersuchungen angestellt, um aus diesen Programmen wirklich zu lernen? Denn dies wäre doch genau der Punkt, der nach § 6 Abs. 2 des Haushaltsgrundsätzegesetzes notwendig wäre, nämlich diese Programme auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen und die gewonnenen Erkenntnisse entsprechend anzuwenden.
Jedesmal erleben wir bei der Programmvorbereitung das gleiche Theater. Anstatt nach dem Haushaltsgrundsätzegesetz und auch nach dem Stabilitätsgesetz vorgeschriebene Schubladenprogramme wirklich aus der Tasche zu ziehen und damit etwas anzufangen, beginnt' jedesmal das Suchen nach Aufträgen, nach Projekten. Dann wird in möglichst kurzer Zeit - meistens sehr unabgestimmt - irgend etwas in die Welt gesetzt.
Es ist interessant, daß der Finanzminister in einer Pressekonferenz vom 22. Januar dieses Jahres behauptet hat, das Konjunkturprogramm vom Herbst 1975 sei wissenschaftlich auf seine Auswirkungen untersucht worden. Auf der anderen Seite haben wir vor einem Jahr als Antwort auf eine Kleine Anfrage - ich nehme an, unter Federführung des Wirtschaftsministers - gesagt bekommen, daß keine Wirksamkeitsanalyse durchgeführt worden sei. Ich stelle die Frage: Was ist hier richtig? Das kleinlaute Eingeständnis des Wirtschaftsministers oder die großsprecherische Prahlerei des Finanzministers, die wir von ihm allerdings gewöhnt sind?
Nochmals die Frage: Wo sind die vorgeschriebenen Schubladenprogramme, die von der Haushaltsplanung her notwendig wären, um solche Programme entsprechend vorzubereiten?
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- Die sollten vorbereitet sein. Ihnen müßte bekannt sein, Graf Lambsdorff, daß solche Investitionsprojekte, die noch nicht in der diesjährigen Haushaltsplanung vorgesehen sind, entsprechend ausgereift vorgelegt werden sollen, um dann rechtzeitig entweder bei Stabilitäts- und Konjunkturprogrammen oder bei Programmen dieser Art vorgelegt zu werden. Das müßte Ihnen bekannt sein. Das tut die Regierung nicht. Das ist seit der Erfahrung mit solchen Programmen 1967/68 bereits bekannt. Aber erst jetzt hat die Regierung zugegeben, sie müsse da künftig stärker anpacken und sie werde bereit sein, das für die nächsten Programme zu berücksichtigen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Kollege, ich darf Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß angesichts der verfassungsrechtlichen Vorschriften und auch der Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik solche Schubladenprogramme in dem Ausmaß, das hier notwendig wäre, beim Bund überhaupt nicht vorhanden sein können, sondern daß wir allenfalls den Versuch unternehmen können - er ist, wie wir gesehen haben, leider nicht immer erfolgversprechend -, auf die Länderschubladenprogramme zurückzugreifen.
Dann möchte ich Sie aber fragen, Graf Lambsdorff, warum dieses Programm einen eigenen Bundesanteil enthält und somit vor1570
gibt, daß der Bund einen Teil dieses Programms selbst macht?
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Das hat doch auch nicht vorgelegen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jenninger?
Herr Kollege Waigel, würden Sie den Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff darüber informieren, daß es nach den Bestimmungen des Haushaltsgesetzes sehr wohl möglich ist, einen Alternativhaushalt vorzulegen, um solche Schubladenentwürfe vorzubereiten?
Ich nehme an, daß diese Passagen des Haushaltsgrundsätzegesetzes Graf Lambsdorff nicht bekannt sind.
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- Da gebe ich dem Kollegen Westphal recht, der sagt, das sei ein anderes Problem, wie überhaupt Graf Lambsdorff für die SPD vielleicht dann und wann ein Problem ist.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Bitte.
Herr Kollege, abgesehen davon, daß wir uns nicht darüber streiten wollen, wem was bekannt oder nicht bekannt ist - ich bin gern bereit, darüber in einen edlen Wettstreit mit dem einen oder anderen von Ihnen, angefangen von Ihrem Parteivorsitzenden, einzutreten -, hätte ich Sie doch ganz gerne gebeten, den Kollegen Jenninger zu fragen, ob wir uns vielleicht dahin verständigen können, daß krampfhaft angelegte Bundesschubladenprogramme wohl nicht sehr sinnvoll sein könnten, daß wir nur solche Schubladenprogramme, die bekanntlich vorhanden waren, finanzieren sollten, die auch wirklich Sinn haben, und daß die beim Bund aus der Natur der Sache heraus knapp sind.
Da wir nicht in einer Fragestunde sind und der Kollege Jenninger von Ihnen nicht allzu weit entfernt sitzt, bitte ich, ihn selber zu fragen.
Eines ist interessant in diesem Zusammenhang. Es gibt starke Kräfte in dieser Regierungskoalition, die nach mehr Planung, Investitionslenkung, vorausschauender Industriepolitik, oder wie immer man das nennen mag, rufen, die also mehr Planung im Wirtschaftsgeschehen wünschen. Dort, wo die Regierung planen kann, planen soll, ja sogar planen muß, da versagt sie. Das ist eine ganz eigenartige Groteske. Dort, wo sie es soll, tut sie es nicht und kann sie es nicht. Dort, wo sie es nicht soll, wo es politisch, wirtschaftlich sinnlos ist, da fordert sie es. Das ist die unausgereifte Diskussion vor allem im wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich in dieser Regierungskoalition.
Es ist interessant, daß auch bei Berücksichtigung dieses Investitionsprogramms die Investitionsquote weiter abnehmen wird und nur um etwa 1 % eine Verbesserung gegenüber der bisher vorgesehenen Finanzplanung erfährt. 1972 war es noch eine Investitionsquote von 18,3 %. Sie sinkt in diesem Jahr bis auf 13,7 % und wird bis 1980 noch auf 12,1 % sinken. Dieses Programm täuscht zusätzliche Investitionen in einem größeren Umfang vor. In Wirklichkeit haben die Investitionsquoten der öffentlichen Haushalte trotz der Sonderprogramme und auch trotz dieses Investitionsprogramms eine rückläufige Tendenz. Man könnte einen Großteil dessen, was in diesen Programmen steht, wohl sinnvoller in Normalhaushalte einführen. Denn es ist ein merkwürdiger Zustand, daß wir noch vor wenigen Wochen im Haushaltsausschuß über einige Fragen, die jetzt wieder mit berührt werden, diskutierten, dort Kürzungen oder Stagnationen festgeschrieben werden, um wenige Summen ewig lang diskutiert wird und jetzt mit einem Federstrich das Geld plötzlich vorhanden ist. Es ist im Grunde eine Zumutung und eine Mißachtung des Parlaments, wenige Wochen nach der Beratung einzelner Titel im Haushaltsausschuß jetzt wieder völlig neue finanzielle Darstellungen in diesem Bereich zu geben.
Es herrscht in diesem Zusammenhang - das wird jeder bestätigen müssen, der im Haushaltsausschuß tätig ist - ein beziehungsloses Nebeneinander von Haushalt, von Ergänzungshaushalt, von Finanzbericht, von Finanzplanung, von mittelfristiger Finanzplanung und den entsprechenden Sonderprogrammen. Es wäre für die Wachstumswirkung weiß Gott sinnvoller, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel in normale Haushalte mit eingeführt und innerhalb einer ausgewogenen Ausgabenstruktur verwandt würden.
({0})
- Ich begrüße eines, Herr Westphal: daß dieses Programm wenigstens in Form einer Ergänzungsvorlage zum Haushalt vorgelegt wird. Das ist eine echte Verbesserung gegenüber früher, die ich durchaus anerkenne.
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- Nein, Sie widersprechen sich selbst.
Lassen Sie mich nur noch eine Bemerkung machen. Das Programm führt zu einer weiteren Einengung des finanziellen Spielraums bei Ländern und Gemeinden, denen zwangsläufig die Hände für andere Dinge gebunden werden und denen gar nichts anderes übrigbleibt, als beim Programm mitzumachen, obwohl sie zum Teil ganz andere Vorstellungen haben. Ich muß auch anmerken, daß dieses Programm regionalpolitisch nicht entsprechend ausgewogen ist und daß durchaus die Gefahr besteht, daß periphere Räume wie gerade das Zonenrandgebiet ihre Ausgangssituation weiter verschlechtern.
