Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Treffen der sieben Staats- und Regierungschefs in Venedig und zu den Gesprächen des Bundeskanzlers und des Bundesministers des Auswärtigen in Moskau
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe dem Bundestag bereits über das Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft in Venedig berichtet. Ich habe heute zu berichten über das Treffen der Regierungs- und Staatschefs der sieben führenden demokratischen Industriestaaten der ganzen Welt in Venedig und über die Gespräche, die Herr Genscher und ich am Montag und Dienstag dieser Woche in Moskau geführt haben.
Die Gespräche in Venedig und die Gespräche in Moskau haben sich in einer weltpolitisch und auch weltwirtschaftlich außerordentlich schwierigen Situation als nützlich für den Frieden und als nützlich für unsere Sicherheit erwiesen. Bei der Venediger Konferenz am 22. und 23. Juni 1980 hatten diesmal weltpolitische Probleme ein größeres Gewicht als bei früheren Treffen dieser sieben Staats- und Regierungschefs. Aber die weltwirtschaftlichen Themen sind deswegen nicht in den Hintergrund gedrängt worden. Vielmehr haben wir unsere Haltung gegen Protektionismus im Welthandel, gegen Inflationierung der Währungen bekräftigt Wir haben die Bedeutung der Sicherung eigener Energie- und Ernährungsgrundlagen der Entwicklungsländer hervorgehoben. Wir haben an die OPEC-Staaten sowie an die kommunistischen Staaten appelliert, sich verantwortungsbewußt an der Entwicklungshilfe zu beteiligen. Wir haben für unsere eigenen Volkswirtschaften deutliche Akzente gesetzt, vor allem hinsichtlich dessen, was man - nicht ganz zutreffend, aber volkstümlich - Entkoppelung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum nennt. Ich will es genauer ausdrücken: Der Verbrauch von Energie je einer Mark zusätzlichen Sozialprodukts soll herabgesetzt werden. Oder um es noch einmal anders auszudrücken: Das Verhältnis des Zuwachses von Energieverbrauch zum Zuwachs des Sozialprodukts soll bis zum Jahr 1990 auf 0,6 herabgesetzt werden. Wir sind überzeugt, daß wir das in unserem Lande schaffen können.
Ich unterstreiche, was Präsident Carter dazu in den Vereinigten Staaten unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Venedig gesagt hat, nämlich: Wir brauchen mehr Wirtschaftswachstum mit weniger Energie. Wir müssen Energie sparen. Wir müssen die Olimporte verringern, um unsere Unabhängigkeit zu stärken.
Für uns, für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet das: Wir werden unsere Politik „weg vom Öl" konsequent fortsetzen.
Die Treffen dieser sieben Industriestaaten, an denen auch der Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaft teilnimmt, haben sich im Laufe der letzten fünf Jahre als eine nicht zu entbehrende weltwirtschaftspolitische Clearing-Stelle erwiesen, auch wenn vielleicht nicht für jedermann unmittelbar sichtbar wird, wie notwendig und nützlich dieser vertrauliche Meinungsaustausch ist. Ich möchte übrigens die Rolle Japans in diesem Kreis besonders hervorheben.
Unter weltpolitischem Blickwinkel ergab sich in Venedig eine übereinstimmende Einschätzung der Lage nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan und eine Bekräftigung der Entschlossenheit der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer europäischen Verbündeten zur engen Zusammenarbeit in allen aktuell wichtigen internationalen Fragen. Ich habe in Venedig sowohl im Zwiegespräch mit Präsident Carter als auch im Kreis der sieben Staats- und Regierungschefs unsere Absichten für die Gespräche in Moskau ausführlich erläutert. Herr Genscher hat das wenige Tage später im NATO-Rat in Ankara ebenfalls getan.
Wir haben die volle Unterstützung unserer Freunde und Partner erhalten. Wir hatten niemand um ein Mandat gebeten, weil wir für die Bundesrepublik Deutschland nach Moskau gehen wollten, im Interesse unseres Landes, im Interesse von uns Deutschen, und das heißt ja: im Interesse des Friedens.
Bevor wir nach Moskau fuhren, waren unsere Freunde und Partner genau informiert. Sie wußten, wir würden in Moskau im Rahmen der in Venedig präzisierten gemeinsamen Position des Westens sprechen. Dies ist auch tatsächlich geschehen.
Vielleicht sollte ich hier noch eines nachtragen. Schon am Vorabend des Treffens in Venedig hatte es einen ausführlichen Gedankenaustausch zwischen Präsident Carter, Außenminister Muskie, Herrn Genscher und mir gegeben. Präsident Carter und ich haben in diesem Gespräch, das den engen und stetigen deutsch-amerikanischen Konsultationsprozeß fortsetzte, völlige Einigkeit zur Sache festgestellt. Unmittelbar vor der Abreise nach Moskau hatte ich außerdem Gelegenheit zu einem längeren persönlichen Gespräch mit dem niederländischen Ministerpräsidenten, Herrn van Agt, der mich am letzten Sonntag in Hamburg besuchte. Abgesehen von der Erörterung bilateraler und europäischer Fragen, auf die ich im heutigen Zusammenhang nicht eingehe, fand dabei natürlich auch ein Meinungsaustausch über den bevorstehenden Besuch in der Sowjetunion statt. Es bestätigte sich dabei erneut die Übereinstimmung unserer beiden Regierungen in der Beurteilung der internationalen Lage.
Nun zu den Moskauer Gesprächen, meine Damen und Herren. In meiner Regierungserklärung am 17. Januar dieses Jahres hatte ich auf die vordringliche internationale Aufgabe hingewiesen, eine Ausweitung der Krisen zu verhindern und sie zu entschärfen. Ich habe damals hinzugefügt - ich zitiere -:
Wir wissen dabei, daß die Bundesrepublik Deutschland keine Großmacht ist. Aber wir sind im Rahmen unserer Möglichkeiten - und die sind nicht klein - beteiligt ...
Ebenfalls habe ich schon damals am 17. Januar hier von diesem Pult aus meine Bereitschaft erklärt, mit dem sowjetischen Generalsekretär zusammenzutreffen.
Die Bundesregierung hat seitdem ihre klare politische Linie in zahlreichen internationalen Begegnungen vertreten. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, daß seit etwa zwei Monaten der internationale Dialog wieder in Gang gekommen und die Phase der Sprachlosigkeit überwunden worden ist.
({0})
Wir haben in Beratungen, vor allem mit Frankreich - ich denke hier an meine Begegnung mit Präsident Giscard d'Estaing und an die deutsch-französische Erklärung vom 5. Februar - und mit den Amerikanern - ich denke insbesondere an meine Gespräche mit Präsident Carter und die deutschamerikanische Erklärung vom 5. März - unsere Vorstellungen über eine westliche Antwort auf Afghanistan und eine Entschärfung der internationalen Krisen insgesamt entwickelt. Wir haben uns aktiv und beharrlich für die Wiederaufnahme des internationalen Gesprächs eingesetzt.
Wir haben uns natürlich auch an den Ost-West-Begegnungen beteiligt, die seit den Trauerfeierlichkeiten für Präsident Tito in Belgrad und seit den Begegnungen am Rande der Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag des österreichischen Staatsvertrags in Wien Gott sei Dank langsam wieder in Gang gekommen sind. Ich selbst habe Anfang Mai in Belgrad sowohl mit Herrn Gierek als auch mit Herrn Honekker gesprochen. Herr Genscher hat Mitte Mai in Wien mit Herrn Gromyko gesprochen. Herr Gromyko hat seinerseits dort mit seinem amerikanischen Kollegen Muskie gesprochen.
Die Gespräche des französischen Staatspräsidenten am 19. Mai in Warschau mit Generalsekretär Breschnew und mit dem ersten Sekretär Gierek - Gespräche, deren Bedeutung in unseren eigenen Gesprächen vorgestern in Moskau sehr deutlich wurde - waren ein wichtiger weiterer Schritt zur Wiederaufnahme der Kontakte zwischen den führenden Staatsmännern des Westens und des Ostens, der Gespräche und Kontakte, die ja gerade in schwierigen Zeiten zur Krisenbeherrschung unumgänglich sind.
({1})
Unser Besuch in Moskau folgte also einer klaren gemeinsamen Linie. Die Bundesregierung hatte die Wiederaufnahme des internationalen Gesprächs seit Beginn des Jahres gefordert, und sie ist mit unserem Zutun verwirklicht worden. Deshalb haben Minister Genscher und ich die Einladung zu einer Reise nach Moskau angenommen, die die sowjetische Führung im Frühjahr erneut ausgesprochen hat.
Der Zweck dieses Besuches ist erreicht. Es hat sich erwiesen, daß direkte Gespräche in einer Weltlage, die unverändert durch eine Reihe schwerer Krisen gekennzeichnet wird, nicht nur notwendig, sondern auch nützlich sind.
({2})
Der wichtigste Zweck unseres Besuches war es, der sowjetischen Führung unmittelbar unsere Sicht der gegenwärtigen Weltlage und ihrer Ursachen nahezubringen, der sowjetischen Führung einen direkten Eindruck unserer tiefen Sorge zu vermitteln und umgekehrt die sowjetischen Auffassungen genau kennenzulernen. Von vornherein war klar, daß es nicht um Verhandlungen im technischen Sinne mit dem Ziel konkreter Entscheidungen gehen konnte.
Wir hatten zwei sehr intensive Begegnungen mit Generalsekretär Breschnew, mit Ministerpräsident Kossygin und Außenminister Gromyko. Auf meinen Wunsch kam es auch zu einem Gespräch mit Verteidigungsminister Ustinow und seinem Generalstabschef Marschall Ogarkow.
In unserem Meinungsaustausch über internationale Fragen habe ich der sowjetischen Führung erneut die Grundlagen unserer Außenpolitik erläutert: die Einbindung unserer Politik in die Europäische Gemeinschaft und in das westliche Bündnis. Ich konnte dabei positiv Bezug nehmen auf die Äußerung von Herrn Gromyko gegenüber dem Kollegen Genscher in Wien, daß die Sowjetunion nicht die Absicht habe, einen Keil zwischen die BundesreBundeskanzler Schmidt
publik und ihre europäischen und atlantischen Bündnispartner zu treiben.
({3})
Ich habe dies ausdrücklich als eine Bestätigung dafür gewertet, daß die sowjetische Führung weiß, daß man uns von unseren westlichen Partnern nicht trennen kann.
({4})
Die sowjetischen Gesprächspartner sind sodann im Laufe der Begegnungen auf ihre bekannte Kritik an der Politik der Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekommen. Wir haben dieser Darstellung mit Bestimmtheit widersprochen.
Die Ursachen der Afghanistan-Krise und die Folgerungen, die aus ihr zu ziehen sind, wurden von beiden Seiten mit großer Sachlichkeit und unter Verzicht auf diplomatisches Beiwerk dargelegt. Diese Diskussion war nicht einfach. Ich habe dabei ausdrücklich Bezug genommen auf Inhalte der deutsch-französischen Erklärung vom Februar, auf die Erklärungen der Neun, auf die Erklärungen des Siebenergipfels in Venedig und auf das Kommuniqué der Außenministerkonferenz der NATO in Ankara aus der vorigen Woche. Die sowjetische Führung weiß: Wir sind der Ansicht, daß die Intervention in Afghanistan beendet und das Gleichgewicht in jener Region wiederhergestellt werden muß.
({5})
Es bedarf dazu eines vollständigen Abzugs der sowjetischen Truppen und der Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts.
({6})
Wir haben der sowjetischen Führung empfohlen, auf die Sondierungsinitiative der islamischen Staaten einzugehen, wie sie nach der zweiten Islamabad-Konferenz in Gang gesetzt worden ist, weil diese dem Willen der großen Mehrheit der Staaten der Dritten Welt entspricht, die sich durch das sowjetische Vorgehen in Afghanistan direkt betroffen fühlen.
Die sowjetische Seite hat darauf hingewiesen, sie habe einige Truppen aus Afghanistan abgezogen.
({7})
Wir haben dies als einen Schritt bezeichnet, der dann in die richtige Richtung geht, wenn ein solcher Rückzug der Beginn einer kontinuierlichen Bewegung ist, die bis zum vollständigen Abzug fortgesetzt wird.
({8})
Wir haben vorgetragen, daß man über einen zeitlichen Fahrplan für eine politische Lösung nachdenken muß.
({9})
Die Meinungsunterschiede zwischen der Bundesregierung und der sowjetischen Führung in der Afghanistan-Frage sind vorgestern nicht überbrückt worden. Wir sind aber davon überzeugt, daß in Moskau klar erkannt wird, daß das Afghanistan-Problem politisch gelöst, einer politischen Lösung zugeführt werden muß.
({10})
Wir haben uns im Kommuniqué gemeinsam für eine politische Regelung ausgesprochen. Beide Seiten haben zum Ausdruck gebracht, daß eine solche Regelung nicht auf die lange Bank geschoben werden darf, sondern schnellstmöglich erfolgen muß. Dies betrachte ich als einen kleinen Schritt auf einem Wege, von dem wir alle wissen, daß er überaus schwierig ist. Afghanistan ist ein Weltproblem. Die Bundesrepublik Deutschland kann zur Lösung dieses Problems nur beitragen; gefunden werden muß die Lösung von den unmittelbar Beteiligten.
({11})
Mit großem Ernst haben wir auch unsere Meinungen über die Geiselnahme in Teheran ausgetauscht. Generalsekretär Breschnew und Außenminister Gromyko haben ausdrücklich auf frühere Äußerungen der sowjetischen Regierung Bezug genommen, in denen die Geiselnahme als völkerrechtswidrig angesprochen und verurteilt wurde. Wir haben zum Ausdruck gebracht, daß diese völkerrechtswidrige Handlungsweise beendet werden muß.
({12})
Ausführlich haben wir über die Fragen der Sicherheit und der Zusammenarbeit zwischen West und Ost gesprochen. Ich habe unterstrichen, daß militärisches Gleichgewicht eine unverzichtbare Voraussetzung für Zusammenarbeit und für Frieden in Europa und in der Welt ist Die Bundesregierung setzt sich immer wieder dafür ein, daß dieses Gleichgewicht auf einem möglichst niedrigen Niveau erreicht wird. Deshalb wollen wir konkrete Ergebnisse in der Rüstungskontrolle, in der Rüstungsbegrenzung; aber - und dies habe ich ebenso mit Nachdruck betont - wie bisher wird die Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft im Rahmen des westlichen Bündnisses ihren Verteidigungsbeitrag zum militärischen Gleichgewicht in Europa leisten.
({13})
Zum militärischen Gleichgewicht in Europa möchte ich an dieser Stelle eine Bemerkung einfügen, die nicht im Zusammenhang mit meinem Bericht über die Reise nach Moskau steht. Präsident Giscard d'Estaing hat in seiner Pressekonferenz am letzten Donnerstag, dem 26. Juni, eine Entscheidung bekanntgegeben, die aus meiner Sicht ebenso der Erhaltung des Gleichgewichts dient wie der NATO- Beschluß vom 12. Dezember 1979, der sogenannte Doppelbeschluß. Ich teile mit Präsident Giscard die Auffassung, daß militärisches Gleichgewicht eine unverzichtbare Bedingung für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa ist.
({14})
Unsere sowjetischen Gesprächspartner haben die grundlegende Bedeutung des SALT-II-Vertrages für die Begrenzung der strategischen Potentiale un18586
terstrichen, aber auch deren Bedeutung für das gesamte Verhältnis zwischen Moskau und Washington. Die sowjetischen Gesprächspartner wissen ebenso wie unsere amerikanischen Freunde, daß wir nachdrücklich für die Ratifikation und für die Inkraftsetzung von SALT II eintreten.
({15})
Ich habe in Moskau auch darauf hingewiesen, daß Präsident Carter eindeutig an SALT II festhält Der amerikanische Präsident hatte mich gebeten, in diesem Zusammenhang der sowjetischen Führung zwei Fragen zu übermitteln. Dies ist geschehen. Herr Genscher hat inzwischen Herrn Carter die Antworten überbracht.
Ein ausführlicher, sehr intensiver Gedankenaustausch wurde über die nuklearen Mittelstreckenwaffen, die eurostrategischen Waffen insgesamt geführt. Ich habe erneut unsere tiefe Besorgnis über das Anwachsen des sowjetischen Mittelstreckenpotentials erläutert. Insbesondere der schnelle Zuwachs von SS-20-Raketen und Backfire-Bombern, so habe ich vorgetragen, berühre das Gleichgewicht in einem Bereich, der für uns in Europa ein strategischer Bereich ist.
({16})
Es ist der sowjetischen Führung durch unsere Gespräche mit Herrn Breschnew vor zwei Jahren im Mai 1978 hier in Bonn und später mit anderen Politbüromitgliedern bekannt gewesen, daß die Bundesrepublik und daß die anderen Partner des Atlantischen Bündnisses dieser Entwicklung nicht tatenlos würden zusehen können. Demgemäß ist dann unter unserer maßgeblichen Beteiligung der ausgewogene Doppelbeschluß der NATO am 12. Dezember 1979 gefaßt worden.
Ich habe weiter erläutert, alle Bündnispartner seien entschlossen, sowohl die Nachrüstungsmaßnahmen für eine begrenzte Zahl amerikanischer Mittelstreckenwaffen zu unterstützen, als auch den Rüstungsbegrenzungsvorschlag systematisch zu verfolgen. Wir träten dafür ein, daß jetzt endlich verhandelt werde, ohne Vorbedingungen.
({17})
Die sowjetische Seite, sowohl Generalsekretär Breschnew als auch Verteidigungsminister Ustinow, beriefen sich darauf, daß eine Veränderung des Gleichgewichts nicht vorliege. Durch die Zuführung der SS 20 werde weder die Zahl der Raketen noch die Gesamtsprengkraft dieser Waffenkategorie erhöht Ich habe dem die außerordentliche militärische Verbesserung der sowjetischen Kapazität durch die SS 20 entgegengehalten. Uns bedrohe besonders die starke Erhöhung der Zahl der Sprengköpfe dieses Arsenals, die sich von 1970 bis 1980 mehr als verdoppelt hat.
Der Generalsekretär nahm zu den Möglichkeiten einer vertraglichen Begrenzung dieser Waffenkategorie ausführlich Stellung. Er erklärte, die Sowjetunion könne nicht bereit sein, Verhandlungen über SALT III zu beginnen, ehe sie Klarheit über das weitere Schicksal von SALT II habe. Die Sowjetunion bleibe auch dabei, daß ihr Verhandlungsangebot vom 6. Oktober 1979 - das war die Rede, die der Generalsekretär in Ost-Berlin gehalten hatte - nur gelte, sofern die Ausführung des Dezember-Beschlusses der NATO ausgesetzt, suspendiert werde. Weiter, drittens: die Sowjetunion sei nicht bereit, einseitige Begrenzungen ihres Potentials zu akzeptieren, auch nicht für begrenzte Zeit. Die sowjetische Führung hat meinen entsprechenden in diesem Frühjahr öffentlich vorgetragenen Gedanken als in ihren Augen und für sie - ich zitiere -„ungerecht" abgelehnt.
Jedoch hat - viertens - der Generalsekretär an dieser Stelle einen neuen, konstruktiven Vorschlag eingebracht. Die sowjetische Führung erklärte die Bereitschaft, mit den Vereinigten Staaten von Amerika auch schon vor Ratifikation von SALT II in bilaterale Gespräche über die Begrenzung nuklearer Mittelstreckenwaffen einzutreten. In diesen Gesprächen müsse über beiderseitige Mittelstreckenwaffen unter Berücksichtigung aller Faktoren gesprochen werden, welche in diesem Bereich die strategische Situation beeinflußten. Und er hat klargemacht, daß dabei auch die sogenannten forward based systems einbezogen werden sollen. Ich bitte um Entschuldigung für diesen international gebräuchlichen Fachausdruck. Ich übersetze ihn: diejenigen der bisher schon in Europa stationierten amerikanischen Nuklearwaffen, welche die Sowjetunion erreichen können. Er hat hinzugefügt, die sich aus solchen Gesprächen ergebenden Vereinbarungen könnten nach seiner, des Generalsekretärs, Auffassung allerdings erst in Kraft treten nach Ratifikation und Inkrafttreten von SALT II.
Ich habe an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland als Nichtnuklearmacht an solchen Gesprächen und Verhandlungen nicht beteiligt sein würde; aber natürlich habe sie ein hohes Interesse an solchen Gesprächen und Verhandlungen. Und aus diesem Interesse heraus erlaubte ich mir die Bemerkung, daß dann entsprechende sowjetische Waffen ebenfalls in die Gespräche einbezogen werden müssen.
Zugleich habe ich die Bedeutung dieses neuen sowjetischen Vorschlags gewürdigt und eine sofortige Weiterleitung an Präsident Carter angekündigt. Ich habe gesagt, ich sei gewiß, daß der Vorschlag sorgfältig geprüft werden würde; und Herr Genscher hat dann einen Tag später, gestern abend, persönlich den amerikanischen Präsidenten unterrichtet.
Nach der Unterredung mit dem Präsidenten und mit Außenminister Muskie hat der letztere gestern abend vor der amerikanischen Presse gesagt, daß die sowjetischen Verhandlungsvorschläge in der Allianz sorgfältig und in einem konstruktiven Geist geprüft werden müßten. Ich füge hinzu: Dies entspricht auch der Auffassung der Bundesregierung.
({18})
Mir scheint wichtig, daß damit eine neue Situation geschaffen ist. Die Forderung, den NATO-Beschluß auszusetzen, steht dem Beginn von GespräBundeskanzler Schmidt
dien über beiderseitige Begrenzung von Mittelstreckenwaffen nicht länger im Wege.
({19})
Der normale Prozeß im Vorfeld von Verhandlungen ist jetzt in Gang gesetzt. Ein Vorschlag der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten an die Adresse der Sowjetunion ist von dieser mit einer Qualifikation beantwortet worden. Ich halte dies noch nicht für einen Durchbruch; denn ein Erfolg solcher Gespräche, die lange dauern werden, ist noch nicht abzusehen. Wohl aber scheint mir die Chance eröffnet, einen ungebremsten Rüstungswettlauf auf diesem Feld zu vermeiden.
({20})
Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich meinem Moskauer Gastgeber beipflichten. Generalsekretär Breschnew hatte ausgeführt, daß schon der Beginn solcher Gespräche der Stabilisierung der Weltlage dienen kann. Ich möchte hinzufügen, daß mich der große Ernst und die ausschließliche Sachlichkeit der sowjetischen Gesprächspartner an dieser Stelle besonders beeindruckt haben.
({21})
Ich fühle mich durch den sowjetischen Vorschlag in meiner Auffassung bestärkt: Gespräche zur Begrenzung atomarer Mittelstreckenwaffen sind nicht nur notwendig, sondern sie sind auch möglich. Sicherlich werden die Gespräche und die Verhandlungen schwierig und langwierig sein. Es war deshalb richtig, daß wir beiden Teilen des Dezember-Beschlusses der NATO das gleiche Gewicht gegeben haben, der Nachrüstung und der Rüstungsbegrenzung, und wir halten an beiden Teilen fest.
({22})
Wir haben mit der sowjetischen Führung auch ausführlich über die Fortsetzung des KSZE-Prozesses gesprochen. Es heißt im Kommuniqué dazu, daß sich alle Teilnehmer darum bemühen sollten, zum Erfolg dieses Folgetreffens beizutragen, das in diesem Herbst in Madrid geplant ist. Wir haben deutlich gemacht, daß zu einem solchen Erfolg Vertrauen in die Politik aller Teilnehmer der Konferenz erforderlich ist. Die weitere Entwicklung der internationalen Lage steht also im Zusammenhang mit einem Erfolg des Madrid-Treffens.
Beide Seiten haben ihr großes Interesse daran zum Ausdruck gebracht, daß die MBFR-Verhandlungen in Wien nach siebenjähriger Verhandlungsdauer endlich zu ersten konkreten Ergebnissen führen.
({23})
Herr Genscher und ich haben die Bedeutung der Datenfrage hervorgehoben und auf den im Dezember eingebrachten Vorschlag der NATO für ein Zwischenergebnis hingewiesen.
Die sowjetische Seite hat zu verstehen gegeben, daß sie beabsichtigt, demnächst in Wien neue Vorschläge zu machen, die sich auf die Zahl der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika und der
Sowjetunion konzentrieren und die eine Verbesserung der bisherigen Vorschläge darstellen sollen. Wir werden auch diese Vorschläge gemeinsam mit unseren Verbündeten zur gegebenen Zeit aufmerksam prüfen.
Neben diesem ausführlichen Gedankenaustausch über internationale Probleme haben wir natürlich mit der sowjetischen Seite auch über die Entwicklung der bilateralen Beziehungen gesprochen. Einigkeit bestand darüber, daß die zweiseitigen Verträge und Abmachungen, insbesondere der Vertrag vom 12. August 1970 und die gemeinsame Erklärung vom 6. Mai 1978, weiterhin die Grundlage unserer zweiseitigen, unserer bilateralen Beziehungen bilden. Beide Seiten sprachen sich erneut für die strikte Einhaltung, die volle Anwendung des Viermächteabkommens vom September 1971 aus, das zur Beruhigung der Lage um und in Berlin beigetragen hat.
({24})
Ich habe unser Interesse an einem weiteren Ausbau der Beziehungen mit der Deutschen Demokratischen Republik betont. Dabei habe ich darauf hingewiesen, daß eine Erleichterung und Erweiterung des Besucherverkehrs aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland der Entspannung zwischen West und Ost zugute kommen würde.
({25})
Ich habe mich gegenüber der sowjetischen Führung weiter für die Sache jener Deutschen eingesetzt, die aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen möchten, und habe insbesondere auf die vielfachen Wünsche nach Familienzusammenführung hingewiesen. Die sowjetische Seite wird diese Anliegen wohlwollend prüfen.
({26})
Während unseres Aufenthalts, während unserer Verhandlungen in Moskau haben die beiderseitigen Botschafter das Durchführungsabkommen zu dem langfristigen Wirtschaftsabkommen vom 6. Mai 1978 unterzeichnet. Wir setzen damit unsere Politik der Ausfüllung der bestehenden Verträge fort. Wir messen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, die natürlich im beiderseitigen wirtschaftlichen Interesse unserer Länder liegt, insbesondere auch politische Bedeutung bei.
({27})
Wir haben übrigens die sowjetische Führung daran erinnert, daß wir uns wie bisher an die Vereinbarungen in OECD und COCOM halten werden.
Wir haben mit der sowjetischen Führung auch unsere Auffassung zu den drängenden Fragen erörtert, welche die Verfünfzehnfachung des Ölpreises insbesondere für jene Entwicklungsländer aufwirft, die nicht über heimische Ölquellen verfügen. Wir haben auf die Rolle hingewiesen, welche auch die industrialisierten Länder Osteuropas zur Bewältigung dieser Probleme leisten müssen. Die sowjetische Seite hat dies anerkannt. Sie werden finden, daß das
im gemeinsamen Kommuniqué zum Ausdruck gebracht worden ist.
Nach Auffassung beider Seiten kommt unserer Kooperation, der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit, im Energiebereich eine besondere Bedeutung zu. Wir haben zugestimmt, daß in nächster Zeit Vorverhandlungen eines westeuropäischen Konsortiums mit den zuständigen sowjetischen Stellen über ein großes Erdgasprojekt geführt werden.
Ein Wort zur Bewertung, meine Damen und Herren. Wir haben in einer schwierigen internationalen Lage schwierige Gespräche geführt. In einigen wichtigen Fragen standen die Standpunkte unvereinbar nebeneinander. Sie finden das auch im Kommuniqué wieder. Ich habe jedoch keinen Zweifel, daß die sowjetische Seite die Standpunkte der Bundesregierung, die in allen wesentlichen Fragen gemeinsame Standpunkte mit unseren Freunden und Partnern sind, jetzt besser verstanden hat. Generalsekretär Breschnew hat am Schluß der Gespräche ausdrücklich versichert, daß er auch in den Bereichen, in denen wir unterschiedlicher Meinung waren, mit seinen Kollegen im Politbüro das bedenken wolle, was wir vorgetragen haben. Auch wir werden die Auffassung der anderen Seite weiterhin sorgfältig bedenken.
Dies alles gehörte zum Zweck dieser Reise. Nach Herrn Genschers und meiner Überzeugung ist dieser Zweck voll erfüllt worden.
({28})
Darüber hinaus haben wir in einigen Fragen, insbesondere bei dem schwierigen Problem der nuklearen Mittelstreckenwaffen, Erkenntnisse und Hinweise erhalten, welche Ansätze für neue Lösungen bilden können. Wir haben auch auf anderen Feldern der sowjetischen Darlegungen mit großer Aufmerksamkeit zugehört.
({29})
Wir werden die sowjetischen Darlegungen mit unseren Freunden und unseren Verbündeten sorgfältig und im Detail erwägen.
({30})
Die internationale Lage, insbesondere die WestOst-Beziehungen, bleiben schwierig, meine Damen und Herren. Den Beitrag, den die Bundesregierung jetzt zur Lösung der bestehenden Krisen einbringen konnte und mußte, hat sie tatsächlich geleistet.
({31})
Die Haltung der Bundesregierung in den Konsultationen mit unseren Verbündeten und in den Gesprächen in Moskau entsprach präzise den Grundlinien unserer Außenpolitik, wie ich sie immer wieder dargelegt habe. Unsere Politik ist realistisch. Sie ist unmißverständlich und deshalb für andere auch berechenbar.
({32})
Unsere Politik ist auf Frieden und Sicherheit und auf die Wahrung der Interessen aller Deutschen gerichtet.
({33})
Ich darf wörtlich wiederholen, was ich am Montag in Moskau gegenüber unseren sowjetischen Gastgebern gesagt habe: Die drei tragenden Elemente unserer Politik sind erstens die feste Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das Atlantische Bündnis und in die Europäische Gemeinschaft im Wissen um die Gemeinsamkeit der Grundwerte und Interessen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und den anderen Verbündeten,
({34})
zweitens die Politik der Zusammenarbeit und der Entspannung gegenüber unseren östlichen Nachbarn,
({35})
drittens die Politik der gleichberechtigten Partnerschaft mit den Staaten der Dritten Welt.
({36})
Ich will auch wiederholen, was ich im Mai 1978 vor den Vereinten Nationen über internationale Krisenbeherrschung gesagt habe, nämlich: Sie erfordere den politischen Willen, erstens Provokationen zu vermeiden, zweitens den anderen unsere eigenen Entscheidungsmöglichkeiten, unsere eigenen Optionen unmißverständlich zu erklären, drittens gefährliche Situationen durch Kompromißbereitschaft zu entschärfen und viertens den Beteiligten die Wahrung ihres Gesichts zu ermöglichen.
({37})
Diese Darlegungen haben damals - das ist zwei Jahre her -, lange vor Afghanistan, als theoretisches Konzept in der Generalversammlung der Vereinten Nationen allgemeine Zustimmung gefunden. Seit Ausbruch der Krisen um Iran und um Afghanistan gilt es, ein solches Konzept tatsächlich in die Praxis der Staaten umzusetzen.
({38})
Und dies tut die Bundesregierung - nicht mit großen Worten, sondern durch besonnenes Handeln.
({39})
Unsere Sicherheit und der Friede werden nicht durch große Reden gewahrt, sondern nur durch beharrliche Kärrnerarbeit.
({40})
Das Wort hat der Ministerpräsident des Freistaates Bayern.
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat am Ende seiner Ausführungen die subjektive Feststellung getroffen,
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({2})
daß in seinen Augen und in den Augen des Herrn Außenministers der Zweck der Reise erreicht worden sei. Ich kann mir auch schwer vorstellen - obendrein angesichts der Vorgeschichte dieser Reise -, daß ihm eine umgekehrte Feststellung möglich gewesen wäre.
({3})
Es wird aber viele denkende, der Geschichte und der Zeitgeschichte bewußte Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, in den Ländern unserer Bündnispartner und in anderen Ländern geben, die mit dieser Feststellung nicht übereinstimmen.
Es ist allerdings schwer, den Zweck der Reise zu definieren. Denn ursprünglich wurde der Zweck der Reise damit begründet, daß man wieder in den Dialog eintreten wolle, daß man der Sowjetunion den Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan abringen wolle, daß man in der Frage des Rüstungsgleichgewichts, in der Frage der Mittelstreckenraketen durch die eigenen Vorschläge sowjetisches Entgegenkommen, den Beginn der Problemlösung erreichen werde. Von all dem ist nur noch übrig geblieben, daß es gut gewesen sei, miteinander geredet zu haben.
({4})
- Miteinander geredet zu haben. - Denn von Verhandlungen kann man in dem Zusammenhang nicht reden.
({5})
Nachdem ich nun diese Erklärung gehört habe, wundert es mich, warum wir am Dienstagabend diese geheimnisvollen Andeutungen über sensationelle Vorschläge der sowjetischen Seite im Zusammenhang mit den Mittelstreckenraketen vernommen haben, Vorschläge, die so geheim seien, daß man sie erst den Bundesgenossen durch den Sonderkurier Hans-Dietrich Genscher mitteilen müsse, bevor man sie der staunenden Öffentlichkeit übergeben dürfe. Nach dem, was wir jetzt gehört haben, was das sowjetische Gegenangebot zu dem Moratoriumsvorschlag des Bundeskanzlers war, kann ich nur feststellen: Man braucht kein Fachmann zu sein, um zu sagen: Das ist doch ein alter Hut.
({6})
- Herr Kollege Wehner sagt, ich solle auf die Antwort Amerikas warten. Nun, es ist im Bündnis nicht üblich, daß man Mitteilungen eines Bündnispartners nach einer Reise, die gerade von den Amerikanern und ihrer politischen Führung am allerwenigsten begrüßt worden ist,
({7})
etwa abwertend beurteilt. Ich habe noch nie internationale Anregungen gehört, bei denen nicht das Echo war, sie seien konstruktiv und nützlich, man werde sie mit der gebotenen Sorgfalt prüfen. Das gehört doch alles zu dem Zeremoniell der Sinngebung
des Sinnlosen, aber nicht zu ernsthaften politischen Auseinandersetzungen.
({8})
- Herr Wehner, es wäre gut, wenn Sie mich ausreden lassen würden. Denn gerade Sie haben zur Vergiftung der Atmosphäre in diesem Zusammenhang Ihren dauernden Anteil beigetragen. ({9})
Wenn der Bundeskanzler damit sagen wollte, daß kein unmittelbarer Schaden eingetreten sei, dann würde ich ihm recht geben. Aber es geht nicht nur um die auf der Oberfläche erkennbaren unmittelbaren Schäden, es geht auch um die langfristige psychologische, politische Wirkung solcher Vorgänge.
({10})
Die Regierungserklärung war ebenso dürftig wie die Behandlung der darin angedeuteten Probleme oberflächlich.
({11})
Ich wundere mich, warum man nicht in der Lage war, uns den Inhalt dieser Regierungserklärung wenigstens eine Stunde vorher zur Verfügung zu stellen. Gestern haben wir gehört, es fänden noch laufend Konsultationen mit den Verbündeten statt, heute morgen um 8 Uhr sei noch eine Besprechung, in der letzte Hand an die Regierungserklärung angelegt werden würde. Es ist für den Arbeitsstil und das gegenseitige Vertrauen in diesem Kabinett kennzeichnend, daß diese Platitüden, diese Gemeinplätze, diese Oberflächlichkeiten in einer besonderen Kabinettsitzung heute morgen um 8 Uhr den darob also verwunderten Kabinettsmitgliedern mitgeteilt werden müssen.
({12})
Wenn der Bundeskanzler feststellt, daß besonnenes Handeln notwendig sei - wer würde dem widersprechen? Aber haben nicht auch Chamberlain und Daladier seinerzeit für sich besonnenes Handeln in Anspruch genommen?
({13})
Ich möchte die Rolle Helmut Schmidts in Moskau nicht mit der Chamberlains und Daladiers in München unmittelbar vergleichen.
({14})
Ich gebrauche nicht falsche historische Vergleiche wie etwa den, daß wir uns im Jahre 1980 in einer Lage wie 1914 kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges befinden würden.
({15})
Aber besonnenes Handeln soll doch nur andeuten, daß hier einer, der nach meiner Meinung leider von den Problemen weniger versteht, als wir ihm ursprünglich zugetraut oder von ihm erwartet hatten, als einziges noch eine Maxime von sich geben kann, die er zur Hervorhebung seiner Grundhaltung gegenüber der CDU/CSU besonders unterstreichen
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({16})
wollte, er, der besonnen handelnde Staatsmann, und daneben die stürmischen Hitzköpfe, die mit den großen Redensarten,
({17})
- ja, ja, ich kenne das alles -, diejenigen, von deren Äußerungen man „die Schnauze voll" habe, um ihn wörtlich zu zitieren usw. Ich darf nur sagen, Herr Bundeskanzler, ich spreche Ihnen nicht den Willen zur Besonnenheit ab,
({18})
aber den Instinkt, in der richtigen Stunde zu verstehen, welche Handlungsweise der Begriff „Besonnenheit" erfordern würde.
({19})
Lassen Sie mich nur am Rande sagen: Ich habe im Laufe der letzten Jahre und Monate mit der mir eigenen Vergessens- und Bewunderungskapazität aus Ihrem Munde gehört, welche Elemente die Grundlagen Ihrer Friedenspolitik seien: einmal die Mitarbeit im Bündnis, dann eine funktionsfähige Bundeswehr und dann auch die Bereitschaft zur Rüstungskontrolle, zur Rüstungsbegrenzung und zu Abrüstungsverhandlungen. Ich habe - bei der Wiedergabe von einem Tonband - im Wortlaut gehört, daß Sie an der Formulierung des Soldatengesetzes persönlich entscheidend mitgewirkt hätten. Sie sollten doch auch einmal so bescheiden sein, zuzugeben, daß seinerzeit Ihr in namentlicher Abstimmung gegebenes Nein zum Einbau einer Wehrverfassung in das Grundgesetz, Ihr in namentlicher Abstimmung abgegebenes Nein zum Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die Atlantische Allianz kein Ausdruck der Besonnenheit, sondern parteipolitischer Blindheit waren.
({20})
Wenn Sie darauf hinweisen, daß Sie an der Formulierung des Soldatengesetzes mitgewirkt haben, dann sollten Sie auch sagen, daß Sie dieses Gesetz damals gemeinsam mit Ihrer Fraktion abgelehnt haben und daß Sie Ihre Ablehnung damit begründet haben, daß man dem Wettrüsten auf deutschem Boden nicht Vorschub leisten dürfe. Das sind genau dieselben Argumente, mit denen Sie heute eine in der Anlage verfehlte, im Ergebnis undurchsichtige und in der langfristigen Auswirkung gefährliche Reise als Akt der Besonnenheit auszugeben sich bemühen.
({21})
Es ist nur auffallend, daß Sie um so interessanter darüber reden, um so geheimnisvollere Andeutungen machen, je weniger Sie recht haben in der Sache. Nicht die Vergangenheit oder die Zukunft muß man an der Geschichte studieren, sagt ein chinesisches Sprichwort; dies ist richtig.
({22})
- Das ist richtig, auch wenn Ihnen die Quelle nicht
paßt. - Der Berg gebar eine Maus, aber der Westen
wird die politischen Alimente auf die Dauer bezahlen.
({23})
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dieser Reise einen Vergleich anstellen. Es gibt zwei Reisen eines jeweiligen deutschen Bundeskanzlers nach Moskau, die besondere Aufmerksamkeit erweckt haben, die weltweite Beachtung gefunden haben und die mit besonderer Sorgfalt verfolgt worden sind. Das eine war die unter den damaligen Umständen sensationelle Reise Konrad Adenauers nach Moskau im Jahre 1955, das andere die des heutigen Bundeskanzlers Schmidt im Jahre 1980. Die Reise Adenauers kann man - ich möchte nur einen Satz darüber sagen - als notwendig und richtig bezeichnen. Er hatte die Einbindung in den Westen gegen den erbitterten Widerstand der Sozialdemokratischen Partei mit seiner parlamentarischen Mehrheit durchgesetzt, den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die NATO. Dann kam die zielstrebige, behutsame, vorsichtige Regelung der Beziehungen zu Moskau. Behutsam, besonnen, vorsichtig und zielstrebig - Ergebnis: Aufnahme diplomatischer Beziehungen, Freilassung der Kriegsgefangenen.
Die Reise Adenauers war genauso notwendig und nützlich, wie die Reise Schmidts überflüssig und gefährlich war.
({24})
- Es ist bezeichnend, daß Sie auf intellektuelle Bewertungen nur die Ausdrücke entweder blinden Beifalls oder gehässiger persönlicher Angriffe haben, aber mehr dazu nicht beizutragen vermögen.
({25})
Denn die Reise Schmidts im Jahre 1980 erfolgte auf dem Hintergrund einer gefährdeten Allianz, im Alleingang und ohne Mandat der Bündnispartner.
({26})
Wenn ich hier über diese Reise nach Konzeption, Vorgeschichte, Hintergrund, Dramaturgie und Zeitpunkt ein kritisches Urteil mir erlaube, dann nicht zuletzt deshalb, weil die Wahl des Zeitpunkts dieser Reise genauso instinktlos war wie der Besuch des gleichen Politikers ein Jahr nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag am 21. August 1969.
({27})
Damals dauerte es ein Jahr; in der Zwischenzeit genügt ein halbes Jahr zwischen dem Einmarsch der russischen Truppen in Afghanistan mit seinen brutalen Folgewirkungen des Völkermordes in ganzen Bereichen bis zur Dramaturgie dieser Reise und ihrem dürftigen Ergebnis.
Eine Weltkrise ist die Szene, in der diese Reise stattgefunden hat. Die Weltkrise hat nicht wie eine Krise stattgefunden, die durch Einwirkung höherer Umstände, von Menschengewalt nicht zu verhindern, ausgelöst wird, die Weltkrise ist nicht eine
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({28})
Weltkrise, sondern ein Akt brutaler sowjetischer Machtpolitik,
({29})
eine Ausdehnung sowjetischer Machtkontrolle bei Gleichschaltung des innenpolitischen Systems in einem Land, von dem zu behaupten, es sei eine Bedrohung der Sowjetunion gewesen, eine Beleidigung der Welt und der Zeitgeschichte darstellt.
({30})
Wir wollen uns doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich das Bündnis bei der Reise Adenauers im Zustand der Festigung, des Fortschritts und der vollen Funktionsfähigkeit befand, daß sich das Bündnis in diesem Jahre - und nicht ohne maßgebende Schuld europäischer Staatsmänner, an der Spitze Helmut Schmidt;
({31})
wenn ich mir diesen Ausdruck als Funktionsbezeichnung hier erlauben darf - in einem Zustand befindet, der von neutraler Seite als „zerfallende Allianz" bezeichnet wird. Die Frage ist nicht, ob man verbale Bekenntnisse zu Allianzen ablegt, ob man betont, man stehe zu dem Bündnis, man habe Vertrauen zu den Bündnispartnern, man sei bereit, die eigenen Bündnisverpflichtungen zu erfüllen, man lehne es mit Entrüstung ab, irgendwelche Unsolidarität zu zeigen. Das ist doch nicht das Entscheidende. Kein Bündnis ist stärker als das Vertrauen der Bundesgenossen zueinander und die psychologische und politische Bereitschaft, alle Lasten, Konsequenzen aus diesem Bündnis, nicht nur seine Vorteile in Anspruch zu nehmen.
({32}) Und da sieht es leider anders aus.
Niemand wird dem langjährigen Korrespondenten der „Neuen Zürcher Zeitung" dem heutigen Chefredakteur Fred Luchsinger, absprechen, daß er ein scharfsinniger analytischer Beobachter, ein scharfsinniger Prognostiker und ein zuverlässiger Bewerter ist. Ich sage das auch im Wissen darum, wie oft seine kritischen Urteile uns oder mir persönlich gegolten haben. Aber das ist nicht das Thema. Er schrieb am 25./26. Mai 1980 unter der Überschrift „Zerfallende Allianz":
Das Bild vom Zustand der freien Welt ist im letzten Vierteljahrhundert noch nie so düster gewesen, wie es sich zurzeit präsentiert. Die europäisch-amerikanische Solidarität, die Grundlage und Voraussetzung der gemeinsamen Sicherheit und politischen Handlungsfähigkeit, zeigt in kritischer Situation tiefe Risse.
Es gibt einen persönlichen Freund bzw. Anhänger des Herrn Bundeskanzlers, den jetzigen Leiter des Londoner Instituts für strategische Studien, Christoph Bertram. Er hat jüngst im „U.S. News & World Report" die Moskau-Reise des Kanzlers einen zum gegenwärtigen Zeitpunkt schweren taktischen Fehler genannt.
({33})
Zur Besonnenheit gehört auch die Fähigkeit, eigene Wünsche, parteipolitische Opportunitäten und persönliche Ambitionen kritisch unter Kontrolle halten zu können.
({34})
Es war zu erwarten, daß alle regierungsamtlichen Kosmetiker Tag und Nacht tätig sein würden, um aus dieser Reise einen Erfolg zu machen. Aber das hält kritischer Beurteilung nicht stand. Die Reise war mindestens verfrüht, solange Moskau noch nicht das geringste ehrliche Signal zur Bereinigung des Afghanistan-Konflikts gegeben hat
({35})
Die Naivität, sich von diesem sogenannten teilweisen Truppenabzug gewissermaßen einen Auftakt für die Fortsetzung des löblichen Handelns bis zur Freigabe zu versprechen, ist selbst für einen Fanatiker falsch verstandener Entspannungspolitik eine intellektuell unzulässige und, wenn er in amtlicher Funktion ist, für die Öffentlichkeit gefährliche Fehlleistung.
({36})
Der Herr Bundeskanzler sollte doch wenigstens das nachlesen, was mit seiner Erlaubnis - die Informationen sind ja eh recht spärlich, die wir erhalten - von einer für die Auswertung solcher Dinge zuständigen Stelle des Bundes als Brosamen selbst den Oppositionspolitikern zur Verfügung gestellt wird. Dann würde er diesem Bericht entnehmen, daß es sich hier um den Austausch für den Einsatz in dieser Gegend unbrauchbarer, verschlissener und im übrigen für die Erfüllung des Kampfauftrages nicht ausreichender Einheiten gehandelt habe und daß diese Einheiten selbstverständlich durch andere Einheiten ersetzt würden. Wer glaubt, daß die Sowjetunion von Afghanistan her bedroht worden und daß sie deshalb gezwungen gewesen sei einzumarschieren, um den Einmarsch und das Vordringen ausländischer Agenteneinheiten oder - hier sind die USA und China gemeint - ausländischer Kampfeinheiten aufzuhalten, der glaubt allerdings auch das mit dem Teilabzug.
Wir wissen doch, daß man in einer gefährlichen und häßlichen Zeit deutscher Geschichte einmal Wert darauf gelegt hat, militärische Stärke zu simulieren statt militärische Stärke in Abrede zu stellen. Das war damals beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Rheinland 1936, als Hitler dieselben Truppenteile dreimal - z. B. - in Heidelberg, einmarschieren ließ, um vorzutäuschen, über welche militärische Stärke er verfüge. Die Sowjetunion ist weiser. Sie macht genau das Gegenteil. Aber daß Diktaturen mit totaler Beherrschung der Medien, mit totaler Beherrschung des Informationsstromes in der Lage sind, Truppen scheinbar abzuziehen, um hernach bei Nacht - notfalls auf dem Luftweg - wieder ein Mehr an geeigneten Truppen hereinzubringen, sollte doch erwachsene Männer nicht veranlassen, einen solchen Unsinn als Beginn einer Lösung des Afghanistan-Problems darzustellen.
({37})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({38})
Die Reise schwächte auch den Widerstandswillen und die Geschlossenheit des Westens allein durch ihre Tatsache, durch ihren Zeitpunkt und durch das Vorpreschen eines Allianzpartners, dem diese Rolle nicht zugefallen wäre und der sie auch nicht hätte beanspruchen dürfen.
Die Reise ermutigt Moskau auch, die erreichten Positionsgewinne zu behaupten. Notfalls wird die abendliche Lachstunde im Kreml verlängert.
Viertens. Die Moratoriumsangebote Helmut Schmidts hinsichtlich der Verwirklichung des Nachrüstungsbeschlusses sind doch in Moskau trotz ihrer Schwäche und ihrer einseitigen Bevorzugung der sowjetischen Position auf nackte Ablehnung gestoßen - eine vorläufige Bewertung. Man kann doch auch nicht an solchen Urteilen vorbeigehen, wie sie etwa so eine ausgewogene Wochenzeitung wie der „Economist" vom 28. Juni 1980 veröffentlicht hat: Es sei unwahrscheinlich, daß Präsident Carter von Helmut Schmidt überzeugt worden sei, seine Plauderei mit Helmut Schmidt auf dem Gipfel von Venedig habe die Atmosphäre bereinigt, aber nicht die fundamentalen Meinungsverschiedenheiten beseitigt Es heißt: „Der Präsident denkt, daß die Deutschen zu weich seien in ihren Verhandlungen mit den Russen, und der Kanzler fährt fort zu glauben, daß des Präsidenten Unberechenbarkeit eine Drohung sei für das, was von der Détente" - also von der Entspannung - „noch übriggeblieben sei."
In der Weltmeinung hat sich doch der Begriff der „fundamental difference of opinion" zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland festgesetzt. Und wer hat diesen Begriff von der Differenz der Interessen in die Welt gesetzt, mit gefährlichen Argumenten begründet? - Das war Helmut Schmidt und niemand anders!
Ich denke daran, daß Helmut Schmidt auf seiner Amerika-Reise davon gesprochen hat, daß es in Deutschland 16 Millionen Geiseln gebe, auf die man Rücksicht nehmen müsse. Abgesehen davon, daß es 17 Millionen Einwohner der DDR sind, ist dazu zu sagen - ich habe das hier schon einmal erwähnt -: Das sind nicht 17 Millionen Geiseln, sondern das sind 17 Millionen Ankläger, daß der Geist von Helsinki die Machtpraxis des Kommunismus noch nicht erfaßt hat.
({39})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brandt?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, da ich den Eihdruck habe, daß Sie beim Sammeln der anderen Zitate noch nicht die Meldungen dieser Nacht haben zur Kenntnis nehmen können,
({0})
frage ich Sie: Sind Sie geneigt, den Hause zuzugeben, daß der amerikanische Außenminister über den
Präsidenten wörtlich gesagt hat - Sie können Englisch so gut wie ich, nehme ich an - „He wanted the foreign minister to express to the chancellor his appreciation for the way in which he had represented Western interests", d. h., der Präsident wünscht, daß der Außenminister dem Kanzler seine - des Präsidenten - Wertschätzung zum Ausdruck bringt für die Art, in der er westliche Interessen vertreten habe?
({1})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({2}): Herr Kollege Brandt, vielleicht waren Sie gerade abwesend, um sich die Zitate zu besorgen. Ich bin schon zu- Beginn meiner Rede auf die Kommentare des Präsidenten und des Außenministers eingegangen.
({3})
Ich würde gern auf Ihre englische Feststellungen eine lateinische Antwort geben.
({4})
Sie besteht nur aus fünf Worten: o misericordia, o sancta simplicitas! In dieser Lage und sicherlich in Würdigung der Tischrede Helmut Schmidts, die allerdings dem sowjetischen Volk durch Zensur nicht zur Kenntnis gebracht worden ist, blieb doch gar nichts anderes übrig, als zu dieser Reise, die der amerikanische Präsident nicht gewollt, für die er kein Mandat erteilt und die er wie seine Berater sehr skeptisch beurteilt hat -
({5})
- Sie sind schon so desorientiert, daß Sie nicht einmal mehr dann zustimmen, wenn ich das wiederhole, was Ihr Kanzler Helmut Schmidt in Venedig selbst über seine Reise gesagt hat.
({6})
Ich darf wiederholen: Sicherlich hat man da oder dort im westlichen Ausland, in den Vereinigten Staaten von Amerika Schlimmeres befürchtet. Man hatte sich auf Schlimmeres eingestellt. Das ist nicht eingetreten. Aber der Zweck einer Reise liegt doch nicht darin, daß das Schlimmere nicht eingetreten ist. Die Vorschläge, die er mitgebracht hat - ich werde auf sie noch zu sprechen kommen -, sind in Amerika doch seit langer Zeit bekannt. Sie sind die bekannten Tricks, mit denen in Abrüstungsverhandlungen nicht zusammengehörende Teile zu einem solchen Verhandlungspaket verknüpft werden sollen, daß das sowjetische Ziel, nämlich die Erhaltung und Sicherung der strategischen Überlegenheit auch im europäischen Gebiet, dadurch international kodifiziert werden soll. Aber darauf komme ich noch zu sprechen.
({7})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brandt?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Bitte sehr.
Bitte.
Herr Ministerpräsident, sind Sie geneigt, folgende erweiterte Stellungnahme des amerikanischen Außenministers zur Kenntnis zu nehmen, die lautet: Außenminister Muskie erklärte weiter, Carter habe Genscher beauftragt, dem Bundeskanzler seinen Dank und seine Bewunderung auszudrücken. Carter habe Genscher versichert, er habe die Gespräche Schmidts in Moskau verfolgt; der Bundeskanzler habe mit Entschlossenheit und Klarheit den Standpunkt der Alliierten zu Afghanistan dargelegt."?
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Wer die Gesetze internationaler Ausdrucksweise kennt,
({2})
wer zweitens die schwierige Lage Carters in seinem für ihn auch ungeheuer unsicheren Wahlkampf kennt,
({3})
der weiß doch, was von solchen Äußerungen zu halten ist.
({4})
Man soll sich doch weder von Harmoniebekundungen in Kommuniqués noch von Übereinstimmungserklärungen beim Gipfeltreffen von Staatsmännern noch durch solche selbstverständliche Akte internationaler Gefälligkeitssprache von dem ablenken lassen, was hier in der Substanz vor sich gegangen ist.
({5})
Das Schlimme ist doch, daß Sie als Regierungspartei in Ihrer wahlkampfpolitischen Besessenheit nicht einmal mehr die intellektuelle Fähigkeit haben, solche Dinge so kritisch zu werten, wie es die Lage erfordert.
({6})
Das ist ja Naivität in chemischer Reinkultur, auch wenn sie aus dem Munde eines ehemaligen Bundeskanzlers vorgetragen worden ist.
({7})
Sicherlich hat auch Time" in einem Artikel, der von der „Neuen Zürcher Zeitung" als Kapuzinerpredigt bezeichnet worden ist, die Problematik genau getroffen. Es heißt dort:
Washington ist sicherlich zu Unrecht voller Verdacht wegen der Mittelstreckenraketenangelegenheit, aber die westeuropäische Politik seit Afghanistan war ausgerichtet darauf, die Sowjets zu beruhigen und in manchen amerikanischen Augen auch Appeasement-Politik, Beschwichtigungs-, Beruhigungs- und Anpassungspolitik zu treiben. Die letzte Frage darüber hat nichts damit zu tun, was die Europäer den Amerikanern schulden
- so heißt es dort, das ist auch richtig - - darüber sollte man gar nicht reden -, sondern was Europa sich selber schuldet.
Genau in diese Diktion gehörte auch das jammervolle Tauziehen, dieser jammervolle, erbärmliche Schleiertanz wegen des Ja oder Nein zur Teilnahme an den Olympischen Spielen. Ich habe mich immer genau wie Kollege Helmut Kohl dagegen ausgesprochen, daß wir uns hier hinter den Amerikanern verstecken oder verkriechen, von einem Akt der Solidarität oder der Freundschaft reden. Wir müssen unsere eigene moralische Wertordnung haben. Wer von Menschenrechten spricht und sich in dieser Weise gegenüber der Teilnahme in Moskau äußert oder verhält, der beweist, daß er einen gespaltenen Moralkodex hat.
({8}) Es heißt dort weiter:
Die Frage ist, ob diese Politik im wohlverstandenen langfristigen Interesse Europas ist.
Und es heißt dort:
Nein, das ist sie sicherlich nicht.
Was Sie getan haben, liegt nicht im wohlverstandenen langfristigen Interesse Europas, es liegt in wahlpolitischen Vorteilen, und es liegt in kurzfristigen Pseudogewinnen, die Sie erzielen wollten, aber nicht in langfristigen Vorteilen.
({9})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Ich muß mich dann mit den Zwischenfragen so lange befassen, daß ich meine Redezeit nicht einhalten kann, aber bitte sehr.
({1})
Sie ist unbegrenzt.
Herr Ministerpräsident, ich will Ihnen Ihre Redezeit nicht kürzen; nur veranlaßt mich Ihr Ausdruck „Moralkodex", Sie an etwas zu erinnern und das mit einer Frage zu verbinden. Sie haben als Bundesminister am 24. Februar 1955 wörtlich erklärt:
Der Kurswert der deutschen Politik wird ... bei Freund und Feind nicht nach Lautstärke und Schärfe der Opposition, auch nicht nach dem moralpolitischen Gehalt ihrer jeweiligen Argumente bemessen, sondern ausschließlich nach der Nüchternheit, Zuverlässigkeit, Entschlossenheit und Stabilität der Politik der Bundesregierung und des Bundestages.
Gilt das, Herr Ministerpräsident, nach wie vor?
({0})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({1}): Ich darf Ihnen oder Ihrem Zitatenjäger sehr dankbar sein, Herr Kollege Wehner. Was Sie gesagt haben, gilt nicht nur, sondern ist auch die klassische Venir18594
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({2})
teilung der Verhaltensweise und Politik Helmut Schmidts.
({3})
Aber Sie rechnen anscheinend schon mit Gedächtnisschwäche oder mit Kurzlebigkeit des Erinnerungsvermögens, denn gerade im Jahre 1955 haben Sie und Ihre Freunde in all Ihren Reden und in all Ihren Abstimmungen mit „moralischen" Argumenten die Grundlagen dessen verhindern oder zerstören wollen, was Sie heute als unentbehrlich für unsere Sicherheit, für Freiheit und Frieden in Anspruch nehmen.
({4})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brandt?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Herr Präsident, ich bitte um Verständnis, aber ich möchte jetzt weiterreden.
({1})
- Ich verweigere doch eine Antwort nicht deshalb, weil ich glaubte, ihr nicht gewachsen zu sein!
({2})
Aber es sollte schon ernstgenommen werden, wenn es in der gleichen Publikation heißt:
Wenn diese Politik in ihrer Richtung so weitergeht, dann mag in Amerika eine Stimmung aufkommen „to hell with them", in die Hölle mit ihnen. Ein amerikanischer Isolationismus, lange ruhend, mag in der Tat eines Tages wieder an die Oberfläche kommen. Es gibt bereits Zeichen, daß diese Entwicklung begonnen hat.
Sicherlich hat man die Reise mit mehr Skepsis verbunden, als die Grenzen der Redemöglichkeiten Helmut Schmidts es angezeigt erscheinen ließen. Aber auch der Sicherheitsberater
Weder will Schmidt ernsthaft die Afghanistan-Nachwehen noch einen echten Rüstungsausgleich zwischen den beiden Militärblöcken im Kreml diskutieren. Schmidts Überzeugung, daß die Entspannung teilbar ist, scheint definitiv zu sein - trotz unseres Appells. Was Schmidt will, ist die Herbeiführung eines für uns imaginären Ausgleiches zwischen Europa und der Sowjetunion.
Hier liegt des Pudels Kern. Es geht nicht - sei es in der Frage Afghanistan, sei es in der Frage des Rüstungsgleichgewichts - um den Ausgleich zwischen Europa und der Sowjetunion; es geht hier um den Ausgleich zwischen den beiden Großmächten, und es geht darum, daß die Sicherheitsinteressen des durch den Atlantik von Amerika getrennten europäischen Teils der NATO nicht abgekoppelt werden. Genau darum und um nichts anderes geht es!
({0})
Sie wissen ja auch, daß sich Ihr und unser gemeinsamer alter Freund Henry Kissinger in den letzten Wochen und Monaten dazu immer kritischer geäußert hat.
Nun haben Sie ja bekundet, Herr Genscher habe bereits in Wien von Herrn Gromyko erfahren, man denke nicht daran, die Europäer von den Amerikanern zu trennen. Meine Damen und Herren, kann man sich vorstellen, daß der russische Außenminister das Gegenteil gesagt hätte? Kann man sich vorstellen, daß er unter Sprache die wirkliche Ausdrucksform seiner Meinungen oder seiner Absichten versteht? Wer solchen Bekundungen Glauben schenkt, beweist eine Naivität und Simplizität des Urteils, die um so gefährlicher wird, je höher die Machtposition und der Rang dessen ist, der diese naiven Denkstrukturen sich zu eigen gemacht hat
({1})
Sie haben am 31. Januar einen Brief an Beschnew geschrieben. Ich weiß nicht wie, aber gestern bei Verfolgung des Fernsehprogramms habe ich festgestellt, daß diese Briefe, die uns bisher vorenthalten worden sind, die als Staatsgeheimnis behandelt worden sind, nunmehr sowohl in der Fernsehsendung im Auszug geboten worden sind wie offensichtlich auch einigen Agenturen zur Verfügung stehen. Ich kenne also jetzt den Text des Briefes, den Sie an Generalsekretär Breschnew geschrieben haben.
Von diesem Brief verlange ich nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie, obwohl die afghanischen Ereignisse fünf Wochen vorher begonnen hatten und der brutale Ablauf noch im vollen Gange war - im übrigen ja auch heute noch ist -, etwa hier die Gesetze der internationalen Sprache hätten verletzen und mit der bei diesem Anlaß gebotenen, entsprechenden moralischen Entrüstung hätten formulieren sollen. Das verlange ich nicht. Sie haben Ihre Grüße und Ihre guten Wünsche wiederholt, die Ihr Botschafter schon überbracht hatte. Das gehört zum internationalen Kodex. Sie haben davon gesprochen, daß die Bürger unseres Landes eine zuverlässige und voraussehbare Politik auf der Grundlage der Prinzipien, die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind und die auch in der Schlußakte von Helsinki Bekräftigung gefunden haben, erwarten. Sie haben davon gesprochen, daß unsere Menschen mit einem Gefühl der Sorge und tiefen Betroffenheit in das Neue Jahr und in das neue Jahrzehnt hineingehen. - Damit haben Sie recht, auch wenn man das Jahr 1980 nicht mit 1914, sondern eher mit 1936 oder 1938 vergleichen sollte, sofern man überhaupt vergleicht - Sie haben von der Beunruhigung und Betroffenheit geschrieben, die darüber bestehe, daß „nunmehr durch das Vorgehen Ihres Landes in Afghanistan ein internationaler Krisenherd geschaffen worden ist". Ich gebe Ihnen bei dieser Bewertung recht Man könnte sie auch schärfer definieren. Aber in einem Brief an den ersten Mann der großen Macht des anderen Lagers ist diese Sprache sicherlich im internationalen Verkehr richtig.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({2})
Viel aufschlußreicher ist die Antwort des Herrn Breschnew. Ich enthalte mich einer Kommentierung. Ich bitte Sie nur, den Text, der jetzt den Agenturen offensichtlich vorliegt, selbst zu bewerten. Breschnew sagt in seiner Antwortbotschaft auf den Brief vom 31. Januar - sie ist im März gekommen -, daß
unsere Ansichten zur gegenwärtigen Lage in vielerlei Hinsicht auseinandergehen. Ich hatte schon wiederholt Veranlassung,
- schreibt er mich zu den wahren Gründen, die gegenwärtig die internationale Lage erschweren, und den Störungen zu äußern, die im Funktionieren der Entspannungsmechanismen aufgetreten sind. Sie wissen ja selbst, daß sie keineswegs mit den Ereignissen in Afghanistan, sondern sehr viel früher begonnen haben, als die Linie der amerikanischen Regierung und der NATO-Verbündeten der USA, die auf eine Forcierung des Wettrüstens und die Sicherung der militärischen Überlegenheit der USA in der Welt gerichtet ist, sowie das Bestreben Washingtons, internationale Probleme von der Position der Stärke aus zu lösen, immer klarer zutage traten. Diese Wende kam bereits hinreichend im Beschluß der NATO über die Stationierung neuer amerikanischer, auf die UdSSR und ihre Verbündeten gerichteten Raketen in Westeuropa zum Ausdruck. Gerade eine derartige Politik
- so schreibt Breschnew untergräbt das internationale Vertrauen, ruft bei den Menschen Unsicherheit hinsichtlich der nächsten Zukunft hervor und führt zu einer erheblichen Verschlechterung der Lage in der Welt. Was Afghanistan anlangt,
- dieses Kapitel ist wohl das Kernkapitel dieses Briefes so haben wir schon mehrmals sowohl auf diplomatischem Wege als auch öffentlich den Regierungen vieler Staaten, auch der Bundesrepublik Deutschland, erläutert, daß die Entsendung unserer Truppenkontingente dorthin auf wiederholtes Ersuchen der afghanischen Regierung hin erfolgte, die um Hilfe bei der Abwehr der von außen geführten Anschläge auf die Freiheit und Unabhängigkeit des afghanischen Volkes gebeten hat, und nachdem die Amerikaner begonnen hatten, ihre Seestreitkräfte in der Nähe der südlichen Grenzen unseres Landes zu konzentrieren. Uns bewegt also die Sorge um die eigene Sicherheit und die Sicherheit des mit uns befreundeten Afghanistans und sonst nichts. Wenn dies die Politiker einiger Länder nicht einsehen oder so tun, als ob sie das nicht einsähen, so ist das ihre Schuld. Unser Vorgehen bedroht keinen einzigen Staat dieser Region und noch viel weniger Länder, die Tausende von Kilometern dort entfernt sind. Ein reines Phantasieprodukt ist auch das Gerede von dem Bestreben der Sowjetunion, an das warme Meer, an den Indischen Ozean, vorzustoßen und die Verbindungswege abzuriegeln,
über die das 01 in die USA und nach Westeuropa gelangt. Der tatsächliche Sinn all dieser Verleumdungen und der in den USA entfachten antisowjetischen Hysterie besteht, wie nun völlig klar ist, darin, in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens etwas fester Fuß zu fassen, und zwar nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in militärischer Hinsicht. Aufhorchen lassen muß auch der Umstand, daß man in den USA offensichtlich beschlossen hat, auch Peking in die Durchführung der eigenen Pläne und Absichten einzubeziehen. Ich glaube auch, von Bonn ist das unschwer festzustellen: Die gefährliche Neigung der gegenwärtigen Führung der Volksrepublik China zu militärischen Abenteuern und die allgemeine aggressive Ausrichtung ihrer Politik sind hinreichend bekannt. Sie
- an den Bundeskanzler gerichtet selbst haben ja auch wiederholt darauf aufmerksam gemacht.
