Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung noch einige Mitteilungen und Beschlußfassungen.
Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen - Stand: 18. Juni 1980 - vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Bericht der Bundesregierung über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag ({0})
zuständig:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 21. bis 25. April 1980 in Straßburg ({1})
zuständig:
Auswärtiger Ausschuß
Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 1. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1980 ({2})
zuständig: Haushaltsausschuß
Erhebt sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Widerspruch? - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 4 a) und b) der Tagesordnung abgesetzt werden. Punkt 29, der für Donnerstag vorgesehen war, soll heute unmittelbar nach der Fragestunde aufgerufen werden. Ist das Haus auch damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 19. Juni 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Schulte ({3}), Spitzmüller und Genossen betr. Fluor-Kohlenstoffe in der Umwelt - Drucksache 8/3969 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/4273 verteilt.
Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 11. bis 17. Juni 1980 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/4282 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Aufhebbare Siebenundvierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung ({4})
Oberweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 3. Juli 1980 vorzulegen
Aufhebbare Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten im Außenwirtschaftsverkehr ({5})
Überweisung an den Ausschuß far Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 3. Juli 1980 vorzulegen
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen ({6})
- Drucksache 8/3319 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4247 -
Berichterstatter:
Abgeordneter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({8})
- Drucksache 8/4243 Berichterstatter:
Abgeordnete Hasinger
({9})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich erteile Herrn Abgeordneten Hasinger das Wort.
Herr Präsident, ich möchte doch gern als Berichterstatter eine kleine Ergänzung des Berichts vornehmen, und zwar im Einvernehmen mit dem Herrn Mitberichterstatter.
Herr Abgeordneter Hasinger, wollen Sie dann gleich als erster Redner fortfahren?
Ja.
Bitte geben Sie mir dann ein Zeichen, damit ich weiß, wo die Berichterstattermitteilung endet und die allgemeine Aussprache beginnt.
Ich werde das deutlich machen.
Im Einvernehmen mit dem Herrn Mitberichterstatter mochte ich drei Korrekturen von Redaktionsversehen bekanntgeben und bitten, sie in die Beschlußfassung mit einzubeziehen.
Erstens. § 2 Abs. 1 Nr. 3 muß folgendermaßen lauten:
3. Arzneimittel, die einem Zulassungs- oder Registrierungsverfahren nach dem Arzneimittelgesetz vom 24. August 1976 ({0}) oder nach dem Tierseuchengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. März 1980 ({1}) unterliegen, sowie Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die ausschließlich zur Herstellung von zulassungs- oder registrierungspflichtigen Arzneimitteln nach den genannten Gesetzen bestimmt sind,
Zweitens. § 13 Abs. 2 Satz 2 muß folgendermaßen lauten:
Einstufungen gefährlicher Zubereitungen, die der Hersteller oder Einführer nach dem Ergebnis von Prüfungen nach §§ 7 oder 9 oder nach gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 vornimmt, gehen den Einstufungen auf Grund von Berechnungsverfahren vor.
Drittens. § 28 Abs. 1 Nr. 1 muß folgendermaßen lauten:
1. entgegen § 4 Abs. 1 oder 1 a einen Stoff in den Verkehr bringt oder einführt, ohne ihn rechtzeitig angemeldet zu haben,
Herr Präsident, ich darf Ihnen diese Änderungen überreichen und bitte, nun in die Debatte eintreten zu dürfen.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter Hasinger.
Meine Damen und Herren! „Chemie und Umwelt" ist ein Thema, das zunehmend mehr Menschen nachdenklich macht. Spektakuläre Ereignisse haben die Offentlichkeit aufgerüttelt:. Störfälle wie in Seveso, Transportunfälle wie kürzlich in Kanada, der Hamburger Giftskandal. Die Menschen sind beunruhigt über Schadstoffkonzentrationen in Flüssen, in der Luft, im Erdreich. Die Zeitungen haben von Quecksilbervergiftungen in Japan berichtet.
Aber, meine Damen und Herren, die öffentliche Diskussion reicht über die mögliche Abwehr von Unglücksfällen hinaus. Eine nachdenklich gewordene Offentlichkeit stellt die Frage nach dem Verhältnis von Chemie und Natur. Besorgnis über die Fremdheit chemischer Stoffe wird laut. Wie lassen sich chemische Produkte in die natürlichen Kreisläufe einfügen? Wie muß Chemie gestaltet sein, damit sie das natürliche Gleichgewicht nicht stört?
Alle diese Fragen können und dürfen die chemische Industrie als solche nicht in Frage stellen. Die Menschen wissen sehr wohl um den wesentlichen Beitrag der Chemie im Kampf gegen Hunger, gegen
Krankheit und Tod, gegen Kälte und Elend. Ohne Chemie wäre der Wohlstand jedes einzelnen entscheidend geringer, und, Herr Kollege Schäfer, als Massenproduktion trägt sie zu einem Stück sozialer Gerechtigkeit bei.
Zwischen den Belangen des Umweltschutzes und der Wirtschaft - auch sie ist unser aller Sache - muß eine vernünftige Balance gefunden werden. Deshalb sagt das CDU-Grundsatzprogramm: Die Verwirklichung der vier klassischen Ziele der Wirschaftspolitik
reicht allein nicht aus, um die Solidarität mit den künftigen Generationen zu gewährleisten. Sie müssen daher um die Sicherung der ökologischen Zukunft unseres Gemeinwesens erweitert werden.
Ökonomie und Ökologie schließen sich nicht gegenseitig aus. Ein nur ökönomischer Standpunkt führt ebenso in die Sackgasse wie eine auschließlich ökologisch orientierte Betrachtungsweise. Eine vernünftige Synthese von Ökonomie und Ökologie ist das, was wir brauchen. Und lassen Sie mich hinzufügen: Wir werden sie nur durch technologische Weiterentwicklung erreichen, die dann freilich beide Gesichtspunkte berücksichtigen muß.
Bei den Chemikalien muß beachtet werden, daß der Lebensweg einer Chemiekalie mit ihrer Benutzung nicht beendet ist. Unsere Meere sind keine unerschöpflichen Abfalleimer. Die Aufnahmekapazität der Deponien ist begrenzt. Auch die Luft darf nicht beliebig mit Schadstoffen belastet werden. Künftig muß auf die Abbaubarkeit oder die Wiedereinführung eines Produkts in den natürlichen Kreislauf genausoviel Sorgfalt verwendet werden wie auf die Entwicklung, Anwendung und Verbreitung des Produkts selbst.
({0})
Die Bundesregierung hat nun mit ihren Ankündigungen die Erwartung geweckt, auf alle diese Probleme und Fragen gebe der vorliegende Gesetzentwurf sichere Antworten. In der öffentlichen Anhörung haben die Sachverständigen dagegen sehr deutlich gemacht, daß der von der Bundesregierung erzeugte Erwartungshorizont in keiner Weise erfüllt wird. Wir sollten die Mahnung eines renommierten Sachverständigen annehmen, der gesagt hat, man möge der Offentlichkeit nicht Gold versprechen, wo der Gesetzentwurf nur rostiges Blech bieten könne. Die heutige Debatte darf nicht in denselben Fehler verfallen, den die Bundesregierung gemacht hat. Übrigens hat auch Herr Kollege Konrad schon in der ersten Lesung auf diesen wichtigen Gesichtspunkt hingewiesen. Deswegen möchte ich deutlich sagen: Das Chemikaliengesetz ist keine umfassende Regelung aller mit Chemikalien verbundenen Gefahren und Probleme. Es bietet keinen absoluten Schutz unserer Bevölkerung vor Schäden durch chemische Stoffe. Das muß jeder wissen.
({1})
- Sind Sie anderer Auffassung, Herr Kollege Schäfer?
({2})
- Ich glaube, daß der Gesetzgeber einen solchen Schutz nicht bieten kann. Deswegen ist es wichtig, daß wir das im Parlament ganz deutlich machen, damit in der Offentlichkeit keine falschen Erwartungen geweckt werden.
({3})
Von den drei im Gesetz behandelten Bereichen, nämlich Gesundheitsschutz, Umweltschutz und Arbeitsschutz, steht der Gesundheitsschutz eindeutig im Vordergrund. Umweltschutz und Arbeitsschutz, auf den mein Kollege Kraus noch eingehen wird, treten demgegenüber deutlich zurück. Das zeigt sich vor allem bei den vorgesehenen Prüfungen chemischer Stoffe.
Die Prüfung der Umweltverträglichkeit nimmt einen geringen Umfang ein. Vorgesehen ist lediglich die Prüfung an einem Fisch und an der Taufliege. Ökologische Langzeitrisiken werden von dem Gesetz praktisch nicht erfaßt. Deshalb kann man das Gesetz zutreffend als ein erweitertes Giftgesetz bezeichnen. Dem hochgestellten Anspruch eines Umwelt-Chemikaliengesetzes, wie er noch in den Ressortberatungen erhoben wurde, wird der Regierungsentwurf nicht gerecht.
({4})
Woher kommt das? Bei dieser Bundesregierung ist zwar von Umweltschutz oft die Rede. Man hat jedoch den Eindruck, daß eine vom Bundeskanzler selbst koordinierte Politik auf diesem Felde fehlt, weil ihn die Probleme der Ökologie offensichtlich nicht interessieren.
(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Das ist nicht
richtig»
Vielmehr versuchen sich die einzelnen Ressortminister gegenseitig zu profilieren. Das werden Sie nicht bestreiten, Herr Kollege Schäfer.
({5})
- Sie nicken mit dem Kopf; ich freue mich über diese Zustimmung.
({6})
Man kann sagen, daß es bei dieser Sucht zur Profilierung auf eigene Faust regelrecht zu subtilen Kämpfen der Häuser untereinander kommt - und dies alles zum Schaden der Sache.
(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Das ist Wettbewerb! Den wollen Sie doch immer»
- Wettbewerb ist gut, aber in einer Regierung muß auch geführt werden, Herr Kollege Schäfer.
({7})
- Ich bin mir nicht so sicher. Hören Sie einmal zu, wie es zur Entscheidung über die Federführung für diesen Gesetzentwurf kam. Es hat ein dubioses Tauziehen zwischen den einzelnen Ministerien um die Federführung gegeben. Ich erspare es mir jetzt, hier den Hergang im einzelnen zu schildern. Letztendlich ist die Federführung dann dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit übertragen worden. Ich möchte feststellen, daß die parlamentarischen Beratungen durch die Beamten des BMJFG, insbesondere durch Herrn Staatssekretär Professor Wolters, gut unterstützt worden sind. Ihnen sei auch an dieser Stelle gedankt.
({8})
Nun könnte man natürlich die Frage stellen, warum der Bundestag selbst die Schwerpunkte des Gesetzes nicht anders, und zwar zugunsten des Umweltschutzes, verteilt hat. Dies - das ist die Antwort - war jedoch deshalb nicht möglich, weil den Beratungen des Parlaments durch die 6. Änderungsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft enge Fesseln angelegt waren. Ein Uberschreiten, aber auch ein Unterschreiten dieser Richtlinie ist nach den EG-Verträgen ausgeschlossen und kam daher nicht in Betracht. Den Inhalt dieser Richtlinie muß sich die Bundesregierung zurechnen lassen. Sicherlich sitzen wir nicht allein im Boot der Europäischen Gemeinschaft. Die Bundesregierung aber war es, die in Brüssel verhandelt hat; sie hat dort zugestimmt. Praktisch waren wir über weite Strecken der Ausschußberatungen zur Fotokopiermaschine dessen degradiert, was Ministerialbürokraten auf europäischer Ebene ausgehandelt hatten.
({9})
Daß bei einem Gesetz, das völliges Neuland betritt, die wichtigen Entscheidungen nicht durch gewählte Parlamentarier fallen, ist auf die Dauer schwer erträglich.
({10})
Das Chemikaliengesetz geht mit der Zusammenfassung verschiedener Gefährdungsbereiche von der Systematik der bisherigen Umweltschutzgesetze ab, die bestimmte Medien unserer Umwelt - wie Wasser, Boden und Luft - schützen. Dieser sogenannte stoffbezogene Ansatz des Gesetzes wird aber nicht konsequent durchgehalten. Wichtige Aspekte des Themas Chemie und Umwelt - wie Emissionen, Störfälle, Transportunfälle und vor allem Abfallbeseitigung - sind gerade nicht Gegenstand des vorliegenden Gesetzes. Daß ein Ansatz in Richtung auf ein stoffbezogenes Gesetz gemacht wurde, ist durchaus zu begrüßen. Dennoch kann nicht übersehen werden, daß wir jetzt eine Gemengelage von Umweltgesetzen, die teils medienbezogen, teils stoffbezogen sind, besitzen. Dies macht eine Harmonisierung der bereits unübersichtlich gewordenen Umweltgesetzgebung zur Aufgabe kommender Jahre. Wir brauchen ein Umweltgesetzbuch, das die bisherigen Einzelvorschriften zusammenfaßt, strafft, von Ballast befreit, Doppelregelungen vermeidet und so übersichtlich ist, daß der
Bürger von seiner Schutzwirkung auch wirklich überzeugt ist.
({11})
Jetzt noch mußten wir uns in den Ausschußberatungen bemühen, die Abgrenzung zu anderen Gesetzen so eindeutig wie möglich zu machen. Es soll nun der Grundsatz gelten, daß alle Stoffe, die in Spezialgesetzen geregelt sind, aus dem vorliegenden Gesetz ausgenommen werden. Dies gilt insbesondere für Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, Kosmetika, Arzneimittel, Pflanzenschutzmittel, Abfälle, Abwässer, Altöle und zum Teil auch für Sprengstoffe.
Neben gravierenden ökologischen Unzulänglichkeiten weist der Gesetzentwurf auch einige wirtschaftlich nicht unbedenkliche Aspekte auf. Vor allem ist nicht auszuschließen, daß durch das Gesetz die Konzentration in unserer deutschen chemischen Industrie gefördert wird; denn selbstverständlich können Großunternehmen den Anforderungen des Gesetzes viel leichter gerecht werden als Klein-und Mittelbetriebe. Diese Frage ist nicht ohne Bedeutung; denn 25 % des Gesamtumsatzes der deutschen chemischen Industrie entfallen auf Betriebe mit weniger als 500 Beschäftigten und weiterer 11 auf Betriebe mit 500 bis 1 000 Beschäftigten. Ich möchte die Bundesregierung auffordern, diese mittelständischen Unternehmen beim Vollzug des Gesetzes zu unterstützen, Herr von Schoeler. Dies gilt insbesondere für die Schaffung geeigneter Laborkapazitäten. Es darf nicht sein, daß Firmen durch den Mangel an fachkundigen Toxikologen praktisch mit neuen Produkten vom Markt ausgeschlossen bleiben. Hier sollten Gemeinschaftseinrichtungen, die etwa in Zusammenarbeit mit der Fraunhofer-Gesellschaft denkbar sind, von der Bundesregierung gefördert werden.
({12})
Meine Damen und Herren, die Innovationsfähigkeit der deutschen chemischen Industrie, immerhin des zweitgrößten Industriezweiges überhaupt bei uns, darf durch das Gesetz nicht beeinträchtigt werden. Auf die chemische Industrie entfällt etwa ein Drittel der eigenfinanzierten deutschen Industrieforschung. 1978 hat die deutsche chemische Industrie 4,6 Milliarden DM für Forschung und Entwicklung aufgewendet, und - lassen Sie mich dies sagen - nur durch diese Aktivitäten in Forschung und Entwicklung bleiben wir international wettbewerbsfähig.
({13})
Es wäre daher nicht zu verantworten, die Innovationsbereitschaft durch die Einführung eines Zulassungsverfahrens, wie wir es etwa bei Arzneimitteln kennen, zu gefährden.
Der Unterausschuß Chemikaliengesetz hat sich daher für das schon im Regierungsentwurf und in der EG-Richtlinie vorgesehene Anmeldeverfahren entschieden. Auch eine im Interesse der Umsetzung des Giftrechts der Länder vorgesehene Ausnahmemöglichkeit für eng begrenzte Fälle in § 17 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes darf nicht als Einführung des Zulassungsprinzips mißverstanden werden.
Natürlich muß sich der Hersteller oder Importeur eines chemischen Produkts darüber im klaren sein, daß das Anmeldeverfahren die Verantwortung für die Risiken seines Produkts ganz allein ihm zuweist; denn er kann 45 Tage nach der Anmeldung den Stoff auf den Markt bringen. Meine Damen und Herren, diese klare Zuweisung der Verantwortlichkeiten ist richtig. Der Staat wäre überfordert, wenn er die Mithaftung für die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit jeder einzelnen Chemikalie übernehmen sollte. Ich glaube, daß Sie da zustimmen können, Herr Kollege Konrad.
Der Grundsatz der Eigenverantwortung kommt auch dadurch im Gesetz zum Ausdruck, daß der Hersteller selber die im Gesetz vorgesehenen Prüfungen vornehmen muß. Der Gesetzgeber gibt damit ein Stück Vertrauensvorschuß. Er geht davon aus, daß hier mit Sorgfalt vorgegangen und kein Pfusch geliefert wird. Ich möchte an diesem Ort feststellen, daß sich dieser Vertrauensvorschuß aus dem Verantwortungsbewußtsein, das die deutsche chemische Industrie in ihrer ganz großen Mehrheit bisher gezeigt hat, rechtfertigt. Außerordentlich vieles, was der Gesetzgeber mit diesem Gesetz und mit anderen Umweltgesetzen fordert, ist von der Industrie selbst längst entwickelt worden, ohne daß sie hierzu rechtlich gezwungen gewesen wäre.
({14})
- Was richtig ist, muß gesagt werden, Herr Kollege Fiebig.
({15})
Umweltschutz und gesundheitliche Anforderungen müssen in den Industrieländern nach einheitlichen Maßstäben geregelt werden. Es kann nicht angehen, daß durch laxere Regelungen in einzelnen Staaten Wettbewerbsverzerrungen eintreten. Deshalb ist es zu begrüßen, daß für neue Stoffe auf EG-Ebene nun ein einheitlicher Maßstab für die nationalen Gesetzgebungen besteht. Allerdings müssen nicht nur die nationalen Regelungen, sondern auch die tatsächlich geübte Praxis gleich sein. Von daher ist als Fernziel eine europäische Anmeldestelle für Chemikalien zu sehen, die - ähnlich wie das Europäische Patentamt - mit Wirkung für den gesamten EG-Bereich arbeiten würde.
Über die Europäische Gemeinschaft hinaus ist aber auch eine Einheitlichkeit unter den westlichen Industrienationen insgesamt zwingend notwendig. Dies gilt insbesondere für die USA und für Japan. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt daher, daß auf der Ebene der OECD Gespräche geführt werden. Ich könnte mir vorstellen, daß die Vereinigten Staaten bereit sind, sich den europäischen Vorstellungen anzunähern. Zwar ist ihre TOSCA-Gesetzgebung dem Wortlaut nach umfassender und strenger, aber die Praxis steht auf einem anderen Blatt.
Lassen Sie mich eines hinzufügen: Auf die Dauer wird ferner eine Vereinheitlichung mit dem Umwelt- und Gesundheitsschutzrecht der Industriestaaten des Ostblocks anzustreben sein. Auch hier, meine Damen und Herren, muß der internationale Wettbewerb unter gleichen Bedingungen erfolgen.
({16})
Lassen Sie mich ein kurzes Wort zu den sogenannten alten Stoffen sagen. Diese alten Stoffe, d. h. alle bisher auf dem Markt befindlichen, unterliegen der Anmeldepflicht nach dem Gesetz grundsätzlich nicht. Es sind rund 50 000 Stoffe. Hier liegt nun aus ökologischer Sicht ein Hauptpunkt der Kritik an diesem Gesetz. Doch möchte ich eindeutig sagen, daß eine schematische Durchprüfung aller alten Stoffe angesichts der begrenzten Laborkapazität viele Jahrzehnte - manche sagen sogar: 500 Jahre
- dauern würde. Die Labors wären bis dahin für die Prüfung neuer Stoffe weitgehend blockiert. Deswegen kann es nur sinnvoll sein, daß besonders gefährliche alte Stoffe Prüfungen unterzogen werden. So ist es im Gesetz auch vorgesehen. Wir haben zusätzlich aufgenommen, daß sich die Exekutive bei der Auswahl der alten Stoffe des Rates von Sachverständigen bedienen muß. Eine Sachverständigenkommission hat der Unterausschuß angesichts der Vielzahl solcher Einrichtungen und der zu beobachtenden Tendenz solcher Kommissionen, sich zu verselbständigen, einstimmig abgelehnt.
Bei den alten Stoffen wird die Problematik der internationalen Harmonisierung besonders deutlich; denn für sie gibt es bisher keine EG-Richtlinie. Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, soll die Bundesregierung daher in jedem Fall vor einer Regelung die EG-Einheitlichkeit anstreben. Folgendes kommt noch hinzu: Die Beratungen auf OECD-Ebene haben gezeigt, daß eine internationale Arbeitsteilung dringend notwendig ist, um sinnlose Doppelarbeit zu vermeiden. In den einzelnen OECD-Staaten scheint dazu erfreulicherweise Bereitschaft zu bestehen.
Letzter Punkt in diesem Zusammenhang: In den USA ist von der amerikanischen Umweltschutzbehörde und mit erheblichem Aufwand von seiten der Industrie ein Altstoffinventar erarbeitet worden. Die Amerikaner haben nichts dagegen, daß wir dieses Inventar übernehmen und ergänzen. Ich habe daher nicht das geringste Verständnis dafür, daß die europäische Kommission in Brüssel ein eigenes Altstoffinventar aufstellen will. Wenn man derartiges hört, braucht man sich über Aversionen gegen die europäische Bürokratie nicht zu wundern.
Nun möchte ich einige kurze Ausführungen zum Thema Tierversuche machen. Das Chemikaliengesetz wäre nach dem Entwurf der Bundesregierung das erste Gesetz gewesen, in dem Tierversuche in bestimmter Form gesetzlich angeordnet worden wären. Das Gesetz hätte sich damit in krassen Widerspruch zum Tierschutzgesetz gebracht; denn dort ist die Minimierung der Tierversuche ein tragender Grundsatz. Es wäre in der Tat auch merkwürdig, wenn das Chemikaliengesetz einerseits den Schutz von Natur und Umwelt im Auge hat, aber andererseits gegen die Natur gerichtete Tierversuche in
großem Umfang erzwingen würde. Warum muß ein Stoff, der mit dem Menschen nie in Berührung kommt, so lange in die Augen von Kaninchen oder Meerschweinchen geträufelt werden, bis Reizungen oder Ätzungen entstehen?
Geradezu unsinnig ist nach dem Ergebnis der Sachverständigenanhörung das sogenannte LD50-Verfahren zur Ermittlung der Toxizität, das darin besteht, herauszufinden, bei welcher Menge des zugeführten Stoffes die Hälfte der beim Tierversuch eingesetzten Tiere eingeht. Es war übereinstimmende Meinung der Sachverständigen, daß mit sehr viel weniger Tieren sehr viel aufschlußreichere Ergebnisse erzielt werden können. Wenn sich die Regierung darauf beruft, daß das LD50-Verfahren EG-weit vorgeschrieben sei, so überzeugt dies nicht. Unsinn wird noch nicht dadurch sinnvoll, daß er in allen EG-Ländern einheitlich praktiziert wird.
({17})
Die CDU/CSU hat dafür gesorgt, daß aus dem Gesetzentwurf rigoros alle Bestimmungen gestrichen wurden, die Tierversuche vorschreiben. Ich möchte darüber hinaus an alle Verantwortlichen den Appell richten, auf allen Gebieten, die viel zuvielen gegenwärtigen Tierversuche zu reduzieren. Reduziert werden können die Fälle, in denen Tierversuche durchgeführt werden, die Zahl der eingesetzten Tiere und drittens auch die Zahl der geprüften Dosen.
Ich fordere die Bundesregierung ferner auf, der Entwicklung alternativer Testmethoden an Bakterien oder anderer schmerzfreier Materie künftig mehr Aufmerksamkeit als bisher zu widmen. Die Bundesregierung sollte ferner auf EG-Ebene energisch darauf dringen, auf überflüssige Tierversuche zu verzichten.
({18})
Ein weiterer Punkt in aller Kürze: Dringend notwendig wird es sein, daß sich der Gesetzgeber mit den sehr unübersichtlich geregelten Fragen des Transports von Chemikalien beschäftigt. Wir haben die Unglücksfälle in Kanada und auf dem Campingsplatz in Spanien erlebt und möchten nicht, daß sich solches in Deutschland ereignet.
Meine Damen und Herren, besonderes Augenmerk hat der Unterausschuß darauf gerichtet, nicht eine neue übergroße Bürokratie zu installieren. Nach dem Regierungsentwurf sollten sich nicht weniger als fünf sogenannte Bewertungsstellen und eine Anmeldestelle mit jedem chemischen Stoff beschäftigen. Die ersten Anforderungen der Regierung umfaßten mehr als 550 Planstellen. Demgegenüber hat der Unterausschuß den Begriff der Bewertungsstellen ersatzlos gestrichen. Die Bundesregierung - dies möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen - kann auch nicht durch Verwaltungsanordnung derartige Bewertungsstellen errichten, ohne gegen den Willen des Parlaments zu verstoßen.
({19})
Die Anmeldestelle soll von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung bestimmt werden. Nach Auffassung der CDU/CSU sollte das Bundesgesund18178
heitsamt in Berlin, wo bereits entsprechender Sachverstand insbesondere toxikologischer Art vorhanden ist, zur Anmeldestelle erklärt werden. Die Bundesregierung hat demgegenüber in ihrem Gesetzentwurf die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung in Dortmund vorgeschlagen. Bei dieser Behörde müßte der personelle Apparat weitgehend neu aufgebaut werden; sie untersteht nicht dem Bundesgesundheitsministerium. Es wäre ein gesetzgeberisches Kuriosum, meine Damen und Herren, den Vollzug eines Gesetzes dem federführenden Ministerium zu entziehen.
({20})
Wenn auf die Festlegung der Anmeldestelle im Gesetz selbst verzichtet wurde, so beruht dies nicht auf einer Entscheidungsschwäche der Mitglieder des Unterausschusses,
({21})
sondern darauf, daß die vielfältigen hier zu beachtenden Gesichtspunkte in dèr Kürze der zur Verfügung stehenden Beratungszeit nicht hinreichend abgeklärt werden konnten. Herr Kollege Konrad, Sie wissen, was damit gemeint ist.
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist nur ein Gerippe. Seine volle Gestalt wird es erst durch zahlreiche Rechtsverordnungen erhalten. Da auf diesem Gebiet nur in einem einvernehmlichen Zusammenwirken von Bund und Ländern Vernünftiges herauskommen kann, bedürfen alle diese Rechtsverordnungen der Zustimmung des Bundesrates. Aber auch der Bundestag - dies sage ich jedenfalls für die CDU/CSU-Fraktion - wird diesen zweiten und wichtigen Teil der Regelungen zwar kritisch, aber nicht negativ verfolgen. Wir werden uns um das Kind Chemikaliengesetz, das wir heute in die Welt setzen, kümmern, meine Damen und Herren.
Entscheidend wird es jedoch darauf ankommen, daß bei der Praktizierung des Gesetzes ein vernünftiges Verhältnis zwischen der chemischen Industrie als der Betroffenen und den ausführenden Behörden zustande kommt. Sicherlich sind auch bei der chemischen Industrie nicht alles weiße Raben, und deswegen ist ein Gesetz notwendig, natürlich. Lebendiger Anschauungsunterricht in den USA zeigt aber, daß in einem sturen Feindverhältnis zwischen Behörde und Industrie der Umwelt- und Gesundheitsschutz selbst auf der Strecke bleibt. Ich bin überzeugt davon, daß sich auch die Naturwissenschaftler, die in der Industrie arbeiten, der objektiven Wissenschaft verpflichtet fühlen. Deshalb möchte ich sie hier und heute zur Mitarbeit an einem verantwortungsvollen Vollzug dieses Chemikaliengesetzes aufrufen. Wird dies erreicht, werden viele Probleme, mit denen sich das Gesetz beschäftigt, eine Dekade früher gelöst werden, als es in einem sturen Gegeneinander, meine Damen und Herren, möglich ist.
({22})
Nun habe ich allerdings den Eindruck, daß der Dialog zwischen der chemischen Industrie und der deutschen Öffentlichkeit mit Mißtrauen und
Vorbehalten belastet, ja, teilweise verschüttet ist. Dies ist bedauerlich; denn - lassen Sie mich dies hier ganz klar feststellen - die Industrie hat gegenüber der Offentlichkeit eine Pflicht zur Transparenz. Wenn in der Finanzwirtschaft von gläsernen Taschen gesprochen wird, so möchte ich hier abwandelnd von gläsernen Produktionsprozessen sprechen.
({23})
Aber ich habe auch Verständnis für Irritationen, die angesichts mancher einseitiger Veröffentlichungen bei der Industrie entstanden sind. Hierzu gehört das Buch „Seveso ist überall". Jedes reißerische Hochspielen unbegründeter, unbewiesener Verdachte ist unverantwortlich, weil es die Menschen in Unsicherheit versetzt, meine Damen und Herren.
({24})
Wir haben durch die öffentliche Sachverständigenanhörung, Herr Kollege Riesenhuber, versucht, den Dialog zu objektivieren. Ich glaube, daß dies auch ein gutes Stück gelungen ist. Es darf keine Verteufelung der chemischen Industrie geben, wenn wir umgekehrt von ihr ein Höchstmaß an Information der Offentlichkeit verlangen. Vielleicht könnte der öffentliche Dialog durch eine konzertierte Aktion neuer Art in Zukunft auf eine objektive Grundlage gestellt werden.
Bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Bundestag, meine Damen und Herren, hatte die CDU/CSU zum Ausdruck gebracht, daß sie das Ziel des Gesetzes, Mensch und Umwelt besser als bisher vor den Wirkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen zu schützen, für so vordringlich hält, daß das Gesetz so schnell wie möglich verabschiedet werden sollte.
({25})
Wir haben eine Konzentration auf das Notwendige und sofort Praktikable befürwortet und freuen uns, daß sich diese Konzeption schließlich durchgesetzt hat und sich die Koalitionsparteien ihr angeschlossen haben.
Die vom Unterausschuß vorgelegte Fassung des Gesetzentwurfs ist ein trotz weiterhin vorhandener ökologischer und ökonomischer Mängel jetzt verabschiedungsreifer Text. Eine Verschiebung auf die nächste. Legislaturperiode würde zu nichts führen. Wir stehen mit dem Gesetz sicherlich nicht am Ende, sondern am Anfang eines Weges. Die CDU/ CSU wird dem Gesetz daher als einem ersten Schritt zur Lösung der schwierigen Materie zustimmen. - Danke schön.
({26})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marschall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die industrielle Entwicklung hat in den letzten hundert Jahren eine kaum übersehbare Zahl von chemischen Stoffen in die Welt gesetzt. Vor
nicht allzu vielen Jahren galt die chemische Industrie nahezu uneingeschränkt als Musterbeispiel für den Sieg des Menschen über die Natur, als Triumph menschlichen Geistes und Segenspender zugleich.
Diese Beurteilung hat sich im Lauf weniger Jahre grundlegend geändert. Schlaglichtartig haben Störfälle und Katastrophen, Giftskandale und immer häufiger auftauchende Berichte über chronische Vergiftungen im Zusammenhang mit Chemikalien auf eine schleichende Bedrohung unseres Lebens aufmerksam gemacht. Inzwischen sind diese Gefahren allerorts zu vermuten. Es existieren mittlerweile etwa 50000 chemische Stoffe, die auf dem Markt in mehr als einer Million Zubereitungen zu finden sind. In der EG wird mit einem jährlichen Zuwachs von 3 000 neuen Stoffen gerechnet.
Das vorrangig Bedrohliche sind die oft völlig überraschenden Erkenntnisse über chronische Toxizität von Stoffen, d. h. die Schadwirkungen, die auch bei Aufnahme kleinster Mengen über einen längeren Zeitraum erkennbar werden. Oft sind es Stoffe, mit denen die Menschen jahrzehntelang, sogar jahrhundertelang gelebt haben. Als Beispiel sei die krebserzeugende Eigenschaft von Asbeststaub genannt.
Einerseits gilt hier, daß erst neue Entwicklungen der Medizin viele dieser Feststellungen ermöglicht haben. Andererseits gilt aber auch, daß wir angesichts der ständig wachsenden Zahl von Chemikalien in unserem Lebensbereich zunehmend gefährdet sind. Die langfristigen kumulativen und synergistischen Auswirkungen, also die Anhäufung und das Zusammenwirken von Stoffen, sind vielfach als bedrohlich erkannt, im ganzen aber noch in keiner Weise überschaubar. Die gesundheitlichen Gefahren der meisten Stoffe sind keineswegs ausreichend festgestellt. Ständig neue Informationen über gefährliche Anreicherungen in der Nahrungskette, karzinogene und mutagene, also krebserzeugende und erbgutverändernde, Stoffe sprechen Bände. Nicht von ungefähr spricht man von einer chemischen Zeitbombe, auf der die zivilisierte Menschheit sitzt.
Ähnliches gilt für die Gefährdung unserer Umwelt. Die Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen, auf Ökosysteme insgesamt sind weitgehend unbekannt. Aber auch hier gibt es Beispiele, wie nach langjährigem Mißbrauch ohne auffällige Folgen auf einmal Teile der Umwelt unwiederbringlich zugrundegehen.
Deshalb darf die Politik nicht nur reagieren, wenn ein Schaden eingetreten ist. Sie muß zur Wahrung unserer Lebensgrundlagen vorsorgen.
({0})
Gerade in der Bundesrepublik, einem der bedeutendsten Chemieproduzenten in der Welt, war ein beherzter Schritt zur Sicherung unserer Gesundheit und Umwelt vor schädlichen Einwirkungen chemischer Stoffe notwendig. Bei den Chemikalien klafft die letzte große Lücke in der deutschen Umweltschutzgesetzgebung, soweit nicht Teilbereiche bereits gesetzlich geregelt wurden, z. B. im Lebensmittel- und im Arzneimittelrecht oder durch Regelungen für Abwässer und Altöle.
Die Bundesregierung hat auf der Grundlage der sechsten Änderung der EG-Richtlinie einen Gesetzentwurf zum Schutz vor gefährlichen Stoffen vorgelegt. Einen Anspruch der Bundesregierung, absoluten Schutz vor schädlichen Wirkungen chemischer Stoffe zu gewährleisten, wie Sie, Herr Kollege Hasinger, soeben behauptet haben, habe ich zu keiner Zeit vernommen. Vielleicht könnten Sie bei Gelegenheit Ihre Wissensquelle offenbaren. Jedenfalls haben Sie den § 1 in dem behandelten Gesetz nicht grundlegend in Frage gestellt.
Der Regierungsentwurf pflügt auf dem Feld der gefährlichen Stoffe Neuland. In der Beratung des im Bundestag aus sechs beteiligten Ausschüssen zusammengesetzten Unterausschusses „Chemikaliengesetz", auch im Zusammenwirken mit Fachausschüssen, hat sich dies im letzten halben Jahr sehr deutlich gezeigt. Beim Pflügen waren schwere Brokken im Wege, die erst auf die Seite gerollt werden mußten.
Drei Viertel des Regierungsentwurfs sind durch die Richtlinie der EG bestimmt, die 1981 in allen Ländern der EG zu gleichen Gesetzen führen soll. Das Gesetz sieht neben der Verpflichtung zur Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung alter wie neuer gefährlicher Stoffe auch die Anmeldung neuer chemischer Stoffe vor, die nach bestimmten Kriterien auf Gesundheits- und Umweltschädlichkeit zu prüfen sind.
Die verbindlichen europäischen Regelungen, wie beispielsweise die Anmeldefrist von 45 Tagen für Hersteller und Einführer vor dem InVerkehrBringen eines Stoffes, die Bindung der Prüfanforderungen an Produktionsmengen, das Gewicht der Prüfungen auf Umweltschädlichkeit, können das Herz eines engagierten Umweltschützers nicht besonders erfreuen. Dennoch ist die Richtlinie mit ihren Kompromissen politische Realität. Sie bindet den deutschen Gesetzgeber wie die anderen Parlamente der Europäischen Gemeinschaft. Diese Realität läßt kein Zulassungsverfahren zu.
Als neu und damit anmeldepflichtig gilt ein Stoff dann, wenn er bis zum verbindlichen Stichtag, 18. September 1981, noch in keinem Land der EG vermarktet worden ist. Mit den Anmeldeunterlagen sind nach § 6 eine Reihe von Angaben zu machen, für gefährliche Stoffe sind weitere Informationen anzugeben.
Die mit der Anmeldung vorzulegenden Prüfnachweise der sogenannten Grundprüfung - auch Stufe 0 genannt - nach § 7, in der Regel Stoffe, von denen jährlich mehr als eine Tonne produziert wird, müssen die Beurteilung erlauben, ob der untersuchte Stoff schädliche Einwirkungen auf den Menschen oder die Umwelt hat. Dazu wird eine Reihe von Prüfungen vorgeschrieben. Lassen diese Angaben eine ausreichende Beurteilung nicht zu, weil sie offensichtlich unvollständig oder fehlerhaft sind, können Berichtigungen oder Ergänzungen nachgefordert werden, wobei erneut die 45-Tage-Frist für das In-Verkehr-Bringen gilt.
Von bestimmten Produktionsmengen, z. B. 100 oder 1 000 Jahrestonnen an, gelten nach § 9 zusätzliche Prüfanforderungen, die sogenannten Stufen 1 und 2. Von besonderer Bedeutung ist es aber, daß die Anmeldestelle bereits vor Erreichen dieser Mengengrenzen die höheren Prüfungsanforderungen stellen kann, soweit sich aus tatsächlichen Anhaltspunkten eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, daß von dem Stoff eine Gesundheits- oder Umweltgefährdung ausgeht Diese Regelung in § 11 beinhaltet auch die Möglichkeit von Auflagen an die Hersteller und Einführer.
Es war die in § 10 des Entwurfs dokumentierte Absicht der Bundesregierung, durch die europäische Richtlinie vorgeschriebene Tierversuche durch andere Prüfverfahren zu ersetzen, sobald dies nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis vertretbar erscheint. Die SPD-Fraktion begrüßt besonders, daß es in den Beratungen der Ausschüsse gelungen ist, diese Absicht noch zu verdeutlichen. Hinweise auf Tierversuche sind aus dem Gesetzestext verbannt worden, so daß die Bundesregierung auf dem Verordnungsweg leichter und schneller die sich anbietenden Alternativen umsetzen kann. Die ausdrückliche Einbeziehung von Sachverständigen soll ebenfalls Anstöße in dieser Richtung geben. Zudem wird in der vorgelegten Entschließung auf entsprechende Maßnahmen bei den europäischen Gemeinschaften gedrängt.
Eine der am heftigsten diskutierten Regelungen war die Organisation für Anmeldung und Prüfung nach § 12 des Entwurfs. In der zur Verfügung stehenden Zeit war es nicht möglich, eine ins einzelne gehende Regelung im Gesetz zu verankern, so daß nunmehr lediglich die Anmeldestelle ausdrücklich genannt wird, wobei die Ansiedlung dieser Stelle durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmt, die Durchführung der Bewertung durch die Bundesregierung geregelt werden soll. In beiden Fällen ist entsprechend der Entschließung der Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung zu beteiligen.
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Es muß wohl kaum betont werden, daß dabei die Nutzung des Sachverstands und der Verwaltungserfahrung in Einrichtungen des Bundes soweit wie möglich sicherzustellen ist. Das Augenmerk ist ebenfalls auf möglichst wenig Verwaltungsaufwand zu richten.
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Vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Gefahren durch eine Vielzahl der bereits in Verkehr gebrachten chemischen Stoffe muß besonders auf die Möglichkeit einer Anmelde- bzw. Prüfpflicht für alte Stoffe hingewiesen werden, die über die EG-Regelung hinausgehen. Kluge Leute haben ausgerechnet, daß wir zur Aufarbeitung der bereits in Verkehr gebrachten Chemikalien bei Nutzung der derzeit vorhandenen Prüfkapazitäten etwa 500 Jahre bräuchten. Diese Rechnung zeigt zumindest, daß Prioritäten gesetzt werden müssen.
Nach § 4 Abs. 3 der Beschlußvorlage können nunmehr Stoffe, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß sie giftig, krebserzeugend, fruchtschädigend, erbgutverändernd, chronisch schädigend oder umweltgefährlich sind, zum Schutz des Menschen oder der Umwelt der Anmelde- bzw. Prüfpflicht unterstellt werden. Synergistische Erscheinungen werden dabei ausdrücklich einbezogen.
Durch die ebenfalls ausdrücklich eingeschaltete Anhörung von Sachverständigen wird die Bedeutung der Prüfung alter Stoffe betont, wobei der Transparenz bei der Prioritätensetzung große Bedeutung zukommen muß. Die Offentlichkeit hat ein Anrecht auf Information über derart lebenswichtige Entscheidungen. In der Entschließung wird zum Ausdruck gebracht, daß die auf Bundesebene geltende Regelung für Altstoffe international harmonisiert und bei der Prüfung dieser Stoffe eine internationale Arbeitsteilung angestrebt werden soll.
Von großer Bedeutung für die Wirksamkeit des Chemikaliengesetzes wird die in § 17 festgelegte Ermächtigung der Bundesregierung sein, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats zum Schutz des Menschen oder der Umwelt Verbote oder Beschränkungen auszusprechen. Die Sozialdemokraten in diesem Hause und, wie wir hoffen, auch eine breite Offentlichkeit werden die Praxis dieser vorgesehenen Schutzmaßnahmen sehr genau beobachten, insbesondere am Anspruch dieses Gesetzes in seinem ersten Paragraphen messen. Dazu bieten wir den Gesundheits- und Umweltschutzorganisationen wie den engagierten Wissenschaftlern die Zusammenarbeit an.
Dieser Zusammenarbeit bedarf es, wenn der vorliegende Entwurf auch in der Praxis ein Gesetz des vorbeugenden Gesundheits- und Umweltschutzes werden soll. Der Vergleich von Anspruch und Wirklichkeit wird zudem spätestens vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes dem Parlament als Aufgabe gestellt sein, wenn der in der Entschließung vorgesehene Bericht der Bundesregierung zur Diskussion steht.
Mit diesem Gesetz werden auch das Giftrecht einschließlich der Vorschriften für giftige Tiere und Pflanzen und das Arbeitsschutzrecht auf eine neue Grundlage gestellt. Dies hat besondere Bedeutung, da viele Arbeitnehmer der Gefährdung langfristig und direkt ausgesetzt sind und entsprechend unter den Folgen mangelhafter Schutzmaßnahmen zu leiden haben.
Wenn wir auf diesem Feld deutliche Fortschritte verzeichnen können, kann dies hingegen nicht für die im Regierungsentwurf ursprünglich vorgesehene Meldepflicht bei Gesundheitsschäden, bekannt unter dem Stichwort „Krebsregister", und den ebenfalls im ursprünglichen Entwurf vorgesehenen gesundheitspolitischen Maßnahmeplan gelten. Die im Interesse eines Wirksamwerdens entsprechender Maßnahmen gefundene Regelung in der vorliegenden Beschlußempfehlung sieht die Verantwortung nun weitgehend in den Händen der Länder. Es bedarf ernsthaftester Anstrengungen, wenn man
den berechtigten Erwartungen der Bürger gerecht werden will.
Bei den Beratungen des Gesetzes war es für die Beteiligten aus sechs Bundestagsausschüssen keine leichte Aufgabe, sich zusammenzuraufen und nicht zuletzt wegen der auslaufenden Legislaturperiode auch die Interessen des Bundesrates so in die Abwägung einzubeziehen, daß eine Zustimmung erwartet werden kann. Ich möchte jedenfalls allen Beteiligten für die ernsthaften Bemühungen danken.
Die Sozialdemokraten stimmen dem Gesetz zu. Dabei steht ein Gesichtspunkt im Vordergrund: Wer nicht jetzt dafür sorgt, daß die Prüfung der jährlich neu hinzukommenden chemischen Stoffe in Gang kommt, wer nicht jetzt dafür sorgt, daß die bedenklichen unter den 50 000 alten Stoffen nach Prioritätensetzung möglichst bald auf ihre Schädlichkeit untersucht werden, nimmt eine jahrelange Verzögerung des Schutzes der Gesundheit und der Umwelt vor gefährlichen Stoffen in Kauf.
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Unzählige Menschen könnten Opfer einer Strategie des Alles oder Nichts, harter Interessenpolitik oder auch romantischer Blütenträume werden; dies wollen wir nicht.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf zum Schutz vor gefährlichen Stoffen heute verabschieden, so ist wieder ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer Verbesserung der Umweltpolitik gesetzt worden. Ich freue mich, daß es gelungen ist, in interfraktionellen Gesprächsgruppen, im Unterausschuß und letztendlich dann im federführenden Ausschuß zu einer Einigung zu kommen. Aber diese Einigung war im Grunde genommen durch den Ablauf der Legislaturperiode vorprogrammiert. Niemand hätte es in seine Verantwortung nehmen können, daß dieses Gesetz gescheitert wäre,
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weil dann die notwendigen Maßnahmen für Anmeldestellen, für Prüfverfahren, für Prüfungsstellen nicht hätten umgesetzt werden können. Ich glaube, man muß vorneweg sagen, daß die Parlamentarier hier unter einem Einigungszwang gestanden haben; dieser war - so möchte ich feststellen - heilsam. Wir sind in der interfraktionellen Gruppe aufeinander zugegangen, manchmal auch nur im Schneckentempo aufeinanderzugerobbt, aber wir haben uns letztendlich geeinigt - und darauf kommt es am Ende an.
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Dieses Chemikaliengesetz, meine Damen und Herren, ist Abrundung und Ergänzung der von der FDP und der sozialliberalen Koalition 1969 begonnenen Umweltpolitik.
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Ausgangspunkt dieser Politik war die Reinhaltung von Wasser und Luft. Wesentliche Instrumente dieser Politik sind das Bundes-Immissionsschutzgesetz und das Abwasserabgabengesetz. Beide beruhen auf dem Verursacherprinzip. Nach der erfolgreichen Inangriffnahme dieser eben genannten Ziele erfolgt jetzt die Hinwendung vom produktionsbezogenen Umweltschutz auf den produktbezogenen Umweltschutz.
Ein Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen wurde notwendig durch die immer größer werdende Zahl von chemischen Stoffen, die mit einer noch größeren Anzahl chemischer Bezeichnungen letztlich an den Verbraucher oder in die Umwelt gelangen. Ausgangspunkt der jetzt gefundenen Lösung war einmal die EG-Richtlinie über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe, zum zweiten der liberale Ansatz, ein Anmeldeverfahren und kein Zulassungsverfahren vorzusehen. Durch diesen Ansatz ist es gelungen, die Verantwortung für das In-Verkehr-Bringen gefährlicher Stoffe beim Hersteller zu belassen.
Ein weiterer Grundsatz dieser Gesetzeskonzeption war die ressortübergreifende Regelung. Warnende Beispiele aus der Vergangenheit, aber auch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, hatten uns vor Augen geführt, daß beim Umgang mit Stoffen Probleme, die auf ihre Stoffeigenschaften zurückzuführen sind, nicht in getrennten Bereichen und unabhängig voneinander gelöst werden können. Nach dieser ressortübergreifenden Konzeption, die der Ausschuß belassen hat, werden Arbeitssschutz, Gesundheitsschutz und der Umweltschutz quasi unter einem Dach angesiedelt.
Unter diesem Dach soll in erster Linie der Mensch geschützt werden, aber auch die natürliche Beschaffenheit von Wasser, Boden, der Luft, von Pflanzen und Tieren, auch von Mikroorganismen, wenn eine Veränderung oder Gefahren oder Nachteile für die Allgemeinheit drohen. Diese Zielsetzung machte die Regelung einer komplizierten Materie notwendig; denn mit dieser über den Menschen hinausgehenden Ausweitung des Schutzzieles waren vollkommen neue Kriterien zu setzen, sind neuartige Prüfungen und Bewertungen durchzuführen.
Während bisher Schäden durch akute oder chronische Wirkungen von Stoffen für den Menschen oder die Umwelt oft erst nach Schadenseintritt, oft erst sehr spät nach Schadenseintritt, erkannt werden konnten, sollen jetzt mittels eines umfangreichen Prüfungsprogramms vor der Markteinführung von neuen Stoffen derartige Schäden in Zukunft vermieden werden. Deshalb sind Bestandteile dieses Prüfungsprogramms physikalisch-chemische, toxikologische sowie ökologische Prüfungen. Diese Prüfungen geben uns wichtige Hinweise auf das Umweltverhalten der Stoffe.