Es ist vorher schon gesagt worden, daß es ein miserabler politischer Stil des Herrn Finanzministers war, am 1. April Einsparungsvorschläge als lächerlichen Aprilscherz abzutun und wenige Wochen später dann 527,3 Millionen DM hervorzuzaubern, zu behaupten, es lägen nun neue, aktualiDr. Waigel
sierte Berechnungen vor, und zu erklären, nun sei eine Umschichtung möglich. Genauso war es mit dem Vorschlag unseres Kollegen Leicht bei der ersten Lesung des Haushalts. Der Kollege Leicht machte damals den Vorschlag einer globalen Minderausgabe. Der Finanzminister wies diesen Vorschlag höhnisch zurück. Heute stehen plötzlich 527 Millionen DM genau in dem Bereich zur Verfügung, bezüglich dessen wir die Regierung aufgefordert haben, uns entsprechende Vorschläge - Umschichtung vom konsumtiven in den investiven Bereich - zu machen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Aber bitte!
Herr Kollege Waigel, würden Sie freundlicherweise das Bundesratsprotokoll vom 1. April nachlesen. Dort hat der Finanzminister zwar mit Nachdruck die Vorschläge des Bundesrates wegen der Deckungslücke von 6,2 oder gar 7,7 Milliarden DM im Haushalt zurückgewiesen, aber deutlich gemacht, daß das, was er hierfür braucht, nämlich die 527 Millionen DM, verfügbar wäre. Dies hat er also nicht- erst jetzt nachgeschoben, sondern dort schon gesagt.
Aber in der ersten Lesung des Haushalts hat er grundsätzlich bestritten, daß eine globale Minderausgabe möglich sei und daß noch, wie wir damals behauptet haben, entsprechend Luft vorhanden sei. Auch der etwas vornehmer geratene Bundeswirtschaftsminister hat damals in der Debatte die Kürzungsvorstellungen der Opposition als wirtschaftspolitisch unvernünftig dargestellt. Wer so argumentiert, Herr Bundesminister, versperrt sich selbst den Weg in die richtige Richtung.
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- Es gibt sehr wohl eine richtige Richtung, Herr Wehner.
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Sie haben nicht immer die richtige Richtung gehabt.
Eines ist jedenfalls für mich völlig unverständlich. Wie kann eigentlich der Teil der SPD, der voriges Wochenende zusammengekommen ist, ein Programm mit mehr Folgekosten fordern und behaupten, dies sei sinnvoll? Wer das fordert, nimmt Abschied von einer rationalen, einer vernünftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Dieses Investitionsprogramm ist kein wirksames Wachstumsprogramm. Die arbeitsmarktpolitischen Wirkungen sind nur in geringem Umfang gegeben. Regionalpolitisch ist es unausgewogen. Die rückläufige Tendenz der Investitionsquote bleibt bestehen. Es herrscht ein Mangel an planerischer Gestaltungskraft. Das Programm ist ein weiteres Beispiel für die Unglaubwürdigkeit der Bundesregierung hinsichtlich ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik. Wenn sich die Länder und Kommunen an diesem Programm beteiligen, so deshalb, weil sie jede Chance nützen müssen, die infrastrukturelle Ausstattung einzelner Landesteile zu verbessern. Das ändert nichts an der Auffassung von CDU und CSU, daß diese Mittel an anderer Stelle und in anderer Form wesentlich wirksamer hätten eingesetzt werden können.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende dieses Beitrags bleibt nur die Feststellung, daß seine Widersprüche so groß sind, daß jeder das herauslesen kann, was er will. Auf der einen Seite steht die Klage darüber, daß die Investitionsquote der öffentlichen Hände - ich wähle bewußt die Mehrzahl - in diesem Lande zurückgegangen sei, auf der anderen Seite die Kritik daran, daß der Bund seinen Beitrag leisten will, um die Investitionsquote der öffentlichen Hände in diesem Lande zu erhöhen. Auf der einen Seite steht die Klage darüber, daß insbesondere im Bereich der Bauwirtschaft - im Hoch- und Tiefbau - die Arbeitslosigkeit groß ist, auf der anderen Seite ein Nein zu einem Investitionsprogramm, das sich zu einem ganz erheblichen Teil genau auf diese schwachen Sektoren richtet. Am Ende bleibt das absolute Nein zum Engagement des Bundes mit dem Ziel der Belebung und Stabilisierung von Investitionen. Dieses Nein bedeutet nichts anderes, als die öffentlichen Hände daran zu hindern, ihren Beitrag zur Stabilisierung der Investitionstätigkeit zu leisten. Wenn man sich das ganz genau ansieht, erkennt man, daß das wirtschaftspolitische Konzept der Union auf die These zusammenschrumpft, die Wirtschaft habe kein Vertrauen, und weil die Wirtschaft kein Vertrauen in diese Regierung habe, müsse diese Regierung weg - und alle Arbeitsmarktprobleme seien gelöst. Ich verstehe zwar gut, daß da der Wunsch als Vater des Gedankens eine Rolle spielt. Aber das ist wirklich kein Programm, über das man mit Sinn und Verstand miteinander diskutieren kann.
Dabei gibt es unter Ihnen Leute, die sich von der Inhalts- und der Konzeptionslosigkeit der wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Union angeödet fühlen. Herr Dr. Barzel, der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses und dort mein Kollege, hat vor einiger Zeit in einem Gespräch mit der „Rheinischen Post" gesagt: „Ich glaube, daß die Zeit gekommen ist, und ich habe den Eindruck, daß es nötig ist, neue Gedanken zu denken und zu wagen." Er sagte ferner, jetzt komme es auf die Opposition, auf Pläne, Konzeptionen und Alternativen an. Ich kann nur sagen: Wohlan; das darf man nicht nur sagen, sondern das muß man auch machen.
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- Ja, das scheint so zu sein.
Dieses Investitionsprogramm bedeutet und bringt zum Ausdruck, daß diese Koalition sich eben nicht mit einem hohen Sockel von Arbeitslosigkeit abfindet und daß sie sich erst recht nicht denen anschließt, die vor einigen Jahren eine solche Zeit als „Gnade der Stunde der Angst" bezeichnet haben.
Wir sehen zwar sehr wohl, daß der Staat nur einen Teilbeitrag leisten kann, um die Investitionstätigkeit und den Arbeitsmarkt zu beleben. Aber den Beitrag, den er leisten kann, muß er leisten.
Selbst zu diesem im Entwurf vorgelegten Programm sind die Meinungsäußerungen aus dem Lager der Union durchaus widersprüchlich. Herr Strauß hat hier am 24. März 1977 gesagt: Ich wende mich nicht gegen dieses öffentliche Investitionsprogramm. Herr Leicht hat Mitte des Monats geäußert, er sei nur für die Hälfte dieses Investitionsprogramms. Und Herr Häfele hat etwa zur gleichen Zeit erklärt, dieses Investitionsprogramm sei nicht groß genug, weil es die Quote der öffentlichen Investitionen nicht stark genug anhebe. Nun mag sich jeder aus den Reihen der Union aussuchen, für welche dieser Positionen er sich entscheidet. Die CSU scheint wohl doch recht zu haben, wenn sie es als nötig bezeichnet, daß die Union ihre Strategie- und Koordinierungskommission bald installiert, auf daß solche Widersprüchlichkeiten da vielleicht schon ausgeräumt werden.
Wenn die Union dem Bund und den anderen öffentlichen Händen im Prinzip das Engagement in der Wirtschaftspolitik und in der Gestaltung der Investitionspolitik bestreitet, dann befindet sie sich eigentlich außerhalb der internationalen wirtschaftspolitischen Diskussion. Während hierzulande ein Teil dieses Parlaments, nämlich die Opposition, die Forderung der Enthaltsamkeit an die Bundesregierung richtet, sind die Erwartungen und auch die geäußerten Forderungen bei unseren ausländischen Partnern und bei den Regierungen, mit denen die Bundesregierung zusammenzuwirken hat und zusammenarbeitet, völlig andere. Wer in den letzten Wochen und Monaten Gelegenheit hatte, mit wirtschafts- und konjunkturpolitisch interessierten Parlamentskollegen der verschiedensten Länder Westeuropas - und nicht nur Westeuropas - zu sprechen, der spürte, wie stark die internationale Forderung gegenüber der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht wird, sich in einem ungleich höheren Maß finanziell zugunsten der Wirtschaftsförderung und der Investitionsförderung zu engagieren.