({3})
Die zerstörischen Grundsätze, die gegenwärtig die Linie der USA in den internationalen Angelegenheiten bestimmen, bedrohen auch die Lage in Europa mit verhängnisvollen Konsequenzen. Der NATO-Beschluß vom Dezember,
({4})
- das müßten Sie doch gleich an der Sprache erkennen, Herr Wehner ({5})
bei dessen Zustandekommen die Bundesrepublik Deutschland eine aktive Rolle spielte, hat die Lage in Europa spürbar erschwert und auch unsere bilateralen Beziehungen ernsthaft belastet. Würde sich die Bundesrepublik Deutschland den verschiedenen Sanktionen und Boykotten anschließen, zu denen die USA ihre NATO-Verbündeten gegenwärtig verstärkt zu bewegen versuchen, so würde das die Lage nur weiter erschweren. Wir möchten nicht annehmen, daß Sie auf diese Bahn abrutschen.
Und es heißt dann am Ende des nächsten Absatzes:
Es ist logischer, an all das jetzt zu denken, als später Verlorenem nachzutrauern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so ein von mir in Auszügen - sonst hätte ich länger verlesen müssen - zitierter Antwortbrief des Herrn Breschnew an den Bundeskanzler.
({6})
Und das vor dem Hintergrund eines UN-Beschlusses, bei dem eine überwältigende Mehrheit der Vereinten Nationen, und zwar 104 Staaten,
({7})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({8})
gegen 18 Staaten bei einigen Stimmenthaltungen und Nichtteilnahmen den brutalen Einfall in Afghanistan als das bezeichnet hat, als was er nach den Tatsachen, nach allen Wertmaßstäben auch nur bei einem Mindestmaß an Ehrlichkeit zu bezeichnen ist.
Interessant ist allerdings, wer gegen den Beschluß gestimmt hat: Äthiopien, Afghanistan, Angola, Bjelorußland, Bulgarien, DDR, Grenada, Jemen-Süd, Kuba, Laos, Mongolei, Mozambique, Polen, Sowjetunion, Tschechoslowakei, Ukraine, Ungarn und Vietnam. Hier zeigt sich schon im Abstimmungsverhalten der ganze sowjetische Machtgürtel, der trotz der Entspannungsbeteuerungen, trotz Helsinki, trotz aller bilateralen und multilateralen Erklärungen in den 70er Jahren unter Mißbrauch dieser Entspannungspolitik quer von Norden nach Süden, durch Asien, durch Mittelasien, durch den Mittleren Osten und hinein nach Afrika bis an die Grenzen Südafrikas angelegt worden ist.
Aber, Herr Bundeskanzler, ich würde es an Ihrer Stelle als eine Beleidigung empfinden, wenn ein auf gleicher Ebene stehender - wenn man das bei Ihnen überhaupt unterstellen darf ({9})
und ranggleicher Chef eines anderen Staates es wagt, Ihnen diese Einheitslüge über den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan als ernsthaftes Argument anzubieten.
({10})
Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, Sie haben diesen Brief dem amerikanischen Präsidenten gezeigt Er wird allerdings nicht überrascht sein; denn die in diesem Brief verwendeten Fehldarstellungen, Mißdeutungen und absichtlichen Unwahrheiten sind schon aus den ganzen sowjetischen Erklärungen zu den Vorgängen in Afghanistan längst bekannt.
Bei Afghanistan geht es nicht darum, einen unüberlegten Streich, den die Sowjetführung vielleicht aus irgendwelchen Motiven der Unbeherrschtheit und der Unkontrolliertheit unternommen hat, jetzt wieder unter Wahrung des Gesichtes aller Beteiligten in Ordnung zu bringen. Wer nicht weiß, daß die sowjetische Expansion nach Afghanistan, abgesehen von den mit ihr verbundenen Scheußlichkeiten, Brutalitäten und Grausamkeiten, der Anwendung moderner Massenvernichtungsmittel wie Napalmbomben gegen Bergstämme, ein logischer konsequenter, organischer Schritt der sowjetischen Machtpolitik unter Ausnutzung der Lage in Teheran, unter Ausnutzung des Weihnachtsfriedens der Welt war, der sollte allerdings besser im Sandkasten spielen, als sich mit strategischen Fragen zu befassen.
({11})
Folgendes möchte ich in das Gedächtnis zurückrufen; ich sage es nur in Stichworten. Mit Afghanistan hat die Sowjetunion ein strategisches Schlüsselland unter ihrer militärischen Kontrolle, das es bereits zur Zeit Alexanders des Großen war. Im 19. Jahrhundert hat sich dieses Schlüsselland bei dem Ringen der Engländer und der Russen wieder als solches erwiesen. Es ist außerdem nicht bedeutsam, ob die Russen eines Tages Truppen abziehen, sondern es ist wesentlich, daß die islamisch eingestellte Bevölkerung, die in der Mehrheit ist, bis dahin nicht ausgerottet und eine Kirchhofsruhe a la Pax Sowietica in diesem Lande erzwungen worden ist. Das ist das Entscheidende.
({12})
Das Entscheidende ist nicht, daß die Sowjetunion so lange bombt und zermalmt, bis ihr Marionettensystem keinen innenpolitischen Widerstand mehr hat. Schließlich hatte auch Hitler seine Truppen aus verschiedenen Ländern zum Teil wieder abgezogen, wenn der Auftrag der Eroberung und der Gleichschaltung mit dem NS-System erfüllt war. Das sagt nichts. Entscheidend ist, daß die Substanz des afghanischen Volkes, die Vielfalt der Stämme, die Freiheit dieses Volkes, die Freiheit der islamischen Kultur, die Freiheit des islamischen Menschenbildes in Afghanistan auch in Zukunft gewahrt bleiben und daß die Bevölkerung eine Möglichkeit hat, eine Regierung zu bestimmen, die ihren Wünschen entspricht, die von ihr getragen wird.
({13})
Darum habe ich mich jüngst auch gegen alle faulen Versuche geäußert, unter der Freigabe Afghanistans etwa die Blockfreiheit des Landes - auch Kuba ist blockfrei - mit strategischer militärischer Kontrolle der Sowjetunion zu verstehen. Das wäre nicht Freiheit, das wäre nicht Neutralität, das wäre nicht Unabhängigkeit. Wenn hier von der Einmischung ausländischer Kräfte die Rede ist, worum handelt es sich denn? Seit langer Zeit betreibt die Sowjetunion eine systematische Machtverlagerung, Machtvorverschiebung in Richtung Afghanistan. So hat die Zusammenarbeit schon mit der Monarchie begonnen. Die Monarchie ist nicht ohne sowjetische Hilfe, nicht ohne Einfluß des KGB gestürzt worden. Dann kamen diese Figuren wie Abu Daud. Er war nicht zuverlässig genug, ist gestürzt worden, hatte auch Widerstand in den eigenen Reihen. Dasselbe bei Taraki, der von Amin gestürzt worden ist. Amin konnte sich nicht mehr halten, wurde dann von den Sowjets gestürzt und in ihrem Auftrag ermordet. Jetzt folgte Karmal. Das sind doch keine Regierungen, die vom Willen des afghanischen Volkes getragen sind und die gegen ausländische Interventionen verteidigt werden müssen. Was hier als ausländische Intervention ausgegeben wird, ist doch nichts anderes als der Freiheitskampf der afghanischen Bergstämme, die zum Teil von außen humanitäre und auch waffentechnische Hilfe erhalten haben. Das ist der wirkliche Vorgang.
Ich habe auch nicht vergessen - hier ist der Moralkatalog der gleiche geblieben -, daß seinerzeit auch auf finnischem Boden eine Exilregierung zur Rechtfertigung des Winterkrieges 1939/40 gegen Finnland errichtet worden ist. Man sollte noch heute den „Völkischen Beobachter" aus jener Zeit lesen, mit welcher Besorgnis, mit welcher leidenschaftlichen Anteilnahme die Goebbels-Publizisten damals die Bedrohung der Sowjetunion durch Finnland nachgewiesen, die Unerträglichkeit der militärischen Situation für die Sowjetunion herausgestellt
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({14})
und volles Verständnis für den Verteidigungskampf des sowjetischen Volkes, des sowjetischen Staates gegen die imperialistischen Finnen unterstrichen haben.
({15})
Das alles gehört zu dem Katalog, den man sich - dafür braucht man nicht so lange wie ich in der Politik zu sein - schon an den Schuhsohlen abgelaufen hat.
Natürlich bedeutet der Einmarsch in Afghanistan, daß die sowjetischen Truppen 50 % der Grenze des Iran umstellt haben, d. h. jederzeit Aserbeidschan nehmen können - ein altes Ziel; das geht zurück auf das Jahr 1946, als sie es wieder räumen mußten
- und auch Belutschistan unter ihre Kontrolle bringen können und daß sie jederzeit und schneller im Iran sind, als es die Amerikaner jemals sein könnten, die im Gegensatz zur Sowjetunion gar nicht dorthin wollen. Das bedeutet die Einschüchterung Paidstans, bedeutet die Warnung an die Volksrepublik China, bedeutet wachsenden Einfluß auf Indien, bedeutet, 500 km nahe an das warme Meer, an den Indischen Ozean, gekommen zu sein.
Was meint eigentlich Herr Breschnew, wenn er sagt, daß die amerikanischen Flotteneinheiten - es gibt sicherlich auch französische - in der Straße von Hormuz eine Konzentration von Seestreitkräften an der Südgrenze der Sowjetunion darstellten? Eine eigenartige geographische Vorstellung davon, wo die Grenze der Sowjetunion in der Zukunft liegen könnte!
({16})
Der Zug zum warmen Meer, zur arabischen Halbinsel, der Sprung über das Horn von Afrika nach Äthiopien, Angola und Mozambique! Diese Vorgänge in den 70er Jahren von uns und nicht zuletzt von mir hier von diesem Platz aus unzählige Male in Form beschwörender Warnungen vorgetragen, wurden seinerzeit mit demselben Gelächter, demselben Hohngeschrei, demselben Spott beantwortet.
Jetzt sind wir im nächsten Kapitel. Aber offenbar wollen der Bundeskanzler und seine Gefolgschaft immer noch nicht erkennen, worum es geht. Das beste Zeugnis dafür ist die Regierungserklärung von heute morgen.
({17})
- Herr Wehner, ich möchte Ihnen doch noch einmal die Ehre einer Antwort geben. Wer wie Sie die sowjetische Rüstung als eindeutig defensiv gekennzeichnet hat, wer wie Sie um Verständnis für das Vorgehen der Sowjets in Afghanistan, um Verständnis für die sowjetischen Sicherheitsnotwendigkeiten in der Vergangenheit fast täglich den Mund voll genommen hat, sollte ihn wenigstens hier halten.
({18})
Ich habe hier von dieser Stelle aus zweimal nicht mit der plumpen Eindeutigkeit, mit der Sie die sowjetische Rüstung als defensiv - ({19})
- Es geht hier nicht darum, was jemand als Bundestagsabgeordneter in der Öffentlichkeit sagt; denn da sind wir alle als Bürger gleich, ob MdB, MdL oder Ministerpräsident. - Aber wer mit derselben plumpen Eindeutigkeit wie Sie die sowjetische Rüstung als defensiv bezeichnet hat,
({20})
muß sich auch gefallen lassen, zu hören, daß ich sie weder als defensiv noch als aggressiv bezeichnet habe.
({21})
- Sie haben doch sonst eine so gute Kenntnis, einen so vorbildlichen Zettelkatalog. Warum verdrängen Sie denn aus Ihrem Bewußtsein das, was nicht in Ihr Klischee paßt?
Ich habe unzählige Male und zweimal hier im Bundestag gesagt: Die sowjetische Rüstung ist nach drei Kriterien zu beurteilen. Das erste Kriterium sind die augenblicklichen Absichten der sowjetischen Führung. Hier habe ich hinzugefügt: Sie laufen nicht auf einen dritten Weltkrieg hinaus. Wie lange diese Absichten bestehenbleiben, ist eine Frage, die nicht zuletzt von uns beantwortet wird. Je stärker und glaubwürdiger das Bündnis ist, desto länger wird die Friedlichkeit der Absichten bis zur Ewigkeit erhalten bleiben.
({22})
Das zweite Kriterium, von dem ich gesprochen habe, ist das sowjetische Potential. Ich will hier keine Zeit mehr darauf verwenden, es im einzelnen zu schildern, sondern nur sagen: Es ist in den 70er Jahren so ausgebaut worden, daß es zu sämtlichen militärischen Optionen die erforderlichen Instrumente zur Verfügung stellt, gleichgültig wo, gleichgültig wann, gleichgültig in welchem Umfang.
Das dritte Kriterium sind die langfristigen strategischen Ziele der Sowjetunion. Hier habe ich aus meiner Meinung nie ein Hehl gemacht. Ich tadle die Sowjetunion deshalb gar nicht. Es ist einfach eine Tatsachenfeststellung, daß die langfristigen strategischen Ziele eine Mischung von weltrevolutionärer Zielsetzung mit russischem Imperialismus traditioneller Bedeutung sind. So sind ja auch das Ausgreifen in Afrika, der Export revolutionärer Ideologien, die Entwicklungshilfe in Form von Bewaffnung zur Entfesselung von Bürgerkriegen oder sogenannten Befreiungskriegen zu verstehen. Daher auch der militärische Aufbau im Südjemen. Daher die zunehmende Einschüchterung sowohl Pakistans als auch Indiens und auch der arabischen Länder, vor allem auf der arabischen Halbinsel. Und daher auch der Sprung bis an die Südgrenze Afghanistans!
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({23})
Wer das nicht sieht, hat eigentlich die moralische Berechtigung verloren, in einem Parlament mit Ernsthaftigkeit mitreden zu können.
({24})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Ich möchte meine Rede zu Ende führen.
({1})
Denn die Taktik geht ja nur dahin, durch eine Reihe von scheinbaren Zwischenfragen - es sind ja gar keine echten - den Duktus der Rede der Öffentlichkeit unverständlich zu machen.
({2})
Es ist doch unverkennbar, daß mit dem Vormarsch an die Südgrenze Afghanistans auch die Stabilität vor allem der monarchistisch-feudalistischen Regime auf der arabischen Halbinsel erschüttert werden soll. Daß sie zugleich die Erdölhauptproduzenten und -lieferanten sind, fügt sich sicher in das Bild. Dazu gehört der Machtgürtel, der heute von der Nordgrenze Afghanistans bis zur Südgrenze Afrikas reicht. Dazu gehört die Festsetzung in den Positionen: Angola, Mozambique und Athiopien. Dazu gehört die bewußte Einschüchterung der Blockfreien. Dazu gehört das erkennbare Bestreben, die strategische Kontrolle über die Fördergebiete von Energie und die Gewinnungsgebiete von Rohstoffen, von denen die Europäer abhängen, zu erlangen. Und dazu gehört zum Schluß die Forderung einer geostrategischen oder geopolitischen Neuverteilung der Welt.
Das sind die zwölf Punkte. Darüber hätte man in Moskau - sicher mit der gebotenen Höflichkeit und Vorsicht, aber auch mit der gebotenen Deutlichkeit - sprechen müssen, und nicht über die „Panne' Afghanistan.
({3})
Einer Ihrer Gesprächspartner, Herr Bundeskanzler, Herr Dimitri Ustinow, sowjetischer Kriegsminister oder Verteidigungsminister, hat vor kurzem gesagt: „Der Sowjetunion als einem sozialistischen Land sind Eroberungsgelüste fremd." - Die Sprache ist eben hier nicht der Ausdruck der wirklichen Absichten, sondern die Sprache ist nach ihrer dialektischen Verwendung der Ausdruck des Gegenteils von dem, was man in Wirklichkeit betreibt. Es war ja Gromyko, der sagte: Nicht der Einmarsch in Afghanistan bedroht den Weltfrieden, wohl aber der Raketenbeschluß der NATO für Europa.
Darum sollte man doch eigentlich zwischen den poltisch verantwortlichen Kräften dieses Landes zu einer nüchternen Analyse des Begriffs und der Realität Entspannungspolitik" kommen. Man kann doch nicht mit dieser Grobschlächtigkeit die einen als Gegner der Entspannung und damit als
Gegner des Friedens und eines friedlichen Zusammenlebens bewußt diffamieren
({4})
- nicht zuletzt für wahlpolitische Zwecke - und sich selbst dann diese kunststoffgefertigten Friedensflügel anheften, um als Engel der Unwirklichkeit dann über der Landschaft der Wirklichkeit schweben zu dürfen.
({5})
Entspannung ist nicht das Ende des Konflikts, sondern Mittel der Austragung. Entspannung ist ein Grundsatz für uns, aber kein Dogma; ist eine realistische Zielsetzung, kein blinder Wahn; ist ein Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck. Sie ist Staatsraison für uns und nicht Psychotherapie zur Unterscheidung - Qualifizierung und Disqualifizierung - der Menschheit.
Herr Schmidt meint offensichtlich, sie sei teilbar, aber nicht unterbrechbar. Denken Sie einmal darüber nach, ob es nicht besser wäre, sie für unteilbar, aber zeitweilig durch Maßnahmen der anderen Seite leider unterbrechbar zu halten. Darüber sollte man nachdenken.
({6})
Entspannung sollte sein: Abbau grundlegender Gegensätze, Herausstellung gemeinsamer Interessen und Gefahren, Gleichgewicht der Kräfte, Einigung in Einzelfragen, Abbau der Militärpotentiale und des militärischen Denkens. Entspannung kann nie einseitig wirksam sein. Man soll auch begreifen, daß Koexistenz und Entspannung, Abrüstung, Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle für die Sowjetunion psychologische Waffen zur Einschüchterung der anderen Seite, zur Lähmung des strategischen Gegners und zur systematischen Einengung seines Handlungsspielraums bedeuten.
({7})
Wenn man das weiß, kann man Entspannungspolitik betreiben. Dann wird man nicht mehr auf ein Dogma oder eine schillernde Leuchtschrift hereinfallen, sondern Entspannungspolitik als eine bitter notwendige, aber leider nur innerhalb enger Grenzen mögliche Realität betrachten.
({8})
Man wird begreifen, daß sie nicht von einer Seite diktiert werden kann. Man wird begreifen, daß sie Verteidigungsbereitschaft und Gleichgewicht der Kräfte voraussetzt. Man wird begreifen, daß sie unteilbar sein muß. Jede momentane Willensschwäche - der Westen hat sie in den 70er Jahren gezeigt - begünstigt die Hegemonietendenzen der anderen Seite.
Wir sollten begreifen, daß die Sowjetunion zwar sicherlich keinen eiskalten Machteroberungsplan mit festem Kalender hat - bis zum Jahre 1980 muß das erreicht sein, bis 1985 das nächste Ziel, bis 1990 das übernächste Ziel -,
({9})
aber sie hat ihre globale, säkulare Strategie und
nutzt jede sich bietende Gelegenheit an ihrer PeriMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({10})
pherie oder über die Peripherie hinaus aus, wo die Willensschwäche des Gegners, die Verwirrung im Bündnis, die Uneinigkeit im Bündnis der Atlantischen Allianz es ihr ermöglicht, den nächsten Schritt in der großen globalen, säkularen Strategie zu unternehmen. Das war bisher noch immer der Fall.
Die Regierungsparteien ab 1969 glaubten, daß die Risikoscheu der Sowjetunion gewachsen sei. Afghanistan hat leider das Gegenteil bewiesen. Daß das Gegenteil geworden ist, daran ist auch der Westen nicht unschuldig. Er hat gemeint, die Sowjetunion sei zum kooperativen Krisenmanagement mit Selbstzurückhaltung bereit, und hat deshalb auch an eine evolutionäre Reform des Sowjetsystems geglaubt. Meine Damen und Herren, Entspannungspolitik ist nur möglich, wenn man weiß, daß die Sowjetunion jede Gelegenheit benutzt - vielleicht auch aus innenpolitischen Gründen -, die Flucht nach vorn zu ergreifen, daß sie internationale Krisen zur Erlangung von Kontrollen über Energie und Rohstoffe sowie geostrategischer Vorteile herbeiführt oder ausnutzt.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie nicht hören wollen, daß Zeitpunkt und politische Umgebung, Hintergrund und Dramaturgie Ihrer Reise falsch waren - daran ändert auch das Zwangskompliment des amerikanischen Präsidenten nichts -, dann sollten Sie einmal ernsthaft darüber nachdenken, was notwendig wäre. Notwendig wäre gewesen, bevor maßgebende politische Führer aus dem Bündnisbereich in Moskau antreten, im Westen zu einer übereinstimmenden Lagebeurteilung zu gelangen. Es gibt doch nicht den geringsten Zweifel daran, daß Präsident Carter und Sie in der Lagebeurteilung - abgesehen von Oberflächlichkeiten, Gemeinplätzen und Selbstverständlichkeiten - eben nicht übereinstimmen.
({11})
Es mag zwar sein, daß Sie in der Lagebeurteilung mit dem französischen Staatspräsidenten verbal übereinstimmen, aber ich habe keine Zeit, um auf die Differenzen, die Unterschiede in dem Zusammenhang hinzuweisen.
Jede Reise sollte die Bekundung gemeinsamer Interessen und nicht der Differenzierung der Interessen voraussetzen. Was hat denn Ihr Hinweis für einen Sinn, daß die russischen Panzer 50 Kilometer vor Hamburg stehen? Die werden doch nicht durch Ihre Reise nach Moskau aufgehalten, sondern sie werden aufgehalten, weil die nukleare Garantie, die militärische Sicherheitsgarantie der Amerikaner sowohl für Berlin, wo sie nur einen Kilometer weg sind, als auch für Hamburg, wo sie 50 Kilometer weg sind, das entscheidende Hindernis darstellt.
({12})
Eine solche Reise müßte als Hintergrund die politische Solidarität, die volle Solidarität der Bündnispartner haben und nicht mit Ausreden behaftete, ausweichende Verständniserklärungen oder Entschuldigungsklimmzüge, daß es ja doch nicht so sei.
Der Westen braucht ein politisches Gesamtkonzept. Wenn Sie die Rolle der Bundesrepublik darin so hoch ansetzen - ich würde sie etwas niedriger ansetzen, aber Sie können sie, gemäß Ihren Vorstellungen von Ihrer eigenen Bedeutung, ruhig einmal sehr hoch ansetzen -, dann sollten Sie diese ihre Bedeutung für die Herstellung eines politischen Gesamtkonzepts des Westens
({13})
und nicht für einen Alleingang nach Moskau benutzen.
({14})
Es ist unbedingt notwendig, der Führung der Sowjetunion den Grenznutzen ihrer außenpolitischen Machtentfaltung rechtzeitig klarzumachen, und Afghanistan bedeutet einen Grenznutzen. Daß dieser Grenznutzen - oder, besser gesagt: dieses Grenzrisiko - von Ihnen in Moskau überhaupt nicht erwähnt worden ist, daß Sie vielmehr den Teilabzug begrüßt und von einem Fahrplan des restlichen Abzugs gesprochen haben, beweist, daß Sie in einer gespenstischen Irrealität zu den wirklichen weltpolitischen Machtvorgängen und ihren Verschiebungstendenzen stehen.
({15})
Was waren denn Ihre Motive? Sicherlich Rettung der Entspannungspolitik, denn diese Koalition und die von ihr getragenen Regierungen, auch die Ihre, Herr Brandt, haben doch nicht zuletzt auch ihre wahlpolitischen Erfolge von einer Popularisierung einer falsch verstandenen, irreführenden und zu gefährlichen Selbsttäuschungen verleitenden Entspannungspolitik abhängig gemacht. Sie haben sich davon so abhängig gemacht, daß Sie heute Ihr politisches Schicksal damit verbinden.
Haben Sie vielleicht nicht gelesen oder gehört, was Radio Moskau am 29. Juni 1980 in russischer Sprache
({16})
als Erklärung verbreitet hat? Ich darf mich darauf verlassen, daß die amtlichen Übersetzungen richtig sind. Ich zitiere wörtlich:
({17})
Die Westdeutschen haben einen zu hohen Preis für die Entspannung und die guten Beziehungen mit den östlichen Nachbarn bezahlt, um von der Suche nach Wegen zur Lösung der komplizierten politischen Probleme abzulassen.
Eine höchst interessante enthüllende Feststellung: Die Westdeutschen haben einen so hohen Preis bezahlt, daß sie jetzt - damit sind die Regierungen Brandt /Schmidt gemeint - wegen der Höhe des bezahlten Preises gar nicht mehr von der gemeinsamen Suche nach Wegen zur Lösung der komplizierten politischen Probleme ablassen können. Das heißt: Die Geister, die ich rief, werd ich nicht mehr los. Aus den Geleisen, die Sie gelegt haben, kommen Sie nicht mehr heraus. Darüber sollten Sie nachdenken, statt uns zu beschimpfen! Sie sollten auch die Kräfte der Opposition benutzen, um Ihren Forderungen beim Kampf um deutsche oder westliche In18600
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({18})
teressen mehr Nachdruck zu verleihen, als das Gegenteil zu tun.
({19})
Nicht umsonst hat die sowjetische Seite - „Iswestija", „Prawda" und andere - darauf hingewiesen, daß sich der politische Spielraum des Westens mit dieser Entspannungspolitik erheblich verengt habe, und sie hat weiter darauf hingewiesen, daß man das, was in den 70er Jahren zu so großen Fortschritten geführt habe, in den 80er Jahren ausbauen müsse. Was kann denn damit wohl gemeint sein?
Ein Motiv Ihrer Reise war auch die Beschwichtigung der Parteilinken in Ihren eigenen Reihen. Sie mögen gegenüber Präsident Carter als ehrenwerter, seriöser und vor allen Dingen als forsch-formulierungsfähiger Partner dastehen; es wäre viel wichtiger, daß Sie diese endlose Serie antiamerikanischer Hetzreden, antiamerikanischer Propagandareden gegen die NATO, daß Sie hier diese schleichende, allmählich schon virulent-offenkundig gewordene Schürung einer antiamerikanischen Psychose
({20})
in Ihren eigenen Reihen, in Ihrer Moskau-Fraktion, die nicht nur von den Jungen dargestellt wird, endlich einmal beenden. Das wäre wichtig.
({21})
Es genügt nicht, Herr Bundeskanzler, wenn Sie in einer Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses sagen, es sei bestürzend, auf die Landkarte zu sehen und die Ausdehnung des sowjetischen Einflusses in den letzten 20 Jahren zu betrachten. Dabei gehe es nicht um die unmittelbaren Aktionen Moskaus, son-dem auch um die Einsetzung von Hilfstruppen, wie Kubaner, Vietnamesen; zu nennen sei Angola, Mozambique, das Horn von Afrika mit Äthiopien, SüdJemen, Vietnam, Kambodscha, Laos. Das haben Sie am 15. April 1980 geäußert. Ja, das brauchen Sie doch nicht im Außenpolitischen Ausschuß des Deutschen Bundestages zu sagen; wenn Sie schon nach Moskau fahren, hätten Sie es dort sagen und begründen müssen, warum wir besorgt sind.
({22})
Maßgebende Parteifreunde von Ihnen haben von dem Zorn gesprochen, den Sie gegen die Amerikaner hätten, weil Präsident Carter die Bundesregierung gezwungen habe, an den Olympischen Spielen in Moskau nicht teilzunehmen. Warum treten Sie denn dem nicht entgegen? Was ist denn geschehen bei dem Treffen der Jungsozialisten und der sogenannten Freien Demokratischen Jugend, der kommunistischen Staatsjugend, das vor kurzem hier auf dem Boden der Bundesrepublik stattgefunden hat? Was ist denn hier geschehen? Die Zeit hindert mich daran, hier die interessanten Einzelheiten zu bieten.
({23})
Dort hat man Literatur ausgetauscht; der anderen Seite hat man Anti-Strauß-Bücher gegeben, und dafür hat man SED-Propaganda-Literatur entgegengenommen. Wenn ich an die 50er und 60er Jahre denke, in denen wir wahrlich heftig miteinander gefochten haben, frage ich mich doch: Wohin ist denn diese
SPD gekommen? Wohin ist denn die politische Jugend der SPD gekommen, in der doch heute eine Sympathieabstimmung - hie Washington, dort Moskau - mit einem haushohen Sieg für Moskau ausgehen würde? Das ist doch die Wirklichkeit!
({24})
Beim Bundeskongreß der Jungsozialisten in Hannover trat eine holländische Delegation auf.
({25})
Die holländischen jungen Genossen haben eine Erklärung abgegeben, mit frenetischem, lang anhaltendem Beifall begrüßt:
({26})
Die jungen Sozialisten in der PvdA freuen sich, auf dem Kongreß der Jungsozialisten der SPD anwesend zu sein. In eurem Kampfe für die Interessen der Arbeiter und lernenden Jugend, gegen Atomkraftwerke, gegen Aufrüstung und gegen die rechtsreaktionäre Politik der SPD
- ich wiederhole es: „gegen die rechtsreaktionäre Politik der SPD" könnt ihr euch auf unsere solidarische Unterstützung verlassen. Wir sind froh, daß ihr heute nach Gorleben fahrt. Die holländischen Genossen werden mitfahren. Wir glauben, daß für unsere Verbände in der Zukunft der Kampf gegen das Wettrüsten eine der wichtigsten Aufgaben sein wird. Der Beschluß des Exekutivkomitees der Jungsozialisten der Welt ruft ihre Mitglieder auf, sich anzustrengen, die NATO sofort zu verlassen, gemeinsam zu kämpfen gegen Mittelstreckenraketen, Neutronenbombe und die NATO im allgemeinen.
Das ist der Geist, der heute bei der Parteijugend, den Jungsozialisten, vorherrscht.
({27})
Wer ihn vertritt, wird mit lautstarkem, minutenlangem, lebhaftem, frenetischem Beifall willkommen geheißen. Hier, Herr Bundeskanzler, sollten Sie einmal Mut zeigen. Hier sollten Sie antreten. Hier sollten Sie das verfechten.
({28})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leber?
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Weil es der Kollege Leber ist.
Herr Ministerpräsident, ich habe mit großem Interesse Ihren Blick über die weltpolitischen Zusammenhänge gehört
({0}) - Ich frage ja.
Ich frage Sie, Herr Ministerpräsident: Würden Sie dem Hohen Hause und der deutschen Öffentlichkeit, die hier zuhört, auch im Anschluß an das, was Sie eben dargeboten haben, noch einen Bericht über
den Zweck und die Erfolge Ihrer Reise nach Ägypten anfügen? Das würde mich sehr interessieren.
({1})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({2}): Ich wäre sehr gerne bereit, über die Erkenntnisse und Ergebnisse meiner Reisen, sowohl nach Israel wie nach Ägypten, zu berichten, aber ich fürchte, daß dieses mit dem Thema, das heute zur Diskussion steht, nicht vereinbart werden kann.
({3})
Ich bin aber gerne bereit dazu.
Ich war - wenn ich das mit einem Satz andeuten darf, Herr Kollege Leber, weil wir ja nicht auseinander sind, entgegen dem, was Sie vielleicht jetzt bei Ihrer Frage im Hintergrund gemeint haben - von Anfang an, und das hat sich bestärkt durch die Reisen nach Jerusalem und nach Kairo, ein Anhänger der Camp-David-Lösung,
({4})
weil ich, auch wenn es noch erhebliche Zeit dauern wird, bis das Ziel erreicht wird, einen anderen Weg für nicht realistisch halte. Allerdings bestehen in der Interpretation dessen, was unter Camp-DavidRahmenvertrag gemeint ist, zwischen Jerusalem und zwischen Kairo erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Zum anderen wird man wohl sowohl die Wahlen in den USA wie die Wahlen in Israel abwarten - das ist auch die ägyptische Meinung, wenn ich sie richtig verstanden habe -, bevor der nächste Schritt, der Durchbruch zum Ziele, erfolgen kann.
In meiner Gegenwart hat Präsident Sadat von „seinem Freunde Menachem Begin" gesprochen. Auch wenn er einen Standpunkt vertrete, den er nicht billigen könne, nenne er sich weiterhin seinen Freund und bezeichne ihn als seinen Freund. Er hat weiterhin erklärt: Zwischen Ägypten und Israel wird es nie mehr einen Krieg geben, aber wir werden mit allem Nachdruck darum kämpfen, daß Selbstverwaltungsrecht und volle Autonomie für dieses Gebiet gewährleistet werden. Aber - und hier stehen die beiden Standpunkte nicht unversöhnlich, jedoch noch getrennt einander gegenüber, Herr Kollege Leber - das Gebiet westlich des Jordans darf nicht Bestandteil des israelischen Staatsgebietes werden. Es darf aber auch nicht militärisches Aufmarschgebiet gegen Israel werden. Deshalb muß man einen Weg finden, bei dem Selbstverwaltung und Autonomie nicht einschließen eine Militärhoheit mit voller Bewaffnung, die sich dann gegen den westlichen Nachbarstaat richtet. So viel kann ich hier sagen. Es gibt darüber noch weitergehende Andeutungen auf beiden Seiten.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade auch Sie, Herr Kollege Brandt, haben doch durch eine Reihe von Äußerungen den Amerikanern Lektionen und Lehren erteilt. Ich habe in einer Münchner Zeitung gelesen - Zitat von Ihnen -:
Wir können doch bei allem Respekt vor dem Cowboy in Texas,
- vermutlich haben Sie Texas mit Georgia verwechselt der seine Probleme hat, nicht erwarten, daß er die Probleme des geteilten Deutschland, die Frage der menschlichen Beziehungen, die Frage Berlins, der Zufahrtswege genauso beachtet, wie wir es tun.
So der SPD-Chef in einem Interview laut „tz" vom 25. April 1980. Oder wenn ein Mitglied Ihrer Fraktion erklärt „Carter kann ruhig Präsident bleiben, sonst muß Helmut Schmidt einen neuen anlernen",
({6})
so sind alle diese Ausdrucksweisen nicht geeignet, die so oft bekundete Freundschaft etwa zu verstärken, das Vertrauen zu erhalten oder es wiederherzustellen.
({7})
Schließlich darf ich auch noch darauf hinweisen, daß die Vorgeschichte dieser Reise ihre merkwürdigen Hintergründe hat Warum ist gerade der deutsche Bundeskanzler ausgesucht worden? Etwa wegen der besonderen Wertschätzung, die die Sowjetunion der Bundesrepublik Deutschland entgegenbringt?
({8})
- Auch keine Verschwörung. Ich denke doch nicht so konspirativ, wie Sie es tun. Sie sind doch der Prototyp des Konspirateurs.
({9})
Der Bundeskanzler ist deshalb ausgesucht worden, weil man glaubte, daß die Regierung des westlichen Teils einer gespaltenen Nation, die für ernsthafte Beschlüsse auf dem Gebiet der Verteidigung ja die Unterstützung der Opposition braucht - angesichts der wachsenden Stärke des Moskau-Flügels in Ihren eigenen Reihen sind Sie dazu gar nicht in der Lage -, nicht einmal mehr die Kraft hat, unabhängig operieren zu können.
({10})
- Wie war es denn bei Ihnen mit der Türkei-Abstimmung?
({11})
Wenn wir dagegen gestimmt hätten, wäre diese wichtige Aktion im Sinne der gemeinsamen Sicherheit des Westens in diesem Hause abgelehnt worden. Sie brauchen doch unsere Unterstützung.
({12})
- Ja, wie immer. Sie sind allein richtig unterrichtet, Herr Wehner. Ich weiß das sehr zu schätzen. Sie haben dafür auch die nötige Ausbildung bekommen.
({13})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({14})
Welche Rolle hat denn die Mission des Herrn Selbmann gespielt? Welche Rolle hat denn eine Passage in der Essener und der Hamburger Rede des Herrn Bundeskanzlers gespielt?
({15})
Diese Passage war entweder ein Signal an die Adresse Moskaus - das dann aber an eine andere Frequenz verwiesen hat - oder sie war barer Unsinn bzw. reine Überflüssigkeit
({16})
Was heißt es denn, wenn der Herr Bundeskanzler in diesen beiden Reden ein Moratorium dahin gehend angeboten hat, die Westmächte und die Sowjetunion sollten für eine bestimmte Zahl von Jahren auf die Stationierung weiterer Mittelstreckenraketen verzichten? Sie haben es dann auf drei Jahre eingeschränkt, nachdem Sie in der Öffentlichkeit gestellt worden sind. Auch Ihre heftige Reaktion gegen einen Leitartikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" spricht dafür, daß Sie ein ganz schlechtes Gewissen hatten; sonst hätten Sie den Halbsatz nicht so tragisch ernst genommen. Ihn hat nicht einmal der Verfasser so ernst genommen, wie Sie das getan haben. Was heißt denn das: Sie sollten für eine bestimmte Zahl von Jahren - drei Jahre - auf die Aufstellung weiterer Mittelstreckenraketen verzichten?
Das heißt doch, daß der Westen in diesen drei Jahren auf europäischem Boden überhaupt keine Mittelstreckenraketen aufstellen kann, weil er mit ihrer Produktion jetzt erst begonnen hat Der Westen kann es also gar nicht tun. Das würde auf der anderen Seite bedeuten, daß der Osten die seinen behält - er behält sie sowieso -, daß er aber in dieser Zeit keine weiteren aufstellt.
Sie haben ja in Moskau gemerkt, daß dieses Signal mit ziemlich rüder Hand vom Tisch gefegt worden ist. Das war auch zu erwarten. Sie haben das hier auch zum Ausdruck gebracht. Aber warum haben Sie sich dann in einem Fernsehinterview in Moskau in der bekannten Weise geäußert? Die Fragestellung hieß:
Sie hatten für Ihren seinerzeitigen Vorschlag, für drei Jahre beiderseitig auf die Stationierung von Mittelstreckenraketen zu verzichten, nicht nur Kritik im eigenen Land, sondern auch aus Moskau gehört. Ist diese Kritik bei Ihren Gesprächen wiederholt worden, und, wenn ja, können Sie diese Kritik entkräften?
Antwort:
Sie ist auch von sowjetischer Seite gestern und heute wiederholt worden. Die sowjetische Seite hat gesagt, dann müßten ja nur wir etwas aufgeben, aber der Westen nicht Also warum sollen wir uns darauf einlassen? Ich
- Helmut Schmidt füge persönlich die Fußnote hinzu, daß ich das für eine zutreffende Betrachtungsweise halte, allerdings nicht erst seit gestern und heute, sondern bereits seit dem April.
Sie haben in Ihrer Essener und Hamburger Rede von einem Moratorium gesprochen, bei dem für den Westen die Produktionstermine den Ablauf zwangsweise voraussetzen und bei dem der Osten gar nicht daran denkt, in der Zwischenzeit auf die Aufstellung weiterer Mittelstreckenraketen zu verzichten.
Sie waren schon im April, als Sie das gesagt haben, so gescheit zu wissen, daß der Osten, daß Moskau darauf nicht eingehen werde. Sie sagten, Sie hätten volles Verständnis für diese Bewertung Ihres Vorschlags durch Moskau.
({17})
Herr Bundeskanzler, ist das eine staatsmännische Leistung? Sie haben in geheimnisvollen Andeutungen von dem gesprochen, was Sie der Öffentlichkeit nicht mitteilen konnten, was Sie zuerst den Verbündeten mitteilen und zur Kenntnis bringen müßten. Wir haben erwartet, daß nun im Bundestag eine sensationelle, zumindest eine aufsehenerregende, zumindest eine gewichtige Mitteilung über Ihre internen Gespräche zu diesem Gebiet erfolgen würde.
Herr Bundeskanzler, was Sie vorgeschlagen haben, das können Sie doch selbst als, wie ich annehme, Kenner der Tatsachen und Zusammenhänge nicht ernst nehmen. Wenn die Sowjetunion jetzt vorschlägt, die sogenannten - ich wiederhole diesen Begriff und bitte ebenso wie Sie um Verzeihung - forward based systems einzubeziehen, frage ich: Was sind denn diese forward based systems? - Das sind wenige Phantoms, die bei der 6. Flotte stationiert sind und im äußersten Falle das Randgebiet der Sowjetunion bei guter Wetterlage, d. h. bei Rükkenwind erreichen könnten. Das sind einige F-111, die eine Reichweite bis in die westlichen Regionen der Sowjetunion hinein haben. Ferner rechnen die Sowjets Pershing I mit einer Reichweite von 900 km dazu. Das reicht in keinem Falle, um auch nur bis an die Grenze der Sowjetunion zu kommen.
Ferner wird offensichtlich auf die Poseidon, eine U-Boot-Rakete Bezug genommen. Die Eigenart der U-Boot-Raketen ist es doch gerade, daß sie wegen ihrer geringeren Treffgenauigkeit keine Punktziele bekämpfen können und deshalb nur in einem Krieg Verwendung finden könnten, der als einzigen Sinn die totale Zerstörung haben könnte. Diese Waffen sind nur gegen area targets, gegen Flächenziele wie große Städte oder wie Industriekomplexe, anwendbar.
Hier muß aber hinzugefügt werden, daß diese Waffensysteme bereits auch im Westen zur Erhaltung des Gleichgewichts - ohne Aufstellung der SS 20 - eingerechnet worden sind und daß sich durch die Aufstellung der SS 20 die Gewichte eindeutig verschoben haben. Meine kritische Äußerung über Ihr Moratorium hängt damit zusammen - aber nicht einmal darauf sind die Russen einzugehen bereit -, daß ich meine: Angenommen, es käme zu einem Moratorium, angenommen, die Russen würden anbieten „Was wir haben, behalten wir, aber wir produzieren nicht mehr weiter, und ihr stellt ein", dann würde das bedeuten, daß der Osten 200 Raketen mit Vierfachsprengköpfen, Reichweite 5 000 km, jede mit präziser punktgenauer TreffähigMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({18})
keit, hätte und damit über eine Entfernung von 5 000 km hinweg jeden Quadratmeter des westeuropäischen Bodens erreichen und zerstören könnte.
Man stelle sich vor: 800 Ziele werden mit je einem Sprengkopf von der sechs- bis siebenfachen Wirkung der Hiroshima-Bombe angegriffen. Das wäre das Ende der europäischen Kultur, das Ende ihrer Zivilisation, das Ende der Menschheit in diesem Teil der Welt
Gerade um der Situation der Erpressung durch diese Einseitigkeit zu entgehen und die Amerikaner in einer Situation zu halten, ihre nukleare Garantie aufrechterhalten zu können, ist doch der Nachrüstungsbeschluß erfolgt. Was Sie hier anbieten, Herr Bundeskanzler - wenn Sie hier die volle Wahrheit gesagt haben, wenn Sie alles aus dem Sack gelassen haben -, sind doch Erkenntnisse, die schon vor fünf Jahren als längst sichergestelltes Informationsgut bei uns vorhanden waren. Das ist doch nichts Neues. Das ist doch nur der Versuch der Sowjetunion, ihre Mittelstreckenraketenüberlegenheit durch die Einbeziehung von Waffensystemen auf der anderen Seite, die hier gar nicht dazugehören und im gleichen Zusammenhang gar nicht genannt werden dürfen, auch in Zukunft mit westlicher Genehmigung erhalten und weiter ausbauen zu können.
({19})
Ich gebe zu, auch wenn Sie mit dem Moratorium heimgekommen wären, hätte ich gesagt: Das ist nicht annehmbar; denn 200 Raketensysteme mit 800 Sprengköpfen und auf westlicher Seite dafür nichts bei einem Stopp auf beiden Seiten - das löst das Problem nicht mehr. Aber was Sie hier heimgebracht haben, ist noch schlimmer als das, was in Ihrem Moratorium an Mißbrauch und an Gefahren enthalten war.
({20}) Lassen Sie mich zum Schluß kommen.
({21})
Mit dieser Reise sind große Erwarten verbunden worden. Sie sind dann zu kleinen Erwartungen zurückgestuft worden. Ihr Bericht heute bestätigt die Meinung, daß keine Erwartungen mit dieser Reise verbunden werden durften. Man soll hier bloß nicht mit so gängigen Formulierungen, deren Richtigkeit niemand bestreitet, die aber nur der Vernebelung der Geister und der Verwischung der Wahrheit dienen, wie dieser anfangen: Es ist besser zu reden, statt zu schießen. Wenn Sie nicht nach Moskau gegangen wären, wäre in den nächsten 100 Jahren aus dem Grunde in Europa auch nicht geschossen worden.
({22})
Sie haben in den vergangenen Monaten viel an Psychodramaturgie aufgebaut, so als ob es in Europa um Krieg oder um Frieden ginge.
({23})
Es gibt in Europa nicht mehr die Alternative „Krieg oder Frieden", es gibt in Europa nur die Alternative: Erhaltung oder totale Zerstörung aller beteiligten Mächte, ihrer biologischen, ihrer kulturellen und ihrer technischen Substanz. Keine Führung der Sowjetunion wird sich jemals auf diese Alternative einlassen. Deshalb dürfen wir uns nicht, von dieser falschen Alternative geblendet, dazu verleiten lassen, die Vorgänge an der Flanke der Europäer und an der Flanke der NATO, im Südatlantik, im Mittleren Osten, im Indischen Ozean, in Afghanistan und den stürmischen Ausbau der sowjetischen Offensivrüstung hinzunehmen, weil wir sagen: Dialog, dann ist alles in Ordnung. In Europa gibt es die Alternative „Krieg oder Frieden" nicht. In Europa geht es um etwas ganz anderes, geht es darum, die Bündnisgemeinschaft so zu erhalten, daß sie insgesamt ihre weltweite Funktion, auch wenn sie auf ihr geographisches Interessengebiet begrenzt ist, aufrechterhalten kann. Dem haben Sie einen Bärendienst erwiesen.
({24})
Bei Ihrer Reise ging es doch nicht darum, den Frieden zu erhalten oder den Frieden zu verspielen, zwischen den Großmächten als unabhängiger Schiedsrichter zu vermitteln. Auch wenn Sie größer wären: Das Spielfeld, das hier gegeben ist, können Sie mit Ihren Stiefeln nicht auslaufen, um als Schiedsrichter zu fungieren. Sie haben auch keine Lösung in der Sache herbeigeführt und konnten auch keine herbeiführen. Mit dem Begriff deutsche Sonderinteressen" wäre ich im übrigen sehr, sehr vorsichtig, denn wenn unsere amerikanischen Verbündeten an ihre Sonderinteressen denken, werden wir merken, wie wenig wir in der Lage sind, unsere Sonderinteressen überhaupt noch in minimaler Weise wahrzunehmen.
({25})
In diesem Zusammenhang darf ich auch hier in aller Öffentlichkeit und Deutlichkeit unsere Empörung, unseren Abscheu und unsere Verachtung dafür zum Ausdruck bringen, daß Sie im Wahlkampf den Begriff „Frieden" mit der SPD und unterschwellig den Begriff „Krieg" mit der CDU/CSU in Verbindung bringen.
({26})
Sie sollten schon im Interesse der minimalen Gemeinsamkeiten, die auch in einem Wahljahr erforderlich sind,
({27})
darauf verzichten, diese Inserate „Wir wollen nie wieder Krieg" aufzugeben und hier Schindluder mit dem Leid der Vergangenheit und Schindluder mit der Angst vor der Zukunft zu treiben.
({28})
Ihre Äußerungen, die Union sei nicht friedensfähig, sind eine Disqualifikation
({29})
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({30})
nur für Sie und diejenigen, die sich diesen Spruch zu eigen machen.
({31})
Alle Elemente einer auf Frieden in Freiheit gerichteten Sicherheitspolitik sind - gegen auch Ihren persönlichen Widerstand - von CDU und CSU und auch von mir persönlich als einem Mitarbeiter Konrad Adenauers in jenen Jahren erst herbeigeführt worden!
({32})
Die Sowjetunion kann als Ergebnis dieses Treffens erstens verzeichnen: Durchbrechung ihrer durch ihr brutales Verhalten in Afghanistan zustande gekommenen Isolation von der Völkergemeinschaft. Diese Isolation haben Sie - genau wie am 21. August 1969 - durchbrochen.
Sie kann zweitens ihre Afghanistan-Politik mit offener oder stillschweigender Zustimmung verschiedener Partner des Bündnisses fortsetzen.
({33})
- Ja, meine Damen und Herren, sie kann sie fortsetzen! Während wir hier heute beisammen sind, wird doch in Afghanistan laufend geschossen, noch zur Stunde, jeden Tag!
({34})
Was nützen denn verbale Erklärungen? Jeden Tag werden moderne Massenvernichtungstechniken zu Zwecken terroristischer Einschüchterung angewandt, jeden Tag - auch heute, auch gestern, auch morgen - werden Menschen ums Leben gebracht. Gerade dieses Treffen der Staatsmänner vermittelt doch das Bild, als ob der Westen Afghanistan nicht mehr ernst nehmen würde.
({35})
Wir kennen doch das Ritual: Zuerst erfolgt ein empörender Überfall, dann schreit die Welt voller Empörung auf, dann kommt der Ruf nach Sanktionen,
({36})
dann kommt die Warnung vor der Überreaktion, dann kommt der Verzicht auf die Sanktionen, dann kommt der Übergang zur Tagesordnung, und dann kommt die Entschuldigung bei Moskau dafür, daß man jemals überhaupt an so etwas gedacht hat.
({37})
Das ist doch das Ritual, wie wir es des öfteren erlebt haben!
({38})
Die Sowjetunion hat mit diesem ihrem scheinbaren Rüstungsverhandlungsangebot einen erfolgreichen Angriff gegen den Nachrüstungsbeschluß der NATO begonnen. Sie kann ihre „Entspannungspolitik" fortsetzen, als ob nichts geschehen wäre. Sie kann daraus ableiten, daß sie in der Zukunft dann, wenn die Umstände es erlauben, freie Hand für weitere Aktionen hat. Sie kann verzeichnen, daß das
Mißtrauen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland - mit der drohenden Gefahr nicht nur der Verwirrung, sondern auch der Abkoppelung gewisser Teile innerhalb der NATO - durch ihre Politik nunmehr erreicht worden ist. Hier nützen doch auch die schönen Erklärungen nichts.
Sicherlich hat sie mit der sichtbaren Hervorhebung ebenfalls eine Unterstützung für meinen Gegenkandidaten, für Sie, Herr Helmut Schmidt, im Auge gehabt. Zuerst versetzt man das Volk - Stichwort „1914" - in Kriegsangst, dann besorgt man sich eine Einladung nach Moskau, dann gibt man vor, dort den Frieden erhalten zu wollen, und dann kommt man heim, zwar mit nichts, aber mit dem Vermerk, gesprochen zu haben.
({39})
Wer glaubt, daß das keine Rolle spielt, sollte einmal das nachlesen, was bei Kissinger in seinen Memoiren über die Jahre 1968 bis 1973 auf Seite 1218 steht.
({40})
- Jawohl, Seite 1218. Sie tun sich dann leichter, wenn Sie die Fundstelle suchen. - Ich zitiere Kissinger mit zwei Sätzen:
Das einzige andere bemerkenswerte Ereignis war, daß Breschnew und Gromyko uns
- damit meint er Nixon und sich baten, dabei behilflich zu sein, daß die Ostverträge bald zur Abstimmung vor dem Bonner Bundestag kämen und ratifiziert würden. Sie wollten, daß wir Brandt halfen, die bevorstehenden Landtagswahlen zu gewinnen, als hätten wir die Möglichkeit dazu gehabt.
({41})
Es gibt auch noch andere Bekundungen dieser Art. Daß hier ein dezidiertes Interesse daran bestand, seinerzeit Herrn Brandt als Kanzler zu behalten, und jetzt daran besteht, die Bundestagswahl gegen einen Erfolg der Union vorzubeeinflussen, steht für mich - wie für jeden, der nicht blind ist - außer jedem Zweifel.
({42})
Die Sowjetunion kann eine weitere Verengung des politischen Spielraums des Westens und der Bundesrepublik Deutschland registrieren. Sie kann die Spaltung der politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls auf ihr Pluskonto verbuchen.
(Dr. Ehmke [SPD]: Sie kann sich bei Ihnen
bedanken!
Schließlich ist das sicherlich der Auftakt, ja, die Organisation eines Wallfahrerwettbewerbs der westeuropäischen Politiker nach Moskau gewesen. Auch deshalb schon hätte es nicht sein dürfen.
({43})
Ich darf zusammenfassen. - Herr Kollege Wehner, ich tue Ihnen den Gefallen, natürlich. - ErMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({44})
stens. Der Zeitpunkt der Reise war verfehlt. Was sich Helmut Schmidt ursprünglich als Ziele gesetzt hatte, ist nicht erreicht worden, ich gebe zu, konnte auch nicht erreicht werden. Kein deutscher Bundeskanzler - er mag heißen, wie er will - kann in Moskau erreichen, daß die sowjetische Afghanistan-Politik, die ihre großen historischen, säkularen und globalen Hintergründe hat, auf Grund deutscher Interventionen geändert wird. Der Hut war Ihnen zu groß. Die Stiefel, die Sie sich angezogen haben, waren zu groß. Sie sind nicht geeignet, zwischen den Großmächten zu vermitteln. Kein deutscher Kanzler kann das.
({45})
Aber aus einer Reihe von Gründen haben Sie sich als Schiedsrichter auf dieses Spielfeld begeben.
Zweitens ist festzustellen, daß Sie keine Ihrer Absichten verwirklichen konnten. Es ist auch festzustellen, daß in humanitären Fragen nur unverbindliche Erklärungen - wieder einmal, zum soundsovielten Male - erreicht worden sind.
({46})
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, im Kommuniqué Ihre Unterschrift unter die Berufung auf die Verträge von 1970 setzen, auf die KSZE-Schlußakte und auf die gemeinsame Erklärung von 1978 - Sie kennen den Text, ich brauche ihn nicht zu verlesen -, dann haben Sie damit, mit dieser Beschwörung dieser Abmachungen und Verträge - ({47}) - Ja, wenn Sie es wollen.
({48}) Es heißt in dem Vertrag von 1970:
Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken betrachten es als wichtigstes Ziel ihrer Politik, den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten .. .
({49})
... sie ... übernehmen die Verpflichtung, sich in Fragen, die ... die internationale Sicherheit berühren, ... der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt zu enthalten.
({50})
- Ja, was geschah denn in Afghanistan? Und dann unterschreiben Sie, Herr Schmidt, ein Kommuniqué, in dem die Sowjetunion sich darauf beruft, daß Text und Geist dieser Verträge eingehalten werden müssen. Dagegen haben wir ja nichts. Aber wo bleibt die Klarstellung, daß Geist und Text dieser Verträge in einem schreienden, flagranten, hohnvollen, zynischen Widerspruch zur Wirklichkeit des politischen Handelns stehen?
({51})
Ich habe viele Male auch in diesem Hause zum Ausdruck gebracht: Unsere Sorge gilt nicht dem Umstand, daß durch einen militärischen Überf all auf Europa etwa die Bundesrepublik Deutschland ihre Sicherheit, ihre Freiheit oder gar ihre kulturell-zivilisatorische Substanz verliert Ich habe oft zum Ausdruck gebracht: Unsere Sorge gilt nicht einem revolutionären Akte, der durch Überhandnehmen linksradikaler, kommunistischer, moskauorientierter Kräfte unsere Gesellschaftsordnung, ihr Freiheitsideal, ihre Rechtsordnung zerstören würde. Nein, unsere Sorge gilt einem langfristigen, über Jahrzehnte angelegten psychologisch-politischen Prozeß, in dem die Aushöhlung der NATO, die Abkoppelung der Europäer von ihrer Hauptschutzmacht, den Amerikanern, psychologisch vorbereitet und politisch unterstützt wird und sich zum Schluß in einer Erosion, in einem Kollaps des Systems bemerkbar machen wird. Das kann Jahre - das ist zu kurz -, das kann Jahrzehnte dauern.
Ich. habe nicht vergessen, daß vor allem Politiker der SPD uns im Wahlkampf 1969 Verleumdung vorgeworfen haben, wenn wir ihnen die Absicht unterstellt hatten, daß sie im Falle eines Wahlerfolges die DDR anerkennen würden. Was 20 Jahre lang unmöglich, ja undenkbar erschien, was gemeinsames Gut aller politischen Kräfte dieses Hauses war, ist nach kurzfristigen Gesprächen mit italienischen Kommunisten, mit Kontakten nach der anderen Seite hin unter brüsker - brüsker! - Beiseiteschiebung der CDU und der CSU damals in die politische Wirklichkeit umgesetzt worden.
Hier geht es nicht um Verzeihen - das tun wir - oder nicht, hier geht es um Vergessen oder nicht Nur ein Tor könnte vergessen, was in dem Jahr 1949 gemeinsam gelobt und im Jahre 1969 einseitig aufgegeben worden ist
({52})
Erstens. Die Sowjetunion hat einen Prozeß in Gang gesetzt, dessen erstes Ziel es ist, den Nachrüstungsbeschluß der NATO zu Fall zu bringen - aus Gründen, die wir alle kennen oder kennen sollten.
Zweitens. Die Sowjetunion hat das Ziel, damit mittelfristig die Sicherheitsinteressen der Westeuropäer von denen der Amerikaner aus technischen, militärischen und strategischen Gründen abzukoppeln.
Ihre Politik hat drittens das Ziel, selbst bei Aufrechterhaltung der Formalitäten eines Bündnisses dieses Bündnis seiner Wirksamkeit zu entkleiden und den Prozeß der psychologischen und politischen Neutralisierung Westeuropas einzuleiten. Durch innere Aushöhlung sind schon mehr Bündnisse zugrunde gegangen als durch äußere Aufhebung. Das ist die Sorge, die wir uns auch heute über den Zustand der NATO, über die Zukunft der westlichen Gemeinschaft und über die Möglichkeit, Frieden und Freiheit zu erhalten, machen. Sie, Herr Bundeskanzler, sollten sich ein Zitat Bismarcks an die Wand schreiben:
Über die Fehler, welche in der auswärtigen Politik begangen werden, wird sich die öffentliche Meinung in der Regel erst klar, wenn sie auf die Geschichte eines Menschenalters zurückzublicken imstande ist Es mag 50 Jahre dauern, bis politische Mißgriffe offenkundig werden und ihre letzten Konsequenzen tragen. Aber schließlich legt die Geschichte die Rechnung
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({53})
für jeden Fehler vor. Sie ist dabei peinlicher als unsere preußische Oberrechnungskammer. Dann erst wird man in der Öffentlichkeit den Bruchpunkt sehen, von dem das Unheil seinen Ausgang nahm.
({54})
Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, Herr Bundeskanzler, diesen Bruchpunkt aufzuheben und die Weichen in der Richtung unserer gemeinsamen Vergangenheit und der Notwendigkeiten einer gemeinsamen Zukunft zu stellen. Das ist leider aus kurzsichtigen, aus sehr opportunistischen und auf den Wahlkampf abgestellten Gründen unterblieben. Darum: gezählt und gewogen, aber in Moskau als zu leicht befunden!
({55})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Thema unserer heutigen Aussprache ist die Regierungserklärung zum Treffen der sieben Staats- und Regierungschefs in Venedig und zu den Gesprächen des Bundeskanzlers und des Bundesministers des Auswärtigen in Moskau. Ich will es mir versagen, auf die Polemik des Herrn Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern einzugehen.
({0})
Aber ich würde Sie bitten, Herr Ministerpräsident, dann, wenn Sie Gelegenheit nehmen, noch einmal ans Rednerpult zu gehen, uns wenigstens zu sagen, welche unserer Partner im westlichen Bündnis Sie gemeint haben, als Sie sagten, die Sowjetunion könnte auf deren stillschweigende oder offene Zustimmung für die Intervention in Afghanistan rechnen.
({1}) Hier darf nichts im Zwielicht bleiben.
Meine Damen und Herren, das Thema muß eine Bewertung der Ergebnisse der Zusammenkunft in Venedig, der Ergebnisse des Besuchs in Moskau und der Beiträge der Bundesrepublik Deutschland zur Sicherung des Gleichgewichts in Europa, zur Konfliktlösung überall in der Welt, zur Verstärkung der Bindungen im geteilten Deutschland und zur Überwindung der schwerwiegenden Krise in Afghanistan, die in der weiter andauernden Besetzung des Landes durch sowjetische Truppen besteht, sein. Dazu reicht es nicht aus, Kritik an der Bundesregierung zu üben, und es reicht auch nicht aus, in bezug auf Afghanistan zu sagen, das Bündnis müsse einig sein und die CDU regieren, dann wären die Russen nicht in Afghanistan einmarschiert.
({2})
Das ist eine unzulässige Verharmlosung der Herausforderung, vor der der Westen und die Völker der Dritten Welt stehen.
Der Bundeskanzler hat über den Besuch in Moskau berichtet, der nach gründlichsten Vorbereitungen mit allen unseren Partnern durchgeführt wurde. Ich hatte gestern Gelegenheit, in Paris den französischen Außenminister und danach den amerikanischen Präsidenten und die amerikanische Regierung zu unterrichten. Es kam uns darauf an, die französische Regierung ebenso schnell und umfassend zu informieren, wie sie es nach der Begegnung des französischen Staatspräsidenten mit der sowjetischen Führung in Warschau getan hatte, und es ging uns darum, der amerikanischen Regierung unmittelbar die Antworten auf Fragen zu übermitteln, um deren Klärung der amerikanische Präsident den Bundeskanzler gebeten hatte. Schon daraus wird deutlich, daß die amerikanische Regierung nicht gegen den Besuch in Moskau war, sondern daß sie sich selbst einen Nutzen von der Durchführung dieses Besuches versprochen hat
({3})
Der amerikanische Präsident hat am Abschluß des gestrigen Gesprächs festgestellt, die amerikanische Nation habe die Reise nach Moskau mit großem Interesse verfolgt Wie er, der amerikanische Präsident, schon in Venedig vorher erklärt habe, sei dieser Besuch in Moskau ein guter und ein konstruktiver Schritt Angesichts dieser Erklärung ist es unhaltbar zu behaupten, die Bundesregierung habe einen Alleingang gegen den Willen oder gegen das Mißtrauen ihrer Partner durchgeführt.
({4})
Der amerikanische Präsident hat dann hinzugefügt, der Bundeskanzlerhabe in Moskau nicht nur die Sache der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die Sache der Vereinigten Staaten und die Sache der anderen Alliierten hervorragend vertreten. Er, der Präsident, schätze die Festigkeit und Klarheit der in Moskau eingenommenen Haltung hoch ein, er drücke dafür seine Bewunderung und Anerkennung aus.