Um unnötige Tierversuche - meine beiden Vorredner haben es schon angesprochen - zu vermeiden, hat der Unterausschuß auf ein bewußtes Vorschreiben von Tierversuchen verzichtet. Es können auch gleichwertige Aussagen durch alternative Methoden, die aber noch weiterentwickelt, teilweise überhaupt erst entwickelt werden müssen, unter
Verwendung von sogenannter schmerzfreier Materie herangezogen werden. Ebenso können die internationalen Bemühungen zur Entwicklung und Harmonisierung von Testmethoden entsprechend beeinflußt werden.
Durch Rechtsverordnung soll die Bundesregierung dieses wichtige Kapitel in Übereinstimmung mit den zur Zeit bei der EG diskutierten Ergebnissen regeln. Auch bei der EG wird die Bundesregierung für ein praxisgerechtes, harmonisiertes Testverfahren eintreten.
Herr Kollege Hasinger, ich darf noch feststellen, daß es nicht die CDU allein war, sondern daß alle Mitglieder des Unterausschusses nach der Anhörung der Sachverständigen sich in der Sache einig waren, daß man den Umfang der Tierversuche herabsetzen sollte, soweit das irgend möglich und vertretbar ist.
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Ich habe Verständnis dafür, wenn sich die CDU dieses an den Hut stecken will.
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Aber nachdem wir uns geeinigt haben - ich sagte ja: teilweise sind wir aufeinander zugegangen -, sind wir in dieser Frage sozusagen einander in die Arme gefallen,
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weil wir alle derselben Meinung waren; es war nicht einer der Punkte, wo wir im Schneckentempo aufeinander zugerobbt sind. Also, ich glaube, wir sollten sagen: bezüglich des Tierschutzes waren sich alle Kollegen in der interfraktionellen Arbeitsgruppe und im Unterausschuß einig.
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- Auch die, die nicht zudringlich wurden, Herr Kollege Konrad.
Mit dem jetzt zu verabschiedenden ressortübergreifenden Konzept hat es sich die Bundesregierung allerdings nicht leicht gemacht. Jede Anmeldestelle, welche auch immer in den Verhandlungen zwischen Bundesregierung und dem Bundesrat gefunden werden wird, muß auf den Sachverstand von Bewertungsstellen zurückgreifen. Sie kann dabei Sachverständige - ({7})
- Sachverständige und Bewertungsstellen, Herr Kollege. Das Bewertungsverfahren ist offengeblieben. Ich gehe davon aus, daß es in irgendeiner Form eben sachverständige Bewertungsstellen oder bewertende Sachverständige geben muß. Wir wollen uns über diese Dinge nicht unterhalten. Dies war ja einer der Punkte, wo wir aufeinander zurobben mußten. Mir wäre es lieber gewesen, die Dinge wären klar und einheitlich geregelt. Aber hier haben wir der Opposition und insbesondere den Wünschen des Bundesrates und auch den Vorstellungen der
Haushaltspolitiker nachgegeben und sind zu einer Einigung gekommen.
Die Bundesregierung kann dabei auch Sachverständige zu Rate ziehen. Doch war das ausdrückliche Ergebnis der Beratungen, daß dieses Zurateziehen von Sachverständigen nicht zu einer Institutionalisierung von Kommissionen führen soll. Sachverständigenkommissionen bergen nämlich immer die Gefahr in sich, daß sie sich verselbständigen und daß ihnen eine Quasi-Verantwortlichkeit zugeschoben wird, die aber im nachhinein nicht zu personifizieren ist. Leider wird eine Personalaufstockung trotz aller Konzentrationsbemühungen unumgänglich sein und sich nicht verhüten lassen.
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Die durch die zu verabschiedende Entschließung empfohlene Einschaltung des Präsidenten des Rechnungshofes sowohl bei der Bestimmung der Anmeldestelle als auch bei dem weiteren Bewertungsverfahren wird nur bedingt eine wirksame Bremsfunktion bezüglich der Schaffung neuer Planstellen haben können. Aber diese Bremsfunktion haben wir eingebaut. Darüber sind wir Freien Demokraten durchaus zufrieden und glücklich.
Wegen der Kompliziertheit der zu regelnden Gesetzesmaterie und der Kürze der für die Beratungen zur Verfügung stehenden Zeit war es naturgemäß nicht möglich, alle Details, die in Frage gekommen wären, ausreichend oder gar umfassend zu regeln. Im Sinne einer eigenverantwortlichen Haltung der Industrie und auch im Sinne des Verbrauchers und der Umweltschutzziele glaube ich, daß es auch gar nicht gut gewesen wäre, alles im Detail zu regeln. Die Beteiligten, insbesondere die staatlichen Behörden und die Industrie, sollten selber Spielraum für eigenverantwortliches Handeln behalten.
Nach Auffassung der Freien Demokraten bedeutet der Rahmen, den dieses Gesetz gibt, den entscheidenden wichtigen Schritt in die richtige Richtung. So können Detailregelungen wie etwa die Bestimmung der Anmeldestelle, die Festlegung der Prüfmethoden oder die Erarbeitung einer Altstoffliste noch mittels Rechtsverordnungen im Zusammenwirken mit dem Bundesrat eingeführt werden. Gerade bei der Aufstellung der Altstoffliste sollte man aus den Erfahrungen der Amerikaner Nutzen ziehen und die im Rahmen von Tosca erstellte Inventarliste - allerdings mit der Möglichkeit von Nachmeldungen - übernehmen. Diese Haltung sollte auch gegenüber der EG vertreten werden.
Die soeben erwähnte richtige Richtung heißt für den Verbraucher: mehr Kenntnis über Stoffeigenschaften und, wenn nötig, Schutzvorkehrungen, die bis zum Verbot von Stoffen gehen können. Durch diese Vorkehrungen ist das erklärte Ziel des Gesetzes erreicht, die Gefahrenschwelle der Schäden, die von gefährlichen Stoffen ausgehen können, weiter herabzusetzen. Für den Hersteller oder den Einführer von neuen Stoffen bedeutet die richtige Richtung mehr Rechtssicherheit, mehr Praktikabilität und eine EG-weite gegenseitige Anerkennung. Die gegenseitige Anerkennung wiederum setzt ein harSpitzmüller
monisiertes Vorgehen innerhalb der EG voraus, das nicht zuletzt durch den besonders von Kritikern so oft als zu enges Korsett empfundenen Vorschlag einer „Richtlinie des Rates zur Sechsten Änderung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe" zugrunde liegt.
Den Rahmen der EG-Anforderungen nicht unnötig zu strapazieren, war eine wichtige Prämisse des Gesetzentwurfs und für die Beratungen des Unterausschusses. Den Kritikern allerdings sei gesagt, daß mit dem vorliegenden Gesetz dennoch über die Forderungen der EG-Richtlinien hinausgegangen worden ist. Von daher kann ich Ihre einschränkende Bemerkung, Herr Kollege Hasinger, daß auch Sie diese EG-Richtlinie als ein zu- enges Korsett empfunden haben, nicht voll verstehen. Denn Sie wissen genauso gut wie ich, daß wir über die EG-Richtlinie hinausgegangen sind. Dies kommt auch im Entschließungsantrag zum Ausdruck, in dem wir nämlich darauf drängen, daß die Bundesregierung bei der nächsten Änderung darauf hinwirkt, daß die EG-Richtlinie an das Chemikaliengesetz angepaßt wird.
Ich darf beispielsweise erwähnen, daß auch bereits in den Verkehr gebrachte sogenannte alte Stoffe Prüfungspflichten unterworfen werden. Ein wesentlicher Gesichtspunkt hierbei muß aber sein, daß die Behandlung von Altstoffen in Übereinstimmung mit der EG geschieht. Schon um sinnlose Doppelprüfungen - und damit auch oft Tierversuche - zu vermeiden, aber auch um keine Wettbewerbsnachteile für die deutsche chemische Industrie entstehen zu lassen, sind EG-einheitliche Maßnahmen die Grundvoraussetzung, das Ziel, das anzustreben ist. Ich hatte auf diesen Punkt bereits bei der ersten Beratung des Gesetzes ausdrücklich hingewiesen. Er ist jetzt in der Entschließung enthalten, die uns ebenfalls zur Verabschiedung vorliegt.
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes wird die chemische Industrie als ein Industriezweig in seiner Gesamtheit getroffen, ein Industriezweig, der mit dem gewaltigen Ansteigen der Rohstoff- und Energiepreise ohnehin zu kämpfen, zugleich aber auch bereits hohe Umweltschutzauflagen zu tragen hat. Auf der anderen Seite aber lebt die chemische Industrie von ihrer innovativen Fähigkeit, die nicht von perfektionistischem Streben oder gar Panikmache bedroht werden darf. Wichtig ist daher die im Gesetz verankerte Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und die diesbezügliche Gewährleistung bei der Weiterleitung schutzbedürftiger Unterlagen an die EG. Dies liegt nicht nur im Interesse der Betriebe, sondern auch der in diesen Betrieben beschäftigten Menschen; das heißt, hier geht es auch um den Schutz von Arbeitsplätzen.
Gerade, meine Damen und Herren, weil wir erst am Anfang einer neuen Gesetzesentwicklung stehen, dürfen überzogene Forderungen und Erwartungen auch bei der Formulierung der anstehenden Rechtsverordnungen nicht erhoben werden.
Die Arbeiten an dem Gesetz waren stets von umfangreicher Kritik begleitet, die in der Forderung nach Verschärfungen, insbesondere nach einem Zulassungsverfahren, gipfelte. Ich habe eingangs erläutert, warum wir uns für ein Anmeldegesetz entschieden haben.
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Ich glaube, daß diese Entscheidung richtig ist; sie wird ja auch von allen getragen.
Wir haben damit auch einen Schritt zur Vermeidung von mehr Bürokratie getan, wie er von allen in diesem Hause verbal immer gefordert wird. Wir haben gemeinsam versucht, den verbalen Kraftakten in diesem Gesetz auch eine kleine gesetzestechnische Einfügung folgen zu lassen.
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Trotzdem, meine Damen und Herren, wird dieses Gesetz von allen in vergleichbaren Ländern verabschiedeten Chemikaliengesetzen das schärfste sein. Der Unterausschuß Chemikaliengesetz hat bei seiner Reise in die USA feststellen müssen, daß die amerikanischen Regelungen zwar schärfer sind, aber nicht greifen. Meine Vorredner haben dies auch schon angesprochen. Über die japanischen Regelungen ist ähnliches zu hören. Eingangs betonte ich schon, daß die FDP - ({11})
- Deshalb sage ich ja: „zu hören" und nicht: „zu sehen", weil wir nicht in Japan gewesen sind. Das hätten wir zeitlich auch nicht geschafft.
Eingangs betonte ich schon, daß die FDP dieses Gesetz als einen ersten Schritt in die richtige Richtung ansieht. Die FDP begrüßt deshalb besonders den Passus der Entschließung, der die Bundesregierung auffordert, dem Deutschen Bundestag binnen vier Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes über dessen Anwendung und Auswirkungen zu berichten. Ich bin optimistisch, daß dieser Bericht unsere an das Gesetz realistischerweise zu stellenden Erwartungen erfüllen wird.
Meine Fraktion stimmt dem Gesetz zu. Ich danke alle beteiligten Ressorts. Ich danke vor allem den Beamten und Mitarbeitern im federführenden Ausschuß. Insbesondere danke ich den Mitgliedern des Unterausschusses, denn es war eine wirklich kollegiale Zusammenarbeit und einer der wenigen Momente in diesem 8. Deutschen Bundestag, in denen ich erleben durfte, daß die Kollegen aus allen drei Fraktionen mit Engagement für die Sache, mit Engagement für das Zustandekommen eines Gesetzes an die schwierige Materie herangegangen sind. Ich stelle fest, daß wir uns heute nicht nur einig sind, sondern daß wir in einer Art und Weise einig sind, wie wir es bei der ersten Lesung nicht zu erwarten wagten. - Ich danke Ihnen.
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Ein erfreuliches Zeichen der Zusammenarbeit. Davon sollte auch die Offentlichkeit öfter Notiz nehmen. Sie sollte nicht nur Notiz nehmen, wenn es hart auf hart und manchmal zu hart zugeht.
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Chemikalien haben wir alle jeden Tag zu tun, in jedem Betrieb, in jedem Haushalt. Chemie hat uns das Leben erleichtert, Probleme gelöst, Arbeitsplätze geschaffen. Viele Lebensgewohnheiten, die wir entwickelt haben, sind ohne Chemie gar nicht denkbar. Aber die Chemie hat auch Schäden verursacht, sie birgt Gefahren oder läßt sie doch als möglich erscheinen. Wir Menschen setzen inzwischen nicht nur Hoffnung in die Chemie, sondern wir haben auch Angst vor ihr, und das zu Recht.
Wie hoch ist der Preis, fragen inzwischen schon viele, den wir für Fortschritt und Bequemlichkeit zahlen? Wieviel wissen wir über die negativen Wirkungen des ach so Positiven? Was können wir zu unserem Schutz tun? Fest steht: mehr als bisher. Wissenschaft hat uns Neues gebracht. Wir müssen uns davor schützen, daß wir nur zufällig und auch zu spät unangenehm Neues über das Neue erfahren, und wir müssen uns auch davor schützen, daß wir letztlich doch zuwenig über das uns vertraute Alte wissen. Dies ist keine leichte, lückenlos zu bewältigende Aufgabe, keine kostenlose Aktion. Aber es muß, um erkennbare Risiken auszuschalten, künftig im erforderlichen Rahmen, d. h. mehr, geprüft werden und entsprechend gehandelt werden, ohne daß wir deswegen schon aufgeben könnten, auch mit gefährlichen Stoffen zu leben. Soll die Chemie für die Zukunft segensreich bleiben, so muß den erkennbaren abschätzbaren Gefahren mit allen verfügbaren und sinnvollen Mitteln begegnet werden.
Dazu leistet das Chemikaliengesetz einen wichtigen Beitrag. Es erfüllt gewiß nicht alle Erwartungen, ist aber auch mehr als ein zaghafter Schritt in die gewünschte Richtung. Im „Gesamtverband Gesundheitsschutz und Umweltschutz" wird hier eine deutliche gesetzliche Lücke gefüllt. Trotz seiner Geburtswehen ist dieses Gesetz keineswegs nur das Ergebnis ganz aktueller Überlegungen, sondern einer langfristigen umfassenden Konzeption von Gesundheits- und Umweltschutz. Für viele Bereiche der Gesundheitsversorgung muß zwar der Bürger selbst eintreten, in Eigenverantwortung - so z. B. trotz unserer Hilfen bei Alkohol- und Nikotinmißbrauch, bei Überernährung, Bewegungsmangel, bei Streß und anderem -, aber hier ist ein Gebiet, in dem nur der Staat durch seine Vorschriften Gesundheitsschutz für die Bürger entwickeln und garantieren kann.
Für einen Gesundheitsminister ist Umweltschutz in erster Linie Gesundheitsschutz. Ein Umweltminister hat das Gebiet sicher weiter zu sehen. Aber die Zusammenhänge bleiben doch deutlich, weil es hier überhaupt um das Wohlbefinden von Mensch und Kreatur geht. Emissionen, Lärm, Gefährdung durch Lebensmittel und Bedarfsgegenstände, Gefährdung
durch Pflanzenschutz und Düngemittel, Bleibelastungen und vieles andere mehr sind Phänomene des Gesundheitsschutzes, bei dessen Gestaltung in den verschiedenen Spezialgesetzen der Gesundheitsminister teils federführend, teils mitwirkend Verantwortung trägt.
Das Chemikaliengesetz ist mehr als ein Spezialgesetz. Seiner Funktion nach ist es genereller. Es will in spezialgesetzliche Regelungen eingreifen, wenn es dort erkennbare Lücken im Umfang mit Stoffen gibt. Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit geboten allerdings, die eine oder andere Verbindung zu Spezialgesetzen jetzt nicht aufzunehmen. Sie wird nach Bedarf in den Folgejahren herzustellen sein. Das gilt z. B. für Lebensmittelzusatzstoffe, auch für Arzneimittelstoffe u. a.
Das Chemikaliengesetz, dessen zweite und dritte Lesung wir heute hier durchführen, ist in ungewöhnlich kurzer Zeit zustande gekommen. Für Regierung und Parlament war Eile geboten, um das Gesetz - darin waren wir uns alle einig - noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Drängende Umweltprobleme vertragen keinen Aufschub, und das gilt für die Problematik der Chemikalien ganz besonders.
Die Einmütigkeit dieser Einschätzung hat uns die Arbeit sehr erleichtert. Sie konnte erst voll anlaufen seit der Fertigstellung der Sechsten Novelle zur 67er Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel, weil dieses Chemikaliengesetz über weite Strecken eben die Umsetzung dieser Richtlinie ist. Zum Teil verlief die Arbeit an der Richtlinie und an diesem Gesetz parallel. Das hat uns sehr viel Zeit erspart. Leider wurde die Arbeit auch dadurch erschwert, daß neue Überlegungen in Brüssel uns vor neue Situationen stellten und auch Verzögerungen mit sich brachten.
Es ist uns allen nicht verborgen geblieben, daß es kritische Stimmen gab, die sagten, man solle das Chemikaliengesetz unabhängig von den Ergebnissen in Brüssel vorlegen. Aber das wäre bei den Verflechtungen, die bestehen, sicherlich eine kurzfristige Lösung gewesen.
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Wir haben es jetzt mit einem komplizierten, aber umfassenden Lösungsversuch zu tun, der meines Erachtens als gelungen bezeichnet werden kann.
Für dieses Gesetz gibt es - das betone ich - bei uns und bei den europäischen Nachbarn keine oder doch kaum ein Vorbild. Es galt, drei in unterschiedlichen Ressorts angesiedelte Anliegen zu verwirklichen, nämlich ein Umwelt-Chemikaliengesetz, ein Giftgesetz und ein Gesetz über gefährliche Arbeitsstoffe zusammenzufassen. Die Ressorts waren übereingekommen, trotz verfahrensmäßiger Probleme ein einheitliches Gesetz vorzulegen - wie es schließlich auch im Kabinett beschlossen wurde -, damit Industrie und Handel bei bestimmten Stoffen nicht drei Gesetze aufschlagen müssen, um teils gleiche, teils divergierende Regelungen herauszulesen.
Das Gesetz hat Vorgaben aus der EG-Richtlinie, die unseren Spielraum an vielen und entscheidenden Stellen eingeengt haben. Ich bedaure das auch, Herr Hasinger. Wir unterlagen denselben Zwängen. Zum Teil wurde unser Spielraum nicht nur beachtlich eingeengt, sondern es gab gar keinen mehr. Diese Sachlage hat die Diskussion bis hinein in den Bundestag und Bundesrat sehr erschwert. Viele Kritiker, einzelne Sachverständige und auch gewichtige Verbände haben eben nicht bedacht, daß viele Entscheidungen schon in Brüssel gefallen waren, daß Brüssel an einem für alle Beteiligten erträglichen Tempo interessiert ist, daß aber auch wir an einer einheitlichen Regelung in Brüssel durchaus interessiert sein mußten.
Wir sind uns einig, daß bei der Offenheit unserer Räume und der Intensität unserer wirtschaftlichen Beziehungen auch Umwelt- und Gesundheitsschutz durch mindest-EG-einheitliche Regelungen gewährleistet sein muß zumal hier Wettbewerbsverhältnisse eine Rolle spielen. Regierungsentwurf und Parlamentsarbeit haben aber gezeigt, daß eine gewisse Notwendigkeit gesehen wurde, im Interesse des nationalen Gesundheitsschutzes - das wurde heute schon betont - über die Brüsseler Vorgaben auch hinauszugehen, etwa bei den Eingriffsermächtigungen für die alten Stoffe, die sehr wichtig sind. Das alles aber immer mit der dringenden Auflage, natürlich sehr bald für entsprechende Regelungen auch in der EG einzutreten. Sollte sich in Zukunft an jenen Stellen des Gesetzes, die schon jetzt der Kritik ausgesetzt sind - etwa bei den alten Stoffen, den Mengenschwellen oder den Eingriffsermächtigungen - eine Verschärfung der Regelungen als notwendig erweisen, dann kann der Weg zu Verbesserungen allerdings nur über Brüssel führen.
Ich möchte den Ausschüssen, insbesondere dem Fachausschußund seinem Unterausschuß, dafür danken, daßes gelungen ist, die Ausschußrbeit fristgerecht abzuschließen. Das war gar nicht leicht. Mein Dank fällt um so herzlicher aus, als Sie nach heftigen, aber sachlichen Auseinandersetzungen um dieses Chemikaliengesetz eine Einheitlichkeit gefunden haben, die durchaus nicht allen Projekten zuteil wird. Hier wird deutlich, wie sehr uns die gemeinsame Verantwortung für die Gesundheit unserer Mitbürger auf diesem wichtigen Sektor der Chemikalien verbindet.
In der ersten Lesung hatte ich Gelegenheit, Ihnen über Aufbau und Regelungen des Gesetzes das Wichtigste zu sagen. An den Eckwerten hat sich nicht viel geändert. Ich will daher nur noch einige Stichworte anfügen, nachdem die Redner der Fraktionen viel zu dem Gesetz gesagt haben.
Der Hersteller mußseinen Stoff anmelden und die genormten Prüfungsunterlagen vorlegen, aus denen die Eigenschaften und möglichen Gefährdungen für Mensch und Umwelt hervorgehen. Die Europäische Gemeinschaft hat - Sie haben es gerade gehört - bewußt auf Zulassungen verzichtet, damit Hersteller und Importeure selbst in die Pflicht genommen werden, Aufwand und Verantwortung für ihre Stoffe, für die Prüfungsergebnisse und die davon abhängigen Gefährdungsmerkmale - Etikettierung, Verpackung usw. - selber zu tragen.
Die Prüfung der Gefährlichkeit erfolgt nach dem EG-Recht nach einem an Mengen orientierten Stufenplan, d. h. die Prüfungen auf Giftigkeit, Erbschädigung, Krebsentstehung oder Mißbildungsentstehung erfolgen je nach Menge des in die Umwelt gebrachten Stoffes. Natürlich trifft das Argument zu, daß auch ein Stoff, der in geringerer Menge auf den Markt kommt, gefährlich sein kann. Aber hier hat das Chemikaliengesetz Eingriffsermächtigungen eingebaut, die bei kritischer Anwendung im Verdachtsfall den Durchgriff auf umfassendere Prüfungen gestatten, d. h. auch bei niedrigeren Mengen ermöglichen. Im übrigen müssen Stoffe, die als gefährlich bekannt sind, was Verpackung, Herstellung usw. betrifft, auch dann entsprechend behandelt werden, wenn sie nicht oder noch nicht der Anmeldepflicht unterliegen.
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Ein wichtiger Punkt in der öffentlichen Diskussion waren die zirka 50000 alten Stoffe, die in der Europäischen Gemeinschaft nicht anzumelden sind. Auch für sie gilt die Eingriffsermächtigung, wonach sie unter gleichzeitiger Intervention in Brüssel zur Anmeldung und damit zur Prüfung, Etikettierung, Verpackung aufgerufen werden können. Wir werden nicht pauschal alle alten Stoffe - darin sind wir ganz einig - im Sinne dieses Gesetzes aufarbeiten müssen und auch nicht aufarbeiten können. Im Verlauf der vor uns liegenden Jahre wird aber sicherlich eine Reihe von alten Stoffen doch einbezogen werden.
Weit über das EG-Recht hinaus geht die Eingriffsermächtigung nach § 17, die sich nicht nur auf Stoffe bezieht, sondern bis hin zu Erzeugnissen Beschränkungen bis Verkehrsverbote vorsieht, wenn Gefährdungen der menschlichen Gesundheit in nicht vertretbarer und nicht abwendbarer Weise in unser Blickfeld kommen.
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Die Sicherheitsvorkehrungen im Bereich der Produktionsstätten, wie sie in § 21 und als Verordnungsermächtigung ausgesprochen sind, bilden das Zentrum jenes im Chemikaliengesetz aufgegangenen Arbeitsschutzes, der vom Arbeitsminister vertreten wird.
Ich möchte hier aber gern auch noch auf das wichtige Gebiet des § 19, auf das Krebsregister eingehen. Die im ursprünglichen Entwurf vorgesehene Meldung von Krebsfällen, die im Verdacht stehen, durch Chemikalien verursacht worden zu sein, hat vor dem Bundesrat und dem Ausschuß nicht bestanden. Die Offentlichkeit setzt große Hoffnung in ein solches Krebsmeldesystem, das eine besondere Variante des Krebsregisters wäre.
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Ich gehe zwar davon aus, daß derartige Meldungen
- wie im Arzneimittelbereich - auch ohne Meldepflicht der Ärzte praktizierbar wären.
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- Herr Hasinger, ich sage ja: Ich muß mich aber dem Urteil des Ausschusses beugen, der auf diesen § 19 verzichtet.
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- Ich weiß, daß es ein schwieriges Gebiet ist. Ich sage jetzt, was ich auch ohne diese Intervention gesagt hätte, Herr Hasinger: Mir wird das Verständnis dafür durch das Urteil vieler Fachleute erleichtert, die uns gesagt haben, daß die Grundlagen für ein so auf chemische Krebsverursachung ausgerichtetes Register noch nicht für eine verbindliche gesetzliche Regelung ausreichend sind.
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Angesichts dieser Aussagen waren unsere Erwartungen vielleicht zu hochgeschraubt. Das bedeutet aber nicht, daß wir dieses Thema aus dem Auge verlieren.
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In Presseveröffentlichungen und in den vom Unterausschuß „Chemikaliengesetz" durchgeführten Sachverständigenanhörungen ist kritisiert worden, daß das Gesetz seinem weitgesteckten Anspruch eines Umweltgesetzes nicht gerecht werde, sondern lediglich ein erweitertes Giftgesetz sei. Das ist ja auch heute morgen hier gesagt worden. Dieser Eindruck kann durchaus entstehen, weil die Giftigkeitsprüfung im Vordergrund des Gesetzes steht, also mehr Gewicht als die Prüfung des Stoffes auf Umweltgefährlichkeit erhält.
Herr Hasinger, ich muß Ihnen aber sagen, hierfür gibt es subtile Gründe, die noch subtiler sind, als es Ressortstreitigkeiten überhaupt sein können. Tatsächlich ist die Wissenschaft im Bereich der Prüfung auf Giftigkeit sehr weit fortgeschritten, so daß wir uns hier auf genügend. gesicherte Grundlagen verlassen können. Sie bieten auch einen gewissen Gradmesser für die Umweltgefährlichkeit eines Stoffes. Im Hinblick auf Prüfverfahren, die direkte Aussagen über die Umweltrelevanz eines Stoffes liefern, sind wir hingegen erst am Anfang der Forschung. Wir müssen jetzt diese Forschung fördern. Erst dann kommen wir auf diesem Gebiete weiter. Das Gesetz kann in diesem Punkte dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft leider nicht vorauseilen.
Eine wichtige Rolle spielte in der Diskussion die Frage der Tierversuche. Alle Redner haben sie hier auch heute morgen angesprochen. Kritiker haben immer wieder erklärt, das Gesetz forciere solche Versuche unnötigerweise;
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im Rahmen des Chemikaliengesetzes genüge auch die Prüfung an schmerzfreier Materie. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß die wissenschaftlichen Voraussetzungen zur Zeit noch nicht gegeben sind, um die erforderlichen Prüfungen ausschließlich an schmerzfreier Materie durchzuführen. Der Unterausschuß „Chemikaliengesetz" ist nach einer Informationsreise nach Amerika zur Auffassung gelangt, daß diese Aussage richtig ist.
Trotzdem ist dem Anliegen des Tierschutzes im Chemikaliengesetz mehr Rechnung getragen worden. Überhaupt erstmalig ist in ein Gesetz eine Vorschrift aufgenommen worden, die besagt, daß Tierversuche durch alternative Methoden ersetzt werden müssen, wenn diese Methoden nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis vertretbar sind.
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Der Verringerung der Zahl der Tierversuche wird auch unser erster Schritt zur Lösung der Zweitanmelderproblematik dienen, ein Schritt, der bei Nachanmeldung überflüssige Prüfungen zu vermeiden trachtet.
Meine Damen und Herren, zwar hat die in diesem Punkte von der Bundesregierung vorgelegte Lösung die Zustimmung des federführenden Ausschusses nicht gefunden
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- ja, ja -, dessenungeachtet hat der Ausschuß jedoch in einer Entschließung, für die ich mich ausdrücklich bedanke, gesagt, daß die Bundesregierung sich dieser Frage in der nächsten Legislaturperiode erneut annehmen und eine einheitliche Lösung für das Chemikaliengesetz, das Arzneimittelgesetz und das Pflanzenschutzgesetz suchen soll.
Mir liegt an dieser Lösung -mir liegt daran, die Zahl der Tierversuche zu verringern - sehr. Aber, Herr Hasinger, es ist natürlich klar, daß gewisse Streichungen von Vorschriften im Chemikaliengesetz uns jetzt noch nicht des Problems entheben. Wir haben dasselbe Problem bei der Verordnungsgebung dann wieder. Wir können uns nur gemeinsam bemühen, und ich kann Ihnen versichern, daß ich hier sehr engagiert bin.
In bezug auf das EG-Recht stellt sich für uns in der Bundesrepublik Deutschland die Aufgabe, die weitergehenden Lösungen, wie sie jetzt im Chemikaliengesetz verankert sind, auch dort durchzusetzen, d. h. die EG-Richtlinie von 1967 quasi auf das Niveau unseres Chemikaliengesetzes zu heben. Ich hoffe, daß wir das schaffen können und bald schaffen werden.
Das gilt vor allem im Blick auf die Prüfung und die Anmeldung der sogenannten alten Stoffe. Hier muß eine Arbeitsteilung erreicht werden, die die entstehenden Kosten gleichmäßig auf alle EG-Staaten verteilt, denn natürlich ist hier auch das Kostenproblem ein wichtiger Faktor.
Ferner gilt es, die Forschung in der Europäischen Gemeinschaft so zu fördern, daß uns eben möglichst bald Prüfungsmethoden zur Verfügung stehen, die
es erlauben, die Umweltgefährlichkeit eines Stoffes schneller und kostengünstiger, als es bisher möglich ist, zu erkennen.
Es sollten im europäischen Bereich Prüfverfahren entwickelt werden, die es uns gestatten, auf Tierversuche im Zusammenhang mit der Prüfung von Chemikalien möglichst ganz zu verzichten. Aber wir sind hier auf einheitliche Verfahren angewiesen, weil die Prüfungen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten durchgeführt werden, ja vergleichbar sein müssen.
Wir werden in Europa darauf drängen, schnellstmöglich die vorgesehenen Regelungen für gefährliche Zubereitungen zu treffen. Gefährliche Zubereitungen sind Gemische, Gemenge oder Lösungen von Stoffen, bei denen das Zusammenspiel verschiedener Stoffe und die daraus resultierende Kumulationsgefahr noch nicht genügend erforscht sind. Hinsichtlich der Einstufung, der Verpackung und der Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen haben wir im Chemikaliengesetz einen Anfang gemacht, aber auch hier ist eine weitere Entwicklung nötig.
Wir werden überdies auch über die Europäische Gemeinschaft hinaus auf diesem Gebiet zu einer Zusammenarbeit mit allen Industrienationen der Welt kommen müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Natürlich.
Bitte, Herr Abgeordneter Hasinger.
Frau Minister, ich bin etwas erstaunt darüber, daß Sie sagen „Wir werden zu einer Zusammenarbeit kommen müssen", und möchte Sie deshalb fragen: Sind Ihnen die Gespräche, die auf OECD-Ebene geführt werden, nicht bekannt, oder wird Ihr Haus daran nicht beteiligt, und wie ist die Federführung - die Gespräche werden ja vom Innenministerium geführt - in Zukunft gedacht?
Herr Hasinger, a) ist mir das bekannt, b) unterstelle ich, daß wir einer verstärkten Zusammenarbeit bedürfen,
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und c) habe ich von allen Industrienationen gesprochen. Und ich beziehe auch die Entwicklungsländer mit ein; dieses Wissen muß allen Menschen auf der Welt gegeben werden.
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- Einschließlich des Ostblocks, ja. Darin sind wir uns einig. Darüber gibt es überhaupt keinen Disput, denn Umweltschutz und Gesundheitsschutz sind nicht teilbar, und wir arbeiten ja gerade auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes international - denken Sie z. B. an die Weltgesundheitsorganisation
schon ganz hervorragend zusammen.
Weltweite Maßnahmen müssen unsere Erde auch für die Zukunft, für die kommenden Generationen bewohnbar machen, und auch deswegen haben wir uns hier ja so schnell trotz einer sehr komplizierten Materie zusammengefunden.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf bringt den einen - weil mit Kosten verbunden - ein Zuviel an Auflagen, den anderen ein Zuwenig. Das ist ein Interessenkonflikt wie andere auch, den man nicht ausräumen kann. Aber dieser Gesetzentwurf setzt - Herr Spitzmüller hat das auch gesagt - in dieser Richtung den ersten Meilenstein, einen größeren, als man anderswo vorfinden kann. Das begrüßen wir einstimmig. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu diesem Gesetz und bedanke mich noch einmal für die Mitarbeit so vieler und so engagierter Kollegen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes hatte die CDU/CSU zum Ausdruck gebracht, daß sie das Ziel, Mensch und Umwelt besser als bisher vor den Wirkungen gefährlicher Stoffe zu schützen, nachdrücklich unterstützen werde. Sie hatte dann angekündigt, daß sie sich bei den Ausschußberatungen folgender Probleme besonders annehmen werde: Strikte Umsetzung entsprechender EG-Richtlinien in deutsches Recht, vor allem Beachtung des Tierschutzes, Vermeidung einer unnötigen Bürokratisierung und, soweit überhaupt möglich, Vermeidung zusätzlicher Belastungen des Steuerzahlers wie der Wirtschaft. Alle diese Vorhaben haben wir im Unterausschuß unter Vorsitz meines Fraktionskollegen Albrecht Hasinger zu einem wesentlichen Teil in eingehenden, aber zügigen Verhandlungen verwirklichen können.
Bei der Beratung im Unterausschuß kam es uns darauf an, das Notwendige und Praktikable herauszuarbeiten. Mit anderen Worten, alles das, was über die von der Europäischen Gemeinschaft vorgegebene Richtlinie hinausging und nicht den Arbeitsschutz betraf, sollte gestrichen werden. Wir haben Teile dieser Konzeption durchsetzen können und begrüßen es, daß die Koalitionsfraktionen dem zugestimmt haben. Die CDU/CSU-Fraktion wird deshalb diesem Gesetzentwurf wie schon vorher im Unterausschuß und im Gesundheitsausschuß zustimmen. Trotz dieser Zustimmung will ich nicht verschweigen, daß wir Teile der Materie anders geregelt hätten, z. B. mehr auf freiwilliger Basis und in Eigenverantwortung der Industrie.
Zu kritisieren ist, daß durch die von der Bundesregierung zu verantwortende kurze Beratungszeit manche Probleme eben doch nicht so eingehend diskutiert werden konnten, wie es den Auswirkungen dieser umfassenden gesetzlichen Regelungen entsprochen hätte.
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Nun zu den einzelnen von mir eingangs genannten Forderungen der CDU/CSU.
Umsetzung der EG-Richtlinie: Der Unterausschuß hat durch eine Reihe entsprechender Änderungen sichergestellt, daß die Richtlinie umgesetzt wird, ohne daß Wettbewerbsnachteile für die chemische Industrie und unzumutbare Belastungen für die Verbraucher eintreten können. Die Pflichten der Nachanmelder neuer Stoffe werden so wettbewerbsneutral geregelt, wie sie in der EG-Richtlinie festgelegt sind. In der Ihnen vorliegenden Entschließung fordern wir, daß die Bundesregierung dem Bundestag in der nächsten Legislaturperiode eine Regelung der Nachanmelderfrage für die übrigen in Frage kommenden Rechtsbereiche vorlegen soll. Ich bin der Auffassung, daß die jetzt gefundene Regelung den an sie gestellten Forderungen nach Wettbewerbsneutralität, Eigenverantwortung des Herstellers und Verhinderung zusätzlicher Tierversuche gerecht wird. Sie könnte aus meiner Sicht deshalb Vorbild für eine entsprechende Regelung im Bereich des Pflanzenschutzes und des Arzneimittelrechts sein.
Bei den alten Stoffen, für die in der EG bisher keine Regelung vorgesehen ist, haben wir die Ermächtigung auf bestimmte Altstoffe beschränkt, um die Praktikabilität sicherzustellen. Auch hier wollen wir mit der Entschließung die EG-Konformität herbeiführen, indem wir die Bundesregierung ersuchen, anzustreben, daß bei den alten Stoffen, die sie dem Anmeldeverfahren zu unterwerfen gedenkt, vorher eine Einigung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft erzielt wird. Diese Einigung halten wir nicht zuletzt aus Wettbewerbsgründen für dringend notwendig. Hier muß innerhalb der EG eine Arbeitsteilung stattfinden, damit die Kosten für die Prüfung alter Stoffe von allen in der EG getragen werden und nicht nur die deutschen Hersteller und Verbraucher einseitig mit gestiegenen Kosten bzw. Preisen belastet werden.
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Im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber dem Ausland wurde der Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wirksamer verankert.
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Diese Änderung soll dazu führen, daß der Schutz dieser Daten auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaften gewährleistet wird.
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Mit besonderer Aufmerksamkeit wurden bei den Gesetzesberatungen die Fragen des Arbeitsschutzes behandelt. Zur Vermeidung von Doppelregelungen mußte der Anwendungsbereich des Gesetzes derart abgegrenzt werden, daß doppelter Verwaltungsaufwand verhindert wurde und die Gesetzesklarheit und -bestimmtheit verbessert wurden. Es galt, das Auftreten von Regelungslücken auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes zu vermeiden. Es galt vor allem, für diejenigen, die aus beruflichen Gründen mit Chemikalien umgehen müssen, einen besonderen Schutz einzubauen.
Ausdrücklicher Zweck des Gesetzes ist es daher auch, die Gefährdung von Arbeitnehmern durch ungeeignete Verpackungen und unzureichende Kennzeichnung zu vermeiden.
Es wurde auch klargestellt, daß das gesamte Arbeitsverfahren und nicht nur der einzelne Arbeitsplatz Maßstab für Sicherungsmaßnahmen sein muß. Ebenfalls wurde dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, daß es im Betrieb Befugte und Unbefugte gibt. Mit gefährlichen Stoffen soll nach unseren Vorstellungen eben nur der umgehen, der sein Handwerk beherrscht, der dafür ganz besonders ausgebildet und entsprechend unterrichtet ist.
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Bei den Schutzausrüstungen ist - über den Entwurf der Bundesregierung hinaus - auch an deren bestimmungsgemäßen Gebrauch gedacht worden. Vermeidung von Selbstgefährdung und Gefährdung anderer sind als gleichwertige Schutzzwecke herausgearbeitet worden. Bei der Bestellung der Aufsichtspersonen ist nicht nur auf deren Aufgabe abgehoben worden, sondern vor allem darauf, daß das angestrebte Ziel auch erreicht wird. Bei den Vorsorgeuntersuchungen ist dem Arzt - über den Regierungsentwurf hinaus - die Pflicht auferlegt worden, den untersuchten Arbeitnehmer über das Ergebnis der Untersuchung zu unterrichten.
Das nächste Problem sind die Tierversuche; hier wurde bereits einiges gesagt Wir von der CDU/CSU nehmen dieses Anliegen ganz besonders ernst
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und haben uns deshalb auch in den Beratungen sehr eingehend damit befaßt. Die Änderung des Gesetzentwurfs, der Tierversuche in ganz bestimmter Form vorschrieb, haben wir betrieben, um aus unserer Sicht unnötige, überflüssige Tierversuche zu vermeiden.
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Nach Auffassung der CDU/CSU muß sich die Bundesregierung im Zuge der Durchführung dieses Gesetzes noch mehr um die Erreichung dieses Ziels bemühen; die Voraussetzungen haben wir durch die Rechtsverordnungsermächtigung geschaffen. Die Regierung muß durch Rechtsverordnung bestimmen, wie die Hersteller gefährliche Eigenschaften eines Stoffes festzustellen haben. Sie kann auf die Prüfmethoden so entsprechend Einfluß nehmen und nicht unbedingt notwendige Tierversuche verhindern. Durch die Entschließung wird sie ersucht, bei den Europäischen Gemeinschaften darauf hinzuwirken, Tierversuche generell durch andere Prüfungsverfahren zu ersetzen, wenn die entsprechenden wissenschaftlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Um dieses Problem haben wir uns nicht nur bei den Beratungen im Unterausschuß gekümmert, sondern es hat auch bei der Anhörung der Sachverständigen und Verbände eine ganz große Rolle gespielt. Ebenso hat es natürlich eine Rolle bei der Reise des Unterausschusses in die USA gespielt. Wir bedauern ausdrücklich, daß es bis heute noch keine VerKraus
fahren gibt, die Tierversuche völlig überflüssig machen würden.
Ein Wort noch zum Problem der Bürokratisierung und der Belastung des Steuerzahlers sowie der betroffenen chemischen Industrie: Der von uns immer gesehenen Gefahr der Bürokratisierung ist zunächst dadurch vorgebeugt worden, daß aus dem Geltungsbereich des Gesetzes diejenigen Stoffbereiche ausgeklammert worden sind, die bereits nach anderen gesetzlichen Regelungen ausreichend überprüft und kontrolliert werden. Dazu zählen Kosmetika, Tabakerzeugnisse, Lebensmittelzusatzstoffe sowie die Ausgangsstoffe zur ausschließlichen Herstellung von Arzneimitteln.
Ein wesentliches Anliegen der CDU/CSU war es, die im Regierungsentwurf vorgesehene Konstruktion einer Anmeldestelle mit fünf verschiedenen Bewertungsstellen zu verhindern; das ist Gott sei Dank auch gelungen. Der Lösungsvorschlag der Bundesregierung war einfach zu aufwendig und zu teuer. Auch hätte er keine optimale Durchführung des Gesetzes gebracht. Wir glauben, daß die jetzt auf unseren Antrag hin gefundene Regelung besser ist, wonach die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates selbst eine Behörde als Anmeldestelle bestimmen kann, die - unter Hinzuziehung anderer Behörden - auch in der Lage ist, entsprechende Bewertungen vorzunehmen. Das bisher vom Bund vorgesehene Verfahren hätte - nach eigenen Angaben des Bundes - einmalige Kosten von etwa 20 bis 40 Millionen DM und laufende Kosten von 30 bis 40 Millionen DM jährlich verursacht. Diesen Kosten stehen die der Industrie gegenüber, die vom Umweltbundesamt auf „nur" ca. 40 Millionen DM geschätzt worden sind.
An dem Vergleich dieser Kosten zeigt sich, daß die Bundesregierung offensichtlich von vornherein davon ausgeht, daß eine Behörde unverhältnismäßig unwirtschaftlich arbeiten muß. Der Staat braucht - man muß sich das genau überlegen - als Überwachungsbehörde, die lediglich die Plausibilitätsprüfung der Prüfergebnisse durchzuführen und die Formalitäten der Anmeldung zu erledigen hat, genausoviel Geld wie die Industrie, die die gesamten komplizierten Prüfungen vorzunehmen und auszuwerten, die Prüfergebnisse vorzulegen und natürlich auch Formalitäten zu erledigen hat.
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Das wäre genauso, als wenn in Zukunft die Landratsämter für die Genehmigung und Prüfung der Pläne und die Bauabnahme für ein Gebäude genausoviel an Gebühren nähmen, wie der Architekt an Honorar bekommt.
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Des weiteren ist die Zahl der für die einzelnen Behörden angeforderten 550 neuen Personalstellen nach unserer Auffassung einfach viel zu hoch. Wenn man nämlich davon ausgeht, daß pro Jahr lediglich 200 bis 250 neue Stoffe anzumelden und entsprechend zu prüfen sind, ergibt das, daß für die Prüfung eines jeden neuen Stoffes praktisch zwei Beamte, und zwar relativ hoch bezahlte, über ein ganzes Jahr hinweg erforderlich sind; wohlgemerkt: für jeweils einen einzigen Stoff.
Diese Regelung verbietet sich nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Abwehr der Überbürokratisierung; sie widerspricht auch der Forderung nach sparsamer Haushaltsführung, die von allen Fraktionen dieses Hauses getragen wird.
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Dieses Gesetz war lange Zeit in Gefahr, Musterbeispiel für Überbürokratisierung schlechthin zu werden.
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- Aber ganz selbstverständlich, Herr Dr. Konrad. Ich habe ja ausgeführt, welche immensen Kosten anfallen würden und wie ineffizient die Arbeitsweise des von Ihnen vorgeschlagenen Apparats wäre.
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- Unser Vorschlag? Darauf komme ich gleich zu sprechen. Es ist gut, daß Sie das anschneiden. Nach Auffassung der CDU/CSU sollte - das ist der Vorschlag - noch einmal ganz intensiv geprüft werden
- in der Kürze der Zeit, die für die Beratung zur Verfügung stand, war das halt nicht möglich -, ob es nicht doch möglich ist, die Prüfung und Bewertung neuer Stoffe im Zuge der Selbstverwaltung durchzuführen.
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Die betroffene Industrie könnte so veranlaßt werden, sich selbst eine Institution zu schaffen, um die neuen Stoffe nach den vorgegebenen Richtlinien selber zu prüfen. Ähnliche Überlegungen werden bereits in Frankreich angestellt. In der Bundesrepublik, Herr Dr. Schäfer, gibt es mit dem Technischen Überwachungsverein und mit den Berufsgenossenschaften brauchbare Vorbilder, die sich für derartige Aufgaben sehr anbieten.
Durch diese Lösung des Prüfungsproblems könnten die finanziellen Belastungen der Volkswirtschaft mit Sicherheit ganz erheblich vermindert werden. Nach dem Ihnen geschilderten Zahlenbeispiel verbraucht der Staat - ich sage es nochmals - für seine Überwachungsfunktion im Vergleich mit den Ausgaben der Überwachten unverhältnismäßig viel Steuergelder.
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Als Mitglied des Wirtschaftsausschusses im Unterausschuß haben für mich natürlich auch die Fragen der Auswirkungen des Gesetzes auf die mittelständische chemische Industrie eine große Rolle gespielt. In der öffentlichen Anhörung des Unterausschusses ist dieses Thema eingehend behandelt worden. Leider konnte dabei die Befürchtung nicht zerstreut werden, daß von dem Gesetz konzentrationsfördernde Wirkungen ausgehen werden. Die CDU/CSU wird deshalb diesem Problem besondere Aufmerksamkeit widmen. Ich rege an, daß die Bundesregierung in dem nach der Entschließung vorzu18190
legenden Bericht über Anwendung und Auswirkung dieses Gesetzes auch dieses Problem besonders behandelt.
Die CDU/CSU stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, obwohl sie der Meinung ist, daß das Gesetz nach wie vor noch ökonomische und ökologische Verbesserungen gebrauchen könnte. Dem bereits mehrfach ausgesprochenen Dank an alle Beteiligten möchte ich mich anschließen und insbesondere auch noch das Ausschußsekretariat ausdrücklich in diesen Dank einbeziehen. Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion möchte ich unterstreichen, daß wir im Unterausschuß einen fairen Kompromiß geschlossen haben, daß wir aufeinander zu gegangen sind und daß es sicherlich für alle beteiligten Fraktionen nicht immer einfach war, diese Kompromisse zu schließen.
Herr Kollege Hasinger hat vorhin eine Lobeshymne auf die chemische Industrie gesungen. Herr Kollege Hasinger, wir Sozialdemokraten können nicht so in diese Lobeshymne mit einstimmen;
({0})
denn wir haben noch nicht vergessen, daß es im Jahre 1976 die furchtbaren Ereignisse in Seveso gegeben hat,
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und wir müssen anerkennen, daß die Bundesregierung trotz der schwierigen Verhandlungen auf europäischer Ebene sehr schnell die Konsequenzen aus diesen Ereignissen gezogen hat. Wenn ich einen Vergleich ziehen darf: Ebensowenig, wie wir Seveso vergessen haben, hatten wir damals die ConterganAffäre vergessen. Immerhin hat es von 1961 bis 1975 gedauert, bis die Konsequenzen aus der ConterganAffäre durch eine sozialliberale Koalition gezogen worden waren.
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- Meine Redezeit ist begrenzt, Herr Kollege Hasinger. Die paar Minuten möchte ich ausnutzen.