So wird die Bundesregierung zwischen diesen beiden Positionen der Forderungen, Aufforderungen und Erwartungen einen vernünftigen mittleren Weg zu gehen haben: auf der einen Seite die Erwartungen der ausländischen Partner nicht völlig zu ignorieren und ihnen auf der anderen Seite nicht voll nachzugeben.
Die Jahre seit 1973 sind ja von einem außergewöhnlich starken Engagement der öffentlichen Hände, insbesondere des Bundes, geprägt worden. Es galt, das zu überwinden, was sich aus der Schwäche der privatwirtschaftlichen Tätigkeit ergeben hatte. Hier wurde eine Reihe von Programmen aufgezählt, auf die wir durchaus nicht mit Scham blicken, sondern die wir immer für nötig
gehalten haben. Diese Aufzählung beweist, mit welch ungeheurem Engagement diese Regierung ihren Beitrag dazu geleistet hat, daß die Folgen der weltweiten Rezession auf diese Wirtschaft nicht noch stärker durchgeschlagen sind, als sie sich heute ohnehin noch immer bemerkbar machen; denn eine Million Arbeitslose sind uns zuviel. Das ist auch und insbesondere für Sozialdemokraten kein Pappenstiel. Wenn innerhalb unserer eigenen Reihen gelegentlich schwierige und kritische Diskussionen über Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik erfolgen, dann deshalb, weil diese Sorgen Sozialdemokraten ungleich tiefer unter die Haut gehen als manchen anderen.
Wenn man in dieser Zeit vor irgendeiner Funktionärsgruppe, wie Sie es so gerne ausdrücken, den Hut ziehen darf, dann sind es die Betriebsräte und die Gewerkschaftler,
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die vor Ort diese schwierige Arbeitsmarktlage gegenüber Chaoten und Kommunisten zu vertreten haben. Da findet die eigentliche Auseinandersetzung mit Kommunisten statt; dort entscheidet sich, ob diese Gesellschaftsordnung, ob diese Gewerkschaftsbewegung, ob dieses parlamentarische System besteht und überlebt. Deshalb sage ich: Hut ab vor denen, die trotz dieser schwierigen Lage an der Front die Auseinandersetzung führen!
Wenn trotz aller eigenen Anstrengungen keine Vollbeschäftigung erreicht ist, dann dokumentiert das nur, daß isolierte nationale Maßnahmen weder in diesem noch in irgendeinem anderen Lande in der Welt die Probleme allein zu meistern vermögen. Aber diese Dimension fehlt völlig in den Meinungsäußerungen und Betrachtungen der Union. Sie tun so, als ob wir auf der Insel der Glückseligen lebten, als ob nichts von dem, was draußen in der Welt passiert, über unsere Grenzen hinweg in unsere binnenwirtschaftlichen Verhältnisse hineinschwappte, als ob wir auf einer autarken Insel lebten. Deshalb ist es nötig, daß man Bundeskanzler und Bundesregierung ermutigt, ihre Anstrengungen um internationale Koordinierung fortzusetzen.
Wenn von einer Million Arbeitslosen die Rede ist, muß man auch auf eine weitere Aufgabe verweisen. Seit dem Herbst 1974 sind in diesem Lande etwa 4 Millionen Menschen arbeitslos geworden, und davon sind 3 Millionen in neue Arbeitsplätze vermittelt worden, überwiegend in Branchen, in denen sie früher nicht tätig waren. Dies beweist die dramatische Veränderung, die sich in der Wirtschaftsstruktur unseres Landes vollzieht. Deshalb ist es auch nur zu begrüßen, daß die Bundesregierung sich dieser Fragen der Strukturpolitik und ihrer Entwicklung verstärkt annimmt.
Dabei bedarf es überhaupt keiner neuen Grundsatz- und Weltanschauungsdiskussion. Die Fülle der verschiedensten Maßnahmen der Regional-, der Strukturpolitik, der Forschungspolitik, der Raumordnungspolitik sind nichts anderes als Engagement der öffentlichen Hand zur Beeinflussung der wirtschaftlichen Entwicklung. Es handelt sich also nicht darum, ein neues Teufelswerk zu erfinden, sondern es hanReuschenbach
delt sich darum, die vorhandenen Instrumente weiterzuentwickeln, bei aller Problematik, die darin steckt, weil die Prognosefähigkeit aller, der Wissenschaftler, der Administration und der Politiker, nur mäßig entwickelt ist und sich vielleicht auch gar nicht bis zur Vollkommenheit entwickeln läßt, weil so viele Entscheidungen, die nicht beeinflußbar sind, eine Rolle spielen.
Bei den Vorbereitungen zu diesem Programm haben wir aber auch etwas erlebt, was zumindest zum Nachdenken Anlaß gibt, vielleicht aber auch bei gutem Willen aller Beteiligten zu Konsequenzen führen könnte: daß die Form und der Stil der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern nicht optimal entwickelt ist. Wenn man regionale, strukturale Wirtschaftspolitik und Konjunkturpolitik mit Erfolg machen will, dann bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Bund den Ländern.
Herr Waigel hat beklagt, daß da nicht genügend Objekte vorhanden gewesen seien. Das hängt genau damit zusammen, daß nach der verfassungsmäßigen Struktur dieses Landes die Bundesregierung allein nicht alle Bereiche der Wirtschaftspolitik maßgeblich bestimmen kann, daß sie auf Kooperation angewiesen ist. Diese Erkenntnis sollte zu Schlußfolgerungen führen.
Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß bei der Verteilung der Mittel auf die verschiedenen Länder Streit über Bruchteile von Prozenten möglich ist; denn wenn man es mit einer gleichmäßigen Entwicklung in diesem Lande ernst meint, dann muß in dem einen Land, in dem einem Sektor mehr als in einem anderen investiert werden. Ich hätte mir auch gewünscht, daß die Länder bei der Programmentwicklung stärker und zügiger mitgegangen wären.
Wie dem auch sei, die Realisierung der Ankündigung in der Regierungserklärung ist relativ rasch möglich geworden. Meine Fraktion hält dies für eine begrüßenswerte Eile. Wir wissen, daß auch mit einem solchen Programm nicht alle Probleme des Arbeitsmarktes gelöst werden; da bleiben permanent Aufgaben. Wichtig ist, daß dieses Programm nun schnell abgefahren wird. Ich denke, die Bundesregierung wird dafür sorgen.
So, wie die Lage in der Welt und in der Weltwirtschaft ist, werden alle Regierungen und alle Parlamente, also auch wir, in absehbarer Zeit neu zu prüfen haben, was angesichts der neuen Entwicklung zu tun ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Haussmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung hat diesem Bundestag ein von seinen Dimensionen her bisher einmaliges Infrastrukturprogramm vorgelegt. Das Parlament muß, so glaube ich, vor allem drei Fragen an dieses Programm stellen: Welche politische Philosophie steht hinter diesem Programm? Welche Beschäftigungseffekte hat dieses Programm? Ist es finanzpolitisch vertretbar?
Zur Programmphilosophie wage ich die These: Dies ist endlich ein praktisches Stück qualitatives Wachstum, denn es fördert nicht alles und jedes, was irgendwie unser Sozialprodukt aufbläht und damit zu quantitativem Wachstum beiträgt; nein, es werden ganz bewußt gesellschaftspolitische, also qualitative Ziele gesetzt, und es werden damit sinnvolle umwelt-, energie- und städtebaupolitische Investitionen angereizt. Damit wird das bisher allzu stark dominierende Politik-Machen in Schubladen, in Einzeletats überwunden, und es werden Ergebnisse zumindest angestrebt, die im Sinne einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sinnvoll sind.
Zweite Frage: Wie steht es nun um die Beschäftigungswirksamkeit dieses Programms? Wichtig ist, so glauben wir, daß dieses Programm eine offensive staatliche beschäftigungspolitische Maßnahme ist. Es ist kein billiges, kein perspektivloses, kurzatmiges Arbeitsbeschaffungsprogramm. Dieses Programm ist mittelfristig - auf vier Jahre - angelegt. Damit trägt es zu der so notwendigen Verstetigung der öffentlichen investiven Nachfrage bei. Es werden kurzfristig dringend erwünschte Beschäftigungseffekte auf die baunahen Branchen ausgehen; genauso wichtig, vielleicht sogar wichtiger, sind die mittelfristigen, die indirekten Beschäftigungswirkungen. Das heißt, durch die Verbesserung der Infrastruktur werden sich die Standortbedingungen für neue Investitionen verbessern; die Investoren finden also bessere Wachstumsbedingungen vor. Auch wird gezielt Nachfrage in sehr wichtigen Dienstleistungsbereichen und zukunftsorientierten Branchen erzeugt; so werden z. B. über 3 Milliarden DM für energiesparende und umweltfreundliche Technologien eingesetzt - ein Lichtblick, so möchte ich meinen, in der momentan verwirrenden energiepolitischen Szene.