({5})
Wir waren uns mit der amerikanischen Regierung darin einig, daß die sowjetische Reaktion auf den Verhandlungsvorschlag des westlichen Bündnisses über nukleare Mittelstreckensysteme in Europa in der Allianz sorgfältig und in konstruktivem Geist geprüft werden müsse. Damit wird deutlich, daß sich weder die Bundesregierung noch die amerikanische Regierung zu dem vorschnellen und voreiligen Urteil verleiten lassen, dieser sowjetische Vorschlag habe das Ziel, den Nachrüstungsbeschluß der NATO zu unterminieren. Im Gegenteil zeigt sich hier, daß sich die Festigkeit der Haltung, die die Bundesregierung von Anfang an eingenommen hat, nämlich für den Nachrüstungsbeschluß und ebenfalls mit Nachdruck für Verhandlungen einzutreten, auszahlt, indem sich jetzt die andere Seite zu Verhandlungen bereitfindet.
Deshalb ist es notwendig, sachlich, sorgfältig und konstruktiv zu prüfen, welche Möglichkeiten sich
aus dieser sowjetischen Reaktion auf unsere Vorschläge für die Rüstungskontrolle in Europa ergeben. Wir haben von Anfang an beides ernst gemeint, Nachrüstung und Verhandlungen. Auch die Verhandlungen sind für uns gleichwertiger Bestandteil des gemeinsamen Beschlusses des Bündnisses.
({6})
Das Interesse unserer westlichen Partner an dem Ergebnis dieser Reise wird auch darin deutlich, daß heute nachmittag, innerhalb von 24 Stunden einberufen, auf Anregung des Herrn Außenministers Thorn in Luxemburg eine Zusammenkunft der europäischen Außenminister stattfindet.
Ich möchte besonders hervorheben, daß sich die politische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft und Japan - das ist in Venedig sowohl beim Europäischen Rat wie bei der Siebenerkonferenz deutlich geworden - in letzter Zeit in einer erfreulichen Weise weiter vertieft hat. Der dichte Rhythmus der Konsultation mit unseren Verbündeten und unseren Partnern spiegelt das Maß der gemeinsamen Interessen und die Entschlossenheit gemeinsamen Handelns der westlichen Staatengemeinschaft wider.
Der Bundeskanzler hat in Moskau außer den Fragen, um deren Aufwerfung der amerikanische Präsident ihn gebeten hatte, auch einem Wunsch der Außenminister der ASEAN-Staaten entsprochen, die nämlich in der vergangenen Woche in Kuala Lumpur zu einer Konferenz zusammengetreten waren und die den Bundeskanzler gebeten hatten, die große Sorge dieser Staatengruppe über die kritische Lage an der kambodschanisch-thailändischen Grenze und in Kambodscha selbst vorzutragen.
Sie können damit erkennen, meine Damen und Herren, daß diese Reise in ihrer Bedeutung, in ihren Möglichkeiten, in ihrem Nutzen nicht nur von der eigenen Regierung, nicht nur von den Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im westlichen Bündnis gesehen wurde, sondern daß ebenfalls eine so wichtige und uns politisch so sehr verbundene Staatengruppe wie die ASEAN-Staaten Wert darauf legte, daß wir diese Reise nutzen, um ihre Sorgen und Probleme der sowjetischen Führung nahezubringen.
({7})
Ich denke, daß deshalb eine objektive Bewertung der Reise und ihrer Ergebnisse angebracht wäre.
Ich glaube auch, es wäre angemessen gewesen, daß sich die Vertreter der Opposition zu der Rede äußern, die der Bundeskanzler in Moskau gehalten hat. Ich hoffe, daß das in der Debatte noch geschehen wird. Es ist eine Rede, die in umfassendem Sinne nicht nur die Position der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die Position unserer westlichen Partner zum Ausdruck gebracht hat, eine Rede, deren Gedanken und Vorstellungen in den vertraulichen Gesprächen vertieft worden sind. Es wäre ein wesentlicher Schritt für ein sachliches Gespräch im Deutschen Bundestag, wenn die Opposition hier sagen würde, ob es in dieser Rede des Bundeskanzlers, die er in Moskau gehalten hat, Punkte gibt, mit denen sie einverstanden ist, und ob es Punkte gibt, mit denen sie nicht einverstanden ist.
({8})
Dann wollen wir daran den Besuch messen. Das kann dann Grundlage einer konstruktiven Debatte werden, die mehr ist als nur polemische Kritik im Vorfeld eines Wahlkampfes.
({9})
Meine Damen und Herren, wir betrachten diesen Besuch in Moskau als notwendig und nützlich. Er war notwendig, weil es die Entwicklung der internationalen Lage gebietet, auf das Handeln der Weltmacht, von der diese Entwicklung wesentlich abhängt, auch durch das direkte Gespräch Einfluß zu nehmen. Ich habe mit großem Interesse und Befriedigung festgestellt, daß der neue amerikanische Außenminister unmittelbar nach seiner Amtseinführung seine Anwesenheit in Wien dazu genutzt hat, ebenfalls mit Herrn Gromyko zusammenzutreffen und ihm dort die gemeinsamen Positionen des Bündnisses vorzutragen, und das doch wahrlich nicht in der Absicht, die sowjetische Intervention in Afghanistan zu verharmlosen, sondern um die Auffassungen des westlichen Bündnisses mit Klarheit und Offenheit zum Ausdruck zu bringen.
Das gleiche gilt für die Begegnung des französischen Präsidenten mit der sowjetischen Führung.
Nützlich war der Besuch und konnte er sein, weil wir auf der festen Basis sorgfältig abgestimmter Positionen des Westens reden und handeln konnten.
Das westliche Bündnis hat nach den Treffen der Neun und der Sieben in Venedig seine Konzeption in Ankara bei der Tagung der NATO-Außenminister in großer Ausführlichkeit und Deutlichkeit dargelegt Ich möchte hier die Ausführungen des Ministerrats zu Afghanistan, zu den Fragen der Rüstungskontrolle und der Abrüstung, hier besonders zu den Mittelstreckenwaffen, und schließlich zu dem bevorstehenden KSZE-Folgetreffen in Madrid sowie zu Deutschland und Berlin hervorheben. Die Minister des Bündnisses haben in Ankara ihre Bereitschaft wiederholt, für eine Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses zu arbeiten und die Gesprächskontakte zwischen Ost und West aufrechtzuerhalten, um ihre Auffassungen klarzumachen, um Mißverständnisse zu vermeiden, um eine Lösung der derzeitigen Krise zu erleichtern und die konstruktive Zusammenarbeit zu fördern, soweit die Umstände das erlauben. Das ist der Originaltext des gemeinsamen Kommuniqués der NATO. Nach diesen Zielen, die wir dort gemeinsam mit unseren Verbündeten formuliert haben, haben wir in Moskau gehandelt. Das bedeutet: Wir haben in Übereinstimmung mit ihnen gehandelt.
({10})
Die sowjetische Führung war sich angesichts der klaren, festen und für die sowjetische Führung wie für alle anderen Staaten der Welt berechenbaren Haltung der Bundesrepublik Deutschland bewußt, daß wir wahrlich nicht nach Moskau kommen würden, um uns vom Bündnis trennen zu lassen. Wir fanden dort unsere Auffassung bestätigt, daß die So18608
wjetunion aus eigenem Interesse den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika entscheidende Bedeutung für die künftige Entwicklung in der Welt beimißt.
Man sucht in Moskau - zu Unrecht, wie wir wissen; wir haben uns bemüht, hier aufklärend zu wirken - die Verantwortung für die Verschlechterung der Beziehungen in Washington; man erwartet deshalb auch die Initiative zu einer Verbesserung von Washington. Wir haben tiefe Bitterkeit über die Störungen der Beziehungen der Sowjetunion zur anderen Weltmacht gespürt Dabei fällt es den Verantwortlichen in Moskau noch schwer, das als Folge eigenen, sowjetischen Verhaltens zu begreifen. Hier ist es notwendig, diesen Vorgang der Einsicht in die Wirkungen sowjetischen Verhaltens auf das Ost-West-Verhältnis durch klare Sprache in Moskau und auch durch den unmittelbaren und persönlichen Kontakt zu stärken.
Unsere Gesprächspartner haben sich davon überzeugen können, daß die westliche Einheit in all den Fragen, die uns bewegen, unerschütterlich ist. Der Verlauf des Besuchs hat gezeigt, daß man auf unsere Stimme Wert legt, weil man weiß, daß diese Bundesrepublik Deutschland im westlichen Bündnis, wie alle Entscheidungen in der ganzen Zeit unserer Mitgliedschaft im Bündnis zeigen, ein fester und berechenbarer Faktor westlicher Solidarität, westlicher Verteidigungsentschlossenheit und westlicher Verhandlungsbereitschaft ist.
({11})
In der Afghanistanfrage hat die Sowjetunion erwartungsgemäß keine Änderung ihrer Haltung zu erkennen gegeben. Ich denke, es war nicht redlich, dem Bundeskanzler zu unterstellen, daß er hier etwas anderes gesagt habe oder daß er den Rückzug der sowjetischen Truppen, der angekündigt wurde, als Fortschritt begrüßt habe.
({12})
Vielleicht darf ich doch aus der Rede zitieren, die er soeben hier gehalten hat:
Wir haben dies
- nämlich den Abzug von Truppen als einen Schritt bezeichnet, der dann in die richtige Richtung geht, wenn ein solcher Rückzug der Beginn einer kontinuierlichen Bewegung ist, die bis zum vollständigen Abzug fortgesetzt wird.
Das ist doch die Forderung: Die Frage durch vollständigen Abzug zu lösen!
({13}) Wir haben vorgetragen,
- hat der Bundeskanzler hinzugefügt daß man über einen zeitlichen Fahrplan für eine politische Lösung nachdenken müsse.
Es gibt keinen Zweifel in der westlichen Position: Wir werden uns mit vollendeten Tatsachen nicht abfinden; es wird keine Gewöhnung an Afghanistan geben.
Wir haben in Moskau die Bemühungen der Nachbarstaaten Afghanistans, d. h. des Irans und Pakistans, deren Außenminister sich in der von der Islamischen Konferenz in Islamabad zusammen mit dem Generalsekretär dieser Konferenz eingesetzten Kommission um Lösungsansätze bemühen, nachdrücklich unterstützt. Eine beständige Fortsetzung dieser Bemühungen wird nach unserem Eindruck sehr wohl Wirkung zeigen können.
Es bestätigt sich in der Haltung der Islamischen Konferenz, daß der Konflikt, der durch die sowjetische Besetzung Afghanistans offenbar wird, eben nicht nur ein West-Ost-Problem, sondern in ganz erheblichem Maße ein Ost-Süd-Problem darstellt. Deshalb ist es so notwendig, daß wir unsere Haltung zu den Zielen und Vorstellungen der Islamischen Konferenz hier unmißverständlich, unterstützend deutlich machen.
In der Frage der Mittelstreckenwaffen hat das NATO-Kommuniqué von Ankara die Sowjetunion noch einmal aufgefordert, über die amerikanischen Angebote unverzüglich und positiv zu verhandeln und vor der Ratifizierung von SALT II mit einem vorbereitenden Meinungsaustausch ohne jede Vorbedingung zu beginnen. Die Reaktion der sowjetischen Führung auf diese Verhandlungsvorschläge des Westens, die Reaktion, die der Bundeskanzler hier dargelegt hat, zeigt, daß dieser Appell eine auch öffentliche und politische Wirkung hat, auf die die Sowjetunion glaubte eingehen zu müssen. Deshalb werden wir diese Reaktion - zusammen mit allen Partnern im westlichen Bündnis - sorgfältig und in konstruktivem Geist prüfen.
({14})
Meine Damen und Herren, es liegt in der Logik der westlichen Politik, auf der einen Seite das für die eigene Sicherheit und Verteidigung Notwendige zu tun und auf der anderen Seite keine Chance zu versäumen, durch Verhandlungen zu einem Gleichgewicht auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstungen zu kommen. Besondere Bedeutung wird gerade nach Afghanistan den Bemühungen zukommen, militärisch bedeutsame vertrauensbildende Maßnahmen zu entwickeln, die auf dem ganzen europäischen Kontinent Anwendung finden. „Auf dem ganzen europäischen Kontinent" bedeutet: einschließlich des europäischen Teils der Sowjetunion.
Hier haben wir - zusammen mit unseren Bündnispartnern - in Ankara zum Ausdruck gebracht, daß der geographische Geltungsbereich der Maßnahmen für uns eine zentrale Bedeutung für die Einsetzung dieser europäischen Abrüstungskonferenz anläßlich des Treffens in Madrid hat. Diesem Konzept liegt die Erkenntnis zugrunde, daß Erfolge bei Rüstungsbegrenzung und Abrüstung Vertrauen voraussetzen, daß also Transparenz und Berechenbarkeit der Militärpotentiale beider Seiten die Grundlage sind, auf der erfolgreiche Rüstungskontrollverhandlungen erst möglich werden. Der auf ganz Europa bezogene Anwendungsbereich ist notwendig, wenn diese Rüstungskontrollverhandlungen ihr Ziel erreichen sollen, nämlich die Herstellung militärischer Stabilität in Europa, d. h. die HerBundesminister Genscher
stellung eines Zustandes, bei dem keine Seite Furcht vor der Möglichkeit eines Überraschungsangriffs zu haben braucht. Das ist doch nach Afghanistan noch dringlicher geworden!
Wir sind uns bewußt, daß es noch großer Anstrengungen bedürfen wird, um diesen Anwendungsbereich durchzusetzen. Aber die Sowjetunion, der wir unsere Vorstellungen in Moskau dargelegt haben,
({15})
könnte ein positives Zeichen setzen, wenn sie einer Einigung in dieser wichtigen Frage nicht entgegenstehen würde.
({16})
Meine Damen und Herren, hier ist es notwendig, daß der - wie ich hoffe: ganze - Deutsche Bundestag die Bundesregierung bei einem solchen konstruktiven Vorschlag zur Vertrauensbildung und damit für mehr Sicherheit im hochgerüsteten Europa unterstützt
({17})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Marx?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, da dieses Haus die Regierung sicher unterstützt, wenn konstruktive Vorschläge gemacht werden, ist die Voraussetzung dafür aber, daß Sie uns die Antwort von Herrn Breschnew auf diese Vorschläge hier auch mitteilen.
Herr Kollege Marx, ich habe Ihnen erklärt, daß die Bundesregierung die Auffassung des Bündnisses, so wie das in Ankara veröffentlicht worden ist, dargelegt hat Die Tatsache, daß ich die Möglichkeit einer Einigung nicht ausgeschlossen habe, mag Ihnen auf der einen Seite zeigen, daß es nicht zu einem endgültigen Ergebnis gekommen ist, daß ich aber auf der anderen Seite das Zustandekommen einer europäischen Abrüstungskonferenz mit diesem Geltungsbereich vertrauensbildender Maßnahmen nicht ausschließe. Nur: Wir werden das nur dann erreichen, wenn wir die kommenden Monate für bilaterale Konsultationen auch mit den osteuropäischen Staaten nutzen, um auf diese Weise die Madrider Konferenz vorzubereiten. Ich bitte, es dann nicht als eine stillschweigende Duldung der Intervention in Afghanistan auszulegen, wenn es weitere Zusammentreffen mit anderen politischen Verantwortlichen Osteuropas geben wird.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Marx?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, würden Sie uns dann mehr als diese Andeutung machen, auf was sich Ihre Vermutung gründet, daß es weitergehen kann, daß die sowjetische Seite positiv auf die Vorschläge eingeht?
Auch wenn hier heute ein Briefwechsel verlesen worden ist, den die Bundesregierung nicht veröffentlicht hat, möchte ich den vertraulichen Charakter von Gesprächen durch Wiedergabe der Haltung der anderen Seite nicht brechen. Aber ich bin gern bereit, Herr Abgeordneter, Ihre Frage im Auswärtigen Ausschuß zu beantworten.
({0})
- Herr Abgeordneter, auch wenn die Parlamentsarbeit zu Ende geht, werden wir sicher eine Möglichkeit einer sachlichen Unterrichtung über diesen Teil der Gespräche finden können.
Meine Damen und Herren, das Bündnis hat in Ankara seine Haltung in der Deutschland- und BerlinFrage erneut bekräftigt und die ruhige Lage in Berlin sowie den Abschluß der innerdeutschen Vereinbarungen vom 30. April 1980 gewürdigt Diese Erklärung unserer Verbündeten ist gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt besonders wertvoll. Sie beweist nämlich den gemeinsamen Standort der Bundesrepublik Deutschland, der Drei Mächte und der übrigen Verbündeten zu unseren nationalen Anliegen, und sie unterstreicht damit, daß unsere nationalen Interessen nicht in Widerspruch stehen zu unserer Mitgliedschaft im westlichen Bündnis, sondern daß hier eine Interessenparallelität vorhanden ist Das, meine Damen und Herren, sollte für uns eine wichtige Ermutigung sein, in unserer Vertragspolitik weiterzugehen.
Ich denke, die Tatsache, daß unsere Partner den Grundlagenvertrag mit der DDR als einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lage in Europa gewürdigt haben, sollte auch manchem Kritiker dieses Grundlagenvertrages bei uns Anlaß sein, seine Meinung zu dieser Frage noch einmal zu überdenken.
Wir sind uns alle bewußt, daß eine Friedensstrategie für die 80er Jahre sich nicht darauf beschränken darf, den Frieden nur im Ost-West-Bereich zu sichern. Friedenspolitik in unserer Welt bedeutet, darauf hinzuwirken, daß Konflikte in der Dritten Welt friedlich gelöst werden können. Friedenspolitik bedeutet heute, auch mit aller Kraft dazu beizutragen, daß wir Hunger und Not in der Dritten Welt überwinden und daß wir den Entwicklungsländern Hilfe bei der Herbeiführung ihrer Stabilität und menschenwürdiger Lebensverhältnisse geben.
({1})
Und Friedenspolitik bedeutet schließlich auch, daß das, was wir tun können, geschieht, um den WestOst-Konflikt aus der Dritten Welt herauszuhalten.
({2})
Hier greifen West-Ost-Politik und Nord-Süd-Politik ineinander. Es ist entscheidend für die weitere
Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses, daß Grundsätze der Entspannung in allen Regionen der Welt Anwendung finden, und das heißt, daß das Prinzip der Unteilbarkeit der Entspannung verwirklicht wird. Daß dies gelingt, ist jedoch umgekehrt zugleich die Voraussetzung dafür, daß eine eigenständige Entwicklung der Dritten Welt in Frieden und Stabilität möglich ist. Von außen geschürte und genährte, künstlich auf die Dritte Welt übertragene Konflikte sind ein entscheidendes Hindernis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in diesen Ländern.
Unsere Dritte-Welt-Politik hat als Grundlage die Achtung und Unterstützung der Unabhängigkeit und der Selbstbestimmung der Länder der Dritten Welt. Wir wollen keine Einflußzonen errichten. Wir wollen in die Dritte Welt nicht unsere eigenen wirtschaftlichen und politischen Ordnungsvorstellungen exportieren. Wir wollen ein Verhältnis gleichberechtigter Partnerschaft mit den Staaten der Dritten Welt herstellen
({3})
und respektieren, daß sie ihre eigene Ordnung nach ihren Vorstellungen gestalten. Dabei wissen wir, daß allein dieser Politik die Zukunft gehört
Meine Damen und Herren, während politisches und ideologisches Vorherrschaftsstreben zunehmend in Gegensatz zu den Interessen der Dritten Welt gerät, erwachsen uns aus unserem Bekenntnis zur Unabhängigkeit und Pluralität neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit
Das gilt auch für das Verhältnis des Westens zu den blockfreien Staaten, ein Verhältnis, das eine neue und positive Entwicklungsstufe erreicht hat Dieses Verhältnis war bis in die 70er Jahre hinein durch den Entkolonisierungsprozeß belastet Es wäre weiter belastet, wenn wir Ratschlägen folgten, die man gelegentlich auch hier über unser Verhältnis zu bestimmten Gruppierungen und Staaten in der Dritten Welt, vor allen Dingen in Afrika, hört
({4})
Der Prozeß der Entkolonisierung ist weitgehend abgeschlossen. Im Vordergrund steht für die Länder der Dritten Welt heute ihr Ziel, ihre Unabhängigkeit zu behaupten, ihre politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung in den internationalen Beziehungen zu verwirklichen. Dieses Ziel können wir aus guten Gründen, aus Überzeugung und nicht Opportunismus bejahen, weil es unseren eigenen Überzeugungen und Idealen entspricht Deshalb stehen wir hier auf der Seite des Fortschritts. Diese Politik ist ein Teil auch unserer Strategie weltweiter Friedenssicherung.
Letztlich können Weltfrieden, Frieden und wirtschaftlicher Wohlstand für das eigene Land nur gesichert werden, wenn es gelingt, für alle Staaten eine Ordnung gleichberechtigter Zusammenarbeit aufzubauen. Die Sowjetunion wird sich fragen müssen, ob nicht, langfristig betrachtet, für sie die Teilnahme an einer solchen Politik gleichberechtigter Zusammenarbeit auch mehr Vorteile bringt als ihr gegenwärtiges Verhalten in der Dritten Welt,
({5})
wie es z. B. in der Intervention in Afghanistan zum Ausdruck kommt
Heute ist entscheidend für eine Menschheit, die bis zum Jahre 2 000 auf 6 Milliarden Menschen anwachsen wird, Nahrung und Arbeitsplätze zu schaffen, bruchlos den Übergang vom Zeitalter des Öls in ein Zeitalter anderer, zum Teil neuartiger Energieformen zu bewältigen und nicht zuletzt die ökologischen Lebensbedingungen auf unserem klein gewordenen Planeten zu bewahren. Das ist eine gewaltige Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wir werden in unserem politischen Verhalten auch daran gemessen werden, ob wir hier unseren Beitrag zur Stabilität, zum sozialen Fortschritt und zur Gerechtigkeit in der Dritten Welt leisten.
Deshalb muß eine solche Aussprache, die sich mit schwerwiegenden Problemen unserer Zeit, mit großen Herausforderungen befaßt, auch Antwort darauf geben, wie jeder einzelne von uns zu diesen Herausforderungen steht, welchen Beitrag nach Auffassung der verschiedenen Seiten dieses Hauses die Bundesrepublik Deutschland leisten kann zu einer Friedensstrategie, die darauf beruht, daß wir hier in Europa als Partner der Europäischen Gemeinschaft unseren Beitrag zur Stabilität des demokratischen und freiheitlichen Westeuropa leisten, daß wir unseren Beitrag leisten im westlichen Bündnis für unsere Sicherheit, aber auch für den Abbau von Spannungen zwischen West und Ost, daß wir unseren Beitrag leisten zur Sicherheit, zur Stabilität, zur Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt, die gerade angesichts eines Vorgangs wie der Intervention in Afghanistan mit Erwartung auf die Haltung, die Entschlossenheit und die Einigkeit des westlichen Bündnisses sehen.
({6})
Dazu ist mehr notwendig als nur Verdächtigung und Polemik.
Der Besuch des Bundeskanzlers in Moskau, unsere Reise dorthin, ist verschiedenen Maßstäben unterworfen worden. Nichts wäre selbstgerechter, als wenn die Bundesregierung für die Bewertung des Versuches einen von ihr selbst gesetzten Maßstab anwenden würde.
Herr Kollege Kohl hat in einem Interview mit der „Bild-Zeitung" am 14. Juni 1980 das folgende erklärt:
Maßstab einer solchen Reise ist, daß dabei etwas für den Frieden herauskommt Unsere wesentlichen Forderungen sind:
1. Der Bundeskanzler muß nachdrücklich den Rückzug der Sowjets aus Afghanistan verlangen.
Ich glaube, wer die Tischrede des Bundeskanzlers gelesen hat, wird ihm bestätigen müssen, daß Punkt 1 dieser Forderungen mindestens erfüllt ist.
({7})
2. Die Zahlen bei der Familienzusammenführung sind stark rückläufig. Die Sowjetunion muß wieder mehr Menschen zu ihren Verwandten in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen lassen.
Eine Forderung, die wir uns in vollem Umfange zu eigen gemacht haben. Nun wollen wir die Entwicklung der nächsten Monate abwarten, ob diese Forderung in Moskau mit Erfolg hat vertreten werden können.
({8})
3. Die Sowjetunion muß bereit sein, über ihre Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen zu reden und ihr bisheriges Nein zu den Verhandlungsvorschlägen der NATO aufzugeben.
Also bitte, dann nehmen wir doch jetzt den Vorschlag der anderen Seite, ihre Reaktion auf und prüfen in konstruktiver Weise, ob das eine Antwort ist, wie sie hier verlangt wird, oder nicht
({9})
4. Die Sowjetunion muß bei den Wiener Verhandlungen ihren Widerstand gegen den Truppenabbau in Europa aufgeben.
Der Bundeskanzler hat mitgeteilt, daß die Sowjets für die Wiener Verhandlungen einen neuen Vorschlag angekündigt haben. Wollen wir ihn dann auch bitte gemeinsam bewerten.
Ich denke, daß sich das Ergebnis der Reise, gemessen an diesen Forderungen, sehen lassen kann.
({10})
Wir haben mit Befriedigung festgestellt, daß die öffentliche Meinung der Welt die in der Rede des Bundeskanzlers abgegebenen Erklärungen durchweg positiv aufgenommen hat Wir haben mit Befriedigung festgestellt, daß der amerikanische Präsident, das Staatsoberhaupt unseres wichtigsten Verbündeten, unsere Reise und ihre Ergebnisse positiv beurteilt hat. Wir stellen uns heute in dieser Aussprache mit Zuversicht dem Urteil des Deutschen Bundestages und der deutschen Öffentlichkeit
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Moskau-Reise des Bundeskanzlers wurde vom bayerischen Ministerpräsidenten in einer gründlichen Rede ausführlich gewürdigt.
({0})
Ich habe nicht die Absicht, auf ihre Einzelheiten
nochmals einzugehen; denn das würde von dem bescheidenen Ergebnis dieser Reise doch zuviel Aufhebens machen.
({1})
Ich möchte diese Reise vielmehr in den Zusammenhang der Probleme der deutschen Außenpolitik stellen und mich dem wichtigsten Teil der ungelösten Probleme dieser unserer Politik zuwenden. Die grundsätzlichen Probleme bleiben unverändert Die zwischen dem Westen und der Sowjetunion, zwischen Deutschland und der Sowjetunion offenen Fragen blieben, wie zu erwarten, ungelöst
Wenn ich die Ziele der deutschen Außenpolitik betrachte, so sollten wir uns, glaube ich, in diesem Hause einig sein: So wichtig viele andere Ziele sein mögen: die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes, die Einigung Europas oder die uns noch lange belastenden Probleme der Entwicklungspolitik, das wichtigste, bedeutsamste, erste Ziel der deutschen Außenpolitik ist, dafür zu sorgen, daß wir in der Bundesrepublik einschließlich Berlin weiterhin in Sicherheit, Freiheit und Frieden leben können.
({2})
Um das zu sichern, ist die Bundesrepublik Deutschland vor 25 Jahren dem Atlantischen Bündnis beigetreten, das dafür zu sorgen hat, daß die russische Dampfwalze, die Osteuropa, das östliche Mitteleuropa und unser Vaterland, soweit es östlich der Elbe liegt, überrollt hat, aufgehalten wird und nicht wieder zu rollen anfängt
({3})
Dieser Friedensbeitrag des Eintritts in die NATO und der Aufstellung unserer Bundeswehr ist gegen die Stimmen der Sozialdemokraten erfolgt, ist erfolgt auf Grund der auch heute noch bestehenden Erkenntnis, daß unsere Sicherheit in erster Linie durch Verteidigungsbereitschaft in einem umfassenden Bündnis sichergestellt ist.
Seit 1967, seit dem Signal von Reykjavik, hat das westliche Bündnis und hat die Bundesregierung auch die Entspannung als eine Möglichkeit der Sicherung unserer Existenz in ihr Programm aufgenommen. Niemand in diesem Hause bestreitet, daß Entspannung als Zwischenziel auf dem Weg zu einem Frieden, der ein Werk der Gerechtigkeit sein muß, bejaht wird und richtig ist
({4})
Aber Entspannung heißt doch, wie oft genug in diesem Hause von der CDU/CSU erklärt wurde, Spannungsmomente abbauen, darunter auch das Spannungsmoment - nicht das wichtigste Spannungsmoment - der Rüstung. Aber es heißt natürlich nicht, daß man bereits davon ausgeht, Entspannung sei eingetreten.
Im übrigen ist eine nach Osten gerichtete Friedenspolitik nicht erst im Jahre 1969 begonnen worden, sondern schon von Konrad Adenauer mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion, fortgesetzt von Ludwig Erhard in der bekannten Friedensnote, die realisiert zu werden begann unter Kurt Georg Kiesinger, dem man leider
nicht die Gelegenheit gab, in Ruhe diese Politik fortzuführen,
({5})
denn in den letzten 11 Jahren hat man sie ja überhastet.
Statt Schritt für Schritt vorwärts zu gehen, Leistung gegen Leistung zu setzen, sich an den römischen Grundsatz des do ut des zu halten - ich gebe nur etwas, wenn mir etwas gegeben wird -, hat man die Politik auf Illusionen aufgebaut und getan, als sei das Ziel der Entspannung schon erreicht
({6})
Statt sich an Fakten zu orientieren - wie der Rüstung der Sowjetunion -, hat man sich von Stimmungen treiben lassen. Man hat eine wünschenswerte Zukunft für wirkliche Gegenwart gehalten, Ziele zu Tatsachen erklärt, Hoffnungen als Wirklichkeit ausgegeben und Illusionen für Realitäten gehalten.
Dann ist man durch Kabul endlich aufgewacht und hat gesehen, daß man sich in einem Wolkenkuckucksheim bewegt, und nun will man nicht zugeben, daß diese Politik falsch war.
({7})
Man will die Wirklichkeit des Scheiterns einer sozialistischen Entspannungspolitik nicht zugeben
({8})
und will zu diesem Zweck das Luftschloß der sozialistischen Entspannungspolitik unter Denkmalschutz stellen.
({9})
Man hat eben die Furcht, das Gesicht zu verlieren und demgemäß Wahlen zu verlieren.
Aber, meine Damen und Herren, wenn Entspannungspolitik Erfolg haben soll - und das wünscht die Fraktion der Christlich Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union genauso wie die übrigen Fraktionen des Hauses -, dann darf man keine Politik des Als-ob betreiben und Wunschbild und Realität verwechseln.
({10})
Dann braucht man jenen langen Atem, der Egon Bahr bei seinen Verhandlungen im Osten gefehlt hat Dann darf man über Hoffnungen nicht die Gefahren vergessen und muß sich daran erinnern, daß Entspannung niemals Anpassung und schon gar nicht Unterwerfung heißen darf.
({11})
Die Erfordernisse unserer Verteidigung sind einzig an der Bedrohung, die im Osten steht, zu messen. Es ist eben Wirklichkeit: Nie war das militärische Potential des Warschauer Pakts größer als heute. Zum Beweis biete ich Ihnen die Weißbücher an, die sozialdemokratische Verteidigungsminister diesem Hohen Hause vorgelegt haben.
Das sowjetische Verteidigungsbudget ist in den letzten Jahren um 25 % gewachsen. Die Satellitenarmeen sind modernisiert. Die Sowjets haben nicht nur auf dem Gebiet der atomaren Langstreckenraketen nachgerüstet, wo sie in der Hinterhand waren, sondern sogar konventionell weiter aufgerüstet, obwohl sie doch die größte konventionelle Streitmacht der Erde haben, und dazu haben sie noch ihre eurostrategischen Atomwaffen eingeführt. Die Rote Flotte ist zur zweitstärksten Flotte der Welt geworden, einsatzfähig auf allen Meeren, obwohl, wie ich schon einmal gesagt habe, ein Küstenschutz an der Ostsee genügen würde, weil im übrigen die Sowjetunion nur vom Lande und nicht vom Meere aus angegriffen werden kann.
Angesichts dieser Situation ist und bleibt es mir unverständlich, wenn Herr Kollege Wehner - ich glaube, es war in St Ingbert - erklärt hat, die Stationierung nuklearer Waffen in der Bundesrepublik heize die Atmosphäre a i. Wer hat sie denn zuerst angeheizt mit atomaren Mittelstreckenraketen?
({12})
Und wenn Herr Wehner dann sagt: „Wettrüsten ist ein Teufelskreis, und wir sind nicht des Teufels" - meine Damen und Herren, ich weiß nicht so genau, wen er mit „wir" gemeint hat, aber wer es auch immer gewesen sein mag, wahrscheinlich die Sozialdemokratische Partei, ich kann darauf nur mit Goethe antworten: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er es am Kragen hätte.
({13})
Ich will Ihnen auch sagen, wo er es am Kragen hat Wettrüsten ist falsch, ist bedauernswert, ist schlimm, aber noch viel schlimmer ist es, wenn der eine aufrüstet und der andere rüstet ab oder rüstet zuwenig, rüstet nicht genau in dem Maße, wie es der andere tut, denn dann wird der, der aufrüstet, binnen kurzem Sieger sein über denjenigen, der es nicht tut
Aber Herr Wehner meint ja, die sowjetische Rüstung sei defensiv. Was ist das eigentlich für eine politische Philosophie, bei der westliche Waffen die Entspannung gefährden, östliche Waffen das aber offensichtlich nach seiner Meinung nicht tun? Meine Damen und Herren, die aggressive Motivation der Rüstung des Warschauer Paktes kann doch gar nicht übersehen werden. Das muß nicht den Einsatz dieser Waffen zum Krieg bedeuten - es kann sie bedeuten, es muß sie nicht bedeuten -, aber es bedeutet auf jeden Fall den Einsatz dieser Waffen zur politischen Erpressung.
Was will denn die Sowjetunion? Mag ihr Außenminister dem Herrn Bundeskanzler auch die wahren Ziele nicht dargelegt haben; die Sowjetunion will aus der Bundesrepublik Deutschland heute ein Schweden machen, morgen ein Finnland und übermorgen eine zweite DDR oder einen Teil der DDR Der erste Schritt schon, das Schweden, ein souveräner Staat außerhalb der Bündnisse, wäre der Anfang des Verfalls des Bündnisses und des Verlustes unserer Freiheit
({14})
Ob wir nun annehmen müssen, daß die Sowjetunion diese Waffen zum militärischen oder zum diplomatischen Gebrauch hat, wir müssen in der Bundesrepublik Deutschland mit unseren Verbündeten dagegen gewappnet sein, sowohl gegen die Bedrohung als auch gegen den politischen Druck.
Ich halte es für ganz falsch, wenn man von einem guten Willen beim Gegner ausgeht und ihn zur Grundlage der Politik macht. Das haben die Westmächte schon gegenüber Adolf Hitler getan, und sie haben diese Leichtfertigkeit schwer bereut. Es wäre töricht, sich auf die angeblich guten Absichten der Sowjetunion zu verlassen und die Möglichkeit eines Wechsels an der Spitze dieses Staates zu übersehen. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie zu überlegen: Es hat schon einmal einen sozusagen pausbäckigen Friedensengel gegeben, der jedenfalls in gutem Ruf stand, wenn auch zu Unrecht - ich meine Chruschtschow -, der über Nacht abgelöst wurde. Kein westlicher Nachrichtendienst hatte es vorher gemeldet. Man sagt, Chruschtschow selbst habe am Morgen seiner Ablösung nicht gewußt, daß er am Abend nicht mehr im Amte sei. Das zeigt doch, wie rasch in totalitären Staaten Führungswechsel vor sich gehen können. Wir sollten das besonders in einem Augenblick beachten, in dem eine überalterte Generation an der Spitze der Sowjetunion steht. Es wäre also leichtfertig, allein auf die Friedensliebe sterblicher Menschen zu bauen und das System, dem sie dienen, zu ignorieren
({15})
und seine Machtmittel und ihren möglichen Mißbrauch zu übersehen.
Auch ich halte Herrn Breschnew für einen Staatsmann, auch ich nehme an, daß er friedliebend ist, denn Clausewitz hat schon gesagt: „Der Eroberer liebt den Frieden. Ob Breschnew außerdem noch bereit ist, keinen Druck auf uns auszuüben, bezweifle ich, aber selbst wenn er es wäre: Verteidigungspolitik kann nicht am guten Willen eines Partners und am Klima von Gesprächen gemessen werden, sie muß sich allein am Machtpotential des möglichen Gegners orientieren, über das morgen oder übermorgen ein anderer verfügen kann als der, der heute an der Spitze steht.
({16})
Wer diese Tatsache leugnet, mag noch so edle Motive haben, objektiv übt er eine Begünstigung der Sowjetunion und ihrer Politik aus. Verzicht auf angemessene militärische Stärke des Bündnisses heute wäre Verzicht auf unsere Freiheit morgen.
Meine Damen und Herren, wenn Verteidigungspolitik die unerläßliche Grundlage jeder Entspannungsdiplomatie ist, um die Chance möglichst groß und das Risiko möglichst klein zu halten, ist diese Entspannung eben nur auf dem festen Boden der Gemeinsamkeit des Bündnisses und der notwendigen Stärke möglich. Entspannung ist nicht die Herrin der Sicherheit und nicht deren Konkurrentin, sondern ihre Dienerin.
Sehe ich nun aber Entspannung einmal von der anderen Seite, so weiß ich, wie Herr Stalin gegen Europa vorgegangen ist. Seine Nachfolger aber haben die Politik der friedlichen Koexistenz, die Politik der Entspannung betrieben. Wie sie sich das Verhältnis ihres Begriffs der Entspannung zu dem des Krieges denken, hat der sowjetische Marschall Schaposchnikow klar ausgesprochen, indem er sagte: „Der Krieg ist die höchste Form und der wichtigste Teil der Politik. Der vorausgehende und der nachfolgende Friede ist die Fortsetzung des Machtkampfes mit anderen Mitteln." - Das ist die Umkehrung des Clausewitz-Wortes, der Krieg sei eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es ist ein Gedanke, den wir ablehnen, weil wir glauben, daß in unserer Zeit der Krieg nicht mehr ein Mittel der Politik sein kann.
({17})
Aber noch viel mehr lehnen wir den Gedanken ab, der Frieden sei überhaupt das Abnorme, sei die Fortsetzung oder die Vorbereitung der Politik des Krieges. So ist in den Augen des Ostens friedliche Koexistenz, so ist Entspannung nur eine Interimslösung.
Der frühere Oberbefehlshaber im Nordabschnitt der NATO, der britische General Walker, hat vor einigen Jahren gesagt: „Für den Kreml ist Entspannung ein taktisches Mittel zur Bekämpfung des Westens bei geringstmöglichem Risiko. - Meine Damen und Herren, das wird doch bestätigt, wenn kein anderer als der Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der _KPdSU, Boris Ponomarjow, erklärte - ich zitiere den „Münchner Merkur" vom 23. April -,
sein Land sei den Thesen Lenins über die Entwicklung der Welt mit erheblichem Gewinn gefolgt Die Koexistenzpolitik im Sinne Lenins sei bisher sehr wirksam gewesen und habe zu einer stetigen Einengung des Spielraums der westlichen Staaten geführt. Ponomarjow nannte dabei Vietnam, Laos, Kambodscha, Angola, Mozambique, Äthiopien, Südjemen, Nicaragua und Afghanistan. Diese Staaten seien Beispiele für die Verringerung des westlichen Einflusses und für eine Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses zugunsten der sozialistischen Staaten. Die Zukunft gehöre den Kommunisten.
Meine Damen und Herren, das ist doch ein ernüchterndes Ergebnis der bisherigen, der tatsächlichen Entspannungspolitik. Eine Kurskorrektur ist dringend notwendig, und wenn diese Regierung sie nicht vornehmen will, muß eben eine andere sie vornehmen.
({18})
Denn ich habe den Eindruck, daß diese Regierung die wahren Probleme nicht sehen kann oder nicht sehen will, und sie und die Koalition erinnern mich mitunter an jene drei Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen und damit gut durch die Zeiten zu kommen glauben.
Der frühere amerikanische Präsident Nixon hat in seinen Erinnerungen dargestellt, der somalische Präsident Barre habe ihm von einem Gespräch mit Breschnew berichtet, der ihm gesagt habe, die So18614
wjetunion wisse um die beiden Schatzkammern des Westens, den Nahen Osten mit der Golf-Region und das südliche Afrika mit seinen Rohstoffen, und sie werde in diese beiden Schatzkammern einbrechen und sie dem Westen wegnehmen. - Meine Damen und Herren, daran sollten wir denken, wenn wir uns etwa über die Politik in Namibia oder in Südafrika unterhalten. Wer das nicht sehen will, von dem kann man nur sagen: Wen die Götter verderben wollen, den blenden sie. Ich glaube, auch der Herr Bundeskanzler war geblendet, als er nach den Ereignissen in Angola - nach dem Einmarsch der Kubaner dort - erklärt hat, das berühre ja die Politik in Europa nicht, und als er die Entspannung für teilbar erklärt hat.
Vor wenigen Wochen habe ich hier in Bonn auf dem Marktplatz zu Vietnamesen gesprochen, die aus ihrem Vaterland fliehen mußten; die Koalition war dort nicht vertreten.
({19})
Bei dieser Gelegenheit habe ich, als ich in die völlig fremden Gesichter sah und eine völlig fremde Sprache hörte, doch wieder einmal die Erfahrung gemacht, daß diese unsere Welt eine Welt geworden ist, eine Welt durch den Verkehr und eine Welt durch die Raketen. Die Sowjetunion hat dies erkannt, und der globale Charakter der sowjetischen Politik ist nicht zu verkennen.
Die Sicherheit ist unteilbar. Was in Afghanistan geschieht, können Sie nicht abtun - wie einst mit dem Wort Goethes, daß weit hinten in der Türkei die Waffen aufeinander schlügen, und daß es ganz angenehm sei, dem zuzuhören. Das berührt uns. Denn die Golfregion ist eine Region, die mehr europäische Interessen als amerikanische Interessen berührt. Unsere Antwort ist - entgegen dem, was von der sozialdemokratischen Seite und von anderer Seite in der Verteidigungsdebatte der letzten Woche gesagt wurde - keineswegs der Ruf nach Ausweitung der NATO-Grenzen. Was wir wollen, ist die Entwicklung einer weltweiten Perspektive der Politik der NATO, die Beteiligung der Bundesregierung an dieser Politik und notfalls die Bereitschaft zur Übernahme militärischer Lasten der Amerikaner in Europa.
Im übrigen gibt es noch einen moralischen, menschlichen Gesichtspunkt, der gegen den Gedanken der Teilbarkeit der Entspannung spricht. Entspannung ist nur möglich, wenn das Mißtrauen abgebaut wird, wenn das Vertrauen sich steigert. Vertrauen aber können Sie nicht teilen. Sie können nicht einem Kaufmann vertrauen, der zwar den Eindruck macht, als würde er mit Ihnen seine Geschäfte redlich erledigen, von dem Sie aber wissen, daß er schon ein halbes Dutzend mal andere Partner betrogen hat Vertrauen gegenüber einem Menschen, Vertrauen gegenüber einer Regierung, Vertrauen gegenüber einem Staat ist dem Wesen nach unteilbar. Deshalb ist es auch die Entspannung.
({20})
Wenn es in der ganzen Welt gewittert, können wir nicht hoffen, daß es eine unwetterfreie Oase gerade in Mitteleuropa geben wird. Wenn uns die
DDR ein Verkehrsabkommen anbietet, dann will ich in diesem Zusammenhang nicht den NutzenKosten-Effekt, der höchst zweifelhaft ist, von unserem finanziellen Standpunkt aus erörtern. Aber glauben Sie doch nicht, daß die Vertreter der DDR irgend etwas hätten tun dürfen, wenn ihnen nicht von Moskau aus dazu grünes Licht gegeben worden wäre. Schließlich mußte ja auch der Herr Bundeskanzler erst nach Moskau fahren, ehe er sich nach Ost-Berlin begeben darf.
({21})
Im übrigen aber möchte ich zur Frage der Unteilbarkeit der Entspannung einen Gedanken anfügen. Ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung" vom 25. Januar, wo Herr Sacharow in seiner Rede, die er in Oslo durch seine Frau hat verlesen lassen, dié Unteilbarkeit der Entspannung damit begründet, daß Detente ohne Menschenrechte im Ostblock nichts sei als die Kapitulation der freien Gesellschaft vor der Tyrannis.
({22})
Man sagt uns, zur Entspannung gebe es keine Alternative. Nun, wir wollen ja gar nicht gegen die Entspannung, nur gegen die konkrete Entspannungspolitik dieser Regierung etwas sagen. Man droht uns, man dürfe keine Rückkehr zum Kalten Kriege einleiten. Meine Damen und Herren, ist denn bei der Einstellung der Sowjetunion der Kalte Krieg jemals beendet worden? Ist er nicht am Ende nur vom Westen für beendet erklärt worden? Entspannung ist doch für die Sowjetunion Fortsetzung des Klassenkampfes ohne Krieg, ein Transitorium, ein Übergang bis zum Einsatz der üblichen Mittel, von denen der Marschall gesprochen hat, nämlich des Krieges.
Der Kommandeur der österreichischen Führungsakademie, General Kuntner, hat vor kurzem gesagt:
Wenn ich immer wieder das Schlagwort höre, daß es zur Entspannung keine Alternative gebe, dann möchte ich doch bemerken: Viele Menschen fragen sich, ob der Kalte Krieg den Menschen im Westen nicht mehr Sicherheit geboten hat als die Phase der Entspannung. Die Entspannung hat gewiß vielen einzelnen Menschen humanitäre Erleichterung gebracht, aber ob das ein Ausgleich oder ein Ersatz ist für die zunehmenden Ängste und Unsicherheiten - das bleibt eine Frage.
Ich möchte die Damen und Herren der Sozialdemokratischen Partei bitten, diese Worte einmal in Ruhe zu überdenken, um so mehr als derjenige, der sie gesprochen hat, Mitglied der Sozialistischen Partei Osterreichs ist
({23})
Wer unter diesen Umständen noch glaubt, Entspannung habe einen Vorrang vor dem Problem der Sicherheit, der verspielt unsere Freiheit. Wer Frieden um jeden Preis postuliert, vergißt, daß dies ein Krieg wäre, den die andere Seite gewinnen würde.
Je länger man sich von dem entfernt, was man den „Kalten Krieg" genannt hat, je länger man in der sogenannten Entspannungsära lebt, um so länger hat
der Osten gerüstet, um so näher kommt also die Gefahr eines Krieges, wenn wir nicht den Nachrüstungsbeschluß der NATO vollziehen.
Der Herr Bundeskanzler hat vor einigen Wochen gesagt, der Westen habe keine Friedenserhaltungsstrategie. Mich hat dieses Wort gewundert, denn die Politik des Westens, die uns den Frieden erhalten hat, ist doch bekannt: die Politik der Abschrekkung und keine andere!
({24})
Diese Politik, die wir mit Konrad Adenauer begonnen und nach ihm fortgesetzt haben, kann doch von einer vernünftigen Bundesregierung nicht aufgegeben werden.
Sie setzt, wie Kissinger einmal gesagt hat, die Fähigkeit zur Abschreckung, den Willen dazu und die Glaubwürdigkeit der Abschreckung voraus. Und das bedeutet vor allem die Einheit des Bündnisses. Deutschland und Amerika, Europa und Amerika müssen eng miteinander verbunden bleiben.
({25})
Ich habe leider schon vor längerer Zeit einmal den Kollegen Ahlers zitieren müssen. Ich könnte jetzt eine ganze Reihe anderer Sozialdemokraten zitieren, die die „wachsende Unabhängigkeit" Deutschlands oder Europas von den USA loben. Meine Damen und Herren, wenn dieser Kontinent selbständig, wenn er unabhängig von den Vereinigten Staaten werden sollte, dann müßten wir uns eine militärische Stärke zulegen, die kein Finanzminister dieses Staates bezahlen könnte.
({26})
Solange wir dies aber nicht tun können und wollen, so lange bedeutet größere Selbständigkeit gegenüber den USA weniger Selbständigkeit gegenüber der Sowjetunion.
Und dann lassen Sie mich doch mal ganz deutlich ein Wort zu unserem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten sagen, zu einem Land, mit dem wir in einer Weise befreundet sind wie mit kaum einem anderen in einer Freundschaft, die für uns menschlich und politisch wichtig ist. Ich kann gar nicht verstehen: Unter Freunden betont man doch nicht die Unabhängigkeit, sondern die Verbundenheit.
({27})
Wir, die Fraktion der Christlich Demokratischen und Christlich-Sozialen Union, wünschen weiterhin verbunden zu sein mit den Vereinigten Staaten und unabhängig von der Sowjetunion.
({28})
Wir haben mit Sorgen gesehen, wie ächzend die angebliche Solidarität im Westen in den letzten Monaten geworden ist. Und wir haben mit besonderer Sorge gesehen, daß unübersehbar zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ein Verständnisbruch eingetreten ist. Der Brief Carters ist nicht aus der Welt zu schaffen,
({29})
und er wird ja wohl auch eines Tages der Öffentlichkeit bekanntwerden. Auch der Artikel des Herrn Bundeskanzlers in der wichtigsten Zeitung Washingtons hat seine Zeichen gesetzt. Und der Herr Außenminister wäre wohl nicht in die USA gereist, wenn es nicht vorher Mißverständnisse gegeben hätte. Auch seine Reise ist ein Symptom für das Unbehagen in den Vereinigten Staaten. Wir begrüßen es, daß er dort hingereist ist. Ich wünsche ihm gute Gesundheit, um alles das durchhalten zu können, was er an Reiseverpflichtungen in den letzten Monaten eingegangen ist. Aber ein Zeichen der Zeit ist dieses doch. Diese Reise sollte sozusagen einen Verband um eine Wunde legen, die man nicht weiter aufscheuern lassen wollte.
({30})
Wenn man heute, wie es ja mehrfach durch sehr bedeutende Politiker dieses Hauses geschehen ist, Carter zitiert, kann man darüber ja nicht vergessen, wie sich verschiedene deutsche Politiker, darunter auch der Kanzler, früher über Herrn Carter geäußert haben. Nein, meine Damen und Herren, diese wechselnden Erklärungen, die immer wieder zu Mißdeutungen, zu Dementis und zu Erläuterungen führen, helfen uns nicht. Uns hilft nur das, was Franz Josef Strauß gesagt hat:
({31})
Wir werden, wenn wir an der Regierung sind, ein Verhältnis zu den USA schaffen, das nicht der Interpretation bedarf.
({32})
Ein Abweichen vom Weg der Solidarität gefährdet die nationale Existenz jedes europäischen Staates, die Frankreichs und erst recht die der Bundesrepublik Deutschland. Wenn ich an die Besprechungen in Luxemburg, in den Ausschüssen und im Plenum der NATO-Parlamentarierkonferenz, der Nordatlantischen Versammlung, vor vier Wochen denke, dann sehe ich, wie das Wort „Arbeitsteilung", das durchaus auch einen positiven Sinn haben kann, dort mit Mißtrauen aufgenommen wurde. Es haben sich amerikanische Senatoren und Abgeordnete dahin ausgesprochen, es ginge doch nicht an, daß die Amerikaner die Aufgabe der Abschrekkung hätten und ihre Boys einsetzen müßten und die Europäer, die Deutschen im besonderen, nur die Früchte der sogenannten Entspannung genießen würden.
Dann heißt es: Ja, aber wir haben besondere deutsche Interessen im Verhältnis zu Amerika. Welche besonderen Interessen haben wir denn eigentlich? Es gab einmal einen Hähnchenkrieg, und es gab Diskussionen über den Devisenausgleich. Das sind interne Dinge im Bündnis, die erledigt wurden und erledigt werden werden, wenn die beiden Regierungen es nur wollen. Es sind bilaterale Nebenprobleme. Hinsichtlich der großen Probleme unserer natio18616
nalen Interessen haben wir aber von den Herren Brandt, Bahr usw. immer wieder gehört, wir müßten hier auf unsere Interessen, etwa auf die Ostgebiete oder auf den Gedanken der Unteilbarkeit Deutschlands, im Zuge der internationalen Entspannung Verzichte leisten, das seien Opfer für höhere Ziele. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Regierung nicht gehindert hätte, dann wären aus politischen Verzichten auf die Ostgebiete und auf die Einheit des Deutschen Reiches am Ende noch rechtliche Verzichte geworden. Nein, hier kann man nicht von besonderen Interessen sprechen, wenn man selber die nationalen Interessen unseres Landes nicht in angemessener Weise gewahrt hat.
({33})
Besondere, spezielle deutschsowjetische Probleme, wie die Abkommen über den Kulturaustausch, über die wissenschaftliche Kooperation und die Rechtshilfe, die bisher an der Berlin-Klausel gescheitert sind, berühren erstens nicht die Amerikaner, und zweitens scheint der Herr Bundeskanzler sie auch in Moskau nicht gelöst zu haben.
({34})
Wenn man aber von Problemen aus unserer besonderen Lage in Deutschland spricht, muß ich sagen: Hier sehe ich gerade keinerlei Unterschied zwischen der amerikanischen und der deutschen Politik und ihren Interessen; denn die Sicherheit der Bundesrepublik vor einem Angriff kann nur durch die Waffen der Amerikaner und nur durch das Bündnis der NATO gewährleistet werden.
({35})
Ganz besonders höre ich mit Sorge, daß gelegentlich davon gesprochen wird, die Besonderheit unserer Lage ergebe sich aus der Lage Berlins. Berlin ist keine deutsch-deutsche, Berlin ist keine deutsch-sowjetische Frage, sondern sie ist nur als Viermächte-frage zu behandeln und zu lösen. Einen anderen Weg gibt es nicht.
({36})
In Wirklichkeit sind also die Interessen der Amerikaner und der Deutschen in Europa identisch. Wenn es überhaupt eine besondere Lage Deutschlands im Verhältnis zu Amerika gibt, dann ist das nur dadurch begründet daß wir durch den Atomsperrvertrag nun einmal ein nichtnuklearer Staat, damit in einer ganz anderen Situation als Frankreich und Großbritannien und damit in dreifacher Weise auf den Schutz der Vereinigten Staaten angewiesen sind. Einen Antiamerikanismus kann sich unser Volk nicht leisten, und ich sehe mit großen Bedenken, wie er bei den Jungsozialisten um sich greift
({37})
Aber einen Antiamerikanismus haben die Amerikaner nach alledem, was sie am Ende des Krieges und was sie jetzt in diesen Jahren für uns getan haben, nun auch wirklich nicht verdient.
({38})
Ich bedauere, daß der Herr Bundeskanzler offenbar nicht anwesend ist und es nicht für notwendig hält, die Rede des ersten Vertreters der Fraktion der CDU/CSU anzuhören; denn das, was ich jetzt sagen wollte, ist eigentlich besonders auch an ihn gerichtet.
Mein so früh verstorbener Freund Karl Theodor von Guttenberg hat in seiner letzten Rede vor zehn Jahren in diesem Hause auch daran erinnert - ich zitiere ihn -, „daß auch der, der besten Willens dem Frieden zu dienen meinen mag, gefährlich irren kann". Einen solchen Irrweg hat - es wurde schon erwähnt - Chamberlain 1938 beschritten, ein kluger Mann, ein gebildeter Mann, ein gutwilliger, auch ein erfahrener Mann. Er hat sich grundlegend geirrt und seine Vertrauensseligkeit ist ebenso wie sein Versprechen enttäuscht worden, wir hätten nun „peace in our time", Frieden für unsere Zeit Zehn Jahre später hat jedermann gewußt, daß seine Politik den Krieg geerntet hat Meine Sorge besteht darin, daß der Bundeskanzler, dem ich gar nichts von seiner Persönlichkeit nehmen will, in zehn Jahren ähnlich beurteilt werden könnte. Er muß es nicht, aber er kann es. Er wird es dann nicht, wenn er oder die nächste Regierung endlich von der Entspannungseuphorie abläßt, die Distanz zu den Vereinigten Staaten beseitigt und das Bündnis festigt.
({39})
Meine Damen und Herren, an dem Münchener Gymnasium, das der bayerische Ministerpräsident und ich besucht haben, hätte man in einer so ernsten Stunde den klassischen Ausruf getan: Videant consules! Ins Moderne übersetzt, heißt das: Die Verantwortlichen mögen zusehen, mögen wachen, mögen handeln. Meine Damen und Herren, diesen Ruf zur Mahnung richte ich an die Bundesregierung und, wenn sie ihn nicht begreifen sollte, an den Deutschen Bundestag und an das deutsche Volk.
({40}) .
Meine Damen und Herren, ich darf diese letzte Rede des Abgeordneten Dr. Jaeger dazu benutzen, darauf hinzuweisen, daß er ebenso wie Professor Carlo Schmid 20 Jahre lang dem Präsidium dieses Hauses als Vizepräsident angehört hat, daß er von da aus mit Besonnenheit und wohltuend auf die Verhandlungen dieses Hauses eingewirkt hat. Dafür möchte ich ihm im Namen des Hauses den Dank zusammen mit unseren guten Wünschen für die Zukunft aussprechen.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Jaeger, auch ich begleite Sie mit meinen guten Wünschen.
Aber eines möchte ich Ihnen, nachdem Sie Ihre Rede gehalten haben, hier jetzt doch noch deutlich sagen: Entspannungseuphorie, Herr Kollege Jaeger, kann man dem Bundeskanzler Helmut Schmidt
nicht vorwerfen. Das also zu dem, womit Sie geschlossen haben.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt dem Bundeskanzler und dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen für ihre klaren Darlegungen. Sie haben damit nebulose Behauptungen und Entstellungen widerlegt, die durch propagandistische und sozusagen berufsmäßige Nebelwerfer erzeugt werden,
({0})
indem sie die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden sozialliberalen Koalition zur Sicherung des Friedens und der Beiträge unserer Bundesrepublik Deutschland zur Sicherung des Friedens deutlich gemacht haben.
Ich möchte zusammenfassen und das in Erinnerung bringen, was der Bundeskanzler gegen Schluß seiner Regierungserklärung gesagt hat und was nach meiner Meinung nicht zu verwischen und nicht zu entstellen ist. Er sagte, welches die drei tragenden Elemente unserer Politik sind: erstens die feste Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das Atlantische Bündnis und in die Europäische Gemeinschaft im Wissen um die Gemeinsamkeit der Grundwerte und der Interessen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und den anderen Verbündeten;
({1})
zweitens die Politik der Entspannung und der Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn; drittens die Politik der gleichberechtigten Partnerschaft mit den Staaten der Dritten Welt.
({2})
Der Bundeskanzler hat auch wiederholt, was er im Mai 1978 vor den Vereinten Nationen über die Internationale Krisenbeherrschung gesagt hat, nämlich daß sie den politischen Willen erfordere, erstens Provokationen zu vermeiden, zweitens den anderen unsere eigenen Entscheidungsmöglichkeiten unmißverständlich zu erklären, drittens gefährliche Situationen durch Kompromißbereitschaft zu entschärfen und viertens den Beteiligten die Wahrung ihres Gesichts zu ermöglichen.
Wir haben dem voll zugestimmt und stimmen dem voll zu. Ich darf mir hier wohl erlauben, zu sagen: Es ist sogar dem ersten Redner der Opposition, nämlich dem Herrn bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, schwergefallen, gegen diese realistischen Feststellungen und Darlegungen anzukommen.
Der Bundeskanzler hat am Schluß seiner Rede gesagt, daß das, was ich soeben zitiert habe, als theoretisches Konzept allgemeine Zustimmung gefunden hat und daß es seit Ausbruch der Krisen um Iran und um Afghanistan erforderlich ist, dieses Konzept in die Praxis umzusetzen, und er hatte völlig recht, als er bemüht war, deutlich zu machen: Das tut die Bundesregierung, nicht mit großen Worten, sondern durch besonnenes Handeln. Sicherheit und Friede werden nicht durch große Reden gewahrt, sondern durch tägliche Kärrnerarbeit
({3})
Herr Ministerpräsident, das wissen Sie ja selber: Der Bundeskanzler Helmut Schmidt bedarf der Belehrung nicht, wenn es sich um die Fragen von Rüstungsbegrenzung und das Ringen um Rüstungsabbau handelt.
({4})
Er hat eindeutig gesagt - nicht in dieser heutigen Rede, sondern in einem Interview nach Abschluß des von mir und sicher auch von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen als wichtig angesehenen Treffens mit dem französischen Präsidenten Giscard d'Estaing im Februar 1980 -: „Entspannung setzt voraus, daß einer nicht so viel mächtiger ist als der andere, daß der andere fürchten muß, er könne eines Tages überwältigt werden. Mit anderen Worten: Entspannung setzt Gleichgewicht voraus, Gleichgewicht insbesondere der militärischen Faktoren. Man kann Gleichgewicht natürlich auf zweierlei Weise herstellen: Durch einen Rüstungswettlauf, daß einer versucht, mindestens so schnell zu laufen wie der andere - das wird eine Spirale, höchst gefährlich. Man kann es auch durch beiderseitig verpflichtende Begrenzung der Rüstung herstellen. Entspannung - hat der Bundeskanzler betont - ist nicht möglich ohne Gleichgewicht. Die Wiederherstellung des Gleichgewichts, die Stabilisierung des Gleichgewichts, das ist eine der wichtigsten Aufgaben in diesem Jahr 1980 und darüber hinaus."
So ganz sollte man - das sage ich an die Seite der Opposition - bei sich selber nicht in Vergessenheit geraten lassen, daß z. B. im Jahr 1978 zum Abschluß des Besuchs des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion, Herrn Leonid Breschnews, vom 4. bis 7. Mai in einer gemeinsamen Deklaration mit Helmut Schmidt die ja für jeden erreichbar ist, sehr deutlich betont wurde, daß in Respektierung der Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt sie ihre politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für dieses Ziel unilateral, bilateral und multilateral einsetzen werden und daß beide Seiten es als wichtig betrachten, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebt. Sie gehen davon aus, daß annäherndes Gleichgewicht und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen. Ihrer Meinung nach würden angemessene Maßnahmen der Abrüstung und der Rüstungsbegrenzung im nuklearen und konventionellen Bereich, die diesem Grundsatz entsprechen, von großer Bedeutung sein.
Damals hat ja der nunmehrige Ministerpräsident des Freistaates Bayern, der damalige Kollege Strauß, auch in seinen Gesprächen mit dem sowjetischen ersten Mann den Eindruck gemacht, daß er durchaus auch Wert auf freundliche Gespräche lege, nicht um sich etwas zu vergeben - das geschieht bei Schmidt auch nicht -, sondern um deutlich zu machen, was wir hier bei allen Gegensätzen, die wir haben, vielleicht doch wohl übereinstimmend hätten. Aus seiner heutigen Rede klang eigentlich mehr die
Fatalität dessen heraus, der zu dieser gemeinsamen Art und Weise im Grunde genommen keine Alternative anzubieten hat, zu dieser Art und Weise, in der Bundeskanzler und Vizekanzler die große Last auf sich genommen haben, in den letzten Tagen und Wochen - nahtlos aneinandergereiht - entscheidende Gespräche zu führen und sie so zu führen, daß man hinterher wird nachprüfen können: Das war nicht zur Schau, und das war nicht, um Geltungsbedürfnis deutlich zu machen.
({5})
Ich wundere mich manchmal, daß die Kollegen der CDU/CSU z. B. kaum Gebrauch machen - auch nicht einmal im Sinne dessen, daß sie uns bedrängen und fragen: Ja, haltet ihr denn das ein? - etwa von dem, was anläßlich des Besuchs unseres Bundeskanzlers in Paris beim französischen Präsidenten hinsichtlich der derzeitigen Krise - Iran und Afghanistan - ganz deutlich zu Papier gebracht worden ist. Da haben sie betont,
daß die derzeitige Krise dazu angetan ist, einen Prozeß auszulösen, der nach und nach, selbst wenn das nicht beabsichtigt ist, schwerwiegendste Folgen haben würde. Es ist ihr Anliegen, unter diesen Umständen die Treue ihrer beiden Länder zum Atlantischen Bündnis und ihre Entschlossenheit, dessen Verpflichtungen einzuhalten, zu bekräftigen.
So könnte ich Punkt für Punkt aus diesem wichtigen Dokument, zu dem es Entsprechendes in den deutsch-französischen Beziehungen lange nicht gegeben hat, zitieren, und Sie würden - Sie brauchen das ja nicht laut zu machen - in sich gehen können und sagen müssen: Ja, da ist schon was dran, daß die es doch auch ehrlich meinen.