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Um so mehr gilt der Bundesregierung Dank dafür, daß sie trotz der schwierigen Verhandlungen, die in Brüssel zu führen waren, vier Jahre nach Seveso die gesetzgeberischen Konsequenzen gezogen hat.
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Das Gesetzgebungsverfahren war von Kompromissen bestimmt. In erster Linie mußten wir Kompromisse mit der Opposition eingehen. Gegenüber der Opposition möchte ich ausdrücklich anerkennen, daß Sie uns darin gefolgt sind, in § 21 zum Arbeitsschutz - Kollege Urbaniak wird noch näher darauf eingehen - ausdrücklich den Betriebsrat zu verankern. Herr Kollege Hasinger, daß Sie als Vertreter der Oppositon dies mitgetragen haben, möchte ich hier ausdrücklich anerkennen.
Zum zweiten waren Kompromisse im Hinblick auf ein eventuelles Einigungsverfahren im Vermittlungsausschuß zu treffen. Wir wollten im Unterausschuß unbedingt - darüber waren wir uns einig - den Konflikt mit dem Bundesrat vermeiden und haben im Unterausschuß in enger Zusammenarbeit auch mit den Vertretern des Bundesrates versucht, dieses Gesetzeswerk über die Hürden zu bringen. Frau Minister Huber, als sozialdemokratische Bundestagsfraktion hätten wir selbstverständlich gern die §§ 19 und 20 im Gesetzestext gehalten; aber wir sahen Schwierigkeiten in den Verhandlungen mit den Vertretern des Bundesrates. Deshalb haben wir uns dann entschlossen, die Themen der Meldepflicht bei Gesundheitsschäden und den Maßnahmenkatalog bei Katstrophen in die Entschließung aufzunehmen und die Bundesländer zu bitten, hier gemeinsam mit der Bundesregierung weiterzudenken und weiterzuarbeiten. In der Kürze der Zeit war dies alles im Unterausschuß nicht mehr zu machen.
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So hoffen wir, daß es Bundesrat und Bundesregierung gemeinsam gelingen wird, an diesem schwierigen Punkte weiterzukommen.
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Wir sind mit den Gewerkschaften der Auffassung, daß die Errichtung eines nationalen Krebsregisters, auf welcher Grundlage einer Meldepflicht auch immer, notwendige Voraussetzung für eine Gesundheitspolitik ist; denn man muß Konsequenzen aus der Frage ziehen können, welche Berufstätigkeit in der chemischen Industrie welche Gesundheitsschäden hervorruft.
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Ein weiterer schwieriger Kompromiß war dem Gesetzgebungsverfahren auf der europäischen Ebene vorangegangen. Ich glaube, den Kollegen im Unterausschuß ist es ähnlich gegangen wie mir. Wir hatten oft den Eindruck, nachdem die Bunderegierung in Brüssel verhandelt hatte und die EG-Richtlinie nun in nationales Recht umzusetzen war, daß wir nach dem Motto handeln mußten: „Vogel, friß oder stirb!" Wir mußten die §§ 2 bis 17 praktisch so „fressen", wie die Bundesregierung sie in Brüssel ausgehandelt hatte.
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Deshalb auch eine bescheidene Bitte an die Bundesregierung, wenn so etwas noch einmal eintreten
sollte - ich nehme an, daß das noch sehr oft der Fall sein wird, nachdem die europäischen Staaten mehr aufeinander zu gegangen sind -, in Zukunft doch etwas eher Kontakt mit dem nationalen Parlament aufzunehmen.
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Wenn also solch ein Gesetz wie das Chemikaliengesetz auf der europäischen Ebene ansteht, dann rate ich der Bundesregierung in aller Bescheidenheit, doch vorher einmal mit den Fraktionen im Parlament Kontakt aufzunehmen und zu fragen: Was haltet ihr denn von dem, was wir da in Brüssel verhandeln? - Die ganzen Verhandlungen in Brüssel gingen am Parlament vorbei, und auf einmal standen wir nach dem von mir soeben geschilderten Motto vor vollendeten Tatsachen.
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Mir scheint, daß sich Abgeordnete des Europaparlaments und des Bundestages in der Sache vielleicht viel näher beieinander befinden als die nationalen Regierungen. Durch Zufall ist das Protokoll der Sitzung des Europäischen Parlaments vom 17. Juni 1980, also aus der vergangenen Woche, in meine Hände gelangt. Dort ist die Vorlage einer Richtlinie über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten verhandelt worden. Die Sprecher aller Fraktionen im Europäischen Parlament haben Seveso als Anlaß genommen, um übereinstimmend festzustellen, daß auf diesem Gebiete noch sehr viel Arbeit zu leisten sei. Könnte nicht vielleicht doch ein besserer Kompromiß herauskommen, als ihn die Regierungen gefunden haben, wenn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und die Abgeordneten der nationalen Parlamente einmal solche Verhandlungen führen könnten? Ich komme zu diesem Eindruck nach dem Studium des Sitzungsprotokolls des Europäischen Parlaments.
({11})
Die Abgeordnete Seibel-Emmerling von der Sozialistischen Fraktion sagt:
Endlich haben wir auch einmal Aussicht darauf, daß unsere Arbeit nicht in den weiträumigen Aktenschränken des Rates verschwindet
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Dort, wo so dringende Vorhaben unserer Gemeinschaft leider durch eine schlimme Verschleppungstaktik des Rates ruhen oder ihre Endstation erleben, wird hoffentlich diese
- soeben vor mit erwähnte - Richtlinie nicht verkümmern.
Die Abgeordnete schließt dann ihre Ausführungen:
Wir brauchen einen Gesamtzusammenhang mit einem Primat der lebensschützenden Umweltpolitik.
Herr Kollege Hasinger, Sie haben von Ökologie und
Ökonomie gesprochen. Ich finde, die Formulierung
meiner Kollegin aus der Sozialistischen Fraktion ist weit gelungener als Ihre Formulierung.
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- Nein, ich habe den Namen der Abgeordneten genannt; es war nicht die von Ihnen erwähnte Kollegin, es war die Kollegin Seibel-Emmerling.
Ich bin froh, diese Übereinstimmung zwischen der Auffassung von Kollegen unserer Fraktion im Europäischen Parlament und unserer sozialdemokratischen Auffassung feststellen zu können.
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- Nein, ich hatte mir nur einmal einen Hinweis darauf erlaubt, daß die Parlamentsfraktionen offensichtlich näher beieinander sind als die nationalen Regierungen. Dennoch möchte ich aber auch feststellen, daß die Bundesregierung nicht dem Vorwurf ausgesetzt werden darf, sie hätte nicht alle Anstrengungen unternommen, um auf europäischer Ebene zu einem Kompromiß zu kommen. Neben den Verhandlungen in Brüssel hat die Bundesregierung gleichzeitig die Gesetzesvorlage erstellt Unter dem Strich gesehen sind wir der Auffassung, daß dies ein erster Schritt in die richtige Richtung war.
Des öfteren ist beklagt worden, daß weitreichende Kosten auf die chemische Industrie zukämen. Wenn man sich einmal die Zahlen vor Augen führt, dann kann man dieses Argument zurückweisen. Die chemische Industrie beziffert die Grundprüfung mit 100 000 DM; hinzu zählt sie administrative Kosten in Höhe von 50 000 DM bei der Einzelprüfung einer Chemikalie. Sie behauptet, daß dadurch die Innovationsfähigkeit der chemischen Industrie beeinträchtigt werde. Herr Kollege Hasinger hatte ähnliche Töne anklingen lassen.
Sie behauptet weiterhin das Entstehen von Wettbewerbsbeschränkungen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes werden die Kosten für die Grundprüfung auf 65 000 bis 70 000 DM geschätzt Aber wir meinen, daß dieses Kostenargument nicht gelten kann. Wenigstens die Prüfungen in der Grundprüfung muß jedes verantwortungsbewußte Unternehmen schon jetzt auf Grund bestehender zivilrechtlicher Haftungsgrundsätze durchführen, um sich der möglichen Gefährdung eines Produktes zu vergewissern. Das Gesetz formuliert hier nur eine selbstverständliche, schon jetzt bestehende Pflicht. Wir meinen, daß eine zusätzliche Kostenbelastung nicht entsteht
Die SPD-Bundestagsfraktion sieht sich mit dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz insoweit einig, als dieser bei dem Hearing im Ausschuß erklärt hat, daß ein solches Gesetz angesichts der hohen denkbaren Gefahren, die von gefährlichen Chemikalien ausgehen, in dieser Legislaturperiode unbedingt kommen müsse. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion geht davon aus, daß in den nächsten Jahren weitergehende Regelungen notwendig werden,
({15})
wobei wir nachdrücklich auch auf eine Änderung des EG-Rechtes, das den nationalen Gesetzgeber in diesem Feld weitgehend bindet, hinwirken wollen.
Mit dieser Empfehlung möchte ich meine Ausführungen schließen, allerdings nicht ohne noch einmal ausdrücklich festzustellen, daß wir der Auffassung sind, daß die Bundesregierung in Brüssel gute Arbeit geleistet hat und daß wir in dieser Richtung weiterarbeiten wollen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gruhl. - Ein weiter Weg nach vorne, Herr Gruhl, nicht wahr?
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben in einem Zeitalter, das man auch treffend ein ChemieZeitalter nennen könnte. Seit 1960 waren die Zuwachsraten der chemischen Industrie doppelt so hoch wie die der Gesamtindustrie. Die Auswirkungen auf Umwelt und Menschen werden damit immer gefährlicher.
Das deutsche Chemikaliengesetz kommt angesichts dieser Entwicklung sehr spät. Es wäre zu begrüßen gewesen, wenn es zu diesem späten Zeitpunkt eine weitergehende Regelung gebracht hätte.
Die Unzulänglichkeit liegt aber meines Erachtens nicht in erster Linie im schlechten Willen der Parlamentarier oder im Unvermögen der Bundesregierung begründet, sondern die Schwierigkeiten liegen in der Tücke dieser Materie. Ich sehe in der Entwicklung drei unlösbare Widersprüche.
Erstens. Immer mehr chemische Substanzen erfordern zu ihrer ständigen Prüfung und Überwachung eine immer größere Bürokratie. Wenn man die Innovationsfähigkeit der chemischen Industrie - wie das so heißt - nicht gefährden will und einen Fortschritt darin sieht, daß immer mehr chemische Produkte auf den Markt kommen, dann ist eine überwachende Bürokratie größten Ausmaßes die zwangsläufige Folge. Beides wird man eben nicht vereinen können: eine gute Kontrolle und Prüfung und auf der anderen Seite wenig Bürokratie und wenig zusätzliche Kosten.
Einen zweiten Widerspruch sehe ich im Zusammenhang mit dem Begriff Betriebsgeheimnis. Dieser Begriff Betriebsgeheimnis ist in der Frühzeit der technischen Entwicklung entstanden. Ich betrachte ihn inzwischen schlicht als nicht mehr haltbar. Wenn die vielen Auswirkungen, die sich aus der Chemie ergeben, überprüft werden müssen, kann man nicht mit dem Begriff Geheimnis arbeiten, weil das die Überprüfung und damit die Aufklärung der Offentlichkeit unmöglich macht. Auch dieser Widerspruch ist kaum lösbar. Herr Hasinger hat hier gesagt, die Industrie habe die Pflicht zur Transparenz. Diesen Satz möchte ich unterstreichen. Das betrifft auch die Transparenz dessen, was dort alles geschieht.
Der dritte Widerspruch ist meines Erachtens der, daß die chemische Industrie jährlich etwa 2,5 Milliarden DM für die Werbung ausgibt, um Umfang und Absatz ihrer Produkte noch ständig weiter zu erhöhen. Es ist geschätzt worden, daß die Kosten der Tests, die durch dieses Gesetz entstehen, etwa 30 bis 40 Millionen DM ausmachen werden. Das heißt also, daß die chemische Industrie mehr als sechzigmal so viel für die Werbung für ihre Produkte ausgibt. Dies ist ein ungleicher Machtkampf.
Welche Instanzen arbeiten dieser geballten Macht der Industrie mit diesen Milliarden entgegen? Nur Bürgerinitiativen, wie in den letzten Jahren? Das wird nicht ausreichen. Hier wird die Bundesregierung und hier werden auch die Länder vielleicht eine neue Aufgabe übernehmen müssen, nämlich Aufklärung der Bevölkerung über die Gefahren der Chemie in jeder Hinsicht.
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- Man könnte ja vielleicht, Herr Kollege Hammans, die Werbungsfachleute, die jetzt für die chemische Industrie tätig sind, dann als Werbungsfachleute zur Aufklärung über gesundheitliche Folgen der chemischen Produkte einsetzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hasinger?
Herr Kollege Gruhl, da es bei diesem Punkt nur durch eine Zusammenarbeit aller Beteiligten zu vernünftigen Ergebnissen kommen kann und Sie gerade die Wirksamkeit der Bürgerinitiativen in diesem Punkt als zu gering bezeichnet haben, frage ich: Wie würden Sie sich zu dem Gedanken einer Art neuer „konzertierter Aktion" - hier aber nicht im ökonomischen Sinne allein - stellen?
Ja, ich würde eine solche begrüßen, in welcher Form auch immer.
Wie schwierig eine Gegenaufklärung ist, beweist ja ein Versuch des Bundesinnenministeriums im vorigen Jahr. Da wurde eine Umwelt-Zeitung mit der Schlagzeile herausgegeben „Bei der Chemie tickt eine Zeitbombe". Wir alle wissen, wie man auf Grund dieser Veröffentlichung über das Innenministerium hergefallen ist.
Eine weitere Schwierigkeit, die wieder eine besondere ist, die ich darum nicht als vierten Punkt anführe, sondern als gesonderten Punkt, ist die des Zusammenwirkens all der chemischen Stoffe, die man unter dem Begriff Synergetismus erfaßt. Hier läßt sich leider vieles ohnehin nicht bewältigen, auch nicht in Jahren.
Untersuchungen in den Vereinigten Staaten kommen zu dem Schluß, daß 60 % der Krebserkrankungen auf chemische Substanzen zurückzuführen seien.
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- Darüber brauchen wir uns nicht zu streiten, wieviel das genau ist. Ich erwähne es nur als einen Anhaltspunkt.
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Unter diesem Gesichtspunkt bedaure ich natürlich, daß das sogenannte Krebsregister weggefallen ist, obwohl ich auch nicht behaupte, daß damit alles zu lösen gewesen wäre.
Eine weitere Schwierigkeit scheint in der EG zu liegen. Das haben auch die meisten Redner schon erwähnt. Der Innenausschuß des Bundestages hielt Vorschriften über die Anmeldung und Prüfung von sogenannten alten Stoffen im Hinblick auf den Gesundheits- und Umweltschutz für unbedingt erforderlich. Der Innenausschuß bittet die Bundesregierung, ihren Einfluß bei der EG dahin gehend geltend zu machen, daß möglichst bald auch entsprechende Regelungen in die EG-Richtlinien aufgenommen werden. Zunächst sollen diejenigen alten Stoffe einem Anmelde- und Prüfungsverfahren unterworfen werden, bei denen tatsächlich Anhaltspunkte für eine besondere Gefahr bestehen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der EG-Richtlinie sah sich aber der Unterausschuß „Chemikaliengesetz" nicht in der Lage, von diesem Prüfungsschema abzugehen. Darum soll nach den Beschlüssen des Unterausschusses in jedem Einzelfall eine EG-einheitliche Regelung angestrebt werden, damit Wettbewerbsnachteile der deutschen chemischen Industrie vermieden werden. Damit erweist sich die EG auch hier wieder einmal als Hindernis für eine bessere deutsche Umweltgesetzgebung - wie leider schon in vielen anderen Fällen auch.
Es wäre weiter zu begrüßen gewesen, wenn man die Frist zwischen Anmeldung und InVerkehrBringen wesentlich verlängert hätte, zumindest auf 90 Tage, wie es in den USA der Fall ist.
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- Ich danke für diese Bestätigung, Herr Hasinger.
Dann wird Kritik geübt, auch von den Sachverständigen, der Umfang der Umweltverträglichkeitsprüfungen sei immer noch zu gering. Es ist errechnet worden, daß die Prüfung alter Stoffe 500 Jahre dauern würde. Damit ist drastisch bewiesen, daß die Folgen des chemischen Zeitalters im Grunde gar nicht mehr zu bewältigen sind. Schließlich kommen ja jährlich noch Hunderte von neuen Chemikalien hinzu.
Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz hat nun vorgeschlagen, wenigstens eine Haftungspflicht der Hersteller einzuführen. Auch dies ist nicht geschehen. Eine solche Haftungspflicht wäre sicherlich auch eine Belastung für die Hersteller gewesen. Aber ich erinnere an die riesigen Mittel für die Werbung, die durchaus zur Verfügung stehen. Diese Werbung ist natürlich verbunden mit dem der Politik überhaupt übergeordneten Ziel, wirtschaftliches Wachstum zu erreichen. Die Chemie war eine hervorragende Wachstumsbranche, also hat man dort eben die Ausdehnung weiter gefördert. Herr Kollege Spitzmüller hat heute hier angeführt, es gehe ja schließlich auch um die Arbeitsplätze. Dieses Argument würde ich in diesem Zusammenhang nicht anführen. Wir können das Stichwort Arbeitsplätze nicht so weit treiben, daß wir schließlich zu der These kommen: Durch mehr Arbeitsplätze mehr Gift in die Welt!
Die Beschränkung des Wachstums der chemischen Industrie und damit auch die Beschränkung der Zahl der chemischen Stoffe sollte, wie es auch der Bundesverband der Bürgerinitiativen fordert, ein Ziel für die Zukunft sein.
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Ich unterstütze auch eine andere Forderung des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen, nämlich die, das Umweltbundesamt als Anmeldebehörde einzurichten.
Ich will mich auf diese wenigen Bemerkungen beschränken, die, wie ich hoffe, meine Kollegen, auch deutlich gemacht haben, daß ich die Sache nicht sehr einfach sehe und daß dieses Thema uns, jedenfalls zukünftige Parlamente und Regierungen, noch sehr, sehr beschäftigen wird. Ich betone am Schluß noch einmal, daß Verbesserungen auf diesem Gebiet nicht dadurch zu erreichen sein werden, daß man hier diese Vorschrift verschärft und dort jene Prüfung und alles Mögliche einführt. Dies muß man auch tun, und es wird nach den Erfahrungen der nächsten Jahre hoffentlich auch geschehen - vielleicht auch unter dem Zwang neuer Vergiftungen, neuer Unfälle, vielleicht auch auf Grund von Erkenntnissen der Medizin, die in den letzten Jahren auch immer mehr zu der Auffassung gekommen ist, daß mehr Chemie auch in der Medizin oder auf dem Sektor der Nahrungsmittelproduktion nicht etwa positive, sondern mehr und mehr negative Folgen hat. Darum sehe ich die Hauptaufgabe - und das wäre eine politische Richtung, die von allen Parteien vertreten werden sollte - darin, den Bürgern dieses Landes - natürlich auch aller anderen - dies durch intensive Aufklärungsaktionen deutlich zu machen:
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Leute, verbraucht nicht immer mehr Chemikalien, sondern lieber weniger! Wenn diese Aufklärung Erfolg hätte, die letzten Endes dazu führen müßte, daß die chemische Industrie nicht immer mehr und mehr wächst und immer neue Produkte auf den Markt bringt, wenn diese neue Aufklärung auf Grund der Erkenntnisse der letzten Jahre eine Beschränkung bewirkte, dann, so glaube ich, wäre ein größerer Erfolg für den Schutz der Gesundheit und auch für den Schutz der gesamten Umwelt erreicht, als man je durch gesetzliche Regelungen erreichen könnte.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man in den letzten Tagen die Be18194
richterstattung der Presse über die Beratung des Chemikaliengesetzes im Deutschen Bundestag verfolgte, so konnte man immer wieder auf die Bezeichnung „Umweltchemikaliengesetz" stoßen. Dieser Begriff hat sich in der öffentlichen Diskussion geradezu festgesetzt, obwohl bereits der erste Regierungsentwurf auf den Zusatz „Umwelt" in der Kurzbezeichnung verzichtet hat.
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- Ich will Ihre sachverständigen Empfehlungen nicht in Frage stellen, Kollege Hasinger. Sie haben das im Unterausschuß sehr ordentlich gemacht.
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Ich sage das, weil ich die Leistung eines Parlamentariers anerkennen möchte. In der Mitbestimmungsfrage habe ich Ihrerseits noch keine Stellungnahme gehört. Beeilen Sie sich mal damit!
Anläßlich der zweiten und dritten Lesung des Chemikaliengesetzes ist es an der Zeit, mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß immer zuerst die Arbeitnehmer von den Einwirkungen gefährlicher Stoffe betroffen werden, also die Gefährlichkeit bestimmter Stoffe am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Umweltschutz beginnt ja nicht erst nach Feierabend oder am Wochenende, sondern, wie ich meine, vordringlich an den Arbeitsplätzen, in den Betrieben, in der Arbeitswelt.
Da haben wir eine ganz wichtige Stoßrichtung in diesem Gesetz eröffnet.
({2})
Es geht uns vor allen Dingen um den Schutz der Arbeitnehmer in den Betrieben, die von diesen Stoffen beeinträchtigt werden können. Auch wenn wir auf dem weiten Feld der Arbeitsschutzpolitik in den vergangenen Jahren gute Fortschritte erzielen konnten - ich nenne das Arbeitssicherheitsgesetz, die Arbeitsstättenverordnung, die Arbeitsstoffverordnung und das Jugendarbeitsschutzgesetz -, müssen wir bei dem Chemikaliengesetz darauf hinweisen, daß wir doch einen umfassenden Schutz erreicht haben, was den Schutz der Arbeitnehmer vor den Einwirkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen angeht. Nicht nur hinsichtlich neuer Stoffe, sondern auch hinsichtlich bereits bekannter und in den Betrieben bereits verwendeter Stoffe sollen Vorschriften zum Schutz von Leben und Gesundheit vor allen Dingen der Arbeitnehmer erlassen werden können.
Diese Vorschriften schließen den Schutz der Arbeitskraft vor vorzeitigem Verschleiß und die menschengerechte Gestaltung der Arbeit ein. So kann beispielsweise vorgeschrieben werden, den Arbeitnehmern bestimmte persönliche Schutzausrüstungen zur Verfügung zu stellen, die Dauer der Beschäftigung unter den Einwirkungen der Stoffe und Zubereitungen zu begrenzen, die Arbeitnehmer in bestimmter Weise und in angemessenen Zeitabständen über die Gefahren und Maßnahmen zu ihrer Abwendung zu unterweisen, bestimmte Arbeitsverfahren der zuständigen Behörde anzuzeigen und Arbeitnehmer gesundheitlich zu überwachen - eine ganz konkrete, wie die Betriebsräte und Arbeitnehmer sagen würden, Latte, die es ermöglicht, auch praktischen Arbeitsschutz zu vollziehen.
Nach dem Arbeitgeber haben aber auch, wie wir meinen, die Betriebsräte umfangreiche Pflichten auf dem Arbeitsschutzsektor. Nicht immer fällt es den Betriebsräten leicht, den ihnen im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer durch das Betriebsverfassungsgesetz zugewiesenen Aufgaben gerecht zu werden. Oft liegt die Ursache hierfür an den mangelnden Informationen durch die Arbeitgeber.
Darum haben die Sozialdemokraten in § 21 Abs. 2 eine Nr. 10a eingefügt, die gefährleistet, daß der Arbeitgeber den Betriebsrat zu unterrichten hat Ebenfalls haben wir, was die Fragen von Substanzen angeht, eine Vorschrift einbauen können, nämlich Abs. 4 a in § 21. In dem Zusammenhang ist auch noch § 21 Abs. 2 Nr. 12 von Bedeutung. Wir sind mit unserer Initiative über den Entwurf der Regierung hinausgegangen. Das ist für den Arbeitsschutz wichtig.
Ich möchte am Schluß feststellen: Für den Arbeitsschutz gibt es nun ein geschlossenes, umfassendes System. Ich gehe davon aus, daß die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung bei den weiteren Überlegungen für das Organisationsmodell der nationalen Meldestelle und der Bewertungsstellen eine besondere Position einnehmen wird. Hier beschäftigt man sich hinreichend mit derartigen Gefahrenabwendungen. Diese Anstalt liegt in der Nähe von chemischer Industrie, mitten im Herzen der Industrie. Ich gehe davon aus, daß das Organisationsmodell, wie es die Bundesregierung in § 12 vorgesehen hat, letztlich die Zustimmung des Bundesrates erfahren wird.
Wir sind froh, daß wir den Arbeitsschutz durch unsere Initiative und durch den Entwurf der Bundesregierung so optimal gelöst haben. Die Vorschläge der Gewerkschaften, die in der öffentlichen Anhörung sinnvoll begründet wurden, sind aufgegriffen und von diesem Hohen Hause verabschiedet worden. Darauf können wir alle im Interesse der Arbeitnehmer stolz sein.
({3})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Da das Gesetz, das wir gleich verabschieden, für die Umweltpolitik hohe Bedeutung hat, will ich aus der Sicht des Umweltministeriums zu dieser Verabschiedung einige wenige Bemerkungen machen.
Wir haben vor etwa zehn Jahren damit begonnen, das gesetzliche Instrumentarium für den Umweltschutz zu schaffen. Die Verabschiedung des Chemikaliengesetzes wird eine wichtige Lücke schließen, die bis heute bestanden hat. Schäden für Umwelt und Gesundheit erst gar nicht eintreten zu lassen, ist das Ziel diese Gesetzes. Damit wird ein EckpfeiPari. Staatssekretär von Schoeler
ler der Umweltpolitik der Bundesregierung, nämlich das Vorsorgeprinzip, erneut bekräftigt und bestätigt.
({0})
- Ich werde darauf zurückkommen. Darin stimmen wir durchaus überein; wir haben auch nie etwas anderes behauptet, Herr Kollege Hasinger.
Mit dem Chemikaliengesetz betritt die Umweltpolitik jedoch auch Neuland. Wir haben uns im industriellen Bereich bisher nur wenig darum gekümmert, in welchem Maße die Zwischen- oder Endprodukte selbst die Umwelt belasten. Wir haben uns im wesentlichen darauf beschränkt, Immissionsgrenzwerte für Luft- und Wasserverschmutzung beispielsweise festzusetzen und die Überschreitung dieser Grenzwerte zu verbieten. Das bekannteste Beispiel für diese Politik ist das Bundesimmissionsschutzgesetz von 1974. Das Chemikaliengesetz beginnt dagegen eine Stufe früher und reicht zugleich eine Stufe weiter. Nunmehr werden bereits die chemischen Stoffe auf ihre Umweltrisiken getestet. Sowohl Zwischenprodukte für die Produktion als auch Endprodukte für den Verkauf sollen umweltgeprüft sein. Das Chemikaliengesetz ergänzt auf diese Weise die anlagenbezogene Umweltpolitik durch stoffbezogene Regelungen.
Das Defizit, daß wir bisher keine grundlegende Vorschrift hatten, die sämtliche Chemikalien umfaßt, wird mit diesem Gesetz angegangen. In einem ganzen Industriesektor soll umfassend und konsequent Risikofrüherkennung gesetzlich verpflichtend werden. Diese Umweltpolitik knüpft nicht mehr nur an einzelne Medien wie Luft oder Wasser an. Das Chemikaliengesetz stellt daher einen ersten Schritt zu einer medienübergreifenden, ökologisch ausgerichteten Umweltvorsorgepolitik dar. In die Umweltpolitik wird eine neue, eine ökologische Dimension eingeführt.
Dies sage ich, obwohl wir sicherlich alle übereinstimmend der Auffassung sind, daß das uns heute vorliegende Gesetz ganz sicher nur ein erster, wenn auch überaus wichtiger Schritt ist. Das Gesetz enthält den rechtlichen Rahmen. Nunmehr gilt es, vor allem die Testverpflichtungen durch Rechtsverordnungen zu präzisieren. Die Arbeiten daran haben auf nationaler und internationaler Ebene begonnen. Wir erwarten, daß auch die chemische Industrie bereit ist, ihre Erfahrungen, die für einen wirksamen Vollzug des Gesetzes unerläßlich sind, in diesen Prozeß einzubringen.
In allen wichtigen Ländern sind gesetzliche Regelungen zur Kontrolle von Chemikalien dringend erforderlich. Würden unterschiedliche Maßstäbe angelegt, so wären erhebliche Wettbewerbsverzerrungen die unausweichliche Folge. Deshalb wird von der Bundesregierung mit Nachdruck an internationalen Vereinbarungen gearbeitet. Die internationale Zusammenarbeit - besonders auf der Ebene der OECD - bietet uns auch die Chance der Arbeitsteilung. Nur auf diese Weise wird es uns möglich sein, in absehbarer Zeit und zu annehmbaren Kosten die bereits auf dem Markt befindlichen Substanzen durchzuprüfen.
Wir betreten mit diesem Gesetz Neuland. Deshalb wäre es vermessen, zu glauben, mit diesem Entwurf sei bereits die optimale und endgültige Lösung gefunden. Es handelt sich vielmehr um einen ersten Einstieg, der nicht zuletzt dazu dient, Erfahrungen mit einer neuen Materie zu sammeln, Erfahrungen freilich, die wir erst durch die Anwendung dieses Gesetzes gewinnen können.
Auch deshalb möchte ich allen danken, die an der Vorbereitung dieses Gesetzes mitgewirkt haben. Der Dank gilt vor allem den Mitgliedern des Unterausschusses „Chemikaliengesetz", ohne deren Einsatz es sicherlich nicht gelungen wäre, dieses auch und gerade für den Umweltschutz so enorm wichtige Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Da die Zusammenarbeit in diesem Unterausschuß so erfreulich war, sollte, so meine ich, Herr Kollege Hasinger und Herr Kollege Kraus, diese Debatte eigentlich auch nicht dazu benutzt werden, bei Punkten, über die Einvernehmen hergestellt worden ist, so zu tun, als ob es noch unterschiedliche Standpunkte gäbe. Damit will ich auf das eingehen, was Sie zu dem Anmelde- und Prüfverfahren gesagt haben. Es sollte niemand so tun, als ob die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen wie wild darauf versessen wären, nur eine möglichst große und umfangreiche Bürokratie aufzubauen. Es besteht Einvernehmen, daß ein Anmelde- und Bewertungsverfahren gefunden werden muß, das wirkungsvoll die umwelt- und gesundheitspolitischen Zielsetzungen dieses Gesetzes erfüllt und mit möglichst wenig bürokratischem Aufwand verbunden ist. Auf allen Seiten des Hauses besteht Einigkeit, daß der Weg, auf dem beide Ziele wirkungsvoll erreicht werden können, weiter geprüft werden soll. Deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie im weiteren Verlauf der öffentlichen Diskussion nicht den Eindruck erweckten, als ob hier etwas streitig wäre.
Vielen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 18 - die §0 19 und 20 entfallen - und 21 bis 33 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Zu einer Erklärung gemäß § 59 der Geschäftsordnung wünscht der Herr Abgeordnete Dr. Hammans das Wort. Bitte sehr.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der ersten
Lesung zum Chemikaliengesetz am 15. November 1979 habe ich u. a. gesagt:
Wir werden es nicht zulassen, daß auch nur ein Tier irgendwo unsinnig oder leichtfertig geopfert wird.
Mit diesem Satz habe ich gemeint, daß ich in der dritten Lesung meine Zustimmung zu diesem Gesetz nur dann würde geben können, wenn dieser Forderung im Gesetz Rechnung getragen würde.
Wenn ich eben in der zweiten Lesung dem Gesetz zugestimmt habe und dies auch in der dritten Lesung tun werde, obwohl diese Forderung nicht erfüllt wurde, so ist dies aus meiner Überzeugung geschehen, daß die LD 50 ihre derzeitige Bedeutung als Kriterium in Bälde verlieren wird. Zu dieser Überzeugung bringen mich viele Gespräche, die ich in letzter Zeit mit namhaften Wissenschaftlern aus dem In- und dem Ausland geführt habe. Darüber hinaus mehren sich in der einschlägigen Fachliteratur Publikationen über neue Wirksamkeits- und Toxizitätsnachweismethoden, bei denen keine Tiere gequält oder getötet und damit geopfert werden müssen. Ich bin davon überzeugt, daß sich einige dieser Methoden als absolut sicher erweisen und dann den Gesetz- oder Verordnungsgeber zur Änderung dieses Gesetzesabschnitts bringen werden. - Ich danke Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Gegen eine Stimme und bei einer Enthaltung ist das Gesetz in dritter Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegen noch zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4243 unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Der Ausschuß empfiehlt ferner unter Ziffer 3 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Empfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Empfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Dregger, Erhard ({0}), Spranger, Dr. Klein ({1}), Schwarz, Dr. Miltner, Berger ({2}) Biechele, Broll, Gerlach ({3}), Dr. Jentsch ({4}), Krey, Dr. Langguth, Dr. Laufs, Regenspurger, Volmer, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU
Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Berichterstattung der Bundesregierung über den Verfassungsschutz.
- Drucksachen 8/3214, 8/3615 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard ({5}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesinnenminister hat jährlich einen Bericht über die Ergebnisse der Arbeit des Verfassungsschutzes vorzulegen. Gegenstand des Berichts soll u. a. die Entwicklung des Rechts- und des Linksradikalismus sein. Der Bericht soll für jedermann Orientierung ermöglichen. Es ist deshalb die Pflicht des Bundesinnenministers, diesen Bericht hinreichend, vollständig und ungeschminkt, also wahrheitsgemäß, zu erstatten.
({0})
Die Berichte erscheinen mehr und mehr mit großer Verspätung. Sie zeigen eine wachsende Tendenz zur Beschönigung, zur Glättung, zum Gesundbeten auf dem Felde des Linksextremismus.
({1})
War noch bis 1978 eine schleichende Verschleierung des Linksextremismus festzustellen, so hatte im vergangenen Jahr der Bericht eine neue negative Qualität.
Der Herr Bundesinnenminister brauchte ein halbes Jahr, um den ihm von seinem Verfassungsschutzamt vorgelegten Jahresbericht zu redigieren.
({2})
Statt dabei die Erkenntnisse des Amtes in einen politischen Gesamtzusammenhang zu stellen und zu verdeutlichen, hat sich der Herr Minister bemüht, wichtigen Begriffen und Grundsätzen einen neuen Inhalt zu geben. Dabei wurden diese abweichend von Entscheidungen und Definitionen des Bundesverfassungsgerichts formuliert. Sie sollten offenbar bestimmten Gruppen in der SPD und der FDP gefallen.
Dazu gehört die absurde Behauptung, nur Organisationen, nicht Personen könnten verfassungsfeindliche Ziele verfolgen - der DKP-Chef Herbert Mies, die Neonazis Erwin Schönborn oder Erich Röder wären also keine Verfassungsfeinde -, oder die nicht minder falsche Behauptung, ein Parteiverbot sei erst zulässig, wenn durch die verfassungsfeindliche Aktivität eine Gefährdung der Verfassungsordnung bereits eingetreten sei. „Parteien, die ... darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen ..., sind verfassungswidrig", sagt unser Grundgesetz wörtlich. Wenn erst die DKP oder die NPD oder ähnliche Parteien es geschafft haben, unsere freiheitliche Ordnung selbst zu gefährden, wer glaubt denn ernsthaft, dann könne ein Verbotsverfahren noch in Gang gebracht oder gar ein solches Verbot noch durchgesetzt werden?
(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr richtig»
Wir stehen nicht unmittelbar vor einer solchen Situation. Aber warum setzt dann der Innenminister solche unhaltbaren und gefährlichen Thesen in die Welt? Sollen die Aktivitäten der Extremisten etwa gefördert werden? Sollten diese Herrschaften etwa neue Freiräume erhalten? Die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre waren ein ständiger, sich beErhard ({3})
schleunigender Rückzug vor dem Linksextremismus. Ich nenne nur ein paar Beispiele. Die bis zum Jahre 1976 noch unter der Rubrik ,.Volksfrontpolitik" genannte DKP-beeinflußten Gruppen:
({4})
z. B. Bund demokratischer Wissenschaftler, Demokratischer Kulturbund, die sogenannten Freundschaftsgesellschaften mit Kuba oder Vietnam. Diese kommen in den Berichten seit 1977 gar nicht mehr vor. Die ganze Rubrik „Volksfront" ist abgeschafft - im Verfassungsschutzbericht wohlgemerkt,
({5})
nicht in der politischen Wirklichkeit. Da gedeiht die Volksfront kräftig.
Die Vereinigten deutschen Studentenschaften kommen überhaupt nicht mehr vor. 1977 war noch vom starken Einfluß des MSB Spartakus die Rede. An diesem kommunistischen Einfluß hat sich in der Wirklichkeit bis heute überhaupt nichts geändert, aber er wird verschwiegen. Studenten des Spartakus sollen eben nicht linksextrem sein.
Übersichten über linksextremistische Publikationen gibt es seit 1977 nicht mehr, über Publikationen auf der rechten politischen Seite gibt es sie.
({6})
Man hätte dann womöglich „Die Neue" zu diesen linksextremen Schriften rechnen müssen. Dann wäre die Peinlichkeit noch größer geworden, weil der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler und der Herr FDP-Generalsekretär diesem kommunistischem Blatt Interviews gegeben haben, und zwar erst kürzlich.
({7})
Der Bericht 1978 brachte einen vorläufigen Höhe-- punkt von Verschweigen, Verharmlosen und von Unausgewogenheit. Das ist mit der verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen, verfassungsfeindliche Gruppen und Aktivitäten zu beobachten und zu beurteilen, nicht mehr vereinbar.
({8})
Die Pflicht hat aber so - wörtlich - das Bundesverfassungsgericht ergänzt und umschrieben.
Das alles waren gute Gründe, unsere Große Anfrage einzubringen. Die Antwort hat unsere Beurteilung nicht widerlegt und unsere Sorge auch nicht ganz ausgeräumt, vielfach hat sie sie sogar bekräftigt. Der Herr Bundesinnenminister ist nicht wirklich abgerückt von der Erklärung, er beziehe den Begriff „verfassungsfeindliche Zielsetzung" ausschließlich auf Organisationen. Durch den Rückzug vor der Berufsverbote-Kampagne hat sich der Herr Bundesinnenminister diese unhaltbare Position selbst aufgezwungen. „Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären."
({9})
Er und die Bundesregierung wollen aus dem Verfassungsschutzbericht um keinen Preis Schlußfolgerungen auf die Verfassungstreue gezogen wissen, weil damit ihr Grundsatz ins Wanken gerät, daß die Zugehörigkeit zu verfassungsfeindlichen Organisationen allenfalls ein Kriterium für die Beurteilung der Verfassungstreue sei - wenn überhaupt! Die Folge ist, daß auch über die verfassungsfeindliche Zielsetzung selbst exponierter Rechts- oder Linksextremisten keine Aussage mehr möglich ist.
Auf unsere Frage nach der Einengung der Verbotsvoraussetzungen für Parteien und Vereinigungen geht die Antwort erst gar nicht ein. Es geht nicht um die Zweckmäßigkeit von Verboten, es geht uns auch nicht um ein jetzt zu verhängendes Verbot. Es geht - was wir beanstanden - um den Versuch, die Verbotsvoraussetzungen zu verändern. Die Folgen solcher Äußerungen spürt die Bundesregierung nun schon selbst, nämlich bei dem Verfahren um das Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann. Das Verbot war angebracht, aber diese Gruppe gefährdete doch ganz offensichtlich nicht unsere freiheitliche Ordnung selbst.
Immerhin hat unsere Anfrage einiges bewirkt. Sie hat dazu geführt, daß der Herr Innenminister den Bericht, für dessen Überarbeitung er schon ein halbes Jahr gebraucht hatte, noch einmal nachbessern mußte und nachgebessert hat.
({10})
Jetzt auf einmal gab es wieder Hunderte linksextremistischer Sekundärorganisationen. Jetzt auf einmal wurde wieder erklärt, die DKP sei zu revolutionärer Gewalt bereit Die verfassungsfeindlichen Zielsetzungen der von der DKP beeinflußten Organisationen mußten jetzt wieder festgestellt werden. Warum sind sie vorher verschwiegen worden? Es kann doch wohl kein Zufall sein, daß alle drei unvermeidlichen Nachbesserungen den DKP-Bereich betrafen.
Bei einigen unserer Fragen sah der Herr Bundesinnenminister nicht einmal die Möglichkeit, auszuweichen oder die Antwort zu verweigern, wie er das leider bei mindestens 16 Fragen getan hat. Es ist allerdings bezeichnend, daß es besonders grundsätzliche Fragen sind, bei denen er ausweicht und nicht antwortet.
({11})
Die Antwort z. B. „Die Ordnung des Grundgesetzes ist eine Ordnung für Freiheit und Demokratie und gegen Totalitarismus" sollten wir sehr nachdrücklich festhalten. Sie ist richtig. Ich freue mich, daß das jetzt schriftlich so ausgeführt wurde. Sie ist aber unter den demokratischen Parteien heute keineswegs mehr eine Selbstverständlichkeit, wie das vor zehn oder 15 Jahren, so glaube ich, höchstwahrscheinlich noch der Fall war. „Der Konsens heißt Antifaschismus", so lautet ein nicht gezeichneter Kommentar im SPD-Organ „Vorwärts" vom 1. Februar 1979. Antifaschismus und Antikapitalismus, das sei die in den Text des Grundgesetzes eingegangene übereinstimmende Auffassung nach 1945 gewesen; also nicht Antitotalitarismus schlechthin, gegen Extremismus von rechts und links, sondern Gegnerschaft mit
Erhard ({12})
den Kommunisten gegen Faschisten. Leider entspricht das einer breiten politischen Wirklichkeit. In der DKP-gesteuerten Antifaschismus-Kampagne tun breite Kräfte der SPD und z. B. auch die Jungdemokraten wacker mit.
({13})
Der Kollege Spranger wird darauf näher eingehen.
Ich will gar nicht behaupten: Aus Bosheit, aus Unwissenheit, vielleicht auch aus mehr. Aber die Unwissenheit zu bereinigen, ist eine der Aufgaben, die auch über den Verfassungsschutzbericht bewirkt werden müssen.
({14})
Leider gibt es viele Mitglieder der SPD und auch der FDP, die, gar nicht daran denken, sich von sol- cher Gemeinsamkeit zu trennen. Wenn die Antwort der Bundesregierung, daß unsere grundgesetzliche Ordnung antitotalitär sei, ernst gemeint ist, wie können dann zahllose Mitglieder der SPD und der FDP gemeinsam mit Kommunisten auf dem Antifaschismus-Kongreß in Mannheim feiern? Wie können trotz eines dreißig Jahre alten Unvereinbarkeitsbeschlusses - ich wende mich hier an die SPD - SPD-Mitglieder jahrelang ungestört in der entscheidend von der DKP beeinflußten VVN und dem BdA - Bund der Antifaschisten - bis ins Präsidium dieser Organisationen hinein mitarbeiten? Wie können sie in der Kampagne gegen Strauß mit ihnen gemeinsam agieren und hetzen? Hier wächst eine andere Gemeinsamkeit als die der gegen alles Totalitäre gerichteten Demokraten.
({15})
Antifaschismus in unserer politischen Wirklichkeit ist der gemeinsame Kampf von Kommunisten und Sozialisten und anderen gegen alle Nichtsozialisten.
({16})
Man kann doch auf diese Weise im Kampf mit Linksextremisten eine solche freiheitliche gemeinsame Ordnung, wie wir sie haben, nicht verteidigen. Man kann sie in dieser Gemeinsamkeit nur zugrunde richten.
({17})
Wir haben in unserer großen Anfrage ganz bewußt eine Reihe von Fragen gestellt, wo eine klare, offene und sachgerechte Antwort der Bundesregierung Anstoß bei gewissen Gruppen in den Regierungsparteien erregt hätte, „die durch eine Zusammenarbeit mit Kommunisten deren revolutionäre Ansätze fördern, die eigene politische Situation jedoch schwächen". Diese Beurteilung läßt sich - ich habe wörtlich zitiert - noch in dem Verfassungsschutzbericht 1974 nachlesen, den der Herr Kollege Genscher unterschrieben und zu verantworten hat.
Die Bundesregierung ist mit Hingabe allen diesen von uns gestellten Fragen ausgewichen, hat bestenfalls polemisch darauf reagiert. Opportunismus und
fehlende Bereitschaft zur politischen Auseinandersetzung sind damit eher noch deutlicher geworden als im Verfassungsschutzbericht selbst. Für diese Klarheit allerdings bin ich dankbar.
Ein paar Beispiele zur Illustration. Die DKP sagt: Wenn für ihren jetzigen Kampfabschnitt - wörtlich! - „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt" Aufgaben gestellt würden, die erst im Sozialismus verwirklicht werden können, so hätte eine solche Aufgabenstellung eine Einschränkung der Bündnismöglichkeiten für den gegenwärtigen Kampfabschnitt zur Folge. Wir fragten die Bundesregierung, ob die DKP also diesen Kampfabschnitt brauche, weil sonst zahlreiche der von ihr umworbenen und gewonnenen nichtkommunistischen Bündnispartner merken würden, wozu sie gebraucht werden und was sie erwartet, wenn man sie nicht mehr braucht. Antwort der Bundesregierung:
Ob die DKP diesen „Kampfabschnitt" zu dem in der Frage vermuteten Zweck braucht, kann die Bundesregierung nicht beurteilen.
({18})
Die Urteilsfähigkeit der Bundesregierung besteht also offenbar nicht.
Wer sich auf solche Weise weigert, die Rolle der Bündnispartner der DKP als „nützliche Idioten" im Leninschen Sinn zu sehen, nur weil er jeden Affront gegen die Volksfront-Akteure aus dem eigenen Lager vermeiden will, macht sich selbst zu einem „nützlichen Idioten".
({19})
- Ich habe Lenin zitiert.
({20})
- Ich lese Zitate natürlich ab, Herr Kollege Conradi; sonst mache ich es aus dem Gedächtnis falsch.
({21})
Besonders schlimm ist die Verharmlosung der Unterwanderungsbemühungen der DKP gegenüber den Gewerkschaften. Der Kernsatz im Verfassungsschutzbericht 1978 lautet: „Die DKP tritt für starke Einheitsgewerkschaften ein und fordert ihre Mitglieder auf, aktiv in den Gewerkschaften mitzuarbeiten." Dagegen wäre wirklich überhaupt nichts einzuwenden; aber als Charakterisierung der DKP-Politik ist das doch wohl ein Hohn.
({22})
1976 hieß es an gleicher Stelle noch - ich zitiere -: ,,Die DKP versucht durch vorgebliche Loyalität, die Gewerkschaften langfristig in klassenorientierte Verbände zu verwandeln und schließlich als Hebel bei der Durchsetzung revolutionärer Ziele zu mißbrauchen." Warum, so frage ich, wird solches 1979 nicht mehr ausgesprochen? Am Ziel der Kommunisten hat sich seither nichts geändert. Ist es dies, was die Bundesregierung unter „Wandel durch AnnäheErhard ({23})
rung" versteht? Die Gewerkschaftsführung wehrt sich zur Zeit dagegen.
({24})
- Von unseren Gewerkschaften.
Die unverschämteste aller Antworten kam auf unsere Frage, warum seit 1977 zwar noch eine Ubersicht über rechtsextremistische, aber nicht mehr über linksextremistische Publikationen gebracht wird.
({25})
- Hören Sie doch einmal zu! - Antwort: Wegen der leichteren Erfaßbarkeit.
({26})
Drastischer können sich doch wohl die Anbiederung und auch die Feigheit nicht entlarven.
({27})
Seit Jahren loben sich die verschiedenen Innenminister selbst wegen der hochentwickelten Technik der Sicherheitsbehörden, besonders der vorzüglichen EDV-Anlagen, der Computersysteme. Aber eine statistische Ubersicht über die linksextremistischen Publikationen ist nicht mehr zu schaffen.
({28})
Sie müßten sich dann nämlich entscheiden, ob Zeitungen und Zeitschriften, wie „konkret", „Die Neue", die „Sozialistische Korrespondenz", „Links" und ähnliche Blätter, zum Linksextremismus zu zählen sind.
({29})
Nein zu sagen wäre bei den meisten unhaltbar. Ja zu sagen bedeutet den Konflikt mit den eigenen Mitgliedern in den Fraktionen der SPD und der FDP. - Deswegen schreit der Herr Conradi schon jetzt so laut.