Dritte Frage: Ist denn dieses Programm finanzpolitisch vertretbar? Wir glauben, daß sich das Programm von seiner Dimensionierung her, verteilt auf vier Jahre, im Rahmen der gebotenen Haushaltskonsolidierung bewegt. Damit läßt es, was sehr wichtig ist, am Kreditmarkt Spielraum für private Investitionsfinanzierung. Das Programm verzichtet, soweit möglich, auf nicht finanzierbare Folgekosten. Dies ist vor allem für unsere Gemeinden wichtig, denen die Komplementär-Finanzierung ohnehin Probleme bereiten wird.
Für die weitere parlamentarische Beratung wird sorgfältig zu prüfen sein, ob alle vorgeschlagenen Projekte den gestellten wachstumspolitischen Anforderungen gerecht werden und ob sich nicht hinter mancher Empfehlung regionaler oder Ressortegoismus verbirgt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und fasse zusammen. Dieses Programm schafft bessere Rahmenbedingungen und löst damit indirekt wichtige Beschäftigungsimpulse aus. Es versöhnt auf diese Weise wirtschaftspolitische und gesellschaftspolitische Ziele. Es ist finanzpolitisch vertretbar.
Für die Fraktion der Freien Demokraten begrüße ich dieses Programm.
({0})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zur Überweisung. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. Gibt es Gegenstimmen? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes
- Drucksache 8/287 -Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort zur Einbringung hat Herr Bundesminister Ravens.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der Ihnen heute in erster Lesung zur Beratung vorliegt, berührt einen Lebensbereich von zentraler Bedeutung: den für alle Bürger bedeutenden Sozialbereich des Wohnens. Nach der Debatte über die Erweiterung des § 7 b und die Grunderwerbsteuerbefreiung, nach der Debatte über das Zukunftsinvestitionsprogramm, die ja beide von erheblicher wohnungsund eigentumspolitischer sowie städtebaulicher Bedeutung sind, können wir uns jetzt mit einer durchgreifenden Verbesserung des Wohngeldes befassen.
Durch die Miet- und Einkommensentwicklung seit der letzten Anpassung 1974 sind viele Haushalte aus der Wohngeldförderung herausgewachsen. Andere haben eine Verminderung der Wohngeldleistung hinnehmen müssen, ohne daß sich ihre reale Einkommenssituation oder Wohnversorgung verbessert hat. Mieter mit unterdurchschnittlichen Einkommen und vergleichsweise teuren Wohnungen müssen zum Teil nicht mehr. zu vertretende Belastungen tragen. Die Bundesregierung hat deshalb in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 16. Dezember 1976 die Anpassung des Wohngeldes zum 1. Januar 1978 angekündigt. Mit der Ihnen jetzt zur Beratung vorliegenden Novelle hat die Bundesregierung binnen kurzem dieser Ankündigung entsprochen und eines der wichtigsten Reformvorhaben in der laufenden Legislaturperiode auf den Weg gebracht.
({0})
Sie folgt mit der Vorlage des Gesetzes auch dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 23. Juni 1976.
Ich verkenne gar nicht, Herr Kollege Jahn, daß die Wohngeldanpassung schon zu einem früheren Zeitpunkt vorteilhaft gewesen wäre.
({1})
Aber die Gründe für eine notwendige Verschiebung
der Reform sind ja bereits mehrfach diskutiert
- es hat doch wohl eine sehr weitgehende Übereinstimmung gegeben - und, wie ich denke, auch akzeptiert worden.
({2})
- Herr Kollege Jahn, ich darf daran erinnern, daß Ihr Parteivorsitzender Kohl damals von der Bundesratsbank aus verlangt hat, in der damaligen Legislaturperiode keine verpflichtenden Ausgabeerhöhungen durch Gesetz zu beschließen. Er hat dazu ausdrücklich das Wohngeldgesetz gezählt. Wir sollten es so schildern, wie es war.
Die heute eingebrachte Novelle zum Zweiten Wohngeldgesetz verfolgt drei Hauptziele: die Anpassung der Wohngeldzahlungen an die zwischenzeitlich erfolgte Miet- und Einkommensentwicklung, die Bereinigung struktureller Verzerrungen und die Annäherung der Einkommensgrenzen des Wohngeldes an die des sozialen Wohnungsbaus. Gleichzeitig sollen die Länder durch die Novelle in ihrem Bemühen um einen Ausgleich des subventionsbedingten Mietanstiegs im sozialen Wohnungsbau unterstützt werden.
Die Wohngeldförderung hat sich in den vergangenen Jahren auch vom Volumen her zu einem der wichtigsten wohnungspolitischen Instrumente entwickelt. Im vergangenen Jahr erhielten fast 1,7 Millionen Haushalte Wohngeld. Bund und Länder haben dafür 1,6 Milliarden DM bereitgestellt. Verglichen mit 1970 hat sich damit die Zahl der Wohngeldempfänger um fast 90 % erhöht. Die Wohngeldleistungen sind um etwa 170 % gestiegen. Die Wohngeldnovelle wird, sobald sie sich voll auswirkt, d. h. ab 1979, für Bund und Länder Mehraufwendungen von rund 700 Millionen DM erforderlich machen. Im Umstellungsjahr 1978 werden sich die Mehraufwendungen auf rund 500 Millionen DM belaufen.
Diese Leistungen haben zur Folge, daß 300 000 Haushalte durch die Erhöhung der Einkommensgrenzen erstmals oder wieder in die Wohngeldförderung hineinwachsen werden. Schon diese Zahlen machen deutlich, daß die Wohngeldleistungen für die Mehrzahl der Wohngeldempfänger eine fühlbare Verbesserung erfahren werden. Dabei sollen sie nach dem Regierungsentwurf nicht einfach linear erhöht werden. Zur Beseitigung der im gegenwärtigen Wohngeldsystem enthaltenen strukturellen Mängel und in dem Bemühen, das mögliche Volumen der Wohngeldverbesserung sozial gerecht zu verteilen, wird eine Anpassung vor allem dort gezielt vorgenommen, wo im gegenwärtigen System die zugemutete Belastung ganz besonders hoch ist.
Das Ergebnis dieser Strukturbereinigung ist ein in sich gerechteres Wohngeldsystem. Hierbei sind die Eckwerte der Wohngeldtabellen darauf ausgeBundesminister Ravens
richtet, daß die nach dem Abzug des Wohngelds verbleibende Mietbelastung in den oberen Einkommensbereichen bis zu 25 % des Nettoeinkommens beträgt. Haushalte mit einem unter dem Durchschnitt liegenden Einkommen werden demgegenüber erheblich geringer belastet.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, durch einige Hinweise die strukturellen Änderungen im neuen Wohngeldsystem verdeutlichen. Bei unveränderten Leistungsvoraussetzungen, insbesondere hinsichtlich der Einkommens- und Miethöhe, werden sich die Wohngeldleistungen bei Nichterwerbstätigen im Durchschnitt um 20 bis 25 DM im Monat erhöhen; bei erwerbstätigen Wohngeldempfängern, die im allgemeinen ja auch einen größeren Haushalt haben, werden sie um durchschnittlich 60 bis 65 DM monatlich höher sein. Von den Mehraufwendungen kommen rund 70 % den Nichterwerbstätigen zugute, die heute ca. 85 % der Wohngeldempfänger stellen. Auf Grund der besonderen Begünstigung der Erwerbstätigenhaushalte wird sich deren Zahl im Wohngeldsystem verdoppeln.
Bereits im gegenwärtigen Wohngeldsystem ist der zusätzliche Wohnbedarf von kinderreichen Familien berücksichtigt worden. Die Novelle bringt hier nochmals Verbesserungen und erfüllt damit eine Ankündigung der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976. Mit jedem weiteren Kind erhöht sich für wohngeldberechtigte Haushalte das Wohngeld um mehr als die Kosten des zusätzlich notwendigen Wohnraums.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs eingehen; dazu wird im Ausschuß die Möglichkeit sein. Aber ich möchte doch einige wesentliche Neuregelungen der Novelle kurz erläutern. Die Einkommensgrenzen werden entsprechend der allgemeinen Einkommensentwicklung im Schnitt um mehr als 30 °/o angehoben.