Der Herr Ministerpräsident hat seine Rede hier mit einer Art Wertung der Persönlichkeit des Bundeskanzlers statt mit einer Wertung der Gespräche in diesem Stadium begonnen. Da ließe sich trefflich streiten, ob man richtig wertet oder ob man auf der einen Seite etwas unterschätzt, auf der anderen Seite etwas Gegenteiliges überschätzt. Nein, nein, Ihnen, Herr Ministerpräsident, lag vorwiegend an der Wertung des Bundeskanzlers, d. h. seiner Persönlichkeit Sie sind ja - ich kann mich in Ihre Rolle hineinversetzen - mit der Redezeit hinsichtlich dessen, was eigentlich zur Sache zu sagen war, auch ziemlich in Druck gekommen.
({6})
Sie haben, Herr Ministerpräsident, gegen Helmut Schmidt einen Vorwurf erhoben, nämlich den, daß er mit der SPD gegen das Soldatengesetz gestimmt habe. Nun, soeben hat hier der Herr Kollege Jaeger gesprochen. Ich verlange nicht, ich erwarte auch nicht, daß er jetzt hier herträte und draußen bezeugte, daß z. B. der hier heute Redende der war, der als Vertreter der Opposition mit dem armen - Herr Jaeger, das wissen Sie ja noch; Sie haben ihn sicher anders beachtet als ich - Theo Blank von Anfang an über das Schritt-für-Schritt-Durchführen dessen gerungen hat, was im Zusammenhang mit der Unvermeidlichkeit der Einbeziehung in das Bündnis und der Entwicklung der Bundeswehr nötig war. Und da muß ich Ihnen sagen: Helmut Schmidt war ja nun, solange er im Bundestag war und dann nach Unterbrechung als Innensenator in Hamburg wieder war, wirklich einer, der wirklich nicht wenig zu dem zu sagen hatte und auch gesagt hat, was sich aus Wehrpflicht, aus Bundeswehr und aus Bündnis alles an Notwendigkeiten ergibt.
Meine Damen und Herren, ich habe ja ebenfalls als der Vertreter der Opposition an dem Soldatengesetz mitgewirkt, und so ist es mit manchem gewesen. Es hat keinen Zweck, heute hier feurige Kohlen -
({7})
- Ich bitte Sie, Sie kennen das doch gar nicht; Sie waren ja gar nicht dabei. Ich spreche Herrn Jaeger und die Herren und Damen Kolleginnen und Kollegen an, die, auch wenn es heute aus dem Munde eines damals in dieser schwierigen Zeit zum Vertreter der Opposition verdammt Gewesenen klingt, sachlich genug sind und sagen: Ja, so war das. Man kann Ihnen vielleicht manches nachfühlen.
Hier hat der Herr Bundesminister - nicht Bundesminister, er war es damals; ich meine den Herrn Ministerpräsidenten - davon gesprochen, daß es zwei Bundeskanzler gegeben habe, die denkwürdige Reisen unternommen hätten. Da war die Reise des Bundeskanzlers Adenauer 1955 nach Moskau, die er als „notwendig und richtig" zensuriert hat, und da war die Reise des Bundeskanzlers Helmut Schmidt jetzt nach Moskau, die er als „überflüssig und gefährlich" zensuriert hat. Jeder hat seine eigenen Maßstäbe, Herr Ministerpräsident Nur, eines muß ich Ihnen sagen: Ich kenne mich ja auch aus in der Geschichte dessen, was sich ja für einen normalen und dazu auch noch in parlamentarische Verantwortung gewählten Politiker nicht einfach aus der Erinnerung verdrängen läßt. Ich weiß noch, wie das war, als der Herr Bundeskanzler Adenauer in Moskau war. Ich war auch froh, daß es dank der Vorarbeiten, die geleistet worden sind - wenn Sie einmal nachschlagen wollen, werden Sie finden, wer alles daran beteiligt war - möglich war, daß er mit dem Versprechen zurückkam: 10 000 Kriegsgefangene werden nun endlich von dort aus ihren schwierigen Verhältnissen heraus in die Heimat zurückgehen. Das fand ich gut, zumal ich - ich bitte Sie um Entschuldigung - 1950 im Auftrag des Bundestages zweieinhalb Monate bei den Vereinten Nationen war. Sie könnten sogar einen Kollegen, der nicht mehr Mitglied dieses Hauses ist, den späteren langjährigen Präsidenten des Bundestages, den Herrn Kollegen Gerstenmaier, fragen, der die ersten elf Tage von meinen insgesamt zweieinhalb Monaten bei den Vereinten Nationen dabeigewesen ist, um dort zu helfen, daß die Mitgliedstaaten USA, Großbritannien und Australien, die einen Antrag, betreffend Kriegsgefangene, Kriegsverurteilte und Kriegsvermißte eingebracht hatten, sachkundig beraten würden. Das haben wir gemacht Ich danke heute noch den Beamten, die damals geholfen haben, und ich danke heute noch den Amerikanern, die damals in der Delegation der USA bei den Vereinten Nationen geholfen haben, daß Gespräche mit
der Frau Roosevelts, mit Harriman und mit anderen zustande kamen. Diese Kärrnerarbeit habe ich gemacht,
({8})
und ich war froh, daß fünf Jahre später der Bundeskanzler Adenauer kommen konnte. Nie waren wir eifersüchtig; wieso sollten wir denn eifersüchtig sein? Das war sehr gut.
Nur denke ich auch daran, daß der Bundeskanzler Adenauer damals auch kritisch unter die Lupe genommen wurde. Ich jedenfalls mußte als ein Mann, der von den Botschaftern der Alliierten angesprochen wurde, gelegentlich mancher Ereignisse auf Grund meiner Aufgaben in der Fraktionsführung der SPD jedem der drei Botschafter nun erläutern, wie das eigentlich sei, daß der Bundeskanzler Adenauer mit etwas zurückgekommen ist, was vorher zwischen den drei Westmächten und ihren Vertretern und ihm nicht verabredet war: Nein, nein, diplomatische Beziehungen werden dort nicht angebahnt. Glücklicherweise kam der Bundeskanzler Adenauer damals von Moskau zurück und sagte: Und nun wollen wir diplomatische Beziehungen zustande bringen. Ich habe hier mitgeholfen, ihn zu verteidigen - er wurde auch nicht wirklich angegriffen - angesichts des Verhaus von Fragen der alliierten Botschafter.
Aber nun kommen Sie und sagen: Die Reise Schmidts war „überflüssig" und „gefährlich".
({9})
Wissen Sie, der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist der - abgesehen vom Programmatischen; da gibt es vieles; das paßt jetzt hier nicht in meine Rede -: Adenauer hatte sich gegenüber eine Opposition, die eine - so haben wir uns jedenfalls bemüht, haben es auch erreicht - konstruktive Opposition war, die Opposition der SPD. Wir - ich meine jetzt die Regierung Helmut Schmidt - haben jetzt eine Kombination CDU/CSU als Opposition gegenüber, die das noch nicht gelernt hat. Ich möchte Ihnen dazu helfen, daß Sie es lernen können.
({10})
Nehmen Sie das ohne Hochmut Ich weiß, wie schwer das ist, in Opposition zu arbeiten. Aber, bitte sehr, wenn, dann müssen Sie auch diskussionsfähig sein, und das sind Sie nicht Sie sind nur angabefähig. Das ist das andere.
({11})
Nein, meine Damen und Herren, der Bundeskanzler verdient eine andere Opposition, als Sie darzustellen imstande sind.
({12})
Es war immerhin für mich interessant - und ich danke in diesem Fall sogar Herrn Strauß -, daß er
in seiner Rede - er war in einer schwierigen Lage, das gebe ich zu ({13})
gesagt hat, daß die Reise des Bundeskanzlers und des Außenministers - ich habe mir das mitgeschrieben - mindestens verfrüht war. Da können wir dann rätseln, Herr Strauß, Herr Ministerpräsident, wann denn sie hätte sein sollen, welches die Voraussetzungen hätten sein müssen. Wenn Sie dann geschlossen haben: „Gewogen und zu leicht befunden" - na, wissen Sie: Das war ja ein mildes Urteil. Aber Sie haben es ja in Form eines Zitats gebraucht
Ich möchte hier nur noch auf eines hinweisen, meine Damen und Herren. Als Herr Strauß Bundesminister der Verteidigung war, da hatte ich - es sind jetzt zwei Tage, drei Tage nach 20 Jahre, die dazwischen vergangen sind - am 30. Juni des Jahres 1960 als der Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mich mit der damaligen Situation und auch mit dem damaligen Bundesminister der Verteidigung auseinanderzusetzen. Ich habe damals auf die sehr spitzen Fragen, die Herr Strauß, schon bevor es hier zu dieser Plenarsitzung damals gekommen war, gestellt hatte, Punkt für Punkt geantwortet: nämlich .was die Sozialdemokraten gemeinsam mit der CDU anerkennen müßten, dann, was sie sich von ihren alten Thesen zu distanzieren hätten usw. - Die Zeit ist jetzt zu kurz, um Ihnen das ausführlich zu zitieren. Aber Sie finden die Rede im Protokoll des Deutschen Bundestages vom 30. Juni 1960 - nicht, daß ich so besonders interessant wäre, aber weil Ihnen manchmal einfällt oder anderen, die es gar nicht wissen können, es eingetrichtert wird - oder Sie das glauben -, wir hätten immer nein gesagt, zu allem Erdenklichen.
({14})
- Nein, nein, warten Sie doch. Quäken können Sie. Ich habe auch nichts dagegen. Sie sind damit noch lange nicht Quäker, die ich sehr schätze.
({15})
Nein, nein, ich habe damals zu den einzelnen Fragen des Bundesministers der Verteidigung geantwortet:
Zu a). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht davon aus, daß das europäische und das atlantische Vertragssystem, dem die Bundesrepublik angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist
Zu b). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat nicht gefordert und beabsichtigt nicht, das Ausscheiden der Bundesrepublik aus den Vertrags- und Bündnisverpflichtungen zu betreiben. Sie ist der Auffassung, daß ein europäisches Sicherheitssystem die geeignete Form wäre, den Beitrag des wiedervereinigten Deutschlands zur Sicherheit in Europa und in der Welt leisten zu können.
Zu c). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bekennt sich in Wort und Tat zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen
Grundrechte und der Grundordnung und bejaht die Landesverteidigung.
Weil es da nach dem Protokoll, in Klammern vermerkt, Unruhe bei der CDU/CSU gab - ich weiß nicht, ob, weil ich gesagt habe, „sie bejaht die Landesverteidigung", oder weil ich das nun wirklich auch da so hingehauen hätte -, habe ich damals gesagt:
Meine Damen und Herren, unterschiedliche Auffassungen über Zweckmäßigkeiten -auf diesem Gebiet, die im demokratischen Staat legitim sind und die demokratisch-parlamentarisch ausgetragen werden, bedeuten doch nicht, daß die parlamentarische Opposition weniger verantwortungsfreudig wäre als die Regierung.
Ich wäre froh, wenn ich oder die Regierung - ich bin ja nicht Regierungsmitglied - Ihnen auch einmal etwa Entsprechendes als Kompliment sagen könnte.
({16})
Ich kann Ihnen Ihren Weg nicht vorzeichnen. Ich habe solche Ambitionen auch nicht Ich habe nur eine einzige Sorge: daß Sie, noch nicht genügend begriffen und gelernt haben, daß es nicht Aufgabe einer parlamentarischen Opposition ist - bei allen Gegensätzen, auch wenn sie in noch so scharfer Form ausgetragen werden -, in Fragen, die die auswärtigen und die verteidigungspolitischen Notwendigkeiten betreffen, fortgesetzt genau das kaputtzumachen, zu stören, in Frage zu stellen oder als Lügen hinzustellen, was von der Regierung und der Mehrheit, die sie trägt, für richtig gehalten und gemacht wird. Da haben Sie noch eine dicke Portion hinzuzulernen.
({17})
Ich sage Ihnen das ohne Ironie. Ich weiß, wie schwer das ist. Ich weiß auch, wie mancher von Ihnen das von vornherein völlig anders begreift. Da brauchen wir nicht miteinander zu streiten.
Sie werden es noch zu lernen haben - ich sage das ohne Schadenfreude -, und hoffentlich haben Sie auch allmählich Lernerfolg. Sie erwarten von uns ja keine Zensuren; ich würde mich auch nicht anheischig machen, Ihnen Zensuren zu erteilen. Nur, als parlamentarische Opposition hat man auch Pflichten gegenüber der Regierung, der man noch so kritisch gegenüberstehen mag.
Ich danke Ihnen für Ihre große Geduld.
({18})
Wir haben im Rahmen des jetzt zur Debatte stehenden Tagesordnungspunktes noch eine Wortmeldung, die des Kollegen Mischnick. Wir gehen davon aus, daß wir den Tagesordnungspunkt noch vor der Mittagspause beenden können, mit ihr also erst etwas später beginnen. - Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick. V
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte Ihnen,
Herr Kollege Dr. Jaeger, alles Gute für die Zukunft wünschen. Wir haben sehr oft sehr unterschiedliche Meinungen gehabt. Ich habe aber immer zu schätzen gewußt, daß Sie ein gradliniger Parlamentarier waren, bei dem man wußte, woran man war, und der in der Sache sehr hart kämpfte, aber über diesen Kampf niemals vergaß, daß wir als Parlamentarier untereinander zusammengehören. Alles Gute für Ihre Zukunft!
({0})
Wir Freien Demokraten wissen uns mit vielen Bürgern unserers Landes einig, wenn wir dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister Dank und Anerkennung für ihre couragierte Art aussprechen, den gestörten Dialog zwischen West und Ost wieder voranzubringen. V
({1})
Sie haben es mit Erfolg getan. Das internationale Echo bestätigt das doch.
Nicht nur unsere Verbündeten teilen die Ansicht, daß mit den deutsch-sowjetischen Gesprächen ein wichtiger Schritt nach vorn zur Überwindung der angestauten Probleme getan wurde. Der amerikanische Präsident hat mit Nachdruck seine „Wertschätzung und Bewunderung", wie er sich ausgedrückt hat, geäußert. Er hat „die Festigkeit und Klarheit" gelobt, mit der die Position des Westens auch in der Afghanistan-Frage vertreten wurde. Außenminister Muskie hat die Unterrichtung durch Außenminister Hans-Dietrich Genscher ausdrücklich als „äußerst nützlich für uns alle" bezeichnet. Er hat auch bekräftigt, daß die deutsche und die amerikanische Position in der Frage der atomaren Mittelstreckenraketen „identisch" sei, und das alles im Zeichen einer gewandelten, einer besseren Perspektive, was einen neuen Einstieg in die Abrüstungsgespräche angeht.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wollen oder können Sie tatsächlich nicht wahrnehmen, daß durch den mutigen Einsatz unserer Bundesregierung ein äußert positiver Anstoß gegeben worden ist?
({2})
Es ist doch erschreckend zu erleben, wir Ihr Kandidat, der Ministerpräsident Strauß, verzweifelt gegen jede konstruktive Wertung der Moskauer Gespräche im In- und Ausland ankämpft, ja nahezu Amok läuft dagegen. Das ist doch nicht mehr zu begreifen.
({3})
Offenbar braucht er mittlerweile diese Schwarzmalerei, diese Unterstellungen und sogar die Beleidigung wie täglich Brot. Was er hier über den amerikanischen Präsidenten gesagt hat, als er davon sprach, dieser bediene sich einer internationalen Gefälligkeitssprache, geht doch schon an die Beleidigung heran.
({4})
So begierig Strauß und seine Konfliktstrategen in seiner eigenen Fraktion jedes kritische Wort aufgreifen, das gelegentlich über den Atlantik zu uns herüberkommt - ich füge hinzu: Natürlich gibt es auch kritische Worte zurück; das ist nun einmal so -, so scheuen sie sich doch, die vielen Gesten der Übereinstimmung und der Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Bonn überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.
Ich finde nach dem heutigen Debattenbeitrag des Ministerpräsidenten Strauß, daß er selbst spüren müßte, wie er sich bereits in dem selbstgestrickten Netz von dunklen, wirklichkeitsfernen Wunschträumen verfangen hat.
({5})
Herr Ministerpräsident Strauß sprach von einem „alten Hut". Ich hatte den Eindruck, daß es ihm so geht, wie es manchen Männern nachgesagt wird, die den alten Hut so lieben; denn er hat dann eine ganze Galerie von alten Hüten hier aufgefahren.
({6})
Der Herr Kollege Wehner hat sich mit einigen dieser Punkte auseinandergesetzt.
Ich habe es auch selten erlebt, daß ein - er soll es ja doch wohl sein - Mittelstürmer einer Mannschaft Eigentore am laufenden Band schießt, so daß die anderen, die Gegner gar nichts mehr zu tun brauchen, um die Niederlage sicherzustellen. Das ist heute geschehen.
({7})
Er leugnet die Absprachen im Bündnis, obwohl dies hier ganz deutlich gesagt worden ist und obwohl die Reaktionen aus Washington vorliegen. Er spricht von mangelndem Vertrauen. Merkt er denn gar nicht, daß er selbst das Vertrauen im Bündnis in Frage stellt, wenn er in der Öffentlichkeit ständig das Gegenteil von dem behauptet, was tatsächlich von dieser Bundesregierung aus geschieht? Das ist Schaden für das Bündnis!
({8})
Es war schon eine üble Methode, über den Text des Bundeskanzlers, was er unter dem ersten Schritt versteht, so hinwegzugehen und so zu tun, als wolle sich die Bundesregierung, als wolle sich die Koalition mit dem ersten Abzug aus Afghanistan abfinden. Im Gegenteil: Wir gehen davon aus, daß bis zum letzten Mann abgezogen werden muß, wenn dieses Problem wirklich gelöst werden soll.
Aber dieser Kampf mit Pappkameraden, der heute hier vorgeführt worden ist, ist natürlich viel einfacher, als an Ort und Stelle in Moskau selbst hart um die Sache zu ringen und dabei - wenn auch kleine - Fortschritte zu erreichen. Pappkameraden umzuschießen, das ist eine zu billige Angelegenheit, um hier bestehen zu können.
({9})
Es klingt auch etwas merkwürdig, ausgerechnet aus dem Munde des Herrn Ministerpräsidenten
({10})
zu hören, daß er von „Diffamierung" spricht. Ich bin gegen jede Art von Diffamierung, ganz gleich, von welcher Seite dieses Hauses sie kommt. Aber sich über Diffamierungen zu beschweren und wenige Sätze später wieder von „Moskau-Fraktion" zu sprechen, das zeigt doch, daß er sich an die eigene Nase fassen muß, ehe er hier an anderen Kritik übt.
({11})
Er hat heute wieder einmal bewiesen, daß er wirklich ein großer Künstler ist, ein Künstler in der Darstellung von Schauergemälden.
({12})
Sie sind immer die gleichen. Wenn ich an die Sendung von Herrn Rosenthal denke, wo es immer „klick" macht und wieder ein Stück mehr zu sehen ist, um das Bild zu erkennen, dann sage ich: Bei ihm braucht es überhaupt nicht „klick" zu machen, denn wir wissen von vornherein ganz genau, wie dieses Bild aussieht. Es ist in den letzten zehn Jahren unverändert geblieben.
({13})
Was mich nur wundert: Wenn die Situation so ist, wie er sie dargestellt hat, und wenn seine Einschätzung so ist, wie konnte er dann zu dem Wort kommen: wenn er an der Macht gewesen wäre, wäre die Sowjetunion nicht in Afghanistan einmarschiert? Mir ist heute erst bewußt geworden, welch großer Mann er eigentlich ist, da er dies nach diesem Schauergemälde allein hätte verhindern können, wenn er Kanzler gewesen wäre.
({14})
Meine Damen und Herren, er will ja selbst dann noch in Untergangsstimmung machen, wenn es Chancen zur Besserung gibt. Ich will nicht mehr sagen als „Chancen zur Besserung".
(Frau Pack [CDU/CSU]: Mehr kann man
wirklich nicht sagen
Er gäbe in der Tat einen feinen Untergangskanzler ab, aber so eine Einrichtung ist in unserer Verfassung gar nicht vorgesehen.
({15})
- Wenn Sie das als Diffamierung bezeichnen, dann möchte ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Die Untergangsstimmung, die er hier gezeichnet hat, das ist etwas, was die Politik dieser Regierung diffamiert, was unser gemeinsames Wollen diffamiert. Dagegen sollten Sie sich endlich einmal in den eigenen Reihen wenden.
({16})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben sich dafür eingesetzt,
({17})
daß mit den Gesprächen in Moskau - und das ist in engagierter Form geschehen - erreicht werden soll,
({18})
daß unser Standpunkt deutlich und klar dargelegt wird, nicht nur in der Frage Afghanistan, sondern auch in der Entspannungspolitik, zur Rüstungskontrolle und zu den Fragen der Familienzusammenführung. Diese Unmißverständlichkeit in der Sprache und in der Sache hat nach unserer Überzeugung den Gesprächen mit der sowjetischen Führung erkennbar genutzt. Ich unterstreiche noch einmal: Damit wurden Anstöße gegeben, die neue Chancen zur Überwindung der Verkrampfung des Ost-West-Verhältnisses eröffnen. Dies gilt ganz besonders für den Bereich der Rüstungsbegrenzung der atomaren Mittelstreckenwaffen.
Natürlich stehen wir hier an einem mühevollen Prozeßanfang. Der Einstieg in die Sachgespräche, der hoffentlich kommen wird, bringt es doch mit sich, daß das Aneinander-Vorbeischweigen zu Ende geht, ja, zu Ende gehen muß, wenn man weiterkommen will. Wir haben noch nie etwas erreicht, wenn man nicht miteinander sprach. Ich darf wiederholen, was ich an anderer Stelle gesagt habe: Ich hätte mir gewünscht, das Rote Telefon, was ja für solche Zwecke eingerichtet war, wäre gerade in dieser Situation öfter genutzt worden.
Meine Damen und Herren, für die Zukunftssicherung der Menschheit ist es natürlich von existentieller Bedeutung, endlich das Gleichgewicht der Rüstung nicht weiter durch Zurüsten zu erreichen, sondern möglichst durch ein Absenken des Niveaus,
({19})
natürlich gleichgewichtig und ausgewogen. Dies ist in der Tat eine Jahrhundertaufgabe. Sie wird nur dann gelöst werden können, wenn in Ost und West die Bereitschaft zur offenen Verständigung dominiert. Voraussetzung dafür ist natürlich ein kühler Kopf, vernunftorientiertes Vorgehen, eindeutige Darlegung der sachlichen Position und entschiedene Absage an jedwede Hysterie. Es ist doch bedrückend, daß dies ausgerechnet in der Bundesrepublik Deutschland in den Unionsparteien anders ist Dürfen Sie nicht erkennen oder wollen Sie nicht erkennen, was sich hier an Entwicklungsmöglichkeiten ergibt, nicht in euphorischer Betrachtung, sondern in nüchterner sachgerechter Abwägung? Was sich da manche Unionspolitiker in den letzten Tagen geleistet haben, war doch einfach abenteuerlich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Bitte.
Herr Kollege Mischnick, wie erklären Sie sich, daß in keinem Jahrzehnt so stark aufgerüstet worden ist wie in den vergangenen zehn Jahren?
Herr Kollege, wenn das wahr wäre, müßte man speziell darüber diskutieren. Ich kenne aber Rüstungsphasen, die durchaus ähnlich, teilweise stärker gewesen sind.
({0})
Deshalb sollten wir dies immer im Zusammenhang
sehen und nicht einzelne Zahlen aus der Situation herausreißen. Dies wäre viel besser.
Aus Ihren Reihen gab es wechselweise böse und billige Unterstellungen an die Adresse der Bundesregierung, jedoch keinen einzigen konstruktiven Beitrag. Ich denke nur an den „trojanischen Esel". Troja war es ja nicht - aber ein Esel? Das muß an anderer Stelle gesucht werden.
In der Opposition hat sich eine Mischung von Angstlichkeit, Kleinkariertheit und Miesmacherei eingenistet, die doch nicht mehr im entferntesten an die entschlossene Gradlinigkeit eines Adenauer erinnert. Zwar ist er beschworen worden, aber bei ihm war wirklich Gradlinigkeit vorhanden.
({1})
Heute hat die Union meiner Ansicht nach eine fast schon unheilvolle Tradition aufgebaut Seinen Anfang hat das in den 60er und den 70er Jahren genommen, als eine Haltung der Defensive um jeden Preis sichtbar wurde.
({2})
Wie sonst hätte sich denn die Union gegen die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen wenden können? Wie sonst hätte sie sich gegen die vertraglich abgesicherten Verbesserungen für ungezählte Menschen in Deutschland wenden können? Wie sonst hätte sie Angst vor dem Atomwaffensperrvertrag und vor der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa haben können? Der Entschließungsantrag der Unionsfraktion vom 25. Juli 1975 zur Helsinki-Konferenz bleibt ein herausragendes Dokument politischer Angstlichkeit, Angstmacherei und Gestaltungsunfähigkeit Nur so kann man das im nachhinein doch bezeichnen.
({3})
Dieselbe Union, die sich heute so gern auf Helsinki beruft, wollte uns damals raten, als einziges Land, als einziger Staat außerhalb des Kreises der Unterzeichner der Schlußakte zu bleiben. Eine perfektere Selbstisolierung als dies, was uns damals vorgeschlagen worden ist, hätte es nicht geben können.
({4})
Meine Damen und Herren, solche Fehlschlüsse muß man doch ab und zu in Erinnerung rufen, damit sichtbar wird, daß es mit der Vorausschau, die hier oft beschworen wird, nicht so weit her war. Es muß ganz einfach die Struktur sichtbar gemacht werden, die sich in Ihren Reihen so verändert hat und die heute noch diese Politik bestimmt. Es ist eine Politik, die sich unfähig zeigt, die Wirklichkeit voll wahrzunehmen. Sie sehen immer nur die Risiken, aber niemals die Chancen. Beides muß man sehen, Risiken wie Chancen, und daraus muß man die richtigen Konsequenzen ziehen.
({5})
Natürlich ist es bequem, sich aufs Schwarzsehen zu beschränken und mutlos auf jeden Schritt nach vorn zu verzichten. Aber diese Art von Bequemlichkeit trägt doch in Wahrheit das höchste Risiko in sich, denn sie macht doch unfähig zur Beeinflussung von politischen Entwicklungen, von politischen Prozessen. Die Bundesregierung hat demgegenüber den Mut bewiesen, in einer sehr schwierigen Situation den Weg nach Moskau zu gehen, wohl wissend, welche Risiken darin lagen und liegen. Aber sie hat diese Risiken auf sich genommen, wir, die Koalition, haben sie auf uns genommen, weil wir der Meinung sind: Genau das ist der einzige Weg, um auf Dauer zu einer Sicherung unseres Friedens zu kommen.
Wir haben damit aktiv an der Friedenssicherung in Europa mitgewirkt. Wir haben die trostlose Entwicklung des Auseinanderlebens der beiden deutschen Staaten am Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre gestoppt. Wir haben Verbesserungen erreichen können,
({6})
und wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Lage in und um Berlin ruhig und stabil wurde. Wer bezweifelt, daß die Lage heute in Berlin ruhiger und stabiler ist, soll sich daran erinnern, daß noch vor zehn Jahren die Lkw-Kolonnen für drei oder vier Tage gestoppt worden sind. Das ist vorbei, weil wir diese Politik betrieben haben, und da können Sie hier doch nicht mit Ihren billigen Gegenargumenten kommen.
({7})
Wir haben uns auch von Rückschlägen nicht entmutigen lassen - wir waren immer der Meinung, daß es auch Rückschläge geben wird -, sondern haben mit Ausdauer und Willensstärke um handfeste Fortschritte gerungen. Dabei wurden wir meistens von einer recht sterilen Aufgeregtheit in der Opposition begleitet. Das war genauso wie Anfang dieser Woche. Ich habe das Gefühl, das rührt daher, daß man in den Unionsparteien den Anschluß an die notwendige Politik der Verständigung und der Entspannung einfach nicht findet. Ich habe manchmal so den Eindruck: da hetzt man mit hängender Zunge hinter der Koalition in der Entspannungspolitik her;
({8})
kaum glaubt man sie erreicht zu haben, da stellt schon wieder aus den eigenen Reihen einer ein Bein, man stürzt hin und muß den ganzen Wettlauf, um wieder Anschluß zu finden, von vorn beginnen. Das ist Ihre Situation. Sie kommen einfach nicht dazu, einmal wirklich in der Entspannungspolitik die Situation richtig zu erkennen.
Wir werden diese Entspannungspolitik konsequent fortsetzen. Wir sind der Überzeugung, daß die Grundsätze der Entspannungspolitik, die wir hier in Europa praktiziert haben, in andere Regionen übergreifen sollten, übergreifen müssen und dort Geltung bekommen müssen. Wir werden deshalb jegliche Bemühungen unterstützen, die auf eine Entstörung des Ost-West-Verhältnisses abzielen. Wir tun das doch nicht, um Afghanistan vergessen zu machen, sondern im Gegenteil, um Ansatzpunkte zu schaffen, um das, was an negativen Wirkungen daraus entstanden ist, zu überwinden.
Uns geht es darum, keine weltweite Eskalation daraus werden zu lassen. Das ist allerdings nur möglich, wenn sich die gegensätzlichen Seiten über die Wirklichkeit verständigen. Die letzten zehn Jahre sind doch ein Beweis dafür, daß es uns gelungen ist, die Ansatzpunkte und die Möglichkeiten dafür nicht zu verschütten. Die Regierung Schmidt/Genscher ist ein Garant dafür, daß dieser Weg der Friedenssicherung und der Entspannung weitergegangen werden kann. Ohne die Entspannungspolitik sind ja all die schwierigen Weltprobleme, die Zukunftsprobleme nicht lösbar. Natürlich ist das nur möglich auf einer gesicherten Verteidigungsfähigkeit. Darüber haben wir niemals einen Zweifel gelassen. Aber es ist das ständige Bemühen um eine gewaltfreie und politische Lösung von Konflikten. Die Politik der Entspannung ist im Gegensatz zu dem vielen Gerede nicht widerlegt, wenn sie Rückschläge erleidet, sondern es hat sich bewiesen, daß sie das einzige Mittel ist, den Frieden in Europa zu erhalten. Daran werden wir weiterarbeiten.
({9})
Die Regierung Schmidt/Genscher weiß, daß nur auf der Basis eines stabilen westlichen Bündnisses unsere Handlungsfähigkeit optimal genutzt werden kann. Deshalb haben- der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister vor und nach ihrer MoskauReise eine äußerst genaue Abstimmung und Information mit der US-Regierung vorgenommen.
Sie stehen damit in einem nachweisbaren Gegensatz zu dem Herrn Spitzenkandidaten Franz Josef ,Strauß. Der hat ja in letzter Zeit ganz besonders oft beteuert, daß er sagt, was er denkt, und daß er denkt, was er sagt. Das ist sehr erfreulich. Unerfreulich ist allerdings meistens dann das, was er denkt und was er sagt. Das ist die andere Seite. Aber von besonderer Qualität war doch - dies muß ich in Erinnerung zurückrufen -, was er über den amerikanischen Präsidenten sagte, als er im Februar dieses Jahres ein Europa forderte, das - so Strauß wörtlich, ich zitiere - „nicht am Rockzipfel der Amerikaner hängt, das nicht von den innenpolitischen Wechsellagen der amerikanischen Politik bestimmt wird, das nicht von wechselnden Meinungen des amerikanischen Präsidenten mit seinem Lebensschicksal abhängt".
- Nachzulesen im „Bayernkurier" vom 1. März 1980.
({10})
Wer so spricht, der soll sich doch gefälligst nicht hier als eine Gouvernante des richtigen Betragens im Bündnis aufspielen,
({11})
sondern sich erstmal selber so verhalten, wie er es anderen vorschreiben will. Wer so spricht, baut auch nicht auf, sondern baut ab. Es ist ein Glück für unser Land, daß die Politik der Bundesregierung nicht von Aussprüchen Straußscher Manier, Straußschen Musters geprägt ist, sondern daß sie von Sachlichkeit und Kalkulierbarkeit geprägt ist.
In diesem Sinne werden wir die Bundesregierung jetzt und später weiter unterstützen.
({12})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
({0})
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Entsprechend der geänderten Reihenfolge rufe ich jetzt Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts über den Stand der Arbeit und die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik"
- Drucksachen 8/2353, 8/2628, 8/4341 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Stavenhagen Ueberhorst
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Laut Beschluß des Bundestages hat die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" die Aufgabe, die energiepolitischen Entscheidungsmöglichkeiten und Entscheidungsnotwendigkeiten unter ökologischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und Sicherheitsgesichtspunkten darzustellen und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
Mit dem Kompromiß, auf den sich die Mehrheit der Kommission geeinigt hat, wird dieser Auftrag nach unserer Auffassung verfehlt, denn statt Handlungsempfehlungen werden vieldeutige Worthülsen geboten. Die zentralen Aussagen der Kommissionsmehrheit besagen einerseits, daß unter bestimmten Voraussetzungen ein Verzicht auf Kernenergie möglich sein könnte. Weiter wird behauptet, daß vor 1990 nicht mit breitem Konsens für oder
gegen die Kernenergie entschieden werden könne und daß man erwarte, daß diese Entscheidung nach 1990 eher möglich sei. Auf der anderen Seite wird erklärt, daß über die vorhandenen Kernkraftwerke hinaus zusätzliche, neue Kernkraftwerke im Rahmen des Bedarfs zugebaut werden müßten, um die nukleare Option versorgungs- und industriepolitisch zu erhalten.
Unter dieser, wie wir meinen, Rabulistik haben sich Kommissionsmitglieder zusammengefunden, die zum Teil viel mehr Kernenergie für notwendig halten als wir, während andere immer noch meinen, das beste Kernkraftwerk sei das abgestellte Kernkraftwerk. Diese verschiedenen Gruppen haben sich nicht deswegen in dem Kompromiß geeinigt, weil sie sich aufeinander zu bewegt hätten, sondern weil es ihnen der Kompromiß erlaubt, die jeweils eigene Position darin - für den Bürger kaum erkennbar - verborgen zu wissen. Damit ist aber nach unserer Meinung der Akzeptanz nicht gedient und der Glaubwürdigkeit der Kommission Schaden zugefügt.
Wie wollen Sie, meine Damen und Herren, denn dem Bürger, in dessen Nachbarschaft ein Kernkraftwerk gebaut werden soll, klarmachen, daß er dies akzeptieren soll? Doch sicher nicht damit, daß dies einer industriepolitischen Option diene. Der Betroffene wird es zu Recht als blanken Hohn empfinden, wenn man ihm einerseits ein solches „Ding" vor die Nase setzt, andererseits aber behauptet, über die Notwendigkeit der gesamten Technik müsse erst nach 1990 entschieden werden. Die Bürger haben es einfach satt, von den Politikern mit schönen Worthülsen umworben zu werden. Sie erwarten von uns, daß wir klare Positionen beziehen. Das schafft Akzeptanz und sonst überhaupt nichts.
Für die Mitglieder der CDU/CSU in dieser Kommission muß ich deshalb feststellen, daß uns die Arbeit der letzten 12 Monate in unserer Auffassung bestärkt hat, daß unserem Land ohne die friedliche Nutzung der Kernenergie Schaden entsteht. Die Bundesrepublik Deutschland steht wie auch andere Industrieländer einer neuen Politik der Ölländer gegenüber, die von Streckung der Ölreserven, Erhaltung der Kaufkraft ihrer Öleinnahmen und Anpassung an ihre finanziellen Bedürfnisse geprägt ist. Diese Politik kann die Abnehmerländer sehr schnell dazu zwingen, ihre Öleinfuhren mangels Devisen radikal einzuschränken. Die unerwartet schnell fortschreitende Verschlechterung unserer Leistungsbilanz schließt solche Befürchtungen auch für die Bundesrepublik Deutschland nicht aus.
Wirtschaftliche Strukturschwächen, ungleiche Entwicklung ethnischer und sozialer Gruppen, verstärkte Suche nach eigener Identität durch Rückgriffe auf religiöse und kulturelle Traditionen haben in den Ölländern innenpolitische Auseinandersetzungen ausgelöst, für die diese Länder überhaupt nicht gerüstet sind. Die Folge ist, in den Ländern mit orthodox-islamisch ausgerichteten Tendenzen treten starke Kräfte für eine Beschränkung der Ölproduktion, Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und stärkere Orientierung der Außenpolitik auf regionale und nationale Interessen ein. Das WeiterDr. Stavenhagen
schwelen des Nahost-Konflikts gefährdet die Ölversorgung des Westens zusätzlich. Deshalb haben die Mitgliedsländer der Internationalen Energieagentur am 22. Mai dieses Jahres beschlossen, bis 1985 beträchtlich hinter den bis dato anvisierten Öleinfuhren zurückzubleiben. Einfuhrbeschränkungen können aber auch deshalb notwendig werden, weil die ölarmen Entwicklungsländer vorrangig, d. h. zu Lasten der Industrieländer, mit Öl versorgt werden müssen.
Der Weltenergieverbrauch bis über das Jahr 2 000 hinaus wird entscheidend vom Anstieg der Weltbevölkerung abhängen, die derzeit rund 4,5 Milliarden Menschen beträgt. Nach vorsichtigen Schätzungen muß bis zum Jahr 2 030 mit einer Verdoppelung auf neun Milliarden gerechnet werden. Das Bundeswirtschaftsministerium kommt deshalb auch zu dem Schluß, daß sich der Weltenergieverbrauch selbst bei sehr geringem Wachstum bis zum Jahr 2 000 nahezu verdoppelt und bis zum Jahre 2 030 verdreifacht.
Das vordringliche Weltproblem ist die Ernährung. 12 Millionen Kinder haben das Jahr des Kindes 1979 wegen unzureichender Ernährung nicht überlebt Bei dieser Lage sind es auch nicht die häufig zitierten elitären Gruppen in den Entwicklungsländern, die deren Industrialisierung fordern, es ist ganz einfach der Hunger, der diese Länder zum technischen und wirtschaftlichen Fortschritt verdammt Diese Länder benötigen vor allem zur Intensivierung ihrer Landwirtschaft ein Mehr an Energie, die nur durch Verbesserung der Schädlingsbekämpfung, der Düngung und der Bewässerung erreicht werden kann. All dies erfordert zusätzlichen Energieeinsatz in bisher nicht gekanntem Umfang. Ich weise aber auch auf die zunehmende Verstädterung gerade in den Entwicklungsländern hin. Nach Schätzungen der Weltbank werden zur Jahrhundertwende allein 40 Städe die Fünfmillionenmarke und 18 Städte sogar die Zehnmillionenmarke überschritten haben.
Werden diese düsteren Perspektiven auch nur als Möglichkeit akzeptiert, so bleibt uns gar nichts anderes übrig, als 01 in weit stärkerem Umfang, als bisher vorgesehen, zu substituieren. Dies kann nur durch Kohle und durch nichtfossile Energien, insbesondere die Kernenergie, erfolgen. Deshalb kann man nach unserer Auffassung die Hände nicht bis 1990 in den Schoß legen, sondern man muß jetzt handeln.
Die Staats- und Regierungschefs sind in Venedig am 23. Juni deshalb auch zu dem Schluß gekommen, daß wir uns auf andere Brennstoffe als Erdöl verlassen müssen, und hier nennen sie insbesondere und dezidiert Kohle und Kernkraft Sie sagen dort wörtlich: „Wir unterstreichen den entscheidenden Beitrag, den die Kernkraft zu einer sicheren Energieversorgung leisten kann. Der Einsatz der Kernenergie muß gesteigert werden, wenn der Weltenergiebedarf gedeckt werden soll.' Dies sehen wir genauso. Deshalb haben meine Freunde und ich im Kommissionsbericht folgende Empfehlungen gegeben:
Erstens. Energiepolitik muß auf ein ausreichendes Angebot an Energie, das am oberen Rand der Bedarfserwartungen orientiert ist, ausgerichtet sein.
Zweitens. Keine der uns zur Verfügung stehenden Energiequellen darf ausgeschlossen noch dürfen Sparmöglichkeiten außer acht gelassen werden.
Drittens. Es müssen weitere Kernkraftwerke zugebaut werden entsprechend dem Bedarf, wie wir ihn derzeit einschätzen, bis 1990 jährlich etwa zwei Kernkraftwerke vom Typ Leichtwasserreaktor.
Ich weise darauf hin, daß vier weitere Kommissionsmitglieder in ihren persönlichen Stellungnahmen jährlich etwa zwei Kernkraftwerke ausdrücklich für notwendig erachtet oder durch ihre Einschätzung zu den vier Energiepfaden den Bedarf so oder sogar höher definiert haben.
Wer den Kommissionsbericht ganz liest, kommt sehr schnell zu dem Schluß, daß der Formelkompromiß die Meinung der Mehrheit der Kommission inhaltlich nicht abdeckt, sondern nur als Tarnkappe überdeckt Diesem Formelkompromiß konnten wir auch deshalb nicht zustimmen, weil wir seine Voraussetzungen für fragwürdig, unzutreffend und für nicht wünschenswert halten. Wir sind der Ansicht, daß für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung die energieintensive Grundstoffindustrie einen gewissen Anteil an der Gesamtwirtschaft haben muß. Eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung ist unvereinbar mit einer Entwicklung, die eine Abnahme des wirtschaftlichen Wachstums zum erklärten Ziel hat oder zumindest einkalkuliert. Damit wird auch die Lösung sozialer Probleme erschwert; wenn nicht gar unmöglich gemacht Eine solche Entwicklung mit all ihren Konsequenzen wird von der Mehrheit unseres Volkes nicht gewünscht
Wir halten es aber für notwendig und vernünftig, alle marktkonformen Anstrengungen zur Einsparung von Energie und zur Entwicklung alternativer Energietechniken zu unternehmen. Auch Energiesparmaßnahmen müssen aber wirtschaftlich vertretbar und sozial akzeptabel sein.
({0})
Auf Grund der niedrigen Energiepreise vor der Ölkrise Ende 1973 waren Energieeinsparungen vom Markt her nicht oder kaum durchsetzbar. Nur in wenigen energieintensiven Wirtschaftszweigen, bei denen die Energie immer ein wichtiger Kostenfaktor war, hatten die Bemühungen um einen rationellen und sparsamen Energieeinsatz von jeher einen hohen Stellenwert Inzwischen hat der Markt aber auf breiter Front auf die neuen Signale in Form steigender Energiepreise reagiert. Der Suchprozeß nach neuen Möglichkeiten der Energieeinsparung und der rationellen Energieverwendung ist voll in Gang gekommen. Es gilt, diesen Such- und Entscheidungsprozeß des Marktes durch staatliche Maßnahmen zu unterstützen und administrative Hindernisse, die diesem Prozeß im Wege stehen, zu beseitigen. Dafür haben wir einen Katalog mit 36 Maßnahmen vorgelegt Welche Einsparraten sich tatsächlich erreichen lassen, hängt sowohl von den weiteren wirtschaftlichen Bedingungen als auch von den durchzuführenden energiepolitischen Maßnahmen ab.
Die Mehrheit der Kommission hat einen Katalog mit über 60 Maßnahmen zur Energieeinsparung zusammengestellt. Wir sind der Auffassung, daß ein
großer Teil dieser Maßnahmen wegen des staatlichen Eingriffs in Einzelentscheidungen der Verbraucher, wegen des Verwaltungsaufwands, der damit verbundenen Kontrollen und der sehr zweifelhaften Wirkungen nicht empfohlen werden kann. Neben einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung, deren energiesparender Effekt völlig unbewiesen ist, wird eine gesetzliche Regelung für den Durchschnittsverbrauch von Kraftfahrzeugen gefordert. Eine Abwärmeabgabe sowie eine Energieverbrauchsordnung finden sich in dem Katalog. Vorschriften zum Einbau von Regelungsanlagen und Kontrollgeräten zur Überwachung des persönlichen Heizverhaltens werden empfohlen. Die Kilometerpauschale soll abgeschafft und es sollen Vorschriften über den zulässigen Einsatz von Haushaltsgeräten eingeführt werden. Die Notwendigkeit dieser Maßnahmen wird vom Verbraucher zu Recht nicht eingesehen. Ihre Durchführung würde also staatlichen Zwang erfordern. Deshalb konnten wir diesen Vorschlägen nicht zustimmen.
Die Kommissionsmitglieder Reuschenbach und Laermann haben sich ebenfalls in Fußnoten eindeutig von diesem dirigistischen Katalog distanziert, ebenso drei Sachverständige. Einem weit überzogenen Katalog zuzustimmen, um sich dann in Fußnoten wieder davon zu distanzieren, trägt, Herr Reuschenbach, nicht zur Verbesserung der Akzeptanz bei.
({1})
Die Kommission hatte die Aufgabe, auch Wege ohne Kernenergie auf ihre Möglichkeiten und Konsequenzen zu untersuchen. Hier brachte die Kommissionsarbeit, wie wir meinen, bemerkenswerte Klarheit. Die Pfade III und W des Berichts, also die Pfade ohne Kernenergie, zeigen, daß bei Verzicht auf Kernenergie ein Wachstum der Grundstoffindustrie nicht mehr möglich ist. Das erforderliche Sparen wird als sehr stark bis extrem eingestuft, wofür nach Aussage seiner Befürworter selbst der dirigistische Sparkatalog der Kommissionsmehrheit nicht ausreicht Außerdem muß der Einsatz regenerativer Energiequellen bis zum Jahr 2000 wenigstens verfünffacht und danach verzehnfacht werden - was wir für völlig unrealistisch halten. Der von seinen Jüngern als „sanft" bezeichnete Weg ohne Kernenergie erweist sich bei näherem Hinsehen als Weg voll staatlicher Reglementierung, als totaler Energiesparstaat So sagt Gronemeyer in seinem Aufsatz „Selbstbestimmung innerhalb der Grenzen des Wachstums", nur eine Verteilungsdiktatur sei imstande, die Problemlawine abzufangen. Heilbroner schreibt:
Die intellektuelle Redlichkeit zwingt mich aber, einzugestehen, daß wir das bevorstehende ökologische Spießrutenlaufen vielleicht nur unter Regierungen überstehen werden, die Gehorsam weit wirksamer durchzusetzen vermögen, als es unter den demokratischen Bedingungen möglich wäre.
Und Harich spricht von rigorosen Unterdrückungsmaßnahmen, begleitet von gesetzlich verfügten Massenentziehungskuren. Unabhängig vom politischen Standpunkt sind die Advokaten einer selbstgenügsamen Wachstumsbegrenzung offenbar einmütig der Auffassung, daß zur Verwirklichung dieses Ziels drastische, die Gesellschaftsordnung verändernde Einschränkungen der individuellen Freiheiten unerläßlich sind.
Die Kernenergiegegner in der Kommission haben erkannt, daß auf direktem Weg die Kernenergie nicht zu Fall gebracht werden kann. Deshalb haben sie das Projekt des Schnellen Brüters in Kalkar und die Pläne für eine Entsorgung mit Wiederaufarbeitung zum Ziel ihrer Angriffe gemacht. Die Vorlage der Mehrheit der Kommission zum Thema Schneller Brüter bedeutet möglicherweise Verzögerung des Weiterbaus und der Inbetriebnahme des Projekts SNR-300 in Kalkar. Umfangreiche Studien, deren Erstellung mehrere Jahre dauern wird, werden gefordert. Die Forderungen bergen in sich erhebliche, nach unserer Auffassung unberechtigte, Kritik an dem bisherigen Genehmigungsverfahren. Dem können wir uns nicht anschließen.
Durch die Vorlage der Kommissionsmehrheit zur Entsorgung wird der Bau einer industriell nutzbaren Wiederaufarbeitungsanlage, wie er im Entsorgungskonzept des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten vorgesehen ist, möglicherweise nicht verhindert. Die Formulierungen sind aber ungenau und mehrdeutig. Unserem Antrag, ausdrücklich zu erklären, daß die Empfehlungen der Kommission sich in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem Beschluß der Regierungschefs zur Entsorgung befinden, wurde nicht entsprochen.
({2})
Sowohl unserer Vorlage zum Schnellen Brüter als auch unserer Vorlage zur Entsorgung stimmten mehrere Sachverständige in Fußnoten ausdrücklich zu. Sie stimmten dennoch für den schwammigen Kompromiß, weil sie glaubten, damit zu mehr Akzeptanz beizutragen. Das ist ein verhängnisvoller Irrtum, wie ich befürchte.
({3})
Karl Steinbuch wies kürzlich darauf hin, daß unser Land nahe daran ist, seine technische Leistungsfähigkeit, sein wertvollstes Gut, zu verspielen. Daran wollen wir uns nicht mitschuldig machen. Wieder einmal haben wir die groteske Situation, daß Mitglieder der Regierungsparteien die Politik des Bundeskanzlers zu unterlaufen versuchen und die Opposition die Haltung der Regierung in Fragen der Kernenergie gegen unberechtigte Angriffe in Schutz nehmen muß.
({4})
Wir erwarten von der Regierung, daß sie sich sowohl zum Mehrheitsvotum als auch zum Minderheitsvotum der Kommission äußert und eindeutig Stellung bezieht, wie es auch in unserem Entschließungsantrag zu lesen ist. - Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ueberhorst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Aussprache setzen wir die Diskussion in der Enquete-Kommission fort. Es ist heute nicht der Tag, wo die Fraktionen - ob Koalitionsfraktionen oder Oppositionsfraktion - zu dem vorgelegten Bericht bereits definitiv Stellung nehmen können. Meinerseits habe ich das vorzustellen, was die Mehrheit der Kommission, die Herr Stavenhagen soeben schon ansprach, beschlossen hat. Es ist vielleicht gut, daß wir uns hier im Parlament und in der Öffentlichkeit vergegenwärtigen, daß wir in der Kommission 15 Mitglieder hatten und weder die drei parlamentarischen Mitglieder der Opposition noch die vier parlamentarischen Mitglieder der Koalition dort eine Mehrheit bilden konnten; wenn eine Mehrheit zu bilden war, war es erforderlich, Sachverständige, den Sachverstand zu gewinnen, und das war ein heilsamer Zwang bei der Arbeit dieser Kommission.
Ich möchte deshalb an erster Stelle den Sachverständigen nicht nur für ihre Mitarbeit, sondern auch dafür danken, daß sie sich nicht nur als Informanten, als Spezialisten, sondern gerade auch für den politischen Dialog -, für den Dialog über Fachgrenzen und über Einstellungen hinaus -, für den Versuch zur Verfügung gestellt haben, gerade auch im Gespräch zwischen Abgeordneten und Sachverständigen tragfähige Kompromisse für unser Land zu erarbeiten.
({0})
Das wichtigste Ergebnis in diesem Sinne ist für uns als Bundestag, so meine ich, daß die Sachverständigen - unbeschadet ihrer unterschiedlichen Haltung zur Kernenergie - am 25. Juni einstimmig, also alle acht, ein Ergebnis tragen konnten. Was das in der Sache ist, wird gleich zu beschreiben sein. Aber daß die Sachverständigen dazu in der Lage waren und immer betont haben „Wir wollen aus dieser Kommission nicht so herausgehen, wie wir mit unseren Vorurteilen hineingegangen sind", ist die eigentliche Leistung. Damit haben die sachverständigen Mitglieder den Arbeitsstil dieser Kommission geprägt, zum Guten hin geprägt.
Nun, was ist der Inhalt? Der Hauptinhalt ist hier nicht in wenigen Minuten anzusprechen. Sie haben ja den Bericht, den 600-Seiten-Bericht vorliegen. Wichtig war für uns als Kommission, daß wir uns die Grundsatzfrage gestellt haben: Ist der Einsatz der Kernenergie eine Notwendigkeit oder aber eine Möglichkeit, auf die man auch verzichten könnte? Es war möglich, sich im Kreise aller Kommissionsmitglieder auf Voraussetzungen zu einigen, mit denen man diese Frage betrachten muß. Das heißt: Wir haben uns gemeinsam darauf geeinigt, wieviel Kohle man wohl voraussetzen dürfe, wieviel Öl man in der Zukunft wohl zur Verfügung haben werde - selbstverständlich sind das abnehmende, stark abnehmende Ölmengen -, wieviel Uran man maximal importieren könne. Wir haben uns auch - das ist. ebenfalls wichtig - gemeinsam auf Energiedienstleistungen im Komfortbereich festlegen können. Beispielsweise haben wir festgelegt, daß die Anzahl der elektrischen Geräte im Haushalt bei allen Betrachtungen um den Faktor 3 steigt. Wir haben weiter festgelegt, daß das Energiesystem pro Person 40 Quadratmeter beheizte Fläche anbieten muß. Unsere Leitlinie war also: Zunehmende Energiedienstleistungen für wachsenden Komfort der Bürger. Wir haben uns also alle miteinander von vornherein unter diese Rahmendaten gestellt und die Diskussion über „Askese oder Kernenergie" gar nicht erst angefangen, weil niemand für Askese, jeder aber für wachsenden Lebensstandard war, insbesondere auch der unteren und mittleren Einkommensschichten.
({1})
- Sehr richtig.
Was wir bearbeitet haben und was alternativ zu behandeln wäre, sind die Fragen: Kann man es mit oder ohne Kernenergie machen? Wie intensiv kann man sparen? Welche Sparerfolge kann man überhaupt zeitigen? Wieviel läßt sich im Bereich der erneuerbaren Energieträger an Potential mobilisieren? Da ist es der Kommission - ebenfalls einstimmig - gelungen, mit der Bandbreite, die wir in der öffentlichen Diskussion vorfinden, unterschiedliche Energiesysteme zu beschreiben und jedermann, z. B. demjenigen, der auf Kernenergie verzichten will, oder demjenigen, der bei viel Wirtschaftswachstum ohne neue Sparanstrengungen auskommen will, klar vorzurechnen, was denn die Bedingungen der Möglichkeit sind, seine jeweiligen Ziele zu erreichen. So wird z. B. für jemanden, der bis zum Jahre 2000 mehr als 3 % und danach auch noch mehr als 1 % Wachstum haben, aber keine neuen, zusätzlichen Sparanstrengungen über den Trend hinaus unternehmen will, deutlich: Er braucht im Jahr 2030 mehr als 200 Millionen Tonnen Kohle - mehr, als wir hier bei uns fördern können -, er braucht 250 Millionen Tonnen 01 und Gas - weit mehr, als man realistischerweise voraussetzen darf;
({2})
das ist fast noch so viel wie heute -, und er braucht 165 Gigawatt elektrische Leistung durch Kernenergie. Das ist der Pfad, verehrter Herr Kollege, von dem es in der Zeitung „Die Welt" hieß, das sei der Pfad, den die Industrie gehen wolle. Ich lasse diese Aussage zur „Industrie" mal so stehen, weise aber darauf hin, daß wir mit der Erarbeitung dieser Pfade jedermann Gelegenheit gegeben haben - das hat Herr Stavenhagen soeben auch schon gesagt -, ehrlich zu sehen, was er leisten, was er durchsetzen muß, wenn er die Ziele verwirklichen will. Jedermann kann sehen, welches enorme Ausmaß an Kernkraftwerksanlagen er bauen, durchsetzen können muß oder aber welche enormen Sparanstrengungen er durchsetzen und welche Erfolge er zustande bringen muß, um einen Weg ohne Kernenergie möglich zu machen.
Aus diesen Analysen hat die Mehrheit der Kommission ein Bild gewonnen und ist zu dem Schluß gekommen: Wenn die Sparerfolge stark sind, wenn die erneuerbaren Energiequellen stärker zum Einsatz kommen können und wenn ein Strukturwandel der Wirtschaft stattfindet, ist längerfristig ein Verzicht auf Kernenergie durchaus möglich. Anderer18628
seits ist es aber auch unsicher, ob die dazu notwendigen Sparerfolge tatsächlich eintreten.
In dieser Lageanalyse haben sich alle acht Sachverständigen getroffen, und vier Parlamentarier haben zugestimmt. Ich meine, es ist vernünftig darauf hinzuweisen, daß wir uns nicht immer in die Frage „Kernenergie, ja oder nein?'' hineinjagen lassen, sondern fragen sollten: Was ist zum richtigen Zeitpunkt die richtige Frage? Der Zeitpunkt für die richtige Frage zur langfristigen Nutzung der Kernenergie über Jahrhunderte ist nicht gekommen.
({3})
Dieser Zeitpunkt kommt, wenn wir das Sparen und die Bemühungen in Richtung auf den Pfad III praktisch intensivieren, etwa um das Jahr 1990. Für die Zeit bis dahin haben wir in dem Bericht ganz und gar nicht eine Politik beschrieben, wo etwa Hände in irgendeinen Schoß gelegt werden, sondern wir schlagen vor: eine aktive Politik einer fairen Konkurrenz beider Wege, eines fairen Intensivierens des Sparens und Förderns erneuerbarer Energiequellen einerseits und andererseits einer Aufrechterhaltung der versorgungs- und forschungspolitischen kerntechnischen Option. Dies ist ausführlich in dem Bericht beschrieben, und ich möchte zwei entscheidende Überlegungen vorstellen.
Warum ist das für die Kommission konsensfähig gewesen?
({4})
Man kann doch folgende Überlegung nachvollziehen, Herr Gerstein. Was wir sehen müssen, ist: es ist keine Gesinnungsfrage hier zu entscheiden, sondern man muß die Probleme rational analysieren. Dann stellt man fest, je mehr Öl wir durch rationelle Verwendung und durch den Einsatz erneuerbarer Quellen einsparen, desto mehr Kohle bliebe für die Verstromung. Je mehr Kohle für die Verstromung bleibt, desto weniger Kernenergie ist erforderlich, möglicherweise null. Oder anders gesagt: Wenn die sehr starken Sparerfolge nicht gezeitigt werden können, dann kann die erforderliche Ölreduktion nur dadurch bewerkstelligt werden, daß auch Kohle verstärkt zur Ölsubstitution herangezogen wird, also zur Verstromung nicht mehr im ausreichenden Ausmaß zur Verfügung steht. Dies ist eine innere Logik, die wir auf eine rationale Praxis für die 80er Jahre umgesetzt haben.
Ich muß in dem Zusammenhang, Herr Stavenhagen, zurückweisen, wenn Sie sagen, daß hier ein Sparkatalog mit dirigistischen Maßnahmen vorgeschlagen worden sei.
({5})
- Auch dort steht es nicht; er wird es gleich noch sagen. Wenn Sie wenigstens so weit gekommen wären, wie Kollege Laermann und Herr Reuschenbach in den Fußnoten! Dann hätten Sie nämlich grundsätzlich und tendenziell mit den Sachverständigen gestimmt.
({6})
Wenn Sachverständige wie Professor Schäfer oder der Vertreter des DGB Alois Pfeiffer einen solchen Katalog ausarbeiten und vorlegen, dann können Sie diesen Katalog doch nicht mit Wahlkampfvokabeln aus Ihrer Mottenkiste belegen. Im übrigen lesen Sie bitte das, was heute in der wirklich liberalen Wirtschaftszeitung „Die Zeit" gestanden hat: Es ist ein systemkonformer, ein marktwirtschaftlicher Sparkatalog, den man unterschreiben kann.
Die Frage, der wir uns noch zuwenden müssen und die intensiv zu behandeln ist, ist die Grundsatzfrage, die sich alle Sachverständigen gestellt haben. Vorab, Herr Stavenhagen: Ich bin nicht angenehm angetan, von der Form, in der Sie mit den Sachverständigen - die wir ja wohl gemeinsam berufen haben - hier jetzt umgehen.
({7})
Zur Grundsatzfrage: Wir haben doch in der Kommission letztendlich zwei Grundhaltungen gehabt: Einerseits ein starkes Bemühen um einen Konsens und andererseits eine Haltung, die sagte: Wenn ich recht habe, dann mache ich keine Kompromisse. Nun soll man sich doch mal fragen: Ist es so schlecht, wenn man in der Energiepolitik eine breite Übereinstimmung erhalten will, ist das etwa unsachlich oder unpolitisch? Da sage ich Ihnen, das Bemühen um Kompromisse, um tragfähige Politiken in diesem Bereich ist erst einmal ein demokratischer Grundwert. Demokratie ist mehr als nur immer Mehrheit und Minderheit feststellen und abstimmen, sondern Demokratie verwirklicht sich auch in dem Bemühen, konstruktiv Anliegen von breiten Minderheiten aufzunehmen, dialogfähig zu sein und, wenn es geht, gemeinsame Lösungen zu suchen. Und dies war möglich; wenn auch nur mit 12:3 Stimmen.
Ich weise Sie auch darauf hin, daß Sie in Ihrem Kriterienkatalog, verehrter Herr Narjes, mit Ihren Kollegen dieses unterschrieben haben. Da haben wir es hineingeschrieben. Aber es ist so: Der Zielwert „breiter Konsens" wird hoch aufgehängt, und dann wird praktisch darunter hindurchgelaufen.
({8})
- Nein.
Dann muß man auch dazu stehen. Das haben die Sachverständigen getan.
Das letzte möge Sie wenigstens überzeugen. Wenigstens das Sachargument mögen Sie doch sehen: Wer Energiepolitik machen will - ganz gleich, welchen Weg er geht -, braucht über Jahrzehnte eine stabile Mehrheit, eine stabile Orientierung an einem bestimmten Konzept. Er kann dieses nicht alle drei Jahre wechseln.
Zu der Fußnote, die einige Sachverständige unter Ihr Papier geschrieben haben: Überlegen Sie sich doch mal, das sagen die Sachverständigen jetzt schwarz auf weiß. Wir brauchen doch einen breiten Konsens! Deshalb enthalten wir uns hier bei diesem Papier, auch wenn es inhaltlich akzeptabel ist.
Spätestens da hätten Sie merken müssen, daß die Sachverständigen Ihnen zurufen wollten: Kommt, laßt uns hier den breiten Konsens zu erreichen versuchen und nicht in Konfrontation machen.
({9})
Wenn Sie dies jetzt so zum Lächeln, zum Lachen, zum Spaßmachen finden: Fragen Sie sich doch einmal nach dem Wahlkampf, wo, wenn nicht hier im Deutschen Bundestag, eigentlich erfolgreich versucht werden soll, die Energiekontroverse einer breiten, tragfähigen Lösung zuzuführen, die auch die Bürger akzeptieren können, die in der Öffentlichkeit mit unterschiedlichen Grundhaltungen diskutieren. Wo, wenn nicht hier? Wo soll das denn eigentlich passieren?
({10})
- Die Mehrheit haben wir schon, verehrter Herr Kollege. Ich sage Ihnen, verehrter Herr Stavenhagen, da dies für Sie jetzt offensichtlich die Preisfrage ist: Wir werden bei der Bundestagswahl noch aus ganz anderen Gründen wieder die Mehrheit bekommen.
In der Energiepolitik gehen Sie feixend und lachend über die Tatsache hinweg, daß acht Sachverständige, die wir gemeinsam berufen haben, diesem Konzept zustimmen, und fragen: Wo ist die Mehrheit für dieses Konzept?
({11})
Ich frage Sie: Könnte es nicht auch so sein - überlegen Sie einmal ganz ruhig -, daß acht Sachverständige
({12})
- Sie können ruhig dazwischenrufen - richtiger liegen als null Sachverständige?
({13})
Meine Damen und Herren, zu dem Punkt, daß diese acht Sachverständigen und die vier Abgeordneten der Bundesregierung in den Rücken gefallen wären, muß ich Ihnen sagen: Dies ist ein Witz, über den wir nur deshalb nicht mehr lachen, weil Sie ihn täglich neu erzählen. Wir stützen die Regierung, und Sie machen dem Bürger tagtäglich vor, daß Sie der Regierung ans Leder wollen; gleichzeitig wollen Sie dem Bürger aber vormachen, daß Sie auch noch die besten Schützer der Regierung wären. Wer soll das nun noch glauben? Das glaubt Ihnen keiner. Ich weiß auch: Sie glauben es selber nicht. Ich nehme zu
Ihren Gunsten an, daß Sie dieses nach der Wahl nicht mehr erklären werden.
({14})
Herr Kollege Ueberhorst, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Bitte sehr.
Wenn das ein Witz ist, daß Sie der Bundesregierung in den Rücken gefallen sind: Warum haben Sie dann nicht zugestimmt, als die drei Kommissionsmitglieder der Union, um einen Kompromiß zu erreichen, gebeten haben, in das eine Papier z. B. aufzunehmen, daß die dort gefundenen Formulierungen nicht hinter dem Beschluß des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten zurückgeblieben sind? Darf ich Sie fragen, ob Ihnen noch bekannt ist, daß wir darauf hingewiesen haben -
Das ist eine zweite Frage.