({30})
Das wäre ein Konflikt mit den Jusos und Judos. Da weichen Sie, Herr Bundesinnenminister, lieber ins Schweigen aus. Kann so ein wahrheitsgemäßer Verfassungsschutzbericht eigentlich gegeben werden?
Die Bundesregierung bedauert im Vorspruch ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage, die Opposition führe die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus offenbar gegen die Regierung, nicht mit ihr. Daran ist jetzt hier bei uns etwas richtig; denn wir führen die Auseinandersetzung, Sie reden leider nur davon.
({31})
Sie behaupten jetzt, der Verfassungsschutzbericht sei ein wichtiger Beitrag zu dieser Auseinandersetzung. Ja, was gilt denn? Noch im Bericht 1976 heißt es ausdrücklich, dieser Bericht sei nicht als politische Auseinandersetzung zu verstehen. Es fehlt an jeder Bereitschaft der Bundesregierung, die Grenzbereiche zum politischen Extremismus, die Kollaborateure des Extremismus unmittelbar anzusprechen. Noch jedes Mal, wenn wir Sie darauf angesprochen haben, sind Sie ausgewichen.
Das Schlimmste ist, daß das opportunistische Ausweichen vor der Auseinandersetzung mit Links zwangsläufig auch böse Folgen gegenüber dem Rechtsextremismus hat. Kommunisten im öffentlichen Dienst wollen Sie dulden; allein in Hamburg haben wir inzwischen 300 kommunistische Lehrer.
({32})
Dann kann man natürlich auch Rechtsextremisten zumindest auf Dauer nicht außen vor der Tür halten, es sei denn, auch unsere Beamtengesetze werden antifaschistisch, im Sinne der Kommunisten, interpretiert. Verbotsvoraussetzungen werden mit Rücksicht auf linke Gruppen einengend interpretiert. Dann läuft man natürlich Gefahr, auch mit dem Verbot einer rechtsextremen Wehrsportgruppe ins Gedränge zu geraten. Wenn man sich von Herrn Wehner verbieten läßt, Haß gegen unsere freiheitliche Rechtsordnung von links beim Namen zu nennen, dann kann man ihn auch nicht mehr so bezeichnen, wenn er von rechts kommt.
({33})
Sie haben das linke Auge fest zugekniffen; da läßt dann über kurz oder lang auch das Sehvermögen des überstrapazierten' rechten Auges nach.
({34})
Meine Herren Kollegen, ich habe schon vor vielen Jahren im Hessischen Landtag dem Generalstaatsanwalt Bauer einmal gesagt, er sei auf dem linken Auge blind und rechts habe er eine Lupe; er sei auf dem linken Ohr hellhörig, rechts sei er taub.
({35})
So verliert der wichtige Verfassungsschutzbericht seinen Sinn und Wert. So wird in unserem Volk die Kenntnis über Gefahren der totalitären Bewegungen erschwert und die Bereitschaft zur Verteidigung der freiheitlichen Ordnung gelähmt. Verlassen Sie diesen Weg, Herr Bundesinnenminister! Nehmen Sie entschlossen und gemeinsam mit uns den Kampf gegen jeden Totalitarismus und Extremismus auf. Verunsichern Sie nicht weiter die Beamten, die mit dem besonderen Schutz der Verfassung beauftragt sind und die zunächst für Sie, aber auch für uns alle arbeiten.
({36})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt ({0}).
Verehrte Präsidentin! Meine. Damen und Herren! Wer immer sich die Mühe macht, die Debatten und die Entwürfe von Mitgliedern des Parlamentarischen Rates zum gerade entstehenden Grundgesetz zu lesen und nachzuverfolgen, der ist wohl angerührt von dem großen Ernst der damaligen Auseinandersetzung um den richtigen Weg, von der spürbaren Last, die die Ver18200
Brandt ({0})
antwortlichen, die allesamt ja die erste deutsche Republik sterben sahen, an ihrer eigenen politischen und individuellen Geschichte trugen, und der ist beeindruckt von dem großen Atem, der durch diese Auseinandersetzung zieht. Demgegenüber - aber nicht nur demgegenüber - ist das, was hier mit der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum „Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Berichterstattung der Bundesregierung über den Verfassungsschutz" in Frageform vorgelegt worden ist, eigentlich nichts als Gequengel.
({1})
Das zum einen Teil.
Zu einem anderen Teil sind die Fragen, wie ich meine, Ausfluß einer profunden Dummheit, Ignoranz und Arroganz dazu.
({2})
Das Schlimmste aber ist die Tatsache, daß aus einer ganzen Reihe von Fragen hervorgeht, daß die CDU/ CSU-Fraktion unausgesprochene, aber stillschweigend vorausgesetzte Grundübereinstimmungen offensichtlich aufzugeben bereit ist. Die Zielrichtung ist doch klar: Es ist der wiederholte, aber untaugliche Versuch, die Sozialdemokraten in ihrer Gesamtheit, zumindest aber zu Teilen, aus der Verfassung hinauszudrängen,
({3})
das Monopol für das rechte Verfassungsverständnis zu beanspruchen,
({4})
jede differenzierte und differenzierende Meinung als eine Art Dissidententum von der Rechtgläubigkeit zu brandmarken, und, wenn schon das Hinausdrängen nicht gelingt, wenigstens den Ruch des Verdachts der Unzuverlässigkeit in Sachen Verfassung auszubreiten.
({5})
- Ja, ja, Sie bestätigen es. - Sie vergessen, daß wir in solcherlei Dingen eine lange historische Erfahrung haben und deshalb etwas abgebrüht sind: angefangen von dem untauglichen Versuch, die Sozialdemokraten an den Rand des Staates zu drücken, um sie dann herauskippen zu können, Bismarcks Versuch mit dem Gesetz wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, Wilhelms ebenso untauglichem Versuch, die Sozialdemokraten als „vaterlandslose Gesellen" aus ihrer deutschen Identität zu drängen, bis zu dem untauglichen Versuch der Nazis, die Sozialdemokraten physisch zu vernichten und gleichzeitig durch Usurpation des Sozialismusbegriffs in seiner totalen Perversion eine
falsche Flagge zu setzen, ein Versuch, der ja späte Nachläufer noch heutzutage gefunden hat.
({6})
Und nun dieser Versuch, die Sozialdemokraten aus der Verfassung zu spülen. Meine Damen und Herren, das funktioniert nicht
({7})
Insgesamt wundert mich die Geduld, mit der die Bundesregierung die Bandwurmfragen - sie sind ebenso lang wie unappetitlich - beantwortet hat Dem Innenminister, der diese Fragen für die Bundesregierung beantworten mußte, gehört unser Mitgefühl,
({8})
daß er, obwohl unbezweifelbar Freidemokrat, gewissermaßen als verkappter Sozialdemokrat für christdemokratische Aversionen noch herhalten mußte.
({9})
- Sie könnten sich auch mal intelligentere Einwürfe einfallen lassen, Herr Jäger ({10}).
({11})
Aber zurück zu dem, was ich als „Gequengel' bezeichnet habe.
Wie unterscheiden sich die „grundlegenden Verfassungsprinzipien", die nach Auffassung der Bundesregierung allein Ziel „verfassungsfeindlicher" Bestrebungen sein können, von der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" im Sinne von Artikel 21 Abs. 2 GG in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts? Wenn nach Auffassung der Bundesregierung kein Unterschied besteht, warum bleibt sie nicht bei dem vom Grundgesetz verwendeten Begriff
Dann will die Opposition wissen, warum an einer anderen Stelle statt von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung von „freiheitlicher Ordnung selbst" die Rede ist Na, bitte schön, meine Damen und Herren: Das ist Gequengel ({12})
allerdings mit einem, wie ich meine, sehr ernsten Hintergrund.
({13})
Für das, was unsere Verfassung will und gesichert wissen will, reicht in der Tat die Bestimmung, daß die Grundordnung, die Verfassungsordnung in ihrem Kern demokratisch sein müssen, nicht aus. Dieser Begriff ist zu schillernd, zu vielfältig gebraucht und mißbraucht, als daß er allein viel erklärte.
({14})
Auf Demokratie, meist sogar unter dem Anspruch, die wahre Demokratie zu sein, berief sich unter anderem Hitler, vor ihm Mussolini, nach ihm
Brandt ({15})
Franco, aber auch kommunistisch-totalitäre Regime und viele autoritative Regierungen davor, daneben und wohl auch in Zukunft.
({16})
- Ich habe doch eine ganze Reihe Namen genannt.
Es muß hinzukommen, daß es freiheitlich-demokratisch zugehen müsse. Eine solche Grunderkenntnis sollte eigentlich zu dem unverlierbaren Kernbestand der Gemeinsamkeiten gehören, so daß darüber nicht diskutiert werden müßte, auch dann nicht, wenn hier oder dort, die Möglichkeit der Sprache nutzend, andere Begriffe benutzt werden, die erkennbar sinngleich sind.
({17})
Die Nutzung solcher Möglichkeiten hat sogar gegenüber der formelhaften Verwendung des komplexen Begriffs „freiheitlich-demokratische Grundordnung", in der polemischen Auseinandersetzung oft dann schon zur „FDGO" verkürzt,
({18})
den entschiedenen Vorteil, den Sinngehalt über die Formel zu stellen. Das ist, wie wir meinen, in vielfacher Hinsicht nötig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Langguth?
Die formelerstarrte Demokratie ist immer in der Gefahr,
Gestatten Sie keine Zwischenfrage?
Nein.
- sich in ihr Gegenteil zu verkehren.
Herr Kollege, würden Sie mir bitte antworten.
({0})
Ich habe dies nicht gehört. Ich bitte, diese Zurufe, mich korrigierend, doch zu unterlassen.
({0})
Es ist unbestritten: Die Kennzeichnung als freiheitliche Demokratie gehört so eng zu unserem Verfassungsverständnis, daß dies nicht immer wiederholt werden muß.
Gerhard Leibholz sieht hier die, wie er es nennt,
- er übernimmt da einen Begriff von Jellinek -„autonomen Schranken der Verfassung".
Denn hier
- so sagt er handelt es sich letzten Endes um die Frage, ob die demokratische Mehrheitsentscheidung im Sinne der „logique de la démocratie zur allmächtigen „volonté générale" sich erweitern und jeden beliebigen Inhalt annehmen kann, oder ob die materialen, normativen Gehalte, die in dem Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" enthalten sind, den Primat vor dem absoluten politischen Machtwillen der Mehrheit beanspruchen können.
Es ist diese Frage, in die das Bonner Grundgesetz sich einschaltet, wenn es die freiheitlichdemokratische Grundordnung unter erhöhten Verfassungsschutz stellt und es selbst dem Verfassungsgeber verwehrt, diese autonome Schranke der Verfassung in ihrem essentiellen Bestand anzutasten. Der Sinn dieses erhöhten Verfassungsschutzes besteht darin, den Willen der eventuell sogar verfassungsändernden Mehrheit dem Recht unterzuordnen und ihn an die in der Verfassung niedergelegten normativen Werte zu binden.
Leibholz fährt dann wenig später noch - diesen Gedanken ausformend, erweiternd - fort:
Das Bonner Grundgesetz hat somit nur das getan, was die Weimarer Reichsverfassung sehr zu ihrem Schaden aus einem falschen Verständnis des liberalen Freiheitsbegriffs heraus zu tun verabsäumt hatte. Denn wie jeder Verfassung kann auch einer liberal-demokratischen Verfassung nicht das Recht abgesprochen werden, sich gegenüber ihren Feinden mit den Waffen des Rechts zu schützen. Keiner Verfassung, auch nicht einer liberal-rechtsstaatlichen Demokratie kann zugemutet werden, daß sie die Voraussetzungen für ihre eigene Beseitigung sanktioniert und damit potentiell ihren Selbstmord legalisiert.
({0})
Wir können Gerhard Leibholz in diesen seinen Überlegungen und Schlußfolgerungen nur zustimmen. Ich denke, Sie auch. Auch dann, wenn er sich keineswegs sklavisch an den Begriff der freiheitlichdemokratischen Grundordnung hält. Entscheidend bleibt doch immer das Gemeinte, der Sinn und nicht das Formulierte. Wer willentlich und beabsichtigt sich selber das Nachdenken über den Inhalt und Sinn einer Formulierung verbietet und statt dessen synoptisch lediglich Wörter vergleicht, Formulierungen übereinanderlegt, um festzustellen, ob sie auch buchstäblich identisch sind, setzt keine guten, noch nicht einmal brauchbare Voraussetzungen für eine geistige Auseinandersetzung. Die Bundesregierung spricht deshalb zu Recht von „buchhalterischen Vergleichen mit Vorjahresberichten".
({1})
Ich kann freilich der Bundesregierung nicht zustimmen, wenn sie ihrem Bedauern darüber Ausdruck verleiht, daß die Opposition die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus - Sie haben es, Herr Erhard, auch aufgenommen - offenbar gegen die Regierung und nicht mit ihr zu füh18202
Brandt ({2})
ren suche. Es tut mir leid, aber ich kann in diesem Dokument, das sich „Große Anfrage" nennt, überhaupt keinen Ansatzpunkt geistig-politischer Auseinandersetzung finden.
({3})
- Seien Sie nicht so aufgeregt! - Wenn Sie schon mit akribischer Beharrung nur den Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung" verwendet wissen wollen und nichts anderes - mit der Begründung, das sei die Sprache des Grundgesetzes -, wieso eigentlich sind Sie dann an einem anderen Punkt viel weniger empfindlich? Das Grundgesetz kennt den Begriff ,,verfassungswidrig". Der Begriff ,,verfassungsfeindlich" entstammt nicht der Sprache des Grundgesetzes.
({4})
Dort heißt es:
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Tiber die. Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
({5}) Art. 21 Abs. 2.
({6})
- Ja, es muß Ihnen offensichtlich häufiger ins Gedächtnis zurückgerufen werden.
Nun sind sich alle, die Antrag beim Verfassungsgericht stellen dürfen, darüber einig, daß es aus politischen Opportunitätsgründen nicht zweckmäßig ist, in jedem Falle - wenn man auch der Meinung ist, diese oder jene Partei erfülle die Kriterien des Art. 21 Abs. 2 - den Verbotsantrag zu stellen und das Verfassungsgericht zu einer Entscheidung zu fordern. Die Verfassungswidrigkeit wird also von dem einzigen Organ, das das rechtsverbindlich feststellen kann, nicht festgestellt. Der Begriff „verfassungsfeindlich" weist sich daher als Nichtverfassungsbegriff und damit als politisch-polemischer Begriff aus - gegen den im übrigen nichts einzuwenden wäre, wenn sich an ihn nicht Rechtsfolgen knüpften, die sonst nur erreichbar wären, wenn die Verfassungswidrigkeit rechtsförmlich festgestellt wäre.
({7})
Man kann nicht beides, Herr Reddemann: Den Handlungsspielraum, für den viele gute Gründe sprechen, sich erhalten, indem man aus politischen Gründen kein Verbot herbeiführt, gleichzeitig aber die Nachteile, die eine solche Grundentscheidung auch hat, nicht hinnehmen wollen, indem man die individuellen Mitglieder einer nicht verbotenen
Partei so behandelt, als wäre diese Partei verboten.
({8})
Es reizt geradezu zum Lachen, wenn man auf der einen Seite die geschwollene Sentenz von der geistigen Auseinandersetzung zelebriert, es aber gleichzeitig vorzieht, dieser Auseinandersetzung doch lieber vorwiegend mit administrativen Mitteln zu begegnen.
({9})
Und der Gipfel der Unverfrorenheit, wie ich finde, ist es, wenn dann noch, wie in dieser Anfrage mehrfach zum Ausdruck kommt, diejenigen, die sich wirklich der geistigen Auseinandersetzung stellen, diffamiert werden als im Bündnis mit dem politischen Extremismus stehend.
({10})
In diesem Zusammenhang ist wohl auch die sprachliche Quengelei zu sehen,
({11})
hinter der natürlich die Lust zur Diffamie - ja, auch an den Hochschulen! - steht.
Frage:
Warum ist an die Stelle der Feststellung der Innenministerkonferenz, daß in solchen Organisationen günstigstenfalls „noch Raum für ein gewisses politisches Eigenleben bleibt", die verharmlosende und irreführende
- man' sieht, Sie liefern gleich die Antwort mit Formulierung gesetzt worden, daß „demokratische Mitglieder ihre Vorstellungen vertreten können"?
Die Bundesregierung muß die Antwort geben, die jeder halbwegs Intelligente sich selber hätte geben können: daß die beiden Formulierungen sich nicht widersprechen, weil dort, wo Raum für ein gewisses politisches Eigenleben geblieben ist, demokratische Mitglieder auch ihre Vorstellungen vertreten können. Ja, verdammt noch mal, sie müssen es sogar! Was für eine Sorte von geistig-politischer Auseinandersetzung meinen Sie denn eigentlich?
({12})
Wir sollten doch eigentlich froh sein, wenn demokratisch engagierte Mitglieder die Mühsal auf sich nehmen, mit ideologisch Verbarrikadierten und Verblendeten zu reden, sich tatsächlich mit ihnen auseinanderzusetzen, um sie für das Bessere zu gewinnen, eine Organisation nicht völlig abgleiten lassen in die Hände antidemokratischer Kräfte, sie dort
Brandt ({13})
dann ungehindert und unbeeinflußt schalten und walten lassen.
({14})
Wir sollten froh sein für jeden, der sich dieser Auseinandersetzung stellt, und ihn nicht schelten.
({15})
Es ist geradezu ein Zeugnis einer Widerwärtigkeit, etwa diejenigen unter meinen politischen Freunden in das Bündnisverdikt einzubeziehen, die etwa Mitglieder der PDI sind, den Sie ja für eine Verschwörerorganisation wider die Verfassung halten, was er nicht ist; oder diejenigen, die sich um die Naturfreunde-Jugend kümmern, dann nach ihren Erfolgen abgefragt wissen wollen. Das wäre im übrigen ein schönes demokratisches Verhalten: sich überall dort zurückzuziehen, wo auch Kommunisten auftauchen, und denen dann das Feld zu überlassen.
({16})
Ganz schlimm wird es aber, wenn diejenigen, die sich einer solchen Aufgabe aus ihrer Verantwortung stellen, dann selber auch noch Abdossierte des Verfassungsschutzes würden - mit all den Folgerungen, die darin enthalten sein können.
({17})
Das ist wahr: Der Verfassungsschutz soll - das ist seine Aufgabe, darin hat er unsere Unterstützung - Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beobachten, Regierungen, Parlamente und die gesamte Offentlichkeit unterrichten. Aber ich meine, es ist eine totale Perversion des Verfassungsschutzes und eine Belastung derer, die dort arbeiten, wenn er gewissermaßen zur obersten Einstellungsbehörde mißbraucht wird.
({18})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Es ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, meine ich, daß diesem Unfug ein Ende bereitet wird.
({0})
Es ist im Wesen einer Verfassung, daß sie über weite Strecken unterschiedliche Interpretationen zuläßt und erfordert. Insofern gibt es für die Verfassung auch keine absolute Rechtssicherheit ,Absolute Rechtssicherheit ist eine Illusion" - so sagt Hans Kelsen -, „und die traditionelle Jurisprudenz leugnet gerade deshalb die Möglichkeit verschiedener Auslegungen, die vom Rechtsstandpunkt gleichermaßen richtig sein können, und beharrt auf der Lehre, daß es immer nur eine durch die Rechtswissenschaft auffindbare richtige Auslegung gebe, ebenfalls nur, um diese Illusion im Bewußtsein des rechtssichernden Publikums aufrechtzuerhalten." - Soweit Hans Kelsen.
Das gilt natürlich auch für die Verfassung, die eine Verfassung ist, die unter maßgeblicher Mitwirkung von Sozialdemokraten zustande gekommen ist, die unsere Verfassung eben auch ist, ohne daß wir einen Alleinvertretungsanspruch auf die konstitutionelle Wahrheit und Weisheit erheben; eine Verfassung, die wir mit Zähnen und Klauen, aber auch mit Hirn gegen die verteidigen werden, die sie abschaffen wollen, egal auf welchem Wege.
({1})
Daß es autonome Schranken der Verfassung bezüglich ihrer Veränderbarkeit gibt, wurde schon gesagt. Daß aber auch autonome Schranken nichts nützen, wenn Revolutionen nicht nur Regierungen, sondern auch Verfassungen hinwegspülen, wissen wir auch. Aus diesem Grund ist es wichtig, genau zu beobachten, wer künstlich aus ideologischen Gründen solche Revolutionen provozieren möchte, wobei wir alle wissen, daß diese verschwindenden Minderheiten ohne Chance sind.
Es ist aber noch viel wichtiger, dafür zu sorgen, daß nicht breite Massen die Sehnsucht nach politischer Revolution erfüllen könnte, weil die bestehenden Verhältnisse unerträglich geworden sind. Beispiele für solch revolutionäres Potential gibt es in der Welt genug, Beispiele, die es bei uns nicht gibt. Damit das so bleibt, treten wir Sozialdemokraten weiterhin für eine Politik der Reformen ein, die künftige Revolutionen vermeidet und die Zustimmung der Mehrheiten zum politischen System auch sichert
({2})
Wir bekämpfen also alle, welche die Verfassung abschaffen oder beeinträchtigen wollen.
Meine Damen und Herren, es würde reizen - ich sehe, daß meine Redezeit zu Ende geht -, auf einige Fragen besonders einzugehen, weil sie in besonderer Weise jene Merkwürdigkeit zutage bringen, daß selbst bei Fragestellungen ein Grundkonsens ganz offensichtlich zerstört ist
Ich fasse daher abschließend zusammen.
({3})
Erstens. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ermutigt die Bundesregierung, den Verfassungsschutzbericht weiter zu straffen und auf diejenigen Erkenntnisse über den politischen Extremismus zu konzentrieren, die eindeutig und beweisbar wider Inhalt und Geist des Grundgesetzes gerichtet sind.
({4})
Zweitens. Die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion teilt die Auffassung der Bundesregierung, daß Verbotsanträge nicht deshalb nicht gestellt werden sollten, weil ihre Erfolgsaussicht zu gering wäre, sondern deshalb, weil die politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus wirkungsvoller ist. Die vernichtende Niederlage, die sich rechts- und linksextremistische Parteien bei jeder Wahl durch
Brandt ({5})
das Votum der Wähler holen, hat eine größere Wirkung als jedes Verbot.
({6})
Drittens. Das heißt nicht, daß auf das Mittel des Verbotsantrags gänzlich verzichtet werden sollte oder könnte. Es heißt aber, daß aus politischen Gründen darauf verzichtet werden kann und soll, da bis auf verschwindende Minderheiten die Wähler selber die Verfassungswidrigkeit bestimmter Parteien erkennen können und es des Richtspruchs nicht bedarf.
Viertens. Es bedarf des nachdrücklichen und ausdrücklichen Hinweises, daß es eine Ungereimtheit ist, die der Korrektur bedarf, wenn einerseits der Verbotsantrag aus politischer Opportunität unterlassen wird, andererseits aber Rechtsfolgen an die Mitgliedschaft bei diesen Parteien geknüpft werden, als sei diese Partei verboten.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, machen zum wiederholten Male den untauglichen Versuch, die Sozialdemokratie oder zumindest Teile der Sozialdemokratie in die Nähe des Extremismus zu rücken.
({7})
Die Sozialdemokratie bleibt, was sie sich als Forderung selbst aufgegeben hat: Partei der Freiheit des Geistes, Partei der offenen, freien Auseinandersetzung. Wir brauchen dazu auch die Offenheit der Verfassung, und wir werden uns dagegen wehren, daß der Versuch, an die Stelle der offenen Verfassung die geschlossene Interpretation der Verfassung zu setzen, an Boden gewinnt.
({8})
Der Versuch, die Sozialdemokratische Partei in Sachen Freiheit und Verfassung belehren zu wollen, belustigt uns etwas jüngere eher, als daß es uns ärgert. Wir verstehen aber, daß sich ältere Sozialdemokraten mit bestimmten Erfahrungen, die wir nicht haben, durch solche Plumpheiten verletzt fühlen können.
({9})
Deshalb noch einmal mit aller Deutlichkeit: Sozialdemokraten haben ihren politischen Weg mit dem der Demokratie identifiziert.
({10})
Ihr Wille zur Freiheit ist unzerbrechlich, aber auch ihr Wille zur Verwirklichung des freiheitlichen Sozialismus. „Für uns aber", so sagt Kurt Schumacher, „ist Sozialismus die ökonomische Befreiung der moralischen und politischen Persönlichkeit." So Kurt Schumacher auf dem ersten Parteitag der Sozialdemokratie. Daran hat sich nach dem 27. Parteitag der Sozialdemokratie nichts geändert.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Große Anfrage der Opposition sachlich und mit der selbstverständlichen Höflichkeit beantwortet. In Umwertung aller sprachlichen Werte hat Herr Kollege Erhard das als unverschämt bezeichnet. Ich meine, das Parlament hat ja auch ein Anrecht auf sachliche Beantwortung.
Die Bundesregierung ist im schriftlichen Teil des Verfahrens einer Großen Anfrage beinahe wehrlos; denn sie muß auch bei der finstersten Unterstellung noch so tun, als habe sie die böse Absicht nicht bemerkt, und kann allenfalls zu dem Mittel greifen, etwas unterkühlt zu antworten. In der parlamentarischen Debatte gelten ja nun andere Spielregeln. Deswegen will ich Ihnen gleich zu Anfang ganz klar und ungeschminkt meine Wertung dieser Großen Anfrage sagen.
Diese Große Anfrage ist ein Machwerk, eines von der ganz billigen Sorte, ein Machwerk, das der Bundesregierung und dem Verfassungsschutz Pflichterfüllung erschwert, das den Grundkonsens der Demokraten in Zweifel zieht, das Vertrauen zerstört, das demokratische Bürger traurig machen muß und, wie ich mir vorstellen kann, Extremisten jeder Couleur durchaus Freude bereiten kann.
({0})
Ich tue jetzt nicht den letzten Schritt, Herr Kollege Erhard,
({1})
und sage: Die Herabsetzung der Bundesregierung ist Ihnen alles. Das geht so weit, daß Sie den Schaden für unser Land bewußt in Kauf nehmen.
({2})
„Nicht" ist richtig! Ich sage das ausdrücklich nicht, weil ich Wert darauf lege, uns nicht Ihrem Trend an zuschließen, immer und immer erneut blind über das Ziel hinauszuschießen.
({3})
Aber ich stelle fest: Ihr Drang zur Konfrontation ist so groß, daß Sie den Blick für das Verhältnis von Aktion, Erfolg und Folgen verloren haben.
({4})
Der selbstgebastelte Schein scheint Ihnen zur Wirklichkeit zu werden.
Vielleicht haben Sie in ruhigen Momenten selbst das Gefühl, daß Sie den eigenen Parolen nicht mehr so ganz glauben können. Aber haben Sie einmal daran gedacht, wieviel schwerer es allen anderen sein muß, Ihre Konstruktionen ernst zu nehmen und daran zu glauben, daß es Ihnen um die Sicherheit dieses Landes und um nichts anderes geht, wenn Sie derartige Aktionen starten?
Herr Kollege Erhard, wir hatten ja ursprünglich als Redner den Erstunterzeichner dieser Anfrage, Dr. Dregger, erwartet. Ich habe nicht erwartet, daß
Sie den Versuch unternehmen würden, die Dinge wieder ins rechte Lot zu bringen. Aber ich habe, Herr Kollege Erhard, zumindest erwartet, daß Sie sich zum Text Ihrer Großen Anfrage bekennen und sie wenigstens in den wichtigen Punkten abschreiten und sich dabei auch an die - teilweise köstlichen und teilweise beschämenden - Formulierungen dieser Anfrage halten. Statt dessen sind Sie in die allgemeine Aussprache ausgewichen. Ich sage Ihnen, aus der Pflicht des Textes dieser Großen Anfrage entlassen wir Sie so schnell nicht.
({5})
Da ist es ganz aufschlußreich, was Sie zum Verfassungsschutzbericht 1978 so alles meinen, was Sie so fragen und wissen wollen. Dem eiligen Leser servieren Sie die Grundantworten bereits in der Einleitung, so wie im Vorblatt zu einem Gesetzentwurf. Herzlichen Dank für diese Vereinfachung. Dort erfahren wir dann gleich, daß die Bundesregierung Ihrer Pflicht im Bereich des Verfassungsschutzes nicht genüge.
({6})
Wir erfahren weiter, daß sie durch Teilnahmslosigkeit gegenüber der kommunistischen „Antifaschismuskampagne" die Grundübereinstimmung freiheitlicher Demokraten gefährde.
({7})
Ich habe trotzdem einmal weitergelesen und dabei weiteres sehr Interessantes erfahren. Zunächst einmal ist der Bundesregierung ihr Bemühen um sprachliche Vielfalt - „Wechsel im Ausdruck" hat man das früher im deutschen Aufsatz in der Schule genannt - nicht gut bekommen. Sie hat für den Begriff ,,freiheitlich - demokratische Grundordnung" mehrfach wertgleiche Begriffe verwendet. Das hat ihr nicht nur die Rüge der philologischen Oppositionsoberlehrer eingetragen, sondern zudem die gewaltige Unterstellung, sie sei auf Rücknahme von Positionen wehrhafter Demokratie bedacht.
({8})
Daß das Bundesverfassungsgericht mit einer Vielzahl guter, schöner und treffender Ausdrücke ebenfalls im Ausdruck wechselt, hilft der Bundesregierung nicht. Aber in derselben parlamentarischen Anfrage darf die Opposition ohne weiteres auch einmal den Ausdruck „freiheitliche Verfassungsordnung" dort verwenden, wo sie „freiheitlich-demokratische Grundordnung" meint; das macht dann plötzlich nichts. Das ist Ihnen, Herr Kollege Erhard, bei Ihrer Unterschrift als Oberzensor entgangen.
({9})
Das empfiehlt Sie in der Tat auch nicht für das Amt des Oberkorrektors beim Verfassungsschutz;
({10})
denn dafür hätte ich Sie gerne vorgeschlagen. Nach allem, was Sie in dieser Großen Anfrage geschrieben haben, etwa daß dafür gesorgt werden sollte, daß Rechts- und Linksextremismus im Verfassungsschutzbericht dieselbe Seiten- und Zeilenzahl zudiktiert bekommen, frage ich Sie: Ist das wirklich Ihre Vorstellung, ein Verfassungsschutz nach Schema F, nach Strichliste, mit einem Sprachregelungslexikon, Verfassungsschutz nach Buchhaltermanier? Ich frage Sie ernstlich: Ist dies Ihr Beitrag zur inneren Sicherheit dieser Republik?
Nun kann man dies alles mehr erheiternd nehmen. Ich meine aber, es wird bitter ernst, wenn Sie der Bundesregierung in höflicher Frageform unterstellen, sie halte die vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Parteiverbote oder die von ihren Vorgängern verfügten Vereinigungsverbote für nicht rechtmäßig oder nicht bindend.
Sie wissen so gut wie wir, daß das Opportunitätsprinzip des Grundgesetzes nach dem pflichtgemäBen Ermessen der Verantwortlichen auszufüllen ist. Wenn Sie hier anderer Meinung sein sollten und meinen, daß von diesem Ermessen Fehlgebrauch gemacht werde, dann steht es Ihnen frei, über den Bundesrat tätig zu werden. Dies ist in keinem einzigen Falle geschehen. Was soll also die Kritik? Wollen Sie die bewährte und gute Zusammenarbeit über Jahrzehnte zwischen Bund und Ländern im Bereich des Verfassungsschutzes hier in Frage stellen?
({11})
Was soll, so frage ich weiter, die kleinliche Unterstellung, im Bericht komme der Linksextremismus besser weg als der Rechtsextremismus?
({12})
Wenn man sieht, wie Sie sich in dieser Großen Anfrage bewegen, kommt einem fast die Idee, Sie wollten eine gesplittete Verfassungsschutzkompetenz, so etwa nach dem Motto: Auf die Rechten soll ja ruhig die Bundesregierung aufpassen ({13})
da nimmt sie es sowieso sehr genau -, aber es ist
Sache der Opposition, auf die Linken achtzugeben.
({14})
Aber dann drängt sich die Frage auf: Was soll eigentlich Ihre rührende Erkundigung in der Großen Anfrage, was denn dafür spreche, daß die Kroatische Christlich-Demokratische Bewegung als rechtsextremistisch zu qualifizieren sei? Ich verstehe ja gut, daß der Mißbrauch Ihres Namens durch Rechtsextremisten Sie stört; nur, was soll dies in einer Großen Anfrage? Der kurze Dienstweg oder eine kleine Erkundigung in der Parlamentarischen Kontrollkommission hätte genügt, um Ihnen erschöpfend und schnell Auskunft zu geben.
({15})
Ihr Wissensdurst ist auch dort unerschöpflich, wo es darum geht, die Namen von Organisationen festzustellen, auf die die Linksextremisten Einfluß zu gewinnen versuchen, oder wo Organisationen stel18206
lenweise Aktionsbündnisse mit Linksextremisten eingehen.
({16})
Ich kann Ihnen auf diese sicherlich sehr wichtige Frage für die Fraktion der Freien Demokraten wie auch persönlich eine klare Antwort geben. Dem Extremismus aller Schattierungen gilt unser Kampf;
({17})
den Personen und den Organisationen, die Zielobjekte dieses Extremismus sind, gilt, wer immer dies im einzelnen sein mag, unsere Wachsamkeit, gilt aber auch unser Bedauern.
({18})
Wir werden zunächst einmal im Blick auf diejenigen zu differenzieren haben, die einer demokratischen Organisation angehören, die zu unterwandern Linksextremisten sich auf den Weg gemacht haben. Wer hier nicht von vornherein das Feld räumt, wer hier steht, wer hier in der offensiven politischen Auseinandersetzung gegen Extremisten antritt, dem gilt unser Respekt. Diese Personengruppe ist aber deutlich von der Gruppe jener zu unterscheiden, die nicht den notwendigen Durchblick haben, die sich zu Bündnissen herbeilassen, die nicht richtig sein können und unsere Billigung niemals finden werden.
({19})
Der Extremismus wird am Widerstand freiheitlicher Demokraten scheitern, wenn diese Demokraten zusammenstehen
({20}) und sich nicht in kleinlichen Scharmützeln,
({21})
wie sie etwa durch Ihre Große Anfrage ausgelöst wurden,
({22})
gegenseitig aufreiben.
Auf der anderen Seite machen sich diejenigen, die blind oder dumm oder verblendet sind und dem Extremismus zunächst den kleinen Finger reichen und die dann vielleicht nicht mehr loskommen und die Hand und schließlich den Arm nicht mehr freibekommen,
({23})
selbst zu nützlichen Idioten, und wie immer der SchluBkampf zwischen der freiheitlichen Demokratie und dem politischen Extremismus ausgehen mag: Jene nützlichen Idioten werden immer im politischen Abseits und vielleicht auf dem politischen Müllhaufen der Geschichte landen.
Was ist die Bilanz des Verfassungsschutzberichts 1978? Es ist, sehr gerafft gesagt, die erfreuliche Feststellung, daß der Extremismus derzeit keine ernste Gefahr für unsere Grundordnung bedeutet, daß aber auch weiterhin Wachsamkeit notwendig ist.
Ich lade Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ein, den weiteren Kampf gegen den politischen Extremismus mit der und nicht gegen die Bundesregierung zu führen. Die Kontrolle einer Regierung ist eine vorrangige und wichtige Aufgabe gerade der parlamentarischen Opposition.
({24})
Aber vergessen Sie bitte nie: Wer sein Wächteramt mißversteht und nur noch argwöhnisch die anderen Wächter im Visier hat, dem kann es leicht passieren, daß ihm die eigentliche Gefahr schließlich aus dem Auge gerät. ,
({25})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Baum. .
({0})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, trotz aller Meinungsverschiedenheiten hat sich die Debatte bisher in einem ruhigen Ton entwickelt, und ich möchte hier keine Ausnahme machen. Ich weiß nicht, was noch kommt, Herr Kollege Spranger, aber es gibt ja die Möglichkeit, dann noch etwas hinzuzufügen.
Ich habe zunächst die Feststellung zu machen, daß der Staat vom Vertrauen seiner Bürger lebt und daß dies nicht selbstverständlich ist, sondern daß der Staat um das Vertrauen seiner Bürger werben muß, daß er Vertrauensgrundlagen schaffen muß. Das kann man nicht mit administrativen Maßnahmen - da hat der Kollege Brandt völlig recht -, sondern hier beginnt die politische Diskussion, auch die politische Diskussion, die politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus.
Der Staat muß für die Sicherheit der Bürger sorgen, er darf die Bürger aber nicht vereinnahmen. Ich meine, Vertrauenswerbung heißt auch, dem Bürger einen Vertrauensvorschuß zu geben, ihm die Möglichkeit auch zu kritischem Engagement einzuräumen und ihm im Falle des Fehlverhaltens die Chance zum Neubeginn zu geben. Das ist die Grundlage der politischen Diskussion, die wir heute führen sollten, Herr Kollege Erhard,
({0})
und ich glaube nicht, daß die Beiträge, die Sie bisher geliefert haben, dazu viel beigetragen haben, diesen Vertrauensvorschuß zu geben. Wir sind in eine kleinliche Diskussion des Abhakens irgendwelcher Mitgliedschaften oder Beteiligungen geraten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Herr Bundesminister, glauben Sie, ich könnte so tun, als wären diejenigen, die Extremisten sind, hier im Hause oder auf der Regierungsbank, um dann eine solche Diskussion zu führen? Ich muß die Diskussion doch wohl mit Ihnen führen, damit wir sie gemeinsam draußen mit den anderen führen können.
Gut, Herr Kollege Erhard, aber dann bitte doch auf der immer noch vorhandenen gemeinsamen Grundlage. Hier bestand doch der Zweifel, ob Sie Verdächtigungen nicht benutzen, um uns, die anderen Parteien, die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten, als eben nicht verfassungstreu hinzustellen. Sie haben hier doch mehr oder minder deutlich den Versuch gemacht - auch mit der ganzen Anfrage -, uns zu verdächtigen, als meinten wir es mit unserer Verfassung, mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht so ernst wie Sie. Das ist nicht der Fall.
({0})
Sozialdemokraten und Freie Demokraten stehen zu dieser Grundordnung.
({1})
Wenn wir diese Diskussion, Herr Kollege Lenz, von einer Basis führen, die nicht von diesem Konsens bestimmt ist, wird sie außerordentlich schwierig. Wir hatten diesen Konsens 30 Jahre lang. Wir sollten ihn bei allen Meinungsunterschieden wirklich nicht verlassen.
({2})
Wir haben den gemeinsamen Konsens dieser freiheitlichen Grundordnung, meine Damen und Herren.
({3})
Herr Bundesminister, Herr Dr. Langguth würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie die?
Bitte, ja.
Bitte.
Herr Bundesminister, ist das Wort „Verdächtigungen" dann richtig, wenn wir in der Großen Anfrage konkret fragen, warum z.B. Parteifreunde aus Ihrer Partei oder der SPD an Hochschulen der Bundesrepublik mit Kommunisten Aktionsbündnisse eingehen,
({0})
und feststellen, daß Studentenregierungen durchaus von Demokraten gemeinsam getragen werden könnten, wenn man auch mit dem RCDS Koalitionen einginge?
Herr Kollege Langguth, das können Sie gerne kritisieren. Ich werde dazu auch einige Ausführungen machen.
({0})
Sie kritisieren es aber mit dem Ziel, nicht nur diese Personen zu treffen, sondern die Parteien zu treffen, die hier sitzen. Das ist doch der Unterschied.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, davon Kenntnis zu nehmen, daß wir jederzeit mit Ihnen gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen kämpfen werden, daß wir aber nicht bereit sind, solchen Bestrebungen tatenlos zuzuschauen und einfach nur in der Landschaft herumzustehen?
Gut, Herr Kollege Lenz. Wir stehen auch nicht tatenlos im Gelände herum. Wir, die Parteien des Deutschen Bundestages, unternehmen alle - jeder auf seine Weise -etwas, um diese Verfassungsordnung in jeder Hinsicht, auch etwa durch unsere Sozialpolitik, stabil zu halten. Wir sollten uns doch nicht gegenseitig verdächtigen, daß wir diese freiheitliche Grundordnung durch Fehlverhalten gefährden. Wenn wir dies tun, würde die heutige Debatte, Herr Lenz, eine Zäsur bedeuten. Denn bisher ist das in dieser Form, jedenfalls was die Abwehr von Verfassungsfeinden angeht, nicht geschehen.
Ich bin also der Meinung, daß wir nicht etwa zu einer pauschalen Verdächtigung von Demokraten kommen dürfen
({0})
- warten Sie doch erst einmal ab, bis ich den Satz beendet habe, Herr Kollege Klein -, die in Organisationen mitwirken, die kommunistisch beeinflußt sind. Das ist einer der wesentlichen Streitpunkte in den Verfassungschutzberichten. Ich bin der Meinung - deshalb haben wir die Berichte in den letzten Jahren auch differenziert abgefaßt -, daß wir hier den einzelnen, den einzelnen Bürger sehen müssen. Ich habe Respekt vor den Demokraten - da stimme ich dem Herrn Kollegen Brandt zu -, die die Auseinandersetzung mit den Extremisten in diesen Organisationen aufnehmen - dies ist notwendig -,
({1})
wenn sie dabei
({2})
- so füge ich hinzu - ihrer eigenen demokratischen Position treu bleiben, was in der Mehrzahl der
Fälle auch geschieht. Dies müssen wir ihnen zugestehen. Wir dürfen daraus keine negativen Folgen für diese Bürger ableiten. Auch der Verfassungsschutzbericht darf dazu keine Handhabe bieten. Deshalb haben wir ihn neu formuliert, um diese Mißverständnisse möglichst auszuschließen.
Der jährliche Verfassungschutzbericht soll eine breitere Offentlichkeit auf die Gefahren aufmerksam machen, die unsere Freiheit bedrohen könnten. Wenn diese Gefahren allerdings übertrieben dargestellt werden - das hat der Bundeskanzler bei seinem Besuch im Bundesamt in Köln vor einigen Wochen zu Recht gesagt -, stumpft die öffentliche Meinung so ab, daß sie die wirklichen Gefahren nicht mehr erkennt. Einiges von dem, was Sie gesagt haben, könnte in diese Richtung gehen, Herr Kollege Erhard. Wir müssen bei der Darstellung der Gefahren sehr nüchtern bleiben. Einige Gefahrenpunkte werde ich gleich selber aufzeigen.
Ich habe die Anfrage der Oppositon als Gelegenheit begrüßt,
({3})
die Haltung der Bundesregierung gegenüber dem politischen Extremismus erneut darlegen zu können. Auf die zum Teil buchhalterischen Fragen im einzelnen einzugehen, werden Sie mir hier sicherlich ersparen. Ich habe es in der schriftlichen Antwort versucht, die hier ja schon Gegenstand der Diskussion war.
Zwei Punkte möchte ich hier herausgreifen: Die Opposition hat mir lückenhafte und verzerrte Darstellung im Verfassungsschutzbericht 1978 unterstellt. Richtig ist, daß der Bericht für das Jahr 1978 nicht wörtlich mit dem Bericht für das Jahr 1977 übereinstimmt. Ich wehre mich aber, Herr Kollege Erhard, entschieden gegen den Vorwurf der Beschönigung. Der Verfassungschutzbericht ist keine lückenlose Darstellung, er ist kein abgeschlossenes Kompendium, sondern er zeigt Tendenzen auf, er ist eine Information für den Bürger. Aber er ist kein Nachschlagewerk über einzelne Organisationen, sondern er gibt Trends und Tendenzen wieder. Diese Trends und Tendenzen - das sage ich hier mit allem Nachdruck - sind im Bericht 1978 der Wahrheit gemäß wiedergegeben. So wird es auch im Bericht 1979 sein.
({4})
Es wird auch nicht, Herr Kollege Erhard, von Einschätzungen und Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts abgewichen. Nennen Sie mir eine Stelle, wo das geschieht! Es gibt auch keine Erklärungen der Bundesregierung, wonach Einzelpersonen - Sie haben das heute noch einmal gesagt - nicht Träger verfassungsfeindlicher Bestrebungen sein können. Wir sind allerdings der Meinung, daß eine Ausuferung des Begriffs „verfassungsfeindliche Zielsetzung" als bedenklich angesehen werden müßte. Wir sollten uns sehr überlegen, in welchen Fällen wir dieses Wort hinsichtlich einzelner Organisationen benutzen. Ich halte überhaupt nichts davon, wenn wir einzelne Bürger in der politischen
Diskussion, in der politischen Auseinandersetzung etwa als Person als „Verfassungsfeinde" bezeichnen. Das trägt nicht zur Sachlichkeit der Auseinandersetzung bei.
({5})
- Ja, gut. Einzelpersonen sind natürlich Träger verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Darüber gibt es gar keinen Zweifel, Herr Erhard. Aber ich warne davor, die Formulierung „verfassungsfeindliche Zielsetzung" ausufernd zu benutzen und einzelne Bürger als „Verfassungsfeinde" abzustempeln. Diese Art der Auseinandersetzung möchte ich nicht führen.
({6})
Sie verkennen auch die Funktion des Berichts. Er ist ein Informationsbeitrag zur politischen Auseinandersetzung. Ich sage auch an dieser Stelle, was ich auch in den Vorworten in den letzten beiden Jahren deutlich gemacht habe: Rechtsfolgen dürfen unmittelbar aus dem Bericht nicht abgeleitet werden. Dies ist nicht die Funktion des Berichts. Er soll, wie gesagt, nicht einmal eine lückenlose Darstellung der Situation bieten.
({7})
Wichtig ist doch, daß die grundsätzlichen Aussagen zum politischen Extremismus auch im Jahresbericht 1978 unverändert sind, daß also weder Rechtsextremismus noch Linksextremismus derzeit eine ernsthafte Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellen. Wenn es auch Tendenzen gibt, die mit Wachsamkeit verfolgt werden müssen, ist es so nach dreißig Jahren Bundesrepublik: weder Rechts- noch Linksextremismus stellen eine ernsthafte Gefahr für unsere freiheitliche Ordnung dar.
({8})
Die Opposition meint und führt dazu die Bewertung der Bündnispolitik an, die klare Scheidung zwischen den verschiedenen Gruppen freiheitlicher Demokraten einerseits und den Anhängern totalitärer politischer Ideologien andererseits drohe verlorenzugehen.
Diese Sorge teile ich nicht. Für die Bundesregierung ist die DKP eine Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung. Ober die Bündnispolitik der DKP und ihrer Nebenorganisationen hat die Bundesregierung in den jährlichen Verfassungsschutzberichten berichtet. Sie hat diese Bündnispolitik immer, Herr Kollege Erhard, eindeutig bewertet, auch in Anfragen, die wir beantwortet haben - und es waren ja viele in den letzten Jahren. Für die Bundesregierung ist eindeutig, was die DKP mit ihrer Bündnispolitik bezweckt. Sie will mit nichtkommunistischen Kräften, wenn möglich mit Mitgliedern demokratischer Parteien und Organisationen Bündnisse eingehen, um auf diesem Weg größeren politischen
Einfluß zu erlangen, als ihr aus eigener Kraft möglich wäre. Kurz gesagt: Demokraten sollen als Mittel zum Zweck gebraucht werden.
({9})
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben sich wiederholt gegen derartige Bündnisse mit Kommunisten ausgesprochen. Dies ist das Faktum. Dies können Sie uns nicht absprechen.
({10})
Ich möchte aber vor einer Dramatisierung derartiger Bündnisse warnen. Mitglieder und Wählerzahlen hat der Linksextremismus hierdurch nicht erhöhen können. An den Hochschulen, wo die Bündnispolitik die breitere Basis hat, handelt es sich häufig um ein Protestverhalten von Teilen der jüngeren Generation, das mit kommunistischen Zielen ansonsten nichts zu tun hat.
({11})
Dies geht auch aus einer Untersuchung hervor, die Rudolf Wildenmann in den letzten Tagen publiziert hat.
Staatliche Überreaktion, und sei sie auch nur verbaler Art, die Verteufelung besonders engagierter Demokraten kann auch zu unerwünschten Trotzreaktionen führen. Die Einstellung „Jetzt erst recht mit den Kommunisten!" hilft uns nicht weiter. Sie hilft aber der DKP oder ihrer bündnisführenden Organisation und schadet damit unserer Demokratie. Ich sage noch einmal: Ich habe Respekt vor den Demokraten, die sich dieser Auseinandersetzung nicht entziehen; auch an den Hochschulen.