Lassen Sie mich dazu ein paar Beispiele aus der Tabelle nennen. Wenn die Einkommensgrenze für Einpersonenhaushalte jetzt - bezogen auf das Bruttoeinkommen - 1 189 DM beträgt, dann wird sie nach Verabschiedung der Novelle 1 504 DM betragen. Für den Dreipersonenhaushalt liegt die Einkommensgrenze nach geltendem Recht bei 1 761 DM; nach der Novelle ab 1978 bei 2 361 DM. Bei einem Haushalt mit acht Personen steigt die Einkommensgrenze in der Tabelle von 3 189 DM auf 4 218 DM.
Der Abstand zu den Einkommensgrenzen im ersten Förderungsweg des sozialen Wohnungsbaus verringert sich so durchschnittlich auf etwas weniger als 10 °/o. Das Wohngeld kann damit fast im ganzen Einkommensbereich des sozialen Wohnungsbaus die objektbezogene Förderung. ergänzen. Das hat vor allem auch für Mieter der Sozialwohnungen aus der Zeit nach 1970 ganz besondere Bedeutung. Die Mietbzw. Belastungshöchstbeträge werden differenziert angepaßt. Sie erhöhen sich im Schnitt um 30 %. Neuer Eckwert ist eine Quadratmetermiete von 6,60 DM monatlich bei Neubauwohnungen der besten Ausstattungsgruppe.
Aus der Wohngeldstatistik wissen wir, daß die relativ häufigste Überschreitung der bisherigen Höchstbeträge bei den am schlechtesten ausgestatteten Wohnungen aus der Zeit vor 1948 liegt. Deshalb haben wir diese Miethöchstbeträge ganz besonders stark angehoben.
Im gegenwärtigen System, meine Damen und Herren, erhalten die Wohngeldbezieher für die Ermittlung des maßgebenden Familieneinkommens einen allgemeinen Freibetrag in Höhe von 30 % des Jahreseinkommens zugebilligt. Diese Regelung bringt für die Erwerbstätigen eine Benachteiligung, weil bei ihnen der Freibetrag die Belastungen für Steuern und Sozialversicherung ausgleicht, während Nichterwerbstätige keine derartigen Belastungen zu tragen haben. Deshalb soll durch die Wohngeldnovelle der pauschale Abzug stärker nach der tatsächlichen Belastung mit derartigen Aufwendungen ausgerichtet werden, damit das für die Wohngeldberechnung maßgebliche „Familieneinkommen" dem verfügbaren Nettoeinkommen in etwa entspricht. Vorgesehen ist dabei künftig ein Freibetrag von 15 % für alle Wohngeldempfänger. Er steigt . bei Zahlung von Versicherungsbeiträgen oder Steuern auf 22,5 % und bei Zahlung von Versicherungsbeiträgen und Steuern auf 30 %.
Um diese Neugestaltung des allgemeinen Freibetrages hat es in der Offentlichkeit ja schon Diskussionen gegeben. Lassen Sie mich deshalb klarstellen: Der typische Arbeitnehmerhaushalt erhält - wie bisher - einen Freibetrag von 30 %. Bei den typischen Rentnerhaushalten wird noch ein Abzug von 15 % zugebilligt, obwohl bei den typischen Rentnerhaushalten keine Belastung mit Steuern oder mit Sozialversicherungsabgaben gegeben ist. Dabei tritt aber bei den Rentnerhaushalten grundsätzlich keine Verringerung des Wohngeldes ein, weil die allgemeine Verbesserung der Wohngeldleistungen in der Regel weit größer ist als der „rechnerische" Nachteil durch die Korrektur der Freibeträge.
Auch die bisherigen Vergünstigungsvorschriften für Schwerbehinderte sind neu gestaltet worden, weil sie sich zum Teil als unbefriedigend, zum Teil als schwer praktikabel erwiesen haben. Dies gilt ganz besonders hinsichtlich der Anerkennung eines besonderen Wohnbedarfs. Hier soll gezielter auf die Schwere der Behinderung abgestellt werden. Auch die Sonderfreibeträge werden danach gestaffelt, so daß insgesamt eine in sich gerechtere Lösung erreicht werden kann.
Der Bundesrat, meine Damen und Herren, hat dem Gesetzentwurf im ersten Durchgang in seiner Grundtendenz zugestimmt. Soweit in einigen Punkten zusätzliche Prüfungsempfehlungen ergangen sind, z. B. hinsichtlich des Verhältnisses der Leistungen nach BAföG und Wohngeldgesetz, wird sich die Bundesregierung bemühen, Vorschläge zu machen, wenn das Gesetzgebungsverfahren dadurch zeitlich nicht verzögert wird. Allerdings können wir einem weiteren Vorschlag des Bundesrates nicht zustimmen, nämlich dem Vorschlag, mit dem Inkrafttreten der Novelle eine sofortige Anrechnung der Rentenerhöhungsbeträge vorzusehen, die sich aus dem 20. Rentenanpassungsgesetz für die Zeit vom 1. Juli
bis zum 31. Dezember 1977 ergeben. Ich denke, das wäre sozialpolitisch nicht vertretbar.
Die Bundesregierung geht davon aus, meine Damen und Herren, daß der Deutsche Bundestag ebenso wie der Bundesrat eine Anpassung des Wohngeldes an die Mieten- und Einkommensentwicklung spätestens bis zum 1. Januar 1978 für unabweisbar hält. Die Länder benötigen für die Umstellung der Wohngeldberechnung einen Vorlauf von etwa sechs Monaten. Eine termingerechte Anpassung kann daher nur erreicht werden, wenn die Vierte Novelle zum Zweiten Wohngeldgesetz bis zur Sommerpause abschließend beraten werden kann. Ich bitte daher, bei der weiteren Beratung des Gesetzentwurfs auch die terminlichen Notwendigkeiten zu sehen und ihnen Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um die Beratungen des Gesetzgebungsverfahrens weitgehend zu fördern.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Prangenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Einbringung der Vierten Novelle zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes erfüllt die Bundesregierung eine Pflicht, die nach übereinstimmender Auffassung aller Fraktionen in diesem Hause schon in der letzten Legislaturperiode hätte erfüllt werden müssen. Die notwendige Wohngeldanpassung fiel den damaligen Haushaltssicherungsmaßnahmen der Bundesregierung zum Opfer. Und, Herr Minister Ravens: Diese Maßnahmen sind nicht von dem damaligen Herrn Ministerpräsidenten Dr. Kohl, sondern von der Bundesregierung beschlossen worden. Dies noch einmal zur historischen Wahrheit. So stagnieren seit dem 1. Januar 1974 die Wohngeldleistungen in unserem Lande. Diese gesetzliche Stagnation bedeutet für die Wohngeldbezieher vielfach einen tatsächlichen Rückschritt. Im Einzelfall mußten viele Wohngeldempfänger schmerzlich feststellen, daß die Steigerungen ihrer nominalen Einkommen zum völligen Wegfall des Wohngeldes geführt haben.
Auch die erheblich gestiegene Belastung des Familieneinkommens für die Zahlung des Mietzinses ist Folge der Stagnation der Wohngeldleistungen seit 1974. Die CDU/CSU-Fraktion wird allein deshalb, weil die Familien und die Mieter in unserem Lande hier vier Jahre Nachteile gehabt haben, das Anliegen dieser längst überfälligen Novelle unterstützen.
Ich will hier, insbesondere mit Rücksicht auf die Zeit, nicht alle Änderungsvorschläge der CDU/CSU-Fraktion ankündigen. Dennoch möchte ich kurz auf einige Probleme eingehen, mit denen wir uns bei den kommenden Ausschußsitzungen auseinanderzusetzen haben. Sicherlich werden die Wohngeldverbesserungen eine dringend notwendige vorübergehende Hilfe darstellen, und deshalb begrüßen wir sie. Nur, diese Leistungsverbesserungen beim Wohngeld werden nicht die strukturellen Fehlentwicklungen und Schwierigkeiten im sozialen Wohnungsbau beseitigen können. Deshalb fordern wir auch bei den Beratungen die Bundesregierung auf, zu den Problemen der künftigen Wohnungsförderungspolitik eine schlüssige Antwort zu geben.