({0})
- Nein, Sie haben nur zu einer Frage das Wort
Verehrter Herr Kollege, ich sagte Ihnen schon, daß wir im Kreise der Kommissionsmitglieder immer Mehrheiten, bestehend aus Sachverständigen und Abgeordneten, bilden müssen. Das Konzept zur Entsorgungspolitik ist - wenn Sie bitte die erste Seite dieses Papiers lesen - deutlich ein Konzept, das in sich geschlossen ist, das zur Erörterung hier im Parlament vorgelegt worden ist und das nicht wortgleich - es ist in einigen Punkten anders angelegt - mit dem ist, was die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten beschlossen haben.
Nun sage ich Ihnen ganz freimütig auch - ich habe jetzt durch Ihre Frage mehr Zeit bekommen - dies:
(Kolb [CDU/CSU]: Das ist ja ganz neu»
Wir sind doch nicht als eine parlamentarische Kommission eingesetzt worden, um nach einem Jahr Arbeit festzustellen: Alles bleibt so, wie es ist
({0})
Wir sind doch wohl eingesetzt worden - und das ist das Recht einer parlamentarischen Kommission -, um auch der Bundesregierung und dem Hohen Hause - letzterem zuerst, da es sich um eine Enquete-Kommission handelte - Vorschläge zu machen, die auch mithelfen können, die Politik der. Bundesregierung weiterzuentwickeln
({1})
- Sie können gerne zurückdrehen -, nicht nur im Bereich der Entsorgungspolitik, sondern auch in anderen Bereichen.
({2})
Ich möchte zum Abschluß sagen - wir haben ja eine begrenzte Redezeit vereinbart -: Die Kommission hat - wiederum mit den Stimmen aller Sachverständigen und der Mehrheit der parlamentarischen Mitglieder - beschlossen, dem 9. Deutschen Bundestag zu empfehlen, eine Weiterarbeit zu ermöglichen. Das ist erforderlich, weil zum einen die Diskussionsergebnisse dieses vorgelegten Zwischenberichts aufgenommen werden müssen und weil wir zum anderen jedem die Gelegenheit bieten möchten, nicht vorschnell zu urteilen, sondern den Bericht intensiv zu prüfen. Das Deutsche Atomforum hat z. B. gesagt, das werde geschehen und bis zum Ende des Jahres dauern. Das ist wohl etwa die Größenordnung, die man braucht, um das in der Öffentlichkeit, in den Verbänden, in der Wirtschaft zu diskutieren.
In der nächsten Periode werden wir die restlichen Arbeitsaufgaben in Angriff nehmen müssen, insbesondere auch solche Arbeitsfelder wie etwa die Frage der eventuellen Inbetriebnahme des Schnellen Brüters oder der sozialen Folgen von Energiesystemen, die wir jetzt noch nicht haben behandeln können.
Für den Wahlkampf wünsche ich mir: Wir sollten nicht vergessen, daß die Kommission mit einer breiten Mehrheit einen Vorschlag gemacht hat, der auch über den Wahltermin hinaus trägt. Wir werden uns das durch die Opposition im Wahlkampf jedenfalls nicht kaputtreden lassen.
({3})
Es geht jetzt auch nicht darum, immer kindisch zu fragen: Wer darf sich bestätigt fühlen, und wer muß sich in den Rücken gefallen fühlen?,
({4})
sondern jeder sollte sich fragen: Wer kann sich mit dem Konzept aufgenommen fühlen? Da lese ich das Urteil von Herrn Knizia aus der Wirtschaft, da lese ich die Stellungnahme des DGB, da lese ich viele Stellungnahmen aus dem Bereich der Umweltschützer. Es beginnt also ein neuer interessanter Dialog, der mithelfen kann, die breite Zustimmung, die wir in der Kommission gefunden haben, auch in der Öffentlich zu gewinnen. Hilfreich wäre es, wenn der Deutsche Bundestag, der durch die Einrichtung des Stabes bisher sehr. gute Arbeitsmöglichkeiten für die Kommission geschaffen hat, jetzt die Mittel bereitstellen würde - wie bei anderen Enquete-Kommissionen üblich -, um den Bericht drucken und jedem interessierten Bürger zuleiten zu können; denn für die Bürger haben wir ihn erarbeitet. Wir hoffen, einen guten Beitrag erarbeitet zu haben. Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik'' hat nach rund 15monatiger Arbeit einen Bericht vorgelegt, der nur einen Teil der Aufgaben abdeckt, die ihr vom Deutschen Bundestag aufgegeben wurden.
In diesem Bericht kommt das Bemühen zum Ausdruck, die kontroversen Diskussionen um die Nutzung der Kernenergie zusammenzuführen. Ich möchte ausdrücklich würdigen, daß die Aufgaben, insbesondere von den Sachverständigen mit großer Ernsthaftigkeit und mit sehr viel Verständnis für die gegensätzlichen Positionen, Einstellungen und Argumente - der Bedeutung der Kommissionsarbeit im Blick auf die öffentliche und politische Diskussion entsprechend - behandelt wurden. Ich vermag die Kritik der CDU/CSU an den Sachverständigen überhaupt nicht zu teilen, ja, ich muß sie zurückweisen. Offenbar sind die Kollegen von der Opposition darüber enttäuscht, daß die Sachverständigen nicht auf ihren parteipolitischen Kurs eingeschwenkt sind.
({0})
Mein Eindruck ist, daß die Arbeit in der Enquete-Kommission von dem Bemühen getragen wurde, die Konfrontation in der öffentlichen Diskussion aufzulösen. Es ist bedauerlich, daß die CDU/CSU-Mitglieder der Kommission, zumal in der letzten Phase, so sehr auf Kollisionskurs gegangen sind und sich grundsätzlich außerhalb der Bemühungen um einen breiten Konsens gestellt haben,
({1})
und das in den grundlegenden Fragen gegen die Auffassung aller Sachverständigen. Das, verehrte Kollegen, war doch wohl schon Wahlkampf. Ich weiß nicht, ob da nicht möglicherweise schon Weisungen aus der bayerischen Zentrale, der Leitstelle des Kanzlerkandidaten, vorgelegen haben.
({2})
- Das zu widerlegen, überlasse ich Ihnen.
Der Bericht, meine sehr verehrten Damen und Herren, war noch nicht einmal insgesamt beschlossen, er lag noch nicht gedruckt vor, da wurde er schon von unterschiedlichen Positionen aus beurteilt und verurteilt. Es war unschwer festzustellen, daß hier ein gerüttelt Maß an Vorurteilen und an Oberflächlichkeit in diesen Kritiken enthalten war. Das wird der Arbeit und dem Bericht der Kommission keinesfalls gerecht.
({3})
Der Bedeutung der Sache selbst, um die es geht, und der Leistung der Sachverständigen wegen verdient das Ergebnis der Kommissionsarbeit eine eingehende Befassung, und der wahre Gehalt des Berichts verdient eine objektive Würdigung.
Da wird in der Öffentlichkeit von verpaßten Chancen geredet, pauschal von undemokratischen, dirigistischen Empfehlungen gesprochen, die zu gesellschaftspolitischem Rückschritt führten, da wird geredet und geschrieben von der Kapitulation der Kommission vor den entscheidenden Fragen.
({4})
Da wird der Vorwurf erhoben, der Kommissionsbericht berücksichtige z. B. nicht die Beschlüsse des Weltwirtschaftsgipfels.
({5})
Herr Kollege Stavenhagen hat ja nur Teile der Beschlüsse des Weltwirtschaftsgipfels zur Energiepolitik zitiert. Er hätte die ersten Teile, nämlich die Prioritäten, mit zitieren sollen; dann wäre das Bild schon runder geworden.
Ich möchte dazu feststellen: Erstens. Der Bericht der Enquete-Kommission wurde vor dem Treffen in Venedig erarbeitet
({6})
- Herr Kollege Gerlach, das mit den Fußnoten lassen Sie doch bitte.
({7})
Sie hätten genügend Zeit und Gelegenheit gehabt, an der Arbeit der Kommission im letzten Jahr teilzunehmen, nicht erst in der letzten abschließenden Phase.
({8})
Ich möchte zweitens feststellen: Die Kommission hat in ihre Arbeit die Erkenntnisse der OECD, der Internationalen Energie-Agentur und auch der Weltenergiekonferenz mit einbezogen. Dies wird doch wohl von niemandem bestritten.
Ich möchte einen dritten Punkt erwähnen. Die. Kommission hat sich nicht als Publikationsorgan des Weltwirtschaftsgipfels verstanden, und das sollte sie auch nicht tun.
Viertens. Die Position des Kommissionsberichts stimmt im Grundansatz mit den Beschlüssen von Venedig zur Energiepolitik überein: Energiesparen bis zu Details, wie z. B. Reduzierung des Kraftstoffbedarfs im Verkehr, Nutzung der Kohle und erneuerbarer Energieträger, Zubau von Leichtwasserreaktoren, Notwendigkeit, die Entsorgung zu sichern. Ich empfehle Ihnen das Studium der Beschlüsse von Venedig.
({9})
Dazu hat natürlich der Gipfel von Venedig keine Beschlüsse gefaßt. Darauf komme ich gern noch zurück.
({10})
Der Auftrag der Enquete-Kommission war auch nicht so zu verstehen, als ob es nur darum gehen könne, die Politik der Regierung zu bestätigen. Aber im übrigen darf bei sorgfältigem Studium des Berichts auch festgestellt werden, daß der Bericht auf der Linie der Energiepolitik der Bundesregierung liegt. Das mußte einmal in aller Deutlichkeit festgestellt und hier gesagt werden, gegen alle unqualifizierte Kritik, die hier inzwischen schon geäußert worden ist.
({11})
Alle diese Kritiken und Vorwürfe belegen, daß die Verfasser sich offensichtlich noch nicht einmal die Mühe gemacht haben, die Vorlage sorgfältig zu lesen, ganz zu schweigen davon, daß sie offenbar nicht bereit sind, Absicht und Selbstverständnis der Kommission zu erfassen, nämlich Konfrontationen, Widerstände und Emotionen in der Auseinandersetzung um die friedliche Nutzung der Kernenergie abzubauen. Nein, hier soll wieder angeheizt werden. Manchem paßt offenbar der Versuch nicht ins Konzept, Energiepolitik in den gebotenen Sachzusammenhängen rational darzustellen.
({12})
Im Grundsätzlichen sind die Kommissionsempfehlungen klar. Es ist im Hinblick auf die sich über Jahrhunderte erstreckenden Entwicklungen sicherlich jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, zur Sicherung der Energieversorgung ausschließlich auf die Nutzung der Kernenergie zu setzen. Die rationelle Energieverwendung und die weitestgehende Erschließung und Nutzung erneuerbarer Energieträger, die direkte und indirekte Nutzung der Sonnenenergie müssen vielmehr mit derselben Intensität gefördert und betrieben werden. Die Kommission empfiehlt, die Bemühungen um die rationelle Energieverwendung, ja, Energieeinsparungen, zu verstärken, um in zehn Jahren die Auswirkungen dieser Bemühungen auf den Energiebedarf in der Trendentwicklung besser beurteilen zu können als heute. Dann wird sich erweisen, ob im Sinne der Vorschläge der Kommission Kernenergienutzung in verstärktem Maße unter Einbeziehung brütender oder konvertierender Reaktorsysteme erforderlich werden wird, ob die Entwicklung über den weiteren Zubau von Energieerzeugungskapazität, also nicht nur Strom, auf der Basis von Leichtwasserreaktoren laufen wird oder ob tatsächlich im Laufe der dann folgenden Jahrzehnte auf den weiteren Ausbau der Kernenergienutzung verzichtet werden kann. Das bedeutet - und dies wird in dem Bericht klar dargestellt -, daß aus versorgungs- und industriepolitischen Gründen weitere Kernkraftwerke nach dem Bedarf zugebaut werden, die Entsorgung gesichert werden muß; das bedeutet die zügige Erschließung eines Endlagers, die Sicherung der Zwischenlagerung, den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage in einer Größenordnung, die sich aus der Notwendigkeit der Entwicklung und Erprobung in technischem Maßstab ergibt. Gleichzeitig soll entsprechend dem Parallelansatz der Bundesregierung in den schon zitierten BundLänder-Vereinbarungen als Alternative auch die Entsorgungsvariante der Konditionierung und Lagerung abgebrannter Brennelemente ohne Wiederaufarbeitung zur technischen Reife entwickelt und eventuell erprobt werden, um Bewertungsgrundlagen für die sicherheitstechnisch und vorsorgungspolitisch optimale Entsorgungskonzeption zu finden, auch unter Einbeziehung der Empfehlungen der Internationalen Konferenz für die Bewertung von Brennstoffkreisläufen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, hier verstehe ich Ihre Erregung und Aufregung überhaupt nicht
({13})
Sie müßten einmal den Blick nach Bayern wenden. Da sagt der bayerische Wirtschaftsminister Jaumann, Bayern sei das letzte Land, das eine Wiederaufarbeitungsanlage brauche, und Herr Ministerpräsident Strauß weist das Ansinnen der DWK auf Prüfung der Frage nach Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage in Bayern zurück.
({14})
Die Begründungen sind recht interessant
In den letzten Tagen hat sich der bayerische Umweltminister dazu verstanden zu behaupten, daß Bayern seinen Beitrag zur Entsorgung längst durch die Genehmigung der Kompaktlagerung erbracht habe.
({15})
Das aus dem Munde eines Umweltministers zu hören, ist schon sehr erstaunlich.
({16})
Ich möchte Sie bitten, daß Sie nächstens bei Ihrer Beurteilung oder Verurteilung solcher Bemühungen, wie sie innerhalb der Kommission gemacht worden sind, auf die Position der bayerischen Landesregierung stärker Bedacht nehmen.
({17})
Die Nutzung der Kernenergie und der weitere Zubau von Kernkraftwerken setzen weitere intensive Bemühungen und weitere Verbesserungen der Reaktorsicherheit voraus, und zwar über den bisher erreichten hohen Stand hinaus. Die Kommission hat dazu ein Bündel von Empfehlungen für administrative und technische Maßnahmen vorgelegt, die geprüft und umgesetzt werden sollten. Es entspricht weiterhin der Logik der Empfehlungen der Kommission, grundsätzlich, wenn erforderlich, den Weg zur kommerziellen Nutzung brütender Reaktorsysteme im Sinne der Beschlußlage des Deutschen Bundestages offenzuhalten und damit den SNR-300 in Kalkar weiterzubauen. Das hat nichts damit zu tun, Herr Stavenhagen, daß es darum geht, hier weitere Verzögerungenbeim Baufortschritt hervorzubringen. Ganz und gar nicht! In dem Bericht kommt auch keine Kritik am Genehmigungsverfahren zum Ausdruck.
({18})
- Ja, nehmen Sie den Brief und die Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers und des Arbeits- und Sozialministers hinzu.
({19})
Ich meine, dann wird das klar, und Sie werden sehen, daß Ihre Vorwürfe überhaupt nicht haltbar sind.
({20})
Die Kommission empfiehlt, zur Vorbereitung einer politischen Entscheidung über die Inbetriebnahme parallel zum Genehmigungsverfahren, ohne daß dieses dadurch beeinträchtigt wird, ergänzende Untersuchungen und Analysen durchzuführen, um in einer risikoorientierten Studie einen Sicherheitsvergleich zum Leichtwasserreaktor ziehen zu können und die Fragen der Obergrenzen von Energiefreisetzungen im Auslegungsstörfall in der wissenschaftlichen Kontroverse zu klären. Ich glaube, es gehörte mit zu den Aufgaben der Enquete-Kommission, und wir sollten versuchen, diese auch zu lösen.
Es kommt nun darauf an, die Empfehlungen der Kommission in die politischen Entscheidungen des Parlaments einzubeziehen und umzusetzen. Dies wird eine Aufgabe des 9. Deutschen Bundestages sein. Eine fundierte Bewertung schon jetzt vorzunehmen, halte ich für nicht möglich und nicht vertretbar, da der etwa 600 Seiten umfassende Bericht erst seit zwei Tagen vorliegt, die Materialien erst noch vorgelegt werden müssen und die Kollegen dieses Hohen Hauses wohl nicht in der Lage waren und auch nicht sein konnten, diesen Bericht zu verarbeiten.
Alle Kommissionsmitglieder waren sich, als sie darangingen, einen Bericht zu erarbeiten, darüber im klaren, daß sie vor einer schwierigen Aufgabe standen. Diese Aufgabe erforderte nicht nur die Befassung mit der Kernenergie und ihren Problemen, sondern es mußten auch die Einflußgrößen der internationalen energiepolitischen Entwicklungen - wie z. B. Bevölkerungsentwicklung, Wirtschafts-
und Strukturentwicklung sowie Erkundung und Erschließung von Ressourcen - in ihren komplexen Zusammenhängen erfaßt werden.
Der von der Kommission hinsichtlich der Energiepfade betrachtete Zeithorizont umfaßt einen mit insgesamt 50 Jahren sehr langen Zeitraum. Er wurde deshalb gewählt, weil man Erkenntnisse über den erst nach dem Jahr 2000 relevanten Einsatz des Brüters zur Energieversorgung mit in die Betrachtungen einfließen lassen wollte.
In diesem langen Zeitraum sind vielfältige, heute noch nicht absehbare Entwicklungsmöglichkeiten der Energiewirtschaft denkbar, und der Versuch, eine Prognose zu stellen, gerät leicht zur Prophetie. Ebenso aber unterliegen die zahlreichen Annahmen bezüglich der energieverbrauchsbestimmenden Parameter einer ständigen Veränderung. Deshalb hat die Enquete-Kommission vier Szenarien mit Untervarianten, die ein breites und zum Teil kontrovers vertretenes Spektrum in der Kommission abdecken,
als Grundlage ihrer Betrachtungen gewählt. Diese Strategien beinhalten jedoch Annahmen und treffen Aussagen für einen insbesondere hinsichtlich der Voraussehbarkeit der wirtschaftlichen Entwicklung - mit großen Unsicherheiten behafteten Zeitraum.
Zudem erwecken die computersimulierten Szenarien den Eindruck großer Genauigkeit. Gesellschaftliche oder strukturpolitische Entwicklungen aber kann der Computer nicht erfassen. Deshalb können die Szenarien nur Eckwerte für die Bandbreite einer möglichen Entwicklung nach heutigem Kenntnisstand, deren Unschärfe mit zunehmendem Zeithorizont wächst, sein. Die betrachteten Energiepfade bedürfen daher, wenn man aus ihnen energiepolitische Handlungsempfehlungen ableiten will, einer Bewertung, und für diese Bewertung muß eine Reihe von Kriterien herangezogen werden.
Pfad 1 der Berichtsvorlage versucht trotz einer Berücksichtigung von Einspareffekten, das Energieproblem schwerpunktmäßig von der Angebotsseite her zu lösen. Dies führt langfristig in etwa zu einer Verdoppelung des Primärenergiebedarfs gegenüber dem heutigen Niveau und erfordert einen forcierten Ausbau der Kernenergie. Gegenüber anderen Pfaden bietet Pfad 1 ein höheres Wirtschaftswachstum und beinhaltet geringere Eingriffe in das Leben der Bürger durch weitreichende staatliche Verordnungen beispielsweise zum Energiesparen. Diese Vorteile müssen jedoch durch einen anhaltend hohen Import von Erdöl und Erdgas, durch steigende Importe von Kohle und Natururan sowie durch zu erwartende Akzeptanzprobleme infolge der forcierten Kernenergienutzung erkauft werden.
Pfad 4 dagegen versucht, die Energieprobleme schwerpunktmäßig von der Nachfrageseite her zu lösen. Die erhebliche Reduzierung des Primärenergiebedarfs, der langfristige Verzicht auf die Kernenergienutzung und die Reduzierung des Erdölanteils verringern zwar auf der einen Seite die Umweltprobleme, die Probleme der Akzeptanz der Kernenergie und die Abhängigkeit von Energieimporten aus politisch instabilen Regionen der Welt; auf der anderen Seite aber ist eine derartige Entwicklung nur bei einem Rückgang der Bevölkerung, erheblichen Strukturveränderungen der Wirtschaft und einschneidenden Sparmaßnahmen realisierbar.
({21})
Dies führt zu neuen Akzeptanzproblemen und zu Konsequenzen von heute noch nicht vorhersehbarer Art und Größe.
({22})
Gemeinsam ist diesen beiden Pfaden 1 und 4 die mangelnde Flexibilität der energiepolitischen Handlungsmöglichkeiten, wenn die unterstellten Voraussetzungen, z. B. bezüglich der Bevölkerungsentwicklung, des erforderlichen Wirtschaftswachstums oder der Verfügbarkeit von Erdöl, nicht oder nur teilweise eintreffen. Pfad 1 bietet nämlich kaum noch eine Möglichkeit der Verbreiterung des Energieangebots; Pfad 4 dagegen läßt keine Handlungsspielräume mehr offen, weil die Einsparmöglichkeiten und die Nutzung regenerativer Energieträger unter Beachtung angemessener Lebensbedingungen ausgeschöpft sind und weil auf Kernenergie verzichtet werden soll.
({23})
- Ganz recht.
Daher ergibt sich die Notwendigkeit, eine Energiepolitik anzustreben, die einerseits die Energienachfrage deutlich reduziert, anderseits aber auch ein diversifiziertes Energieangebot bereitstellt. Eine solchermaßen gestaltete Energiepolitik ist flexibel und kann auf die nicht exakt einzuschätzenden Entwicklungen antworten. Es muß ein vorrangiges Ziel dieser Energiepolitik sein, den Energiebedarf unter Berücksichtigung der Wiedererlangung und dauerhaften Sicherung der Vollbeschäftigung, Erhaltung der sozialen Sicherheit, Erhaltung eines angemessenen Wohlstandes, Erhaltung der Wirtschaftskraft und Sicherung der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit so gering wie möglich zu halten.
({24})
Dazu sind alle Möglichkeiten zur rationellen Energieverwendung zu nutzen und ihre Einführung unter Beachtung möglichst marktwirtschaftlicher Prinzipien zu fördern. Dies gilt sowohl im Bereich der Umwandlung von Primär- in Nutzenergie als auch auf der Verbraucherseite. Außerdem sind die Potentiale alternativer Energiequellen weitgehend auszuschöpfen.
Die Kommission nimmt zu den Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Energieeinsparung in generellen Bemerkungen Stellung. Darin wird zum Ausdruck gebracht, daß die Frage der Kosten, die Intensität und die erforderlichen Zeiträume wie auch die Akzeptanz von drastischen Einschränkungen und Umstellungen im Verbraucherverhalten nicht untersucht wurden. Der Katalog der Empfehlungen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr müssen laufende Entwicklungen und wechselnde Bedingungen berücksichtigt werden. Keinesfalls, so meine ich, darf die Illusion geweckt werden, ein Abhaken des Maßnahmenkataloges würde automatisch schon zum Ziel starken Sparens führen.
Ich muß an dieser Stelle wegen einiger unqualifizierter Äußerungen - hier wende ich mich insbesondere an Sie, Herr Kollege Riesenhuber, der Sie ja mit Ihrer letzten Presseveröffentlichung im Gegensatz zu den Ausführungen des Kollegen Stavenhagen stehen - darauf hinweisen, daß ich den Empfehlungen mit dirigistischem Charakter, die nicht marktwirtschaftlichen Prinzipien entsprechen, ausdrücklich nicht zugestimmt habe. Dies sind u. a. staatliche Energiedienste, die Abschaffung der Kilometerpauschale, Energiesteuer, Wärmeabgabe und eine Energieanlagenverordnung.
Herr Kollege Gerlach, das hat nichts mit Fußnotenakrobatik zu tun, sondern es hat etwas mit dem
Bemühen zu tun, weitgehend den Bericht in Konsens zu verabschieden. Sie werden mir wohl gestatten, daß ich zu einzelnen Teilbereichen noch diversifizierende Meinungen vertrete, wie Sie es insgesamt nur durch Ihre Sondervoten zu allen Berichtsteilen getan haben.
({25})
- Ich vertrete sie - das können Sie nachlesen, weil es Bestandteil des Berichtes ist - nach draußen und nach drinnen. Sie müssen mich erst noch überführen, daß ich hier mit gespaltener Zunge rede.
Es ist unsicher, in welchem Zeitrahmen und in welchem Umfange die Einsparziele zu erreichen sind. Der in Pfad 3 prognostizierte Energiebedarf als Zielvorstellung dürfte aus heutiger Sicht nur schwer zu erreichen sein. Die Ungewißheiten und Unsicherheiten in den Projektionen der Faktoren mit Einfluß auf den Energiebedarf über 20 und 50 Jahre hinweg lassen realistischerweise nur die Abschätzung einer Bandbreite der Bedarfsentwicklung zu.
Dabei darf auch nicht übersehen werden, daß viele Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung und zum Energiesparen in der Durchführungsphase energieverbrauchsteigernd wirken werden, so daß das Erreichen bestimmter, auf die Jahre 2 000 und 2 030 bezogener Zielvorstellungen in den Zwischenzeiten zu erhöhtem Energiebedarf führen kann. Dies gilt vor allem für Strom, da bei Substitution von 01 und Gas und bei verstärktem Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung insbesondere durch den zunehmenden Einsatz von elektrischen Wärmepumpen, aber auch beispielsweise durch Elektroautos der Strombedarf stärker steigen wird als die Nachfrage nach Energiedienstleistungen insgesamt.
({26})
- Deswegen betone ich es ja noch einmal, Herr Kollege Gerstein. Ich nehme an, daß sie es auch noch aufnehmen.
Die Unsicherheiten in der langfristigen Vorausschätzung des Energiebedarfs werden auf der Dekkungsseite noch durch die Ungewißheit über die langfristig zur Verfügung stehenden Mengen an Erdöl und Erdgas verstärkt. Jedes Bedarfsdekkungsszenario muß deshalb die Alternative einbeziehen, daß Öl und Gas nur in wesentlich geringerem Umfang, als im allgemeinen noch angenommen, zur Verfügung stehen. Da die Primärenergieträger Kohle - auch unter Einbeziehung der Importkohle - und Wasserkraft einschließlich des Potentials der erneuerbaren Energieträger den Bedarf nicht werden decken können, müssen neue Energietechniken, die einen wesentlichen Beitrag leisten können, eingeführt und genutzt werden. Die derzeit und in einigen Jahrzehnten als einzige zur Verfügung stehende Energietechnik ist die Kernenergie auf der Grundlage der Leichtwasserreaktoren. Es bleibt offen, ob je nach Entwicklung des Energiebedarfs und unter Berücksichtigung der weltweiten Situation
später brütende oder fortentwickelte konvertierende Reaktorsysteme eingesetzt werden müssen.
Der politische Ansatz zur Lösung der Energieprobleme muß deshalb auf der einen Seite den rationellen und sparsamen Einsatz von Energie, der auf Grund steigender Energiepreise und marktkonformer staatlicher Anreize eintritt, beinhalten, auf der anderen Seite schließt dieser Ansatz auch den weiteren Ausbau der Kernenergie mit ein, soweit es der Markt verlangt. Eine derartige Politik bietet, meine ich, zudem die Chance, einen gesellschaftspolitischen Konsens für die zukünftige Energieversorgung zu erreichen, der eine für alle gesellschaftlichen Gruppen zufriedenstellende Lösung des Energieproblems ermöglicht.
Auf einen Gesichtspunkt soll jedoch nochmals besonders hingewiesen werden: Gleichgültig, welchen Pfad die zukünftige Entwicklung der Energiewirtschaft annäherungsweise auch beschreiten wird, für den Verbraucher, sowohl in der Industrie wie auch im privaten Bereich, wird der Anteil der Ausgaben für Energiedienstleistungen zunehmen. Dies bedeutet ganz eindeutig, daß in anderen Bereichen am vorhandenen Budget Streichungen vorgenommen werden müssen und damit auch ein gewisser Verzicht geübt werden muß. Die Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur rationellen Energieverwendung erfordern im privaten, im industriellen wie im öffentlichen Bereich Investitionen in derzeit nur grob abschätzbarer Höhe. Einige sprechen von mehreren hundert Milliarden Mark.
({27})
Dies wird auch oder gerade bei steigenden Energiepreisen zu erheblichen Einsparungen privaten Konsums führen müssen.
Andererseits darf auch nicht übersehen werden, daß ein stärkerer Ausbau der Kernenergie zur Abdeckung des Wärmemarkts und zur Substitution von Öl im Heizungsbereich erstens hohe Investitionen im Anlagenbau und im Ausbau des Stromnetzes erfordert, zweitens aber wohl noch höhere Investitionen im Verbrauchssektor, zur Umstellung der Haustechniken wie der Heizungsanlagen und Geräte. Diese Ausgaben werden wohl in vergleichbarer Größenordnung liegen wie beim starken Sparen allein. Machen wir uns keine Illusionen darüber, daß in jedem Fall ein derzeit noch nicht quantifizierbarer Aufwand an Energie, Rohstoffen und Kapital erforderlich ist, um in einem noch nicht darstellbaren Zeitraum das Potential der rationellen Energieverwendung zur Substitution von Öl in durchgreifendem Umfang zu mobilisieren!
Wegen der Komplexität des gesamten Themenbereichs konnten nicht alle Aufgaben von der Kommission erledigt werden. Gutachten und Studien wurden empfohlen, einige Untersuchungen in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen müssen noch erarbeitet, die nicht erledigten Aufgaben sollten noch erfüllt werden, damit entsprechend dem Einsetzungsauftrag eine abgeschlossene Stellungnahme der Enquete-Kommission vorgelegt werden kann.
Die Arbeit der Enquete-Kommission findet über die Grenzen unseres Landes hinaus, auch in den USA, ein lebhaftes Interesse und hat auch gewisse Erwartungen geweckt Es ist deshalb zu hoffen, daß der 9. Deutsche Bundestag die Fortsetzung der Arbeiten ermöglichen wird. Ich persönlich meine, daß auch hier eine Empfehlung der Kommission aufgenommen werden sollte. Diese Empfehlung der Kommission fand die Zustimmung aller Sachverständigen. Für mich ist dies Beweis und Zeichen dafür, daß trotz aller Auseinandersetzungen, die stets - das möchte ich betonen - sachlich und fair waren, die Arbeit in der Kommission von allen Sachverständigen als notwendig und hilfreich in der Auseinandersetzung um die zukünftige Sicherung der Energieversorgung bewertet wurde und wird.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung machen. Die Enquete-Kommission hat sich nicht als Organ einer Regierung oder einer Behörde verstanden, nicht als eine Art oberstes Gutachtergremium. In dem Bemühen um Unabhängigkeit muß sie den Versuch der Einflußnahme auf die Formulierung ihrer Aussagen und ihrer Empfehlungen ablehnen. Das schloß und schließt die sachliche Zuarbeit und Information aller möglicherweise betroffenen Institutionen und Organe der Exekutive - auch der Genehmigungsbehörde - selbstverständlich nicht aus. Dies ist vielmehr eine Voraussetzung für eine wirkungsvolle Kommissionsarbeit.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß der vorliegende Bericht von allen Interessierten in der Öffentlichkeit wie vor allem in den Parlamenten und in den parlamentarischen Gremien mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und ohne Vorurteile aufgenommen und diskutiert wird. - Ich danke Ihnen.
({28})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal darf ich mit Freude feststellen, Herr Kollege Laermann, daß Sie mit Ihrem klaren Bekenntnis zur langfristigen Nutzung der Kernenergie und ihrer Ablehnung dirigistischer Sparmaßnahmen gerade das bestätigt haben, was mein Kollege Stavenhagen in der ersten Rede dieser Aussprache hier vorgetragen hat Es ist nur bedauerlich, daß sich gerade dies in Ihrem Abstimmungsverhalten in der Arbeit der Kommission nicht niedergeschlagen hat.
({0})
Im Rahmen dieser ersten Aussprache über den Bericht der Empfehlungen der Enquete-Kommission ist es, wie ich meine, notwendig, auch gerade mit Rücksicht auf den Beitrag des Kollegen Ueberhorst und seine Ausführungen zu der Frage Kompromiß und Konsens, die Fragen der Akzeptanz der friedlichen Nutzung der Kernenergie durch die Bevölkerung noch einmal zu vertiefen. In diesen Zusammenhang gehören auch einige Bemerkungen über die Bedeutung der von der Kommission entwickelten Kriterien zur Bewertung von Energiesystemen.
Akzeptanz ist als politische Aufgabe, wie ich meine - dies haben wir auch bei der Arbeit der Kommission gemeinsam gespürt -, in erster Linie eine Folge von Glaubwürdigkeit, Wahrheit und Klarheit. Aber, Kollege Ueberhorst - hierin stimmen wir nicht überein -, der Forderung nach einer solchen Glaubwürdigkeit, Wahrheit und Klarheit müssen sich auch die Kompromisse unterordnen, und Kompromisse, die nicht glaubwürdig sind, verdienen nicht die in sie investierte Arbeit. Dies ist das zentrale Problem und das Ergebnis unserer Arbeit
({1})
Daher frage ich erstens - ich will das an einigen Beispielen klarmachen -: Ist es wirklich glaubwürdig, wahr und klar, wenn der Kommissionsbericht mit seiner Mehrheitsmeinung den Anschein erweckt, es gebe wirklich eine Möglichkeit zum langfristigen Verzicht auf Kernenergie ohne entscheidende Änderungen unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung? Die Mehrheit der Kommission ist in Wirklichkeit, wie es sich jedenfalls aus den Protokollen und den Vorlagen der einzelnen Kommissionsmitglieder ergibt, der Auffassung, daß die Möglichkeit des Ausstiegs aus der Kernenergie ganz und gar nicht vorhanden ist Nach dem Protokoll und den Vorlagen einzelner Mitglieder ist die Mehrheit, wie es einer der Sachverständigen zum Ausdruck gebracht hat, der Auffassung, daß nur mit Hilfe der Kernenergie ein Überleben möglich ist Alle Sachverständigen haben jedoch den Empfehlungen, nach denen ein langfristiger Verzicht auf Kernenergie für möglich gehalten wird, zugestimmt Ich frage: Ist dies glaubwürdig, ist dies wahr, und ist dies klar? Ich glaube, die Antwort darauf ist klar.
({2})
Ich frage zweitens: Ist es wirklich glaubwürdig, wahr und klar, wenn die Mehrheit der Kommission umfangreiche Sparmaßnahmen vorschlägt und den Eindruck erweckt, als ergäben sich bei ihrer Verwirklichung keine Einschränkungen persönlicher Freiheit, als ergebe sich bei ihrer Verwirklichung kein Komfortverzicht und als sei zu ihrer Verwirklichung keine staatliche Überwachung möglich. Die Mehrheit der Kommission ist, wie es sich ebenfalls aus den Protokollen und den Einzelvoten ergibt - wir haben vom Kollegen Laermann gerade eines gehört -,
({3})
in Wahrheit ganz anderer Auffassung. Sie ist - ich zitiere wiederum einen Sachverständigen - davon überzeugt, daß sehr starkes Sparen das Ende unserer gesellschaftlichen und staatlichen Seinsweise, wie wir sie kennen, bedeutet.
({4})
Ein anderer Sachverständiger sagt: Es muß entschieden allen Bestrebungen widersprochen werden, die die persönliche Freiheit um des Energiespa18636
rens willen drastisch einengen, soziale und humane Belange hintanstellen und alles Handeln in der menschlichen Gemeinschaft nur noch auf Kalorienjagd ausrichten. Das ist sehr richtig, aber ich frage auch hier wieder: Sind auf dieser Basis die Empfehlungen der Kommission eigentlich wahr, klar und glaubwürdig?
({5})
Ich frage drittens: Ist es wirklich glaubwürdig, wahr und klar, die Entwicklung der Energieversorgung -für die nächsten Jahrzehnte so darzustellen, als hatten wir noch bis zum Jahre 1990 Zeit für Entscheidungen? Ist es nicht vielmehr in Wahrheit so, daß die Zeit im Bereich der Energieversorgung angesichts einer rasant ansteigenden Weltbevölkerung - Kollege Stavenhagen hat darauf hingewiesen -, angesichts der Knappheit der Energieressourcen und angesichts der politischen Schwierigkeiten das allerknappste Gut bei der Energieversorgung geworden ist?
Viele Mitglieder der Kommission sind, wie sich ebenfalls aus den Protokollen und den einzelnen Vorlagen der Kommissionsmitglieder ergibt, in der Tat auch dieser Meinung: Jeder Tag, der ohne Entscheidung zur Energiepolitik verrinnt, ist ein Verlust an Sicherheit der Versorgung und bringt uns dem Energiemangel ein gutes Stück näher.
({6})
- Auch dies.
Ich frage viertens: Ist es wirklich glaubwürdig, wahr und klar, wie es die Mehrheit der Kommission in ihren Empfehlungen behauptet, daß es nicht möglich sei, einen von der Mehrheit getragenen Konsens zugunsten der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu finden? Die Europäische Gemeinschaft, die OPEC-Länder, die Länder des Ostblocks, die Internationale Energieagentur, die INFCE, die Weltenergiekonferenz und zuletzt der Weltwirtschaftsgipfel, alle nationalen und internationalen Gremien, die zur Zeit Verantwortung für diese Welt oder für Teile davon tragen, stimmen doch völlig darin überein, daß eine verstärkte Nutzung von Kernenergie notwendig und zu verantworten ist.
({7})
Meine Damen und Herren, es gibt kaum eine Weltfrage in dieser Welt großer Zerrissenheit, in der es eine größere Übereinstimmung, in der es mehr Konsens gibt als in der Frage nach der Notwendigkeit vermehrter friedlicher Nutzung der Kernenergie.
Auf dieser Basis frage ich wieder: Ist es dann eigentlich glaubwürdig, wahr und klar, wenn die Kommission zu einer anderen Auffassung kommt, obwohl sich auch hier aus den Protokollen und Einzelvorlagen der Kommissionsmitglieder ein breiter Konsens zugunsten der friedlichen Nutzung der Kernenergie ergibt?
So betrachtet haben eben - das bedauern wir sehr - die Empfehlungen der Mehrheit der EnqueteKommission, die mit der wahren Meinung der
Sachverständigen nicht übereinstimmen, nur einen geringen Wert. Der Öffentlichkeit wird insgesamt ein Bild vorgezeichnet, das die Mitglieder der Kommission im einzelnen gar nicht vertreten.
Ich komme auf die Akzeptanz zurück. Es ist aber doch unmöglich, ohne Klarheit, ohne Wahrheit und ohne Glaubwürdigkeit das Vertrauen in die Kernenergie und ihre Nutzung zu verbessern. Ich fürchte, auf Grund der Empfehlungen wird das Gegenteil der Fall sein.
Es ist schon angesprochen worden, daß die Ergebnisse der Enquete-Kommission auch im Widerspruch zu dem stehen, was die sieben Staats- und Regierungschefs der größten Industrieländer der Welt in Venedig beschlossen haben. Nach unserer Meinung läßt sich auf der Basis der Empfehlungen der Enquete-Kommission keines der dort formulierten Ziele im Hinblick auf die vermehrte Nutzung der Kernenergie erreichen.
Herr Kollege Laermann hat gerade den Versuch gemacht, die Ergebnisse und Empfehlungen der Enquete-Kommission so zu werten, als trügen sie eben doch den dringlichen Beschlüssen des Weltwirtschaftsgipfels in Venedig zur vermehrten Nutzung der Kernenergie voll Rechnung. Sie haben - dafür habe ich Verständnis - aus taktischen Gründen eine Brücke gebaut, Herr Laermann. Aber es fällt mir sehr schwer, in dieser Brücke mehr zu sehen als eine Seufzerbrücke, die nicht in der Lage ist, den Abgrund zwischen Sicherstellung der Energieversorgung mit Hilfe von Kernenergie einerseits und dem zu erwartenden Energiemangel ohne Kernenergie andererseits zu überwinden. Was bleiben wird, werden die Seufzer über zu wenig und zu teuere Energie sein, die wir jeden Tag deutlicher vernehmen.
({8})
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Laermann? - Bitte sehr.
Herr Kollege Gerstein, stimmen Sie mir zu, daß ich richtig zitiert habe oder mich richtig auf die Beschlüsse zur Energiepolitik des Weltwirtschaftsgipfels bezogen habe, wenn ich sage, daß sich diese nicht nur mit der Notwendigkeit des weiteren Ausbaus der Kernenergie befassen, sondern in erster Priorität die rationelle Energieverwendung, Erschließung erneuerbarer Energiequellen und die verstärkte Nutzung der Kohle beinhalten?
Herr Kollege Laermann, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie die Ergebnisse des Weltwirtschaftsgipfels so sehen, daß sie sich nicht nur mit der vermehrten Nutzung der Kernenergie beschäftigt haben, sondern natürlich auch die anderen Möglichkeiten sehr ernsthaft mit in das Protokoll einbezogen haben. Aber Sie werden mir zustimmen müssen, daß gerade die Frage der vermehrten Nutzung der Kernenergie in mehreren Passagen dieser
1 Erklärung einen ganz hohen Stellenwert auf dem Weltwirtschaftsgipfel gehabt hat.
({0})
Ich muß noch ein Wort zu den sogenannten Kriterien sagen, die wir in der Kommission entwickelt haben, um Energiesysteme bewerten zu können. Hier gab es am Anfang sehr unterschiedliche Auffassungen auch über die Bedeutung der Energie überhaupt. Zum Beispiel wurde in einer der ersten Vorlagen der Eindruck erweckt - sehr abwertend -, Energie sei nur notwendig, um zivilisatorische Annehmlichkeiten - Originalton: warmes Wasser aus der Wand zu schaffen. Wir haben sehr viel Mühe gehabt, unsere Auffassung durchzusetzen, die sicher in breitem Konsens auch die Mehrheit unserer Bevölkerung vertritt, wonach Energie Grundlage unseres Lebens ist.
Immerhin - ich muß dies abkürzen -: Der Kriterienkatalog für die Bewertung von Energiesystemen ist nach wesentlichen Änderungen verabschiedet worden. Er ist, glaube ich, das einzige Papier, das in dieser Kommission einstimmig verabschiedet worden ist. Vier Kriterien sind es: Wirtschaftlichkeit, internationale Verträglichkeit, Umweltverträglichkeit und Sozialverträglichkeit, die heute nach diesen Änderungen eine sachliche und vorurteilsfreie Beurteilung verschiedener Energiesysteme ermöglichen. Für die Arbeit der Kommission sollten, wie es auch im Vorwort heißt, diese Kriterien auf allen Arbeitsfeldern zugrunde gelegt werden.
Dies ist aber nicht geschehen.
({1})
Offenbar hatten einige nach den Veränderungen der Kriterien kein Interesse mehr daran. Denn bei sachlicher Anwendung der Kriterien ergibt sich zum einen eindeutig die Überlegenheit der Kernenergie gegenüber anderen Energiesystemen,
({2})
insbesondere - worauf es ankommt - dafür, den Energiemangel auf dieser Welt zu beseitigen.
({3})
Ich komme zum Schluß. Die Kriterien zeigen, richtig angewendet, auch, daß nichts unwirtschaftlicher, nichts international gefährlicher, nichts umweltfeindlicher und nichts unsozialer als der Energiemangel ist. Dies wäre unsere Aufgabe gewesen: etwas zu tun, um den Energiemangel der Zukunft zu verhindern. Wir bedauern es, daß die Empfehlungen der Mehrheit der Kommission zur Lösung dieser zentralen Aufgabe nur wenig beitragen.
Die Fülle der im Laufe der Arbeit der Kommission gewonnenen Erkenntnisse über die Notwendigkeit und Verantwortlichkeit der Nutzung der Kernenergie hätten nach unserer Auffassung auch im Bewußtsein der Grenzen dieser Erkenntnisse heute klare Entscheidungen ermöglicht.
Kant hat bemerkt: Die Notwendigkeit, zu entscheiden, ist stets größer als das Maß unserer Erkenntnisse. Ich wünsche mir, daß zumindest diese Einsicht bewirkt, daß die erforderlichen Entscheidungen für
die friedliche Nutzung der Kernenergie trotz der Empfehlungen der Enquete-Kommission getroffen werden, ehe es zu spät ist. - Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei einer der letzten energiepolitischen Diskussionen hatte Herr Gerstein ein andere Zitat, nämlich eines von Golo Mann, verwendet.
({0})
- Ich schätze den Kollegen Herrn Gerstein ja auch durchaus. Sie brauchen mich da gar nicht sonderlich zu ermuntern.
({1})
Jenes Zitat stammte aus Golo Manns WallensteinBiographie. Ich glaube, es paßt für unsere Diskussion - jetzt nicht persönlicher Art, sondern von der Mehrheit zur Opposition - besser. Das damalige Zitat lautete:
Daß Wallenstein langfristige Ansichten pflegte, unterscheidet ihn von den meisten Politikern, welche heute dies schwatzen, morgen das, um den Widerspruch zwischen dem einen und dem anderen sich gar nicht kümmern und gar nichts im Kopf haben als Taktik und Augenblick.
({2})
Da muß ich Ihnen wirklich sagen, daß es wirklich ein Jammer und schade für die Arbeit der Kommission und im Grund auch für die Bewertung und Einschätzung des Berichts ist, daß Sie in der letzten Phase aus der Arbeit ausgestiegen sind. Das ging bis zum März und April, nicht immer harmonisch, aber durchaus so, daß man auf vielen Feldern weitgehende Annäherung hätte finden können;
({3})
wenn man sich bemüht hätte. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, der vor dem 11. Mai dieses Jahres lag, sind Sie ausgestiegen, da haben Sie Ihre eigenen Papiere vorgelegt und keine Mühe mehr darauf verwandt, noch mit allen übrigen oder mit einem großen Teil Übereinstimmung zu finden. Dies hat seinen Niederschlag ja doch auch darin gefunden, daß Sie sich nicht einmal dazu verstehen. konnten, daß nach einem Jahr Arbeit in dieser Kommission alle Mitglieder der Kommission - einschließlich der Sachverständigen, einschließlich der von Ihnen benannten Sachverständigen - diese Arbeit in einer gemeinsamen Pressekonferenz der Öffentlicheit gemeinsam präsentieren.
({4})
Sie konnten das Wasser ja überhaupt nicht mehr
halten. Nachts um 1 Uhr haben wir die Beratungen
abgeschlossen, und am anderen Morgen um 10 Uhr
mußten Sie unbedingt Ihre Pressekonferenz veranstalten
({5})
- können Sie das denn nicht nachher austragen? -,
({6})
Ihre gesonderte Veranstaltung durchführen.
({7})
Ich finde es auch völlig unangebracht, daß Sie dieser Kommission - Herr Lenzer hat hier schon im Vorfeld vor einem Jahr gesagt, das sei wohl eine Spielwiese linker Phantasten; Herr Stavenhagen hat gemeint, das seien alles schreckliche, faule Formelkompromisse -, daß Sie 15 erwachsenen Menschen, die in ihrem Leben mehr oder minder eine Menge Verantwortung tragen - ich meine jetzt in erster Linie gar nicht uns Politiker, sondern die Leute, die in Betrieben, in Universitäten und wissenschaftlichen Instituten tätig sind -, ein solches Urteil auf die Stirn drücken wollen. Das ist alles andere als sachlich gerechtfertigt und der Arbeit angemessen.
({8})
Es gibt da eine ganz flotte Formulierung, die Sie mit Fleiß in die Welt setzen. Sie lautet: Bis 1990 soll ja alles halb tot oder ganz tot sein, und dann soll entschieden werden, - ({9})
Ich weiß, daß Sie das mit Fleiß in die Welt setzen, weil es eine Chance ist, darzustellen - ({10})
- Ich weiß, nachdem Sie diesen Tenor in Ihrer Pressekonferenz hineingebracht haben. - Aber das stimmt deshalb nicht, weil in diesen zehn Jahren - da gibt es in der Kommission ja kaum gravierende Meinungsverschiedenheiten - nach der Empfehlung der Kommission alles gemacht wird, was nötig und möglich ist. Das betrifft auch den bedarfsgerechten Zubau von Leichtwasserreaktoren.
Nun sagen Sie: Da ist aber nicht hineingeschrieben worden, wieviel pro Jahr gebaut werden sollen. Die persönlichen Einschätzungen des einen oder anderen spielen dabei gar keine Rolle. Nach dem Energiewirtschaftsgesetz wird darüber entschieden, wieviel Leichtwasserreaktoren - und wenn ja, wo - gebaut werden. Da müssen die von Ihnen und von uns gestellten Landesregierungen Anträge behandeln und im Genehmigungsverfahren bescheiden.
({11})
- Ich habe meine Auffassung, meine Einschätzung. Aber dies kann doch keine verbindliche Empfehlung einer ganzen Kommission oder am Ende sogar
des Deutschen Bundestages an die Landesregierungen sein:
({12})
Ihr müßt oder ihr dürft nur so viel pro Jahr genehmigen.
({13})
Hier ist das Energiewirtschaftsgesetz anzuwenden. Jede Landesregierung muß da ihre eigene Einschätzung an den Tag legen.
({14})
Der zweite Weg wird von Ihnen im Prinzip doch auch für richtig und nötig gehalten, nämlich alles zu tun, um den Energieverbrauch so viel wie möglich zu drosseln bzw. um so viel wie möglich an Energie einzusparen. Sie sagen nur: Das machen wir alles auf eine ganz wunderschöne Art und Weise. Da gibt es dann diesen wirklich überflüssigen Streit über Markt oder nicht Markt in der Energiewirtschaft.
Die Energiewirtschaft hierzulande ist seit Jahrzehnten und auch in jüngerer Zeit überhaupt nicht von der Jungfräulichkeit der Marktwirtschaft geprägt.
({15})
Sie selbst haben doch mit Ihren Freunden z. B. der letzten Novelle des Kartellgesetzes zugestimmt, in der Wettbewerb für leitungsgebundene Energiewirtschaft ausdrücklich abgelehnt und verworfen wird. Sie haben doch mit uns gemeinsam dafür plädiert, daß der Bau von Heizölkraftwerken verboten wird. Dies ist doch nicht alles Markt. Es ist doch Staatsdirigismus in allerhöchster Potenz zu sagen: eine bestimmte Form von Kraftwerken darf nicht gebaut werden. Oder wenn im Gesetz steht, es darf ein Kraftwerksunternehmen mit dem anderen nicht in Konkurrenz treten.
({16})
- Weil das ein völlig anderer Sachverhalt ist, den ich da angesprochen habe.
({17})
- Nein! Der Sachverhalt, den ich angesprochen habe, ist die Frage, ob man insbesondere aus den öffentlichen Haushalten genug Geld aufbringen kann, um viele von den im Katalog stehenden Maßnahmen finanzieren zu können. Das ist meine entscheidende Frage. Die ganze Kommission hat gesagt: Dieses und anderes werden wir miteinander noch sorgfältig besprechen müssen.
Ich finde, das ist ein fairer Weg, der in diesem Bericht vorgeschlagen ist: rationeller, sparsamer Umgang soweit wie nur irgend möglich, in dieser Zeit alles tun, um Technologie weiterzuentwickeln und zu
erhalten, Wiederaufarbeitungsanlagen zu bauen, SNR 300 zu Ende bauen und dann im Bundestag eine Stellungnahme abgeben und Kraftwerke, auch Leichtwasserreaktoren nach Bedarf zuzubauen. Das ist in sich logisch, hat keine Brüche und wird von Ihren Freunden gelegentlich auch so beurteilt. Herr Riesenhuber hat ja letztens mal gesagt: Auch die notwendigen Entscheidungen für die Großtechnologien selbst sind nur dann und nur in dem Maße durchsetzbar, wie der Bürger weiß, daß wir auch die Alternativen geprüft haben, daß wir ihnen eine Chance geben in der Förderung der Forschung und beim Start im Markt. Völlige Übereinstimmung!
({18})
Sie, Herr Riesenhuber, haben die Linie des Kommissionsberichtes offensichtlich vorausgeahnt.
Auch zum Schnellen Brüter haben Sie sich in bemerkenswerter Klarheit geäußert: Kalkar ist ein Experiment, und ein Experiment kann auch scheitern. „Selbst wenn es technisch gelingt, haben wir erst in 15 Jahren - Sie sprechen von 15 Jahren, wir sind optimistischer und sagen 10 Jahre - zu entscheiden, ob wir den Brüter aus wirtschaftlichen Gründen brauchen oder ob er überhaupt vertretbar ist." Sie gehen sehr weit. So weit wagten die Sozialdemokraten in ihrem Bericht kaum zu formulieren.
Ich muß schon sagen, daß es besser gewesen wäre, wir hätten nicht in dieser Zeit zwischen zwei und drei Wahlen unsere Arbeit zu Ende bringen müssen, sondern dies zu anderer Zeit hätten tun dürfen.
Es gibt noch eine Stellungnahme, einen Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU. Ich halte nicht für vertretbar, was hier gefordert wird, daß die Bundesregierung bald zum Bericht der Enquetekommission Stellung nehmen soll. Der Bericht der Enquete-Kommission ist nicht an die Bundesregierung gerichtet, sondern an den Deutschen Bundestag, und die Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben sobald wie möglich - beginnend Ende dieses, Anfang nächsten Jahres - sich mit den dort gemachten Vorschlägen zu befassen und dem Bundestag zu empfehlen, dieses oder jenes in Form von Initiativen, von Vorschlägen an die Bundesregierung auf den Weg zu bringen. Deshalb bitte ich Sie, diesen Antrag abzulehnen. Der Deutsche Bundestag wird die Bundesregierung später auffordern, zu seinen Vorschlägen Stellung zu nehmen. Es ist nicht Sache der Enquete-Kommission, die Bundesregierung zu Stellungnahmen aufzufordern.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gruhl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen heute eine Debatte über die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland; denn die Atomenergiepolitik stellt entscheidende Weichen in alle Bereiche des Lebens und Überlebens.
Die Enquete-Kommission hat sehr viele Details zusammengetragen und eine langfristige Prognose bis 2030 - also auf 50 Jahre - versucht. Um der totalen Unsicherheit doch Rechnung zu tragen, werden vier denkbare Pfade der Energieentwicklung ausgebreitet. Dies hilft aber noch nicht viel, weil einheitlich von der Grundannahme ausgegangen wird, daß 2 % sogenanntes wirtschaftliches Wachstum bis zum Jahre 2000 und 1,1 % danach anhalten werden; bei Pfad 1 werden sogar noch 3,3 bzw. 1,4 % Wachstum angenommen. Dieses angenommene Wirtschaftswachstum muß mit einem dicken Fragezeichen versehen werden. Außerdem ist die Frage der Koppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch noch längst nicht geklärt.
Daß die tatsächliche Entwicklung völlig anders verlaufen kann, beweisen die totalen Fehlprognosen des Energieprogramms der Bundesregierung von 1973. Demnach hätte von 1973 bis 1979 eine Steigerung von 378 Millionen t Steinkohleeinheiten auf 490 Millionen t eintreten sollen. Der wirkliche Verbrauch betrug aber im Jahre 1979 nur 408 Millionen t Steinkohleeinheiten. Es gab also innerhalb von sechs Jahren nur eine Steigerung von insgesamt 8 %, statt der erwarteten 30 %. Dies ist eine Abweichung um 73 % nach unten.
Schon Ende 1977 sah sich die Bundesregierung zur zweiten Fortschreibung des Energieprogramms veranlaßt. Auch dieses geht in den sechs Jahren bis 1985 immer noch von einer Steigerung um 18 % aus, die ebensowenig erreicht werden wird.
Beim Stromverbrauch lagen die Annahmen der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms bisher nicht so weit daneben, aber auch zu hoch. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß es in diesen Jahren eine Anschaffungswelle bei elektrischen Geräten in den Haushalten gab. Dieser Markt nähert sich der Sättigung. Zweitens erfolgten viele Umstellungen auf Elektroheizung. Dies ist aber gerade die Art von Heizung, die den größten Primärenergieeinsatz benötigt, deren Verwendung aus Gründen der Verschwendung also nicht erhöht werden darf.
({0})
Die Bundesregierung hat seit 1977 das illusionäre Energieprogramm nicht erneut fortgeschrieben. Angesichts der realen Verbrauchsentwicklung hätte sie es erneut reduzieren müssen. Die Bundesregierung hat aber der faktischen Entwicklung des Energieverbrauchs wenigstens insofern Rechnung getragen, als sie den Bau von Kraftwerken nicht besonders forciert hat.
Gerade gegen dieses vorsichtige Verhalten der Bundesregierung polemisiert nun die Opposition in jeder Energiedebatte geradezu heftig. Hier wird mit umgekehrten Vorzeichen gefochten. Gerade diejenigen, die sich sonst als Gralshüter der Marktwirtschaft gebärden, drängen auf Planerfüllung. Sie sind für ein rücksichtsloses Vorgehen auch beim Bau von Atomkraftwerken.
({1})
So sprechen sich auch die CDU/CSU-Kommissionsmitglieder für den Pfad 1 aus. Seine Verfolgung
würde bedeuten, daß wir in 50 Jahren 165 Atomkraftwerke, davon 84 Brüter, in Betrieb haben müßten. Auf 1 455 qkm käme dann ein Großkernkraftwerk.
Das heißt, bei gleichmäßiger Verteilung stünde im Jahre 2030 alle 38 km im Quadrat ein Atomkraftwerk.
Womit sich die Kommission überhaupt nicht beschäftigt hat, ist die Frage der Kühlung dieser Werke. Selbst bei Einführung der sogenannten Trockenkühlung, für die auch Wasser benötigt wird, reichen die Kühlkapazitäten der deutschen Gewässer auch nicht entfernt, um den Anforderungen zu entsprechen. Dies träfe allerdings auch auf die 120 Werke - nach dem Pfad 2 - zu. Solche gewaltigen Abwärmemengen würden auch über Veränderungen der Luft zu klimatischen Veränderungen von beträchtlichen Größenordnungen führen, die niemand verantworten kann.
Zu den unabsehbaren Folgen einer solchen Energiepolitik würde auch eine weitere gigantische Industrialisierungs- und Betonierungswelle in der Bundesrepublik Deutschland gehören. Auch damit hat sich die Enquete-Kommission nicht befaßt Das wird aber der Sachverständigenrat für Umweltfragen sehr gründlich und dringend tun müssen.
Ich kann heute in 15 Minuten nicht die vielen ungelösten und risikoreichen Probleme der Kernenergie behandeln. Aber auf ein bisher ständig vertuschtes Riesenproblem muß ich eingehen: auf die Konsequenzen, die sich aus den zahlreichen atomaren Anlagen im Kriegsfall ergeben. Ich habe die Bundesregierung am 22. Januar 1976, also vor über vier Jahren, gefragt, wann sie die Verträglichkeit zahlreicher Reaktoren mit der militärischen Strategie überprüfen will. Darauf ist innerhalb von vier Jahren keine Antwort gekommen. Ja, man hat nicht einmal etwas davon gehört, ob sich die Bundesregierung, der Verteidigungsausschuß des Bundestages oder ein anderer Ausschuß damit überhaupt beschäftigt hat.
Der Kollege Dr. Mertes ({2}) hat die Bundesregierung im September 1977 gefragt - wörtlich -:
Hält die Bundesregierung es für möglich, daß der Betrieb von Kernkraftwerken auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland ein Umdenken in der strategischen Planung der NATO insofern notwendig macht, als die bei einem - zwar unwahrscheinlichen, aber fährbaren und insofern denkbaren - konventionellen Angriff des Warschauer Pakts drohende Vernichtung derartiger Anlagen und die damit verbundene Freisetzung atomaren Zerstörungspotentials auf jeden Fall eine Situation schaffen würde, die den Übergang zu einer Auseinandersetzung mit taktisch-nuklearen, dann strategisch-nuklearen Waffen im Ergebnis erheblich wahrscheinlicher macht, d. h. mit anderen Worten, daß ein solcher konventioneller Angriff per se nichtkonventionelle Folgen hervorrufen muß?
Soweit die Frage.
Darauf antwortete der Parlamentarische Staatssekretär von Bülow u. a., daß ausgesuchte schwere konventionelle Waffen oder atomare Waffen so eingesetzt werden könnten, daß alle diese Beton- und Stahlhüllen durchschlagen und zerstört würden. Damit würde das radioaktive Potential freigesetzt, wie von Bülow zugibt. Die Folgen für unser Land brauche ich wohl nicht zu beschreiben.
In der Antwort der Bundesregierung heißt es dann wörtlich:
Es muß jedoch als wenig wahrscheinlich beurteilt werden, daß der potentielle Gegner - in der Absicht, die Bundesrepublik Deutschland zu besetzen, um deren Wirtschaftspotential möglichst unbeschädigt zu nutzen - mit sehr hohem Aufwand versuchen wird, Kernkraftwerke bevorzugt anzugreifen, um durch Freisetzung radioaktiver Substanzen eine Geländeverstrahlung zu erzielen.
Was geschieht aber, wenn die NATO-Strategie des Roll back funktioniert und der Gegner zum Rückzug gezwungen wird? Der Gegner dürfte bei einer gescheiterten Eroberung überhaupt kein Interesse mehr daran haben, daß das Wirtschaftspotential der Bundesrepublik unbeschädigt bleibt. Er könnte dann beim Rückzug gerade mit konventionellen Waffen atomare Anlagen zerstören und so große Landstriche verwüsten.
In der Antwort der Bundesregierung heißt es dann weiter:
Eine Zerstörung eines Kernkraftwerkes mit der Freisetzung radioaktiver Substanzen, die ein bestimmtes Gebiet verstrahlen würden, hätte für die militärische Führung keinen entscheidenden Einfluß auf die Auftragserfüllung, da die Streitkräfte in Ausbildung und Ausstattung ohnehin auf Bewegungen in verstrahlten Gebieten eingestellt sind.
Der versteckte Zynismus dieser Antwort ist unüberbietbar. Auf die Zivilbevölkerung wird nicht ein einziger Gedanke verschwendet. Anderenfalls hätte man nämlich sofort feststellen müssen, daß kaum ein Bürger dieses Landes ausgebildet oder entsprechend ausgestattet ist, um sich im verstrahlten Gelände zu bewegen. Ich persönlich habe sogar große Zweifel, ob alle Truppenteile der Bundeswehr so ausgestattet sind - wie behauptet wurde -, daß sie sich in verstrahlten Gebieten bewegen können.
Viel wichtiger als diese strategischen Überlegungen ist aber die bleibende radioaktive Verseuchung des Landes auch nach der Beendigung von Kampfhandlungen, und zwar auf eine nicht abschätzbare Zahl von Jahren.
Erwähnen möchte ich noch, daß der sowjetische Marschall Gretschko in einer Studie, die vom US-Senatskomitee für Justiz veröffentlicht wurde, Nuklearreaktoren in Deutschland als dritte von fünf Zielkategorien für sowjetische Raketen angibt. Nun kann sich diese Zielprojektion geändert haben; sie kann sich auch künftig ändern. Das eine aber dürfte feststehen: Daß eine von atomaren Anlagen überzogene Bundesrepublik Deutschland verteidigungsunDr. Gruhl
fähig ist, selbst in einem begrenzten Krieg mit konventionellen Waffen.
Es war sicherlich nicht die Aufgabe der EnqueteKommission, auch die verteidigungspolitischen Aspekte ihrer Vorschläge zu untersuchen.
({3})
Aber es ist die Aufgabe der Bundesregierung und des Bundestags, alle und somit auch diese gefährlichsten Aspekte einer deutschen Energiepolitik voll in Rechnung zu stellen.
Der vorliegende Bericht der Enquete-Kommission ist darum so dick, weil es kein gemeinsamer Bericht ist. Es ist aber auch kein Mehrheits- und Minderheitsbericht. Es fühlten sich mehrere Gruppen und sogar einzelne Mitglieder der Kommission bemüßigt, ihre höchstpersönliche Stellungnahme abzugeben und gesondert drucken zu lassen. Warum hat man dann überhaupt eine Kommission eingesetzt? Man hätte doch von vornherein die einzelnen Personen zu einer Stellungnahme auffordern und diese Stellungnahmen dann in einem Sammelband drucken können.
({4})
- Den ganzen Bericht zu lesen war mir innerhalb von 48 Stunden nicht möglich.
({5})
Darum möchte ich auch, Herr Kollege Schäfer, die Arbeit der Mitglieder der Kommission keineswegs schmälern, sondern diese Arbeit anerkennen.
Ich stehe nicht allein mit der Auffassung, daß bereits die Gefahr der langfristigen Unbewohnbarkeit unseres Landes genügt, idas vorliegende Kernenergieprogramm abzulehnen, in diesem Falle den Pfad 1 und den Pfad 2.
({6})
Wir sind längst noch nicht am Ende der Auseinandersetzung über die Kernenergie und über die Zukunft dieses Landes angelangt, eher am Anfang.