Ein Hauptziel der Bündnispolitik, gesellschaftlich Reputation und gesellschaftlich Anerkennung zu finden, wird in der Bundesrepublik anders als in westeuropäischen Staaten nicht erreicht. Dazu hat wesentlich auch die Geschlossenheit der demokratischen Parteien beigetragen. Ich sage noch einmal, Herr Kollege Erhard: Auch der Wahlkampf darf nicht dazu führen, daß diese Basis der gemeinsamen Bewertung aufgegeben wird. Ich appelliere deshalb an die Opposition - ich wiederhole die Worte, die hier schon einmal gefallen sind -, die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus nicht gegen, sondern gemeinsam mit der Regierung und den Koalitionsfraktionen zu führen. Dazu trägt nicht bei, Herr Kollege Erhard, wenn Sie uns unterstellen - Sie haben das wörtlich so gesagt -, wir seien auch auf dem linken Auge blind. Ich weise diesen Vorwurf entschieden zurück. Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt.
({12})
Lassen Sie mich kurz sagen, vor welchem Hintergrund wir diskutieren, wie sich die Probleme darstellen, die sich auch in dem Verfassungsschutzbericht 1979 wiederfinden werden. Eine der größten Gefahren für die innere Sicherheit war in den letzten Jahren der Terrorismus. Die gewaltsamen Aktivitäten terroristischer Gruppen in der Bundesrepublik haben zwar nachgelassen, die Gefahr ist aber
nicht beseitigt. Insbesondere die Rote Armee Fraktion ist nach wie vor imstande, terroristische Aktionen durchzuführen. Das terroristische Umfeld, dem es jedenfalls an einer zentralen Koordinierung und Steuerung, wie sie früher vorhanden war, fehlt, bietet ein uneinheitliches Bild. Die Unterstützung terroristischer Gewalttäter erfolgt in letzter Zeit in überwiegend agitatorischen Einzelaktionen, die weitgehend ohne Resonanz blieben. Als Rekrutierungsbasis für den harten terroristischen Kern hat dieser Bereich auch weiterhin Bedeutung.
Die Fahndungserfolge, auch durch Mitwirkung des Verfassungsschutzes, sind beachtlich. Unsere Maßnahmen haben offensichtlich gegriffen. Die Logistik der Terroristen konnte gestört, allerdings nicht zerstört werden. Von 21 der Beteiligung an der Ermordung Bubacks, Pontos und Schleyers sowie deren Begleiter Verdächtigen sind 11 Personen in Haft, 2 nicht mehr am Leben, 8 werden noch gesucht. Seit Anfang 1977 wurden 35 konspirative Wohnungen entdeckt.
Im Zusammenhang mit den fünf Festnahmen am 5. Mai 1980 in Paris möchte ich ein Wort zur internationalen Zusammenarbeit sagen. Die seit langem bestehenden hervorragenden Kontakte im bilateralen europäischen Bereich sind in letzter Zeit in den außereuropäischen Bereich, insbesondere in den arabischen Raum, ausgebaut worden. Diese Kontakte sind entgegen manchen Unkenrufen nützlich und wertvoll. Unser Ziel ist es, die Luft für die Terroristen im Ausland noch dünner werden zu lassen, den Aufbau einer Logistik im Ausland zu verhindern, ihre Ruhe- und Planungsräume einzuengen. Unser Ziel ist es auch, das Rückkehrangebot an Terroristen aufrechtzuerhalten.
Der Extremismus stellt weiterhin keine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung dar; ich habe das schon ausgeführt. Die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung lehnt den Rechtsextremismus scharf ab. Die größte rechtsextremistische Partei, die NPD, verliert weiter an Mitgliedern. Das rechtsextremistische Lager ist insgesamt zersplittert.
Die erhebliche Zunahme insbesondere neonazistischer Ausschreitungen und die Bereitschaft, terroristische Gewaltmethoden zur Durchsetzung rechtsextremistischer Ziele anzusetzen, gab für die Jahre 1978 und 1979 Anlaß zur Besorgnis. Eine konsequente Anwendung der entsprechenden Strafbestimmungen seitens der Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie andere staatliche Maßnahmen haben - dies ist eine erfreuliche Feststellung heute - in letzter Zeit bei einigen neonazistischen Gruppen zu einem deutlichen Nachlassen ihrer Aktivitäten geführt. Wachsamkeit ist nach wie vor geboten. Wir haben die Toleranzgrenze mit dem Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann markiert.
Wie die Rechtsextremisten sind auch die linksextremistischen Kräfte keine ernsthafte Gefahr für unsere demokratische Grundordnung. Den Aktivitäten der orthodoxen Kommunisten, über deren Bündnispolitik ich bereits gesprochen habe, steht eine stark nachlassende Handlungsfähigkeit in weiten Bereichen der sogenannten Neuen Linken ge18210
genüber. Vor allem die dogmatischen kommunistischen Gruppen, die K-Gruppen, haben beträchtlich an Mitgliedern verloren: eine hat sich sogar aufgelöst. Die Diskussion, ja oder nein zur Gewalt, ist dort mit wachsender Tendenz zu einer distanzierteren und differenzierteren Haltung zur Gewaltanwendung im Gange.
Die Selbstauflösung der KPD verdeutlicht diese Entwicklung; sie ist aber auch ein Beweis für die Richtigkeit unserer Politik. Ich wiederhole das, was Herr Kollege Brandt hier gesagt hat: Der politischen Auseinandersetzung mit dem Extremismus ist grundsätzlich der Vorrang vor Verboten zu geben. In dieser Frage wird die Bundesregierung übrigens durch die Haltung der Bundesländer bestätigt, die von ihrer Möglichkeit, über den Bundesrat einen Antrag auf Verbot einer Partei zu stellen, keinen Gebrauch gemacht haben.
Die Wahlergebnisse der letzten Jahre haben die geringe Resonanz des Linksextremismus in der Bevölkerung besonders deutlich gemacht. Insbesondere gilt das auch für das Wahlergebnis in Baden-Württemberg, das zu einer starken Reduzierung der DKP-Stimmen geführt hat.
Lediglich in der Studentenschaft ist der linksextremistische Einfluß erheblich stärker als in der Gesamtbevölkerung. Der undogmatische Flügel der sogenannten „Neuen Linken" der sich insgesamt besser als die dogmatischen Gruppen hält, hat in den Studentenvertretungen nach wie vor eine relativ starke Position.
Ich möchte noch ein Wort zu den Demonstrationen sagen. Es hat den Anschein, daß die gewalttätigen Ausschreitungen zunehmen. Bremen, Berlin und Hamburg waren ernst zu nehmende Signale, ernste Vorgänge.
({13})
Dennoch gilt es, den Blick für die im ganzen erfreuliche Entwicklung der friedlichen Demonstrationen nicht zu verlieren. Meine Damen und Herren, uns liegt eine neue Statistik vor, wonach der Anteil der gewalttätigen Demonstrationen an den Demonstrationen insgesamt im Vergleich zwischen 1977 und 1979 um ca. zwei Drittel zurückgegangen ist.
({14})
- Die absoluten Zahlen kann ich nachliefern. Der Ausländerextremismus bereitet uns Sorge. Links- wie rechtsextremistische und extrem nationalistische Organisationen haben starken Zulauf. Dem entspricht eine zunehmende Bereitschaft ausländischer Extremisten zur Gewaltanwendung.
Die politische Polarisierung innerhalb der größten Ausländergruppe in der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb der Türken, hat sich verstärkt. Die Gefahr, daß die Agitation unter den Türken noch mehr als bisher in Gewalt umschlägt, ist groß. Die Sicherheitsbehörden des Bundes sind angewiesen, die Entwicklung mit größter Aufmerksamkeit zu beobachten. Ich habe die Länder gebeten, alle Möglichkeiten des Ausländer-, Polizei- und Strafrechts auszuschöpfen. Die Innenminister werden sich in dieser Woche mit dieser Frage befassen. Aber ich möchte hinzufügen, damit hier keine falschen Frontstellungen aufgebaut werden: Der weitaus größte Teil aller Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland verhält sich gesetzestreu.
Meine Damen und Herren, wenn Sie heute eine Diskussion über einen Bericht führen und ihn geradezu exegetisch mit semantischen Spielereien auszulegen versuchen, dann möchte ich Sie nur darauf hinweisen, Herr Kollege Erhard,
({15})
daß die eigentliche Diskussion über den Verfassungsschutz an anderer Stelle stattzufinden hat. Ich werde dies jetzt noch kurz darlegen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, meinen Sie, wir befänden uns nur in semantischen Bereichen. Ich darf Ihren Verfassungsschutzbericht zitieren, der Ihre Unterschrift trägt:
Die Bundesregierung hielt dabei eine Ausuferung des Begriffs „verfassungsfeindliche Zielsetzung" in der politischen Diskussion und Aufklärungsarbeit für bedenklich. Sie bezieht diesen Begriff ausschließlich auf Organisationen und legt Wert darauf, daß .. .
Ist es Semantik, wenn wir sagen, Sie nehmen hier eine gänzlich neue Inhaltsbestimmung vor?
Nein, das ist ein völliges Mißverständnis. Träger verfassungsfeindlicher Bestrebungen sind natürlich auch Einzelpersonen, aber sie werden nicht im Verfassungsschutzbericht bezeichnet. Bezeichnet werden einige wenige Organisationen; das ist seit Jahren so, daran hat sich nichts geändert. Sie haben uns einmal in einem anderen Zusammenhang nach der Einschätzung einzelner Personen gefragt. Herr Kollege Erhard, ich lehne es für die Bundesregierung ab, einzelne Personen derart zu klassifizieren. Wir haben den Auftrag, Tendenzen festzustellen,
({0})
die unsere Verfassungsordnung möglicherweise zu gefährden beginnen, aber wir haben als Politiker nicht den Auftrag, derartige Urteile über einzelne Personen zu fällen, und zwar mit möglicherweise sehr nachteiligen Folgen.
({1})
- Ja, der ist ja leider nie zur Anwendung gekommen, Herr Kollege, wie Sie wissen. In einem rechtsradikalen Fall hätte ich gern gewünscht, daß er zur Anwendung gekommen wäre.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Eine weitere Frage, Herr Bundesminister. Kommt es darauf an, ob man einen Begriff generell verändern will, daß also verfassungsfeindliche Bestrebungen nur von Organisationen verfolgt werden können, wie Sie sagen, oder kommt es darauf an, im Verfassungsschutzbericht die Tendenzen aufzuzeigen und nicht Einzelpersonen zu nennen? Wir wollen keine Einzelpersonen genannt wissen, wir wollen aber die Begriffsinhalte nicht verändert wissen. Sehen Sie den Unterschied nicht?
({0})
Sie verkennen völlig, was die Diskussion der letzten Jahre erbracht hat, Herr Kollege Erhard. Die Diskussion der letzten Jahre hat die Erkenntnis erbracht, daß beispielsweise einige Einstellungsbehörden aus der Feststellung der Mitgliedschaft in einer Organisation mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung automatisch Konsequenzen gezogen haben. Deshalb mußten wir in diesem Vorwort sagen, daß dies nicht zulässig ist, daß dies sogar dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts widersprechen würde. Deshalb haben wir gesagt: Im Verfassungsschutzbericht nennen wir nur Organisationen; automatische Folgerungen in bezug auf die Mitgliedschaft in diesen Organisationen dürfen nicht gezogen werden. Wir haben doch solche Fälle erlebt, etwa in Bayern, meine Damen und Herren. Und diese Fälle sollten vermieden werden.
({0})
Ich habe noch einmal die Bemerkung zu wiederholen, daß Sie sich meines Erachtens auf einen Kriegsschauplatz begeben haben, der keiner ist. Die eigentliche Diskussion über den Verfassungsschutz findet an anderer Stelle und in anderen Bereichen statt. Sie führen sie zum Teil mit, wenn ich etwa an das Melderechtsrahmengesetz erinnern darf, Herr Kollege Erhard. Hier werden neue Rechtsgrundlagen geschaffen, die die Arbeit des Verfassungsschutzes effizient halten sollen, möglicherweise noch effizienter machen sollen, die aber gleichzeitig Bürgerrechte wahren sollen.
Wir sind also seit Jahren bemüht, durch klare rechtliche Regelungen Angriffe auf den Verfassungsschutz abzuwehren und die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in die Lage zu versetzen, auf unbezweifelbaren rechtlichen Grundlagen zu arbeiten. Diese Vertrauenswerbung für die Arbeit des Verfassungsschutzes ist notwendig; denn es ist kein Geheimnis, daß etwa Teile der jungen Generation dieses Vertrauen in den Verfassungsschutz nicht haben. Ich habe es mir zu Beginn meiner Amtszeit als meine Aufgabe gesetzt, zu dieser Vertrauenswerbung beizutragen. Dazu gehört, daß man unbezweifelbare Datenschutzvorschriften auch für den Verfassungsschutz einrichtet. Dazu gehört, daß wir klare Löschungsfristen für den Verfassungsschutz vorsehen - was jetzt durch eine Vereinbarung der Ämter des Bundes und der Länder geschehen ist. Dazu gehört, daß man Polizei und Nachrichtendienst in ihrem Informationsverbund auch trennt, wie das die Präsidenten beider Ämter jetzt vereinbart haben. Dazu gehört, daß wir keine Ausuferung in der Art von Regelanfragen zulassen, etwa im Bereich der Lufthansa oder der Bundeswehr.
Alles dies sind vertrauensbildende Maßnahmen für den Verfassungsschutz. Das ist der Versuch, durch eindeutige, klare Rechtsgrundlagen, etwa auch in der Definition der Amtshilfe, festzulegen: Wann, unter welchen Voraussetzungen darf eine Polizei, die Grenzpolizei, dem Verfassungsschutz Informationen über Personen geben, und was geschieht dort mit diesen Informationen? Das, Herr Kollege Erhard, ist das eigentliche Diskussionsfeld. Dort entscheidet sich, ob der Verfassungsschutz effizient bleiben kann, und dort entscheidet sich auch, ob er das Vertrauen der Bürger hat. Ohne das Vertrauen der Bürger kann er auf Dauer nicht effizient arbeiten.
Dazu hätten wir im einzelnen debattieren sollen. Ihre Anfrage hat uns leider von dieser Diskussion weggeführt, in eine Debatte, die eigentlich überflüssig gewesen wäre.
({1}) - Das ist meine Meinung.
({2})
Ich stelle abschließend fest: Die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland ist gewährleistet. Die Stabilität unserer Demokratie und ihrer rechtsstaatlichen Verfassungsordnung hat sich 30 Jahre lang erwiesen. Weder rechts- noch linksextremistische Bestrebungen konnten sie wirklich gefährden.
Die Sicherheitsorgane brauchen das Vertrauen aller, um effizient arbeiten zu können. Die stärkste Vertrauensbasis sind eindeutige Rechtsgrundlagen und klare rechtliche Grenzen. Darauf haben Angehörige der Sicherheitsorgane ebenso Anspruch wie die Bürger.
Der Besuch des Bundeskanzlers im November 1979 beim Bundesamt für Verfassungsschutz war ein sichtbares Zeichen für die Anerkennung und Unterstützung, die der Verfassungsschutz in der Bundesregierung hat. Wir haben vor, noch in diesem Jahr diese 30 Jahre Verfassungsschutz in einer Festschrift zu würdigen, für die wir namhafte Vertreter aus Wissenschaft und Publizistik gewonnen haben.
Den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes gebührt unser Dank für ihre wichtige Arbeit, zu der auch die Mitarbeit an der ständigen Weiterentwicklung des Grundrechtsschutzes der Bürger gehört. Diese Weiterentwicklung der tatsächlichen und rechtlichen Garantien des Bürgers auch gegenüber dem Bereich der inneren Sicherheit bleibt eine der wesentlichen Aufgaben, die dieses Hohe Haus auch und erst recht in den nächsten Jahren beschäftigen werden.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns nicht gegenseitig der demokratischen Unzuverlässigkeit verdächtigen. Undifferenzierte Pauschalurteile tragen zur demokratischen Stabilität nicht bei.
Mit dieser Anfrage und ihrer Behandlung hat die Opposition keine Maßstäbe für den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gesetzt, die in die Zukunft weisen würden.
Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1979, meine Damen und Herren, werden wir die Linie fortsetzen, die wir in den letzten Jahren eingeschlagen haben. Diese Debatte hat mich darin bestärkt.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der maßlosen und grobschlächtigen Polemik der Herren Baum, Engelhard und Brandt
({0})
stelle ich mit großer Befriedigung fest: die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion muß offenbar ein Volltreffer gewesen sein.
({1})
Ich glaube, hier haben wir exakt einen sehr wunden Punkt der Koalitionsparteien getroffen. Nach dem Motto ,,Angriff ist die beste Verteidigung" griff man nun als Reaktion voll in die Agitationskiste.
({2})
Auch das zeigt das Ausmaß der Peinlichkeit und der Verlegenheit, in die wir Sie, von der Koalition, mit dieser Großen Anfrage ganz zweifelsohne gebracht haben.
Herr Baum betont, die FDP und auch die SPD stünden auf dem Boden dieser Verfassung. Herr Brandt behauptete, wir würden Sie aus dieser Position herausbringen. Ich weiß nicht, was der Anlaß einer solchen Feststellung war, warum es überhaupt notwendig ist, das zu sagen; mich wundert dies an sich. Nur: das ist nicht die Frage unseres Themas. Die Frage unseres Themas ist: ist diese Koalition noch willens und bereit, sich mit den Verfassungsfeinden politisch und offensiv und so, wie es Ihre Pflicht gegenüber dem Staat und unserer Demokratie ist, auseinanderzusetzen oder nicht?
({3})
Es ist die Frage, ob der Bundesinnenminister nicht mit dem Verfassungsbericht 1978 in massiver Form diese Verpflichtung und seinen Amtseid verletzt hat, alles zu tun, damit Schaden von diesem Staat und von dieser staatlichen Grundordnung abgewendet wird. Da geht es hier nicht um irgendwelche Verdächtigungen, sondern es geht um Fakten, die wir auch in der Großen Anfrage aufgeführt haben.
Ein Wort zu den Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers, der so gern als Oberliberaler durchs Land zieht. Ich frage mich: wie ist es mit Ihrem sogenannten liberalen Verständnis in Einklang zu bringen, wie Sie hier heute erneut - wie auch schon in der Antwort auf unsere Anfragen - die demokratische Opposition behandelt haben?
({4})
Hier kommt eine derartige Mißachtung des Parlaments zum Ausdruck, daß hinter Ihre Einstellung als Liberaler in Zukunft ein noch größeres Fragezeichen zu setzen ist, als es bisher ohnehin der Fall war.
({5})
Wir lassen uns das zukünftig in gleicher Weise so wenig wie in der Vergangenheit bieten.
Nach dieser Sprache ist eine Bemerkung interessant, die Herr Brandt gemacht hat und die auch mit Äußerungen des Herrn Wehner in den vergangenen Tagen im Zusammenhang steht. Er hat an die Sprache erinnert, mit der die erste Republik, die Weimarer Republik, auseinandergeredet wurde. Die Passagen, die teilweise in den Ausführungen von Herrn Brandt enthalten waren, lassen erkennen, daß Sie aus den Erfahrungen der Weimarer Republik leider nichts gelernt haben. Denn die Erfahrungen lehren uns, daß es rechtzeitig notwendig ist, daß die Demokraten sich offensiv mit denjenigen auseinandersetzen, die eine Republik, einen Staat zerstören wollen,
({6})
statt durch ständige Passivität und Wegtauchen denen die Aktivitäten noch zu ermöglichen.
({7})
Auch 1932/1933 - - Wenn die Sprache, die heute in Anti-Strauß-Kundgebungen und -kampagnen gebraucht wird, die teilweise von Ihren Leuten geführt werden, Herr Emmerlich, nun der Stil ist, mit dem Sie zukünftig auch hier im Parlament auftreten wollen, dann werden Sie mit Konsequenz die Entwicklung der Weimarer Republik wiederholen. Wer das dann zu verantworten hat, das wird die Geschichte feststellen und festschreiben.
Schließlich, Herr Brandt: Ihre staatsphilosophischen Schleiertänze können nicht den Unfug verbergen, der in der Behauptung steckt, in den Volksfront-Bündnissen würden Demokraten versuchen, Kommunisten zu bekehren. Die Bundesregierung ist unseren Fragen, wie und wo denn das der Fall gewesen sei, mit welchen Wirkungen, total ausgewichen. Das zeigt: hier gibt es keinerlei Fakten.
Ich komme noch einmal auf die Anti-StraußKampagne zurück. Wollen Sie behaupten, daß es irgendeinem SPD-Mitglied gelungen ist, diese maßlose Hetze zu verhindern? Im Gegenteil, viele Sozialdemokraten und auch FDP-Leute machen ja in diesen Komitees mit und sprechen die gleiche Sprache der Kommunisten gegen die Union und gegen den Bundeskanzlerkandidaten.
({8})
Deswegen, Herr Bundesinnenminister: Diese Dinge hätten Sie in dem Bericht, in der Antwort auf die Große Anfrage aufzeigen müssen. Sie hätten alles tun müsen, um den Eindruck zu vermeiden, durch Unterlassen, durch Manipulation und Verschweigen als Befürworter dieser volksfrontartigen Entwicklungen und Initiativen dazustehen. Insofern bedeutet Ihr Verfassungsschutzbericht eine Gefahr
für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Dieser Verfassungsschutzbericht, meine Damen und Herren, ist eben leider - und deshalb auch die Überreaktion der Koalitionssprecher - ein eindrucksvolles, bedauernswertes Dokument einer verhängnisvollen innerparteilichen Entwicklung von SPD und FDP.
({9})
Sie haben unsere Sorge und die Sorge vieler anderer Demokraten über eine illusionäre Anpassungspolitik gegenüber Kommunisten nach innen und nach außen bestätigt.
({10})
Meine Damen und Herren, wir müssen auch feststellen, daß nach diesem Verfassungsschutzbericht die Bundesregierung offenbar nicht mehr bereit ist, die Auseinandersetzung mit Linksextremisten weder mit Taten noch auch nur mit Worten zu führen. Damit vermehrt sich die Bedrohung unserer Freiheit und unseres inneren Friedens. Es ist ein Dokument des Verschweigens und ein Dokument der Verharmlosung gegenüber Linksextremisten.
({11})
Herr Bundesinnenminister, angesichts der Arroganz, mit der Sie uns schriftlich auf unsere Große Anfrage geantwortet haben und auch hier auf getreten sind, scheinen Sie mir, zumindest teilweise, den Linksradikalen näherzustehen als der demokratischen Opposition -- in der Form, in der Sie sie behandeln.
({12})
Das entspricht - und deshalb sollte man sich im Grunde auch gar nicht so darüber aufregen - ja genau der These, mit der man 1979 einen, allerdings verlustreichen, Europawahlkampf geführt hat, in dem man erklärt hat, die eigentlichen Gegner seien nicht die Kommunisten, sondern die Konservativen. Herr Erhard hat schon eine Reihe von Beispielen genannt.
Lassen Sie mich zu diesem Verfassungsschutzbericht aber auch feststellen, daß die Kritik, die Vorwürfe, die wir hier erheben, nicht etwa den Beamten im Verfassungsschutz oder im Bundesinnenministerium gelten. Unsere Kritik gilt der Bundesregierung. Denn der Bericht ist das jämmerliche Ergebnis einer politischen Entscheidung und nicht das Ergebnis einer sachkundigen Arbeit von Beamten. Er ist das Ergebnis wachsender und aus Illusion und Ideologie geborener Gefangenschaft gegenüber den Kommunisten, verbunden mit dem Aberglauben, gerade deshalb nun Frieden und Freiheit zu sichern.
({13})
Den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes sei seitens der CDU/CSU versichert, daß wir zwar die Resignation und Demoralisierung, die sie angesichts der politischen Entscheidungen der Bundesregierung empfinden, verstehen können, daß wir aber auch weiterhin die Verpflichtung fühlen, eine Manipulation als Manipulation nachzuweisen und Täuschung Täuschung zu nennen und dies zu belegen. Deswegen werden wir es auch zukünftig nicht hinnehmen, daß unserer Offentlichkeit entgegen der Pflicht des Bundesinnenministers ein trügerisches Bild über die wirkliche Bedrohung unserer Freiheit, unseres inneren Friedens und unserer Demokratie vorgegaukelt wird.
Einer der wichtigsten Bereiche, über den die Bundesregierung offenbar kaum und nicht mehr wahrheitsgemäß berichten will, ist das große Feld der Aktionseinheiten und Bündnisse von Kommunisten und Nichtkommunisten. Diese Volksfront- und Bündnispolitik ist ein fundamentales Prinzip der Deutschen Kommunistischen Partei. Sie hat für diese Politik die massive finanzielle, organisatorische und ideologische Unterstützung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und vor allem der SED in der DDR. In dieser Taktik, in dieser Strategie besteht die eigentliche und wesentliche Gefahr der Kommunisten, nicht etwa in den immer wieder zitierten, zugegebenermaßen mäßigen Wahlergebnissen.
({14})
Die DKP versucht nun im Rahmen dieser Strategie, ein Zusammenwirken vor allem mit Mitgliedern und Anhängern der SPD und des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie mit der SPD als Partei, mit sogenannten Progressiven Christen, ausländischen Arbeitern, der Jugend, der sogenannten Intelligenz und sogenannten demokratischen Bewegungen zu erreichen. Ausdrücklich ist das ja in ihrem Parteiprogramm vom Oktober 1978 enthalten. Im Rahmen dieser Strategie haben sie es geschafft, zu Hunderten, ja zu Tausenden von Volksfrontbündnissen zu kommen, in denen zahllose Personen in den verschiedensten Organisationen, Initiativen, Komitees und Kampagnen letztendlich für die Ziele der Kommunisten tätig sind. Es ist dringend erforderlich, daß sich die wirklichen Demokraten mit diesen roten Volksfrontbündnissen endlich entschlossen und kämpferisch zur Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auseinandersetzen.
({15})
Entgegen dieser notwendigen Forderung geschah das Gegenteil nicht nur bei der Verhetzungskampagne gegen die Wahl von Professor Carstens zum Bundespräsidenten, sondern das gleiche geschieht nunmehr gegen Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat der Union.
({16})
- Es ist notwendig, daß man das etwas näher zu Protokoll des. Deutschen Bundestages erläutert. Die Anti-Strauß-Kampagne wurde unter präziser Anleitung der Westabteilung beim Zentralkomitee der SED und im Ost-Berliner Institut für Internationale Politik und Wirtschaft maßgeblich von der Deut18214
schen Kommunistischen Partei und ihren Hilfsorganisationen in Szene gesetzt.
({17})
Das Ziel ist klar: gegen Franz Josef Strauß eine geradezu hafterfüllte Pogromstimmung in unserem Lande zu erzeugen.
({18})
- Darauf kommen wir noch. Ich hatte nicht die Gelegenheit, mir beim Parteitag der SPD für 5 DM diese Hetzplakate zu kaufen, die dort angeboten wurden und im „Vorwärts" weiter angeboten werden.
({19})
- Ich bin sicher, Herr Conradi, daß Sie einen ganzen Schwung im Keller liegen haben und leider auch verteilen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Bitte.
Herr Kollege Spranger, könnten Sie bestätigen, daß seit November 1979 im „Sozialdemokrat-Magazin", das sämtlichen SPD-Mitgliedern zugestellt und aus den Beiträgen bezahlt wird, ausdrücklich für diese HetzAktionen geworben wird?
Das ist absolut zutreffend. Es ist mir an sich unverständlich, wie das mit dem so sehr beschworenen Fairneßabkommen im Wahlkampf vereinbar ist.
({0})
Meine Damen und Herren, ich halte es für unerträglich, nach außen hin solche Wahlkampfabkommen zu schließen und dann die Hilfstruppen hinterrücks in dieser Form auf demokratische Politiker zu hetzen, um sie physisch und psychisch fertigzumachen.
({1})
In den Dienst dieser Hetz- und Schmutzkampagne stellen sich die seit Jahren bewährten sogenannten Berufsverbotskampagnen ebenso wie die Abrüstungsinitiativen, die Antifaschismuskomitees und die kommunistische Tarnorganisation „Presseausschuß demokratische Initiative" oder die „Rock gegen Rechts"-Veranstaltungen.
({2})
Zahlreiche Mitglieder, darunter Landtagsabgeordnete und leider auch Bundestagsabgeordnete, wie z. B. die Herren Thüsing, Coppik, Waltemathe, Meinike, Hansen, Lutz und andere, arbeiten in diesen
Gruppen aktiv an der Verhetzungskampagne der Kommunisten mit
({3})
Ich meine, es ist eine Schande, daß die SPD-Führung dies zuläßt.
({4})
Ich wiederhole: Das schönste Wahlkampfabkommen ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben ist, wenn SPD-Mitglieder mit Duldung der Parteiführung es ständig unterlaufen, wenn beispielsweise auf dem SPD-Parteitag so etwas wie StaeckPlakate und ähnliches Material verkauft werden.
Ich finde auch, dieses Ausmaß an Heuchelei wird unerträglich, wenn Herr Wehner warnt - ich sagte es schon -, daß man die zweite deutsche Republik nicht durch Beschimpfungen auseinanderreden solle. Herr Wehner, das zu verhindern, haben Sie meines Erachtens in den linken Kreisen Ihrer Partei vielfache Gelegenheit.
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Aber das ist natürlich nicht zu erwarten, wenn Sie sich ähnlich an dieser Hetze beteiligten, z. B. hier im Deutschen Bundestag am 13. März 1975, als Sie sagten: „Der Herr Strauß ist geistig ein Terrorist; geistig, sage ich."
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- Wenn Sie dann noch klatschen, paßt es dazu. Der Übergang zu dem gelehrigen Schüler, dem Juso-Vorsitzenden Piecyk, ist reibungslos, wenn dieser Franz Josef Strauß als „faschistoiden Politwüstling" beschimpft.
({7})
Aus solchen Äußerungen spricht nach meiner Überzeugung der gleiche Haß und die gleiche Hetze, mit denen die erste Republik von den politischen Extremisten von links und rechts zuerst verfolgt und dann zerstört wurde. Das ist es, was wir als Union zu verhindern haben.
Dieses Vokabular ist typisch für die Antifaschismus-Kampagne, eine originäre kommunistische Erfindung. Diese Antifaschismus-Kampagne ist ohnehin eine Sache, die schon in den 40er und 50er Jahren dazu diente, demokratische Politiker zu diffamieren und kommunistische Zielvorstellungen zu verfolgen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Wenn Sie bitte zum Schluß kommen wollen.
Ich komme zum Schluß.
Ich weiß, daß Sie das alles als Randerscheinungen abtun wollen. Ich weiß, daß Sie das in Abrede zu stellen versuchen. Aber, meine Damen und Herren von der SPD und auch von der FDP, wenn Sie nun erklären, Sie setzten sich mit politischen Extremisten offensiv auseinander, dann informieren Sie die Offentlichkeit auch endlich wieder wahrheitsgemäß über
die kommunistische Taktik und Bedrohung. Stellen Sie die verfassungsfeindliche Zusammenarbeit der betreffenden Mitglieder Ihrer Partei mit Kommunisten ab. Beenden Sie die unerträgliche Hetze gegen Franz Josef Strauß.
({0})
Das schulden Sie nicht nur unseren Bürgern, das schulden Sie auch unserer Demokratie und unserem inneren Frieden.
({1})
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß wir diesen Tagesordnungspunkt noch vor der Mittagspause abschließend behandeln wollen. Das wird noch ungefähr eine halbe Stunde in Anspruch nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Emmerlich.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Methode „Haltet den Diebr wird vom Dieb zwar sehr häufig angewandt, um sich zu retten, nur, Herr Spranger, es wird weder Ihnen noch Herrn Strauß gelingen, diese Methode mit Erfolg zu praktizieren. Ich lasse mich im übrigen von Ihnen nicht provozieren, sondern halte es für notwendig, die mir ohnehin gekürzte Redezeit für die Fragen zu verwenden, die ich für wesentlich halte.
Diskussionsbedürftig ist nicht die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Opposition. Diese Antwort ist zutreffend. In ihr wird die Position der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen zu den angesprochenen Fragen wiederholt. Niemand konnte über diese Position Zweifel haben, auch nicht die Opposition. Weshalb sie gleichwohl diese Große Anfrage eingebracht hat - diese Frage ist es, die wirklich diskussionsbedürftig ist.
Zuvor möchte ich einige allgemeine Hinweise dazu geben, wodurch die freiheitlich-demokratische Grundordnung gesichert und gewährleistet wird, und einige allgemeine Bemerkungen zu den Verfassungsschutzberichten machen. Durch die Große Anfrage der Opposition und durch ihre Debattenführung im Plenum und außerhalb des Plenums könnte der Eindruck entstehen, . daß es bei der Aufgabe, Freiheit und Demokratie zu schützen, vor allem und in erster Linie auf den Verfassungsschutzbericht, den Verfassungsschutz und die Sicherheitsbehörden ankomme. Nichts wäre falscher als ein solcher Eindruck.
So unverzichtbar die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden und des Verfassungsschutzes auch ist, entscheidend für die freiheitlich-demokratische Ordnung und ihre Zukunft in unserem Lande ist, daß freiheitliches und demokratisches Verhalten unser staatliches, gesellschaftliches und individuelles Leben bestimmen und prägen, daß Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, die Freiheit der politischen Betätigung, der Schutz der Privatsphäre, die Achtung vor der Würde des Menschen
und die sozialen Grundrechte als die für uns zentralen Werte begriffen werden und der für die Beurteilung des Zustandes unseres Landes entscheidende Maßstab sind.
({0})
Wem es wirklich um den Schutz der freiheitlichdemokratischen Grundordnung geht, der wird sich um die Auffüllung der immer noch vorhandenen Defizite zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit bemühen; der wird kaum auf den Gedanken kommen, die abseits liegenden Fragen der Opposition zum Verfassungsschutzbericht 1978 herauszufieseln und zum Gegenstand einer Großen Anfrage zu machen.
Nun einige allgemeine Hinweise zu den Verfassungsschutzberichten. In ihnen werden die Vereinigungen genannt, die nach Auffassung des Verfassungsschutzes und des Bundesinnenministers verfassungswidrige Ziele im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes verfolgen.
An dieser Stelle möchte ich eine Bitte an den Herrn Bundesminister des Innern einfügen, nämlich zu überprüfen, ob es richtig ist, abweichend von Art. 21 des Grundgesetzes den Begriff „verfassungsfeindlich" zu verwenden. Ich nehme damit auf, was mein Kollege Hugo Brandt bereits angesprochen hat. Ich bitte Sie, Herr Bundesinnenminister, zu bedenken, daß es, wie die tägliche Erfahrung uns allen beweist, nicht weit von „verfassungsfeindlich" zu „Verfassungsfeind" ist. Mir kommt, wenn ich Verfassungsfeind höre oder lese, immer das böse Wort „Volksfeind' aus der Nazizeit und alles Unmenschliche, was das bedeutete, in den Sinn. Ich halte es nicht für richtig, daß in unserem Lande Mitmenschen, was immer sie auch getan haben mögen, mit dem Stempel „Verfassungsfeind" versehen und damit, wie ich es empfinde, in unzulänglicher Weise gebrandmarkt werden. Insoweit sind wir uns, wie sich ja auch aus Ihrer Rede ergibt, einig.
({1})
- Verfassungswidrig.
({2})
Völlig klar ist, daß die Kennzeichnung einer Partei oder einer sonstigen politischen Vereinigung im Verfassungsschutzbericht als verfassungswidrig für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden ist. Sie verliert an Ansehen; vor allem ihre Chancen im politischen Wettbewerb werden erheblich geschmälert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit gestatte ich keine Zwischenfrage.
Selbst wenn gegen die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht die Anrufung der Gerichte möglich sein sollte, wird dadurch der Eintritt dieser Nachteile in der Regel nicht abgewendet. Weil das alles so ist, muß mit größter Sorgfalt sichergestellt werden, daß die Kennzeichnung „verfassungswidrig" im Verfassungsschutzbericht nur vorgenommen wird, wenn die Verfassungswidrigkeit durch gerichtsverwertbare Tatsachen erwiesen ist. Jeder Zweifel muß sich zugunsten der in Rede stehenden Organisation auswirken, also zur Nichtaufnahme in den Verfassungsschutzbericht führen.
Ich möchte den Bundesminister des Innern auch bitten, noch mehr als bisher darauf zu achten, daß die die Verfassungswidrigkeit begründenden Tatsachen im Verfassungsschutzbericht - wenn auch nicht in jedem einzelnen - in für die Betroffenen und Dritte überprüfbarer Weise mitgeteilt werden. Ich möchte ferner darum bitten zu gewährleisten, daß vor jeder erneuten Nennung im Verfassungsschutzbericht die Fortdauer der verfassungswidrigen Bestrebungen der Betroffenen sorgfältig überprüft wird.
Die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht ist nicht nur für die davon betroffenen Organisationen mit gravierenden Nachteilen verbunden, sondern auch für ihre Mitglieder. Auch ihr Ansehen wird dadurch in weiten Teilen der Bevölkerung herabgesetzt. Auch ihre politischen Wirkungsmöglichkeiten werden erheblich vermindert. Hinzu kommen für sie sehr häufig berufliche Nachteile, selbst dann, wenn sie in der Privatwirtschaft tätig sind.
Der Bundesinnenminister hat zutreffend und dankenswerterweise im Verfassungsschutzbericht 1978 darauf hingewiesen, daß der Verfassungsschutzbericht ausschließlich ein Informationsbeitrag zur politischen Auseinandersetzung ist, Rechtsfolgen mit ihm nicht verbunden werden dürfen und der Bericht insbesondere kein Urteil darüber fällt, ob ein Bewerber für den öffentlichen Dienst, der Mitglied einer der im Bericht erwähnten Organisationen ist, die beamtenrechtlichen Voraussetzungen für eine Einstellung erfüllt oder nicht. Trotz dieses Hinweises hat die Kennzeichnung von Organisationen als verfassungswidrig im Verfassungsschutzbericht schon bei bloßer Mitgliedschaft und den sich daraus natürlicherweise ergebenden politischen Aktivitäten häufig, in CDU-regierten Ländern regelmäßig und im CSU-regierten Bayern stets die Nichteinstellung und die Entlassung zu Folge.
Im Bayern des Kanzlerkandidaten der härteren Gangart wird mit der Gewährbieteklausel des Beamtenrechts zusätzlich ein nahezu unglaublicher Mißbrauch getrieben.
({0})
- Hören Sie erst einmal zu. Dort führt nicht nur die bloße Mitgliedschaft in Organisationen, die im Verfassungsschutzbericht als verfassungswidrig bezeichnet werden, ohne Rücksicht auf den Einzelfall zur Nichteinstellung bzw. Entlassung. Es genügt schon die Mitgliedschaft in sogenannten kommunistisch beeinflußten Organisationen oder die Zusammenarbeit mit Kommunisten, selbst dann, wenn
diese nur punktuell bei solchen Zielsetzungen stattfindet, die ohne Zweifel verfassungskonform sind.
Wie weit diese Bereitschaft zum Mißbrauch der Gewährbieteklausel auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion schon um sich gegriffen hat, wird aus den Fragen V. 4. bis 11. sehr deutlich. Diese Fragen machten es in der Tat notwendig, daß die Bundesregierung der Opposition folgende für sie beschämende Belehrung erteilen mußte - ich zitiere -:
Das Vertreten von Teilzielen der DKP ist dann gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet, wenn es zu dem Zwecke erfolgt, die verfassungsfeindliche Zielsetzung der DKP zu fördern. Eine Übereinstimmung in für sich genommen nicht verfassungsfeindlichen Teilzielen reicht hierfür nicht aus ... Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, die Bemühungen demokratischer Mitglieder in den verschiedensten Organisationen zu kontrollieren und deren Erfolge im einzelnen zu registrieren.
Deutlich werden durch die Große Anfrage - ich verweise insbesondere auf die Fragen V. 12. bis 15. und VI. bis VIII. - der Wunsch und das Bestreben der Opposition, möglichst viele Organisationen in den Verfassungsschutzbericht hineinzubringen.
({1})
Wundert es Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, angesichts dieses Tatbestandes, daß die Betroffenen - und nicht nur diese - befürchten, in der CSU und auch in der CDU wachse die Bereitschaft, sich möglichst vieler ihrer politischen Gegner durch Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht unter Vermeidung der Mühen, Anstrengungen und Risiken einer politischen Auseinandersetzung zu entledigen?
({2})
Wenn es Ihnen um den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geht, sollten Sie diesen Zuständen in Bayern und in CDU-regierten Ländern entgegentreten. Diese Zustände sind mit einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung nicht zu vereinbaren.
({3})
Sie sind nicht Ausdruck einer wehrhaften Demokratie,
({4})
sondern ihr Mißbrauch. Sie haben nichts mit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu tun; sie reichen vielmehr bis an die Grenze heran, an der die politische Verfolgung beginnt.
({5})
Wegen dieser Entwicklung in Bayern und auch in den CDU-regierten Ländern sowie wegen der damit
verbundenen Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bitte ich den Bundesminister des Innern, auf folgendes hinzuwirken:
Noch mehr als bisher möge er deutlich machen, was im Einzelfall im Verfassungsschutzbericht unter „kommunistisch beeinflußt" zu verstehen ist. Wie mein Kollege Hugo Brandt zu Recht betont hat, müssen wir dafür sorgen, daß nichtkommunistische Mitglieder solcher Organisationen nicht mit Kommunisten in einen Topf geworfen werden und daß die nichtkommunistischen Mitglieder nicht unter der Einwirkung des Verfassungsschutzberichts und aus Furcht vor Mißbräuchen wie in Bayern veranlaßt werden, dann das Feld zu räumen, wenn in einer Organisation Kommunisten auftauchen oder kommunistische Parteien und Gruppierungen versuchen, Einfluß zu gewinnen und auszuüben.
({6})
Die Fragen der Opposition entlarven, welchen Stil die Oppositionsführung in der politischen Auseinandersetzung anzuwenden bereit ist. Bei der Mehrzahl der 50 Fragen handelt es sich in Wirklichkeit nicht um Fragen, sondern um Unterstellungen, mit denen der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen und Parteien, insbesondere der SPD, die Absicht untergeschoben werden soll, die Gefahren des Linksextremismus, insbesondere die des Kommunismus, zu verkleinern.
Diese Anwürfe sollen die verleumderische Behauptung untermauern, sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik der Regierung öffne dem Kommunismus Tür und Tor.
({7})
Der Kanzlerkandidat der CDU/CSU scheint vornehmlich mit dieser Behauptung seinen Wahlkampf bestreiten zu wollen. Die Oppositionsführung hält bedauerlicherweise einen das innenpolitische Klima vergiftenden Wahlkampfstil für richtig. Sie nimmt damit eine von den Deutschnationalen und der äußersten Rechten begründete Strategie so wieder auf,
({8})
wie sie das schon in der Adenauer-Zeit praktiziert hat.
({9})
Diese Strategie der Verdächtigung und Verleumdung verfolgt das Ziel, der Auseinandersetzung um die wirklichen politischen Probleme zu entgehen. Statt dessen soll dem politischen Gegner die Legitimation für sein politisches Wirken genommen, soll sein moralisches und politisches Recht auf Mitwirkung und Mitgestaltung bei der politischen Willensbildung zerstört werden.
Es ist richtig, daß diese Strategie in der Vergangenheit nicht ohne Erfolg geblieben ist. Ich bin jedoch davon überzeugt, daß solche billigen Erfolge
heutzutage nicht mehr zu erzielen sind. Das deutsche Volk weiß in seiner großen Mehrheit, daß für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands Freiheit und Demokratie stets das oberste Ziel des Handelns gewesen sind, daß sie für diese Werte in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte immer entschlossen gekämpft hat und daß ihre Mitglieder im Kaiserreich und insbesondere unter den Nazis deswegen politisch verfolgt, eingesperrt, gequält, gefoltert und getötet worden sind.
Das deutsche Volk weiß darüber hinaus, daß die Hauptlast des Kampfes gegen den Kommunismus in der Bundesrepublik die Sozialdemokraten getragen haben
({10})
und daß die politische Bedeutungslosigkeit des Kommunismus in unserem Lande vor allem das Verdienst der SPD und der Gewerkschaften ist. Das deutsche Volk hat schließlich sehr wohl registriert, daß überall dort, wo konservativ-reaktionäre Regierungen am Ruder sind, der Kommunismus eine Chance hat. Das Beispiel Italien genügt, um das jedermann klarzumachen.
({11})
Wie es um die politische Moral bei manchen bestellt ist, zeigt insbesondere die gnadenlose, nicht auf politische Auseinandersetzung, sondern auf Ächtung und politische Vernichtung gerichtete Verleumdungskampagne gegen Herbert Wehner, der auch aus den Reihen der Opposition immer und immer wieder neue Nahrung und Schubkraft gegeben wird, selbst hier im Deutschen Bundestag, natürlich auch in dieser Großen Anfrage, und oft mit unverhüllter Schamlosigkeit draußen im Lande.
({12})
Wer keinerlei Respekt vor der einmaligen Lebensleistung dieses Mannes aufbringt und vor den unvergleichlichen Verdiensten,
({13})
die er sich um die Bundesrepublik Deutschland erworben hat, bei dem kann ich nicht annehmen, daß es ihm mit der Gemeinsamkeit der Demokraten und dem demokratischen Grundkonsens ernst ist.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir Demokraten in existentiellen Grundfragen zusammenhalten müssen, daß wir die Pflicht haben, zur Bewahrung unserer freiheitlichen Demokratie zusammenzustehen. Ich füge aber freimütig hinzu: Für mich ist es nicht leicht, daran zu glauben, daß die derzeitige Führung der CSU und deren Gefolgschaft in der CDU auch dann bereit ist, diesen Notwendigkeiten entsprechend zu handeln, wenn es für sie um alles, nämlich um die Macht geht. - Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jentsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Emmerlich, Sie haben hier gerade das deutsche Volk beschworen. Ich frage mich wirklich, was das deutsche Volk denken und meinen soll, wenn es so viel Fanatismus, so viel Eifertum, so viel an Haß grenzende Ausführungen hören muß, wie sie soeben hier im Parlament vorgetragen worden sind.
({0})
Wo soll denn die Gemeinsamkeit bleiben, wenn wir in diesem Stil, wie Sie ihn gerade vorgeführt haben, miteinander umgehen? Wir sollten an der Sache argumentieren, zur Sache argumentieren und weniger mit Verdächtigungen arbeiten, wie Sie es hier getan haben.
Meine Damen und Herren, am Schluß dieser Debatte komme ich zu dem Ergebnis, daß dieser Verfassungsschutzbericht 1978, um den es ja geht, ein Dokument der Verweigerung einer entschlossenen Auseinandersetzung mit den Feinden unserer freiheitlichen Ordnung auf der linken Seite insbesondere ist. Insoweit ist dieser Verfassungsschutzbericht, Herr Innenminister, eine vertane Chance. Gerade Sie, der Sie im Sicherheitsbereich zu nahezu totaler Transparenz neigen, pflegen hier mehr zu verdecken, mehr zu verheimlichen, als nötig ist.
({1})
Im Bereich der Sicherheitsdienste wird enthüllt, hier bleibt aber vieles leider verhüllt, wo enthüllt werden müßte.
Ich verkenne überhaupt nicht, daß in diesem Bericht - und ich finde, deshalb ist die Anfrage richtig gewesen - einige begrüßenswerte Nachbesserungen vorzufinden sind, daß darin auch einige grundsätzlich richtige Aussagen sind. Herr Kollege Erhard hat darauf hingewiesen. Wir begrüßen sie ausdrücklich. Nur, nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, Herr Kollege Emmerlich, vom Oktober 1975 - Sie kennen ihn - ist der Verfassungsschutzbericht Ausfluß der Pflicht des Innenministers, die freiheitliche demokratische Grundordnung, so heißt es dort, zu schützen. Es heißt dort auch:
({2})
„Mit diesem Bericht beteiligt sich der Innenminister an der Auseinandersetzung um diese Grundordnung."
({3})
Das geschieht in diesem Bericht äußerst zurückhaltend und Sie haben empfohlen, es solle noch zurückhaltender geschehen. Warum wird das hier zurückhaltend gefahren? Warum wird z. B. mit keinem Wort mehr erwähnt, daß die als kommunistisch beeinflußt geltenden Organisationen, die hier aufgeführt sind, in diesem Verfassungsschutzbericht, nach einer Absprache der Innenminister von 1976 nur solche Organisationen sein dürfen und damit sind, bei denen der kommunistische Einfluß ein erheblicher ist, nicht irgendwelche Organisationen, wo vielleicht einmal ein Kommunist drinsitzt, sondern wo ein erheblicher Einfluß vorliegt? Warum wird das nicht mehr deutlich zum Ausdruck gebracht? Das ist doch für die Leser dieses Berichts wichtig.