({0})
Mit dieser Auffassung stehen wir nicht allein. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Ausführungen des Kollegen Wurbs im Pressedienst der FDP-Bundestagsfraktion vor einigen Wochen. Die Forderung nach neuen Weichenstellungen im sozialen Wohnungsbau ist in der Tat berechtigt. Wenn z. B. vor einigen Wochen die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Beantwortung einer Großen Anfrage der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag zur Mietenentwicklung in unserem Lande erklärte, daß diese Frage erst dann beantwortet werden könne, wenn Bund und Länder ein Gesamtkonzept für den sozialen Wohnungsbau ermittelt hätten, zeigt sich hier erneut die Berechtigung dieser im Ausschuß mehrfach von uns angesprochenen Forderung. Die Erklärung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist auch deshalb von Bedeutung, weil sie selbst eine Einschränkung der öffentlichen Förderung des sozialen Wohnungsbaus in dieser Antwort auf die Anfrage der CDU-Fraktion in Düsseldorf für vertretbar hält.
({1})
Meine Damen und Herren, die Ausgaben von Bund und Ländern für das Wohngeld werden nach der Verabschiedung dieser Novelle ein Volumen von 2,2 Milliarden DM erreichen. Dieser Betrag, den sich Bund und Länder je zur Hälfte teilen müssen, kann in den nächsten Jahren nicht bedenkenlos gesteigert werden. Wir können das Wohngeld allein schon deshalb in seiner Aufgabe nicht überfrachten, weil hierdurch eventuell eine Entscheidung über die Weiterführung des Regional- und des Intensivprogrammes vorweggenommen wird. Oder, um es einmal ganz einfach auszudrücken: Wenn eines Tages in unserem Land über 3 Milliarden DM Wohngeld gezahlt werden, ohne daß auch nur eine Wohnung mehr aus öffentlichen Mitteln gefördert wird, dann stimmt etwas nicht im Förderungssystem des sozialen Wohnungsbaus in unserem Lande.
({2})
Deshalb werden wir uns bei den Beratungen im Ausschuß nicht nur auf die Einzelvorschriften konzentrieren, sondern auch immer wieder darauf drängen, Antworten zum Stellenwert des Wohngeldes in einem Gesamtkonzept der Wohnungsförderung zu erhalten.
Wir müssen bei den Beratungen im Ausschuß unser besonderes Augenmerk auch auf die Verwaltungskosten des Wohngeldes richten.
({3})
9 % des Wohngeldvolumens werden von den Verwaltungskosten aufgefressen. Das bedeutet, 200 Millionen DM kommen nicht den Wohngeldempfängern zugute, sondern versickern beim Vollzug des Gesetzes in der Bürokratie. Diese RationalisierungsPrangenberg
reserven müssen wir mobilisieren, und sie sind auch mobilisierbar.
({4})
Wenn in Berlin die Bearbeitung eines Wohngeldantrages laut dem letzten Wohngeldbericht 46,92 DM kostet, im Saarland aber nur 33,84 DM, dann werden allein aus diesem Vergleich der Verwaltungskosten in den Ländern die Rationalisierungsreserven in diesem Bereich sehr deutlich.
({5})
Ich sage das insbesondere auch deshalb, weil die CDU in ihrer Mannheimer Erklärung darauf hingewiesen hat, daß es in einem Land, in dem die Bürger bereits 1975 300 Milliarden DM für soziale Aufgaben aufgewendet haben, nicht in erster Linie um eine Erhöhung des Anteils am Sozialprodukt für soziale Leistungen gehen kann. Vielmehr ist die Verbesserung der Wirksamkeit dieser Mittel das Gebot verantwortlicher Sozialpolitik bei knappen Kassen.
({6})
Deshalb möchte ich für die CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß einen ausführlichen Gedankenaustausch mit den Praktikern an der „Bearbeitungsfront" beantragen, um hier eventuell noch zusätzliche Mittel für wirkliche Verbesserungen herauszuholen.
({7})
Neben dieser Problematik wird die CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß auf strukturelle Verbesserungen innerhalb des gegebenen Finanzrahmens drängen. Ich möchte exemplarisch folgende Punkte ansprechen:
Erstens. Besondere Berücksichtigung kinderreicher Familien. Wir müssen gerade in Anbetracht der Verschlechterung der Lage der kinderreichen Familien in unserem Lande überlegen, wie das Wohngeld eine zusätzliche familienpolitische Komponente erhalten kann.
({8})
Zweitens. Wir müssen uns über die Behandlung der Gemeinden in den Ballungsrandzonen unterhalten. Hier gilt es, zu prüfen, ob wir nicht durch Rechtsverordnungen die Landesregierungen ermächtigen sollten, bei gleichem Mietniveau die Höchstbeträge für Gemeinden mit geringerer Einwohnerzahl in diesen Fällen heraufzusetzen. Herr Dr. Möller, Sie können es mir sicher bestätigen; die Mieten in St. Augustin sind kaum niedriger als in Bonn. Das ist in der Tat ein. Problem, das bisher noch nicht behandelt wurde.
({9})
- Das weiß ich.
Drittens. Wir werden auch den Einwendungen des Bundesrates bei den Beratungen im Ausschuß unsere Beachtung schenken müssen. Dies gilt insbesondere für die Beseitigung der Rechtsunsicherheit durch das Nebeneinander von Bundesausbildungsförderungsgesetz und Wohngeldgesetz. Hierzu sind bei den Gerichten etliche Verfahren anhängig, die bisher nicht nach einem einheitlichen Maßstab entschieden werden.
Wir werden uns auch weiter über die Einkommensermittlung in der Praxis unterhalten müssen. Dies gilt nicht nur für Selbständige. Wenn es stimmt, mit welcher Großzügigkeit manche Behörden bei der Einkommensermittlung vorgehen, so müssen wir feststellen, daß die vom Gesetzgeber gewollte Zielgenauigkeit der Wohngeldleistungen im Verwaltungsvollzug manchmal erheblich verletzt wird.
Abschließend möchte ich feststellen: Die CDU/ CSU-Fraktion wird sich im Interesse der Wohngeldbezieher für eine zügige Beratung einsetzen. Wir wollen eine Verbesserung, nachdem die Leistungen vier Jahre zurückgeblieben sind.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es würde mich natürlich reizen, Herr Kollege Prangenberg, auf einige Bemerkungen, die Sie gemacht haben, einzugehen. Selbstverständlich stoßen Sie bei uns auf offene Türen, wenn Sie feststellen, daß das Wohngeldgesetz ein wichtiges Gesetz ist, aber damit nicht alle Probleme auf den Wohnungsmärkten, in der Mietenentwicklung usw. zu lösen sind. Dies wissen wir. Wir wissen auch, daß die Einflußnahme des Bundes auf die Mietenentwicklung im sozialen Wohnungsbau eine geringere ist als bei einer Gesetzgebung für das Wohngeld, und Sie wissen das auch. Aber, wie gesagt, wir werden diese Diskussion sicherlich im Ausschuß und dann bei der zweiten und dritten Lesung hier noch weiterführen können. Ich möchte heute in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und indem ich einhalte, was eigentlich interfraktionell vereinbart worden ist, namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion folgende Erklärung zu den Beratungen über die Wohngeldnovelle abgeben:
Erstens. Wir Sozialdemokraten erkennen zunächst einmal dankbar an, daß eines der wichtigsten sozial- und wohnungspolitischen Gesetze unverzüglich zu Anfang der neuen Legislaturperiode beraten und alsbald verabschiedet werden soll. Aus unserer Sicht wird damit nicht nur eine klare Wahlaussage, die durch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 16. Dezember 1976 bestätigt wurde, in die Tat umgesetzt, sondern der vorliegende Gesetzentwurf bietet Gelegenheit, das Verhältnis zwischen Wohnkosten und Einkommen neu zu gestalten.
Zweitens. Obwohl Interessenten und Fachpolitiker selten mit dem Finanzrahmen zufrieden sind, der für bestimmte Problemlösungen zur Verfügung gestellt wird, sollten wir dankend zur Kenntnis nehmen, daß die für die Novellierung des Wohngeldrechts erforderlichen 700 Millionen DM jährlich zusätzlich zu den bisherigen Erfordernissen gleichermaßen vom Bund und von allen Bundesländern, die paritätisch beteiligt sind, bereitgestellt werden. Dafür möchten
wir dem Bundesfinanzminister, aber auch seinen Kollegen aus den Bundesländern ausdrücklich danken.
