Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/26/1980

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf: Beratung des Berichts des Wehrbeauftragten des Bundestages - Drucksache 8/3800 Wünscht jemand das Wort? - Dies ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Bericht des Wehrbeauftragten des Bundestages auf Drucksache 8/3800 an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. ({0}) - Liegt eine Wortmeldung vor? Es war interfraktionell vereinbart, daß dazu nicht gesprochen wird, sondern daß eine Überweisung stattfindet. ({1}) - Sie möchten eine Runde haben. Also noch einmal zurück: Die Aussprache wird eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiskirch.

Willi Weiskirch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002459, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 1979 sollte offenbar mit dem Bundesminister der Verteidigung etwas glimpflicher umspringen, als frühere Berichte mit ihm umgesprungen sind. In den vergangenen Jahren sah sich der Minister in der Regel auf der Vorführbank. Diesmal sollte er, wie es scheint, ein bißchen geschont werden. Dennoch wird im vorliegenden Bericht, auch wenn man dabei zuweilen zwischen den Zeilen lesen muß, mit derber Kritik an ihm nicht gespart. ({0}) Die dem Bericht des Wehrbeauftragten erstmalig beigegebene Sachstandstatistik über wichtige Vorschläge und Anregungen und ihre Befolgung - ich sollte wohl besser sagen „Nichtbefolgung" - durch das Bundesverteidigungsministerium und durch die Bundesregierung enthüllt jedenfalls eine unverantwortliche Leichtfertigkeit, ja, Schludrigkeit des Ministeriums gegenüber den Anmahnungen des vom Deutschen Bundestag eingesetzten Wehrbeauftragten. ({1}) Ich finde, es ist höchst bedauerlich, daß die de Maiziere-Kommission seinerzeit zwar die Truppe, nicht aber auch die Hardthöhe durchforsten und auf Mißstände untersuchen durfte. ({2}) Wenn nämlich in der Statistik des Wehrbeauftragten nachgewiesen wird, daß der Bundesminister der Verteidigung - nun hören Sie gut zu - in mindestens drei Dutzend schwerwiegender Fälle die in früheren Berichten enthaltenen Vorschläge und Forderungen des Wehrbeauftragten nicht ernsthaft beachtet, auf die lange Bank geschoben oder ganz einfach ignoriert hat, dann kann man es nicht mit einem Kopfschütteln bewenden lassen. ({3}) In diesen Fällen ging und geht es nicht um Lappalien, ({4}) sondern um wichtige, für manchen Soldaten existentielle Probleme, z. B. um Fragen der Besoldung, der Dienstzeitbelastung oder des besonders schwerwiegenden Verwendungs- und Beförderungsstaus, also um Fragen, die auch für die Kampfkraft der Truppe von entscheidender Bedeutung sein können und sind. ({5}) Bevor ich auf Einzelheiten eingehe, lassen Sie mich für meine Fraktion folgendes sagen. Die Arbeit des Wehrbeauftragten, die sich in seinen jährlichen Berichten niederschlägt, läßt sich als eine Art Frühwarn- und Kontrollsystem über den Zustand der Streitkräfte charakterisieren. Ich möchte dem derzeitigen Inhaber des Amtes, Herrn Karl Wilhelm Berkhan, für die Opposition ausdrücklich bescheini18310 Weiskirch ({6}) gen, daß er den ihm vom Deutschen Bundestag gegebenen Auftrag gut erfüllt hat. ({7}) Ich beantrage, Herrn Berkhan die Gelegenheit zu geben, sich nachher hier zu seinem Bericht und zu den Anmerkungen zu diesem Bericht persönlich zu äußern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Weiskirch, gilt das als Fraktionsantrag?

Willi Weiskirch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002459, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, das gilt als Fraktionsantrag. Er selbst drängt in der gedruckten Vorbemerkung auf eine Novellierung des im Jahre 1957 verabschiedeten und seither nicht mehr veränderten Gesetzes über den Wehrbeauftragten. Dabei findet er die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion. In der Tat sind Fragen wie die nach den Amtsbefugnissen des Wehrbeauftragten oder nach seiner organisatorischen Zuordnung zum Bundestag zu präzisieren oder auf neue Rechtsgrundlagen zu stellen. Hier gibt es wohl keine Differenzen zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages. Wo auch immer die Gründe gelegen haben mögen, daß es bisher zu der gebotenen Neuordnung nicht gekommen ist, es wird eine der vordringlichsten Aufgaben der kommenden Legislaturperiode sein müssen, in dieser Frage endlich reinen Tisch zu machen. ({0}) Ich möchte mir jedoch zu den Kompetenzen des Wehrbeauftragten eine Bemerkung erlauben. Herr Berkhan kommt im Zusammenhang mit seinem Wunsch auf die baldige Neufassung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten auf einen Vorgang zu sprechen, der im Berichtsjahr 1979 spielt und in der Offentlichkeit die doch immerhin bewegende und wichtige Frage aufgeworfen hat, ob der Wehrbeauftragte auch politische Empfehlungen geben dürfe. Hier wird auf das - fast hätte ich gesagt: berühmt gewordene - Bild-Interview Bezug genommen, in dem Herr Berkhan für die Lösung personeller Bundeswehrprobleme seinerzeit den Einsatz von Frauen gefordert hat. ({1}) Ich hoffe, den Wehrbeauftragten in seinem Bericht richtig verstanden zu haben, wenn er im nachhinein zu der Überzeugung gelangt ist, hier an seinen Kompetenzen vorbei gehandelt zu haben. ({2}) Er hätte - das ist meine Auffassung und die meiner Fraktionskollegen - seine Meinung zu dieser noch vor der parlamentarischen Auseinandersetzung stehenden Frage wenn überhaupt jemandem, dann dem Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages vortragen sollen. ({3}) Ich nehme an, Herr Wehrbeauftragter, Sie verstehen mich, wenn ich in diesem Zusammenhang darauf hinweise, daß die Kompetenzen Ihres Amtes auch dort aufhören, wo die reine Parteipolitik beginnt. Ich würde es begrüßen, wenn es da nie Gründe zur Besorgnis gäbe. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung zum Bericht des Wehrbeauftragten liegt erst seit ganz wenigen Tagen beim Verteidigungsausschuß vor und ist noch nicht in den Händen der Fraktionen, obwohl der Bericht des Wehrbeauftragten bereits am 16. April dieses Jahres der Offentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. ({5}) Ich finde, hier wirkt sich doch einiges von dem Stellenwert aus, den der Bericht bei denen da oben hat Ich darf daran erinnern, daß der Herr Fraktionsvorsitzende der SPD - ich glaube, es war im vorletzten Jahr, Herr Wehner - die Beschlußfähigkeit des Parlamentes feststellen lassen wollte, weil ihn die miserable Präsenz hier im Hause bei der Behandlung dieses nach seiner und auch nach unser aller Ansicht sehr wichtigen Themas störte. Ich will mir Bemerkungen über die Präsenz heute morgen verkneifen. Ich finde aber, noch störender ist es, wenn der Verteidigungsminister mehr als zwei Monate nach der Veröffentlichung des Berichtes des Wehrbeauftragten offenbar nicht in der Lage ist, dem Deutschen Bundestag überhaupt seine Anmerkungen dazu zu geben. ({6}) Ich habe bereits eingangs darauf hingewiesen, daß der Wehrbeauftragte in Kapitel 7 seines Berichtes an vielen Beispielen nachweist, wann, wo und ob überhaupt der Bundesminister der Verteidigung seinen Anmahnungen nachgegangen ist Da steht sehr oft: „nicht aufgegriffen", „nicht befolgt", „nicht geteilt", „abgelehnt". ({7}) Ich habe im Jahresbericht 1973, also in einem nun sieben Jahre zurückliegenden Bericht des Wehrbeauftragten, eine sehr interessante Passage gefunden, eine Passage, die wahrscheinlich ebenfalls unter die Rubrik „nicht aufgegriffen" gehört. Da wird zunächst darauf hingewiesen, daß die Zahl der in der Öffentlichkeit gegen die Bundeswehr gerichteten Handlungen nicht zugenommen habe. Aber nun wörtlich weiter: Die vorhandenen Informationen lassen erkennen, daß der Trend zur Wehrmüdigkeit in der zivilen Gesellschaft immer noch anhält. Und weiter wörtlich: Es besteht Grund zu der Annahme, daß das Reizwort Bundeswehr viel von seiner Wirkung Weiskirch ({8}) eingebüßt hat, positiv, indem die gegen die Bundeswehr gerichteten Verhaltensweisen abgenommen haben, negativ, indem den Streitkräften insgesamt weniger Beachtung geschenkt wird. Daraus lassen sich, finde ich, zwei Schlußfolgerungen ziehen. Die erste: In den sieben Jahren, die seither verstrichen sind, meine Damen und Herren, ist die Zahl der gegen die Bundeswehr gerichteten Handlungen sprunghaft emporgeschnellt, hat die Zahl der Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in diesen Tagen die Höhe des Postkartenergebnisses von 1977 erreicht ({9}) und ist auf das Desinteresse an den Dingen der Verteidigung gerade auch in weiten Kreisen der SPD eine Bewußtseinslage gefolgt, die für totale Abrüstung und für Entspannung um jeden Preis plädiert. ({10}) Die zweite Schlußfolgerung möchte ich als Frage formulieren. Hat eigentlich der damalige Bundesverteidigungsminister auch nur mit einem halben Ohr auf das gehört, was ihm der Wehrbeauftragte zur Kenntnis gebracht hat? ({11}) Bremen, meine Damen und Herren, ist nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Lassen Sie mich das einmal sagen. ({12}) Da ich schon einmal einen länger zurückliegenden Wehrbeauftragtenbericht zitiert habe, lassen Sie es mich noch einmal tun. Im gleichen Jahr 1973 beklagte der Wehrbeauftragte, daß sich innerhalb der - wie er sich ausdrückte - oberen Führung ein bürokratisches Eigenleben entwickelt habe, das sich - wörtlich - „stärker an den Verhaltensweisen vergleichbarer Verwaltungsbehörden als an den Erfordernissen der Truppe orientiert". ({13}) Ich frage den Herrn Bundesverteidigungsminister, was eigentlich die von ihm damals unter sehr spektakulären Umständen eingesetzte Entbürokratisierungskommission von General de Maizière erst 1978 sollte, wenn solche Erkenntnisse und Zustandsbeschreibungen schon acht Jahre vorher dem auch damals von der SPD gestellten Bundesverteidigungsminister vom damaligen Wehrbeauftragten als dringende Probleme schriftlich zur Kenntnis gebracht worden waren? ({14}) Passiert ist in den nachfolgenden Jahren jedenfalls so gut wie nichts. Es ist, meine Damen und Herren, eine Binsenweisheit, daß bestimmte Knüller - wenn ich das einmal so formulieren darf - im Bericht des Wehrbeauftragten auf besondere öffentliche Beachtung und Resonanz, auf Publicity stoßen. Vor einem Jahr war es die viel beachtete, wenn auch falsch beschriebene Säufer-Armee - Sie werden sich alle daran erinnern -, in diesem Jahr sind es die Ratten und die Silberfische in Soldatenunterkünften gewesen. ({15}) Ich will hier gar nichts verniedlichen. Das Alkoholproblem in der Truppe kann man sicherlich nicht ernst genug nehmen. Da ist die Frage erlaubt, was denn der Bundesverteidigungsminister nach dem Alarm des Wehrbeauftragten im vergangenen Jahr getan hat, um dieser schwelenden Misere in den Streitkräften Herr zu werden. Das gleiche gilt für die Unterkunftsfrage. Auch hier kann und sollte man nicht verallgemeinern. Vielleicht ist das Beispiel Munster, das der Wehrbeauftragte unter dem Stichwort Unterkünfte wohl vor Augen gehabt hat, ein besonders gravierender Fall. Aber selbst wenn es der einzige Fall wäre, ({16}) müßte dieser Fall den Bundesminister der Verteidigung sofort, und zwar ohne Zögern, auf den Plan rufen; denn wenn der Wehrbeauftragte hier das Attribut „menschenunwürdig" verwendet - ich wiederhole: „menschenunwürdig" -, ({17}) dann gibt es überhaupt keine Erklärung und auch keine Entschuldigung dafür. ({18}) Menschenunwürdig, meine Damen und Herren, darf kein einziger Soldat in unserem Lande untergebracht sein und leben müssen - kein einziger! ({19}) Dann darf man nicht hergehen und das Problem sozusagen auf den langen Dienstweg schieben, ad kalendas graecas vertagen, sondern dann hat man sofort zu handeln. Lassen Sie mich folgende Schlußfolgerungen aus dem Bericht des Wehrbeauftragten 1979 ziehen, Schlußfolgerungen, von denen ich hoffe, daß sie in einer späteren Sachstandsübersicht nicht unter Rubriken wie „vom Minister nicht beachtet", „nicht befolgt" oder „überhaupt nicht zur Kenntnis genommen" wieder auftauchen werden. Erstens - dabei schließe ich an das Thema Unterkünfte an -: Hier muß, ich habe es schon gesagt, unverzüglich gehandelt werden. Hier müssen die gestoppten oder auf die lange Bank geschobenen Infrastrukturmaßnahmen - Maßnahmen, die z. B. für die Heeresstruktur 4 unverzichtbar sind - wieder auf die Tagesordnung kommen. Zweitens. Der Verwendungs- und Beförderungsstau - Dauerbrenner in allen verteidigungspolitischen Debatten der letzten Jahre - darf nicht Weiskirch ({20}) wie eine unabänderliche Fügung ins kommende Jahrzehnt geschleppt werden, wie ein Fatum sozusagen. Herr Minister Apel, Sie haben etwas, finde ich, Verhängnisvolles und Unbegreifliches getan, als Sie kürzlich Ihre Mitarbeiter auf der Hardthöhe wissen ließen, vor der Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres werde bei dem Verwendungs- und Beförderungsstau sowieso nichts mehr laufen. Drittens. Die hohe Dienstzeitbelastung für viele Soldaten mit teilweise 60 und 70 Wochenstunden darf nicht dazu führen, daß Soldaten tatsächlich zu Bürgern zweiter Klasse werden, denen man Lasten aufbürden kann und darf, die anderen nicht einmal im Ansatz zugemutet werden. Viertens. Wenn es stimmt, was die de MaiziereKommission zur Personallage in der Bundeswehr festgestellt hat, daß nämlich 80% der anwesenden Soldaten in der Regel die Arbeit von 100 % leisten müssen, dann wird es, finde ich, höchste Zeit, daß der Verteidigungsminister die Voraussetzungen dafür schafft, daß eine an den Grundsätzen der Inneren Führung ausgerichtete wirksame Dienstaufsicht praktiziert werden kann. Fünftens. Obgleich mit der seit April 1979 eingeführten elektronischen Datenverarbeitung das Problem der heimatfernen Einberufung von Wehrpflichtigen erheblich entschärft werden sollte, legt der Wehrbeauftragte auch in seinem diesjährigen Bericht den Finger wieder auf diese Wunde. Die möglichst heimatnahe Einberufung muß für den Bundesverteidigungsminister weiterhin eine Aufgabe von höchster Dringlichkeit bleiben. ({21}) Sechstens. In diesem Zusammenhang will ich noch einmal nachdrücklich auf das nach wie vor ungelöste Problem der Kostenerstattung für die Wochenendheimfahrten von Wehrpflichtigen hinweisen. Wenn zwei Drittel mit dem Auto heimfahren und damit auf jede Bezahlung verzichten, dann kann man natürlich auf dem Standpunkt stehen, daß das deren Sache ist. Es ist dann aber auch Sache des Bundesverteidigungsministers, wenn die davon betroffenen jungen Soldaten ihre Heimatorte mit der Bahn überhaupt nicht oder nur unter sehr schwierigen Umständen erreichen können. ({22}) Siebtens. Seit vielen Jahren - jetzt wieder - weist der Wehrbeauftragte auf die katastrophale Lage bei der Gesundheitsfürsorge in den Streitkräften hin. Auch im Weißbuch wird darüber laut geklagt. Hier helfen aber keine Klagen, hier muß, Herr Verteidigungsminister, gehandelt werden. Ich könnte diesen Katalog um weitere Beispiele ergänzen. Ich hoffe, daß die Punkte, die ich aus dem Bericht des Wehrbeauftragten herausgezogen habe und hier in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit behandeln konnte, genügen, um das Problem klarzumachen, um das es geht. Das Problem sind nicht gelegentliche Schwächen, Mißstände, Fehlaktionen und -reaktionen in den Streitkräften, das sind auch nicht, so beklagenswert sie sein mögen, die vielen Verstöße gegen Regeln und Gesetze. Das Problem stellt sich als Frage an den Bundesminister der Verteidigung. Er hat die Konsequenzen zu ziehen und dafür zu sorgen, daß der Bericht des Wehrbeauftragten kein Lesebuch bleibt, sondern eine Anweisung zum Handeln wird, zum Handeln für den Bundesverteidigungsminister selbst. Ich bedanke mich. ({23})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die CDU/CSU-Fraktion hat auf Grund des § 116 c der Geschäftsordnung beantragt, daß dem Wehrbeauftragten das Wort erteilt wird. Ich unterstelle, daß der Wehrbeauftragte nach der Debattenrunde das Wort nimmt. Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem einen Punkt schließe ich mich Herrn Kollegen Weiskirch seitens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion an. ({0}) Auch wir beantragen das Rederecht für den Herrn Wehrbeauftragten. ({1}) - Sehr richtig, Herr Kollege Weiskirch. Ich möchte mich zu Beginn für die Vorlage dieses Berichts bedanken. Dieser Dank gilt dem Wehrbeauftragten und in gleicher Weise auch seinen Mitarbeitern. Dieser Bericht macht wiederum deutlich, daß die Institution des Wehrbeauftragten für das Parlament besonders wichtig ist. Die Analyse ist klar. Wir haben wieder eine Synopse, nämlich den „Sachstand zu Vorschlägen und Anregungen des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages in den Jahresberichten 1975 bis 1978". Dabei geht es um ca. 100 Vorschläge, von denen über die Hälfte schon durch das Verteidigungsministerium erledigt worden sind, von denen ein weiteres Drittel schon auf dem Wege sind. Nur einige wenige harren noch der Erledigung. Das heißt, in dieser Weise, wie es hier dargestellt wurde, besteht kein Mißstand. ({2}) - Wissen Sie, Herr Kollege Weiskirch, durch diese einseitige Form der Darstellung, die Sie hier gebracht haben, entwerten Sie nämlich auch die Institution des Wehrbeauftragten, als schriebe er lediglich ein Büchlein, das aber in sich völlig unverbindlich bliebe. Wir wachen in dieser Hinsicht schon darüber. Das bleibt nicht unverbindlich. Das Verteidigungsministerium unter Verteidigungsminister Apel bringt das, was auf den Weg zu bringen ist, schon dorthin, wohin es gehört. ({3}) Der Zustand der Bundeswehr, wie er hier geschildert ist, ist ohne Frage solide und nicht so, wie er dargestellt wurde. Ich will nur darauf hinweisen: Wenn wir etwas Ähnliches an vergleichbaren gesellschaftlichen Einrichtungen hätten, dann stießen wir, sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition, ohne Frage auf ähnliche, gleich starke oder sogar noch größere Mängel. Man muß sich vergegenwärtigen, daß von 1970 bis 1980 der Anteil der Sozialausgaben von 1,7 auf 2,8 Milliarden DM angewachsen ist, d. h. daß hier eine echte Leistungsbilanz in den einzelnen Bereichen vorliegt. ({4}) - Da ist noch nicht das eingefügt, was hier erst vor kurzem beschlossen wurde. Sehr richtig, Herr Kollege Würtz. Ohne Frage: Die Grundrechtsverstöße sind verhältnismäßig gering. Dennoch sind sie wichtig. Es ist wesentlich, daß der Wehrbeauftragte sie auch hier kritisch angeführt hat. Es ist nicht möglich, in diesem Zusammenhang alle Probleme darzustellen und kritisch zu behandeln. Deshalb gestatten Sie mir eine Auswahl einiger wichtiger Sachverhalte. Die Innere Führung ist nicht, wie so häufig dargestellt wird, im Abbau begriffen. Im Gegenteil; ich bin der Auffassung, daß das Verhältnis des Vorgesetzten zum Untergebenen menschlicher, spannungsfreier geworden ist und von höherem Verantwortungsbewußtsein geprägt ist, als dies jemals in deutschen Streitkräften der Fall war. Ich habe in diesem Zusammenhang mit großem Interesse auch die Darstellung einer internationalen Juristenkommission gelesen, die sich mit der Frage der Grundrechte, der Menschenrechte und des Freiheitsraums der Soldaten in den einzelnen Streitkräften beschäftigt. Dieser Kommission gehören übrigens auch einige Mitglieder aus den Ostblockstaaten an. Die Kommission kommt einhellig zu der Auffassung, daß kein Soldat in irgendeiner Streitmacht der Erde einen derart gesicherten Rechtsraum hat, daß kein Soldat einen derartig großen Freiheitsraum hat, wie dies bei der deutschen Bundeswehr, bei unseren Soldaten der Fall ist. Ich glaube, darauf sollten wir stolz sein; denn dies ist doch nicht nur die Sache einer Regierung, sondern dies ist das Ergebnis dessen, was wir alle miteinander erarbeitet haben. Infolgedessen dürfen Sie auch nicht ständig schwarz in schwarz zeichnen. ({5}) Keine Frage, die zunehmende Bürokratie hemmt den Einsatzwillen und lähmt auch die Innere Führung als Menschenführung, weil sich der Soldat zu vielen und zu unübersichtlichen Erlassen und Anordnungen gegenübersieht. Allerdings muß auch festgestellt werden, daß ein großer Teil dieser Erlasse und Anordnungen auf Grund von Forderungen der Truppe selbst produziert werden. Gewiß gibt es in Einzelfällen geradezu kindisches Verhalten von Vorgesetzten wie bei jenem Obristen - er wurde von Dr. Wörner das letzte Mal zitiert -, der seine Dienststelle mit einer Verfügung über den Gebrauch des Genitivs beschäftigt. Entscheidend ist jedoch, dem Absicherungsverhalten entgegenzuwirken. Der Bericht der de Maiziere-Kommission darf nicht verstauben, sondern er muß brauchbar umgesetzt werden. Deshalb bitte ich vor allen Dingen, über den Raum des Parlaments hinaus zu beachten: unsere Soldaten dürfen auch ruhig einmal einen Fehler machen. Das Absicherungsverhalten fordert immer wieder neue Anordnungen, bindet die Soldaten generell dann in der Regel und hemmt sie in der eigenen Entfaltung. Lieber einmal einen Fehler machen lassen, als mit ständig neuen Anordnungen an die Bundeswehr, an die Soldaten kommen. ({6}) - Sehr verehrter Herr Kollege, Sie wissen ganz genau, daß das nicht eine neue Praxis ist. Sie wissen auch, daß der allergrößte Teil tatsächlich aus dem Bereich der Bundeswehr selber produziert wird. Dem muß man auch einmal entgegenstehen, und zwar seitens aller politischen Parteien. ({7}) Wir haben jüngst in Passau bei einem Garnisonbesuch mit der Arbeitsgruppe „Sicherheit" der SPD- Fraktion ein Beispiel erlebt. Da ging es um die Forderung neuer Ausgleichsformen hinsichtlich der Heimfahrten. Wir haben sehr eindeutig gesagt: wir sind nicht dazu bereit, das System der pauschalen Abgeltung in irgendeiner Weise zu verändern, weil das natürlich wieder eine neue Bürokratie entstehen lassen würde. Das muß dann auch von anderen, von uns allen getragen werden. Der Wehrbeauftragte tritt als Mahner in Fürsorgeangelegenheiten für die Soldaten auf. Zu Recht stellt er das Sozialstaatsprinzip in das Spannungsfeld zu anderen Grundentscheidungen: zur Verfassung, zu Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie. Notwendig in diesem Zusammenhang ist aber vor allen Dingen die Beseitigung der größten Schwachstellen bei Unterkünften in einem Sofortprogramm. Damit hat sich ja auch schon der Verteidigungsausschuß beschäftigt. Ein anderer wichtiger Komplex - er wird sicherlich in der Debatte über das Weißbuch noch eine Rolle spielen - ist das Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft. Die Einstellung der Bundeswehr zu Staat und Gesellschaft entspricht derjenigen anderer Gesellschaftsgruppen. Bundeswehr und Gesellschaft haben ein Verhältnis, das man weithin als problemlos bezeichnen kann und bezeichnen muß. Die Bremer Vorkommnisse sind nicht symptomatisch für die Einstellung unserer Gesellschaft gegenüber der Bundeswehr. Das möchte ich ausdrücklich sagen. ({8}) Ich möchte auch hier dem Fraktionsvorsitzenden der SPD für seine schnelle und seine gute Reaktion danken. ({9}) Ich begrüße des weiteren für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Haltung des Bundesverteidigungsministers, nicht zurückzuweichen, wenn irgendwelcher zusammengekarrter Politmob gegen die Bundeswehr antritt, sondern auch das Gelöbnis öffentlich dort vorzunehmen, wo es zweckmäßig und notwendig erscheint. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Kollege Horn, würden Sie mir nicht bestätigen, daß Ihre Genossen in Bremen - bis hin zu den Jusos und Jungdemokraten - doch mit zu denen gehörten, die diese Zustände in Bremen provoziert haben, und wären Sie bereit, das, was Sie hier gesagt haben, auch auf Ihren Parteitagen und den Juso-Parteitagen, in der Öffentlichkeit so lautstark zu vertreten, wie Sie es hier tun?

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Biehle, Ihre Singularisierung enthielt schon den Fehler, daß Sie auch von den Jungdemokraten als meinen Genossen sprachen. Das trifft ganz sicher nicht zu. Ich warne davor, generalisierend zu sagen: d i e Sozialdemokraten, d i e Jungsozialisten. Ganz entscheidende Gruppen der Jungsozialisten haben sich nicht nur von den Vorgängen, sondern auch von der Vorgeschichte distanziert. ({0}) Die Zunahme der öffentlichen Anerkennung der Bundeswehr ist doch ausgesprochen erfreulich. In früheren Jahren war der Streit um die Bundeswehr, um ihre gesellschaftliche Anerkennung in der Bundesrepublik durchgängig schwerwiegend und belastete das Verhältnis vieler Bürger zur Bundeswehr und umgekehrt das Verhältnis der Bundeswehr gegenüber vielen Gesellschaftsgruppen. Indem heute über 80 % der Bevölkerung die Bundeswehr für notwendig erachten und sie unterstützen, haben wir in dieser Hinsicht eine Zustimmung, wie sie noch nie in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden war. Das sollten wir doch als erfreuliche Tatsache zur Kenntnis nehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein weiteres Wort an Sie richten. Ich bin nicht der Auffassung, daß sich eine solche Angelegenheit für einen parteipolitischen Streit eignet. In der Bundeswehr haben wir Anhänger und Mitglieder aus allen demokratischen Parteien. Sie wissen doch selber, daß wir über 500 Soldaten als Abgeordnete aller demokratischen Parteien in Kreis- und Stadtparlamenten haben. Und nach ihren Sitzungen trinken sie dann gemeinsam ein Glas Bier. Sie sind in der Sache Vertreter der politischen Parteien und zugleich auch Vertreter dieses Staates, den sie alle bejahen. Deshalb eignet sich eine solche Angelegenheit nicht für einen parteipolitischen Streit. ({1}) - Sehr verehrter Herr Kollege Damm, es sollte keine gesellschaftliche Gruppe mit Unterstellungen belegt werden. Man sollte auch nicht versuchen, sich in irgendeiner Weise ein Monopol für die Zustimmung zur Bundeswehr zu eigen zu machen und andere herauszudrängen. Dies würde nicht nur eine andere Partei politisch treffen, sondern auch die Bundeswehr als solche schädigen, denn die Bundeswehr ist auf die Zustimmung aller Demokraten in der Bundesrepublik angewiesen. Es darf also hier kein Monopol geben. ({2}) Ich begrüße vor allem, daß Vereine, Verbände und Gewerkschaften eine zunehmend bundeswehroffene Haltung einnehmen und sich verstärkt um die Soldaten der Bundeswehr kümmern. Es hat nicht nur in Bremen eine Vereidigung gegeben. Es hat im Jahre vorher ein öffentliches Gelöbnis auch im Ruhrpott gegeben. Bei dieser Vereidigung sprach der Vorsitzende einer großen Industriegewerkschaft, unser Kollege Adolf Schmidt. Ich finde, dies ist ein ausgezeichnetes Symbol für die Versöhnung von Arbeiterschaft und Bundeswehr, bewaffneter Streitmacht. Und genau dies brauchen wir. ({3}) Zum Schluß weise ich noch auf einen anderen Punkt hin, nämlich die Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß wir in bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft zu viel Bürokratie und zu viele Gesetze haben. Davon ist auch die Bundeswehr betroffen. Aber manchmal, scheint mir, haben wir auch eine Art Bürokratie hier im eigenen Parlament. Ich begrüße die Worte, die gestern der Bundestagspräsident in seiner Eigenschaft als Bundestagsabgeordneter hier gesprochen hat, nämlich daß es an der Zeit sei, dem Wehrbeauftragten - ich zitiere wörtlich - endlich ein Gesetz zu geben, das ihm auch gebührt. Ich sage hier öffentlich: Die im Bundestag vertretenen politischen Parteien sind sich einig. Es ist an der Zeit, dieses Gesetz in den Gang der parlamentarischen Verhandlung zu bringen. ({4}) Dem Herrn Wehrbeauftragten und seiner Dienststelle spreche ich noch einmal herzlichen Dank und Anerkennung für seinen sachlichen und guten Bericht aus, der uns allen als Abgeordneten einen Impuls geben kann. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung. ({0})

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es muß ja nicht immer Möllemann sein. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Namen der FDP-Bundestagsfraktion begrüße ich den Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Denn dieser Bericht zeigt, daß der Wehrbeauftragte wie schon in den vergangenen Jahren mit Herz, mit Blick für das Machbare und mit den Erfahrungen, die er in seinen verantwortungsvollen Ämtern im Bereich der Sicherheitspolitik und der Bundeswehr sammeln konnte, den Dingen auf den Grund gegangen ist und Vorschläge gemacht hat, die, dessen bin ich sicher, im Bundesministerium der Verteidigung immer große Beachtung finden. Gerade deshalb greife ich das auf, was der Kollege Horn zum Schluß sagte und was vorhin durch die Anträge, dem Wehrbeauftragten das Rederecht einzuräumen, deutlich wurde. Es ist jetzt an der Zeit, die gesetzliche Ausgestaltung seines Amts so vorzunehmen, daß eine reibungslose Durchführung seines Kontrollauftrags möglich ist. Ich verweise daher auf die Anregungen, die bereits sein Vorgänger, unser Freund Fritz-Rudolf Schultz, gemacht hat und bitte im Sinn dessen, was Herr Kollege Horn vorgetragen hat, alle Fraktionen, dafür zu sorgen, daß wir möglichst rasch diese vernünftige gesetzliche Ausgestaltung durchsetzen. ({0}) Lassen Sie mich nun zu einigen uns wichtig erscheinenden Punkten des Jahresberichts Stellung nehmen. Zum zweitenmal stellt der Wehrbeauftragte seinem Bericht voran: „Die Innere Führung wurde von den Soldaten im wesentlichen angenommen.' Wir stimmen diesem Urteil im großen und ganzen zu. Aber ich möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß es immer wieder großer Anstrengungen bedarf, wenn die Bundeswehr diesem Urteil weiter gerecht werden soll. Selbst für eine Armee, die sich von vielen anderen Streitkräften auch in der westlichen Welt durch ein hohes Maß von Integration in der Gesamtbevölkerung auszeichnet, besteht immer wieder die Gefahr einer wenigstens teilweisen geistigen Abkapselung. Zu denken sollte uns beispielsweise das Verhalten einiger Offiziere bei der diesjährigen Kommandeurstagung der Bundeswehr geben. Sie begleiteten die Aufforderung des Generalinspekteurs an die anwesenden Jornalisten, den Saal zu verlassen, mit nicht zu überhörendem Applaus. Zu denken geben sollte uns auch die Vielzahl unzulässiger Eingriffe in die grundgesetzlich geschützte Sphäre der Soldaten, die nach Aussagen des Wehrbeauftragten auch in dem zur Diskussion stehenden Berichtszeitraum wieder keine geringe Bedeutung haben. Was hier unter Verzicht auf Einzelbeispiele vom Wehrbeauftragten festgestellt wird, zeigt deutlich, daß sich in der Bundeswehr noch immer oder gar zunehmend ein spezifischer Stil der Lebens- und Dienstzeitgestaltung auswirkt, der sich von dem der Umwelt in einer wenig erfreulichen Weise unterscheidet. Der Wehrbeauftragte spricht in diesem Zusammenhang von entwürdigender Behandlung Untergebener, von rüdem Ton und obszöner Sprache, ja von mangelndem Wert- und Rechtsbewußtsein. Dergleichen aber wird in keiner Weise den Anforderungen einer Armee in der Demokratie, in keiner Weise deutschen soldatischen Traditionen und auch in keiner Weise der Tatsache gerecht, daß die Bundeswehr eine Armee ist, in der zu einem außerordentlich großen Teil Wehrpflichtige Dienst tun, die unter großen persönlichen Opfern zu unserer Sicherheit beitragen. Es gilt hier auf der Hut zu sein. Das heißt vor allem auch, sich noch engagierter als bisher um die Bundeswehr zu kümmern, in die Bundeswehr hineinzugehen, wo immer sich für den zivilen Bürger die Gelegenheit dazu bietet, ihre Verteidigungsveranstaltungen zu besuchen, sie in ihrem Auftrag, den sie für unsere Sicherheit leistet, nicht allein zu lassen. Seit die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag als erste daruf hingewiesen hat, daß der Mensch in der Bundeswehr wieder in den Mittelpunkt von Denken, Planen und Dienstgestaltung treten muß, hat es jedoch auch Fortschritte gegeben. Dies zeigt auch der Bericht des Wehrbeauftragten. Die FDP hat damals festgestellt: Menschenführung und Fürsorge leiden unter einem immer stärker um sich greifenden Spezialisten- und Funktionärstum; der Mensch wird Mittel zum Zweck. Verbessert werden muß der Führungsstil durch mehr Delegation, um Entscheidungsfreude, Verantwortungsbereitschaft und geistige Mobilität zu erhöhen. Jede Möglichkeit der Mitgestaltung der Soldaten aller Ebenen muß genutzt werden. Die Schule für Innere Führung muß moralisch, personell und organisatorisch stärker un- terstützt werden. Die Besuche von Lehrgängen für Innere Führung, politische Bildung müssen für Kommandeure und Einheitsführer obligatorisch werden. Ein großer Teil dieser von uns geschilderten Positionen und Forderungen wurde vom Bundesministerium der Verteidigung inzwischen berücksichtigt. Die Einsetzung der Kommission zum Ausgleich der Dienstzeitbelastung, der neue Auftrag an die Schule der Bundeswehr für Innere Führung, die soziale Bestandsaufnahme sind nur einige Beispiele dafür, daß hier, erste und bedeutende Schritte in die richtige Richtung gemacht worden sind. Auch der Wehrbe18316 auftragte bestätigt dies, vor allem im Hinblick auf die Fortschritte an der Schule für Innere Führung. Allen diesen Maßnahmen wird der Erfolg jedoch versagt bleiben, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen durch eine Haltungsänderung der Verantwortlichen in der Bundeswehr geschaffen werden. Ich denke hier vor allem an das sogenannte Effizienzdenken in der Bundeswehr. Im Streben nach optimalen, aber auch maximalen meßbaren Leistungen kommt der Mensch in den Streitkäften noch immer zu kurz. Was dann dabei wirklich herauskommt, ist nur scheinbare Effizienz. Denn wo der Mensch nicht ausreichend berücksichtigt wird, wo er Rädchen im Getriebe wird, wo seine Fähigkeiten, vor allem die zum selbständigen Denken und Handeln, und sein Wunsch, mitzuarbeiten und mitzugestalten, zu kurz kommen, kann wirkliche Leistung nicht erbracht werden. Auch die ständige Überbelastung durch Manöver und Sonderdienste trägt nicht zu engagierter Mitarbeit der Soldaten bei. Unsere Forderung lautet daher: Die Verantwortlichen in unserer Bundeswehr müssen wieder den Mut finden, weniger perfekt zu sein. Oft verbirgt sich aber hinter dem sogeannten Effizienzdenken das Karrieredenken. Dieses Denken wird zu einer zunehmenden Belastung in der Bundeswehr und für ihren Auftrag. Wer nur an sein eigenes Fortkommen denkt, kann keine Menschen führen. Unsere Forderung lautet daher: Das Betriebsklima muß durch stärkeres Hervorheben der Menschenführung verbessert werden. Dies erfordert eine Führungsauswahl, welche die Fähigkeiten und Kenntnisse in Fürsorge, Menschenführung und politischer Bildung stärker berücksichtigt. Dies muß auch für die Beurteilung der Führer gelten. Beim Hervorheben der Nachteile des um sich greifenden Karrieredenkens gebietet es aber auch die Fairneß, darauf hinzuweisen, daß der Verwendungs- und Beförderungsstau in der Bundeswehr zu diesem Mißstand selbstverstsändlich nicht unwesentlich beigetragen hat. Er ist darüber hinaus auch zu einer Belastung der Schlagkraft unserer Bundeswehr geworden, weil er eine Überalterung der Führer zur Folge hat. Niemand sollte verschweigen, daß das Problem des Verwendungs- und Beförderungsstaus nur mittelfristig gelöst werden kann. Aber das ändert nichts an unserer Forderung, Herr Minister, daß die Soldaten jetzt wissen müssen, welche Lösung herbeigeführt werden soll und was der Betroffene von ihr für sein persönliches Fortkommen erwarten kann. ({1}) Im gleichen Zusammenhang muß auch ein weiterer Mißstand erwähnt werden, der zu einem immer größeren Ärgernis der Bundeswehr wird. Gemeint ist hier der ständig größer werdende Abstand zwischen Offizieren, die die Führungsakademie der Bundeswehr besucht haben, und den Truppenoffizieren. Auch dies widerspricht deutschen soldatischen Traditionen und im übrigen zeitgemäßen gesellschaftspolitischen Auffassungen auf das schärfste. Da ist Sand im Getriebe der Bundeswehr. Zu der unbezweifelbaren Leistungsfähigkeit unserer Generalstabsoffiziere sollte sich wieder deren traditionelle Bescheidenheit gesellen. Dies ist im wesentlichen eine Erziehungsaufgabe der Führungsakademie der Bundeswehr. Im übrigen ist nicht einzusehen, warum Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten in der Bundeswehr so gestaltet sind, daß für denjenigen Offizier, der das Ziel, die Führungsakademie der Bundeswehr zu absolvieren, verfehlt hat, für den Rest seines beruflichen Lebens keine gleichwertige Qualifikationsmöglichkeit mehr besteht. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat in diesem Zusammenhang einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht. Er sagt in seinem Jahresbericht, der Bundesminister der Verteidigung sollte erwägen, ob der Sonderlehrgang Gesamtverteidigung auch für bewährte Oberstleutnante und Fregattenkapitäne geöffnet werden könne, die nicht den Verwendungslehrgang Generalstabs-/Admiralstabs-Dienst durchlaufen haben. Dies deckt sich mit unserem Vorschlag, den entsprechenden bewährten und erfahrenen Stabsoffizieren die Möglichkeit zu geben, sich durch Teilnahme an Lehrgängen für Verwendungen zu qualifizieren, die bisher Generalstabs- oder Admiralstabsoffizieren vorbehalten waren. Die Bevorzugung der letztgenannten Offiziere ist auch deshalb nicht mehr einzusehen, weil sich in vielen Fällen aus Generalisten reine Spezialisten mit entsprechenden Verwendungsreihen ergeben haben. Lassen Sie mich nun noch einige Worte zu den Hochschulen der Bundeswehr sagen. Wir unterstreichen nachhaltig die Feststellung des Wehrbeauftragten, daß die Bedeutung der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Anteile im Fachstudium unvermindert bedeutend ist. Dem wird an den Hochschulen der Bundeswehr noch immer unzureichend Rechnung getragen. Im übrigen wird an der Hochschule der Bundeswehr auch manche andere Chance versäumt, den zukünftig in der Bundeswehr Verantwortlichen so auszubilden und zu erziehen, daß er den Herausforderungen einer Armee in der Demokratie gerecht werden kann. Ich spreche hier vor allem von der Tatsache, daß die Zusammensetzung und die Aufgabenstellung des Konvents in viel zu geringem Maße die Möglichkeiten der Mitgestaltung der studierenden Offiziere ausschöpfen. Wir unterstützen daher in vollem Umfang das Petitum der Vertreter dieser Offiziere an den Hochschulen der Bundeswehr in Hamburg und München nach Direktwahl von Studentenvertretern, die nicht Fachbereichsvertreter sind, in den Konvent und nach Erweiterung der Konventsaufgaben über die Belange des Fachbereichs hinaus. Wir sind gegen eine Dienstgestaltung an der Hochschule der Bundeswehr, die in einem Infanteriebataillon sinnvoll sein mag, an der Hochschule der Bundeswehr jedoch nichts anderes als Ballast für die Studenten bedeutet, die durch das Studium ohnehin in einem hohen Maße belastet sind. Welchen Sinn sollten z. B. Kasernenzaun und Wache an einer Hochschule ,haben? Welchen Sinn sollen Beurteilungen haben, bei denen Gesichtspunkte militärischen Verhaltens und nicht die Studienleistung ausschlaggebend sind? Zusammengefaßt laufen unsere Forderungen auf die Förderung von Eigenständigkeit und Mitgestaltungsmöglichkeiten der studierenden Offiziere hinaus. Dies erscheint uns um so notwendiger, als wir für mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten der Soldaten auch in den Einheiten der Bundeswehr eintreten. Die FDP-Fraktion erwartet, daß sich der Wehrbeauftragte im laufenden Berichtsjahr intensiv mit der Frage der Mitgestaltung der Soldaten befaßt. Wir erinnern an unseren Vorschlag, breitangelegte Modellversuche in der Bundeswehr auf der Grundlage der positiven Erfahrungen durchzuführen, wie sie bereits in einigen Kompanien und Bataillonen bei entsprechenden Versuchen gemacht wurden. Dort konnten die Soldaten, in entsprechende Gruppen aufgeteilt, bei voller Aufrechterhaltung der Verantwortung der Vorgesetzten an der Dienstgestaltung mitarbeiten, auf Mängel hinweisen und Verbesserungsvorschläge machen. Mehr Mitgestaltung würde darüber hinaus mehr Identifizierung der Soldaten mit ihrem Auftrag, mehr Motivation und eine weitere Erhöhung der Leistungsfähigkeit des einzelnen und unserer Bundeswehr insgesamt bedeuten. Sie ist im übrigen eine zwingende Konsequenz aus der Kernforderung der Inneren Führung. Mitgestaltung bedeutet freilich nicht Mitbestimmung. Der Auftrag der Bundeswehr verbietet Mehrheitsentscheidungen. Diejenigen Soldaten, die sich gegen die von uns vorgeschlagene Mitgestaltung wehren, sollten nicht vergessen, daß auch in der Bundeswehr auf die Dauer die Gefahr von Regelungen besteht, bei denen die Möglichkeiten individueller Mitgestaltung Schaden nehmen kann und eine Mitbestimmung von Funktionären nicht auszuschließen ist. Die FDP hat immer wieder betont, daß Innere Führung so lange nicht glaubwürdig praktiziert werden kann, wie der Soldat und seine Angehörigen nicht in vollem Umfange an den sozialen Vorzügen unserer Gesellschaft teilhaben. Ich will mich hier gar nicht mehr auf einzelne Beispiele einlassen; im Bericht des Wehrbeauftragten und im Anhang sind viele dargestellt. Aber an dieser Stelle darf nicht verschwiegen werden, daß die oben erwähnte soziale Bestandsaufnahme viele Mißstände auch bagatellisiert. ({2}) Auch der vom Bundesminister der Verteidigung oft zitierte Satz „Die Soldaten haben am sozialen Standard der Gesellschaft teil" verschleiert die tatsächlichen Probleme. ({3}) Zwar hat es, Herr Kollege, auch hier Fortschritte gegeben; das wollen wir ja nicht leugnen. Ich nenne nur den Dienstzeitausgleich oder die Erhöhung einer Zahl von Zulagen, für die wir uns gemeinsam - aber ich darf für unsere Fraktion sagen, insbesondere wir mit besonderem Engagement - eingesetzt haben. ({4}) - Das ist doch wohl nicht zu leugnen! - Aber all dies können nur erste Schritte auf dem Wege der Entlastung der Soldaten und ihrer Angehörigen sein. Nach wie vor bleibt es - vor allem für Soldaten in der Truppe - bei einer Dienstzeitbelastung, die auf Dauer nur schwer zu verantworten ist und die auch eine besondere Belastung für die Familienangehörigen der Soldaten bedeutet.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle? - Bitte.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jung, Sie sprachen eben vom „besonderen Engagement ihrer Fraktion" im sozialen Bereich der Bundeswehr. Würde Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß Ihr soziales Engagement nur so weit ging, daß Sie insbesondere bei der Abgabe von Presseerklärungen präsent waren, daß Ihre Fraktion aber bei den Abstimmungen im Verteidigungsausschuß gar nicht vertreten war? ({0})

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dem würde ich überhaupt nicht zustimmen, Herr Kollege Biehle. Ich habe eben von den Zulagen gesprochen, die wir gemeinsam durchgezogen haben, und ich darf daran erinnern, daß ich selbst bei dieser Abstimmung im Verteidigungsausschuß zugegen war. Herr Kollege Biehle, ich bitte darum, solche Fragen, die suggerieren sollen, wir wären nicht präsent gewesen, nicht zu stellen, wenn die Tatsachen andere sind. Ich weise das mit aller Entschiedenheit zurück. ({0}) Bestehen bleibt nach wie vor das Problem der häufigen Versetzung von Soldaten. Auch hierunter haben wiederum die Familien, vor allem die Kinder, zu leiden. Vor diesem Hintergrund wirken die kleinlichen Trennungsgeldregelungen geradezu absurd. Wir schließen uns der Forderung des Wehrbeauftragten nach einer großzügigeren Trennungsgeldregelung, aber auch nach einer Verbesserung der Umzugskostenpauschale an. Wir alle, meine Kollegen, haben ja bei unseren Besuchen in der Truppe die Gelegenheit, über die Beispiele, die der Wehrbeauftragte bringt, hinaus Fälle kennenzulernen. Ich will es mir versagen, hier auf einzelne einzugehen. Es ist aber wirklich unerträglich, wie Soldaten - beispielsweise auch solche, die aus dem Ausland zurückkommen - durch diese Trennungsgeldregelung und andere Übergangslösungen behandelt werden. Hier müssen rasch Verbesserungen herbeigeführt werden. Im Zusammenhang mit dem Problem der Dienstzeitbelastung begrüßen wir die Weisung des Generalinspekteurs, daß jedes Übungsvorhaben genauestens auf seine Notwendigkeit hin zu überprüfen ist. Wir werden gelegentlich überprüfen, welchen Erfolg diese Weisung gehabt hat. Im Zusammenhang mit dem Problem der Versetzungshäufigkeit unterstreichen wir. die Forderung des Wehrbeauftragten nach mehr Information als Mittel der Fürsorge. So sollte die Herausgabe einer Umzugsfibel baldmöglichst erfolgen. Eine solche Fibel sollte dann allerdings auch - den Forderungen vieler Soldatenfamilien entsprechend -Ratschläge dazu enthalten, wie das Einleben in eine neue Gemeinde, in eine neue Umwelt erleichtert werden kann. Freilich ist es auch hier in erster Linie Aufgabe der Soldatenfamilien selbst, den neu hinzugezogenen bei der Integration zu helfen. Die Tätigkeit von Sozialarbeitern sollte noch stärker unterstützt werden. Es muß wieder die Möglichkeit geschaffen werden, sich unmittelbar an die Sozialarbeiter zu wenden. Der Weg über den Leiter der Standortverwaltung erscheint hier aus einsichtigen Gründen unzweckmäßig. Schließlich darf hier vielleicht auch einmal ein unkonventioneller Vorschlag gemacht werden. Wir meinen, daß sich Bundesminister der Verteidigung, Wehrbeauftragter, aber auch wir, die Abgeordneten, uns bei Truppenbesuchen nicht ausschließlich mit den Soldaten, sondern auch einmal mit den Familien, mit den Frauen über die Belastungen der Familien unterhalten sollten. ({1}) - Wir tun das schon, aber wahrscheinlich nicht ausreichend, Frau Kollegin Tübler. ({2}) - Es ist in Ihrem Falle, was ja auch selbstverständlich ist, sicher etwas stärker der Fall gewesen. ({3}) Ich gebe diese Anregung, weil ich auf Grund meiner Gespräche, die ich mit den Familien geführt habe, glaube, daß das notwendig ist. Lassen Sie mich abschließend zu dem Problem der mangelhaften Unterkünfte in zahlreichen Kasernen der Bundeswehr ein Wort sagen. Der Wehrbeauftragte hat hier ein Sofortprogramm gefordert. Wir haben uns dieser Forderung angeschlossen und haben dabei auch verlangt, daß die vorgesehenen Neubaumaßnahmen für die Endunterbringung des Bundesministeriums der Verteidigung auf der Hardthöhe ({4}) in wirtschaftlich vertretbarem Rahmen zeitlich so zu strecken sind, daß ab 1981 von den für diese Bauvorhaben eingeplanten Mitteln jährlich etwa 20 Millionen DM eingespart werden. Dieses Geld sollte für das Sofortprogramm zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, ({5}) um die Sanierung von Kasernen in kürzerer Zeit abzuschließen. ({6}) Ich habe mich hier bewußt nicht auf die Details eingelassen, denn die sind, wie gesagt, in Hülle und Fülle im Bericht des Wehrbeauftragten enthalten. Ich möchte abschließend dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern im Namen meiner Fraktion sehr herzlich für den ausgezeichneten Bericht danken und ihn ermuntern, in diesem Sinne in seiner bisherigen Tätigkeit fortzufahren. Er hat dabei die volle Unterstützung der Freien Demokraten. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Wehrbeauftragte. Berkhan, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich am Anfang herzlich danken, daß es auch im Jahre 1980 möglich ist, in dieser Zeit hier den Bericht zu beraten. Ich weiß, daß die letzten Wochen dieses Deutschen Bundestages angebrochen sind und daß Sie noch umfangreiche Programme auf der Tagesordnung haben. Wenn Sie sich dennoch Zeit nehmen, den Jahresbericht zu erörtern, so ist das für mich ein deutliches Zeichen dafür, welches Gewicht sie den Problemen der Truppe und welchen Stellenwert Sie dabei den Erkenntnissen Ihres Hilfsorgans, mir und meinen Mitarbeitern zumessen. Ich nehme außerdem dankbar zur Kenntnis, daß Sie gestern mit der Verabschiedung einer neuen Geschäftsordnung unter anderem auch die Voraussetzungen erleichtert haben, unter denen der Wehrbeauftragte bei der Beratung seines Jahresberichts ({0}) über eine erste Stellungnahme hinaus auch ein weiteres Mal die Gelegenheit zu Äußerungen hat. Ich verspreche Ihnen, daß ich maßvoll davon Gebrauch machen werde. Ich verspreche Ihnen auch, daß ich mich nicht in den parteilichen Streit einmischen werde. Mir ist dieser Hinweis auch deshalb besonders wichtig, weil in der Berichterstattung über meinen Jahresbericht, und zwar aus dessen Vorbemerkungen, die zu einem großen Teil die Novelle zum Wehrbeauftragtengesetz und deren nach wie vor ausstehende parlamentarische Beratung und Beschlußfassung behandeln, die falsche Schlußfolgerung gezogen worden ist, es bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen Parlament bzw. Verteidigungsausschuß einerseits und mir auf der anderen Seite. Ich bedaure zwar, daß der Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode nicht beraten werden konnte, möchte aber betonen, daß ich keine Veranlassung habe, mich über die Zusammenarbeit mit dem Parlament und insbesondere über die Zusammenarbeit Wehrbeauftragter Berkhan mit dem Fachausschuß des Parlaments, dem Verteidigungsausschuß, zu beklagen. Ich hoffe, daß auch das Wehrbeauftragtengesetz in der nächsten Legislaturperiode alsbald eine neue Fassung erhält ({1}) Für mich ist die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zu dem Jahresbericht konstruktiv und von einer Haltung geprägt, die davon ausgeht, daß Kritik ohne Vorbehalte aufgenommen wird und daß meine Kritik als das gewertet worden ist, was sie auch sein sollte, nämlich als Anregung und Angebot und nicht als Besserwisserei. Herr Kollege Weiskirch, ich möchte in diesem Zusammenhang auf Ihre Bemerkung über ein Interview eingehen, welches ich gegeben habe. Ohne Zweifel mußte ich dabei einiges einstecken; es ist sicher nicht sehr glücklich gewesen. Aber ich war von dem Gedanken getragen, daß das Parlament, daß Sie und Ihre Kollegen, Herr Weiskirch, auf allen Seiten des Hauses rechtzeitig zur Kenntnis nehmen, wie die Entwicklung der Jahrgänge läuft Ich habe dann ein paar Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt - nicht vorgeschlagen - und am Ende gesagt, das Parlament müsse sich schlüssig darüber werden, in welcher Richtung es marschieren wolle. Ich habe keine Ratschläge zu geben, wie das Parlament entscheidet; aber ich muß Sie darauf hinweisen dürfen, daß die jetzt heranwachsende Generation das Recht hat zu wissen, daß eventuell die eine oder andere Lösung den einen oder die andere in unserem Volke betrifft Ich glaube nicht, daß ich mich damit auf das Gebiet der Parteipolitik begeben habe. ({2}) Vielleicht habe ich meine Kompetenzen etwas überdehnt ({3}) Ich habe auch von den Damen in diesem Haus entsprechende Hinweise erhalten. Ich nehme sie also zur Kenntnis und stehe nicht an zu sagen: ich will mich bessern. ({4}) Der Bundesminister der Verteidigung hat eine Fülle meiner Anregungen aufgegriffen und über weite Strecken in seiner Stellungnahme, die vorliegt, ({5}) zum Ausdruck gebracht, daß er meine Auffassung zu einer Vielzahl von Fragen teilt Daneben gibt es aber auch in diesem Jahr Punkte, zu denen kontroverse Auffassungen vertreten werden und auch bestehen. Darüber werden wir mit dem Bundesminister der Verteidigung, mit dem Fachausschuß und mit dem Parlament weiter im Gespräch bleiben. Wir werden versuchen, in der Diskussion im Interesse der Soldaten einen gemeinsamen Nenner zu finden. Ich gehe davon aus, daß alle Seiten zumindest gutwillig sind. In diesem Zusammenhang möchte ich anmerken, daß ich in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung wiederum einmal als ein „Sachwalter der ligitimen Interessen der Soldaten„ bezeichnet werde. Ich weiß sehr wohl, daß dies anerkennend gemeint ist, und so empfinde ich das auch. Gleichwohl muß ich hier der Gefahr eines auch anderswo zu beobachtenden Mißverständnisses entgegenwirken. Erster Sachwalter der Interessen der Soldaten sind Sie, Herr Bundesminister der Verteidigung. ({6}) Beim Schutz der Grundrechte und beim Schutz der Grundsätze der Inneren Führung dient meine Tätigkeit hoffentlich von Zeit zu Zeit auch dem Interesse der Soldaten. Als Hilfsorgan des Bundestages liegt mein Aufgabenschwerpunkt hingegen in der Unterstützung der parlamentarischen Kontrolle. Ich brauche hier nicht zu betonen, daß damit von mir in starkem Maße kritische Distanz und nicht Identifizierung verlangt wird. Ich versuche, diesem Anspruch gerecht zu werden. ({7}) Ein unterschiedliches, wenn auch überwiegend positives Echo hat es gefunden, daß ich in dem Abschnitt „Grundrechte" des Jahresberichts erstmalig von einer breiten Falldarstellung abgegangen bin und mich darauf beschränkt habe, die von mir überprüften Vorgänge in einer Zusammenschau kritisch zu würdigen und auf die mir dabei wesentlich erscheinenden Aspekte hinzuweisen. Das hatte nun wirklich nichts damit zu tun, daß mit dem Minister glimpflicher verfahren werden sollte oder daß er gar der Schonung bedürfe. ({8}) Ich kenne Herrn Apel über eine Reihe von Jahren, ({9}) und er liebt es eigentlich, wenn er nicht geschont wird. So wie er im Fußball seinen Mann steht, kann er es auch in der politischen Diskussion ganz gut vertragen, wenn man ihn hart anpackt. ({10}) Es ging also nicht um Schonung, sondern ich glaubte, dies tun zu sollen, um Ihnen als den Adressaten des Berichts die für die parlamentarische Beratung wesentlichen Punkte in geraffter Darstellung aufzuzeigen. Gleichzeitig wollte ich damit erreichen, daß die Berichterstattung über den Jahresbericht nicht zu einer Überbewertung und Verallgemeinerung plakativer Einzelfälle mißrät und die übergreifenden grundsätzlichen Aussagen aus dem Blick geraten. Auch in diesem Jahr hat es sich allerdings nicht ganz verhindern lassen, daß die im Jahresbericht dargestellten Details über Mißstände in beispielhaft ausgeführten Bereichen, z. B. Unterkünften, vielfach Wehrbeauftragter Berkhan in den Mittelpunkt der Berichterstattung gestellt und zur Schlagzeile erhoben wurden. Zur Klarstellung halte ich es allerdings für notwendig, noch einmal zu betonen, daß auch in diesem Berichtsjahr ernst zu nehmende Eingriffe in die Menschenwürde und in das Recht auf körperliche Unversehrtheit unverändert meine Aufmerksamkeit beansprucht haben. ({11}) Die Resonanz des Ministeriums zeigt hingegen, daß dies auch verstanden worden ist und dort die Bemühungen fortgesetzt werden, durch Ausbildung und Erziehung so weit wir irgend möglich gegen Grundrechtsverletzungen Vorkehrungen zu treffen. Meine frühere Aussage, daß die Grundsätze der Inneren Führung von den Soldaten angenommen sind, halte ich aufrecht Daran ändert sich auch nichts, weil nach wie vor und immer wieder gegen die Grundsätze der Inneren Führung verstoßen wird. Jahr für Jahr treten 200 000 Soldaten in die Bundeswehr ein. In dem gleichen Zeitraum werden jeweils mehr als 30 000 Soldaten zu Unteroffizieren ausgebildet Daraus wird deutlich, daß ständig ein Neuanfang auf dem Hintergrund sich wandelnder Anschauungen und Lebensbedingungen nötig ist und uns Fehler sowie Versagen bei der Handhabung der Grundsätze der Inneren Führung weiter begleiten werden. Diese Negativquote so klein wie möglich zu halten, ist der Anspruch, dem sich jeder Vorgesetzte verpflichtet wissen und zu dessen Erfüllung er ausgebildet werden muß. ({12}) Auch als eine Hilfe für die Innere Führung habe ich eine repräsentative Fragebogenaktion gesehen, die ich über die Ursachen der Suizidversuche von wehrpflichtigen Soldaten durchgeführt und über deren Ergebnisse ich dem Verteidigungsausschuß in einem Einzelbericht am 30. Januar 1979 berichtet habe. Dabei hat sich nicht ergeben, daß unter den wehrpflichtigen Soldaten der Bundeswehr, die sich zu einem solch bedauernswerten Schritt entschließen, andere Motive vorherrschen als sonst in unserer Gesellschaft. Probleme des militärischen Dienstes spielen nicht d i e Rolle, die manchmal unterstellt wird. Da sich die in der Fragebogenaktion erfaßten Fälle in der Zeit vom 1. Juni 1976 bis 31. Mai 1977 zugetragen haben, erwäge ich eine Wiederholung dieser Aktion, um zu erkennen und zu überprüfen, ob die Erkenntnisse der ersten Befragung durchtragend auch noch in dieser Zeit von Bedeutung sind. Denn wenn es nur gelingt, einen einzigen jungen Mann davon abzuhalten, leichtfertig mit seinem Leben umzugehen, meine ich, lohnt sich diese aufwandsreiche Arbeit, die erhebliche Kapazität meiner Mitarbeiter bindet. ({13}) Im Jahresbericht habe ich den Hochschulen der Bundeswehr wieder - wie davor schon 1976 und 1977 - einen breiten Raum eingeräumt. Diesmal steht der Stellenwert der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Anteile - wir haben uns daran gewöhnt, diesen Komplex EGA zu nennen; wir haben schon so eine eigene Sprache dafür - im Vordergrund. Die beiden Hochschulen arbeiten hier nach unterschiedlichen Konzepten, deren Bewertung erst nach dem Ende der Erprobungsphase möglich sein wird. Der für den 1. Oktober 1981 vorgesehene Abschluß dieser Erprobungsphase soll auf Vorschlag des Wehrbeauftragten verschoben werden. Ich begrüße das. Die an den Hochschulen der Bundeswehr im Berichtsjahr insgesamt zu verzeichnende Beruhigung sollte nicht dazu verführen - da denke ich, Herr Jung, haben Sie recht -, diesen Bereich als problemlos anzusehen. Auch hier ist noch manches zu tun, wenn ich auch von einer fortschreitenden Konsolidierung ausgehe. Ein besonderer Abschnitt ist der Führungsakademie gewidmet. Dabei ergibt sich eine Reihe von Fragen insbesondere zu dem Grundlehrgang im Rahmen der Fortbildungsstufe C für Offiziere, aber auch zu den Verwendungslehrgängen. Es wird überprüft werden müssen, ob der Grundlehrgang seine Funktion als Auswahllehrgang für Stabsoffiziere nach wie vor erfüllt, obwohl die Durchfallquote praktisch gleich Null ist. Daran knüpft sich auch die Frage an, ob nicht als Konsequenz daraus zu hohe Laufbahnerwartungen entstehen, die dann später zu Enttäuschungen und Frustrationen führen. In diesem Zusammenhang habe ich auch die Frage angesprochen, ob zwischen dem Grundlehrgang und den weiterführenden Verwendungslehrgängen und der Ernennung zum Stabsoffizier nicht jeweils ein zu langer Zeitraum liegt. Der Bundesminister der Verteidigung läßt alle diese und weitere Fragen zur Zeit durch eine Arbeitsgruppe zur Fortentwicklung der Fortbildungsstufe C ab 1983 prüfen. Dieses Datum bietet sich darum an, weil dann die ersten Absolventen der Bundeswehrhochschulen am Grundlehrgang teilnehmen werden - so schnell vergehen die Jahre. Der Beförderungs- und Verwendungsstau ist mehr und mehr eines der beherrschenden Themen für die personelle Führung der Streitkräfte. Ich habe dazu wiederholt - und auch in diesem Jahresbericht - meine Meinung dahin gehend formuliert, daß für mich die Bewältigung des Verwendungsstaus Vorrang hat, weil er sich unmittelbar auf die Einsatzbereitschaft der Truppe auswirkt Der Beförderungsstau steht in einem sehr engen Zusammenhang zum Verwendungsstau, so daß die Lösung des einen Problembereichs auch weitgehend die Lösung des anderen zur Folge haben wird. Auf Grund der Klagen über den Beförderungsstau habe ich mich zu dem Hinweis veranlaßt gesehen, daß die Laufbahnerwartungen in den Streitkräften - wie übrigens sonst auch im öffentlichen Dienst - wohl bescheidener werden müssen. Die allgemeine Haushalts- und Stellensituation, der Abschluß der Aufbauphase und eine unorganische Altersschichtung der heute Berufstätigen als Spätfolge des ZweiWehrbeauftragter Berkhan ten Weltkrieges stellen jetzt erstmals eine ganze Generation in den schmerzhaften Prozeß des Umdenkens. Auch hielt ich es für notwendig, im Jahresbericht auszusprechen, daß es den Soldaten nicht schlechter geht als anderen Bürgern und der Soldat nicht etwa am Ende der sozialen Stufenleiter steht Ich möchte allerdings hier nicht unerwähnt lassen, daß die Vergleiche mit anderen Berufsfeldern eben nur sehr bedingt passen. Der vorhandene Unterschied wird dabei sehr häufig vergessen oder vernachlässigt. Mich hat ein großer Verband, der die Interessen der Soldaten besonders vertritt, in berechtigter Wahrnehmung dieser Interessen daran gemahnt, daß die Soldaten z. B. die 40-Stunden-Woche oder überhaupt eine Arbeitszeitregelung nicht kennen - sie können das auch nicht - und daß sie auch sonst in vielerlei Hinsicht Berufsbedingungen unterliegen, die mit anderen Berufsgruppen eben nicht vergleichbar sind. Ich möchte meinen Beitrag zu diesem Kapitel aber auch nicht ohne die Bekräftigung der Feststellung in meinem Jahresbericht abschließen, derzufolge es eine Reihe von Aspekten gibt, die eine Auflösung - und wenn dies aus finanziellen Gründen eben nicht möglich ist -, zumindest Ventile verlangen; hier rede ich insbesondere von dem Beförderungsstau. Dem Abschnitt „Fürsorgeangelegenheiten" habe ich einige grundsätzliche und übergreifende Bemerkungen zu dem Abhängigkeits- und Spannungsverhältnis zwischen den verfassungsrechtlichen Eckpfeilern Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat vorangestellt. Der Standort der Inneren Führung läßt sich immer nur im Kontext zu diesen Wertentscheidungen und zu ihren jeweiligen Ausformungen in der Verfassungswirklichkeit richtig bestimmen. Im Blick auf die Sozialstaatskomponente kann daher z. B. - und das möchte ich hier noch einmal wiederholen - das heute Angemessene morgen ein Zuwenig, aber vielleicht übermorgen schon ein Zuviel sein. Wir haben das immer im gesamten Zusammenhang mit der übrigen Bevölkerung zu sehen. Insgesamt bin ich der Meinung, daß die sozialen Leistungen heute für die Soldaten in ihrer Gesamtheit einen angemessenen, einen ausreichenden Standard haben, obgleich viele Schwachstellen vorhanden sind. Mit diesen Feststellungen will ich die vorhandenen Mängel nicht herunterspielen. Ein deutliches Wort habe ich hier hinsichtlich der Situation im Infrastrukturbereich gesprochen. Es gibt - und das beunruhigt mich - nicht nur vereinzelt Unterkünfte, die unzulänglich und im Einzelfall sogar menschenunwürdig sind. Beispiele habe ich im Jahresbericht genannt. Diese haben ein lebhaftes Echo gefunden. Das Ministerium habe ich insofern zu einem Sofortprogramm aufgefordert. Der Minister hat seine Vorstellung dazu entwickelt und auch bereits im Verteidigungsausschuß am 18. Juni dieses Jahres im Zusammenhang mit seinem Infrastrukturprogramm vortragen lassen. Hier sind schnelles Handeln in der nahen Zukunft und eindeutige Prioritätensetzung nötig. Es darf nicht eintreten, daß neben der Modernisierung der Waffensysteme nicht mehr genügend Geld bleibt, um den Soldaten überall angemessene - keine übertrieben ausgestatteten - Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. ({14}) Lassen Sie mich zum Schluß kommen und am Ende meiner ersten Amtsperiode feststellen: Ich lege die Zusammenstellung über meine Anregungen und Vorschläge in den Jahresberichten 1975 bis 1978 vor und berichte über den Stand ihrer Erledigung. Zu meiner eigenen Überraschung, Herr Weiskirch, handelt es sich dabei um nahezu 100 Empfehlungen, die Wiederholungen von früher schon einmal angesprochenen Anregungen nicht eingeschlossen. Davon ist etwa die Hälfte als erledigt zu betrachten. Das ist schon ein bißchen was. ({15}) Wenn ein Teil meiner Vorschläge aus verschiedenen Gründen nicht heute und auch nicht morgen schon für die Praxis nutzbar gemacht werden konnte - es kann ja auch vorkommen, daß der Verteidigungsminister meine Auffassung einmal nicht teilt, es kann ja wohl auch vorkommen, daß ich Auffassungen habe, die wirklich so abseitig sind, daß Sie sie nicht teilen -, ziehe ich im ganzen aus diesem Ergebnis doch eine positive Bilanz, für die ich mich bei diesem Hause und beim Bundesminister der Verteidigung und seinen Mitarbeitern herzlich bedanken möchte. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe und gehe davon aus, daß der Präsident des Deutschen Bundestages dem Verteidigungsausschuß in der nächsten Woche, in der eigentlich keine Ausschußsitzungen stattfinden sollen, die Möglichkeit gibt, dennoch zu tagen. Dann werden wir sicherlich zum Bericht des Wehrbeauftragten eine ganze Reihe von Detailfragen zu erörtern haben, die ich deswegen heute in meine ersten Stellungnahme auch nicht einbeziehen werde. Dann muß auch deutlich gemacht werden, Herr Jung, daß es augenscheinlich Kommunikationsprobleme gibt. Sie haben eine Umzugsfibel angemahnt bzw. erbeten. Die gibt es bereits seit sechs Monaten. Diese und ähnliche Dinge müssen im Ausschuß so besprochen werden, daß wir einen gemeinsamen Informationsstand erreichen. Ich denke, ich sollte zu elf Punkten Stellung nehmen. Erster Punkt: Ihr Vorwurf bzw. Ihre Feststellung, Herr Weiskirch, der Wehrbeauftragte habe mich geschont ({0}) Meine Vorstellung von Demokratie geht nicht dahin, daß man sich gegenseitig massiv anpöbeln muß, um Meinungsverschiedenheiten deutlich zu machen. ({1}) - Nein, der Wehrbeauftragte hat ja in einer ganzen Reihe von Punkten durchaus kritische Anmerkungen gemacht. Nur er hat sie in einer Tonlage vorgebracht, wie sie unter Demokraten angemessen ist. Das empfehle ich uns allen, insbesondere Ihnen, Herr Kohl. ({2}) Damit bin ich dann auch bei den kritischen Anmerkungen, Herr Weiskirch. Sie haben gesagt, wir seien mit den Erledigungsvermerken schludrig umgegangen und wir hätten bei einer ganzen Reihe von Anmerkungen des Wehrbeauftragten Fehlanzeige gemeldet. ({3}). Ich habe mir soeben den Bericht und die Erledigungsvermerke angeschaut. Es gibt eine ganz geringe Anzahl von Wünschen, von Vorschlägen des Wehrbeauftragten, bei denen das Ministerium gesagt hat: Wir machen das nicht. Ich will Ihnen zwei vortragen, die ich in der Eile der Vorbereitung meiner Intervention herausgegriffen habe. Nr. 1: Der Wehrbeauftragte empfiehlt die Oberprüfung des Erlasses des Generalinspekteurs der Bundeswehr aus dem Jahre 1973, mit dem Ziel, das Tragen der Uniform bei Grobkundgebungen von Berufsorganisationen generell zu verbieten. Ich bin hier anderer Meinung, und wir bleiben auch anderer Meinung. Wir sollten uns durch ein derartiges Verbot - bei Großkundgebungen von Berufsorganisationen das Tragen der Uniform grundsätzlich zu verbieten - nicht - wenn ich das einmal so sagen darf - aus der Fläche zurückziehen, wobei ich andererseits den Herrn Wehrbeauftragen durchaus verstehe. Die gegenwärtige Regelung des Uniformtragens in der Offentlichkeit führt immer wieder zu Schwierigkeiten , nicht zuletzt am 1. Mai, aber auch bei Veranstaltungen des Bundeswehrverbands. Es hat darüber ja auch eine Kontroverse gegeben. Die von dem Herrn Wehrbeauftragen empfohlene Regelung wäre für uns leichter; aber ob sie im Sinne der Demokratie wäre, weiß ich nicht. Insofern bin ich hier der Meinung, das Ministerium tut gut daran, wenn es sagt: Wir leben lieber mit einer komplizierten Regelung als mit einer einfacheren. Da gibt es einen Dissens. Der Herr Wehrbeauftrage vertritt die Interessen der Soldaten, die in Probleme geraten könnten, wenn sie Uniform tragen bei einer Veranstaltung, die dann politisch wird. Wir sind der Meinung: Wir müssen mit diesem Problem leben. In einem zweiten Punkt - auch das will ich nur als Beispiel anführen - sind wir nicht der Meinung des Herrn Wehrbeauftragen. Er hat uns 1978 gebeten, Fußsprühanlagen in den Wasch- und Duschräumen der Bundeswehr einzubauen, um dem verbreiteten Fußpilz zu begegnen. Nun muß ich ganz offen sagen: Hier bin ich natürlich überhaupt kein Experte. Ich muß den Fachabteilungen meines Hauses glauben, wenn sie mir sagen, Kosten-Nutzen-Analysen hätten ergeben, Herr Wehrbeauftragter, daß eine solche Investition in keiner vernünftigen Kosten-Nutzen-Relation steht. (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Dem möchte ich ausdrücklich zustimmen» Reduzieren wir einmal das Ganze auf das, was es ist: Es gibt eine Reihe von Vorschlägen des Herrn Wehrbeauftragten, die aus Gründen der KostenNutzen-Relation nicht übernommen werden. Es gibt einige grundsätzliche Fragen; eine habe ich angesprochen. Insgesamt ist das Urteil von Ihnen, Herr Abgeordneter der Opposition, nicht zutreffend. Ich möchte aber -gern in drei Bereichen auf Probleme aufmerksam machen und sie auch nicht verschweigen. Sie haben darüber ja geredet. Das erste ist die Frage der Besoldung. Ich denke doch, daß wir am Ende dieser Legislaturperiode, insbesondere am Ende dieses Haushaltsjahres 1980 - das Parlament wird ja kaum noch haushaltswirksame Beschlüsse nach dem 5. Oktober fassen -, mit Befriedigung feststellen können, daß wir alle zusammen - ich füge hinzu: unter der Federführung des Ministeriums - einiges erreicht haben. Wir haben doch in einer ganzen breiten Palette die Zulagen erhöht Wir haben für 1 100 Hauptfeldwebel Stellenanhebungen durchgesetzt. Wir haben den Dienstzeitausgleich mit 150 Millionen DM durchgesetzt Dies war doch alles nicht einfach. Es hat im übrigen auch mancher Kunststücke bedurft, um ein Paket aus einem Gesetz herauszunehmen, das im Bundesrat zu scheitern drohte. Ich bitte doch sehr, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieses Jahr 1980, was die Besoldung anlangt, ein erfolgreiches Jahr ist, ein soziales Jahr ist, ein Jahr, in dem bei der Bundeswehr soziale Dinge in Ordnung gebracht worden sind. ({4}) - Der Wehrsold wird im nächsten Jahr erhöht, wenn wir das Geld haben. Nur, hochverehrter Herr Abgeordneter, in einem Punkt muß ich allerdings auf eine - gestatten Sie mir diese Bemerkung - doppelte Moral aufmerksam machen. Man kann doch nicht in demselben Haus bei einer anderen Veranstaltung ununterbrochen über die Verschuldung des Bundes lamentieren und bei der nächsten Veranstaltung ununterbrochen neue Versprechungen vorlegen oder gar ihre Realisierung verlangen. ({5}) Ich bin also sehr dafür, daß die Kirche im Dorf bleibt, daß wir stolz auf das sind, was wir einvernehmlich gemacht haben, daß wir auch den Soldaten sagen: Das, was geht, wird künftig gemacht. Es ist nicht die Zeit für Versprechungen, wenigstens nicht die Zeit der Versprechungen auf seiten der Koalitionsparteien. Was den Beförderungs- und den Verwendungsstau anlangt, so haben wir auch in diesem Jahr über eine ganze Reihe von Stellenhebungen einen Beitrag zu seinem Abbau geleistet. Nun möchte ich Sie erneut an Ihre eigene Vergangenheit der letzten Wochen und Monate erinnern. Wer war es denn hier im Deutschen Bundestag, der bei der Haushaltsberatung so stolz darauf war, daß eine ganze Reihe von Stellenhebungen im Haushaltsausschuß gestrichen worden waren? Und wer war es denn, der am Ende dennoch eine ganze Reihe von Stellenhebungen zur Verwirklichung des Heeresmodells 4 und damit auch zum Abbau des Beförderungs- und Verwendungsstaues durchgesetzt hat? Das war doch die Mehrheit dieses Hauses. Also bitte schön, lassen Sie uns doch nicht in dieser Art und Weise miteinander umgehen. Wir haben für den Haushalt 1981 eine ganze Reihe von Stellenhebungen angemeldet. Dann wird sich ja zeigen, was durchsetzbar ist. Ich stimme dem Urteil des Herrn Wehrbeauftragten ausdrücklich zu: der Verwendungsstau - beim Beförderungsstau sehe ich die Dinge ähnlich nuanciert wie der Herr Wehrbeauftragte - ist ein wichtiges Thema. Lassen Sie mich zu einer dritten Bemerkung kommen. Hier ist kritisch nach den Konsequenzen des de Maizière-Berichtes gefragt worden, nach den Konsequenzen des Berichtes, der die Bundeswehr beweglicher, weniger bürokratisch werden lassen soll. Wir werden hoffentlich in der nächsten Woche auch darüber reden können. Von den 127 Empfehlungen haben wir in mühseliger Arbeit 53 abgehakt. Dies sind teilweise kleine Brocken, bei denen man sich manchmal fragt, ob sich der Einsatz des Ministers lohnt. Aber wenn es darum geht, den Einheitsführer vor Ort von Bürokratie zu befreien, ihm die Möglichkeit zu geben, auch freihändig Material zu kaufen und nicht erst bei der Standortverwaltung mit Bergen von Formularen antreten zu müssen, um drei Schleifsteine zu bekommen, dann ist es des Einsatzes des Ministers wert, weil es nämlich dann um den Mann geht. ({6}) - Bitte? ({7}) - Na, wenn er z. B. irgend etwas schärfen muß. Das braucht er bei Ihnen ja nicht; Sie sind ja immer scharf genug, die Herren von der CSU, das ist wahr. ({8}) - Also, meine Herren von der Opposition, ich bin doch für ein Mindestmaß an Ernsthaftigkeit bei dieser Debatte. ({9}) Lassen Sie mich zu dem Thema Alkohol kommen. Dazu haben Sie Bemerkungen gemacht. Wir können von seiten der Bundeswehr feststellen, daß das, was möglich ist, was geboten ist, auch getan worden ist. Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, daß die Bundeswehr Teil unserer Gesellschaft ist und daß damit auch zum Thema Alkoholmißbrauch außerhalb der Kaserne von seiten der Bundeswehr nur in sehr geringem Maße beigetragen werden kann. Hier stehen wir vor einer allgemeinen, einer generellen Herausforderung. Dies gilt nicht für meine fünfte Bemerkung, die die Unterkünfte betrifft. Hier sollten wir allerdings - das tun Sie auch, Herr Wehrbeauftragter - die Dinge sehen, wie sind. 90 % der Unterkünfte der Bundeswehr sind in Ordnung, 10 % der Unterkünfte bedürfen der Sanierung. Das ist die erste Feststellung, damit wir nicht so tun, als lebten unsere Wehrpflichtigen, die 500 000 Soldaten allesamt in unbefriedigenden und falschen und schlechten und miesen Unterkünften. Dies stimmt nicht. ({10}) - Gut, sind wir uns einig. 90 % sind in Ordnung, vielleicht zu sehr in Ordnung. Wenn ich manchmal die Marmorpracht vergangener Jahre sehe, frage ich mich, ob nicht auch übertrieben gebaut worden ist Aber das ist nun Historie, Stein gewordene Historie. Was ist jetzt mit den verbleibenden 10 % zu tun, den zu sanierenden Unterkünften? Ich erkläre hiermit vor dem Deutschen Bundestag, daß wir angesichts auch künftiger Haushaltsschwierigkeiten jährlich bis zu 20 Millionen DM vom weiteren Ausbau der Hardthöhe wegnehmen werden. Es kann nicht so sein, daß die Hardthöhe zügig ausgebaut wird und draußen im Lande Sanierungsmaßnahmen bei den Kasernen unterbleiben. Schon vor der Beschlußfassung des Ausschusses erkläre ich als der zuständige Minister: auch die Beamten auf der Hardthöhe müssen die Last mittragen, wenn es darum geht, vor Ort Kasernen zu sanieren. Dies ist meine Zusage zu diesem Thema. ({11}) Ansonsten hat der Herr Wehrbeauftragte zutreffend berichtet. Das Sofortprogramm ist angelaufen. Prioritäten werden gesetzt werden, und zwar wehrbereichsübergreifend. Auch hier geht es nicht darum, allen Wehrbereichen, wenn Sie so wollen, Quoten zu lassen, sondern man muß schauen, wo die größten Notstände sind, und dann handeln. Sechste Bemerkung. Sie, Herr Weiskirch, sagen: Die Heimatferne-Problematik ist immer noch nicht gelöst. Sie wissen genau so gut wie ich, daß sie nicht lösbar ist. Die Standorte der Bundeswehr sind eben nicht dort, wo die große Zahl der Wehrpflichtigen anfällt. Deswegen bleibt uns überhaupt nichts anderes übrig, als ein Mindestmaß an Heimatferne zu ak18324 zeptieren. Aber ich muß Ihnen sagen: Die Dinge sind besser geworden, und auch der vielgeschmähte Computer hilft Ich darf die siebente Bemerkung gleich anschließen. In einem Punkt lasse ich mit mir überhaupt nicht handeln: Es bleibt dabei, daß es Benzingeld für Wehrpflichtige nicht geben wird. Das ist sicherlich nicht populär. ({12}) - Dann wollen wir eine Sekunde über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit reden. Erstens ist die heimatnähere Einberufung erreicht worden. Nur bei der Marine gibt es weiterhin dicke Probleme. Das ist klar. Die Marine ist eben normalerweise an der Küste. Aber wenn wir von der Marine absehen, ist es besser geworden. Zweitens hat jeder Wehrpflichtige jetzt einen Freifahrtschein - Intercity - für jedes Wochenende. Drittens ermuntern wir ausdrücklich die Einheitsführer, Dienstschluß und Dienstbeginn sowie Transport von und zu den Bahnhöfen so zu gestalten, daß Härten vermieden werden. Da muß man sich nicht sklavisch an Vorschriften halten. Auch dies gehört zur Inneren Führung: daß man Mut hat, etwas zu tun, was sozial gerechtfertigt ist, in der Bundeshaushaltsordnung aber vielleicht nur in Grenzen Abdekkung findet ({13}) Dann kann man die Dinge in Ordnung bringen. Bei mir kommt keiner an, der sich wegen Überschreitungen in solchen Kleinigkeiten beschwert. ({14}) - Darf ich den Gedanken zu Ende führen, Herr Abgeordneter Wörner? Dann sehr gern. Vierte Bemerkung: Ich bin sehr dagegen, über die Gewährung von Benzingeld noch mehr junge Leute in Lebensgefahr zu bringen, ({15}) indem wir sie veranlassen, sich auf die ,,NATO-Rallye" zu begeben, die an jedem Wochenende Elend über Familien und junge Menschen bringt ({16}) Natürlich würde Benzingeld den Anreiz weg von der Bahn hin zum Auto verstärken. Das ist doch gar keine Frage. ({17}) Es kommt ein weiterer Grund hinzu. Wer Benzingeld will, wird Bürokratie wollen müssen. Das will ich auch erläutern. Wenn wir dem Wehrpflichtigen A und dem Wehrpflichtigen B Benzingeld geben und beide zusammen in einem Auto fahren, dann ist das ein Tatbestand, der auch disziplinar zu beachten ist. Ich habe aber überhaupt keine Lust, diese Art von Bürokratismus noch zusätzlich einzuführen. Letzte Bemerkung, meine Herren vom Verteidigungsausschuß: Wer für Benzingeld ist, muß auch sagen, wo die 400 Millionen DM herkommen sollen. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner? - Bitte.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Sie fragen, ob Sie sich jemals mit der Situation jener Wehrpflichtigen vertraut gemacht haben, die in sogenannten Einödstandorten eingezogen sind, denen selbst die Verbindung zum nächsten Bahnhof - sie müßten diesen Weg im übrigen im Wagen zurücklegen - nichts hilft, weil die Fahrzeiten der Bundesbahn zurück zur Heimat zwischen acht und zehn Stunden liegen? Denen würde ich an Ihrer Stelle diese Antwort geben. Sie würden auf totales Unverständnis stoßen. Ich darf doch fragen, ob Sie nicht bereit sind, in Ihrem Hause einmal eine Untersuchung anstellen zu lassen, wie viele dieser jungen Leute ohnehin mit dem Auto fahren und gar nicht anders können, so daß auch das weitere Argument, das Sie gebracht haben, völlig entfällt. ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Abgeordneter Wörner, Sie sind derzeit Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. ({0}) Lassen Sie uns die Debatte im Verteidigungsausschuß führen! Aber in einigen Punkten will ich Ihnen klar widersprechen. Erstens kann es - und ich denke, das können wir alle bestätigen - keine Regelung geben, in der wir sagen: für die ja und für jene nein. Dann muß es eine generelle Regelung, eine Regelung für alle geben. Das ist doch wohl selbstverständlich. Es ist doch sonst nicht verfassungsfest, wenn wir sagen: ihr ja und ihr nein. ({1}) Zum zweiten werden Sie mir Antwort darauf geben müssen, wo das Geld herkommen soll. Zum dritten sage ich Ihnen: Auch in dieser Frage geht es nicht darum, Pkw-Benzingeld zu bezahlen, sondern darum, die Einheitsführer zu ermuntern, auch in Einödstandorten für das Wochenende - notfalls durch die Zusammenfassung von freien Tagen - Regelungen zu finden, die die Benutzung der Eisenbahn ermöglichen. Lassen Sie mich zu meinem achten Punkt kommen: Gesundheitsfürsorge. Stimmt; die Situation ist nicht so, wie es wünschenswert ist Aber Sie wissen genauso gut wie ich, daß dies damit zusammenhängt, daß wir derzeit nicht in der Lage sind, trotz einer angeblich bevorstehenden Ärzteschwemme genug beamtete Ärzte bei der Bundeswehr einzustelBundesminister Dr. Apel len. Wir sind hier in genau dem gleichen Dilemma, das es bei allen Dienstposten medizinischer Art im öffentlichen Dienst gibt. Hier fehlt uns Nachwuchs. Wir hoffen, daß es besser wird. ({2}) - Sofort! Zu den Bremer Krawallen will ich nur noch einen Satz sagen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir zu dieser Frage eine gründliche Debatte in diesem Haus gehabt haben, daß dieses Haus sich in der Ablehnung der Krawalle einig war, daß aber die große Mehrheit dieses Hauses durchaus der Meinung ist, daß man über Traditionen, auch über Traditionen der Bundeswehr, auch über Traditionen der Kirchen, auch über Traditionen der Gewerkschaften sehr wohl geteilter Meinung sein kann und daß Traditionen nichts Sakrosanktes sind. Ich verweise im übrigen auf die zehn Grundsätze zur Tradition im Weißbuch. Das können wir ja gleich noch debattieren. Insofern sollten wir, meine ich, die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses abwarten. Wir stehen mit unserem Sachverstand zur vollen Aufklärung der Probleme zur Verfügung.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Biehle, bitte.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß aus dem Kreis der wehrpflichtigen Ärzte, die zudem den Vorteil haben, vor ihrem Wehrdienst zu studieren, nur knapp 50 % echt den Wehrdienst leisten, und sind Sie bereit, mehr dafür zu sorgen, daß dieser Personenkreis wie jeder andere in diesem Land die Wehrpflicht erfüllt?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ich bin gern bereit, dies zu untersuchen. Nur, das war nicht der Ansatzpunkt der Kritik Ihres Kollegen. Der Ansatzpunkt der Kritik Ihres Kollegen ist, daß 15 Monate Wehrpflichtarzt nicht das an ärztlicher Versorgung geben können, was ein Arzt, der auf Dauer bei der Bundeswehr beschäftigt ist, geben kann. Da haben wir die Personalprobleme. Dort werden wir über die Sanitätszentren versuchen gegenzusteuern. Lassen Sie mich zu meinem vorletzten Punkt kommen: Innere Führung. Ich denke, Herr Wehrbeauftragter, meine Damen und Herren, Innere Führung bedeutet nicht nur, von den Führern zu verlangen, daß sie Innere Führung praktizieren. Wir müssen auch von den Wehrpflichtigen und denen, die unterstellt sind, verlangen, daß sie Zivilcourage zeigen und Innere Führung abfordern. Innere Führung ist nicht allein eine Bringschuld, sondern sie ist auch eine Holschuld. Mir macht eigentlich mehr Sorge, daß zu wenig Innere Führung abverlangt wird. Aber in einem Punkt stimmen wir sicher voll überein: Es darf und es wird keine Einschränkung des Petitionsrechts aller Soldaten geben, ({0}) weder an den Verteidigungsausschuß, noch an den Wehrbeauftragten, noch an mich. Sie wissen genau so gut wie ich, daß viele Wehrpflichtige und Soldaten sich direkt an mich wenden. Das wird auch so bleiben. Damit bleiben wir in einem Spannungsverhältnis zwischen Befehl und Gehorsam auf der einen Seite - Befehl und Gehorsam bleiben erhalten - und dem Recht des Staatsbürgers in Uniform. Dies läßt sich im übrigen nicht in Verordnungen festschreiben, sondern es ist ein dynamisches Verhältnis. Der letzte Punkt: Ausbildungsstätten der Bundeswehr. Herr Wehrbeauftragter, ich möchte hier nicht zur Führungsakademie und zu Ihren Bemerkungen darüber Stellung nehmen. Daran ist sicher manches Erwägenswerte. Aber Sie selber haben darauf aufmerksam gemacht, daß die Führungsakademie vor einem Einschnitt steht. Spätestens dann, wenn die ersten Absolventen der Bundeswehrhochschulen kommen, wird einiges neu geregelt werden müssen. Was nun die Bundeswehrhochschulen anlangt, Herr Abgeordneter Jung, so warne ich doch vor einigen Mißverständnissen. Dies sind Universitäten - unbestritten! Aber natürlich sind dies auch militärische Institutionen. Deswegen warne ich uns davor, eine Vorstellung zu entwickeln, die so in die Richtung geht, wir könnten nun das Recht und die Spielregeln normaler Universitäten quasi unbesehen auf die Bundeswehrhochschulen übertragen. ({1}) - Ich komme darauf gleich zurück. - Hier kommt es auf eine genaue Abwägung des Für und Wider an. ({2}) - Ich darf die Überlegung vielleicht zu Ende führen, Herr Abgeordneter Möllemann; dann läßt es sich für Sie auch einfacher fragen. - Im übrigen, Herr Abgeordneter Damm, gibt es ja gegen eine öffentliche Debatte über Inhalt und Ziel der Bundeswehrhochschulen überhaupt nichts einzuwenden, wenn dabei die Fakten berücksichtigt werden. ({3}) - Ja, gut, und deswegen nenne ich Ihnen jetzt die Fakten. ({4}) - Ihnen, meine Damen, meine Herren. ({5}) - Na, ich bitte Sie. Sie werden mir doch nicht sagen, was ich Herrn Engholm zu sagen habe. Im übrigen habe ich das schon getan. Also, gehen wir einmal zu den Fakten zurück, und das klang bei Herrn Jung auch so ein bißchen durch. Wenn ich Sie richtig verstanden habe: begleitende militärische Ausbildung, aber in Grenzen. Diese klingt auch ansonsten so durch. Ich habe mir nun soeben einmal die Fakten geben lassen, und die bele18326 gen, daß gar keine Rede davon sein kann, daß die begleitende militärische Ausbildung überborden und das akademische Studium einengen würde. ({6}) Die Fakten sehen so aus: sieben Stunden begleitende militärische Ausbildung im Monat Davon entfallen zwei Stunden auf den Sport, zwei Stunden auf die Sprachenausbildung und drei bis vier Stunden auf sonstige begleitende militärische Ausbildung. Also, lassen wir die Kirche im Dorf; nehmen wir das zur Kenntnis, was der Herr Wehrbeauftragte gesagt hat. ({7}) Die Konsolidierung der Bundeswehrhochschulen ist vorangekommen. Wir werden den Weg hier weitergehen müssen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, Herr Möllemann möchte eine Zwischenfrage stellen.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, können Sie sich nicht vorstellen, daß der Kollege Jung mit seinem Beitrag zu diesem Thema auf das Spannungsfeld hinweisen wollte, das notwendigerweise entsteht, wenn wir die gemeinsam vereinbarte Absicht verwirklichen, die Bundeswehrhochschulen auch für zivile Studenten zu öffnen - auf diese Absicht hat ja wohl auch der Parlamentarische Staatssekretär Engholm mit Recht hingewiesen, weil diese Vereinbarung getroffen worden ist? Bei der Verwirklichung eben dieser Absicht entsteht ein Spannungsfeld zwischen zivilen Studenten und ihrem Status und militärischen Studenten und ihrem Status ebenso wie logischerweise für jeden, der sich das Hochschulwesen anschaut - unabhängig von der Zahl der Stunden, über die Sie sprechen -, klar ist, daß natürlich auch ein Spannungsverhältnis zwischen akademischer Freiheit und militärischem Status entsteht Darauf hingewiesen zu haben ist vernünftig. Ich würde sie schon bitten, das, was Herr Kollege Jung hier vorgetragen hat, substantieller zu behandeln.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Ich will dazu gerne Bemerkungen machen. Erstens. Wir leben überhaupt nur von Spannungsverhältnissen. Ich bin nicht dagegen, eine spannungfreie Zeit oder ein spannungsfreies Leben zu wollen oder es gar an die Wand zu malen. Nur, das gibt es überhaupt nicht. Insofern halte ich die Spannung, in der sich militärische Anforderungen und akademische Anforderungen an den Bundeswehrhochschulen begegnen, für fruchtbar. Dies hat in einem hohen Maße auch dazu geführt, daß das wechselseitige Verständnis erhöht worden ist, daß wir aus der Spannung herausgekommen sind, die ich vorgefunden habe, als ich auf die Hardthöhe kam. Wenn dieses Spannungsverhältnis zum besseren Verstehen führt, ist es gut. Zweitens. Die Öffnung der Bundeswehrhochschulen für zivile Studenten will ich auch. Ich stelle mir manchmal die Frage, ob es vernünftig ist, angesichts der Tatsache, daß wir in Hamburg eine qualifizierte Bundeswehrhochschule haben, die auch im Bereich der Technik wohlausgestattet ist, in Hamburg eine Technische Universität zu bauen. ({0}) - Der ist in Hamburg. Deswegen rede ich auch in Hamburg darüber mit meinen Freunden. Aber anders als bei Ihnen wird bei uns ja debattiert; wir treten nicht nur zu Jubelfesten zusammen. ({1}) Drittens schließlich: Die Öffnung der Bundeswehrhochschulen für zivile Studenten hat mit dem Spannungsverhältnis zwischen militärischer und akademischer Ausbildung a priori nichts zu tun. Denn natürlich ist es durchaus denkbar, daß der zivile Student an der akademischen Ausbildung voll teilnimmt und der militärische Student daneben eine militärische begleitende Ausbildung von sieben Stunden im Monat macht Die Probleme, hochverehrter Herr Abgeordneter Möllemann, liegen ganz woanders; das wissen wir doch. Es gibt a) das Problem, daß wir von der Trimesterregelung nicht abgehen können; das will auch keiner. Aber dann gibt es natürlich b) sofort das Problem: Welcher Student, insbesondere wenn er mit Hilfe des BAföG studieren muß, kann sich ein Studium leisten, das ihn derart einspannt und ihm überhaupt keine finanziellen Möglichkeiten gibt, sein schmales Portemonnaie aufzubessern? Schließlich stellt sich c) die Frage: Wenn es die Trimesterregelung auf der einen Seite und die Semesterregelung auf der anderen Seite gibt, ist dann ein ziviler Student, wenn er sich für die Bundeswehrhochschule entschieden hat, gezwungen, das ganze Studium dort zu absolvieren, oder kann er wieder zurück an die zivile Hochschule? Letzteres ist heute schon ein unglaubliches Problem. Wegen der starken Verschulung auch an den allgemeinen Universitäten ist ja ein Studienortwechsel schwierig. Wir sollten die Dinge also so betrachten, wie sie sind. Hier gibt es faktische Probleme, auch Probleme militärischer Art. Sie sind aber lösbar. Ich bin zu jedem Gespräch bereit Ich mache eine abschließende Bemerkung. Herr Wehrbeauftragter, wir bedanken uns sehr herzlich bei Ihnen für Ihren Bericht Wir erwarten von Ihnen auch künftig kritische Begleitung. Wir sind davon überzeugt, daß Sie e i n - so steht es in unserer Bemerkung - Sachwalter der Bundeswehr sind. Das damit weder der Minister noch das Ministerium aus ihrer Verantwortung entlassen sind, wissen wir. Das werden wir auch künftig beachten. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Bericht des Wehrbeauftragten des Bundestages in Drucksache 8/3800 an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Präsident Stücklen Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zum Weißbuch 1979 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr - Drucksachen 8/3568, 8/4081 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Krone-Appuhn Möhring Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Voigt ({1}). Bitte.