Ich habe in diesem Hause meine Beiträge dazu zu leisten versucht. Da dies voraussichtlich meine letzte Rede von dieser Stelle ist, bedanke ich mich bei den Präsidentinnen und Präsidenten dafür, daß ich als fraktionsloser Abgeordneter eine faire Behandlung erfahren habe. Ich bedanke mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen dafür.
Ich verabschiede mich mit einem Wort des von mir verehrten Dichters Rainer Maria Rilke: Sei allem Abschied voran!
({7})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/4378 auf. Wird das
Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/4378 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz und der Fraktion der CDU/CSU
Rationelle und sparsame Energieverwendung
- Drucksachen 8/1963, 8/4355 Berichterstatter:
Abgeordneter Wolfram ({1})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache.
(Dr. Narjes [CDU/CSU]: Es sind alle vier
Punkte aufzurufen»
- Es ist nicht verbundene Debatte vereinbart worden. Das müßte dann der neueste Stand sein.
Ich rufe dann als weiteren Punkt den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Dr. Narjes, Dr. Dollinger, Pfeifer, Lenzer, Dr. Probst, Benz, Breidbach, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Laufs, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen und der Fraktion der CDU/CSU
Energiepolitisches Programm
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Narjes, Pfeifer, Dr. Riesenhuber, Lenzer, Dr. Waigel, Dr. Laufs, Gerstein, Kolb, Dr. Czaja, Dr. Probst, Engelsberger, Dr. Hubrig, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, von Hassel, Benz, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU
Sicherung der Energieversorgung und Zukunftsorientierung der deutschen Energiepolitik
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Pfeifer, Dr. Riesenhuber, Dr. Narjes, Lenzer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Probst, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs,
Vizepräsident Wurbs
Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz und der Fraktion der CDU/CSU
Beitrag der Kernenergie zur Sicherung der Energieversorgung
- Drucksachen 8/1394 ({3}), 8/2961 ({4}), 8/3434, 8/4354 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Narjes
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort?
({5})
- Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache zu den Tagesordnungspunkten 11 und 12. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dollinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die hier zur Beratung stehenden Anträge der CDU/CSU-Fraktion wurden in den Jahren 1977, 1978 und 1979 eingebracht. Sie waren sachbedingt und haben nichts mit dem bevorstehenden Wahlkampf zu tun.
({0})
- Ja, meine Herren, wenn Sie 1977 auch schon Wahlkampf gemacht haben, gut, das ist dann eine andere Sache.
({1})
Die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Energie in ausreichenden Mengen bei möglichst gesicherten Lieferbeziehungen zu tragbaren Preisen ist für das kommende und für die nächsten Jahrzehnte nach menschlichem Ermessen ernsthaft bedroht. Die wirtschaftlichen Ziele, das sozial und politisch in den Nachkriegsjahren Erreichte, die Zukunftschancen der jungen Generation und die Stabilität des Staates und damit unserer Demokratie sind bei mangelnder Energieversorgung ebenfalls ernsthaft gefährdet.
({2}) Dies ist die Dimension des Problems.
Die Bundesregierung hat, auch verunsichert durch die Parteitagsbeschlüsse ihrer Parteien, die sie ja eigentlich tragen sollten, zwar lebhaft diskutiert, Absichtserklärungen abgegeben, aber letztlich die Probleme nicht gelöst. Sie blieb in ihren Handlungen sogar hinter ihrer eigenen zweiten Fortschreibung des Energieprogramms zurück. Hier muß deshalb vom Versagen der SPD/FDP-Bundesregierung gesprochen werden.
({3})
- Das ist eine Sachfeststellung.
Unsere Importabhängigkeit bei Energie wie übrigens auch bei vielen anderen Rohstoffen, ist seit dem Ölschock von 1973/74 entgegen den Ankündigungen der Regierung nicht verringert worden, sondern im Gegenteil gestiegen: 1973 208,9 Millionen Tonnen SKE Öl, 1979 210 Millionen Tonnen.
Zu den knappsten volkswirtschaftlichen Voraussetzungen, über die wir zur Lösung des Energieproblems verfügen, gehören Zeit und Kapital. Nutzen wir sie richtig, können wir uns und anderen, insbesondere der Dritten Welt, helfen. Dann können wir notwendige strukturelle Veränderungen Schritt für Schritt, evolutionär, erreichen und so Übergangsschwierigkeiten und Brüche vermeiden.
Die Union hat in ihren Programmen und Anträgen klare Grundlinien für eine zukünftige, weitsichtige Energiepolitik, bei der besonders die langen Vorlaufzeiten bei allen Formen und Bereichen zu beachten sind, vorgelegt. Es gibt keine Alternative zu der von uns aufgezeigten Politik. Wir haben den einzig möglichen Weg zur Lösung der Probleme beschrieben.
({4})
Der lebensnotwendige Energiebedarf - und Energie bedeutet letzten Endes Leben - kann angesichts der zunehmenden Verknappung bei traditionellen Energien nur durch Förderung und Nutzung möglichst vieler Energieformen sichergestellt werden.
Wir müssen erstens zu einer rationelleren und sparsameren Energieverwendung kommen. Der Wärmemarkt bietet mit einem Mineralölanteil von 70 % das größte Potential zum Ersatz von Importöl. Er umfaßt über 50 % des gesamten Primärenenergieverbrauchs. Es bietet sich an, hier Energie einzusparen. Das heißt aber darüber hinaus, mit weniger Primärenergie durch Innovationen jeglicher Art und Investitionen die gleiche Menge Nutzenergie verfügbar zu machen.
Sparen heißt daher nicht einfach nur Verzicht auf nutzbare Energie und damit Wachstumseinschränkung. Energiesparen ist wichtig, ist aber nur eine Teilstrategie zur Erreichung energiepolitischer Ziele. Es ist vor allem keine Alternative zum weiteren Ausbau der Versorgungsanlagen, insbesondere der Kraftwerke.
({5})
Ich nenne zweitens den verstärkten Einsatz von Kohle. In den heute zur Debatte stehenden Anträgen haben wir eine offensive Kohlepolitik gefordert.
({6})
- Es muß Sie doch freuen, wenn ich das sage! Ich wiederhole es: Wir fordern eine offensive Kohlepolitik. Meine Damen und Herren, ich sage dies ganz bewußt als ein Vertreter des süddeutschen Raumes, der durch die Unterbrechung der Verbindungswege in die Reviere Oberschlesiens in den Nachkriegsjahren ganz besonders gelitten hat.
Eine offensive Kohlepolitik beinhaltet die zukünftige Kohleförderung in Deutschland. Der KohleStrom-Vertrag, der eine Zunahme der zur Verstromung bestimmten Steinkohlemenge von derzeit 33 Millionen t auf bis zu 50 Millionen t im Jahre 1995 vorsieht, wird von uns begrüßt, und zwar auch deshalb, weil er eine Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Fördermöglichkeiten war.
Die Wirtschaftlichkeit von Alternativen stellt sich - das gilt auch für andere Energieformen - nach der Ölkrise 1973/74 und bei steigenden Preisen verändert dar. Nach Auffassung der Kohlewirtschaft kann 1990 über ein Förderpotential von 100 Millionen t Steinkohle - gegenüber 90 Millionen t heute - verfügt werden. Die Arbeitsmarkt-, Umwelt- und Kapitalprobleme, die dabei in erheblichen Größenordnungen auftreten werden, sind nach unserer Meinung bei zielstrebiger Vorbereitung lösbar.
Mit der vorgesehenen Menge sind aber die Grenzen für die inländische Kohle absolut erreicht Selbst auf dieser großzügigen Basis ist für eine Zeitspanne von 15 Jahren erst ein Viertel der deutschen Stromversorgung durch deutsche Steinkohle gesichert.
Deshalb muß meines Erachtens eine offensive Kohlepolitik auch die Erhöhung der Kontingente für Importkohle und vor allem die Sicherung der Märkte und der Bezugswege beinhalten. Hier ist viel versäumt worden. Die Chancen, an der Erschließung neuer Kohlelagerstätten in Übersee mitzuwirken, sind praktisch vertan. Vergessen wir auch nicht, daß die deutsche Kohle in Krisenzeiten der deutschen Verfügbarkeit nach Art. 59 des EGKS-Vertrages entzogen ist
Offensive Kohlepolitik bedeutet auch die Verwirklichung von Maßnahmen zur schnelleren und großtechnischen kommerziellen Nutzung der Vergasungs- und Verflüssigungstechniken bei Stein-und Braunkohle. Auch der Sachverständigenbeirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat das betont und hat die künftige Rolle der Kohle als eines petrochemischen Rohstoffs und Substituts für Mineralöl hervorgehoben.
Die Förderung von Forschung und Wirtschaft ist hier angebracht Die Vergasung und die Verflüssigung von Stein- und Braunkohle tragen langfristig zur Verbreiterung unserer Energie- und Rohstoffversorgungsbasis bei und eröffnen der beteiligten Industrie Exportchancen für Anlagen der Kohleveredelung. Damit werden auch Arbeitsplätze gesichert. Aber bitte halten wir uns vor Augen: Jede Tonne Kohle kann nur einmal verwertet werden: entweder im Kraftwerk oder bei der Verflüssigung oder bei der Vergasung.
({7})
Drittens. Für die Veredelungs- und Vergasungsprozesse sind jedoch erhebliche Mengen von Energie, von Prozeßwärme, notwendig. Der Energiebedarf der Stromwirtschaft wird 1995 etwa 210 Millionen t SKE betragen. Da nur 24 % dieser Menge durch Steinkohle und 32 % durch Braunkohle, Heizöl und Erdgas gedeckt werden können, müssen 44 % anders bestritten werden. Hierfür ist der Einsatz von Kernenergie die einzige Lösung. Auch bei größtmöglichen Anstrengungen kann es auf andere Weise nicht gelingen, die Energien bereitzustellen, die für Vollbeschäftigung und angemessenes Wachstum notwendig sind.
Die Bundesregierung schiebt die Entscheidungen hinaus, bis Deutschland auch auf dem Gebiet der
Kernenergie draußen ist. Das bedeutet dann erstens eine weitere Gefährdung von Arbeitsplätzen, zweitens den Verlust des Know-how dieser Technik und, damit zusammenhängend, drittens das Ende der Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt bezüglich kerntechnischer Anlagen. Durch den billigen Kernenergiestrom anderer Länder - ich verweise auf Frankreich - wird unsere Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt auch bei anderen stromintensiven Produkten verringert Damit werden tendenziell weitere Arbeitsplätze gefährdet Deshalb haben wir uns klar und eindeutig für Kernenergie ausgesprochen, bei Vorrang der Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit.
Kernenergiegegner, auch die in den Reihen von SPD und FDP, bringen gern humanitäre und soziale Erwägungen vor. Sie übersehen dabei: die Deckung des steigenden Weltenergiebedarfes ist ohne Kernenergie nicht möglich. Gerade Industrieländer müssen deshalb diese hochwertige Technologie anwenden, um fossile Energieträger zu schonen und ihren Preis möglichst niedrig zu halten. Vielleicht können die reichen Länder auch einen höheren Preis bezahlen, aber die Entwicklungsländer können es nie und nimmer. Viele sind bereits jetzt, vor allem durch die gestiegenen Ölrechnungen, praktisch zahlungsunfähig geworden. 450 Millionen Menschen, ein Zehntel der Erdbevölkerung, vegetieren am Rande des Existenzminimus. Angesichts dieser Entwicklung ist die Energieversorgung der Entwicklungsländer ein entscheidendes Problem für die gesamte Welt
Angesichts dieser Zusammenhänge - risikobegrenzter Kernenergieausbau einerseits, sicherer Hungertod vieler Hunderttausender, vielleicht sogar Millionen Menschen in den Entwicklungsländern andererseits - finde ich es ungeheuerlich, daß Kernenergiegegner humanitäre und soziale Erwägungen für sich in Anspruch nehmen und uns die moralische Verantwortung abzusprechen versuchen. Aber satte und guternährte Bürger nehmen den Mund leicht und gerne voll. Ich habe Respekt vor jedem, der sich ernsthaft und verantwortungsbewußt mit den Problemen der Kernenergie auseinandersetzt Aber es sollte auf eine ehrliche Trennung zu den politischen Hetzern und ideologischen Agitatoren geachtet werden.
Die Bundesregierung, die aus Schwäche zögert, trägt ihre Schuld an dieser Entwicklung. Was sollen. die Bekundungen und Bekenntnisse des Bundeskanzlers zur Energiepolitik und zur Kernenergie in Venedig bedeuten, wenn er zu Hause handlungsunfähig ist?
({8})
Ich habe Ihnen die wesentlichen Alternativen des „weg vom Öl", vor allem des „weg vom OPEC-Öl' aufgezeigt: Kohle und Kernenergie - diese Kombination bringt die optimale Lösung -und sparsame Energieverwendung. Andere, weitere Energieformen werden nützlich sein, aber über eine bescheidene Rolle in absehbarer Zeit nicht hinauskommen.
Unsere Anträge zu einer vernünftigen, weitsichtigen und notwendigen Energiepolitik liegen vor. Die Bundesregierung ist aufgefordert, zu handeln, um Schaden zu vermeiden.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nachdem in der vorigen Runde nur die Mitglieder der Enquete-Kommission "Kernenergie" gesprochen haben, möchte ich namens der SPD-Fraktion noch einmal allen Mitgliedern der Enquete-Kommission, vor allem auch unseren Kollegen aus dem Parlament, recht herzlich für ihre Arbeit danken.. Ich möchte die Bitte daran knüpfen, daß der 9. Deutsche Bundestag möglichst schnell die Voraussetzungen für die Weiterarbeit und für die Beendigung der Kommissionsarbeit schafft.
In dieser Runde beschäftigen wir uns mit vier Papieren, die uns von der CDU/CSU vorgelegt worden sind. Verehrter Herr Kollege Dr. Dollinger, eigentlich müßte man diese Papiere als „alte Hüte" bezeichnen. Sie haben selbst und zu Recht darauf hingewiesen, daß sie aus den Jahren 1977 und 1978, der Rest aus 1979 stammen. Ich will nicht das Wort „Plagiat" anwenden. Aber wenn Sie einmal kritisch prüfen und vergleichen, werden Sie feststellen, daß sie in vielen Punkten deckungsgleich und inhaltsgleich mit dem sind, was die Bundesregierung längst vorher als ihr Energieprogramm verkündet und praktiziert hat.
({0})
Sie wollen mit diesen vier Papieren am Ende dieser Legislaturpeirode
({1})
den Eindruck eines besonderen Aktivismus auf energiepolitischem Gebiet erwecken, den Sie doch viel besser zu Zeiten der Wirtschaftsminister Erhard und Schmücker entfaltet hätten. Drei der vier jetzt zur Beratung anstehenden Vorlagen sind nämlich längst überholt, und Sie haben das auch anerkannt, meine Damen und Herren von der Opposition.
Der Antrag ,.Rationelle und sparsame Energieverwendung" stammt aus dem Jahre 1978. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 1. Juli 1980 einen Bericht über die quantitativen Ergebnisse der Einsparungsmaßnahmen vorzulegen. Wir konnten uns im Wirtschaftsausschuß mit einem Teil der Fragen nicht einverstanden erklären, weil sie nämlich zu wenig aussagekräftigen Antworten geführt hätten. Es mußten auch noch Gutachten in Auftrag gegeben werden, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen. Auch der Termin war unrealistisch. Wir haben deshalb einen Änderungsantrag vorgelegt, der heute zur Abstimmung ansteht.
Da wir uns offensichtlich im ganzen Hause in der Einschätzung der Bedeutung des rationellen und sparsamen Umgangs mit Energie einig sind und wir alle ein Interesse haben, die Ergebnisse unserer Sparpolitik zu überprüfen und ins öffentliche Bewußtsein zu rufen, wird heute vorgeschlagen, daß die Bundesregierung möglichst bis zum 30. Juni 1981 - das ist kein fest verpflichtender Termin - einen Bericht vorlegt Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird diesem Antrag, der im Wirtschaftsausschuß einstimmig verabschiedet worden ist, ihre Zustimmung geben.
Ich möchte dann einige Worte zu dem sogenannten energiepolitischen Programm der CDU/CSU sagen. Herr Dollinger, dieses Programm stammt vom 20. Dezember 1977.
({2})
Sie haben richtig gehört. Das erste CDU/CSU-Programm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland stammt aus dem Jahre 1977, nicht etwa aus dem Jahre 1957, als die CDU/CSU regierte.
({3})
Dieses erste CDU/CSU-Energieprogramm wurde 4V2 Jahre nach dem ersten Energieprogramm einer deutschen Bundesregierung, nämlich der Bundesregierung der sozialliberalen Koalition, vorgelegt Die Opposition hat acht Jahre gebraucht, bevor sie zu diesem wichtigen Thema öffentlich Stellung genommen hat. Das sind die Fakten. Die Opposition hat dieses Programm vorgelegt, nachdem die Bundesregierung bereits die zweite Fortschreibung ihres Energieprogramms fertiggestellt hatte.
({4})
Das war am 14. Dezember 1977. Ich brauche mich mit diesem Programm der CDU/CSU nicht kritisch auseinanderzusetzen. Ich habe eingangs betont: Es entspricht weitgehend der erfolgreich praktizierten Energiepolitik der Bundesregierung und ist spätestens seit der zweiten Fortschreibung überholt
Verehrter Herr Kollege Dr. Dollinger, wenn Sie sagen, die Bundesregierung habe nur Absichtserklärungen abgegeben und keine Probleme gelöst, dann wissen Sie doch, daß diese Aussage vorn und hinten nicht stimmt Sie wissen doch, daß, seitdem es diese Bundesregierung gibt, energiepolitisch geplant und energiepolitisch gehandelt wird. Sie wissen doch auch, daß wir die Energiepolitik nicht von Bonn aus dirigistisch steuern können und auch nicht steuern wollen, sondern daß wir auf den guten Willen und auf die aktive Mitwirkung vieler am Wirtschaftsprozeß Beteiligter angewiesen sind, auf die Einsicht der Energieverbraucher - ob im privaten oder im industriellen Bereich -, auf die Erkenntnisse und die Handlungen der Energieversorgungsunternehmen, auf die Bundesländer - auch auf die CDU/CSU-geführten Bundesländer.
Wenn Sie heute ein solches Bekenntnis zur Kohle abgeben, dann frage ich Sie: Warum haben Sie das nicht Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre getan? Damals haben wir Ihnen vorausgesagt,
Wolfram ({5})
was heute der Fall ist: Öl unbegrenzt auf den deutschen Markt zu lassen, die Kohle zu verdrängen wird zu den Konsequenzen führen, die wir in diesem Jahr mit 70 Milliarden DM Aufwand für die Ölimporte teuer, teuer bezahlen müssen.
({6})
Hätten Sie schon damals auf uns gehört, wäre uns manches erspart geblieben. Nicht wir sind für die Abhängigkeit vom Importöl verantwortlich, sondern die Fehler, die von den von Ihnen geführten Bundesregierungen in der zweiten Hälfte der 50er und in der ersten Hälfte der 60er Jahre gemacht wurden.
({7})
Meine Damen und Herren, ich empfehle also Ablehnung dieses Ihres Programms, weil es überholt ist.
({8})
- Das mag für Sie unglaublich sein; für uns ist es ganz logisch und verständlich.
Lassen Sie mich ein Wort zu dem CDU/CSU-Papier zur Sicherung der Energieversorgung und Zukunftsorientierung der deutschen Energiepolitik sagen. Die Opposition hat mit diesem Antrag vom 12. Juni 1979 eine Neufassung der Energiepolitik bis zum 1. Oktober 1979 gefordert. Innerhalb von gut drei Monaten wollten Sie also eine Neufassung haben, obwohl Sie wissen müssen: Es geht gar nicht um eine Neufassung, sondern es geht um die Kontinuität, es geht um die kontinuierliche Fortsetzung einer bislang nachweislich erfolgreichen Energiepolitik in diesem Lande. Meine Damen und Herren, Sie werden doch nicht bestreiten können, diese Bundesrepublik Deutschland ist wie kaum ein anderer Staat mit den Problemen, die durch die Ölkrise entstanden sind, sehr gut fertig geworden. Wir sind doch in einer Lage, daß wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern, insbesondere im Vergleich zu den Entwicklungsländern, mit den Problemen am besten fertig geworden sind.
(Kolb [CDU/CSU]: Es wäre auch schlimm,
wenn es nicht so wäre
In den einzelnen Punkten dieses Antrages haben Sie Fragen angesprochen, die schon damals Inhalt der Energiepolitik der Bundesregierung waren. Spätestens seit der Regierungserklärung vom 4. Juli 1979 ist auch dieser CDU/CSU-Antrag als erledigt anzusehen. Im übrigen hatte die Opposition damals dieser Feststellung nicht widersprochen. Ich empfehle auch in diesem Punkte Ablehnung.
Zu Ihrem Antrag „Beitrag der Kernenergie" vom 27. November 1979 darf ich kurz in Erinnerung rufen, daß Sie mit diesem Entschließungsantrag als Ergänzung Ihrer Großen Anfrage eine Debatte vor dem Berliner Parteitag der SPD erzwingen wollten. Wir sind Ihnen gern gefolgt. Sie haben Ihre Debatte bekommen. Ihre Hoffnungen und Erwartungen sind nicht in Erfüllung gegangen. Wir konnten Ihnen nachweisen, daß wir klare energiepolitische Vorstellungen haben und daß die SPD-Bundestagsfraktion hinter der Bundesregierung und ihrer Energiepolitik steht.
({9})
- Ich freue mich, Herr Dr. Narjes, daß Sie das offensichtlich zustimmend zur Kenntnis nehmen,
({10})
denn Sie haben die ganze Zeit zustimmend genickt.
Auch dieser Antrag der Opposition ist durch unsere praktische Politik längst überholt.
({11})
Meine Damen und Herren, was das Einsparen betrifft, haben wir getan, was bisher möglich war. Hier kann man nur erwarten, daß sich auch andere Bundesländer, insbesondere Schleswig-Holstein, dem anschließen, wenn es darum geht, Bund-Länder-Vereinbarungen abzuschließen."
Was die Kohlepolitik anbetrifft, Herr Dollinger, stelle ich fest, daß wir die von uns gesteckten Ziele erreicht haben. Der heimische Bergbau ist dank unserer Politik aus einer hoffnungslosen Lage und mit beachtlichen öffentlichen Mitteln über eine Talsohle in eine neue Aufschwungphase gebracht worden.
Seit es sozialdemokratische Forschungsminister gibt, gibt es in Bonn Kohleforschungsförderung, Herr Dr. Dollinger. Ich freue mich, daß Sie für Kohleveredelung sind. Aber prüfen Sie einmal nach, wann diese Förderung eingeführt worden ist! In den 70er Jahren, als Sozialdemokraten die Forschungsminister stellten. Seitdem gibt es Kohleforschung. Heute sind wir so weit, daß wir kurz vor der großtechnischen Anwendung der Kohlevergasung und der Kohleverflüssigung stehen.
Ich stelle weiter fest: Wir haben das Prinzip „Vorrang der Kohle in der Verstromung" dank der Kooperationsbereitschaft der Elektrizitätswirtschaft und des heimischen Bergbaus verwirklicht.
Ich wiederhole: Mit diesem Argument kann ein begrenzter Zubau an Kernkraftwerken bei Vorliegen der bekannten Prämissen nicht mehr abgelehnt werden.
Wir haben inzwischen auch eine Regelung für die Kohleimporte gefunden, die im Interesse unserer Volkswirtschaft liegt und die die Möglichkeiten des Weltmarktes ausschöpfen wird. Ich warne allerdings einmal mehr auch an dieser Stelle vor übertriebenen Erwartungen. Auch auf dem Weltmarkt ist das Kohleangebot begrenzt. Jetzt wird einer Verdoppelung, möglicherweise sogar Verdreifachung der Weltkohleförderung das Wort geredet. Neue Kohlenlagerstätten müssen aber erst erschlossen werden. Die Infrastruktur in weiten Bereichen, z. B. in Australien, muß erst geschaffen werden. Wenn Energie insgesamt knapper wird, dann wird auch die Kohle auf dem Weltmarkt nicht billiger, sondern teurer. Das veranlaßt mich einmal mehr zu der Schlußfolgerung: In jeder Stunde sollten wir alle
Wolfram ({12})
daran denken: Die beste Leistung, die wir gemeinsam für die Energiepolitik bringen können, ist, daß wir in der Tat verantwortungsbewußt und sparsam mit der Energie umgehen.
({13})
Meine Damen und Herren, soweit der Entschließungsantrag der CDU/CSU die internationalen Aspekte behandelt, sind sie durch die im Bereich der EG und der Internationalen Energieagentur geschaffenen Systeme der Bevorratung und des Krisenmanagements weitgehend abgedeckt und geregelt.
Mit dem ehrgeizigen Ziel, den Anteil des Öls auf 40 % des Primärenergieverbrauchs zu senken, unterstreichen wir nachdrücklich unsere Politik „weg vom Öl".
Was die Erklärung zur Entsorgung in dieser Entschließung betrifft, so ist sie - das werden Sie nicht bestreiten - inzwischen weitgehend überholt. Deshalb empfehle ich Ablehnung auch dieses Antrags.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich unabhängig von diesen Vorlagen feststellen, daß ich den Versuch der Opposition, auch die Energiepolitik in den parteipolitischen Tagesstreit einzubeziehen, eigentlich bedaure. Gerade in einer so schwierigen Situation, wie sie die Lage auf dem Weltenergie-markt bietet, wäre ein hohes Maß an Übereinstimmung aller demokratischen Kräfte dieses Hauses nötig, das um so mehr, als es zur Energiepolitik der Bundesregierung, Herr Dollinger, wirklich keine Alternativen gibt; jedenfalls haben Sie uns keine aufgezeigt
({14})
Vielleicht wird Herr Kollege Dr. Narjes so freundlich sein, den Versuch noch in einer zweiten Runde zu übernehmen.
Es gibt eine einzige Ausnahme. Sie plädieren für einen unbegrenzten, undifferenzierten Ausbau der Kernenergie. Ich erinnere mich, daß Sie uns am 14. Dezember 1978 zumuten wollten, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen anzuweisen, dies und jenes zu tun, statt daß Sie mit uns der Meinung sind: Hier muß man, wie es der Zwischenbericht der Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergiepolitik" empfiehlt, behutsam und vernünftig gemeinsam mit allen am Wirtschaftsprozeß Beteiligten das Richtige tun.
({15})
Meine Damen und Herren von der Opposition, wir bieten Ihnen erneut eine sachliche Zusammenarbeit auf energiepolitischem Gebiet an. Es gibt doch im Wirtschaftsausschuß weite Strecken, wo wir das praktizieren. Lassen Sie uns um die besseren Mittel und Methoden zur Verwirklichung der notwendigen energiepolitischen Ziele miteinander wetteifern! Lassen Sie uns Sachargumente vorbringen, mit denen wir uns auseinandersetzen können! Verfallen Sie nicht in die Gefahr, grobschnitzig zu versuchen, die Energiepolitik in den parteipolitischen Streit zu ziehen!
Ich stelle abschließend fest: Wir haben eine vernünftige Energiepolitik betrieben, angefangen mit dem ersten Energieprogramm, mit der ersten Fortschreibung über die zweite Fortschreibung und den zwischenzeitlich getroffenen Beschlüssen bis zu vielen Gesetzen, die wir in diesem Hause mit großer Mehrheit verabschiedet haben. Wir wissen, welche schwierigen Probleme vor uns stehen. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam an die Lösung dieser Aufgaben im kommenden Jahrzehnt gehen. - Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst zu dem Tagesordnungspunkt ;,Rationelle und sparsame Energieverwendung" äußern und ausdrücklich begrüßen, daß wir über dieses Thema seiner Bedeutung angemessen in diesem Hohen Hause wieder sprechen können.
Es ist zwar nur ein Schlagwort, aber doch sehr eingängig: Energiesparen - unsere beste Energiequelle. Man muß sich vor Augen führen, welches Potential zur Deckung des Endenergiebedarfs noch vorhanden ist, wenn wir mit dem angebotenen Energiepotential auf der Primärenergieseite wie aber auch auf der Nutzenergieseite vernünftiger umgehen. Hier gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die es auszuschöpfen gilt Ich möchte hier wiederholt betonen, daß es sich dabei um eine ausdrückliche Position der Freien Demokraten handelt, die wir in diesem Hause seit Jahren vertreten, auch, Herr Kollege Dollinger, in Übereinstimmung mit den Parteitagsbeschlüssen. Hier können Sie keinen Widerspruch konstruieren. Ich bitte Sie, in dieser Reihe einmal zu verfolgen, was wir gemacht haben.
In die rationelle Energieverwendung beziehen wir auch die Möglichkeiten zur Nutzung erneuerbarer Energieträger ein. Ich meine, daß diese Beschlußlage und diese Einstellung in Übereinstimmung mit dem Energieprogramm und der Energiepolitik der Bundesregierung steht, die in ihrer Fortschreibung die Priorität auf die rationelle Energieverwendung gelegt hat
Ich wiederhole mich, wenn ich jetzt davon spreche, daß dieses Energiesparen und diese Nutzungsmöglichkeiten nur mit marktkonformen Mitteln zu erreichen sind, daß wir dirigistische Maßnahmen ablehnen
({0})
und daß es nicht darum geht, staatliche Kontrolle des Verbraucherverhaltens einzuführen. Nein; dies lehnen wir ab.
Aber wir sind der Meinung, daß wir sehr viel stärker und intensiver auf die Sparmöglichkeiten abheben müssen. Dies und die Nutzung dieser Möglichkeiten geht nur mit Einsicht und nur, wenn der Verbraucher die möglichen Maßnahmen akzeptiert. Nur dann ist dieses Ziel zu erreichen.
Dafür gibt es einige Voraussetzungen. Die erste Voraussetzung ist eine weitgehende Information und Aufklärung der Verbraucher. Die zweite ist eine Verbesserung auf dem Sektor der Ausbildung von Planern, d. h. von Architekten und Ingenieuren, und von Ausführenden - hier müssen wir nämlich auch die Handwerker einbeziehen -, damit sie Erfahrungen gewinnen und Kenntnis von den technischen Möglichkeiten, die heute schon gegeben sind, erhalten und in die Lage versetzt werden, dies umzusetzen.
Es ist notwendig, Anreize zur verstärkten Energieeinsparung durch Umstellung in der Haustechnik und im Kraftfahrzeug- und Verkehrsbereich zu geben:
({1})
steuerliche Vergünstigungen, Investitionszulagen - Anreize statt Gebote und Verbote.
Ein weiteres ist notwendig. Dies betrifft die öffentliche Hand; zwar nicht den Bundestag, der wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, hier Aktivitäten zu entwickeln, aber die Landesregierungen und die Kommunen. Es geht darum, administrative Hemmnisse abzubauen. Vorwiegend handelt es sich dabei um die Novellierung von Bauvorschriften, die der Nutzung erneuerbarer Energieträger entgegenstehen.
Schließlich ist es notwendig, daß die öffentlichen Hände - auch hier sind besonders die Kommunen gefordert - beispielhaft vorangehen, wenn es darum geht, die Möglichkeiten zu rationellen Energieverwendung zu nutzen. Das könnte sich positiv auch auf die Betriebskosten und damit die Sachhaushalte der Kommunen auswirken. Im Bereich der öffentlichen Hände müssen die Möglichkeiten stärker als bisher ausgeschöpft werden.
Diese Notwendigkeiten begleitend, muß die Förderung der Forschung zur Entwicklung neuer Techniken und neuer Systeme auf dem Verbrauchssektor weitergeführt werden. Es geht um Forschung und deren Förderung auch auf dem Gebiet der Nutzung erneuerbarer Energieträger.
Aber lassen wir bei uns keine Illusion, über den Umfang der kurzfristig zu nutzenden Einsparpotentiale aufkommen. Die Erschließung dieser Potentiale ist ein langer Prozeß, der sich über Jahrzehnte hin vollziehen wird. Er wird einen hohen investiven Aufwand erfordern. Die Kosten sind jedenfalls zur Zeit nur annähernd abschätzbar. Wir haben keine schlüssigen Informationen darüber, wie groß der Bedarf an Energie und Rohstoffen ist, die einzusetzen sind, um diese Möglichkeiten voll zu nutzen.
Bei den Überlegungen über den Zeitraum, in dem diese Einsparpotentiale zu erschließen sind, müssen wir uns drittens über die Kapazität des Baugewerbes, des Sanitärgewerbes und des Heizungsgewerbes klar werden. Hier haben wir schon heute einen erheblichen Facharbeitermangel zu beklagen. Wir müssen uns mit diesen Fakten auseinandersetzen. Daher wird es schwer sein, die Sparpotentiale für einen definierten Zeitrahmen zu quantifizieren.
Dennoch ist es notwendig und wichtig, die Trends aufzuzeigen und die Entwicklung zu verfolgen.
Deswegen begrüßen wir ausdrücklich die Empfehlung des Wirtschaftsausschusses, hier einen Bericht von der Bundesregierung zu fordern. Denn die Erkenntnisse, die dort aufgeführt werden mögen, können Grundlage für weitere energiepolitische Entscheidungen sein.
Dazu gehört, daß die Fortsetzung bzw. Verlängerung entsprechender Programme vorgesehen wird. Ich denke z. B. an das Wohnungsbaumodernisierungsprogramm, dieses 4,35-Milliarden-Programm. Dazu ist anzumerken, daß nicht nur die Förderung von Wärmedämmung, sondern verstärkt auch die Umstellung von Heiztechniken und Heizungsanlagen einbezogen werden müssen. Es ist zu überlegen, ob die Förderungsbeträge erhöht werden können. Ich denke auch an das Programm zum Ausbau der Fernwärme und zur Kraft-Wärme-Kopplung.
Es ist zu hoffen, daß die von der CDU/CSU regierten Länder in der Auseinandersetzung mit dem Bund über die Steuerneuverteilung nicht gerade an diesen aus gesamtwirtschaftlichen und energiepolitischen Gründen unverzichtbaren Programmen ihr Mütchen kühlen wollen. Hier muß die Opposition geständig sein, ob sie ihre eigenen energiepolitischen Aussagen ernst nimmt.
({2})
Lassen Sie mich zum Bericht ergänzend bemerken: Auch die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, auf neue Arbeitsplätze, auf die Struktur der Wirtschaft, auf die Chancen für kleine und mittlere Unternehmen, auf den Export und die positiven Wirkungen auf die Umwelt, d. h. auf die Immissionen, sind in diesem Zusammenhang mit zu überdenken. Ich meine, daß es hier positive Effekte gibt, die auch in einen solchen Bericht durchaus aufgenommen werden können und aufgenommen werden sollten.
Herr Kollege Dollinger, die Bundesregierung ist über die Parteitagsbeschlüsse von FDP und SPD mit Sicherheit nicht verunsichert.
({3})
Für meine Partei kann ich jedenfalls deutlich feststellen, daß unsere Beschlußlage mit den Fortschreibungen des Energieprogramms, mit den energiepolitischen Aussagen durchaus übereinstimmt. Die Handlungen der Regierung sind auch nicht hinter der zweiten Fortschreibung zurückgeblieben. Schließlich ist hier ja nicht nur Handeln der Regierung vorausgesetzt, sondern auch die Industrie hat ihren Teil zu übernehmen. Wir sind ja kein Staatsbetrieb, und wir wollen ihn wohl auch nicht.
Nun haben Sie darauf abgehoben, daß die Importabhängigkeit der Bundesrepublik vom Öl zur Dekkung des Energiebedarfs noch zugenommen habe; Sie haben das in absoluten Zahlen angegeben. Aber ich bitte Sie doch, zur Kenntnis zu nehmen, Herr Kollege Dollinger, daß der Anteil des Öls am Energieverbrauch von mehr als 55 % im Jahre 1972 auf 51 % im Jahre 1979 kontinuierlich zurückgegangen
ist und 1980 voraussichtlich - das zeigen Hochrechnungen nach dem ersten Vierteljahr - auf etwa 46 % zurückgehen wird. Wollen Sie dies bitte zur Kenntnis nehmen.
({4})
- Wir haben im Bereich der Stromerzeugung durch Kernkraft einiges substituiert, so daß der Anteil des cgs an der Stromerzeugung derzeit wohl nur noch 6 % beträgt Aber das zeigt auch die derzeitige Schwäche der Kernenergie, daß sie nämlich im Augenblick nichts als Strom liefern kann. Wir müssen fragen, ob wir damit allein in ausreichendem Maße Öl substituieren können. Ich habe da meine Bedenken, die ich aber im einzelnen nicht noch einmal ausführen will. Denn der stärkere Einstieg des Stromes in den Wärmemarkt setzt erhebliche Investitionen voraus. Der Einsatz solchen Kapitals wird sich über einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinweg vollziehen und nur vollziehen können.
({5})
Es kommt darauf an, die Kernenergie fortzuentwickeln, sie nämlich nicht nur im Bereich der Stromerzeugung, sondern auch im Bereich der Prozeßwärme einzusetzen; hier stimme ich Herrn Dollinger ausdrücklich zu. Aber, meine verehrten Kollegen, dies ist eine Frage, die noch langfristige Entwicklungen voraussetzt. Wenn wir die Situation, die Möglichkeiten nicht allzu optimistisch einschätzen, dann werden wir die Prozeßwärme in größerem, d. h.: in kommerziellem Umfang nicht vor zwei Jahrzehnten zur Kohleveredelung einsetzen können. So jedenfalls sieht die Entwicklung aus. Das setzt voraus, daß wir auch eine Industriegruppe finden, die bereit ist, neben der staatlichen Förderung das erforderliche Kapital aufzubringen, um diese Entwicklungen fortzusetzen.
({6})
Das kann und soll die öffentliche Hand nicht alleine machen. Wir sind auch hier schließlich kein Staatsbetrieb und wollen auch keinen.
Diesen Einwand muß ich auch vorbringen, wenn hier der Vorwurf gegen die Bundesregierung gerichtet wird, sie habe die Chancen vertan, sich an der überseeischen Erschließung von Kohlevorräten zu beteiligen. Soll das denn der Staat machen? Dies kann nur die Industrie machen; sie ist auf dem Wege, dies zu tun. Denn nur über solche Beteiligungen werden wir unseren Importkohleanteil in Zukunft auf Dauer sichern können.
Ich meine also, daß es hier nicht darum geht, Kritik an der Regierung zu üben, während Sie gleichzeitig eigene Programmvorschläge vorlegen, die durch das Regierungsprogramm in weiten Teilen abgedeckt sind. Daher lehnen wir Ihre Anträge ab und stimmen dem Berichtsantrag über die rationelle Energieverwendung zu. - Ich bedanke mich.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Wolfram, ich habe Ihre Rede mit großem Interesse gehört. Gestatten Sie mir bitte zwei Bemerkungen.
Die erste: Wenn Ihr Gewissen über die vergangenen vier Jahre so gut ist, wie Sie es hier vorgetragen haben, wundere ich mich, warum Sie nicht dafür waren, daß in diesem Hause an dieser Stelle heute eine Abschlußberatung über die zweite Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung stattfindet. Das wäre die angemessene Grundlage für diese Debatte gewesen.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf Ihren Appell zum Konsens. 1976 wurde das letzte Stück Gemeinsamkeit in der Kernenergiepolitik aufgegeben, ohne daß wir bis heute die Sachgründe wis-. sen, warum Sie sie aufgegeben haben. Alle nationalen und internationalen Untersuchungen in der Zwischenzeit haben die gemeinsame Position, die wir bis 1976 gehabt haben, bestätigt Es steht dem nichts im Wege, wieder zu Ihrer alten, d. h. gemeinsamen Position zurückzukehren. Jedenfalls reicht es nicht aus, daß wir versuchen, die Geschichte neu zu schreiben oder die Vergangenheit zu verdrängen. Wenn wir schon die Kohlegeschichte der 50er und 60er Jahre schreiben wollen, dann vergessen Sie bitte auch nicht den Anteil, den etwa Professor Schiller für Sie gehabt hat und andere Namen, die andere Positionen vertreten haben, als Sie es heute gern gehabt hätten.
Meine Bemerkungen sollen sich mit wenigen Stichworten zur Bilanz der Energiepolitik der Bundesregierung befassen und dabei herausheben, daß nach unserer Vorstellung zwei entscheidende Mängel die Energiepolitik der vergangenen Legislaturperiode kennzeichnen: Erstens eine grundlegend andere und unseres Erachtens falsche Beurteilung unserer importabhängigen Versorgungslage und zweitens eine Handlungs- und Entscheidungsschwäche der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien in einer Lebensfrage unseres Volkes.
Zu Beginn der zweiten Irankrise hatten wir fünf kostbare Jahre unwiderbringlich verloren, und dieses Zeitversäumnis wird die gesamte Energiepolitik der 80er Jahre mit einer schweren Hypothek belasten.
({0})
Die Übereinstimmung zwischen Regierung und Opposition beschränkt sich auf die Beurteilung der allgemeinen, das heißt der durch Machtfaktoren unverfälschten geologischen und wirtschaftlichen Situation auf den Öl- und Gasmärkten und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für Angebot und Nachfrage. Sie bezieht sich auch auf die Erkenntnis, daß wir die Versorgung unserer Volkswirtschaft mit Energie unter dem Leitziel „weg vom Öl" umzuorientieren haben.
Schon weniger klar ist die Übereinstimmung, wenn die Politik der drastischen Drosselung der Ölproduktion durch die Produzentenstaaten der
letzten vier Jahre mit ins Bild gezogen wird. Diese Politik bedeutet nämlich immerhin, daß das Angebot auf den Weltölmärkten in den 80er und 90er Jahren jährlich bis zu 1 Milliarde Tonnen hinter dem zurückbleibt, was wir noch 1974 - vielleicht auch 1975 - annehmen durften.
Grundlegend unterscheiden wir uns von der Bundesregierung in der Beurteilung der politischen und strategischen Lage im Hauptversorgungsgebiet Nah- und Mittelost, von dem unsere Ölversorgung unverändert zu 65 % abhängt, und vor allem unterscheiden wir uns in den sich aus dieser Lagebeurteilung ergebenden Konsequenzen.
Zusätzlich zu den vom Kollegen Stavenhagen angezogenen Gründen weise ich darauf hin, daß die politische und soziale Stabilität in den einzelnen Förderländern und auch in der ganzen Region unverändert gefährdet ist. Der Iran-Fall braucht kein Einzelereignis zu bleiben.
Die strategische Absicht der Sowjetunion - um ein zweites Argument zu nehmen -, auf die Produktion und die Verteilung des Öls aus dem Mittleren Osten einen kontrollierenden Einfluß zu nehmen, wurde lange Zeit - offensichtlich weil unbequem - aus den Regierungsanalysen schlicht verdrängt. Selbst nach Afghanistan wurde zuweilen noch so getan, als ob es diese Gefahr nicht gäbe. Ich verweise auf die Beweisführung für diese Gefahren, die am heutigen Morgen an dieser Stelle geboten wurde.
Im übrigen haben wir schon mehrfach auf die Warnung des früheren amerikanischen Ministers Schlesinger hingewiesen, daß die Sowjetunion durch eine Kontrolle des Mittelostöls in die Lage käme, von dort aus die NATO in Europa aus den Angeln zu heben. Unsere eigene Sicherheit, Unabhängigkeit, politische und soziale Stabilität können mithin durch eine falsche Energiepolitik lebensgefährlich bedroht werden, oder bestehende Bedrohungen können lebensgefährlich verlängert werden.
Die Bundesregierung weiß schließlich auch wie wir, daß unkontrollierbare Entwicklungen im Spannungsbereich um Israel auf unsere Ölversorgung durchschlagen können. Dabei geht es nicht allein um das Sabotagepotential der PLO gegen die Ölproduktionsanlagen und Öltransportleitungen im Mittleren Osten. Vor allen Dingen drohen politische Liefersperren, falls der militärische Konflikt wieder auflebt. Unter dem Gesichtspunkt des möglichen schlimmsten Falles muß die Bundesregierung für einen solchen Konflikt auch auf die Möglichkeit eines isolierten Boykotts gegen Deutschland gefaßt sein.
Die Bundesregierung hat hingegen während ihrer ganzen Amtszeit dieses enorme Gefahrenpotential verdrängt. Sie ist anscheinend immer noch der Ansicht, daß uns der Zugang zum Mittelostöl noch für Jahrzehnte zu zumutbaren Bedingungen offensteht, und will nicht wahrhaben, daß unsere Ölversorgung derzeitig auf tägliche Kündigung angelegt ist.
({1})
Dies ist besonders leichtsinnig, weil die Umstellung
der Ölversorgung aus Mittelost auf andere Öquellen oder auf andere Energieträger sehr lange Vorlaufzeiten benötigt.
({2})
Zahlenbeispiele aus dem Vergleich mit anderen Staaten würden die Versäumnisse der Bundesregierung offenlegen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß Frankreich 1973 zu 65 % vom Ölimport abhängig war. 1990 wird es nur noch zu 30 % davon abhängig sein, seine Abhängigkeit in 17 Jahren also um mehr als die Hälfte verringert haben. Im gleichen Zeitraum beläuft sich die Verringerung des deutschen Anteils auf etwas mehr als 20 % - nach der geltenden Planung der Bundesregierung.
Die Vereinigten Staaten, auf die man gerne eindrischt, wenn es um Energiepolitik geht, werden 1990 in der Lage sein, ihren Restölbedarf außerhalb von Nah- und Mittelost zu decken.
Mit anderen Worten: Unsere beiden wesentlichsten Bündnispartner in Europa und Übersee haben auf Grund derselben Lagebeurteilung, die die Opposition seit sechs Jahren der Bundesregierung hier an dieser Stelle entgegenhält, erfolgversprechend gehandelt. Sie waren in der Lage, ihren nationalen Interessen gemäß und rechtzeitig zu handeln. Beide Staaten werden in etwa zehn Jahren nicht mehr lebensentscheidend vom Öl aus dem Mittleren Osten abhängig sein. Daraus ergibt sich für uns eine weitere Belastung der Sicherheit unserer Versorgung; denn mit dem Ende der eigenen Abhängigkeit vom Mittelostöl ändert sich zwangsläufig auch die Qualität ihres Interesses an der militärischen Sicherung dieser Region.
({3})
Wir haben die Bundesregierung schon vor einem Jahr an dieser Stelle aufgefordert, aus dieser Lage endlich Konsequenzen zu ziehen und alles daranzusetzen, um unsere Versorgung aus dieser Region in einer nationalen Anstrengung in den kommenden zehn Jahren entscheidend zu verringern. Die Antwort war Schweigen.
Ich wiederhole deshalb: Angesichts unserer existenzgefährdenden Abhängigkeit von der Ölversorgung aus dem Mittleren Osten kommt dem Ziel, uns von dieser Erpreßbarkeit zu lösen, absolute Priorität zu. Andere Ziele haben sich dem unterzuordnen.
({4})
Alles, was ich zur Sicherung der benötigten Importmengen gesagt habe, wird in seiner Dringlichkeit noch durch die Preisexplosion der letzten 18 Monate unterstrichen, in denen das Öl fast um 150 % teurer geworden ist. Darüber hinaus diskutieren die Ölproduzenten für künftige Preissteigerungen eine Index-Formel, die darauf hinausläuft, daß das gegen18650
wärtige Ölpreisniveau nominal in den nächsten sieben Jahren abermals verdoppelt wird.
({5})
Wie gut stünden wir heute in Deutschland da, auch im Blick auf die Dritte Welt, hätte die Bundesregierung die Politik des Weg vom Öl ernsthaft und mit dem von der Opposition immer wieder geforderten Nachdruck betrieben. Wir wären weniger er- preßbar und hätten die reale Chance, von der Mengenseite her mit der Preisexplosion besser fertig zu werden, als das heute zu befürchten ist.
(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das ist
doch Theorie! - Kolb [CDU/CSU]: Das ist
keine Theorie»
Gemessen an den versorgungsstrategischen Zielvorgaben unserer Energiepolitik ist die Liste der Versäumnisse der Bundesregierung so lang, daß eine Plenarrede nicht ausreichen würde, sie darzustellen. Nur einige Beispiele: Die Anstrengungen zur Umverlagerung unserer Versorgungsströme in versorgungsstrategisch sichere Regionen waren unzureichend, Beispiel: Nordsee, Stichwort: zuwenig und zu spät.
Oder: Das Instrument DEMINEX leidet immer noch unter Entscheidungsschwäche, Strukturmängeln und unzulänglicher Finanzausstattung. Diese Gesellschaft war auf Grund ihrer fehlerhaften Konstruktion im vergangenen Jahr nicht in der Lage, sich ein verfügbares großes kalifornisches Ölfeld zu sichern.
Oder: Die Vorkehrungen zur Sicherung gegen kurzfristige Versorgungsstörungen waren ungenügend. Als die Iran-Krise ausbrach, war unsere nationale Ölreserve nur zu 60 % aufgefüllt - schlicht: ein mittlerer Skandal.
Oder: Die Vorräte der allgemeinen Vorratshaltung übersteigen zwar die international vereinbarten Ziele. Diese selbst aber sind für unsere Situation nicht angemessen. Sie reichen bei schweren Versorgungsstörungen nicht aus, um selbst unter Notstandsbedingungen unsere Versorgung umzustrukturieren; schon gar nicht reichen sie aus, um Spielräume für politische Verhandlungen zu eröffnen.
Oder: Als einen besonders schweren Mangel verzeichnen wir die völlige Passivität in der Sicherung des Zuganges zu den Lagerstätten für das sogenannte unkonventionelle Öl: Teersände, Schweröl, Ölschiefer. Die Weltvorräte an diesen Ölen sind größer als die Vorräte an konventionellem Öl. Sie haben den Vorteil, daß sich ihre Lagerstätten überwiegend in Nord- und Südamerika, also außerhalb der OPEC befinden und damit eine wesentlich bessere Versorgung garantieren müßten. Gerade diese Unterlassungen können als ein Beispiel für Entscheidungsschwäche, Risikoscheu und Mangel an Weitsicht herangezogen werden.
In dieses Bild unbedachter Vorsorge paßt übrigens vortrefflich die gegenwärtige Bereitschaft der Bundesregierung, völlig unvertretbare Risiken der Gasversorgung aus der Sowjetunion einzugehen.
({6})
Würde die Opposition nicht härtesten Widerstand anmelden, liefen wir Gefahr, die Abhängigkeit vom OPEC-Kartell heute durch eine entsprechende Abhängigkeit von einem durch die Sowjetunion geführten Kartell in den 90er Jahren bei unserer Gasversorgung zu ersetzen.
({7})
- Ich bin gegen alle Bezugsverhältnisse zur Sowjetunion, die die 20-Prozent-Grenze überschreiten.
({8})
Deutliche Kritik müssen wir an der unterlassenen Lagerstättensicherung zur Befriedigung unseres Bedarfs an Importkohle anmelden. Seit Jahren ist der große Umfang unserer künftigen Abhängigkeit von Importkohle bekannt. Wir wissen auch, daß sich nur wenige Gebiete der Welt als Kohlelagerstätten für eine sichere Versorgung Deutschlands anbieten. Um so schärfer ist unsere Rüge, daß auch in diesem Punkte nichts geschehen ist und daß das, was erreichbar ist, wesentlich teurer geworden ist, als es gewesen wäre, wenn wir rechtzeitig zugegriffen hätten.
({9})
Die Aufgaben unserer Energiepolitik unter den vorgegebenen externen Bedingungen hat der Sachverständigenrat in seinem letzten Bericht unter der Überschrift „Substitution und Sparen" präzise beschrieben. Ich stimme diesem Bericht in seinen Grundzügen ebenso zu wie dem vorzüglichen Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates des Bundeswirtschaftsministeriums vom 7. Dezember des vergangenen Jahres. Es ist bezeichnend, daß beide Schlüsseldokumente für unseren energiepolitischen Handlungsbedarf von der Bundesregierung konsequent heruntergespielt werden. Die Absicht ist offenkundig: Das Energiethema soll gegenüber der Öffentlichkeit in seiner ganzen Tragweite eher verschleiert werden, damit kein allgemeines Problembewußtsein entsteht und die Bürger nicht auf den Gedanken kommen, der Regierung unliebsame Fragen zu stellen. Wir werden diese Entwicklung selbst dann nicht zulassen, wenn die Monopolmedien die Regierung dabei kräftig unterstützen sollten.
({10})
Regierung und Koalition betreiben im übrigen seit Jahren ein energiepolitisches Verwirrspiel, indem sie die ratsuchende und nach Führung fragende Öffentlichkeit mit drittklassigen Fragen zu beschäftigen und von den eigentlichen Problemen abzulenken versuchen.
({11})
Als Beispiel sei das Dauerthema von der Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen erwähnt. Für mehr als 90 % unserer Straßen bestehen Höchstgeschwindigkeitsgrenzen. Die Einführung einer Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen
- sei es bei 130, 120 oder 100 km/h - brächte bestenfalls eine Einsparung in der Größenordnung eines Bruchteils eines Prozentes unseres gesamten Primärenergiebedarfs.
({12})
Der gutgläubige Bürger, der den ehrgeizigen Bundesforschungsminister - wie wir wissen, ein Technokrat mit sozialistischem Gardemaß - zu diesem Thema hört, muß indessen annehmen, daß es sich hierbei um eine Schlüsselfrage der deutschen Energiepolitik handelt. Ähnliches gilt für den Wind, den dieser Technokrat mit der Windenergie und anderen regenerativen Energiequellen in der Öffentlichkeit zu erzeugen sich bemüht.
({13})
Ein anderes Verwirrspiel wird mit dem Verhältnis der Energiesparpolitik zu der Substitutionsaufgabe getrieben. Sparen allein bringt keine Lösung unserer Probleme. Es gibt keine vernünftige Gesamtkonzeption unserer Energieversorgung, die allein mit dem Sparen auskäme. Auch die Enquete-Kommission hat dazu nichts gebracht, es sei denn, man befürchtet eine Verzichtdiktatur.
({14})
Herr Kollege Ueberhorst, der große Unterschied zwischen uns ist: Nach unserer Auffassung gibt es die „strategische Zeit" gar nicht, die Sie noch haben wollen, um zehn Jahre lang zu prüfen, was das Sparen bringt, um danach zu entscheiden, ob man noch zu anderen Energien übergehen muß. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Ihnen und uns.
({15})
Ich versage es mir aus Zeitgründen, die schrillen Töne der Uneinigkeit im Regierungslager über das Thema Marktwirtschaft und Dirigismus, die uns vier Jahre lang begleitet haben, hier im einzelnen noch einmal nachzuvollziehen. Ich sehe nur den Vertreter der Marktwirtschaft; der Herr Vertreter des Dirigismus ist heute offensichtlich an Energiepolitik nicht mehr interessiert.
Ein Wort noch zur Enquete-Kommission. Sie ist kein Entscheidungsorgan, sondern ein Beratungsgremium. Ihre Beratungswirkung hängt letztlich von der Qualität ihrer Empfehlung ab. Eine erste Durchsicht der Arbeitsergebnisse und der heutigen Diskussion über diese Ergebnisse weist auf Mängel in der Arbeit dieser Kommission hin.
Erstens. In ihren wirtschaftspolitischen Aussagen bleibt die Kommission deutlich hinter den schon erwähnten Empfehlungen des Sachverständigenrates und des wissenschaftlichen Beirates des Bundeswirtschaftsministeriums zurück. Von ihrer Zusammensetzung her kann dieser Mangel nicht einmal überraschen.
Zweitens. In den entscheidenden versorgungsstrategischen Zielvorgaben an die Energiepolitik
werden die wesentlichsten Daten - wenn überhaupt - nur am Rande zur Kenntnis genommen. Die Prioritäten der Enquete-Kommission entsprechen deshalb nicht der Entscheidungslage der Bundesregierung, schon gar nicht der Entscheidungslage des Bundestages.
Drittens. Die Empfehlungen der Enquete-Kommission sind offenkundig von dem Bemühen um einen politischen Kompromiß über die Nutzung der Kernenergie getragen. Sie geben deshalb Verhandlungsergebnisse und keine gesicherten Erkenntnisse wieder. Insbesondere wird dieser Gesichtspunkt deutlich, wenn man erkennt, daß der Vorschlag auf Vertagung einer Kernenergie-Entscheidung auf das Jahr 1990 mit keiner plausiblen Begründung versehen ist. Die Kommissionsarbeit spiegelt vielmehr die Gründungsgeschichte der Kommission wider. Sie war halt nur ein Behelf, um der in der Kalkar-Debatte zerstrittenen und handlungsunfähigen Koalition bis zur Bundestagswahl 1980 Zeit zu verschaffen.
({16})
- Herr Kollege Wolfram, die Enquete-Kommission war eine besonders kostspielige Veranstaltung zur Fortbildung der Kernenergiegegner in Ihrer Fraktion.
({17})
Ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie den Ministerpräsidenten Rau und Ihre Fraktionsführer in Hannover und in Stuttgart gleich mit in die Kommission geschickt hätten. Dann hätten sie das in einer Tour auch lernen können.
({18})
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach? - Im übrigen ist Ihre Redezeit um.
Die „gequetschte" Zeit, Herr Präsident - Sie weisen mich darauf hin -, läßt das leider nicht mehr zu.
({0})
Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen; Ihre Redezeit ist um.
Wenn wir die energiepolitische Bilanz der Bundesregierung an Hand nur weniger Stichworte ziehen wollen,
({0})
so können wir angesichts der fundamentalen Unterschiede in der Bewertung der versorgungsstrategi18652
schen Lage nur zu dem Ergebnis kommen, daß diese Bilanz niederschmetternd ist. Die Bundesregierung hat ihre Pflicht nicht erfüllt und kostbare Jahre verstreichen lassen, weil ihr offensichtlich das Interesse an der Machterhaltung wichtiger war als das Gemeinwohl, dem sie verpflichtet gewesen wäre.
({1})
Das Wort hat der Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich habe heute in einer Wochenzeitung den Ausspruch gelesen - er wurde unserem Parlamentskollegen Hoppe zugeschrieben -: „Im Ausschuß diskutieren wir kollegial, und im Plenum diskutieren wir brutal.'
({0})
Ich will mir das nicht zu eigen machen. Aber es gibt ja ein Rollenverständnis und die Aufgabe, hier im Plenum für die Öffentlichkeit noch einmal die Gegensätze und Widersprüche deutlich zu machen. Nur, Herr Kollege Narjes, ein bißchen übertrieben war das wohl, was Sie soeben geboten haben.
({1})
- Herr Wolfram, man ist hier vieles gewohnt. Ich habe dem Kollegen Narjes schon vor sieben Jahren gesagt, er rede hier immer so, als ob er die Industrie-
und Handelskammer in Neumünster einweihen wollte.
({2})
Inzwischen, meine Damen und Herren, ist er längst zur großen Oper übergegangen. Im übrigen, Herr Narjes und Herr Dollinger, Sie enttäuschen alle unsere Rollenerwartungen von Nordlicht und Südlicht, wenn man Sie nacheinander sprechen hört.
({3})
Herr Narjes, was veranlaßt Sie eigentlich hier im Plenum zu der Behauptung, daß Bundesregierung und Opposition in den grundlegenden Fragen der Beurteilung der Risiken der Mineralölversorgung der Bundesrepublik Deutschland unterschiedlicher Auffassung seien? Tiber die geopolitischen und geostrategischen Gegebenheiten und Gefahren gibt es keine Unterschiede in der Beurteilung. Auch wir wissen, daß die Region, die unser Hauptversorgungsgebiet ist, aus den verschiedenen Gründen, die Sie dargestellt haben, eine gefährdete Region ist. Herr Narjes, es war Ihre Partei, aus deren Reihen ich, als ich im Frühjahr aus Saudi-Arabien zurückgekommen bin und davon gesprochen habe, daß wir
alle miteinander in der westlichen Welt in den nächsten zehn Jahren, was die Mineralölversorgung anbelangt, am Rande des Abgrunds leben müssen und daß wir erpreßbar bleiben werden, Kritik zu diesen Bemerkungen und zu dieser Sachstandsschilderung hören mußte, die sich doch mit dem deckt, was Sie hier vorgetragen haben. Da gibt es keine wesentlichen Meinungsverschiedenheiten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Narjes?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, auf Ihre Frage nur die Antwort entgegenzunehmen: Die Unterschiede ergeben sich aus Ihrer Politik und den Konsequenzen, die Sie aus der unter Umständen gleichlautenden Lagebeurteilung ziehen?
Jetzt kommt die Frage nach den Konsequenzen; ich war gerade dabei, sie zu behandeln.
Herr Kollege Narjes, was zunächst einmal die Abhängigkeit von der Erdöleinfuhr - Sie haben Frankreich, die Bundesrepublik und die USA erwähnt - anlangt, so stellte sich jedenfalls im Jahre 1978 die Ausgangsposition so dar, daß Frankreich mit 61 % seiner Energieversorgung vom Erdöl abhängig war und wir mit 52 %. Wir haben uns gemeinsam in drei internationalen Konferenzen dazu verpflichtet, bis zum Jahre 1990 auf 40 % herunterzufahren. Daß im übrigen, Herr Kollege Narjes, in einem Zentralstaat manches leichter durchzusetzen ist als in einem föderativen Staat, das will ich hier als Ergebnis meiner Erkenntnis durchaus vermerken; daß sich die Vereinigten Staaten von der Region, die für uns wesentlich ist, durch ihren Zugang zu mexikanischem und venezolanischem Erdöl leichter unabhängiger machen können, als wir das können, ergibt sich ebenfalls.
Im übrigen wird die Behauptung, Herr Kollege Narjes, dieses Thema habe absolute Priorität - das haben Sie hier mehrfach unterstrichen -, von Ihren eigenen Fraktionskollegen selbstverständlich nicht getragen. Niemand kann für sein eigenes Arbeitsgebiet und für sein eigenes Interessengebiet die absolute Priorität vor allen anderen Problemen und Gefahren und Aufgaben in Anspruch nehmen; Sie können es nicht, und wir können es nicht.
Ich frage Sie, Herr Kollege Narjes: Hätten Sie bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses Ihrer Fraktion wohl dafür gesorgt, daß der endgültige Kaufpreis für die Belridge-Transaktion, die Sie erwähnt haben, in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar auf den Tisch gelegt worden wäre? Ich sehe das bei unseren Haushaltsverhältnissen nicht. Reden wir doch über Dinge, die machbar sind; reden wir doch über Dinge, die wir auch finanzieren können, und spielen wir uns hier nicht auf als Gernegroß der Erdölgeschichte und der Erdölwelt mit Sachen, die
überhaupt nicht in den Rahmen hineinpassen, der für die Bundesrepublik darstellbar ist.
({0})
Wenn Sie davon sprechen, Herr Kollege Narjes, daß die Vorräte nicht angemessen angelegt worden seien, dann stimme ich Ihnen zu. Es wäre uns lieber gewesen, wir hätten die Haushaltsmittel zur Verfügung gehabt, um Erdölvorräte in größerem Umfang kaufen zu können. Ich kritisiere die Mitglieder des Haushaltsausschusses deswegen nicht, aber ich weise doch auf die Gegebenheiten hin, die sich aus der finanziellen Situation der Bundesrepublik und dem von Ihnen ja dauernd behaupteten Staatsbankrott und Staatskonkurs, der so ungefähr kurz vor der Tür stehen soll, für uns alle ergeben.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Nein, das tut mir leid; ich bin auf Ihre Bitte hin auf eine Redezeit festgelegt worden. Ich bitte deswegen um Verständnis.
({0})
- Wenn Sie den Rahmen ausschöpfen wollen, meine Damen und Herren, gegen die internationalen Vereinbarungen, daß keine Vorratskäufe getätigt werden sollen,
({1})
wie wir das mit unseren amerikanischen Partnern auf den Weltwirtschaftsgipfeln besprochen haben, weil wir gesagt haben: „Wir kaufen nicht auf den Spotmärkten; wir treiben die Preise nicht hoch", dann werden Sie der Bundesregierung wohl nicht vorhalten können, daß sie vertragsbrüchig werde und daß sie ihre Absprachen nicht einhalte.
({2})
Was den Haushaltsausschuß anbelangt, so geht es um die 3,5 Milliarden Dollar der Belridge-Transaktion, mit der DEMINEX in eine Schweröltechnologie hätte einsteigen können und mit der sie die Felder einer bestehenden Erdölgesellschaft hätte aufkaufen können.
Herr Narjes, Sie sagen, wir sollten uns in den Bereichen Teersände, Ölschiefer und Schweröle mehr betätigen, und dort investieren. Dies wird nur im Rahmen einer Preisentwicklung geschehen, die eine solche Tätigkeit wirtschaftlich sinnvoll, wirtschaftlich vernünftig und auf die Dauer. rentabel macht. Wie wollen Sie denn das vorher erreichen? Wie wollen Sie das vorher tun?