({0})
- Was die Frage anbelangt, ob man das schon früher hätte machen können, so bin ich davon überzeugt: Hätten wir es früher gemacht, hätten wir dieses Finanzvolumen nicht gehabt. Insofern hat das vielleicht auch etwas Gutes, obwohl ich nicht in Abrede stellen will, daß wir es natürlich auch ganz gerne gesehen hätten, wenn schon früher Anpassungen vorgenommen worden wären.
Drittens. Das Wohngeldrecht ist gewiß nicht geeignet - ich sagte das bereits -, die Probleme der städtebaulichen und der Mietenentwicklung, wie sie sich heute darstellen, allesamt aus der Welt zu schaffen. Aber es ist geeignet, seinen Teil dazu beizutragen, daß gesundes und angemessenes Wohnen für die einzelnen Haushalte wirtschaftlich abgesichert werden kann. Die von Ausstattung, Größe und finanzieller Belastung her angemessene Wohnung, ob Miete oder Eigentum, darf nicht zum Luxus für Privilegierte werden. Das Wohngeld als individuelles Förderungsinstrument der Wohnungspolitik muß gewährleisten, daß keine Familie auf eine ausreichende Wohnversorgung deshalb verzichten muß, weil die Kosten die finanziellen Möglichkeiten übersteigen. Gewiß ist Wohnen zum Nulltarif unmöglich und nicht erwünscht, aber die Gemeinschaft muß ausgleichen, wo der finanzielle Eigenanteil des einzelnen Haushalts Grenzen der Belastbarkeit überschreitet.
Viertens. Der Wohngeld- und Mietenbericht des Jahres 1975 hat mit seiner kritischen Analyse der tatsächlichen Verhältnisse den Weg für die vorliegende Novelle aufgezeigt. Die Maßstäbe, die wir deshalb an die Novellierung des Zweiten Wohngeldgesetzes legen, sind folgende:
1. Der Besitzstand der bisherigen Empfänger eines Miet- oder Lastenzuschusses muß gewahrt werden.
2. Es ist ein angemessenes Verhältnis zwischen Einkommen und Wohnkosten herzustellen. Die Mieten des sozialen Wohnungsbaus müssen wohngeldfähig sein. Sie sind es ja nicht mehr alle. Die Einkommensberechnung nach Wohngeldrecht ist den Grenzen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes anzunähern.
3. Für kinderreiche und größere Familien ist ein erhöhter Wohnflächenbedarf im Wohngeldsystem durch zusätzliche Förderung zu berücksichtigen.
4. Die Wohnungsmodernisierung muß auch über das Wohngeldsystem so gefördert werden, daß nach der Modernisierung fällige Mieterhöhungen von den bisherigen Bewohnern aufgebracht werden können und niemand aus finanziellen Gründen zur Wohnungsaufgabe nach der Modernisierung gezwungen wird.
5. Die Erhöhung der Miethöchstgrenzen hat der bisherigen und der voraussehbaren künftigen Mietenentwicklung Rechnung zu tragen. Die Anhebung der Höchstgrenzen der Miet- oder Abzahlungsbelastung soll die Länder nicht dazu animieren, Subventionsabbau und damit Wohnkostenerhöhungen ungehemmt weiterzuführen.
6. Ein allgemeiner Freibetrag ist auch für Nichterwerbstätige beizubehalten. Der Freibetrag ist jedoch zugunsten von Erwerbstätigen, die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, zu differenzieren. Aus den Erfahrungen der bisherigen Wohngeldleistungen haben wir gelernt. Dabei scheint mir diese Differenzierung des Freibetrages eine ganz wichtige Erkenntnis zu sein, die dazu beiträgt, das Wohngeld in sich gerechter zu machen.
Meine Damen und Herren, die Wohngeldleistungen betrugen im Jahre 1976 über 1,6 Milliarden DM und werden in den nächsten Jahren, etwa ab 1979, die Höhe von 2,3 Milliarden DM erreichen. Das ist ein Rahmen, der trotz finanzieller Engpässe von Bund und Ländern festgelegt worden ist. Nach der vorhin zu Ende gegangenen Steuerdebatte dürften Veränderungen dieser Novelle mit finanziellen Mehraufwendungen deshalb utopisch sein.
Wohngeld ist ein Teil der sozialen Grundlage unseres Staates. Das Wohngeld hat aber nicht nur eine soziale und wohnungspolitische, sondern auch eine städtebaupolitisdie, eine bauwirtschaftliche und eine eigentumspolitische Komponente. Z. B. haben die Aussagen zum Einkommensteuer-Paragraphen 7 b, der heute debattiert wurde, deutlich gemacht, daß der Lastenzuschuß im Wohngeldrecht wahrscheinlich eine nicht unwesentliche Rolle bei dem Erwerb von Wohnungseigentum und der Schaffung von Familienheimen spielt. Wir fördern also Eigentumsbildung nicht nur durch steuerliche Erleichterungen, sondern für besondere Einkommensverhältnisse kann auch das Wohngeldrecht durch Gewährung von Lastenzuschüssen herangezogen werden. Das ist öffentlich zumeist nicht sehr bekannt. Die meisten verstehen unter Wohngeld den bloßen Mietzuschuß.
Wir gehen davon aus, daß alle Fraktionen dieses Hauses an einer zügigen Beratung dieser wichtigen Novelle interessiert sind. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird bereit sein, die Feinarbeiten einerseits so gründlich, auch eingebettet in die allgemeine wohnungs- und städtebaupolitische Diskussion,
({1})
andererseits so zeitgerecht vorzunehmen, daß wir Ende Mai mit den Beratungen fertig werden und möglicherweise schon Ende Mai im Bundestag die abschließende Beratung vornehmen können oder, sagen wir, Mitte Juni so weit sind, daß wir als Parlament das Gesetz verabschieden können. Denn die Bürger unseres Landes müssen sich darauf verlassen können, daß ab 1978 gesetzliche Regelungen in Kraft sind, die sozial ausgewogen, wohnungspolitisch notwendig und städtebaulich höchst erwünscht sind.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Wurbs.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit Befriedigung kann ich hier und heute feststellen, daß die sozialliberale Koalition ihre Versprechen hält, und das nicht nur in Wahlkampfzeiten.
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Im Frühjahr 1976 hat die Koalition im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die Bundesregierung aufgefordert, noch im 7. Deutschen Bundestag die Vorarbeit dafür zu leisten, daß im 8. Deutschen Bundestag eine zügige Verabschiedung einer Wohngeldnovelle gewährleistet ist. Dies ist geschehen, wie im übrigen auch in der Wahlkampfaussage der Freien Demokraten vor der Bundestagswahl 1976 gefordert wurde.
Ich will hier, meine Damen und Herren, in der ersten Lesung nicht auf Einzelheiten eingehen. Herausstellen muß ich jedoch' die große soziale Bedeutung, die diesem wohnungspolitischen Instrument zukommt. Es ist aber nicht allein damit getan - obwohl auch dies dringend geboten ist -, die Zahlungen an die zwischenzeitliche Mieten- und Einkommensentwicklung und ebenso die Miethöchstbeträge an die Mietenentwicklung anzupassen, wie es hier im Gesetz geschehen ist. Vielmehr ist es notwendig, die Bedeutung des Wohngeldes im Gesamtkonzept des sozialen Wohnungsbaus zu sehen. Heute möchte ich auf einige aus der Sicht der FDP wichtige Punkte hinweisen. Denn mit dem auch von der FDP gewollten allmählichen Übergang von der Objekt- zur Subjektförderung wird das Wohngeld zu einem zentralen Thema der Wohnungsbaupolitik.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß im Jahr 1976 immerhin rund 1,7 Millionen Haushalte Wohngeld erhalten haben und von Bund und Ländern für diesen Zweck rund 1,6 Milliarden DM bereitgestellt worden sind. Damit verglichen hat sich die Zahl der Wohngeldempfänger gegenüber dem Jahr 1970 um fast 90 % erhöht. Das ist eine stolze Bilanz, die sich durchaus sehen lassen kann. Im gleichen Zeitraum haben sich die Wohngeldleistungen um rund 170 % gesteigert.