Ekkehard Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002386, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Päsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede vorhin davon gesprochen, daß unter Demokraten eine gewisse Schonung üblich sei. Aber, ich glaube, es ist richtig, wenn ich hier sage, daß Sie eine harte Kritik in der Sache sicher nicht ausschließen. Der Wehrbeauftrage hat ja gesagt, „er kenne Sie so lange und man müsse Sie fordern". Ich werde versuchen, das in einigen Punkten zu tun. Ich möchte im Verlauf meiner Rede auch auf Ihren Hinweis eingehen, daß Sie zum Ende der Legislaturperiode angeblich doch eine Menge vorweisen könnten. Meine Damen und Herren, es ist eigentlich begrüßenswert, daß wir nach dreijähriger Pause nun endlich ein Weißbuch vorliegen haben. Damit ist die Möglichkeit gegeben, gleiche Bezugspunkte in der Diskussion und in der Auseinandersetzung zu haben. Aber es ist auch typisch, daß dieses ;,Buch" wieder einmal vieles unter den Teppich kehrt, viele notwendige Dinge verschweigt, die in der Öffentlichkeit eigentlich diskutiert werden müßten. Wenn im Vorwort steht - das ist der Anspruch, der hier gestellt worden ist -, es sei „eine Bilanz über zehn Jahre Sicherheitspolitik", „ein Programm für die kommenden Jahre, „eine Information über das, was die Regierung tut", dann ist das für uns ein Maßstab, mit dem wir dieses Weißbuch messen. Nach dreijähriger Pause wäre in der Tat auch eine gute Gelegenheit gegeben, eine klare Situationsbeschreibung, eine eindeutige Situationsbewertung vorzunehmen, aber auch die nötigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Wenn man dieses Weißbuch dann unter diesen Prämissen bewertet, ist es in der Tat konfus im Aufbau, weitschweifig im Inhalt, nebulös in der Beschreibung von Tatbeständen, ausweichend vor Erkenntnissen und eine Flucht vor Konsequenzen und längst überfälligen Maßnahmen. ({0}) Herr Minister, wenn Sie hier sagen es sei nicht die Zeit für Versprechungen, meine ich: Versprechungen setzen natürlich Planungen und Konzepte voraus, und die vermisse ich im Weißbuch. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dann, wenn ich zu einem Bereich übergehe, der im Weißbuch mit der Aussage angesprochen worden ist, es sei „ein Programm für die vor uns liegenden Jahre', zur Frage der sozialen Komponenten im Bereich der Bundeswehr einiges etwas deutlicher sagen. Im Gegensatz zu der angesprochenen Aussage ist festzustellen, daß im Weißbuch ein totales Defizit an konzeptionellen Vorstellungen und auch an Informationen für die Soldaten darüber, was in den nächsten Jahren an konkreten Abhilfemaßnahmen eingeleitet werden soll, vorherrscht. ({2}) Da ist das bedrückende Problem des Beförderungs- und Verwendungsstaus, zu dem das Weißbuch nicht einmal im Ansatz eine Lösungsmöglichkeit aufzeigt, die man in der Truppe als Signal dafür, daß sich wieder etwas bewegt, verstehen könnte. Man beschränkt sich, statt Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, auf Darstellungen sattsam bekannter Ursachen und Wirkungen des Beförderungs- und Verwendungsstaus. ({3}) Herr Verteidigungsminister, hier haben Sie eindeutig versagt, und zwar deshalb, weil auf Grund voraussehbarer Entwicklungen der Personalstruktur der Bundeswehr diese Misere seit zehn Jahren auf dem Tisch liegt, das Problem aber nicht gelöst worden ist. ({4}) Ich muß auch Ihrer Auffassung, daß sich in bestimmten Bereichen der Bundeswehr, etwa in der Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes, z. B. die Frage der Überalterung nicht nachteilig auswirkte und daß die Einsatzbereitschaft dadurch nicht gefährdet würde, ganz deutlich und energisch widersprechen. Hier geht es doch um die Belange der betroffenen Soldaten, und die spielen bei Ihnen anscheinend keine Rolle. Es wird doch immer wieder gesagt: „Der Mensch steht im Mittelpunkt". Das könnte man an einem solchen Beispiel tatsächlich sehr gut als unverbindliche Aussage entlarven. Zum Beispiel sagen Sie auch immer wieder, die Chancengleichheit in der Bundeswehr sei gewahrt, sei gegeben. Aber sie ist eben nicht gewahrt! Sie sagen etwa im Verteidigungsweißbuch: Nur 15 Unteroffiziere können in den Bereich der Offizierlaufbahnen aufsteigen. Vergleichen Sie doch diese Zahl mit der von 19 000 Offizieren! Da zeigt sich doch ganz eindeutig, daß eben keine Chancengleichheit vorhanden ist. Auch mit dem Bereich der hohen Dienstzeitbelastung setzen Sie sich nicht so auseinander, wie wir das wollen. Sicher, hier ist in letzter Zeit etwas geschehen. Aber hält die Bundesregierung die im Weißbuch geschilderte Dienstzeitbelastung von durchschnittlich 50 Stunden etwa für auf die Dauer Voigt ({5}) zumutbar? Oder wie machen Sie, Herr Verteidigungsminister, einem Wehrpflichtigen klar, daß er bei der sogenannten „guten Entspannungspolitik der Bundesregierung" in einem Flugkörpergeschwader 70 Stunden Dienst tun muß? ({6}) Hier hinkt doch die Bundeswehr in der Tat Jahre hinter den sozialen Errungenschaften unserer Gesellschaft her, wie dies im letzten Jahr auch der Herr Generalinspekteur treffend festgestellt hat. Auch zum Bereich der Versetzungen muß natürlich - lassen Sie mich das einmal andeuten - gesagt werden, daß diese einerseits aus Gründen der Mobilität unverzichtbar sind; aber im Weißbuch findet sich die Darstellung, daß diese Versetzungshäufigkeit „subjektiv empfunden" wird. ({7}) Meine Damen und Herren, dieses Problem ist objektiv vorhanden und bereitet gerade bei der Schul- und Berufsausbildung der Kinder, bei der Beschaffung einer neuen Wohnung und bei der Berufstätigkeit der Ehefrau außerordentliche Schwierigkeiten. ({8}) Eng verbunden mit dem Problem der Versetzungshäufigkeit ist auch das der Wohnungsfürsorge, das sich ja im Weißbuch deswegen in dieser Form darstellt, weil kein Programm aufgelegt oder vorgestellt wird. Die Aussagen reduzieren sich in der Tat, wie die Truppe sagt, auf ein Wohnungsvergabeprogramm, beziehen sich aber nicht auf eine wirkliche Wohnungsfürsorge. Sie, Herr Minister, sind aber oberster Dienstherr und zur Fürsorge verpflichtet. Da können Sie sich nicht herausstehlen! ({9}) Nun ein Wort zu den Wehrpflichtigen: Dann, wenn Sie hier so salopp sagen, Sie wollten im Bereich der Benzingeldregelung nichts für die Wehrpflichtigen tun, möchte ich von Ihnen einmal die Frage beantwortet bekommen, wie Sie das Problem lösen wollen, daß 40 % unserer Wehrpflichtigen überhaupt nicht mit der Bahn fahren können, weil es keine Verbindungen gibt. ({10}) Wir wollen hier auch deutlich sagen, daß wir für die sozial Schwächsten im Bereich der Bundeswehr, für unsere Wehrpflichtigen, die längst überfällige Wehrsolderhöhung durchsetzen wollen. Aber auch hier schweigt das Weißbuch. Wenn Sie hier sagen, Herr Minister, 10 % der Unterkünfte seien noch unbefriedigend, dann möchte ich auf Ihr Weißbuch verweisen, wo Sie unter Ziffer 335 sagen: Insgesamt müssen noch rund 75 900 Unterkunftsplätze in Ordnung gebracht werden. Ich darf Ihnen sagen, jeder einzelne Platz ist zuviel für die Soldaten, die darin wohnen müssen. ({11}) Da kann ich nur die Frage stellen: Was ist eigentlich in der vergangenen Zeit gemacht worden? Meine Damen und Herren, das Weißbuch geht im Abschnitt „Soziale Lage" von einer völlig falschen Lagebeurteilung aus, wenn es von einem „hohen Niveau" ohne „schwerwiegende Mängel und Lücken im Gesamtsystem" spricht. Das ist eine totale Verharmlosung der echten Lage. Wir als Union fordern: Den Soldaten muß endlich geholfen werden! ({12}) Warum sage ich das, meine Damen und Herren? Diese Aufgaben haben hohe Priorität, weil ihre Lösung in der Tat den Einsatzwert der Bundeswehr im Kern berührt. Hier geht es um Menschen, um ihre Motivation, um ihr Vertrauen in die Fürsorge und Entscheidung des Dienstherrn. Aber mit dem Weißbuch werden sie ins Abseits gestellt. Und jetzt komme ich auf Ihre Bemerkung zurück, was Sie bis zum Ende dieser Legislaturperiode alles gemacht haben. Ich kann hier nur feststellen: Das ist nicht der Fall. Lassen Sie mich auch eine Bemerkung zum Bereich der Personalstruktur machen. Wir wissen alle, daß in letzter Zeit strukturelle Probleme zunehmend der Bundeswehr die Erfüllung ihres Auftrages erschweren. Auch dazu schweigt das Weißbuch. Die Personaldecke ist im wahrsten Sinne des Wortes zu kurz. Dies ist auch eine Hauptursache für viele Probleme der Soldaten. Um so unverständlicher ist es, daß das Weißbuch überhaupt keine Ansätze bringt, wie diese Probleme gelöst werden sollen. Es sind für mich hohle Worte, wenn es dort heißt: Die Bundeswehr wird auch künftig das bekommen, was zur Erfüllung ihres friedensichernden Auftrags nötig ist. Dies steht im Vorwort. Gleichzeitig ist in der Truppe aber längst nicht mehr die Personaldecke vorhanden, um eine erfolgreiche Gefechtsausbildung durchzuführen. Es ist doch eine Tatsache, daß nachweislich 25 bis 30 % der Truppenteile beim Tagesdienst fehlen. Die Folge ist, es kann keine geschlossene Gefechtsausbildung durchgeführt werden. Man hat nichts als „zusammengestoppelte" Besatzungen, die zum Dienst antreten. Der Fehlbestand an Unteroffizieren im Tagesdienst ist ebenfalls hoch anzusetzen. Der Verteidigungsminister beharrt nach wie vor auf seinen Konzepten, die er auf Kosten der Truppe durchdrückt, nämlich Konzepte, entstanden aus Bildungseuphorie und Lehrgangsflut. Auf der anderen Seite steht dann im Weißbuch: „Personelle Überforderungen werden vermieden." Ich möchte einmal sehen, wie das praktiziert werden soll! In der Tat widerspricht sich das Weißbuch in dieser Position mehrfach. Einerseits heißt es, die „Personallage in den Streitkräften" habe sich „konsolidiert". Gleichzeitig wird an anderer Stelle darauf hingewieVoigt ({13}) sen, daß in der Truppe 11 044 Feldwebel fehlen. Das heißt, jede neunte Feldwebelstelle in der Luftwaffe, jede fünfte im Heer und jede sechste in der Marine ist unbesetzt. ({14}) Als geradezu töricht muß ich die Aussage des Weißbuchs herausstellen, wo es heißt: Dieser Ausgleich von fehlenden Feldwebeln wird durch Wehrpflichtige vorgenommen. Gleichzeitig wird an anderer Stelle im Weißbuch deutlich gemacht, welchen Schwierigkeiten gerade die jungen Soldaten auf Grund der kurzen Ausbildung ausgesetzt sind, um die Leistungsmöglichkeiten der technischen Systeme in voller Breite auszuschöpfen. Meine Damen und Herren, es ist im wahrsten Sinne des Wortes Verantwortungslosigkeit und Fahrlässigkeit, wenn man die durch nichts zu ersetzende Erfahrung und Truppenpraxis der Feldwebel und ihren „Scheinersatz" durch Wehrpflichtige so darstellt, denn das hat eklatante Auswirkungen auf Ausbildung und Einsatzbereitschaft der Truppe. Herr Minister, wird dies dem Anspruch gerecht, den Sie im Weißbuch erheben, der Minister „führt, lenkt und kontrolliert die Bundeswehr"? ({15}) Der Herr Wehrbeauftragte sagt, der Minister sei „erster Sachwalter der Interessen der Soldaten". Ich muß hier meine ernsten Zweifel anmelden. ({16}) Lassen Sie mich auch zum Bereich der Offizierausbildung einige Anmerkungen machen. Einerseits wird hier gefordert, daß die Auswahl der Offiziere nach Charakter, geistiger und körperlicher Eignung vorgenommen wird, während gleichzeitig mit dieser Forderung z. B. der Einzelkämpferlehrgang gestrichen wird. Genauso spricht man davon, daß die jungen Offiziere mit „umfassender praktischer Ausbildung auf ihre Aufgaben als Offizier vorbereitet werden". Es ist aber eine Tatsache - lassen Sie mich das hier einmal sorgfältig schildern -, daß es Diplomingenieure als Artillerieoffiziere gibt, die nicht wissen, wie viele Granaten eine Panzerhaubitze mitführt, daß es Panzergrenadieroffiziere gibt, die Diplom-Betriebswirt sind und nicht wissen, wie man im Waldkampf ein Maschinengewehr mit Mittelunterstützung einsetzt, oder daß es Panzeroffiziere gibt, die zwar graduierte Pädagogen, aber unfähig sind, den Verschluß eines Maschinengewehrs auseinanderzunehmen. Davon steht im Weißbuch auch nichts. ({17}) Wir von der Union meinen, daß das Ausbildungskonzept für die Bundeswehr so angelegt sein muß, daß der Soldat die Chance zum Aufstieg hat, daß der Ausbildungsstand insgesamt verbessert und letztlich die teuren Waffensysteme dadurch volkswirtschaftlich besser genutzt werden können. Im Vordergrund müssen wieder die militärische Praxis und die Forderung nach Ausbildung von jungen Offizieren und Unteroffizieren stehen, die auf ihre Aufgaben als Vorgesetzte optimal vorbereitet werden. Wir benötigen in dieser Armee keine Manager und Funktionäre, sondern wir benötigen Soldaten und Menschenführer, die sich für ihre Aufgabe im Militärdienst nicht nur qualifiziert haben, sondern auch engagieren, Männer für Führungsaufgaben, die bereitstehen und auch Freude an ihrem Beruf haben. ({18}) Ich möchte keinen Zweifel daran lassen: Die Bundeswehr ist immer noch eine gute Armee. Die Soldaten leisten Beachtliches, zum Teil Hervorragendes. Aber diese Bundeswehr hat weder die personellen noch die materiellen Mittel, um ihren Auftrag zeitgerecht zu erfüllen. Die Kluft zwischen Auftrag und Mitteln wird immer größer. Das Weißbuch widerspricht sich in anderen Passagen ebenfalls. Da wird von „ungehinderter Information für die Soldaten" gesprochen, und gleichzeitig werden in der Zeitung „Bundeswehr aktuell" die Namen der Abgeordneten im Deutschen Bundestag bei Behandlung von Themen hier aus unserem Bereich überhaupt nicht mehr genannt. Oder es wird im Weißbuch betont: „Es gibt sonst kaum Soldaten, deren staatsbürgerliche Rechte beeinträchtigt werden". Jene Soldaten, die kommunale Mandatsträger sind, haben aber mit erheblichen dienstlichen Einschränkungen, Vorbehalten und sogar mit Versetzungen zu rechnen. Diese Beispiele unterstreichen, daß die Öffentlichkeit falsch informiert wird. Das Weißbuch ist das Lesebuch eines truppenfernen Ministers; lassen Sie mich das hier in aller Deutlichkeit sagen. Die Armee ist durch jahrelange Zentralisierung, parteipolitische Bevormundung, Einschüchterung und Bürokratisierung ({19}) durch diese politische Führung des Hauses an ihrer persönlichen Initiative und Durchführung der Auftragstaktik gehindert worden. ({20}) Trotzdem leisten die Soldaten ihren Dienst, weil sie der Sache wegen treu dienen - ({21}) - Herr Wehner, immer wenn man hier Wahrheiten ausspricht, werden Sie munter. ({22}) Die Union wird die Vertrauenskrise, die die Bundeswehr gegenüber diesem Minister hat, beenden. ({23}) Herr Minister, im Gegensatz zu Ihnen und Teilen der SPD identifizieren wir uns mit der Bundeswehr Voigt ({24}) nicht erst seit Bremen, sondern schon seit ihrer Gründung. ({25}) Das Weißbuch erfüllt den gesetzten Anspruch nicht. Wenn es im Titel „ ... zur Entwicklung der Bundeswehr" heißt, dann ist dies eine fragwürdige Bilanz. Sie ist verschwommen und wahrheitswidrig. ({26}) Das Weißbuch wird der Rolle der Bundeswehr weder nach innen noch nach außen gerecht, sondern es bleibt ein Dokument der Entschlußlosigkeit, Selbstbeweihräucherung, Hilflosigkeit und des Versagens. Ich verweise zum Schluß auf die Aussage unter Ziffer 169 im Weißbuch: „Der Bundesminister der Verteidigung ... leitet ... selbständig und in eigener Verantwortung." Das heißt, Sie, Herr Minister, sind allein für diese von mir geschilderten Mißstände verantwortlich. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU - Wehner [SPD]: Sie haben sie nur geschildert, aber nicht bewiesen»

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möhring.

Helmuth Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001519, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Weißbuch, das hier behandelt werden soll, hat zwei große Abschnitte. Der geschätzte Herr Vorredner hat sich dem zweiten Teil, nämlich der Entwicklung der Bundeswehr, zugewandt. Ich werde mich in erster Linie verstärkt der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zuwenden, ohne darauf zu verzichten, auch zum zweiten Teil einige Anmerkungen zu machen. Den zweiten Teil werden Kollegen meiner Fraktion noch gesondert behandeln. Ich habe mir für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion vorgenommen, den Deutschen Bundestag zu überzeugen, daß er mit gutem Gewissen diesem Weißbuch zustimmen kann. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, daß ich mich dabei in erster Linie an grundsätzliche Aussagen halte. Sie werden es mir auch nachsehen, daß ich mich nicht auf jede Anmerkung meines Herrn Vorredners beziehe, die zur Heiterkeit herausgefordert hat. Mit einem ersten Vorwurf will ich mich allerdings gleich beschäftigen. Das Weißbuch ist keine einfache Faktensammlung, wie das hier abwertend behauptet worden ist. Dieses Weißbuch ist eine große, sachlich fundierte und auch überzeugende Bilanz unserer Bundesregierung dafür, daß die von der Opposition immer wieder bekämpfte Sicherheitspolitik zehn Jahre lang unter sozialliberaler Regierungsverantwortung militärische Konflikte im Herzen Europas verhindern half. ({0}) Es ist auch reizvoll und sogar notwendig, wie ich meine, zum Thema „Weißbuch" diesen Zeitraum einmal generell unter die Lupe zu nehmen. Nehmen Sie das Weißbuch 1970 zur Hand. Es mußte damals noch mit ,,... zur Lage der Bundeswehr' überschrieben werden, nicht mit ,,... zur Entwicklung der Bundeswehr". Das Weißbuch 1969 können Sie vergessen. ({1}) Herbert Wehner hat damals hier im Deutschen Bundestag gesagt, die Blätter dieses Weißbuches wären besser weiß geblieben. Es stammte ja aus der Zeit Ihrer Verantwortung. ({2}) Damals stand unsere Bundesregierung am Beginn der Übernahme der Verantwortung für die Sicherheit des Bürgers, da die Unfähigkeit vorausgegangener CDU/CSU-Regierungen ihren eigenen Untergang produziert hat. ({3}) - Ja, meine Herren, besinnen Sie sich ruhig wieder ein wenig auf Vergangenes und nicht nur auf den Alltag. ({4}) - Ich bin nicht so sehr in der Tierwelt bewandert, daß ich hier Assoziationen hervorlocken möchte, Herr Kollege Damm. ({5}) Damals machten wir, meine Herren Kollegen, eine Bestandsaufnahme. Mehr als 124 sofort einzuleitende Maßnahmen zur Verbesserung der Alltagssituation unserer Soldaten zeigten auf, in welchem Umfang und in welch unverantwortlicher Weise durch den Ehrgeiz einer auf 500 000 Soldaten ausgerichteten sofortigen Hochrüstung die sozialen Belange der Soldaten vernachlässigt wurden, und zwar durch Sie. ({6}) Heute möchte uns auf diesem Gebiet - das haben wir wieder gehört - Ihre Partei links überholen, wenn von diesem Thema die Rede ist. ({7}) Dazu kann ich nur sagen: so nicht, meine Damen und Herren von der CSU und CDU! Sie mögen auf die Vergeßlichkeit spekulieren. Bei uns kommen Sie damit nicht durch. Daher ist bei uns heute, wenn vom Weißbuch 1979 die Rede ist, automatisch auch die Rede davon, welches Erbe Sie uns einmal hinterlassen haben. Der Zeitpunkt vor zehn Jahren war aber auch die Geburtsstunde einer neuen sicherheitspolitischen Richtung. Sie hat noch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Sie wird heute allerdings genauso wie damals von der Opposition insgeheim abgelehnt. ({8}) Ich darf Ihnen folgende wörtliche Aussagen in Erinnerung rufen: Erstens: Die Bundesregierung betrachtet den Frieden als das höchste Gut. In ihrer Sozialpolitik läßt sie sich unverrückbar von dem Ziel leiten, daß vom deutschen Boden kein Krieg mehr ausgehen darf. Und Zweitens: Eine wirksame Politik der Friedenserhaltung und Friedensgestaltung setzt voraus, daß die Bundesrepublik Deutschland in das weltpolitische Gleichgewicht der Kräfte eingeschlossen bleibt und nicht den Weg in die Isolierung geht. ({9}) Das Gleichgewichtsprinzip ist der oberste Leitsatz unserer Sicherheitspolitik. Er prägt die Haltung der Bundesregierung zum Nordatlantischen Bündnis, zum Verhältnis der großen Nuklearmächte, zu dem notwendigen Versuch, größere Sicherheit bei geringerer Rüstung zu erreichen, schließlich auch zur Verständigung mit der Sowjetunion und den Völkern des europäischen Ostens. So drückt sich dieser Leitsatz zugleich in dem Verlangen nach Partnerschaft, dem Bewahren zureichender eigener Stärke und in der Bereitschaft zu Verhandlungen aus. So, meine Damen und Herren, ist dieses geblieben. Sie finden diese Aussagen des Weißbuches 1969/70 in ihren Grundzügen 1979 wieder. Sie werden heute, nach zehn Jahren, von uns noch genauso dick unterstrichen, wie wir sie damals entschieden und entschlossen ausgesagt haben. ({10}) Diese Aussagen sind wegen ihrer Aktualität ein Beweis dafür, daß wir seit zehn Jahren unbeirrt von billigem Wahlkampflärm der Opposition unsere Verteidigungsbereitschaft, -entschlossenheit und -fähigkeit bewahrt haben und daß wir Schaden von unserem Lande abgewendet haben. ({11}) Wir haben verhandelt und nicht nur gerüstet. Wir haben unter schwierigsten Bedingungen und unter Überwindung einer Kalte-Krieg-Mentalität in Ost und West permanent Gespräche gesucht und angeboten, nicht nur trotz des - verständlicherweise vorhandenen - Mißtrauens neuer Partner, sondern auch entgegen dem ständigen Nein der Opposition hier im Deutschen Bundestag. ({12}) Sie hat am Zustandekommen solcher Entspannungsergebnisse wohl den allergeringsten Anteil. ({13}) Ihr Nein hat allerdings auch in diesem Bereich den Bürger immer wieder verunsichert. Er wird sich sicher noch eine Zeitlang merken, wer diese Verhandlungen gestört hat. Wir wußten um die Risiken und _um die Mühen dieses langen Weges zu einer Friedenssicherung. Wir wußten um die Gefahren der Rückschläge. Auch dies ist bereits in Bundestagsreden ab 1970 nachzulesen. Aber die Alternative durfte doch nicht heißen: Dort, wo geschossen wird, wird zurückgeschossen. ({14}) Nein, meine Damen und Herren, wir haben das Schießen zu verhindern. ({15}) - Ich komme jetzt auf den aktuellen Bezug. Wenn Sie, meine Damen und Herren, behaupten, diese Friedenspolitik sei durch die Afghanistanintervention der Sowjetunion gescheitert, dann ist dies Schlichtweg unwahr. ({16}) Dies wird auch nicht wahrer durch die makabere Aussage Ihres Herrn Strauß, der da meint, wenn er regiert hätte, wäre die Intervention in Afghanistan nicht passiert. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Diesen Größenwahn nimmt diesem Mann niemand im Lande ab. ({17}) Mit einer solchen Aussage haben wir es aktuell zu tun; denn Sie haben behauptet, daß erst nach dem Weißbuch die Afghanistan-Krise eine völlige Veränderung und das Scheitern unserer Politik bewirkt hätte. Solche Aussagen aus Ihrem Bereich, die erst jetzt entstanden sind, zeugen von völliger Fehleinschätzung eigener Bedeutung und Möglichkeiten. Sie sind auch ein Beweis, daß wir diesem Herrn Strauß die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht anvertrauen dürfen. ({18}) Es bleibt dabei: Gespräche zwischen uns und den kommunistischen Staaten werden weiterhin stattfinden. Wir werden dem Osten dabei auch deutlich machen, daß Gewaltverzicht nicht nur eine machtreduzierende, sondern auch eine moralische Seite hat. ({19}) - Sie brauchen nicht zuzuhören. Sie wissen das alles viel besser. Nur eines: Es wäre besser, wenn wir in Fragen der Sicherheitspolitik auch einmal ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit hier im Deutschen Bundestag finden könnten. Das setzt aber auch das Zuhören voraus. ({20}) Will man nicht den letzten Kredit von Glaubwürdigkeit in der Welt verspielen, dann darf auch diese moralische Seite des Gewaltverzichts nicht mehr verletzt werden. Sicherheitspolitische Vorleistungen im Bereich der Verteidigungsfähigkeit wird es nicht geben. Mit großer Aufmerksamkeit haben wir zur Kenntnis genommen, daß sich die für Mitteleuropa verantwortlichen Großmächte an ihr Wort gebunden fühlen und weder Berlin zur Disposition stellen noch das deutsch-deutsche Verhältnis mit dem Sog der Nahost-Konflikte belasten lassen. Wir haben uns dafür zu bedanken. Das läßt auch hoffen, daß unsere Art der Friedenspolitik andere ebenfalls veranlaßt, hektische Reaktionen zu vermeiden und zu Nüchternheit. und Vernunft zurückzukehren. Jeder weitere Angriff der Opposition auf die erfolgreiche Sicherheitspolitik der Bundesregierung - das ist heute in Ansätzen schon wieder sichtbar geworden - trägt allerdings die Gefahr in sich, daß dieser Streit als Schwäche des ganzen Staates ausgelegt und sowohl in Ost als auch in West mißverstanden wird. Wer zur Zeit das Spiel des „teile und herrsche" innenpolitisch betreibt, sollte auf jeden Fall das Feld der Sicherheitspolitik meiden, weil er sonst in unverantwortlicher Weise unsere Verbündeten verunsichert und dem Warschauer Pakt als lachendem Dritten zusätzliche Trümpfe in die Hand spielt. ({21}) Unsere Bundestagsfraktion steht auch heute noch geschlossen zur festen Zusage des amerikanischen Präsidenten vom 18. Februar 1970. Er sagte damals: „Wenn wir Verhandlungen und eine Entspannung anstreben, dann tun wir dies, um die bestehenden Spannungen abzubauen, und nicht, um neue heraufzubeschwören:' - Wir vertrauen auf dieses Wort der Vereinigten Staaten. Dieses Bündnis ist ein Nordatlantisches Bündnis, d. h. es ist unauflöslich mit den USA und mit Kanada verbunden. Ob das bei einem Kanzler Ihrer Fraktion auch der Fall wäre, dessen bin ich mir nicht so sicher; denn vor Tische las man es einmal anders. ({22}) - Ja, Herr Besch. Ich kann mich persönlich einer Zeit erinnern, da Herr Strauß versuchte, auf die Vereinigten Staaten von Europa - unter Führung einer von mir sehr geschätzten europäischen Macht - zu spekulieren und die USA zurückzudrängen. Dieses Gegeneinander-Ausspielen werden wir allerdings auch in Zukunft nicht mitmachen. Wir werden auch in Zukunft in allen Gremien mitarbeiten, die sich den hohen menschlichen Zielen der Friedensforschung, der Rüstungskontrolle und der Konfliktbeseitigung verschrieben haben. Wir sind sehr betrübt darüber, daß die Mittel für Friedensforschung in einigen CDU/CSU-geführten Ländern gestrichen worden sind. ({23}) Wir halten daran fest: Wer den Grundsatz, daß „ein Jahr verhandeln besser als ein Tag Krieg" ist, auch in Zukunft realisiert sehen möchte, muß nicht nur gerüstet sein, sondern er muß auch Konflikte erforschen, erkennen und versuchen, sie zu beseitigen. Dann darf man aber die Instrumente, die dafür erforderlich sind, nicht abschaffen. Wir dürfen auch die Länder der Dritten Welt nicht im Stich lassen. Sie protestieren auf ihre Art mit uns gegen Gewalt und Unterdrückung. Sie wollen Ost-Bevormundung nicht gegen West-Schulmeisterei eintauschen. Vielleicht lernen wir bald - möglichst gemeinsam -, wie man mit Partnern der Zukunft umgeht, und das nicht nur wegen des Öles, sondern aus Respekt und Achtung vor der Souveränität anderer. ({24}) Wir halten am Kräftegleichgewicht auch im nuklearen Bereich unbedingt fest. ({25}) Wir stehen zur Nichtverbreitung von Kernwaffen und zur Fortsetzung der SALT-Gespräche; denn - ich beziehe mich immer wieder auf den Vergleich - schon 1970 haben wir gesagt: Die Europäer müssen ein Interesse daran haben, daß das derzeitige nukleare Gleichgewicht nicht aus den Angeln gehoben wird. Das wäre sonst das Ende der Sicherheit. Wir haben weitergesagt: Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter. Ich habe diesen Sätzen 1980 nichts hinzuzufügen. In diesem Zusammenhang hat auch der Nachrüstungsbeschluß, dem wir zugestimmt haben, seine volle Berechtigung. ({26}) Lassen Sie mich abschließend einige Anmerkungen zum Thema Gesamtverteidigung machen, obwohl ich den Hinweis bekommen habe, daß wir in der nächsten Woche Gelegenheit haben, dazu noch ausführlich Stellung zu nehmen. Die Anhörung der Ländervertreter im Unterausschuß „Zivilschutz" des Innenausschusses - dem ich vorübergehend angehörte - hat deutlich gemacht, wer hier Koch und wer hier Kellner ist. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Als sich 1955 die ehrgeizigen Aufrüstungspläne der CDU/CSU auf die sofortige Aufstellung einer 500 000-Mann-Armee zubewegten, waren für die Zivilverteidigung keine Mittel angesetzt, obwohl mit Änderung des Grundgesetzes am 26. März 1954 die verantwortliche CDU-Regierung unter Adenauer die volle Bundesgesetzgebungskompetenz für die militärische und die zivile Verteidigung erhielt. ReMöhring den Sie daher heute doch bitte nicht von „unseren" Versäumnissen. ({27}) Sie haben die Alarmsirenen eingeführt und auf Grund des Staatsbankrotts von Erhard den Schutzraumbau eingestellt. ({28}) Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, waren nicht in der Lage, ein Zivilschutzkorps zu realisieren. Statt dessen machten Sie den Bürger dumm, indem Sie an alle Haushalte eine Zeitschrift verteilten, in der es hieß, man brauche sich nur eine Aktentasche über den Kopf zu halten, um sich vor den Gefahren des radioaktiven fall-out zu schützen.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?

Helmuth Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001519, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nur noch drei Minuten, Herr Biehle, und ich halte mich ganz streng an diese Zeit. Da ich einer der ersten Redner bin, können Sie nachher darauf eingehen. ({0}) Als noch nicht einmal ein Prototyp des skandalumwitterten HS 30 dem Deutschen Bundestag vorgestellt werden konnte, haben Sie eine Ausgabenrelation von 1:16 sehr leicht herstellen können. ({1}) Sie haben ein paar Großbunker gebaut, und Sie haben dem THW veraltete Fahrzeuge zugeführt. ({2}) Wenn Sie heute der Regierungskoalition Vorwürfe bezüglich dieses Punktes machen wollen: ({3}) Bereits 1969, Herr Kollege Biehle - das war alles unter Ihrer Verantwortung -, gab es ein Mißverhältnis von 1:44. Das war Ihre Zivilverteidigung. ({4}) Wir konzentrieren uns heute, weil wir ganz genau wissen, daß wir sorgfältig mit vorhandenem Geld umzugehen haben, auf die Schwerpunkte des Katastrophenschutzes, der Schutzraumförderung und der Zivilen Verteidigungsreserve. ({5}) Dieses Weißbuch hat in seiner parlamentarischen Beratung ein seltsames Schicksal erfahren. Als ich im Verteidigungsausschuß vorschlug, es zur Kenntnis zu nehmen, und die Opposition just in diesem Moment entdeckte, daß die Koalition in der Minderheit war, nutzte sie die Gunst der Stunde und lehnte das Weißbuch ab. ({6}) Aber der Triumph, endlich einmal den vollen Besitz der Mehrheit genüßlich auszukosten, wandelte sich bald in Entsetzen, als man merkte, daß man sich damit den Weg hier in das Parlament verbaut hatte. Eine zweite Sitzung mußte dieses „Non-paper" wiederbeleben. Hier wird uns wohl mit aller Deutlichkeit klar, daß es der Opposition gar nicht mehr um Inhalte, sondern um krassen Wahlkampf geht. ({7}) Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt solche Mätzchen ab. ({8}) Uns sind unsere Soldaten und unsere Sicherheitspolitik zu schade, der Wahltaktik geopfert zu werden. Ich empfehle dem Deutschen Bundestag, dieses Weißbuch zur Kenntnis zu nehmen. ({9})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung. ({0})

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Biehle, erstens sind wir immer vernünftig in der Politik - das zeichnet uns Freie Demokraten ja aus -, und zweitens bleiben wir immer auf dem Boden der Tatsachen. Deswegen möchte ich hier feststellen: Das Weißbuch 1979, dessen zentrales Thema „Chancen und Risiken der Friedenssicherung" lautet, informiert - dies sage ich nicht nur für uns Freie Demokraten, sondern das haben auch viele Parlamentarier aus NATO-Staaten bestätigt - anschaulich über die sicherheitspolitische Lage und legt dar, was Bundesregierung und sozialliberale Koalition für Frieden und Sicherheit getan haben und dafür in Zukunft tun werden. Es setzt deutliche Signale gegenüber der Sowjetunion. Es unterzieht sich dieser Aufgabe durch eine realistische Darstellung der Tatsachen und Notwendigkeiten. Deswegen verstehe ich die Kritik der Opposition eigentlich nicht richtig, denn die Kritik läuft darauf hinaus, daß Weißbuch 1979 betreibe Schönfärberei oder verschweige Notwendigkeiten. Diese Kritik ist völlig verfehlt, meine Damen und Herren von der Opposition. Lassen Sie mich ein wenig auf diese Ihre Kritik eingehen, die da sagt, die Feststellung des Weißbuches, der Frieden sei sicherer geworden, treffe nicht zu. Im Weißbuch heißt es: Unser Frieden ist sicherer geworden. - Gemeint ist damit der Frieden in Europa. Man darf doch wohl feststellen, daß Europa heute eine vergleichsweise stabile und sichere Region in einer krisenhaften Welt ist. Realistische Entspannungspolitik, unter Verantwortung liberaler Außenminister im Rahmen des Atlantischen Bündnisses und der Europäischen Gemeinschaft betrieben, hat hierzu wesentlich beigetragen. Entspannungspolitik hat Erleichterungen für die Menschen geschaffen, besonders für die deutschen Menschen. Ich will dies hier jetzt nicht mit Zahlen belegen; Sie kennen die Zahlen ja. Die Entspannungspolitik hat politisches Gewicht und Handlungsfreiheit unseres Landes in Ost und West, hat die Sicherheit und Lebensfähigkeit Berlins, hat die Rolle des Bündnisses und der Europäischen Gemeinschaft gestärkt. Sie hat die militärische Präsenz der Vereinigten Staaten in Westeuropa gesichert Verstärkung der Zusammenarbeit, besonders im wirtschaftlichen Bereich und bei den politischen Begegnungen, haben mehr Berechenbarkeit erbracht und in Ost und West die Erkenntnis wachsen lassen, daß niemand das so entstandene Netz von Beziehungen zerstören darf, ohne der beiderseitigen Sicherheit schweren Schaden zuzufügen. Dieses Geflecht hält den gegenwärtigen Krisen noch stand. Jüngster Beleg ist das Verkehrsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Wenn die Opposition die Verbesserung der Beziehungen bestreitet, so muß man hier doch einmal klar feststellen: Selbst kleine, begrenzte Verbesserungen, selbst einen begrenzten Grad von Normalisierung der Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten könnten wir heute nicht registrieren, wenn es nach der CDU/CSU gegangen wäre. Vielmehr haben CDU und CSU alles unternommen, um die Politik der Entspannung zu verhindern. Es wird niemand verwundern, wenn ich feststelle, daß bei dieser Politik der Entspannungsverhinderung Franz Josef Strauß die dominierende Rolle gespielt hat. ({0}) - Er war es, Herr Kollege Weiskirch, der die Verträge von Moskau und Warschau, den Atomwaffensperrvertrag, die KSZE-Schlußakte und den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen verhindern wollte. Herr Kollege Weiskirch, im Gegensatz zu Ihnen habe ich dies alles hier miterlebt. Ich betone das noch einmal. Er tat dies auch, indem er die Stimmen der Vernunft in der Union, in Ihrer eigenen Partei in diesem Hause zu unterdrücken versuchte. ({1}) An diesen Tatsachen - nicht an seinen Behauptungen - muß der heutige Kanzlerkandidat der Union gemessen werden. ({2}) Herr Kollege Möhring hat schon auf die unerhörte Aussage hingewiesen, wenn die CDU/CSU an der Macht und er Kanzler gewesen wäre, wären die Russen nicht in Afghanistan ,einmarschiert. Wer 1956 beim Einmarsch in Ungarn, wer 1961 beim Mauerbau in Berlin, wer 1968 - allerdings in der Koalition mit der SPD - ein Ministeramt - ({3}) - Ja, das sage ich doch, das macht doch gar nichts. Wer also ein Ministeramt zu diesen drei Zeitpunkten innehatte, darf so eine Aussage der deutschen Offentlichkeit überhaupt nicht vorführen. ({4})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jung, würden Sie mir nicht zustimmen, wenn ich sage, daß Ihre Vorwürfe gegen Herrn Strauß unberechtigt sind, denn er hat nicht gesagt, wenn er an der Macht gewesen wäre, sondern er hat gesagt, wenn er an der Regierung gewesen wäre ({0}) und ein intaktes Bündnis vorhanden gewesen wäre - was heute durch Ihre Politik nicht mehr gegeben ist -, wäre dies nicht geschehen? ({1})

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Biehle, selbst mit vielen Worten können Sie - ich gebe zu, daß es sehr peinlich für Sie ist - auch dies nicht wegradieren. Ich sehe inhaltlich überhaupt keinen Unterschied. Heute, zehn Jahre nach Einleitung der Entspannungspolitik, ist Franz Josef Strauß dann doch schon ein Beitrag zur Entspannungspolitik eingefallen, und wenn es nur der jedem Quartaner geläufige Satz „Pacta sunt servanda" ist. Wo sich Franz Josef Strauß an die Details heranbegibt - und das ist selten genug der Fall -, hat er keine ernst zu nehmenden Alternativen anzubieten. Natürlich ist wirksame Entspannungspolitik immer nur möglich auf der Grundlage des militärischen Gleichgewichts der Kräfte. Das braucht man gerade uns Freien Demokraten nicht zu sagen. Wo immer dieses Gleichgewicht gefährdet war, sind wir für seine Stabilisierung eingetreten. Wir werden das auch weiterhin tun. Ich nenne hier nur die Stichworte Langzeitverteidigungsprogramm, TürkeiHilfe und Doppelbeschluß der NATO vom 12. Dezember 1979. Alle diese Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts sind wesentlich durch deutsche Außenpolitik unter liberaler Verantwortung gefördert worden. Daß wir Freien Demokraten nicht nur engagiert bei der Förderung einer realistischen und konstruktiven Entspannungspolitik sind, sondern auch die notwendige Festigkeit in Verteidigungsfragen beweisen, dies zeigt am besten die Haltung von HansDietrich Genscher in der Nachrüstungsfrage. Die Debatte über die Mittelstreckenraketen, aber auch die anhaltende Diskussion über die Kanzlerreise zeigen, daß das Prinzip der Gleichwertigkeit der einander ergänzenden Elemente, Verteidigungsfähigkeit einerseits und Entspannungspolitik andererseits, noch nicht überall voll akzeptiert worden ist. Da gibt es die Opposition. Sie stellt, wie in der Vergangenheit so auch in der Gegenwart, erneut unter Beweis, daß sie einer Politik der Verständigung und Zusammenarbeit mit dem Osten immer noch nicht konstruktiv genug gegenübersteht Wie anders könnte Franz Josef Strauß sonst die bevorstehende Reise von Bundeskanzler Schmidt und Bundesaußenminister Genscher mit der Erwartung belasten, daß die Sowjetunion allein infolge der in Moskau stattfindenden Gespräche einen Abbau ihrer Mittelstreckenraketen vornimmt! Wer so verfährt, dem fehlt jeder Blick für das politisch Mögliche, oder er meint es nicht gut mit der überlebensnotwendigen Politik des Dialogs. Er zeigt zudem ein erstaunlich geringes Wissen über bündnispolitische Zusammenhänge. Die Bundesrepublik kann und darf doch nicht die Rolle eines selbsternannten Chefunterhändlers in Moskau spielen. Sie wird es auch nicht tun. Fehlt es der Opposition in der Entspannungspolitik also an konstruktiver Phantasie, an Vorstellungskraft darüber, wie die im Zuge der Entspannungspolitik gewachsenen Bindungen genutzt werden können, um gemeinsam mit dem Osten Wege aus der Krise zu suchen, so gibt es andere politische Gruppierungen, die noch immer nicht erfaßt haben, daß ausreichende Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit Grundvoraussetzungen sind für unsere politische und damit auch entspannungspolitische Handlungsfreiheit. ({0}) Für die Freien Demokraten darf ich jedenfalls feststellen: Wir wollen so viel Verteidigungsfähigkeit wie nötig, um so viel Entspannungspolitik wie möglich betreiben zu können. Wir wollen nicht mehr an Verteidigungsanstrengungen als nötig - wie die Opposition. Sie hat ja bereits die Forderung nach deutschen Soldaten am Golf gestellt. ({1}) - Wenn Sie sagen, „Lüge", nehme ich „die Opposition" zurück und korrigiere: einzelne Abgeordnete der Opposition.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner?

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jung, da ich annehme, daß wir hier nicht mehr oder noch nicht im Wahlkampf sind, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, für diese ungeheuerliche Behauptung ein einziges nachprüfbares Zitat zu bringen. ({0})

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Damm, seien Sie da beruhigt! Ich brauche nur den Herrn Kollegen Dregger und auch den Herrn Kollegen Wörner an ihre Aussagen zu diesem Punkt zu erinnern, ({0}) die Aufgabe der NATO geographisch auszuweiten. ({1}) - Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, ich glaube nicht, daß Sie das Zitat bereit hätten. Ich habe es auch nicht. Aber ich erinnere Sie doch daran. Herr Kollege Wörner muß doch wissen, was er selber auf Ihrem sicherheitspolitischen Kongreß gesagt hat, ebenso Herr Kollege Dregger. ({2}) - Natürlich! ({3})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jung, Sie sind mir die Antwort auf meine Frage schuldig geblieben. ({0}) Ich wiederhole sie: Wo ist das Zitat? Zitieren Sie bitte korrekt und nachprüfbar.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wörner, Sie werden natürlich Ihr Zitat, an das Sie sich jetzt offenbar nicht erinnern, als auch das Zitat des Herrn Kollegen Dregger ({0}) schwarz auf weiß bekommen. Ich habe es natürlich nicht hier, aber in der Zwischenzeit kann das ja besorgt werden. ({1})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Jung, sind Sie bereit, dem Kollegen Wörner weiter zu sagen, daß wir hier gemeinsam wohl mindestens von dem Meinungsbeitrag - nicht einem Zitat - des Kollegen Dregger, ja sogar einem ganzen Artikel des Kollegen Dregger im „Express" ausgehen, in dem er ausdrücklich vom Einsatz deutscher Soldaten auch am Golf gesprochen hat - damit klar ist, wo das steht -? ({0})

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Biehle, ich fürchte, daß das von der Zeit abgezogen wird. Sonst bin gern bereit, Zwischenfragen zuzulassen. ({0})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Einen Augenblick bitte, Herr Abgeordneter. Hier meldet sich zu einer Zwischenfrage der Herr Abgeordnete Neumann. Möchten Sie sie zulassen?

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich lasse gern alle Zusatzfragen zu.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Nur müssen Sie das mit Ihrer eigenen Redezeit vereinbaren. Wir können nicht deswegen die Redezeiten verlängern.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön, Herr Präsident.

Paul Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001597, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann bitte ich: Antworten Sie auf den Kollegen Biehle. Ich kann ja selber dazu noch etwas sagen.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Also lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle zu, Herr Abgeordneter?

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jung, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß in diesem Artikel des „Express" der Kollege Dregger nirgends davon gesprochen hat, deutsche Soldaten an den Golf von Persien zu schicken, sondern daß dies in der Überschrift stand, die von den Journalisten gestaltet wurde, und daß sofort anschließend Herr Dregger dies berichtigt hat, weil es nicht seine eigene Aussage war. ({0})

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Biehle, ich habe bereits vorhin in der Antwort auf die Frage von Herrn Wörner gesagt, daß ich die Zitate hier nicht schwarz auf weiß parat habe, ({0}) aber daß wir natürlich nicht anstehen, Ihnen sowohl den Artikel wie auch die Aussagen des Herrn Wörner, an die er sich offenbar nicht so genau erinnert, zu schicken. Dann können wir die Debatte weiterführen. Im Augenblick ist es fruchtlos. Ich bitte aber, Herr Präsident, daß mir diese Zeit für Zwischenfragen nicht von meiner Redezeit abgesetzt wird. ({1})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, das ist nicht möglich. Ich habe Sie extra darauf aufmerksam gemacht. Es ist im freien Belieben jedes sprechenden Kollegen, Zwischenfragen zuzulassen oder nicht. Aber er kann nicht durch Zulassung von Zwischenfragen seine Redezeit verlängern. Das geht nicht.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir erteilen da auch Ihnen eine Absage, die Sie das Gleichgewicht der militärischen Kräfte zum bloßen Gleichgewicht der Zahl verkommen lassen. Wir wollen ein Gleichgewicht der militärischen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Noch einmal: Entspannungsbemühungen und Verteidigungsfähigkeit sind für uns Liberale gleichwertige Elemente unserer Sicherheit Wir werden dafür sorgen, daß die Regierung Schmidt/ Genscher weiterhin eine Sicherheitspolitik unter diesem Prinzip betreiben kann. ({0}) - Seien Sie nur beruhigt. Wir werden dafür sorgen, ({1}) und die deutsche Bevölkerung wird uns dabei unterstützen. Wir sehen eine unserer wesentlichen sicherheitspolitischen Aufgaben darin, den Kräften entgegenzutreten, die hier einseitige Akzente zum Schaden unserer Sicherheit setzen möchten. Nicht minder engagiert werden wir uns weiter dafür einsetzen, daß das notwendige militärische Kräftegleichgewicht sich auf möglichst niedrigem Niveau einpendelt Die Fortschritte in der Entspannungspolitik müssen durch wirksame Schritte in der Rüstungskontrolle ergänzt werden. Deutsche Außenpolitik unter liberaler Verantwortung hat daher zahlreiche rüJung stungskontrollpolitische Initiativen ergriffen. Weil ich fürchte, die Rede vorzeitig abbrechen zu müssen, möchte ich nur stichwortartig auf die Initiativen hinweisen: ({2}) Initiativen unserer Außenpolitik zur Förderung von Fortschritten bei den MBFR-Verhandlungen in Wien; die Vorschläge für die Erweiterung und geographische Ausweitung vertrauensbildender Maßnahmen in MBFR und KSZE; die Unterstützung des französischen Vorschlags einer europäischen Abrüstungskonferenz; nicht zuletzt aber auch das Angebot des Bündnisses an die Sowjetunion, dieses Gleichgewicht bei eurostrategischen Waffen auf dem Weg von Verhandlungen wiederherzustellen. Der Westen und hier vor allem der deutsche Außenminister haben die Sowjetunion wiederholt aufgefordert, endlich in Verhandlungen einzutreten und zur Erleichterung dieser Verhandlungen ihr Rüsten bei nuklearen Mittelstreckenraketen einzustellen.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Sie haben Ihre Zeit bereits überschritten.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir Freien Demokraten werden in dieser Forderung nicht nachlassen. Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß die Zeit auf Grund der Zwischenfragen nun doch nicht ausreicht, ({0}) um insbesondere auch auf Vorstellungen einzugehen, die der Herr Kollege Voigt hier vorgetragen hat. Vielleicht wird er jetzt beantragen, daß das Auseinandernehmen eines MG-Schlosses in die Curricula der Bundeswehrhochschulen aufgenommen wird. Ich darf abschließend feststellen: Mit diesem Weißbuch gibt die Bundesregierung Antwort auf die Frage, wie sie in einer krisenhaften Welt der Aufgabe gerecht wird, Stabilität und Sicherheit für Europa und unser Land zu wahren, die zehn Jahre sozialliberale Politik geschaffen haben. - Vielen Dank. ({1})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es wird dem Stil dieser Debatte nicht gerecht, wenn man, wie der Kollege Jung das offensichtlich getan hat, die Tribüne des Bundestages mit einem Wahlkampfpodest verwechselt. ({0}) Ich habe zwar nicht die Hoffnung, daß Ihre Propagandathese, die Union fordere den Einsatz der Bundeswehr am Golf bzw. habe ihn gefordert, damit aus der Welt ist; denn Sie brauchen sie für Ihre Kampagne. Dennoch zitiere ich - in der Hoffnung, zu einer gewissen Klärung beizutragen - aus einem Interview, das ich dem „General-Anzeige? am 1. Februar 1980 gegeben habe, angesprochen auf diese Zitate: Wir brauchen eine neue Definition der Interessen und Aufgabengebiete der Nordatlantischen Allianz. Dazu bedarf es weder einer Ausweitung des Vertragsgebietes mit seiner automatischen Beistandsverpflichtung noch einer Vertragsänderung oder gar einer Veränderung der Institutionen der Allianz. Auch ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des seitherigen Vertragsgebietes scheidet schon deswegen aus, weil die Bundeswehr mit ihren gegenwärtigen Aufgaben in Europa voll ausgelastet ist. ({1}) Dies war der Standpunkt der Union, dies bleibt der Standpunkt der Union! ({2}) Dennoch sage ich Ihnen eines hinzu: Wir alle sind darauf angewiesen, daß die Amerikaner diese Aufgabe übernehmen. Wenn wir sagen, wir wollen den Einsatz der Bundeswehr dort nicht, so sollten Sie sich darüber im klaren sein, daß die Amerikaner uns fragen - so ist es mir passiert, und so wird es auch Ihnen passieren, wenn Sie rübergehen -: Wo ist eigentlich euer Beitrag? Wir sind bereit, im Interesse der Allianz und auch im Interesse des Schutzes eurer Ölversorgung dort eine militärische Interventionstruppe zur Abwehr der sowjetischen Aggression, zur Abschreckung auszubauen. Die Amerikaner haben mir jetzt wieder gesagt: Wir fordern keine deutsche Beteiligung, wir wollen dort keine deutsche Beteiligung. Aber eines sollten Sie, wenn Sie hier schon in diesem polemischen Stil zu Felde ziehen, wissen: Diese Art von Argumentation bewirkt in Amerika nur eins, nämlich daß man dort sagt: Wir akzeptieren keine Zweiteilung der Allianz dergestalt, daß wir die Lasten der Verteidigung tragen und die Europäer die Vorteile der Entspannung genießen. Eines sei Ihnen auch gesagt, Herr Jung - davor weichen Sie ja bis zum heutigen Tage zurück -: Wenn die Amerikaner in unser aller Interesse diese Aufgabe übernehmen, dann werden wir - wir, die Europäer - sie in Europa für die Wahrnehmung dieser Aufgabe entlasten müssen. Das jedenfalls ist unsere Aussage, zu der wir - vor den Wahlen und auch gegenüber der deutschen Bevölkerung - stehen. ({3}) Ich glaube, wir sollten doch darüber nicht streiten, daß die Friedenssicherung - allerdings unter Wahrung unserer Freiheit - die wichtigste Aufgabe ist, der wir uns alle zu stellen haben. Es gibt doch niemanden hier in diesem Hause, Herr Jung - auch wenn es nicht in Ihr Propagandabild paßt -, der Gespräche und Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle ablehnen würde. Allerdings müssen solche Gespräche und Verhandlungen zur rechten Zeit, mit dem rechten Gesprächsinhalt und auf einer entsprechenden Grundlage geführt werden. Aber das darf doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß unser Frieden auf zwei Fundamenten ruht. Bis zum heutigen Tage beruht er zum einen auf einer funktionierenden Verteidigung und Abschreckung, d. h. darauf - um es einmal ganz deutlich zu sagen, denn es wird von Ihnen so ja nicht mehr gesagt -, daß bis zum heutigen Tag das Risiko eines sowjetischen Angriffs auf Europa für die Sowjets zu hoch wäre. Das ist der Grund, warum wir bis heute in Sicherheit und Frieden leben können. ({4}) Zum zweiten beruht unser Frieden auf dem festen Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn unser Frieden unsicher geworden ist, dann deswegen, weil genau diese zwei Fundamente in den letzten Jahren brüchig geworden sind. Deswegen kann ich Ihnen, Herr Apel, nur sagen: Ihr Weißbuch und Ihre Feststellung, der Frieden sei sicherer geworden, ist durch die Geschichte - leider Gottes, sage ich - Lügen gestraft worden. Sie und Ihre Politik haben den Frieden nicht sicherer gemacht, wie Sie es im Weißbuch behaupten. Sie haben, indem Sie dazu beigetragen haben, daß diese zwei Fundamente brüchig wurden, mit bewirkt, daß diese Welt und dieser Frieden unsicherer geworden sind. Das ist die historische Wahrheit. ({5}) Es sind drei Entwicklungen, die den Frieden gefährden. Einmal ist es die Verschiebung der militärischen Machtverhältnisse zugunsten der Sowjetunion. Das wird nicht mehr bestritten. Selbst Ihr Kanzler erzählte, als er aus den . USA zurückkam, das Gleichgewicht sei nicht mehr vorhanden, Das zweite ist der Riß im Bündnis zwischen Amerika und Europa, die offenkundige Unfähigkeit des Bündnisses zu einer geschlossenen und entschlossenen Reaktion auf Afghanistan. Das dritte - auch das muß angesprochen werden, weil es in einer Verteidigungsdebatte bedeutsam ist - sind der offenkundige Verfall des Freiheitswillens und der Niedergang der Verteidigungsbereitschaft in Europa, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu haben Sie ganz wesentlich beigetragen, weil Sie die Illusion verbreitet haben - gerade jetzt wieder in Ihren Beiträgen, Herr Apel; auch in den Beiträgen des Herrn Möhring und des Herrn Jung wurde das wieder deutlich -, ({6}) weil Sie unserem Volk eingeredet haben, die von Ihnen betriebene Entspannungspolitik habe den Frieden gesichert Damit haben Sie dazu beigetragen, daß junge und ältere Menschen das Bewußtsein verloren haben, daß man zur Sicherung des Friedens zu Opfern, d. h. zur Verteidigung, und zwar zu einer starken Vertreidigung, bereit sein muß. ({7}) Deswegen scheuen wir die Auseinandersetzung um die Fähigkeit zum Frieden nicht. Sie sind uns bis zum heutigen Tag die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie eine westliche Politik aussehen muß, die eine weitere sowjetische Expansion verhindert, die einer weiteren sowjetischen Machtausbereitung Schranken setzt. Was Sie geredet und was Sie getan oder, besser gesagt, nicht getan haben, muß in der Sowjetunion letztlich den Eindruck festigen, daß es der Westen wieder einmal bei papiernen Protesten beläßt und zu einer entschlossenen Antwort unfähig bleibt. ({8}) - Warten Sie; das kommt schon noch. - Mit Ach und Krach haben Sie sich zum Olympiaboykott entschieden. Auf militärischem wie auf wirtschaftlichem Gebiet haben Sie den Amerikanern glattweg die Gefolgschaft verweigert. Drei Monate, nachdem der amerikanische Präsident wirtschaftliche Sanktionen gegen die Sowjetunion verhängt hat, haben Sie Herrn Tichonow hierher gebeten und haben das Gespräch in einem Kommuniqué mit der öffentlichen Feststellung abgeschlossen, daß Sie die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auf allen Gebieten, auch auf dem Gebiet der Elektronik, verstärken wollten. ({9}) Das muß man sich einmal überlegen: drei Monate, nachdem der amerikanische Präsident wirtschaftliche Sanktionen verhängt hat. Das hat in Amerika wie eine Bombe eingeschlagen, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht. Daran messen die Amerikaner Ihre Solidarität, nicht an Ihren verbalen Schwüren, die Sie jeden Tag haufenweise abgeben. ({10}) Man hat in den Vereinigten Staaten auch sehr wohl registriert, daß der deutsche Verteidigungsetat, gemessen an Bruttosozialprodukt, gemessen am Haushaltsplan, den geringsten Anteil seit 20 Jahren erreicht hat. ({11}) 1969, Herr Wehner, waren wir bei 23,9 %; jetzt sind wir bei 17,6 % gelandet. Sie können doch nicht sagen, daß das eine angemessene Antwort wäre. ({12}) Statt dessen entfesselt der deutsche Bundeskanzler ein unwürdiges Wettrennen unter den europäischen Regierungschefs, wer als erster der Gnade teilhaftig wird, von Herrn Breschnew empfangen zu werden. ({13}) Man muß sich das einmal überlegen: ({14}) Sechs Monate nach Afghanistan, nach der Anwendung militärischer Macht, ({15}) nach der Anwendung brutaler militärischer Macht - während in Afghanistan die Bevölkerung systematisch ausgerottet wird, während Giftgase eingesetzt werden, während gemordet wird -, ({16}) kommt nicht der Herr Breschnew nach Europa und sagt, ich muß um ein Gespräch bitten, ich möchte zur Entspannung zurückkehren, sondern die Europäer laufen nach Moskau. Und ich sage Ihnen: Die Wirkung der Reise nach Moskau wird eben nicht die sein, die Sie haben wollen, daß nämlich der Frieden stabiler wird. Die einzige Wirkung wird die sein, daß der Herr Breschnew und die sowjetische Führungsspitze sehen: Der Westen ist noch nicht einmal in der Lage, sechs Monate eine Politik der Entschlossenheit durchzuhalten, sondern muß so schnell wie möglich in die Phase der Beschwichtigung zurückkehren. ({17}) Das heißt, Sie schaden damit dem Ziel, das Sie sicher anstreben. ({18}) Daran hat auch Venedig nichts geändert. Auch wenn Sie jetzt nach Venedig den Eindruck zu verbreiten suchen, als führe der Kanzler mit der Rükkendeckung des Atlantischen Bündnisses nach Moskau, kann ich Ihnen nur sagen - und ich wiederhole das -: ({19}) Wenn Sie sich drüben in den Vereinigten Staaten aufhalten, wenn Sie dort mit allen möglichen Stellen reden, ({20}) merken Sie ganz genau, daß bis zum heutigen Tage die amerikanische Skepsis - und ich sage: mit Recht - nicht ausgeräumt ist. ({21}) Gerade dann, wenn Sie die Worte Carters nach Venedig nehmen - wenn Sie sie wirklich wörtlich nehmen -, werden Sie ganz genau wissen, daß von einer Rückendeckung des westlichen Bündnisses für diese Reise nicht im mindesten die Rede sein kann. Die wirkliche Stimmung hat Herr Kissinger in diesen Tagen in Paris zum Ausdruck gebracht. ({22}) Ich zitiere Herrn Kissinger, den Sie vielleicht nicht mehr ernst nehmen, aus einer Pressemeldung - dpa /AFP, Bonn /Paris - vom 25. Juni 1980: Unbehagen bereitet dem ehemaligen amerikanischen Augenminister Henry Kissinger das bevorstehende Treffen Kanzler Schmidts mit Breschnew. Im Rahmen realer Solidarität könne es, wenn die gegenwärtigen Tendenzen anhielten, zu einer Entfremdung zwischen Europa und den USA kommen, auch wenn die Gefahr einer Finnlandisierung kurzfristig nicht bestehe. Die USA hätten dann das Privileg der Verteidigung Europas, während Europa die Politik betreibe, die nur ihm passe, was zu einer gefährlichen Situation führen könne. ({23}) Hier haben Sie, in einer Nußschale zusammengefaßt, die wirkliche Bewertung dieser Reise des Kanzlers in den Vereinigten Staaten. ({24}) Nun komme ich ({25}) - Herr Pawelczyk, den Gefallen tue ich Ihnen noch nicht ({26}) zu der Frage, die jetzt, im Vorfeld der Reise des Kanzlers, immer wieder angesprochen wird. Ich lese im „General-Anzeiger" von heute - und der ist doch in gewisser Weise ein Sprachrohr mindestens des Auswärtigen Amtes -, der Kanzler beabsichtige, einen Stopp der Stationierung von SS-20-Raketen vorzuschlagen. Weil dies in der Offentlichkeit kaum diskutiert wird, sage ich in diesem Parlament: Ein solcher Stationierungsstopp wäre militärisch völlig irrelevant. ({27}) Bei der SS 20 handelt es sich um eine bewegliche Rakete. Die Sowjetunion hat bereits 150 Stellungen und 450 solcher Raketen. Sie könnte dann täglich weiterproduzieren. Diese Waffen sind beweglich, sie könnten in längstens drei bis vier Tagen in Stellung gebracht werden. Ich frage mich: Wem also würde so etwas nützen? ({28}) Es würde nur wieder die Illusion bei den Bürgern unseres Landes und anderer Länder verstärken, daß die Sowjets zu einem Entgegenkommen bereit wä18340 ren, während sie in Wirklichkeit in der Produktion, in der Verstärkung ihrer Überlegenheit fortfahren. ({29}) Ihnen liegt aber nichts mehr an den Realitäten, Herr Wehner, Ihnen liegt am Schein, den Sie vor der deutschen Bevölkerung erzeugen können. ({30}) Warum sagen Sie es denn nicht, Herr Wehner? ({31}) - Einen Augenblick. Herr Wehner, weil Sie immer dann, wenn es darum geht, die Sowjets zu loben, schnell bei der Hand sind. Wenn es aber darum geht, die Sowjets zu kritisieren, dann warte ich bis heute auf Ihren Beitrag vergebens. ({32})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pawelczyk.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gern, aber nur dann, wenn Sie mir eine Verlängerung der Redezeit einräumen.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Nein, Herr Abgeordneter, das gilt für alle gleichermaßen. Es liegt in Ihrem Ermessen, ob Sie sie zulassen wollen oder nicht.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich frage also: Warum verschweigen Sie es vor unserem Volk? ({0}) Während der Zeit, in der die Sowjetunion den Abzug von 20 000 Soldaten aus der DDR angekündigt und bis zum heutigen Tag 10 000 abgezogen hat, hat sie einen Prozeß der Umstrukturierung ihrer Streitkräfte eingeleitet, der zu einer Vermehrung der Zahl ihrer Truppen in Osteuropa einschließlich der DDR um 30 000 führen muß, allerdings mit dem einen Unterschied, daß sie bei der Verstärkung ihrer Truppen das Deutsche Fernsehen nicht teilhaben läßt. ({1}) Das heißt doch: während die Sowjets über Abrüstung verhandeln, verstärken sie die Aufrüstung. Deswegen ist jenes Wort so töricht, das oftmals als Begründung für die Reise des Kanzlers gegeben wird, es sei doch besser zu reden, als zu schießen. Natürlich ist es besser zu reden, als zu schießen, aber die Sowjets haben nun einmal gelegentlich die Eigenart, daß sie reden und zur gleichen Zeit schießen. Das muß auch gesagt werden. ({2}) Lassen Sie mich in der verbliebenen Zeit noch einen anderen Punkt ansprechen, und dies im Blick auf den Verteidigungsminister. ({3}) Was wir beklagen - und ich sagte das einleitend ({4}) ist die Aufweichung der Verteidigungsbereitschaft in unserem Volk. Sie haben über zehn Jahre diesem Volk erklärt, ({5}) die Entspannung sei es gewesen, die unseren Frieden sicherer gemacht hätte. Sie sagen auch jetzt wieder, weil die Entspannungspolitik Europa zur Insel des Friedens mache, zur „Oase des Friedens" - ein Zitat von Herrn Bahr -, sei das der Beweis für den Erfolg Ihrer Entspannungspolitik. Zunächst einmal darf ich darauf hinweisen, daß es auch in früheren Jahren Kriege außerhalb Europas gegeben hat, die nicht auf Europa übergeschlagen sind: Vietnam, Korea. Also allein die Tatsache, daß ein Krieg bis jetzt hier nicht ausgebrochen ist, ist noch lange kein Beweis für den Erfolg Ihrer Politik. In diesem Zusammenhang erscheint mir aber besonders wichtig, daß Sie den Versuch machen, in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, es gehe um die Alternative Krieg oder Frieden. ({6}) Mit dieser falschen Alternative tragen Sie zur Erosion des Widerstandswillens, des Freiheitswillens bei. Ich will Ihnen ein Zitat vorlesen, in dem, glaube ich, das zusammengefaßt ist, was wir meinen. Es ist aus einem Leserbrief eines sehr bekannten Politologen, Professor Kielmansegg, auf jene Anzeige, die Sie im Landtagswahlkampf gestartet haben. ({7}) Dort heißt es: Das Doppelziel Bewahrung des Friedens und politische Selbstbehauptung an den Grenzen des Sowjetimperiums ist nur zu erreichen, wenn der Wille zum Frieden und der Wille und die Fähigkeit zu politischer Selbstbehauptung eine unauflösliche Einheit bilden. Was jetzt geschieht das sagt er im Hinblick auf diese Anzeige -, läßt sich nur als Mobilisierung des Willens zum Frieden - oder besser: der Furcht vor dem Krieg - gegen den Willen zur politischen Selbstbehauptung beschreiben. Für die Folgen dieser Wendung ist es gleichgültig, ob sie willentlich oder naiv vollzogen wird. So oder so wird sie Schritt für Schritt unsere Fähigkeit, zuerst die moralische und dann die materielle, zugleich für den Frieden einzustehen, um dem soDr. Wörner wjetischen Hegemonieanspruch zu widerstehen, zerstören. Und am Ende des Weges werden wir den Preis für diese Zerstörung zu zahlen haben. Der Friede wird nur noch durch die Kapitulation zu haben sein. Es gibt keine bessere Beschreibung dessen, was Sie in den letzten Wochen und Monaten betrieben haben. Ich kann das ergänzen, ({8}) indem ich die Vorgänge auf Ihrem Kongreß zur Verabschiedung Ihres Wahlprogramms heranziehe. ({9}) Ursprünglich war in dem Leitantrag des Vorstands die Rede von der Verschlechterung der weltpolitischen Lage durch den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan. Statt von der Verschlechterung der weltpolitischen Lage ist aber in der Formulierung der Antragskommission und dann in der von Ihnen akzeptierten Fassung nur noch von regionalen Konflikten die Rede, ({10}) die auf Europa zurückwirken könnten. Ebenso wurde von der Antragskommission die Feststellung des Vorstandspapiers eliminiert, die weltpolitische Lage habe sich durch den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan verschlechtert. Die Antragskommission spricht nur noch davon, daß sich im Ost-WestVerhältnis eine klimatische Verschlechterung ergeben habe ({11}) seit - seit! - dem Einmarsch in Afghanistan. Genau das ist es, was dazu führen muß - von Bedrohung reden Sie überhaupt nicht mehr -, daß uns junge Leute fragen: Warum eigentlich sollen wir uns noch verteidigen, warum brauchen wir die Bundeswehr noch, warum geben wir diese Milliarden für die Rüstung aus? ({12}) Herr Horn, die Konsequenz sind die Vorkommnisse in Bremen, wobei das eigentlich Beschämende dort nicht so sehr die Demonstrationen sind, sondern es ist die Tatsache, daß sich Sozialdemokraten - ich gebe zu: nicht alle, aber nicht unerheblich viele - in Aktionseinheit gegen die Bundeswehr betätigen, und das nenne ich bis heute einen Skandal. ({13}) Herr Minister, ich will die Diskussion, die wir über Bremen geführt haben, nicht noch einmal führen, obwohl Bremen nicht das letzte war. Das jüngste Beispiel aus Deister zeigt, daß es weitergeht. Ich will nur eines deutlich machen, wofür selbst Ihr Beitrag Anhaltspunkte geliefert hat. Man hätte sich vorstellen können, daß man nach diesen gewaltsamen Demonstrationen in Bremen in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert hätte, was geschehen könne, um in Zukunft dafür zu sorgen, daß Demonstrationen friedlich verlaufen. Statt dessen drückt uns die Sozialdemokratische Partei eine Diskussion darüber auf, was eigentlich geschehen könne, um das öffentliche Gelöbnis überhaupt nicht mehr oder in einer Form abzuhalten, die die Öffentlichkeit nicht mehr störe. ({14}) Ich kann nur sagen: Das ist genau die psychologische Aufweichung, der wir zu wehren haben. ({15}) - Hören Sie doch erst einmal zu! Wenn jetzt selbst Herr Koschnick, der immer noch der Vorsitzende des sicherheitspolitischen Ausschusses Ihrer Partei ist, den Zapfenstreich zu einem vordemokratischen Brauch, zur unzeitgemäßen Darstellung erklärt, dann ist das nichts anderes als die Kapitulation auf Raten vor den extremen Linken, und damit halten Sie den Damm nicht, Herr Minister. ({16}) Und dann kommen Sie hierher und sagen, es sei doch legitim, über Tradition zu diskutieren. Natürlich ist das legitim. Aber auch da kommt es auf den Zeitpunkt an. Da kommt es auf den Druck an, unter dem das geschieht. Ich kann nur sagen: Stellen Sie sich nicht nur hier im Deutschen Bundestag hin, sondern vor Ihren Jungsozialisten! Sorgen Sie dafür, daß in der Sozialdemokratischen Partei, und zwar querbeet, endlich einmal begriffen wird, daß die Bundeswehr zur Verteidigung der Freiheit und zur Sicherung des Friedens da ist und sonst zu nichts. Wenn Sie das einmal durchgesetzt haben, können Sie mit besserem Gewissen in solchen Debatten auftreten und Weißbücher schreiben. ({17})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.