Ich sagte vorhin, daß wir heute in einer ganz anderen Tonart miteinander diskutieren als bei der Gestaltung der Energiepolitik in den Ausschüssen und in der praktischen Arbeit des Parlaments. Ich habe allen Anlaß - ich sage das auch an die Adresse der Opposition durchaus mit Dankbarkeit - festzustellen, daß sämtliche energiepolitischen Gesetze, die die Bundesregierung in den vergangenen vier Jahren ins Parlament gebracht hat, mit Zustimmung der Opposition im Bundestag und im Bundesrat verabschiedet worden sind. Dies betrifft die Energieeinsparungsgesetze, die Verstromungsgesetze, das Gesetz über die Förderung regionaler Erdgasleitungen, das Bundesberggesetz, die Investitionszulagen, das Energiesicherstellungsgesetz und das Kohlezollkontingentgesetz. Alle unsere Verordnungen, die der Zustimmung des Bundesrates bedurften - wo bekanntlich Sie die Mehrheit haben -, sind gebilligt worden. Nicht eine ist hängengeblieben. Es gibt also eine Kooperation, Herr Kollege Narjes, auf dem Gebiete der Energiepolitik, die Sie hier mit solchen Beiträgen doch nicht einfach wegwischen können. Wenn Sie davon sprechen, daß das eine nationale Verantwortung und Verpflichtung ist, dann müssen Sie auch sagen, daß wir sie im wesentlichen gemeinsam wahrgenommen haben.
({3})
Spielen Sie hier nicht denjenigen, der Gegensätze darstellen will, die in Wahrheit überhaupt nicht bestanden haben.
({4})
Ich frage Sie, Herr Narjes, ob die absolute Priorität der Energiepolitik von Ihren Parteifreunden in dem Land, aus dem Sie kommen, nämlich aus dem Bundesland Schleswig-Holstein, eingehalten wird oder nicht, wenn das Fernwärmeprogramm verhindert wird. Hat sie absolute Priorität, ja oder nein?
({5})
Dies ist der einzige entscheidende Punkt energiepolitischer Maßnahmen, der in dieser Legislaturperiode nicht durchgeführt werden kann, und er scheitert an den finanzpolitischen Einwänden des Regierungschefs Ihres Bundeslandes und an niemand anderem.
({6})
Fordern Sie von uns nicht „absolute Priorität", ziehen Sie nicht die Fahne nationaler Verantwortung und moralischer Entrüstung auf und sparen dann die 29,4 Millionen DM in Kiel.
({7})
Im übrigen hat Herr Kollege Dollinger am Anfang seiner Darlegungen mit vollem Recht die Formulierung gebraucht: „Letztlich sind die Probleme nicht gelöst." Wer kann letztlich die Probleme einer Entwicklung lösen, die uns in den nächsten 10 bis 15 Jahren unentwegt mit der Frage der größeren Unabhängigkeit vom Erdöl und von Primärenergien auch
anderer Art konfrontiert? Wir sind uns doch völlig im klaren darüber, daß auch Erdgas, das zur Zeit gelegentlich als Ersatz benutzt wird, keine dauerhafte Grundlage sein darf und kann, auf die wir uns ewig verlassen könnten. Selbst das, was wir auf dem Kohlegebiet tun - sei es bei der Importkohle oder sei es bei der deutschen Steinkohle -, kann uns keine Garantie dafür bieten, auf Dauer in Sicherheit zu leben.
Deswegen wird es auch weiter unsere Aufgabe sein, uns mit diesen Problemen zu beschäftigen und die energiepolitischen Fragen zu beantworten.
Ich stimme Herrn Narjes zu, wenn er zur Energieeinsparpolitik sagt: „Sparen allein reicht nicht." Das ist richtig. Selbstverständlich bedeutet das aber dennoch, daß jeder in diesem Lande - das hat Herr Wolfram vorhin richtig gesagt - aufs sparsamste mit der Energie umgehen muß, die uns zur Verfügung steht. Wir setzen im übrigen über eine sich verteuernde Primärenergie, und zwar über einen Wärmepreis und nicht nur über Benzinpreise oder Preise für leichtes Heizöl, den wirksamsten Sparanreiz, ja sogar Sparzwang. Er ist für viele nicht angenehm und bedeutet für viele eine bittere Erfahrung. Es ist gesagt worden - Herr Laermann war es, glaube ich -, das Familienbudget muß in vielen deutschen Haushalten in bezug auf Mehrausgaben für Energie umgestellt werden. Das ist die Konsequenz dieser Entwicklung.
Dies alles wissen wir. Energieeinsparen ist notwendig und bleibt unerläßlich. Auch hier besteht in den internationalen Diskussionen volle Übereinstimmung.
Wir wissen weiter, daß wir die alternativen Energiequellen, die regenerierbaren Energiequellen zu entwickeln haben. Bei realistischer Betrachtung müssen wir ja wohl zugeben, daß sie einen Beitrag leisten, aber das Problem nicht in einem Zeitraum lösen können, in dem es gelöst werden muß.
So bleibt uns also im wesentlichen als Antwort der Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland der kombinierte Einsatz von Kohle, und zwar sowohl deutscher Kohle wie Importkohle, auf der einen Seite und die friedliche Nutzung der Kernenergie auf der anderen Seite. Wir haben, wie Sie wissen, den Kohlevertrag zum zweiten Mal mit Verlängerung und Aufstockung der Mengen geschlossen und damit auch die von diesem Pult von verschiedenen Seiten abgegebene Erklärung in die Tat umgesetzt und die Voraussetzung erfüllt: der Vorrang der deutschen Steinkohle in der Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland ist gesichert.
({8})
Das gibt uns die Bewegungsfreiheit, auf dem Gebiete der Importkohle, auf dem Gebiete der Kernenergie dieses Hindernis jedenfalls beiseite geräumt zu haben, diese Frage im positiven Sinne beantwortet zu haben. Deswegen die Verstromungsgesetze, und deswegen das Kohlezollkontingentgesetz.
({9})
In der Frage der Kernenergie sage ich nur ein Wort zu dem Thema der Enquete-Kommission. Ich finde es ungerecht, Herr Kollege Narjes, die Arbeit, die dort geleistet worden ist - was immer man von dem Ergebnis halten mag, positiv oder weniger positiv -, in dem Sinne abqualifizieren zu wollen, wie Sie es getan haben, zumal Sie ja nicht nur die Kollegen aus dem Parlament damit treffen, sondern auch die Sachverständigen, die ebenfalls einen großen Zeit- und Arbeitsaufwand in diese Angelegenheit gesteckt haben.
({10})
Aber eines möchte ich denn doch sagen. Ich weiß in der Bundesrepublik Deutschland niemanden, der ein größeres Interesse am Bau eines Leichtwasserreaktors hat als der Vorsitzende des Vorstandes der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen. Er hat mit der Mehrheit der Kommission diesen Entscheidungen zugestimmt und hat sich gestern in einem Zeitungsinterview noch einmal ausdrücklich zu dem Ergebnis der Kommissionsarbeiten bekannt, nämlich dem Ergebnis, daß auch in den nächsten Jahren Leichtwasserreaktoren gebaut werden müssen. Dies bestätigt dann ja auch die Haltung der Bundesregierung, die diese Meinung vertritt und vertreten hat und die die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, die selbstverständlich auf dem Gebiete der Entsorgung geschaffen werden müssen. Denn darüber werden wir uns einig sein: der Betrieb von Kernkraftwerken ohne die Sicherung und Lösung der Entsorgungsfrage ist nicht verantwortbar.
({11})
Da ist der parallele Ansatz. Daß er aufrechterhalten wird in der Frage der Entsorgung und der Wiederaufbereitung, ist aus meiner Sicht positiv zu werten, solange die Bestrebungen, die eingeleitet worden sind, nämlich der Bau einer Wiederaufbereitungsanlage im kleineren Maßstab, als ursprünglich in Gorleben vorgesehen, dadurch nicht behindert werden.
Infolgedessen geht die Bundesregierung davon aus, daß dieser Bericht im wesentlichen hilfreich und nützlich ist und das, was die Bundesregierung in der zweiten Fortschreibung zu Papier gebracht und dem Hause vorgelegt hat, unterstützt und in keiner Weise behindert. Er paßt sich auch in das ein, was wir international verabredet und vereinbart haben.
Hier kann doch überhaupt gar kein Zweifel daran sein, daß die energiepolitische Linie, die die Bundesregierung in den letzten Jahren gefahren hat, und die Ergebnisse, die dabei erzielt worden sind, internationale Anerkennung gefunden haben und daß wir die Ansätze unserer Energiepolitik gerade in diesem Jahr über den Energieministerrat der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel, über den Ministerrat der Internationalen Energie-Agentur von Paris von Ende Mai dieses Jahres in das Kommuniqué des Weltwirtschaftsgipfels von Venedig eingeBundesminister Dr. Graf Lambsdorff
bracht haben. Wer sich insbesondere die Handlungsanweisungen für praktische Energiepolitik durchliest, die uns endlich von der Frage der Ziele abführt, die noch in Tokio und in den Monaten nach Tokio die Diskussion beherrscht hat, der wird nicht übersehen, daß dies wesentlich und erstrangig die Handschrift der Energiepolitik der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist.
({12})
Wir sagen das nicht, weil wir der Meinung wären, daß wir anderen vorschreiben müßten oder vorschreiben sollten, was sie energiepolitisch zu tun haben. Aber wir sagen es deswegen, weil wir der Oberzeugung sind, daß wir den internationalen Konsens zur Lösung dieser Probleme brauchen, weil wir wissen, daß wir in den Gefahren leben - Herr Narjes, ich betone das noch einmal -, die Sie in einer Weise dargestellt haben, wie auch wir sie in der Analyse durchaus sehen, und weil wir nur gemeinsam diesen Gefahren begegnen können. Denn kein Land in der Welt - und das bitte ich zu sehen -, das in Bündnis- und Partnerschaftabhängigkeiten lebt, wie wir das tun und wie wir das auch wollen, kann hier etwa versuchen, für sich allein Wege zu gehen, sich ohne Rücksicht auf andere zu versorgen, eine Beggar-my-neighbour-Politik zu betreiben, die ihm schlecht anstehen und schlecht bekommen würde, wenn wir auch die anderen Sicherheitsinteressen und die übrigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland sehen.
({13})
Unsere Energiepolitik fügt sich in die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ein. Unsere Energiepolitik schafft auch Chancen und Anreize für die nächsten zehn Jahre, industrielle Chancen und Anreize sowohl für die Einsparung als auch für neue Technologien. Ich bin allerdings der Meinung, daß die nächsten zehn Jahre deutscher Konjunktur-
und Wirtschaftspolitik wohl eher Investitionspolitik als Konsumpolitik sein müssen - als Konsequenz und als Antwort auf diese Herausforderung, gerade wenn man an die Milliardenbeträge denkt, von denen ja auch hier gesprochen worden ist. Dies ist eine in sich geschlossene Konzeption. Sie ist marktwirtschaftlich fundiert. Sie erfolgt in engster Abstimmung mit unseren Verbündeten.
Und Alternativen, Herr Narjes, außer Kritik an dem, was angeblich nicht geschehen sei, und einem lautstarken Vortrag über angeblich unterschiedliche Beurteilungen der Analyse, die in Wahrheit gar nicht bestehen, habe ich dazu nicht gehört. Es gibt wahrscheinlich auch gar keine durchgreifenden Alternativen. Jedenfalls ist fraglich, ob Sie angesichts dieser Lage eine haben. Sie sind sicherlich keine.
({14})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse über die Vorlagen unter den Punkten 11 und 12 der Tagesordnung getrennt abstimmen.
Zunächst zu Punkt 11 der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4355 unter Ziffer I die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/4355 unter Ziffer II, den Antrag auf Drucksache 8/1963 für erledigt zu erklären. Ist das Haus hiermit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Punkt 12 der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 8/1394 ({0}) und 8/2961 ({1}) sowie den Entschließungsantrag auf Drucksache 8/3434 abzulehnen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der heutigen Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes ({2})
- Drucksache 8/3019 -
aa) Bericht des Haushaltsausschusses
({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4250 -
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4})
- Drucksache 8/4222 Berichterstatter: Abgeordneter Biermann
({5})
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes ({6})
- Drucksache 8/3020 -
aa) Bericht des Haushaltsausschusses
({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4250 -
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
18656 Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode -
Vizepräsident Wurbs
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({8})
- Drucksache 8/4222 Berichterstatter: Abgeordneter Biermann
({9})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache einen letzten verzweifelten Versuch, eine Sache zu heilen, von der ich glaube, daß sie so, wie sie im Moment läuft, nicht gut läuft. Ich möchte den Antrag stellen, den Tagesordnungspunkt, der eben aufgerufen worden ist, auf einen Zeitpunkt nach dem 5. Oktober zu vertagen.
({0})
Ich bin nach vielen Gesprächen, die ich geführt habe, sicher, daß es eine große Mehrheit im Hause gibt, die gerne eine unter allen Parteien in diesem Hause einvernehmliche Regelung in dieser schwierigen Frage wünscht. Es gibt eine große Mehrheit, die diesen Wunsch hat. Ich meine, wegen des Wahltermins am 5. Oktober kommen wir nicht zu einer solchen einvernehmlichen Regelung. Meine herzliche Bitte ist - ich kann sie an keinen adressieren -, daß sich dieses Parlament von Wahlkämpfen freimacht, weil es in dieser Sache - ich brauche das sicherlich denjenigen nicht zu sagen, die damit mehr befaßt sind als ich - um Menschenschicksale geht. Wir sollten uns von Wahlterminen frei machen.
Ich kann Ihnen in der Sache kein Angebot machen, weil ich mich dazu auch nicht berechtigt fühle. Ich habe an den Ausschußberatungen nicht teilgenommen. Ich kann Ihnen kein Angebot machen, welche Lösung gefunden werden soll. Ich meine, daß man die Gewissensprüfung abschaffen kann, wenn man im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen die Zivildienstzeit entsprechend verlängert. Ich meine, daß das eine breite Mehrheit in diesem Hause finden könnte, aber leider nicht vor dem 5. Oktober.
Das ist nun alles in die Tagesordnung einsortiert, die Fraktionen haben beschlossen. Es nimmt alles seinen Lauf. Dennoch bitte ich Sie, daß wir das Herz nehmen und sagen: In der Sache sollten wir nach dem 5. Oktober, unbelastet vom Wahlkampf, abstimmen.
Ich werde hier nicht gegen meine Fraktion stimmen. Ich werde mit der Fraktion stimmen. Ich kann das gar nicht anders. Aber ich finde, wir werden der Sache nicht gerecht. Unsere Fraktion bietet einen Kompromiß an, dem der Partner fehlt. Ihr Antrag geht meines Wissens darüber hinaus; Sie finden hier keine Zustimmung. Wir wollen gemeinsam für die jungen Leute ein glaubwürdiges Parlament darstellen, können es im Moment aber nicht, weil wir Wahlkampf haben. Ich meine, in der Sache kann nach dem 5. Oktober entschieden werden. Meine Bitte wäre, die Beratung zu vertagen.
({1})
Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Kühbacher hat aus der Sorge heraus gesprochen, daß das Gesetz eventuell nicht mehr zustande kommt. Diese Motive muß man ernst nehmen. Wir haben aber schon in der letzten Sitzungswoche diesen Punkt von der Tagesordnung abgesetzt, um uns noch einmal interfraktionell um eine Verständigung zu bemühen. Diese Verständigung ist uns nicht gelungen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich am Dienstag in ihrer Fraktionssitzung lang und intensiv mit dem Thema befaßt und beschlossen, es in dieser Woche auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen und zu behandeln.
Ich denke auch an diejenigen, die aus Gewissensgründen beantragt haben und beantragen werden, als Wehrdienstverweigerer anerkannt zu werden. Ich weiß nicht, ob wir bei ihnen Verständnis finden würden, wenn wir diesen Punkt jetzt wieder absetzten.
({0})
Das Gesetzgebungsverfahren ist mit dem heutigen Tag nicht abgeschlossen. Wir können die zweite und dritte Lesung des Bundestages vornehmen. Es handelt sich um ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Ich habe die Hoffnung, daß der Bundestag und auch der Bundesrat am Ende zu einem Ergebnis kommen, das dem gerecht wird, was im Grundgesetz verankert ist, daß nämlich diejenigen ihr Recht bekommen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern und Zivildienst leisten wollen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jenninger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kühbacher, ich bitte Sie sehr um Verständnis dafür, wenn ich sage, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Wunsch hat, daß über den Gesetzentwurf heute abgestimmt wird.
Wir haben uns seit drei Jahren der Mühe unterzogen, dieses Problem der Neuordnung des Kriegsdienstverweigerungsrechts im Parlament und in den Ausschüssen zu beraten, und sind zu Ergebnissen gekommen. Wir haben uns in den letzten Wochen ernsthaft bemüht, eine einvernehmliche Regelung, die wir alle gewünscht haben, zu erreichen. Wir haben sie in zwei wesentlichen Punkten leider nicht erreichen können. Aber zu einem Einvernehmen, zu einem Kompromiß gehört eben auch, daß von beiden Seiten nachgegeben wird.
Wir bedauern, daß unsere Bemühungen, ein Einvernehmen herbeizuführen, leider deshalb keinen Erfolg hatten, weil uns die Koalitionsfraktionen von SPD und FDP in einem Punkt nicht entgegengekommen sind.
Wenn Sie Probleme haben, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, wenn Sie sich der Mehrheitsmeinung nicht anschließen können, dann bieten wir von der CDU/CSU Ihnen an, daß Sie unserem Alternativgesetzentwurf Ihre Zustimmung geben.
({0})
Dann können wir heute sicher eine Mehrheit erreichen.
Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Ich glaube, dies ist kein Thema des Wahlkampfes. Unsere Jugend erwartet nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1977 von uns, daß wir in dieser Frage, und zwar noch vor Ende der Legislaturperiode, in diesem Hause endlich eine Entscheidung treffen.
Deswegen möchte ich Sie herzlich um Verständnis dafür bitten, daß wir Ihrem Antrag nicht entsprechen können.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, es ist nur wenigen Gesetzen beschieden gewesen, mit einem solchen Aufwand an Mühe und Bemühungen um einen tragfähigen Kompromiß im Deutschen Bundestag und in den Ausschüssen behandelt zu werden. Deswegen meint meine Fraktion, daß der Deutsche Bundestag hier heute entscheiden sollte und muß.
Wir wollen denjenigen, die davon betroffen sind, die Chance geben, wenigstens die Verbesserungen, die in diesem Entwurf vorgesehen sind, zu nutzen, wenn sie uns auch nicht optimal erscheinen.
Deswegen werden wir den Antrag von Herrn Kühbacher ablehnen.
({0})
Wird zur Geschäftsordnung weiterhin das Wart gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, nach § 30 Abs. 2 der Geschäftsordnung muß der Antrag auf Vertagung von so viel anwesenden Mitgliedern des Bundestages unterstützt werden, wie es einer Fraktionsstärke entspricht, d. h. von mindestens 26 Mitgliedern. Um festzustellen, ob diese Mindestzahl gegeben ist, bitte ich diejenigen, die den Antrag unterstützen wollen, um das Handzeichen. - Meine Damen und Herren, ich darf diejenigen, die den Antrag unterstützen wollen, bitten aufzustehen und die anderen bitten, sich hinzusetzen; sonst ist das Zählen unmöglich. - Das Präsidium ist sich nach dreimaligem getrennten Zählen einig, daß der Antrag nur von 24 Abgeordneten unterstützt wird. Der Antrag hat damit keine ausreichende Unterstützung gefunden.
Wir fahren daher jetzt in der Beratung des Zusatztagesordnungspunkts fort Das Wort hat Herr Abgeordneter Biermann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Neuregelung des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes ist zum Leidwesen der betroffenen jungen Menschen und gegen den ausdrücklichen und bekannten Willen der Sozialdemokraten zu einem Dauerproblem geworden.
({0})
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, einen Augenblick! Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen und etwas mehr Ruhe zu wahren. Ich bitte fortzufahren.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Was an Vordringlichkeiten zu einer. Reform der Ausgestaltung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung erforderlich war, konnten wir bereits in den ersten Jahren der sozialliberalen Koalition durchsetzen. Die optimalen Vorstellungen der SPD können Sie in jenem Gesetz aus dem Jahr 1977 nachlesen, dem zwar die Mehrheit der gewählten Abgeordneten dieses Deutschen Bundestages zustimmte, das aber auf Antrag der Opposition vom Bundesverfassungsgericht verworfen wurde. Nur der Respekt vor diesem höchsten Gericht unserer Republik, das u. a. die Zustimmung des Bundesrats - ich meine jetzt den Bundesrat mit seiner bekannten konservativen Mehrheit - festschrieb, hat uns veranlaßt, in mühevollen interfraktionellen Beratungen nach einem verfassungsrechtlich tragbaren Ausweg zu suchen.
Es ist nicht das Verschulden meiner Fraktion, daß am Ende dieser Mühen die Vertreter der CDU sich dem Veto der CSU und damit praktisch einem Diktat der CSU beugen mußten
({0})
und sich von dem von ihnen selber mitgetragenen Kompromißentwurf distanzieren mußten.
({1})
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, daß ich Sie nochmals unterbreche. Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen. Es ist unmöglich, dem Redner zuzuhören, und es ist unzumutbar, in diesem Krach zu reden. Ich bitte fortzufahren, Herr Abgeordneter.
Dies macht wieder einmal deutlich, daß die Opposition zu einem Kompromiß weder fähig noch willens ist, Herr Dr. Jenninger.
({0})
Nur in Würdigung dieser Vorgeschichte kann der jetzt zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf objektiv und gerecht beurteilt werden.
Der von den Koalitionsfraktionen danach eingebrachte Gesetzentwurf enthält trotz der schwierigen Vorgeschichte eine Reihe von Verbesserungen des geltenden Rechts, die in der ersten Lesung im Bundestag am 27. Juni 1979 der Sprecher unserer Fraktion, mein Kollege Gerhard Jahn, ausführlich dargelegt hat.
Am Anfang der Beratungen des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung stand, wie es der besonderen Bedeutung dieses Gesetzes entspricht, eine von meiner Fraktion beantragte öffentliche Anhörung. Dabei ging es uns darum, denen, die sich in den Kirchen, in den Wohlfahrtsverbänden, in den Organisationen der Kriegsdienstverweigerer und anderen Bereichen um die Belange der Kriegsdienstverweigerer bemühen, Gelegenheit zu geben, ihre Auffassungen, Vorstellungen und Wünsche zur Neugestaltung des Rechts auf Wehrdienstverweigerung vorzutragen.
Als wesentliches Ergebnis dieser Anhörung ist festzuhalten: Erstens. Die CDU/CSU, die auf einem Prüfungsverfahren bisher grundsätzlich bestand und auch noch besteht, mußte von den anwesenden Verfassungsrechtlern erfahren, daß ein wie auch immer geartetes Anerkennungsverfahren vom Bundesverfassungsgericht nicht zwingend gefordert ist.
Zweitens. Die Vertreter der beiden großen Kirchen, besonders der Sprecher des Kommissariats der Deutschen Bischöfe, waren einmütig der Auffassung, daß Gewissen nicht prüfbar ist. Der Sprecher des Kommissariats hat dies auch erläutert und gesagt - ich darf es sinngemäß wiedergeben -, die Unbedingtheit des Gewissens erlaube auch nicht, daß die Echtheit der Gewissensentscheidung an der Elle von Sinn und Zweck gemessen werde. Auch wenn die Begründung eines Antrages nach allgemeinen Wertvorstellungen nicht sinnvoll erscheine, berechtige dies nicht zu einem Urteil über das Gewissen. Die Folgen der Prüfungsentscheidung seien zudem viel weitgehender als selbst das Urteil eines Strafrichters. Im Gegensatz zum Strafverfahren werde der junge Mensch ja nicht nur gezwungen, etwas zu unterlassen, was nicht die allgemeine Billigung findet, sondern hier sogar gezwungen, etwas zu tun, nämlich die Ableistung des Wehrdienstes, was genau seine Gewissensnot ausmacht.
Die Vertreter der Betreuungsverbände der Kriegsdienstverweigerer beklagen die negativen Auswirkungen der Prüfungsverfahren auf den Antragsteller selbst und auf seine Umgebung. Für viele junge Menschen bringt das Prüfungsverfahren schwere Belastungen mit sich, zumal dann, wenn die Entscheidung über die Anerkennung faktisch in das freie Ermessen der Prüfungsgremien gestellt wird.
({1})
Hinsichtlich einiger Entscheidungen, meine Damen und Herren, möchte ich Sie fragen, ob Sie selbst die tragen möchten.
Wenn man allerdings die CDU/CSU-Presseerklärung über diese Anhörung nachliest, kann man sich bei allem Bemühen des Eindrucks nicht erwehren, daß sich die Vertreter der Opposition auch den Argumenten der Kirchen verschlossen haben. Man könnte auch anfügen: Man kann das Gefühl gewinnen, man habe in einem falschen Saal gesessen.
Bei dieser Gelegenheit sei mir darum eine Frage erlaubt: Wie glaubwürdig sind eigentlich die Sprecher der Opposition, die auf der einen Seite die angeblichen Wehrdienstverweigerer der DDR zu Helden hochstilisieren, auf der anderen Seite aber den Kriegsdienstverweigerern in ihrem eigenen, in unserem Land hier die Inanspruchnahme eines Grundrechts in unerträglicher Weise erschweren wollen
({2})
und diese jungen Menschen sogar als Drückeberger diskriminieren?
({3})
Wer gehofft hatte, die Opposition werde ihre seit Jahren geübte Voreingenommenheit gegen Kriegsdienstverweigerer nach dieser Anhörung überdenken, wurde in den weiteren Ausschußberatungen enttäuscht. - Und noch eines will ich Ihnen sagen: Wenn Sie sich den Auftritt Ihres Kandidaten in Berlin zu diesem Thema einmal vor Augen führen - lesen Sie es bitte einmal nach -, dann stellen Sie fest, daß selbst in dem, was er dort gesagt hat, nämlich, daß die Kriegsdienstverweigerer dann uns, die SPD, wählen sollten, für die Kriegsdienstverweigerer praktisch eine Diffamierung liegt.
Doch durch diese Enttäuschung haben sich die Abgeordneten der Koalition in den beteiligten Ausschüssen nicht entmutigen lassen und in sorgfältigen Einzelberatungen - unter Berücksichtigung der Ergebnisse der öffentlichen Anhörung - die in allen Gesetzgebungsverfahren unvermeidlichen und erforderlichen Änderungsanträge formuliert.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Würzbach?
Ja.
Meinen Sie nicht, Herr Kollege, daß Sie den gerade angestellten Vergleich zwischen den unter Einsatz ihres Lebens und im Wissen, daß Sie ins Zuchthaus müssen, antragstellenden Wehrdienstverweigerern in der DDR und denen bei uns im Interesse aller korrigieren sollten?
({0})
Nein, ich bin nicht der Meinung, daß ich dieses korrigieren sollte oder korrigieren kann.
({0})
Denn ich habe mir sorgfältig einiges von dem durchlesen können, was beispielsweise in München in diesem Zusammenhang passiert und dort auch gesagt worden ist.
({1})
Ich fahre fort: Von dem so verbesserten Gesetzentwurf können als echte materielle Verbesserungen des geltenden Rechts folgende herausgestellt werden.
({2})
- Hören Sie doch einmal zu!
Erstens. Es wird keine Verlängerung des Zivildienstes geben; es bleibt bei 16 Monaten. Meine Damen und Herren von der Opposition, schauen Sie sich einmal Ihren Antrag an, der dem Hause ja vorliegt, in dem Sie 18 Monate festschreiben wollen. Ich bin mir nicht sicher - und ich bin mir auch nicht klar darüber -, wie Sie diese 18 Monate fordern können, wenn es beispielsweise rein rechnerisch für die Mannschaften der Reserve nur um dreieinhalb Wehrübungstage im Jahr geht. Ich weiß nicht, ob man hier gleich eine sogenannte Strafe einbauen möchte.
Zweitens. Nach dem Willen der Koalition soll die schriftliche Glaubhaftmachung der Verweigerungsgründe im Regelfall ausreichen. Demgegenüber beharren Sie, wie Ihr Antrag zeigt, darauf, daß praktisch zunächst einmal jeder, der den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern will, persönlich vor einen Ausschuß gezerrt wird.
({3})
- Ich höre aus Ihren Reden viel schlimmere Töne. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich bei mir so aufregen.
Drittens. Die Vorsitzenden der Ausschüsse und Kammern für Kriegsdienstverweigerer sollen künftig nicht mehr vom Bundesminister der Verteidigung berufen werden, sondern dafür wie für die gesamte Ausführung des Gesetzes soll der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zuständig sein. Einem Antrag von Ihnen entnehme ich, daß Sie dies beispielsweise beim Verteidigungsministerium belassen wollen. Ich erinnere nochmal an die Anhörung, in der eine völlig andere Auffassung der dort Befragten laut wurde.
Viertens. Die Beisitzer in den Ausschüssen müssen nach diesem Gesetz die Voraussetzungen der Berufung zum Amt eines Jugendschöffen erfüllen; sie sollen über die erforderliche Lebenserfahrung und Menschenkenntnis verfügen.
Fünftens. Während der vollen Dauer des Anerkennungsverfahrens - das heißt, bis zur Unanfechtbarkeit einer Entscheidung - soll nach unserem Willen kein Kriegsdienstverweigerer mehr zum Wehrdienst einberufen werden, sofern er seinen Antrag auf Anerkennung vor Erhalt der Einberufung, der schriftlichen Benachrichtigung und dergleichen gestellt hat.
Sechstens. Der Vorrang des sozialen Bereichs für den Einsatz der anerkannten Kriegsdienstverweigerer ist in diesem Entwurf festgeschrieben.
Siebentes. Wenn ein mündliches Verfahren unvermeidbar wird, kann jeder Kriegsdienstverweigerer einen Beistand seiner Wahl für das Verfahren ,bestimmen, wobei die Beistände selbstverständlich
auch Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften sein können.
Dieses Ergebnis muß - so scheint es mir jedenfalls - gegen eine seltsame Koalition verteidigt werden. Einmal sind es die vom Verfassungsgericht enttäuschten Freunde in meinen eigenen Reihen, die am liebsten den verworfenen Gesetzentwurf - wenn auch mit Änderungen - von 1977, der auf jedes inquisitorische Prüfungsverfahren verzichtete, erneut einbringen möchten. Zum anderen sind es jene „kalten Krieger", die mit markigen Appellen an nationalistische Gefühle jeden Kriegsdienstverweigerer in ein Strafbataillon - sofern vorhanden - kommandieren möchten.
({4})
Diesen vereinigten Kritikern sei mit Nachdruck in Erinnerung gerufen: Die Sozialdemokraten in diesem Land werden dem Versuch, das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung einschränken zu lassen, bei jeder Gelegenheit entgegentreten und jede kleine Chance wahrnehmen, bei der es um die Verbesserung dieses Gesetzes geht. Den Spekulanten in der Opposition sage ich: Geben Sie sich keiner Täuschung hin. Von diesen - wenn auch für viele unbefriedigenden - Verbesserungen des vorliegenden Gesetzentwurfs werden sich die Sozialdemokraten im Vermittlungsausschuß kein Komma abhandeln lassen. Uns geht es darum, den in Gewissensnot befindlichen jungen Menschen wirkliche Hilfe zu bringen. Sie sind nicht mit wohlklingenden Worten abzuspeisen. Uns ist es Ernst - und ich wünschte, vielen anderen auch - mit dem Kernsatz unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte ist - und das scheint auch das Vorgeplänkel noch einmal bestätigt zu haben - der vorläufige Höhepunkt des langen Leidensweges eines Gesetzes, auf das weite Teile der Öffentlichkeit und insbesondere die betroffene Jugend mit großer Aufmerksamkeit warten. Ich spreche vom Leidensweg, weil offensichtlich die Mehrheit dieses Bundestages auch jetzt noch außerstande scheint, eine der Sache angemessene, mit der Verfassung in Einklang stehende und von den Betroffenen akzeptierte Lösung zu finden - und dies, nachdem bzw. obwohl bereits eine Novelle, die die Mehrheit dieses Bundestages gegen die Stimmen der Opposition und gegen die Mehrheit des Bundesrates unter Vernachlässigung wichtiger Verfassungsgebote und politischer Erfordernisse erzwungen hatte, am Einspruch des Verfassungsgerichtes gescheitert ist. Dies, meine Damen und Herren, ist kein Beweis für die Lösungskompetenz der jetzigen Koalition in dieser schwierigen Frage.
({0})
Wer noch in Erinnerung hat, mit welcher Betroffenheit die Koalition und einzelne ihrer Sprecher
Berger ({1})
auf das Urteil des Verfassungsgerichtes reagiert haben, als ihrer abenteuerlichen Postkartennovelle eine Abfuhr erteilt worden ist, wie sie mit einer Mischung aus Trotz und Resignation reagiert haben, indem sie - wie es einer ihrer Sprecher auszudrücken beliebte - auf andere politische Zeiten hofften, für den ist es nicht verwunderlich, daß am Ende dieses Leidensweges der Koalition nichts Besseres einfällt als ein Gesetzentwurf, der in seinen Auswirkungen der Postkartennovelle von 1977 gefährlich nahekommt Ihn müssen wir deswegen auch ablehnen. Er dürfte in dieser Form deshalb wohl auch vor dem Bundesrat kaum Bestand haben.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben die Abschaffung des Prüfungsverfahrens gewollt Sie schlagen uns nun in Konsequenz Ihrer ursprünglichen Absicht ein Prüfungsverfahren vor, das eine Farce ist. Entspricht es wirklich dem politischen Willen Ihrer Parteien, nachdem der 7. Deutsche Bundestag eine Regelung nicht zustande gebracht hatte, nachdem Ihr erster Versuch im 8. Deutschen Bundestag am Verfassungsgericht scheitern mußte, nun wiederum ein Gesetz zu verabschieden, das, wenn es scheiterte, zu nichts anderem führte, als daß alles beim alten bliebe? Glauben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ernsthaft, daß dies für Sie eine vertretbare Position ist? Glauben Sie wirklich, in einer Art Schwarzer-Peter-Spiel die Opposition und die Mehrheit des Bundesrates dafür verantwortlich machen zu können, daß Ihre verfassungswidrige Novelle gescheitert ist und deswegen nun ein Gesetz weiter gilt, das eigentlich niemand mehr will?
({2})
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eines der Grundrechte, die unsere Verfassung als eine der freiesten der Welt ausweisen. Niemand in diesem Hause will eine Einschränkung dieses Grundrechtes.
({3})
Niemand bestreitet demjenigen, der auf Grund der Ernsthaftigkeit und Unausweichlichkeit seiner Gewissensentscheidung den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, das Recht dazu. Aber jeder, der dies tut, muß wissen, daß er dabei ein Grundrecht in Anspruch nimmt, das letztlich nur so lange erhalten bleibt, wie es ausreichend geschützt ist. Es wird nur so lange ausreichend geschützt bleiben, solange wir durch funktionsfähige Streitkräfte die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Bündnisses sicherstellen können.
({4})
Diese Streitkräfte beruhen nach dem Willen des Gesetzgebers und nach Lage der Dinge auf einer funktionierenden Wehrpflicht Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes hat diese deshalb auch Verfassungsrang.
Dem allgemeinen Gebot der Wehrpflicht steht also in einem Spannungsverhältnis das individuelle Recht zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gegenüber. Dabei ist - ich wiederhole das - die ausreichend erfüllte Wehrpflicht geradezu eine Bedingung dafür, daß das Ausnahmerecht auf Kriegsdienstverweigerung auf Dauer in Anspruch genommen werden kann. Wehrpflicht schützt also auch Kriegsdienstverweigerung. Deswegen war es töricht, vom zivilen Ersatzdienst als dem alternativen Friedensdienst zu sprechen. Wer jener Begriffsverwirrung Vorschub geleistet hat - und es waren viele -, hat keinen Beitrag zur Lösung unseres Problems geleistet
({5})
Im Gegenteil: Er hat damit auch jenen das Handwerk erleichtert, die im Instrument der Kriegsdienstverweigerung nichts anderes gesehen haben als ein Vehikel, um den von ihnen ungeliebten Staat Bundesrepublik Deutschland treffen zu können; Kräfte, die zum Teil Gewaltfreiheit predigen, während sie z. B. in Bremen durchaus dazu bereit gewesen sind, in anderer Konstellation und zu anderem Zweck Gewalt anzuwenden.
({6})
Lassen Sie mich deswegen für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion feststellen: Wehrdienst ist für uns Friedensdienst. Weil wir auf die Wehrpflicht der Bürger unseres Landes, auf die Wehrbereitschaft der Jugend angewiesen sind, möchte ich noch hinzufügen: Wehrdienst ist die Grundpflicht, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist die Ausnahme.
({7})
Die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland, die Sicherung unseres Staates nach außen haben für, uns höchste Priorität. Deswegen mußten wir geradezu gegen jene Postkartennovelle klagen, die Sie von der Koalition zu verantworten hatten, weil sie nämlich die Wehrpflicht quasi abgeschafft hätte. Deshalb betrachten wir es auch als eine Zumutung, daß Sie nun in Ihrem Gesetzentwurf eine Regelung vorschlagen, die die Postkarte durch den Einschreibebrief ersetzen soll.
({8})
Ihr vorrangig schriftliches Verfahren bedeutet nämlich nichts anderes; denn niemand wird ausschließen können, daß die Begründung, die der jeweilige Antragsteller dem Ausschuß schriftlich vorlegt und die dann zur Entscheidung nach Aktenlage führt, aus fremder Feder stammt Können Sie sich nicht vorstellen, daß es einschlägige Praxen und ganze Agenturen geben könnte, die nichts anderes tun, als dem Antragswilligen seine Papiere vorzubereiten? Damit wäre im übrigen demjenigen, der seinen Antrag wirklich aus Überzeugung und Gewissensnot stellt, am wenigsten zu helfen.
({9})
Wenn schon gesagt wird, das mündliche Verfahren begünstige denjenigen, der besser artikulieren könne - eine oft zitierte Behauptung, die im übrigen im Anhörverfahren, wie ich meine, überzeugend widerlegt worden ist -, dann ist es doch um so offenkundiger, daß sich bei einem schriftlichen Regelverfahren erst recht derjenige durchsetzen könnte, der sich entweder schriftlich besser zu äußern verBerger ({10})
mag - was wohl schwieriger ist - oder aber sich rechtzeitig die eilfertigen Dienste sichern kann, die ihm nützlich erscheinen.
({11})
Auch Ihr Angebot, meine Damen und Herren von der Koalition, bei einem vorrangig schriftlichen Verfahren auf Antrag nur eines Beisitzers eine mündliche Anhörung vorzuschreiben, hätte daran wenig geändert. Wäre dieser Beisitzer, der so etwas zu beantragen wagte, nicht rasch als der ewige Querulant abgestempelt?
({12})
Wäre er nicht auch schon alleine deswegen einem erheblichen psychologischen Druck ausgesetzt, weil er einen solchen Antrag gegen die Mehrheit stellen müßte - und dies, zumal ja nach Ihrem Gesetzentwurf die Zuständigkeit für die Rechtsaufsicht geändert werden soll?
Nein, meine Damen und Herren, für das mündliche Verfahren gibt es kein Ersatz.
({13})
Nur dieses mündliche Verfahren wird sicherstellen können, daß der Antragsteller in seiner gesamten Persönlichkeit - und dazu gehört wesentlich die persönliche Ausstrahlung - vor der Entscheidung gewürdigt werden kann. Ich vertraue darauf, daß derjenige, der eine für sich zwingende Gewissensentscheidung getroffen hat, auch in der Lage sein wird, diese seine Entscheidung zu begründen und glaubhaft zu machen.
Damit dies ganz klar wird - auch in der Diskussion eben wurde wieder einige Begriffsverwirrung gestiftet -: Hier handelt es sich nicht um eine Gewissensprüfung, wie viele es zum Schaden der Sache immer wieder behauptet haben. Dies hat ebenfalls das Anhörungsverfahren gezeigt: Ein Gewissen ist nicht prüfbar. Die Gewissensentscheidung des einzelnen entzieht sich der Prüfung durch Außenstehende. Aber die Folgen einer solchen Gewissensentscheidung sind nachvollziehbar; die Motive und Gründe dafür können bewertet werden. Wer, wie im Falle der Antragstellung auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, mit diesem Antrag die Freistellung von einer allgemeinen und im Interesse der Allgemeinheit, im Interesse des Gemeinwohls auch notwendigen Pflichterfüllung beantragt, der muß diesen Antrag nach seinem persönlichen Ausdrucksvermögen einleuchtend begründen können.
({14})
Meine Damen und Herren, in der Botschaft des Bundesrats der Schweiz, die zur Einführung eines zivilen Ersatzdienstes dort führen sollte, heißt es - ich zitiere -:
Beweispflichtig für den geltend gemachten Gewissenskonflikt ist der Wehrpflichtige, der daraus Anspruch auf eine Sonderbehandlung ableitet.
Im nächsten Absatz heißt es:
Wer Anspruch auf Zulassung zum Ersatzdienst und auf Befreiung von der Militärdienstpflicht erhebt, hat einen Antrag zu stellen und diesen zu begründen. Die Anerkennung des Gewissensentscheids hängt davon ab, ob der Gewissenskonflikt und seine religiöse oder ethische Motivierung vom Gesuchsteller überzeugend dargelegt werden kann, d. h. ob dieser für seine Haltung Glauben findet. Für diesen Nachweis sollen strenge Maßstäbe gelten.
(Dr. Wörner [CDU/CSU]: Hört! Hört»
Meine Damen und Herren, es lohnt sich schon, auch bei einer solchen Frage einmal über den Zaun zu schauen und zu beobachten, wie eine der ältesten Demokratien in dieser Frage die Pflicht vor das Recht stellt.
({15})
Auch die Schweiz hatte ein mündliches Verfahren vorgesehen, und zwar vor einem Ausschuß, der aus fünf Mitgliedern bestehen sollte, unter denen sich mindestens ein Arzt, ein Jurist und - man höre und staune - ein erfahrener Truppenkommandant befinden sollten. In der schon zitierten Botschaft heißt es in den einleitenden Formulierungen:
Entschieden abgelehnt wurde vom Rat die freie Wahl zwischen der Dienstleistung in der Armee und dem Ersatzdienst. Eine solche würde nicht nur zu einer Schwächung der Landesverteidigung führen, die in der heutigen Zeit nicht verantwortet werden könnte.
Einig waren sich schließlich alle Sprecher darin, daß der zu schaffende zivile Ersatzdienst kein Ausweg für Bequeme und Drückeberger sein dürfe. Diese Forderung könne mit einer Dienstdauer im Ersatzdienst erfüllt werden, die ohne weiteres länger sein dürfe als der Militärdienst.
Angesichts dieser Botschaft an die schweizerische Nation bei deren großartiger demokratischer Tradition brauchen sich CDU und CSU der Substanz ihres Gesetzentwurfs keineswegs zu schämen.
({16})
Wir bieten mit unserem Gesetzentwurf eine auch für die Betroffenen faire Lösung an, welche die Fähigkeit zur Verteidigung ebenso berücksichtigt wie den Schutz der Gewissensentscheidung. Auch in Anbetracht des hervorragenden sozialen Engagements vieler Zivildienstleistender - nicht aller übrigens - auf oft schwierigen Dienstplätzen - es gibt, wie wir wissen, auch andere - sollte bei allen Versuchen, die Belastungen des Wehrdienstes und des Ersatzdienstes zu vergleichen oder gar anzugleichen, eines nicht übersehen werden: Der härtere Dienst, der härteste Dienst, das höchste Opfer wird vom Wehrpflichtigen verlangt, nämlich der Einsatz des eigenen Lebens.
({17})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ereignisse des letzten halben Jahres im Ausland, im Bündnis, auch bei uns im Inland haben gezeigt, daß die Bundesrepublik Deutschland auf die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und der Bundeswehr
Berger ({18})
im Bündnis angewiesen bleibt. Wir sind darauf angewiesen, daß auch in Zukunft - und das wird schwieriger werden - 230 000 Wehrpflichtige bereit sind, ihren Grundwehrdienst für das Vaterland zu leisten und in anschließenden Reserveübungen ihr Können zu vertiefen und zu erhalten.
({19})
Das neue Konzept des Heeres, die Heeresstruktur 4, ist, wie wir alle wissen, in viel größerem Umfange als bisher auf die Mobilmachungsfähigkeit auch von Reservisten und damit auf deren In-Übung-Halten angewiesen. Nicht weniger Wehrübungen wird es in Zukunft geben, sondern, auch nach dem Willen der Bundesregierung, mehr Wehrübungen.
Der Respekt vor der Verfassung und vor der Gewissensentscheidung derer, die sich auf Grund ihres persönlichen, ethisch oder moralisch begründeten Gewissenszwangs nicht in der Lage sehen, Kriegsdienst mit der Waffe zu leisten und deswegen im Frieden zum Wehrdienst bereit zu sein, gebietet es, daß der Gesetzgeber eine praktikable Lösung findet, die unter Beachtung des Verfassungsgebotes der Sicherheit unseres Staates und der Erhaltung des Friedens die Gewissensentscheidung des einzelnen schützt und gleichzeitig einen Mißbrauch dieses vornehmen Grundrechts verhindert. Ich hätte erwartet, daß, nachdem das Verfassungsgericht gesprochen hatte und seine Gründe allen zugänglich waren, die Regierung in dieser wichtigen Frage eigene Vorstellungen entwickelt hätte.
({20})
Hat die Bundesregierung tatsächlich keine Aufgabe darin gesehen, im Interesse der Landesverteidigung einerseits und im Interesse der Wahrung der Gewissensfreiheit unserer jungen Bürger andererseits eine Lösung zu suchen und vorzuschlagen? Die Begründung, die dafür zu hören war, daß sich die Regierung in Zurückhaltung übte, weil nämlich die Novelle aus dem Jahre 1977 ein Initiativgesetz gewesen sei, ist mehr als fadenscheinig. Es galt, eine wichtige Aufgabe zu lösen, doch die Regierung hat erst einmal abgewartet, zum einen vermutlich, um zu sehen, wohin der Hase läuft,
({21})
aber andererseits wohl auch, um der Schwierigkeit zu entgehen, mit den eigenen Linken ins reine kommen zu müssen.
({22})
Dafür haben wir heute im Entree dieser Debatte wiederum ein Beispiel erlebt. Dies aber bedeutet, daß die Regierung, statt zu führen, das Feld den organisierten Kriegsdienstgegnern und deren politischem Umfeld überließ, während sie gleichzeitig das Erfordernis und die Bedeutung des Wehrdienstes in der Öffentlichkeit nicht mehr genügend darstellte. So nur konnte es dazu kommen, daß ganze Schulklassen den Wehrdienst verweigerten. Es ist auch jetzt nicht verwunderlich, daß trotz Afghanistan und trotz Bremen oder vielleicht sogar gerade wegen Afghanistan und auch infolge des Krisengeredes des Bundeskanzlers die Zahlen im letzten Vierteljahr wieder dramatisch gestiegen sind.
Der Regierung scheint es am politischen Willen zur Lösung dieses Problems gefehlt zu haben, was Wunder auch, wenn z. B. der derzeitige Bundesverteidigungsminister kurz nach der Veröffentlichung des Karlsruher Urteils nichts anderes zu äußern hatte, als daß für ihn Gewissen nicht prüfbar sei.
({23})
Das war sein einziger Beitrag zu dieser Debatte. Das war letztlich nicht zum Nutzen des Ganzen. Das war auch nicht dadurch zu korrigieren, daß schließlich im interfraktionellen Arbeitskreis die Beamten seines Hauses sehr fruchtbar mitgearbeitet haben.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen:
Erstens. Die Postkartennovelle aus dem Jahre 1977, ein Herzstück sozialliberaler Politik dieser Legislaturperiode, ist gescheitert.
({24})
Zweitens. Die Regierung hatte nicht den politischen Willen, in dieser schwierigen Frage eine wirkliche Lösung zu finden. Sie hat auf eine Regierungsvorlage verzichtet.
Drittens. Die Bemühungen der Fraktionen, in intensiven interfraktionellen Verhandlungen eine gemeinsam zu tragende Lösung zu finden, sind bisher an wenigen miteinander unvereinbaren Vorstellungen gescheitert. Für uns ist das vorrangige schriftliche Verfahren als ein unpersönliches Verfahren bei einer nur persönlich erfahrbaren Glaubwürdigkeitsprüfung nicht akzeptabel.
({25})
Dies ist der entscheidende Punkt. Alles andere ist diskutabel und ist es auch - einschließlich der Frage der Dauer des Zivildienstes - während der Verhandlungen immer gewesen. Sie wissen - und auch der Herr Kollege Biermann, der hier eben Kritik geübt hat, weiß dies -, daß wir in diesen Fragen immer zum Kompromiß bereit gewesen sind.
({26})
Viertens. Gerade die Entwicklung in den letzten Monaten zeigt uns erneut, wie wichtig es ist, einen Mißbrauch des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissengründen auszuschließen, um die Funktionsfähigkeit unserer Landesverteidigung erhalten zu können.
Fünftens. Die Union achtet jeden, der dieses Grundrecht begründet für sich in Anspruch nimmt, aber unsere jungen Bürger müssen wissen, daß wir es nur so lange schützen können, wie junge Menschen auch zum Friedensdienst mit der Waffe bereit sind.
({27})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang abschließend - weil auch die katholischen Quellen hier vorhin zitiert worden sind - eine Textstelle des Konzils zitieren, die für meine persönliche GeBerger ({28})
wissensentscheidung als Soldat immer von besonderer Bedeutung gewesen ist. Ich zitiere:
Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({29})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Berger, am Schluß Ihrer wirklich sachlich vorgelesenen verteidigungspolitischen Rede haben Sie mit einem Zitat geendet. Gerade weil Sie die Notwendigkeit der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr so sehr in den Vordergrund gestellt haben - das war ja der rote Faden -, möchte ich mit einer Feststellung beginnen:
„Art. 4 Abs. 3 hat den verfassungsrechtlichen Primat über die allgemeine Wehrpflicht. Art. 4 Abs. 3 ist daher als Verfassungsnorm der allgemeinen Wehrpflicht vorgegeben und kann infolgedessen als Grundrecht einem einfachen Gesetz gegenüber kein Ausnahmerecht sein. Die verfassungsrechtliche Frage muß daher immer lauten: Verstößt das Wehrpflichtgesetz gegen Art. 4 Abs. 3?, nicht dagegen umgekehrt: Ist Art. 4 Abs. 3 mit der allgemeinen Wehrpflicht vereinbar? Die Entscheidung muß zugunsten der Gewissensfreiheit fallen, weil der Zwang zum Kriegsdienst gegen das Gewissen mit Sicherheit die Menschenwürde verletzt, während mit dem Verzicht auf Verteidigung anderer Güter ein entsprechender Verletzungsvorgang zunächst einmal nicht notwendig verbunden ist."
An dieser Stelle möchte ich die Herren des Stenographischen Dienstes bitten, das, was ich eben gesagt habe, in Anführungsstriche zu setzen, denn dies sind nicht meine Gedanken, dies sind auch nicht die Gedanken des Vorsitzenden, der Jungsozialisten oder derjenigen der Jungdemokraten und auch nicht die des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer, sondern dies ist eine Feststellung, die Dr. Heinrich Geißler in seiner Dissertation getroffen hat. Ich wollte hier nur einmal deutlich machen, wie man Grundrechte bewerten kann. Für meine Fraktion oder für mich persönlich möchte ich gar nicht so weit gehen.
({0})
- Herr Dr. Wörner, ich weiß, ich habe Sie schon einmal empört. Ich habe das Zitat schon einmal gebracht, und das ist im Protokoll nachzulesen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. An einer anderen Stelle können wir uns darüber gerne unterhalten.
({0})
Jetzt also keine Zwischenfrage!
Ich weiß, Sie werden sagen: Das war eine Jugendsünde. Aber Dr. Geißler heißt noch Dr. Geißler und ist sogar zusätzlich Ihr Generalsekretär geworden. Möglicherweise gibt er einmal den „Doktor" ab, ich weiß es nicht; vielleicht schämt er sich. Distanziert hat er sich davon jedenfalls nicht. Ich persönlich halte dies für einen sehr klugen Gedanken, aber für so weitgehend, daß es möglicherweise sogar den Verfassungsschutz interessieren könnte, wenn jemand solche Gedanken äußerte und dann auch noch die Absicht hätte, in den öffentlichen Dienst zu gehen.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Herr Dr. Lenz, ich möchte zur Sache kommen; meine Redezeit ist sehr beschränkt. - Nein, nein, bitte, Sie dürfen fragen.
Bitte, Herr Kollege, fahren Sie in Ihrer Rede fort!
(Dr. Lenz '[Bergstraße] [CDU/CSU]: Herr
Kollege, sind Sie dann bereit, zur Kenntnis
zu nehmen .
- Sie haben das Wort, Herr Kollege Hölscher.
({0})
- Verzeihen Sie, Sie haben nicht das Wort zu einer Zwischenfrage, soweit ich das verstanden habe!
({1})
- Herr Kollege, fahren Sie in Ihrer Rede fort! Hölscher ({2}): Ich gestehe doch dem Kollegen Dr. Geißler das Recht auf Irrtum zu.
({3})
- Ich gestehe Ihrer ganzen Fraktion das Recht auf Irrtum zu.
({4})
- In dieser Frage haben Sie sich immer geirrt. Hier haben Sie ein gespanntes Verhältnis zur Verfassung.
({5}) - Das zu sagen, Ist Ihr gutes Recht.
Meine Damen und Herren, Ziel meiner Fraktion bleibt jedenfalls die Abschaffung der Prüfungsverfahren. Das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sa18664
gen. Das Gewissen ist für uns nicht überprüfbar. Wir sind zwar der einzige Staat der Welt, der das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in seiner Verfassung verankert hat; aber wir sind leider auch der einzige Staat der Welt, der die Wahrnehmung eines Grundrechts vom erfolgreichen Bestehen einer staatlichen Prüfung abhängig macht. Dies ist ja wohl in sich widersprüchlich. Ich möchte einmal Ihre Bewertung hören, wenn man. die Wahrnehmung des Rechts auf freie Religionsausübung vom erfolgreichen Bestehen einer Prüfung abhängig machte.
({6})
Wir finden uns in dieser Position nicht allein. Nein, wir haben die besten Zeugen, die Sie sonst gerne anrufen. Es gab bei der Sachverständigenanhörung keinen einzigen Sachverständigen, der etwa die Beibehaltung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens, einer Gewissensprüfung für richtig gehalten hätte. Ich möchte nur einen Sachverständigen zitieren, nämlich den Vertreter der katholischen Kirche, Herrn Professor Dr. Böckle, der in drei Punkten festgestellt hat, was die Position der katholischen Kirche ist, nämlich erstens:
Gewissen ist nicht prüfbar. Eine Gewissensentscheidung ist eine höchstpersönliche innere Entscheidung, die sich jeder objektiven Überprüfung durch staatliche Verfahren entzieht.
Zweitens:
Ein Staat, der über das Gewissen seiner Bürger urteilt,
- so Professor Böckle für die katholische Kirche maßt sich göttliche Befugnisse an und hebt faktisch das Grundrecht der Gewissensfreiheit wieder auf.
({7}) Drittens - ich zitiere weiter -:
Statt einer Prüfung sollen jungen Menschen Hilfen angeboten werden, ihre persönliche Einstellung in einer Kriegsdienstsituation zu erkennen, um sie so zu einer bewußten, selbstverantwortlichen Entscheidung zu befähigen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Ich habe dem, was der Vertreter der katholischen Kirche in der Sache erklärt hat, nichts hinzuzufügen.
Herr Kollege, machen Sie es mir doch nicht so schwer! Ich kann nicht hören, ob Sie ja oder nein sagen, wenn Sie es nicht deutlich sagen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte; nur wollte ich den Satz zu Ende sprechen.
Das kann ich auch nicht wissen, wann er zu Ende ist.
Bitte, Herr Kollege Berger!
Herr Kollege Hölscher, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Herr Professor Böckle, den Sie soeben zitiert haben, in derselben Anhörung gesagt hat:
Worüber man sich aber in begründeter Weise selbst Rechenschaft gibt, darüber ist man grundsätzlich auch seinen Mitmenschen gegenüber rechenschaftsfähig. Besonders bei Inanspruchnahme einer Freistellung von einer allgemeinen Forderung ist man dazu nach dem Prinzip der sittlichen Selbstbestimmung, nach dem Verallgemeinerungsprinzip ethisch auch verpflichtet.
({0}) Würden Sie dem auch zustimmen?
Aber selbstverständlich stimme ich dem zu, Herr Kollege Berger! Diese äußere Bereitschaft, für diese Gewissensentscheidung etwas zu tun, wird durch die Verpflichtung zum Zivildienst deutlich. Derjenige, der einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellt, entzieht sich ja nicht einer Dienstpflicht, sondern er leistet seine Dienstpflicht, nur eben auf andere Art.
({0})
Wer sich drücken will - das muß ich auch noch einmal sagen -, der sollte nicht den Weg der Kriegsdienstverweigerung beschreiten, denn er wird, wenn er tauglich ist, mit Sicherheit einberufen, während die Chance, daß er bei der Bundeswehr gar nicht benötigt wird, relativ groß ist.
Ich denke, wir müssen noch einen Blick in die Vergangenheit tun, um Legendenbildungen vorzubeugen. Was war eigentlich politisch machbar? Ein Verzicht auf die Prüfungsverfahren war auch nach dem Verfassungsgerichtsurteil noch machbar, denn das Verfassungsgericht hat gesagt: Der Gesetzgeber kann auf ein förmliches Prüfungsverfahren dann verzichten, wenn er den Zivildienst als Test für die Gewissensentscheidung ausgestaltet.
Die Koalitionsfraktionen - dies möchte ich ganz bewußt an die Adresse einiger SPD-Kollegen sagen - sind in die interfraktionellen Verhandlungen mit der Forderung an die Opposition gegangen, unter Verzicht auf ein Prüfungsverfahren durch eine nichtdiskriminierende Ausgestaltung des Zivildienstes eine Lösung zu suchen. Die Vertreter der Opposition haben uns bereits in der ersten Sitzung erklärt - dies will ich gar nicht abwertend verstanden wissen -, daß die Beibehaltung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens eine unabdingbare Forderung der Opposition sei, die nicht disponibel sei. Wir haben uns, wie ich denke, redlich und kollegial darauf geeinigt, daß dann eben der Verhandlungsrahmen von der Frage bestimmt wird: Wieviel Prüfung brauchen wir? Wieviel Ausgestaltung ist nötig? Das war der Rahmen, der vorgegeben war. Man sollte jedoch nicht so tun, wie das hier und da geschieht, als wenn das Verfassungsgericht uns verboten hätte, auf die Prüfungsverfahren zu verzichten. Diese Vorschrift ist aus Karlsruhe nicht gekommen.
Die interfraktionelle Arbeitsgruppe - ich will mich bei dieser Gelegenheit bei Herrn Dr. Kraske, Frau Tübler, Frau Krone-Appuhn und auch bei Herrn Dr. Jaeger von der CSU kollegial bedanken - hat sich in monatelangen Verhandlungen redlich bemüht, zu einem Kompromiß zu gelangen, der im Grunde genommen alle Interessen berücksichtigt: die politischen Interessen und die Fragen der Machbarkeit, auch rechtlicher Art.
Ich finde, es ist kein Zufall - Herr Kollege Berger, das ist nicht als persönliche Abwertung zu verstehen -, daß nicht Frau Tübler, obwohl sie hier ist, daß nicht Herr Dr. Kraske, obwohl er hier ist,
({1})
daß nicht Frau Krone-Appuhn als Redner hier die Opposition vertreten. Ich habe volles Verständnis dafür, daß sie dies möglicherweise auch nicht wollten, denn was mit ihnen geschehen ist, ist für keinen Parlamentarier erfreulich. Das wäre für mich, wenn wir so etwas in meiner eigenen Fraktion passieren würde, auch nicht erfreulich. Wir hatten uns ja in allen Punkten geeinigt; die Koalitionsfraktionen haben das zähneknirschend übernommen. Die CSU hat es Ihnen verweigert, und die CDU durfte dementsprechend auch nicht zustimmen. Wir wissen es -- ich nenne hier keine Namen -, und auch Sie wissen, daß es so ist.
({2})
Sie wissen, daß es so ist; dies haben Sie auch optisch dadurch dargestellt, daß in der ersten Lesung Herr Althammer, der sich mit der Sache noch nie befaßt hatte, hier nach oben geschickt wurde, um, wie wir jetzt in der Erfüllung von Sonthofen gemerkt haben, noch einmal deutlich zu machen, wer für die Bundeswehr ist, wählt CDU/CSU und wer für die Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst ist
({3})
- so hat ja Franz Josef Strauß die Auseinandersetzung zum 5. Oktober in dem Bereich begonnen -, der wählt SPD/FDP.
({4})
Ich denke - die Kollegen, mit denen wir in elf Sitzungen zusammengesessen haben, werden es ja bestätigen -, wir haben im Rahmen des Möglichen gute Arbeit geleistet. Wir haben die Entscheidung nach Aktenlage ermöglicht. Ihre Kollegen haben doch zugestimmt; ich will Sie doch gar nicht denunzieren. Sie wissen doch, daß Sie der Entscheidungsmöglichkeit nach Aktenlage zugestimmt haben. Wir haben die Herausnahme der Anerkennungsverfahren aus der Zuständigkeit des Bundesverteidigungsministeriums in der Arbeitsgruppe einvernehmlich beschlossen. Sie sollten im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung durchgeführt werden. Da war nicht mehr der Bundesverteidigungsminister zuständig, sondern der Arbeitsminister bzw. die Länderverwaltungen. So wundert mich doch sehr Ihr Änderungsantrag, den Sie heute eingebracht haben und mit
dem Sie diesen Konsens noch zusätzlich verlassen, indem Sie sagen: Der Verteidigungsminister soll zuständig bleiben. Wir haben uns längst geeinigt, und zwar nicht formell auf die Bundesverwaltung - es hat sich erst nach einer Umfrage in den Ländern ergeben, daß dies nicht möglich war -, sondern wir waren uns einig, daß dies aus der Zuständigkeit des Bundesverteidigungsministers herausgenommen werden soll.
Wir haben gemeinsam mit Ihrer Hilfe die aufschiebende Wirkung gesetzlich geregelt, daß also niemand zur Bundeswehr einberufen werden kann, solange sein Verfahren noch läuft. Wir haben auch gemeinsam für eine bessere Qualifikation der Beisitzer, die die Fähigkeiten von Jugendschöffen haben sollen, gesorgt.
Dies, was wir hier gemeinsam ausgehandelt haben, ist von Ihrer Fraktion nicht gebilligt worden. Ich kann dies nur bedauern. Ich weiß gar nicht, wie Sie eigentlich noch die 18monatige Dauer des Zivildienstes mit der zeitlichen Belastung wehrdienstleistender Soldaten begründen können. Ich gebe zu: Der Verteidigungsminister hat sich hier und da gesperrt, auf klare Fragen klare Antworten zu geben, aber wir haben es vor etwa zwei Wochen doch schriftlich bestätigt bekommen. Ich zitiere: „Rein rechnerisch ergibt sich für alle Reservisten ein Mittel von sieben Wehrübungstagen, für Mannschaften der Reserve dreieinhalb Wehrübungstage." Das wären nur ein paar Tage, nur ein paar Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge mehr als 15 Monate, und Sie sagen: Wegen dieser dreieinhalb Tage oder sieben Tage muß der Zivildienst aber drei Monate länger seih.
Wissen Sie, was Sie tun? Sie bestrafen Menschen, die ein Grundrecht wahrnehmen wollen, indem Sie sie sinnbildlich nicht nur vor den Kadi schleppen, sondern ihnen auch noch eine längere Zivildienstpflicht auferlegen.
({5})
Glauben Sie ja nicht, daß so etwas nur von unseren Wählern registriert wird; es wird auch von Ihren Wählern registriert. Ich kenne eine ganze Reihe von Kriegsdienstverweigern persönlich, die nicht SPD wählen, die nicht FDP wählen, sondern, weil sie besonders religiös motiviert sind, CDU wählen und die ihre eigene Partei auch nicht mehr verstehen.