Die Probleme, die in diesem Zusammenhang noch zu bewältigen sind, will ich nicht verkennen. Denn um einen Abbau der bestehenden Objektförderung aufzufangen, ist das Wohngeldsystem zu vervollkommnen, um nicht zu sagen: zu perfektionieren. Es darf nun einmal nicht sein, daß einige notwendige Mietanhebungen einfach und für alle Betroffenen durch höhere Wohngeldansprüche kompensiert werden, wenn das Wohngeld noch seiner eigentlichen Zweckbestimmung gerecht werden soll.
Der Gesetzentwurf enthält folgende wichtige materielle Änderungen:
1. Anpassung der Wohngeldtabellen an die zwischenzeitliche Mieten- und Einkommensentwicklung unter weitgehender Beseitigung bisheriger struktureller Verzerrungen,
2. Anpassung der Miethöchstbeträge an die Mietenentwicklung,
3. Differenzierung des allgemeinen Freibetrages durch pauschalen Abzug von 15, 22,5 oder 30 %. Hier ist allerdings ein erster konstruktiver Ansatz in der Novelle vorhanden. Strukturelle Verzerrungen im Wohngeldbemessungssystem sind beseitigt worden.
Ergebnis dieser Strukturbereinigung ist ein in sich gerechteres Wohngeldsystem. Haushalte, denen im jetzigen Wohngeldsystem eine besonders hohe Belastung zugemutet wird, erhalten wesentlich mehr Wohngeld. Dagegen führt die Beseitigung der strukturellen Verzerrungen bei Wohngeldempfängern, die schon bisher stark begünstigt waren, dazu, daß nur geringe Leistungsverbesserungen eintreten. Aus Zeitgründen will ich es mir ersparen, Zahlenbeispiele zu nennen; die können Sie aus der Tabelle entnehmen. An diesen Beispielen, die Sie aus der Tabelle entnehmen können, mögen Sie erkennen, was ich mit der Bereinigung von Strukturverzerrungen meinte.
Aber auch in diesem Bereich gilt es, gerade im Hinblick auf die Situation der öffentlichen Haushalte, aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates zu denken. Wir haben hier keine Quelle vor uns, aus der unendlich geschöpft werden kann. Das muß einmal deutlich gesagt werden. Vielmehr muß man sich bemühen, neue Berechnungsmaßstäbe zu gewinnen. Deshalb muß nach meiner Auffassung auch versucht werden - das scheint mir nicht unwesentlich in diesem Zusammenhang zu sein -, die gegenwärtig bestehende Auffassung weiter Kreise der Bevölkerung über eine gerechte Miete, z. B. hervorgerufen durch lange Preisbindung, gegenüber dem Einkommen relativ geringe Steigerungen der Mieten, Wohngeld oder ähnliches, in der derzeit relativ ausgeglichenen Wohnungsmarktsituation zu korrigieren.
Abschließend darf ich feststellen, daß die FDP-Bundestagsfraktion den vorliegenden Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes als einen ersten Schritt in die richtige Richtung begrüßt und unter den eben genannten Aspekten diskutieren wird. Wir stimmen dem Überweisungsvorschlag zu.
({1})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Überweisung nach den Vorschlägen des Ältestenrates. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 6 bis 10 der Tagesordnung auf:
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung
- Drucksache 8/205 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Wirtschaft
Vizepräsident Frau Funcke
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. Oktober 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen
- Drucksache 8/211 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23. September 1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt
- Drucksache 8/216 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({1})
Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen und zu dem Haager Übereinkommen vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Ziviloder Handelssachen
- Drucksache 8/217 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen und des Haager Übereinkommens vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen
- Drucksache 8/218 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie mit einer gemeinsamen Überweisung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann bitte ich um das Handzeichen, wer diesen Überweisungsvorschlägen folgt. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Gesetzes zur 'Oberleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund
- Drucksache 8/65 - Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
- Drucksache 8/278 Berichterstatter: Abgeordneter Glos ({3})
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das Wort zur Aussprache wird nicht begehrt.
Wer in zweiter Lesung den Art. 1, 2, 3, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in dritter Lesung dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Die Gegenprobe erledigt sich von selber. Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung ({5}) des Rates über die Schaffung einer gemeinschaftlichen Ausfuhranmeldung
Vorschlag einer Verordnung ({6}) des Rates über die Bestimmung des Ursprungs bestimmter Wirkwaren sowie bestimmter Bekleidungen und Schuhe des Kapitels 60 bzw. der Tarifnummern ex 42.03, 61.01, 61.02, 61.03, 61.04, 61.09, 64.01, 64.02, 64.03 und 64.04 des Gemeinsamen Zolltarifs
Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die im grenzüberschreitenden Reiseverkehr geltende Regelung für die Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern
- Drucksachen 8/38, 8/61, 8/106, 8/230 Berichterstatter: Abgeordneter Rapp ({7})
Darf ich fragen, ob das Wort gewünscht wird? - Das ist nicht -der Fall. Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses zu 25 Wahleinsprüchen
- Drucksache 8/263 Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht.
Der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses hat mir mitgeteilt, daß er im Namen des Ausschusses zu einem späteren Zeitpunkt bei der Entscheidung über die noch ausstehenden Wahleinsprüche einige AusVizepräsident Frau Funcke
führungen zu den eingegangenen Wahleinsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 8. Deutschen Bundestag und zum Wahlprüfungsrecht allgemein machen wird.
Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen dann zur Abstimmung über die in den Anlagen 1 bis 25 der Drucksache 8/263 vom Wahlprüfungsausschuß vorgeschlagenen Entscheidungen über Wahleinsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl zum 8. Deutschen Bundestag vom 3. Oktober 1976. Ich darf Ihr Einverständnis feststellen, daß wir die Beschlußfassung gemeinsam vornehmen. - Widerspruch erhebt sich nicht.
Dann rufe ich die Wahlanfechtungssachen auf. Es handelt sich um die Wahlanfechtungssachen
der Frau Monika Kollmannsberger, Landshut,
des Dipl.-Ing. Helmut Paul Schardt, Stuttgart- Bad Cannstadt,
der Eheleute Norbert und Ruth Mekelburg, Berlin,
der Eheleute Dietmar und Annette Linke, Kiel der Frau Gisela Ilse Liceni, Bad Homburg,
der Eheleute Ursula und Karlheinz Schimanek, Hohenbrunn, Post Putzbrunn,
des Karl-Heinz Otte, Hildesheim,
des Gustav Wolfgang von Hirschheydt, Herdecke,
des Hans Basekow, Siegen,
des Robert Weiner, München,
des Paul Aldebert, Oberasbach,
des Dierk Waitz, Bremerhaven,
des Günter Lipski, Braunschweig,
des Ferdinand Kmetec, Ratingen, Vorsitzender der Demokratischen Bürgerpartei Deutschlands, des Joachim Rector, Seelbach/Lahr,
der Freisozialen Union - Demokratische Mitte - Hamburg,
der Brigitte Flenner und des Berndt van Op-hoven, Arnsberg,
der Arbeitsgemeinschaft der Wähler und Steuerzahler, vertreten durch Wolfgang Gellhaus, Bonn-Bad Godesberg,
der Frau Margarete Gause, Bielefeld, des Lambert Schindler, Mannheim, des Wolfgang Fichtner, Dortmund, des Walter Ruf, Strambach,
des Bernd Oelerink, Langenhagen,
des Infried Geisler, Stuttgart, und schließlich
des Armin Krueger, Solingen.
In allen diesen Fällen schlägt der Wahlprüfungsausschuß vor, den Wahleinspruch zurückzuweisen. Wer dieser Beschlußempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nun Zusatzpunkt 4 zur Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP
Beirat für handelspolitische Vereinbarungen - Drucksache 8/304 Das Wort wird weder zur Einbringung noch zur Diskussion gewünscht. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Mir wird noch mitgeteilt, daß nach einer Vereinbarung im Ältestenrat der Jahresbericht 1976 des Wehrbeauftragten - Drucksache 8/153 - gemäß § 116 b der Geschäftsordnung dem Verteidigungsausschuß überwiesen werden soll.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dieser Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Gemäß einer gemeinsamen Vereinbarung soll der Zusatzpunkt 5 zur Tagesordnung, Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft - Drucksache 8/305 - heute nicht mehr behandelt werden. Sind Sie damit einverstanden, daß wir diesen Punkt von der Tagesordnung absetzen? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Tagesordnung.
Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 4. Mai 1977, 13 Uhr zu einer Fragestunde ein.
Die Sitzung ist geschlossen.