Paul Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001597, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon immer faszinierend, die Auftritte mancher CDU/CSU- Kollegen aus dem Verteidigunsausschuß im Plenum des Deutschen Bundestages mitzuverfolgen. ({0}) - Ja, Moment, der Herr Möhring hat doch nicht angefangen. - Kollegen, die im Ausschuß sachlich argumentieren, sind plötzlich vor den Kameras, vor Neumann ({1}) den Journalisten, vor den Zuhörern nicht mehr wiederzuerkennen. Es sind ganz andere Menschen. ({2}) - Herr Kollege Voigt hat doch ein gutes Beispiel dafür gegeben. Der Herr Kollege Wörner hat das jetzt fortgesetzt Was Wunder, wenn andere dann darauf reagieren. Lassen Sie mich zum Weißbuch zurückkehren. Das Weißbuch unterrichtet die Offentlichkeit - ({3}) - Ich werde auf ein paar Punkte noch eingehen, Herr Damm. Sie brauchen sich hier nicht zu erregen. ({4}) - Nein, nein, gar nicht so vorgefertigt Die schönen Zitate Ihrer Kollegen muß man doch mitbringen, damit man nicht Fälschung vorgeworfen bekommt Das Weißbuch 1979 unterrichtet die Öffentlichkeit über die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und über die Entwicklung der Bundeswehr. Es ist nicht, wie der Kollege Dr. Wörner meint, „ein enttäuschendes Dokument der Selbstgefälligkeit und Beschönigung", wie er einen Tag nach dem Erscheinen des Weißbuches schrieb. Er schrieb aber auch den Satz dazu: Sein einziges Verdienst ist die Zusammentragung von Fakten und Details. Was ist es also, „Dokument der Selbstgefälligkeit" oder „Fakten und Details"? Herr Kollege Dr. Wörner, es ist mehr als nur Fakten und Details. Es unterrichtet umfassend über alle Bereiche der Sicherheitspolitik, natürlich auch über die Entspannungspolitik. Kollege Möhring hat dazu eine ganze Reihe von Ausführungen gemacht Der Kräftevergleich zwischen Ost und West nimmt im Weißbuch breiten Raum ein. Die Sachlage wird weder verniedlicht noch dramatisiert. Ungeschminkt werden Schwachstellen und Stärken dargestellt . Dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses fiel jedoch am 5. September vor allem auf, an welcher Stelle diese Aussagen standen. Er sagt: „auffällig hinten". Schematismus als Sicherheitspolitik - mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen. Unsere Sicherheitspolitik stellt sich im Weißbuch 1979 wie folgt dar: Fortsetzung der Rüstungskontrollpolitik Fortsetzung der Entspannungspolitik, beides auf der Basis gesicherter Verteidigungsfähigkeit. Zur Entwicklung der Bundeswehr spricht das Weißbuch 1979 ebenfalls eine offene Sprache. Zahlenmäßige Stärke, Gliederung, Ausbildung und Ausrüstung sind zu keiner Zeit so optimal gewesen wie zur Zeit der Vorlage des Weißbuches 1979. Da gibt es doch gar keinen Zweifel. Es ist nützlich, sich die Äußerungen der Kritiker unserer Sicherheitspolitik einmal anzusehen. So findet man zum Beispiel im Oktober 1972 ein Interview des Kollegen Dr. Wörner im Deutschland-Magazin, in dem er erklärt: Die Bundeswehr nähert sich der finanziellen Pleite. Und: Der Bundeswehr fehlen allein an Beschaffungsmitteln bis zum Jahre 1978 mindestens 8 Milliarden DM. (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Das hat gestimmt und stimmt noch! - Ja, ja, Herr Kollege Wörner, das sagten Sie im Oktober 1972, als Sie auch schon einmal Verteidigungsminister werden wollten. Wir prophezeiten Ihnen damals, das würden Sie nicht werden. ({5}) 1976 war auch in Ihren Augen die Bundeswehr eine „gute Armee", die Sie als neuer Verteidigungsminister lediglich noch besser machen wollten. Wir haben Ihnen auch 1976 gesagt, daß Sie nicht Verteidigungsminister würden. Er wird es auch 1980 nicht. Darauf können Sie sich verlassen. ({6}) Bei allen berechtigterweise gemachten positiven Aussagen ist sich die Bundesregierung bewußt, daß dennoch viel zu tun übrigbleibt, unter anderem auf den Gebieten Ausbildung, Bildung, Innere Führung und soziale Lage. Um so höher möchte ich einschätzen, daß die Bundesregierung z. B. im Hinblick auf die weitere Verbesserung der sozialen Lage der Angehörigen der Bundeswehr keine goldenen Berge verspricht Im Weißbuch werden die finanziellen Grenzen aufgezeigt, vor denen wir stehen. Das ist verantwortungsbewußter, als ohne Rücksicht auf den Gesamthaushalt ständig unerfüllbare Forderungen zu stellen. Wir haben seit 1970 die Bundeswehr modernisiert Das werden auch Sie nicht bestreiten. Dafür stehen beispielhaft: Leopard II, Gepard, Roland, Verbindungs- und Beobachtungshubschrauber, Panzerabwehr-Hubschrauber, MRCA, Alpha-Jet, Schnellboot 143 A Fregatte 122. Die Kosten dieser neuen Waffengeneration, meine Damen und Herren, betragen nach dem Preisstand vom Dezember 1978 ca. 55 Milliarden DM. Natürlich plagen uns alle die ständig steigenden Kosten für neue Waffengenerationen. Dafür nur ein Beispiel: Der Leopard I kostete 1,1 Millionen DM, der Leopard II kostet 4 Millionen DM. Die finanziellen Aufwendungen können nicht beliebig gesteigert werden; denn neben der positiven Bilanz bei der Ausrüstung sind für die kommenden Jahre in anderen Bereichen hohe Ausgaben zu erwarten. Neumann ({7}) Natürlich gibt es noch weitere ungelöste Probleme. Ich brauche nur den Verwendungs- und Beförderungsstau zu nennen. Diese Probleme sind im Weißbuch offen angesprochen. Der Bundesminister der Verteidigung hat für 1981 mehr als 600 Stellen angemeldet, um das Problem des Beförderungs- und Verwendungsstaus schrittweise zu lösen. Das wird mehr Geld kosten. Weil ich gerade beim Geld bin: Wir kennen alle den NATO-Beschluß, die Verteidigungsausgaben um real 3 % zu steigern. Das macht Mühe. Um so unfairer finde ich es, Herr Kollege Dr. Wörner, daß Sie am 2. März 1980 im „Süddeutschen Rundfunk" der Regierung vorgeworfen haben, sie „trickse", weil sie die Militärhilfe für die Türkei in ihre Rechnung aufnehme. Die NATO-Kriterien sehen das aber vor, lieber Herr Kollege Dr. Wörner. Im gleichen Interview behaupteten Sie auch, daß es nie die Absicht bei Ihnen gegeben habe, auf die Ausdehnung der NATO zu drängen - weder bei Ihnen noch bei anderen CDU-Politikern. Ist das Angst vor der eigenen Courage? Vorhin wurde der „Express" angezogen. Meine Zeit erlaubt nicht, daß ich das Zitat von Herrn Dregger bringe. Vielleicht übernimmt das der Kollege Möllemann. Nicht nur Herr Dregger, auch Sie, Herr Dr. Wörner, haben sich mehr als einmal für die Ausdehnung der NATO und die Beteiligung der Bundeswehr dabei ausgesprochen - bereits vor einigen Jahren, am 7. Mai 1977, in der „Neuen Ruhrzeitung": „Bei einer multinationalen NATO-Aktion sollte ein Schiff der Bundesmarine dabei sein Eine solche NATO-Aktion sollte eine „längst überholte geographische Begrenzung aufgeben". ({8}). Am 2. Februar 1980 haben Sie das Thema anläßlich eines Redaktionsbesuches bei den „Stuttgarter Nachrichten" auch behandelt. Dort haben Sie versucht, den Vorschlag des Kollegen Dregger „zu schönen", wie die „Stuttgarter Zeitung" schrieb. Man nahm es Ihnen nicht ab. Auf die NATO-Ausweitung angesprochen, haben Sie wörtlich geantwortet: „Ich wollte damit zunächst nur mal Aufsehen erregen." ({9}) Der Kommentar der „Stuttgarter Zeitung": „Eine nicht unbedenkliche Position für einen Politiker in seiner Funktion." - Exakt! ({10}) Im übrigen wollten Sie laut Interview, auch wörtlich nachzulesen, für die Sowjetunion Zuckerbrot und Peitsche gebrauchen - so auch die Überschrift dieses Artikels. Waren Ihre Ausführungen in der „Bunten Illustrierten" vom Januar 1980 - ebenso an anderer Stelle - auch von dieser Qualität? Dort sagten Sie: Während der Westen geredet, verhandelt, unser militärisches Potential insgesamt verringert hat, verdoppelte die Sowjetunion während der sogenannten Entspannungspolitik ihr militärisches Potential. Waren das wieder Worte, um Aufsehen zu erregen, Herr Dr. Wörner? ({11}) Wo hat die Bundesregierung z. B. das Potential verringert? Das müssen Sie doch einmal darstellen. Sie können doch nicht nur solche Behauptungen aufstellen. Ich will die Forderungen, die Sie, lieber Kollege Dr. Wörner, gestellt haben, übergehen; denn alle wissen - alle! -, daß sie in der Zeit nicht zu finanzieren sind. Hierbei geht es um zusätzliche Milliarden, die nicht vorhanden sind. Da können Sie noch so lange reden, Herr Kollege. All das zeigt uns, daß die Opposition Sicherheitspolitik ohne Augenmaß betreibt. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Dr. Wörner, steht dabei an der Spitze, wenn er sich draußen äußert. ({12}) Herr Dr. Wörner hat die Bundesregierung und die Europäer verdächtigt, durch ihre Politik Europa von den Vereinigten Staaten abzukoppeln. Lassen Sie mich zitieren, was Herr Dr. Wörner, im Jahre 1977 gesagt hat: Die Perspektiven ihrer Politik werden natürlich in erster Linie vom nationalen amerikanischen Interesse bestimmt. Auf der anderen Seite erwarten die Amerikaner von ihren Verbündeten, daß sie ebenso offen und klar ihr eigenes nationales Interesse und ihre Gesichtspunkte ins Spiel bringen. Die Amerikaner beklagen, daß die Europäer in der Vergangenheit häufig genug ihren eigenen Standpunkt nicht mit der nötigen Deutlichkeit vorgetragen hätten und sich nur allzu gern der amerikanischen Führung anvertraut hätten. Daraus schließe ich - so Herr Dr. Wörner -- das ist der Ausgangspunkt meiner Überlegungen -, daß die beste europäische Politik gegenüber - den Vereinigten Staaten und ihrer neuen Administration die ist, die europäischen Interessen so klar wie möglich auszuformulieren und in den Meinungsbildungsprozeß der Allianz einzubringen. ({13}) Komisch, wenn das ein CDU-Politiker formuliert - vor internationalem Publikum in Edinburgh -, dann ist das gut. Wenn die Sozialliberalen das praktizieren, dann ist das „Abkoppeln". ({14}) Wenn der Bundeskanzler nach Moskau fährt, ist das schlimm. Wenn Herr Strauß erklärt, er würde eine Einladung annehmen, ist das eine staatsmännische Haltung. Neumann ({15}) 1972 und 1976 haben wir Ihnen gesagt - ich wiederhole das -, daß Sie für die bisherigen Verteidigungsminister keine Alternative waren. Wir sagen Ihnen das heute wiederum, auch wenn Sie eine Ehrenformation der Bundeswehr abschreiten, wie jüngst - gegen jedes Reglement - am 29. Mai 1980 in der Grenzlandkaserne in Oberviechtach geschehen. Unberechtigtes Abschreiten einer Ehrenformation macht noch keinen Verteidigungsminister. ({16}) Der künftige Verteidigungsminister einer von der SPD geführten Bundesregierung, Herr Dr. Wörner, findet im Weißbuch 1979 die Grundlagen eines Programms für die vor uns liegenden Jahre. Aus dem Weißbuch 1979 ist abzulesen, wie Sozialdemokraten die Lebensinteressen unseres Landes wahrgenommen haben und sie künftig wahrzunehmen beabsichtigen. Wir Sozialdemokraten haben im klaren Bewußtsein, daß noch vieles zu leisten ist, keinen Grund, unser Licht unter den Scheffel zu stellen. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Voigt und Dr. Wörner haben zu Beginn ihrer Ausführungen erklärt, man solle dieses Thema sachlich debattieren und keinen Wahlkampf machen. Sie haben jedoch vom ersten Moment Ihrer Reden an nichts anderes getrieben, als Wahlkampfparolen zu verbreiten. ({0}) Es ist notwendig, die sachlich gravierendsten Falschaussagen, die gemacht worden sind, klarzustellen. Zunächst muß jedoch festgestellt werden, daß der Versuch, sich klammheimlich aus der Festlegung auf eine ganz bestimmte politische Konzeption herauszustehlen, nicht gelingen kann. Wir reden von der Frage des Einsatzes deutscher Soldaten außerhalb des Territoriums der NATO. Hierzu gibt es nun einmal zwei Zitate. Der Kollege Jung ist gebeten worden, sie vorzutragen. Er hat keine Gelegenheit dazu gehabt. Ich mache es jetzt für ihn. Herr Dregger schreibt im „Express" am 25. Januar 1980 - es ist die Rede davon, daß der Zuständigkeitsbereich der NATO in den Bereich der Golfregion ausgedehnt werden muß -: Wir Deutschen haben keinerlei Anlaß, auf unsere Beteiligung zu drängen. Wir haben aber auch keinerlei Anlaß, uns aus moralischen oder politischen Gründen davon auszuschließen. ({1}) Ich denke, wir haben auf jeden Fall verfassungsrechtliche und politische Motive hohen Ranges, davor zu warnen, den Aufgabenbereich der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Verteidigung und den Zuständigkeitsbereich der NATO auszuweiten. Ich komme gleich darauf, welche Gründe das sind. Der Kollege Wörner sagte auf dem verteidigungspolitischen Kongreß seiner Partei am 11. und 12. Januar dieses Jahres in Bonn - ich zitiere die Verlautbarung der CDU/CSU -: Seit Jahren spreche ich davon, daß wir nicht nur an der europäischen Front und im afrikanischen Hinterland, sondern auch in der weltpolitischen Schlüsselregion der mittelöstlichen Ölquellen ausreichend verteidigt werden müssen, daß also die geographische Begrenzung der NATO überholt sei. Dann heißt es unter den Forderungen, die sich anschließen: Es muß die Konsequenz gezogen werden: Die geographische Begrenzung muß fallen.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber natürlich. Es ist ja eine Debatte.

Markus Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000150, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Möllemann, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß aus den von Ihnen vorgetragenen Zitaten keineswegs der Schluß gezogen werden kann, daß ein deutscher Sicherheitspolitiker den Einsatz von Bundeswehrsoldaten am Golf gefordert hätte, wie der „Express" in der Überschrift des von Ihnen zitierten Artikels dies getan hat?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich habe mich nicht auf die Überschrift bezogen, sondern habe vorgelesen, was die Kollegen geschrieben haben. ({0}) Damit möchte ich mich jetzt auseinandersetzen, wenn Sie sich das bitte anhören wollen. Ich möchte jetzt auch keine weitere Zwischenfrage zulassen. Es geht darum, daß der Vorschlag, die Begrenzung der NATO aufzuheben, gemacht worden ist, daß in einem zweiten Schritt gesagt worden ist, es gebe für uns keine politischen und moralischen Gründe, uns davon auszuschließen. Wir reden hier doch nicht wie. Dummköpfe miteinander, so hoffe ich; das heißt doch, daß auch die Bundeswehr dort soll eingesetzt werden können. ({1}) Ich verstehe es sehr gut, daß Ihnen das höchst unangenehm ist, weil Sie gemerkt haben, wie empfindlich unsere Bürger darauf reagieren. Aber es ist Ihnen hoffentlich im übrigen auch unangenehm, weil Sie merken, welchen verhängnisvollen politischen Fehler Sie im außenpolitischen Bereich angestellt haben. Lassen Sie mich das begründen.

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jaeger?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001006, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Möllemann, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß in den Plenarsitzungen der Nordatlantischen Versammlung, der NATO-Parlamentarierkonferenz und insonderheit in deren Militärausschuß international über die Frage der Zweckmäßigkeit der derzeitigen Grenzen der NATO gesprochen wurde? ({0})

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist für mich keine Neuigkeit, Herr Kollege Dr. Jaeger. Ich finde es auch nicht störend, daß man darüber redet. Entscheidend ist, welche Antwort man auf eine Frage gibt. Sie geben die Antwort: Ausweitung. Das ist das, was wir ablehnen. Es geht doch nicht darum, daß Fragen gestellt worden sind. ({0}) Sie haben natürlich einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie unsere Position dazu ist. Erstens. Der Versuch, den derzeit gegebenen Vertragsrahmen der NATO auszuweiten, würde - so wissen Sie aus den NATO-Versammlungen, und so wissen wir es - sofort zu einem Auseinanderplatzen der NATO führen. Nicht nur wir, sondern auch mehrere Partner - die Niederlande, die Belgier, die Dänen - weigern sich strikt, über den Aufgabenbereich, den wir derzeit im Verteidigungsbereich haben, hinaus eine Ausweitung vorzunehmen. Wer also die NATO zum Platzen bringen will, muß so etwas vorschlagen. Zweitens. Haben Sie eigentlich einmal bedacht, wie es in den Staaten, um die es hier geht - in Saudi-Arabien und den übrigen Staaten am Golf -, empfunden wird, wenn wir in Interviews im „Express" den Staaten dieser Region mitteilen, wir seien künftig für sie sozusagen die Weltpolizei, für sie militärisch zuständig? ({1}) - Wir haben in den Diskussionen mit den Staaten die Antwort bekommen: Was fällt euch eigentlich ein, euch anzumaßen, in diese Region hinein eure Zuständigkeit auszuweiten? Was wir wollen, meine Damen und Herren, ist, die Blockfreiheit, die Unabhängigkeit der blockfreien Staaten zu stärken. Wir unterstützen diese in ihrem Bestreben, ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. Auch die Staaten des Nahen Ostens sind - personell, von ihren materiellen Ressourcen und von allen anderen Möglichkeiten her - in der Lage, sich zur Wahrung ihrer Sicherheit zusammenzuschließen. Das ist unbestreitbar, und das sollten wir ermuntern. Wir haben doch keinen Grund, militärische Aufgaben in der Region zu übernehmen. Das können diese Staaten nach unserer Überzeugung selber leisten. Es ist ihnen natürlich dann auch freigestellt, beispielsweise in Kooperation - wie früher im CENTO-Pakt geschehen - mit den Vereinigten Staaten von Amerika diese ihre Sicherheitsinteressen besonders abzustützen. Aber es handelt sich dabei nicht um eine Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs der NATO. Dies muß hier so klargestellt werden. Sie dürfen sicher sein, Ihre erklärte Absicht - die Zitate Dregger und Wörner belegen es eindeutig - wird von uns nicht mitgetragen werden, wird ein Auseinandersetzungspunkt auch in der Öffentlichkeit bis zum Wahltag bleiben müssen, denn wir müssen annehmen - ({2}) - Natürlich, an diesem Tag ist Wahl. Tun Sie doch nicht so, als würden Sie hier ohne jeden Blick auf den 5. Oktober Reden halten. Alle Ihre Beiträge waren und sind doch darauf gerichtet, unsere Sicherheitspolitik zu diskreditieren, damit Sie Zustimmung für Ihre Politik finden können. Wir alle und nicht nur der eine oder andere reden hier auch für die Offentlichkeit und nicht nur im Blick auf die Wahl. Am 5. Oktober wird natürlich darüber entschieden, ob die bisherige Außen- und Sicherheitspolitik mit ihren Elementen Verteidigung und Entspannung beibehalten wird oder ob abenteuerliche Vorschläge wie die, die Sie gemacht haben, künftig zur amtlichen Politik gemacht werden sollen. ({3}) Ich möchte Ihnen ein Weiteres sagen. Sie haben ihn auf den Schild des Kanzlerkandidaten gehoben bekommen. Sie von der Union - Sie wollten ihn ja nicht -, und schieben ihn jetzt erbarmungslos wie den Baumstamm auf die Kreissäge auf den Wahltag zu. Da muß er durch: jenen Franz Josef Strauß, der erklärt hat - hier muß ich Herrn Biehle korrigieren -, wenn die Union an der Macht wäre, wäre Afghanistan nicht passiert. Ich habe nicht gesagt, daß Herr Strauß größenwahnsinnig ist. Das habe ich nicht gesagt. Er macht nur den Eindruck, als sei er es. ({4}) Ich will Ihnen ein Weiteres sagen. Das, was der Kollege Wörner hier zur Reise nach Moskau gesagt hat, läßt doch Ihr grundsätzlich verklemmtes Verhältnis zum Thema Entspannungspolitik mal wieder deutlich werden. Wann denn muß die Entspannung im Sinne des Miteinanderredens sich mehr bewähren als dann, wenn es Probleme gibt? Und wir haben Probleme miteinander durch Afghanistan. Wir haben Probleme durch die fortdauernde Aufrüstung. Das ist doch unbestreitbar. Wer nicht will, daß geschossen wird, muß miteinander reden. Deswegen ist es richtig, daß der Kanzler und der Außenminister nach Moskau fahren, damit nicht geschossen wird, damit die Spannungen, die bestehen, abgebaut werden. Welche Alternative hätten Sie denn? Sie är18346 gern sich doch nur, daß Ihr Möchte-gern-Kanzler Franz Josef Strauß nicht nach Moskau eingeladen worden ist. ({5}) Man weiß ihn dort offenbar richtig einzuschätzen. Ein Weiteres! Wenn ich mir die Rede des Kollegen Voigt und die Rede von Herrn Dr. Wörner im Blick auf die Folgerungen angehört und sie richtig verstanden habe, dann verlangen Sie im Grunde ein Haushaltsprogramm, bei dem der Kollege Windelen sicherlich sehr skeptisch geblickt haben dürfte. Alles das, Herr Kollege Voigt, was Sie vorgeschlagen haben, würde, wenn man es nur ganz vorsichtig berechnet, allein für ein Haushaltsjahr Mehrkosten von mehreren Milliarden DM bedeuten und bewirken. Es ist einfach unredlich, daß Sie sich draußen hinstellen und sagen: Diese Koalition macht so viele Ausgaben, sprich: zu viele Schulden, aber wir, wenn wir dran wären, würden noch viel mehr Ausgaben machen. Sie würden gleichzeitig auch noch die Steuern senken und die Verschuldung abbauen. Hören Sie doch mit diesen unredlichen Aussagen auf. Sagen Sie, daß Sie die Steuern erhöhen wollen, wenn Sie die Verteidigungsausgaben erhöhen wollen. Wir sind der Auffassung: das, was wir tun, ist ausreichend. Deswegen haben wir diese Frage so nicht zu beantworten. Aber alles am gleichen Ort zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlichen Antworten zu versehen, wie Sie es tun - Schulden senken, Steuern senken, aber mehr Ausgaben -, ist eine unredliche Form der Politik, die wir zurückweisen müssen. ({6}) Herr Kollege Wörner hat sich in einer sehr interessanten Einlassung, zu der ich ganz gerne mal das Votum anderer Kollegen hätte, z. B. von Herrn Kiep oder anderen, zum Thema Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsbeziehungen geäußert. Ich weiß nicht, ob Herr Wörner vorschlagen wollte, wir sollten einen Wirtschaftsboykott machen. Er hat die Vereinbarung kritisiert. Daraus entnehme ich, er ist gegen diese Vereinbarung. Wenn ich die Schlußdokumente von Venedig richtig gelesen habe, hat niemand verlangt, daß die Bundesrepublik Deutschland über den Katalog der getroffenen Maßnahmen hinaus, die in der EG und in der NATO sorgfältig abgestimmt worden sind, weitere bilaterale Strafmaßnahmen gegen die Sowjetunion ergreifen sollte. Warum stellt sich Herr Wörner dann hier hin und sagt, ihm sei aber - von wem auch immer - in Amerika gesagt worden, man wolle das? Es ist kein guter Stil, wenn Sie unterstellen, der amerikanische Präsident und der amerikanische Außenminister hätten in Venedig Dokumente unterzeichnet, die sie in Wahrheit nicht wollten. Wir haben in Venedig in allen zentralen Fragen einen Konsens herbeigeführt. Glauben Sie also den Dokumenten, oder bringen Sie Zeugen dafür, daß das, was dort gemeinsam vereinbart worden ist, nicht die Rückendeckung der Vereinigten Staaten hat! Ein nächster Punkt: Ich verstehe Ihre Intention, wenn Sie immer wieder über das Thema Bremen reden. Sicherlich ist das ein Thema, das für den einen oder anderen nicht sehr angenehm sein kann. Aber es ist auch nicht gut, wenn Sie sich nach einer klarstellenden Debatte hier, in der der Kanzler, der Verteidigungsminister und alle Fraktionen sich nachhaltig hinter die Streitkräfte, hinter ihr Recht, öffentliche Gelöbnisse abzuhalten, gestellt haben und nachdem der Verteidigungsminister ganz klar weitere feierliche öffentliche Gelöbnisse aus feierlichen Anlässen angeordnet hat, hier hinstellen und so tun, als sei das hier in diesem Hause wirklich eine Frage. ({7}) Die Streitkräfte haben die Rückendeckung des Parlaments. ({8}) Wir sollten das nicht zerreden, auch wenn der Wahlkampf die Debatten hier immer stärker überlagert. Sie wissen, daß die Freien Demokraten in Bremen der Einrichtung des Untersuchungsausschusses zugestimmt haben. Ein Untersuchungsausschuß hat aber doch wohl nur dann einen Sinn, wenn man ihm die Ergebnisse nicht von vornherein vorgibt Warten wir doch gemeinsam die Ergebnisse der Arbeiten dieses Ausschusses ab! ({9}) Ein weiterer Punkt zum Thema Mittelstreckenraketen oder NATO-Doppelbeschluß: Ich möchte hier in aller Deutlichkeit klarstellen, daß wir, die Koalition, diesen Doppelbeschluß von Anfang an gemeinsam getragen haben, aber in beiden Elementen. Wir sind dafür, das Gleichgewicht der Kräfte auch in diesem Bereich wiederherzustellen. Das kann, wenn es nicht anders geht, dadurch sein, daß wir eigene Systeme dieser Art produzieren und in Europa aufstellen. Es sollte aber, wenn es irgend möglich ist, dadurch sein, daß wir zu Vereinbarungen dahin gehend kommen, daß die Aufstellung dieser Syteme, die natürlich eine weitere Belastung der Völker auf beiden Seiten der Blöcke darstellt, nicht notwendig ist. Lassen wir uns doch gemeinsam dafür einsetzen! Und wenn ein Schritt in diese Richtung durch den Besuch des Kanzlers und des Außenministers getan werden kann, meine Damen und Herren, ist das ein ganz wichtiger Fortschritt, auch wenn es wirklich nur ein Schritt ist. Lassen Sie mich abschließen. Ich habe wirklich den Eindruck, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß allen verbalen Beteuerungen, die Sie hier bei manchen Gelegenheiten abgeben, zum Trotz solche Debatten wie die heutige immer wieder deutlich machen, was wir auch aus der Erfahrung wissen - und die Offentlichkeit muß es ebenfalls wissen-: Sie haben sich bis heute nicht damit abgefunden, daß eine vernünftige Konzeption der Außenpolitik eben nicht nur Verteidigungspolitik sein kann, sondern ernsthafte und aufrichtige Entspannungsbemühungen umschließen muß. ({10}) Sie haben alle Schritte in dieser Richtung bekämpft, von der KSZE bis zu den Ostverträgen, von denen ein noch amtierender Kollege von Ihnen vor drei . Wochen gesagt hat, es seien Schandverträge. Niemand von Ihnen hat sich für diesen ungeheuerlichen Begriff entschuldigt. Und dann reden Sie davon, Sie stellten sich hinter diese Politik! Sie sind nach wie vor gegen die von uns betriebene Entspannungspolitik, und daher können Sie von uns auch nur eines erwarten: daß wir der Offentlichkeit dies sagen und gemeinsam mit unserem bisherigen Partner die vernünftige Politik, die das Weißbuch skizziert, fortsetzen werden. - Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur wenige Bemerkungen zu Herrn Abgeordneten Voigt, weil ich es nicht gut finde, wenn wir an einem Vormittag quasi zweimal dieselbe Debatte führen. Ober die sozialen Probleme der Bundeswehr haben wir im Zusammenhang mit dem Bericht des Herrn Wehrbeauftragten debattiert Dennoch muß ich einiges richtigstellen. Ich fange bei einer Bemerkung an, die der Herr Abgeordnete Möllemann soeben hier vorgebracht hat. So kann es ja nicht sein, daß der Generalsekretär der CDU uns in diesen Tagen sagt, die Haushaltssteigerung könne im nächsten Jahr nur 3 sein, und Sie Ankündigungen machen, die in diesem Rahmen nicht unterzubringen sind. Und so kann es ja auch nicht sein, daß Sie Wehrsolderhöhung, Benzingeld und anderes fordern und es nicht einen einzigen Antrag im Haushaltsausschuß von seiten der Opposition gegeben hat, um dies zu realisieren. ({0}) Hier müssen Tun und Sagen, Wollen und Absicht in Deckung bleiben. Sonst verlieren nicht nur Sie die Glaubwürdigkeit ({1}) Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, hochverehrter Herr Abgeordneter, daß durch den Beschluß, den wir gemeinsam getragen haben, 500 neue Stellen für die Heeresstruktur geschaffen worden sind, daß der Dienstzeitausgleich für 150 Millionen DM ab dem 1. Juli läuft, daß wir zahlreiche Verbesserungen im Zulagenbereich haben, daß es 1 100 Planstellenhebungen für Hauptfeldwebel gegeben hat, unbeschränkte Heimfahrten für Wehrpflichtige und vieles andere mehr. Natürlich haben wir im Bereich der Unteroffiziere immer noch ein Fehl. Aber das Fehl ist von früher 20 000 auf heute 12 000 zurückgegangen. Dies darf niemanden beruhigen. Dies ist in der Tat ein Problem. Aber nehmen wir es bitte aus der Parteipolemik heraus. Es ist ein Strukturproblem der Bundeswehr, das auch etwas mit zyklischen Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt zu tun hat. Ich erwarte im übrigen durch die Verbesserung der Unteroffiziersausbildung ein Mehr. Sicher kann man da überhaupt nicht sein. Denn wir haben die Ausbildungszeit schon einmal verringert, um ein Mehr an Unteroffizieren zu bekommen. Schließlich: Was sollen eigentlich Bemerkungen dieser Art und Weise über die jungen Offiziere, die von den Bundeswehrhochschulen kommen? Natürlich wissen sie das eine oder andere noch nicht. Aber ich sage Ihnen - und dies ist für mich eine hochbefriedigende Erfahrung -, daß wir aus der Truppe hören, daß die jungen Absolventen der Bundeswehrhochschulen sich in der Truppe vorzüglich bewähren und daß das, was ihnen an praktischer Kenntnis fehlt, innerhalb kürzerer Zeit nachholbar ist. Wir können also mit diesem Weg zufrieden sein. Im übrigen ist kein Weg so gut, daß er nicht noch verbessert werden könnte. Nun zu dem Herrn Abgeordneten Dr. Wörner. Sie, Herr Kollege, haben uns auf der Regierungsbank gefragt, ob wir den Sachverhalt, daß Sie eine Front abgeschritten haben - der Herr Abgeordnete Neumann hat darauf hingewiesen -, parteipolitisch ummünzen werden. Oberhaupt nicht! Ober Stilfragen dieser Art werde ich mit Ihnen niemals streiten. ({2}) Ich habe da einen anderen Stil. Vielleicht liegt das an meiner besonderen Art. Ich habe gleich bei der Obernahme des Ministeriums gesagt, ich ginge nicht zur Truppe, um Fronten abzuschreiten, sondern um Probleme kennenzulernen und zu debattieren, und man möge doch bitte auf Zeremonien verzichten; ich sei kein Erwählter, sondern ein Gewählter. So wird bei mir verfahren. Wenn Sie es künftig auch so haben wollen, lassen Sie es uns mitteilen. Wir werden das dann für Sie entsprechend arrangieren. ({3}) - Das ist eine Gemeinheit? ({4}) Wenn Sie hier verkünden, Sie wollten ab sofort nicht mehr in die Verlegenheit gebracht werden, eine Front abzuschreiten, dann ist das damit gebucht. ({5}) Und wenn Sie sagen, hochverehrter Herr Abgeordneter, ({6}) Sie seien dort in Verlegenheit gebracht worden und Sie hätten dies nicht gewollt, dann nehme ich dies gern zur Kenntnis. Nur, ich bin ganz entschieden dagegen, daß Sie hier in falsche Entrüstung ausbrechen. Im übrigen ist dies ja wohl auch nur ein Randproblem. Gehen wir mal zu den politischen Aussagen über, die Sie gemacht haben, und nehmen uns die mal auf die Hörner. Wie kommen Sie eigentlich zu der un18348 glaublichen Behauptung, die USA sagten: „Wo bleibt denn eigentlich euer Beitrag?" Mit dem Wort „euer“ in dieser unglaublichen Behauptung können Sie ja nur die Bundesrepublik Deutschland meinen. Sind Sie eigentlich nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir dem Lande Pakistan stets Entwicklungshilfe gezahlt haben, und zwar auch in Zeiten, in denen dies keineswegs unumstritten war? Sind Sie eigentlich nicht in der Lage und bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir die Hauptlast der Türkei-Hilfe - sowohl hinsichtlich der militärischen Hilfe als auch hinsichtlich der Entwicklungshilfe - auf unsere Schultern gelegt haben? Sind Sie eigentlich nicht bereit und in der Lage, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Europäische Gemeinschaft einen Beitrag zur Lösung des Nahost-Problems leisten will? Sind Sie nicht bereit und in der Lage, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bundeswehr hier in Zentraleuropa - und nur hier ist das Einsatzgebiet der Bundeswehr - die zentrale Aufgabe übernimmt? Was sollen eigentlich Bemerkungen dieser Art, die durch nichts fundiert sind? Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß jedes Gespräch zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten, zwischen dem amerikanischen Verteidigungsminister und seinem deutschen Kollegen zur völligen Übereinstimmung führt, was das Thema „Deutscher Beitrag zur Sicherung des Friedens in Europa und außerhalb Europas" anlangt. ({7}) Hören Sie auf, aus wahltaktischen Gründen Zwietracht zwischen der Bundesrepublik und den USA säen zu wollen. Dies muß fehlschlagen und kann unserem Land nur schaden. ({8}) Sie sagen - und damit bin ich bei einem weiteren Punkt -, das Gleichgewicht als Voraussetzung der Entspannung sei als Fundament der Entspannung brüchig geworden. Ich bitte Sie, folgende Aussagen aus dem SPD-Wahlprogramm zur Kenntnis zu nehmen - ich zitiere wörtlich -: Unverändert gilt: Westeuropa kann auf den militärischen Schutz der USA nicht verzichten. Militärisches Gleichgewicht zwischen Ost und West ist eine zentrale Aufgabe der Sicherheitspolitik des Bündnisses. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß die sozialdemokratische Sicherheitspolitik, die Sicherheitspolitik der sozialliberalen Koalition auf der Basis des militärischen Gleichgewichts basiert und daß Sicherheitspolitik für uns - im Unterschied zu Ihnen - aus Entspannungspolitik und Verteidigungsfähigkeit des Westens besteht. Wir sind beidäugig und nicht einäugig, sehr geehrter Herr Abgeordneter! ({9}) Nehmen Sie bitte auch folgende Fakten zur Kenntnis: In dem hinter uns liegenden Jahrzehnt haben wir die Verteidigungsausgaben jeweils real um 3 v. H. gesteigert. Dies können keineswegs alle NATO-Partner von sich behaupten. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß die NATO im Mai 1978 das langfristige Verteidigungsprogramm beschlossen hat und, daß wir uns daran halten werden. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß die NATO-Beschlüsse vom Dezember 1979, die sogenannten Nachrüstungsbeschlüsse, in beiden Teilen gleichmäßig gelten. Hier gibt es wiederum einen zentralen Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir wollen das militärische Gleichgewicht, nicht das Wettrüsten. Aber wir sind auch bereit, nachzurüsten, wenn das militärische Gleichgewicht über Rüstungskontrolle nicht herstellbar ist. Dies ist in der Tat - da stimme ich Herrn Abgeordneten Möllemann zu - ein fundamentaler Unterschied zwischen Ihrer Politik und unserer Politik. ({10}) Was sollen denn eigentlich Ihre Bemerkungen zum Venediger Gipfel? Herr Möllemann hat zu Recht gefragt: Wollen wir hier einem der beteiligten Regierungschefs unterstellen, daß er Papiere unterschreibt, die nicht seiner wahren Meinung entsprechen? Nehmen Sie bitte folgendes Zitat aus dem Kommuniqué zur Kenntnis: Daher bekräftigen wir hiermit, daß die sowjetische militärische Besetzung Afghanistans heute unannehmbar ist und daß wir entschlossen sind, sie auch in Zukunft nicht hinzunehmen. Wir sind entschlossen, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um den Abzug herbeizuführen. Wir werden ferner alle Bemühungen - alle Bemühungen! unterstützen, die dazu bestimmt sind, zur politischen Unabhängigkeit und Sicherheit der Staaten der Region beizutragen. Ich bin dagegen, daß Sie hier - nur kurzfristiger Wahlkampfziele wegen - etwas behaupten, etwas sagen, was den Fakten widerspricht. Zu Bremen will ich soviel sagen: Hier gibt es in der Tat überhaupt kein Zurückweichen, weder von mir noch von irgend jemandem sonst. Aber zur Debatte bin ich bereit, ich hoffe, auch Sie, hochverehrter Herr Abgeordneter. Lassen Sie mich Bemerkungen zu der Behauptung machen, die USA fühlten sich im Stich gelassen. Und lassen Sie mich in diesem Zusammenhang erneut auf das Kommuniqué von Venedig zurückgreifen. Hier wird gesagt - ich zitiere -: Die auf dieser Konferenz vertretenen Regierungen, die sich gegen eine Teilnahme an den Olympischen Spielen ausgesprochen haben, bekräftigen ihre Haltung mit Nachdruck. Ich möchte gern wissen, Herr Abgeordneter Dr. Wörner, ({11}) gegen wen Sie angesichts der Tatbestände hier in Westeuropa Ihre Vorwürfe eigentlich richten. Gegen die Bundesregierung oder gegen andere westliBundesminister Dr. Apel che Länder, die sich nicht in der gleichen Weise verhalten haben? Wir leisten der USA Gefolgschaft. Aber - und hier möchte ich den Abgeordneten Neumann ausdrücklich unterstützen - Solidarität heißt Solidarität Gleicher; Solidarität heißt Debatte miteinander; Solidarität heißt auch berechtigte nationale Interessen einbringen. Ich bin froh und zufrieden darüber, daß gerade die nationalen Anliegen der Bundesrepublik Deutschland in einem geteilten Europa und in einem geteilten Land zunehmend - auch jetzt in Ankara bei der Tagung der NATO-Außenminister wieder - in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gerückt werden. Ich werde jetzt keine Bemerkungen zu der bevorstehenden Moskau-Reise des Herrn Bundeskanzlers machen. Es ist schädlich und schäbig, wenn im Vorfeld dieser Reise so argumentiert wird, wie es geschehen ist. Der Deutsche Bundestag wird in der nächsten Woche Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. Lassen Sie mich abschließen. Bei der nächsten Bundestagswahl geht es nicht um die Alternative „Krieg oder Frieden". ({12}) Es geht um eine ganz klare, deutliche Alternative, es geht damm, ob die praktische Politik der Friedenssicherung, die praktische Politik zur Erhaltung einer Perspektive für Deutschland, die Möglichkeit der deutschen Menschen, zusammenzukommen und in Kontakt zu bleiben und die Politik der festen Einbindung in die westliche Allianz und der Einbringung unserer Interessen in dieses Bündnis durch eine Politik der Demagogik, der Unklarheit, der Widersprüche und der Polemik ersetzt wird. Herr Wörner, ({13}) Sie haben gesagt, hier sollte kein Wahlkampf gemacht werden. Ihr Beitrag war billiger Wahlkampf. ({14})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Verehrter Herr Minister! ({1}) In der Tat läßt sich über Stilfragen trefflich streiten, auch über die Frage, ob es sehr geschmackvoll ist, eine Mahnung, die ich dort - übrigens nicht an Ihre Person - abgegeben habe, die aber keineswegs so lautete, wie Sie sie zitiert haben - das wissen Sie -, in dieser Form wiederzugeben. Ich möchte nur eines vermeiden. Ich möchte nicht, daß wegen der protokollarischen Ungeschicklichkeit oder Hilflosigkeit eines einzigen Zugführers oder Kompaniechefs in all den wirklich Hunderten von Truppenbesuchen, die ich gemacht habe, bei denen ich nie Züge oder Fronten oder so etwas abgeschritten habe, einem einzelnen Mann etwas geschieht. Sie können ganz sicher sein: Sowenig ich das je gewünscht hätte - ganz abgesehen davon, daß es mir nicht zustünde, Fronten abzuschreiten -, so wenig werde ich das in Zukunft wünschen. Meine Bitte an den Generalinspekteur - er wird das bestätigen können - war lediglich, daß man das dem Mann nicht anlastet und nicht zu parteipolitischen Zwecken verwendet. Das war das einzige, was ich gewollt habe. Dazu stehe ich auch. Ich finde es nicht gut, wenn Sie das hier in dieser Form weitergeben. ({2}) Jedenfalls, Herr Minister, habe ich wesentlich mehr Truppenbesuche auf dem Buckel, und zwar Truppenbesuche, bei denen ich mich wirklich nicht wie Sie vor der Presse oder den Fotoreportern mit den Wehrpflichtigen auf den Boden setze, sondern allen Ernstes mit ihnen ihre Sorgen und ihre Nöte und ihre Anliegen bespreche. Das brauchen Sie mir nicht vorzumachen; das kann ich besser als Sie und auch schon länger. ({3}) Nun aber zu dem, was Sie sonst noch gesagt haben. Zufriedenheit mit dem deutschen Beitrag? Ich zitiere Carters Sonderbotschafter Clifford - Präsidentenberater seit langer Zeit -: Wunschdenken und ein lasches Benehmen wie im Umgang mit Hitler in den 30er Jahren hat Präsident Carters Sonderbotschafter Clifford den Westeuropäern vorgeworfen. Er sagte am 20. März 1980: „Ich würde wünschen, daß es besser verstanden würde, welchen Preis wir zahlen müssen, wenn wir nicht hart genug gegenüber der Sowjetunion auftreten." Das nächste Zitat stammt von Verteidigungsminister Brown vom 31. Januar 1980: „Man habe den Ausbau der Mittel zur erfolgreichen Führung eines nichtatomaren Krieges vernachlässigt. Unsere Verbündeten vor allem in Europa waren in dieser Beziehung noch sorgloser." Am 27. Mai 1977 sagte Verteidigungsminister Leber - bezeichnenderweise allerdings vor den NATO-Verteidigungsministern im Verteidigungslanungsausschuß in Brüssel -: ({4}) „Unsere konventionellen Streitkräfte haben einen Tiefstand erreicht. In dieser Zeit der Entspannungspolitik hätte der Westen eigentlich aufforsten müssen, hat aber tatsächlich abgebaut. Es werden Gefahren deutlich, die man jetzt erkennen muß. Ich fürchte, daß, wenn die heute vorhandene Tendenz mittelfristig anhält, bald öffentlich die Frage gestellt wird, ob die Allianz noch den eigentlichen Zweck erfüllen kann, nämlich vom Krieg abzuschrecken." Ich wollte, Sie hätten einiges von dem zurückbehalten, was Ihr Vorgänger an Einsichten auch in die Realitäten der westlichen Allianz und des deutschen Verteidigungsbeitrages hatte. ({5}) Ein weiteres Zitat, diesmal vom früheren Verteidigungsminister und nachmaligen Energieminister Schlesinger bei seinem Aufenthalt in Bonn am 8. Februar 1980: „Schlesinger gab auch zu verstehen, daß er nicht nur die Erfüllung der Zusage Bonns, die eigenen Verteidigungsanstrengungen jährlich um real 3 % zu erhöhen, für notwendig hält. Die Bundesrepublik gehöre derzeit - und jetzt hören Sie gut hin - sowohl was das Verhältnis zwischen Soldaten und Gesamtbevölkerung als auch das Verhältnis zwischen Verteidigungsausgaben und Bruttosozialprodukt angehe, zu den NATO-Staaten, die die geringsten Leistungen vorzuweisen hätten." Kommen Sie dann doch nicht hierher und tun Sie nicht so, als wäre das, was Sie am Schluß großer Gipfelkonferenzen - aus wohlerwogenen und sicher auch berechtigten Gründen - in Bulletins hineinschreiben, eine Beschreibung der Tatsachen. Sie wissen genausogut wie ich, daß es in den Vereinigten Staaten eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit den Leistungen der Europäer und auch der Deutschen gibt. Das können Sie nicht leugnen, und wenn Sie es doch leugnen, werden wir hierher kommen und die Wirklichkeit beim Namen nennen. Das habe ich getan, und das werde ich auch in Zukunft tun. ({6}) Um auf eine weitere Ihrer Bemerkungen einzugehen: Da kommen Sie und erzählen uns - und das, was Sie hier schon viermal gesagt haben, wird dadurch nicht richtiger -, Sie hätten in den letzten zehn Jahren jährlich um real 3 % aufgestockt. Nehmen Sie sich die Statistik doch einmal genau her. Der Haushaltsdirektor, der dort hinten sitzt, soll Ihnen einmal die Steigerungsraten der einzelnen Jahre zeigen. Tatsache ist, daß Sie zu Anfang der 70er Jahre, nämlich bis 1974 oder sogar, wenn man bedingt rechnet, bis zum Jahre 1975, in der Tat überproportionale Steigerungsraten hatten, daß Sie aber seitdem einige Jahre überhaupt kein reales Wachstum gehabt haben und jedenfalls nie dem Ziel der von Ihnen - nicht von mir - versprochenen Steigerung um real 3 % auch nur nahegekommen sind. Das ist eine Tatsache. Es gibt ja diesen schönen Spruch, Statistik sei die höchste Form der Lüge. Ich möchte den Begriff „Lüge" hier nicht im wörtlichen Sinne angewandt sehen; er ist ja ein unparlamentarischer Ausdruck. Aber wenn ich diesen Spruch auf das, was der Verteidigungsminister sagt, anwende, kann ich nur feststellen: Sie haben die Statistik zu einer höchst geschönten Form der Wahrheit gemacht. ({7}) Jetzt sagen Sie, wir wollten das Wettrüsten. Das ist interessant nach all dem, was ich Ihnen vorgelesen habe. Offensichtlich muß auch der Herr Leber im Verdacht des Wettrüstens stehen. Nein, die Fakten sind ganz andere, und Sie wissen sie. Warum reden Sie nicht mehr darüber? ({8}) In der Zeit, in der die Sowjetunion ihre militärische Macht verdoppelt hat, in der Zeit, in der sie zur nuklearen Parität aufgeschlossen hat, ({9}) zur zweitstärksten Flottenmacht der Welt aufgeschlossen hat, ihre konventionelle Überlegenheit in Mitteleuropa ausgebaut hat, an ihrer Ostgrenze, ohne einen einzigen Soldaten von der Westgrenze abzuziehen, 40 Divisionen gegenüber China aufgebaut hat, weltweit agiert, und zwar mit Hilfe militärischer Macht, eine Trägerflotte aufgebaut hat, in dieser Zeit der letzten zehn bis 15 Jahre, in der sie, ich sage es noch einmal, ihre militärische Macht verdoppelt hat, hat der Westen insgesamt - ich wiederhole das - seine militärische Macht verringert. Darin liegt die eigentliche Problematik. Nicht nur wir. Es wäre sicher falsch zu sagen, allein die Deutschen; ganz sicher nicht. Es gibt andere Europäer, die schlechter dran sind als wir. Auch die Amerikaner sind hier nicht außen vor. Wer weiß es denn in der deutschen Öffentlichkeit noch, daß die Amerikaner heute 600 000 Mann weniger unter Waffen haben als 1961 ? Ich nehme bewußt eine Vergleichszeit vor Vietnam. Wer weiß es, daß die Amerikaner 1979 allein nominal in- Dollars weniger für die Verteidigung ausgegeben haben als 1961? ({10}) - Augenblick; Herr Wehner. Warum regen Sie sich immer dann auf, wenn über Fakten gesprochen wird, die Ihnen nicht passen? ({11}) Sie werden sich daran gewöhnen müssen, daß es in diesem Parlament nicht nur die Chance, sondern die Aufgabe der Opposition ist, den Leuten das zu sagen, was Sie ihnen bewußt verschweigen. ({12}) Jetzt komme ich, weil der Herr Wehner die Sache unbedingt auf die europäische Szene übertragen haben will, zu den Europäern. Ich wiederhole, was ich schon einmal gesagt habe: Die Bundesrepublik Deutschland gibt im Jahre 1980 weniger für ihre Verteidigung aus, gemessen am Bruttosozialprodukt, gemessen am Haushaltsplan, als in all den 20 Jahren zuvor. Die Europäer haben in den letzten zehn Jahren die Wehrpflichtzeit im Durchschnitt um fünf Monate verringert. ({13}) Und dann reden Sie von Wettrüsten, und der Herr Apel redet von Wettrüsten. Tatsache ist, daß die Sowjetunion einen einseitigen Rüstungswettlauf entfesselt hat, und der Westen im Vertrauen auf die Entspannung nicht mitgehalten hat. Hier haben sie die Antwort auf die Frage, warum die Welt unsicherer und unser Friede unsicherer geworden ist. Da ist die Antwort auf Ihre Frage. ({14}) Letzter Punkt: Ich bedaure sehr, Herr Verteidigungsminister, aus Zeitgründen nicht mehr auf das eingehen zu können, was ich gerne noch mit Ihnen ausgetragen hätte: Die Frage nach der Kampfkraft, nach der Abschreckungsfähigkeit, nach der Verteidigungsfähigkeit. Eine von Ihnen eingesetzte Kommission hat ein vernichtendes Urteil über die letzten zehn Jahre sozialliberaler Politik gegenüber der Bundeswehr gegeben. Ich zitiere nur ein einziges: Die Summe aller Aufgaben hat sich zu einem Ausmaß an Forderungen und zu Ansprüchen an die Truppe entwickelt, das nicht mehr so erfüllt werden kann, wie es das Prinzip von Befehl und Gehorsam verlangt. Seit Beendigung der Aufbauphase in der Bundeswehr hat sich das Dilemma schrittweise verschärft Immer mehr Aufgaben müssen mit gleichen, oft sogar geringeren Mitteln erfüllt werden. Der Truppe fehlt es an einer klaren Festlegung von realisierbaren Prioritäten. ({15}) Und dann beklagt der Herr de Maizière mit seiner Kommission - ich wiederhole -, die Sie eingesetzt haben - das Dokument scheint bei Ihnen in Vergessenheit geraten zu sein -, die Aushöhlung der Auftragstaktik, er beklagt die Folgen des Beförderungs- und Verwendungsstaus. Ich kann nur sagen, das, was Sie uns heute vorgetragen haben, läßt mich nur eines erkennen: nicht nur, daß Sie diese Studie vergessen haben, sondern daß Sie offensichtlich nicht gewillt sind, der Bundeswehr zu geben, was sie braucht. ({16})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstens: Mit Zitaten läßt sich trefflich streiten. Zweitens: Sie werden nicht bestreiten können, daß wir eine der besten, eine der modernsten, eine der diszipliniertesten, aber auch eine der demokratischsten Armeen der Welt haben und ({0}) daß unser Beitrag zum westlichen Bündnis unverzichtbar ist. Ich bin entschieden dagegen, daß Vorwürfe, die generell erhoben werden und die man sicherlich erheben kann, so zugespitzt werden, daß Sie damit diese Armee, die unter sicherlich nicht einfachen Bedingungen ihre Pflicht tut, in dieser Art und Weise in die Ecke stellen wollen. ({1}) Diese Art von Argumentation, Herr Abgeordneter Dr. Wörner, muß und kann in der Tat das, was Sie in Ihrer ersten Intervention beklagt haben, nämlich die Bereitschaft, unser Land notfalls auch mit dem leben zu verteidigen, schwächen, wenn Sie dem deutschen Volk und auch seinen Streitkräften ununterbrochen sagen: Ihr seid schlecht, ihr seid gar nicht so gut. ({2}) Es gibt überhaupt keinen Streit darüber, daß die Bundeswehr natürlich auch mehr Geld gebrauchen könnte. Sie haben mich hier im Deutschen Bundestag schon einmal gefragt, ob ich 1 Milliarde DM mehr gebrauchen könnte. Wer würde eigentlich als Ressortminister verschweigen wollen, daß er mit mehr Geld seine Aufgaben noch besser wahrnehmen könnte? Nur verstehen wir, die Liberalen wie die Sozialdemokraten, uns im Gegensatz zu Ihnen als Sachwalter des gesamten Spektrums der Sicherheitspolitik und dazu gehört soziale Sicherheit, innere Sicherheit, Entwicklungshilfe, Sicherheitspolitik. Wir sehen das gesamte Spektrum und auch die Notwendigkeiten, den Bundeshaushalt in Ordnung zu halten. Sie reden mit zweierlei Zunge. ({3}) Ich bin der Meinung, daß wir bei allen Meinungsverschiedenheiten, bei aller Notwendigkeit, uns in den nächsten Monaten deutlich die Meinung zu sagen, nicht verschweigen sollten, daß die Elemente der Sicherheitspolitik, auch die Elemente der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes bisher auf einer breiten Basis basiert haben, auch wenn Sie aus unverständlichen Gründen den Verteidigungsetat hier im Deutschen Bundestag immer wieder abgelehnt haben. Ich appelliere an Sie, diesen Grundkonsens der Demokraten hier nicht zu zerstören. ({4})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Ich möchte zu unserer Geschäftslage feststellen, daß mir zur Zeit zwei Wortmeldungen vorliegen. Ich gehe davon aus, daß beide Wortmeldungen so kurz sein werden, daß wir sie jetzt noch zum Abschluß dieses Tagesordnungspunktes vor dem Eintritt in die Mittagspause erledigen können, und daß dann keine weiteren Wortmeldungen mehr erfolgen. Andernfalls muß ich die Behandlung dieses Tagesordnungspunktes unterbrechen, so daß wir das nach der Mittagspause fortsetzen. Das steht natürlich völlig im Belieben des Hauses. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wörner.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hoffe, Herr Präsident, Ihre Sorge um das leibliche Wohl hier gebührend berücksichtigen zu können. Ich möchte hier nur eines klarstellen. Im übrigen spricht das mehr gegen die Diskussionstechnik des Herrn Verteidigungsministers als für seine sachliche Kompetenz. Zunächst einmal wird er im Protokoll nachlesen können, daß ich in dieser Debatte ein eigenes Urteil über die Qualität der Bundeswehr nicht abgegeben habe. Beiläufig möchte ich sagen - ich wiederhole das, es mag für Sie arrogant klingen, aber die Armee weiß das -, daß ich die Armee sicher besser als Sie kenne und um den Wert der Soldaten dieser Bundeswehr weiß. ({0}) Ich weiß, daß die Soldaten dieser Bundeswehr ihr Bestes geben, um die Verteidigung sicherzustellen. ({1}) Im übrigen fallen wir ihnen dabei nicht in den Rükken, sondern das sind Ihre Leute. ({2}) Es ist der übliche Trick, Herr Verteidigungsminister, den ich bemerkt habe. Mein Vorwurf richtete sich nicht an die Bundeswehr, er richtete sich an die politische Führung. ({3}) Was habe ich getan? Ich habe aus einem Gutachten von Männern zitiert, von denen jeder einzelne für sich ebenfalls sagen kann, daß er die Armee besser kennt als Sie; die Sie im übrigen berufen haben. Ich habe nicht ein eigenes Urteil vorgetragen, sondern das Gutachten zitiert, das Herr de Maizière und seine Sachverständigen abgegeben haben. Daß Sie sich der Debatte darüber entziehen, zeigt nur wieder einmal, daß Sie entweder dieser Debatte nicht gewachsen sind oder nicht Abhilfe schaffen wollen. ({4})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt schwer, sich der Bescheidenheit des Abgeordneten Wörner auch nur ansatzweise anzunähern. ({0}) Ich will es trotzdem versuchen, obwohl er mit Sicherheit der beste Pilot, der beste Soldat und der beste Redner hier ist Aber man muß auch in der zweiten Reihe stehen können. ({1}) Zur Sache. Wir haben nicht gesagt, daß Sie das Wettrüsten wollen, sondern wir haben gesagt, daß wir das, was zur Erlangung oder Beibehaltung des militärischen Gleichsgewichts notwendig ist, verteidigungspolitisch tun. Das wollen Sie offenbar auch. Der Unterschied liegt darin - das haben Sie mit keinem Wort hier wegdiskutieren können -, daß Sie alle Schritte, die den parallelen Weg betreffen, nämlich über Rüstungskontrolle und Abrüstung zum gleichen Ergebnis zu gelangen, bisher mit Mißtrauen und Ablehnung begleitet haben. Das macht Sie eigentlich unfähig für die Politik und für die Lösung der Probleme, um die es hier geht. ({2}) Wir treten im Unterschied zu Ihnen rückhaltlos und nachdrücklich für die Ratifizierung des SALT- II-Vertrages ein, mit dem Gleichgewicht im strategischen Bereich erlangt wird. Wir haben das NATO- Langzeitprogramm, das die bestehenden Schwächen ausgleichen soll, beschlossen und trages es. Wir haben den Doppelbeschluß zur Ausgleichung der Ungleichgewichte im Mittelstreckenbereich mitbeschlossen. Wir tragen beide Elemente. Wir setzen uns dafür ein, daß bei den MBFR-Verhandlungen, bei den Verhandlungen über die ausgewogene und wechselseitige Reduzierung von Truppen und Rüstung in Mitteleuropa, ein Kräftegleichstand auf niedrigerem Niveau erreicht wird. Wir bezweifeln nicht, daß Sie sich um die Verteidigungspolitik - Sie natürlich, Herr Dr. Wörner, ganz besonders, weil Sie es am besten können - nachhaltig kümmern wollen. Wir meinen nur, Sicherheitspolitik ist mehr als Verteidigungspolitik. Deshalb ist unsere Sorge: Die Entspannung wäre bei Ihnen nicht in guten Händen. ({3}) Eine weitere Feststellung - und der kann ich zustimmen -: Sie haben hier gesagt, wir würden uns daran gewöhnen müssen, ({4}) daß Sie als Opposition uns an unsere Aufgaben mahnen wollten. In der Tat, wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß Sie die Opposition bleiben. - Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4081, das Weißbuch 1979 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr - Drucksache 8/3568 - zur Kenntnis zu nehmen. Ich stelle fest, daß das Haus Kenntnis genommen hat. ({0}) Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung wird fortgesetzt. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: 1. Fragestunde - Drucksache 8/4270 Vizepräsident Frau Renger Wir setzen die Behandlung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten fort. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Susset wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Sauter ({0}) auf: Mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung die auch aus ihren Reihen stammenden Vorschläge verwirklichen, die „unsinnige Überproduktion innerhalb der Gemeinschaft zu beenden, ohne den sozialen Status der Landwirte zu gefährden"?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, für die Agrarpolitik der Bundesregierung sind weiterhin zwei fundamentale Gesichtspunkte bestimmend, zum einen das Landwirtschaftsgesetz, das die gleichrangige Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung fordert, zum anderen die Grundprinzipien der gemeinsamen Agrarpolitik, die zuletzt vom Europäischen Rat in Venedig bestätigt wurden. Innerhalb dieses Rahmens ist die Bundesregierung offen für alle sinnvollen Überlegungen zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit der EG-Agrarpolitik.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauter.

Franz Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, in dieser Frage ist vom sozialen Status der Landwirtschaft die Rede. Ich glaube, wir sind gemeinsam der Auffassung, daß es sich hier in erster Linie um die Frage der Verbesserung der Einkommensverhältnisse handelt. Da möchte ich Sie fragen: Wie wollen Sie angesichts der Tatsache einer - wie gestern Minister Ertl formulierte - vorsichtigen Preispolitik, angesichts dessen, daß nicht mehr Überschüsse produziert werden sollen, und angesichts der Tatsache, daß sich Übertragungen von Einkommen auf Landwirte in engen Grenzen halten müssen, auch wegen der miesen Kassenlage des Bundes, durch entsprechende Maßnahmen erreichen, daß der soziale Status der Landwirtschaft erhalten bleibt bzw. - Sie sprachen das Landwirtschaftsgesetz an - sich die Einkommenssituation der Landwirtschaft in den nächsten Jahren verbessert?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, Sie wissen genauso wie ich, daß sich das Einkommen nicht allein aus den Preisen ergibt, sondern aus Preisen, Mengen und Kosten, die sich bei der Produktion ergeben. Wenn mein Minister davon gesprochen hat, angesichts der Überschüsse, die wir in der EG haben, eine vorsichtige Preispolitik betreiben zu wollen, so bezieht sich das auf die Interventionspreise der EG. Das hat in einigen Bereichen der Produktion der Landwirtschaft mit den Marktpreisen, die zu erzielen sind, nicht unbedingt in der Weise etwas zu tun, daß das direkt oder indirekt dem Landwirt zugute kommt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.

Franz Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen - da ist von den „unsinnigen Überschüssen" die Rede -: Wann beginnt hier nach Ihrer Auffassung der Unsinn, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es bei allen Problemen, die es im Zusammenhang mit den Überschüssen gibt, sehr viel besser ist, Überschüsse zu verwalten, als Mangel verwalten zu müssen, und glauben Sie, daß wir unseren Aufgaben gerecht werden könnten, im Rahmen der Welthungerhilfe Leistungen zu erbringen, wenn wir in der EG keine Überschüsse hätten?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, Hunger ist schrecklich. Das weiß derjenige, der schon einmal echt Hunger über einen längeren Zeitraum hinweg gehabt hat. Ich war in Gefangenschaft und weiß, was Hunger bedeutet. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, daß wir nicht alle Probleme der Dritten Welt mit einer Überschußproduktion in Europa lösen können. Wir greifen dort in der Welt, wo es echten Hunger und Mangel gibt, mit der Nahrungsmittelhilfe entsprechend ein. Aber wir können dort nur beschränkte Mengen unterbringen. Das Weizenhilfeabkommen ist jetzt erst wieder bestätigt und erweitert worden. Wir geben von seiten der EG im Rahmen der Möglichkeiten auch Magermilchpulver und Butteröl in die Nahrungsmittelhilfe.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich bitte, möglichst die Fragen nicht auszuweiten. Es ist beinahe schon wieder ein anderes Problem gewesen. Bitte, Herr Abgeordneter Klinker.

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, wo es Ihrer Auffassung nach Überschußproduktionen in der EG-Landwirtschaft gibt.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Nach meiner Auffassung haben wir insbesondere im Bereich der Milcherzeugung eine Überproduktion. Wenn es heute in bezug auf die Bestände, die wir haben, so scheint, als ob das nicht der Fall wäre, dann muß man der Wahrheit zuliebe feststellen, daß die Bestände von Butter und Magermilchpulver nur deshalb reduziert werden konnten, weil auf der einen Seite gewaltige Mengen von Butter mit erheblichen finanziellen Aufwendungen in Drittländer exportiert worden sind und auf der anderen Seite die Bestände von Magermilchpulver mit Milliarden-Beträgen auf den jetzigen Stand gesenkt werden konnten. Wenn ich das sage, muß man selbstverständlich gleichzeitig die Frage stellen, ob das in diesen Größenordnungen noch sinnvoll ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.

Ignaz Kiechle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001091, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilen Sie die Meinung von Herrn Dohnanyi, daß es in der EG auch Überschüsse an Zucker und Getreide gibt? Gallus, Parl. Staatssekretär: Tatsache ist, Herr Kollege, daß wir bei der Ernte vor zwei Jahren zum Selbstversorger bei Getreide geworden sind. Im letzten Jahr ist die Ernte in der EG etwas geringer ausgefallen. In diesem Jahr wird es allerdings höchstwahrscheinlich wieder so werden, daß die Ernte auf plus /minus Null hinausläuft. Da wir auf der anderen Seite gewaltige Mengen an Getreide importieren - insbesondere an Substituten -, bedeutet das, daß wir von unserer eigenen Getreideernte in Europa ungefähr 12 bis 15 Millionen Tonnen Gerste und Weizen exportieren müssen. ({0}) - Beim Zucker ist die Situation die, daß wir in Europa Überschüsse produzieren, daß diese Überschüsse aber zu einem Großteil von den Produzenten, von den Bauern selber, finanziert werden; denn wenn sie exportiert werden, müssen auch die Kosten dafür aufgebracht werden. Man muß in diesem Zusammenhang der Ehrlichkeit halber hinzufügen, daß wir zusätzliche Probleme mit den 1,3 Millionen Tonnen Zucker haben, die wir aus den AKP-Staaten in die EWG einführen und eigentlich nicht brauchen. Das ist ein echter Beitrag zur Entwicklungshilfe. Das kostete die EG im letzten Jahr ungefähr 1 Milliarde DM. Allerdings brauchen beim Export von Zucker im Augenblick keine Erstattungen gezahlt zu werden, weil der Weltmarktpreis von Zucker höher als der Interventionspreis in der EG ist, so daß das, was an Zucker exportiert wird, durch Abschöpfung noch Geld in die Kasse bringt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Klinker auf: Wie hoch beziffert die Bundesregierung die unbedingt notwendigen Mengen an Nahrungsmittelvorräten bei den wichtigsten Agrarprodukten in der Europäischen Gemeinschaft, und in welchem Verhältnis stehen die derzeitigen .Oberschüsse" zu der notwendigen Vorratshaltung? Die nächsten Fragen befassen sich im übrigen alle mit Bevorratung und Vorräten.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, bei wichtigen Agrarerzeugnissen wurden in der Europäischen Gemeinschaft bezogen auf zwei Monate, folgende Mengen verbraucht: Butter 279 000 Tonnen, Rindfleisch 1 100 000 Tonnen, Schweinefleisch 1 480 000 Tonnen, Magermilchpulver 345 000 Tonnen. Im Vergleich dazu haben die derzeitigen EG-Bestände folgenden Umfang: Butter 312 000 Tonnen, Magermilchpulver 157 000 Tonnen, Rindfleisch 200 000 Tonnen. Die derzeitigen Bestände liegen daher im wesentlichen unter dem Zwei-Monats-Verbrauch der Gemeinschaft.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klinker.

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie der Meinung, Herr Staatssekretär, daß das in einer Krisensituation genug ist?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich bin der Auffassung, daß die Bestände ausreichen; denn es ist eine gewaltige Produktion im Gange, mit der stets dafür gesorgt wird, daß wir den entsprechenden Nachschub an entsprechenden Produkten haben. Wenn Sie von Krisensituationen sprechen, muß man sich in dem Zusammenhang allerdings auch die Frage vorlegen, ob insbesondere die Futtermittelsubstitute - Soja usw. - zur Verfügung stehen, um entsprechende Überschußproduktionen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sind in einer Krisensituation also weniger die Bestände maßgebend, die aus einem Zukauf von Soja und anderen Substituten herrühren, sondern ganz entscheidend wird es darauf ankommen, ob es gelingt, in der europäischen Landwirtschaft die entsprechende Bodenproduktion aufrechtzuerhalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage.

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß, wenn die Substitutenzufuhr nicht in dem Maß wie bisher anhält, die Versorgung, die Sie soeben aufgezeichnet haben, absolut unzureichend ist?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ich bin nicht der Auffassung, daß die Bestände, die wir heute haben, unzureichend sind. Aber in dem Moment, in dem die Substitutenzufuhr schwieriger würde, in dem die Substitute einschließlich Soja nicht mehr in dem Ausmaße wie bisher vorhanden wären, müßte die Überschußsituation in einem völlig anderen Licht gesehen werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).

Rudolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001565, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß die Überschüsse erheblich größer wären, wenn man nicht die Produkte ständig unter unserem Preisniveau verkaufte?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege Müller, ich habe bereits bei der vorhergehenden Frage ausgeführt, daß die Bestände, die wir heute haben, davon herrühren, daß die Gemeinschaft z. B. im Jahre 1979 an Drittländer insgesamt 499 933 t Butter in 154 Länder exportiert hat. Insofern stimmt das, was Sie fragen. Bei Magermilchpulver ist es so, daß die Bestände durch die Maßnahmen der EG mit Milliardenbeträgen auf den jetzigen Stand heruntergeschleust worden sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauter.

Franz Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnten Sie mir Auskunft darüber geben, wie lange die Vorratshaltung bei Mineralöl ausreicht? Könnten Sie mir darüber hinaus die Frage beantworten, ob die Vorräte nach dem Ernährungssicherstellungsgesetz gewährleistet sind oder ob hier nicht einfach die Vorräte in den Einfuhr- und Vorratsstellen herhalten müssen, um die Statistik auf zufüllen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich kann Ihnen hier versichern - ich habe das vor einem Jahr dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages schriftlich mitgeteilt, allerdings vertraulich -, daß die Bestände an Nahrungsmitteln, die wir haben, ausreichend sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zum Mineralöl kommen wir bei der nächsten Frage. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zumpfort.

Dr. Wolf Dieter Zumpfort (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002609, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß es bei dem in der Frage angeschnittenen Problem eigentlich nicht darum geht, wieviel Überschüsse man produzieren muß, damit man ausreichende Reserven und ein ausreichendes Einkommen in der Landwirtschaft erzielt, sondern darum, wie man ein angemessenes Einkommen in der Landwirtschaft erreichen kann, ohne daß zuviel Überschüsse entstehen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Das kann man sehr wohl in diese Frage hineininterpretieren. Aber wenn ich die Frage richtig gelesen habe, geht es bei ihr in erster Linie um die Bestände und deren Reichweite.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Klinker auf: Auf Grund welcher Gesetze und sonstiger Bestimmungen ist die Bundesregierung verpflichtet - ähnlich wie bei Mineralöl und anderen industriellen Rohstoffen -, Vorräte an Nahrungsmitteln in der Bundesrepublik Deutschland anzulegen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, einschlägige Rechtsgrundlage ist * 15 des Ernährungssicherstellungsgesetzes. Nach ihr sind Bund, Länder und Gemeinden allgemein verpflichtet, u. a. die materiellen Voraussetzungen zur Sicherstellung der Versorgung in einem Krisenfall vorbereitend zu schaffen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klinker, bitte.

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Sie fragen, ob Sie der Meinung sind, daß die finanzielle Ausstattung dieser Bevorratung im richtigen Verhältnis zur finanziellen Ausstattung der Energiebevorratung und der Edelmetallbevorratung steht?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, man kann die Summen, die man auf der einen Seite für die Mineralölbevorratung und auf der anderen Seite für die Bevorratung der Nahrungsmittel braucht,' nicht ohne weiteres miteinander vergleichen. Nachdem die Summen für die Vorratshaltung an Nahrungsmitteln in der mittelfristigen Finanzplanung steigend sind, bin ich der Auffassung, daß sie ausreichen, um das zu tun, was notwendig ist, um die Ernährung in einer Krisensituation sicherstellen zu können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Klinker.