Nun sagt die Regierung auf unsere entsprechende Anfrage, sie wolle die Chance haben zu differenzieren. Richtig, soll sie auch, aber doch differenzieren im Bereich des Spektrums erheblich durch kommunistische Einflüsse gekennzeichneter Organisationen.
({4})
Des weiteren - ich halte das für einen zentralen Punkt, der heute hier angesprochen worden ist -: Warum werden die Rolle und die Möglichkeiten demokratischer Mitglieder in kommunistisch beeinflußten Organisationen hier so positiv dargestellt? So ist es von beiden Seiten dieses Hauses geschehen. Noch 1976 waren sich die Innenminister darüber einig, daß in diesen Organisationen - den erheblich beeinflußten - bestenfalls noch Raum für ein gewisses politisches Eigenleben sei. Das heißt doch im Klartext:Verbessern könnt ihr nicht viel, sondern ihr könnt dort allenfalls, wie gesagt, euer Eigenleben führen. Heute, im Bericht 1978, wird gesagt: Demokratische Mitglieder können dort ihre Vorstellungen vertreten. Es sieht fast so aus, als könnte dort eine entscheidende Einflußnahme demokratischer Mitglieder stattfinden.
Nun, warum wird hier dieser Kurswechsel vollzogen? Warum wird nicht mehr gesagt, daß in diesen Gruppierungen so wenig Chancen vorhanden sind? Sie - und auch Herr Minister Baum - tragen vor, man solle förmlich dazu auffordern, in diese Organisationen hineinzugehen, um nicht den Extremisten dort das Feld zu überlassen.
({5})
Tiber diesen Punkt müssen wir doch ganz ernsthaft reden. Die Innenminister haben vor einiger Zeit noch gesagt, daß eine solche Zusammenarbeit die revolutionären Ansätze dort fördere und - so interpretiere ich es - demokratischen Mitgliedern nicht die Möglichkeit verschaffe, in diesen Organisationen entscheidenden Einfluß auszuüben. Wir meinen, daß die Mitgliedschaft von Demokraten diesen Organisationen einen falschen demokratischen Anstrich verleiht,
({6})
daß dies viel gefährlicher ist als jenes chancenlose - ich verweise noch einmal auf die Aussage der Innenministerkonferenz von 1976 - Mitwirken dort und daß dies eine Feigenblattfunktion ist, die hier ausgeübt wird. Aber ich gebe zu, daß dies der zentrale Punkt ist, über den hier gesprochen werden muß.
Dr. Jentsch ({7})
Wir sind der Auffassung, daß es nachteilig ist, zuzulassen - das Wort „zulassen" ist hier nicht richtig; es ist nicht unsere Entscheidung, jeder kann es -, daß es nachteilig ist, zu empfehlen,
({8})
daß Demokraten unseres Staates dort mitwirken. - Herr Conradi, verbieten können wir es nicht. Denn der Verfassungsschutzbericht ist eben kein Bericht, an den Rechtsfolgen geknüpft werden können, sondern der Verfassungsschutzbericht ist eine Wertung, mit der der Innenminister und die Regierung an der Auseinandersetzung um die demokratische Ordnung teilnehmen, und diese Wertung ist notwendig. Wenn z. B. Erfolge in dem Sinne vorhanden sind
({9})
- darf ich weitersprechen; ich habe wirklich nur noch zwei Minuten -, wie Sie es wünschen, nämlich daß erheblich kommunistisch beeinflußte Organisationen durch das Mitwirken von Demokraten positiv beeinflußt werden, dann soll das doch in den Bericht hineingeschrieben werden, dann ist das doch unter Umständen ein Lehrbeispiel, dann muß das doch deutlich gemacht werden. Wenn aber in der Praxis keine Chancen bestehen, dann muß auch das hineingeschrieben werden.
({10})
Wir vertreten die eine Linie, nämlich die, daß Demokraten nicht in erheblich kommunistisch beeinflußte Organisationen hineingehen sollten, Sie dagegen vertreten die Linie, daß sie hineingehen sollten. In jedem Falle aber ist es meines Erachtens im Rahmen der Berichterstattung notwendig, darüber zu berichten, welche Chancen, welche Aussichtslosigkeiten, welche Möglichkeiten bestehen, innerhalb dieser Organisationen Erfolge in unserem gemeinsamen Sinne zu haben.
({11})
So verstehen wir den Verfassungsschutzbericht.
Wir lassen uns da nicht durch irgendwelche Bürokraten fixieren, die diesen Verfassungsschutzbericht an irgendeiner Stelle falsch verstehen und behaupten, das sei eine rechtliche Verurteilung. Dafür, daß dies keine rechtliche Verurteilung ist, müssen wir gemeinsam kämpfen.
({12})
- Dies ist wieder - entschuldigen Sie - ein Zwischenruf, der der Sache überhaupt nicht dient: „Fangen Sie einmal bei Strauß an!" Soll ich denn jetzt sagen: Fangen Sie bei Wehner oder sonst jemand an?
({13})
Was bringt denn das in diesem Augenblick der Diskussion hier? Ich meine, daß ich versucht habe, ein Problem, in dem wir uns unterscheiden, hier halbwegs deutlich herauszuarbeiten, bei dem ich es allerdings notwendig finde, daß der Innenminister die Aufgabe hat, seinen Beitrag hier im Sinn der Aufklärung der Offentlichkeit zu leisten,
({14})
nicht im Sinn einer Hetzkampagne, nicht im Sinn einer Verurteilung, sondern im Sinn einer Aufklärung.
Meine Zeit ist abgelaufen. Lassen Sie mich mit einer allerletzten Bemerkung schließen. Herr Minister, Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, Sie appellieren an die Gemeinsamkeit aller Demokraten in dieser Aufgabenstellung. Ich stimme Ihnen zu. Nur, wenn wir diese Aufgabe gemeinsam lösen wollen, benötigen Sie als Minister nicht nur das Vertrauen der Mehrheit in diesem Haus, sondern auch das Vertrauen der Opposition. Ich empfehle Ihnen, sich ein bißchen mehr um das Vertrauen der Opposition hier zu bemühen und eine Anfrage, die wir eingebracht haben und mit der wir der Sache zu dienen glauben, nicht mit dieser Arroganz abzuqualifizieren. Dies war kein Beitrag, der weitergeholfen hat.
({15})
Die letzte Wortmeldung kommt von dem Herrn Abgeordneten Dr. Wendig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche wirklich nur ganz wenige Minuten. Ich hatte das von Anfang an vorgehabt. Allerdings nötigen mich die Ausführungen von Herrn Spranger zu einer ganz kurzen Vorbemerkung.
Als ich Ihnen, Herr Spranger, vorhin zuhörte, habe ich mir die Frage gestellt, ob ich vorher überhaupt im Saal gewesen bin. Denn wie Sie meinen können, daß die Ausführungen von Hugo Brandt, von Herrn Engelhard und von Herrn Baum eine grenzenlose Maßlosigkeit - so etwa haben Sie formuliert - gewesen seien, kann ich mir wirklich nicht erklären.
({0})
Es wird Ihnen im übrigen - das betrifft den zweiten Punkt Ihrer Ausführungen - nicht gelingen, mich zu einer Stellungnahme zu der von Ihnen eingeführten Anti-Strauß-Kampagnen-Strategie - oder wie wir es nennen wollen - zu bewegen,
({1})
genausowenig, wie es wahrscheinlich mir gelingen wird, Sie - das ist, nebenbei, auch nicht der Ort dafür - davon zu überzeugen, daß es möglicherweise aus sachlichen und politischen Gründen eine sehr große und breite Bewegung in unserem Volk gibt, die diese Entscheidung, nämlich Strauß, nicht mag.
Was mich aber - das ist der letzte Punkt meiner Vorbemerkungen - sehr betroffen hat, ist, daß Sie hier Worte eingeführt haben, die man zum Teil draußen im Land hört - ich will jetzt gar nicht sagen wo -:
({2})
) Haß, Hetze, Pogrom. Das sind Worte die ich in den letzten acht Jahren, die ich diesem Hohen Haus anzugehören die Ehre hatte, nicht gehört habe. Man muß nicht zu den Älteren in diesem Land gehören,
({3})
um zu empfinden, welch gefährliche Vergleiche
({4})
heraufbeschworen werden, wenn man hier von Pogrom und Pogromstimmung spricht.
({5})
Das ist eine Art und ein Stil, die in diesem Haus - und nur da sprechen wir jetzt ({6}) und in unserem Land nicht sein dürfen.
({7})
In der Sache selber kann ich mich nach dem, was mein Kollege Engelhard gesagt hat, sowohl im Grundsätzlichen wie im Detail sehr kurz fassen.
Zur Anfrage der Opposition - sie ist übrigens sechzehn Druckseiten lang - kann ich nur sagen, daß wir uns diesem Thema angemessen weder in semantischen Spitzfindigkeiten noch in der Vorstellung nähern dürfen, wir hätten eine deutschkundliche Seminararbeit zu bewältigen. Daß hier der Staat - und das ist doch offensichtlich der Kern Ihres Vorwurfs -, unser freiheitlich demokratisch verfaßter Staat vor dem „Umkippen" stehe, meine Damen und Herren von der Opposition, ist eine Unterstellung,
({8})
die Ihnen auch in Wahlkampfzeiten nicht abgenommen werden darf und nicht abgenommen werden wird.
Vor diesem Hintergrund konzentriert sich mein Beitrag auf drei Bemerkungen.
Erstens. Der Verfassungsschutz-Bericht des Bundesminister des Innern für 1978 ist in seiner Gesamtbewertung politisch und sachlich ausgewogen. Herr Baum hat hierzu einige erläuternde Erklärungen abgegeben, für die ich ihm danke. Daß der Rechtsradikalismus stärker als in früheren Berichten hervorgehoben wird, war 1978, wenn nicht durch die Zahl, so doch durch die Verdichtung von oft kriminellen Aktivitäten gerade aus diesem Bereich durchaus begründet Diese Feststellung schließt die Gefährdungen, die von einem Radikalismus von links ausgehen können, in keinem Punkte aus; darüber brauchen wir gar nicht besonders zu reden.
Zweiter Punkt. Ein Verfassungsschutzbericht, dieser wie jeder andere, beschreibt tatsächliche Zustände und erkennbare Tendenzen. Er begründet - hier nehme ich ein Wort von Herrn Baum auf - keine Rechtsfolgen. Er kann aber auch nicht die Tatsache aus der Welt schaffen, daß es immer wieder fließende Übergänge von radikaler - hier meine ich das im guten Wortsinn - Kritik gibt hin zu Aktionen, die den freiheitlich verfaßten Staat bedrohen. Da gilt nur eines: Schutzmaßnahmen des Staates können und dürfen deshalb niemals die lebendige politische Diskussion der politischen Kräfte in unserem Land, vornehmlich also die Diskussion durch die politischen Parteien, ersetzen. Ich habe nicht den Eindruck, weder durch die Erklärung des Bundesinnenministers für die Bundesregierung noch durch die Erklärung all derer, die für die Koalition gesprochen haben, daß hier in der Frage der notwendigen Auseinandersetzung mit dem Extremismus, sei es von rechts oder von links, irgend jemand vor dieser Aufgabe kneift.
Dritter und letzter Punkt Wir, die FDP, hängen keinem Antikommunismus als Ersatz für eigene Ideen an; aber - das sage ich jetzt sehr bewußt und bedacht - es gibt für uns Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Das heißt, eine Zusammenarbeit mit kommunistischen Organisationen in Aktionen oder verbal bekundeter Gemeinsamkeit ist grundsätzlich politisch nicht tragbar. Wir sehen uns aber immer wieder den Menschen und seine Motive an. Damit gehe ich auf das ein, was auch Herr Baum gesagt hat. Das ist der junge Mensch, der sich in einer Proteststimmung befindet und um den wir uns letztlich alle, jeder an seinem Platz im politischen Spektrum, als politische Partei ringen müssen. Diese Einfügung muß ich hier machen. Aber wer diese Grenze dann bewußt und in klarer Erkenntnis der wirklichen Zusammenhänge immer wieder überschreitet, muß gewiß sein - das sage ich hier ganz prononciert -, daß er mit unserer Zustimmung und Unterstützung nicht rechnen kann.
Die Wahrung der durch die Verfassung geschützten freiheitlichen Ordnung darf in unserer Republik nicht im Streit sein. Neben dem Frieden ist dieser Konsens der wichtigste, der in unserem Staat überhaupt denkbar ist. Der Verfassungsschutzbericht des Bundesministers des Innern von 1978 gibt keinen Anlaß zu einem solchen Streit. Auch der bevorstehende Wahlkampf sollte uns, trotz Meinungsverschiedenheiten im Detail, nicht dazu verführen, die Vision eines drohenden Umsturzes zu beschwören. Eine solche Strategie nützt Ihnen nichts. Sie können sagen, das sei Ihre Sache; sie schadet aber den notwendigen Gemeinsamkeiten unserer Demokratie.
({9})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Damit ist der Tagesordnungspunkt 3 erledigt.
Ich darf Sie fragen: Wünschen Sie, daß wir um 14 Uhr mit der Fragestunde fortfahren, oder sollen wir die Mittagspause um eine Viertelstunde verlängern?
({0})
- Der Beginn der Fragestunde wird also nicht verschoben. Die Herren Stenographen sind darüber sehr betrübt. Die Fragestunde beginnt um 14 Uhr. Punkt 29 wird im Anschluß an die Fragestunde beVizepräsident Frau Renger
handelt werden, woran ich noch einmal erinnern möchte.
Ich unterbreche die Sitzung.
({1})
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 8/4270 -
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf.
Die Fragen 2 und 3 des Herrn Abgeordneten Horstmeier sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen begrüße ich Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Engholm.
Ich rufe Frage 4 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Teilt die Bundesregierung - auch für die Situation in der Bundesrepublik Deutschland - die Ergebnisse des UNESCO-Kongresses, die in der Charta des Bonn-Kongresses niedergelegt sind, wonach in den meisten Ländern eine bemerkenswerte Kluft zwischen der gesetzlichen Gleichberechtigung von Frauen und ihren tatsächlichen Bildungschancen besteht, und welche Konsequenzen hat sie daraus gezogen?
Herr Kollege Thüsing, die Bundesregierung teilt diese Einschätzung. Eine Kluft zwischen den gleichen Zugangsrechten von Mädchen und Frauen und der tatsächlichen Wahrnehmung dieser Rechte gibt es nach wie vor in wesentlichen Bildungsbereichen in der Bundesrepublik Deutschland.
Zwar hat sich der Anteil der Mädchen an den Schülern in allgemeinbildenden weiterführenden Schulen in den letzten Jahren erfreulich erhöht. Sie stellen heute mindestens die Hälfte, in Realschulen sogar mehr als die Hälfte der Schüler. Im Bereich der dualen Berufsausbildung liegt der Anteil der weiblichen Auszubildenden jedoch bei knapp 37 %. Diese 371)/0 konzentrieren sich auf einen sehr schmalen Bereich von Berufen, insbesondere auf die sogenannten Frauenberufe. Bei den Studienanfängern liegt der Frauenanteil inzwischen bei etwa 40 %. Das ist zwar noch kein völliger Ausgleich gegenüber den Männern, aber gegenüber früher doch eine bemerkenswerte Steigerung.
In der beruflichen Weiterbildung sind Frauen noch sehr stark unterrepräsentiert. So betrug etwa der Anteil der Frauen an den 1978 neu nach dem Arbeitsförderungsgesetz geförderten Personen nur rund 30 %. Eine ausführliche Darstellung zur Situation von Frauen in der Berufsbildung haben wir als
deutschen Länderbericht zum UNESCO-Kongreß in Bonn in Broschürenform veröffentlicht.
Die Diskrepanz zwischen Rechten und Chancen für Frauen ist für die Bundesregierung seit vielen Jahren Anlaß, sich unter anderem für eine Verbesserung und eine Erweiterung der Berufsausbildungsmöglichkeiten für junge Frauen einsetzen. Als wichtiges Beispiel besonderer Maßnahmen nenne ich das Modellversuchsprogramm zur Erschließung gewerblich-technischer Ausbildungsberufe für junge Frauen.
Unsere Bemühungen haben inzwischen dazu geführt, daß der Anteil weiblicher Auszubildender in sogenannten Männerberufen an allen weiblichen Auszubildenden von 1977 bis 1979 von rund 2 % auf etwa 5 % gestiegen ist, in absoluten Zahlen von etwa 11 500 auf mittlerweile 27 700. Der UNESCO-Kongreß in Bonn hat übrigens diese Ansätze und diese Politik der Bundesregierung nachhaltig bestätigt.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Thüsing.
Herr Staatssekretär, wo sehen Sie die Hauptwiderstände gegen diese auch von der Bundesregierung verfolgte Politik?
Ich glaube, der Hauptwiderstand gegen Frauen in Männerberufen oder gegen Karrieren von Frauen in solchen Berufen, die früher nur Männern offenstanden, liegt in der klassischen Rollenteilung in unserer Gesellschaft. Bei uns lernen junge Männer in Familien und in Schulen immer noch, Männer zu sein, aber nicht etwa, auf Frauen Rücksicht zu nehmen, und Frauen lernen umgekehrt am ehesten die Rolle als Hausfrau, aber nicht die einer berufstätigen Mutter, einer berufstätigen Frau oder etwa der karrieremachenden Frau. Wir müssen diese klassische Rollenteilung aufbrechen, was sicherlich in sehr kurzer Zeit nicht möglich sein wird.
Zu einer zweiten Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing.
Gibt es bestimmte gesellschaftliche Institutionen, Herr Staatssekretär, in denen Sie besondere Widerstände sehen?
Ich glaube, eine entscheidende Rolle bei der Überwindung der geschilderten Widerstände kommt den Arbeitgebern, den Personalchefs und den Ausbildungsleitern in der Wirtschaft in der Bundesrepublik zu. Da sie überwiegend Männer sind, ist auch hier noch sehr viel Aufklärungsarbeit vor Ort zu leisten, damit die Frauen schon beim Zugang gleiche Chancen haben. Aber es wäre falsch, zu sagen, es gebe solche Hemmnisse und Widerstände nur bei den Arbeitgebern. Auch bei manchem Arbeitnehmerkollegen ist dieses klassische Rollenverständnis noch vorhanden.
Zu einer Anschlußfrage, Herr Kollege Stutzer.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß nach dem Arbeitsförderungsgesetz - wenn ich an die Umschulung und Fortbildung denke - Frauen die gleichen Chancen wie die Männer haben, und wie erklären Sie sich, daß die Frauen diese Chancen nicht nutzen - nach Ihren Zahlen?
Ich muß zugeben, daß die Frauen nach dem Gesetz natürlich die gleichen Zugangschancen wie Männer haben. Ich glaube - und das wird man als erstes nennen müssen -, daß Frauen eine geringere Motivation als Männer haben - diese muß noch zunehmend geweckt werden -, und daß zweitens Frauen auf Grund der von mir geschilderten klassischen Rollen- und damit auch Arbeitsteilung in der Gesellschaft der Vergangenheit sehr häufig keine Anspruchsberechtigungen für Maßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz erworben haben.
Herr Ey, zu einer Anschlußfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es zwischen den Ländern deutlich erkennbare, möglicherweise regionale Unterschiede hinsichtlich der Anteile der Geschlechter?
Engholm, Pari. Staatssekretär: Sie meinen, innerhalb der Bundesländer?
Ja.
Ich kann darauf auf Anhieb keine Antwort geben. Ich glaube, eine vergleichende Erhebung gibt es nicht. Ich würde auch bezweifeln, daß es wirklich signifikante Unterschiede gibt. Es gibt sicherlich Bundesländer, in denen geringfügige Unterschiede, zusammenhängend z. B. mit der religiösen Bindung, vorhanden sind. Aber es gibt zweifellos Länder in Europa, die auf dem Wege zur Gleichberechtigung der Frau schon größere Fortschritte als wir in der Bundesrepublik gemacht haben. Ich denke etwa an die skandinavischen Länder.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Sieht die Bundesregierung in der Bildungspolitik eine Möglichkeit, die auf diesem Kongreß diskutierte Mehrfachbenachteiligung von Frauen abzumildern?
Herr Kollege Thüsing, auf dem UNESCO-Kongreß wurde unter anderem über die Bedeutung der Kumulation von Benachteiligungsfaktoren bei Frauen diskutiert Gemeint ist damit, daß es Frauengruppen gibt, für die es noch erheblich schwerer ist, ihre Bildungsrechte durchzusetzen, als für die Frauen generell. Das gilt u. a. etwa für ausländische Frauen, für behinderte Frauen, für Frauen mit schulischen Defiziten, für Frauen, die in abgelegenen ländlichen Regionen leben, oder für Frauen aus lernungewohnten sozialen Schichten.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft bemüht sich, vor allem auch durch seine Modellversuchs- und Forschungspolitik, hier Aufbrüche zu ermöglichen. Ich nenne drei Beispiele: erstens Modellversuche zur Entwicklung von Weiterbildungsmotivationen und Weiterbildungsangeboten für türkische Frauen sowie zur Heranführung junger türkischer Frauen an eine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf, zweitens Modellvorhaben, z. B. mit dem Land Niedersachsen gemeinsam, zur Entwicklung adäquater Weiterbildungsangebote für Arbeiterinnen und Landfrauen und drittens Modellversuche zur Berufsausbildung Jugendlicher mit Behinderungen bzw. mit schulischen Defiziten, in denen auch die besonderen Aspekte junger Frauen berücksichtigt werden.
Ansätze dieser Art sind in allen Bildungsbereichen vonnöten, damit nicht angesichts insgesamt gestiegener Frauenbeteiligungsquoten besondere und zusätzliche Probleme einzelner Frauengruppen, wie ich sie genannt habe, vergessen werden. Bildungspolitische Anstrengungen müssen jedoch durch -Maßnahmen aus anderen Politikbereichen begleitet und ergänzt werden, vor allem der Sozial-, Beschäftigungs- und Familienpolitik. Darauf ist im übrigen auch auf dem UNESCO-Kongreß nachdrücklich hingewiesen worden.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing.
Herr Staatssekretär, halten Sie - auch im Sinne Ihrer Antwort - eine Verstärkung der Weiterbildungsangebote, nicht nur an spezielle Frauengruppen, aber auch an diese, sondern allgemein an Frauen für notwendig?
Ich glaube, daß dies auch künftig einganz wesentlicher Punkt in der bildungspolitischen Konzeption der Bundesregierung sein wird. Wir müssen nicht nur jungen Frauen neue Zugangsmöglichkeiten eröffnen, sondern auch bereits erwachsenen Frauen nachträglich die Möglichkeiten des Erwerbs besonderer, von ihnen gewünschter Qualifikationen geben. Das passiert überwiegend in Weiterbildungseinrichtungen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beantwortet. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Ich begrüße Herrn Bundesminister Ertl zur Beantwortung.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Durch welche Wettbewerbsnachteile ist die Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland in welchem Umfang gegenwärtig innerhalb der Europäischen Gemeinschaft belastet?
Herr Abgeordneter, die deutsche Landwirtschaft hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt auf dem Gemeinschaftsmarkt und auf Drittlandsmärkten gut behauptet. Das beweist die bisherige stetige Zunahme deutscher Exporte mit
Gütern der Ernährungswirtschaft, die 1979 15,7 Milliarden DM gegenüber 4,4 Milliarden DM zu Beginn dieses Jahrzehnts erreicht haben.
Trotz dieser positiven Entwicklung darf und kann nicht außer Betracht bleiben, daß durch Maßnahmen in anderen Mitgliedstaaten Wettbewerbsnachteile zu Lasten bestimmter Produktionsbereiche der deutschen Landwirtschaft entstanden sind. Als jüngstes Beispiel möchte ich die Gewährung von Prämien für die niederländischen Legehennenhalter wie auch die Einräumung eines Erdgas-Sondertarifs für die niederländischen Unterglasgartenbaubetriebe nennen. In beiden Fällen hat die Bundesregierung unverzüglich die nötigen Schritte gegenüber der Kommission der Gemeinschaft eingeleitet, um einen Abbau der genannten Vergünstigungen zu erreichen. Mit der Abschaffung der Legehennenprämie durch die Änderung des niederländischen WIR- Gesetzes haben diese Bemühungen zum Erfolg geführt.
Auch haben die Initiativen der Bundesregierung zur Lösung der durch die niederländischen ErdgasSondertarife hervorgerufenen Wettbewerbsverzerrungen im Bereich der Unterglasgartenbauerzeugnisse erste Wirkungen gezeigt. So hat die Kommission zwischenzeitlich einen umfassenden Bericht über die Wettbewerbsverhältnisse im Unterglasgartenbau vorgelegt und beschlossen, wegen der vorgenannten Tarifregelung das in Art. 93 Abs. 1 des EWG-Vertrages vorgesehene Untersuchungsverfahren einzuleiten. Zwischenzeitlich - das ist Ihnen bekannt - hat die niederländische Regierung auch eine weitere Anhebung der Erdgaspreise beschlossen bzw. vollzogen, wobei die Anhebung sicherlich noch nicht voll befriedigend ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte, bevor ich das Wort zu einer Zusatzfrage gebe, darauf aufmerksam machen: Es liegen viele Fragen an den Herrn Bundesminister Ertl vor. Da die Fragen, wie man, wenn man den Text im Zusammenhang liest, feststellt, alle in einem gewissen Sachzusammenhang zueinander stehen, wäre ich sehr dankbar, wenn sich die Fragesteller bei Zusatzfragen präzise an die jeweils gestellte Frage hielten, damit wir nicht in eine allgemeine Landwirtschaftsdebatte ausufern.
Bitte sehr, zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Ey.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die von Ihnen eben zitierten Intensivformen landwirtschaftlicher Halterbetriebe - ob Tierhaltung oder Gartenbau, ist dabei verhältnismäBig gleichgültig - in besonderem Maße durch die Immissionsschutzgesetzgebung außerdem benachteiligt sind, verglichen mit einigen Nachbarländern?
Zunächst ist es unser Ziel, vorwiegend eine bodengebundene und nicht unbedingt eine industriell ausgerichtete Agrarproduktion zu erhalten. Zudem wird natürlich auch auf dem Sektor der Immissionen im Rahmen der Gemeinschaft die Rechtsbasis harmonisiert. Ich kann jetzt nicht in allen Details die Werte sagen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen das schriftlich zu geben.
Ich möchte zu der anderen Frage sagen: Man muß das WIR-Gesetz im Zusammenhang mit dem Steuerrecht sehen. Ein Teil dieses Gesetzes hat natürlich eine Begründung - für uns politisch und sachlich nicht angenehm - in dem Besteuerungssystem der Niederlande. Es ist Ihnen sicherlich bekannt, daß dort die Progressionszone bis zu 72 % geht.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Kollege Ey.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß auch bei der Neuschaffung, beim Neuaufbau von Intensivbetrieben sowohl im Bereich des Gartenbaus als auch in dem von Ihnen genannten Bereich der Geflügelproduktion in Nachbarländern höhere, nachhaltigere Förderungsmittel bewilligt werden als bei uns?
Das kann ich so generell nicht bejahen. Ich sage: Es gibt den besonderen Fall des WIR-Gesetzes mit Prämien für Legehennen und die Möglichkeit der besonderen Abschreibung für kurzlebiges Wirtschaftsgut. Auf unser Drängen hin ist das beseitigt worden. Ansonsten würde ich diese Diskussion so von mir aus nicht gern aufnehmen, weil nicht nur die niederländische Regierung, sondern auch die niederländische Landwirtschaft mit der höheren steuerlichen Belastung operiert, und die ist unzweifelhaft gegeben.
Zu einer Anschlußfrage Herr Kollege Dr. Ritz.
Herr Bundesminister, sehen Sie derzeit auch eine Wettbewerbsbenachteiligung in den Importrestriktionen durch Frankreich gegenüber deutschen Lammfleischlieferungen?
Mir sind bisher spezielle Fälle nicht bekannt. Inzwischen gibt es ja den Beschluß über die Marktordnung. Diese muß nun in kommunitäres und in nationales Recht übertragen werden. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie an die 30%ige Einschränkung der Importlizenzen denken.
({0})
Dagegen haben wir wiederum unverzüglich, bilateral und bei der Kommission, Einspruch erhoben. Frankreich hat zwar nicht sofort reagiert, sich aber darauf berufen, daß diese Restriktionen mit der Einführung der Marktordnung aufgehoben wären.
Zu einer Anschlußfrage Herr Kollege Stutzer.
Herr Minister, Sie haben soeben in Ihrer Antwort die Steuer angesprochen. Ist es richtig, daß Sie sich für eine Erhöhung der Vorsteuerpauschale hier bei uns ausgesprochen, sich aber gegenüber den Bauern und nachher im Kabinett damit nicht durchgesetzt haben?
Nein, so ist das nicht. Es gibt einen Beschluß, sich damit nach dem Zusammentritt des neuen Bundestages zu befassen, weil erst dann die endgültigen Zahlen für das Wirtschaftsjahr 1979/80 vorhanden sind.
Zu einer Anschlußfrage Herr Kollege Oostergetelo.
Herr Minister, zurückkommend auf die Frage des Herrn Ey: Gehe ich recht in der Annahme, daß die Bundesregierung eine bäuerlich struktuierte Landwirtschaft will und jede Förderung einer industriellen Produktion diesem Ziel widerspräche?
Da gehen Sie wohl recht. Deshalb fördert die Bundesregierung diese industrielle Produktion nicht. Aber darauf kommen wir bei späteren Fragen noch zurück.
({0})
Ich möchte, damit die historische Wahrheit Margestellt wird, hinzufügen: Diese Bundesregierung hat die steuerlichen Begünstigungen, die Nichtlandwirte ursprünglich hatten, um industrielle Produktion aufzubauen, beseitigt. Das hat diese Bundesregierung im Jahre 1969 vollzogen. Das ist schon ein historischer Tatbestand.
Herr Kollege Susset zu einer Anschlußfrage.
Herr Minister, teilen Sie die Auffassung Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs, der in der „Welt" in einem Interview zum Ausdruck brachte, die Förderung des Unterglasanbaus in der Bundesrepublik solle wegen der hohen Gemüseüberschüsse künftig nicht mehr gewährt werden? Dies steht doch in Widerspruch zu Ihren Außerungen, die Sie vor dem Zentralverband des Gartenbaus gemacht haben, wo Sie erklärten, Sie wehrten sich dagegen, die Förderung des Unterglasanbaus künftig auf EG-Ebene einzustellen.
Soweit ich das Interview meines Parlamentarischen Staatssekretärs in der „Welt" gelesen habe, hat er zunächst einmal zwischen Investitionen zur Energieeinsparung und generellen Investitionen unterschieden. Hinsichtlich der Energieeinsparung gibt es gar keinen Zweifel. Wenn wir das Energieproblem im Gartenbau überhaupt lösen wollen, bedarf es erheblicher Förderung von Maßnahmen investiver Art; denn nach allen technologischen Kenntnissen können wir durch entsprechende Investitionen 50% Energie einsparen. Ein zweiter Punkt richtet sich generell - und auch das hat der Parlamentarische Staatssekretär gesagt - an Brüssel: Ich sehe keinen Grund, in Deutschland eine Förderung einzustellen, solange andere Länder es nicht tun. So etwas kann sowieso nur auf Gemeinschaftsebene beschlossen werden.
Sie können davon ausgehen, daß der Parlamentarische Staatssekretär diesen Sachverhalt kennt.
Herr Kollege Kiechle zu einer weiteren Anschlußfrage, bitte sehr.
Herr Bundesminister, darf ich Ihnen zu Ihrer Information die korrekte Formulierung dessen, was der Herr Staatssekretär gesagt hat, hier bekanntgeben, der sich nämlich nicht nur auf die Energieeinsparung bezogen, sondern erklärt hat:
Deshalb ist es höchste Zeit, zunächst einmal die staatlichen Investitionshilfen in ganz Europa in den Bereichen Milch, Fleisch und Unterglasbau auszusetzen -
Herr Kollege, Sie sollen eine Frage stellen, aber bitte nicht Zeitungsartikel vorlesen.
Ich habe gefragt, ob ich das darf, Herr Präsident.
Verehrter Kollege Kiechle, Sie haben ganz richtig zitiert. Es spricht sogar manches dafür, zu sagen: für ganz Europa. Ich kann nur sagen: Dies wird nicht so schnell zu realisieren sein. Aber ich bin auch für die Einschränkung der Förderung, z. B. für alle Standorte, in denen es Produktionsalternativen gibt. Ich bin durchaus der Meinung, daß die Milchviehförderung in reinen Zuckerrüben- und Maisstandorten nicht betrieben werden sollte.
Damit ist die Frage 28 beantwortet. Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung zu den von Bundeskanzler Schmidt in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 17. Juni 1980 angekündigten .unerläßlichen Anpassungen der Agrarpolitik"?
Verehrter Herr Kollege Dr. Ritz, ich möchte Sie fragen, ob Sie einverstanden sind, wenn ich die Fragen 29 und 30 zusammen beantworte.
({0})
Dann rufe ich auch die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Hat die Bundesregierung die Absicht, nach den Ankündigungen von Bundeskanzler Schmidt die gemeinsame Geschäftsgrundlage der EG-Agrarpolitik mit den Elementen gemeinsame Agrarpreise, Präferenz der EG-Agrarproduktion, gemeinsame Finanzierung und gemeinsamer Außenschutz aufzukündigen, oder an welche Maßnahmen hat die Bundesregierung sonst gedacht?
Die Bundesregierung hat ihre Vorstellungen zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit der EG-Agrarpolitik in ihrer Bestandsaufnahme im Jahre 1975 dargelegt und auch veröffentlicht. Seit dieser Zeit wurden - nicht zuletzt auf deutsche Initiative hin - eine Reihe von Schritten zur Verbesserung des Marktgleichgewichts auf einigen Agrarmärkten eingeleitet. Hierzu zählen Erzeugerbeteiligungen bei Milch, Lösung des Problems des Massenweizens, Beschränkung der Intervention bei Getreide auf generell drei Monate nach der Ernte, Reduzierung der Zuckerquote, Anbauregelung bei Wein und Auflockerung der permanenten Intervention bei Rindfleisch.
Im Bereich der Agrarstrukturpolitik wurden folgende Vorschläge verwirklicht: Einführung einer Prosperitätsschwelle,
({0})
Einschränkung der Förderung in der Milchviehhaltung - jüngst in Luxemburg beschlossen; ich nehme an, daß Sie das aus den Informationen wissen, die Sie von mir bekommen -, wonach sich die öffentliche Förderung auf 40 Kühe pro AK beschränkt und Einschränkung der Förderung in der Schweinemast.
Der Europäische Rat hat in Venedig die EG-Kommission aufgefordert, 1981 weitere Maßnahmen für strukturelle Änderungen vorzuschlagen, ohne dabei die Grundprinzipien der gemeinsamen Agrarpolitik in Frage zu stellen. Damit sieht sich die Bundesregierung von dem Beschluß des Europäischen Rats bestätigt.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Ritz.
Herr Bundesminister, nachdem Sie auf die Vorschläge der Regierung vom Jahre 1975 abheben, darf ich Sie fragen, wieweit diese Vorschläge mit widersprüchlichen Ankündigungen aus der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen in den letzten 14 Tagen in Übereinstimmung stehen. Und glauben Sie nicht, daß dies Ausdruck der Tatsache ist, daß eben keine geschlossene Konzeption der Bundesregierung vorliegt?
Verehrter Herr Kollege Ritz, nachdem ich gestern eine Stunde lang eine bedeutende Fernsehsendung über Renten angesehen habe, ist es für mich selbstverständlich, daß es auch auf diesem Sektor unter den Koalitionsparteien, möglicherweise unter Kabinettsmitgliedern, unterschiedliche Auffassungen gibt Was ich hier vertrete, ist die Meinung der Bundesregierung, für die ich bis heute die Verantwortung trage.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Kollege Ritz.
Dr. Ritz: ({0}): Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, welche der nachfolgenden kontroversen Meinungen sich am ehesten mit Ihrer Meinung und der Meinung der Bundesregierung deckt: die des Abgeordneten Dr. Schmidt ({1}), der von dem „Unsinn, Widersinn und Aberwitz" des europäischen Agrarmarkts spricht und fortfährt: „Diejenigen, die das Wort von einer radikalen Reform im Munde führen, wissen in der Regel nicht, wovon sie reden", oder die Aussage des SPD-Vorsitzenden Brandt, der vom „Unsinn der europäischen Agrarpolitik" sprach, die generell reformiert werden muß?
Wenn Sie gestatten, zuvor eine etwas humorvollere Antwort. Sollte ich mich jemals aus den Bonner Gefilden zurückziehen, werde ich ein Buch schreiben über Sinn und Unsinn in der Politik. Da werden Sie illustre Namen finden,
({0})
beispielsweise Alexander der Große, Nehru, Faruk, Napoleon. Dabei wird es sicher auch Politiker der Gegenwart geben.
Wenn Sie einen Psychiater fragen, werden Sie feststellen: Für Massen hat der Wahnsinn eine große Faszination.
({1})
Dies hat die Geschichte zum Nachteil der Völker bewiesen. Insoweit beruht das Humorvolle sogar auf einem sehr ernsten Hintergrund. Wenn es nicht soviel Wahnsinn in der Geschichte und in der Politik gegeben hätte, wären viel Unglück und viel Unheil vermieden worden.
({2})
Das ist das erste.
Das zweite ist dies: daß mein verehrter Kollege Schmidt ein Sachwalter und ein erfahrener Vorsitzender des Ernährungsausschusses ist, zeigt seine Bemerkung.
({3})
Ich habe nicht alles von ihm gelesen, aber diesen Satz habe ich mit Wollust gelesen. Ich kann ihn voll bestätigen.
Drittens nehme ich an, daß sein Parteivorsitzender lesekundig ist und sich deshalb mit seinem Freund Schmidt unterhalten wird.
({4})
Ich nehme an, daß nicht jede Partei ein Gesangsverein nur auf einer Stimmlage ist.
({5})
Zu einer zweiten Zusatzfrage, Herr Kollege Ritz.
Herr Bundesminister, ich darf Sie fragen, ob Sie meine Auffassung teilen, daß das, was auch aus unserer Sicht zur Begrenzung der Kosten gerade auf dem Milchmarkt notwendig ist, nur im Rahmen und unter Wahrung der Grundsäulen der gemeinsamen Agrarpolitik realisierbar ist, wenn wir auf Dauer die Vorteile etwa der Zollunion auch für die deutsche gewerbliche Wirtschaft erhalten wollen.
Ich kann das nicht nur bejahen, sondern sogar voll unterstreichen. Ich bin hier sehr freimütig und deshalb auch sehr dankbar für eine solche Fragestunde. Aus der Sicht eines nur im Nationalen verhafteten verantwortlichen Ministers kann ich auf einen gemeinsamen Agrarmarkt verzichten. Ich könnte auch einen nationalen deutschen Agrarmarkt mit stabilen Preisen und mit der Grundposition, daß die Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnimmt, gestalten - sogar mit weniger als den Nettozahlergeldem. Die Zeche bezahlen aber die Arbeiter, die in Deutschland dann ihre Arbeitsplätze verlieren. Sie bezahlen das mit wiedereingeführten Zöllen für Autos und Maschinen. Dies hat sich noch nicht geändert; daran ist nicht zu rütteln. Dies war übrigens die größte Gefahr in den Luxemburger Verhandlun18226
gen. Mein italienischer Kollege hat gesagt - jedermann kann ihn fragen, ob er das zu mir gesagt hat -: Wenn die Franzosen nationale Maßnahmen einführen, führen wir die Zölle für alle Güter ein. Das bedeutet für Deutschland mit 50 % Außenhandelsanteil an der Gemeinschaft, die FDP - - Ich meine natürlich die EFTA-Staaten, nicht FDP-Staaten.
({0})
Entschuldigung! Man darf die eigene Partei auch nicht ganz vergessen. Sie verdient diese Schleichwerbung ja. Dies war nur eine kleine Schleichwerbung - eine erlaubte, Herr Präsident.
Der Außenhandelsanteil unter Einbeziehung der EFTA-Staaten beträgt 68 %. Grosso modo geht es um 200 000 Arbeitsplätze. Insoweit kann ich Ihre Auffassung nur bestätigen.
Der Agrarmarkt ist nicht ökonomisch geboren worden. Er ist politisch geboren worden, weil unsere Partner oder ein Großteil unserer Partner nicht bereit waren und auch heute nicht bereit sind, ohne das finanzielle Fundament des Agrarmarktes und seiner Möglichkeiten an einer Zollunion im industriell-gewerblichen Bereich teilzunehmen.
({1})
Nein, Sie haben bereits zwei Zusatzfragen gehabt, Herr Kollege.
({0})
Entschuldigung, dann haben Sie zu einer weiteren Zusatzfrage das Wort. Bitte sehr.
Herr Bundesminister, da ich Ihre Meinung, die Sie hier zum Ausdruck gebracht haben, teile, frage ich Sie, ob Sie Möglichkeiten sehen, entschiedener jener Stimmungsmache entgegenzutreten, die auch und gerade bei Teilen der Koalitionsfraktionen erkennbar wird, wenn jetzt auch noch erklärt wird, daß nach den finanziellen Leistungen für die Briten nun die Bauern auch noch über erhöhte Benzinpreise subventioniert werden sollen.
Wo immer und gegenüber wem ich das kann, werde ich die Lage so schildern, wie ich sie aus meiner Verantwortung sehe und wie ich sie aus meiner Verantwortlichkeit objektiv darzustellen verpflichtet bin. Darauf können Sie sich verlassen. Sie können übrigens alle meine Veröffentlichungen nachlesen. Ich werde in Kürze einen Grundsatzartikel von 15 Seiten veröffentlichen. Hoffentlich werden diese 15 Seiten auch gelesen. Sie werden darin alle Details nachlesen können.
Ich will es Ihnen ersparen, hier zu verlesen, was der Bundestagsabgeordnete Ertl im Jahre 1964 gesagt hat. Ich könnte mich hier selber zitieren. Wenn der Herr Präsident es gestattet, gebe ich dies zu Protokoll. Es ist es wert, die Rede des Bundestagsabgeordneten Ertl aus dem Jahre 1964 zu diesem Thema nachzulesen. Es wäre einmal ganz interessant, dies damit zu vergleichen, wie die Dinge gelaufen sind.
Ich werde jetzt die folgenden Kollegen nacheinander zu Zusatzfragen aufrufen - ich sehe sie hier stehen und habe ihre Namen notiert -: die Herren Kollegen Simpfendörfer, Kiechle, Oostergetelo, Paintner und Zumpfort.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Kollege Simpfendörfer.
Herr Minister, werden Sie in diesem Zusammenhang die Vorschläge des Kanzlerkandidaten der Union aufnehmen, die darauf hinauslaufen, daß die Ausgaben in der Abteilung Garantie des Ausgleichs- und Garantiefonds plafondiert werden?
Nein. Dazu gibt es keine Zustimmung. Damit Sie sehen, Herr Kollege Simpfendörfer, wie ich geimpft bin: Ich habe sogar seine Rede „Chancen und Risiken der deutschen Wirtschaft", gehalten vor dem Deutschen Groß- und Außenhandelstag, bei mir. Da ist in diese Richtung gesprochen worden. Ich kann Ihnen dafür einen Beleg liefern.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn jemand das tun will, muß er zunächst die Zustimmung von acht Mitgliedstaaten bekommen. Ich fürchte, daß es bei dem derzeitigen Zustand innerhalb der Gemeinschaft dann zu einer ganz schweren Belastungsprobe, wenn nicht sogar zur Zerreißprobe käme.
Keine Zusatzfrage mehr? - Dann hat Herr Kollege Kiechle zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, ob die Ausführungen, die Sie in den Kernsatz einmünden ließen, daß die deutschen Bauern, wenn man die Grundsätze der Agrarpolitik antastete, die Zeche zahlen müßten, auch von den übrigen Mitgliedern des Kabinetts geteilt werden, und falls ja, wie vereinbart sich das mit dem berühmten Ausspruch des Herrn Wehner „Wir lassen uns doch nicht weiter wie Kühe melken" - oder so ungefähr - und Äußerungen des Herrn Staatssekretärs Ihres Hauses, der dieselbe Formulierung in einem Interview, allerdings in ganz anderem Zusammenhang, verwendet hat?
Wenn Sie mir alle Zitate geben, bin ich gerne bereit, Ihnen darauf eine schriftliche Antwort zu geben. Es ist immer schwierig, auf ein Zitat einzugehen, das aus dem Zusammenhang gerissen ist.
({0})
- Bitte sehr, schicken Sie mir alle Zitate. Dann kriegen Sie von mir eine schöne, präzise schriftliche Antwort. Aber ich lasse mich nicht auf den Leim Lokken. Ich nehme jetzt zu einem einzelnen Satz nicht Stellung. Denn anschließend muß ich dann vielleicht feststellen, daß ich zu etwas Stellung genommen habe, was im Zusammenhang ein bißchen anders klingt. Schicken Sie mir das. Das gebietet die Fairneß. Ich werde Ihnen eine schriftliche Antwort geben.
Ich habe übrigens nicht gesagt, daß die deutschen Landwirte die Zeche bezahlen müssen. Ich habe gesagt - damit ich nicht mißverstanden werde -: Ich könnte mir auch national eine Agrarpolitik vorstellen. Ich will Ihnen auch sagen, warum: weil die Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme - wenn Sie sich den Selbstversorgungsgrad anschauen - von Milch keine Probleme hat. Wir sind der Welt größter Importeur von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen. Ich habe also keine Probleme. Ich könnte sogar große Kontingente vergeben, ich könnte gute Geschäfte machen. Das Milchproblem wäre national lösbar.
Das Problem liegt auf einer ganz anderen Ebene. Wir haben nämlich Partnerstaaten, deren Selbstversorgungsgrad z. B. bei Butter so aussieht - ich nenne Ihnen jetzt ein paar Zahlen -: in den Niederlanden 505 %, in Dänemark 301 % und in Irland 336 %. Wenn Sie für diese Länder konsequent die Anpassung an den Markt verlangen, müssen Sie dort die Landwirtschaft weitgehend eliminieren. Dann haben diese Länder an dieser Agrarpolitik allerdings kein Interesse mehr. Dann haben sie auch kein Interesse mehr daran, deutsche Autos zollfrei hereinzulassen. Das ist die logische Schlußfolgerung. Das muß man wissen.
Das ist ein politisches Geschäft, das ist kein ökonomisches Geschäft. Ich kann nur nochmals sagen: Wer sich darüber informieren will, der möge meine Rede aus dem Jahr 1964 nachlesen. Damals habe ich schon darauf hingewiesen, und seitdem hat sich nichts geändert. Manchmal bleiben die Tatbestände eben dieselben, weil die Interessen dieselben geblieben sind.
Herr Abgeordneter Kiechle, zu einer zweiten Zusatzfrage.
Auch wenn Sie das Zitat des Herrn Fraktionsvorsitzenden Wehner nicht kennen und mir darauf schriftlich antworten wollen, muß ich gleichwohl feststellen, daß Sie, der Sie für die Bundesregierung sprechen,
(Bundesminister Ertl: Der Herr Wehner
nicht angehört»
meine Frage bedauerlicherweise nicht beantwortet haben. Ich darf sie daher wiederholen: Teilen alle Minister Ihres Kabinetts - Sie geben ja für die Bundesregierung Auskunft - die Auffassung hinsichtlich der deutschen Arbeiter - ich habe nicht von den Landwirten gesprochen -?
Ich habe nie' jemanden im Kabinett gehört, der dem widersprochen hat; sonst würde sich die Bundesregierung auch nicht zu den Prinzipien der gemeinsamen Agrarpolitik bekennen.
Übrigens darf ich noch hinzufügen: Herr Wehner ist Fraktionsvorsitzender der SPD und ist nicht Mitglied des Kabinetts. Er war aber Kabinettskollege von Franz Josef Strauß. Das ist auch ein wichtiger Tatbestand der deutschen Geschichte.
({0})
Herr Kollege Oostergetelo, zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, werden in Ihrem geplanten Buch „Sinn und Unsinn in der Politik" auch Unionspolitiker vorkommen, die bei jeder Preisverhandlung von zu geringen Preiserhöhungen geredet und bei jedem Grünen Bericht die Klagelieder Jeremias' angestimmt haben?
Bei Sinn und Unsinn ist die Palette der Menschheit wahnsinnig groß.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Paintner.