Das Argument jedenfalls, als Ausgleich für die zeitlichen Belastungen bei der Bundeswehr müßte der Zivildienst um drei Monate verlängert werden, ist doch wohl in der Luft verpufft.
({6})
Nun zur Entscheidung nach Aktenlage! Auch hier hat es keine Einigung gegeben. Herr Berger, Sie sagen, da würden jetzt vorfabrizierte Begründungen geliefert, da würde man etwas abschreiben, und das hätte im Grunde genommen dann nur noch so eine Art Postkartencharakter. Dazu möchte ich einen Ihrer Kollegen zitieren, der in der interfraktionellen Arbeitsgruppe ein Plädoyer für diese Möglichkeit
der Entscheidung nach Aktenlage mit der Begründung geliefert hat, er möchte denen, die sich nicht so gut und in einer möglichen Anhörung vielleicht noch weniger ausdrücken können, eine Chance geben. Herr Dr. Kraske - entschuldigen Sie, wenn ich ausnahmsweise einmal einen Namen nenne - hat gesagt - da bin ich mit ihm völlig einer Meinung -, wenn er Beisitzer wäre, dann würde er dem Hauptschulabgänger, der sich nicht so auszudrücken vermag, bei dem man aber den Eindruck hat, er habe sich eigene Gedanken gemacht, nach Aktenlage eher anerkennen, als den Abiturienten, der in gefälliger Form seine vom Inhalt her bekannte Darstellung seiner Motivation wählt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kraske ?
Bitte schön!
Herr Kollege Hölscher, wenn Sie - was Ihr gutes Recht und ein interessanter Beitrag ist - aus den Arbeiten unserer Arbeitsgruppe berichten, müssen Sie dann dem Hause nicht auch sagen, daß wir uns in der interfraktionellen Arbeitsgruppe immer einig waren, daß ein schriftliches Verfahren ausschließlich für die Fälle in Frage käme, bei denen es eben nicht nur um eine Begründung, um Darstellung der Motive, sondern um zusätzliche Beweise ginge, und daß das nach geschlossener Meinung der Arbeitsgruppe immer der Ausnahme- und nicht der Regelfall sein sollte?
Ja gut, was man sich unter Beweis vorstellt: die Tatsache etwa, daß jemand in der Schule - oder wo auch immer - oft Aktivitäten gezeigt hat, indem er sich z. B. gesellschaftlich engagiert hat. Die Beweise können so oder so sein. Ich gestehe Ihnen zu, daß die schriftliche Begründung - allein als Blatt Papier - in vielen Fällen möglicherweise bei der Entscheidung nach Aktenlage noch nicht ausreicht. Herr Dr. Kraske, wir waren uns doch einig, daß jeder Kriegsdienstverweigerer die Chance haben muß, auch ohne dem psychologischen Druck einer mündlichen Anhörung ausgesetzt zu sein, sein Recht nach der von ihm schriftlich eingereichten Begründung zu erfahren.
Ich möchte fortfahren und auf einige Verbesserungen hinweisen, die wir in den Ausschußberatungen erreicht haben. Dies soll gar nicht verschwiegen werden. Die Anhörung - hier hat sich der Sinn der Anhörung bestätigt - hat zu Korrekturen geführt.
Wir haben die Wiederherstellung des Vorrangs im sozialen Bereich beschlossen. Wir haben Marge-stellt, daß die kirchlichen Beistände nach wie vor ihre Rechte haben. Wir haben sogar die zweite Instanz der Prüfungskammer wieder eingeführt. Wir wollten hier keine Rechtsverkürzung, sondern eine Beschleunigung der Verfahren; wir haben es dennoch getan, weil dies bei den Betroffenen auf Kritik stieß.
Wir haben den Begriff der Unausweichlichkeit bei der Prüfung der Gewissensentscheidung herausgenommen.
Dies ist ein besonderes bitteres Beispiel dafür, daß es Ihnen in der letzten Phase weiß Gott nicht mehr um die Sache, sondern um Konfrontation ging. Es gibt einen Brief des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, Bischof Lohse, an die Vorsitzenden aller drei Bundestagsfraktionen. In diesem Brief heißt es u. a.:
Der wichtigste Punkt ist für uns jedoch die Frage, was Aufgabe der geplanten Prüfungsverfahren sein kann. So wenig wie das Gewissen selbst, ist die Unausweichlichkeit einer Gewissensentscheidung von Menschen überprüfbar. Unausweichlichkeit ist ein wesentliches Merkmal jeder Gewissensentscheidung. Wer die Unausweichlichkeit prüfen will, will damit Gewissensentscheidung selber prüfen.
Und der Ratsvorsitzende fährt fort:
Ich möchte mich in meinem heutigen Schreiben auf diesen einen Punkt beschränken, zumal Ihnen unsere weiteren Überlegungen schriftlich und mündlich des öfteren mitgeteilt wurden. Ich betone: die Evangelische Kirche ist bereit, sich damit abzufinden, wenn eine Reihe ihrer richtigen Petita von Ihnen nicht aufgenommen würden. In der Frage der Gewissensentscheidung bzw. der Überprüfung der Unausweichlichkeit der Gewissensentscheidung können wir keinen Kompromiß eingehen.
Obwohl Ihnen dieser fast dramatisch abgefaßte Appell bekannt war, haben Sie in den letzten entscheidenden Sitzungen des Arbeits- und Sozialausschusses sogar diesen Antrag abgelehnt, den wir - wenn Sie so wollen -, weil er uns überzeugt hat, für die EKD eingebracht haben. Ich finde, dies macht deutlich, daß Sie einfach nicht mehr wollten, und zwar mehr aus wahltaktischen als aus Gründen, die in der Sache liegen.
Nun werden wir heute über unseren Gesetzentwurf abstimmen, der im Grunde genommen der interfraktionelle Entwurf ist; denn ein Entwurf, der unsere Koalitionshandschrift getragen hätte, hätte natürlich anders ausgesehen. Er hätte kein Prüfungsverfahren mehr zum Inhalt gehabt.
Hier werden einige scheinheilige Versuche unternommen, der Koalition den Schwarzen Peter zuzuschieben. Ich habe hier einen Brief der Jungen Union Deutschlands an den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion mit einer Kopie an meinen Fraktionsvorsitzenden. In diesem Brief wird mit „Bestürzung davon Kenntnis genommen, daß der interfraktionelle Versuch, eine Neuregelung der Wehrdienst- und der Ersatzdienstzeit zu schaffen, abermals gescheitert ist". Man spricht hier „nicht nur für die Junge Union, sondern für die ganze junge Generation". Man tut so - das ist für mich der Gipfel der Scheinheiligkeit -, als ob die Koalition schuld sei, wenn es nicht zu einem Inkrafttreten des Gesetzes komme. Kein Wort über die Tatsache, daß die eigene Fraktion 18 Monate Zivildienst will, und kein Wort über die Tatsache, daß die Oppositionsfraktion die Entscheidung nach Aktenlage nur als Ausnahme - sprich: für Jehovas Zeugen - billigen will. Ich denke, wir sollten dieses Spielchen durchkreuzen.
Ich schaue mich im Saal um und frage: Wo sind die Vertreter der Jungen Union?
({0})
Wo ist Herr Langguth? Wo ist Herr Wissmann? Wo sind sie? Wie werden sie abstimmen? Wenn schon die Junge Union versucht, anstatt Discosound Politik zu machen, dann sollte sie es redlich tun und das Parlament und die Öffentlichkeit nicht mit solchen Türken übers Ohr hauen. Ich denke, die Mitglieder der Jungen Union werden sich dafür interessieren, wie die Präsenz ihrer Mandatsträger in dieser Debatte ist.
Lassen Sie mich - sicher nicht mit Schärfe, aber doch mit einem Wort des Bedauerns - noch etwas zu dem angekündigten Abstimmungsverhalten von Kollegen aus der SPD sagen. Diesem Punkt wird sich vor allem Herr Kollege Dr. Zumpfort in der zweiten Runde für meine Fraktion widmen.
Ich denke, es ist nicht gut, wenn der Opposition aus den Reihen der SPD Munition für die Verdrehung der Tatsachen geliefert wird. Wir, die FDP, möchten, daß jeder CDU/CSU-Abgeordnete die Chance erhält, Farbe zu bekennen, wie er denn nun endgültig zu dem mit seinen Vertretern ausgehandelten Minimalkompromiß steht.
Wir möchten aber auch, daß bei einem Scheitern gerade im Interesse der Glaubwürdigkeit unserer Parteien die Schuldigen feststehen. Wir möchten des weiteren durch die Verabschiedung in der zweiten und dritten Lesung vor allem dem Bundesrat die Chance geben - vielleicht gibt es noch eine reale Chance -, mit uns gemeinsam die immerhin vorhandenen Verbesserungen in Kraft zu setzen.
Das Vermittlungsverfahren wird stattfinden müssen. Ich darf für meine Fraktion - damit komme ich zum Schluß - feststellen, daß wir uns nicht vorstellen können, daß in folgenden Punkten ein Kompromiß möglich ist; denn der Kompromiß - das Ergebnis der monatelangen Beratungen - liegt ja auf dem Tisch. Die Entscheidung nach Aktenlage muß bleiben. Die Zivildienstdauer von 16 Monaten muß bleiben. Die Herausnahme der Anerkennungsverfahren aus dem Zuständigkeitsbereich des Bundesverteidigungsministeriums muß erhalten bleiben. Der Vorrang der sozialen Dienste muß sichergestellt sein. Auch die aufschiebende Wirkung - keine Einberufung zur Bundeswehr bei laufenden Verfahren - muß erhalten bleiben.
Unser politisches Ziel ist mittelfristig nach wie vor die Abschaffung der Prüfungsverfahren, weil wir es als Liberale nicht für vertretbar halten, daß sich der Staat das Recht nimmt, Vorgänge zu bewerten, die zu den internsten gehören, die im Menschen vorgehen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jungmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade von dem Kollegen Berger hier mehr einen verteidigungspolitischen Beitrag zur Frage der Kriegsdienstverweigerung
und des Zivildienstes gehört, weniger einen Beitrag zu den Nöten der jungen Menschen, die sich dem Anhörungsverfahren vor den Ausschüssen stellen müssen.
({0})
Herr Kollege Berger, Sie haben hier einige Behauptungen aufgestellt, die richtiggestellt werden müssen.
Zum ersten haben Sie behauptet: Der abenteuerlichen Postkarten-Novelle - so Ihre Aussage -, die 1977 verabschiedet wurde, folgte jetzt eine abenteuerliche Novelle, die das Abmelden von der Pflicht zum Grundwehrdienst-Leisten durch einen Einschreibbrief ermöglicht. Wir haben damals in dem Gesetzentwurf, der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, die Möglichkeit der Wiedereinführung eines Anerkennungsverfahrens für den Fall vorgesehen, daß die Deckung des personellen Bedarfs der Streitkräfte nicht mehr sichergestellt werden kann. Auch das muß hier einmal deutlich gemacht werden.
Wenn Sie, Herr Kollege Berger, sagen, es gebe keine Alternative zum Prüfungsverfahren, dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht richtig gelesen haben. Diese Alternative gibt es nur deshalb nicht, weil Sie sie nicht wollen und nicht wollen dürfen, weil die CSU Ihnen von der CDU das nicht erlaubt. Das ist der Punkt.
({1})
Wir haben - das hat der Kollege Hölscher schon deutlich gemacht -, als wir vor zweieinhalb Jahren die Verhandlungen begonnen haben, unsere Grundposition zu dieser Frage der Abschaffung der Gewissensprüfung und der Erschwerung des Zivildienstes deutlich gemacht. Bei Ihnen war in dieser Frage kein Spielraum. Wir sind Ihnen in fast allen Punkten entgegengekommen.
Wir haben ein Verfahren bis zu einem gewissen Punkt mitgemacht. Wir haben in unserem Gesetzentwurf die Dauerdes Zivildienstes auf 16 Monate festgelegt. Herr Kollege Berger, wenn Sie ehrlich gewesen wären, hätten Sie auch die Möglichkeit der Staffelung angedeutet, die in diesem Gesetzentwurf steht: Wenn die Dauer der Reserveübungen sich verlängert, dann wird die Dauer des Zivildienstes um die jeweilige Zeit der Verlängerung der Reserveübungen angehoben. Dies ist alles drin.
Eines hat mich sehr betroffen gemacht, Herr Kollege Berger: daß Sie hier die nicht beweisbare und den Beweis schuldig bleibende Behauptung aufgestellt haben, daß bei den Krawallen in Bremen anerkannte Kriegsdienstverweigerer Gewalt angewendet hätten. Den Beweis dafür sind Sie schuldig geblieben. Das müssen Sie hier beweisen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und ihr Koalitionspartner haben von ihrer Grundposition Kompromißbereitschaft bis fast zur Selbstaufgabe gezeigt. Aber Sie waren in der Frage der Dauer des Zivildienstes nicht einen Millimeter bewegbar.
({2})
Jungmami
Die Kolleginnen und Kollegen, die in der Gruppe mitgearbeitet haben - Herr Kollege Berger, Sie waren ja leider nicht dabei; ich weiß nicht, warum -, müssen ehrlich zugeben, daß wir in dieser Arbeitsgruppe uns am letzten Tag über die Dauer des Zivildienstes einig waren und nur Sie dann zusätzlich eine Sitzung verlangt haben, in der der Kollege Althammer erschienen ist und ganz klar deutlich gemacht hat, welchen Bewegungsspielraum die CSU der CDU in der Frage der Dauer des Zivildienstes ermöglicht
({3})
So und nicht anders war es.
Unsere Grundposition, die wir Sozialdemokraten haben, ist deutlich geworden. Sie sagen, wir müssen eine für die Betroffenen akzeptable Lösung finden. Wir haben versucht, diese für diese Betroffenen akzeptable Lösung zu finden. Nur, Sie verhindern sie mit Ihren Mangel an Kompromißbereitschaft und Kompromißfähigkeit.
({4})
- Das ist Ihr Problem, nicht meines.
Ich muß noch ein Wort zu den Fragen sagen, die vorhin von einigen Kollegen meiner Fraktion angesprochen worden sind. Die Kollegen meiner Fraktion, die bei diesem Gesetzentwurf Bedenken haben, haben die Menschen im Auge, deren Gewissen geprüft werden soll. Sie dagegen haben hier häufig von dem Gewissen derer, die prüfen müssen, gesprochen. Das ist sehr einseitig und wird dem Ernst der Lage nicht gerecht. Herr Kollege Berger, ich glaube, Sie sind - das hat sich bei dem Zitat gezeigt, das Sie mit ihren letzten Worten vorgetragen haben - gar nicht bereit, den Zivildienst als einen Dienst anzuerkennen, der gleichrangig neben dem Wehrdienst geleistet wird. Sie haben nämlich nur den Wehrdienst als Friedensdienst hingestellt und damit alle Zivildienstleistenden, die Sie in Ihrem letzten Zitat nicht erwähnt haben, diffamiert.
({5})
Ich glaube, daß der Gesetzentwurf, der hier von der SPD/FDP-Koalition zur zweiten und dritten Lesung vorgelegt worden ist, sicher nicht das ist, was wir wollten, sondern ein Minimum dessen, was man für die Zivildienstleistenden oder für die Antragsteller an Verbesserungen erreichen kann. Trotzdem werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen und darauf hoffen, daß bei Ihnen irgendwo doch noch die Einsicht siegt und im Bundesrat ein Kompromiß in unserer Richtung möglich ist Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß der Weg zu einem Kompromiß, was die Dauer des Zivildienstes angeht, bei Ihnen noch offen ist, damit wir das - von Ihnen so beschriebene - leidige Verfahren endlich beenden können, damit die Betroffenen - nicht nur die Zivildienstleistenden, sondern auch die, die in den Ausschüssen arbeiten, die Vorsitzenden ({6})
endlich wissen, woran sie sind. Ich hoffe, daß Sie sich dem nicht verweigern werden. - Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Tübler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Hölscher, zuerst möchte ich auf Sie eingehen und Ihnen sagen: Ihre Freude kam zu früh und war zu groß. Sie glaubten, hier den Eindruck erwecken zu sollen, als seien wir alten Sachkenner dieser Materie von unserer Fraktion abgehalftert worden. Dem ist nicht so, lieber Herr Kollege Hölscher. Nur, wir sind der Meinung, daß auch die jungen Kollegen ihre Meinung hierzu zu sagen haben. Sie wissen ganz genau, daß es heute das letzte Mal ist, daß ich hier nach 11 Jahren auf diesem Podium stehe. Ich glaube, ich kann auch für mich in Anspruch nehmen, mir in den vergangenen Jahren nicht nur Kenntnisse, sondern auch Sachkenntnisse auf diesem Sektor erworben zu haben.
({0})
Im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann ich nur sagen, wie sich die Bilder gleichen, und zwar von 1972 über 1973 und 1974 bis zum Jahre 1980: Immer kurz vor Beendigung einer Wahlperiode haben wir dieses Thema auf dem Tisch.
Aber nun zu den Ausführungen meiner Herren Vorredner: Herr Hölscher, ich verstehe Sie eigentlich nicht. Sie haben hier doch selbst zugegeben, daß wir in der interfraktionellen Arbeitsgruppe eine weitgehende Einigung erzielt haben. Ich glaube, wir waren alle sehr glücklich darüber, ob es nun Herr Dr. Kraske, Herr Dr. Jaeger, Herr Biermann oder Herr Jungmann war. Ich habe auch begrüßt, daß von der SDP-Fraktion das erste Mal ein „Verteidiger" dabei war. Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, haben vorhin den Kollegen Berger angegriffen, daß er hier als Soldat spreche. Das zeigt doch nur, daß wir von der CDU/CSU-Fraktion die Sache nach wie vor aus der Sicht der Verteidigung sehen. Gewissensfreiheit kann nur in Anspruch genommen werden, wenn Gewissensfreiheit gewährleistet ist.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch folgendes sagen: Auch junge Menschen, die ein Grundrecht für sich in Anspruch nehmen, haben gegenüber dieser Gemeinschaft, in der wir leben, eine Verpflichtung: die Ernsthaftigkeit ihrer Gewissensentscheidung zu begründen.
({1})
Ich verstehe nicht, daß hier nach wie vor von der Gewissensprüfung gesprochen wird. Das BundesFrau Tübler
verfassungsgericht hat eindeutig klargestellt, daß es hier um Anerkennungsverfahren gehe und daß die Wehrpflicht die Regel sei, die Verweigerung des Kriegsdienstes aber die Ausnahme sein müsse.
Herr Hölscher, in diesem Zusammenhang muß ich mich noch einmal an Sie wenden: Die Juristen Ihrer eigenen Fraktion und die juristisch vorgebildeten Mitglieder Ihrer Partei haben sich schon sehr häufig über Ihre eigenartige Rechtsauffassung gewundert, die Sie hier als Nichtjurist - auch ich bin keine Juristin - immer von sich geben.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher? - Bitte, Herr Hölscher, Sie haben das Wort
Frau Kollegin Tübler, ich will Sie bei Ihrer letzten Rede - diesen Umstand bedaure ich übrigens - nicht irritieren. Aber sollten Sie nicht mitbekommen haben, daß die von Ihnen als eigenartig bezeichnete Rechtsauffassung nicht meine ist, sondern daß ich Herrn Dr. Geißler zitiert habe?
Herr Kollege Hölscher, jetzt stehen wir wieder vor dem Problem, daß wir bei Adam und Eva anfangen müssen. Soviel ich weiß, hat Heiner Geißler in den 50er Jahren seine Dissertation über Verfassungsrecht geschrieben. Herr Berger hat über die Wehrpflicht als Regel und über den Ersatzdienst als Ausnahme gesprochen. Das sind zwei Paar Schuhe, Herr Hölscher.
({0})
Ich muß noch eines zu Ihnen sagen, bevor ich zu Herrn Biermann komme. Ich habe das Gefühl, Sie haben das Verfassungsgerichtsurteil noch nicht mal richtig gelesen. Außerdem waren Sie während der Verhandlungen in Karlsruhe nicht anwesend; das habe ich ohnehin bedauert
Nun aber zu Ihnen, Herr Biermann. Ich bedaure außerordentlich, nachdem wir etliche Jahre im Bereich der EKD im Ausschuß für Kriegsdienstverweigerer und Friedensdienste zusammengearbeitet haben, daß Sie heute diesen Ton hier angeschlagen haben.
({1})
Sie sagen, die Opposition sei zum Kompromiß nicht fähig. Sie sagen, Prüfungsverfahren seien nicht zwingend nötig. Sie zweifeln sogar unsere Glaubwürdigkeit an. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis.
Die Redner beider Fraktionen reiten immer auf der Zeitdauer herum. Meine Damen und Herren, lesen Sie doch mal bitte in Ihrem eigenen Weißbuch von 1975/76 nach, in dem auf Seite 162 steht - ich gebe immer gern die Quellen bekannt, damit keine Mißverständnisse entstehen -, daß eine Dauer des Zivildienstes von 18 Monaten erforderlich und gerechtfertigt ist. Es heißt dort weiter: „Der Wehrdienst umfaßt die Verfügungsbereitschaft von 12 Monaten und für Wehrübungen neben den 15 Monaten der Wehrpflichtzeit."
Nun möchte ich versuchen, noch in einen anderen Punkt Klarheit hineinzubringen. Es wird immer von der Unmöglichkeit der mündlichen Verfahren gesprochen und von der Benachteiligung der jungen Menschen, die geistig nicht so wendig sind, wie dies eventuell bei Abiturienten der Fall ist Herr Biermann, ich glaube, Sie haben das Protokoll des Hearings nur so gelesen, daß die Ihnen genehmen Stellen für Sie zitierbar waren. Ich möchte aber den Praktiker Dr. Blaschek zitieren, der in aller Deutlichkeit sagt:
Was nämlich den Ausschüssen bisher vorgeworfen worden ist, daß einer, der sich gut auszudrücken weiß, gegenüber dem bevorzugt wird, der weniger gewandt ist und nur Volksschulabschluß hat, kann ich aus meiner Praxis in keinem einzigen Fall bestätigen. Ich würde eher sagen, daß das fast hilflose Gestammel eines wenig Gebildeten oft überzeugender wirkt als eine perfekte logische Begründung.
Dann sagt er weiter:
Bei einem rein schriftlichen Verfahren, in dem dieser persönliche Eindruck wegfällt, wird die Benachteiligung für einen weniger Gebildeten viel, viel größer sein.
Meine Damen und Herren von den Regierungskoalitionsfraktionen, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, das ist auch genau mein Eindruck als gewählter Beisitzer einer Prüfungskammer; das ist meine Erfahrung.
({2})
Nun meine ich aber, daß ich noch auf einiges eingehen muß, was bei dieser Beratung von ungeheurer Wichtigkeit ist. Wir erleben über die Jahre hinweg immer wieder in dem Moment, in dem in den Ausschüssen und im Bundestag das Thema Kriegsdienstverweigerung diskutiert wird, ein rapides Steigen der Kriegsdienstverweigerungszahlen. Das ist auch von Januar bis Mai dieses Jahres wieder der Fall gewesen. Wir hatten bis einschließlich Mai 29 223 Anträge; das ist im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 23,3 %. Was mich besonders besorgt macht, ist, daß die Soldatenfälle im Mai 1980, verglichen mit dem Mai 1979, dabei mit 189,9 % zu Buche schlagen.
({3})
- Bei den Offizieren der Bundeswehrhochschulen noch höher. - Ich glaube, diese Tatsache, meine Damen und Herren, sollten wir auch bei der zweiten und dritten Beratung nicht außer acht lassen.
Wir reden auch nicht erst seit der 6. Wahlperiode über dieses Thema, sondern bereits 1968 hat die Adorno-Kommission hier schon Stellung bezogen. Nur nannten wir es damals nicht „Kriegsdienstverweigerung", sondern wir nannten dieses Thema „Wehrgerechtigkeit".
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal auf diese unglückliche zweite und dritte Lesung am 17. März 1977 zurück, wo Sie mit Ihrer Mehrheit Ihre Vorstellungen, die nachher in Karlsruhe gescheitert sind, durchgepeitscht haben. Ich habe Ih18670 Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode Frau Tübler
nen damals gesagt - und ich möchte es noch einmal in diesem Raum sagen; ich zitiere, Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung -:
... Sie wissen doch selbst, daß es in Ihren eigenen Reihen genug Kollegen gibt, die unsere Befürchtungen teilen und der Ansicht sind, daß diese Gesetzentwürfe nur mit breiter demokratischer Mehrheit verabschiedet werden dürfen. Wie ist es aber zu erklären, daß Sie diesen Gesetzentwurf,
- und da beziehe ich mich auf den Gesetzentwurf der vorherigen Wahlperiode den wir abgelehnt haben, nun schon zum zweitenmal - mit rein formalen Änderungen - einbringen, ohne auf unsere Bedenken Rücksicht zu nehmen?
Dann sagte ich ganz deutlich, meine Damen und Herren:
Ich will es Ihnen sagen: Weil Sie, die Initiatoren dieses Gesetzentwurfs, immer ein Potential von linken Wählern haben, die unsere Demokratie von Grund auf ändern wollen, von Männern, die aus anderen als aus Gewissensgründen unseren Rechtsstaat, unsere freie Demokratie nicht verteidigen wollen.
({4})
Jetzt möchte ich ganz besonders die älteren Kollegen, mit denen ich in den letzten Tagen viele ernste Gespräche geführt habe, und alle verantwortungsbewußten Parlamentarier noch einmal aufrufen - das habe ich 1977 getan, und das mache ich heute wieder -, ihr Gewissen zu prüfen, ob sie diesem Gesetzentwurf, der uns auch heute wieder vorliegt, überhaupt zustimmen können.
({5})
Meine Damen und Herren, ich hatte auch einen kleinen Hoffnungsschimmer, als die interfraktionellen Beratungen begannen. Nur, Herr Biermann, hier müssen wir von vornherein der Legendenbildung, die wir in der letzten Zeit gewohnt sind, entgegentreten. Herr Dr. Kraske hat schon durch eine Zwischenfrage klargemacht, daß es bei uns in dieser Arbeitsgruppe nie einen Zweifel gegeben hat, daß das schriftliche Verfahren die Ausnahme bleiben muß und daß das mündliche Verfahren Vorrang hat und auch die Einstimmigkeit beim schriftlichen Verfahren selbstverständlich sein muß.
Deswegen haben wir auch den Antrag gestellt. Ich darf hinzufügen, daß die Anträge, die wir eingebracht haben, in meiner Rede mitbegründet werden.
Wir waren uns auch einig - und das gebe ich ganz offen zu, meine Damen und Herren -, daß wir den Versuch machen wollten, die Verfahren zu neutralisieren. Sie wissen, daß ich selbst in früheren Reden gesagt habe, es wäre ideal, wenn man die Prüfungsverfahren aus dem Bereich des Verteidigungsministeriums herausnehmen könnte. Nur habe ich für eines kein Verständnis - das möchte ich auch in aller Deutlichkeit sagen -: daß man diese Verfahren aus einem angeblich befangenen Ministerium
herausnimmt, um sie einem anderen, meiner Meinung nach in der Sache genauso befangenen Ministerium beizuordnen,
({6})
zumal in der Ausschußberatung noch nicht einmal das eingetreten ist, was wir alle gehofft haben, daß vielleicht eine Möglichkeit bestünde, bei Ihnen, Herr Minister Ehrenberg, diese Verfahren im Rahmen der Arbeitsverwaltung durchzuführen. Aber soviel ich weiß, haben Sie das abgelehnt
Sie haben unter Benutzung Ihrer Mehrheit diese Verfahren dem Bundesamt für Zivildienst beigeordnet. Nur, meine lieben Kollegen und Kolleginnen, die wir uns so manches Mal in Fragestunden und auch sonstwo über die mangelnde Funktionsfähigkeit dieses Amtes unterhalten haben - ich räume ein, es hat sich in der letzten Zeit etwas gebessert -, ausgerechnet diesem Amt soll alles, was mit Anerkennungsverfahren zu tun hat, auch noch aufgehalst werden.
({7})
Dieses Amt ist doch personell nicht einmal in der Lage, die bisherigen Aufträge zu erfüllen,
({8})
und jetzt sollen diese Dinge noch zusätzlich bewältigt werden. Woran haben Sie eigentlich gedacht?
({9})
Vor allen Dingen kommt noch eines hinzu - Herr Dr. Wörner, damit gehe ich auch auf Ihren Einwurf ein -: Sie können doch keinen Beamten aus der Wehrbereichsverwaltung zwingen, einer Versetzung zuzustimmen. Sie kommen in genau dieselbe Not, in der Sie sich vor einigen Jahren befunden haben: Der Stau der Antragsteller wächst an, weil Sie dieses Problem personell und organisatorisch überhaupt nicht verkraften können.
({10})
Ich muß Ihnen recht geben, Herr Dr. Wörner: Manchmal kommt mir auch der Verdacht, daß das beabsichtigt ist
({11})
Ich muß Ihnen ehrlich sagen, Herr Kollege: Dafür habe ich allerdings kein Verständnis.
Wenn vorhin gesagt worden ist - ich nehme das wörtlich wieder auf, was Herr Biermann ausgesprochen hat -, die Würde des Menschen sei unantastbar, dann gilt das nicht nur für eine Gruppe unserer Gesellschaft, sondern dann gilt das bitte, meine Damen und Herren Kollegen von allen Fraktionen, für alle Bürger dieser Gesellschaft
({12})
Ich kann Ihnen nur bescheinigen, daß Sie dieselben Fehler machen, die Sie auch im Jahr 1977 gemacht haben.
Herr Kollege Berger hat - deswegen ist er angegriffen worden - von dem verfeinerten Postkartenverfahren gesprochen. Ich möchte es sogar noch etwas krasser nennen: Es ist ein verschleiertes Postkartenverfahren. Es wird nämlich jetzt nur mit dem Etikett „per Einschreiben" versehen, und die Portokosten werden etwas teurer. Die jungen Leute müssen jetzt nicht mehr nur eine 50-Pfennig-Marke auf eine Postkarte kleben, sondern sie müssen das Briefporto und zusätzlich noch die Einschreibgebühren bezahlen. Das ist aber alles. Herr Jungmann, wenn Sie so zuversichtlich sind, daß das durch den Vermittlungsausschuß geht, so kann ich nur sagen: Ich habe die Hoffnung, daß dort einige Staatsrechtler sitzen, die diesen Punkt sehr genau prüfen werden. Ich habe darüber hinaus die Hoffnung, daß nicht nur die Vertreter der von uns regierten. Länder, sondern auch Ihre Vertreter erhebliche Bedenken äußern werden, zumal sie hinsichtlich der Frage der Neutralisierung - das bedauern wir, glaube ich, alle - keine Aufgaben übernehmen wollten. Darin waren sich ja alle Länder einig.
({13})
Ich betone noch einmal: Wir haben das dumme Gefühl - deswegen kann ich auch den Kollegen verstehen, dem ich die Ernsthaftigkeit seines Antrages in keiner Weise absprechen möchte -, daß hier wieder etwas durch die Maschinerie gejagt wird, was uns hinterher leid tut. Nur, Sie können von uns nicht erwarten, daß wir Ihrem Entwurf zustimmen, wo wir doch bis zur letzten Minute - der Kollege Dr. Jenninger hat das im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte noch einmal zum Ausdruck gebracht - kompromißbereit waren. Ich kann Ihnen zusagen, daß wir auch jetzt noch in der Frage der Zeitregelung kompromißbereit sind.
({14})
Sie haben vorhin richtig bemerkt, Herr Hölscher, daß ich damals mit der Mehrheitsentscheidung meiner Fraktion nicht glücklich war. Ich habe in der Zwischenzeit allerdings dafür gearbeitet, daß meine Fraktion Kompromißbereitschaft zeigt. Nur, Sie haben sie nicht genutzt, sondern Sie haben Ihre Meinung dickköpfig durchgesetzt.
({15})
Ich glaube, viele Kollegen, die in meinem Lebensalter oder etwas älter sind, aber vielleicht auch einige derer, die jünger sind als ich, werden mit mir das ungute Gefühl haben, daß hier etwas passiert, was wir alle mit Blick auf die Zukunft nicht verantworten können.
Meine große Bitte zum Schluß lautet, daß wir uns alle überlegen, bevor wir in der dritten Lesung zur namentlichen Abstimmung kommen, die ich hier im Namen meiner Fraktion beantrage, und noch einmal in unserem Herzen bewegen, was hier eigentlich geschieht Ich möchte abschließend noch einmal meinen Kollegen Dr. Kraske zitieren, denn er hat in der ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe das gesagt, was wir uns alle, aber auch alle hinter die Ohren schreiben sollten. Er sagte wörtlich:
Eines aber sollten wir bei dieser ersten Beratung bis zur Schlußabstimmung und darüber
hinaus im Auge behalten: daß es in allen Diskussionen draußen, in Jugendversammlungen, unter Kriegsdienstverweigerern, auf Kirchentagen in dieser Frage zu allerletzt um die unterschiedliche Auffassung von CDU/CSU, SPD, FDP, um unterschiedliche Auffassungen hier in diesem Hause geht. Da geht es viel eher um die Frage nach dem Staat, in dem wir alle miteinander leben. Da geht es viel eher um die Frage, ob wir bereit sind, mit Recht und Gesetz, mit der allgemeinen Wehrpflicht auch dort, wo wir dafür weder Zustimmung noch sehr viel Verständnis finden, ernst zu machen.
Meine Damen und Herren, dem habe ich überhaupt nichts hinzuzufügen. Ich meine, wir sollten über diese Worte noch einmal nachdenken.
({16})
Ich bin sehr froh, daß bei aller Uneinigkeit über die Verabschiedung der Gesetzentwürfe eines wenigstens klargestellt ist, und zwar auf Anregung eines Kollegen meiner Fraktion, allerdings bedingt durch den Antrag Ihrer Fraktion, Herr Wehner, und der FDP-Fraktion, nämlich die Gleichstellung der Zivildienstleistenden mit den Wehrpflichtigen im Alter von 28 bis 32 Jahren. Diesem Antrag werden wir zustimmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal an Ihre Vernunft appellieren. Ich darf hier aber gleichzeitig für meine Fraktion erklären, daß wir dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung nicht zustimmen können und daß wir für die dritte Lesung namentliche Abstimmung beantragen werden.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zumpfort
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist zu erwarten, daß einige SPD-Abgeordnete, zwar aus anderen Gründen, aber gemeinsam mit den Abgeordneten der CDU/CSU das vorliegende Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerer ablehnen werden. Für meine Fraktion möchte ich dazu folgende Feststellungen treffen.
Nach Auffassung meiner Fraktion wird das heute zu beschließende Gesetz in seiner derzeitigen Fassung der Forderung der FDP nicht gerecht, die Gewissensprüfung für die Kriegsdienstverweigerer abzuschaffen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht leider jede Neuregelung von der Zustimmung des Bundesrats abhängig.
({0})
Die CDU/CSU hat verhindert, daß der interfraktionelle Kompromiß einen Verzicht auf die Gewissensüberprüfung vorsieht.
Da die in der Sache engagierten Verbände überwiegend das Gesetz zwar für schlecht, aber doch für besser als die derzeit geltende Rechtslage halten und nach der Meinung meiner Fraktion das Gesetz
die einzige derzeit erreichbare Verbesserung für die Betroffenen darstellt, werden alle Abgeordneten meiner Fraktion trotz unserer Bedenken dem Kompromiß zustimmen; denn es entspricht nicht unserem Verständnis von Abgeordnetentätigkeit, sich demonstrativ durch ein Nein der Mitverantwortung für einen gemeinsam erzielten Kompromiß zu entziehen, in der Gewißheit, daß andere durch ihr Ja die in dem Gesetz enthaltenen Verbesserungen Realität werden lassen.
({1})
Wer diesem Kompromiß nicht zustimmt, der kann unter Umständen auch sein Scheitern erreichen. Er nimmt in Kauf, unter anderem folgende Verbesserungen zu verhindern: daß das Anerkennungsverfahren aus der Zuständigkeit des Bundesverteidigungsministeriums herausgenommen wird, daß statt der heute vorgeschriebenen mündlichen Überprüfung von Kriegsdienstverweigerern die Möglichkeit der Entscheidung nach Aktenlage eingeführt wird und daß die Einberufung zur Bundeswehr ausgesetzt wird, solange noch ein Anerkennungsverfahren läuft. Wir, die Liberalen, wollen diesen Fortschritt, und ich fordere meine Kolleginnen und Kollegen in der SPD auf, ihre Entscheidung auch unter übergeordneten Gesichtspunkten noch einmal zu überdenken.
Nach unserer Zustimmung wird es dann am Bundesrat liegen, ob wenigstens diese Verbesserungen in Kraft treten können. Wir fordern die CDU-regierten Länder auf, im Interesse unserer jungen Staatsbürger verantwortungsvoll zu handeln und dem Gesetz zuzustimmen und sich nicht auch noch wie die CDU-Abgeordneten im Deutschen Bundestag zu Hilfstruppen der Konfrontationspolitik der CSU machen zu lassen.
({2})
Es bleibt jedoch nach wie vor unser politisches Ziel, sobald wie möglich die Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer abzuschaffen; denn es ist für uns unbestreitbar, daß das Gewissen des Menschen nicht überprüfbar ist, und die Wahrnehmung eines verfassungsmäßigen Grundrechts nicht an das Bestehen eines Gesinnungstestes gebunden werden darf. - Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Ehrenberg.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das im Grundgesetz garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird mit der Verfassungswirklichkeit nur übereinstimmen, wenn es bei den Anerkennungsverfahren fair und zumutbar zugeht. Es wäre der Bedeutung dieses Verfassungsgebots angemessen gewesen, wenn die notwendige Neuregelung von allen im Deutschen Bundestag
vertretenen Parteien hätte getragen werden können.
({0})
Höchst bedauerlich, Herr Ritz, ist es, daß es nicht möglich war, die Übereinstimmung, die in der interfraktionellen Arbeitsgruppe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erreicht worden war, aufrechtzuerhalten. Es ist leider so, daß dieses nicht möglich war.
Ich möchte trotzdem die Hoffnung auf Annahme, auch im Bundesrat, nicht aufgeben, weil ich glaube, daß die vielen jungen Menschen, die hier ihr Recht wahrnehmen wollen, auf dieses Gesetz im Sommer des Jahres 1980 warten und nicht zu einem späteren Zeitpunkt.
Die Regierungsfraktionen verdienen Dank für den vorliegenden Gesetzentwurf, der den Spielraum, den das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, voll ausschöpft. Wir glauben, es ist wichtig, daß erstmals die Grundsätze für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ebenso wie der gesamte Verfahrensablauf in Gesetzesform festgeschrieben werden. Es geht hier um ein faires, um ein zumutbares Anerkennungsverfahren.
Ich weiß, daß der vorliegende Gesetzentwurf nicht alle Wünsche erfüllt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Bei weitem
nicht»
Er ist darauf angelegt, einen Minimalkonsens, auch mit der Bundesratsmehrheit, möglich zu machen. Er versucht, die gröbsten Unzulänglichkeiten des praktizierten Verfahrens zu beseitigen. Neben vielem anderen bleibt zwischen den Fraktionen vor allem umstritten, auf welche Weise die Ernsthaftigkeit einer Gewissensentscheidung festgestellt werden kann. Die Auffassung der Koalitionsfraktionen, daß es in vielen Fällen möglich sein wird, angesichts der vorliegenden schriftlichen Unterlagen eine Gewissensentscheidung eindeutig und hinreichend sicher anzunehmen und auf eine persönliche Anhörung zu verzichten, verdient den Vorzug.
(Kolb [CDU/CSU]: Wird von Auftragsbüros
erledigt»
Es muß auch Verständnis dafür geben, daß viele Kolleginnen und Kollegen bei dieser sehr schwierigen Frage, ob es überhaupt möglich ist, die Glaubwürdigkeit einer Gewissensentscheidung festzustellen, ein anderes Verfahren bevorzugen. Ich glaube nur, jeder, der etwas anderes will, muß vor sich selber die Frage beantworten, wie eine Nichtentscheidung, wie ein Nichtzustandekommen dieses Gesetzes auf jene rund 70 000 Antragsteller, deren Anträge noch nicht beschieden sind, und auf jene etwa 40 000 bis 50 000 jungen Menschen, die Jahr für Jahr als Antragsteller zu erwarten sind, wirken wird.
({1})
Der hier vorgelegte Minimalkonsens würde diese
jungen Menschen von dem heutigen, von jedermann
als unzulänglich angesehenen Verfahren befreien.
Ich glaube, diese jungen Menschen haben darauf einen Anspruch. Jeder, der ein noch offeneres Verfahren will, muß sich überlegen, daß es, wenn dieser Entwurf nicht verabschiedet wird, bei dem jetzt geltenden unzulänglichen Verfahren bleibt.
Ich denke, diese jungen Menschen haben einen Anspruch darauf, daß dieses Gesetz noch in diesem Sommer zustande kommt, und ich bitte das Haus im Interesse dieser jungen Menschen um Annahme des vorliegenden Gesetzentwurfs.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist über ein Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung zu befinden. Die Mehrheit meiner Fraktion und die FDP versprechen sich von der Verabschiedung dieses Gesetzes spürbare Verbesserungen für den jungen Menschen. Einige Freunde und ich können diese Auffassung nicht teilen. Wir halten dieses Gesetz für einen Schritt in die falsche Richtung. Wir fürchten, daß die erkennbaren Mängel die wenigen Verbesserungen deutlich überwiegen, und wir meinen, daß der Deutsche Bundestag einen neuen, einen anderen Anlauf machen sollte.
({0})
Dieser Gesetzentwurf findet - das hat sich im Anhörungsverfahren deutlich gezeigt - bei den Betroffenen eine so eindeutige, eine so einhellige Ablehnung, daß schon allein aus diesem Grunde sorgfältig bedacht werden sollte, ob nicht in der Tat die Kritik zu einer Verbesserung des Gesetzes führen müßte.
Es hätte noch einen Hauch von Rechtfertigung für das Vorhaben geben können, wenn die Vorlage sichtbarlich eine interfraktionelle Kompromißlösung darstellen würde, aber selbst das scheidet, wie hier heute von den Sprechern der Opposition deutlich gemacht wurde, aus.
Der Gesetzentwurf wird so vermutlich den Bundesrat nicht passieren, und wenn er ihn in- einer noch weiter veränderten, in einer noch weiter verwässerten Fassung passieren sollte, würden die Mängel der Vorlage noch viel deutlicher.
Nun wissen wir aus leidvoller Erfahrung, daß nicht jedes Gesetz, das von diesem Parlament beschlossen wird, die Summe aller gemachten positiven Erkenntnisse darstellt Wir wissen, daß im Interesse der Betroffenen Kompromisse eingegangen werden müssen, daß der Fortschritt oft auf leisen Sohlen einherschleicht, daß der gerade Weg zum Ziel oftmals verbaut ist und Umwege eingeschlagen werden müssen. Aber - und das unterscheidet andere Gesetze doch sehr erheblich von dieser Vorlage - es ist meist wenigstens noch das Ziel sichtbar, und der Umweg ist erkennbar. Wir befürchten, daß diese Vorlage in eine Sackgasse mündet, und
dies macht uns unsere Zustimmung zu dem Gesetz unmöglich.
Hauptpunkt unserer Kritik ist die Tatsache, daß auch weiterhin an dem unmöglichen Institut der Gewissensüberprüfung festgehalten wird. Dabei wissen wir alle - und dies nicht nur aus dem Anhörungsverfahren -, daß man ein Gewissen nicht prüfen kann. Wir alle wissen aus der täglichen Spruchpraxis der Prüfungsausschüsse, daß es immer wieder zu unerträglichen Entscheidungen kommt. Ja, wir wissen, daß es ein pures Spiel mit dem Zufall ist, ob die Gewissensentscheidung des jungen Menschen nun die Billigung des Ausschusses findet oder nicht.
Die Vertreter beider Kirchen haben uns in eindringlichen Worten klargemacht, daß man ein Gewissen nicht prüfen kann. Allenfalls, so meinten sie, könne man die Ernsthaftigkeit einer Gewissensentscheidung erkennen. Selbst dies erscheint mir fraglich. Ich halte es schlicht für eine Anmaßung des Staates, über die Gewissen seiner Bürger richten zu wollen.
Ich halte auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Gewissensüberprüfung nicht für geboten. Die Karlsruher Richter haben uns selbst den Ausweg aus dem Dilemma gewiesen. Ihrer Entscheidung zufolge könnte von einer Gewissensüberprüfung dann abgegangen werden, wenn Dauer und Ausgestaltung des Zivildienstes eine Entscheidung des jungen Menschen für die Kriegsdienstverweigerung glaubhaft machen. Wir haben den Bundesjustizminister gefragt, wie lange denn der Karlsruher Entscheidung zufolge der Zivildienst sein müsse. Der Justizminister hat geantwortet, seiner Meinung nach müsse eine zwei an der ersten Stelle stehen, mit anderen Worten: wenn der Gesetzgeber den Zivildienst auf 20, 22 oder 24 Monate festsetzte, wenn der Dienst so als lästige Alternative erschiene, dann könnte mit dem unwürdigen Theater vor den Prüfungsausschüssen Schluß gemacht werden.
Meine Freunde und ich wären bereit, selbst einer Verlängerung des Dienstes auf 20 Monate zuzustimmen, wenn die Gewissensüberprüfung in Wegfall käme.
({1})
Wir würden die sicher auch dann lautwerdende Kritik aus den Kreisen der Betroffenen nicht scheuen, weil unserer Meinung nach der Vorteil einer solchen Regelung überwöge.
({2})
Aber wir haben uns leider nicht durchsetzen können.
Wir mußten zu unserem Bedauern feststellen, daß nicht einmal ein sehr bedenkenswerter Vorschlag des Kommissariats der katholischen Bischöfe einer näheren Prüfung durch alle Fraktionen dieses Hauses unterzogen worden ist. Die Bischöfe hatten vorgeschlagen, bei Beibehaltung der Gewissensüberprüfung dem abgelehnten Kriegsdienstverweigerer dann wenigstens auf dem Gnadenwege den Zivildienst bei verlängerter Dienstzeit zu ermöglichen.
Es ist schlicht unverständlich, daß auch dieser Rat der Bischöfe auf taube Ohren stieß.
Was mich und meine Freunde an der heutigen Abstimmungslage so betroffen macht, ist folgendes. Keiner in der Fraktion der SPD und gewiß auch nicht die Mehrheit in der Fraktion der FDP und ganz bestimmt auch einige Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion der CDU wollen nicht die Beibehaltung der Gewissensprüfung. Aber wir werden das heute beschließen. Keiner in der sozialliberalen Koalition will dieses Gesetz so wirklich. Jeder wüßte bessere und überzeugendere Lösungen. Und doch wird man ihm heute zustimmen. Ich weiß nicht, ob uns allen bewußt ist, daß es ungeheuer schwierig sein wird, einem jungen Staatsbürger ein solches Abstimmungsverhalten zu verdeutlichen.
Einige meiner Freunde werden aus wohlüberlegten politischen Gründen zu dieser Fraktionsvorlage der sozialliberalen Koalition nein sagen. Einige - und zu denen zähle ich mich - werden aus tiefster innerer Überzeugung die Zustimmung verweigern müssen. Wir wissen sehr wohl, daß es heute nicht um das Gewissen der Parlamentarier geht, sondern um das Gewissen der Betroffenen. Aber gerade das macht es uns unmöglich, ja zu sagen. Es ist, wie einer meiner Fraktionskollegen deutlich formulierte, zudem politisch und moralisch kaum vertretbar, die Gewissensprüfung als politischen Willen von SPD und FDP zu präsentieren. Es ist ja auch nicht der wirkliche politische Wille der Koalition. Um so bedenklicher ist es, daß sie sich heute zu diesem Schritt genötigt sieht.
Schließlich - das soll mein letztes Argument sein - wird sich bei Verabschiedung des Gesetzes auch die Praxis der Ausschüsse zum Negativen hin verändern. Das fürchten wir. Die Ausschüsse sind bei Vorrang des schriftlichen Verfahrens gehalten, alle ihnen notwendig erscheinenden Beweise zu erheben. Es ist nicht auszuschließen, daß wildgewordene Prüfungsausschüsse künftig fröhlich Beweis erheben: beim Jugendamt, in den Schulen, bei der Polizei, beim Verfassungsschutz und sonstwo. Der Bund könnte eine solche exzessive Erhebungsmethode nicht einmal stoppen, denn die Ausschüsse sind an Weisungen nicht gebunden. Ich weiß nicht, ob wir eine solche neue Möglichkeit der Gesinnungsschnüffelei auch nur andeutungsweise zulassen dürfen.
Wir hatten am vergangenen Dienstag eine eingehende Aussprache in unserer Fraktion, die von hohem sachlichen Ernst und von großer Fairneß getragen war. Dafür sind meine Freunde und ich dankbar. Wir glauben nicht, daß wir deswegen, weil wir heute nein sagen, vielleicht bessere Sozialdemokraten seien als andere, die heute zustimmen. Wir wissen, daß uns von der Meinung der Mehrheit unserer Kollegen nichts trennt außer der Tatsache, daß sie eine Zustimmung zum Gesetz aus politisch-taktischen Gründen für geboten hält.
({3})
Wir teilen diese Meinung nicht, aber wir respektieren sie ebenso vorbehaltlos, wie unsere Fraktion unsere abweichende Meinung respektiert hat. Wir entscheiden über eine Gewissensfrage erfreulicherweise in jener Gewissensfreiheit, die diesem Abstimmungsprozeß angemessen ist, und dafür bedanken wir uns ausdrücklich bei unseren politischen Freunden.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Gesetzentwurfs in der Ausschußfassung auf Drucksache 8/4222.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich bitte Sie alle, Platz zu nehmen, sonst können wir nicht übersehen, wie die Abstimmungen verlaufen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich rufe Art. 1 §§ 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 3 auf. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor.
Ich rufe zuerst den Änderungsantrag zu § 3 Abs. 2 auf Drucksache 8/4379 auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu § 3 Abs. 4 auf Drucksache 8/4380 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit der gleichen Stimmenzahl abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wer Art. 1 § 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 § 3 in der Ausschußfassung ist damit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 4 in der Ausschußfassung auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/4381 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer Art 1 § 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 § 5 ist mit Mehrheit angenommen.
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe Art. 1 §§ 6 bis 8, Art. 2 Nr. 2 bis 5, 7 bis 9 b, 11, 13 bis 16 und 18 bis 20 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Bestimmungen sind angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 21 auf. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor.
Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/4373 zu Nr. 21 Buchstabe a auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist angenommen.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu Nr. 21 Buchstabe b auf, Drucksache 8/4382. Wer diesem Änderungsantrag der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt
Wer Art. 2 Nr. 21 in der Ausschußfassung mit der vorhin beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So angenommen.
Ich rufe auf Art. 2 Nr. 22 und 23, 26 bis 28, 30, 31, 33 und 34, 36, 40, 42 und 43, 46 bis 49, 52 a und 53, Art 3 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Hierzu wird das Wort nach § 59 der Geschäftsordnung von Herrn Abgeordneten Klaus Immer gewünscht
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Abstimmung über das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz gebe ich folgende Erklärung ab.
Ich werde dieses Gesetz ablehnen. Meine Begründung: Nach meiner evangelischen Glaubensüberzeugung sind das Gewissen selbst und Gewissensentscheidungen nicht nachprüfbar. Die Reformation hat der Teilbarkeit des Menschen in Leib, Seele und Geist, also der Selektierbarkeit, die Ganzheit des Menschen und seine unantastbare Würde entgegengesetzt. Weder Inquisition damals noch Gehirnwäsche irgendwelcher Mächte heute haben es vermocht, die evangelische Auffassung von der Unteilbarkeit des Menschen zu zerstören.
Danach darf sich kein Mensch anmaßen, darüber zu entscheiden, welche Qualität das Gewissen und welche Qualität eine Gewissensentscheidung hat, oder anders ausgedrückt, zu entscheiden, was gewissenhaft und was gewissenlos ist
Kein Gesetzgeber sollte also veranlassen, daß Menschen das Gewissen anderer überprüfen müssen und damit möglicherweise schuldig werden und daß das Gewissen von Menschen geprüft wird.
Ich werde mich weiterhin für eine Lösung einsetzen, die meiner Überzeugung entspricht Für meine ablehnende Haltung zur Gewissensprüfung nehme ich in Anspruch, nach meiner eigenen Gewissensüberzeugung entscheiden zu dürfen. - Ich danke Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht weiter begehrt Wir kommen zur Schlußabstimmung. Es wird namentliche Abstimmung verlangt Der Antrag ist ausreichend begründet
Meine Damen und Herren, wir können mit der Auszählung beginnen. Ich eröffne die Auszählung. - Meine Damen und Herren, sind alle Stimmkarten abgegeben worden? - Ich schließe die Abstimmung.
Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, weil wir während der Auszählung die anderen Tagesordnungspunkte, für die keine Debatte vorgesehen ist, beraten und über sie abstimmen wollen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um die Beratungspunkte, die in der Ihnen vorliegenden weiteren Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführt sind, ergänzt werden:
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zum Jahresbericht 1979 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 8/3800,8/4374 Berichterstatter:
Abgeordnete Weiskirch ({1}) Horn
6. Beratung der Sammelübersicht 77 des Petitionsausschusses ({2}) über Antrage zu Petitionen
- Drucksache 8/4375 -- Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Ich danke Ihnen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerlach ({4}), Handlos, Dr. Dregger, Dr. Wörner, Dr. Marx, Dr. Miltner, de Terra, Spranger, Weiskirch ({5}), Biechele, Dr. Laufs, Frau Krone-Appuhn, Dr. Kraske, Dr. Riedl ({6}), Gerster ({7}), Dr. Waffenschmidt, Biehle, Broll, Regenspurger, Dr. Friedmann. Frau Pieser, Dr. Hüsch, Dr. Meyer zu Bentrup und der Fraktion der CDU/CSU
Gesamtverteidigung
- Drucksachen 8/2295, 8/4340 -Berichterstatter:
Abgeordnete Gerlach ({8}) Dr. Nöbel
Dr. Wendig
Das Wort wird nicht erbeten.
Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/4340, den Antrag auf Drucksache 8/2295 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung anzunehmen.
Vizepräsident Frau Renger
Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Narjes, Dr. Marx, Dr. Mertes ({10}), Dr. Dollinger, Dr. Stercken, Dr. von Geldern, Kittelmann, Dr. Klein ({11}), Dr. Hoffacker, Hüsch, Sick, Dr. Voss, Hartmann, Dr. Wittmann ({12}), Dr. Hupka, Kunz ({13}), Dr. Ritz, Amrehn, Broll, Dr. Hornhues, Schetter, Seiters, Graf Huyn, Hanz, Dr. Köhler ({14}), Dr. Hammans, Dr. Möller, Berger ({15}), Würzbach, Werner, Dr. Sprung, Schröder ({16}), Dr. Wulff, Reddemann, Bahner, Frau Berger ({17}) und der Fraktion der CDU/CSU
III. VN-Seerechtskonferenz
Antrag der Fraktionen der SPD und FDP
Dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen
- Drucksachen 8/3760, 8/3910, 8/4328 Berichterstatter:
Abgeordnete Rapp ({18}) Dr. Narjes
Auch hier wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4328 die Annahme von Entschließungen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Narjes, Grunenberg, Angermeyer, Dr. Corterier, Ewen, Dr. von Geldern, Kittelmann, Rapp ({19}), Dr. Wittmann ({20}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus
- Drucksache 8/2363 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({21})
- Drucksache 8/4359 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. von Geldern Dr. Jens
({22}) Das Wort wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 21, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die aufgerufenen Vorschriften sind in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Das Wort wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Beratung gegen eine Anzahl von Stimmen angenommen.
Wir haben noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/4359 unter Ziffer 2 abzustimmen, die eingegangenen Eingaben für erledigt zu erklären. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 zur Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
Sportförderung in den Entwicklungsländern
- Drucksache 8/5357 -Das Wort wird nicht begehrt Wer diesem interfraktionellen Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Dieser Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Wilms, Pfeifer, Rühe, Schedl, Frau Benedix-Engler, Pieroth, Hasinger, Daweke, Prangenberg, Dr. Hornhues, Frau Krone-Appuhn, Voigt ({24}), Berger ({25}), Dr. Blüm, Dr. George, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Möller, Frau Karwatzki, Neuhaus, Dr. Laufs, Dr. Langguth, Hauser ({26}), Josten, Würzbach, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU
Berufliche Fortbildung in Betrieben und überbetrieblichen Einrichtungen
- Drucksachen 8/2884, 8/4294 Berichterstatter:
Abgeordnete Vogelsang Frau Dr. Wilms
Das Wort wird dazu nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4294 die Annahme einer Entschließung. Wer diesem Antrag zur Annahme einer Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 zur Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({27}) zum Jahresbericht 1979 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 8/3800, 8/4374
Abgeordnete Weiskirch ({0}) Horn
Das Wort wird auch hier nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4374 unter den Ziffern 1 bis 3, den Jahresbericht 1979 des Wehrbeauftragten zur Kenntnis zu nehmen und dem Wehrbeauftragten für seine Arbeit im Berichtsjahr zu danken sowie eine Entschließung anzunehmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Nein. Der Dank ist ausgesprochen.
({1})
Ich rufe Zusatzpunkt 6 zur Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 77 des Petitionsausschusses ({2}) über Antrage zu Petitionen
- Drucksache 8/4375 Das Wort wird nicht begehrt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf der Drucksache 8/4375, die in der Sammelübersicht 77 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so angenommen.
Meine Damen und Herren, ich gebe jetzt das vorläufige Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz bekannt: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 429 ihre Stimme abgegeben. Ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 210 Abgeordnete, mit Nein 218 Abgeordnete gestimmt. Ein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten. 16 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimmen abgegeben. Ja: 8, Nein: 8.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 428 und 17 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 210 und 9 Berliner Abgeordnete
nein: 217 und 8 Berliner Abgeordnete
enthalten: i
Ja
SPD
Adams Amling Dr. Apel
Arendt Augstein
Baack Bahr
Frau Dr. Balser
Dr. Bardens
Batz
Becker ({3}) Biermann
Bindig
Dr. Böhme ({4}) Brandt ({5}) Brück
Buchstaller
Büchler ({6})
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann
Collet
Dr. Corterier Curdt
Frau Dr. Czempiel
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Frau Eilers ({7}) Dr. Emmerlich
Dr. Enders Engholm
Frau Erler Esters
Ewen
Dr. Fischer
Franke ({8}) Gerstl ({9})
Gertzen
Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar
Haase ({10})
Haehser
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff Henke
Heyenn
Hofmann ({11}) Horn
Frau Huber Huonker Ibrügger
Jahn ({12})
Jaunich
Dr. Jens
Junghans Jungmann Junker
Kaffka
Kirschner
Klein ({13})
Konrad
Dr. Kreutzmann Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lattmann
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius Leuschner Liedtke
Dr. Linde Mahne
Marschall
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Dr. Meinecke ({14}) Meininghaus
Menzel
Möhring ({15})
Müller ({16})
Müller ({17})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({18}) Neumann ({19})
Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo
Paterna
Pawelczyk Peiter
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn
Rapp ({20}) Rappe ({21}) Frau Renger Reuschenbach
Rohde
Rosenthal Sander
Saxowski
Dr. Schachtschabel Schäfer ({22})
Dr. Schäfer ({23}) Schirmer
Schlaga Schluckebier
Dr. Schmidt ({24}) Schmidt ({25})
Schmidt ({26})
Schmidt ({27}) Schmidt ({28})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schulte ({29})
Dr. Schweitzer
Dr. Schwenk ({30})
Sieler
Simpfendörfer
Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({31})
Dr. Steger
Frau Steinhauer
Stockleben
Stöckl
Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm
Topmann Frau Traupe
Urbaniak
Dr. Vogel ({32}) Vogelsang
Voigt ({33})
Vosen
Walther
Dr. Weber ({34})
Wehner Wendt Dr. Wernitz
Westphal Wiefel
Wilhelm
Wimmer ({35})
Dr. de With
Wittmann ({36}) Wolfram ({37}) Wrede
Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Diederich ({38})
Dr. Dübber Egert
Löffler
Männing
Mattick
Frau Schlei Schulze ({39})
FDP
Angermeyer Cronenberg Eimer ({40}) Egelhard
Gärtner Gallus
Gattermann
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher
Dr. Haussmann
Hölscher Hoffie
Jung
Kleinert
Vizepräsident Frau Renger
Dr. Graf Lambsdorff Ludewig
Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Merker
Paintner
Schäfer ({41}) Schleifenbaum Schmidt ({42})
von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Wendig Wolfgramm ({43}) Wurbs
Dr. Zumpfort Zywietz
fraktionslos Dr. Gruhl
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Dr. Althammer
Dr. Arnold
Dr. Becher ({44})
Dr. Becker ({45}) Frau Benedix-Engler Benz
Berger ({46})
Berger ({47})
Besch
Biechele
Dr. Biedenkopf
Biehle
Blügel
Böhm ({48})
Dr. Bötsch Braun
Breidbach Broll
Bühler ({49}) Carstens ({50})
Dr. Czaja
Damm
Daweke
Dr. Dollinger Dr. Dregger Dreyer
Engelsberger
Erhard ({51}) Ernesti
Erpenbeck Ey
Eymer ({52}) Feinendegen Frau Fischer
Francke ({53}) Franke
Dr. Friedmann Frau Geier Geisenhofer
Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach ({54}) Gerstein
Gerster ({55}) Gierenstein Glos
Haase ({56}) Haberl
Dr. Häfele Dr. Hammans Hanz
Hartmann Hasinger Hauser ({57}) Hauser ({58}) Helmrich
Dr. Hennig
von der Heydt Freiherr
von Massenbach Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger ({59})
Dr. Jahn ({60}) Dr. Jahn ({61})
Dr. Jentsch ({62}) Dr. Jobst
Josten
Frau Karwatzki
Kiechle
Dr. Klein ({63}) Klein ({64})
Klinker
Dr. Köhler ({65}) Köster
Dr. Kohl
Kolb
Krampe
Dr. Kraske Kraus
Dr. Kreile Krey
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kunz ({66}) Lampersbach
Landré
Dr. Langguth
Dr. Langner Dr. Laufs
Dr. Lenz ({67}) Link
Lintner
Löher
Dr. Luda
Frau Männle
Dr. Mertes ({68}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Mikat
Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller ({69}) Müller ({70})
Dr. Müller-Hermann
Dr. Narjes Neuhaus
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Frau Pack Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Picard
Pieroth
Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer
Rawe
Regenspurger
Dr. Reimers
Frau Dr. Riede ({71}) Dr. Riedl ({72})
Dr. Riesenhuber
Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe
Russe
Sauer ({73})
Sauter ({74})
Prinz zu SaynWittgenstein-Hohensteir Dr. Schäuble
Schartz ({75})
Schetter
Schmidt ({76}) Schmöle
Dr. Schneider
Dr. Schröder ({77}) Schröder ({78}) Schröder ({79}) Dr. Schulte ({80})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seiters
Sick
Dr. Freiherr Spies von Büllesheim
Spilker Spranger Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({81})
Dr. Stercken
Stommel Stücklen Stutzer Susset
de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({82})
Voigt ({83})
Volmer Dr. Voss Dr. Waffenschmidt
Dr. von Wartenberg Wawrzik
Weber ({84}) Weiskirch ({85}) Dr. von Weizsäcker Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wimmer ({86}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissebach
Wissmann
Dr. Wittmann ({87}) Dr. Wörner
Baron von Wrangel Würzbach
Dr. Zeitel
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Bahner
Frau Berger ({88}) Dr. Gradl
Kunz ({89})
Müller ({90})
Frau Pieser
Straßmeir
SPD
Coppik
Gansel
Hansen
Hoffmann ({91}) Immer ({92}) Lutz
Meinike ({93}) Schreiber
Frau Simonis Waltemathe
Enthalten
SPD Krockert
Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt ({94})
Herr Abgeordneter Dr. Jenninger, Sie haben zur Geschäftsordnung das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion bitte ich um Unterbrechung der Sitzung.
Meine Damen und Herren, es ist selbstverständlich, daß man diesem Begehren stattgibt Herr Jenninger, wieviel Zeit brauchen Sie? - Die Sitzung ist unterbrochen; der Wiederbeginn wird noch bekanntgegeben.
({0})
- Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion hält eine Fraktionssitzung ab. Es ist nicht anzunehmen, daß wir noch heute zur weiteren Beratung dieses Gesetzentwurfs oder anderer Punkte kommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Juli, 9.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.