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie lange würden die Vorräte im Krisenfall ausreichen, ohne in der Bundesrepublik Marken einzuführen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich habe vorhin gesagt: Ich habe vor einem Jahr einen entsprechenden Bericht vertraulich an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages gegeben. Die Situation hat sich bis heute nicht geändert Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich diese Dinge nicht in aller Öffentlichkeit darlegen kann. Ich darf Ihnen lediglich noch einmal versichern, daß Sie beruhigt sein können, daß alle Voraussetzungen geschaffen sind. Auch angesichts der Tatsache, daß wir eine gewaltige laufende agrarische Produktion haben, reichen die Vorräte aus, um über einen entsprechenden Zeitraum hinweg die Bevölkerung wie im Gesetz vorgesehen zu ernähren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Fragen 40 und 41 des Herrn Abgeordneten Kunz ({0}) werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer auf: Welche Linie verfolgen zur Zeit die Vertreter der Bundesregierung im Agrarministerrat und im COREPER der EG hinsichtlich der Lösung der Fischereiprobleme in der Gemeinschaft?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Bundesregierung strebt eine Lösung der Fischereiprobleme der Gemeinschaft auf der Grundlage der Erklärung des EG-Ministerrats vom 30. Mai 1980 an. Darin verpflichtet sich der Rat, parallel zur Durchführung von Beschlüssen in anderen politischen Bereichen eine gemeinsame Fischereipolitik bis spätestens 1. Januar 1981 festzulegen. Dieser Beschluß des Rates wird von Großbritannien mitgetragen. Die Bundesregierung mißt dem gesetzten Termin und der Parallelität der Beschlüsse erhebliche Bedeutung bei. Die Bundesregierung weiß, daß auch Großbritannien an einer Lösung der Fischereiprobleme der Gemeinschaft interessiert ist. Sie erwartet, daß Großbritannien in den bevorstehenden Verhandlungen konstruktiv mitwirken wird. Die Bundesregierung verfolgt vor allem folgende Ziele. Erstens gleicher Zugang zu den Fischgründen in den Gewässern der Gemeinschaft. Zweitens gerechte Verteilung der Fänge, wobei die Verluste an Fangquoten in Gewässern vor Drittländern als gleichwertiges Kriterium neben der Berücksichtigung traditioneller Fischereitätigkeiten und der besonderen Bedürfnisse abhängiger Fischer betrachtet werden. Drittens Absicherung von Fangmöglichkeiten vor Drittländern. Viertens Aufbau der Bestände durch Erhaltungsmaßnahmen und wirksame Kontrolle der Fischerei. Es muß mit schwierigen Verhandlungen gerechnet werden. Zur Vorbereitung einer Einigung ist auch an bilaterale Gespräche mit Großbritannien sowie der Kommission gedacht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schweitzer? - Keine Zusatzfrage. Dann Herr Klinker zu einer Zusatzfrage.

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht auch in dem Verhalten Großbritanniens eine Vertragsverletzung sehen. Denn die Engländer haben ja vorher gewußt, was sie unterschrieben, auch was sie in der Fischereipolitik unterschrieben haben. Ist die Bundesregierung gewillt, das immer so hinzunehmen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, Sie wissen, daß die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende tut, um zu entsprechenden Ergebnissen in der Fischereifrage in der EG zu kommen, so wie ich sie eben dargelegt habe. Ich glaube nicht, daß man direkt von einer Vertragsverletzung in diesem wichtigen Punkt sprechen kann. Aber ich möchte Ihnen eines zugestehen: daß Großbritannien es uns nicht einfach macht, hier zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Frau Präsident, ich darf um Entschuldigung bitten: ich habe beide Fragen des Herrn. Schweitzer gemeinsam geantwortet.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Dann rufe ich nachträglich auch die Frage 43 auf: Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeit ein, daß das Vereinigte Königreich nach den Zugeständnissen insbesondere der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Entlastung Großbritanniens bei der Finanzierung des EG-Haushalts eine echte Kompromißbereitschaft zeigt? ({0}) - Bitte schön, Herr Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich beziehe mich jetzt im besonderen auf meine Frage 43 und möchte Sie fragen, ob in den beiden in Frage 43 angesprochenen Problembereichen von der Bundesregierung in EG-Verhandlungen der letzten Zeit jemals ein sicherlich zu begrüßendes indirektes Junktim hergestellt worden ist.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, wie Sie wissen, ist ein entsprechendes Kommuniqué verabschiedet worden, demzufolge auch Fischereifragen in gemeinsamem Geist gelöst werden sollen. Von einem direkten Junktim kann hier nicht gesprochen werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Noch eine Zusatzfrage.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, auf bilateralem Wege - Sie haben diesen Weg ja schon angesprochen - gegenüber Großbritannien in diesem Zusammenhang in letzter Zeit deutlich gemacht, daß auch die, wenn ich mal so sagen darf, Reserven unserer Kompromißbereitschaft langsam erschöpft sind?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, Sie dürfen versichert sein, daß die Bundesregierung bisher alle Wege und Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um bis zum 1. Januar 1981 zu einem gemeinsamen Fischereiregime in der EG zu kommen. Das gilt auch insbesondere gegenüber Großbritannien. Ich halte nichts davon, hier gewissermaßen mit einem moralischen Druck arbeiten zu wollen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klinker.

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, diese Frage hängt ja auch mit der Ostseefischerei zusammen. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um die Notstände, die dort offensichtlich vorhanden sind, in der Übergangszeit, mindestens so lange, bis die Regelung mit Großbritannien getroffen ist, zu zufriedenstellenden Verhältnissen zu bringen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, diese Probleme sind in das Gesamtpaket des EG-Fischereiregimes mit einbezogen. Ich glaube nicht, daß es politisch klug wäre, hier nach Lösungen zu trachten, so wie wir im Rahmen der EG auch bilaterale Gespräche mit Großbritannien führen, angebotene Gespräche mit Polen usw. aufzunehmen und damit gewissermaßen der EG in den Rücken zu fallen. Ich glaube nicht, daß das der richtige politische Weg wäre.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weiteren Zusatzfragen. Die Fragen 44, 59 und 60 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe Frage Nr. 61 - des Herrn Abgeordneten Stutzer - auf: Welche Auswirkungen hat die Umweltbelastung durch eine Kombination von DDT und PCB auf die Fische und Säugetiere in der Nordsee, und können Feststellungen von Wissenschaftlern, die von einer biologischen Zeitbombe sprechen, bestätigt werden, nach denen sich die Nordsee im Vorstadium einer ernsthaften Krankheit befindet?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Präsident! Ich bitte darum, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Dann versuchen Sie das, Herr Staatssekretär.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ja, ich versuche es. Herr Kollege, die Bundesforschungsanstalt für Fischerei untersucht seit 1972 regelmäßig, und zwar mindestens einmal jährlich, in der Nordsee an festgelegten Stationen gefangene Fische auf Rückstände an DDT und PCB. Dies geschieht im Rahmen eines Überwachungsprogramms des internationalen Rates für Meeresforschung für den ganzen Nordatlantik. In der Bundesrepublik ist die Verwendung von DDT durch das DDT-Gesetz von 1972 verboten. PCB wird nicht mehr zu Zwecken verwendet, bei denen es in die Umwelt gelangen kann. Die an Nordseefischen festgestellten Werte lagen von Anfang an unter dem Höchstmengenlimit für den menschlichen Verzehr. Die Werte für DDT sind seit einigen Jahren stark rückläufig, während die Werte für PCB stagnieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.

Hans Jürgen Stutzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002283, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welche Mengen Klärschlamm und Chemieabfälle sind 1979 in die Nordsee eingeleitet worden? Bringt diese Einleitung den Sauerstoffhaushalt in Gefahr? Und was unternimmt die Bundesregierung hiergegen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich muß Ihnen sagen, daß, wenn wir die Gesamtschadstoffbelastung der Nordsee und insbesondere der stark belasteten Deutschen Bucht betrachten, nach unseren Unterlagen die Verunreinigung gerade durch diese beiden Stoffe von nachrangiger Bedeutung ist. Ich kann Ihnen im Augenblick keine direkten Zahlen geben, bin aber gerne bereit, Ihnen das schriftlich zukommen zu lassen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage.

Hans Jürgen Stutzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002283, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung Vorwürfen der Fischer nachgegangen, nach denen sich dreimal am Tage die Nordsee in bevorzugten Fiscblaichgebieten giftig gelb verfärbt und Schaumteppiche und ausgefällte Eisenflocken durch das Wasser treiben, und was hat die Bundesregierung hiergegen unternommen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Bundesregierung verfolgt mit ihren Instituten die Entwicklung genau und veranlaßt, daß die jeweiligen Untersuchungen stattfinden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Da keine weiteren Zusatzfragen sind, rufe ich die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf: Ist durch die Umweltbelastung der Ostsee die schleswig-holsteinische Ostseeküste zukünftig gefährdet, und wie wirkt sich diese Umweltbelastung biotisch aus? Sie betrifft jetzt die Ostsee.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Umweltbelastung der Ostsee ist, absolut gesehen, wesentlich geringer als die Belastung von Teilen der Nordsee. Jedoch ist auch die Empfindlichkeit größer, da der Wasseraustausch mit der Nordsee und dem Atlantik nur gering ist. Die Umweltprobleme der Ostsee werden im Rahmen des Übereinkommens vom 22. März 1974 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes ({0}) umfassend erforscht. Es werden im Rahmen der Konvention Programme zur Verringerung der Schadstoffeinleitung erarbeitet. Eine akute Gefährdung der schleswig-holsteinischen Ostseeküste ist nach dem derzeitigen Wissensstand nicht zu befürchten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Hans Jürgen Stutzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002283, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wo gibt es jetzt in der Ostsee kritische Situationen, die sofortige Abwehrmaßnahmen geboten erscheinen lassen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich kann Ihnen das direkt nicht sagen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen eine Karte oder eine Aufstellung zukommen zu lassen, wo eingetragen ist, wie sich die unterschiedliche Belastung der verschiedenen Schadstoffe in den einzelnen Gebieten abzeichnet, wobei noch lange nicht gesagt ist, daß sich der Belastungsgrad auch direkt nachteilig auf die Fischbestände auswirken muß.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Noch eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Kollege.

Hans Jürgen Stutzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002283, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie die Feststellung von Wissenschaftlern bestätigen, daß die Umweltbelastung der Ostsee bereits bei 80 % der weiblichen Kegelrobben über Verwachsungen der Gebärmutter zu Sterilität geführt hat?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, darüber habe ich im Augenblick keine Unterlagen. Aber in bezug auf die beiden Stoffe, nach denen Sie in Ihrer ersten Frage gefragt haben, kann ich Ihnen sagen, daß insbesondere PCB früher als Weichmacher in der Plastikherstellung sowie für Schiffsfarben verwendet worden ist. PCB wird ebenso wie DDT vom menschlichen Körper nicht abgebaut, sondern gespeichert - das ist bekannt -, so daß höhere Konzentrationen erreicht werden, die zu Gesundheitsschäden führen können. Deshalb wurde die Verwendung von PCB auf geschlossene Kreisläufe, z. B. als Kühlmittel, beschränkt und ist sonst verboten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Es herrscht vollständige Klarheit, habe ich den Eindruck. - Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär, für die schnelle Beantwortung der Fragen. Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes! Herr Staatsminister Huonker steht zur Beantwortung zur Verfügung. Frage 66 des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}): Treffen Pressemeldungen zu, wonach evangelische Pfarrer beim Bundeskanzler gegen das bevorstehende Sommerfest und sein Motto Wa({1})lpurgsnacht" protestiert haben, und dab in einem Aufruf der Evangelischen Allianz davon gesprochen wird, daß „eine Regierung und eine Gesellschaft, die sich solchem Treiben hingibt, einen Weg in Auflehnung gegen den lebendigen Gott" gehe, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Kritik am Kanzlersommerfest dieses Jahres?

Not found (Gast)

Ich würde wegen des engen Zusammenhangs die beiden Fragen gern gemeinsam beantworten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ist das möglich, Herr Kollege?

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde doch um getrennte Beantwortung der Fragen bitten. ({0})

Not found (Gast)

Es trifft zu, Herr Kollege Jäger, daß im Bundeskanzleramt Briefe eingegangen sind, darunter auch einige von evangelischen Pfarrern, in denen gegen das Motto des diesjährigen Kanzler-Sommerfestes Einwände erhoben werden. Der in Ihrer Frage zitierte Aufruf der Evangelischen Allianz ist der Bundesregierung bekannt. Mit dem für das Sommerfest des Bundeskanzlers ausgewählten Thema „Eine Bonner Wa({0})lpurgisnacht" - mit „h" geschrieben, und dieses „h" in Klammern gesetzt - sollte der bevorstehende oder, richtiger gesagt, bereits eingeläutete Bundestagswahlkampf heiterhintergründig, satirisch-parodistisch glossiert werden, dies nicht zuletzt deshalb, um eine menschlichversöhnliche Note trotz aller Härte der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen aufschimmern zu lassen. ({1}) Und so, Herr Kollege Jäger, wird dieses Motto. auch ganz überwiegend verstanden. Dies ist in einem von der Aufklärung geprägten Land wie der Bundesrepublik Deutschland, in einem Land, in dem Goethes „Faust" mit der Walpurgisnacht in den Schulen behandelt wird und die Spielpläne renommierter Bühnen bereichert, in einem Land, in dem die Chorkantate „Die erste Walpurgisnacht" von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Hector Berlioz „Traum von der Walpurgisnacht" und Franz Liszts „Mephisto-Walzer" viel gespielt und gern gehört werden - und dies alles ohne Protest und Kritik -, nicht weiter verwunderlich. Der Herr Bundeskanzler - lassen Sie mich dies hier in aller Deutlichkeit sagen - freut sich, daß auch viele Kollegen Ihrer Fraktion ihre Teilnahme an dem Sommerfest des Bundeskanzlers zugesagt haben - natürlich in Kenntnis des Mottos. Dessenungeachtet, Herr Kollege Jäger, respektiert die Bundesregierung, respektiert der Bundeskanzler die in Briefen und öffentlichen Äußerungen zum Ausdruck gekommene tiefe religiöse Überzeugung der Kritiker des Sommerfests und nimmt diese Kritik auch ernst, wenngleich es für die allermeisten Bürger und auch für die meisten Christen in der Bundesrepublik nicht leicht sein dürfte, diese Kritik am Motto des Sommerfests zu verstehen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege Jäger ({0}), Zusatzfrage.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Situation von zahlreichen evangelischen Christen unseres Landes so ernst genommen wird, daß morgen abend zur gleichen Zeit, wie dieses Fest stattfindet, hier in Bonn ein Bußgottesdienst stattfindet, der von zahlreichen evangelischen Organisationen, Pfarrern und Laien durchgeführt wird?

Not found (Gast)

Dies ist der Bundesregierung bekannt. Es hat mit einem Teil der Veranstalter dieses Gottesdienstes am 24. Juni ein Gespräch gegeben. Dieses Gespräch hat Gelegenheit gegeben, vor diesem Gottesdienst die Gründe dafür, weswegen dieses Motiv so und nicht anders gewählt worden ist, darzulegen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, hängt, nachdem Sie den großen Dichter Goethe in Ihrer Antwort genannt haben, die Reaktion des Kanzleramts, die sich in der Durchführung des Festes durch solche warnenden Stimmen nicht beirren läßt, mit jenem Goethe-Zitat zusammen, das da lautet: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie am Kragen hätte"?

Not found (Gast)

Diese Frage beantworte ich mit Nein, Herr Kollege Jäger.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nächste Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da Mendelssohn-Bartholdy und Goethe kein Kanzlerfest veranstaltet haben, frage ich Sie, ob Ihnen klar ist, daß das Kernstück der Kritik der Freikirchen darin beruht, daß in der Einladung zu diesem Kanzlerfest nach deren Auffassung sehr leichtfertig mit dem Teufel und dem Bösen umgegangen wird?

Not found (Gast)

Mir sind die Motive der Kritiker sehr wohl bekannt Ich habe die Meinung der Bundesregierung dazu gesagt und habe hinzugefügt, daß wir die tiefe religiöse Überzeugung, die Grundlage dieser Kritik ist, respektieren und ernst nehmen, Herr Kollege.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}) auf: Hat die Bundesregierung die Gefahr nicht gesehen oder nicht ernst genommen, daß mit dem Motto und dem Sinngehalt des bevorstehenden Kanzlerfestes, der aus der Gestaltung der Einladung hervorgeht, religiöse Empfindungen breiter christlicher Bevölkerungsgruppen verletzt werden können, und welche Konsequenzen wird sie daraus ziehen? Bitte schön, Herr Staatsminister. Sie haben sie freilich wohl schon mit beantwortet

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, aus dem, was ich auf Ihre erste Frage geantwortet habe, ergibt sich, daß eine solche Gefahr, wie Sie sie in Ihrer Frage unterstellen, nach Auffassung der Bundesregierung nicht besteht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß ein Synodaler der evangelischen Landeskirche von Württemberg dem Bundeskanzler dazu einen Brief geschrieben hat, in dem er sagt: Auch Sie - er meint den Bundeskanzler brauchen ebenso wie wir alle den Segen und den Schutz Gottes gegen die Dämonien, die die heutige Welt zu zerstören drohen und denen wir dadurch die Tore öffnen. Gott laßt seiner Jäger ({0}) nicht spotten. Das beweist unsere jüngste Geschichte mehr als deutlich. Und wie ist Ihre Stellungnahme dazu?

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, ich glaube, es ist hier nicht der Platz, eine theologische und innerkirchliche Diskussion zu führen, insbesondere hier darüber zu reden, was von der evangelikalen Bewegung innerhalb der Kirchen zu halten ist. Aber wenn Sie hier einen Brief - der mir in der Tat bekannt ist - eines Synodalen der Württembergischen Kirche zitieren, möchte ich um Verständnis bitten, daß ich hinzufüge - und dies tue ich mit großer Freude -, daß ein Synodaler der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Ihrer Partei angehört, an dem Sommerfest trotz des Mottos teilnimmt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie noch eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, haben Sie und die Mitarbeiter Ihres Hauses, die dies vorbereitet haben, wenigstens Verständnis dafür, daß angesichts des Grauens, das für viele Deutsche beim Film Holocaust" über das Wirken des Teufels in der Geschichte unseres Volkes lebendig geworden ist, sehr viele Deutsche - auch solche außerhalb des Bereichs gläubiger Christen - es als geschmacklos empfinden, solche Themen zum Motto eines Kanzlerfestes zu machen? ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich weiß nicht, ob Sie das beantworten wollen.

Not found (Gast)

Ich habe aus den von mir vorhin genannten Gründen kein Verständnis dafür, daß das als geschmacklos bezeichnet wird. Ich kann hier feststellen, daß auch die ganz überwiegende Mehrzahl aller Christen in diesem Land diese meine Meinung teilt. ({0}) Im übrigen möchte ich, ohne jetzt in eine theologische Diskussion einzusteigen, Herr Kollege Jäger, hinzufügen, daß über die Rolle, über die Funktion des Teufels innerhalb der Kirchen unterschiedliche Meinungen bestehen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege Czaja, eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, bedeuten Ihr letzter Hinweis sowie der Hinweis auf die Achtung des Bundeskanzlers gegenüber religiösen Gefühlen auch, daß der Bundeskanzler sich gegenüber Dämonen, gegenüber dem Teufel ebenso ernst wie sorgfältig wie gewissenhaft wie vorsichtig verhalten möchte?

Not found (Gast)

Der Bundeskanzler verhält sich gegenüber allen wichtigen Fragen sehr aufmerksam und prüft sie. Ich füge hinzu und wiederhole das, was ich schon gesagt habe: Wenn es einen Teufel in der Weise geben sollte, wie die Kritiker ihn sich vorstellen, wäre es die Pflicht jeder Bundesregierung, dieses Phänomen ernst zu nehmen. ({0}) Da man dies theologisch auch völlig anders sehen kann - weite Teile der Kirchen tun dies -, möchte ich Ihre Frage nicht weitergehend beantworten, Herr Kollege. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schweitzer.

Prof. Dr. Carl Christoph Schweitzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte nur fragen, Herr Staatsminister, ob Sie mit mir ausdrücklich darin übereinstimmen, daß diese bekanntgewordenen Proteste gerade auch in der Evangelischen Kirche engagierten Mitgliedern der Partei des Herrn Bundeskanzlers doch etwas mittelalterlich anmuten und für diese Mitglieder - wie sicherlich auch für den Herrn Bundeskanzler selber - in keiner Weise dogmatische Positionen auf dem Spiel stehen?

Not found (Gast)

Ich möchte meine Ausführungen über das hinaus, was ich zu der Bewertung gesagt habe, nicht ergänzen, nämlich daß der Bundeskanzler die tiefen religiösen Überzeugungen der Kritiker respektiert, diese Kritik ernst nimmt, aber dennoch das Motto für richtig hält, und daß es sehr schwierig ist, es in der Weise mißzuverstehen, wie die Kritiker dies tun.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Letzte Zusatzfrage, Herr Kiechle, bitte.

Ignaz Kiechle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001091, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es alles in allem klüger gewesen wäre, man hätte bei der Auswahl des Mottos eines-Kanzleramtsfestes etwas mehr Fingerspitzengefühl walten lassen, so daß man damit die Gefahr vermieden hätte, das Gefühl religiöser und religiös denkender Menschen zu verletzen?

Not found (Gast)

Diese Meinung, Herr Kollege, teile ich nicht Ich möchte jetzt meine Antworten, in denen ich wiederholt von dem Respekt der Bundesregierung vor den Kritikern gesprochen habe, nicht etwa durch das relativieren, was mir auf Grund des Umstandes einfällt daß jemand dies sagt, der sich wie Sie in der Landwirtschaftspolitik engagiert. Hätte man z. B. im Hinblick auf den Weltwirtschaftsgipfel das Motto „Nacht in Venedig" gewählt und dann - dem Motto entsprechend - italienischen Wein serviert, dann hätte ich mir denken können, aus welcher Ecke erneut Kritik kommt Ich will damit sagen: Wenn man ein Themenfest machen will, dann ist es außerordentlich schwierig, ein Thema zu finden, das von keiner Seite Kritik erfährt. Mit einer solchen Kritik muß man leben. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher ({0}) auf: Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der im außereuroasiatischen Ausland lebenden Menschen deutscher Herkunft bzw. die Zahl der dort noch heute deutschsprechenden Bewohner? Bitte, Fran Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Präsident, ich möchte um Genehmigung bitten, den folgenden Fragen von Herrn Dr. Becher, Herrn Dr. Mende, Herrn Böhm und Herrn Bahner eine allgemeine Vorbemerkung vorauszuschicken. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir haben das verschiedentlich gemacht, ohne Ihren Widerspruch hervorzurufen. Aber vielleicht möchten einzelne ihre Frage gesondert beantwort haben. ({0}) - Die Fragesteller sind damit einverstanden. Bitte, Frau Staatsminister, dann können Sie das vorausschicken.

Not found (Gast)

Ich danke den Herren Fragestellern. Das Thema der Beziehungen zu deutschstämmigen Bevölkerungsteilen im Ausland ist in diesem Hause, sehr verehrte Kollegen, während dieser Legislaturperiode wiederholt behandelt worden, ausführlich im Innerdeutschen Ausschuß am 17. Januar 1979, wiederholt im Unterausschuß für kulturelle Außenpolitik und ausführlich in der Fragestunde vom 8. November 1978. Dabei ist eine weitgehende Übereinstimmung unter den Fraktionen und mit der Bundesregierung über folgende Punkte erzielt worden. Die deutschstämmigen Bevölkerungsteile in aller Welt haben eine Brücken- und Mittlerfunktion zur Kultur ihrer jetzigen Heimat. Sie stellen u. a. viele zweisprachige Lehrkräfte und Wissenschaftler und tragen zum Kulturaustausch bei. Für die kulturellen Aktivitäten der deutschstämmigen Gruppen bilden die deutschsprachigen Schulen wichtige Zentren, die es besonders zu fördern gilt. Die Bundesregierung hat wiederholt dargelegt, daß sie mit erheblichen Beträgen Vorhaben fördert, die, wie Schulen, aber auch die Programme unserer Kulturinstitute und kirchliche Aktivitäten, den deutschstämmigen Gruppen zugute kommen. Zum Beispiel werden mehr als die Hälfte der gesamten Kulturausgaben für Lateinamerika - 1978 waren es 63 von 110 Millionen DM - allein für deutschsprachige Schulen aufgewendet. Eine überwiegende Konzentration unserer Aktivität auf die Auslandsdeutschen wie in vergangenen Zeiten ist allerdings mit unserer modernen, auf Partnerschaft angelegten, von allen Fraktionen unterstützten Konzeption zur auswärtigen Kulturpolitik nicht mehr zu vereinbaren. Wir schließen aber die deutschstämmigen Bevölkerungsteile ganz bewußt in diese Politik der Partnerschaft ein. Soweit diese Vorbemerkungen zu Ihrer Frage, Herr Kollege Becher. Ihre Frage ist deshalb nicht ganz leicht zu beantworten, weil sich auf deutsche Herkunft in Generationenfolge bis zurück in das 16. Jahrhundert Millionen von Ausländern berufen könnten, die aber größtenteils völlig assimiliert sind. Es liegen also keine zuverlässigen Statistiken des Auslands vor, und wir haben dort auch keine statistischen Erhebungen vornehmen können. Zudem ist der Assimilierungsprozeß vor allem in Nordamerika und Australien in den letzten beiden Generationen schneller vorangeschritten. Schließlich können die Identitätsmerkmale, die hier anwendbar wären, nicht mehr nachgewiesen werden. Auch die Sprachkenntnisse nehmen ab. Inoffizielle Studien, z. B. die des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, schätzen daher die Zahl derjenigen, die sich noch eine gewisse Identität mit ihrer deutschen Herkunft bewahrt haben, in Amerika, Afrika, Australien und Neuseeland - danach hatten Sie gefragt - auf etwa 8,2 Millionen Menschen. Davon entfallen auf Nordamerika mit Mexiko 6 Millionen, auf Lateinamerika 2 Millionen, auf Afrika über 100 000, auf Australien und Neuseeland knapp 100 000. Hierbei ist nicht mitgerechnet die stark fluktuierende Zahl der Paßdeutschen, Touristen, Wirtschaftler, Experten, Studenten und Wissenschaftler. Da wir keine Meldepflicht haben, können wir die Zahl nicht feststellen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Becher.

Dr. Walter Becher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000122, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, darf ich also unter Bezugnahme auf das von Ihnen zitierte Untersuchungsergebnis des Wissenschaftlichen Dienstes dieses Hauses Ihre Zustimmung dazu finden, wenn ich sage, daß neben den in den verschiedenen Staaten Europas lebenden etwa 100 Millionen Deutschen etwa 14 Millionen im Ausland leben und von diesen 8 Millionen in Übersee, also in Nord- und Südamerika, in Australien und Afrika? Ist das korrekt?

Not found (Gast)

Ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Möchten Sie zu diesem Punkt noch eine Zusatzfrage stellen?

Dr. Walter Becher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000122, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte nur noch fragen, ob nicht die große Zahl deutscher Städtenamen vor allem in den beiden Teilen Amerikas darauf hindeutet, daß sich auch Millionen von Bewohnern, die heute nicht mehr deutsch sprechen, ihrem Herkunftsland traditionell noch einigermaßen verwandt fühlen und insofern für uns interessante Bürger dieser Staaten sind?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich glaube, es ist einfach wichtig, zu sehen, daß wir alle ehemaligen Deutschen, die sich noch deutschstämmig fühlen, in unseren partnerschaftlichen Kulturaustausch mit einbeziehen und, soweit es überhaupt möglich ist, auch mit speziellen Programmen versorgen. Dort, wo es solche Städtenamen gibt, die auf den deutschen Ursprung zurückweisen, unterstützen wir alle Bemühungen, die Kontakte gerade mit diesen Städten aufrechtzuerhalten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, Sie haben auf die Schwierigkeit, den Begriff „deutsche Herkunft" zu definieren, hingewiesen. Spricht nicht auf Grund unserer geschichtlichen Entwicklung alles dagegen, den Versuch zu machen, Kriterien dafür zu entwickeln bzw. zu definieren, was ein Halb-, Viertel- oder Achteldeutscher ist? ({0})

Not found (Gast)

Ja, aber ich glaube, das steht nicht ganz im Zusammenhang mit dem behandelten Problem. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Dann darf ich Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher ({0}) aufrufen: Mißt die Bundesregierung dem erwähnten Deutschtum im Ausland einen Stellenwert als Mittler zu anderen Völkern und Kulturen zu, und mit welchen Mitteln war oder ist sie geneigt, diese Funktion zu unterstützen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Becher, ich glaube, diese Frage ist durch meine einführende Erklärung bereits positiv beantwortet worden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie haben dann Zusatzfragen. Bitte.

Dr. Walter Becher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000122, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich nur noch eine einzige Zusatzfrage stellen: Sind die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland - an einigen Stellen wird ja über einen Mangel dessen geklagt - gehalten und in der Lage, die in ihren Wirkungs- und Einflußbereichen lebenden Deutschen bei der Wahrnehmung der von Ihnen erwähnten Mittlerfunktionen und in anderer Art und Weise zu beraten bzw. zu fördern?

Not found (Gast)

Unsere Vertretungen sind gehalten, das zu tun, und wenn es in konkreten Fällen Kritik geben sollte, bitte ich darum, sie uns einfach mitzuteilen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, welche Folgerungen aus dieser unterstützenden Haltung zieht die Bundesregierung bezüglich der deutschen Auslandsschulen?

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Herr Kollege, wir haben mit Hilfe des Deutschen Bundestages die Zuschüsse an die deutschen Schulen im Ausland, vor allem an die Begegnungsschulen, in den letzten Jahren beträchtlich erhöht, und wir haben die Zahl der entsandten Lehrer wieder angehoben. Ich denke, damit haben wir nachdrücklich bewiesen, daß wir alle Formen der Pflege der deutschen Sprache und Kultur in diesen Ländern unterstützen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage 70 des Herrn Abgeordneten Dr. Mende auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß sich die Propaganda der ,DDR" gezielt um die Auslandsdeutschen bemüht und zu diesem Zwecke seit Jahren die Zeitschrift ,Neue Heimat", Informationskorrespondenzen oder das ,Panorama DDR" verwendet? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung verfolgt, wie wiederholt dargelegt, laufend die genannten Aktivitäten der DDR. Darüber und insbesondere auch über die Zeitschrift „Neue Heimat" habe ich in der Fragestunde und im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen wiederholt berichtet. Ich möchte auf die Protokolle dieser Sitzungen im einzelnen verweisen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Mende, bitte.

Dr. Erich Mende (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001467, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, beurteilen Sie die Ausbildung mit Auslandsstipendien, die die DDR insbesondere Technikern, Lehrern und Journalisten zuteil werden läßt, nicht insofern als eine Gefahr, als die so ausgebildeten Stipendiaten wieder in Heimatländer zurückkehren und beispielsweise über Preußentum und Sozialismus oder, wie jetzt, über Clausewitz ganz anders informiert und aufgeklärt werden, als es der objektiven Geschichtswertung entspricht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Mende, selbstverständlich verfolgen wir gerade die Stipendienpolitik der DDR sehr aufmerksam, und wir haben auch darüber wiederholt berichtet Wir gehen aber davon aus, daß unsere Stipendienangebote und unsere Möglichkeiten, jungen Studierenden, Akademikern, Wissenschaftlern, aber auch Praktikanten aus aller Welt bei uns Gelegenheit zum Studium zu geben, eben wegen ihrer Offenheit wesentlich wirksamer sind als die ideologisch orientierte Form der Stipendienpolitik der DDR. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Dr. Mende auf: Mit welchen Mitteln unterstützt die Bundesregierung die in Übersee erscheinenden deutschen Zeitungen bzw. deutschsprachige Sendungen in Funk und Fernsehen? Vizepräsident Frau Renger Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, für die Belieferung der deutschsprachigen Presse im Ausland mit Nachrichten und anderen Beiträgen stehen in diesem Jahr 125 000 DM zur Verfügung. Für den deutschen Sprachunterricht und kulturelle Sendungen erhalten ausländische Rundfunkanstalten in einer Reihe von Ländern Tonbänder. Diese Maßnahmen kosten derzeit etwa 650 000 DM. In verschiedenen Ländern werden den Fernsehanstalten der „Deutschland-Spiegel" in deutsch wie in Fremdsprachen und deutsche Filme, soweit Autorenrechte abgegolten werden konnten, zu günstigen Bedingungen angeboten. Wir haben zudem seit 1971 mit Millionenbeträgen ein Projekt „Sprachkurs" - die „Familie Baumann" - finanziert, das zusammen mit dem benötigten Lehrmaterial in Verbindung mit Sendungen der Deutschen Welle von uns gefördert wird, allein im letzten Jahr mit mehr als einer halben Million DM.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Mende.

Dr. Erich Mende (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001467, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würde es die Bundesregierung angesichts der Wichtigkeit dieser Projekte begrüßen, wenn die Opposition im Haushaltsausschuß für eine Erhöhung des Mittelansatzes Sorge trägt?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung begrüßt es immer, wenn die Opposition sie in ihren Bemühungen zur Förderung der deutschen Sprache und Kultur im Ausland unterstützt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist es richtig, daß die Bundesregierung früher Materndienste für deutschsprachige Zeitungen zur Verfügung gestellt hat und daß dies heute nicht mehr geschieht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Hupka, das ist richtig. Auch das war wiederholt Gegenstand der Diskussion in der Fragestunde. Das ist aus finanziellen Gründen eingestellt worden. Wir haben uns vom Auswärtigen Amt aus wiederholt darum bemüht, haben die nötigen Mittel aber bisher noch nicht zur Verfügung gestellt bekommen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Becher, bitte.

Dr. Walter Becher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000122, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, sind in diesem Zusammenhang von seiten der Bundesregierung auch die Goethe-Institute gebeten worden, bezüglich der Überseedeutschen helfend mitzuwirken, oder stimmt es, daß sie eine Weisung haben, sich mit ihnen überhaupt nicht zu befassen?

Not found (Gast)

So eine Weisung haben sie ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil, die Goethe-Institute bieten ja gerade deutschsprachige Programme, deutschsprachige Literatur, deutschsprachige Filme in zunehmender Zahl an, damit alle, die sich mit der deutschen Sprache und Kultur beschäftigen, hier Zugangs- und Informationsmöglichkeiten und einen Gewinn für ihr eigenes Kulturverständnis haben. Es ist doch ganz sicher, daß diese Programme auch und besonders auf Bürger anderer Länder gemünzt und zugeschnitten sind, die eben deutschstämmig sind. Vizepräsdient Frau Renger: Danke schön. Die Fragen 72 und 73 des Abgeordneten Böhm ({0}) werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruck. Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Bahner auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Ausland lebende Deutsche in vielen Fällen die Schrittmacher bei der Einführung deutscher Erzeugnisse und Dienstleistungen waren? Bitte sehr, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich beantworte die Frage mit Ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bahner.

Dietrich Bahner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung in der Lage, die Schrittmacherdienste von Auslandsdeutschen bei der Einführung deutscher Erzeugnisse in etwa zu quantifizieren, und wenn nein, besteht dann nicht die Gefahr einer Unterbewertung der Verdienste von Auslandsdeutschen durch die Bundesregierung?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich will nicht widersprechen, daß die im Ausland lebenden Deutschen oftmals Schrittmacher für die Einführung deutscher Erzeugnisse gewesen sind. Ich nehme aber doch an, daß die Wertschätzung der Produkte dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat und nicht die Wertschätzung der Bundesregierung durch die Auslandsdeutschen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bahner, bitte.

Dietrich Bahner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, muß es nicht zu denken geben, wenn sich. die in Chikago erscheinende „Abendpost" über den großen Wirtschaftsfaktor Gedanken macht, den die deutschstämmigen Amerikaner bilden, und dabei feststellt, daß sich die Bundesrepublik Deutschland um die Auslandsdeutschen nicht genügend kümmere?

Not found (Gast)

Herr Kollege Bahner, erstens kenne ich den Artikel nicht, zweitens scheint mir das, was Sie vorgetragen haben, reichlich konstruiert, und drittens ist es überhaupt nicht richtig, daß sich die Bundesregierung nicht um Auslandsdeutsche kümmert Ich erinnere mich an meine jüngste Kanadareise, bei der ich einen ganzen Nachmittag lang mit Vertretern deutschsprachiger Vereine, kirchlicher EinrichtunStaatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher gen, Rundfunk- und Fernseheinrichtungen gesprochen und mich sehr ausführlich über ihre Wünsche und Anregungen unterhalten und daraus auch Konsequenzen gezogen habe. Diese Beurteilung möchte ich also zurückweisen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Bahner auf: Besteht nicht die Gefahr, daß sich im Ausland lebende deutsche Bevölkerungsgruppen vom bevorzugten Verkauf deutscher Waren abwenden, wenn sie sich von der Bundesregierung übergangen oder gar brüskiert fühlen? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Frage beantworte ich mit Nein. Die von Ihnen vermutete Gefahr besteht nicht. Erstens werden die genannten Gruppen weder übergangen noch brüskiert, und zweitens sind unserer Überzeugung nach Konsumgewohnheiten ganz unabhängig von Regierungspräferenzen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dietrich Bahner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, wäre die Bundesregierung bereit, etwa gemeinsam mit der deutsch-amerikanischen Handelskammer in Chikago die Bedeutung. der Deutsch-Amerikaner bzw. Amerikaner deutschsprachiger Abstammung als Wirtschaftsfaktor untersuchen zu lassen und daraus entsprechende Folgerungen zu ziehen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe meinen bisherigen Ausführungen nichts hinzuzufügen und glaube, daß die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und deutschstämmigen Amerikanern in den USA wie auch Handelskammern und anderen Organisationen sehr gut sind und daß es keiner besonderen Untersuchungen bedarf, um eine solche Feststellung zu treffen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weiteren Zusatzfragen. Die Fragen 78 des Herrn Abgeordneten Dr. von Geldern und 79 und 80 des Herrn Abgeordneten Dr. Hoffacker werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Graf Huyn auf: Warum hat Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher den Generalsekretär des African National Congress ({0}) offiziell empfangen, obwohl der ANC seine Ziele mit terroristischen Mitteln verfolgt und die südafrikanische Regierung deutsche Anerkennungstendenzen zugunsten der ANC mft einem Stopp der Chromlieferungen beantworten möchte? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, angesichts der Tatsache, daß der Generalsekretär des ANC, Herr Alfred Nzo, auch von Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, darunter zwei Kollegen Ihrer Fraktion, in gleicher Weise zu einem Gespräch empfangen worden ist, wie von mir, ist mir die Zielrichtung Ihrer Frage nicht recht verständlich geworden. Ich gehe davon aus, daß auch Ihre Fraktionskollegen mit der Bundesregierung der Meinung gewesen sind, daß keine Möglichkeit versäumt werden sollte, auch dem ANC unsere Auffassung darüber darzulegen, wie in Südafrika mit friedlichen Mitteln die Gleichberechtigung aller Rassen in allen Lebensbereichen erreicht werden kann. Diesen Weg würde im übrigen auch die ANC vorziehen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich nur sagen, daß, abgesehen von einem spekulativen Artikel in der „Welt" vom 14. Juni, der Bundesregierung nichts über eine Absicht der südafrikanischen Regierung bekannt ist, die Chromlieferungen einzustellen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist es der Bundesregierung bekannt, daß sich die ANC nicht erst neuerdings, sondern fast seit 20 Jahren, nämlich seit 1961/62, bei der Durchsetzung dieser Ziele offen zur Gewalt bekennt, und haben Sie als Vertreterin der Bundesregierung darauf hingewirkt, friedliche Mittel einzusetzen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe im Namen der Bundesregierung auch die jüngsten Anschläge in Südafrika ausdrücklich verurteilt, und ich habe darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung die Kontakte und die Gespräche mit dem Ziel führt, daß in einem kritischen Dialog auch mit der Regierung Südafrikas friedliche Lösungen gefunden werden, allerdings in beschleunigter Weise, weil die Zeit der Entwicklung langsam davonläuft.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage, Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist es der Bundesregierung bekannt gewesen, daß die Delegation des ANC und Herr Alfred Nzo auf Einladung des Antiimperialistischen Solidaritätskomitees in Frankfurt hier in Deutschland waren?

Not found (Gast)

Herr Kollege, das ist uns genauso wie dem Auswärtigen Ausschuß bekannt gewesen, der ja, wie ich schon einmal gesagt habe, auch die Notwendigkeit gesehen hat, eine solche Gelegenheit zu einem Gespräch zu nutzen, um allerdings auch unsere Position unmißverständlich klarzumachen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, ist dieses Gespräch von Vertretern der Bundesregierung mit dem ANC auch Ausdruck der Tatsache, daß die Bundesregierung nach den Entwicklungen in Simbabwe die Lage verstärkt so einschätzt, daß frühzeitige Gespräche mit Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika die Chancen für einen friedlichen Übergang erleichtern und vielleicht die Möglichkeit zu Kontakten mit zukünftigen Regierungsmitgliedern vorbereiten helfen können?

Not found (Gast)

Herr Kollege, genau das ist die Grundüberlegung der Bundesregierung. Ich darf hinzufügen, daß wir alle, wo immer wir können, uns bemühen müssen, aus den Erfahrungen mit den Entwicklungen in Afrika überhaupt die Konsequenzen zu ziehen und so frühzeitig wie möglich Gespräche mit Vertretern von Bewegungen zu führen, die von ihrer Zahl und von der Zielsetzung her mit unser aller Grundüberzeugung übereinstimmen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.

Brigitte Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000487, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, stimmt die Bundesregierung mit mir überein, daß man, wenn man keine Gespräche mit einer Befreiungsbewegung wie dem ANC führt, dann auch konsequenterweise fordern müßte, keine Gespräche mehr mit der südafrikanischen Regierung zu führen, welche Terrorismus sogar gegen Kinder ihrer eigenen Bevölkerung anwendet? ({0})

Not found (Gast)

Frau Kollegin, hier besteht ein großer Unterschied. Mit einer Regierung, mit der wir diplomatische Beziehungen haben, reden wir sowieso; der Kontakt mit Organisationen wie der ANC ist einfach eine politisch notwendige Maßnahme.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob Sie in diesem Gespräch mit dem ANC auch klargemacht haben, daß es weder unser' deutsches Interesse sein noch im Interesse der Menschlichkeit liegen kann, wenn der ANC seine Londoner Androhung Wahrmachen sollte, den Kampf auch mit Waffengewalt und Terror zu verstärken?

Not found (Gast)

Das habe ich deutlich getan. Ich habe gesagt, daß die Bundesregierung und, ich glaube, alle Parteien des Bundestages jede Gewaltanwendung und jeden Terror verurteilen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf: Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, damit die Tschechoslowakei die Erhöhung Pflichtumtauschquoten für Einzelreisende zurücknimmt bzw. den sogenannten Pflichtumtausch ganz abschafft? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Wittmann, bei der Einführung des seit 11. Juni 1980 geltenden Pflichtumtauschbetrages von 25 DM pro Person und Aufenthaltstag handelt es sich aus tschechoslowakischer Sicht nicht um eine Erhöhung, sondern um eine Anpassung an die geltenden Wechselkurse. ({0}) Der Leitrichtsatz von 10 US-Dollar rührt aus einer Zeit her, als der Wechselkurs 1 US-Dollar = 2,50 DM galt. Der neue Umtauschbetrag ist eine Reaktion auf die zur Zeit schwächeren Wechselkurse des US-Dollars. Mit einer Zurücknahme der seit 11. Juni eingeführten Umstellung der Leitwährung von US-Dollar auf D-Mark beim Pflichtumtausch ist daher derzeit nicht zu rechnen. Die Bundesregierung bemüht sich aber seit längerer Zeit um eine gänzliche Abschaffung des Pflichtumtauschs und wird dieses Thema bei den nächsten deutsch-tschechoslowakischen Konsularkonsultationen, die voraussichtlich im August 1980 stattfinden werden, erneut zur Sprache bringen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, eine Zusatzfrage.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Einführung dieser Pflichtumtauschquoten generell, also bei verschiedenen anderen kommunistischen Staaten ebenfalls, den Grundsätzen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - Teil Touristik - widerspricht?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe Ihnen ja vorhin gesagt, daß sich die Bundesregierung darum bemüht, dieses rückgängig zu machen. Es ist auch gelungen, den Pflichtumtausch im Reiseverkehr mit Ungarn und Bulgarien wieder abzuschaffen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, Sie haben gerade die Bemühungen im Verhältnis zur Tschechoslowakei angedeutet. Ist auch davon auszugehen, daß ähnliche Bemühungen bezüglich des Pflichtumtausches für Reisende in den Herrschaftsbereich der Volksrepublik Polen oder nach Rumänien in Gang gesetzt werden?

Not found (Gast)

Selbstverständlich, hier gilt das gleiche. Generell wollen wir uns darum bemühen, diese Pflichtumtauschquoten rückgängig zu machen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz ({0}).

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, da diese Pflichtumtauschsätze eine doppelte Funktion haben, nämlich erstens die, sich Devisen zu verschaffen, und zweitens, den Besuchsverkehr substantiell zu behindern, darf ich Sie fragen: Ist die Bundesregierung bereit, das Thema generell und auf die einzelnen Länder erstreckt beispielsweise bei der KSZE-Nachfolgekonferenz in Madrid anzusprechen?

Not found (Gast)

Ich gehe davon aus, daß wir das sicher bei den Vorbereitungen prüfen werden. Ich kann Ihnen heute dazu keine endgültige Antwort geben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, die Teilnehmerstaaten der KSZE haben sich - ich darf das wörtlich zitieren - verpflichtet Reisen in ihre Länder zu fördern, indem sie zu geeigneten Erleichterungen, zur Vereinfachung und Beschleunigung der für solche Reisen erforderlichen Formalitäten ermutigen. Paßt dazu nicht dieser Zwangsumtausch wie die Faust aufs Auge?

Not found (Gast)

Herr Kollege, trotz dieses Zwangsumtauschs hat sich die Zahl der Reisen in den letzten Jahren erheblich erhöht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf: Gibt es einen völkerrechtlich relevanten Unterschied bei der Bereitschaftserklärung zur Beteiligung an einem System konkreter Garantien zwischen der englischen Fassung der Erklärung des Europäischen Rates über den Nahen Osten vom 13. Juni 1980 in Nummer 5 „including ({0}) on the ground" und der deutschen Fassung .Garantien, einschließlich solcher an Ort und Stelle"? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Czaja, meine Antwort lautet: Nein, es gibt keinen solchen Unterschied.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, verstehen die anderen EG-Partner unter einem System kollektiver, bindender und konkreter internationaler „guarantees on the ground" auch die Beteiligung oder Unterstützung einer internationalen Friedenstruppe, und wie steht die Bundesregierung dazu?

Not found (Gast)

Herr Kollege Czaja, dazu hat Herr Außenminister Genscher in der Debatte am 17. Juni auf eine Zwischenfrage Ihres Fraktionsvorsitzenden Dr. Kohl ausführlich Stellung genommen. Insbesondere hat er deutlich gemacht, daß für die Bundesrepublik eine militärische . Garantie in keinem Fall in Frage kommt Ich möchte das hier wiederholen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da ich nicht nach einer militärischen Garantie gefragt habe, möchte ich die Frage vertiefen: Kann sich die Bundesregierung ohne einen eindeutigen Vorbehalt aus solchen, leider von ihr gebilligten Kollektivverpflichtungen eigentlich heraushalten; wenn sich selbst das neutrale Osterreich und auch Finnland an Friedenstruppen bei Kollektivverpflichtungen beteiligen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Czaja, das kann sie selbstverständlich, weil unser Grundgesetz dem entgegensteht

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf: Auf welchem Territorium, innerhalb welcher Grenzlinien und in was für Strukturen ist nach Auffassung der Bundesregierung und der Europäischen Gemeschaft die geminsame Verwirklichung der „legitimen” Rechte das paläsintinensischenaft Violkse " einschließlich der vollen Ausenübung des Selbstbestimmungsrechts" sowie „des Existenzrechts und des Rechts auf Sicherheit aller Staaten der Region, einschließlich Israels" innerhalb sicherer, anerkannter und garantierter Grenzen ({0}) möglich? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Erklärung des Europäischen Rats sieht als Kernstück eines umfassenden Friedens in Nahost die Notwendigkeit an, das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes in Einklang mit dem Existenz- und Sicherheitsrecht Israels zu bringen. Die Verwirklichung dieses Zieles erfordert die Zustimmung und Mitwirkung aller Beteiligten. Dabei erwarten die Neun, daß alle betroffenen Parteien die in der Erklärung genannten Prinzipien zur Grundlage ihres Handelns machen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, da ich gefragt habe, innerhalb welcher Grenzlinien und in was für Strukturen diese gemeinsame Verwirklichung erfolgen soll, frage ich zusätzlich: Wie will die EG das fördern, und wieso halt sie den Augenblick zur Verwirklichung für gekommen, wenn sie bisher - das ging aus Ihrer Beantwortung noch nicht hervor - nicht weiß, wie strukturell und in welchem Gebiet die gemeinsame Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser und des Existenzrechts Israels erfolgen soll?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Erklärung des EG-Rats vermeidet bewußt eine Stellungnahme zur künftigen Grenzziehung und staatlichen Ordnung in der Konfliktregion. Sie beschränkt sich vielmehr auf das Aufzeigen von Grundsätzen, an Hand derer ihrer Auffassung nach eine Konfliktlösung möglich wäre. Wie die Palästinenser ihre Zukunft bestimmen, kann nicht von den Neun entschieden werden. Dies würde einen Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht bedeuten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist das Bewußtsein einer Bevölkerungsgruppe oder von vertriebenen oder geflüchteten Menschen darüber, daß sie als Volk existieren, wie es in Ziffer 6 der Nahost-Erklärung heißt, Grundlage für eine solche Gruppe, das Selbstbestimmungsrecht zu fordern, und wäre dies auch in Europa anzuwenden?

Not found (Gast)

Herr Kollege, um gleich auf den zweiten Teil Ihrer Frage, auf den es ankommt, zu antworten: Ich wiederhole hier noch einmal nachdrücklich, daß die Bundesregierung nie einen Zweifel daran gelassen hat, daß sie an dem Ziel festhält, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf: Ist es richtig und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls dagegen zu tun, daß der Chef der Personalverwaltung der UNIDO ({0}) in Wien, Herr Hugo Creydt aus der DDR, in Obereinstimmung mit dem Büro für Personalangelegenheiten in New York behauptet, daß die Bundesrepublik Deutschland sich auf keinen Nationalfeiertag im Sinne der .staff rule 1013" berufen könne, so daß die Deutschen aus der Bundesrepublik Deutschland gezwungen sind, einen Nationalfeiertag als dienstfrei nicht in Anspruch nehmen zu dürfen? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Hupka, daß für die bei den Vereinten Nationen tätigen Angehörigen der Bundesrepublik Deutschland keine Dienstbefreiung nach Ziffer 101.3 ({0}) gefordert werden kann, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland keinen Nationalfeiertag kennt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht die Auffassung einzelner Bediensteter, sondern die allgemeine Praxis der Vereinten Nationen, die der Haltung der Bundesregierung in dieser Frage entspricht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Muß ich Ihrer Antwort entnehmen, Frau Staatsminister, daß der 17. Juni kein nationaler Feiertag ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege, so ist es. Auch wir haben ja am 17. Juni nicht dienstfrei gehabt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, es widerspricht dem Gesetz, daß der 17. Juni -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Würden Sie freundlicherweise eine Frage stellen.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, können Sie mir darin folgen, daß Ihre Aussage unserem Gesetz widerspricht, wonach der 17. Juni ein nationaler Feiertag ist, der später durch Bundespräsident Lübke zum nationalen Gedenktag erklärt worden ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich lese Ihnen jetzt den Wortlaut der genannten Ziffer 101.3 der Staff Rules vor: Staff members who are nationals of any country which observes a national day may be excused from work on that day. Wir haben keinen Nationalfeiertag bei den Vereinten Nationen angemeldet Deshalb wird für UN-Bedienstete deutscher Nationalität nicht nur in der von Ihnen genannten Organisation, Herr Kollege - ich habe mich ausdrücklich erkundigt -, sondern auch in Genf und New York an diesem Tage nicht dienstfrei gegeben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, nachdem Sie gesagt haben, daß die Bundesregierung bisher keinen Nationalfeiertag angemeldet hat, frage ich Sie: Wird die Bundesregierung den Vorfall, auf den der Kollege Hupka aufmerksam gemacht hat, zum Anlaß nehmen, diesen Tag, wie es Sinn und Geist des Gesetzes über den 17. Juni entspricht, alsbald bei den Vereinten Nationen als deutschen Nationalfeiertag für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bediensteten anzumelden?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, das geht weit über die ursprüngliche Fragestellung hinaus. Was Sie gefragt haben, kann niemand beantworten, auch nicht die Frau Staatsminister. Das tut mir leid. ({0}) Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, sich daran zu erinnern, daß in dem Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Einführung des 17. Juni als Feiertag dieser Tag als Nationalfeiertag bezeichnet worden ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe dem, was ich bisher gesagt habe, nichts mehr hinzuzufügen. Ich muß noch einmal betonen, daß nicht nur in Wien so verfahren wurde, sondern in allen anderen Standorten der Vereinten Nationen auch.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, warum hat die Bundesregierung - anders als alle anderen Mitglieder der Vereinten Nationen - nach ihrem Beitritt keinen Staatsfeiertag angemeldet?

Not found (Gast)

Weil wir keinen haben, Herr Kollege. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist nicht dieser Feiertag der Nationalfeiertag, und - ich bitte noch einmal, die Frage genau zu beantworten - warum wurde dieser nicht als solcher angemeldet?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe es nun schon dreimal gesagt: weil es kein Nationalfeiertag ist. ({0}) Vielleich hat die Opposition der nächsten Legislaturperiode Gelegenheit, hier einmal die Initiative zu ergreifen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Kunz ({0}).

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, sind Sie bereit, mir auf schriftlichem Wege die Frage zu beantworten, ob es zutrifft, daß auch ein Teil der Mitarbeiter der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Warschau am 17. Juni gearbeitet hat?

Not found (Gast)

Ich will Ihnen das gerne schriftlich beantworten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.

Brigitte Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000487, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, glauben Sie nicht daß es international Befremden hervorriefe, wenn wir einen Tag zum nationalen Feiertag erklären würden -- ich betone: Feiertag -, der ein Gedenktag an die Niederschlagung einer Aufstandes ist, während alle anderen Nationen einen Nationalfeiertag haben, um etwa ihre eigene nationale Unabhängigkeit zu feiern?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich glaube, es liegt im Belieben jeder Nation, sich einen nationalen Feiertag zu wählen, aus welchem Anlaß auch immer. Aber die Lage ist einfach so, daß dieser 17. Juni ein solcher Feiertag bis jetzt nicht ist. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich freundlicherweise bei den Fragen, die Sie stellen, nicht immer wiederholten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. ({0}) Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Voss. ({1})

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß nach unserem Selbstverständnis der 17. Juni für uns ein nationaler Gedenktag ist? Wenn Sie mir nicht zustimmen können, bitte ich Sie darum, mir Ihre Ansicht darüber mitzuteilen.

Not found (Gast)

Natürlich ist das so, Herr Kollege. Aber wir haben ja auch aus bestimmten übereinstimmenden Überlegungen heraus an diesem Tag einen Arbeitstag hier im Parlament durchgeführt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß insbesondere die Frage, ob an einem Tag dienstfrei ist oder nicht, im Zusammenhang mit dem 17. Juni nicht diskutiert werden sollte?

Not found (Gast)

Das wollte ich vorhin auch schon bemerken. Aber in inseren Breitengraden ist ein Feiertag eben ein Tag, an dem nicht gearbeitet wird. Insoweit ist der Zusammenhang schon gegeben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).

Johannes Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001554, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, wären Sie so freundlich, der Frau Kollegin Erler mitzuteilen, daß die CDU/CSU 1953 beantragt hat, einen Tag des Gedenkens einzuführen, daß dann aber auf Grund von Anträgen, die von niemand geringerem als von Herrn Wehner und von Herrn Brandt mündlich begründet wurden, ein Feiertag beschlossen wurde?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Antwort erfolgt an Sie, Herr Kollege, weil diese Dreierkombination nicht möglich ist.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich würde vorschlagen, daß Sie das der Kollegin Erler selbst sagen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine Zusatzfragen mehr. Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf: Wie erklärt es die Bundesregierung, daß die Ausreisegenehmigungen für Sowjetbürger deutscher Volkszugehörigkeit seit 1977 ständig, auch weiterhin 1980, rückläufig sind, und daß gleichzeitig die Sowjetunion in offiziellen Erklärungen diesen Sachverhalt für in Ordnung gehend halt? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung hat schon in der Fragestunde vom 25. April in Beantwortung einer Frage von Ihnen zum Ausdruck gebracht, daß sie mit der rückläufigen Entwicklung der Ausreisezahlen von Deutschen aus der Sowjetunion nicht zufrieden ist. Die rückläufige Entwicklung setzte übrigens nicht 1977 ein, wie Sie in Ihrer Frage meinen, sondern etwa Mitte 1978. Eine offizielle Erklärung der Sowjetunion dahin gehend, daß sie den Rückgang der Ausreisezahlen für in Ordnung gehend hält, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Falls Sie von einer solchen Erklärung Kenntnis haben sollten, bitte ich Sie, sie der Bundesregierung mitzuteilen, damit sie solchen Erklärungen in geeigneter Weise entgegentreten kann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ich beziehe mich auf die offizielle Statistik des Bundesministeriums des Innern und frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß seit 1977 die Zahl der Ausreisen aus der Sowjetunion rückläufig ist? Im Jahre 1977 kamen im Monatsdurchschnitt 809 Personen zu uns, 1977 waren es 773, und heute sind es 556. Das ist ein Rückgang von nahezu 30 %.

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Herr Kollege, das ist zweifellos so. Aber Sie müssen die Zahlen mit denen aus den Jahren zuvor vergleichen. Dann sehen Sie, daß selbst die bedauerlicherweise verminderten Zahlen der letzten zwei Jahre immer noch erheblich über denen der Jahre vor 1976 liegen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Hupka, bitte.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, vielleicht ist es Ihnen möglich, diejenigen Angehörigen des Auswärtigen Amts zu sprechen, die von einer Einlassung von Herrn Gromyko gegenüber dem Bundesaußenminister in Wien Kenntnis haben, damit Sie nachher die Information bekommen, die Ihnen offenbar bis heute entgangen ist.

Not found (Gast)

Ich werde der Sache gerne nachgehen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, den Herrn Bundeskanzler aufzufordern, bei seinen Gesprächen gegenüber der sowjetischen Regierung auch auf diese Frage hinzuweisen und für Abhilfe zu sorgen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung ist nicht nur bereit, sondern dies ist schon vorbereitet.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage Nr. 89 - der Frau Abgeordneten Erler - auf: Warum erkennt die Bundesregierung trotz des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs von 1971 nicht die Autorität des UNO-Rates für Namibia und damit auch die von ihm erlassenen Dekrete als legal an? Bitte sehr, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Bundesregierung erkennt an, daß der Namibia-Rat nach den entsprechenden VN-Beschlüssen den Auftrag hat, die politischen Interessen der Bevölkerung Namibias im Rahmen der Vereinten Nationen zu vertreten. Der Rat ist jedoch nicht das völkerrechtlich endgültige und umfassend vertretungsberechtigte Organ für Namibia. Da der Rat keine effektive Gewalt über Namibia ausübt und keine Gebietshoheit hat, kann er nicht die Rechte beanspruchen, die allein der Regierung eines künftigen unabhängigen Namibia vorbehalten bleiben müssen. Der Erlaß von Dekreten geht daher nach Auffassung der Bundesregierung über die Zuständigkeit des Rates hinaus und erzeugt auch bei Billigung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen keine völkerrechtliche Bindungswirkung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.

Brigitte Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000487, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, sehen Sie nicht einen gewissen Widerspruch darin, daß wir einerseits die Passe, die der UN-Rat ausstellt, anerkennen, auf der anderen Seite aber nicht Mahnungen des UN-Namibiarates ernstnehmen, der uns verbietet, etwa 30 % unseres Uranbedarfs aus Namibia zu decken?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, das ist kein Widerspruch. Aber wir nehmen die Warnungen durchaus ernst. Denn jede Regierungsunterstützung wirtschaftlicher Tätigkeit in Namibia einschließlich der Bemühungen um den Import von Natururan ist von uns eingestellt worden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?

Brigitte Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000487, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich einmal nachfragen darf? Habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie mir die Information gegeben haben, daß wir kein Uran mehr aus Namibia beziehen und es auch aus der Bundesrepublik keine Beteiligung an der Uranmine Rössing gibt?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, so ist das nicht. Wir haben ja eine freie Wirtschaft. Wir können ohne rechtliche Grundlage private kommerzielle Aktivitäten nicht unterbinden. Aber ich habe gesagt, daß die Unterstützung der Regierung durch die vorhandenen Möglichkeiten für eine solche Tätigkeit eingestellt worden ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe dann die Frage Nr. 90 - der Frau Abgeordneten Erler - auf : Wie beurteilt die Bundesregierung das Sammeln von Geld bei deutschen Unternehmen zum Kauf von Waffen für die von Südafrika abhängigen UNITA, welche die Regierung Angolas bekämpft. in bezug auf unsere auswärtigen Beziehungen? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, der Bundesregierung ist von Sammelaktionen zum Kauf von Waffen zugunsten von UNITA nichts bekannt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, angesichts der doch sehr starken außenpolitischen Bedeutung eines eventuellen Sammelns solcher Gelder gerade in bezug auf einen Krisenherd, wie das südliche Afrika möchte ich fragen: Hat die Bundesregierung weder die Informationen, die im „Spiegel" darüber standen, noch das Kommuniqué der angolanischen Botschaft in Frankreich, das auch in der Bundesrepublik veröffentlich worden ist, wahrgenommen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, das ist eine im ersten Teil zumindest hypothetische Frage gewesen. Aber Sie können sicher davon ausgehen, daß die Bundesregierung in einem solchen Fall alle rechtlichen und tatsächlich möglichen Schritte ergreifen würde, um solche Sammlungen zu unterbinden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie noch eine Zusatzfrage? ({0}) Herr Abgeordneter Becher, bitte.

Dr. Walter Becher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000122, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß es auch Dr. Becher ({0}) andere Beurteilungen der UNITA gibt, die eine Unabhängigkeitsbewegung der eingeborenen Bevölkerung ist und - zum Unterschied von der Regierung Angolas - nicht von Kuba und den Sowjets und von den Truppen der DDR unterstützt wird, und daß daher eine Unterstützung der UNITA eine Unterstützung einer Freiheitsbewegung wäre? ({1}) Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminster: Herr Kollege, wir sollten überhaupt Freiheitsbewegungen nicht mit Waffen unterstützen. Darauf haben wir uns doch eigentlich alle geeinigt

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wäre die Bundesregierung aber bereit, Frau Staatsminister, humanitäre Hilfe für die Bevölkerung in dem befreiten Gebiet Angolas, das von der UNITA kontrolliert wird, zu leisten bzw. zu unterstützen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, wir haben normale diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik Angola aufgenommen. Wir werden natürlich in jeder Weise versuchen, in welchen Teilen des Landes auch immer, humanitäre Hilfe zu leisten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage Nr. 1 - des Herrn Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach - auf: Ist der Bundesregierung das Buch von Hugh Thomas .The Murder of Rudolf Hess" ({0}) bekannt, in dem der Autor glaubt nachweisen zu können, daß der ehemalige Reichsminister Rudolf Hen nicht mit dem in Spandau Einsitzenden identisch sein kann, und welche Schlußfolgerungen ergeben sich nach Ansicht der Bundesregierung hieraus? Bitte, Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege von der Heydt, ich nehme Bezug auf die schriftliche Antwort der Bundesregierung für die Fragestunde vom 19. Mai 1979 auf die Frage des Kollegen Möllemann in der gleichen Angelegenheit Darin heißt es: Die Bundesregierung hat auf Grund der regelmäßigen Konsultation mit den Drei Mächten bisher keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß der in Spandau einsitzende Häftling Nr. 7 Rudolf Heß ist An dieser Feststellung hat sich durch die Veröffentlichung des von Ihnen genannten Buches nichts geändert.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte. von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}): Frau Staatsminister, haben Sie das Buch gelesen?

Not found (Gast)

Nein. von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}): Frau Staatsminister, darf ich Ihnen empfehlen, dieses Buch zu lesen oder lesen zu lassen, um dann Ihre jetzt gegebene Antwort noch einmal überprüfen zu lassen? Dies frage ich deswegen - ich kann das jetzt schlecht in einen Satz kleiden -, weil alle Leute zunächst lachen. Die, die das Buch gelesen haben, tun das nicht mehr. Ich darf Sie deswegen fragen, ob Sie bereit sind, sich da zu informieren.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich will es versuchen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Trifft es zu, Frau Staatsminister, daß dieses Problem dadurch eine ganz neue Wendung genommen hat, daß die Vereinten Nationen dem Verteidiger des Betroffenen mitgeteilt haben, daß eine Tätigkeit mit Berufung auf Art. 107 der Charta der Vereinten Nationen nicht entfaltet werden kann?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe dem bisher Gesagten nichts hinzuzufügen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, wäre es nach der Auffassung der Bundesregierung von den liberalen Grundsätzen unserer Justiz nicht geboten, dann, wenn es auch nur den geringsten Zweifel daran geben kann, daß die in Spandau festgehaltene Person mit dem in Nürnberg verurteilten und dann inhaftierten Rudolf Heß identisch ist, den Zweifeln nachzugehen und dafür zu sorgen, daß ein möglicherweise völlig unschuldig einsitzender Mensch, der gar nicht Rudolf Heb ist, nicht länger in Gewahrsam gehalten wird?

Not found (Gast)

Herr Kollege, wir haben diese Möglichkeit nicht. Wir haben aber in dem Gespräch mit den drei Mächten, die hier in Frage kommen, keinerlei Anhaltspunkt gefunden, daß die in dem Buch offenbar angegebenen Tatsachen stimmen könnten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Möller.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, können Sie bestätigen, daß Rudolf Heß nach ärztlichen Untersuchungen und nach den Unterlagen, die vorliegen, am 8. August 1917 einen Lungendurchschuß bekommen hat, daß aber der Häftling, der in Spandau sitzt, eine solche Verletzung nicht mehr aufweist?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich kann das nicht bestätigen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, damit ist die Beantwortung der Fragen aus diesem Geschäftsbereich beendet Ich danke Ihnen, Frau Staatsminister. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Herr Parlamentarischer Staats18370 Vizepräsident Frau Renger sekretär von Schoeler steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die Fragen 6 - des Herrn Abgeordneten Dr. Diederich ({0}) -, 7 und 8 - des Herrn Abgeordneten Schäfer ({1}) - werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Frage 9 des Abgeordneten Marschall: Wie beurteilt die Bundesregierung extrem harte Trainingsmethoden für Kinder und Jugendliche im Leistungssport, die, wie beispielsweise von Sachverstandigen aus dem Deutschen Schwimmverband berichtet wurde, Kinder und Eltern in psychische und soziale Isolierung treiben, bzw. welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Fehlentwicklungen, die mit Kinderarbeit vergleichbar sein könnten, in diesem Bereich zu vermeiden oder einzuschränken? Bitte schön, Herr Staatssekretär. von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, der Bundesregierung sind Trainingsmethoden, die zu den von Ihnen erwähnten Folgen führen, nicht bekannt Was die medizinischen Maßnahmen betrifft, die die Bundesregierung fördert, verweise ich auf den Vierten Sportbericht der Bundesregierung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Marschall.

Manfred Marschall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, vertreten Sie, konfrontiert mit Erfahrungen eines bekannten Sportfunktionärs, der Erscheinungen im Jugendleistungssport, z. B. Schwimmen, so schildert, daß die Trainingsarbeit morgens um 5 Uhr beginnt und abends um 9 Uhr endet, so daß - ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin - „Eltern und Kinder wie tot ins Bett fallen", dies alles zu Lasten der sozialen Beziehungen und der Schulleistungen, vertreten Sie, Herr Staatssekretär, die Auffassung, daß derlei Trainingsmethoden im Interesse der Kinder oder auch des Sports liegen? von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde zu dem von Ihnen wiedergegebenen Zitat zunächst einmal die Auffassung vertreten, daß das nachgeprüft werden müßte, und vorher keine Bewertung dazu abgeben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Herrr Kollege? ({0}) --- Vielen Dank. Dann können wir noch die nächste Frage aufrufen. Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss: Ist der Bundesregierung bekannt. daß unter den im europäischen Ausland lebenden deutschen Staatsbürgern große Verärgerung darüber besteht, daß sie an den Wahlen zum Deutschen Bundestag nicht teilnehmen können, obwohl sie sich nach wie vor als Deutsche fühlen und an den politischen Vorgängen in der Bundesrepublik Deutschland lebhaft Anteil nehmen, und welche Bereitschaft der Abhilfe besteht bei der Bundesregierung?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, der Bundesregierung ist die im Rahmen Ihrer Frage getroffene Feststellung bekannt Ich verweise darauf, daß die Bundesregierung es im Hinblick auf das Scheitern zahlreicher Gesetzgebungsinitiativen mit dem Ziel der Ausdehnung des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag auf außerhalb der Bundesrepublik lebende Deutsche in den vorausgegangenen Wahlperioden und im Hinblick darauf, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich eine Verpflichtung zur Erweiterung des Kreises der zum Deutschen Bundestag Wahlberechtigten nicht besteht , in der laufenden Legislaturperiode den Fraktionen des Deutschen Bundestages überlassen hat, in dieser Frage Initiativen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes zu ergreifen. Sie hat dies auch in Antworten auf mehrere parlamentarische Anfragen zum Ausdruck gebracht

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, vermögen Sie mir zu sagen, welche konkreten Anlässe die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode genommen hat, um dieses Problem zu einer Lösung zu bringen? von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voss, wie Sie sich an Hand der Protokolle des Deutschen Bundestages überzeugen können, hat es mehrfach Gesetzesinitiativen der Bundesregierung gegeben, die aber in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages jeweils keine Mehrheit gefunden haben. Das ist der konkrete Grund, wieso die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode auf die erneute Einbringung einer eigenen Initiative verzichtet und die Klärung dieser Frage den Fraktionen überlassen hat Es hat schließlich keinen Sinn, einen Gesetzentwurf einzubringen, wenn man aus der Vorgeschichte, nämlich der Behandlung früherer Gesetzentwürfe, weiß, daß er nicht zum Ergebnis führt. Und auf das kommt es ja wohl auch Ihnen an, Herr Kollege.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

. Die zweite Zusatzfrage. Bitte.

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie gestehen also zu, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung selber keine Initiative ergriffen hat Darf ich den Grund darin sehen, daß der hier betroffene Personenkreis vielleicht nicht zur Wählerschaft der jetzigen Koalition zu zählen ist? von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Voss, die Bundesregierung hat mehrfach Initiativen ergriffen. Diese sind nicht erfolgreich gewesen. Weil diese beiden Feststellungen zutreffen, trifft die am Schluß Ihrer Frage formulierte Behauptung nicht zu.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 77 des Abgeordneten Dr. von Geldern und die Fragen 87 und 88 des Abgeordneten Josten aus diesem Geschäftsbereich werden schriftlich beantwortet Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt Ich danke Ihnen, Herr von Schoeler. Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haehser. steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Grobecker, die Frage 12 des AbVizepräsident Frau Renger geordneten Diederich ({0}) und die Fragen 13 und 14 des Abgeordneten Haase ({1}) werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Carstens ({2}) auf: Sind vom Bund seit Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Kreditaufnahme des Bundes im Ausland ({3}) ergänzende Vereinbarungen mit ausländischen Regierungen über die Kreditaufnahme zur Haushaltsfinanzierung des Bundes im Ausland getroffen worden, und was ist deren Inhalt ({4})? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Haehser, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin, wenn der Herr Kollege einverstanden ist, würde ich gern die Fragen 15 und 16 zusammen beantworten. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe daher jetzt die Frage 16 des Abgeordneten Carstens ({0}) auf: Mit welchen Ländern sind solche Absprachen getroffen worden, und mit welchen Ländern werden solche Absprachen noch angestrebt?

Karl Haehser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000776

Herr Kollege, ich sage zu den Fragen: Nein. Seit der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU wurden keine neuen oder ergänzenden Vereinbarungen mit ausländischen Regierungen über Kreditaufnahmen des Bundes im Ausland getroffen, und es bestehen derzeit keine Pläne für weitere Absprachen der genannten Art.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage. Herr Kollege.

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte gern wissen, in welcher Höhe und in welchen Ländern der Bund seit Beantwortung der Kleinen Anfrage Kredite zur Haushaltsfinanzierung aufgenommen hat.

Karl Haehser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000776

Die Antwort hätte ich auf die Fragen 13 und 14 des Kollegen Haase gegeben. Sie hätte gelautet, daß wir gut eine halbe Milliarde DM in Saudi-Arabien seit der Beantwortung der Kleinen Anfrage aufgenommen haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die zweite Zusatzfrage.

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie nicht die Entwicklung für beängstigend, daß wir über Jahrzehnte andere Länder finanzieren konnten und uns nun mehr und mehr selber im Ausland verschulden müssen?

Karl Haehser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000776

Herr Kollege, die Bundesregierung hat in der Beantwortung der Kleinen Anfrage gerade zu diesem Problemkreis so ausführlich geantwortet, daß eine Hinzufügung meinerseits nicht nötig ist. Ich empfehle Ihnen, damit Sie solch irrige Meinungen nicht länger mit sich herumtragen, ein genaues Studium der Beantwortung der Kleinen Anfrage.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gibt es sonst noch eine Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Ich rufe die letzte Frage aus diesem Geschäftsbereich auf, die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Voss: Ist es zutreffend, daß in dem Sitzungssaal des Bundesfinanzministeriums, in dem bisher nur das Porträt des jeweiligen Bundespräsidenten angebracht war, seit dem Wechsel von Bundespräsident Scheel auf Bundespräsident Carstens zusätzlich auch ein Bild von Bundeskanzler Schmidt entgegen der bisherigen Praxis angebracht worden ist, und ist diese Neuerung auch in anderen Bundesressorts eingeführt worden?

Karl Haehser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000776

Herr Kollege Voss, die Antwort teile ich in zwei Teile ein. Erstens. Es ist nicht zutreffend. Zweitens. Über die Ausschmükkung von Diensträumen der obersten Bundesbehörden mit Bildern von Repräsentanten des Bundes gibt es keine einheitlichen Richtlinien.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, zum ersten Teil Ihrer Antwort: War das immer so, oder hat es einen Zeitpunkt gegeben, wo neben dem Porträt des jetzigen Bundespräsidenten das Porträt des jetzigen Bundeskanzlers aufgehängt war?

Karl Haehser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000776

Es ist so, daß während meiner Amtszeit, die jetzt schon über sechs Jahre dauert ({0}) und in der es den Bundespräsidenten Dr. Heinemann und den Bundespräsidenten Walter Scheel gegeben hat, kein Bild des Bundespräsidenten in dem genannten Saal aufgehängt war. Erst mit der Wahl des Herrn Carstens sind ein Buntbild des Bundespräsidenten und daneben eines des Bundeskanzlers aufgehängt worden. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege?

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, dann ist es also so, daß jetzt der Usus besteht, daß in einem Sitzungssaal des Bundesfinanzministeriums ein Bild des Bundespräsidenten und daneben ein Porträt des Bundeskanzlers entgegen den bisherigen Usancen zu betrachten sind? ({0})

Karl Haehser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000776

Ich hoffe, Sie haben mir zugehört. Ich habe gesagt: Früher war weder ein Bild des Bundeskanzlers noch eines des Bundespräsidenten da; jetzt sind beide Bilder da. Ich will hinzufügen: Es handelt sich um so stattliche Herren, daß sich beide in unseren Sitzungsräumen sehr gut ausmachen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herzlichen Dank. ({0}) Vizepräsident Frau Renger - Herr Kollege Müller, wir sind - das muß ich Ihnen leider mitteilen - am Ende der Fragestunde. Da geht also nichts mehr; sie ist abgelaufen. ({1}) - Nein. - Alle nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Damit ist die Fragestunde beendet. Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort. Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfeesetzes - Drucksache 8/2534 - a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({3}) - Drucksache 8/4286 Berichterstatter: Abgeordneter Eimer ({4}) ({5}) Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Braun.