Herr Minister, hätte eine grundsätzliche Änderung der gemeinsamen Agrarpolitik auch Auswirkungen auf die Ernährungssituation?
Zumindest würde unser Selbstversorgungsgrad geringer werden.
Zu einer Zusatzfrage der Kollege Zumpfort.
Herr Minister, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Opposition hier ein völlig falsches Bild erzeugt, das Bild nämlich, daß Mitglieder der Regierung oder der Regierungsparteien für eine Abschaffung des Agrarmarktsystems plädierten, während es doch vielmehr darum geht, in wenigen, aber wichtigen Bereichen des Agrarsystems die bestehende Ordnung so zu reformieren, daß das Angebot an die Nachfrage angepaßt werden kann, und sollte die Opposition hierzu nicht eigentlich vernünftige Vorschläge machen, statt so polemisch zu agieren?
({0})
Zunächst möchte ich fairerweise sagen: Bis jetzt sind das durchweg ganz nette Fragen gewesen.
Hinzufügen möchte ich: Natürlich wäre das eigentlich das Hauptziel. Nur muß man die politischen Realitäten sehen. Das muß ich hier in aller Deutlichkeit sagen; da soll sich niemand Illusionen machen. Es geht nicht um die Frage der Gestaltung der Produktion bei uns in Deutschland, es geht um die Gestaltung der Produktion der Hauptagrarexportländer in der Gemeinschaft und um ihre politischen Zielsetzungen.
Ich kann jetzt nur sinngemäß zitieren, aber ich denke, Sie werden mir das abnehmen. Frankreichs Staatspräsident hat erklärt: Einen Teil der Devisenmehrausgaben für 01 wollen wir durch höhere Agrarexporte hereinbringen. Und im Weißbuch der britischen Regierung ist verankert, daß Großbritannien Devisenmehrausgaben für Nahrungsmittel dadurch sparen will, daß es die Produktion ausdehnt.
({0})
Ich könnte die Reihe dieser Zitate fortsetzen. Dies ist die politische Realität.
({1})
Deshalb gibt es bis heute zwar einen gemeinsamen Agrarmarkt, aber keine gemeinsame Zielsetzung bezüglich Produktionskapazität und Vermarktung. Diese Zielsetzung wird weitgehend durch einzelstaatliche Interessen bestimmt, und ich sage Ihnen, das bleibt so. Das liegt an der gesamten politischen Koppelungskonstruktion. Das Vernünftigste und ökonomisch einzig Richtige wäre gewesen - das können Sie übrigens auch in meiner Rede von 1964 nachlesen -, zunächst die Wirtschaftsharmonisierung und die Währungsharmonisierung herbeizuführen und erst im Zuge der Gesamtharmonisierung die Agrarpolitik einzubauen.
({2})
Aber das ist politisch nicht realisierbar gewesen.
({3})
Deshalb muß man sich mit diesen Gegebenheiten abfinden. Ich sage Ihnen, Irland denkt nicht daran, die Agrarproduktion zu reduzieren, Holland denkt nicht daran, Dänemark denkt nicht daran. Das gilt mit Ausnahme der Maßnahmen, die wir durchgesetzt haben, z. B. der Mitverantwortungsabgabe. Im Prinzip ist das ein vitales Interesse auf Grund der volkswirtschaftlichen - insbesondere handelspolitischen - Situation dieser Länder, wie sie sich dort nun einmal zwangsläufig ergibt.
Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Besch.
Herr Bundesminister, nachdem Sie die Ursprungsfrage des Kollegen Dr. Ritz, die Frage 29, bisher für mich erkennbar nicht beantwortet haben, möchte ich Sie doch noch einmal fragen: Welche konkreten Vorstellungen hat der Bundeskanzler gehabt, als er hier vor einer Woche von den „unerläßlichen Anpassungen der Agrarpolitik" sprach?
Das beginnt - ich habe es zitiert, und Sie können es nachlesen - mit unseren Vorschlägen im, Rahmen einer Bestandsaufnahme. Ein Teil dieser Vorschläge ist realisiert, ein Teil ist nicht realisiert. Ein Teil stand bei den jüngsten Verhandlungen zur Diskussion.
Selbstverständlich stellt sich dabei für uns auch die Frage: Wieweit sind wir finanziell belastbar? Das ist eine notwendige Frage, die, so glaube ich, auch jeder Verantwortliche in diesem Hohen Hause sich stellen muß. Eine Gemeinschaft, die uns in eine Inflation hineintriebe, würde ein Fundament legen, auf dem sicher nicht eine krisenfeste Gemeinschaft aufgebaut werden könnte.
Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Sauter.
Herr Bundesminister, teilen Sie die Auffassung, daß es sich bei der jetzigen Situation auf dem europäischen Agrarmarkt um eine lange vorher erkennbare Krise handelt, daß
das, was wir heute haben, von den politisch Tätigen, im besonderen von den Regierenden, am allerwenigsten aber von den Landwirten zu verantworten ist und daß man hier von einem Versagen der Verantwortlichen sprechen kann?
Herr Sauter, erstens will ich Ihnen sagen: Mit dieser Politik sind bisher weder die Landwirte noch die Verbraucher schlecht gefahren.
({0})
Das möchte ich in aller Deutlichkeit und Klarheit feststellen. Da mag man über den einen oder den anderen Punkt einmal streiten und sagen, es hätte besser sein können, aber zunächst steht fest, daß unsere Landwirte grosso modo an der allgemeinen Einkommensentwicklung der letzten zehn Jahre teilgenommen haben. Ich verkenne nicht die schwierige Kostensituation, die sich im Moment stellt. Ich möchte das nicht herunterspielen.
Ich möchte zweitens feststellen: Noch nie hat der deutsche Verbraucher für sein Geld so viel gute, preiswerte und vielfältige Lebensmittel bekommen. Dies ist in der Welt fast einmalig.
({1})
Studieren Sie einmal einen Lebensmittel-Supermarkt in Amerika. Sie werden feststellen, da gibt es weder Weißwürste noch Leberkäs noch Leberwurst noch sonst was ähnliches.
({2})
Da gibt es höchstens ganz faden Schmelzkäse, so daß ich zu meinem Kollegen in den USA gesagt habe: Kauft doch endlich einmal bei uns anständige Wurstwaren und anständigen Käse ein, damit es euren Verbrauchern besser geht.
Dies sind alles Dinge, die darf man nicht so von der Hand weisen. Ich brauche meine Auffassung nicht zu ändern. Diese Gemeinschaft, dieser Agrarmarkt ist ein politisches Werk. Er ist kein ausgesprochen ökonomisch orientiertes Werk, und dabei wird es auch bleiben.
Zu einer zweiten Zusatzfrage, Herr Kollege Sauter.
Herr Bundesminister, gestatten Sie mir den Hinweis, daß Sie meine Frage nicht beantwortet haben, weil ich nach den Verantworlichen für die jetzige Situation gefragt habe und hier die Auffassung vertreten worden ist, daß es sich um eine lange vorher erkennbare Fehlentwicklung gehandelt hat. Ich habe Sie gefragt, ob Sie als Mitglied der Regierung nicht bereit sind, wenigstens einen Teil der Verantwortung für die jetzige Situation zu übernehmen.
Herr Kollege Sauter, ich schicke Ihnen meine Rede aus dem Jahre 1964.
({0})
Da werden Sie das alles genau nachlesen können.
Ich stimme Ihnen zu, die Landwirte als solche soll
man nicht verantwortlich machen. Die Verantwortung tragen die Politiker, deshalb habe ich bewußt gesagt, mit dieser Politik sind Landwirte und Verbraucher und, wie ich meine, auch die Europäer und wir Deutschen wirtschaftlich und politisch nicht so schlecht gefahren, wie es von manchen Leuten in diesem Lande vertreten wird.
({1})
Zu einer Zusatzfrage, der Kollege Susset.
Herr Minister, nachdem wir die 64er Rede nicht da haben
({0})
- aber ich habe sie nicht hier -, möchte ich doch fragen, was Sie von der Äußerung des Bundesgeschäftsführers der SPD, des Herrn Bahr, am 17. Juni von diesem Pult aus halten, wo er erklärte, daß die europäische Agrarpolitik Anlaß gibt, den europäischen Gedanken insgesamt zu diskreditieren. Können Sie mir weiter antworten, ob es irgendwo in einem Land der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ähnliche negative Äußerungen maßgeblicher Politiker zur EG-Agrarpolitik gibt?
Ja, die gibt es schon. Da brauchen Sie nur die britische Presse zu lesen. Ich könnte auch noch ein paar andere zitieren. Aber auch hier will ich das ganze Zitat haben. Außerdem steht es einem Minister nicht zu - er ist ja der Legislative untergeordnet -, ein Mitglied dieses Hohen Hauses, noch dazu erhöht, zu kritisieren. Ich kann nur sagen, wer die Geschichte der Europäischen Gemeinschaft kennt und wer die ökonomischen und politischen Ursachen kennt, wird wissen, daß diese Gemeinschaft ohne diese Koppelung heute nicht leben würde.
Ich füge ein Weiteres hinzu, und das ist meine Erfahrung aus zehn Jahren Brüssel. Nicht alles, was dort gemacht wird, gefällt mir. Manches würde ich, wenn ich es allein zu machen hätte, anders machen. Ich habe mich aber daran gewöhnt, daß die Gemeinschaft nur in einem fairen Interessenausgleich leben kann. Ich sage hier einmal aus einer Sicht, die, glaube ich, in unsere Zeit hineinpaßt: Wenn es so etwas wie eine Europäische Gemeinschaft, einen Europäischen Ministerrat oder auch einen europäischen Gipfel vor dem Ersten Weltkrieg gegeben hätte, wären unserer Menschheit möglicherweise zwei Weltkriege erspart geblieben. Daran sollte man auch denken und nicht nur darauf sehen, was das auf Heller und Pfennig bringt.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Susset? - Nicht. Herr Kollege Klinker.
Herr Bundesminister, sind Sie der Meinung, daß die neuesten Erklärungen des Bundeskanzlers zur Finanzierung in der EG überhaupt praktisch verwirklicht werden können? Die kleinen Länder haben ja schon Widerstand angemeldet.
Ich kann nur sagen, daß die Finanzierung in der Tat ein sehr kontroverses Thema ist. Die Hauptbetroffenen, die großen Nettoempfänger, sind die kleinen Länder, Dänemark, Irland, Holland, die Beneluxländer überhaupt. Sie haben alle erklärt, sie könnten eine solche Umverteilung nicht akzeptieren. Daraus sieht man eben, daß das ein sehr kontroverses Thema sein wird. Unbeschadet dessen muß ein deutscher Bundeskanzler auch dafür sorgen, daß unsere Währung stabil bleibt und unser Geld so ausgegeben wird, daß es sinnvoll ist. Hier muß ich auch das Wort „sinnvoll" gebrauchen, ohne gleich bei „unsinnig" zu landen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Simpfendörfer.
Herr Bundesminister, können Sie bitte bestätigen, daß eine Reform in Teilbereichen der Marktordnungen schon deswegen zwingend notwendig ist, weil andernfalls die eigenen Mittel der EG spätestens 1982 erschöpft wären?
Da bin ich inzwischen etwas vorsichtiger geworden, Herr Kollege Simpfendörfer. Denn ursprünglich hat man mir gesagt, das passiere schon 1981. Nach dem jetzt vorliegenden Haushalt der Kommission - mehr kann ich auch nicht zitieren - beträgt der Mehrwertsteueranteil 0,78 %. Früher hat man gesagt, der Anteil gehe schon auf 0,90 % zu. Ich bin da also, wie gesagt, sehr vorsichtig. Denn es hängt sehr davon ab, wie sich Produktion, Absatz und Weltmarktpreise entwickeln.
Ich will Ihnen hier ein Beispiel nennen: Zur Zeit machen wir ein Geschäft mit Zucker, weil der Weltmarktpreis um 25 % über dem Gemeinschaftspreis liegt. Ich habe die Kommission mit allem Nachdruck aufgefordert, 400 000 Tonnen Zucker zu verkaufen,
({0})
und zwar im Interesse der Stabilisierung der Weltmarktpreise. Der Weltmarktpreis für Butter ist seit 1979 um ungefähr 50% gestiegen. Ob das allerdings in einem Jahr auch noch so ist, kann ich nicht sagen; das weiß kein Mensch. Deswegen bin ich etwas vorsichtig bei Prognosen. In einem allerdings bin ich sicher: Die Kosten des Beitritts sind mit 1 % Mehrwertsteueranteil, so wie es auch dieser Bundestag beschlossen hat, nicht zu verkraften. Das muß man wissen und auch ganz offen zugeben.
Dennoch wird es notwendig sein, Maßnahmen zu ergreifen. Ich meine, es ist zwar nicht alles in Butter - um das sehr plastisch zu sagen -, aber wir können doch sagen, daß es gewisse Fortschritte gibt. Denken Sie an den Getreidemarkt oder an den Hopfenmarkt, den wir stabilisiert haben. Ich denke auch daran, daß wir im Moment, obwohl die Hauptsaison der Anlieferung hinter uns liegt - bekanntermaßen beginnt der Rückgang der Milchanlieferung im Juli -, 154 000 Tonnen Magermilchpulver haben; das ist der normale Bestand. Auch die Buttermengen sind in den letzten Wochen nicht gestiegen.
Ich will damit nicht sagen, daß wir aus der Malaise heraus sind. Mir wäre es z. B. lieb gewesen, wenn ich mich gegenüber den Engländern, Dänen und ande18230
ren mit der Forderung hätte durchsetzen können, die Mitverantwortungsabgabe nach der Fläche zu erhöhen, so daß z. B. derjenige, der mehr als 12 000 Liter pro Hektar erzeugt, dafür eine 5 % höhere Mitverantwortungsabgabe zahlt Das wäre eine wirksame Maßnahme, auch im Hinblick auf eine zu starke Ausweitung in Form von industrieller Produktion.
Herr Kollege Ey zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Minister, ist die zwischen Ihnen und Herrn Kollegen Simpfendörfer offenbar unterschiedliche Beurteilung der Agrarfinanzierung nicht doch ein Indiz für bestehende tiefe Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der künftigen Agrarpolitiken?
Nein, der Minister hat nur den Vorteil, daß er einen Informationsvorsprung hat. Das ist ja das Leidige für das Parlament; da tut mir der Herr Simpfendörfer sehr leid. Ich habe bereits die genauen Zahlen von der Kommission, die er erst in acht Tagen bekommt. Deshalb mußte ich ihn in dieser Form korrigieren. Ansonsten ist er ein guter Mann, der mich ständig unterstützt
({0})
Meine Damen und Herren, der Präsident hat zwar das Recht, Zusatzfragen dann nicht mehr zuzulassen, wenn er den Eindruck hat, die Fragestunde im ganzen sei dadurch gefährdet Aber ich habe nicht die Absicht, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Ich weise Sie nur darauf hin: Von den vielen Fragen zum Thema Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind bis jetzt erst drei behandelt Dafür haben wir bereits mehr als die Hälfte der für die ganze Fragestunde zur Verfügung stehenden Zeit verbraucht. Wenn sich der Bundestag mit Fragen nicht mäßigt, muß er damit rechnen, daß 90 % der Fragen, die für heute vorgesehen sind, nicht beantwortet werden können. Ich kann weder dem Fragesteller ins Wort fallen, noch kann ich die Kürze der Antworten des Herrn Bundesministers anordnen.
Ich rufe nunmehr die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf:
Teilt die Bundesregierung die vom französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing vor der ständigen Landwirtschaftskammer Frankreichs kürzlich geäußerte Auffassung, daß die fundamentalen Grundsätze der gemeinsamen Agrarpolitik unantastbar seien?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung teilt die Auffassung des französischen Staatspräsidenten. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Beschlüsse der Außenminister vom 30. Mai 1980. Der Europäische Rat hat diese am 13. Juni 1980 in Venedig bestätigt. Danach wurde der Kommission der Europäischen Gemeinschaft das Mandat erteilt, bis Mitte 1981 eine Überprüfung der Gemeinschaftspolitik vorzunehmen, ohne die gemeinsame finanzielle Verantwortung für diese aus eigenen Mitteln der Gemeinschaft finanzierte Politik oder die Grundprinzipien der gemeinsamen Agrarpolitik in Frage zu stellen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kiechle.
Herr Bundesminister, wenn die Bundesregierung und die Außenminister bei ihrem Beschluß diese Grundprinzipien bejahen, worauf beziehen sich dann die diversen Vorschläge vom Herrn Bundeskanzler bis zu Herrn Bahr für massive Änderungen? Können Sie mir da konkret etwas sagen?
Mir sind hier keine massiven Änderungsvorschläge bekannt Mir ist nur bekannt - und diese Auffassung teile ich -, daß man dort, wo weit über den normalen Vorrat hinaus produziert wird, Überschüsse reduzieren sollte. Diese Auffassung teile ich, wie gesagt Sie haben ja zuvor zwei Texte verlesen. Die werde ich prüfen, und ich werde Ihnen eine präzise schriftliche Antwort geben. Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Abgeordneter Kiechle: Ich spreche hier und beantworte Ihre Frage namens der Bundesregierung.
Zu seiner zweiten Zusatzfrage der Kollege Kiechle.
Herr Bundesminister, da Sie soeben von Überschüssen über die normale Vorratshaltung hinaus gesprochen haben, frage ich Sie: Können Sie mir in Zahlen angeben, was normale und daher nicht zu kritisierende Vorratsmengen sind?
Das ist je nach Produkt sehr unterschiedlich. Ich würde zum Beispiel bei Butter ein Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung als normal empfinden. Da in der Gemeinschaft ca. 260 Millionen Menschen leben, wären das 260 000 t, was ungefähr einem Zwei-Monats-Konsum entspricht. Aber das ist meine ganz subjektive Meinung. Es kann auch einer sagen: Das ist vielleicht um die Hälfte zu viel. 'Ober diese Summe kann man dann miteinander streiten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf:
Wie stellt sich die Bundesregierung die Einführung von Ober- und Untergrenzen bei Nettozahlern und Nettoempfängern im Rahmen der EG-Agrarfinanzierung vor, wie Bundeskanzler Schmidt sie vorgeschlagen hat?
Herr Abgeordneter, der Herr Bundeskanzler hat nicht die Einführung von Ober- und Untergrenzen im Rahmen EG-Agrarfinanzierung vorgeschlagen. Ich verweise auf seine Regierungserklärung vom 17. Juni 1980, in der er darauf hingewiesen hat, daß „die Ungleichgewichte im Haushalt der Gemeinschaft nur durch strukturelle Anpassungen korrigiert werden können„. Wörtlich hat er weiterhin folgendes ausgeführt:
Falls die erstrebten strukturellen Anpassungen nicht ausreichen, um das Auftreten neuer unzumutbarer Nettozahlerpositionen einzelner Mitgliedsstaaten zu verhindern, wird sich die Frage
stellen, ob die Errichtung einer Obergrenze für die Nettobelastung eines Mitgliedsstaats verallgemeinert und ob ein ähnlicher Grundsatz auch für solche Mitgliedstaaten aufgestellt werden sollte, die Nettoempfänger sind.
Dies war das wörtliche Zitat.
Herr Kollege Kiechle zu einer Zusatzfrage.'
Herr Bundesminister, da dies eine Äußerung des Bundeskanzlers war, wenn auch erst im zweiten Satz, frage ich Sie, ob das nicht exakt eine Plafondierung der Mittel im Agrarbereich der EG bedeutet.
Nein, Herr Kollege Kiechle. Das sind zweierlei Stiefel. Hier geht es darum, daß wir eine unterschiedliche Relation und, wenn Sie das Sozialprodukt der einzelnen Mitgliedstaaten sehen, vielleicht auch eine nicht ganz gerechte Relation haben.
Ich will Ihnen das einmal auf Grund der neuesten Zahlen verdeutlichen. Durch die EG-Beschlüsse vom Mai 1980 verändern sich die Nettosalden der Mitgliedstaaten in Millionen ERE wie folgt: Für die Bundesrepublik Deutschland von minus 1 192 auf minus 1 725, für Großbritannien von minus 1 784 auf minus 623, von Frankreich von plus 15 auf minus 365, für Italien von plus 808 auf plus 684, für Irland von plus 535 auf plus 545, für Belgien von plus 484 auf plus 427, für die Niederlande von plus 425 auf plus 380, für Luxemburg von plus 287 auf plus 284 und für Dänemark von plus 422 auf plus 406. Daraus sieht man, daß Länder mit ganz unterschiedlichen Sozialprodukten zum Teil ganz unterschiedlich behandelt werden. Großbritannien - das muß man fairerweise zugeben - steht beim Sozialprodukt an drittletzter Stelle. Schlechter steht Irland. Wesentlich besser stehen Länder wie Luxemburg, Dänemark, Niederlande - um bloß diese zu nennen. Aus der gebotenen Fairneß und Rücksichtnahme und im Interesse des Klimas in Europa will ich nicht mehr sagen; denn ich möchte nicht 01 ins Feuer gießen. Die Sache ist, glaube ich, seit den letzten Tagen doch Gott sei Dank wieder in einem, wie ich meine, etwas kooperativeren Fahrwasser.
Herr Kollege Kiechle hat das Wort zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, da Sie vom Wort „Plafondierung" abrücken, möchte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht der etwas deutscheren Formulierung „Begrenzung" angesichts des Umstandes zustimmen können, daß sowohl der Finanzminister als auch der Bundesminister und eine Reihe anderer Politiker das Mehrwertsteueraufkommen trotz des möglichen und angekündigten Beitritts von weiteren drei Staaten nicht zu erhöhen gedenken und daß weder bei den Empfängern noch bei den Zahlern von einer Veränderung der Ober- bzw. der Untergrenzen die Rede ist.
Korrekterweise möchte ich hinzufügen, daß dieser Beschluß - ich glaube mit
Ausnahme der Kollegen Paintner und Bangemann - einstimmig zustande kam. Ich habe gerade Herrn Kollegen Carstens gesehen, der damals Schriftführer bzw. Berichterstatter war. Im Bundestag wurde also einschließlich der Opposition beschlossen, daß an 1 % Mehrwertsteuer festgehalten wird. Diesen Auftrag des Gesetzgebers muß die Bundesregierung befolgen, wobei ich Ihnen nochmals sage, daß die Bundesregierung von mir schon vor fünf Jahren ein Memorandum bekommen hat, in dem die finanziellen Auswirkungen des Beitritts dargelegt wurden und in dem ich darauf hingewiesen habe, daß die Erweiterung mit 1 % Mehrwertsteueranteil nicht zu finanzieren ist. Diese Frage stellt sich natürlich erneut im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Oostergetelo.
Herr Minister, ist nicht der Versuch, zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zu kommen, auch ein Interesse einer bäuerlichen Landwirtschaft selbst, damit die Marktordnungskosten nicht noch mehr Anteile ausmachen und die Möglichkeiten der Strukturhilfe nicht noch eingeschränkt werden? Ist es richtig, Herr Minister, daß zu große Betriebe oft genug von den Preisgarantien mehr als die bäuerlichen Strukturen profitieren?
Da ist sicherlich etwas dran; aber das wird auch in anderen Bereichen so sein. Ich kann mir vorstellen, daß es durchaus zwischen einem Fahrrad- und einem Mercedeshersteller einen Differentialgewinn gibt. Das ist eine ähnliche Situation wie zwischen einem Metzger, der allein oder mit zwei Gehilfen arbeitet, und einer gutgehenden Wurstfabrik. Der Differentialgewinn gehört zu unserer Wirtschaftsordnung; an der lasse ich nicht rütteln. Der Fleißigere soll mehr haben, und weil er mehr hat, zahlt er zusätzlich zu seinem Fleiß auch noch mehr Steuern. Das ist für die Wirtschaft ganz nützlich.
Ich stimme Ihnen zu, daß wir ein Selbstinteresse an der Erhaltung unserer bäuerlichen Landwirtschaft haben müssen. Diese Zielsetzung werden die klassischen Agrarexportländer nicht akzeptieren. Daran scheitern z. B. auch alle Versuche zur Staffelung der Mitverantwortungsabgabe, die ich will. Eine derartige Mitverantwortungsabgabe würde z. B. bedeuten, daß ein Betrieb, der über 100 000 oder auch 200 000 Liter Milch erzeugt, eine höhere Abgabe zahlen muß. Bei einem Betrieb, der gar über 12 000 Liter pro Hektar erzeugt, betrüge diese Abgabe dann möglicherweise 5 %. Dagegen sträuben sich zum Teil klassische Agrarproduzentenländer und auch das große Importland Großbritannien. Das ist der politische Tatbestand.
({0})
- Nein, aber die deutschen Bauern haben trotzdem an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilgenommen.
Herr Kollege Simpfendörfer zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ergänzend zu der Frage des Kollegen Kiechle nach der Position der Bundesregierung in der Frage von Nettozahlern und Nettoempfängern und möglichen Begrenzungen in beiden Richtungen möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß der Haushaltsausschuß in der Zwischenzeit, nämlich in der vergangenen Woche, einstimmig beschlossen hat, diese Position der Bundesregierung und des Bundeskanzlers zu stützen und sich zu eigen zu machen.
Herr Simpfendörfer, ich bin Ihnen für diese Mitteilung sehr dankbar; ich habe das nicht gewußt. Aber daß ein Parlamentarier schneller und besser als ein Minister informiert sein kann, ist für mich ein glückliches Beispiel funktionierender Demokratie.
({0})
Herr Kollege Dr. Ritz zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, unabhängig von dieser Auskunft möchte ich Sie fragen, ob der Vorschlag des Bundeskanzlers, den er hier am 17. Juni gemacht hat, Teil der von Ihnen vorhin geschilderten Konzeption ist, die bereits 1975 erarbeitet worden sein soll.
Nur insoweit, als auch die Konzeption 1975 darauf abgestimmt war, vernünftigere Nettoempfänger- und Nettozahlerpositionen zu bekommen. Die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers ist exakt auf das Ergebnis der Verhandlungen mit den Briten zurückzuführen. Das ist der Punkt
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Müller ({0}).
Herr Bundesminister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es sehr lobenswert ist, daß die Bundesregierung dort, wo es möglich und vertretbar ist, versucht, auch auf dem EG-Agrarsektor zu sparen, nachdem die Opposition ja immer wieder fordert: Bei Ausgaben muß gespart werden?
Ich bin überhaupt für sparsame Politik, und zwar generell für alle. Dazu sind wir auch schon gezwungen.
({0})
- Die bayerische Staatsregierung steht bei den Ausgaben für Propaganda in nichts nach, wenn ich das sagen darf, Herr Präsident Ich möchte einmal soviel Geld haben, um so viel Vielfarbdrucke bezahlen zu können.
({1})
- Weil Sie so viel vom Bund bekommen. ({2})
Ich bitte die Damen und Herren im direkten Gespräch mit dem Herrn Minister, die Debatte nicht zu verlängern.
({0})
Herr Kollege Zumpfort, Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, bedeutet die augenblickliche Festschreibung auf 1 % nicht auch, daß in Zukunft mehr Mittel für den Agrarbereich zur Verfügung gestellt werden können, wenn das Umsatzvolumen und damit auch die Summe der Einkünfte im Wirtschaftsbereich der EG insgesamt steigt, und daß insofern der erzeugte Eindruck, daß keine zusätzlichen Ausgaben mehr gemacht werden können, so nicht stichhaltig ist?
Das ist exakt richtig. - Vielen Dank.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen zu Frage 32 wird nicht gewünscht.
Ich rufe Frage 33 des Herrn Abgeordneten Schröder ({0}) auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Kosten der gemeinsamen Agrarpolitik mit 0,6 v. H. des Bruttosozialprodukts der Europäischen Gemeinschaft nur einen geringen Bruchteil der Vorteile ausmachen, die dem industriell gewerblichen Sektor durch die Zollunion zugewachsen sind die ohne eine gemeinsame Agrarpolitik gar nicht zustande gekommen wäre?
Herr Kollege, es ist richtig, daß die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ohne die Einbeziehung der Agrarpolitik nicht zustande gekommen wären. Das habe ich übrigens vorhin schon gesagt Ebenfalls unbestritten sind die wirtschaftlichen Vorteile, die alle Mitgliedstaaten aus dem freien innergemeinschaftlichen Warenverkehr gezogen haben. Ich füge sogar hinzu: Sobald Großbritannien mit durchschnittlich 50 % am innergemeinschaftlichen Handel teilhat, wird sein Finanzierungsproblem wesentlich geringer sein. Bei der Beurteilung der gemeinsamen Agrarpolitik sind diese allgemeinen Vorteile der Zollunion immer gesehen worden.
Der Hinweis, daß die Ausgaben der gemeinsamen Agrarpolitik nur 0,6 % des Bruttosozialprodukts der Gemeinschaft ausmachen, ist richtig, besagt aber wenig. Die zentrale Frage, die die Gemeinschaft in der nächsten Zukunft zu lösen hat, besteht in der Agrarpolitik. Sie muß so gestaltet werden, daß sie sich im Rahmen der Eigenmittel der Gemeinschaft hält, wobei nach einem Beschluß des Deutschen Bundestages, dem alle Fraktionen zugestimmt haben - Herr Kollege Simpfendörfer hat mich daran erinnert, daß auch der Haushaltsausschuß das offensichtlich erneut bestätigt hat -, der Mehrwertsteueranteil von 1 % nicht überschritten werden darf.
Gegenwärtig beanspruchen die Agrarausgaben ca. 70 % des EG-Haushalts. Darin enthalten sind jedoch auch die Ausgaben für 1,3 Millionen t AKPBundesminister Ertl
Zucker - das macht 400 Millionen Rechnungseinheiten aus -, für 120 000 t Neuseeland-Butter - das entspricht 250 Millionen ERE - und weitere 400 Millionen ERE für die Nahrungsmittelhilfe. Diese Maßnahmen machen insgesamt 10 % jener 70 % aus, so daß die Agrarausgaben, die durch die eigene Produktion und deren Verwertung oder Lagerung und ähnliches mehr verursacht sind - es kommt natürlich auch ein Strukturanteil hinzu -, bei 63 % und nicht bei 70 % liegen. Die Ausgaben, die ich am Schluß genannt habe, sind nicht Folgen der Agrarpolitik, sondern unserer Außenhandelspolitik und liegen im Interesse eines weltoffenen Handels.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schröder.
Herr Minister Ertl, Sie haben in Ihrer Antwort auf einige Zusatzfragen die positiven Auswirkungen auf die Schaffung oder auf die Sicherung von Arbeitsplätzen schon angedeutet. Teilen Sie meine Auffassung, daß die öffentliche Hand darüber hinaus auch erheblich mehr Steuereinnahmen zu verzeichnen hatte und dadurch auch in der Lage war, ein Mehr an öffentlichen Leistungen für die Bürger zu erbringen, und ist es nicht außerdem so, daß durch die gute Beschäftigungslage, die sich auch aus dem Beitritt zum Gemeinsamen Markt ergeben hat, auch ein Beitrag -
Herr Kollege Schröder, ich muß Sie bitten, Ihre Frage kurz zu fassen. Sie halten hier eine Rede.
Ich frage Sie, ob dadurch nicht auch eine Verbesserung des sozialen Netzes erreicht wurde.
Also ich will es kurz machen: Ich habe die Frage des Herrn Kollegen Zumpfort mit „Exakt richtig" beantwortet. Kollege Zumpfort hatte in der ihm eigenen Art genau dasselbe gefragt.
Natürlich ist durch diese Gemeinschaft in Gesamteuropa ein höherer Wohlstand entstanden. Ein höherer Wohlstand führt zu höheren Steuereinnahmen und damit auch zur Möglichkeit höherer öffentlicher Leistungen.
Ich will das nur an einem klassischen agrarischen Beispiel noch demonstrieren - ich soll mich ja kurz fassen; ich habe die höfliche Verwarnung vom Herrn Präsidenten schon gehört; ich nehme sie auch gern zur Kenntnis -: Als die Italiener dem Gemeinsamen Markt beitraten, lag ihr Durchschnittskonsum bei 30 kg Fleisch; heute liegt er bei 80 kg. Das sind die Wirkungen eines europäischen Gemeinsamen Marktes. Es liegt doch in der Natur der Sache, daß ein größerer Markt viel stabiler als ein kleinerer Markt ist.
Herr Kollege Schröder, zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Minister, nachdem Sie die positiven Auswirkungen dargestellt haben, muß ich die Frage stellen: Wie ist es zu erklären, daß der SPD-Vorsitzende vom „Unsinn und Aberwitz der europäischen Agrarpolitik" spricht? Ist es Unkenntnis, oder ist das einfach Wahlkampfagitation?
Zunächst ist er mit dieser Meinung nicht allein. Wie ich schon vorhin gesagt habe, werde ich, wenn ich Bonn den Rücken kehre, über Sinn und Unsinn ein Buch schreiben. Vielleicht wird es auch den Titel bekommen: Die Verrückten in der Politik. Man darf nicht alles so nehmen, wie es scheint.
({0})
- Ich habe vorhin Beispiele genannt. Sie brauchen nur die Protokolle des Deutschen Bundestages nachzulesen, dann haben sie genug Stoff dafür.
Ich will nochmals sagen: Dieses Urteil wird nicht nur von einzelnen Politikern so abgegeben, sondern auch von einem Großteil der öffentlichen Meinung. Es liegt an uns allen, an Ihnen wie an mir, an allen, die in dieser Offentlichkeit Verantwortung tragen, für Sachlichkeit und Objektivität zu sorgen.
Zu einer Zusatzfrage, der Kollege Paintner.
Herr Bundesminister, welche Auswirkungen haben die von Ihnen genannten Importe auf die Bildung von Überschüssen?
Sie sind auf jeden Fall auch ein Bestandteil der Lagerhaltung. Im Moment haben wir bei Butter einen Bestand von ungefähr 284 000 t. Wenn wir zusätzlich 120 000 t importieren, versteht sich auf jeden Fall, daß diese Menge mit in die Überschußmenge eingeht. Da gibt es keinen Zweifel.
({0})
Zu einer Zusatzfrage, Frau Kollegin Martiny-Glotz.
Herr Minister, ich habe mich wegen der von Ihnen gewählten Formulierung, daß die europäische Agrarpolitik im Interesse eines weltoffenen Handels liege, gemeldet und möchte Sie angesichts des zunehmenden Handelsprotektionismus bei allen möglichen Gütern fragen, ob Sie nicht der Meinung sind, daß die Exportsubventionierung und die Importkontingentierung von Agrarprodukten im europäischen Agrarmarkt diesen weltoffenen Handel sehr stark behindern?
Frau Martiny, ich weiß nicht, ob Sie jetzt von der Europäischen Gemeinschaft oder von anderen Ländern sprechen. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß, mit Ausnahme von Soja und Mais, unsere Hauptverbündeten, die Amerikaner, im Agrarhandel nur Zölle, Kontingente und sogenannte Sonderabgaben in Form countervailing duties haben. Dieses Instrument wenden wir in der Europäischen Gemeinschaft nicht an. Ich möchte
auch nicht über andere Länder sprechen. Aber ich will Ihnen doch ein Beispiel sagen.
Eben wurde von Neuseeland-Butter gesprochen. In einem Memorandum der neuseeländischen Regierung, das mir mein Kollege Apel mitbrachte, über das Problem des Zugangs für neuseeländische Butter zur Europäischen Gemeinschaft stand: Japan nimmt so gut wie kein Gramm Butter ab und die USA 160 t - nehmen Sie die Zahl jetzt nicht so genau; ich lasse sie, gegebenenfalls, schriftlich korrigieren; auf jeden Fall ist es eine Zahl zwischen 100 und 200 -. Ich muß Ihnen sagen: Da steht die Europäische Gemeinschaft schon sehr gut da, Frau Kollegin. 90 % aller Nahrungsmittelimporte aus Drittländern in die Gemeinschaft sind liberalisiert Es gibt keinen westlichen und östlichen Staat - geschweige denn eine Staatengruppe -, der eine solche Präferenz gegenüber Drittländern in der Geschichte jemals angeboten hat.
({0})
Keine Zusatzfrage mehr? - Doch, der Abgeordnete Susset.
Herr Minister, würden Sie Ihre Aussage, die Sie soeben hier machten, daß die europäische Agrarpolitik sehr viele andere, nicht der Agrarpolitik zuzuordnende Kosten mit zu übernehmen hat, nicht zum Anlaß nehmen, einmal im Kabinett dafür zu sorgen, daß dies die Meinung aller Bundesminister ist, damit draußen in der Offentlichkeit die vielen Äußerungen über „Unsinn" usw. wieder etwas in Vergessenheit geraten können?
Herr Kollege Susset, ich brauche das Kabinett nicht zu überzeugen; denn ich gehöre immer noch dieser Bundesregierung an, und die billigt meine Äußerungen. Ich glaube, jeder von uns kann seinen Teil zur Aufklärung beitragen. Ich kann Ihnen auch Reden vom Kanzlerkandidaten schicken. Auch der sollte seinen Teil beitragen! Ich sage das, weil ich immer gleichwertig verteile.
Mir geht es darum - deshalb begrüße ich diese Möglichkeit hier und heute in Form der Fragestunde -, daß Fakten, deren Veröffentlichung ich für notwendig halte, in Form von Bundestagsprotokollen festgeschrieben werden. Deshalb bin ich auch für jede Frage dankbar.
Aber sonst kann ich nur sagen: Sünde gibt es überall. Man kann nur allen empfehlen: lebt nach den biblischen Grundsätzen, tuet Buße, solange es euch die Zeit noch erlaubt!
Frage 33 ist beantwortet. Das Wort zu Zusatzfragen wird nicht mehr gewünscht
Ich rufe Frage 34 - des Abgeordneten Schröder ({0}) - auf:
Vertritt auch die Bundesregierung die vielfach in der Offentlichkeit anzutreffende Meinung, daß der europäische Agrarmarkt nur „Überschüsse" produziere, oder kann sie bestätigen, daß die Europäische Gemeinschaft der größte Importeur für Nahrungs- und Futtermittel ist und dadurch der gewerblichen Wirtschaft zusätzliche Exportchancen eröffnet werden?
Herr Abgeordneter, die Europäische Gemeinschaft - jetzt sind wir schon bei dem Thema - ist in der Tat größter Importeur für Güter der Ernährungswirtschaft in der Welt. 1979 belief sich der Einfuhrwert auf nahezu 74 Milliarden DM. Dies entspricht einem Anteil der EG an der Weltagrareinfuhr von 27%. Dabei ist wesentlich, daß der Einfuhrüberschuß der EG - mit Ausnahme eines Jahres - im letzten Jahrzehnt kontinuierlich gewachsen ist. Zudem ist auch der Anteil von Erzeugnissen aus den Entwicklungsländern an der ernährungswirtschaftlichen Gesamteinfuhr der Europäischen Gemeinschaft in den letzten Jahren ständig gestiegen, wobei - sehen Sie, jetzt muß ich mich sogar korrigieren, Frau Kollegin Martiny; ist sie noch da? - 95 % aller Agrarerzeugnisse aus Entwicklungsländern bei der Einfuhr in die EG liberalisiert sind.
({0})
Auch die Bundesrepublik Deutschland hat einen von Jahr zu Jahr steigenden Einfuhrüberschuß bei Agrarerzeugnissen zu verzeichnen. Sie ist damit heute der größte Agrarimporteur der Welt. Unter den wichtigen Abnehmerländern von Industriegütern aus der Europäischen Gemeinschaft haben einige Länder nur Agrarprodukte für den Export anzubieten, oder es spielt der Agrarexport zumindest für den notwendigen Ausgleich der Zahlungsbilanz eine große Rolle. Dem muß die Europäische Gemeinschaf in der Agrar- und Handelspolitik Rechnung tragen. Daraus ergibt sich, daß die anhaltenden Agrarimporte Möglichkeiten und Umfang des Exports im gewerblichen und industriellen Bereich mitbestimmen.
Ich darf noch folgendes hinzufügen. Abkommen wie das von Lomé, dem heute mindestens 50 % der Entwicklungsländer angehören, und mit dem Maghreb und Maschrik, haben im Wege der Assoziierung ein Verhältnis zur Dritten Welt geschaffen, wie es kein anderes westliches oder östliches Land gegenüber der Dritten Welt im Agrarhandel einnimmt
Zu einer Zusatzfrage der Kollege Schröder.
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß durch den Import von Nahrungs- und Futtermittel aus Entwicklungsländern auch ein für die betroffenen Länder sehr wichtiger entwicklungspolitischer Beitrag geleistet wird?
Ja und nein. Zum Beispiel ist der Import bei Tapioka aus Thailand bereits überzogen. Das hat auch Thailand erkannt. Deshalb ist es heute bereit, ein Selbstbeschränkungsabkommen mit der Gemeinschaft bezüglich Tapioka-Lieferungen abzuschließen, weil dieses Land durch Monokultur sonst einer Devastierung entgegengeht. Thailand muß seine Agrarproduktion diversifizieren und kann deshalb in diesem Umfang auf die Dauer gar nicht Tapioka liefern.
Eine zweite Zusatzfrage? - Nein, Herr Kollege Schröder nicht mehr.
Dann zu einer Zusatz frage der Kollege Cronenberg.
Herr Bundesminister, können Sie dem Hause darlegen, ob diese begrüßenswerte Weltoffenheit der Gemeinschaft, was den Import anlangt, auf dem Hintergrund des allgemeinen Leistungsdefizits der Gemeinschaft und des speziellen Leistungsdefizits der Bundesrepublik Deutschland auf die Dauer durchhaltbar ist?
Das würde ich nicht mit Sicherheit zu sagen wagen. Aber die Alternative, nun von uns aus zum Protektionismus überzugehen, halte ich für noch gefährlicher. Wir haben ein gemeinsames Interesse, daß die Welt wirtschaftlich wieder stabiler wird. Deshalb haben unsere Partnerländer ein Interesse daran, daß die Bundesrepublik ihre Stabilität behält, damit wir unsere Funktion als Blutspender im ökonomischen Bereich, die wir wirklich haben, weiterhin wahrnehmen können. Wir müssen alles tun, zusammen mit den anderen Partnern - ich sage es hier einmal ganz deutlich -, mit Japan, mit den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch mit Ländern in Asien, gemeinsam das Problem zu lösen, und dürfen nicht immer versuchen, die Last auf die Schultern einzelner zu verteilen. Sonst kann es auch für uns gefährlich werden.
Zu einer Zusatzfrage der Kollege Kiechle.
Herr Bundesminister, können Sie bestätigen, daß im Zusammenhang mit dem auch von Ihnen genannten großen Volumen des Imports von Nahrungsmitteln in die Gemeinschaft die Verbraucher dieser Gemeinschaft, falls sie den Zukker auf dem Weltmarkt kaufen müßten, zur Zeit etwa 25 % höhere Preise bezahlen würden, und falls sie das tatsächlich tun müßten, -
Herr Kollege Kiechle, diese Frage kann ich nicht zulassen. Sie steht in keinem Zusammenhang mit der Hauptfrage. Denn dort ist gefragt, ob die EG der größte Importeur von Nahrungsmitteln ist, aber nicht das, was Sie hier soeben gefragt haben.
Aber ich kann zu -
Nein, Herr Bundesminister, Sie können dann auch nicht antworten.
({0})
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Klinker.
Herr Bundesminister, sind auch Sie der Meinung, daß der Agrarexport wesentlich zur Verbesserung der deutschen Handelsbilanz in der letzten Zeit beigetragen hat?
Ja. Er ist auch wünschenswert, weil wir ja nicht Rohstoffe liefern, sondern hochwertige Nahrungsgüter. Ich kann nur sagen: Ich wünschte mir eine Welt, in der es überall
Bayerische Weißwürste, Leberkäs, Leberwurst, Schwarzwälder Schinken und ähnliches gibt, und anständigen Käse. Und dazu haben -
Herr Kollege Ertl, das alles wird nicht importiert, sondern hier hergestellt.
({0})
Ich möchte bitten, sich an den konkreten Sinn und Inhalt der Frage zu halten.
Aber wenn Sie gestatten, lassen wir es sofort hereinbringen.
({0})
Zu einer weiteren Zusatzfrage hat Herr Kollege Oostergetelo das Wort.
Herr Minister, zurückkommend auf die Frage 35: Ist da nicht -
Herr Kollege Oostergetelo, Sie können nicht auf die Frage 35 zurückkommen. Aufgerufen ist die Frage 34.
({0})
Entschuldigung, Herr. Präsident.
Zurückkommend aul die Frage 34, darf ich Sie, Herr Bundesminister, fragen: Ist die Begründung der Einfuhr von Futtermitteln, durch die die öffentliche Meinung offenbar umgestimmt werden soll, nicht falsch? Ist es nicht so, daß durch die Verwendung von Futtermitteln aus Übersee die Überproduktion hier gerade angekurbelt wird? Ist es nicht auch so, Herr Minister, daß davon in bezug auf die Entwicklungspolitik nicht nur für die Entwicklungsländer positive Elemente ausgehen?
Es gibt in der Welt überhaupt nichts, was nur positiv ist; sonst wäre das das Paradies. Aus dem sind wir vertrieben worden, und dahin sollten wir auch nie zurückkehren wollen. Das ist das erste.
Und das zweite: Natürlich gibt es auch mit den Entwicklungsländern - ({0})
Herr Kiechle, Sie sind ein wahnsinnig charmanter Mensch, aber Ihr Organ stört meine Kommunikation mit Herrn Oostergetelo. Es tut mir furchtbar leid: Das klingt wie Allgäu.
Natürlich gibt es mit dem einen oder anderen Entwicklungsland auch Probleme. Aber ich glaube, das ist nicht die Frage. Das Problem, lieber Herr Kollege, ist, daß - da haben Sie recht - die Zunahme der Substitutionsfütterung bei uns, besonders bei der tierischen Veredelung, die Produktion enorm angeregt hat. Auch ich muß mich kurz fassen: Ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, welche handelspolitischen und außenpolitischen Gegebenheiten wir haben und welche Rücksichten wir auch nehmen müssen - auch gegenüber unserem Hauptverbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika.
Zu einer Zusatzfrage Frau Kollegin Martiny-Glotz.
Herr Minister, wenn es so ist, wie Sie sagen, daß die Bundesrepublik der größte Importeur ist und dadurch zusätzliche Exportchancen für Industriegüter eröffnet werden: Könnten Sie mir die Position der größten deutschen Handelsverbände, beispielsweise des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels oder der Außenhandelsvereinigung, in dieser Frage extemporieren bzw. später schriftlich zuleiten, weil nach meinem Dafürhalten diese Verbände grundsätzlich anderer Meinung sind?
Natürlich; die sind nur nicht immer sehr sachkundig.
({0})
Dies kann ich Ihnen sagen, weil ich das dem Herrn Präsidenten selber gesagt habe und ihn auch mit dem Tatsachenmaterial konfrontiert bzw. vertraut gemacht habe. Er hat mir gesagt, er würde sich in Zukunft mehr darum kümmern.
({1})
Sie dürfen mir glauben, die Zahlen, die ich hier veröffentlicht habe, stimmen. Ich habe sie nicht selber ausgerechnet, aber auf meine Beamten ist Verlaß. Deshalb sind die Zahlen korrekt
Im übrigen muß man bei jedem Verband darauf achten - ich schließe da keinen Verband aus -, inwieweit das Eigeninteresse in den Hintergrund geschoben wird, damit man glaubt, das Eigeninteresse sei Gemeininteresse. Da muß man sich bei Verbänden sehr hüten, das Eigeninteresse nicht zum Gemeininteresse zu machen.
({2})
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Ritz.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es auch langfristig auf dem Hintergrund einer wachsenden Welthungerkrise und einer wachsenden Weltenergiekrise leichtfertig wäre, sich nur auf zunehmende Mengen zu relativ billigen Preisen bei Importen einzustellen, und daß deshalb auch die agrarpolitischen Instrumente so angelegt werden müssen, daß gerade die bodenabhängige Produktion eine notwendige Sicherheit für die Zukunft der Ernährung unserer Bevölkerung darstellt?
Ich bin überzeugt davon, daß die Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten allein schon wegen der Energieverteuerung zusätzliche Aufgaben übernehmen muß. Wir werden es zum einen mit dem Phänomen zu tun haben, daß die Agrarproduktivität in weiten Teilen der Welt eher stagniert oder höchstens nur noch langsam wächst. Ganz besonders tragisch dabei ist, daß die Länder, die das höchste Geburtenwachstum haben, am meisten betroffen sind, weil sie die am meisten unterentwickelte Volkswirtschaft haben. Das heißt, das Gefälle zwischen Satten und Hungernden wird im nächsten Jahrzehnt allein durch die Energieverteuerung größer und wird eine weltweite Zusammenarbeit erfordern, wenn es nicht zu ganz schwierigen politischen Situationen kommen soll.