Gerhard Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das heute zur Verabschiedung anstehende Vierte Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes soll, wie es in der Begründung der Bundesregierung heißt, den Leistungsstand der Dritten Novelle des Bundessozialhilfegesetzes vom Jahre 1974 erhalten und das geltende Sozialhilferecht zugleich weiterentwickeln. Diese Weiterentwicklung mußte recht bescheiden ausfallen, da jede Mehrausgabe die Länder, Gemeinden und Kreise in vollem Umfange trifft. In einer Zeit, in der der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister die Länder und Gemeinden erneut zur Kasse bitten wollen, war es uns nicht möglich, wesentliche Mehrausgaben zu beschließen, es sei denn, wir hätten den Gemeinden mit den Beschlüssen auch das notwendige Geld mitliefern können. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dem 4. Änderungsgesetz zum BSHG in der jetzt vorliegenden Ausschußfassung sowohl im federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als auch im Haushaltsausschuß zugestimmt. Sie wird ihm auch heute hier im Plenum zustimmen. Wir begrüßen, meine Damen und Herren, daß die in der Regierungsvorlage vorgesehenen Einschränkungen bei den Leistungen für bestimmte Gruppen von Behinderten gemildert worden sind. Grundsätzlich stellen wir uns hinter den Beschluß des Ausschusses, für Kinder bis zu 16 Jahren einen Mehrbedarf von 7 % des Eckregelsatzes anzuerkennen - über den schon in der Regierungsvorlage enthaltenen Vorschlag hinaus - und auch einem alleinerziehenden Elternteil mit einem Kind unter 16 Jahren einen Mehrbedarf von 30 % des Eckregelsatzes einzuräumen. Chancengerechtigkeit für Kinder beinhaltet für uns, daß auch von Sozialhilfe abhängige Familien einen der Würde des Menschen gerecht werdenden Lebensstandard haben. Uns geht es aber darüber hinaus auch darum, die Annahme ungeborenen Lebens in Schwangerschaftskonfliktsituationen auch durch ausreichende Leistungen in der Sozialhilfe abzusichern. Das von der CDU und CSU erarbeitete Programm zum Schutz des ungeborenen Lebens, das vom Berliner Parteitag der CDU am 28. Mai dieses Jahres beschlossen worden ist, sieht im Rahmen von Vorschlägen zur Verbesserung des Bundessozialhilfegesetzes ausdrücklich eine Verbesserung der Mehrbedarfsregelungen für Familienhaushalte vor. Die jetzt vorgesehene Form des Mehrbedarfs fängt auch unser weiteres Anliegen auf, die Leistungen für Kinder unter sieben Jahren in der Sozialhilfe zu verbessern. Wir müssen aber darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß die strukturellen Mehrbelastungen der Gemeinden über die angegebenen ca. 170 Millionen DM hinausgehen dürften, wenn die Entlastungen für alle Familien im Rahmen des Steuer- und Familienentlastungspakets 1981 nicht das von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und dem Bundesrat vorgeschlagene Volumen erreichen. Wir haben unter Verzicht auf Abschaffung des Kinderbetreuungsbetrags neben einem tariflichen Steuerfreibetrag von 600 DM je Kind und Jahr Kindergelderhöhungen von jeweils 15 DM beim ersten und zweiten Kind und von 30 DM je Kind ab dem dritten Kind vorgeschlagen. Diese Differenzierung nach der Zahl der Kinder in einer Familie entspricht unserer immer wieder betonten Zielsetzung, daß die Nettoerwerbseinkünfte von Alleinernährern von Familien zusammen mit dem Kindergeld und eventuellen zusätzlichen Wohngeldansprüchen über der Leistungsschwelle der Sozialhilfe liegen. Niemand wird bestreiten, daß diese Mindestzielsetzung, die im übrigen auch ein wesentliches Element der Regelsatzverordnung zu § 22 des Bundessozialhilfegesetzes ist, zur Zeit nicht erreicht wird. Sollten aber die jetzt zur Verabschiedung anstehenden Verbesserungen des Mehrbedarfs für Familienhaushalte gerade für die größeren Familien höher liegen als die im Steuer- und Familienentlastungspaket in der Schlußphase der Gesetzgebung verabschiedeten allgemeinen Verbesserungen des Familienlastenausgleichs, würde die Zahl der in die Sozialhilfeberechtigung hineinwachsenden Familien von Erwerbstätigen wesentlich stärker anwachsen, als es die Bundesregierung errechnet hat. Meine Damen und Herren, von wesentlicher Bedeutung in dieser 4. Novelle ist die Änderung des § 88. In der Behindertendebatte am 9. Februar 1979 hatte ich die Problematik der Verwendung und Berücksichtigung von Familienheimen angesprochen. Bisher hieß es in § 88 des Bundessozialhilfegesetzes „eines kleinen Hausgrundstücks". In der Beratung haben wir diese Worte einvernehmlich durch „eines Familienheims" ersetzt, so daß die durch manche Gerichtsurteile aufgetretene Belastung und. auch Unsicherheit nun beseitigt sein dürfte. Nachdem viele Kolleginnen und Kollegen in ihren Wahlkreisen mit dieser Problematik befaßt worden sind, möchte ich für Sie, aber auch für die Offentlichkeit die Neufassung des § 88, und zwar hier Abs. 2 Nr. 7 vortragen. Die Neufassung soll nun lauten: ({0}) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung 7. eines Familienheims von angemessener Größe und Ausstattung, das ausschließlich Wohnzwecken dient und das der Hilfesuchende allein oder zusammen mit Angehörigen, denen es nach seinem Tode weiter als Wohnung dienen soll, ganz oder zum größeren Teil bewohnt; dabei sind die Anzahl der darin wohnenden Familienangehörigen und die besonderen Wohnbedürfnisse des Hilfesuchenden zu berücksichtigen, ({1}) Soweit die Neuformulierung. Meine Damen und Herren, das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes soll am 1. Januar 1981 in Kraft treten, also erst in einem halben Jahr. Ich bitte daher die Gemeinden und Gemeindeverbände, bereits jetzt im Sinne dieser Änderung zu verfahren und keine neuen Eintragungen und Belastungen im Grundbuch mehr vornehmen zu lassen. ({2}) Ein Dank gilt den kommunalen Vertretungen, die in der Vergangenheit bereits im Sinne der heute zu beschließenden Klarstellung im Interesse der Behinderten und ihrer Angehörigen Sonderregelungen beschlossen haben. Ich sehe hier gerade Herrn Kollegen Möller; beispielsweise hat der Rhein-SiegKreis eine solche eigene Satzung beschlossen. Hier ist das Problem besonders drängend, da das Land Nordrhein-Westfalen im Gegensatz zu dem Land Rheinland-Pfalz kein Pflegegesetz hat. Meine Damen und Herren, in der kommenden Legislaturperiode haben wir meines Erachtens die vordringliche Aufgabe, auch über eine Entlastung der Sozialhilfe von verschiedenen Aufgaben und Ausgaben nachzudenken. ({3}) Auch wenn vor einigen Tagen das Statistische Bundesamt mitteilte, im Jahre 1978 sei erstmals seit neun Jahren die Zahl der Sozialhilfeempfänger zurückgegangen, darf nicht übersehen werden, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland immer noch rund 2,12 Millionen Sozialhilfeempfänger haben. Unter ihnen sind nicht wenige Asylbewerber, die auf Kosten der Sozialhilfe in den verschiedenen Städten und Gemeinden leben. Auch die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung und die Vorlagen, mit denen wir uns in diesem Hohen Hause eventuell noch in der kommenden Woche zu befassen haben, werden das Problem nicht von heute auf morgen aus der Welt schaffen und werden damit auch nicht von heute auf morgen die Gemeinden von diesen finanziellen Belastungen entlasten. ({4}) Die Mitglieder des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hatten in der vergangen Woche ein Gespräch mit Vertretern des Präsidiums des Deutschen Roten Kreuzes. Hier konnten wir erfahren, in welchem Umfang sich eine Reihe von Kreisverbänden des Deutschen Roten Kreuzes bemüht, die Asylbewerber zu beraten und ihnen die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen. Die Gemeinden und Kreise sollten verstärkt die Hilfe des Roten Kreuzes in Anspruch nehmen, damit einerseits die betroffenen Menschen aus den Fängen von Schleppern und anderen - auch auf deutscher Seite angesiedelten - unseriösen Beratern befreit werden und andererseits eine echte finanzielle Entlastung der Sozialhilfe eintritt. ({5}) Nach wie vor zahlt der Sozialhilfeträger aber auch für viele - insbesondere alte - pflegebedürftige Mitbürger einen großen Teil der anfallenden Pflegekosten. Bei den inzwischen so angestiegenen Pflegesätzen reicht kaum noch eine Rente und auch kaum noch eine gute Pension aus, um die Kosten zu decken. Alle Fraktionen des Hauses sind sich darüber einig, daß hier - insbesondere im Interesse der betroffenen alten Menschen - eine Regelung gefunden werden muß, die einfach ausschließt, daß am Ende von 50 Arbeitsjahren die Sozialhilfe und noch ein kleines Taschengeld stehen. Rechtsanspruch hin, Rechtsanspruch her, die betroffenen alten Menschen haben eine bessere und, wie ich meine, auch würdigere Lösung verdient. ({6}) Wir erwarten, daß zu Beginn der kommenden Legislaturperiode Vorschläge der eingesetzen Bund-Länder-Kommission zur Lösung dieses Problems vorgelegt werden. Meine Damen und Herren, soziale Hilfe, Hilfe in besonderen Lebenslagen muß immer den sich verändernden Situationen und Gegebenheiten angepaßt werden. Mit dieser vierten Novelle haben wir einen weiteren Schritt in diese Richtung getan. Die Arbeit wird für uns alle weitergehen. - Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es fällt mir, nachdem hier das Einverständnis der Opposition signalisiert worden ist, ein bißchen schwer, ein paar kritische Worte an Sie zu richten. Es war ja sehr schön, wie der Kollege Braun hier ausgemalt hat, was alles an guten Dingen wir jetzt mit dieser vierten Novelle tun. Nur, Ihre Rolle im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit beschränkte sich dabei in aller Regel auf das Mitstimmen. Die entscheidenden Ansätze zur Änderung der Regierungsvorlage, mit der ich mich in erster Lesung - was ungewöhnlich erschienen sein mag - kritisch auseinandergesetzt habe, erfolgten auf Grund von Anträgen der Fraktionen von SPD und FDP. Dies wollen wir einmal festhalten. ({0}) Es ist schön, daß wir uns darauf haben einigen können. ({1}) - Nein, so billig bitte nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Frau Präsident

Albert Burger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000310, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jaunich, ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß wir in der ersten Lesung hier im Deutschen Bundestag ganz klar die Ziele angesprochen haben, die wir mit dieser 4. Novelle anstreben? Hat nicht unser Kollege Geisenhofer, der heute nicht da sein kann, genau diese Ziele genannt, und kommt es nicht darauf an, daß wir geschlossen für diese Ziele eintreten, und nicht so sehr darauf, wer die Anträge formuliert hat?

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde es auch wunderbar, Herr Kollege Burger, daß wir das hier einvernehmlich verabschieden können und daß wir das auch im Ausschuß getan haben. Mir ging es aber ein bißchen um Klarheit in der Frage, denn allein durch das Bekunden von Absichten kommen Gesetze nicht zustande. Da müssen Formulierungen gesucht, da muß gerungen werden, und es muß zum Teil auch darum gekämpft werden. Ich mache überhaupt keinen Hehl daraus, daß es bei uns durchaus auch kritische Auseinandersetzungen gab, insbesondere wegen des 7 %igen Mehibedarfszuschlags. Dazu hat es im Ausschuß zumindest von Ihrer Fraktion mehr kritische als positive Stellungnahmen gegeben. ({0}) Der heute hier in zweiter und dritter Lesung zur Beschlußfassung vorliegende Entwurf des 4. Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes entwickelt das geltende Sozialleistungsrecht entsprechend unseren sozialpolitischen Zielsetzungen, basierend auf den Erfahrungen und Bedürfnissen der Sozialhilfepraxis, konsequent weiter. Kostenwirksamen Änderungen sind zwar in der augenblicklichen finanzpolitischen Situation Grenzen gesetzt, gleichwohl konnte auf wichtige sozial- und familienpolitische Leistungsverbesserungen nicht verzichtet werden. Der vorliegende Entwurf enthält unter Berücksichtigung der Beschlußempfehlungen des federführenden Ausschusses folgende Kernpunkte, die insbesondere für diejenigen Sozialhilfeempfänger, die Kinder pflegen und erziehen, zu spürbaren Leistungsverbesserungen führen werden. Ab 1. Januar 1981, wenn diese 4. Novelle in Kraft tritt, wird in der Sozialhilfe für die Pflege und Erziehung von Kindern unter 16 Jahren ein neuer Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 7 % des Regelsatzes eines Haushaltungsvorstandes anerkannt werden. Das bedeutet, daß für jedes Kind in der Sozialhilfe eine zusätzliche Leistung in Höhe von 20 DM monatlich eintritt Für Alleinerziehende mit mehreren Kindern bleibt es bei den bisher schon erhöhten Mehrbedarfssätzen von 30 bzw. 50 % des Regelsatzes. Darüber hinaus wird jedoch auch der Kreis der Alleinerziehenden mit einem Kind in diese Regelung des 30%igen Mehrbedarfs einbezogen. Dies war der hervorstechendste Punkt der Regierungsvorlage, und er allein verursacht Kosten in Höhe von 48 Millionen DM. Die durch die Rechtsprechung aufgetretene Unsicherheit - Herr Kollege Braun, Sie haben sie hier eben beschrieben - bei der Vermögensanrechnung, insbesondere bei einem Familienheim, wird mit diesem Gesetzentwurf beseitigt. Insbesondere wird nun das besondere Wohnbedürfnis der Betroffenen und die Größe der Familien berücksichtigt Diese Regelung wirkt sich in aller Regel bei Behindertenfamilien aus. Wir waren durch die restriktive Rechtsprechung, der zunächst einmal eine entsprechende Verwaltungspraxis vorausgegangen war, tief betrübt Auch wenn zwischenzeitlich in der Rechtsprechung eine neue Tendenz eingesetzt hat, halten wir eine gesetzliche Klarstellung in dem Sinne für erforderlich. Der federführende Ausschuß hat mit den Stimmen von SPD und FDP beschlossen - auch Ihre Stimmen kamen dazu, aber wir haben die entsprechenden Anträge formuliert -, einige in der Regierungsvorlage beabsichtigte Korrekturen des Leistungssystems nicht zu übernehmen. Dazu zählen insbesondere die ursprünglich zwingend vorgeschriebenen amtsärztlichen Untersuchungen im Bereich der vorbeugenden Gesundheitshilfe, bei Kurmaßnahmen also, weil das geltende Recht im Zweifelsfall diese Möglichkeit, eine amtsärztliche Untersuchung zu veranlassen, dem Sozialhilfeträger einräumt. Eine generelle Verpflichtung hierzu vorzusehen sahen wir nicht als nötig an. Dies wäre aus unserer Sicht ein Stück Bürokratismus gewesen. Dies wollten wir nicht, und deswegen haben wir diesen Vorschlag nicht übernommen. ({1}) Vor allem haben wir auch die beabsichtigte Anrechnung des Blindengeldes auf das Pflegegeld nicht übernommen. Ich muß noch einmal auf den Hintergrund dieser vierten Novelle zu sprechen kommen, nämlich auf die zwischen dem Bund und den Ländern verabredete Kostenneutralität Es war nicht etwa bloß Übermut oder ein Vorbeigehen an den Problemen der Bedürftigen, was das MinisteJaunich rium dazu veranlaßt hatte, den Regierungsentwurf so zu fassen, wie er dem Parlament vorgelegt wurde, sondern es war die verabredete Kostenneutralität, die man auch vor dem Hintergrund politischer Erörterungen sehen muß. Ich habe in erster Linie auf Herrn Stoltenberg hingewiesen, der das Sozialhilfethema als erster in der Öffentlichkeit so kritisch dargestellt hat Wenn man Kostenneutralität vereinbart - alle waren der Meinung, daß der Mehrbedarfszuschlag von 30 % auch auf Alleinerziehende mit einem Kind mit der Kostenfolge von 48 Millionen DM auszudehen ist -, dann muß man natürlich innerhalb des vorhandenen Gesetzes nach Dekkungsmöglichkeiten suchen. Vor diesem Hintergrund hatte die Regierung ihre Vorschläge vorgelegt. Aber auch eine die Regierung stützende Fraktion ist wohl nicht gezwungen, alle diese Vorschläge so zu übernehmen, zumal wir uns nicht an die vereinbarte Kostenneutralität gebunden fühlten. Ich werde im Verlauf meiner Ausführungen noch auf zahlreiche Entlastungsfaktoren der Gemeinden zurückkommen, die diese in der Vergangenheit erfahren haben und die man bei einer Diskussion über Sozialhilfekosten durchaus wieder einmal erwähnen muß. Wie gesagt, haben wir uns nicht in der Lage gesehen, die Anrechnung des Blindengeldes auf das Pflegegeld vorzunehmen. Der Ausschuß hat dem in seiner Gesamtheit dann zum Schluß nicht folgen wollen, und wir haben damit die berechtigte Kritik von Betroffenen und der Fachöffentlichkeit aufgenommen. Andererseits sah sich der Ausschuß aber gezwungen, der erschwerten finanzpolitischen Lage Rechnung zu tragen. Um die Finanzausgleichsverhandlungen des Bundes mit den Ländern nicht zu erschweren, hat er auf die notwendige Verbesserung der Übernahme von Rentenversicherungsbeiträgen für unentgeltlich tätige Pflegepersonen verzichtet. Wir hätten gern die Bestimmung in § 69, die mit der dritten Novelle eingeführt worden ist und die in der Praxis nicht das gebracht hat, was wir uns alle - ich hoffe, auch Sie - von der dritten Novelle versprochen haben, konkretisiert. Wir hatten dazu in einem neuen § 69 a Formulierungen vorgelegt und in die Debatte eingespeist; Sie, meine Herren von der Opposition, wissen das. Wir haben aus den von mir soeben genannten Finanzierungsüberlegungen davon Abstand genommen. Ich erkläre hier, daß diese Vorschläge damit nicht für die Ewigkeit von der Bildfläche verschwunden sind. Wir werden damit zu gegebener Zeit, wenn sich finanzpolitisch eine entsprechende Situation zeigt, wieder an die Offentlichkeit treten. ({2}) Ein besonderer Eckpunkt war für uns bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfs der Mehrbedarf für die Kindererziehung bei den Sozialhilfeempfängern. Die jetzt gefundene Lösung wird sicherstellen, daß Sozialhilfeempfänger bei den im Steuerentlastungspaket vorgesehenen familienfördernden Leistungen für Steuerzahler nicht leer ausgehen. Wir hatten schon bei der Beratung des Steuerpaketes in unserem Ausschuß, wo wir mitberatend waren, auch mit Ihren Stimmen ein Votum an den federführenden Ausschuß verabschiedet, in dem wir gesagt haben, daß wir die steuerpolitischen Maßnahmen begrüßen, daß wir aber bemüht sein werden, im Rahmen der vierten BSHG-Novelle adäquate Regelungen für Sozialhilfeempfänger zu suchen. Wir haben sie nicht nur gesucht, wir haben sie gefunden. ({3}) Damit ist sichergestellt, daß, wie bereits ausgeführt, die Sozialhilfeempfänger nicht leer ausgehen werden. Dieser Zusammenhang des Mehrbedarfs für die Kindererziehung in der Sozialhilfe mit dem Steuerentlastungspaket und seiner familienpolitischen Komponente ist von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zum Prüfstein für die Zustimmung zum Steuerentlastungspaket gemacht worden. Damit erhalten die Empfänger von Sozialhilfe auch einen gewissen Ausgleich für das ihnen angerechnete Kindergeld, das wegen der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gegenüber allen übrigen Einkünften, einschließlich anderer Sozialleistungen, in die Sozialhilfe eingerechnet wird. Es ist auf Dauer niemandem begreiflich zu machen und kann auf Dauer von uns nicht hingenommen werden, meine Herren, auch von der Opposition, daß Kindergelderhöhungen immer an der Gruppe der Sozialhilfeempfänger vorbeigehen, ({4}) weil es dort als Einkommen wieder gegengerechnet wird. Dies führt nur zu einer Finanzverschiebung zwischen dem Bund, der die Kindergeldleistungen trägt, und den Sozialhilfeträgern, weil sie die entsprechenden Einsparungseffekte haben. Aber aus sozialpolitischer Sicht ist dieser Zustand auf Dauer nicht hinnehmbar. ({5}) Kritik an der vorliegenden Novelle ist in ungewöhnlicher Schärfe vom Deutschen Städtetag geübt worden. Abgesehen davon, daß der Städtetag die zusätzliche Belastung der Städte und Kreise als Träger der örtlichen Sozialhilfe mit 500 Millionen DM fast dreimal so hoch wie in dem jetzt vorliegenden, zur Annahme empfohlenen Entwurf, nämlich 186 Millionen DM, ansetzt, unterschlägt dieser kommunale Spitzenverband auch noch einige die Kommunen entlastende Entwicklungen. Er erwähnt zum Beispiel nicht, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger seit 1978 wieder rückläufig ist. Er unterschlägt, daß die vorgenommenen Erhöhungen bei Kindergeld, BAföG und Wohngeld genau wie die eingeführte Rente nach Mindesteinkommen die Sozialhilfeetats der Kommunen entlastet haben. Fast alle diese Entlastungen sind durch Maßnahmen zustande gekommen, die jeweils im Gegenzug einseitig den Bundeshaushalt belastet haben und dadurch mit zu der finanziellen Schräglage zwischen dem Bund auf der einen Seite und Ländern und Gemeinden auf der anderen Seite beigetragen haben. In diese Reihe der Entlastung der kommunalen Haushalte gehört nicht zuletzt auch die volle Übernahme des Kindergeldes der Bediensteten von Ländern und Gemeinden durch den Bundeshaushalt Auch das müssen wir einmal sehen. Das ist alles in der Vergangenheit konsumiert worden. Aber jetzt, wo wir aus sozial- und familienpolitischer Sicht eine neue Leistung einführen, wird uns diese Kritik vom Städtetag entgegengebracht. Wenn, was derzeit niemand ausschließen kann, in aller Kürze eventuell neue kindergeldrechtliche Leistungen gewährt werden sollten, dann tritt wiederum eine Entlastung der Sozialhilfeetats ein, weil Kindergeld als Einkommen gegengerechnet wird. Dies alles sollten sich die Herren vom Städtetag auch noch einmal vor Augen führen. Von einer überhasteten Verabschiedung des Gesetzentwurfes kann überhaupt keine Rede sein. Die wesentlichen Regelungen der Novelle sind seit Einbringung, also seit Februar 1979, bekannt Soweit es um den neuen siebenprozentigen Mehrbedarfszuschlag geht, den wir einführen wollen, ist dies das Ergebnis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, das meiner Kenntnis nach einmütige Ergebnis einer solchen Arbeitsgruppe, also keine aus dem Hut gezauberte Lösung, sondern eine, die allen, die sich mit diesen Dingen beschäftigen, seit Monaten bekannt sein müßte. Ich weise zurück, daß wir diese Lösungen quasi als Schnellschuß aus der Hüfte hier produziert hätten. Wir haben uns die Beratung mit dieser vierten BSHG-Novelle wahrlich nicht leicht gemacht Wir haben hier nicht leichtfertig und übereilt gehandelt. Wir haben Stück für Stück die Probleme, die ich beschrieben habe, angegriffen und sind zu, wie ich meine, achtbaren und von jedermann tragbaren Lösungen gekommen. Zum Schluß fordern wir die Bundesregierung noch in zwei Entschließungsanträgen auf, entsprechende Vorarbeiten zu treffen. Erstens geht es um die Frauenhausproblematik, die in der ersten Lesung von mir kurz angesprochen worden ist, die wir aber im Gesetzgebungsgang noch nicht befriedigend haben lösen können. Hier soll die Bundesregierung entsprechende Vorarbeiten leisten und dann auf das Parlament zukommen. Zweitens geht es darum, in der nächsten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertenrechts vorzulegen, der insbesondere die Einbeziehung der Eingliederungshilfe in das Reha-Angleichungsgesetz und den Ausbau des Reha-Angleichungsgesetzes unter anderem durch Einbeziehung des Schwerbehindertengesetzes zu einem umfassenden Behindertengesetzbuch als besonderes Buch des Sozialgesetzbuches vorsieht Weiterhin soll die Bundesregierung aufgefordert werden, entsprechende Regelungen für die im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis Tätigen, also für Beamte, zu erarbeiten. Letztlich fordern wir die Bundesregierung auf, in jeder Legislaturperiode, erstmals am 31. Oktober 1982, einen umfassenden Bericht über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation vorzulegen. Dies tun wir deswegen, weil wir Ansätze, die es dazu im BSHG gegeben hat, mit dieser Novelle herausstreichen, weil sich gezeigt hat, daß der davon betroffene Personenkreis zwischenzeitlich zu klein ist, weil alle anderen durch andere Regelungen anderweitig erfaßt sind. Damit wollen wir bekunden, daß wir uns mit der Streichung nicht begnügen, sondern daß wir von der Bundesregierung erwarten, daß sie in jeder Legislaturperiode durch Vorlage eines solchen Berichts uns, dem Parlament, die Gelegenheit gibt, die Weiterentwicklung auf diesem Gebiet durch unsere Debatten voranzutreiben. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur jedes sozialpolitische Gesetz steht in diesem haushaltspolitisch so angespannten Jahr vorrangig unter Kostengesichtspunkten. Für die nächsten Jahre dürfte sich die Haushaltslage in Bund, Ländern und Gemeinden kaum besser entwikkeln. ({0}) Schon 1978, als die vierte Novelle des Bundessozialhilfegesetzes von der Bundesregierung vorgelegt wurde, sollten sich die Mehrkosten der Kommunen in engen Grenzen halten. Schließlich standen sie gerade unter dem Eindruck einer kaum gebrochenen Kostenexplosion in der Sozialhilfe. Hatte die dritte Novelle zum BSHG 1973 noch ein Volumen von knapp 160 Millionen DM - in der verabschiedeten Fassung dann über 200 Millionen DM - jährlich, so sollte die vierte Novelle mit ihren Kosten von ursprünglich nur 4,8 Millionen DM jährlich von vornherein eine kostenneutrale Spar-Novelle sein. Diese Gesamtkosten entsprechen dem Saldo von Mehr- und Minderausgaben. Ich schicke dies voraus, um die Haltung der FDP-Fraktion in diesem Gesetzgebungsverfahren verständlich zu machen. Es war und ist eine auch haushaltspolitisch bestimmte Zurückhaltung gegenüber der Versuchung, Nichtfinanzierbares zu beschließen oder gar Wahlgeschenke zu machen. Unter diesen Gesichtspunkten ist zu verstehen, daß wir nicht alles verwirklichen konnten, was an. guten Dingen wünschenswert ist. Eine der vom Regierungsentwurf trotz aller Kostenzurückhaltung vorgesehenen Leistungsverbesserungen ist die Erweiterung der bereits bestehenden Mehrbedarfsregelung für alleinerziehende Eltern von zwei oder mehr Kindern auf den Fall, daß nur ein Kind versorgt wird. Wir sehen darin eine große Erleichterung für zahlreiche alleinstehende Mütter und auch Väter, denen hier gezielt geholfen werden kann. Wir betrachten diese Verbesserung des Leistungsrechts der Sozialhilfe als Ergänzung des bereits im letzten Jahr von uns verabschiedeten Unterhaltsvorschußkassengesetzes. Dieses soll den Alleinstehenden schneller und leichter zu dem Unterhalt für ihre Kinder verhelfen und damit viele von Sozialhilfe unabhängig machen. Die neue BSHG-Regelung soll denen, die trotzdem auf Sozialhilfe angewiesen sind, eine fühlbare Entlastung bringen. Wir stimmen dieser Regelung eines Lastenausgleichs für die unvollständige Familie gern zu, auch wenn es sich um Mehrausgaben von immerhin 48 Millionen DM handelt. Eimer ({1}) Problematischer war hier schon der weitere Vorschlag, Familien mit Kindern generell einen, wenn auch niedrigeren, Mehrbedarfszuschlag für jedes Kind zuzubilligen. Bei den angestrebten 10% vom Eckregelsatz wären das immerhin über 250 Millionen DM gewesen - dies bei, wie gesagt, 4,8 Millionen Gesamtkosten des ursprünglichen Regierungsentwurfs. Angesichts der sich für die nächsten Jahre bedrohlich summierenden Haushaltsbelastungen - ich nenne nur das Stichwort Türkei - glaubten wir, hier Haushaltsdisziplin bewahren zu sollen. Sozialpolitische Beschlüsse gegen die Haushaltslage kurz vor den Wahlen geraten nur allzu leicht in den Verdacht der Unseriosität. Dabei ist unumstritten, daß der beschlossene Mehrbedarfszuschlag von 7 %, der Familien mit Kindern zukommt, eine notwendige Maßnahme darstellt. 7% sind ein Kompromiß zwischen sozialpolitischem Wollen und haushaltspolitischen Möglichkeiten. Das Gesamtpaket wird ohnedies ein Volumen von ca. 190 Millionen DM erreichen. Unsere Fraktion hat seit Jahren den Standpunkt vertreten, daß die wiederholten strukturellen Verbesserungen des Kindergeldes in gewisser Weise auch Sozialhilfeempfängern mit Kindern zugute kommen sollten. Letztmals wurde diese Forderung auf unserem Parteitag in Freiburg erhoben. Nur die Nichtanrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe - diese alte Forderung steckt hinter den Überlegungen - ist bei dem heutigen System der Sozialhilfe nicht oder kaum möglich; denn dies müßte die Sozialhilfe insgesamt aus den Angeln heben. Um einen ähnlichen Familienentlastungseffekt in der Sozialhilfe zu erzielen, wie er durch die Kindergelderhöhung erreicht wird, blieben nur Neuberechnungen bei den Regelsätzen, Neufestlegungen des Warenkorbes und ein Mehrbedarfszuschlag. Ich verhehle nicht, daß es uns logischer und sachlich richtiger erschienen wäre, zuerst den Warenkorb für Kinder neu zu bestimmen, daraus die Regelsätze für Kinder, die zur Zeit einer Überprüfung unterzogen werden, neu festzusetzen und dann über einen Mehrbedarfszuschlag zu entscheiden. Dies wäre freilich erst in der 9. Wahlperiode möglich gewesen. Wir sehen aber den familienpolitischen Zusammenhang zwischen dem Steuerentlastungspaket und dieser Novelle. Sozialhilfe empfangenden Familien Entlastungen vorzuenthalten, die sonst allen zugute kommen, wäre unsozial und unbefriedigend. Wir haben uns deshalb schließlich ebenfalls für diese allgemeine Mehrbedarfsregelung ausgesprochen. Über eines sollten wir uns allerdings im klaren sein: Der Arger bei den Sozialhilfeempfängern, denen auch in Zukunft eine Erhöhung des Kindergeldes angerechnet werden muß, wird auch nach dieser gezielten Maßnahme des Familienlastenausgleichs bestehenbleiben. Insofern wird diese Maßnahme bereits bei der nächsten Kindergelderhöhung vergessen sein. Hier ist, glaube ich, der Ort, auch einmal Anmerkungen zu einem gewissen Unbehagen an der Struktur der Sozialhilfe zu machen. Aufgabe des Bundessozialhilfegesetzes ist es ja, durch die Hilfe zum Lebensunterhalt einen der Menschenwürde entsprechenden Lebensunterhalt zu sichern, wenn sich der Betreffende selbst nicht helfen kann oder sonst keine Hilfe erhält. Die Garantie des Mindestlebensunterhalts soll nur Hilfe zur Selbsthilfe sein, d. h., der Gewährung von Sozialhilfe geht die Selbsthilfe voraus, und sie hat ihr nachzufolgen. Dieses Ziel wird verfehlt, wenn. die Sozialhilfeschwelle auf den Bereich der unteren Arbeitnehmereinkommen angehoben wird. Die Regelsatzverordnung schreibt sogar vor, daß bei der Festsetzung der Regelsätze darauf Bedacht zu nehmen ist. Wir werden uns Gedanken machen müssen, ob wir das Sozialhilferecht nicht vom Grunde her ändern müssen, weil es leistungsfeindlich ist und diejenigen bestraft, die versuchen, von der Abhängigkeit von Sozialhilfe wegzukommen. Wir tun nämlich den Betroffenen keinen Gefallen und - recht verstanden - keine soziale Wohltat, wenn wir ihnen die Erarbeitung eigenen Einkommens verleiden und sie in die soziale Passivität von Sozialhilfeempfängern treiben. Bei einer weiteren Novellierung des BSHG sollte man sich insbesondere darüber Gedanken machen, wie im Leistungssystem des Gesetzes Hemmnisse des eigenen Leistungswillens beseitigt und weitere Anreize eingebaut werden können, sich durch eigene Arbeit von Sozialhilfe unabhängig zu machen. Noch ein paar Worte zu einem weiteren Verbesserungsvorschlag, der im Ausschuß vor allem aus Kostengründen wieder fallengelassen werden mußte. Ich meine die Verbesserung der bereits bestehenden Regelung bei der Hilfe zur Pflege bezüglich der Übernahme von Beiträgen zur Alterssicherung von Pflegepersonen. Die recht eingeschränkt geltende Regelung wird in der Praxis offenbar einschränkend ausgelegt und hat nicht zu dem erhofften Anreiz geführt, freiwillig die Pflege von Angehörigen, Bekannten oder anderen pflegebedürftigen Personen zu übernehmen. Die Lösung dieses Problems bleibt also dem künftigen Gesetzgeber vorbehalten. Wir sollten es daher in der neuen Wahlperiode wieder aufgreifen. Die Übernahme von Beiträgen zur Alterssicherung sollte diejenigen belohnen, die auf eine eigene Berufsausübung und damit auf eine eigene Rente oder Steigerung der eigenen Rente verzichten, um die Betreuung pflegebedürftiger Personen zu übernehmen. Diese Pflege wäre für uns nicht nur billiger als Pflegeheime, sie wäre vor allem humaner. Die vorgesehene Regelung sollte also zu mehr häuslicher Pflege führen. Aus Kostengründen mußten wir auf diese Lösung leider" verzichten. Das Problem sollten wir, wie bereits gesagt, in der neuen Wahlperiode wieder aufgreifen. Überhaupt muß uns in den nächsten Jahren die sozial unbefriedigende Absicherung des Pflegerisikos, insbesondere im Alter, grundsätzlich beschäftigen. Die Tatsache, daß fast drei Viertel aller pflegebedürftigen Personen in Heimen auf Sozialhilfe angewiesen sind - und der Prozentsatz nimmt weiter zu -, zeigt eine strukturelle Fehlentwicklung im gegliederten Sozialleistungssystem. Für den Betroffenen bedeutet das nach einem arbeitsreichen Leben mit an sich ausreichender Rente oder Pensionsansprüchen den Bezug von Sozialhilfe, den Verlust Eimer ({2}) von frei verfügbarem Einkommen, das Almosen einer Taschengeldzahlung und die Gefahr des Kostenrückgriff s bei den eigenen Kindern. In dem vor kurzem verabschiedeten Alten-Programm der FDP wird die Lösungsbedürftigkeit dieser Frage hervorgehoben. Wir denken dabei an eine Mindestsicherung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, die von freiwilligen Vorsorgeleistungen im privaten Versicherungsbereich flankiert werden müßten. Schließlich ein letztes Wort zu einer vor allem uns Bayern angehenden Regelung, und zwar ebenfalls bezüglich der Übernahme von Aufwendungen für Pflegepersonen. Nach dem geltenden Recht müssen die Aufwendungen für eine besondere Pflegekraft voll aus dem Pflegegeld bestritten werden. Die bayerischen Sozialhilfeträger waren hier großzügiger. Die beschlossene Änderung will die Pflegebereitschaft nahestehender Personen insoweit stärken, als den Betroffenen im Ergebnis wenigstens die Hälfte des Pflegegeldes verbleiben soll. Nach der gefundenen Lösung bleiben auch künftig günstigere landesrechtliche Regelungen, wie sie z. B. in Bayern bestehen, unberührt Dies ist auch im Ausschußbericht noch einmal besonders hervorgehoben worden. Ich darf abschließend sagen, daß wir dem Gesetz zustimmen werden. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander.

Karl Fred Zander (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002581

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten fünf Jahren hat die Sozialhilfe im Bewußtsein der Öffentlichkeit und im politischen Raum eine starke Beachtung gefunden. Mit dem Bundessozialhilfegesetz haben wir eine gesetzlich verbriefte Grundsicherung für alle Bürger dieses Landes; eine Grundsicherung, die es ihnen ermöglicht, an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unserer Gesellschaft auch dann teilzunehmen, wenn sie über keine oder keine ausreichenden Mittel verfügen. Heute gilt unser Bundessozialhilfegesetz als eines der modernsten Sozialleistungsgesetze im europäischen Raum und weit darüber hinaus. Alle Parteien im Deutschen Bundestag haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß auch die Sozialhilfe, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen soll, immer wieder angepaßt werden muß an die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Das haben wir zuletzt 1974 mit der Dritten Novelle zum Sozialhilfegesetz getan mit Schwerpunkten vor allem im Bereich der Hilfen für Behinderte und Pflegebedürftige. Das Bundessozialhilfegesetz und sein Leistungssystem haben in den letzten Jahren eine Bewährungsprobe bestanden, auch wenn dies zeitweise mit einem beachtlichen Kostenaufwand verbunden war. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisensituation hat sich die Funktion der Sozialhilfe als allgemeines Auffangnetz im sozialen Sicherungssystem bewährt ({0}) Heute zeigt sich die Richtigkeit unserer Entscheidung, die Kostensteigerungen in der Sozialhilfe aus den Jahren 1974 und 1975 nicht zum Anlaß zu nehmen, Leistungskürzungen bei der Sozialhilfe vorzunehmen, wie das ja damals so massiv gefordert wurde. Diese Zeit ist heute überwunden, ohne daß der Leistungsstand der Sozialhilfe durch gesetzliche Maßnahmen angetastet worden ist Wir können heute feststellen, daß sich die prozentualen Steigerungsraten mit 26 % im Jahre 1974 auf inzwischen 8,6 % im Jahre 1978 reduziert haben. Für 1979 rechnen wir sogar mit einem weiteren Rückgang auf etwa 6 %. Dieses Ergebnis, meine Damen und Herren, ist nicht zuletzt auf die in den letzten Jahren vorgenommenen Leistungsverbesserungen in anderen Sozialleistungsbereichen zurückzuführen. Ich erinnere an die Verbesserungen beim Kindergeld, beim Wohngeld und schließlich bei der Ausbildungsförderung. Alle diese Leistungsverbesserungen haben sich ausgabenmindernd bei der Sozialhilfe ausgewirkt und zu finanziellen Entlastungen der Gemeindehaushalte beigetragen. Allein die Kindergelderhöhungen von 1979 führen zu jährlichen Ersparnissen bei den Sozialhilfeträgern, also bei den Kommunen und Kreisen, in Höhe von rund 75 Millionen DM. Die Gesamtentlastung der Sozialhilfeträger infolge der Reform des Familienlastenausgleichs aus dem Jahre 1975 beläuft sich auf über 300 Millionen DM jährlich. Ich sage dies, weil es wichtig ist für die Entscheidung, ob und welche zusätzlichen Belastungen den Gemeinden im Rahmen dieser jetzt zur Verabschiedung anstehenden Novelle zugemutet werden können. Über die im Regierungsentwurf enthaltenen Leistungsverbesserungen hinaus hat der Gesetzentwurf in den Ausschußberatungen weitere Verbesserungen erfahren, die in erster Linie Familien mit Kindern zugute kommen. Diese Leistungsverbesserungen stützen sich auf Empfehlungen einer BundLänder-Arbeitsgruppe, die ihre Arbeit erfreulicherweise noch rechtzeitig vor Verabschiedung der vierten BSHG-Novelle abschließen konnte. Diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, daß das Kindergeld bei der Bemessung der Sozialhilfe nicht unberücksichtigt bleiben kann, ebensowenig wie Wohngeld, Ausbildungsförderung oder andere Sozialleistungen, durch die die wirtschaftliche Lage der Familien tatsächlich gebessert wird; denn das Kindergeld dient als öffentliche Leistung der Minderung des wirtschaftlichen Familienaufwands und steht der Familie zur uneingeschränkten Verfügung. Konsequenz dieser Überlegungen ist die vorliegende Novelle. Danach ist eine zu einem ähnlichen Ergebnis führende Verbesserung im Rahmen des Sozialhilfesystems selbst vorgesehen. Zum Ausgleich des Betreuungsaufwandes sollen Eltern künftig für jedes Kind bis zum 16. Lebensjahr Mehrleistungen in Höhe von 7 % des sogenannten Eckregelsatzes erhalten. Dies sind zur. Zeit monatlich 21 DM. Darüber hinaus soll bei alleinstehenden Elternteilen, die allein für die Pflege und Erziehung eines Kindes unter 16 Jahren sorgen, ein weiterer Mehrbedarf von 30 % berücksichtigt werden, der bisher nur zugebilligt wurde, wenn dieser Elternteil mehrere Kinder zu erziehen hatte. Die Bundesregierung hält die gefundene Lösung für richtig, auch wenn damit die Forderung nach Anrechnungsfreiheit von Kindergeld in der Sozialhilfe nicht erfüllt werden konnte. Aber dies ist eine dem Wunsch sehr nahekommende, vernünftige Lösung. Ich möchte schließen mit einem Dank an die beteiligten Ausschüsse. Die Beratungen konnten so rechtzeitig abgeschlossen werden, daß das Gesetz noch vor Ende dieser Legislaturperiode in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden kann. Ich hoffe, daß auch der Bundesrat dem Gesetz zustimmen wird, so daß es, wie vorgesehen, am 1. Januar 1981 in Kraft treten kann. - Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Lesung. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Es liegen noch zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4286 unter der Ziffer II die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ebenfalls einstimmig so beschlossen. Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/4286 unter Ziffer III, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Wenn niemand Widerspruch erhebt, kann ich davon ausgehen, es ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts - Drucksache 8/3551 - aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 8/4269 - Berichterstatter: Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({1}) - Drucksachen 8/4267, 8/4283 Berichterstatter: Abgeordneter Kroll-Schlüter ({2}) b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann ({3}), Dr. Klein ({4}), Dr. Pinger, Spranger, Biehle, Dr. Bötsch, Gerlach ({5}), Hartmann, Hasinger, Kroll-Schlüter, Regenspurger, Petersen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes - Drucksache 8/3291 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({6}) - Drucksachen 8/4267, 8/4283 Berichterstatter: Abgeordneter Kroll-Schlüter ({7}) Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter das Wort.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Parlament ist selten mit einer Materie befaßt gewesen, die mit so viel leidvollen Erfahrungen, Betroffenheit, menschlichen Schicksalen verbunden ist wie das heutige Thema: Bekämpfung der Rauschmittelsucht, Reform des Betäubungsmittelrechts. Selten sind wir auch durch so viele persönliche Anschreiben auf dieses menschliche Leid aufmerksam gemacht worden, selten auf so viel menschliches Leid gestoßen wie in den vergangenen Wochen. Wir sind erschrocken, in welchem Ausmaß junge Menschen Opfer der Droge oder auch anderer Rauschmittel werden. Wir sind betroffen von dem Leid der Eltern, die trotz aller Liebe zu ihren Kindern ihnen nicht helfen konnten. Wir sehen die Gefahren für den Umkreis dieser jungen Menschen, die Freunde, Kameraden und Mitschüler, die vermehrt in diesen Gefahrenkreis der Drogenabhängigkeit geraten. Wir müssen befürchten, daß sozusagen die Faszination dieses Bereichs zunehmen wird. Dafür gibt es viele Ursachen. Wir wollen uns bemühen, trotz der gleich erfolgenden Abstimmung über dieses Gesetz weiterhin, auch heute, auf diese Ursachen aufmerksam zu machen. Manchmal scheint die Situation hoffnungslos zu sein, scheint die Situation der jungen Menschen durch Zukunftslosigkeit gekennzeichnet Polizei und Justiz könnten manchmal verzweifeln ob der geringen Chance ihrer tatkräftigen Aktionen. Ist der Staat, so frage ich, zu lange passiv gewesen? Ist die Droge zu lange verherrlicht worden? Sind wir zu spät aufmerksam geworden auf diese Welle der Gefahren? Fühlen wir uns nicht zu spät in die Pflicht gerufen? Hat der Staat, haben die zuständigen Stellen unter dem Einfluß von Verharmlosungen und Unterschätzungen gestanden und das Problem nicht ernstgenommen? Haben sie der Jugend ein Höchstmaß an Freiheit zugestanden, das mißbraucht worden ist? Ich darf in Erinnerung rufen: Tatsächlich hat es Medien gegeben, die die Wünsche, Sehnsüchte und das Freiheitsstreben der Jugend schamlos ausgenutzt, die Wirklichkeit falsch gekennzeichnet haben. Seitdem die Droge als Stimulans für kreatives Verhalten, als Unterstützung sinnlichen Verhaltens, als Unterstützung zur Sensibilisierung der Gefühle, des Erlebens von Musik dargestellt - kurz: seitdem die Droge als Bestandteil der Jugendkultur verstanden und verharmlost wurde, befand sich der Staat in der Defensive und beobachtete diese Entwicklung aus einer passiven Haltung heraus, die jetzt in ein schreckliches Erwachen umschlägt Wir haben ja erlebt und finden noch heute Beweise dafür, daß Herausgeber politischer Zeitschriften mit Drogen herumreisen. ({0}) Wir kennen Veröffentlichungen in Zeitschriften, auch in Jugendverbandszeitschriften, in denen Rock-Festivals im Dunstkreis von Rauschmitteln als das wahre Erlebnis geschildert werden. ({1}) - Das war, wenn Sie es genau wissen wollen, in der Jugendzeitschrift der Deutschen Beamtenjugend. Dort war diese beängstigende Schilderung tatsächlich zu finden. Ich sage das hier nicht im Tone des Vorwurfs, sondern um darauf aufmerksam zu machen, wo unsere Aufgabe auch der geistigen und politischen Auseinandersetzung liegt. ({2}) Heute wissen wir, wenn ich das so sagen darf, daß die Toleranzschwelle recht niedrig war. Und zur Vergangenheitsbewältigung gehört auch eine ausdrückliche Anklage gegen diese Verharmloser. Wir wollen uns heute aber vor allem dem Gesetz zuwenden. Zu diesem Gesetz haben alle Parteien Beiträge geliefert. Auch der Bundesrat hat durch seinen Beitrag das vorliegende Ergebnis letztlich stark beeinflußt. Wir haben bereits vor drei Jahren mit einer Großen Anfrage betr. Alkoholmißbrauch, Rauschmittelsucht und Kriminalität von Kindern und Jugendlichen in Verbindung mit einem Entschließungsantrag zu diesem Problem die entscheidenden Weichen gestellt. (Hasinger [CDU/CSU]: Sehr richtig» Das darf ich sagen, etwas bescheidener, als es der Kollege Jaunisch soeben zu einem anderen Thema getan hat Durch das frühzeitige Erkennen des Problems seitens der Union ist schließlich auch das beschleunigte Verfahren in die Wege geleitet worden, so daß sich im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit die Positionen aufeinander zubewegen konnten. Herr Kollege Hauck - ich darf Sie als Vorsitzenden ansprechen -, das waren Beratungen, von denen man sagen kann: Politik zeichnet sich auch durch Kompromisse aus. Kompromisse müssen nicht faul sein. Nicht alle können das haben, was sie als optimal fordern. Wir haben nicht alles gekriegt - wir erlauben uns, Sie darauf aufmerksam zu machen -, Sie auch nicht. Wir sehen eine Chance, dieses Gesetz nicht nur einstimmig zu verabschieden, sondern es deswegen - das ist mit ein wichtiger Grund - dahin zu bringen, wo es hingehört: in die junge Generation, in die Familie, zur Polizei, zur Staatsanwaltschaft, in die freien Trägerschaften, in die Therapie-Zentren etc. etc., so daß es ein Signal wird zur breiten Bewußtseinswerdung dessen, was noch notwendig ist. Wir haben einige Bedenken zurückgestellt (Zuruf von der SPD: Wir auch» - Sie auch. - Was erwarten wir von diesem Gesetz? Der Staat trägt die Verantwortung für die Kontrolle des illegalen Angebots von Drogen und hat darauf hinzuwirken, daß die ganze Drogenszene verschwindet. Ich sage bewußt - ich komme gleich darauf zurück -: daß sie verschwindet Es wäre zu wenig, uns damit abzufinden und immer mehr Plätze zu schaffen in der Erwartung: Wir bändigen es nicht ganz. Ein kraftvolles Zupacken aller, eines jeden an seinem Platz, muß uns doch einmal in die Lage versetzen, diese Szene zum Verschwinden zu bringen. ({3}) Es darf, wenn ich so sagen darf, nur ein Durchgangsstadium sein. Aber einmal muß es weg. Dazu dienen dem Gesetz zunächst die Strafverschärfung für gewinnsüchtigen Rauschmittelhandel, die Vervollständigung der Rauschgiftliste, die Anbindung an internationale Abkommen und den internationalen Bereich, die Verbindung mit den Herstellerländern - darauf werden meine Kollegen Pinger und Langguth noch eingehen - usw. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß durch ein verstärktes Zusammenwirken mit den Herstellerländern das Angebot drastisch verringert werden kann. Hier gilt: Am besten ist es, wir gehen zu den Quellen und machen es da kaputt. Das ist das Beste, um den Markt von vornherein auszuschließen. Aber es ist nicht ganz einfach. ({4}) - Also man muß sich das mal vorstellen: Der Kuhlwein fragt auf diese meine Auslassung nach einer Eingreiftruppe. So weit ist das militärische Denken in Ihren Reihen schon gediehen. Schrecklich. Das ist ja schrecklich. ({5}) Also, es wäre besser - um es mal ganz einfach und drastisch zu sagen -, wir gäben denen das, was die mit dem Opium an Gewinn erzielen bar auf die Hand; dann sollen die darauf verzichten, nicht wahr. ({6}) - Gut. Dafür gibt es noch andere Instrumentarien: mit den Herkunftsländern Vereinbarungen treffen; die Stärkung der Grenzpolizei - ich sage das nur in Stichworten. Auch und ganz bewußt nennen wir die ideelle, finanzielle und materielle Unterstützung der Polizei. Das ist im Hearing klar und deutlich geworden: Da wo - selbstverständlich human, aber klar und direkt - entsprechend ihrer Aufgabenstellung die Polizei tatkräftig zugreift, ist ein wichtiger Teil des Problems bereits gelöst Man darf das bei aller Notwendigkeit der Therapie, der Nachsorge und all dessen, was wir hier noch zu behandeln haben, nicht vergessen. Die Polizei hat eine wichtige Aufgabe. Wir sollten sie dabei gerade ideell und geistig unterstützen. Die Reform des Betäubungsmittelrechts dient - ich sage auch das mal, obgleich es nicht so geläufig oder populär ist - in erster Linie dem Schutz des jungen Menschen. Im Vordergrund steht nicht das Mitleid mit dem Dealer, sondern die Sorge für den gesunden Menschen. Denn es ist dieser große Kreis, der in Gefahr ist. Dem Schutz dient zunächst die Entfernung des Dealers aus der Offentlichkeit Durch die Strafandrohung und den Strafvollzug mit höchstmöglichem Strafrahmen kann hier ein wirksames Mittel gefunden werden. Dem Schutz dient eine Kompetenzerweiterung der Polizei und der Fahndungsstellen, selbstverständlich auch eine bessere Ausstattung dieser Stellen. Dem Schutz der gesunden jungen Menschen dient auch die Abstimmung mit der Pharmazeutischen Industrie, den Ärzten und den Apothekern. Leitlinien hierfür sind im Hearing zur Sprache gekommen. Wichtig wäre auch, daß wir die Verherrlichung des Mißbrauchs von Drogen unter Strafe stellen. Es ist schade, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, daß Sie hier nicht unserem Vorschlag gefolgt sind. Wir werden es heute noch einmal beantragen. Sie sind doch sonst - wenn ich das lobend erwähnen darf - recht empfindsam für diese Bereiche, und wir haben doch in anderen Bereichen festgestellt, wie wichtig es ist, die Bundesprüfstelle besser auszustatten, um verrohendes Schrifttum usw. zu indizieren. Hier, wo wir ein so großes Problem haben, weigern Sie sich, daß man die Verherrlichung des Drogenmißbrauchs bestraft. Warum eigentlich? Es gibt überhaupt keinen Grund. ({7}) Es ist international üblich, daß so etwas bestraft wird. Dem, der es mir nicht glaubt - es sei mir gestattet -, trage ich eine Petition des Bundeskriminalamtes an den Innenminister vor. Das Bundeskriminalamt sagt, daß es in der Bundesrepublik keine ausreichenden gesetzlichen Bestimmungen gibt, die ein Vorgehen der Strafverfolgungsorgane gegen die Herstellung und Verbreitung dieser Schriften ermöglichen. Das sagen Kenner der Materie. Es sagt weiter: Die Herstellung und Verbreitung dieser Schriften, die insbesondere von drogenabhängigen und drogengefährdeten Personen gelesen werden, ist aus kriminalpolizeilicher Sicht nicht nur unerwünscht, sondern stellt auch eine erhebliche Erschwerung präventiver und repressiver Maßnahmen in bezug auf die Rauschmittelkriminalität dar. Es wäre also gut, wenn Sie unserem Antrag hier zustimmen würden. Experten sind der gleichen Meinung wie wir. Wichtig wäre auch eine Reform des Jugendschutzes. Die Referentenentwürfe sind verschickt. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode wohl zu einem Ergebnis kommen, kommen müssen. Besondere Bedeutung hat in der Öffentlichkeit die Diskussion um die Therapie Rauschmittelabhängiger erhalten. Kontrovers die These: Therapie statt Strafe. Bei allem Mitleid mit den abhängigen jungen Menschen: Wir sind für die Formulierung: Therapie und Strafe. Das Schlagwort „Therapie statt 'Strafe" ist falsch. Es hat sich inzwischen herausgestellt, daß der Therapieerfolg dadurch begünstigt wird, daß ein gewisser Druck auf den Täterkreis ausgeübt wird. Dies bedeutet auch, daß bei Abbruch der Therapie die Strafe vollstreckt wird. Gegen die Regelung, daß Vorstrafen nicht in das Führungszeugnis eingetragen werden, haben wir zwar Bedenken, aber wir erklären uns einverstanden. Wir weisen darauf hin, daß in den Ausschußprotokollen festgestellt ist, daß Bewährungshelfer und Richter sicherstellen können, daß der Abhängige nicht an drogengefährdete Arbeitsplätze gelangt Alle Hoffnungen richten sich auf Therapieerfolge. Die Daten, die uns bis jetzt vorliegen, sind nicht sehr ermutigend. Darüber, wie hoch die Erfolgsquote ist, haben wir gestritten. Sie beträgt 0 bis 20%; der Durchschnitt liegt bei 8 %. Es gibt Publikationen der Bundesregierung, in denen von 30 % die Rede ist. Wir würden das zwar auch wünschen, aber ich darf noch einmal darauf hinweisen: Es handelt sich hier um Langzeittherapie, es war ein ausgesuchter Kreis hochmotivierter junger Menschen. Wir würden also, wie gesagt, allen derartigen Therapien einen großen Erfolg wünschen. Wir sind für den Ausbau der Therapieplätze und haben dies in der Entschließung gefordert Wir sind aber - ich darf das einmal kritisch sagen - dagegen, Therapieeinrichtungen als Dauereinrichtungen festzuschreiben. Denn das würde bedeuten, daß ein unflexibles System geschaffen würde und wir damit unserer Hoffnungslosigkeit Ausdruck gäben, daß die Drogenszene nie verschwindet. Aber sie muß verschwinden! Es gibt auch Therapiemodelle, in denen die Eigenaktivierung, die Selbsthilfe im Vordergrund steht Ich darf auf das Holländische Modell hinweisen. Es ist ausschließlich dezentral angelegt, in der Hand der freien Träger, allerdings mit finanzieller Unterstützung des Staates. Schon allein deshalb, weil es dezentral angelegt ist, weil es in freier Trägerschaft ist, hat dieses Modell mehr Erfolg. Es gibt dort nicht so viele Modelle, nicht so viel Durcheinander, nicht so viele Kompetenzstreitigkeiten, sondern eine klare Gliederung, eine klare Kompetenzzuweisung, ein breites Engagement der freien Träger und eine wertgebundene Therapie. Die Therapie dort ist teilweise strenger als bei uns das Gefängnis; sie ist auf jeden Fall erfolgreicher. Wer die Therapie verläßt, zurückfällt, fliegt raus; das wissen auch alle. Wer rausgeflogen ist, kommt auch in aller Regel wieder. Man läßt ihn nach der Therapie nicht allein, man läßt ihn nach vier Monaten nicht ohne Arbeitsplatz nach Hause gehen. Man beschafft ihm einen Arbeitsplatz. Man begleitet ihn an den Arbeitsplatz. Man gibt ihm einen Sinn, einen Halt, ein Ziel. Wir können uns anstellen, wie wir wollen, und so viel Geld ausgeben wie wir wollen, wenn der Betreffende nachher nicht einen Halt, einen Sinn, ein Ziel findet, ist jede Therapie umsonst. ({8}) Deswegen sage ich auch hier, was ich in anderem Zusammenhang gesagt habe: Man muß die freien Träger unterstützen; die Hilfe muß dezentral sein. Die Hilfe durch Gesetze ist unser Thema. Aber bezüglich der Eigeninitiative ist von den freien Trägern noch längst nicht das erfüllt, was von ihnen gefordert wird. Ein letztes. Nach wie vor besteht die Befürchtung, daß Rauschmittelsucht nicht nur ein Ergebnis der Verführung, sondern auch ein Problem der falschen Erziehung ist Hierzu gibt es interessante Ausführungen z. B. von dem Amerikaner Coles der in seinem Buch „Kinder der Krise" dem Sinne nach u. a. folgendes ausgeführt hat, worauf wir aufmerksam machen möchten - ich zitiere -: „Von unseren Kindern wird, was Mitgefühl und Anteilnahme betrifft, nur sehr wenig verlangt Dagegen werden Selbstüberschätzungen der Kinder geradezu kultiviert. Die Kinder werden dazu ermuntert, sich nur um sich selbst zu kümmern und zu nehmen, was sie kriegen können. Darauf, daß Kinder auch anderen mit Auge und Ohr, Herz und Verstand Aufmerksamkeit widmen sollen, wird bei der Erziehung allzuoft nur wenig Wert gelegt" Woran glauben wir denn eigentlich? Woran sollen unsere Kinder glauben? Die Eltern sollen ihre Kinder allein erziehen, nach ihren eigenen Überzeugungen, ihrer eigenen Moral, ihrem eigenen Glauben. Sie sind oft eingeschüchtert von all den Experten, die dicke Bücher über Kindererziehung verfassen und den Eltern vorschreiben, was sie tun sollen. Das liegt zum Teil an der fehlenden religiösen oder politischen Wertvorstellung. Es geht um Fragen, die wir auch in diesem Zusammenhang stellen dürfen. Wieviel Kindern ist in der Familie schon einmal die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt worden? Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle diese Fragen und weise auf die Zusammenhänge hin, weil folgendes zu bedenken ist Nach unserer Auffassung kann der Staat sein ganzes Geld zur Drogenbekämpfung ausgeben und können wir noch so viele und noch bessere Gesetze machen! Es genügt nicht Wir möchten auch darauf hinweisen, daß dies für uns noch nicht der letzte Schritt ist Wir werden prüfen, inwieweit dieses Gesetz sein Ziel erreicht Es muß sich morgen und übermorgen an der Wirklichkeit messen lassen. Wir werden fragen, ob es richtig ist, auf die Verfolgung von Straftaten zu verzichten. Wir lassen das Gesetz daran nicht scheitern. Wir sind in der Sache anderer Meinung und fühlen uns deshalb verpflichtet, in diesem Punkt das Gesetz sehr kritisch zu begleiten. Wir werden es auch mit den besten Wünschen verabschieden; denn wir wollen den Erfolg. Aber dies sei noch einmal gesagt: Wir können noch bessere Gesetze machen, und der Staat kann noch mehr Geld ausgeben - meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind keine leeren Worte: wir haben es in dieser Legislaturperiode immer wieder unter Beweis gestellt -, wenn wir nicht die Quellen freischaufeln, die solche Übel entstehen lassen, und die Menschen und die Familien nicht wieder ermutigen, so ist es ein hoffnungsloser Kampf. Auch hier gilt: Trauen wir sowohl den Familien als auch der jungen Generation mehr zu! ({9}) Tun wir etwas, damit die Menschen diesen Staat als Herausforderer und nicht als Betreuer begreifen! Seien wir bereit, den Familien mehr zuzutrauen und ihnen die Unterstützung zuteil werden zu lassen, die sie brauchen, um in dieser nicht gerade einfachen Zeit ihren Kindern das rechte Maß an Erziehung, Wärme und Liebe als wohl die beste Voraussetzung dafür schenken zu können, solche wirklich bedauerlichen Schicksale der Drogenabhängigkeit zu verhindern! ({10}) Insofern begleiten unsere besten Wünsche die junge Generation, die Familien, alle, die verantwortlich sind, die Justiz und die Polizei, in der Handhabung dieses Gesetzes zur Bekämpfung der so furchtbaren Rauschmittelsucht auch in unserem Land. Wir sind immer dann dabei, wenn es gilt, Hilfe zu gewähren, Hilfe zuteil werden zu lassen. Wir sind aber auch vor allem der Meinung, daß insgesamt die Perspektive dieses Staates, die Würdigung der Familie und die Herausforderung der jungen Generation im Vordergrund der Politik und der politischen VerantKroll-Schlüter wortung der kommenden Jahre zu stehen haben. - Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marschall.

Manfred Marschall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat in den vergangenen Jahren de§ öfteren die bedrückenden Probleme des Drogenmißbrauchs im Lande diskutiert Auch heute kann niemand auf diesem Felde eine deutliche Wende zum Besseren feststellen, und dies, obwohl es bei politischen Entscheidungsträgern von der Gemeinde bis zum Bund wie auch im gesellschaftlichen Bereich von der Initiative einzelner bis zur Tätigkeit großer Verbände eine Fülle von Bemühungen gegeben hat. Lassen Sie mich die Situation mit zwei Beispielen beleuchten. Der bayerische Innenminister hat vor einigen Tagen die Lage im Freistaat geschildert. Die Zahl der Rauschgiftdelikte stieg 1979 gegenüber dem Vorjahr um 21 %, die der Konsumenten von harten Drogen um 32 % und die der Rauschgifttoten um 40%. Ich zitiere den Minister: „Besorgniserregend ist die Entwicklung in letzter Zeit: mehr Drogentote, mehr Heroinfixer, mehr Haschischkonsumenten, riesige Aufgriffmengen, eine zunehmend härtere Szene. Zum anderen stellt eine epidemiologische Untersuchung zur Einschätzung der Heroinszene in Berlin fest: Die Zahl der Heroinabhängigen in dieser Stadt liegt zwischen 5 850 und 6 000. 70 % der Drogenabhängigen haben keine Berufsausbildung. Das Einstiegsalter nimmt seit 1974 ständig ab, etwa 0,6 Jahre je Jahrgang. Je schlechter Schul- bzw. Berufsausbildung sind, um so früher wird mit harten Drogen begonnen. Vor diesem Hintergrund muß auch die nüchterne Gesetzgebungsarbeit bei der Novellierung des Betäubungsmittelrechts gesehen werden. Dieses Gesetz soll vielen betroffenen Bürgern - seien sie selbst abhängig, seien sie Familienangehörige, Nachbarn oder Kollegen von Abhängigen - eine Hilfe sein. Mit der vorgelegten Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit werden die internationalen Suchtstoffübereinkommen in das deutsche Recht übertragen. Durch gestraffte Kontrolle des legalen Betäubungsmittelverkehrs und gleichzeitige Ausdehnung auf weitere international als bedenklich angesehene Stoffe - eine Aufgabe, die sich das Parlament vor vier Jahren selbst gestellt hat - wird zudem ermöglicht, die Rechtsmaterie neu zu ordnen. Das nun fünf Jahrzehnte alte Recht hat sich als überholt und lückenhaft erwiesen. Durch die Neufassung ist es jetzt z. B. gelungen, die Zahl der Verordnungen von 16 auf 4 herabzusetzen - ein deutlicher Schritt zur Vereinfachung, den man sich auch für andere Bereiche wünschen möchte. (Hasinger [CDU/CSU]: Ein nebensächlicher Punkt» Durch die Einbeziehung einer Anzahl neuer Stoffe in das Betäubungsmittelrecht werden allerdings, wie die Anhörung des federführenden Ausschusses am 12. Juni gezeigt hat, die Interessen einiger Pharmahersteller berührten. Bei dieser Anhörung hatten die Vertreter der Ärzte und der Apotheker wie auch die der Industrie Gelegenheit, zu dem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Den Bedenken der Hersteller konnte, soweit das im Rahmen eines vertretbaren Gesundheitsschutzes blieb, weitgehend Rechnung getragen werden. Durch großzügige Ausnahmeregelungen und Terminsetzungen werden größere Härten vermieden. Dies hat auch dazu geführt, daß in die vorliegende Entschließung eine Aufforderung an die Bundesregierung mit dem Ziel aufgenommen wurde, bei Zulassungsanträgen für Fertigarzneimittel, welche die nunmehr unter Betäubungsmittelverschreibungspflicht fallenden Präparate ersetzen sollen, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bis zum 30. Juni 1981 eine beschleunigte Prüfung zu erreichen. Dem Drängen der Industrie, bei Methaqualon eine besondere Regelung durchzusetzen, konnten und wollten wir nicht nachgeben. Hier war der Gesundheitsschutz eindeutig vorrangig zu sehen, zumal die VN-Suchtstoffkommission diesen Stoff erst im vergangenen Jahr im Sinne einer strengeren Handhabung neu eingestuft hat Der Gefahr, in Abhängigkeit von Betäubungsmitteln zu geraten, erliegen die Menschen meist schon im jugendlichen Alter, in dem sie oft die Tragweite ihres Tuns nicht übersehen und zugleich dem Einfluß von einzelnen oder Gruppen nur schwer wiederstehen. Der Drogenabhängige befindet sich dann in einer besonderen Lage, weil er, von der Sucht getrieben, mit seinen Handlungen gegen Strafvorschriften verstößt. Durch die vergleichsweise hohen Kosten beim Erwerb von Rauschmitteln werden Abhängige in der Regel auch noch zu anderen Straftaten getrieben. Diese aus der Sucht erwachsende Beschaffungskriminalität ist eine große Gefahr für die Gesellschaft, in ganz besonderem Maße, wenn sich der Abhängige den eigenen Stoff durch illegalen Drogenhandel finanziert. Eine der vorrangigsten Aufgaben muß es sein, diesen teuflischen Wirkungsmechanismus zu unterbrechen. Strafdrohung allein treibt den Abhängigen immer mehr in die Ausweglosigkeit, zugleich erzeugt diese aber in der Umgebung neue Abhängigkeiten. Die Regelung des Verhältnisses von Therapie und Strafe war deshalb im gegebenen Zeitraum die vordringlichste Aufgabe, die den beteiligten Ausschüssen bei der Beratung des Gesetzes gestellt war. Diese Frage hat auch in den Medien große Aufmerksamkeit gefunden. Die öffentliche Anhörung von Sachverständigen am 21. April zu diesem Thema konzentrierte sich auf Fragen der Abgrenzung zwischen strafrechtlichen Maßnahmen und sozialtherapeutischer Behandlung. Die neuen §§ 31 a bis d in Art. 1 der Beschlußempfehlung sind geschaffen worden, um für die kleinen bis mittleren betäubungsmittelabhängigen Straftäter im Rahmen der Gesetze mehr Möglichkeiten für eine Therapie zu eröffnen. Dies soll durch Zurückstellen der Strafvollstreckung oder Absehen von der Strafverfolgung erreicht werden. Durch die Änderung des Bundeszentralregistergesetzes in Art. 3 der Beschlußempfehlung soll es darüber hinaus möglich sein, einen Strafausspruch nicht ins Führungszeugnis aufzunehmen. Insgesamt wird die Absicht verfolgt, die Rehabilitation eines verurteilten oder noch nicht verurteilten Drogenabhängigen zu erleichtern. Die Sozialdemokraten unterstützen die erweiterten Möglichkeiten für die Therapie, die den Betroffenen vom Gesetz her mehr Chancen einräumen. Wir gehen aber grundsätzlich davon aus, daß eine Therapie nur dann sinnvoll und erfolgreich sein kann, wenn der Drogenabhängige von sich aus die Bereitschaft entwickelt, an seiner Rehabilitation mitzuwirken. Die vorgesehenen Regelungen sollen dazu beitragen. Dabei ist klar festzustellen, daß einmal die Probleme der Drogenabhängigkeit mit Mitteln der Strafverfolgung letztlich nicht gelöst werden können, zum anderen, daß gesetzliche Regelungen den Möglichkeiten einer Therapie nicht im Wege stehen dürfen. Ein Hoffnungsschimmer zeigt sich zudem in der finsteren Rauschgiftlandschaft. Ich spreche die Erfolge bei der Drogentherapie an. Noch Anfang der 70er Jahre lagen die „Erfolgsquoten" bei deprimierenden 2 bis 5 %. Die im Münchner Max-Planck-Institut von der Projektgruppe „Rauschmittelabhängigkeit" entwickelten Konzeptionen für die praktische Arbeit in Beratung und Therapie weisen Erfolge auf. Die dem sogenannten Großmodell der Bundesregierung angeschlossenen Einrichtungen konnten inzwischen ihre Therapieerfolge bei Opiatabhängigen auf 29 % aller Therapiebeginn steigern. Die Ergebnisse zeigen, daß durch stationäre Langzeittherapie einschließlich gut organisierter Nachsorgeprogramme zunehmend gute Erfolgsquoten zu erreichen sind. Derzeit gibt es in der Bundesrepublik etwa 2 000 Langzeitplätze, von denen einige als geschlossene Einrichtungen nach § 64 StGB oder § 93a Jugendgerichtsgesetz geführt werden, andere wiederum nicht unumstritten sind. Geht man von 50 000 Heroinabhängigen aus und berücksichtigt die Erfahrung, daß etwa 5 % der Abhängigen therapiewillig sind, ergibt sich ein zumindest rechnerisches Defizit Die verantwortliche Gesundheitspolitik muß aber mehr wollen und durchsetzen. Zudem ist davon auszugehen, daß durch die in diesem Gesetz angebotene Chance, von der Droge wegzukommen, wie auch durch die sich in Kreisen der Betroffenen herumsprechenden Therapieerfolge der Langzeiteinrichtungen mehr und mehr den Versuch machen, der Versklavung durch die Droge zu entkommen. Da die Therapieeinrichtungen in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer fallen - ich bedaure, daß die Länder bei dieser Debatte nicht vertreten sind -, werden diese in der Entschließung aufgefordert, für eine ausreichende Zahl von Einrichtungen für Langzeittherapie zu sorgen. Im Blick auf die Neuregelungen im 7. Abschnitt wurde durch Hinausschieben des Inkrafttretens auf den 1. Juli 1981 den Ländern ein längerer Zeitraum zur Umsetzung geöffnet. Dies gilt auch für eine ausreichende Zahl von Fachkräften. Die Bundesregierung wird aufgefordert, ein zusammen mit den Ländern und den freien Wohlfahrtsverbänden abgestimmtes Konzept zur Vorbeugung und Therapie durchzuführen, bei der zentralen Registrierung von Therapieplätzen mitzuwirken, in Zusammenarbeit mit den Ländern die Wirksamkeit der Behandlung zu steigern, den Ausbau und die Entwicklung neuer Einrichtungen zur Früherkennung, Beratung, Therapie und Nachsorge modellhaft zu unterstützen sowie Bundeszuwendungen zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker besonders auch auf diese Bereiche zu akzentuieren. Erlauben Sie mir, daß ich mit Genehmigung des Präsidenten in Richtung auf die CDU/CSU ein Zitat aus dem „Deutschen. Allgemeinen Sonntagsblatt" bringe. Unter der Überschrift „Auf die Länder kommt es an" heißt es - ich zitiere -: Bei den Ländern liegt jetzt ein hohes Maß an Verantwortung. Noch gibt es die Weigerung der unionsgeführten Bundesländer, die vom Bundesgesundheitsministerium bereitgestellten Mittel zur Einrichtung modellhafter Behandlungsstätten, die dann auch der Therapie Drogenabhängiger dienen könnten, auch in Anspruch zu nehmen. Ich hoffe, daß vor dem Hintergrund der gemeinsamen Zustimmung zur Entschließung im federführenden Ausschuß Entscheidungen der Vernunft, Entscheidungen zugunsten der Drogenabhängigen trotz mancher Wahlkampflust in diesen Wochen getroffen werden können. In der Entschließung wird im Blick auf die Länder bei der Kostenregelung gefordert, daß in jedem Fall eine Stelle, notfalls der Sozialhilfeträger, in Vorleistung tritt Darüber hinaus wird in der Entschließung deutlich, daß in einer wirksamen Strategie die Bekämpfung des Rauschgiftangebotes. und der Rauschgiftnachfrage gleichen Stellenwert haben, die notwendigen Maßnahmen also von der Ursachenforschung bis zu einem standardisierten Analyseverfahren für Rauschgiftproben reichen. Für schwere Rauschgiftkriminalität sieht der Entwurf eine deutliche Strafverschärfung vor. So wird z. B. die Höchststrafe von 10 auf 15 Jahre angehoben. Damit wird endlich deutlich gemacht, daß skruppellose Rauschgifthändler, die mit dem Ruin der Menschen Geschäfte machen, die Strenge des Gesetzes verdienen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß der federführende Ausschuß die von der Mehrheit des Rechtsausschusses vorgeschlagene Strafrechtsregelung, die eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsah, mit der Begründung nicht übernommen hat, daß an die Klarheit und Bestimmtheit des Tatbestandes in solchen Fällen besonders strenge Anforderungen zu stellen sind und die bei der Diskussion aufgetauchten Bedenken in der zur Verfügung stehenden Beratungszeit nicht mehr ausgeräumt werden konnten. Der Ausschuß hält es aber für erforderlich, diese Problematik in der nächsten Legislaturperiode erneut aufzugreifen und eingehend zu beraten. Erlauben Sie mir zum Schluß noch einige Bemerkungen an die CDU/CSU. Der Änderungsantrag der CDU/CSU hat mich in dieser Form überrascht Zu den Änderungen müssen nach meiner Meinung bisher kaum bekannte, wohl übergeordnete Gesichtspunkte geführt haben, die aber nicht jugend- oder gesundheitspolitisch begründet werden können. Dies hat die Diskussion im federführenden Ausschuß ganz deutlich gezeigt Lassen Sie mich dies an dem Beispiel des Punktes 1 in Ihrem Änderungsantrag zeigen. Obwohl in der Diskussion von einigen CDU-Vertretern Bedenken geäußert wurden, wurde § 28, d. h. die Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, einstimmig angenommen. Nun wird diese Regelung abgelehnt. Es wird eine Anhebung auf fünf Jahre vorgesehen. Welche gefährlichen Auswirkungen dieser Änderungsantrag für die Drogenabhängigen bedeutet, mag die Begründung - unsere gemeinsame Begründung - zu dem - ich wiederhole - einstimmig im federführenden Ausschuß angenommenen Paragraphen besagen. Ich erlaube mir, kurz aus dem Ausschußbericht zu zitieren: Der Ausschuß hält es für angemessen, die Höchststrafe bei drei Jahren zu belassen. Jetzt kommt es: Ein Heraufsetzen der Höchststrafe würde sich in der Rechtsprechung dahin auswirken, daß auch in Verfahren gegen den kleinen und mittleren Täter, der in vielen Fällen drogenabhängig ist, auf höhere Strafen erkannt würde. Ich hoffe, daß in den politischen Auseinandersetzungen um das Betäubungsmittelgesetz die Sachlichkeit im Fachausschuß keine Einzelerscheinung bleibt. Die Drogenabhängigen und mit ihnen viele Väter, Mütter, Verwandte und Bekannte wären dabei letztlich die Erfolgreichen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 25. Januar wurde das jetzt zur Verabschiedung stehende Betäubungsmittelgesetz in erster Lesung im Plenum behandelt Ich bin glücklich, daß es uns gelungen ist, trotz des Zeitdrucks das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden, obwohl dem ursprünglich noch einige gewichtige Steine im Wege lagen. Wenn auch nicht alle unsere Wünsche berücksichtigt wurden, können wir Freien Demokraten dem Gesetz doch guten Gewissens zustimmen. Wir danken allen denen, die dabei geholfen haben. Dieses Gesetz wurde mit Ausnahme eines einzigen Paragraphen im Ausschuß einstimmig verabschiedet. Das ist angesichts des nahenden Wahlkampfes der zweite erfreuliche Aspekt. Dies und die Tatsache, daß meine beiden Vorredner die wichtigsten Punkte schon behandelt haben, erlauben es mir, mich etwas kürzer zu fassen. Der Rechtsausschuß empfahl uns die Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe der Person, die als „Rädelsführer oder Hintermann einer kriminellen Vereinigung oder aus Gewinnsucht ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 eine solche Menge Betäubungsmittel herstellt, einführt, bereithält oder damit Handel treibt, die geeignet ist, das Leben einer unbestimmten Vielzahl von Menschen zu gefährden". Die Entscheidung dazu im Rechtsausschuß ging quer durch alle Fraktionen. Wir in unserem Ausschuß konnten dieser Empfehlung nicht folgen. In der Kürze der Zeit war eine ausgiebige Beratung nicht mehr möglich. Wir haben deshalb empfohlen, dieses Problem in der nächsten Legislaturperiode neu aufzunehmen und neu zu beraten. Einer der Punkte, in denen wir uns als FDP in den Beratungen nicht durchsetzen konnten, wo wir nicht auf Gegenliebe gestoßen sind, ist die Frage des Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiter, die auf dem Gebiet der Drogenberatung und Drogenbekämpfung arbeiten. Gerade weil Drogenmißbrauch unter Strafandrohung steht, werden diejenigen, denen man helfen will und auch helfen muß, mehr Vertrauen zu Personen haben, die von einem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen können. Wir brauchen gerade auf diesem Gebiet Vertrauen. Es ist die Voraussetzung für eine wirksame Hilfe. Wir wissen aber auf der anderen Seite auch, wie schwierig es aus rechtlichen Gründen ist, welche engen Grenzen diesem Unterfangen aus juristischen Gründen, vor allem wegen höchstrichterlicher Urteile gesetzt sind. Dieser Punkt ist uns aber um der Wirksamkeit der Hilfe und zur Entlastung des Therapiepersonals wichtig. Wir meinen, es lohnt sich, nochmals darüber nachzudenken. Ein weiterer Stein auf dem Weg zur Verabschiedung war vor allem im Anhang des ursprünglichen Gesetzentwurfes zu sehen. Daß sich die Umsetzung des Internationalen Suchtstoffabkommens in deutsches Recht nicht so einfach vollziehen läßt, wie das viele denken mögen, wurde bei den Beratungen im Ausschuß deutlich. Die von der Regierung vorgelegten Anlagen I bis III waren nach pharmakologischen Gesichtspunkten eingeteilt, die den Internationalen Suchtstoffabkommen keineswegs voll entsprachen und die wegen der erneut einseitigen pharmakologischen Tendenz zugunsten von Mono-Präparaten die besondere Aufmerksamkeit des Ausschusses erweckten. Nachdem feststand, daß die vom Bundesgesundheitsamt und der Bundesregierung vorgeschlagenen Milligramm-Freigrenzen für bestimmte Stoffe auf keiner wissenschaftlich begründbaren Grundlage beruhten, bestand der Ausschuß darauf, daß die Listen im besseren Übereinklang mit dem unterzeichneten Internationalen Suchtstoffabkommen gebracht würden. Bei der Kürze der zur Verfügung stehenden Beratungszeit war es leider nicht möglich, in die toxikologischen Problematiken tiefer einzudrin18386 Eimer ({0}) gen. Die Erfahrungen aus dem Ausschuß bei der Beratung dieses Teils des Gesetzes machen jedoch deutlich, daß die Ausschußmitglieder auch in Zukunft gut beraten sind, wenn sie gegenüber Vorschlägen des Bundesgesundheitsamtes kritische Distanz walten lassen, da wie schon beim AMG auch bei der Beratung dieses Gesetzes der Eindruck nicht völlig verwischt werden konnte, daß das Bundesgesundheitsamt versucht, über die Gesetzgebung Pharmapolitik ohne wissenschaftlich absolut gesicherte Grundlagen zu betreiben. Die vom Ausschuß gefundene Übergangsregelung in § 35 wird von den Freien Demokraten als sinnvolle und notwendige Übergangsregelung angesehen. Diese Änderung des Gesetzes macht es der FDP möglich, auch dem parmakologischen Teil des Gesetzentwurfes die Zustimmung zu geben. Ein weiteres Hindernis bei der Verabschiedung des Gesetzes aus der Sicht der FDP war im ursprünglichen Entwurf das Fehlen des Prinzips Therapie statt Strafe". Dies wurde in einem siebten Abschnitt mit den §§ 31 a bis 31 d nachgereicht. Darüber wird mein Kollege Engelhard im einzelnen reden. Der Änderungsentwurf ist zum Schluß etwas unter Zeitdruck beraten worden. Dies mag ein Grund dafür sein, daß nach Meinung mancher und das soll nicht verschwiegen werden - zu wenig unterschieden worden ist zwischen Dealern und Suchtdealern, zwischen Straftat und Krankheit. Die Praxis in den Gerichten wird aber in Zukunft zeigen, daß hier genügend Flexibilität in das Gesetz eingebaut worden ist. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf einen Vorschlag hinweisen, der in der Offentlichkeit diskutiert wird, nämlich die Freigabe der Ersatzdroge Methadon für Therapiezwecke. Meine Gespräche mit Fachleuten haben aber gezeigt, daß dies wohl nicht der richtige Weg sein kann; zumindest ist dieses Thema noch nicht ausdiskutiert. ({1}) - Das war auch das Ergebnis des Hearings. Die Angst der Abhängigen besteht auch nicht so sehr vor den körperlichen Erscheinungen des Entzugs, sondern vor dem, was danach kommt Synanon in Berlin, eine von manchen nicht unumstrittene Einrichtung, lehnt z. B. auch Ersatzdrogen grundsätzlich ab. Das, was wichtig ist, so sagt man uns, ist, daß man sich während des körperlichen Entzugs des Betreffenden intensiv annimmt, ihn nie allein läßt, daß Süchtige als Kranke behandelt und menschlich intensiv betreut werden. All diese Maßnahmen, die über das vorliegende Gesetz geregelt werden, dürfen uns aber nicht blind machen dafür, daß eine Reihe von weiteren flankierenden Maßnahmen nötig sind bei der Bekämpfung des Mißbrauchs, bei den Ursachen und bei der Therapie. Meine beiden Vorredner sind schon darauf eingegangen. Bei den letzten beiden Punkten kann uns das Jugendhilfegesetz in diesem Bereich durch Maßnahmen weiterhelfen, die durch Jugendarbeit, durch Beratung und Therapiemaßnahmen geleistet werden können. ({2}) Ich bitte deshalb in diesem Zusammenhang meine Ausschußollegen von der CDU/CSU, ihren Einfluß auf den Bundesrat geltend zu machen, daß wir noch in dieser Legislaturperiode zu einem neuen Jugendhilfegesetz kommen können. ({3}) Weitere flankierende Maßnahmen sind notwendig, auf die ich in meinem Beitrag zur ersten Lesung hingewiesen habe und die ich deshalb nicht ausführlich zu wiederholen brauche. Sie sind auch alle in dem Entschließungsantrag aufgeführt, der zusammen mit dem Gesetz verabschiedet werden soll. Schließlich ist es aus der Sicht der Liberalen notwendig, darauf hinzuweisen, daß das Betäubungsmittelgesetz allein die Drogenprobleme nicht wird lösen können. Sinnvoll ist es daher nach unserer Meinung, über gesellschaftliche Ursachen zu diskutieren und gegebenenfalls Verhältnisse zu ändern, die zum Drogenkonsum führen können. Zu Drogen darf man in diesem Zusammenhang getrost nicht nur physische Drogen, nicht nur Alkohol, nicht nur Nikotin, sondern auch psychische Drogen zählen. Wir beobachten, daß in der Mehrzahl solche Menschen zu Drogen greifen, die nicht gelernt haben, mit Konflikten in ihrer Umwelt fertig zu werden und deswegen eben die Flucht aus der Realität in die Scheinwelt der Drogen antreten. Zu fordern ist deshalb aus liberaler Sicht, in den Schulen, in den Familien, in unserer Gesellschaft das Leben mit und das Lösen von Konflikten zu lehren. Mehr Toleranz, mehr Verständnis für den Betroffenen, mehr Einfühlungsvermögen in die Situation von Drogenabhängigen erscheinen als das Gebot der Stunde, wenn wir dem Betroffenen helfen wollen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit

Antje Huber (Minister:in)

Politiker ID: 11000968

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Betäubungsmittelgesetz, das uns heute hier zur Verabschiedung vorliegt, erhält seine Aktualität aus der Drogensituation. Herr Kroll-Schlüter, auch wir sind der Auffassung, daß dieses Problem verschwinden sollte, und zwar möglichst bald. Aber es ist auch redlich, zu sagen, daß wir eine schlagartige Lösung nicht erhoffen können, auch nicht durch dieses Gesetz. Ich gehöre zu denen, die sehr viel Vertrauen und Zutrauen zu den Familien haben; aber ich denke, wir können es dabei nicht bewenden lassen, wie die Erfahrungen zeigen, die auch Familien gesammelt haben, in denen vorher keine besonderen Konflikte vermutet wurden. Die Drogensituation hat sich nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen Ländern verschärft. Es ist eine Verschlechterung zu verzeichnen. Auch hierdurch bekommt die Neuordnung des Betäubungsmittelgesetzes eine in mehrfacher Hinsicht gesteigerte Bedeutung. Die Bundesregierung hat ihr Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs nach einer sorgfältigen Situationsanalyse im Januar 1980 akzentuiert fortgeschrieben und dabei auch dieses Gesetz als ein Instrument genannt, mit dem insbesondere die Verfügbarkeit illegaler Drogen eingeschränkt werden soll und kann. Im Verlauf der Gesetzesberatung hat sich dann ergeben, daß die veränderte Situation eine einfache Fortschreibung des alten Betäubungsmittelrechts nicht zuläßt. Es mußte ganz gezielt um Hilfen für diejenigen ergänzt werden, die durch Drogen Schaden genommen haben. In dieser Frage gab es in den Ausschüssen eine große Gemeinsamkeit zwischen den Abgeordneten aller Fraktionen. Das war eine bemerkenswerte Fortschreibung der Aussprache, die wir hier bei der Einbringung des Gesetzes gehabt haben. Der Mißbrauch von Drogen und Rauschmitteln bei jungen Menschen ist oft Symptom tieferliegender Schwierigkeiten, mit denen man glaubt, nicht anders fertig werden zu können. In der Situationsanalyse des Aktionsprogramms der Bundesregierung heißt es, daß sich die Situation nicht etwa deshalb verschlechtert hat, weil eine neue Ideologisierung der Drogen aufgetaucht wäre - das war z. B. Ende der 60er Jahre der Fall - oder weil neue Personengruppen hinzugekommen wären, sondern es handelt sich ganz überwiegend um eine Gefährdung von außen durch den enormen Zustrom vor allem von Heroin mit absinkenden Preisen, mit dem Ausbleiben von Verfälschungen und damit der Steigerung des Wirkungsgehalts, mit ständig raffinierteren Absatztechniken, mit denen man schließlich immer mehr junge Menschen verführt hat, besonders diejenigen in psychosozialen Konfliktlagen, die als potentiell gefährdet gelten können. Wer sich subjektiv in einer besonders belastenden Lebenssituation befindet, sei es infolge einer gestörten Entwicklung, einer Überforderung oder Isolierung, einer allgemeinen Orientierungslosigkeit oder auch von Familienkonflikten, der ist für diese schmutzige Verführung besonders anfällig. In diesem Zusammenhang möchte ich einige Anmerkungen über die Zahlen machen, mit denen wir es hier zu tun haben. Sie sind auch in den letzten Tagen wieder durch die Presse gegangen. Diese Zahlen sind Schätzwerte, meine Damen und Herren, die auf Angaben von Landeskriminalämtern, von Gerichten, von dezentralisierten Institutionen, Drogenberatungsstellen, Sozialämtern und anderen Einrichtungen zurückgreifen. Es sind natürlich „weiche" Daten. Das heißt, jetzt ist die gegebene Schwankungsbreite nicht mehr mit dem mittleren Wert, sondern dem oberen Wert in unsere Angaben eingegangen. Das müssen wir bei der Würdigung berücksichtigen. Die Schätzungen gingen jahrelang von der Annahme aus, daß die jährliche Sterblichkeit unter den Drogenabhängigen 1 : 1 000 beträgt. Davon hat man hochgerechnet. Deshalb sind wir im Vorjahr auch zu der besonders hohen Zahl von Abhängigen gekommen, die man Grundzahl nennt, weil wir von den vermehrten Todesfällen ausgegangen sind. Wir wußten aber sehr wohl, daß uns die Heroinschwemme, insbesondere durch den hohen Wirkstoffgehalt mehr Todesfälle beschert hat als in früheren Jahren, daß die Zahl der jungen „Direkteinsteiger" größer war und daß wir auch mehr erkennbare Selbstmorde hatten, die vielfach als Verzweiflungsreaktionen langjähriger Drogenabhängiger gesehen werden müssen. Nach den bis zum 15. Juni 1980, also in diesem Monat, vorliegenden Zahlen, die vom Bundeskriminalamt kommen, können wir davon ausgehen, daß 1980 sehr wahrscheinlich wieder die Zahl von Drogentodesfällen zu erwarten ist, die wir 1978 hatten, jedenfalls weniger als 500. Das deutet aber noch nicht auf eine Entspannung des Problems hin, sondern zeigt nur, daß diese Zahlen kein verläßlicher Gradmesser für die Entwicklung sind. Von den Drogenbeauftragten der Bundesländer wurden Ende April Schätzzahlen für den Bestand an „harten" Konsumenten angegeben, deren Obergrenze bei 49 000 lag. Deswegen hat man in der Offentlichkeit immer von rund 50 000 gesprochen. Wir haben diese Zahl ernstgenommen; wie Sie wissen, haben wir sie auch keineswegs verheimlicht, obwohl die genannten Bedenken bei den Schätzwerten bestehen. Es sollte uns jedoch keine starre Fixierung auf die Zahlen den Blick dafür verstellen, daß der Mißbrauch von Drogen oder auch von Alkohol - das ist ein noch größeres Problem - oder auch von Medikamenten doch ein sichtbares Symptom eines tieferliegenden, sehr viel umfangreicheren Problems ist, auf das sich unsere Maßnahmen zu richten haben. Ich bin sehr dankbar, daß hier in der Debatte auch das Stichwort Jugendhilfe gefallen ist. Jugendhilfe ist eine solche Maßnahme, die sich auf Ursachen richtet. ({0}) Ohne Zweifel müssen aber auch die drogenspezifischen Maßnahmen verstärkt werden. Dafür hat der Bundestag ja Mittel im Nachtragshaushalt bereitgestellt, die wir als Bundesregierung trotz der Haushaltsenge beantragt haben. Ich will nur noch einige Bemerkungen zum Gesetz selbst und zu den Schwerpunkten seines Inhalts machen, weil dies ja schon Gegenstand in der ersten Lesung war. Das Gesetz regelt den Verkehr mit Betäubungsmitteln. Es erschwert durch Verbot und Strafe den illegalen Drogenhandel. Aber es wendet sich auch in einer sehr differenzierten Form den Opfern zu, einschließlich derjenigen, die auf Grund ihres krankhaften Handlungszwanges bis zu einem gewissen Umfang selbst in kriminelle Verstrickung geraten sind. Wir verzichten dabei allerdings auf Lösungen, die in Wirklichkeit keine sind. Hiermit meine ich die in letzter Zeit häufiger diskutierten Methadonprogramme. Sie wären letztlich, meine Damen und Herren, ein Verzicht auf jedwede Therapie Drogenabhängiger und stehen in einem inneren Wider18388 spruch zu dem, was dieses Gesetz mit dem Prinzip der Verknüpfung von Therapie und Strafe will. ({1}) Man kann nicht die Motivierung zur Therapie gesetzlich vorgeben, was wir ja hier tun wollen, und gleichzeitig den völligen Therapieverzicht akzeptieren, wie es solche Programme tun, abgesehen von all den Problemen, die mit ihnen sonst verbunden sind. Methadoneinsatz als Ersatz für Drogentherapie wäre ein Ausdruck unserer Resignation und unvereinbar mit dem im Betäubungsmittelgesetz verankerten sozial- und gesundheitspolitischen Ansatz von Therapie statt Strafvollzug. Ich freue mich, daß in wirklich kurzer Zeit der Entwurf verabschiedungsreif geworden ist und daß dem Plenum nun ein Gesetzeswerk vorliegt, das teilweise sehr schwierige rechtliche Probleme regelt. Dafür möchte ich den Mitgliedern der beratenden Ausschüsse und den angehörten Experten aus Wirtschaft und Praxis ausdrücklich danken. Bis zum Schluß haben sich die Arbeiten an dem Gesetz recht schwierig gestaltet. Es galt ein ausgewogenes Verhältnis z. B. zwischen Therapie einerseits und Strafe andererseits zu finden, und es galt Regelungen zu entwicklen, die dem schwierigen Täterbild eines drogenabhängigen Straftäters, besonders des Jugendlichen, gerecht werden. Auf Grund insbesondere der wertvollen Hinweise und Erkenntnisse aus dem Expertenhearing vor dem federführenden Ausschuß führten die intensiven Bemühungen der beteiligten Ressorts schließlich doch zu weitgehender Übereinstimmung in den Fraktionen über einen vertretbaren Vorrang der Therapie vor Strafe. Um so enttäuschender ist es heute für mich, daß wir noch einen fünf Punkte umfassenden Antrag der CDU/CSU zur Kenntnis nehmen müssen, der Verschärfungen wiederbringt, die in den Diskussionen schon ausgeräumt schienen. Der Bundesjustizminister verdient besondere Anerkennung für seine Bemühungen um die im Siebenten Abschnitt der Vorlage enthaltenen Lösungen: Zurückstellung der Strafvollstreckung zugunsten von Therapiemaßnahmen und Anrechnung zurückgelegter Therapiezeiten unter Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung sowie schließlich die Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, mit Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung unter therapiebedingten Voraussetzungen abzusehen. Zur Lösung solch schwieriger Fragen gehören Mut und Engagement. Die schmerzlichen Erfahrungen und die alarmierenden Zahlen der jüngsten Zeit verlangen das von uns allen in Legislative und Exekutive. Es ist aber wichtig, zu erkennen, daß wir wirklich neue Konzepte brauchen und nicht an konservativen Denkmustern festgemachte Arabesken. Deswegen bedaure' ich einige sehr wesentliche Änderungen, die Sie in Ihrem Antrag wieder begehren. ({2}) Der Gesetzentwurf entspricht in der vorliegenden Fassung dem Ersuchen, das der Deutsche Bundestag am 1. Juli 1976 anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes über psychotrophe Stoffe an die Bundesregierung gerichtet hat. Im Siebenten Abschnitt über betäubungsmittelabhängige Straftäter haben wir - ich sagte es eben - sowohl in sozialtherapeutischer als auch in rechtlicher Hinsicht Neuland betreten. Wir werden in den kommenden Jahren praktische Erfahrungen zu sammeln haben, die es uns ermöglichen, zu beurteilen, ob die eine oder andere Regelung noch verbessert werden muß, noch verbessert kann - für die kleinen und mittleren Straftäter, um die es uns ja hier ging. Wichtig und vordringlich ist zur Zeit jedoch, daß das System des, so glauben wir, ausgewogenen Zusammenspiels zwischen Therapie und Strafe, zwischen strafrechtlichen und sozialtherapeutischen Instrumenten anläuft und Fuß fast. Als Gesundheitsminister setze ich besondere Erwartungen in eine auf Grund der vorgesehenen Regelungen gesteigerte Therapiebereitschaft der drogenabhängigen Straftäter. Diese Bereitschaft von zur Zeit etwa 5 % beleuchtet die besondere Tragik des Drogenproblems und den Grad der Lösungsschwierigkeiten. Deshalb messe ich im Gegensatz zur Oppostiton dem § 31 c eine wesentliche Rolle zu, weil er den notwendigen Initialgang zur Weckung der Therapiebereitschaft geben soll, bevor eben der Süchtige vom Strafmakel erfaßt ist. Was nützt es, wenn wir in unseren Modelleinrichtungen beweisen, daß die Therapie Erfolge hat, daß ein Drittel der dortigen Patienten Erfolge haben und trocken bleiben, wenn wir nicht gleichzeitig etwas tun, was Strafangst und Fatalismus zu bekämpfen in der Lage ist, um mehr Menschen wirklich zu helfen. Es ging uns auch um die Komprimierung eines über 50 Jahre alten, daher vorkonstitutionellen Rechtsstoffs von bisher einen Gesetz und 16 Durchführungsverordnungen zu einem modernen Gesetz mit künftig vier Durchführungsverordnungen, um eine Strafverschärfung für die schwere Rauschgiftkriminalität, um den verstärkten Schutz für die Jugend und um die schon erwähnte Verbesserung auch der therapeutischen Maßnahmen für kleinere Straftäter. Im Verlauf der Ausschußberatungen haben einige Punkte eine besondere Rolle gespielt: Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen harten und weichen Drogen. Die gesundheitlichen Risiken des Cannabis-Mißbrauchs sind von der Wissenschaft auch im Expertenhearing vor dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit immer wieder betont worden. Auch eine Ersetzung des bisher bewährten Rechtsbegriffs der „geringen" bzw. der „nicht geringen" Menge durch den Begriff „Verbrauchseinheit" wurde aus sachlichen und rechtstechnischen Gründen verzichtet, da die geringe Menge inzwischen schon durch die Rechtsprechung hinlänglich umschrieben ist. Von einer strafverschärfenden Herausstellung des Heroins vor allen anderen Betäubungsmitteln haben wir abgesehen, um keinen Anlaß zu bieten, daß die Drogenszene auf andere Betäubungsmittel gelenkt wird, wodurch nichts gebessert wäre. ' Der federführende Ausschuß hat die vorgeschlagene Einführung der lebenslangen Freiheitsstrafe für Rädelsführer und Hintermänner - ({3}) - Nun warten Sie doch den Satz ab! Der federführende Ausschuß hat die vorgeschlagene Einführung der lebenslangen Freiheitsstrafe für Rädelsführer und Hintermänner von kriminellen Vereinigungen und für aus Gewinnsucht handelnde Täter nicht übernommen. ({4}) - Der Satz war kürzer als mancher Satz von Ihnen, Herr Hasinger. Daß lebenslange Freiheitsstrafe nicht eingeführt wird, ist schon deshalb positiv zu bewerten, weil sie Prinzipien des Gesetzentwurfs zuwiderliefe. Das hätte nämlich zur hinreichenden Begründung des hohen Strafmaßes gewissermaßen durch die Hintertür die Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen erfordert, außerdem noch die Einführung eines dritten Mengenbegriffs. Beim Komplex der Strafvorschriften begrüße ich ausdrücklich, daß es im Gesetzentwurf bei der im § 28 des Regierungsentwurfs ausgeworfenen Höchststrafe von drei Jahren geblieben ist. Dies wird allerdings heute durch den Antrag der CDU/ CSU wieder in Frage gestellt. Ich halte das für unvertretbar. Die im Oppositionsentwurf schon früher vorgesehene Führungsaufsicht wurde mangels ausreichender Erfahrung mit diesen Instrument nicht übernommen. Aber nun verlangt der Antrag der CDU/ CSU doch wieder einen Vermerk im Führungszeugnis, der der Rehabilitation hinderlich und dem sozialtherapeutischen Ansatz des Gesetzes abträglich ist. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten in den Ländern, eine ausreichende Zahl von Therapieplätzen zur Verfügung zu stellen, die eine reibungslose Durchführung der Vorschriften des neuen Gesetzes gewährleisten, erscheint es nach Auffassung aller Beteiligten sinnvoll und zweckmäßig, den Zeitpunkt des Inkrafttretens um ein halbes Jahr hinauszuschieben. Ich hoffe, daß bis dahin die Bemühungen der Länder zur Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Betten in qualifizierten Einrichtungen Erfolge haben. Wir brauchen diese Plätze dringend. Aber, Herr Kroll-Schlüter, die Bundesregierung und der Bund können die Struktur dieser Einrichtungen nicht bestimmen. Wir können nicht das holländische System imitieren. Die Struktur hängt davon ab, wie die Länder das regeln. Wir wissen aber, daß die Länder bei der Vermehrung der Therapieplätze vor einer schwierigen Aufgabe stehen. Wir begrüßen es deshalb, daß der federführende Ausschuß dieses Thema in seinem Entschließungsentwurf angesprochen hat. Der Bund kann den Ländern bei dieser Aufgabe nur im Rahmen von Modellprogrammen helfen. An dieser Stelle appelliere ich nicht zuletzt an die Mehrheit der Länder, an die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-Länder, noch einmal, das großzügige Angebot der Bundesregierung anzunehmen und die Patienten nicht länger warten zu lassen. ({5}) Der Bundesminister der Finanzen hat mir zugesagt, die durch Erlaß den Finanzbehörden gewährte Möglichkeit, bei verurteilten Drogenabhängigen aus Billigkeitsgründen von der Erhebung von Abgaben abzusehen, auch gemeinschaftsrechtlich im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft anzustreben. ({6}) - Ja, das ist auch wichtig. Dadurch wird der Kreis der flankierenden Maßnahmen verbessert Last not least, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Liste der Betäubungsmittel in der Anlage III zum Entwurf. Es ist gut, daß der federführende Ausschuß trotz seiner Belastung noch die Zeit fand, die betroffenen Verbände der Ärzte, Apotheker und der pharmazeutischen Industrie anzuhören. Dadurch konnte der Entwurf auch in diesem Punkt einvernehmlich sehr verbessert werden. Ich muß aber an dieser Stelle darauf hinweisen, daß ich Ihre Bemerkungen über das Bundesgesundheitsamt zurückweisen muß, Herr Eimer. In meiner Rede anläßlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs habe ich darauf hingewiesen, daß nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern alle Staaten, daß unsere Bundesländer, der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung angesichts der besonders schwierigen Drogensituation aufgefordert sind, die Probleme energischer anzupacken. ({7}) Auch international kann und muß die Bundesrepublik Deutschland einen wichtigen Beitrag leisten. In der Suchtstoff-Kommission der Vereinten Nationen stellen wir zur Zeit mit einem Vertreter des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit den Vorsitzenden. Dies kann uns international nützen, denn wir sind jetzt in der Lage, unsere Vorstellungen dort nachhaltig einzubringen und zu vertreten. Über die nationalen und internationalen repressiven Maßnahmen werden ja hier noch Kollegen sprechen. Ich denke, dies ist ein sehr wichtiger Bereich. Ich vernachlässige ihn hier nur deswegen, weil er nicht speziell mein Bereich ist. In der Bundesrepublik Deutschland haben wir nun einen Katalog aufeinander abgestimmter Maßnahmen durchzuführen, der von den Drogenprogrammen der Kommunen, die es ja jetzt glücklicherweise schon öfter gibt, und denen der Länder bis zum Aktionsprogramm der Bundesregierung von 1980 reicht. Das vorliegende Gesetz ist im Rahmen unserer Bemühungen bei der Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs eine neue, außerordentlich wichtige Rechtsgrundlage dafür. Ich wünsche mir, daß die Abgeordneten des Deutschen Bundestages für den Entwurf mit jener Geschlossenheit stimmen, die die Beratungen in den Ausschüssen ausgezeichnet hat Ich wollte mich wie gestern beim Chemikaliengesetz hier ausdrücklich für die Einmütigkeit bedanken, mit der wir dieses Gesetz zu verabschieden schienen. Auf das Gesetz warten viele Bürger, namentlich die Eltern - alle Eltern, Herr Kroll-Schlüter, insbesondere die Eltern der Betroffenen. Es muß verabschiedet werden, und zwar bald. Zwar gab es bei bestimmten Einzelfragen in den vorbereitenden Ausschußarbeiten Gegenpositionen. Aber bei der Endabstimmung im federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit schienen ja die Bedenken doch zurückgestellt zu sein. Nun gibt es in einigen wesentlichen Punkten keine Einigkeit und damit auch Sorge, daß das meiner Ansicht nach unaufschiebbare Betäubungsmittelgesetz im letzten Augenblick steckenbleiben könnte. Das wäre nicht zu verantworten. Ich appelliere deshalb an die Abgeordneten der Opposition, dieser Fassung zuzustimmen und sich ihrer Verantwortung bewußt zu sein damit wir nicht anläßlich Großer Anfragen jedesmal über das Thema nur reden. ({8}) Unsere Hoffnungen ruhen auf einem Maßnahmenbündel, das Entwicklungshilfe und Polizeieinsatz, auch Strafen umfaßt, aber schließlich auch ein Stück menschliches Verständnis für abhängig gewordene junge Menschen, denen Strafe nicht Hilfe ist. Wenn dieses Stück fehlt - Sie möchten durch Ihren Antrag, daß es geschmälert wird -, wird das Gesetz, daß am 1. Juli 1981 in Kraft treten soll, ein wesentliches Stück vermissen lassen, auch ein wesentliches Stück Wirksamkeit Bitte stimmen Sie alle dem Gesetz in der vorliegenden Fassung zu. Es war ein großer Erfolg, daß wir das noch bis heute geschafft haben. Bitte lassen Sie uns dieses wichtige Gesetz nicht ganz zum Schluß noch verzögern. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pinger.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Gesetz zustimmen, aber versuchen, in der zweiten Lesung einige Verbesserungen herbeizuführen. Dem dienen die fünf von uns gestellten Anträge. Unser gemeinsames Ziel ist es, mit diesem Gesetz erstens eine wirksamere Bekämpfung des Drogenmißbrauchs und der Drogenkriminalität und zweitens eine angemessenere Bestrafung jener Täter, die selber abhängig sind, zu erreichen. Was die wirksamere Bekämpfung der Drogenkriminalität angeht, sind wir der Auffassung, daß nicht nur in besonders schweren Fällen das Strafmaß von zehn auf fünfzehn Jahre erhöht werden muß, sondern daß auch im Grundtatbestand dementsprechend eine Erhöhung des Strafmaßes. auf fünf Jahre erforderlich ist Damit würde keine Veränderung des Tatbestands erfolgen, sondern nur der Tatsache Rechnung getragen, daß wir es zu der Zeit, als der Strafrahmen in das Gesetz aufgenommen wurde, praktisch nur mit den sogenannten weichen Drogen zu tun hatten, während sich die Situation heute völlig geändert hat. Dementsprechend soll der Strafrahmen in schweren Fällen auf fünfzehn Jahre erweitert werden. Hier ist der Vorwurf gemacht worden, wir sähen eine inhaltliche Änderung des Grundtatbestands vor. Das ist absolut falsch. Es ließe sich durch die Klarstellung der gesetzgeberischen Intention auch erreichen, daß die Gerichte in der Praxis nur in den Fällen, für die diese Erhöhung gedacht ist, den oberen Teil des Strafrahmens. ausschöpfen. Hier wird also mit dem pauschalen, polemischen Vorwurf, das sei eine konservative Arabeske - so ungefähr hat sich die Ministerin ausgedrückt -, ein sachlich völlig falscher Eindruck erweckt Das gleiche gilt für den zweiten Antrag: Wir fordern, daß die Bestimmung im Gesetz bleibt, die von der Bundesregierung ursprünglich hineingeschrieben worden ist, nämlich Nr. 11 des § 28 Abs. 1: Verbot des Verherrlichen des Drogenmißbrauchs. Wir sind der Meinung, daß eine solche Bestimmung unerläßlich ist, daß derjenige, der durch das Verherrlichen des Drogenmißbrauchs insbesondere Jugendliche - aber nicht nur diese -- zur Drogensucht führt, ein strafbares Unrecht begeht und daß demgemäß auch eine Strafvorschrift notwendig ist. Wenn dem entgegengehalten wird, das Gesetz zur Bekämpfung jugendgefährdender Schriften könne dasselbe leisten, so ist das einfach falsch. Dieses Gesetz knüpft an den Begriff der Sittlichkeit an, während es hier um Gesundheitsgefährdung und Gesundheitsschädigung geht; das ist das eine. Das zweite ist, daß Schriften dieser Art, die unter das Gesetz zur Bekämpfung jugendgefährdender Schriften fallen, durchaus an Erwachsene herausgegeben werden können, kursieren können und so dann auch in die Hände von Jugendlichen gelangen können. Wir sind also unbedingt der Meinung, daß es einer solchen Vorschrift bedarf. ({0}) Ich komme zu den anderen drei Änderungsanträgen. Auch da darf man es sich nicht so einfach machen , wie die Frau Ministerin das hier soeben getan hat Wir stimmen zu, daß in dieses Gesetz eine Bestimmung neu aufgenommen werden muß, die es weder im Regierungsentwurf noch im CDU/CSU-Entwurf gab, eine Bestimmung, die das Ergebnis des Hearings und dann der Beratungen in den Ausschüssen war, jene Vorschrift nämlich, die die Strafaussetzung zur Bewährung zwecks Verzahnung des Strafrechts mit der Therapie speziell regelt Sie besagt: Die Strafe desjenigen, der sich in Therapie begibt, kommt nicht zum Vollzug, und wenn die Therapie erfolgreich durchgeführt wird, wird die Zeit dafür auch auf die Strafe angerechnet So weit, so gut Das bejahen wir, das ist eine sinnvolle Regelung, weil wir nur dadurch den Teufelskreis durchbrechen können, der in Drogenkriminalität des selbst DroDr. Pinger genabhängigen, Bestrafung, Strafvollzug und erneuter Straffälligkeit besteht. Aus diesem Teufelskreis müssen wir in der Tat heraus. Dazu gehört dann aber auch eine Klarstellung, wie sie vom Kollegen Kroll-Schlüter hier erfreulicherweise schon erfolgt ist, daß nämlich mit einigen irreführenden Formeln und Irrlehren aufgeräumt werden muß. Die Formel „Therapie statt Strafe" ist in dieser Verkürzung falsch. Sie ist irreführend deshalb, weil sie den Eindruck erweckt, als habe das Strafrecht hier keine Funktion und keinen Sinn. Wer - wenn auch drogenabhängig - z. B. Eigentumsdelikte begeht, begeht in aller Regel zurechnungsfähig kriminelle Straftaten und ist zu bestrafen, es sei denn, daß er uns, indem er sich in die Therapie begibt, hilft, ihn aus dem Teufelskreis herauszuführen. Gerade da kann die Strafandrohung ein wirksames, vielleicht sogar - fast stets - das einzige Mittel sein, um zur Therapie zu kommen. ({1}) Da setzt die zweite Irrlehre an, nämlich die, Therapie sei nur bei freiwilligem Entschluß zur Therapie erfolgreich, die dann auch durchgehalten werde. ({2}) Die Freiwilligkeit muß das Ziel der Therapie sein, sie kann nicht am Anfang stehen. Das haben die Fachleute im Hearing, ({3}) die etwas davon verstehen, alle so bekundet. Gerade unter dem Eindruck dieser Aussagen ist ja dann auch die Neuregelung in den Entwurf aufgenommen worden. Der Drogenabhängige wählt das kleinere Übel. Das größere Übel ist zunächst einmal die Therapie, die harte Therapie. Er wird die Therapie als das kleinere Mel, wie wir hoffen, dann wählen, wenn die Alternative in der Vollstreckung einer verhängten Strafe besteht. Eine weitere Irrlehre ist - auch davon ist gesprochen worden -, daß der Drogenabhängige durch eine Ersatzdroge, z. B. durch Methadon, aus seiner Sucht herausgeführt werden könne. Die Fachleute haben uns die Erfahrungen darüber aus den USA mitgeteilt und den eindeutigen Mißerfolg im einzelnen dargelegt. Bei der grundsätzlichen Bejahung der Neuregelung haben wir Bedenken gegen die Bestimmungen der §§ 31b und 31 c. Das hat folgende Gründe. Wenn der Versuch einer Therapie, der sehr bald wieder abgebrochen wird, auf jeden Fall auf die Strafe angerechnet wird, dann werden wir, wie wir befürchten, in den Therapieeinrichtungen drogenabhängige Täter haben, die nicht zu einem festen Entschluß gekommen sind, die scheinmotiviert sind, die sich jedenfalls zunächst einmal in die Therapie begeben, weil sie sagen: Das wird ja ohnehin auf die Strafe angerechnet. Wir sind der Meinung - deshalb haben wir den Änderungsantrag unter Ziffer 3 gestellt -, daß jemand zumindest eine geraume Zeit in der Therapie gewesen sein muß, bevor eine Anrechnung erfolgt. Wir haben in unserem Antrag ein Jahr zugrunde gelegt. Über die Zeit könnte man sich streiten. Mit diesem Änderungsantrag wollen wir gerade das verstärken, was in der Intention steht: Bei er- folgreicher Therapie bedarf es keiner Bestrafung. Das gilt aber ében nur für die erfolgreiche Therapie, nicht für die einmal versuchte und dann abgebrochene Therapie. Noch größere Bedenken haben wir gegen das Absehen von Strafverfolgung eines drogenabhängigen Täters. Wenn er sich zunächst einmal in die Therapie begibt, besteht die Gefahr, daß er sie abbricht Erst danach setzt die Strafverfolgung ein, Unter den drogenabhängigen Tätern spricht sich dann herum, daß eine effektive Strafverfolgung wegen der Verzögerung nicht mehr möglich ist; mit anderen Worten: durch eine eingeleitete Therapie kann man sich der Bestrafung überhaupt entziehen, und zwar nicht durch die erfolgreiche, sondern durch die einmal begonnene Therapie. Damit vereiteln wir genau das, was wir an sich erreichen wollen. Mit unseren Änderungsanträgen wollen wir also sicherstellen, daß Therapie statt Strafvollzug stattfindet Wir wollen verhindern, daß eine Scheinmotivation herbeigeführt und dadurch Mißbrauch getrieben wird. Die Motivation, die wir für die Therapie brauchen, darf nicht durch den Strafdruck entstehen. Wir halten die Nichteintragung im Bundeszentralregister für bedenklich, weil sie auch den drogenabhängigen Täter selbst in Situationen hineinführen kann, vor denen wir ihn bewahren sollten. Er könnte sich nämlich, wenn seine Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist, eine Arbeitsstelle, z. B. in einer Apotheke, in einer Pharmagroßhandlung, in einem Krankenhaus oder bei einem Arzt suchen, und keiner der in diesen Einrichtungen verantwortlich Tätigen könnte sich vergewissern, ob es sich um einen Drogenabhängigen handelt oder nicht Das heißt, wir gefährden, indem wir diese Möglichkeiten eröffnen, auch den Abhängigen selber. Deshalb sind wir der Meinung, daß ein Absehen von der Eintragung ins Straftregister hier nicht die angemessene Lösung ist Ich komme zum Schluß. Wir wollen eine konsequentere Regelung im Gesetz. Dem dient die Erhöhung des Strafrahmens im Grundtatbestand von drei auf fünf Jahre; dem dient das Wiedereinfügen der Bestimmung betreffend Verherrlichung von Drogenmißbrauch; dem dienen diejenigen Anträge, die bezwecken sollen, daß nur die ernsthaft durchgeführte, erfolgreiche Therapie dazu führt, daß ein Strafvollzug nicht stattfindet. Dadurch bekommen wir den Motivationsdruck, der uns die erfolgreiche Therapie ermöglicht - Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre jetzt ausgesprochen reizvoll, ein wenig über die doch recht beschränkten Möglichkeiten, durch Strafrechtsbestimmungen die Welt wesentlich zu verbessern, zu philosophieren. Es wäre reizvoll, über die sittenbildende Kraft des Strafrechts oder über die Frage, ob und wieweit es eine solche gibt, zu philosophieren. Es könnte einen auch reizen, eine Strafzweckdiskussion unter besonderer Berücksichtigung der Tatsache zu beginnen, daß Abschreckung gegenüber süchtigen Personen, die in ihrer Willensfreiheit besonders stark eingeschränkt sind, nun einmal weniger oder manchmal auch kaum möglich ist. Aber für solche Themen haben wir heute nicht genug Zeit. Deshalb ist es richtig, wenn wir, gerade beim strafrechtlichen Teil dieses Gesetzes, unsere Zielsetzung auf die Frage beschränken: Was für Vorschriften können wir schaffen, die die Rehabilitation Drogenabhängiger erleichtern und sie nicht erschweren? Wenn ich „Rehabilitation" sage, meine ich das, was in dieser Debatte auch als Therapie bezeichnet worden ist. Ich ziehe hier das Wort „Rehabilitation" schon deshalb vor, weil man bei Therapie immer an die ärztliche Therapie denkt, die Therapie Drogenabhängiger aber beileibe nicht in erster Linie ein medizinisches Problem ist. ({0}) Wenn vorher gesagt wurde, man könne sich nun mit dem Wort „Therapie statt Strafe" kräftig auseinandersetzen, bitte ich, zu beachten, daß Frau Minister Huber in ihrer Rede - und ich stimme dem voll zu - „Therapie statt Strafvollzug" gesagt hat. ({1}) Angesichts der beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten, die ein aus drei Wörtern bestehendes Schlagwort nun einmal hat, kann man sagen: Das trifft - darüber können wir uns einig sein - das Problem auf jeden Fall genauer. Wir haben versucht, in dieses Gesetz rehabilitationserleichternde Vorschriften hineinzubringen, aber nicht alle denkbaren, sondern nur die, bei denen das zeitlich und arbeitsmäßig möglich war und bei denen eine gewisse gute Aussicht bestand, daß dies bei einem zustimmungspflichtigen Gesetz nicht nur die Zustimmung des Bundestages, sondern auch die des Bundesrates finden würde. Dem nächsten Bundestag bleibt auf jeden Fall noch genug zu tun übrig; denken Sie etwa an die Problematik der Strafaussetzung zur Bewährung und der Sozialprognose, die nötig ist, wenn Strafaussetzung zur Bewährung gewährt wird. Übrig bleibt auch die Diskussion von Problemkreisen wie etwa dem, den der Kollege Eimer mit der vielleicht etwas mitverständlichen Bezeichnung „Zeugnisverweigerungsrecht für Drogenberater" angesprochen hat. Ich erwähne das, weil ich meine, das sei weniger eine Frage der Gesetzgebung als eine Frage der Gesetzesanwendung. Vor weniger als 24 Stunden erhielt ich die Mitteilung eines Drogenberaters, jemand sei zu ihm in die Beratungsstelle gekommen und habe 50 g Haschisch auf den Tisch gelegt. Die habe er, der Drogenberater, an die Polizei weitergegeben, und er frage sich, was er jetzt machen solle, denn es sehe so aus, daß er danach gefragt werde, wer ihm denn die 50 g Haschisch übergeben habe und ob die übergebende Person vielleicht etwas dazu gesagt habe, woher sie diese 50 g Haschisch habe, wo sie sie gefunden habe und wer wohl der ursprüngliche Haschischbesitzer gewesen sei. Das Problem ist vor Polizei und Staatsanwaltschaft auf Grund des geltenden Rechts lösbar. Ich bin der Meinung, so etwas muß in der Rechtsanwendung richtig gelöst werden, damit wir nicht die Schwierigkeiten bekommen, die wir erfreulicherweise seit der Panne bei der Durchsuchung der Drogenberatungsstelle in Aachen vor Jahren nicht mehr gehabt haben. Der Änderungsantrag der Opposition gibt Gelegenheit zu einer klärenden Diskussion und Argumentation - mit einer gewissen Hoffnung, die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion dazu zu bringen, vielleicht auch unseren Argumenten bei der Abstimmung Rechnung zu tragen. Auch mit Blick auf den Rechtsausschuß und das Plenum des Bundesrates hätte ich mir gerade bei einem Gesetz, bei dem im ganzen Drogenbereich die Zuständigkeit und Verantwortung der Länder so groß ist, eigentlich gewünscht, daß die Bundesratsbank noch besser besetzt gewesen wäre, als sie es im Augenblick ist. ({2}) Im ersten Teil des Änderungsantrages wird vorgeschlagen, beim Grundtatbestand des § 28 Abs. 1 die Höchststrafe auf fünf Jahre zu erhöhen. Nun muß man dazu sagen, dieser Grundtatbestand ist sozusagen das Erdgeschoß. Darüber kommt der erste Stock der schweren Fälle des § 28 Abs. 3 - Regelmindeststrafe ein Jahr, Höchststrafe 15 Jahre -, und über diesem ersten Stock kommt noch der zweite Stock der Verbrechenstatbestände des § 29 mit einem Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren. Jede gewerbsmäßige Handlung fällt schon unter die schweren Fälle des § 28 Abs. 3. Darunter fällt auch jede Gefährdung mehrerer Menschen durch Drogenhandel und jede Überlassung von Betäubungsmitteln durch Erwachsene an Jugendliche, in den beiden letzten Fällen auch dann, wenn es nicht gewerbsmäßig geschieht. Mehr als ein Viertel der Strafhandlungen wegen Zuwiderhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz betreffen diese schweren Fälle, weil der oder die Angeklagte sich hat nachweisen lassen müssen, im Besitz einer nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln gewesen zu sein. Das heißt, man muß die Decke im Erdgeschoß gar nicht erhöhen, wenn man den ersten und den zweiten Stock hat. Diese Strafbestimmungen betreffend den Grundtatbestand sind für Verbraucher, nicht für Händler gedacht. Es ist nirgendwo, auch nicht im Hearing, aus der gerichtlichen Alltagspraxis heraus Klage geführt worden, daß die Höchststrafe beim Grundtatbestand nicht ausreichen würde. Wenn wir die Höchststrafe auf fünf Jahre erhöhen, hätten wir die gleiche Höchststrafe wie bei der schweren Körperverletzung, bei der jemand durch die Körperverletzung blind wird, das Gehör verliert usw. Das wäre zuviel. Wenn wir Ziffer 1 Ihres Änderungsantrages annähmen, wäre die Folge, daß diejenigen, die von den Gerichten eine Strafe von fünf Jahren erhalten, diese auch künftig erhalten würden, aber auf Grund von § 28 Abs. 3 oder § 29. Die ungewollte Folge wäre aber, daß die Höhe der Strafen gegen Drogenabhängige ansteigen würde, und das wäre nicht rehabilitationsfördernd. ({3}) Zu Ziffer 2 Ihres Änderungsantrages fordern Sie einen Straftatbestand der Verherrlichung des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat - nachzulesen in einem der letzten Bundesanzeiger - schon einige Schriften auf die Liste der jugendgefährdenden Schriften gesetzt. Es sind Rechtsmittel dagegen ergriffen worden; die Sache ist zum Teil noch bei den Verwaltungsgerichten anhängig. Man sollte den Erfolg abwarten und prüfen, welche Auswirkungen diese Indizierungen auf den Markt haben. Denn wenn eine Schrift für jugendgefährdend erklärt worden ist, darf sie nicht mehr ins Schaufenster gestellt werden, es darf nicht mehr durch Prospekte oder Zeitungsanzeigen für sie geworben werden, sie darf auch nicht auf einem Verkaufstisch auf einem Rock-Festival für Jugendliche sichtbar öffentlich ausgestellt werden. Damit wird im allgemeinen der Zustand erreicht, daß der Verleger sagt: Jetzt rentiert es sich nicht mehr. Das ist der Grund dafür, daß dieses Gesetz durchaus seine Wirkung hat. ({4}) - Herr Kroll-Schlüter, ich wollte gerade einen Satz zu Ihnen sagen. Man braucht nämlich nicht das Bundeskriminalamt, nicht einmal die Polizei, wenn das Jugendamt in der Lage ist, den Antrag zu stellen, daß eine den Mißbrauch von Rauschmitteln verherrlichende Schrift auf die Liste der jugendgefährdenden Schriften kommt. Auf diesem Wege kommen wir klar. ({5}) Zumindest sollten wir die Erfahrungen abwarten und dann entscheiden. Das können wir nicht mehr in dieser Legislaturperiode tun.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. Was halten Sie denn von einem Vorschlag der Bundesregierung, die Tabakwerbung einzuschränken und diesen Tatbestand nicht unter Strafe zu stellen?

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich als alter Geschäftsordnungslöwe weiß, daß wir die hochinteressante Antwort auf diese Frage auf meine Redezeit angerechnet würde, erlaube ich mir, den Vorschlag zu machen, mit Ihnen darüber nachher bei einer Tasse Kaffe, vielleicht auch bei einer Zigarette meinerseits, zu diskutieren. Lassen Sie mich deshalb in der Sache fortfahren. Wenn wir eine Diskussion mit open end hätten, würde ich mit Ihnen sehr gern darüber philosophieren, Herr Kollege Kroll-Schlüter. Nehmen Sie mir das bitte nicht übel! Der Änderungsantrag der Opposition unter Ziffer 3 geht dahin, daß die in Rehabilitationseinrichtungen verbrachte Zeit auf die Dauer der Strafe angerechnet werden kann, aber nicht angerechnet werden muß. Hier muß ich zunächst einmal klarstellen, daß nur der Aufenthalt in Einrichtungen angerechnet werden muß, in der die freie Gestaltung der Lebensführung des früher abhängig Gewesenen erheblichen Beschränkungen unterliegt, mit anderen Worten: wenn der Aufenthalt in der Einrichtung so wenig ein Honigschlecken ist wie der Vollzug einer Strafe oder Maßregel. Ansonsten ist es eine KannVorschrift, nach der der Aufenthalt angerechnet werden kann, wenn sich jemand z. B. in eine Wohngemeinschaft, die den genannten Voraussetzungen nicht entspricht, begibt, um dort von seiner Heroinabhängigkeit loszukommen. Wir müssen hier noch etwas anderes ins Auge fassen. § 64 des Strafgesetzbuches sieht vor, daß z. B. bei einem Alkoholsüchtigen, wenn eine Verurteilung zu Strafe und Maßregel erfolgt, die Dauer der Maßregel, also der Entziehung, auf die Strafe angerechnet werden muß. Nun bin ich nicht der Meinung, daß für Alkoholabhängige und für Drogenabhängige von Rechts wegen und wegen des Gleichheitsgrundsatzes alles gleich gemacht werden muß. Wer aber eine unterschiedliche Handhabung vorschlägt, muß mir dies begründen, und das ist bis jetzt noch nicht geschehen. Oder ist Alkoholsucht schwerer, schränkt Alkoholsucht die Willensfreiheit stärker als Heroinabhängigkeit ein, so daß man deshalb den Auf enthalt in einer Rehabilitationseinrichtung bei Alkoholsüchtigen anrechnen muß, weil er überhaupt nicht mehr willensfrei ist, ihn bei Heroinabhängigen, wie Sie es vorschlagen, aber nur anrechnen kann? Nein, das wäre falsch. Die Abhängigkeit, die Einschränkung der Willensfreiheit ist bei Heroinabhängigen weit größer als bei Alkoholabhängigen. Ich meine, man sollte hier Vertrauen in die Richter haben, daß sie § 31 b Abs. 1 in den richtigen Fällen anwenden. Nun habe ich für mich persönlich noch ein entscheidendes Moment. Ein Heroinabhängiger wägt ab, was ihn mehr Zeit kostet. Wenn wir Ihrem Antrag folgen, Herr Kollege Pinger, dann könnte es sein, daß er sagt: Gehe ich nicht in Rehabilitation, habe ich noch ein Jahr Knast Das wird sicher angerechnet. Gehe ich in Rehabilitation, weiß ich noch nicht, ob es angerechnet wird. Zu dem Antrag auf Streichung des § 31 c kann ich nur eines sagen. Hier dreht es sich nicht um Fälle, in denen jemand verbal verspricht, in Therapie gehen zu wollen, sondern um solche, in denen jemand bereits in Therapie ist. Hier sollte keine Bestimmung beschlossen werden, nach der dann die Therapie unterbrochen werden kann. Man kann hierzu bloß sagen: Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln, ist noch nie eine vernünftige Handlungsweise gewesen. § 31 c ist in diesen Fällen auch motivationsfördernd. Warum? Weil nämlich ein Drogenberater, auch ein Rechtsanwalt einem jungen Menschen sa18394 gen kann: Die Polizei hat dich bis jetzt noch nicht erwischt. Aber das Netz zieht sich über dir zusammen. Demnächst wirst du erwischt Mach doch Vorwärtsverteidigung. Geh freiwillig in Therapie! Wenn dann herauskommt, daß du mit Heroin zu tun gehabt hast, dann kann man sagen: Liebe Polizei, den braucht man nicht mehr zur Hauptverhandlung zu schleifen. Der ist bereits auf dem richtigen Wege der Therapie. - Meine Damen und Herren, erhalten Sie bitte diese goldene Brücke.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, ihre Redezeit ist um. Ich bitte Sie, langsam zum Schluß zu kommen.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin auch bereits beim letzten Änderungsantrag zum Ausschußvorschlag zu Art. 2, der beinhaltet, unter bestimmten Umständen Taten von Drogenabhängigen, wie es der Regierungsentwurf vorschlägt, nicht im Führungszeugnis unterzubringen. Sie sagen, das soll nicht geschehen. Bis jetzt wird nach § 30 Abs. 2 des Zentralregistergesetzes verfahren. Nicht ins Führungszeugnis kommt eine Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt ist, wenn die Bewährung nicht widerrufen worden ist Wenn Ihr Antrag durchkommt, geschieht folgendes. Wenn heute jemand zu 15 Monaten Jugendstrafe auf Bewährung mit Therapieauflage verurteilt wird und er diese Therapie durchsteht, steht nichts im Führungszeugnis. Wenn jemand einen Tag nach Inkrafttreten des Gesetzes zu 15 Monaten verurteilt, die Strafvollstreckung zurückgestellt wird und er die Therapie durchsteht, käme es ins Führungszeugnis, wenn Ihr Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, angenommen würde. Das einzige Gegenargument ist das mit dem Fahrer in der Pharmagroßhandlung. Aber man kann den Kreis der Auskunftsberechtigten, die das polizeiliche Führungszeugnis zu sehen bekommen, nicht beschränken. Ich freue mich - das darf ich zum Schluß sagen - ganz ausgesprochen, daß bei diesem schwierigen Gesetz und bei einem Thema, das die Öffentlichkeit so brennend interessiert, von der ersten Lesung bis heute kein Versuch gemacht worden ist, dieses Thema parteipolitisch auszumünzen. So etwas habe ich bloß bei Politikern einer ganz hohen Kategorie bei auswärtigen Wahlreden gehört Ich meine, die Beratungen zu diesem Gesetz im Bundestag waren ausgesprochen erfreulich. Dafür kann man gerade als einer, der heute vermutlich seine letzte Debattenrede im Bundestag hält, nur herzlich danken. ({0})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bei der ersten Lesung am 25. Januar dieses Jahres die dramatische Entwicklung in der Drogenszene eingehend erörtert. Damals wie auch heute hat niemand den Anspruch erhoben, im Besitz von Patentrezepten zu sein. Aber wir waren uns alle darin einig, daß es äußerster Anstrengungen bedarf, daß kein isoliertes Allheilmittel existiert, sondern daß nur die Kombination aller denkbaren Maßnahmen Erfolge verspricht Schließlich waren wir uns darin einig, daß wir auch bereit sein müssen, uns neuen Ideen zu öffnen und neue Wege zu beschreiten. Es ist vielleicht ganz gut, auf den 25. Januar zurückzublicken. Was lag uns denn damals als Beratungsgrundlage vor? Das war einmal das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs, das jetzt in die uns vorliegende umfassende Entschließung Eingang gefunden hat. Der Deutsche Bundestag macht sich damit das Aktionsprogramm der Bundesregierung zu eigen - und das ist gut so. Zum anderen lagen uns damals Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der Opposition zur Neuordnung bzw. zur Änderung des Betäubungsmittelrechts vor. Im Regierungsentwurf war damals die Neuordnung und Vereinfachung des Betäubungsmittelrechts vorgesehen, eine sehr notwendige Maßnahme. Weiter enthielt dieser Entwurf einige Vorschriften zur Neufassung der Straftatbestände mit der Erhöhung des Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe auf 15 Jahre. Dies alles, wie gesagt, höchst notwendige und wichtige Dinge, aber, wir wußten am 25. Januar, daß dies nicht alles sein könnte; denn was damals noch fehlte, war die Umsetzung unser aller Bereitschaft, neue Wege zu gehen und neue Ideen aufzugreifen. Ich meine, wir Freie Demokraten können für uns in Anspruch nehmen, daß wir wohl am nachdrücklichsten darauf gedrängt haben, daß das wegweisende Prinzip - ich nenne es jetzt einmal - „Therapie vor Strafe" umgesetzt wird und von uns in dieser Legislaturperiode noch verabschiedet werden kann. ({0}) Die strafrechtliche Strategie der zwei Wege, auf der einen Seite härtere Strafen für Rauschgiftproduzenten und -händler großen Stils und andererseits für kleine und mittlere drogenabhängige Straftäter Vorrang der Therapie vor Strafvollstreckung und Bestrafung, wurde zunehmend von allen hier im Hause vertretenen politischen Kräften vollauf für richtig gehalten. Aber die Schwierigkeit war die Umsetzung, die Formulierung. Diejenigen, die zumindest am Rande dabei mitgewirkt haben, wissen, daß dabei breite rechtspolitische und rechtliche Erörterungen notwendig waren. Dabei hat uns immer die Befürchtung begleitet, daß vielleicht die Zeit doch nicht reichen könnte und wir in dieser Legislaturperiode hängenblieben und nicht mehr mit dem, was wir insgesamt wollten, über die Runden kämen. Das jetzt vorliegende Ergebnis kann uns beruhigen. Es hat übereinstimmend in der Koalition Zustimmung und auf guten Strecken, wie wir wissen, auch die Billigung der Opposition gefunden. Das ist einmal mehr ein Beweis dafür: Wenn die Zeit drängt, die Probleme fordernd und riesig groß sind, dann ist dieses Parlament mit der Formulierungshilfe der Bundesregierung in der Lage, auch in schwierigen, einst vielleicht umstrittenen Fragen eine Einigung herbeizuführen und binnen kürzester Zeit zum Ergebnis zu kommen. Um darauf zurückzukommen: Erst jetzt - in der Fassung des Ausschusses - ist das Ergebnis wirklich befriedigend. Was uns am 25. Januar vorlag, war gut und wichtig, wäre aber insgesamt doch ohne die Sonderbestimmungen für betäubungsmittelabhängige Straftäter ein Torso gewesen. Künftig verfügt die Justiz über ein neues flexibles Instrumentarium, um bei betäubungsmittelabhängigen Tätern auch ihrerseits einen wirksameren Beitrag zur Rauschgiftbekämpfung leisten zu können. Die Therapie hat Vorrang vor der Strafvollstrekkung und gegebenenfalls auch vor der Bestrafung. Aber beide, die Strafvollstreckung und die Möglichkeit der Bestrafung, bleiben als Motivationsdruck erhalten und jederzeit einsatzbereit. Daneben haben wir ein Verfahren, das zügige Entscheidungen sowie die umgehende Umsetzung und den Vollzug dieser Entscheidungen garantieren und damit sicherstellen soll, daß der Suchtkranke möglichst nahtlos entweder in der Entziehungsanstalt behandelt wird oder aber zumindest im Strafvollzug vor der für ihn in diesem Stadium seiner Erkrankung verderblichen Freiheit geschützt wird. Die Opposition hat heute eine ganze Reihe von Änderungsanträgen vorgelegt. Ich kann auf das Bezug nehmen, was der Kollege Dürr dazu ausgeführt hat. Das fällt mir um so leichter, weil zwischen uns vollinhaltliche Übereinstimmung besteht. Wir werden Ihre Änderungsanträge ablehnen. Ich möchte lediglich ein Wort zu dem von Ihnen wieder aufgegriffenen Vorschlag sagen, die Verherrlichung des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln in einem eigenen Tatbestand unter Strafe zu stellen und damit - das ist ja Ihre Absicht - den ursprünglichen Regierungsentwurf wiederherzustellen. Wir widersetzen uns diesem Ansinnen ganz nachdrücklich. Ich habe bereits bei der ersten Lesung darauf hingewiesen, man müsse doch einmal sehen, daß eine derartige Vorschrift sehr gut aussehen mag ({1}) und nach außen durchaus eine gewisse plakative Wirkung hat, Herr Kollege Kroll-Schlüter, daß aber absehbare praktische Ergebnisse davon nicht zu erwarten sind. Ich habe damals bereits gesagt, man solle besser einmal abwarten, welche Ergebnisse die Entscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften brächten. Wir haben von Herrn Kollegen Dürr gehört, daß in den letzten Monaten bereits in mehreren Fällen Indizierungsentscheidungen ergangen sind. Das ist der eine Grund, warum wir die weitere Entwicklung abwarten müssen. Aber ich nenne Ihnen auch einen zweiten Grund. Wir sind sehr vorsichtig geworden, uns auf strafrechtliche Unternehmungen einzulassen, die völlig absehbar an der Front, dort, wo diese Bestimmung benötigt würde, schließlich überhaupt nicht zu Verurteilungen führen, aber irgendwo in der Etappe, weit ab von der Front, wo die Dinge überhaupt nicht gefragt sind und nicht hingehören, zu Mißverständnis und Verunsicherung führen. Deswegen sind die Koalitionsparteien sehr vorsichtig und lassen sich nicht so leicht auf das Glatteis führen. Wir werden vielmehr immer sehr genau zu prüfen haben, ob hier eine neue Strafbestimmung eingeführt werden soll, die wirklich verspricht, absehbar das zu leisten, was man von ihr erwarten muß. Aber ich meine - das abschließend -, wir sind uns einig, daß diese Bestimmung dieses Gesetz sicherlich nicht besser und ihr Fehlen dieses Gesetz nicht schlechter machen wird. Es kommt - das ist entscheidend - auf etwas ganz anderes an: Auf den Gesamtzusammenhang dessen, was wir heute verabschieden werden. Niemand - auch ich nicht - sagt von diesem Entwurf, er sei nun das Patentrezept. Aber daß er ein wesentliches Mittel sein wird, mit neuen Ideen und auf neuen Wegen zu Erfolgen zu kommen, hoffen wir. ({2})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Das Wort hat nun der Herr Bundesminister der Justiz.

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der ersten Lesung dieses Entwurfs am 25. Januar 1980 habe ich vor allem zwei Gedanken zu formulieren versucht und daran eine Bitte und eine Warnung geknüpft. Ich habe unterstrichen, daß wir gerade für diesen Entwurf das Zusammenwirken vieler Fachgebiete, das Zusammenwirken der Parteien und das Zusammenwirken der gesellschaftlichen Gruppen brauchen, und habe um Kooperation gebeten. Ich habe vor einer doppelten Fehleinschätzung des Strafrechts gewarnt: Zum einen vor der Einschätzung, das Strafrecht stehe vor allem einer Überwindung dieser großen Herausforderung entgegen, zum anderen aber auch vor der entgegengesetzten Fehleinschätzung, das Strafrecht sei das Wundermittel, mit dem man ein gesellschaftliches Problem lösen und gesellschaftliche Defizite ausfüllen könne. Heute, bei der zweiten und dritten Lesung, kann ich mit Dankbarkeit feststellen: Die Warnung ist gehört, der Bitte ist entsprochen worden. Die gefundene Lösung, wie sie sich uns jetzt in der vorliegenden Ausschußfassung darstellt, setzt das Mittel des Strafrechts in realistischer Weise ein, nämlich als ein Motivationsmittel: bei dem Gesunden, aber Gefährdeten als Motivation, der Gefahr zu widerstehen, bei dem skrupellosen Drogenverbrecher als Mittel der Abschreckung, bei dem Süchtigen als Motivation, sich der Therapie zu unterziehen und sich selber nach dem Maß seiner Möglichkeiten und Kräfte an der Therapie zu beteiligen. Dabei sind Übertreibungen, die zu befürchten waren, ebenso vermieden worden wie Utopien. Das war möglich, weil es bei den Ausschußberatungen zu einer, wie ich sagen darf, vorbildlichen Kooperation kam. Das Ergebnis findet gerade auch unter strafrechtlichen Aspekten in allen Punkten die Zustimmung der Bundesregierung. Das gilt nach erneuter sorgfältiger Prüfung auch in den fünf Punkten, in denen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Änderungsanträge gestellt haben. Ich darf, um die Debatte nicht über Gebühr zu verlängern, auf die Ausführungen meiner Vorredner, insbesondere des Herrn Kollegen Dürr, verweisen. Ich möchte - dies nur stichwortartig - bitten, zu überlegen, ob es wirklich eine Hilfe bedeutet, wenn der Tatverdächtige, gegen den ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, aus der Therapie zum Zwecke der Aburteilung - möglicherweise sogar mit einer zwischenzeitlichen Verhaftung - herausgenommen wird. Ich bitte noch einmal zu prüfen, ob nicht die gefundene Lösung wirklich eine fast optimale Möglichkeit bietet, auf Rückfälle rasch, flexibel und mit dem Ziel der Hilfe zu reagieren. Dabei bitte ich Sie, immer wieder deutlich vor Augen zu haben, daß der Rückfall in diesem Zusammenhang nicht das Diskriminierende an sich hat wie bei dem rückfälligen Dieb oder dem rückfälligen Räuber, sondern daß der Rückfall hier fast den Weg zur Heilung durch immer erneute Überwindung dieses Rückfalls kennzeichnet. ({0})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hasinger?

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Bitte, ja.

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Vogel, nachdem Sie gerade diesen Appell zur Gemeinsamkeit ausgesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich umgekehrt vorstellen könnten, in § 31 c eine nach meiner Meinung vorliegende Ungereimtheit, deren Ausräumung mir die Zustimmung ermöglichen würde, zu beseitigen, indem nämlich § 31 c hinsichtlich des Widerrufs der Strafvollstreckung - hier dreht es sich um die Wiederaufnahme der Verfolgung - die gleichen Voraussetzungen erhält, wie dies bei § 31 a der Fall ist, daß also die behandelnden Personen oder Einrichtungen der Vollstreckungsbehörde - bei § 31 c wäre es die Staatsanwaltschaft - mitteilen, wenn ein Abbruch der Behandlung erfolgt ist.

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Herr Kollege Hasinger, Sie können zu Ihrer Frage jetzt nicht noch Kommentare geben. Fragen sollen kurz formuliert sein, meine Damen und Herren. Ich habe schon sehr zugewartet; es war eine sehr lange Frage.

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Kollege Hasinger, ich fühle mich überfordert, jetzt die volle Tragweite dieses Vorschlags endgültig zu beurteilen. ({0}) - Ich bemühe mich ja gerade, dies zu erfassen und dazu eine hilfreiche Antwort zu geben. Für mich ist das nicht Gegenstand der Polemik. Ich versuche dies jetzt zu durchdenken und nicht eine rasche Antwort zu geben. Ich habe den Eindruck, daß das, was Ihnen vorschwebt, da es sich um das Ermittlungsverfahren und die Kompetenz des Staatsanwalts handelt, auch auf dem Weg der Richtlinien für das Strafverfahren möglicherweise erreicht werden kann, weil die Staatsanwaltschaft in diesem Stadium einen etwas größeren Bewegungsspielraum hat als die Vollstreckungsbehörde, wenn eine Strafe schon verhängt und rechtskräftig geworden ist. Ich wäre aber bereit, der Frage, ob man im Rahmen der Richtlinien für das Strafverfahren diesem Anliegen in den dort gezogenen Grenzen gerecht werden kann, noch einmal besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Das sage ich hiermit zu, und zwar um so leichter, als die Richtlinien für das Strafverfahren zu ihrer Änderung der Zustimmung der Länder und des Bundesjustizministers bedürfen. In der Richtung werden wir noch einmal überlegen. Ich sage das auch für den dritten, besonders strittigen Punkt. Ich glaube, daß die Möglichkeit, den ehemals Drogenabhängigen wieder einzugliedern, insbesondere in das Arbeitsleben, durch das eintragungsfreie Führungszeugnis gefördert wird, wobei diese Hilf s- und Beratungsmöglichkeit, daß man den Betreffenen nicht in besonders drogengefährdeten Bereichen beschäftigt, nicht das Führungszeugnis mit Eintrag voraussetzt. Darüber ist ja in den Ausschüssen auch verhandelt worden. Für diese Kooperation, die Gott sei Dank auf Schlagworte verzichtete - das war am Anfang der Debatte nicht ganz selbstverständlich -, habe ich allen Beteiligten zu danken. Mit dem Dank verbinde ich aber die Bitte, die Kooperation auf diesem Felde fortzusetzen; denn das neue Recht - das muß ich ganz deutlich sagen - ist nicht die Lösung des Problems. Es bietet nur eine Chance, der Lösung in Zukunft schrittweise näherzukommen. Jetzt sollte diese Chance genützt werden. Wenn wir sie nützen wollen, dann bedarf es einmal des Verständnisses der Richter und der Staatsanwälte bei der Anwendung des neuen Rechts, dann bedarf es der fortgesetzten Anstrengung der Ärzte, der Therapeuten und ihrer Helfer. Dann bedarf es der gemeinsamen Anstrengung zur Schaffung von Therapieplätzen und Therapieketten, und zwar auch unkonventioneller Art. Dann bedarf es der Anstrengung der Verwaltung, daß die Kostenentscheidungen rascher ergehen und nicht der Kostenstreit die Therapie aufhält. Dann bedarf es - lassen Sie mich das noch einmal deutlich sagen - vor allem der menschlichen Zuwendung all derer, die mit dem Drogenabhängigen und Drogengefährdeten zu tun haben. ({1}) Ich meine, die Beratung hat uns einmal mehr deutlich gemacht, daß wir auf das Mittel des Strafverfahrens und der staatlichen Strafe nicht verzichten können. Das sage ich als Bundesjustizminister ohne Einschränkung. Die Beratung hat aber auch deutlich gemacht, daß ein gesellschaftliches Problem nicht schon dann gelöst ist, wenn es dafür im Strafgesetzbuch einen passenden Paragraphen gibt. Oft genug - und das enthält keinen Vorwurf, wenn ich das sage - verdeckt nämlich der Paragraph eher das Problem und verschüttet die mitmenschlichen KräfBundesminister Dr. Vogel te, die es zur Bewältigung dieses Problems eigentlich zu mobilisieren gilt. Darum geht's nämlich. ({2}) Es geht darum - ich glaube, da sind wir alle einig -, Menschen zu helfen, die mit ihrem Leben nicht fertig werden, die aus der Realität flüchten, die einen oft tödlichen Ausweg aus ihrer Lebenswirklichkeit suchen. Es genügt nicht, den Ausweg zu versperren. Wir müssen den Gefährdeten vielmehr dahin bringen, daß er seinen eigenen Wert und den Sinn seines Lebens wieder bejaht, daß er Selbstvertrauen gewinnt, daß er wieder lernt, was das Menschsein auch wesentlich ausmacht, nämlich zu hoffen und selbst diese Hoffnung zu stärken. Ich danke Ihnen, daß dazu ein Beitrag geleistet wird, und ich danke auch für die Aufmerksamkeit ({3})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Ich erteile dem Herren Abgeordneten Langguth das Wort.

Prof. Dr. Gerd Langguth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hörten heute wieder, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland etwa 50 000 Drogen- und vorwiegend Heroinabhängige haben. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß das Einstiegsalter für „Kiffer" oder für „Spritzer", wie sie genannt werden, in den letzten Jahren erheblich abgesunken ist. 12- und 13jährige Schüler, die den „Stoff" mühelos und sogar im Schulbereich angeboten bekommen, sind keine Seltenheit mehr. Auch der Alkoholismus als Einstieg für junge Menschen in Drogen, wie Haschisch, Marihuana bis hin zu LSD, Kokain und Heroin, darf hier nicht unterschätzt werden. Auch wenn in dieser Debatte die Einigkeit in vielen Fragen betont wurde, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung nach unserer Auffassung die Probleme der Bekämpfung der Rauschmittelsucht lange Zeit nicht ernst genug genommen hat Ich möchte gerade aus dem Verantwortungsbereich des Bundesinnenministers, der heute bei dieser Debatte bedauerlicherweise nicht anwesend ist, einmal anführen, daß beispielsweise im Bereich des Bundeskriminalamtes zeitweilig nur die Hälfte der Planstellen der Rauschgiftgruppe besetzt waren und uns auch im Innenausschuß meines Erachtens beschönigende Zahlen über das Problem der Drogensucht mitgeteilt wurden. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im November 1979 im Deutschen Bundestag einen Entschließungsantrag zur Bekämpfung der Rauschmittelsucht eingebracht Ich bin froh darüber, daß der Inhalt dieses Entschließungsantrags der Bundestagsfraktion in dem Entschließungsantrag seinen Niederschlag gefunden hat, der heute hier in diesem Hause verabschiedet werden soll. In diesem Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert - das sagen alle Fraktionen -, „unverzüglich" auf Grund eines auch mit den freien Trägern abgestimmten Konzepts alle in ihrer Zuständigkeit liegenden Maßnahmen zu treffen, um der Gefährdung vor allem junger Menschen durch Rauschmittelsucht vorzubeugen und bestmögliche Voraussetzungen zur Heilung Süchtiger zu schaffen. In dieser Resolution werden - das ist gut und richtig - nicht nur polizeiliche, aber auch polizeiliche Maßnahmen gefordert. Zu den Forderungen nach polizeilichen Maßnahmen gehören u. a.: Ausbau eines polizeilichen Informationssystems „Rauschgift", Verbesserung der Fahndung, Ermittlung und .Täteridentifizierung, Verbesserung der technischen Ausstattung und der Ausbildung zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität bei Zoll- und Grenzpolizei, Maßnahmen der Intensivierung der Rauschgiftbekämpfung in Zusammenarbeit mit europäischen Staaten, den Vereinigten Staaten von Amerika und mit den Regierungen der Herkunfts- und Transitländer. Hierzu gehört auch der stärkere Einsatz der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland für die Rauschgiftbekämpfung. In diesem Zusammenhang wird in jenem Entschließungsantrag auch die Entsendung von sogenannten Drogenattachés an Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gefordert, eine Forderung, der sich Bundesinnenminister Baum bisher immer wieder entzogen hat Meine Damen und Herren, ich habe in der Debatte am 25. Januar dieses Jahres zum Betäubungsmittelgesetz bereits darauf hingewiesen, daß steigender Alkoholismus, Drogenkonsum, Jugendkriminalität, Flucht vor der Wirklichkeit in alternative Lebensformen, sogenannte „Jugendsekten" oder auch „neuere Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften" genannt, Subkulturen, die steigende Zahl jugendlicher Selbstmörder und die vielfältigen Formen einer Verweigerung gegenüber der Gesellschaft bis hin zum Terrorismus krisenhafte Anzeichen für gesamtgesellschaftliche Fehlentwicklungen darstellen, denen wir uns stellen müssen. Ein untaugliches Rezept - das sage ich hier - ist der Ruf nach der Legalisierung weicher Drogen, ein Ruf, der nicht nur von seiten der Jungdemokraten, sondern auch von seiten der Jungsozialisten erhoben wird. ({0}) - Es wäre sicherlich ratsam und sinnvoll, wenn gerade von seiten der Fraktion, von der der Zuruf kam, einmal eine Auseinandersetzung mit den Forderungen der Jungdemokraten erfolgte. ({1}) Meine Damen und Herren, nicht jeder, der einmal Haschisch oder Marihuana geraucht hat, soll etwa kriminalisiert werden, zumal manche aus Neugierde oder Abenteuerlust zu solchen „weichen" Drogen gegriffen haben. ({2}) - Aber ich will Ihnen einige Gründe nennen, die Sie vielleicht Ihren Parteifreunden bei den Jungdemokraten weiterleiten könnten. Es gibt - das hat auch die Bundesregierung nachgewiesen; hier kann man nur zustimmen - eine so18398 genannte „Verdachtsliste" für gesundheitliche Risiken und Schädigungen, die bei andauerndem Haschisch- und Marihuanakonsum eintreten können. Hierzu gehören Veränderung der Wahrnehmung und des Denkens, Sinnestäuschung, vermindertes Reaktionsvermögen, reduzierte Spermienproduktion bis hin möglicherweise zu Hirnschädigungen und Psychosen. Das sind alles Argumente, die man sich meines Erachtens anhören sollte. Dies sind Auffassungen von seriösen Wissenschaftlern, die diese möglichen Konsequenzen hier herausgearbeitet haben. Meines Erachtens können verantwortliche Politiker aus diesem Grunde nicht die Forderung nach Freigabe von Haschisch und Marihuana erheben. Aber selbst wenn die Einnahme „weicher" Drogen nicht notwendigerweise zur physischen, zur körperlichen Abhängigkeit führt, so ist doch häufig eine psychische Abhängigkeit von solchen Drogen zu konstatieren. Es herrscht die Meinung, die man ja bei vielen Drogenabhängigen, bei vielen Haschischkonsumenten feststellen muß, aus den Schwierigkeiten dieses Daseins durch eine Flucht in eine Scheinwelt entweichen zu können. Hier wird häufig von Angehörigen der jungen Generation eingewendet, dies sei ja auch beim Alkoholismus der Fall. Es kann nicht bestritten werden, daß die Probleme des Jugend- und des Kinderalkoholismus uns allen zunehmend Sorge machen müssen. Ich bin bereit, mit darüber nachzudenken, was getan werden kann, um auch der Abhängigkeit von Alkohol entgegenzuwirken. Unter anderem ist auch hier die Frage nach der Verbesserung des Jugendschutzgesetzes zu stellen. Meine Damen und Herren, die gesetzlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Drogensucht sind allerdings begrenzt, denn entscheidend ist die Frage, wie es eigentlich in einer jungen Generation aussieht, in der eine so breite Resonanz für Drogen und in der eine so breite Resonanz auch zum Aussteigen aus dieser Gesellschaft vorhanden ist. Das ist ein Zeichen dafür, daß sich Teile der jungen Generation in unserer Gesellschaft nicht integriert, sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht „geborgen" fühlen, innerlich also, wie ich meine, heimatlos sind. Sicherlich - ich will hier keine Schwarzweißmalerei betreiben - gibt es auch viele Jugendliche, die außerordentlich engagiert mitarbeiten und idealistische Ziele vertreten. Aber wir müssen folgendes zur Kenntnis nehmen: Psychologen fällt auf, daß junge Menschen häufig eine mangelnde Ich-Stärke haben, also nicht . stark genug sind, um Spannungen durchzustehen. Sie besitzen in der Regel nur eine geringe Fähigkeit, mit Enttäuschungen in ihrem Leben fertig zu werden. Psychologen sprechen von geringer „Frustrationstoleranz". Junge Menschen sind nicht genügend erzogen, Eigeninitiative und Ausdauer zu zeigen. Belastungsfähigkeit und Ausdauer sind jedoch Voraussetzungen für Konfliktbewältigung des einzelnen. Die Bindungsfähigkeit vieler junger Menschen ist unterentwickelt, eine „Unterernährung der Seele" des Kindes häufig festzustellen. Vielfach gibt es kaum noch emotionale Bindungen innerhalb der Familien. Daraus abzuleiten ist auch, daß das kommunikative Verhalten vieler junger Menschen sehr beengt ist, d. h. die Fähigkeit, mit dem Mitmenschen wirklich ins Gespräch zu kommen, seine Probleme anzuhören, Rat zu geben oder auch Rat zu empfangen. Wir sollten mehr von uns und weniger vom Staat erwarten. Viele junge Menschen sind jedoch zum Anspruchsdenken erzogen worden, was zum Betonen der eigenen Rechte in unserer Gesellschaft führt, aber nicht zu der Erkenntnis, daß zwischen Geben und Empfangen ein ausgewogenes Verhältnis sein sollte. Sehr häufig ist versäumt worden, dem jungen Menschen klarzumachen, daß er nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gegenüber der Gemeinschaft hat. Dies alles führt auch zu einer Unterforderung der eigenen Fähigkeiten. Zudem: In unserer „Überflußgesellschaft" wird einem jungen Menschen gegenüber in der Regel auch keine Zumutung auf Verzicht von Bedürfnissen mehr ausgesprochen. Jeder Wunsch ist fast erfüllbar. Wirklich jeder? Wir müssen klarmachen: Die junge Generation will nicht nur gefördert werden, sie will auch, ja sie muß auch gefordert werden. Junge Menschen flüchten häufig in eine Konsumbetäubung und in Subkulturen. Gerade Subkulturen sollen - nach Auffassung mancher junger Menschen - helfen, aus der Vereinzelung des täglichen Daseins herauszukommen, sich in der Geborgenheit dei Subkultur stark zu fühlen. Das Ausflippen aus dieser Gesellschaft wird auch durch eine Subkultur gefördert, die sich vorwiegend in Großstädten entwickelt hat. In Berlin und Frankfurt gibt es Angehörige der sogenannten „scene", die stolz darauf sind, schon seit Jahren kein Wort mehr „mit einem von denen, die draußen sind", wie sie es formulieren, gewechselt zu haben. So steht in einer denkwürdigen Schilderung - lesen Sie das bitte einmal nach - jenes subkulturellen Milieus wörtlich zu lesen - ich will das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -: Der Durchschnitts-Stadtteilindianer wacht in einer Wohngemeinschaft auf, kauft sich die Brötchen in der Stadtteilbäckerei um die Ecke, dazu sein Müsli aus dem makrobiotischen Tante-Emma-Laden, liest zum Frühstück „Pflasterstrand", „INFO BUG", „zitty”, geht - falls er nicht „zero-work-Anhänger" ist - zur Arbeit in einem selbstorganisierten Kleinbetrieb oder in einem „Alternativ-Projekt", alle fünf Tage hat er Aufsicht in einem Kinderladen, seine Ente läßt er in einer linken Autoreparaturwerkstatt zusammenflicken, abends sieht er sich „Casablanca" mit Humphrey Bogart im „off-Kino" an, danach ist er in einer Tee-Stube, einer linken Kneipe oder im Musikschuppen zu finden, seine Bettlektüre stammt aus dem Buchladenkollektiv. Meine Damen und Herren, das sollte man sich einmal vor Augen halten, wenn man darüber nachdenkt, was in jungen Menschen vorgeht, die in einem Getto leben, die Gegenentwürfe zu unerer Gesellschaft entwickeln. Begleitet sind alle diese Erscheinungen von einer Sinn- und Orientierungskrise, von einer mangelnDr. Langguth den Wertvermittlung, wie die Erwachsenenwelt sie gegenüber der jungen Generation vornimmt. Diese und andere Eindrücke machen die Anfälligkeit von Teilen der jungen Generation für den Drogengenua erklärbar. Hinzu kommt, daß viele in unserer Gesellschaft - trotz relativer materieller Sicherheit - von einer ungeheuren Zukunftsangst geprägt sind. Ich glaube, daß es bei einer solchen Debatte richtig und notwendig ist - das ist vorhin auch schon von meinen Vorrednern getan worden -, immer wieder darauf hinzuweisen, daß sich jeder einzelne Bürger zunächst einmal selber fragen muß, was getan werden muß, wen er sieht, daß jemand in seinem Nachbarbereich, in seiner Schulklasse oder unter seinen Arbeitskollegen beispielsweise zu Drogen neigt oder ansonsten „ausflippt". Hier ist er selbst aufgerufen, helfend tätig zu werden und nicht immer nur nach dem Staat zu rufen. Wir müssen auch darauf hinwirken, daß in den Familien wieder mehr über den Sinn des Lebens diskutiert wird, daß Geborgenheit und Bindung innerhalb der Familie möglich bleiben bzw. werden. Eltern und betroffene Konsumenten - auch das muß hier gesagt werden - sollten keine Hemmungen haben, z. B. Drogenberatungsstellen aufzusuchen. Wer in seinem Umkreis Drogen-Dealer feststellt, sollte sich schleunigst - auch das muß gesagt werden, weil das in der jungen Generation keine Selbstverständlichkeit ist - mit der Polizei in Verbindung setzen. Denn das Dealen mit Heroin ist Beihilfe zum Mord. Jeder Tag, an dem ein Dealer seinen Stoff länger verkaufen kann, kann dazu führen, daß junge Menschen „angefixt" werden und dann nicht mehr von einem solchen Trip herunterkommen. Drogenbekämpfung kann also nur dann wirksam sein, wenn sich die Bevölkerung in dieser Frage nicht passiv verhält. Jeder einzelne ist aufgerufen, mitzuarbeiten. Jeder trägt hier für den Nächsten Mitverantwortung. - Ich danke vielmals. ({3})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Das Wort hat die Frau Kollegin Balser.

Dr. Frolinde Balser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000086, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir zum Schluß dieser Debatte einige Bemerkungen erlauben und gleich an das anschließen, was der Herr Kollege Vorredner gesagt hat, und daran erinnern, daß die Städte Berlin und Frankfurt sehr offene Städte sind, in denen sich zwar sehr viel abspielt, aber nicht so, wie Sie das hier zitiert haben, jedenfalls nicht so in dem Zusammenhang, in den Sie das gestellt haben. Ich glaube, das wäre eine zu einseitige Betrachtungsweise und würde dem, worum doch auch Sie sich bemüht haben, nämlich um das Verständnis für die jungen Leute, die unter Umständen in schwierige Situation kommen können, gar nicht gerecht werden. Ich wehre mich auch dagegen, daß Judos oder Jusos etwa weiche Drogen verteidigten. Das mag in dem einen oder anderen Fall einmal so gewesen sein. Aber generell wird man das nicht sagen können. Ich möchte sogar ganz im Gegenteil darauf hinweisen, daß - was Sie vielleicht gar nicht mehr so genau wissen - nach der Studentenbewegung, als die intellektuelle Welle der Drogenaffinität ganz oben war, gerade ein Juso-Vertreter, nämlich unser Kollege Karsten Voigt als damaliger Juso-Bundesvorsitzender, als erster deutlich gesagt hat: Laßt die Finger davon! - Das war damals gar nicht so üblich; das war damals in der Sache ein wichtiger Einschnitt. ({0}) Ich bin sehr dankbar, daß wir diese Debatte hier in so ruhigem Ton führen; denn sie behandelt ein sehr schwieriges Feld. Sie behandelt ein Gebiet - daran sollten wir uns erinnern -, in dem es sehr viel Leid, sehr viele Schwierigkeiten, sehr viele Konflikte, sehr viele Gefahren und auch Verbrechen gibt. Es ist gut, daß wir das alles hier miteinander ernst nehmen. Wir sollten auch denen dankbar sein, die vor Ort draußen überall in diesem Bereich tätig sind. ({1}) Das sind zuallererst die Eltern, die meistens die Leidtragenden sind. Dann sind es die Lehrer, viele Ärzte, Pfleger, Schwestern, nicht zuletzt die Polizei, die hier ein ganz besonders schwieriges Feld zu bearbeiten hat. Ich stimme mit dem Kollege Kroll-Schlüter ganz überein, wenn er sagt: All unsere Hoffnung setzen wir auf die Verabschiedung dieses Gesetzes und auf die Therapieerfolge. Wir wollen sehen, daß wir hiermit vorankommen. Ich meine, es ist auch wichtig, noch einmal daran zu erinnern, was in der Debatte verschiedentlich gesagt worden ist: daß Methadon nun wirklich keine Möglichkeit ist, Therapie zu bewerkstelligen. Dies muß ganz deutlich unterstrichen werden. Methadon ist eine Billigmethode, die man in den Vereinigten Staaten ausprobiert hat, die aber keine Hilfe ist Im übrigen möchte ich daran erinnern, daß nach dem Gesetz, welches wir hier verschieden werden, Methadon verboten ist. Es ist jedenfalls in der Anlage II mit aufgeführt Man kann es schon deswegen hier nicht mit berücksichtigen. Ich möchte es mir versagen, noch einmal die Ziele des Gesetzes zusammenzufassen, obgleich das eigentlich wichtig wäre und in der Diskussion und hoffentlich auch in der Presse geschehen wird. Diese Ziele sind nämlich sehr vielfältig. Eine der Schwierigkeiten des Umsetzens und des Verständlichmachens dieses Gesetzes wird es sein, in der Öffentlichkeit klarzumachen, wer hier alles angesprochen wird. Das reicht von Ärzten und Apothekern bis zu zu jungen Leuten und Gerichten, die die entsprechenden Straffestsetzungen treffen müssen, bis zu denjenigen, die Therapie vollziehen müssen. Es sind also ganz verschiedene Adressatengruppen. Es wäre wünschenswert - auch das ist von den Kollegen aus der Opposition vorhin gesagt worden -, die Lesbarkeit dieses Gesetzes so zu verbessern, daß man für die einzelnen Gruppen jeweils zusammenstellt, was für sie wichtig sein könnte. Die Opposition hat beantragt, in § 28 Abs. 1 die Nr. 11 betreffend öffentliche Verherrlichung des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln nicht zu strei18400 chen. Neben alledem, was bisher schon gesagt worden ist, muß ich daran erinnern, daß es dazu in der Weltliteratur eine ganze Reihe von Schriften gibt Ich nenne Baudelaire: „Die künstliche Wahrnehmung", Thomas Quincey: „Erfahrungen eines Opiumrauchers", Walter Benjamin: „Hasch in Marseille", Cocteau und Proust, Aldous Huxley. Das geht bis zu einem Buch, das heute jeden Tag von jungen Leuten gekauft wird: Carlos Castaneda: „Eine andere Wirklichkeit". Dies alles ist Literatur, die man einfach nicht verbieten kann. Durch Verbot würde man überhaupt nicht erreichen, was man will; denn die Leute, die von den Drogen gefährdet sind, lesen diese Bücher sehr wahrscheinlich nicht Sie lesen etwas ganz anderes. Es handelt sich um Schriften, deren Verbreitung nach Nr. 10 durchaus verfolgt werden könnte, zumindest beobachtet werden sollte. Ich nenne „Inside", eine neue Zeitschrift, die in Berlin erscheint und alles mögliche propagiert. Diese Zeitschrift hängt wiederum zusammen mit der New Yorker Zeitschrift „High Times"; ich habe hier die Ausgabe Mai 1980. Da gibt es eine ganze Liste, sozusagen eine Börsenliste, mit Preisen des Drogenhandels in aller Welt Demnach kostet in Deutschland Haschisch aus Afghanistan pro Einheit, die hier angegeben ist, im Moment 4 000 DM, und so geht es weiter. Dies zeigt etwas auf, was hier überhaupt noch nicht erwähnt worden ist: daß wir es schließlich beim Drogenhandel mit einem weltweiten kapitalkräftigen Wirtschaftsunternehmen zu tun haben. ({2}) Das ist ein ganz entscheidender Unterschied zu dem was Alkohol usw. betrifft Hier sind ganz entscheidende Kräfte mit am Werk, die unsere jungen Leute dazu bringen, in diese Szene überhaupt erst einmal hineinzugeraten. Dafür gibt es das Wort „anfixen". Meine Damen und Herren, man stelle sich bitte vor: Da werden junge Menschen, die noch ganz unsicher sind, in diese Situation gebracht, in der sie nachher von einem letztlich tödlich wirkenden Stoff nicht mehr loskommen. Von daher müssen also wir alle gemeinsam - und dies wollen wir ja auch tun - dagegen angehen. Die hier genannten Zeitschriften möchte ich der Aufmerksamkeit der Staatsanwälte nachdrücklich empfehlen. Dasselbe gilt für die Läden für Zubehör, die den Namen „Paraphernalia-Shops" tragen. Auch die gibt es in unserem Lande bereits, und darum möge man sich also kümmern. Die anderen, diejenigen, die bislang auf dem Wege waren, die weichen Drogen gewissermaßen auszunehmen, möchte ich bitten, darüber nachzudenken, ob sie diese Haltung jetzt noch einnehmen sollten, nachdem es gelungen ist, dieses Gesetz umzugestalten, nachdem es gelungen ist, in diesem Gesetz mit einem neuen Teil neue Straftatbestandsmöglichkeiten und den Wechsel zur Therapie einzuführen. Damit ist das, was alle Verfechter solcher Überlegungen eigentlich wollten, nämlich die angemessene Behandlung junger Leute, die ohne eigene Schuld in all das hineingeraten, mit dem Gesetz eigentlich erreicht, und folglich sollten wir all diese Ansätze jetzt im Grunde als aus der Welt geschafft ansehen. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß man sich vielleicht auch klarmachen muß, daß es sich bei dieser Entwicklung um Wellenbewegungen handelt Im Moment haben wir - das ist sehr deutlich gesagt worden - die Situation, daß überwiegend junge Leute aus Lebensangst in einer Fluchtbewegung - mit dem Willen, auszusteigen - sich in diese Drogenszene begeben und allein nicht mehr herauskommen, und zwar, wie uns die Anhörung ja deutlich gemacht hat, junge Leute, die in ihrem Beruf schlechte Aussichten befürchten, meistens solche, die gar keinen Schulabschluß und also Furcht vor der Zukunft haben. Weitgehend ist das ein Problem der Unterschichtgruppen in unserer Gesellschaft, und um so mehr bedarf die Frage der Aufmerksamkeit, was hier noch geschehen soll. Ich meine, es ist wichtig, die neuen Aufgaben anzupacken, die sich den Ländern und den Gemeinden stellen. Es ist wichtig, die Diskussion in der Offentlichkeit zu führen. Es ist wichtig, die Eltern anzusprechen, wie das auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung tut. Ich finde, deren Blatt „Was können Eltern tun?" ist das beste, das es gibt, besser als viele umfangreiche Materialien, die es auch gibt Zitieren möchte ich daraus vor allem dies: „Eins dürfen Eltern in dieser Sache - bei den Drogen - nicht tun. Sie dürfen ihr Kind nie aufgeben. Geben Sie Ihr Kind nie auf l" ({3}) Dies sollten wir als gesamte Gesellschaft gegenüber den jungen Leuten genauso sehen. - Danke schön. ({4})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe zunächst Art. 1 und hier die §§ 1 bis 27 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke sehr. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -- Die §§ 1 bis 27 sind angenommen. Ich rufe nun Art. 1 § 28 auf. Hierzu liegen auf Drucksache 8/4296 unter den Ziffern 1 und 2 zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Wir stimmen zuerst über diese Änderungsanträge ab, und zwar zunächst über den Antrag unter Ziffer 1. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke sehr. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Wir stimmen jetzt ab über Ziffer 2 des Änderungsantrages. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ziffer 2 des Änderungsantrages ist gegen die Stimmen der CDU/ CSU abgelehnt. Vizepräsident Leber Wir stimmen nun ab über Art. 1 § 28 in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Art. 1 § 28 ist gegen wenige Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommen. Ich rufe Art. 1 §§ 29 bis 31 a in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Ist entsprechend beschlossen. Ich rufe nun Art. 1 § 31 b auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/4296 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt. Wer Art. 1 § 31 b in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - § 31 b ist bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen. Ich rufe Art. 1 § 31 c auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/4296 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, die Vorschrift zu streichen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt. Wer Art. 1 § 31 c in der Ausschußfassung anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU bei einer Enthaltung angenommen. Ich rufe nun Art. 1 §§ 31d, 32 bis 34, Art. 2 und 2 a in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe Art. 2 b auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/4296 unter Ziffer 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, den Artikel zu streichen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt. Wer Art. 2 b in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen, - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme so beschlossen. Ich rufe nun Art. 2 c, 3 und 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung des Gesetzes abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Ich frage das Haus: Wird dazu um das Wort gebeten? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, es liegen noch drei Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4267 unter Ziffer II die Annahme einer Entschließung. Wer ihr zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Entschließung ist angenommen. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/4267 unter Ziffer III, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3291 für erledigt zu erklären. Wird die Einzelberatung vor der Abstimmung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Wir stimmen also über die Beschlußempfehlung ab: Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4267 unter Ziffer III, den von den Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}), Dr. Klein ({1}), Dr. Pinger und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes auf Drucksache 8/3291 für erledigt zu erklären. Wer entsprechend stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Es ist so beschlossen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4267 unter Ziffer 4 ferner, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Wer entsprechend beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Es ist so beschlossen. Ehe ich Tagesordnungspunkt 32 aufrufe, erteile ich dem Herrn Abgeordneten Jäger ({2}) zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung das Wort.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte vom gestrigen Abend über den Antrag unserer Fraktion zur Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den Menschenrechtsorganisationen hat auch der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke das Wort ergriffen und hat die Menschenrechtsorganisationen im Verlauf seiner Rede als Freibeuter bezeichnet. In der Erregung über diese Äußerung des Herrn Bundesministers habe ich mich zu dem Zuruf hinreißen lassen, dies sei die Sprache des Untermenschen. Diese in der Erregung von mir getane Äußerung nehme ich hiermit mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Ich habe dies heute früh in der Sitzung des Ausschusses auch Herrn Minister Franke gegenüber bereits persönlich getan. Ich danke Ihnen. ({0})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Ebenfalls zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Wehner das Wort.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der soeben von Herrn Jäger geschilderten Szene habe ich mich, weil der Begriff und der Ausdruck „Untermensch" für mich eine schreckliche Erinnerung aus der schrecklichsten Zeit von 1933 bis 1945 ist, geäußert und habe den Ausdruck „Lümmel" gerufen. Ich nehme diesen Ausdruck nach dieser Erklärung des Herrn Abgeordneten Jäger mit der Bitte um Entschuldigung oder Verständnis zurück. ({0})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Der Bundestag hat die beiden Erklärungen entgegengenommen. Wir fahren nun in der Tagesordnung fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten AKP- EWG-Abkommen von Lomé vom 31. Oktober 1979 sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen - Drucksache 8/3927 - a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 8/4268 Berichterstatter: Abgeordneter Carstens ({1}) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({2}) - Drucksache 8/4265 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Narjes ({3}) ({4}) Ich möchte Sie um etwas Aufmerksamkeit und Ruhe im Saal bitten. Interfraktionell ist für die Aussprache ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Todenhöfer das Wort.

Dr. Jürgen Todenhöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002333, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Lomé II geben die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft eine positive, konkrete und umfassende Antwort auf wesentliche Fragen des Nord-Süd-Dialogs. Dieses Vertragswerk hat bei allen Mängeln zugunsten der Entwicklungsländer mehr als alle Nord-Süd-Konferenzen auf UNO- Ebene zustande gebracht. Anders als etwa der gemeinsame Fonds des sogenannten Integrierten Rohstoffprogramms ermöglicht Lomé II echte Partnerschaft Lome II läßt der Europäischen Gemeinschaft genügend Ermessensspielraum, dieses Vertragswerk bei den konkreten Einzelverhandlungen so zu handhaben, daß es zum Kernstück der Außenpolitik, Außenwirtschaftspolitik, der Entwicklungspolitik der Gemeinschaft gegenüber den AKP-Staaten werden kann. Lomé I hat sich in seinen grundsätzlichen Elementen bewährt. Meine Fraktion stimmt deshalb Lomé II zu. Die in diesem Vertragswerk verwirklichte Exporterlösstabilisierung ist für uns trotz einiger Schwachstellen ein Grundmodell, das nach gewissen Korrekturen weltweit angewandt werden könnte. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um der Grundidee der Exporterlösstabilisierung in den Nord-Süd-Verhandlungen einen höheren Stellenwert zu verschaffen. Lomé I hatte vier wesentliche Elemente: die Handelspräferenzen, die finanzielle und technische Zusammenarbeit, die Exporterlösstabilisierung, das sogenannte STABEX, und schließlich die industrielle Zusammenarbeit. Lomé II hat mit der Errichtung eines Bergbaukrisenfonds und mit der Förderung der Entwicklung des Bergbau- und Energiepotentials der AKP-Staaten ein fünftes wichtiges Element erhalten. Meine Fraktion begrüßt dies ausdrücklich. Leider hat Bundeskanzler Schmidt bei seinem Besuch in Sambia voreilig und ohne jede wirtschaftliche Vorprüfung eine Einbeziehung von Kupfer in das STABEX-Modell zugesagt. Eine Erfüllung dieser Zusage hätte den Rahmen von STABEX und den Rahmen des gesamten Lomé-Abkommens völlig gesprengt. Die Zusagen des Bundeskanzlers konnten deshalb nicht eingehalten werden. Der Bundeskanzler hätte unserem Land diese Peinlichkeit ersparen können. Die jetzt gefundene Lösung ist weitaus sachgerechter und sinnvoller. Meine Damen und Herren, eine Regelung bei diesem neuen, fünften Element ist meines Erachtens besonders bemerkenswert Die EG hat sich bereit erklärt, nicht nur bei Naturkatastrophen und technischen Störungen, sondern auch bei politischen Unruhen Unterstützungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Bergbaukapazität der Vertragspartner durchzuführen. Das kann ein wichtiger Beitrag zur politischen Stabilität dieser Länder sein. Dadurch wird der außenpolitische Charakter von Lomé II positiv unterstrichen. Aufgabe der parlamentarischen Opposition ist es naturgemäß, auch die Schwachstellen dieses Abkommens aufzuzeigen. Ich will nur die wichtigsten Punkte nennen. Erstens. Auch weiterhin ist eine ausreichende Verwendungskontrolle für die Kredite und Zuschüsse nicht gegeben, die von den Industrieländern bei einem Rückgang der Exporterlöse einzelner Rohstoffe geleistet werden. Es ist nicht sichergestellt, daß die bereitgestellten Mittel vor allem zur Diversifizierung, zur Auffächerung der Produktionspalette der Entwicklungsländer, verwendet werden. Dies wiegt deshalb besonders schwer, weil Lomé II eine ganze Reihe neuer Produkte in STABEX einbezieht und weil darüber hinaus die Voraussetzungen für eine Gewährung der Ausgleichszahlungen erleichtert worden sind. Die Bundesregierung hat erklärt, eine Verwendungskontrolle sei nicht erforderlich, weil STABEX in erster Linie der Aufgabe diene, die Deviseneinnahmen der Empfängerländer zu stabilisieren. Wenn das richtig wäre, wäre STABEX falsch konstruiert. Dann müßte eine solche Devisenhilfe den gesamten Export des jeweiligen Empfängerlandes berücksichtigen und dürfte sich nicht auf einzelne Rohstoffe beziehen. Der Rückgang der Exporterlöse bei einem einzelnen Rohstoff bedeutet noch lange nicht, daß sich die Gesamtdevisenlage ebenfalls verschlechtert. Die fehlende Verwendungskontrolle ist aus einem weiteren Grund bedenklich. Da die Zuwendungen der Europäischen Gemeinschaften von den Entwicklungsländern nicht an die Rohstofferzeuger weitergeleitet werden müssen, können die Entwicklungsländer teilweise sogar an einem Rückgang der Erlöse einzelner Rohstoffe gegenüber der EG interessiert sein. Da sich STABEX nur auf den Export in die EG bezieht, können sich die AKP-Länder durch eine Umleitung der Rohstoffexporte nach den USA oder in den Ostblock oder nach Japan eine zusätzliche Budgethilfe beschaffen. Das sollte bei Lomé III korrigiert werden. Zweitens. Auch in der Frage des Investitionsschutzes wurde keine überzeugende Lösung gefunden. Die von den Industrieländern geforderten konkreten Garantien sind von zusätzlichen bilateralen Verhandlungen abhängig gemacht worden. Einen generellen Investitionsschutz haben die AKP-Staaten abgelehnt. Der Grundsatz des Gebens und Nehmens, des gegenseitigen Interessenausgleichs, von Bundeskanzler Schmidt als „essential", als Grundpfeiler unserer Entwicklungspolitik bezeichnet, ist hier in keiner Weise gewahrt. Mit diesem Punkt sind wir nicht einverstanden. Drittens. Leider ist es auch nicht gelungen, das wirtschaftspolitisch unsinnige Zucker-Protokoll zu beseitigen. Den AKP-Staaten werden bei Zucker Abnahmequoten zu garantierten Preisen zugesichert, obwohl die EG über eine eigene Überschußproduktion bei Zucker verfügt. ({0}) Allein 1977 kostete der AKP-Zucker die Europäische Gemeinschaft ca. 500 Millionen DM und damit weit mehr als das gesamte STABEX-System. Diese Vereinbarung sollte so schnell wie möglich gekündigt werden. ({1}) Bedauerlich ist es auch, daß es nicht gelungen ist, eine vernünftige Menschenrechtsklausel in dem Vertragswerk zu verankern. ({2}) Ich betone: eine vernünftige Menschenrechtsklausel. Meine Damen und. Herren, die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen über diese Frage keine sehr überzeugende Rolle gespielt. Die Debatte über die Türkei-Hilfe in der letzten Woche hat gezeigt, daß Bundesregierung und Koalition in dieser Frage zerstritten, uneinig, unglaubwürdig und letztlich auch handlungsunfähig sind. ({3}) Insbesondere die linken Kräfte in der SPD-Fraktion sind nicht bereit, sich von ihrer doppelten Moral bei der Beurteilung der Verwirklichung der Menschenrechte in der Dritten Welt zu lösen. Es gibt zwar Informationen darüber, daß sich die EG-Mitgliedsländer intern darauf geeinigt haben, bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen ihre Hilfsmaßnahmen zurückzuhalten. Dies ist natürlich zu begrüßen. Aber, meine Damen und Herren, es ist keine ehrliche, es ist keine saubere, es ist keine konsequente Politik, daß die EG-Länder diese Haltung nicht offen vertraglich verankern wollten - und konnten. Es ist der Bundesregierung nicht gelungen, Menschenrechte auf der einen Seite und auf der anderen Seite außenpolitische Notwendigkeiten in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen. Meine Damen und Herren von der SPD, um dieses vernünftige Verhältnis geht es. Ich weiß natürlich, wie unendlich schwierig es ist, dieses vernünftige Verhältnis zu finden. Aber eines akzeptieren wir auf keinen Fall: Wir akzeptieren auf keinen Fall, daß von seiten der SPD die Auffassung vertreten wird, man dürfe den souveränen afrikanischen Staaten gegenüber nicht von Menschenrechten sprechen, während man auf der anderen Seite gegenüber unseren besten Freunden, gegenüber unseren Verbündeten, gegenüber einem Land wie der Türkei eine erhöhte Wirtschaftshilfe von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig macht Das geht nicht, das ist doppelte Moral, das ist unlogisch, das akzeptieren wir nicht. ({4}) Meine Damen und Herren, ich richte am Schluß eine Aufforderung an die Bundesregierung: Verbessern Sie das Lomé-Abkommen durch eine vernünftige Handhabung, die den Entwicklungsländern und den Industrieländern nutzt. Zeigen Sie am Beispiel von Lomé II, daß die Vernunft in der Entwicklungspolitik noch eine Chance hat. - Ich danke Ihnen. ({5})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Das Wort hat der Abgeordnete Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nord-Süd-Beziehungen sind in den letzten Jahren zu einem immer wichtigeren Bestandteil der internationalen Politik wie auch der Weltwirtschaft geworden. Ihre Rede, Herr Kollege, ist in einigen wenigen Teilen, so meine ich, der wachsenden Bedeutung der Nord-Süd-Beziehungen nicht gerecht geworden. Die Bundesregierung - und dies rufe ich ihr zu - soll weiter auf ihrem Weg gehen und die Nord-Süd-Beziehungen im Sinne des Abkommens von Lomé gestalten. ({0}) Jahrelang sprach man von der Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Es wurde dazu viel resolutioniert. Die EG handelt und praktiziert sie. Schon die erste Konvention von 1975 zwischen den neun EG-Mitgliedstaaten und den damals 46 Staaten aus Afrika, dem karibischen und dem pazifischen Raum, den sogenannten AKP-Ländem, ist als Modell für die künftigen Beziehungen zwischen Nord und Süd bezeichnet worden. Die Erwartungen der Dritten Weit an diese Vereinbarungen sind unverändert hoch. Für ihre Vertreter ist sie bislang das einzige praktische Beispiel in Richtung einer Neudefinition der Nord-Süd-Beziehungen. Für uns und auch für die Bundesregierung - Minister Offergeld hat das z. B. unterstrichen - ist das AKP-Abkommen die bisher umfassendste und konkreteste Antwort auf Forderungen der Entwicklungsländer im Nord-Süd-Dialog. Der Deutsche Bundestag hat im Oktober 1977 den Ausbau einer leistungsfähigen, gerechten und solidarischen Weltwirtschaft gefordert. Das Abkommen dient diesem Ziel. Es basiert auf Gleichberechtigung, verzichtet auf diskriminierende Gegenleistungen und vereint alle Instrumente der Auslandshilfe. Die Opposition hat häufig die multilaterale Hilfe kritisiert, also die Hilfe, die von internationalen Institutionen an die Länder der Dritten Welt gegeben wird. Ich meine, hier hat sie ein positives Beispiel für multilaterale Entwicklungspolitik. Die zweite Konvention wurde im Oktober 1979 ebenfalls in Lomé, der Hauptstadt Togos, unterzeichnet. Der Herr Staatsminister hatte wesentlichen Anteil daran. Das Gesetz zur Konvention bedarf der Zustimmung des Bundestages. Die damit befaßten Ausschüsse empfehlen dem Hohen Haus einmütig Zustimmung. Es kommt gerade in den letzten Tagen, so kurz vor Wahlkampfschlachten, nicht so häufig vor, daß man in entwicklungspolitischen Fragen einmütig ist. Ich freue mich, daß wir daß jetzt noch erleben dürfen. Die Verhandlungen bis zur Unterzeichnung haben sich sehr lang hingezogen und mußten manchen Stolperstein überwinden. Es gab eine ganze Reihe von Schwierigkeiten. Einige von ihnen seien genannt: die von einigen EG-Staaten in die Diskussion gebrachte Menschenrechtsklausel, aber auch der Schutz von Investitionen in den Partnerländern, die Frage der Absicherung der Agrarmarktordnung, vor allem aber: das Geld. Die Entwicklungsländer haben hart verhandelt. Sie müssen infolge der weltwirtschaftlichen Veränderungen mit großen Schwierigkeiten kämpfen, sicher mit noch größeren Schwierigkeiten als wir selbst. Deshalb sind sie auf ein großzügiges Entgegenkommen angewiesen. Die 300 Millionen Menschen in den AKP-Ländern brauchen uns; die 260 Millionen Bürger aus der Europäischen Gemeinschaft brauchen auch die Zusammenarbeit mit diesen Ländern der Dritten Welt. Deshalb ist dieses Abkommen fast als ein Jahrhundertabkommen zu bezeichnen. Wenn man sich vor Augen hält, daß dieses Jahrhundert mit Imperialismus und Kolonialismus begonnen hat, daß es schwierige Phasen der Dekolonialisierung gab, dann ist dies ein positiver Markstein in den internationalen Nord-Süd-Beziehungen. Es bestanden Zweifel, ob es richtig war, daß die Gemeinschaft sozusagen bis „zur letzten Tomate" gekämpft hat. Die EG konnte ihren Wunsch, die Menschenrechtsklausel in der Präambel zu verankern, nicht durchsetzen. Bei der Unterzeichnung des Abkommens haben jedoch beide Präsidenten die Unverletzlichkeit der Menschenwürde hervorgehoben. Der Rat der EG einigte sich intern, die Wahrung der Menschenrechte auch bei Lomé II zu beachten. Das ist das, was möglich war; sonst wäre das Vertragswerk gescheitert. Doppelte Moral: Haben Sie, Herr Todenhöfer, denjenigen zugestimmt, die den Türkei-Antrag eingebracht haben? Ich will dazu nur folgendes sagen. Einmütigkeit sollte doch darüber herrschen, daß in keinem Fall aus Brüssel Geld fließen darf, wenn die Europäische Gemeinschaft in einem Land der Dritten Welt ein Entwicklungsprojekt finanziert und bei diesem Entwicklungsprojekt etwa Sklaven eingesetzt werden. Ich weiß, wovon ich spreche, und ich glaube, es ist gut, zu wissen, daß die Bundesregierung dann auch in diesem Sinne bei der EG vorstellig werden wird. Die AKP-Länder konnten sich nicht mit ihrem Wunsch nach einer massiven Erhöhung der finanziellen und technischen Zusammenarbeit durchsetzen. Sie haben 10 Milliarden Europäische Rechnungseinheiten - 2,50 DM pro Einheit - gefordert. Es ist dann letztlich zu einem Kompromiß gekommen, der bei 5,6 Milliarden für einen Zeitraum von fünf Jahren liegt. Lassen Sie mich in einer Fußnote sagen: Leider ist die erste große Chance, dem neuen, direkt gewählten Europäischen Parlament einen Teil der Mitwirkungsrechte über die Ausgestaltung der finanziellen Ausstattung zu überlassen, nicht genutzt worden. Einzelne EG-Regierungen haben bewußt durchgesetzt, daß die 5,6 Milliarden Europäischen Rechnungseinheiten aus den nationalen Haushalten finanziert werden. Zwar sind die Mittel jetzt um 60 höher, aber einen Teil hat die Preissteigerung weggeschluckt, und zwar über 40 %. Das Bevölkerungswachstum, das in den AKP-Staaten jährlich mit mehr als 2 % zu veranschlagen ist, ist nicht berücksichtigt Die Zahl der Vertragspartner hat sich von 46 auf jetzt fast 60 erhöht, denn das 59. Entwicklungsland ist vor kurzem beigetreten - es ist der karibische Staat St. Vincent -, und der 60. AKP- Staat wird wahrscheinlich Simbabwe werden, das ehemalige Rhodesien. Ich freue mich besonders, daß es gerade diesem Land im südlichen Afrika gelungen ist, den Befreiungsprozeß bis jetzt erfolgreich zu gestalten. ({1}) Ich finde, daß so manche Schwarzweißmalerei sich auch hier wieder ad absurdum führt. Es ist gut, zu sehen, daß Simbabwe unter das Dach der EG kommen will. ({2}) Der Bundesregierung sind die Schwierigkeiten selbst bewußt, auch in dieser Finanzfrage. Die BunDr. Holtz desregierung hat erklärt, daß sie bereit sei, auch mehr Mittel zu übernehmen. Die Bundesrepublik hat bislang 25 % vom Lomé I finanziert. Jetzt sind es über 28 %. Ich will damit sagen: Die Belastungen, die der Bund zu erbringen hat, steigen. Ich hoffe, daß die Länder dem Bund geben, was des Bundes ist, auch in dieser Frage. ({3}) Andere Aspekte des Vertrags können sich ebenfalls sehen lassen. Ich kann es kurz machen. Das System der Stabilisierung der Exporterlöse der am Lomé-Abkommen beteiligten Entwicklungsländer, das sogenannte STABEX-System, ist durch die Einbeziehung weiterer Produkte und die Erhöhung der Mittel für den STABEX-Fonds verstärkt worden. Seine Anwendung wurde erleichtert. Bergbauerzeugnisse wurden erstmals durch die Schaffung des Mineralienfonds mit einbezogen, wenn es auch keine automatische Anwendung gibt und der Ersatz für entgangene Erlöse in Form von Projekthilfe statt durch Ausgleichszahlungen erfolgt ist. Aber ich will hier ganz eindeutig sagen: Wir danken dem Bundeskanzler, daß er etwa in der schwierigen Situation Sambias bezüglich der Kupfererlöse die Initiative ergriffen hat, um diesem Land zu helfen. So ist es überhaupt zum Mineralienfonds gekommen; sonst gäbe es ihn gar nicht. ({4}) Die Zielbereiche der industriellen Zusammenar-belt wurden erweitert. Den von den AKP-Staaten angestrebten Industrialisierungsfonds hat die EG allerdings abgelehnt. Der Investitionsschutz ist garantiert. Die AKP-Staaten haben sich entgegen dem, was ich hier vorher gehört habe, bereit erklärt, im Prinzip Investitionen aus allen EG-Ländern gleichzubehandeln. Ich bin im übrigen dankbar, daß die Bundesregierung gesagt hat, weil hier Einmütigkeit herrsche, verzichte sie darauf, das alles noch einmal richtigzustellen. Dies zeigt: Lomé II ist nicht lediglich die Fortschreibung des ersten Abkommens. „Stellt das AKP-Abkommen eine Hilfe für die Staatseliten darf! fragen einige. Dazu folgende kurze Bemerkung: Bei jedem Angriff auf die Armut müssen soziale und wirtschaftliche Reformen innerhalb der Entwicklungsländer die entscheidende Rolle ergänzen, die das internationale Entwicklungsumfeld spielt Der Nord-Süd-Bericht der Brandt-Kommission geht zu Recht auf die „Aufgabe des Südens" ein. Dort heißt es etwa: „Zu einem Bündel staatlicher Verbesserungen müssen die Ausdehnung sozialer Dienstleistungen für die Armen, die Agrarreform, die Förderung der ländlichen Gebiete und des Kleingewerbes sowie eine bessere Steuerverwaltung hinzugehören. Ich begrüße es unter diesem Gesichtspunkt, daß schwerpunktmäßig in allen Teilen des AKP-Abkommens besonders gefördert werden die ärmsten Entwicklungsländer, die Zusammenarbeit der AKP-Staaten untereinander und sektoral die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung sowie der Energiebereich. Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn es richtig ist, daß niemand den zweiten Schritt vor dem ersten tun kann, dann kann auch nicht verlangt werden, daß wir schon den 10. Schritt gehen. Deshalb muß unmißverständlich festgehalten werden: Das AKP-Abkommen ist ein Aktivposten der europäischen und der deutschen Entwicklungspolitik. Es stellt einen Fortschritt in der Zusammenarbeit mit der Dritten Welt dar. Die Zusammenarbeit der EG mit der Dritten Welt ist zwar mit den verschiedensten, hauptsächlich aus der Kolonialgeschichte zu erklärenden Gründen zum allergrößten Teil auf Afrika konzentriert, aber ihr Funktionieren zeigt, daß neue Formen der Zusammenarbeit mit der Dritten Welt nicht nur nötig, sondern auch möglich sind. Lomé II ist sozusagen der zweite Schritt. Sagen wir ja zu diesem Schritt, sagen wir ja zu diesem Abkommen. Besten Dank. ({5})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Als nächster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Vohrer.

Dr. Manfred Vohrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002385, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte noch einige ergänzende Bemerkungen zu den verschiedenen Elementen des zweiten AKP-Abkommens machen. Ich habe den Eindruck, daß zum erstenmal in der Deutlichkeit erscheint, daß die Handelspolitik ein gewichtiges entwicklungspolitisches Instrument darstellt Es handelt sich um eine Handelspolitik, die den EG-Markt für Produkte der Dritten Welt, der AKP-Länder weitgehend öffnet, die aber andererseits den 58 Mitgliedsländern die Möglichkeit gibt, Zölle zu erheben und damit ihre Industrien, ihre Gewerbe aufzubauen. Damit können diese Länder in den Bereichen Devisen sparen, wo dies dringend erforderlich ist, damit sie eine ausgeglichene Zahlungsbilanz erreichen. Das zweite Element, das STABEX-System, weist meiner Ansicht nach nicht mehr den Schwachpunkt auf, der von dem Sprecher der Opposition herausgestellt wurde. In den Art. 23 Abs. 2 und in Art. 41 in allen drei Absätzen wird nämlich genau geregelt, was mit den Erstattungsbeträgen passieren soll. Die Erstattungsbeträge sollen ganz gezielt dafür eingesetzt werden, daß in den unterstützten Wirtschaftsbereichen die Entwicklung gefördert und daß zur Diversifizierung beigetragen wird. Das alles wird exakt ausgeführt Das ist eine der Verbesserungen zu Lomé I. Deshalb sollte man nicht den Eindruck erwecken, hier bestehe noch ein Schwachpunkt. Im übrigen hat STABEX, verglichen mit den agrarischen Regelungen der Marktordnungen des EG- Systems, für die Finanzminister den großen Vorteil, daß nicht beliebige Erhöhungen der Ausgaben vorgenommen werden können. Vielmehr stehen, sowohl in dem STABEX-Fonds als auch in dem MINEX-Fonds konkrete Beträge zur Verfügung. Es sind exakte Beträge, und damit ist eine größere Haushaltssicherheit und kein Haushaltsrisiko gegeben. Ich möchte auch zu der Frage „STABEX weltweit" noch einiges sagen. Herr Todenhöfer, Sie beklagen, daß wir dieses noch nicht erreicht hätten. Ich habe den Eindruck, daß „STABEX weltweit" nicht eine Frage zwischen der EG und den AKP-Ländern ist. „STABEX weltweit" gehört vielmehr in den Rahmen der UNCTAD-Gespräche und wäre dort in der Tat ein komplementäres Instrument zu dem gemeinsamen Fonds und zu den integrierten Rohstoffabkommen. Aber dann sollten nicht neun europäische Länder 58 Ländern helfen - und auch nicht neun europäische Länder der gesamten Gruppe der 77 -, sondern dann sollte die Gesamtheit der Industrieländer, und zwar Ost und West, miteinander der Gesamtheit der Entwicklungsländer helfen. Deshalb gehört „STABEX weltweit" eindeutig in den Rahmen von UNCTAD und nicht zu der jetzigen Regelung der EG mit den AKP-Ländern. Zum Sonderfonds für Mineralien sollte man noch folgendes sagen. Es handelt sich hier nicht um eine Automatik wie beim STABEX-System, sondern um eine Von-Fall-zu-Fall-Prüfung und eine Bindung der Mittel an das jeweilige Projekt Es gibt auch keinen Rechtsanspruch. Damit wird z. B. für den Sektor der Mineralien auch die Frage der Menschenrechte leichter zu lösen sein. Im übrigen sollte man bei dem Mineralienfonds auch darauf hinweisen, daß hier ein massives Eigeninteresse der Industrieländer besteht, nämlich das, die Rohstoff- und Energieversorgung zu sichern. Was den Schutz der Privatinvestitionen angeht, soll man den Fortschritt im Lomé II-Abkommen nicht unterschätzen. Es wurde dort der Grundsatz der Nichtdiskriminierung beschlossen. Wer weiß, wie viele erfolgreiche binationale Investitionsschutzabkommen schon zwischen EG-Ländern und AKP-Ländern bestehen, der sollte sich auch bewußt sein, daß damit ein sehr weitgehender Schutz unserer privaten Investitionen in diesen Ländern gewährleistet ist Zur industriellen und landwirtschaftlichen Zusammenarbeit ist anzumerken, daß das gesteigerte Volumen des europäischen Entwicklungsfonds einen Motor für diese Bereiche darstellen kann. Die 62 %ige Steigerung der Mittel sollte gewährleisten, daß die Zusammenarbeit mit den afrikanischen, pazifischen und karibischen Ländern erfolgreich voranschreitet. Lassen Sie mich aber auch noch ein paar kritische Bemerkungen machen, wenn wir schon bei dem Volumen der Privilegien der AKP-Staaten sind. Man sollte sich der wachsenden Kritik der Nichtprivilegierten bewußt sein. Und wer draußen in die anderen Entwicklungsländer kommt, der spürt diese Kritik. Es sind schon ganz gewichtige handelsumlenkende Kräfte durch die Privilegien für die AKP- Staaten in Gang gesetzt worden, und wir sollten uns in der Tat bewußt werden, daß wir langfristig auf Kritik der Nicht-AKP-Länder stoßen, wenn wir einseitig zu massive Privilegien schaffen. Wenn man dann bei Anpassungsschritten gegenüber den Nicht-AKP-Ländern von den AKP-Ländern kritisiert wird, die die Konservierung der jetzigen Privilegien fordern, wird man sich bewußt, daß es entwicklungspolitisch oftmals zu grotesken Ergebnissen führt, wenn man in der Entwicklungspolitik das absolute Volumen aller bisher vorhandenen Privilegien erhalten möchte. Ich habe mich sehr über die Tatsache gefreut, daß weder das erste Lomé-Abkommen noch das zweite dazu benutzt wurde, die Gruppe der 77 zu spalten und Druck auszuüben. Ich glaube, wir sollten in dieser politischen Linie fortfahren. Herr Todenhöfer, was die Menschenrechte betrifft, tun Sie hier so, als sei hier nicht hart verhandelt worden. Wer die Präambel aufmerksam liest, der sieht, daß hier nicht nur EG-intern ein Erfolg erzielt wurde. Vielmehr hat auch der Präsident der AKP-Länder bestätigt, daß eine grobe Verletzung der Menschenrechte natürlich Konsequenzen nach sich zieht. Es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, als sei eine vernünftige Definition der Menschenrechte leicht erreichbar. Die Grenze zur innenpolitischen, zur neokolonialistisch interpretierten Einflußnahme ist fließend. Deshalb sollten wir versuchen, mit der jetzt gefundenen Regelung und der Erwähnung der Menschenrechte in der Präambel auszukommen und damit das Abkommen auch vernünftig abzuwikkeln. Als Ausblick vielleicht noch ein letzter Gedanke: Wir sollen uns bewußt sein, daß die Erweiterung der EG um die Länder Spanien, Griechenland und Portugal den handelspolitischen Spielraum für das Lomé III-Abkommen, das ja sicherlich in zwei Jahren verhandelt werden muß, verringern kann. Bei allen Erweiterungsgesprächen sollten wir von Anfang an deutlich machen, daß für uns die Öffnung der Märkte für die Entwicklungsländer ein entscheidender Punkt ist. Wir sollten die Erweiterungsverhandlungen nicht in einer Weise führen, die zur Folge hat, daß der Protektionismus das Kennzeichen der EG wird. In diesem Sinne darf ich den Unterhändlern, die die mühsame Arbeit des Aushandelns zu leisten hatten, insbesondere Ihnen, Herr Staatsminister von Dohnanyi, meinen Dank ausdrücken für das Ergebnis, das wir als FDP begrüßen und das es ermöglicht, daß wir auch dem Lomé-Abkommen zustimmen können. ({0})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist vom Deutschen Bundestag einstimmig angenommen. Vizepräsident Leber Ich rufe Punkt 33 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Wiedergutmachung und Kriegsfolgengesetzgebung - Drucksachen 8/3982, 8/4123 ({1}) - Berichterstatter: Abgeordneter Löffler Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. - Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht. Bevor wir zur Abstimmung kommen, hat sich der Kollege Krey zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 59 der Geschäftsordnung gemeldet. Der Kollege Krey hat mir mitteilen lassen, er gibt die Erklärung zu Protokoll. Dem wird entsprochen. *) Wir kommen dann zur Abstimmung über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/4123 ({2}), von der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 8/3982 Kenntnis zu nehmen. Darf ich feststellen, daß das Haus dem entspricht? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/4123 ({3}) unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Darf ich die Damen und Herren bitten, sich zu setzen und die Gespräche einzustellen. Die Abstimmungslage ist nicht klar. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4123 ({4}) unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Das ist nicht leicht festzustellen. Es ist mit Mehrheit angenommen. ({5}) Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 34 und 35: 34. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Pieroth, Hauser ({7}), Dr. Zeitel, Dr. Biedenkopf, Breitbach, Dr. Dregger, Franke, Glos, Dr. Häfele, Frau Hoffmann ({8}), Kolb, Kraus, Lampersbach, Dr. Möller, Müller ({9}), Niegel, Dr. Pinger, Dr. van Aerssen, Prangenberg, Dr. Schäuble, Schröder ({10}), Dr. Schwörer, Sick, Dr. Waigel, Dr. Warnke, Dr. von Wartenberg, Wissmann, Dr. Wörner, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU I Nach Kenntnisnahme vom Inhalt lehnt Vizepräsident Leber die Annahme als Erklärung nach § 59 der Geschäftsordnung ab. Förderung von Existenzgründungen - Drucksachen 8/2603, 8/4146 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Haussmann 35. Zweite Beratung des von den Abgeordneten Hauser ({11}), Dr. Zeitel, Schmidhuber, Dr. Schwarz-Schilling, Lampersbach, Dr. von Bismarck, Engelsberger, Schedl, Haase ({12}), Dr. Luda, Schröder ({13}), Dr. Bötsch, Dreyer, Feinendegen, Dr. Friedmann, Dr. Ge orge, Gerstein, Helmrich, Dr. Hoffacker, Frau Hoffmann ({14}), Dr. Hüsch, Josten, Dr. Köhler ({15}), Kolb, Landré, Dr. Narjes, Neuhaus, Niegel, Pieroth, Frau Pieser, Dr. Pinger, Dr. Schneider, Dr. Sprung, Dr. Stark ({16}), Dr. Stavenhagen, Dr. Unland, Dr. Waffenschmidt, Dr. Warnke, Wohlrabe und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der freien Berufe und zur Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in der mittelständischen Wirtschaft ({17}) - Drucksache 8/708 - a) Bericht des Haushaltsausschusses ({18}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 8/4321 - Berichterstatter: Abgeordnete Frau Simonis b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({19}) - Drucksache 8/4316 Berichterstatter: Abgeordnete Lampersbach Dr. Schachtschabel ({20}) Interfraktionell ist verbundene Debatte der Tagespunkte 34 und 35 vereinbart worden. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Ich sehe: das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Pieroth.

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Antrag zur Föderung von Existenzgründungen ist ein wichtiges Teilstück unserer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Er will den Willen zur Selbständigkeit dauerhaft stärken, Existenzgründungen solider machen, die Eigenkapitalbasis verstärken. Wir brauchen eine solche echte und dauerhafte Stärkung der Bereitschaft zum Selbständigwerden. Diesen gesellschaftspolitischen Durchbruch müssen wir schaffen. Wir wollen keine aus der Statistik herausgerechnete Scheinblüte bei den Selbständigen. Herr Roth hat bei der Beratung des ERP-Haushalts am 12. Juni hier falsche Zahlen gebracht, als er meinte, 1977 sei die Zahl der Selbständigen per Saldo um 14 000, 1978 um 6 000 und 1979 um 38 000 gestiegen. Auch Herr Haussmann liegt falsch, wenn er im schriftlichen Bericht zum Ausdruck bringt, die verschiedenen Programme der Bundesregierung seien wesentlich ursächlich für diesen nicht zuletzt von Herrn Roth genannten Anstieg der Zahl der Selbständigen. Wie liegen die Zahlen? Laut dem Statistischen Bundesamt betrug die reine Zahl der Selbständigen 1970 2,690 Millionen, 1977 2,420 Millionen, 1978 2,410 Millionen. Erst 1979 gab es anders als nach Roth - einen ersten Anstieg, und zwar um 26 000. Was heißt ein solches Plus von 26 000? Unser Problem ist doch: Wie kommen wir zu mehr Neugründungen? Eine Saldobestandszahl sagt überhaupt nichts darüber, ob der Saldo vielleicht nicht durch weniger Abmeldungen positiv ist, wofür vieles spricht. Es spricht dafür, daß die Zahl der Konkurse ab 1977 zurückgegangen ist. Diese Zahl ist bekannt. Um so stärker dürfte die um ein Mehrfaches höhere Zahl der freiwilligen Unternehmensaufgaben gesunken sein; sie ist allerdings nicht bekannt. Was sind das eigentlich für neue Selbständige? Wir sehen sie in unseren Städten: immer mehr ausländische Gaststätten, die da aufmachen. Wir gehen zu Änderungsschneidereien, die von Italienern und Türken betrieben werden. Wir kaufen unser Obst und unsere Blumen bei Spaniern und bei Griechen. Wo sehen wir die neuen deutschen Selbständigen? Jetzt könnte ich mir vorstellen, daß Professor Schachtschabel das nachher als „unnötige statistische Genauigkeit" abtun wird. Aber wir unterscheiden ja auch in der Zahl der Beschäftigten nach Deutschen und Ausländern, und auch bei den Geburten unterscheiden wir zwischen deutschen und ausländischen Kindern. Dann müssen wir auch wissen,wie es um den Selbständigkeitswillen der Deutschen steht. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, hier endlich klare Zahlen vorzulegen, auch wenn diese klaren Zahlen ein noch so erschreckendes Gründungsdefizit der deutschen Bevölkerung zum Ausdruck bringen sollten. Das gesellschaftspolitische Problem der insgesamt weiter sinkenden Selbständigkeit ist jedenfalls nicht gelöst; denn auch 1979 hat die Zahl der Selbständigen, einschließlich der mithelfenden Familienangehörigen, um weitere 55 000 abgenommen. Diese mithelfenden Familienangehörigen darf man nicht vergessen, weil auch sie es sind, die zusammen mit ihren Partnern eigenes Risiko tragen, die lieber - und immer noch eher - für sich selbst vorsorgen, als sich von anderen versorgen zu lassen. Da ist zum anderen die Zahl der Beschäftigten im letzten Jahr weit stärker gestiegen als die Zahl der Selbständigen, wodurch die Selbständigenquote von 9,6 % auf 9,5 % weiter rückläufig war. Herr Kollege Haussmann, jetzt wollten Sie sich die 26 000 plus im letzten Jahr an den Hut stecken. Sie vergessen dabei aber das traurige Schicksal des Eigenkapitalhilfeprogramms der Bundesregierung, womit 10 000 zusätzliche Existenzen gefördert werden sollen; in Wahrheit - das wird die Bundesregierung selbst zugeben - wird dies allenfalls ein Viertel davon. Dieses tolle Förderungsprogramm kann also nicht der Grund gewesen sein, daß die Zahl größer geworden ist. Sie vergessen und übersehen die Leistungen unserer Bundesländer. Sie klammern aus, was unsere Handwerkskammern, unsere Industrie- und Handelskammern bringen. Die Handelskammern haben nicht nur fast genügend zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen, sie haben auch für die Existenzgründungsförderung sehr viel getan, anders, als es im Ausschuß dargestellt wurde. Bei 53 von 67 erfaßten IHKs haben die Existenzgründungsberatungen im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr um 50 % zugenommen. Wir sollten unseren Kammern, insbesondere der Industrie- und Handelskammer Koblenz, für eine solche Pionierleistung auch mal dankeschön sagen. ({0}) Aber Kollege Haussmann trifft auch die Wahrheit, wenn er in dem vorliegenden schriftlichen Bericht formuliert: Die niedrigere Zahl von Existenzgründungen ist auf eine zu geringe Bereitschaft zur Selbständigkeit zurückzuführen. In der Tat, diese Bereitschaft ist nach wie vor in der deutschen Bevölkerung weiter gesunken. Es muß uns allen doch Sorge machen, daß laut Aliens-bach 1967 noch 17% der Bevölkerung selbständig werden wollten, 1977 7% und im Jahre 1980 - in einer ganz jüngsten Befragung - nur noch 6 %; die Zahl ist also rückläufig. An diesen Zahlen sehen wir, daß noch viel getan werden muß, damit der mögliche leichte Anstieg des Jahres 1979 keine Eintagsfliege bleibt. Worum geht es jetzt? Wir brauchen eine Kräftigung des Willens zur Selbständigkeit, nicht eine Förderung der Subventionsmentalität. ({1}) Die Grundeinstellung muß lauten: sich bewähren, sich selbst bewähren und nicht etwas beim Staat abholen wollen, Eigenkapital ansparen, Auftraggeber werden, nicht Antragsteller für Staatszuschüsse. ({2}) Es muß wieder mehr gefragt werden, was man selber - z. B. als Selbständiger - für die Gemeinschaft tun kann, und nicht, was der Staat für einen tun soll. Wenn wir diese Einstellung fördern, dann wird es auch bei der Jugend weniger „Aussteiger" und mehr „Einsteiger" in diese Gesellschaft geben. Vieles von dem, was in alternativen Gruppen, in neuen Existenzformen und in neuer Lebensweise brodelt, ist im Grunde genommen ein Stück Selbständigkeit, aber auf einem Weg, der nie zu einem Ziel kommen wird. Daher scheint mir besonders wichtig zu sein, daß wir den latenten Willen zur Selbständigkeit mit der richtigen Philosophie beantworten. Wir dürfen nicht - wie Ihr Kollege im Wirtschaftsministerium, Herr Staatssekretär Schlecht - als Ausgangspunkt unsePieroth rer Überlegungen die Tatsache wählen, daß angeblich Existenzgründungen häufig spontan erfolgen und hierfür spontane Finanzierungserleichterungen angeboten werden müßten. Nein, eine gesunde Existenzgründung darf nicht zufällig von außen angestoßen werden; sie muß langsam im Innern heranreifen. ({3}) Deshalb muß lange im voraus die Fähigkeit verstärkt werden, im richtigen Zeitpunkt gründen zu können. Es ist unser strategisches Ziel, es dem potentiellen Existenzgründer, dem Arbeitnehmer, auch der Hausfrau, die davon träumt, später einmal etwas Eigenes anzufangen, zu erleichtern, für diese Existenzgründung genügend Eigenkapital anzusparen. Nur genügend Eigenkapital ist eine solide Basis für einen soliden Anfang. Anders geht es nicht. ({4}) Genau dem wird mit unserem Antrag zum Existenzsparen Rechnung getragen. Das ist kein neues dreiundzwanzigstes oder siebenunddreißigstes Förderungsprogramm; unser Existenzsparen ist weitgehend analog dem Bausparen. Praktisch jeder Deutsche kennt das Bausparen. Viele Millionen sind Bausparer, und sie beschäftigen sich lange, bevor sie bauen können, mit der Idee ihres Eigenheimes. Ähnlich sollen viele junge Menschen Existenzsparer werden. Lange bevor sie den Schritt in die Selbständigkeit tun können, sollten wir ihnen Mut machen, den Realisierungswillen verstärken. Wir brauchen diese jungen Menschen, und deshalb machen wir ihnen Mut. Daher wollen wir bis zu fünfmal 5000 DM, also insgesamt 25000 DM, Startkapital als Sonderausgaben aus dem Einkommen herausnehmen. Wer sich damit nach zehn Jahren nicht selbständig gemacht hat, der muß nachversteuern. In eine ernsthafte Sachdiskussion darüber sind Sie mit uns im Ausschuß nicht eingetreten. Sie sagten, es gehe bei uns nicht schnell genug. Mit den knapp 2 500 DM bei Ihrem Eigenkapitalhilfeprogramm mit durchschnittlich 30 000 DM schaffen Sie es bestimmt nicht schneller. Sie sprachen von „Mitnehmereffekten", Kollege Schachtschabel. Dazu sage ich: Lieber ein paar Selbständige zuviel als viel zu wenig. Wir brauchen sie. ({5}) Sie sagten, das sei nicht finanzierbar. Das beweist doch nur, wie statisch-bürokratisch Sie denken. Mehr Selbständige, eine dynamischere Wirtschaft ergeben Einnahmen. So ist es mit Investitionen; sie kosten etwas. Aber richtigt angelegt - nur verstehen Sie das meistens nicht - bringen sie auch etwas. Meine Damen und Herren, jeder Selbständige mehr ist ein unselbständig Beschäftigter weniger und letztlich ein Arbeitslosenhilfeempfänger weniger. Mehr Selbständige sind das beste Arbeitsbeschaffungsprogramm. Das sind die besten ABM-Maßnahmen. Nicht wir Politiker, nicht die Großindustrie, sondern die kleinen Selbständigen, die Familienbetriebe, haben die zusätzlichen Arbeitsplätze der letzten Jahre geschaffen, und sie sollten dazu ermutigt werden. So gesehen ist Existenzsparen eine Investition in die Zukunft, ein Stück Zukunftssicherung. Die Verbände bringen das zum Ausdruck. Der DIHT hat dieser Tage erst geschrieben, das CDU/ CSU-Programm weiterzuverfolgen. Ich habe hier die Zustimmung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Er schreibt, das, was wir vorschlügen, sei eine notwendige Vorstufe für das Eigenkapitalhilfeprogramm der Regierung. Mir liegt hier die Zustimmung der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels vor. Sie selbst bleiben auf Ihrem bombastisch angekündigtem angeblichen Eigenkapitalhilfeprogramm sitzen; es ist ja nur ein ganz dünnes Rinnsal geworden. Unsere Kritik ist berechtigt. Schon mit dem Begriff Eigenkapitalhilfeprogramm wurde ein unnötig hoher Erwartungshorizont erweckt Es ist doch kein echtes Eigenkapital, was Sie da geben, denn es muß verzinst und getilgt werden. Man darf ja maximal nur 13,3 % Eigenkapital haben, damit man überhaupt das Fremdkapital bekommt. Wir bedauern den Rückgang des Eigenkapitals in der deutschen Wirtschaft von 30 auf 22 %, und jetzt verlangen Sie, daß bei einer Neugründung nur 13,3 % vorhanden sein dürfen. Als Unternehmer rate ich jedem ab, mit nur 13,3 % Eigenkapital eine selbständige Existenz gründen zu wollen. Das können Sie nicht verantworten. ({6}) Nun komme ich auf das Antragsformular zu sprechen. Als ich vor 25 Jahren selbst gegründet habe, hätte ich diese vier Seiten nicht ausfüllen können. Mir ist nicht die Prophetie gegeben, auf die Frage zu antworten, ob mein Unternehmen auch konkurrenzfähig sei, ({7}) ob ich voraussichtlich den zu erwartenden behördlichen Auflagen und städtebaulichen Planungen entsprechen könne, ob denn der Mindestumsatz gesichert sei und welches Betriebsergebnis in der Anlaufzeit vor Steuern erzielbar ist. Das kann niemand im voraus wissen. Ich kann nur sagen: Wer solche Fragebögen ausarbeitet, der hat niemals eine selbständige Existenz begründet. ({8}) Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ihr Eigenkapitalhilfeprogramm taugt nicht viel. Die Praxis zeigt: unser Existenzsparen muß Gesetz werden. Meine Damen und Herren von der SPD, jetzt rede ich nicht mehr zu Ihnen - Sie wollen es ja doch nicht -, sondern ich rede noch eine halbe Minute zur FDP: Sie würden ja ganz gerne, wenn Sie dürften. ({9}) Jetzt ist wieder Ihre marktwirtschaftliche Glaubwürdigkeit gefordert Unser Antrag ist ein Prüfstein dafür, ob Sie in der Sache einmal mitmachen oder ob Sie immer wieder Rücksicht nehmen müssen. Herr Haussmann, zeigen Sie Ihre Unabhängigkeit nicht nur draußen im Lande, wie Sie es in diesen Tagen bei Ihren abgekarteten Wahlkampfmanövern getan haben, zeigen Sie sie einmal hier im Bundestag, wo sachlich gearbeitet wird! Wenn Sie die großen Fragen der Zeit lösen wollen, dann dürfen Sie sich in der Koalition nicht nur als „Bremser" in schlimmsten Dingen ansehen, dann müssen Sie auch einmal Gas geben. Jetzt, da es um die gute Sache der Selbständigen geht, können Sie Gas geben! Wir fordern Sie deshalb auf: Zeigen Sie wenigstens einmal in dieser Legislaturperiode, daß Sie von der FDP sich auch einmal selbständig machen können. ({10})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Schachtschabel das Wort.

Dr. Hans Georg Schachtschabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist von der SPD-Bundestagsfraktion immer wieder betont und mehrfach zum Ausdruck gebracht worden, daß sie jederzeit bereit ist, Vorschläge, die geeignet erscheinen, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen zu fördern und zu stärken, entgegenzunehmen und sie ernsthaft zu diskutieren. ({0}) Herr Kollege Pieroth, ich glaube hinsichtlich des Zieles sind wir uns durchaus einig, aber nicht hinsichtlich der Mittel. Voraussetzung derartiger Vorschläge sollte allerdings sein, daß sie überhaupt erforderlich und - bejahendenfalls - auch wirkungsvoll sind. Diese beiden Bedingungen erfüllt der Antrag der CDU/CSU zur Förderung von Existenzgründungen nicht Zu diesem Antrag hat der Herr Kollege Pieroth hier gesprochen. Ich darf zuerst auf diesen Antrag eingehen. Der Vorschlag ist keineswegs notwendig; zudem erweist er sich auch als wenig tauglich. Er stellt keine Alternative zum Eigenkapitalhilfeprogramm der sozialliberalen Bundesregierung dar, das seit Mitte des letzten Jahres erfolgreich praktiziert wird. Nur beiläufig sei erwähnt, daß auch das längst durchgeführte ERP-Existenzgründungsprogramm den Anforderungen entsprechend enorm ausgebaut worden ist. Wenn die Opposition mit einer dürftigen und vorwiegend wahlpropagandistischen Argumentation - wir haben eben wieder einen Aufguß davon erlebt - das Eigenkapitalhilfeprogramm als wirkungslos zu kennzeichnen versucht, so muß sie sich entgegenhalten lassen, daß dies nicht zutrifft und daß der Hinweis, dieses Programm laufe nicht, einfach falsch ist. Im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms sind bis zum 14. Mai 1980 insgesamt 3 925 Anträge auf Eigenkapitalhilfe mit einer Gesamtantragshöhe von 145 Millionen DM gestellt worden. Bis zum gleichen Zeitpunkt sind 2 019 Zusagen erfolgt und 893 Absagen erteilt worden. Dabei ist zu beachten, daß erfahrungsgemäß jedes Programm eine gewisse Anlaufzeit benötigt und seine volle Wirksamkeit erst nach rund zwei bis drei Jahren beurteilt werden kann. Für das Eigenkapitalhilfeprogramm steht aber schon heute fest, daß es die in diese Maßnahme gesetzten Erwartungen durchaus zufriedenstellend erfüllt und damit das gesetzte Ziel erreicht wird. Die CDU/CSU sollte sich auch mit den bislang über das Eigenkapitalhilfeprogramm bekanntgewordenen Berichten - und das sind Anerkennungen - befassen, aus denen hervorgeht, daß das neue Programm übereinstimmend als positiv bewertet wird, wobei auch das unbürokratische Vergabeverfahren hervorgehoben worden ist. Dieses Eigenkapitalhilfeprogramm darf aber nicht isoliert gesehen werden. Wir haben schon auf das ERP-Existenzgründungsprogramm verwiesen, bei dem der Haushaltsansatz 1977 rund 265 Millionen DM betrug. Er liegt 1980 bereits bei 840 Millionen DM. Allein aus diesem Programm haben im Jahre 1979 - dies ist auch in Ergänzung zu den Ausführungen meines Kollegen Roth zu werten - mehr als 10 000 Nachwuchskräfte der gewerblichen Wirtschaft finanzielle Hilfen zum Aufbau eines eigenen Unternehmens erhalten. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß die Zahl der Selbständigen in den letzten drei Jahren - ich betone: im Gegensatz zu den noch zu überprüfenden Zahlen von Herrn Pieroth - ohne den Bereich Land- und Forstwirtschaft um rund 58 000 gestiegen ist, allein im letzten Jahr um rund 38 000. Ich glaube, die Zahlen sprechen für sich selbst. Meine Damen und Herren, wir sind deshalb der Meinung, daß der Antrag der CDU/CSU zur Förderung von Existenzgründungen, der hier zur Debatte und zur Beratung steht, überflüssig ist. Es kommt hinzu, daß der Antrag erhebliche Schwächen aufweist. Dazu auch nur in aller Kürze ein paar Hinweise. Das Ansparmodell der CDU/CSU vertröstet den potentiellen Existenzgründer auf einen weit in der Zukunft liegenden Termin, denn er muß vom Sparbeginn ab fünf oder gar zehn Jahre warten. Herr Pieroth, ich gehe mit Ihnen nicht einig, wenn Sie sagen, die Existenzgründung sei ein langfristig gestecktes Ziel. Wir können Ihnen sehr sauber und überzeugend nachweisen, daß Existenzgründungen in der Mehrzahl spontan erfolgen und daß vor allen Dingen die konjunkturelle Situation und nicht nur das Gefühl des Selbständigwerdens der Anlaß ist, daß der betreffende Jüngere oder Ältere den Mut oder die Kraft findet, sich selbständig zu machen. Gerade das fördert das Eigenkapitalhifeprogramm der sozialliberalen Bundesregierung. ({1}) - Lassen Sie sich das sagen. Wir werden Ihnen das auch beweisen. Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir Ihnen sogar die Schriften darüber vorlegen. Die meisten Existenzgründungen werden nicht langfristig geplant. Dem spontanen Existenzgründer, der seine Möglichkeit gegenwartsbezogen wahrnehmen will, wird mit Ihrem Programm oder mit Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht geholfen. ({2}) - Lassen Sie doch die polemischen Ausführungen, Herr Hauser! Sie befinden sich wahrscheinlich schon in einer Wahlkampfsituation, weil Sie nervös werden. Sie sehen doch, wie ruhig und gelassen wir Ihre nicht gerade zutreffenden Bemerkungen widerlegen. Das müssen Sie sich nun einmal gefallen lassen. Viele potentielle Existenzgründer sind auf Grund ihrer Einkommenssituation nicht in der Lage, die erforderlichen Summen anzusparen. Sie benötigen also für ihr Gründungsvorhaben zusätzliche finanzielle Hilfestellungen. Eine steuerliche Begünstigung des Ansparens ändert an dieser mangelnden Sparfähigkeit überhaupt nichts. Wegen der Abhängigkeit des Fördereffektes von der Steuerprogression würden von dem Ansparmodell der CDU/CSU in erster Linie Bezieher hoher Einkommen begünstigt. Ausgerechnet für die weniger gut Verdienenden, die sicherlich die Mehrzahl der Gründungswilligen in typisch mittelständischen Bereichen ausmachen und denen gerade das notwendige Eigenkapital zur Existenzgründung häufig fehlt, wäre daher die Anreizwirkung sehr gering. Ich möchte noch erwähnen, daß bei den Beratungen im Ausschuß deutlich wurde, daß die erforderlichen steuerrechtlichen Abgrenzungen zu einer erheblichen Komplizierung führen würden. ({3}) Hier zeigt sich wieder einmal, daß die CDU/CSU zwar die angebliche Gesetzesflut und Bürokratie immer wieder angreift, aber in der Praxis gerade das Gegenteil tut Dann muß ich noch einen Punkt richtigstellen. Dazu bedarf es längerer Ausführungen. Da ich so wenig Zeit habe, will ich nur kurz auf das antworten, was Herr Kollege Pieroth schon im Ausschuß für Wirtschaft hochgespielt hat und was er hier soeben wieder vorgetragen hat Er macht sich nicht einmal die Mühe, dieses Eigenkapitalhilfeprogramm richtig anzusehen. Von Ihnen ist abgeleitet worden, ein Existenzgründer dürfe nicht mehr als 13,2 % eigene Mittel aufbringen. Das haben Sie gesagt, Herr Pieroth. Diese Ihre Behauptung ist geradezu abenteuerlich. ({4}) Selbstverständlich kann der Gründer mehr eigene Mittel einsetzen. Das haben wir Ihnen im Ausschuß immer wieder gesagt, und das ist auch die Praxis. ({5}) Es ist aus unserer Sicht nur wünschenswert, daß das geschieht Allerdings ist dann auch nur ein geringerer Anteil an Eigenkapitalhilfe zur Erlangung des erwähnten Drittels notwendig. Bei diesem Hinweis will ich es aus zeitlichen Gründen bewenden lassen. Auf Grund dieser hier nur kurz angedeuteten Bemerkungen halten wir den Antrag der CDU/CSU nicht für geeignet, einen Beitrag zur Förderung von Existenzgründungen zu leisten. Wir lehnen ihn deshalb ab. Da wir in einer verbundenen Debatte auch noch zum Bundesmittelstandsförderungsgesetz einige Bemerkungen vorzutragen haben, darf ich mir dies erlauben. Auch zu diesem Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes, den die CDU/CSU eingebracht hat, muß sich die Opposition erhebliche kritische Einwände gefallen lassen. Der hier in der zweiten Lesung behandelte Gesetzentwurf wird von der SPD-Bundestagsfraktion abgelehnt, weil er ebenfalls überflüssig und untauglich ist. Der Gesetzentwurf ist überflüssig, weil die darin enthaltenen Forderungen längst mittelstandspolitische Praxis und Bestandteil des fortgeschriebenen „Aktionsprogramms der Bundesregierung zur Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmen" sind. Eine vergleichende Darstellung zeigt zudem, daß die im Aktionsprogramm enthaltenen Maßnahmen zum großen Teil konkreter und umfassender sind. Wir hatten dies bereits in der ersten Lesung am 29. September 1979 ausführlich dargelegt. Das im Mai 1978 zu diesem Gesetzentwurf durchgeführte Hearing hat unsere Auffassung bestätigt, und Sie, meine Herren von der Opposition, sollten sich daran erinnern. ({6}) Der CDU/CSU-Entwurf ist jedoch nicht nur überflüssig, er ist auch untauglich. Die Vorlage der Opposition ist nichts anderes als eine unverbindliche Absichtserklärung. Klare Rechtsansprüche und Rechtswirkungen sind daraus nicht abzuleiten. Bezeichnenderweise hat die Oppostion die Regelung der finanziellen Förderung im Gesetzentwurf ausdrücklich unter Haushaltsvorbehalt gestellt, also absolut unbestimmt und unklar gelassen. ({7}) Die sozialliberale Koalition dagegen hat dem gewerblichen Mittelstand mehr als leere Versprechungen anzubieten. Im Rahmen ihres Aktionsprogrammes sind zum Beispiel die Etatmittel von BMWi und BMFT zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen von 1970 bis 1980 mehr als verelffacht worden: 1970 66,2 Millionen DM, 1980 880 Millionen DM. Über diese Haushaltsmittel hinaus werden zur Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten langfristige Darlehen zu günstigen Konditionen aus dem ERP-Sondervermögen gewährt. Die ERP-Ansätze 1980 haben sich gegenüber 1977 bereits ver18412 doppelt. Es waren 1977 766 Millionen DM, 1980 sind es 1,7 Milliarden DM. Hinzu kommen umfangreiche Finanzierungshilfen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Lastenausgleichesbank. Ich erwähne hier die Zahl für 1979: rund 3,6 Milliarden DM. Untauglich ist der Entwurf der CDU/CSU vor allem auch deswegen, weil ausgerechnet die für eine wirkungsvolle Mittelstandspolitik auf Bundesebene ausschlaggebenden gesetzlichen Rahmenbestimmungen, z. B. die des Wettbewerbsrechts und des Steuerrechts, in einem solchen Bundesmittelstandsförderungsgesetz überhaupt nicht geregelt werden können. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen ihrerseits haben dagegen gerade diese Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen erheblich verbessert Meine Damen und Herren, ich könnte Ihnen noch eine Fülle von Einzelheiten darlegen, was für den gewerblichen Mittelstand und überhaupt für die Selbständigen getan worden ist Bei nüchterner Betrachtung müssen Sie wohl zugeben, daß wir eine wirkungsvolle und erfolgreiche Mittelstands- oder Selbständigenpolitik betrieben haben. ({8}) Ich verweise abschließend noch darauf, daß ein Bundesmittelstandsförderungsgesetz nicht die gleiche Flexibilität bei der Entwicklung und Fortschreibung von Fördermaßnahmen bieten kann wie das erfolgreich parktizierte Aktionsprogramm der Bundesregierung für kleine und mittlere Unternehmen. Gerade auch wegen der bei der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen erforderlichen Flexibilität, die mit Programmen gesichert ist, muß das Bundesmittelstandsförderungsgesetz abgelehnt werden. Wir sind im übrigen, meine Damen und Herren, sehr dankbar, daß gewisse Institutionen, die Sie alle kennen, darunter z. B. das Institut für Mittelstandsforschung, objektiv getroffene Feststellungen veröffentlicht hat, die uns zugleich bestätigen, daß die sozialliberale Bundesregierung mit ihren mittelstands- und selbständigenpolitischen Maßnahmen auf dem richtigen Wege ist Dies sollte endlich auch die Opposition einsehen und sich mit ihren Vorschlägen darauf einstellen, die wirkungsvollen und erfolgreichen Programmme der sozialliberalen Bundesregierung im Interesse des gewerblichen Mittelstandes und aller Selbständigen nachhaltig zu unterstützen. ({9}) Ich meine, dann hätten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mehr Erfolg als mit den Vorschlägen, die Sie uns hier auf den Tisch legen, die ich nur als unausgegoren und in keiner Weise als ausgewogene Maßnahmen für eine sinnvolle und erfolgreiche Mittelstandspolitik bezeichnen kann. ({10})

Georg Leber (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001299

Als nächster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Waigel. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Mittelstand kann auch sprechen, wer sich zu den Mittelschichten zählt Es wäre gut, wenn mehr Mittelschichten und mehr Mittelständler in allen Bereichen in vielen Gesellschaften in anderen Volkswirtschaften da wären, weil dann mehr Stabilität nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im gesellschaftlichen und im politischen Bereich bestünde. ({0}) Bei dem Vergleich der Ausführungen des Kollegen Pieroth mit denen des sehr geschätzten Professors Schachtschabel ist mir aufgefallen, daß die Ausführungen des Kollegen Pieroth mehr aus der Praxis kamen, von jemandem, der schon konkret mit Finanzierungen in diesem Bereich zu tun hatte und das auch erfolgreich unter Beweis gestellt hat Die Ausführungen meines Vorredners erinnerten mehr an seminarhafte Ausführungen, die sehr von der Theorie beeinflußt waren. ({1}) Die Union hat - und dazu darf ich sprechen - den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der freien Berufe und zur Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in der mittelständischen Wirtschaft vorgelegt. Ziel dieses Gesetzentwurfs ist der Nachteilsausgleich beim Mittelstand. Kleine und mittlere Unternehmen sind von Natur aus leistungsfähig, unterliegen aber auf verschiedenen Gebieten größenspezifischen Nachteilen. Die Summe dieser Nachteile hat zu einer Verringerung der Zahl mittelständischer Unternehmen und damit auch zu einem Substanzverlust der Marktwirtschaft geführt. Um diese gestiegenen Risiken für Unternehmen in der Zukunft vernünftig einzugrenzen, um den mittelständischen Unternehmen und vor allem den bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmern die Zukunft zu sichern, brauchen wir eine Wende in der Mittelstandspolitik. Es hat sich schließlich eingebürgert - und auch das wird niemand bestreiten -, daß Großunternehmen beinahe automatisch von Staats wegen saniert werden, die kleinen Mittelständler und ihre Arbeitnehmer aber auf der Strecke bleiben. ({2}) Ich möchte niemandem unterstellen, daß er den Mittelstand vernichten will - höchstens einigen ganz linken Flügeln, die mit der Aktion „Gelber Punkt" vor einigen Jahren aktiv geworden sind. Aber ich hoffe, daß kein Parlamentarier so unvernünftig wäre, ein solches Ziel zu verfolgen. Doch schöne Worte, meine Damen und Herren von der Koalition, genügen nicht SPD und FDP machen eine Politik, die vorzugsweise an die Unselbständigen gerichtet ist, weil sie die großen Wählerzahlen darstellen. Dabei werden die Selbständigen übersehen, ohne zu bedenken, daß zwei Drittel der Arbeitsplätze im mittelständischen Bereich liegen und über 90 % unserer Firmen mittelständisch sind. Wir wollen durch den vorgelegten Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes klarmachen, daß der Selbständige eine unverzichtbare Schlüsselrolle bei der Erhaltung und Steigerung der Leistungsfähigkeit gerade in unserer hochtechnisierten Volkswirtschaft besitzt und daß insbesonder die Hilfe für den Mittelstand der Volkswirtschaft insgesamt neue Gestaltungschancen eröffnet. In dieser Betrachtungsweise - und da stimme ich mit Ihnen, Herr Professor Schachtschabel, nicht überein - haben die Sachverständigen, jedenfalls die Mehrheit, wie ich das nachgelesen habe, etwas ganz anderes gesagt, als Sie vorhin dargelegt haben. Aus diesen Unterlagen und aus dem Heraring geht doch eindeutig hervor, daß weitere wirtschaftspolitische Maßnahmen notwendig sind, um die strukturellen Nachteile der mittelständischen Wirtschaft auszugleichen und ihre Zukunft im wirtschaftlichen Wandel zu sichern. ({3}) Es geht hier nicht um die Schaffung von Naturschutzparks für Mittelständler, sondern es geht um die Herstellung von Chancengleichheit für Unternehmen unterschiedlicher Größenordnung. Insofern ist dies ein Beitrag zu einer vernünftigen Größenordnungsstrukturpolitik in unserer Wirtschaft. ({4}) Der Kollege Haussmann, der anschließend noch Stellung nehmen wird, hat uns im Pressedienst seiner Fraktion vom 19. Juni dieses Jahres vorgeworfen, wir wollten eine Schutzzaun-Politik. Er hat gesagt, der Mittelstand dürfe nicht ängstlich zum Anhängsel staatlicher Schutzpolitik gemacht werden. - So schreibt aber nur jemand, der entweder unseren Gesetzentwurf nicht gelesen oder, was noch schlimmer ist, ihn nicht verstanden hat; denn dieser Gesetzentwurf beinhaltet ein durchgehendes Prinzip: Hilfe zur Selbsthilfe. Er entspringt genau dem Subsidiaritätsgrundsatz, dem wir uns alle gemeinsam verpflichtet fühlen sollten. ({5}) Einzelheiten zum Gesetzentwurf sind in der Begründung und auch im Bericht, den die Kollegen Lampersbach und Professor Schachtschabel hier abgegeben haben, enthalten. Ein solches Gesetz ist ein vertrauensbildender Akt, ist die Zusammenfassung von Zielen und Maßnahmen und ist gerichtet auf den Abbau von Informationsmängeln, die Bindung der öffentlichen Hand, die Schaffung von Impulsen zur Selbständigkeit, eine Flurbereinigung im Programmdurcheinander, eine Signalwirkung insgesamt in der Wirtschaft und Konstanz für die Wirtschaftspolitik. Der Mittelstand steht einer wuchernden Bürokratie gegenüber, und die führt zu einem schrumpfenden Mittelstand. Wenn der „Wegweiser" durch alle Mittelstandsprogramme zwischenzeitlich zu einem Verkaufshit, zu einem Verkaufsschlager geworden ist und, wenn ich richtig informiert bin, über 20 DM kostet, wenn sich die Leute, denen die Programme zugute kommen sollen, diesen Wegweiser also erst mit viel Geld anschaffen müssen, dann beweist das doch schon die Notwendigkeit einer Kodifizierung, einer Zusammenfassung und einer Bereinigung des ganzen Mittelstandsdschungels, den Sie in den letzten Jahren angerichtet haben. ({6}) Das alles bevorzugt doch die Großen noch zusätzlich, die in der Lage sind, über ihre Stabsstellen, über Sonderstellen alles auszunützen, während der kleine und mittlere Unternehmer resigniert und kapituliert, weil er gar nicht mehr in der Lage ist, die Dinge zu übersehen und sie damit auch wahrzunehmen. ({7}) Nicht zuletzt die gesellschaftliche Stabilität und die Freiheit hängen von einem Gedeihen des Mittelstands ab. Das beweisen Länder, wo der Sozialismus am Zuge ist, wo der Mittelstand kaputtgemacht wurde, und das beweisen Entwicklungsländer, wo es leider keinen vernünftigen Mittelstand 'gibt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Waigel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schachtschabel?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne.

Dr. Hans Georg Schachtschabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001929, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Waigel, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Vertreter des von mir angeführten Instituts für Mittelstandsforschung auf die Frage, ob das „Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmen" wirkungsvoll gewesen sei, geantwortet haben - ich zitiere -: „Man kann sicher davon ausgehen, daß das Aktionsprogramm der Bundesregierung in der Vergangenheit zur Leistungssteigerung der kleinen und mittleren Unternehmen beigetragen hat."? Widerlegt das nicht gerade Ihre Ausführungen, die Sie eben vorgetragen haben?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Professor Schachtschabel, das beweist es nicht; denn den kleinen und mittleren Unternehmen wäre es viel lieber gewesen, man hätte ihnen das Geld von vornherein über eine vernünftige Steuerpolitik gelassen, anstatt ihnen das Geld abzuknöpfen, es über die Bürokratie zu jagen und dann einen Teil des Geldes dem Mittelstand mit nicht effektiven Programmen wieder zuzuführen. ({0}) - Ich wußte gar nicht, Herr Kollege Wehner, daß Sie sich auch um den Mittelstand kümmern. ({1}) - Die Unterstellung dürfen Sie mir nicht machen. Für dumm habe ich Sie nie gehalten. Nicht hektischer Aktionismus und neue Programmfluten helfen dem Mittelstand, sondern die Einhaltung ordnungspolitischer Grundprinzipien, die verankert und gesetzlich abgesichert werden sollen. Hier bringt das Gesetz, das wir eingebracht haben, ein Weniger an Bürokratismus, weil sich die Betroffenen darauf einstellen können, weil sie eine gesicherte Rechtsgrundlage bekommen und weil damit die ganze unübersichtliche Flut von Vorschriften zusammengefaßt und in einen vernünftigen Konnex gebracht wird. Es stimmt auch nicht, Herr Professor Schachtschabel, daß bereits alles in den Programmen enthalten sei. Sie wissen genau, daß Dinge wie die Verpflichtung zur mittelstandsgerechten Vergabe öffentlicher Aufträge, das Privatisierungsgebot, die Verbesserung des Exportpotentials darin nicht enthalten sind. All das haben Sie in Ihren Programmen nicht berücksichtigt. Die FDP wird anschließend, nehme ich an, in Gestalt des Kollegen Haussmann das Hohelied der Mittelstandspolitik singen. Ich kann nur sagen, Herr Kollege Haussmann: Sie hätten ganz klar Farbe bekennen können z. B. bei der Halbierung des Mehrwertsteuersatzes. Gegenüber dem Hotel- und Gaststättengewerbe haben Sie es zugesagt; eingehalten haben Sie es nicht. Sie hätten etwas beim Schwerbehindertengesetz tun können. Sie hätten etwas bei der Schwarzarbeit, bei den Sprecherausschüssen für leitende Angestellte tun können. Überall große Worte, sonst nichts.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß. Sozialliberale Mittelstandspolitik besteht darin, den Handwerkern, den mittleren Unternehmern und Freiberuflern zuerst das Geld mittels einer überzogenen Steuer- und Abgabenpolitik wegzunehmen, die Eigenkapitalbildung zu erschweren, mit diesem Geld bürokratische Programme zu finanzieren und sich dieses politischen Geldraubs auf Kosten der Steuerzahler in Broschüren zu rühmen. Die Mittelstandspolitik der CDU/CSU dagegen ist eine sinnvolle Betriebsgrößenstrukturpolitik und damit eine übergreifende Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich hätte mir zum Abschluß dieser Legislaturperiode gewünscht, daß die Opposition uns auf diesem wichtigen Gebiet der Mittelstandspolitik wirklich herausfordert. Aber es sind nur zwei Ladenhüter hier zum Vorschein gekommen. Herr Kollege Pieroth, auch Ihnen als wirklich sympathischem neuen Vorsitzenden unseres Wirtschaftsausschusses hätte ich ein besseres Thema als Einstieg hier gewünscht. Die Entscheidungen sind gefallen. Es gibt ein Existenzgründungsprogramm. Es wird angenommen, nicht in dem Umfang, wie Sie sich das vorstellen; aber ich bin der Meinung, es ist besser, wenn sich Leute ohne Staat als mit Staat selbständig machen. Die Zahl ist gestiegen. Was das Mittelstandsförderungsgesetz angeht, so habe ich eben eine Rede des jetzigen Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff aus dem Jahre 1977 nachgelesen, in der er sich auf eine Rede von Herrn Hauser im Jahre 1975 bezogen hat, wo praktisch alles beim alten war. Ich wünsche den Verbänden den Mut, zu sagen, daß man auf Dinge, die überflüssig sind und mehr Bürokratie bringen - wie ein Bundesmittelstandsförderungsgesetz -, verzichten kann. ({0}) Ich möchte mich deshalb kurz fassen und zum Thema Existenzgründungsprogramm folgendes sagen. Herr Pieroth, ich halte es für gefährlich, in eine Wertung der Nationalitäten beim Mittelstand einzusteigen. Wir haben nun einmal zum Glück die Gewerbefreiheit in Europa. Ich halte es für die Integration von Griechen, Spaniern, Italienern für wirklich sehr wünschenswert, daß sie sich in Deutschland vermehrt selbständig machen. Das ist sicherlich ein wichtiger Beitrag auch für unsere Gesellschaftspolitik. ({1}) Wenn sich im Jahre 1979 26 000 Menschen mehr selbständig gemacht haben als im Vorjahr, dann werden dabei auch einige Deutsche gewesen sein. ({2}) Dabei sollte man auch nicht ganz vergessen, daß die absolute Zahl der neuen Existenzen auch nicht das letzt entscheidende Kriterium für die Mittelstandspolitik sein kann. Jedermann weiß, daß es schwieriger und kapitalintensiver geworden ist, sich selbständig zu machen. Man sollte auch feststellen, daß die durchschnittlichen Betriebsgrößen sich wesentlich nach oben bewegt haben. Insofern, Herr Pieroth, halte ich dies nicht für einen Prüfstein der Freien Demokraten. Wir waren in keiner Sekunde in Not, ob wir hier zustimmen müssen, denn wir wollen nicht zwei Gesetze. Die ASU hat zu Recht in ihrer Stellungnahme gesagt, sie halte das Programm der Bundesregierung für durchaus sinnvoll, und sie halte das andere Programm, das Sie vorschlagen, für mit dem Fehler behaftet, daß es langsamer geht und bürokratischer ist. Das ist gar kein Zweifel. Herr Kollege Schachtschabel hat von fünf Jahren gesprochen. Wenn Sie heute mit denen sprechen, die sich mit einem solchen Programm selbständig machen, dann stellen Sie fest, daß es weniger Kleinindustrielle sind - dazu reicht das Kapital nicht, die müssen andere Möglichkeiten der Finanzierung haben -, sondern es sind Leute im Dienstleistungsbereich, im Handwerksbereich. Das sind nicht Menschen, die sich fünf Jahre lang überlegen, ob sie sich selbständig machen, ({3}) sondern es kann passieren, daß jemand im Einzelhandel ein wirklich gutes Ladenlokal in einer guten Lage bekommt und zugreifen muß. Er kann nicht über Bausparverträge fünf Jahre lang ansparen. ({4}) Das Programm der Bundesregierung ist überlegen, weil es konkret und sofort hilft und weil das Risikokapital sofort vom Staat her gegeben wird. Auch das ist natürlich eine Schwäche. Ihres Programms, daß mit 25 000 DM heute nichts mehr zu machen ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Elmar Pieroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie mir zustimmen, daß sich die durchschnittliche Höhe der Eigenkapitalhilfe, die Sie geben, sich mit 30 000 DM nur unwesentlich von unseren 25 000 DM unterscheidet, daß unsere 25 000 DM aber echtes Eigenkapital wären, was wir haben wollen?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Pieroth, der Durchschnitt ist im Moment 33 000 DM, wobei die Tendenz steigend ist. Das ist allein der staatliche Beitrag. Hinzu kommt noch das, was der einzelne sich angespart hat - darauf legen wir Wert -, so daß Sie im Schnitt davon ausgehen können, daß mindestens 50 000 DM im Einzelfall dabei sind. Das staatliche Geld wird ja wie voll haftendes Eigenkapital behandelt. Insofern ist die Startsumme größer. Ein zweiter großer Nachteil: Das Programm, das die Opposition hier vorschlägt, kompliziert in einem hohen Maße unser Steuerrecht noch weiter. Ich möchte nur einige Fakten anführen. Es müßte der § 10 des Einkommensteuergesetzes geändert werden. Folgende neue Tatbestände müßten eingeführt werden: 1. Abgrenzung der Selbständigentätigkeit von der Unselbständiger, 2. Art und Zeitpunkt der Nachversteuerung, 3. Zeitpunkt des Selbständigmachens, 4. Kumulationsverbot hinsichtlich anderer Sparformen, 5. Form der Beteiligung, 6. Zeitpunkt des Erwerbs, 7. Abgrenzung des Erwerbs von anderen Wirtschaftsgütern, 8. Ausnahmetatbestände, die eine Nachversteuerung ausschließen, 9. Eintritt in ein bestehendes Unternehmen, 10. Verhinderung von Mißbräuchen. Das ist nur eine kleine Liste von neuen Steuertatbeständen, die unser jetzt schon kompliziertes Steuerrecht zusätzlich komplizieren würden. Ich glaube, wir tun dem Mittelstand wirklich einen großen Gefallen, wenn wir ihm diese zusätzliche Komplizierung nicht zumuten. Ich bin deshalb der Meinung, wir sollten dabei bleiben, dieses Programm weiter auszubauen und uns zu bemühen, daß der durchschnittliche Zinssatz wirklich unter 10 % bleibt. Wir sollten die Kammern auffordern, verstärkt für dieses Programm zu werben. Auch die Banken sollten daran ihren Anteil leisten, wie in der Vergangenheit. Vielleicht läßt sich in manchen kleinen Orten diese Beratung noch verstärken, obwohl auch Betriebe am Ort schon selbständig sind. Jugendhandwerkern sollte mehr Mut gemacht werden als bisher. Darüber hinaus sollten wir froh sein, daß ein Großteil der 26 000 neuen Existenzen, die 1979 mehr gegründet wurden, ohne staatliche Hilfen zustande gekommen ist. Damit ist ja kein schlechter Rückschluß auf die Rahmenbedingungen verbunden, die wir in steuerlicher und wettbewerbsmäßiger Hinsicht inzwischen geschaffen haben. Ich verstehe gar nicht Ihr Beharren darauf, Herr Pieroth, daß wir diese Zahl, die wir uns vorgegeben haben, unbedingt mit staatlicher Hilfe erreichen müssen. Wenn wir die Zahl auch ohne staatliche Hilfe erreichen, ist das im Interesse des Mittelstandes. ({0}) Lassen Sie mich zum zweiten Bereich kommen. Mein verehrter Kollege Waigel hat mich zitiert. Er war der Meinung, dies sei ein wesentlicher Punkt, wo die FDP sich dazu hätte bekennen können, daß ein Bundesmittelstandsförderungsgesetz im Interesse des Mittelstandes sei. Die Anhörung damals war interessant. Natürlich können eingeladene Mittelstandsverbände nicht per se sagen: Ein solches Gesetz zu unseren Gunsten wünschen wir nicht. Aber in vielen Geprächen zeigte sich doch, daß den Leuten im Grunde damit besser gedient ist, wenn ihnen in einem Aktionsprogramm sehr schnell und sehr flexibel geholfen wird. Insofern, Herr Waigel, war dies wirklich keine Herausforderung. Ich bedaure auch, daß Sie z. B. das Thema „leitende Angestellte" hier ansprechen, wo Sie doch genau wissen, daß dieser Gruppenantrag Ihrer Fraktion nicht die Unterschrift Ihrer Fraktionsführung gefunden hat. Vielmehr war es ein Schauantrag einer bestimmten Gruppe. Sie haben das Thema Schwarzarbeit angeführt. Wir sind gerne bereit, nach praktikablen Abgrenzungen zu suchen. Wir sind auch gerne bereit, mit den Handwerksverbänden darüber zu sprechen, wo das eigentliche Problem liegt. ({1}) Es liegt nämlich in der Strafermittlung und in der Auskunft der betroffenen Betriebe und Kammern. Da ist bis heute noch kein größerer Fortschritt erreicht worden. Wir erklären deshalb deutlich, daß die FDP diesen Gesetzentwurf nicht unterstützt. Damit leistet die FDP einen praktischen Beitrag, dem Mittelstand noch mehr Bürokratie in der Wirtschaft zu ersparen. Es ist auch interessant, daß innerhalb der CDU über den Gesetzentwurf keinesfalls Einigkeit besteht. Der Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion wird ja von den Ländern sehr interessant kommentiert. Ich habe einen Brief des baden-württembergischen Wirtschaftsministers an den Ausschußvorsitzenden vorliegen - ich darf mit Genehmigung ganz kurz zitieren -: „Ein Bundesmittelstandsförderungsgesetz sollte keinesfalls dem Bund im Gesetzeswege Kompetenzen für die Durchführung der Mittelstandsför18416 derung einräumen bzw. solche rechtlich verfestigen." Gemeint sind damit, Herr Waigel, in erster Linie „die Maßnahmen zur Leistungssteigerung wie die Förderung der überbetrieblichen beruflichen Bildung, der Unternehmensberatung, der Kooperation, der Information und Dokumentation, der angewandten Forschnung und technischen Entwicklung für mittelständische Betriebe, der Erschließung von Auslandsmärkten, der Beteiligung an Messen und Ausstellungen u. a." Das hieße also, daß wir Ihren Gesetzentwurf gleich um acht Positionen kürzen müßten, weil Sie sich mit Ihren Bundesländern nicht abgestimmt haben. Insofern halte ich das nicht für praktikabel. Wir sind der Meinung, daß wir mit dem bisherigen Aktionsprogramm gut gefahren sind, und es wäre falsch, in der jetzigen finanziellen Situation mit einem neuen Extragesetz neue Erwartungen zu wecken. Sie sind sich darüber ja auch im klaren und stellen deshalb die ganze Sache unter Haushaltsvorbehalt. Damit ist die Lage für den Mittelstand unsicherer. Denn wenn wir über Aktionsprogramme fahren und jedes Jahr entscheiden, wie wir sie im Haushalt ausstatten, ist das meines Erachtens besser, als wenn wir leere Gesetze verabschieden. Ich bleibe bei meiner Presseerklärung, daß es nicht sinnvoll ist, als Alibi Spezial- oder Sondergesetze zu machen, um in anderen Bereichen nichts zu tun. Die FDP hält die Mittelstandspolitik für eine Querschnittsaufgabe, die nicht durch ein Einzelgesetz lösbar ist. Sie ist integraler Bestandteil unserer Wirtschaftspolitik. Wir können hier mit Stolz vermelden, daß wir den größten Teil unserer Programmatik verwirklicht haben, die bei der Kartellnovelle beginnt und weitergeht über die Forschungsförderung im Mittelstand .bis hin zu dem.. Existenzgründungsprogramm. ({2}) Insofern läßt sich diese Bilanz durchaus sehen. Wir werden mit ihr ruhig in diesen Wahlkampf gehen. Wir werden heute nicht ein Extragesetz unterstützen, das wir für überflüssig halten. - Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4146, den Antrag der Abgeordenten Pieroth, Hauser, Dr. Zeitel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zur Förderung von Existenzgründungen abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung unter Punkt 35 der Tagesordnung ab. Sie verlangen sicherlich keine Einzelabstimmung? - Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4316, den Gesetzentwurf des Abgeordenten Hauser, weiterer Abgeordenter und der Fraktion der CDU/CSU, Bundesmittelstandsförderungsgesetz, Drucksache 8/708, abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich rufe Punkt 36 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) zu dem Bericht der Bundesregierung über die Durchführung des tourismuspolitischen Programms von 1975 - Drucksachen 8/2805, 8/4190 Berichterstatter: Abgeordneter Engelsberger Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die ökonomische und gesellschaftspolitische Entwicklung gerade in den letzten Jahren hat gezeigt, daß der Fremdenverkehr in der Bundesrepublik immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Fremdenverkehrswirtschaft kann künftig nicht nur als eine reine Dienstleistung für den Erhohlungssuchenden, für den Ferienreisenden und für den Touristen verstanden werden. Mit in den Mittelpunkt der Überlegungen, die Gesetzgebung und Regierungen in Bund und Ländern anstellen müssen, sind die Fragen nach dem weiteren Wachstum der Wirtschaft gerückt - man sprach ja schon von den Grenzen des Wachstums -, nach der Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts und der jetzt sichtbar gewordenen Umkehr der Leistungsbilanz der Bundesrepublik mit einem wachsenden Passivsaldo. ({0}) Auf all diesen Feldern wächst im Rahmen der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung die Bedeutung der Fremdenverkehrswirtschaft. Es wird viel von der Entwicklung vom quantitativen zum qualitativen Wachstum gesprochen. Hier bietet sich das wesentlich mittelständisch strukturierte Fremdenverkehrsgewerbe als eine zusätzliche Chance an. Wir haben deshalb in der Arbeitsgruppe des Wirtschaftsausschusses des Bundestages die damit zusammenhängenden Fragen erörtert. Die Beschlußempfehlung, die wir dem Plenum zur Zustimmung vorlegen - trotz mancher Einwendungen und Bedenken der CDU/CSU -, zeigt den Weg, auf dem die Fremdenverkehrspolitik weitergehen muß. ({1}) Es gilt, manches Ungereimte, das die Beschlußfassung mehr oder weniger verschweigt, aus der Welt zu schaffen. Aber die Erfahrung hat gezeigt, daß es den Mitgliedern der SPD /FDP-Koalition schwerfällt auch nur eine einzige Andeutung der Kritik an der Bundesregierung aufzunehmen, obwohl es nach unserem Demokratieverständnis Aufgabe des gesamten Parlaments ist, die Bundesregierung zu kontrollieren und Fehlentwicklungen aufzuzeigen. ({2}) Auch bei der Beratung des tourismuspolitischen Berichts der Bundesregierung und der zu fassenden Beschlußempfehlung zeigt sich, daß bei berechtigter Kritik an fehlenden Maßnahmen der Bundesregierung die Koalitionsfraktionen außerordentlich empfindlich sind. ({3}) Schon der Hinweis, daß auch alte Probleme des Fremdenverkehrsgewerbes noch nicht einer Lösung zugeführt wurden, war ein zu schwerer Brocken für meine Kollegen von der anderen Seite. Dabei stellt die Beschlußfassung des Wirtschaftsausschusses z. B. die unbesetzten Arbeitsplätze als Hinderungsgrund für ein leistungsfähiges Hotel- und Gaststättengewerbe dar. Aber die Koalitionsfraktionen konnten sich nicht zu unserer Forderung bekennen, aus dieser Erkenntnis des Arbeitskräftemangels in diesem Wirtschaftszweig die logische Schlußfolgerung zu ziehen und für eine sinnvolle Lockerung - mehr wollen wir ja gar nicht - des Anwerbestopps für das Hotel- und Gaststättengewerbe zu plädieren. ({4}) Es gibt mehrere Möglichkeiten, ohne die Bemühungen um den Abbau der Arbeitslosigkeit zu stören. Wenn in der Spitze der Saison mehr als 40 000 Arbeitskräfte in diesem Bereich fehlen, dann leidet nicht nur die Qualität des Angebots der Fremdenverkehrswirtschaft darunter. Es leidet vor allen Dingen der Kunde, der Erhohlungssuchende, der Ferienreisende; ({5}) es leiden unsere Mitbürger darunter. Denn wir alle wissen, daß mangelnder Service manchen Erholungseffekt für den einzelnen und die Familie absorbiert, den die Landschaft, der Ferienort, die Kuren dem Gast sonst bieten. Ein anderes Problem, dem die CDU/CSU besondere Beachtung schenkt, sind die ausbildungshemmenden Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes. ({6}) Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung endlich ihre Möglichkeiten wahrnehmen sollte, um eine Verordnung herauszubringen, die die Ausbildung im Fremdenverkehrsgewerbe und die Attraktivität für die Jugendlichen, sich dort ausbilden zu lassen, hebt. ({7}) Übersehen wollen wir auch nicht die Pläne - jetzt komme ich auf die Verkehrspolitik zu sprechen, Herr Dr. Jobst - der Bundesbahn zur Stillegung verschiedener Strecken. Die Bundesbahn soll selbstverständlich rentabel und rationell arbeiten. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, daß es gerade die älteren Bewohner in der Bundesrepublik, aber auch viele Familien und andere sind, die die Bundesbahn als Transportmittel zu ihren Ferienorten bevorzugen. Das muß bei allen Plänen der Bundesbahn berücksichtigt werden, nicht nur zugunsten der Fremdenverkehrsorte und des Fremdenverkehrsgewerbes, sondern auch zum Nutzen des gesamten Personenkreises. ({8}) Nicht vergessen möchte ich, auf die untragbare steuerliche Belastung der Betriebe in der Fremdenverkehrswirtschaft hinzuweisen. Meine Vorredner, Herr Dr. Waigel und Herr Pieroth, haben bereits davon gesprochen, daß der Mittelstand in unserem Land besonders benachteiligt wird. Da die mittelständischen Betriebe die Masse der Beherbergungs- und der gastronomischen Kapazität darstellen, gelten die Aussagen, die sie vorhin gemacht haben, gerade für diesen Bereich. Ich habe es nicht verstanden, daß die Koalitionsfraktionen den Antrag, ein Mittelstandsförderungsgesetz durchzusetzen, heute wieder abgelehnt haben. ({9}) Hier ist es besonders die hohe Mehrwertsteuerbelastung, die - wenn man über die Grenzen sieht - die deutschen Unternehmer im Hotel- und Gaststättengewerbe drückt und ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Es ist vorhin schon gesagt worden, und darauf weise ich noch einmal hin, daß man draußen in den Versammlungen des DEHOGA von verschiedenen Seiten der Koalitionsfraktionen, z. B. seitens des Vorsitzenden der FDP, darauf hinweist, daß man sich für eine Halbierung der Mehrwertsteuer einsetzen wird, und daß man diesem Verband sogar derartige Briefe geschrieben hat. ({10}): So ist es!) Als es dann nach unserem Antrag im Ausschuß zum Schwur kam, hat auch die FDP diese Anträge abgelehnt. ({11}) Meine Damen und Herren, es hätte sowohl aus gesellschaftspolitischen als auch aus sozialpolitischen Gründen nichts geschadet - auch der Regierung nicht -, wenn diese und andere kritische Anmerkungen in der Beschlußempfehlung stehen würden. Gerade die sozial Schwachen, die Behinderten, die älteren Menschen und die kinderreichen Familien, die allein schon durch die finanziellen Aufwendungen für die Erholungsreise stark belastet werden, sind auf ein besonders leistungsfähiges Fremdenverkehrsgewerbe angewiesen. ({12}) Die Hilfen für die förderungsbedürftigen Bevölkerungsgruppen sollten verbessert werden. Über die bessere Information hinaus müssen Maßnahmen getroffen werden, um ihren Urlaubsbedürfnissen verstärkt Rechnung zu tragen. Dies ist nicht nur ein soziales Erfordernis. Hier liegt - wenn ich es aus ökonomischer Sicht so formulieren darf - auch ein großer Markt für das Fremdenverkehrsgewerbe. Wenn wir diesen benachteiligten Gruppen unserer Bevölkerung mehr und mehr die Möglichkeit geben, auf Ferien- und Erholungsreise zu gehen, erfüllen wir soziale und wirtschaftliche Aufgaben. ({13}) In diesem Zusammenhang möchte ich die Unternehmer der Fremdenverkehrswirtschaft aufrufen, ihrerseits alles Mögliche zu tun, um dieser Forderung entgegenzukommen. ({14}) Mit Hilfe verbesserter Rahmenbedingungen, die die Regierungen im Bund und in den Ländern schaffen müssen, wird das auch gelingen. Die Beachtung und Aufmerksamkeit für das Fremdenverkehrsgewerbe in der Bundesrepublik müssen aber auch, ich führte es anfangs schon aus, aus außenwirtschaftlichen Gründen - ich komme hier auf ein sehr ernstes Thema zu sprechen - vergrößert werden. Denn die Passivierung der Leistungsbilanz mit der Gefährdung unserer Währungsreserven - nach gegenwärtigen Erkenntnissen wird es in diesem Jahr ein Defizit von 20 bis 25 Milliarden DM geben ({15}) nimmt zu. Ein wirtschaftswissenschaftliches Institut hat bereits für 1985 ein Defizit von 40 Milliarden DM prophezeit ({16}) Meine Damen und Herren, dann werden auch die Urlauberströme in andere Richtungen gelenkt werden müssen. ({17}) Ich möchte nur sagen, Herr Roth, ({18}) daß wir, die Union ({19}) - hören Sie zu, Herr Roth, ({20}) ich möchte Ihnen das als Antwort geben -, Forderungen des ehemaligen Bundesbankpräsidenten Klasen - ein bekannter SPD-Mann -, man solle in bezug auf die Devisen, die notwendig sind, um Urlaub im Ausland verbringen zu können, eine staatliche Reglementierung einführen, nicht zustimmen würden. Hier würden wir, meine Damen und Herren, stärksten Widerstand leisten. ({21}) - Das wirtschaftswissenschaftliche Institut. ({22}) - Es gibt verschiedene. Meine Damen und Herren, sicher haben wir natürlich einen großen Konkurrenten bei dem Versuch, die Urlauberströme in unser eigenes Land umzuleiten, einen Konkurrenten, der die Entscheidung der Ferienreisenden sehr oft beeinflußt. Das ist die Sonne des Südens; die können wir bei uns natürlich nicht garantieren. Wenn wir uns diesen Sommer, die letzten Tage und Wochen ansehen, dann können wir es den Leuten nicht übelnehmen, wenn sie ihre Urlaubsreise in ein Land weiter im Süden buchen. ({23}) - Manche Kur- und Ferienorte haben aber bewiesen, daß sie durch Verbesserung und Erweiterung des Freizeitangebots hier bestehende Hürden überspringen konnten. Durch verstärkte Betreuung der Feriengäste bei der Freizeitgestaltung, durch Kinderbetreuung über den Bau und Ausbau von Sportstätten und anderes mehr bis zur Qualitätsverbesserung des Übernachtungsangebots, kann hier viel erreicht werden. Vieles würde sich leichter durchführen lassen, wenn eine bessere Koordinierung und Abstimmung zwischen den zuständigen staatlichen Instanzen bestünde. Vor allen Dingen ist eine Abstimmung zwischen dem Bund und den Ländern ({24}) zur Verstetigung der Rahmenbedingungen und zur gegenseitigen Ergänzung ihrer verkehrspolitischen Entscheidungen im Rahmen des fremdenverkehrspolitischen Programms anzustreben. Wir wissen alle, daß auf verkehrspolitischem Gebiet gerade im Bereich des Reise- und Fremdenverkehrs noch vieles zu tun ist. Hierbei geht es nicht nur um eine bessere Anbindung der Kurorte an die Ballungszentren. Der Straßenverkehr muß auch so angelegt werden, daß er zur Entlastung der Kur- und Ferienorte bezüglich des Straßenverkehrs führt. ({25}) Ausgiebig wird im Rahmen der Fremdenverkehrspolitik in letzter Zeit auch all das diskutiert, was wir mit dem Begriff des ökologischen Gleichgewichts verbinden. Umweltschutz, Reinhaltung der Gewässer, Sicherung der Wälder, Verhinderung von Lärm, Luftreinheit usf. sind Forderungen, die wir nicht nur beachten müssen, sondern die zur Selbstverständlichkeit werden müssen. Die Beschlußempfehlung unterstreicht diese Forderung mit dem Hinweis, daß Urlaubsgebiete nicht überlastet oder gar zerstört werden dürfen. Die Grenzen ihrer Belastbarkeit müssen rechtzeitig erkannt und beachtet werden. Hier treten die Zielkonflikte auf, die Konflikte zwischen einem optimalen Landschafts-, Natur- und Umweltschutz mit wachsendem Femdenverkehr, besonders auch im Naherholungsverkehr. Aber gerade hier, so meinen wir, könnten manche Probleme schneller gelöst werden, wenn die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie zwischen Ländern und Gemeinden verbessert wird. Hierfür sind viele Investitionen nötig, auch Investitionen, die mit Folgekosten verbunden sind. All das muß bedacht werden. Aber man muß auch berücksichtigen, daß das Fremdenverkehrsgewerbe heute bereits mehr Arbeitsplätze anbietet als die Automobilindustrie. ({26}) Eine wirtschaftliche Festigung dieses Gewerbes hat deshalb auch arbeitsmarktpolitische Auswirkungen. Förderung des Fremdenverkehrsgewerbes ist hier gleichbedeutend mit Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit ein Beitrag zum Abbau der langfristigen Arbeitslosigkeit. ({27}) Denken wir daran, daß Tourismus- und Fremdenverkehrspolitik nicht nur auf das Fremdenverkehrsgewerbe und den Tourismus auswirken. Betroffen und interessiert sind viele Gemeinden und Kurorte. Betroffen ist der Arbeitsmarkt. Es gibt auch viele volkswirtschaftliche Auswirkungen, die, wie ich es darstellte, vom Straßenbau bis zur Außenwirtschaft reichen. Das Femdenverkehrsgewerbe als ein Wirtschaftszweig des sogenannten tertiären Sektors wird in Zukunft wachsende Bedeutung auch im Rahmen der qualitativen Gestaltung des künftigen wirtschaftlichen Wachstums bekommen. Der Staat und die Gemeinden, insbesondere die Gesetzgebung, müssen dieser Bedeutung künftig mehr Beachtung schenken. Das würde nicht nur unserer Volkswirtschaft, sondern auch dem einzelnen Bürger zugute kommen. ({28})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Haase ({0}).

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahl der Urlauber steigt. 1952 waren es 39 %, 1980 werden es 52 % sein. Auch die Devisenausgaben steigen. 1973 waren es 17 Milliarden DM und 1979 32 Milliarden DM. Genau betrachtet ist diese Entwicklung sicher auch ein Spiegelbild des steigenden Wohlstandes, der sich in der Bundesrepublik unter Führung der sozialliberalen Koalition ständig ereignet. ({0}) - Das ist eine ganz simple, im Spiegel zu sehende Schlußfolgerung. ({1}) Der Tourismus ist jedenfalls nicht geeignet, Herr Engelsberger, hier die Zahlungsbilanzprobleme hochzuziehen, wenn man gleichzeitig sagt: aber Devisenbewirtschaftung wollen wir nicht Länder wie Italien, wo ja Ihre Parteifreunde regieren, oder Osterreich oder Spanien und andere sind auf die Devisen angewiesen, die sie als Käufer deutscher Exportgüter einfach nötig haben. So simpel ist das. ({2}) Osterreich hat 25 % seiner Dienstleistungsbilanz aus dem Fremdenverkehr eingenommen. Für Spanien gilt ungefähr das gleiche. Wie sollten denn diese Länder in Deutschland ohne die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr noch bei uns kaufen? Ein zweiter Punkt, den Sie auch einmal sehen sollten, ist die Belastung der deutschen Urlaubsgebiete. Wenn Sie noch einmal 15 Millionen Urlauber - denn so viele sind es, die in diesem Jahr im Ausland Urlaub machen - oder auch nur einen großen Teil davon in Deutschland unterbringen wollen, ist natürlich zu fragen, wie das gehen soll. Schon heute sind viele Urlaubsgebiete völlig verstopft, völlig überbucht. Die Alpenspitzen werden schon nur noch nach Vormerkungen begangen, und in den Seebädern drängen sich die Leute fast wie an den Adriastränden. Ich frage Sie wirklich, ob unsere Urlaubsgebiete für weitere 15 oder 7 Millionen Menschen, die dann, wenn wir Ihrem Konzept folgen, in Deutschland Urlaub machen, aufnahmefähig sind. ({3}) - Sie können sie dann ja dorthin schicken. Es ist doch eine Frage, wie wir uns urlaubsgerecht verhalten, und ich meine, der deutsche Anteil wird in Zukunft sowieso steigen. Wir werden mehr Urlauber in Deutschland bekommen, und damit wird auch unsere Fremdenverkehrswirtschaft zufrieden sein können. Eine Zielvorstellung, die ich hier vortragen möchte, ist eine weitere Verbesserung für den Touristen und Verbraucher, und dazu gehört die weitere Durchsichtigmachung des Marktes. Bisher hat eine Vielzahl eingegrenzter Regionalkataloge dafür gesorgt, daß diese Übersichtlichkeit nicht in vollem Umfange vorhanden ist. Auch wenn das nicht in die Zuständigkeit des deutschen Bundestages gehört, will ich bei dieser Gelegenheit - auch als Protest - hier einmal folgendes sagen. Es geht nicht an,. daß manche Fremdenverkehrsorte Kurabgaben und Fremdenverkehrsabgaben erheben, die dazu führen, daß eine Familie mit einem Kind - so in einem bekannten deutschen Badeort an der Küste - in zehn Tagen 100 DM Kurtaxe zu zahlen hat Dies ist, wenn Sie so wollen, eine selektive Praxis, eine Auswahl von Verbrauchern oder Touristen im Urlaub, es ist ein gewisses elitäres Denken dieser Kurverwaltungen oder dieser Gemeinden, das hier auch einmal angesprochen werden muß. Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen: Was wir wollen, ist eine Gleichbehandlung aller Touristen und damit natürlich auch eine Regelung, die es möglich macht, daß möglichst jeder seinen Urlaub auch nutzen kann. Die soziale Komponente im Tourismus - die Öffnung für benachteiligte Gruppen, für Behinderte, für Familien mit vielen Kindern - sollte deshalb weiter verstärkt werden; eine ent18420 Haase ({4}) sprechende Programmgestaltung sollte fortgeführt und erweitert werden. Einige bedeutende und beachtliche Ansätze sind gemacht. Es gibt Nachweise für Familien mit mehreren Kindern im Rahmen eines vom Bundesfamilienministerium in Zusammenarbeit mit dem ADAC durchgeführten Programms; der „Urlaub auf dem Bauernhof' ist genauso zu nennen. Die touristische Infrastruktur muß ebenfalls verbessert werden. Dies scheitert sicher nicht an der Bundesbahn, denn ich glaube nicht, daß die Bundesbahn da eine entscheidende Ursache ist. Und auch Sie verlangen ja nicht, daß Strecken dort gebaut werden, wo es bisher keine gab. Der Ausbau der Naherholung steht im Vordergrund. Hier muß Wesentliches getan werden. Die ursprünglichen fünf Modellvorhaben, die im Tourismusprogramm der Bundesregierung von 1975 standen, sind offensichtlich an nicht vorhandener Kooperation mit den Ländern gescheitert. Wir meinen, daß dieser Gedanke fortgeführt werden muß. Die Förderung der beruflichen Fortbildung als ein wesentlicher Bestandteil, die Berufe im Tourismus attraktiver zu machen, muß wahrgenommen werden. Hier sind Anfänge in Berlin gemacht; sie müssen fortgeführt werden. Die Förderung des Tourismusgewerbes bedarf unserer Aufmerksamkeit. Das Gewerbe wird weitgehend davon profitieren, wenn insgesamt mehr Leute Urlaub machen und wenn der Bürger durch eine Erweiterung der durch die fortschrittliche Wirtschafts- und Sozialpolitik gegebenen Grundlage in der Lage ist, mehr Urlaub zu machen. Die Beratung der Betriebe in Sachen Rationalisierung und über Hilfen bei der Buchführung und anderem muß verstärkt werden. Herr Kollege Engelsberger, ich frage mich, ob Sie sich die Lockerung des Anwerbestopps wohl überlegt haben. Der bayerische Innenminister läßt noch nicht einmal die Asylsuchenden über die bayerische Grenze. ({5}) - Nein, das ist nicht primitiv. 100 000 sind im Augenblick in unser Land eingeströmt, von denen sicher ein großer Teil aus wirtschaftlichen Gründen gekommen ist, und sie werden alle miteinander - hier macht sich die Opposition besonders stark - nach Muse geschickt, zum Teil zu Recht Und Sie verlangen eine Lockerung des Anwerbestopps!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Engelsberger?

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte sehr!

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Haase, ist Ihnen bekannt, daß wir ein sogenanntes Saisonarbeitermodell anstreben, demzufolge nach der Saisonspitze im Sommer diese Gastarbeiter im Herbst freiwillig wieder nach Hause zurückkehren? Ihr Vergleich mit den Asylanten, die bei uns nicht aufgenommen werden, kann in gar keiner Weise auf die Arbeitskräfte bezogen werden, die wir für die Spitzen des Fremdenverkehrs brauchen. ({0})

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Engelsberger, wenn jemand in diesem Lande ist, muß er wieder zurück, und das ist das Problem. Ob er nun mit einem Visum oder ohne ein Visum, mit einer auf drei Monate begrenzten Arbeitserlaubnis oder ohne eine solche in die Bundesrepublik einreist - das Problem wird dadurch nicht kleiner, sondern größer. Das wissen auch Sie. Deshalb ist es eigentlich scheinheilig, wenn Sie in den Gaststättenverbandsversammlungen versprechen, daß Sie sich für eine Lösung einsetzen, Ihr Innenminister an den Grenzen aber Asylwillige wieder zurückschickt ({0}) Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu der Forderung sagen, die Mehrwertsteuer für das Gaststättengewerbe zu halbieren. Ein sehr interessanter Vorschlag! Das kostet aber 1,8 Milliarden DM. Ist das nun ein Programm, das Sie in Ihrer Fraktion und in Ihrer Partei abgestimmt haben, oder fordert hier jeder, was ihm beliebt? Eins von beiden geht ja wohl nur. Hier sprechen auch Sie wieder mit doppelter Zunge: einerseits Forderungen nach Erhöhung bzw. nach Verlusten, die sich im Staatshaushalt nicht unbeträchtlich niederschlagen werden, andererseits aber die groß angekündigte Sparsamkeit.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jobst?

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin ein bißchen in Zeitverzug; deshalb ist es schwierig. Aber bitte sehr!

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Haase, stimmen Sie mir zu, wenn ich Ihnen sage, daß auch der Fraktionsvorsitzende der FDP die Halbierung der Mehrwertsteuer für das Fremdenverkehrsgewerbe versprochen hat? ({0})

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe das nicht gehört. Dies müssen Sie auch die Kollegen von der FDP fragen. Das ist nicht eine Frage, die ich Ihnen hier beantworten muß. Ich stelle nur fest, daß Sie die Halbierung der Mehrwertsteuer gefordert haben; das macht 1,8 Milliarden DM aus. Gleichzeitig sagen Sie, es müßte nun alles getan werden, die Staatsfinanzen angeblich zu sanieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich muß Sie fragen, ob Sie noch eine Zwischenfrage gestatten.

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, jetzt nicht mehr, ({0}) Auch der tourismuspolitische Aspekt ist eine kurze Betrachtung wert. Wir wünschen, daß in der jetzigen Situation vor allem amerikanische Touristen in die Bundesrepublik kommen, daß sie sich Haase ({1}) hier umschauen und daß sie ein realistisches Deutschlandbild gewinnen. Deshalb sind auch die Bemühungen der Deutschen Zentrale für Tourismus zu loben und zu unterstützen, die darauf gerichtet sind, mehr Leute herüberzuholen. Einen Punkt möchte ich hier eigentlich ein bißchen in kritischer Absicht darstellen. Der erste Schwung des tourismuspolitischen Programms von 1975 scheint durch verstärkte Bürokratisierung gelitten zu haben. Es wäre hilfreich, Herr Staatssekretär, wenn sich künftig nicht nur Ministerialräte, sondern vielleicht auch einmal ein Staatssekretär mit tourismuspolitischen Fragen beschäftigte. Ich sage das deshalb, weil Sie hier gemeint haben, wir dürften so etwas gar nicht äußern. Das dürfen wir sehr wohl, und ich glaube, das wird auch von der Regierung gehört werden. Im Zusammenhang mit diesen Bemerkungen möchte ich auch noch die Bitte um mehr Koordination zum Ausdruck bringen. Wir haben dankenswerterweise eine Anzahl von Programmen, z. B. „Urlaub auf dem Bauernhof„ - verantwortlich das Landwirtschaftsministerium -, die Aktion für Familien mit vielen Kindern - verantwortlich das Familienministerium -, einen Deutschlandkatalog für die Akquisition im Ausland - verantwortlich das Wirtschaftsministerium -. Es wäre durchaus hilfreich, wenn auch hier etwas mehr Kooperation deutlich würde. Insgesamt aber ist der Tourismusbericht der Bundesregierung zu loben. All das, was ich hier vorgetragen habe, ist in den Ansätzen der Regierung vorhanden. Wir stellen mit Genugtuung fest, daß die Bundesregierung dem Tourismus weit mehr Aufmerksamkeit schenkt, als es in früheren Zeiten auch unter den CDU/CSU-geführten Regierungen der Fall gewesen ist. Damals gab es einen solchen Bericht noch nicht. 1,5 Millionen Menschen sind direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig, denn sie arbeiten für ihn. 500 000 arbeiten direkt dafür. 32 Millionen Bürger machen im Jahr mindestens einmal Urlaub. Diese Zahlen zeigen deutlich, daß es notwendig ist, sich um diese Fragen zu kümmern. Wir Politiker und die Bundesregierung tun daher recht daran, daß wir uns um diese Fragen kümmern. Wir danken der Bundesregierung für diesen Bericht und werden der Entschließung zustimmen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Engelsberger, die Koalition ist sensibel, aber sie ist nicht nervös, und sie ist auch nicht aufgeregt. (Dr. Schulte [Schwäbisch Gmünd] [CDU/ CSU]: Sie hat schon keine Kraft mehr dazu» Sie ist dann sensibel, wenn die Kritik nicht sticht und wenn sie auch nicht trifft. Der Kollege Haase hat sich schon zu dem Steuerausfall geäußert. Ich kann das nur noch einmal wiederholen. Sie stellen ja in diesem Hohen Hause und in den Ausschüssen gern außerordentlich kostenwirksame Anträge. Sie müssen dann schon sagen, wie Sie die 1,8 Milliarden DM zusätzlich einsparen wollen. ({0}) Wollen Sie das vielleicht beim Zonenrandförderungsprogramm einsparen, das Sie kritisiert haben? ({1}) - Wir haben von Bemühungen gesprochen, die wir uns für den gesamten Bereich vorstellen. Ich werde Ihnen gleich deutlich machen, welche Bemühungen wir unternommen haben. (Engelsberger [CDU/CSU]: Ihr habt die Erhöhung der Mehrwertsteuer versprochen» Durch die Große Anfrage im April 1968, die mein Kollege Spitzmüller für die FDP-Fraktion seinerzeit eingebracht hat und die von dem Minister Schiller mit einem Goethe-Zitat beantwortet worden ist - ({2}) - Lieber Herr Kollege, wir sollten das vielleicht untereinander behandeln. Wir wollen die Zeit jetzt nicht mit demselben Goethe-Zitat vertun, das hier schon einmal gefallen ist. Dieses Tourismusprogramm 1975 basiert wesentlich auf der Anregung durch die Große Anfrage im Jahre 1968. Ich meine, das, was von den beiden Vorrednern an Positiva geschildert worden ist, macht deutlich, welchen Anteil die Freien Demokraten daran haben. Ich will noch eine grundsätzliche Anmerkung zum Tourismus machen. Ich bin im Zweifel, ob Tourismus wirklich zu engen Beziehungen der Völker untereinander führt Ich bin im Zweifel darüber, ob der Tourismus an jedem Ort und überall Positives hinterläßt. Wenn wir die Situation in unserem eigenen Land an der Ostsee oder im Bayerischen Wald und die Situation im Ausland, z. B. auf der Insel Mallorca oder in Jamaika, betrachten, dann, meine ich, stellen wir fest, daß der Tourismus auch eine Menge Zerstörung hinterläßt. Es wird eine Aufgabe der Industriestaaten sein, deren Bewohnern - denjenigen, die arbeiten, denjenigen, die sich bemühen - für Tourismus und Erholung viel Mittel zur Verfügung stehen, Verantwortung für das zu tragen, was mit diesen Mitteln im Ausland, in den Entwicklungsstaaten angerichtet wird, weil dort der Wunsch nach zusätzlichem Einkommen, nach zusätzlichen Devisen besteht. Ich rege an, daß wir und alle diejenigen, die sich damit beschäftigen, diesen Bereich noch ernster als bisher nehmen, daß dazu auch Vorschläge gemacht und daß denjenigen im Ausland, die versuchen, ihren Haushalt mit Einnahmen aus dem Tourismus Wolfgramm ({3}) auszugleichen, bessere Ratschläge gegeben werden. Es gibt auch aus dem touristischen Bereich die eine oder andere Anmerkung dazu. Ich will dem Haus die moderne Form einer alten polnischen Legende nicht vorenthalten. Danach haben die Gebrüder Lech, Tschech und Ruß vor vielen Jahrhunderten beschlossen, sich zu trennen. Lech gründete den Nationalstaat Polen, Tschech gründete die Tschechei und Ruß soll auf seinen Wanderungen durch die Länder in der letzten Zeit in Afghanistan gesehen worden sein. Kommen wir zu dem, was dieses Tourismusprogramm besonders auszeichnet. ({4}) Ich meine, daß neben der Werbung auch ein Schwerpunktprogramm für Absatzförderungsmaßnahmen zu stehen hat. Es muß Absatzförderungsmaßnahmen umfassen, die in besonderer Weise geeignet sind, Mittelstandsförderung bei uns und für uns zu betreiben. Ich stelle auch mit Befriedigung fest, daß diejenigen, die damals damit beauftragt waren, nämlich die Deutsche Zentrale für Tourismus, in erfolgreicher und auch in vorbildlicher Weise diese Kooperationsmöglichkeiten, diese Absatzförderungsmöglichkeiten durch ein Pilotprogramm und schließlich auch durch ein Dauerprogramm wahrgenommen haben - erfolgreich vor allen Dingen für die kleinen und mittleren Betriebe. Herr Kollege Engelsberger, wenn Sie in diesem Zusammenhang einen Blick auf den Bericht des Wirtschaftsausschusses werfen, dann finden Sie unter Punkt 8 auch eine Erläuterung, ({5}) was mit den Fachkräften geschehen ist. Die Anwerbung von Fachkräften wurde durch Verkürzung der Wartezeiten für die in der Bundesrepublik lebenden Familienangehörigen von Ausländern verbessert. Eine generelle Lockerung des Anwerbestopps ist aber nicht möglich. Wissen Sie auch, warum? Sie ist nicht nur aus den vom Kollegen Haase geschilderten Gründen nicht möglich ({6}) - ich würde den Gedanken gern zu Ende führen, weil sich Ihre Frage dann vielleicht erübrigt -, sondern auch deswegen, weil sie zu einer Präjudizierung führt. Ihre Fraktion neigt außerordentlich gerne dazu, Sonderrechte für alle möglichen Bereiche und Gruppen zu beantragen. ({7}) Diese Spezialisierung führt dazu, daß sich auch andere Bereiche gern auf diese Präjudizierung berufen. Dies gilt übrigens genauso für die Ermäßigung der Umsatzsteuer. Diesem Hohen Hause und dem Wirtschaftsausschuß würde eine Fülle von berechtigten Anträgen vorliegen, die diese - ({8}) - Wir haben gesagt, daß wir uns um Hilfen in diesem Bereich bemühen wollen. ({9}) - Ich habe gerade vorgetragen, welche Hilfen wir für diesen Bereich vorsehen, lieber Kollege Daweke. Ich wiederhole mich ungern, erstens weil meine Zeit zu knapp ist und vor allen Dingen, weil Ihre Zeit zu knapp ist. Ich meine, daß die Rahmenbedingungen - und die Leistungssteigerungen - das Wesentliche sind, was wir hier betrachten müssen. Dabei muß berücksichtigt werden, daß Quantität nicht vor Qualität geht. ({10}) Ich glaube, daß hier auch der Mittelstand, der sich in diesem Bereich engagiert, noch stärker als bisher mit Einfallsreichtum und mit Kenntnissen seine Möglichkeiten ausschöpfen und - wie er es schon tut - das Seine dazu beitragen muß, mit den staatlichen Hilfen das Optimum zu erreichen. Bei der Nachfrageentwicklung, die wir durch Bundes- und Länderförderung betreiben, muß ein weiterer Punkt Berücksichtigung finden. Beim alter Schwierigkeit der Materie möchte ich vorschlagen, daß wir hier nicht an Ländergrenzen haltmachen. Wir haben versucht, Nordhessen und Südniedersachsen als einen landschaftlichen Bereich zu sehen. Das ist bei der Weser-Werbung geschehen. Ich meine, das wäre für viele Landschaften der Bundesrepublik von Bedeutung. Wir sollten die Länder auffordern, eine grenzüberschreitende Förderung zu betreiben, um wirklich zu einer Förderung von gemeinsam gewachsenen Gebieten zu kommen. Der intensiven Betrachtung harrt der ganze Bereich der Geschäfts- und Messe-Beherbergung und damit das Problem des Anschlußtourismus. Darüber gibt es bisher nur Pilotuntersuchungen. Es wäre sicher nützlich, zusätzliche Daten zu haben, um hier helfen zu können. Das gilt speziell für die Großstädte, die Messeeinrichtungen und entsprechende Einrichtungen anbieten, in besonderer Weise für Berlin.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kunz ({0})?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Gerhard Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, darf ich Sie bitte fragen, in welcher Form die FDP-Fraktion bereit ist, die Internationale Tourismusbörse in Berlin konzeptionell weiter kräftig voranzubringen und zu beeinflussen, und sind Sie zudem bereit, in diesem Zusammenhang unser aller Glückwünsche aus Anlaß Ihrer 50. Rede in diesem Hause entgegenzunehmen, wobei niemand ausschließt, daß morgen oder in der nächsten Woche ein anderer Kollege der FDP seine 100. Rede hält? ({0})

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kunz, ich darf zunächst die Frage nach unseren VorstelWolfgramm ({0}) lungen in bezug auf die Ausdehnung der Tourismusbörse beantworten. Ich meine, daß diese Börse, die wohl die größte Fachmesse - wenn man es so bezeichnen kann - für den Tourismus ist, sicher ihre führende Stellung ausbauen muß und daß auch wir vom Bund her alles tun müssen, nicht nur um Berlin allgemein zu helfen, sondern speziell dieser Fachmesse ihre Bedeutung zu erhalten bzw. auszubauen. Was die Zahl der Anmerkungen, die ich vor dem Hohen Hause gemacht habe oder noch machen werde, angeht: Sie ergeben sich einfach auf Grund meiner zahlenmäßig kleineren Fraktion. Das ist kein Verdienst des einzelnen. Ich meine, daß wir des weiteren auch noch das Problem des Jahresurlaubs einer Lösung zuführen sollten. Es wäre wahrscheinlich im Hinblick auf die Auslastung der Kapazitäten der Fremdenverkehrswirtschaft nützlich, wenn wir von dem großen Jahresurlaub weg und hin zu drei gleich großen Urlaubsblöcken kämen, weil diese auch eine bessere Ausnutzung der Kapazitäten im Herbst und im Frühjahr gewährleisteten. Das sollte jedenfalls als Anregung dienen; denn sechs Wochen Urlaub sind, wenn man das mit den Ferien in Übereinstimmung bringen will, für den einzelnen oder die Familie kaum möglich. Noch eine Anmerkung zu einem Detail des Berichtes der Bundesregierung. Mich wundert ein wenig, daß in der Drucksache 8/2805 auf der Seite 3 die Bundeswasserstraßen als Freizeitangebot und touristische Attraktion aufgeführt sind. Unter diese Rubrik fällt z. B. auch der Main-Donau-Kanal. Ich selber bin ihn vor vielen Jahren einmal mit einem Faltboot heruntergefahren und kann nur sagen: Das, was dort jetzt geschieht, ist ganz sicher keine touristische Attraktivität, sondern es ist die Zerstörung einer schönen und gewachsenen Landschaft zugunsten eines wahrscheinlich nie voll genutzten Wasserweges. Es scheint mir nicht der richtige Ansatz zu sein, das als touristische Attraktion zu verkaufen. Ich komme zum Schluß. Ich meine, wir müssen die Akquisition im Ausland stärker betreiben; denn alle Zahlen sprechen dafür, daß hier noch ein weites Feld von Möglichkeiten zu erschließen ist. Wir sollten die Deutsche Zentrale für Tourismus in den Stand setzen, diese Akquisition mit entsprechenden Mitteln zu betreiben. Wir sind in diesem Bereich in der Bundesrepublik führend. Aber Stagnation ist Rückschritt. Wir müssen dafür sorgen, daß unsere führende Position in diesem Bereich weiterhin erhalten bleibt. Diese Intensivierung der Auslandswerbeförderung ist ein Punkt, den wir nicht immer ohne weiteres und direkt der Haushaltslage opfern sollten. Die Freien Demokraten unterstützen voll den Bericht der Bundesregierung, das Engagement des Staatssekretärs und die vorliegende Entschließung. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4190 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Die Entschließung ist einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 37 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Riedl ({1}), Dr. Lenz ({2}), Lemmrich, Röhner, Dr. Friedmann, Dr. Klein ({3}), Dr. Schulte ({4}), Frau Berger ({5}), Spilker, Dr. Langguth, Susset, Kunz ({6}) und der Fraktion der CDU/CSU Wiedereinführung des Mondscheintarifs - Drucksachen 8/4024, 8/4254 Berichterstatter: Abgeordneter Paterna Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Interfraktionell ist eine Kurzaussprache vereinbart worden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bühler.

Klaus Bühler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000297, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum 1. April dieses Jahres traten die neuen Telefontarife in der Bundesrepublik in Kraft. Dieser 1. April veranlaßte das Bundespostministerium, mit - auch finanziell - großem Aufwand den Bürgern diese Neuerung durch Anzeigen kundzutun. „Das Telefonieren wird billiger" wurde in großen Lettern verkündet. Aber fast ist man versucht zu sagen: April, April. Das Wesentliche an diesen Neuerungen, nämlich die Abschaffung des sogenannten Mondscheintarifs, wurde - wohl aus werbetechnischen Gründen - nicht publiziert. Verständlich; denn nach 22 Uhr ist das Telefonieren nun um ca. 70 % teurer geworden. ({0}) Betroffen davon sind alle Telefonkunden. Besonders schmerzlich trifft es aber die vielen Nichtanschlußinhaber - sei es auf Dauer oder sei es nur zeitweise -, wie etwa Wehrdienstleistende und Studenten, eine Gruppe also, die nicht gerade zu den Großverdienern gehört. ({1}) Denn diese Telefonkunden kommen ja nicht in den Genuß der freien Einheiten oder des Sozialtarifs. Die Aufforderung „Ruf doch mal wieder an" muß diesem Personenkreis nach dem 1. April wie ein postalischer Hohn in den Ohren klingen. Die Begründung des Ministeriums, die Aufhebung des Mondscheintarifs sei notwendig, um die auftretenden Netzblok18424 Bühler ({2}) kaden zu verhindern, ist nicht schlüssig. Eine bereits 1977 - Drucksache 8/1345 - von uns geforderte Entzerrung des Tarifübergangs vom Nachttarif I zum Nachttarif II hätte eine solche Blockade verhindert und wäre gleichzeitig auch finanziell kundenfreundlich gewesen. Ebenfalls für eine notwendige allmähliche Entzerrung und gegen den jetzigen Riesensprung spricht das durch das Fernsehprogramm ausgelöste Telefonverhalten vieler Bürger. ({3}) Läuft beispielsweise eine Fußballübertragung oder eine beliebte Serie, treten keinerlei Blockaden auf. Das von seiten der Regierung und der sie tragenden Koalitionsparteien eingeworfene Argument der zeitweise zu starken Belastung des Netzes durch den Mondscheintarif ist ebenfalls unhaltbar. Hätte man, wie von uns hier mehrfach gefordert, die Fernmeldekapazitäten kontinuierlich erweitert und ausgebaut, dann wäre es gar nicht soweit gekommen. ({4}) Die Mittel dazu jedenfalls waren und sind vorhanden. Ich verweise nur auf die von der Post auf dem Fernmeldesektor in den letzten fünf Jahren erwirtschafteten Überschüsse von ca. 17 Milliarden DM. Statt aber damit entsprechende Investitionen zum Ausbau der Leistungsfähigkeit zu tätigen, wurden Riesensummen zur Erhöhung des Eigenkapitals der Post - im Augenblick 41,9% - angehäuft Einen Privatbetrieb, der dies täte, hätte man übelster frühkapitalistischer Praktiken bezichtigt. ({5}) Das Investitionsverhalten der Deutschen Bundespost im Fernmeldebereich zeigt deutlich, daß man jegliche Kontinuität vermissen ließ. So gab es zwischen 1973 und 1979 ein stetiges Abnehmen dieser Investitionen. Die für das Jahr 1980 um 16% erhöhten Investitionen müssen sich daher an der Ausgangsposition von 1973 messen lassen. Das heißt, selbst heute haben sie noch nicht das reale Volumen der Jahre 1973/74. Der Nachholbedarf ist also immens. ({6}) - So ist es. Dieses drastische Zurückfahren der Investitionen in den zurückliegenden Jahren ist um so unverständlicher, als im gleichen Zeitraum die Zahl der Neuanschlüsse um 60 % und der allgemeine Telefonverkehr um 40 % zunahmen. Ein solches Verhalten der Privatwirtschaft wurde einst von einer nicht gerade unbedeutenden und Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, sicherlich bekannten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens als „Unterlassung" gemaßregelt Der Betreffende hätte besser vor seiner eigenen Tür gekehrt und seinem eigenen leitenden Mitarbeiter im Postressort diese an sich wirtschaftspblitisch vernünftige Ermahnung erteilen sollen. Zum 1. April sind auch einige Erleichterungen eingetreten. Sie waren längst auf Grund der geschilderten hohen Gewinne, aber auch wegen unseres im internationalen Vergleich sehr hohen Preisniveaus im Telefonbereich überfällig. ({7}) - Sie können es ja nachher nachlesen, Herr Roth. ({8}) Die CDU/CSU hatte deshalb Erleichterungen schon 1978 - Drucksache 8/2431 - mit entsprechender Begründung gefordert. Aber bei dieser Regierung erleben wir ja immer wieder den gleichen Handlungsablauf - jetzt hören Sie genau zu, Herr Roth -, der sich wie folgt darstellt: Forderung der Opposition, Ablehnung durch die Regierung, nach entsprechender Schamfrist Übernahme der Oppositionsforderung durch die Regierung und Verkaufen derselben als Gunsterweis durch die Regierung. So geschehen bei der Senkung der Telefongebühren. ({9}) Ich bitte Sie daher sehr herzlich, meine Damen und Herren von der Koalition, bei unserem Antrag auf moderierte Wiedereinführung des Mondscheintarifs von dieser Regelung abzugehen und nicht aus hintergründigen Erwägungen zu warten, sondern unseren Antrag gleich und jetzt zu übernehmen. ({10}) Noch einige Bemerkungen zum oben angesprochenen internationalen Vergleich der Telefonkosten. Hier liegen wir keineswegs, wie von Ihnen immer wieder behauptet, auf einem guten Mittelplatz. Zwar liegen wir seit dem 1. April 1980 nicht mehr auf dem zweiten Spitzenplatz hinter dem Kostenspitzenreiter Norwegen; nein, zwei weitere Länder, die Elfenbeinküste und der Senegal, haben uns in der Tabelle überholt. ({11}) Welche Vergleichsmöglichkeiten man auch heranzieht - es gibt deren zahlreiche -, man kommt um die Feststellung nicht herum: Die Bundesrepublik bleibt ein teures Telefonland. Wenn Sie dies nicht wahrhaben wollen: Woher kommen denn die jährlichen Überschüsse im Fernmeldewesen in Milliardenhöhe? Sie verweisen nun auf die Gebührensenkung vom 1. April: 30 freie Einheiten für sozial Schwache oder 20 freie Einheiten für alle Telefonteilnehmer. Aber das ist alles keine Begründung für die Aufhebung des Mondscheintarifs und die damit erfolgte Gebührenerhöhung um 70%. Wir lagen bisher mit den Telefonkosten an der Spitze, und das war untragbar. Wir wollen in diesem Vergleich einen viel günstigeren Platz, und zwar im berechtigten Interesse unserer Telefonkunden. Telefonieren ist uns allen lieb und teuer, aber so teuer wiederum auch nicht. ({12}) Bühler ({13}) Meine Damen und Herren von der Koalition, die finanziellen Möglichkeiten sind vorhanden, die technischen Möglichkeiten sind vorhanden, der Wunsch der Bürger ist vorhanden. Dieser Wunsch ist nur zu berechtigt Stimmen Sie also unserem Antrag zu! Es ist für mich ein Armutszeugnis, wenn die Post zwölf Monate brauchen sollte, um Erfahrungen mit dem neuen Tarif zu sammeln. Wird im Herbst vielleicht mehr telefoniert als im Frühjahr, oder spekuliert hier wie üblich die Regierungskoalition auf die Vergeßlichkeit der Bürger? Die CDU/CSU-Fraktion fordert daher die Wiedereinführung des Mondscheintarifs. Bei Ferngesprächen über 50 km soll folgende Gebühreneinheit festgelegt werden: an Werktagen von 20 Uhr bis 22 Uhr 45 Sekunden, ab 22 Uhr 55 Sekunden. Damit haben wir die zur Verhinderung von Netzblockaden notwendige Entzerrung der Tarife. Damit haben wir für die Bundespost einen kostendeckenden Tarif. Damit haben wir die vom Postministerium geforderte bessere Ausnutzung des Fernmeldenetzes, und damit haben wir - das wollen Sie doch alle, Sie wie wir - wieder zufriedene Telefonkunden. ({14}) Stimmen Sie heute unserem Antrag zu! Dann sind wir Ihnen auch bei der Formulierung einer neuen Anzeige behilflich, die dann mit Recht die Überschrift tragen darf „Das Telefonieren wird billiger". - Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paterna.

Peter Paterna (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Als meine Frau die letzte Rede, die ich vor 14 Tagen zu diesem Thema gehalten habe, nachgelesen hatte, sagte sie: Formulier doch nicht immer so scharf, sei doch ein bißchen mäßiger. Ich habe mir das heute wirklich fest vorgenommen. Aber nachdem Sie, Herr Bühler, hier nur als Dollinger-Verschnitt aufgetaucht sind, ist es ein bißchen schwierig. Ich habe gedacht: wenn wir schon innerhalb von 14 Tagen zweimal das gleiche Thema debattieren, dann käme ein neues Argument. Ich habe trotz aufmerksamen Zuhörens leider nichts davon erfahren. ({0}) Sie haben also vorgeschlagen, da sollte eine allmähliche Entzerrung stattfinden. Wir haben darüber im Fachausschuß debattiert. Da gehören solche Debatten auch hin. Der Staatssekretär hat Ihnen erzählt - aus Erfahrung -, daß es nichts nützt, mit vielen Treppen zum billigsten Tarif, ich will nicht sagen: sich herunterzumogeln, aber: herunterzukommen. Denn der Bürger durchschaut nicht ein kompliziertes Tarifsystem, sondern telefoniert immer schlicht und ergreifend zum billigsten Tarif. Dann haben Sie genau die Blockaden, die wir abzuschaffen wünschen. ({1}) Zu der Öffentlichkleit und der Frage, wer da wen für doof hält, kommen wir gleich noch. ({2}) . - Gut, wenn Sie darauf bestehen, will ich Ihnen noch eines dazu sagen. Das, was Sie hier fordern, wäre nach Aussage von Fachleuten aus technischen Gründen frühestens 1983 möglich. Informieren Sie sich doch erst mal, ehe Sie hier im Plenum mit solchen Anträgen kommen. Ich beziehe mich also auf die Feststellungen, die ich schon vor 14 Tagen getroffen habe, und mache einige ergänzende Bemerkungen. Erstens. Die Deutsche Bundespost ist ein öffentliches Unternehmen und unterliegt als solches im Gegensatz zu privaten Konzernen einer wirksamen öffentlichen Kontrolle. Darauf haben Sie ja in der ersten Debatte solchen Wert gelegt Diese Kontrolle wird u. a. durch uns als Parlament hier wahrgenommen und durch die Vertreter der Fraktionen im Postverwaltungsrat. Nun komme ich zu Ihnen und dem schlechten Gedächtnis des Bürgers. Wenn Vertreter Ihrer Fraktion im Postverwaltungsrat einer Gebührenänderung zum 1. April 1980 zugestimmt haben, dann können Sie sich doch nicht wie der Kollege Dollinger das letzte Mal sechs Wochen später hier mit einem Antrag präsentieren und folgendes ausführen - ich will Ihnen das mal im Originalton zitieren -: Es handelte sich um - wörtliches Zitat - „eine für viele gravierende Beschneidung der Lebensqualitäten in unserem Lande. Die Methode, die hier von der Post angewandt wurde, erinnert mich an die Frühzeit des Monopolkapitalismus." - Das kam von Ihnen eben noch einmal; das muß eine schöne Formulierung gewesen sein. - „Für diese neuerliche finanzielle Belastung haben wir kein Verständnis." ({3}) Sechs Wochen, nachdem das mit Ihrer Zustimmung eingeführt worden ist! Da sagen Sie: „Kein Verständnis"! - „Für die Aufhebung des Mondscheintarifs gibt es für uns weder finanziell noch technisch überzeugende Gründe." - Nachdem Ihnen das im Postverwaltungsrat bis aufs Knupperbein erklärt worden ist und Sie dort offensichtlich auch überzeugt gewesen sind! Wer also hier suggerieren will, wir würden etwa auf das schlechte Gedächtnis des Bürgers bauen, der sollte lieber vor seiner eigenen Tür kehren. Sie stehlen sich hier aus der Verantwortung zu einem Zeitpunkt, wo eine sachgerechte neue Entscheidung überhaupt nicht getroffen werden kann. ({4}) Das sind Methoden, die die parlamentarische Demokratie nicht glaubwürdiger machen. Zweitens. Sie reden immer von Gebührenerhöhungen. Sie wissen, daß es sich in der Summe der Gebührenmaßnahmen, die insgesamt in Rede stehen, um eine beabsichtigte Gebühren s e n k u n g handelt, und zwar um 10 %. Die Bundesregierung hat zugesagt, die Entwicklung der Gebühreneinnahmen und den erhofften Abbau der Netzblockaden laufend zu beobachten. Sie hat weiter zugesagt, uns umgehend zu informieren, wenn sich das Verhalten der Fernsprechteilnehmer wesentlich anders entwickelt als erwartet und als im Postverwaltungsrat vorgetragen. Die Bundesregierung hat schließlich zugesagt, auf jeden Fall zum 1. Juni 1981 zu berichten, weil dann die Erfahrungen von zwölf Monaten vorliegen. Mehr - so ist unsere Auffassung - können wir nicht verlangen, wenn wir den Wert auf sachgerechte und verantwortungsbewußte Entscheidungen legen. Diese beiden Begriffe, sachgerecht und verantwortungsbewußt, will ich allerdings hervorheben; das erwarten wir. Drittens. Ich habe Ihnen bereits einmal vorgerechnet, daß sich sozial schwache ältere Leute, verglichen mit den Kosten vor 1979, nur dann schlechter stehen, wenn sie bisher sehr häufig und sehr lange zu Zeiten des Mondscheintarifs telefoniert haben. Die meisten älteren Leute werden sich heute besser stehen als früher. ({5}) - Herr Kollege Straßmeir, der Zwischenrufer vom Dienst, Herr Pfeffermann, ist offenbar nicht da; jetzt müssen Sie die Rolle mal übernehmen. Ich will Ihnen folgendes sagen. Sollte sich in der Praxis erweisen, daß aus sozialpolitischen Gründen neue Maßnahmen auf dem Gebührensektor notwendig sind, dann werden das allerdings Maßnahmen sein, die gezielt diesen Personenkreis treffen, und es werden nicht wie mit der Gießkanne die Wohltaten über Reiche und Bedürftige gleichermaßen ausgeschüttet. Denn das ist das, was Sie wollen. Sie reden zwar immer von einem kleinen Teil möglicherweise Betroffener, aber von den 90 %, die dann gleich mitprofitieren, reden Sie wohlweislich nicht. ({6}) Viertens. Ich habe Sie schon einmal darauf hingewiesen, daß der sogenannte Mondscheintarif nicht mit sozialpolitischen Argumenten eingeführt wurde, sondern mit dem Ziel, das Fernsprechnetz über 24 Stunden gleichmäßiger auszulasten. ({7}) Ich habe Ihnen weiterhin vorgerechnet - das hat nichts genützt, denn das Argument kam heute noch einmal -, daß es unverantwortlich, weil unwirtschaftlich, wäre, das Fernsprechnetz spezial nach den Bedürfnissen zu Zeiten des alten Mondscheintarifs auszubauen. Meine Damen und Herren von der Opposition, der Kollege Topmann hat Ihnen das im Ausschuß mit einem Beispiel sehr plastisch gemacht Ich glaube, so kann man das auch den Bürgern erklären. Wir haben beispielsweise im Energiebereich Sondertarife für Nachtzeiten eingeführt, für Nachtstromheizungen. Warum? Weil wir die Grundlast, die ohnehin vorhanden ist, vernünftig auslasten wollen. Wenn sich aber nun herausstellte, daß diese Nachtstromheizungen von den Bürgern in übermäßig starkem Maße, wesentlich mehr als erwartet, angenommen würden, so daß sich für diese Nachtstromheizungen ein Engpaß ergäbe, wäre doch niemand so unvernünftig, deswegen neue Kraftwerke zu bauen. Denn das würde doch den Sinn der Maßnahme, mit Gebührenstaffelungen eine gleichmäßigere Auslastung zu erreichen, geradezu auf den Kopf stellen. Das gleiche gilt auch für den Mondscheintarif. ({8}) Fünftens. Unter Hinweis auf die Gewinne der Bundespost im allgemeinen und die Überschüsse im Fernsprechverkehr im besonderen hält es die Opposition immer wieder für ein brauchbares Argument, den Bürgern einzureden, die Post nutze ihre Monopolstellung schamlos aus und bereichere sich in ungerechtfertigter Weise auf Kosten der sogenannten kleinen Leute. Und dann werden die Gewinne, die Rückstellungen und die Sonderablieferungen aufgezählt - Sie nicken. Das ist ja prima. Aber vergessen Sie doch wenigstens die Sonderablieferungen! Denn die CDU/CSU-geführten Bundesländer - das habe ich Ihnen schon einmal erzählt - haben, auf ein Jahr bezogen, eine doppelt so hohe Sonderablieferung gefordert Dann können Sie sich doch nicht hier hinstellen und dies als besonders üble Methode eines Monopolkapitalisten bezeichnen, wenn Sie von ihm eine viel größere Ablieferung verlangt haben. Bleiben Sie doch mal sauber in Ihrer Argumentation! ({9}) Dann habe ich Ihnen angeboten, Ihnen im Fachausschuß - dazu ist hier überhaupt nicht die Zeit - genauer auseinandersetzen, wie man eigentlich internationale Vergleiche anstellen kann. Niemand hat im Ausschuß darauf Wert gelegt. Stellen Sie sich doch hier nicht wieder hin und behaupten, solche Sachen wie „an der Spitze der Bewegung" und „Elfenbeinküste"! Dies ist alles grober Unfug, ({10}) weil Sie da Äpfel mit Birnen vergleichen und weil Sie eine Fülle von Faktoren, die dabei zu berücksichtigen sind, überhaupt nicht einrechnen. Dies einmal sauber auseinanderzulegen, wäre wirklich eine Debatte wert. Aber Sie machen sich leider diese Mühe nicht. Sie machen das ja auf eine ganz besonders listige Methode - das haben Sie schon im Ausschuß versucht -, indem Sie die Post nach Kostendeckungsgraden einzelner Fernsprechgebühren fragen. Wenn Sie so fragen, müssen Sie sich eine Reihe von Fragen selber stellen lassen. Wollen Sie, daß die Leistungen der Post aus dem Staatshaushalt, d. h. vom Steuerzahler, subventioniert werden? Das geschieht in einigen Ländern. Das müssen Sie nämlich in die Vergleiche einbeziehen. Wollen Sie das? Dann sagen Sie das! Wollen Sie, daß die Einheit der Post- und Fernmeldeverwaltung aufgegeben wird? Das ist in vielen Fällen der Fall. Wollen Sie für jede Einzelleistung im Post- und Fernmeldebereich jeweils kostendeckende Preise verlangen und damit enorme Preissteigerungen für die Beförderung von Briefen, Päckchen, Paketen, für den Postzeitungsdienst - um nur einige Beispiele zu nennen - in Kauf nehmen? Wenn Sie das wollen, dann stellen Sie hier solche Anträge! Ich hätte ja nichts dagegen, wenn das Verschicken von Springers „Welt" nicht mehr zu 70 % subventioniert würde. Aber es träfe auch andere. Und für die wäre es ein wenig bedauerlicher. Sehen Sie doch, daß die Post hier in hohem Maß gemeinwirtschaftliche Aufgaben übernimmt. Die müssen finanziert werden. Wollen Sie Geschäftstelefone teurer machen?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Peter Paterna (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme jetzt zum Schluß. Wollen Sie private Fernsprechnetze zulassen? Wollen Sie vom Steuerzahler bestimmte Dinge subventionieren lassen? Alle diese Fragen müssen Sie hier mal beantworten. Wenn Sie ja sagen, dann stellen Sie Anträge! Wenn Sie nein sagen, dann kehren Sie zu einer seriösen Argumentation - die wir zu diesem Punkt leider vermissen - zurück! - Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur auf vier Punkte eingehen. Die Ausschußberatungen haben zum Thema Mondscheintarif erstens deutlich gemacht: Den Mondscheintarif wieder einzuführen, hieße auch, den alten Telefonblockaden - täglich ab. 22.00 Uhr und an Wochenenden - das Wort zu reden und sie sich zurückzuwünschen. Meine Damen und Herren von der Opposition, daß Herr Strauß und die Unionsparteien sich nach diesem unerträglichen Zustand sehnen, sollte jedem einzelnen Bürger im Wahlkampf klargemacht werden, wenn wider besseres Wissen dem Wähler suggeriert werden soll, der Mondscheintarif verbillige die Gesamttelefonrechnung, wobei Erleichterungen beim Telefonieren in Milliardenhöhe geflissentlich verschwiegen werden und z. B. auch verschwiegen wird, daß der neue Billigtarif 70% Nachlaß gegenüber dem Normaltarif bedeutet und abends bereits vier Stunden früher als der Mondscheintarif einsetzt Jeder, der jetzt auf die Uhr guckt - es ist knapp halb zehn -, weit, daß man zur Zeit des Mondscheintarifs um diese Zeit nicht zu einem vernünftigen Tarif hätte sprechen können. Nach dem Billigtarif, den wir heute haben, können Sie jedermann billigst mitteilen ({0}) - bis hinunter nach München -, welch merkwürdige Unkenntnis - was zu beweisen ich gleich versuchen will - hier in der Debatte seitens der Unionsparteien deutlich geworden ist ({1}) Es wird auch verschwiegen, daß es monatlich 20 freie Gebühreneinheiten gibt und daß ältere und behinderte Bürger jeden Monat 50 Gebühreneinheiten frei haben. Es wird ferner verschwiegen, daß der Billigtarif dem alten Mondscheintarif bei Entfernungen bis 50 Kilometer haargenau entspricht Es wird weiter verschwiegen, daß jeder dritte Bürger im Monat ohnehin nicht mehr als 50 Gebühreneinheiten in Anspruch nimmt, daß jede Woche 118 Stunden lang zum Billigtarif, also zu 30 % des Normaltarifs, telefoniert werden kann, daß also überhaupt nur noch 50 Stunden Normaltarifzeit bleiben. Schließlich wird verschwiegen, daß auch Mitglieder der CDU und CSU, z. B. als Mitgleider des Postverwaltungsrats, die Ablösung des Mondscheintarifs und die Einführung des insgesamt für uns günstigeren Billigtarifs ausdrücklich mitverlangt haben. Die Beratungen im Ausschuß haben zweitens gezeigt, daß die Wiedereinführung des Mondscheintarifs insbesondere ökonomisch unsinnig wäre, weil Milliarden dafür investiert werden müßten. Sie haben gefragt, warum man es nicht schon früher gemacht habe, und gemeint, daß man es spätestens jetzt machen müsse. Sie wollen also Milliarden dafür ausgeben, daß nicht mehr erreicht wird, als daß wir während der Zeiten des alten Mondscheintarifs verhindern, daß es wieder zu Netzblockaden oder totalen Netzzusammenbrüchen kommt Statt dessen sollte Herr Strauß oder zumindest derjenige, der - wie Herr Jaumann - vorgibt, von Wirtschaft etwas zu verstehen, einmal nachrechnen, ob es nicht sinnvoller ist, von den Investitionen für 1980 in Höhe von 10,2 Milliarden DM einen Löwenanteil in die Verbesserung des Telefonnetzes zu stecken. Im Ausschuß wurde drittens erkannt: Der Antrag der Opposition ist unsolide und zumindest voreilig, weil auswertbare Erfahrungen mit dem Billigtarif noch nicht vorliegen. Das erkannte die CDU/CSU selbst und beeilte sich deshalb, spontan eine neue Sprechdauer vorzuschlagen, womit aber nicht verdeckt werden kann, daß zu bestimmten Zeiten die gleichen Probleme, auch die der Netzüberlastung, bleiben würden. Dieser Hilfsantrag, den Sie da eingebracht haben, weil Sie eingesehen haben, daß Ihre erste Forderung in der Tat völlig unrichtig und unsinnig ist, zielt darauf ab, für Ferngespräche über 50 Kilometer einen modifizierten Mondscheintarif einzuführen - also nicht mehr den Mondscheintarif, wie er in Ihrer ursprünglichen Forderung enthalten ist, sondern einen modifizierten -, der für eine Gebühreneinheit folgende Sprechdauer in Sekunden vorsieht: an Werktagen von 20 bis 22 Uhr, also für zwei Stunden, 45 Sekunden, ab 22 Uhr 55 Sekunden. Einmal ganz unabhängig von den Auswirkungen auf die Gebühreneinnahmen und auch auf die Verkehrsverlagerung muß Ihnen eines klargemacht werden: Sie könnten dies technisch - selbst wenn wir das gemeinsam wollten - frühestens 1983 einführen. Das hätte Ihnen jeder im zuständigen Ministerium, das hätten Ihnen viele Fachleute auch in Ihrer Partei - Sie haben da ganze Arbeitskreise, die sich angeblich mit Postpolitik beschäftigen - sagen können. Obwohl jeder dieser Fachleute Ihnen hätte sagen können, daß zur Erfüllung Ihrer Forderung drei Jahre notwendig seien, stellen Sie sich hier her und sagen: Aber spätestens für den Wahlkampf wollen wir die Wiedereinführung des - jetzt geänderten - Mondscheintarifs. Meine Damen und Her18428 ren, dies zeigt: Sie machen Politik ohne realen Hintergrund und vor allen Dingen - leider - ohne ausreichende Sachkenntnis. ({2}) Es ist schwierig, sich mit Ihnen auf einer solchen Ebene auseinanderzusetzen. Totale Hilflosigkeit also bei dem Bemühen, diesen für den Wahlkampf als hilfreich vermuteten Antrag angesichts der Konsequenzen, die man dabei nicht außer acht lassen darf, noch halbwegs zu retten. Konstruktiv dagegen ist, wie uns allen, glaube ich, bescheinigt werden kann, der Vorschlag der Koalitionsfraktionen, die Telefongebühren zu ändern, wenn sich nach wirklich ausreichender Erfahrung zeigen sollte, daß die jetzt geltenden Vergünstigungen beim Telefonieren für den Kunden eben keinen finanziellen Vorteil gegenüber dem Mondscheintarif bringen. Handeln auf Grund von Erfahrung bedeutet auch - das habe ich in der Debatte gelernt -, einen ausreichenden Zeitraum dafür zu haben. Ich habe gesagt: Ein halbes Jahr müßte ausreichen. Ich habe mir durch Fachleute aber sagen lassen: Wenn z. B. der gesamte Dezember in der Abrechnung in einem solchen Erfahrungszeitraum nicht enthalten ist, kann man eine jährliche Bewertung nicht vornehmen. Wenn man ausreichend Erfahrungen sammeln will, muß man also den Zeitraum zugrunde legen, der in der Entschließung der Koalitionsfraktionen vorgesehen ist. Man muß ja auf Grund von Erfahrungen und darf nicht ins Blaue hinein handeln, schon gar nicht - um bei dem anderen Bild zu bleiben - in den Mond hinein. Meine Damen und Herren, die FDP bleibt dabei: Ihr Antrag ist als unvernünftig abzulehnen. Wir unterstützen die gemeinsame Entschließung, wonach nach einem ausreichenden Erfahrungszeitraum möglicherweise Korrekturen vorgenommen werden sollten, wenn sie sich als notwendig erweisen. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über drei Beschlußempfehlungen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4254, den Antrag Drucksache 8/4024 auf Wiedereinführung des Mondscheintarifs abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. ({0}) Ferner empfiehlt der Ausschuß auf Drucksache 8/4254 unter den Ziffern 2 und 3 die Annahme von Entschließungen. Erhebt sich gegen diese Beschlußempfehlungen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Die Entschließungen sind angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({1}) - Drucksache 8/4207 Hierzu wird das Wort nicht erbeten. Ist das Haus damit einverstanden, daß die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft erfolgt? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 39 auf: Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu der Aufhebbaren Sechsundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Aufhebbaren Dreiundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Aufhebbaren Zweiundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen 8/3955, 8/3956, 8/3754, 8/4202 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens Das Wort wird auch hier nicht gewünscht Von diesem Bericht des Ausschusses braucht das Haus nur Kenntnis zu nehmen. Anträge liegen nicht vor. - Ich stelle fest, daß das Haus Kenntnis genommen hat Ich rufe Tagesordnungspunkt 40 auf: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung einer 2 ha großen Teilfläche des bundeseigenen Geländes an der Dachauer Straße in München an den Freistaat Bayern - Drucksache 8/4212 Auch hierzu wird das Wort nicht erbeten. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. - Auch hiermit ist das Haus einverstanden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 41 auf: Beratung der Ubersicht 16 des Rechtsausschusses ({3}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 8/4246 Das Wort wird nicht gewünscht Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache. 8/4246, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden. Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen noch Mitteilungen zu verlesen. Wegen der außergewöhnlichen zeitlichen Belastung in der nächsten Sitzungswoche schlägt der AlDeutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 226 Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Juni 1980 18429 Vizepräsident Frau Renger testenrat vor, in dieser letzten Sitzungswoche der jetzigen Wahlperiode keine Fragestunden durchzuführen. Jedes Mitglied des Bundestages soll jedoch berechtigt sein, für diese Sitzungswoche bis zu vier Fragen an die Bundesregierung zu richten, die schriftlich beantwortet werden. Wer mit dieser Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, die nach § 127 der Geschäftsordnung beschlossen werden muß, einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen so beschlossen. Für die Zeit nach der letzten Sitzungswoche der laufenden Wahlperiode schlägt der Ältestenrat die folgende Regelung für schriftliche Einzelfragen vor: Jedes Mitglied des Hauses ist berechtigt, in den Monaten Juli, August und September jeweils bis zu vier Fragen an die Bundesregierung zu richten, die schriftlich beantwortet werden. Die Fragen für den Monat Juli müssen bis Freitag, den 25. Juli, die für den Monat August bis Freitag, den 22. August, und die für den Monat September bis Mittwoch, den 24. September, jeweils bis spätestens 11 Uhr im Parlamentssekretariat eingehen. Ist das Haus auch mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Die Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Interparlamentarischen Union über die Frühjahrstagung der IPU in Oslo vom 7. bis 12. April 1980 - Drucksache 8/4180 - soll gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung dem Auswärtigen Ausschuß - federführend - sowie dem Verteidigungsausschuß und. dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit - mitberatend - überwiesen werden.- Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Ich danke Ihnen; dann ist das so beschlossen. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.