Ich bin zum anderen durchaus der Auffassung, daß eine Gemeinschaft wie die Europäische Gemeinschaft, aber auch ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland eine sichere Ernährungsbasis haben müssen, damit sie nicht erpreßbar sind.
({0})
Die Ernährung hat vom Sicherheitsstandpunkt aus mindestens denselben Stellenwert wie das Öl.
({1})
Ich würde niemals einer Agrarpolitik meine Zustimmung geben, durch welche unsere eigene Versorgung so abhängig würde, daß jederzeit der Brotkorb weggezogen oder der Milchhahn abgesperrt werden kann.
Zu einer Zusatzfrage der Kollege Zumpfort.
Herr Minister, besteht nach all dem Gesagten nicht aber auch ein agrarpolitisches Interesse an den Importen?
Teils ja, wenn auch nicht überall. Ich bin überzeugt: Wenn wir z. B. keine Substitute mehr importierten, träfe das zum Teil die Verbraucher, beispielsweise bei Margarinefetten, aber es träfe auch die Produktion der Veredelungsproduzenten. Die Folge wäre sicher eine Verteuerung.
Es gibt also auch gewisse agrarpolitische Interessen. Eine moderne Tierhaltung ohne Substitutsverfütterung gibt es nicht. Es kommt auf die Menge an. Mir wäre es lieb, wenn 5% weniger Substitute verfüttert würden. Dann würden sich viele Probleme von selbst lösen.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Susset auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, wie sie von mehreren ihrer Mitglieder befürwortet wird, daß anzustreben sei, ,,bei Überschußprodukten die Garantiepreise und Absatzgarantien schrittweise einzuschränken und gegebenenfalls für Betriebe ohne Produktionsalternative durch direkte. personenbezogene Einkommenshilfen zu ersetzen", und daß dies bei einer Verwirklichung praktisch eine Aufkündigung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik bedeuten würde?
Herr Kollege Susset, nach Auffassung der Bundesregierung ist zur Verminderung der Kosten einiger EG-Marktordnungen auf ein für alle Beteiligten tragbares Ausmaß ein ganzes Bündel von Maßnahmen erforderlich, zu denen insbesondere eine vorsichtige Preispolitik sowie eine verstärkte Erzeugermitverantwortung gehören, von der das Bergbauerngebiet ausgenommen bleibt Das schließt nicht aus, daß zur Milderung von Einkommensproblemen in bestimmten Regionen künftig auch gezielte Einkommensübertragungen an Bedeutung gewinnen könnten.
Zunächst ist jedoch die EG-Kommission aufgefordert, bis Ende Juni 1981 einen Bericht darüber zu erstellen. Nach diesem Bericht wird es sicherlich notwendig sein, die nötigen Schlußfolgerungen zu ziehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Susset.
Wie stellt sich die Bundesregierung die Abgrenzung zwischen Betrieben mit Produktionsalternative und solchen ohne Produktionsalternative bei dem System der Einkommensübertragung vor?
Ich habe Ihnen hierzu schon eine Antwort gegeben. Ich habe gesagt, das Bergbauerngebiet sei von der Mitverantwortungsabgabe ausgenommen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, um diesen Gedankengang weiter zu verfolgen, daß man Bergbauernzonen modifiziert, erweitert und ähnliches. Solche Möglichkeiten gibt es. Ich halte nichts von einem generellen Wechsel zur Einkommensübertragung. Man muß diese Angelegenheit vielmehr sehr differenziert nach Produkten und Gegebenheiten behandeln. Es gibt übrigens auch kein Land, das das Einkommensübertragungssystem bisher mit Erfolg praktiziert hat.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Susset.
Wie will die Bundesregierung dann die Betriebe behandeln, die in den letzten Jahren für irgendeine Produktionsrichtung staatlich gefördert wurden?
Herr Kollege Susset, mit dieser Frage beweisen Sie, wie wichtig das einzelbetriebliche Förderungsprogramm ist. Nach allen Unterlagen, die wir bisher über Auswertungen der Länder bekommen haben - wir bekommen diese Auswertungen nicht von allen Ländern -, ist das Ziel des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms weitgehend - mit ungefähr 80% der geförderten Betriebe - erreicht worden. Das ist fast ein optimaler Prozentsatz. Das heißt, diese Betriebe haben in der Tat den Anschluß an die allgemeine Einkommensentwicklung durch die einzelbetriebliche Förderung erreicht.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Cronenberg.
Herr Bundesminister, nachdem der Fragesteller in seiner Frage freundlicherweise ein wörtliches Zitat aus den Beschlüssen des FDP-Parteitages in Freiburg verwandt hat, in dem verdeutlicht wird, daß die individuelle Unterstützung mittelständischer bäuerlicher Betriebe Anliegen solcher Regelungen ist, möchte ich Sie fragen, ob Sie dies nicht als Zeichen eines begrüßenswerten Interesses der Opposition an unseren Beschlüssen betrachten.
Ich betrachte die ganze Fragestellung als eine begrüßenswerte Aktivität der Opposition und als ein Zeichen ihres Interesses an der Agrarpolitik, die ich zu verantworten habe.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Frau Kollegin Martiny-Glotz.
Herr Minister, erwägt die Bundesregierung vielleicht, das System von Garantiepreisen und Absatzgarantien demnächst auf Bikiniproduzenten oder solche von Kinderkleidung auszudehnen, die in ähnlicher Weise von den Witterungsverhältnissen bzw. von der Bevölkerungsentwicklung abhängig sind wie die Landwirtschaft, oder wird sie das eben angesprochene Preissystem weiterhin der freien Marktwirtschaft überlassen?
Liebe verehrte Frau Kollegin Martiny, es gibt kaum ein unbegrenztes Garantiesystem. Ich sage „kaum", weil es ein solches System in der Tat bei Butter und Magermilchpulver gibt. Bei sonstigen Produkten gibt es ein solches System nicht. Ich habe Ihnen genau gesagt, daß wir bei Getreide beispielsweise die Intervention auf die ersten drei Monate nach der Ernte reduziert haben. Bei anderen Produkten sind die Interventionen, wenn Sie dies verfolgen, außerordentlich maßvoll - im Vergleich zu Handelspartnern, mit denen wir es im schweren Wettbewerb zu tun haben.
Was den anderen Teil betrifft, so bin ich gern bereit, mit Ihnen über die staatlichen Mechanismen - beginnend bei Kohle und Stahl bis hin zur Luftfahrt; vielleicht ist auch die eine oder andere Luftfahrtkleidung, wenn auch nicht unbedingt Kinderkleidung dabei - einen Dialog zu führen. In diesen Dialog können wir auch die Aktivitäten in Brüssel einschließen. Als die berühmte europäische Stahldebatte geführt wurde - das möchte ich hier auch einmal sagen -, habe ich gesagt: Als Agrarpolitiker kann man noch viel lernen, wenn man sieht, wie klug dort diese Instrumentarien eingesetzt werden. Ich habe auch viel gelernt.
({0})
Damit sind aus der Liste der Fragen an den Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten acht Fragen beantwortet. Es sind noch zahlreiche Fragen unbeantwortet. Ich nehme an, der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird selber Gelegenheit nehmen, in der morgigen Fragestunde die restlichen Fragen auch noch zu beantworten. Die Zeit der heutigen Fragestunde ist abgelaufen. Ich danke ihnen, Herr Bundesminister, für die charmante Beantwortung der Fragen einschließlich der Zusatzfragen, die hier gestellt worden sind.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 29 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz und über die Erhaltung von Ansprüchen bei Be18238
Vizepräsident Leber
triebsübergang ({0})
- Drucksache 8/3317 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksache 8/4259 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Steinhauer
({2})
Wünscht die Frau Abgeordnete, einen mündlichen Bericht zu geben? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Verhülsdonk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einer Umfrageserie des Allensbacher Instituts ist die Anzahl der Frauen ständig gewachsen, die davon überzeugt sind, daß Männer im Beruf bevorzugt werden. 1967 glaubten das 44 %. 1972 waren es bereits 64 %, 1975 65 % und 1979 sogar 72 %. Mit anderen Worten: Immer mehr Frauen werden sich der Tatsache bewußt, daß die tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau in unserem Land noch lange nicht besteht, obwohl es in Art. 3 unseres Grundgesetzes seit über 30 Jahren heißt:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Niemand darf wegen seines Geschlechtes ... benachteiligt werden.
Die aktuellen Daten der Bundesanstalt für Arbeit sprechen für sich. Seit 1971 liegt die Arbeitslosenquote der Frauen deutlich über der der Männer. Im Mai 1980 war sie z. B. mit 4,9 % mehr als doppelt so hoch wie die der Männer mit 2,4 %. Nicht berücksichtigt sind dabei die schätzungsweise 500 000 Frauen, die bereits resigniert haben und in die sogenannte stille Reserve zurückgekehrt sind, sich also auf dem Arbeitsamt nicht mehr als arbeitslos registrieren lassen.
({0})
Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. Darf ich die Damen und Herren bitten
({0})
- die Damen und Herren -, die Konferenz im Saale einzustellen oder aber nach draußen zu verlegen. - Fahren Sie bitte fort, Frau Kollegin.
Danke schön, Herr Präsident.
Durch das Haushaltsstrukturgesetz von 1975 sind die Förderungsvoraussetzungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz vor allem zu Lasten der wieder in das Erwerbsleben zurückkehrenden Frauen verschärft worden. Seitdem sind auch die Zahlen der Arbeitnehmerinnen, die an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, erheblich zurückgegangen. Hier ist jetzt nicht die Zeit und der Ort, das Bündel von Ursachen für diesen Tatbestand aufzuschnüren, das recht vielfältig ist. Doch eines ist klar: Politisches Versagen und Versäumnisse der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition spielen dabei eine erhebliche Rolle. Nicht ohne Grund drängt die Europäische Gemeinschaft die Bundesregierung, dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen sowie beim beruflichen Aufstieg durch geeignete Maßnahmen zum Durchbruch zu verhelfen und das deutsche Recht endlich an zwei Richtlinien der EG anzupassen.
Das soll nach dem Willen der Bundesregierung durch den Entwurf des Gesetzes über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz geschehen, der das Problem interessanterweise im Bürgerlichen Gesetzbuch und nicht im Arbeitsrecht lösen will. Es stellt sich die Frage: Welche Wirkung ist von dem arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz zu erwarten, das wir heute im Deutschen Bundestag verabschieden, und zwar im Hinblick auf die geforderte und angestrebte Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz sowohl für den Zugang zur Beschäftigung wie auch für den Aufstieg von Frauen?
Einen „Papiertiger ohne Biß" haben die Vertreter der Gewerkschaften und der Frauenverbände den Gesetzentwurf der Bundesregierung bei der Expertenanhörung des Arbeits- und Sozialausschusses am 27. Februar 1980 genannt. Sie haben gefolgert, Frauendiskriminierung in der Arbeitswelt bleibe auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ein Kavaliersdelikt. Ich selbst habe bei der Anhörung meine Bedenken über die Wirkung des Gesetzes in folgende Frage gekleidet: Hat dieser Gesetzentwurf nicht nur Alibifunktion, und verändert er den gegenwärtigen Rechtszustand nicht eher noch zum Nachteil der Frauen? Die Vertreterin des DGB, Frau Blättel, hat auf meine Frage wörtlich geantwortet:
Ein Gesetz, das den Arbeitnehmerinnen eine Verbesserung ihrer Situation lediglich vorspiegelt, brauchen wir nicht. Sollte deshalb während der parlamentarischen Beratungen es nicht gelingen, den Inhalt des Gesetzes in wesentlichen Punkten zu verbessern, wäre es angezeigt, auf dieses Gesetz jetzt zu verzichten.
Meine Damen und Herren, es besteht tatsächlich sehr ernstlich die Gefahr, daß mit diesem Gesetz den Arbeitnehmerinnen eine Verbesserung ihrer Situation lediglich vorgespiegelt wird. Das scheint auch die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen so zu sehen, die nach einer Pressemeldung vom Dienstag dieser Woche die SPD-Bundestagsfraktion aufgefordert hat, das Gesetz in der vorliegenden Form nicht zu verabschieden.
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Das Hearing hat für jeden unvoreingenommenen Teilnehmer offenkundig gemacht, daß der hier von der Bundesregierung beschrittene Weg der Einführung eines § 611 a ins Bürgerliche Gesetzbuch untauglich ist, das angestrebte und von CDU und CSU voll bejahte Ziel, den Frauen auf dem Arbeitsmarkt endlich gleiche Chancen zu eröffnen, erreichbar zu machen.
Ohne Zweifel sind Maßnahmen notwendig; denn die Rechtsprechungspraxis der letzten 30 Jahre hat bewiesen, daß der Grundgesetzartikel 3 mit seinen Abs. 2 und 3 allein nicht ausreicht, um Rechtsstreitigkeiten im Bereich der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Einklang mit der Verfassung zu entscheiden. Das trifft vor allem auf die gerichtlich angefochtenen direkten, d. h. offenen Diskriminierungen von Frauen zu, soweit sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses geschehen.
Wie man den viel schwieriger nachzuweisenden indirekten, d. h. verschleierten Diskriminierungen von Frauen wegen ihres Geschlechts gesetzgeberisch und des weiteren zivil- und prozeßrechtlich überhaupt begegnen soll und kann, das scheint mir das wahrhaft ungelöste und im Grunde rechtlich auch kaum erfaßbare Problem zu sein,
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handelt es sich doch in Fällen, in denen Frauen sich indirekt diskriminiert fühlen, um diskriminierende Motive, die sie herausspüren, und nicht um diskriminierende Tatsachen, die ja allenfalls vor Gericht glaubhaft gemacht werden könnten. Wie aber will man erspürte Motivationen gerichtlich glaubhaft machen? Auf dem in diesem Gesetz beschrittenen Weg geht das ganz sicher nicht.
Erwiesen ist: Der vorliegende Entwurf erfährt Kritik von zwei Seiten. Den einen bringt er zuwenig, den anderen geht er schon zu weit. Das wäre noch kein durchschlagender Einwand; das kommt bei der Gesetzgebung öfters vor und spricht noch nicht unbedingt von vornherein gegen ein Gesetz. Die Frage, die aber gestellt werden muß, lautet: Ist das Gesetz nicht deshalb überflüssig, weil es rechtlich in den beklagten Fällen nichts Wesentliches bringt, nichts anderes als eventuell ein paar Scherereien für die Beteiligten, für die klagenden Frauen, für die Richter und für die Betriebe? Kann es genügen, wenn bestenfalls eine gewisse psychologische Wirkung des Gesetzes zu erwarten ist, vielleicht eine Sensibilisierung der Frauen für die entschlossenere Wahrnehmung ihrer Rechte und eine Ermutigung jener Arbeitgeber, die für mehr Förderung von Frauen eintreten?
Schließlich ist bekannt geworden, daß der zuständige EG-Kommissar den Arbeitsminister wissen ließ, der vorliegende Entwurf entspreche in wesentlichen Punkten nicht der EG-Richtlinie. Liegt der Grund für die eilige Verabschiedung kurz vor Toresschluß des Parlaments vielleicht in dem Umstand, daß man sich in der Koalition zur Zeit auf mehr oder auf anderes nicht einigen konnte
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und wohl schnell vor Ende der Legislaturperiode noch etwas tun mußte, um eine der Bundesregierung angedrohte Anklage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Nichterfüllens der EG-Richtlinie abzuwenden? Das muß man hier fragen.
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Nun meinen viele Kritiker des Gesetzes, das Problem wäre mit einer handfesteren Beweislastumkehr zugunsten klagender Frauen, wie sie im ursprünglichen Referentenentwurf erhalten war, in den Griff zu bekommen. Das sei die eigentliche Schlüsselfrage, sagen sie, mit der die Wirksamkeit dieses Gesetzes stehe und falle.
Die Gewerkschaften und die SPD-Frauen rufen danach, die Arbeitgeber eindeutig beweispflichtig zu machen und ihnen handfeste Bußgeldsanktionen anzudrohen. Wie schon gesagt, auch das würde, abgesehen von den dadurch entstehenden verfassungsrechtlichen Problemen, in all jenen zahlreichen Fällen wenig nützen, wo die Diskriminierung nur vermutet werden kann, aber kaum zu beweisen sein wird. Ja, es wäre gerade zu befürchten, daß sich sehr bald Abwehrmechanismen einspielten, die den Zugang von Frauen zu Arbeitsplätzen eher noch mehr erschwerten. Im Zweifelsfall würde es den beklagten Unternehmen vor Gericht sicher nicht an Beweismaterial gegen eine abgelehnte Bewerberin fehlen, die sich dann auch bei guter Qualifikation noch vom Richter mangelnde Fähigkeiten bescheinigen lassen müßte.
Es ist bekannt geworden, daß es um die Frage der Beweislastregelung in der Bundesregierung und in der Koalition einen handfesten Meinungsstreit gegeben hat. In der Wochenzeitung „Die Zeit" vom 30. Mai 1980 liest sich das in einem Artikel von Gunter Hoffmann unter dem Titel „Nur ein Frauenthema'' so:
Der liberale Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff findet, es gehöre nun einmal zur Freiheit der Unternehmer anzustellen, wen sie wollen, gleich ob Frau oder Mann. Die Arbeitgeber meinen sowieso, Frauen seien gleichberechtigt, so steht es ja im Grundgesetz. Der sozialdemokratische Arbeitsminister Ehrenberg findet Lambsdorffs Einwände nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch. Beide meinen, Gleichberechtigung sei ein „Frauenthema". Die Gewerkschaftsbosse lassen die Frauen für ein besseres Gesetz kämpfen und schauen unbeteiligt zu. Und Familienministerin Huber dürfte froh sein, daß sie sich nicht auch noch wegen dieses Gesetzes mit den mächtigen Kabinettsherren anlegen muß.
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Da ist viel Wahres dran. Wir, die Opposition, könnten ja an diesem Koalitionsgerangel unser Vergnügen haben, wenn es nicht der Sache, d. h. der Frauen wegen so bedauerlich wäre, daß wieder einmal eine Chance, ihnen zu helfen, vertan wird.
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Abgesehen davon, der Streit um die Ausgestaltung der Beweislastumkehr ist eigentlich ein Streit um zwei konkurrierende Verfassungsnormen. Die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers und der Gleichbehandlungsgrundsatz stehen hier in Konkurrenz, und das, meine Damen und Herren, ist schließlich keine Lappalie. Der Streit macht aber genau das offenkundig, was ich eben schon sagte, daß nämlich der im Gesetzentwurf beschrittene Weg von vornherein falsch ist und deshalb eine gesetzliche Rege18240
lung herauskommen mußte, die man tatsächlich nur als ein Nullum bezeichnen kann.
In der Ausschußdrucksache 627, einer Stellungnahme von Professor Dr. jur. Wolfram Henckel, wird das Problem sehr deutlich gemacht, um das es hier geht. Dort kann man lesen:
Deshalb muß für die Beweislastverteilung in § 611 a Abs. 1 des Entwurfs die Frage gestellt werden, welche Interessen hier einander widerstreiten und wie diese Interessen abwägend zu bewerten sind. Das Interesse des Arbeitgebers zielt auf seine Abschlußfreiheit ({6}), das des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin auf Gleichbehandlung. Beide Interessen sind verfassungsrechtlich geschützt. Die Vertragsfreiheit darf nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Gleichbehandlungsgrundsatz fordert, der Gleichbehandlungsgrundsatz darf nicht enger begrenzt werden, als es die Vertragsfreiheit fordert. Daraus ergibt sich eine erhebliche Schwierigkeit für die Beweislastverteilung: Legt man dem Arbeitnehmer die Beweislast auf für die Tatsachen, die eine rechtswidrige Ungleichbehandlung begründen, so kann das dazu führen, daß er eine rechtswidrige Ungleichbehandlung hinnehmen muß, weil er diese Tatsachen nicht beweisen kann. Belastet man dagegen den Arbeitgeber mit dem Beweis für die Tatsachen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen würden, so wird er in seiner Vertragsfreiheit beschränkt, wenn solche rechtfertigenden Tatsachen zwar vorliegen, aber von ihm nicht bewiesen werden können. Die richtige Lösung
- sagt Henckel läge also in der Mitte; aber eine mittlere Lösung gibt es bei der Beweislastverteilung nicht.
Das ist eben das Problem des § 611 a BGB.
Auch noch auf ein anderes, schwerwiegendes und sehr grundsätzliches Problem der Beweislastumkehr will ich aufmerksam machen, das ebenfalls Professor Henckel im Hearing angesprochen hat.
Es gibt Beweislastumkehr für Verschulden und dergleichen mehr,
- sagt er aber nirgendwo ist ein Satz zu finden, in dem einer bestimmten Berufsgruppe oder einer Gruppe von Bürgern rechtswidriges Verhalten unterstellt wird, ohne daß nähere Anhaltspunkte oder Hinweise vorliegen.
Deshalb fragt Professor Henckel, ob es gerechtfertigt ist, eine bestimmte Personengruppe - in diesem Fall etwa die Arbeitgeber - mit dem gesetzlich formulierten Verdacht zu belegen, daß jemand dem Gesetzesbefehl zuwiderhandelt. Wir, die Union, können da nur antworten, daß dies ohne Zweifel nicht angeht.
Der gleiche Verfasser Professor Henckel macht in seiner Stellungnahme aber auch klar, daß die im Gesetzentwurf vorgesehene Sanktion in Abs. 2 des § 611 a, Ersatz des Vertrauenschadens, die gegen
den Arbeitgeber verhängt werden kann, so kümmerlich sie materiell gesehen ausfällt, im Gerichtsverfahren in der Regel nicht einmal greifen wird. Ich zitiere noch einmal Professor Henckel, weil er in einer hervorragenden klaren Weise darstellt, wo das Problem liegt. Er sagt:
Jedenfalls ist das Vertrauen des Bewerbers nur dann schutzwürdig, wenn er auf die Einstellung vertrauen durfte. Das ist aber nur unter besonderen Voraussetzungen der Fall. Nur dann nämlich, wenn der Arbeitgeber keine andere Wahl hatte, als den abgewiesenen Bewerber einzustellen, ist sein Vertrauen gerechtfertigt. Bewerben sich für eine freie Stelle ein Mann und zwei Frauen, so kann keine der Frauen darauf vertrauen, daß sie eingestellt werde. Denn in der Auswahl zwischen den beiden Frauen ist der Arbeitgeber frei. Es entsteht also kein Schadensersatzanspruch, auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber den Mann einstellt. Da regelmäßig ein Bewerber nicht weiß, ob und wie viele andere Bewerber des gleichen Geschlechts sich beworben haben, darf der Arbeitgeber, wenn sich nur ein Mann und eine Frau bewerben, den besser Qualifizierten auswählen, ohne gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verstoßen. Regelmäßig weiß aber ein Bewerber nicht, ob der andere besser oder schlechter qualifiziert ist; folglich kann er nicht darauf vertrauen, daß gerade er eingestellt wird. Die Voraussetzungen des Vertrauensschadensersatzanspruchs dürften deshalb nur in seltensten Ausnahmefällen vorliegen. Dieser Anspruch stellt deshalb keine angemessene Sanktion dar.
Die von der Koalition im Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Änderungsanträge sind angesichts dieser fundamentalen Schwachstellen des Gesetzes nicht mehr als ein bißchen weiße Salbe. Es lohnt nicht, davon zu reden. § 611 b - neu eingefügt -: Der Arbeitgeber soll einen Arbeitsplatz weder öffentlich noch innerhalb des Betriebes nur für Männer oder nur für Frauen ausschreiben.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Egert?
Einen Augenblick, ich will den Satz zu Ende führen. - Er soll das Gesetz aushängen. Ich nenne das Alibifunktion. - Bitte schön, Herr Kollege Egert.
Frau Kollegin Verhülsdonk, ich habe Ihren Ausführungen mit sehr viel Interesse zugehört, insbesondere dem Vorhalt, welche Schwachstellen dieser Gesetzentwurf hat. Würden Sie so gütig sein, dem Haus zu sagen, ob sich die Opposition angesichts dieser gravierenden Schwachstellen dazu verstanden hat, im Ausschuß Änderungsanträge einzubringen?
Herr Kollege Egert, ich werde meine Ausführungen beenden und Ihnen dann am Schluß sagen, daß zu diesem Gesetzentwurf, nämlich zu diesem Weg, im Bürgerlichen Gesetzbuch einen § 611 a einzufügen, keine ÄndeFrau Verhülsdonk
rungsanträge möglich sind, die die Lösung des Problems fördern.
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Es ist der falsche Weg. Das ist ja das, was ich die ganze Zeit hier klarmache.
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Hier kann man keine Änderungsanträge einbringen, die den Schaden heilen. Man muß andere Wege gehen. Ich werde dazu noch einiges sagen.
Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Frau Verhülsdonk: Wenn es sich mit meiner Zeit noch verträgt: Ja, bitte.
Frau Kollegin Verhülsdonk, würden Sie mir dann erklären, warum, wenn dies der falsche Weg ist, die Opposition im Ausschuß mit Ausnahme von zwei Kollegen und bei einer Stimmenthaltung dem Gesetzentwurf zugestimmt hat?
Herr Kollege Egert, ich bitte Sie, den Rest meiner Ausführungen anzuhören. Dann wird Ihnen das alles deutlich gesagt.
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Was den Entschließungsantrag der Koalition angeht, so spricht er Bände. Man riecht geradezu die negativen Erwartungen der Koalition in bezug auf das Gesetz und seine Auswirkungen, und man begreift, daß der angeforderte Bericht der Bundesregierung wenigstens später einmal die Handhabe für einen zweiten Anlauf liefern soll.
Was die wiederholte Absichtserklärung der FDP, ein Anti-Diskriminierungsgesetz in der nächsten Wahlperiode vorzulegen, wert ist, hat Gunter Hoffmann in dem von mir schon soeben zitierten Zeitungsartikel recht süffisant kommentiert Er sagt:
Eifersucht in der Koalition: Die FDP will in der nächsten Legislaturperiode ein Anti-Diskriminierungsgesetz vorlegen. Dann werden sich die Frauen aber wundern, was die Liberalen alles für sie machen, später mal. Vielleicht.
({1}) Das erbittert wiederum, die SPD,
- fährt Hoffmann fort weil sie weiß, daß es ja nicht zuletzt Lambsdorff ist, der augenblicklich das Gleichberechtigungsgesetz im Arbeitsrecht, das wahrscheinlich nützlicher sein würde als jedes Anti-Diskriminierungsgesetz, so ausdünnt Wahrscheinlich wird sich die Koalition auf ein Gesetz ohne Biß einigen
Hoffmann fährt dann fort:
- nur der Opposition wird es noch zu scharf sein.
Stimmt alles - bis auf den letzten Satz. Warum sollte die Opposition eigentlich gegen das Gesetz stimmen? Wir, CDU und CSU, sind ja für das angestrebte Ziel der Gleichbehandlung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, und wir wollen deshalb mit unserer Zustimmung wenigstens die psychologische Wirkung dieser Gesetzgebung unterstützen. Wir wollen damit aber auch deutlich machen, daß es pure Verleumdung ist, der Union immer wieder zu unterstellen, sie sei gegen die Chancengleichheit der Frauen auf dem Arbeitsmarkt
Ich gebe hier der Hoffnung Ausdruck, daß das Gesetz, auch wenn es im Konfliktfall wenig bewirkt, wenigstens das Problembewußtsein in der Gesellschaft schärft und die Frauen ermutigt, ihre verfassungsmäßigen Rechte nach Möglichkeit wahrzunehmen, wo immer es geht, und daß es jene Arbeitgeber stützt, die Frauen gleichbehandeln wollen.
Ich spreche zugleich die Hoffnung aus, daß Rechtsstreitigkeiten, die Frauen auf Grund dieses Gesetzes austragen werden, nicht eine Bummerangwirkung für die Einstellungs- und Aufstiegschancen von Frauen auslösen, wenn Urteile öffentlich Bekanntwerden, die qualifizierten Frauen bescheinigen, daß sie halt doch weniger qualifiziert waren als männliche Mitbewerber. Das könnte nämlich vorhandene Vorurteile gegen weibliche Bewerber festigen, statt sie abzubauen.
Noch schlimmer wäre es, wenn Arbeitgeber generell beginnen würden, Vorkehrungen zu treffen, wenn Frauen sich um Aufstiegspositionen bewerben, indem sie über Bewerberinnen vorsorglich Akten mit negativem Material anlegen, um sich Scherereien bei eventuellen Rechtsstreitigkeiten zu ersparen.
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Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen: Ich persönlich bin davon überzeugt, daß der Prozeß der Bewußtseinsänderung in unserer Gesellschaft im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau mit Geduld, Stetigkeit und ständiger Bemühung vieler im Land vorangetrieben werden muß. Da sind wir Politiker ebenso herausgefordert wie die Tarifparteien, die Betriebsräte, nicht zuletzt auch die Medien, ja, alle Bürger, die an verantwortlicher Stelle stehen.
Manche Landesregierungen - ich nenne z. B. die rheinland-pfälzische und die niedersächsische, weil ich mir gerade deren Programme angesehen habe - tun mit vielen einzelnen Schritten für die Einrichtung von mehr Teilzeitarbeitsplätzen, für die Förderung der Mädchenausbildung in gewerblichen Berufen, mit Angeboten an Aufstiegspositionen für Frauen im öffentlichen Dienst usw. erfreulicherweise mehr zur Erreichung des von diesem Gesetz angestrebten Ziels, als von der Offentlichkeit zur Kenntnis genommen wird. Deswegen wollte ich dies hier auch einmal hervorheben.
Jeder einzelne geglückte Fall einer qualifizierten Ausbildung von Mädchen in einem zukunftsträchtigen Beruf, jeder einzelne Fall des Aufstiegs einer tüchtigen Frau im Betrieb, jede objektive, geschlechtsneutrale Entscheidung eines Arbeitgebers über eine Einstellung bringt die Dinge mehr voran,
als es ein im Augenblick spektakulärer Gesetzgebungsakt vermag.
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Die Zielsetzung des Gesetzes findet unsere volle Unterstützung. Diese allein rechtfertigt unsere Zustimmung.
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Als nächster Redner hat Frau Kollegin Steinhauer das Wort
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Kein Gesetz löst von sich aus insbesondere im gesellschaftlichen Bereich Veränderungen aus, ohne daß es in der Praxis mit Leben ausgefüllt wird. So ist das auch mit diesem Gesetz.
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Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz löst der Gesetzgeber europäische Verpflichtungen ein. Es geht um die EG-Richtlinie zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz und um die Lösung von Fragen beim Betriebsübergang. Sie werden nunmehr in deutsches Arbeitsrecht umgesetzt Eine weitere EG-Richtlinie, die die in Art. 119 des EWG-Vertrages geregelte Lohngleichheit von Männern und Frauen betrifft, wird nunmehr im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben. Das ist arbeitsrechtlich und gesetzestechnisch durchaus konsequent; denn dort sind die vergleichbaren arbeitsrechtlichen Regelungen zu finden. Wir sind an sich schon lange im Wartestand, um ein einheitliches Arbeitsrechtgesetz zu bekommen.
Die intensiven Diskussionen gerade in der letzten Zeit konnten den Eindruck erwecken, als ob die Forderung nach Gleichberechtigung der Frau eine relativ neue Idee sei. Wir wissen jedoch alle, daß das nicht der Fall ist Gerade wir Sozialdemokraten können im Kampf um die Gleichberechtigung der Frau auf eine lange Tradition zurückblicken. Es war die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert, die im Parlamentarischen Rat unter den sogenannten „Vätern" des Grundgesetzes die Gleichberechtigung für Frauen durchsetzte. Sie betonte immer wieder, daß Art. 3 des Grundgesetzes den Auftrag an den Gesetzgeber und die Sozialpartner beinhalte, die Gleichberechtigung auch auf dem Gebiet des Arbeitsrechts zu verwirklichen.
({1})
Wir alle wissen jedoch, daß die Kluft zwischen Verfassung und Wirklichkeit auch heute noch nicht geschlossen ist Millionen von Arbeitnehmerinnen bekommen es tagtäglich zu spüren, daß sie im Arbeitsleben nicht gleichberechtigt sind, angefangen von den Stellenausschreibungen über die Behandlung ihrer Bewerbung, eine vielfach niedrige Entlohnung bis zum beruflichen Aufstieg.
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Verständlicherweise verfolgen daher Frauen und
ihre Interessenvertreter den Gesetzgebungsgang
besonders kritisch und voller Skepsis. Sie betrachten insbesondere die Frage sehr kritisch, ob die heutige Beschlußfassung und das anstehende Gesetz ausreichen werden, das jahrzehntelange Warten zu beenden, um ihnen nach den gleichen Pflichten jetzt auch die gleichen Rechte im Arbeitsleben zu sichern.
Mit dem Teil des Gesetzes, der die Gleichberechtigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zum Inhalt hat, setzen wir konsequent jene Gesetzgebungsarbeit fort, die nach der Reform des Ehe- und Familienrechts ununterbrochen weitergeht und in der 9. Wahlperiode mit der Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung fortgesetzt werden soll. Das heißt, Einzelgesetze werden an das Grundgesetz festgeschrieben und dem Gleichberechtigungsgebot angepaßt
Das Gesetz verbietet es dem Arbeitgeber, einen Arbeitnehmer wegen seines Geschlechts zu benachteiligen. Dieses generelle Diskriminierungsverbot umfaßt das gesamte Arbeitsverhältnis, von der Begründung über einzelne Maßnahmen und den beruflichen Aufstieg bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung. Die Vorschriften erfassen auch die Auszubildenden. Diese ausdrücklich zu erwähnen scheint mir auch um der Klarheit willen bedeutsam; gerade dies ist wichtig, wenn wir betrachten, wie die Chancen der Mädchen in der Berufsausbildung sind. .
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Ausnahmen sollen auf einige wenige Fälle beschränkt sein, wenn nämlich ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die auszuübende Tätigkeit ist Das im Ausschuß angeführte Beispiel, für eine männliche Schauspielerrolle brauche keine Frau eingestellt zu werden, ist durchaus nicht zufällig gewählt Es ist aber auch selbstverständlich, daß z. B. im Bergbau wegen des UntertageArbeitsverbotes für Frauen auch künftig nur Männer als Hauer gesucht und eingestellt werden. Das soll jedoch nicht heißen, daß wir das Diskriminierungsverbot aushöhlen wollen. Wir wollen dem Arbeitgeber nicht durch zu vage, weitgefaßte Formulierungen eine Handhabe bieten, so wie in der Vergangenheit einen Mann bei der Einstellung zu bevorzugen.
Man wird im Zusammenhang mit der weiteren Verwirklichung der Chancengleichheit für Frauen im Arbeitsleben beispielsweise auch zu überlegen haben, ob alle Arbeitsschutzbestimmungen heute noch der Realität im Arbeitsleben entsprechen.
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Ich betone jedoch ausdrücklich: Dies darf nicht zu einem sozialpolitischen Rückschritt führen. Es werden vielmehr auch Überlegungen anzustellen sein, ob nicht heute gültige Bestimmungen für Frauen auch auf Männer auszudehnen sind.
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Chancengleichheit von Frauen und Männern im
Arbeitsleben bedeutet, daß auch weiterhin zum Abbau von Defiziten von Frauen im Arbeitsleben beFrau Steinhauer
sondere Förderlehrgänge und Modellprogramme zur Schaffung von mehr Berufsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen, beispielsweise im gewerblichtechnischen Bereich, zulässig bleiben.
Das Diskriminierungsverbot selbst bedarf einer Absicherung, um benachteiligten Arbeitnehmern - dies werden erfahrungsgemäß überwiegend Arbeitnehmerinnen sein - die Möglichkeiten zu geben, Rechte auch durchzusetzen. Hierzu sieht das Gesetz eine Beweislastumkehr vor, die nicht nur in der Sachverständigen-Anhörung des federführenden Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung eine Rolle gespielt hat; diese Frage wurde auch in der öffentlichen Diskussion, die der Gesetzgebungsarbeit voranging, die sie begleitet hat, einer sehr kritischen Wertung unterzogen.
Eine - so möchte ich einmal sagen - lupenreine Beweislastumkehr enthält das Gesetz nicht. Sie ließ sich zum Bedauern meiner Fraktion politisch nicht durchsetzen. Nur dann läge eine wirkungsvolle und eine die Rechte der Arbeitnehmer sichernde Beweislastumkehr vor, wenn der Arbeitgeber im Einzelfall den vollen Beweis dafür anzutreten hätte, daß er im jeweiligen Fall eine Arbeitnehmerin oder auch einen Arbeitnehmer nicht diskriminiert hat.
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Die Beweislastumkehr in der Fassung des vorliegenden Gesetzes jedoch fordert zunächst von einer Arbeitnehmerin, sie habe Tatsachen glaubhaft zu machen, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechtes vermuten lassen, bevor den Arbeitgeber die Beweislast dafür trifft, sachliche Gründe hätten zu seiner Entscheidung geführt. Wenn aber der Arbeitgeber diesen Beweis nicht antreten kann und damit einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zu vertreten hat, wird er nach dem Gesetz schadenersatzpflichtig.
Hierunter wird in der Regel nur der Ersatz des Vertrauensschadens verstanden, der daher finanziell eine nicht sehr bedeutende Belastung für den Arbeitgeber darstellen dürfte. Es ist verständlich, wenn insbesondere Arbeitnehmerinnen und ihre Interessenvertretungen, Gewerkschaften wie Frauenverbände, hier die Auffassung vertreten, ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot müsse so teuer wie möglich gemacht werden, um eine abschrekkende Wirkung auf den Arbeitgeber ausüben zu können. Diese Frage hat in der Sachverständigenanhörung einen breiten Raum eingenommen. Auch ich kann mir nicht gut vorstellen, wie ein Arbeitgeber von einer Diskriminierung abgehalten werden kann, wenn der Verstoß lediglich mit dem Ersatz der eigentlichen Bewerbungskosten geahndet wird.
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Lassen Sie mich zu diesem Komplex noch folgendes sagen. Wir gehen davon aus, daß die Regelung über die Glaubhaftmachung von Tatsachen nicht bedeutet, daß hier die Schranken, Grenzen und Voraussetzungen der Zivilprozeßordnung allzu eng zu sehen sind. Wir meinen, daß es ausreicht, wenn die Betroffenen irgendwelche Tatsachen für ihre Benachteiligungen anführen; das heißt also, daß sie nicht nur rein subjektive Wertungen anführen.
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Zu den Sanktionen: Wir wissen, daß die Rechtsprechung bei den Sanktionen zum Teil weiter geht, als wir dies jetzt im Gesetzentwurf tun können. Deshalb muß klar sein: Die Bestimmungen im jetzigen Gesetz sind Mindestbestimmungen. Eine günstigere Rechtsprechung soll nicht abgeschnitten werden.
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Ich setze im übrigen meine Erwartungen in Gewerkschaften und Betriebsräte. So haben nach § 75 des Betriebsverfassungsgesetzes und vergleichbaren Bestimmungen der Personalvertretungsgesetze die Betriebs- und Personalräte künftig darüber zu wachen, daß weder bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses noch bei dessen Beendigung oder beim betrieblichen Aufstieg ein Arbeitnehmer wegen seines Geschlechts benachteiligt wird.
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Das heißt, es darf erst gar nicht zum Verstoß gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz kommen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0})?
Bitte sehr.
Bitte.
Frau Kollegin, hat der Betriebsrat bzw. der Personalrat zusammen mit dem Arbeitgeber nicht schon heute nach § 75 des Betriebsverfassungsgesetzes die Aufgabe, über die Gleichbehandlung zu wachen?
Natürlich ist auch heute schon im Gesetz enthalten, daß niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt werden darf. Aber Sie kennen die Rechtsprechung, daß Art. 3 des Grundgesetzes nicht ohne weiteres direkte Wirkung auf das Arbeitsverhältnis, auf Ansprüche usw., hat, so daß es bisher für die Betriebsräte sehr schwierig war, dieses auch konkret nachzuweisen. Wir bringen dieses in gesetzliche Ansprüche. Für den Betriebsrat wird es in Zukunft viel besser möglich sein, dieses auch zu überwachen.
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- Ich habe Sie leider nicht verstanden. Es ist hier akustisch nicht angekommen.
Ich möchte an dieser Stelle dringend an die Gewerkschaften appellieren, ihren Betriebsratsmitgliedern durch Schulungen schriftliche Arbeitsmittel, entsprechende Unterlagen an die Hand zu geben. Ich kann mir keine einzige Gewerkschaft vorstellen, die nicht innerhalb kürzester Zeit eine aktuelle Dokumentation über Benachteiligungen von Frauen in
den Betrieben zusammenstellen und ihren Betriebsräten zur Verfügung stellen könnte.
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Hierauf werden manche Betriebsratsmitglieder nicht verzichten können. So werden Fälle der offenen, unmittelbaren Diskriminierung auch jenen Betriebsräten leicht einsichtig sein, die sich bisher nicht oder nicht sehr oft mit Diskriminierungsproblemen befaßt haben.
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Herr Müller, Betriebsräte sind zum Teil Männer, Menschen, die auch Fehler machen. Ich sage das aus meiner langen gewerkschaftlichen Tätigkeit heraus, bei der ich auch schon Prozesse zu Fragen der gleichen Entlohnung geführt habe.
Schwieriger wird es indessen schon, Fälle der eher versteckten, weil mittelbaren Diskriminierung auszumachen - wenn beispielsweise verheiratete Frauen trotz Vorliegens einer entsprechenden Qualifikation für einen Arbeitsplatz abgewiesen werden, möglicherweise weil Schwangerschaften befürchtet werden oder aber kleine Kinder vorhanden sind und Ausfälle durch die Betreuung dieser Kinder erwartet werden usw. Obwohl wir mit dem Gesetz die mittelbare Dikriminierung nicht ausdrücklich geregelt haben, gehen wir davon aus, daß die Rechtsprechung auch weiterhin bei ihrer Gleichbehandlung von mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung bleibt,
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wie dies in vielen bisher vorliegenden Arbeitsgerichtsentscheidungen schon geschehen ist.
In den Ausschußberatungen wurden zwei Einzelregelungen beschlossen, die seit langem von den Frauen und ihren Vertretungen gefordert werden. Geschlechtsspezifische Ausschreibungen der Stellen werden verboten. Ob nun Stelleninserate in Zeitungen oder Zeitschriften erscheinen, ob sie innerbetrieblich durch Aushang oder Rundschreiben erfolgen, jede Stelle soll einem Mann wie einer Frau gleichberechtigt angeboten werden.
Für wichtig halte ich es auch, daß dieses Gesetz, das die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zum Inhalt hat, auch in den Arbeitsstätten, in den Betrieben und Verwaltungen sowie den Geschäften zum Aushang gebracht wird. Auch hierbei handelt es sich um eine vom Ausschuß beschlossene Ergänzung der Regierungsvorlage.
Ich möchte dringend an Arbeitgeber, Betriebsräte und Personalräte appellieren, diese beiden Vorschriften, das Verbot der geschlechtsspezifischen Stellenausschreibung wie die Aushängung der Gleichbehandlungsvorschriften im Betrieb, auch zu befolgen.
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Die Arbeitgeberseite hat sich erfolgreich allen Bemühungen widersetzt, daß Verstöße gegen beide Einzelregelungen durch Bußgelder sanktioniert werden. Daher können wir hier gewissermaßen nur
an das betriebliche Wohlverhalten der Arbeitgeberseite appellieren, aber auch an die Betriebs- und Personalräte, ihre Überwachungsfunktion wahrzunehmen. Sie haben künftig durch ihr Verhalten den Beweis dafür zu erbringen, daß beide Regelungen ohne Sanktionen eingehalten und befolgt werden.
Es ist damit zu rechnen, daß organisierte wie nicht organisierte Frauen den Umfang etwaiger Verstöße dokumentieren werden, wie das auch schon in der Vergangenheit durch eindrucksvolle Dokumentationen über den geschlechtsspezifischen Stellenmarkt belegt worden ist. Frauen, die mit besonderer Wachsamkeit das Funktionieren dieses Gesetzes verfolgen werden, werden sicherlich noch stärkeren Druck als gegenwärtig auf den Gesetzgeber ausüben, um Bußgeldvorschriften zu erreichen, falls diese sich nicht als entbehrlich erweisen sollten.
Der zweite wichtige Teil des hier zur Beschlußfassung anstehenden Gesetzes enthält Regelungen, die den Schutz des Arbeitnehmers bei einem Betriebsübergang betreffen. Hier fehlte bisher eine gesetzliche Regelung. Kündigungen allein wegen Betriebsübergang von einem zum anderen Unternehmer sind in Zukunft ausgeschlossen. Außerdem werden Kollektivansprüche für mindestens ein Jahr für die Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang gesichert.
Schließlich beweisen wir mit einem dritten Artikel, daß Gesetzesrecht sich an praktische Erfahrungen anpassen muß. Die am 1. Juli 1979 in Kraft getretene Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes hat die Fristen im Beschlußverfahren für die Einlegung und Begründung auf insgesamt zwei Monate festgelegt. Die Praxis hat gezeigt, daß dies bei Verfahren über die Besetzung von Einigungsstellen zu lang ist. Wir passen uns der Praxis an und legen nunmehr eine Frist von jeweils zwei Wochen fest.
Lassen Sie mich zusammenfassend noch folgendes sagen. Das Gesetz in seiner Gesamtheit stärkt einmal die Rechte der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang. Insbesondere wird es aber dazu beitragen, den Grundsatz der Gleichberechtigung auch in der Arbeitswelt zu verwirklichen. Natürlich sind eine Reihe weiterer Vorschriften denkbar, die den Schutz vor Benachteiligung noch wirksamer hätten gestalten können. Aber diese Vorschriften sind ein wichtiger erster Schritt. Wir werden die Auswirkungen des Gesetzes im Lebensalltag der Betriebe und in der Gerichtspraxis sehr genau beobachten.
Die Bundesregierung wird durch einen besonderen Entschließungsantrag aufgefordert, nach zwei Jahren einen Bericht über die Wirkung des Gesetzes vorzulegen: ob es dazu beigetragen hat, den Arbeitnehmerinnen zu mehr Gleichberechtigung zu verhelfen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie auch Auskunft über die Konsequenzen gibt, die sie aus den Erfahrungen mit dem Gesetz zu ziehen gedenkt. Wir werden unter anderem nach diesem Bericht der Bundesregierung über weitere gesetzliche Regelungen zu beraten haben.
Mit diesem zur Beschlußfassung vorliegenden Gesetzentwurf ist die Diskussion über „mehr Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern" nicht
beendet. Wichtig ist, daß man sich Gedanken auch über andere als nur gesetzgeberische Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen macht. Gesetzliche Vorschriften allein bewirken ja nur sehr begrenzt Veränderungen im Verhalten der Menschen. Viel wichtiger ist, daß sich die Einstellungen ändern. Solche Einstellungen ändern sich vor allem dann, wenn deutlich wird, wie gut Frauen sich auch in für sie bisher unüblichen Tätigkeiten bewähren.
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Es gilt Chancengleichheit zu schaffen, indem man alle Mittel einsetzt, Überzeugungsarbeit leistet, alte, festgefahrene Vorurteile abbaut, die ärgsten Auswüchse verbietet und Benachteiligungen beseitigt. In unserer Gesellschaft muß sich die Überzeugung herausbilden, daß es niemandem gestattet sein darf, jemanden nur deshalb anders zu behandeln, weil es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt.
Dieses Gesetz, dessen Entwurf im Ausschuß gegen wenige Stimmen der Opposition mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, wird von den einen verteufelt, weil es sie angeblich in ihrer Entscheidungsfreiheit zu sehr einengt. Von den anderen wird es verteufelt, weil es den Unternehmen noch zu leichte Fesseln anlegt und sie bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nicht fühlbar genug trifft. Für die letzte Ansicht habe ich viel übrig. Aber wenn sich jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nur dieser Schritt verwirklichen läßt, so sollen wir ihn ruhig gehen. Meine Fraktion wird daher diesem Gesetz ihre Zustimmung geben.
Ich habe im übrigen kein Verständnis dafür, daß manche vehement für ein Antidiskriminierungsgesetz streiten, aber bei der Verbesserung der Chancengleichheit der Frauen im Arbeitsleben größte Zurückhaltung üben. Wir alle werden dazu beitragen müssen, daß dieses Gesetz, dem wir unsere Zustimmung geben, Allgemeingut wird. Es ist wichtig, daß sich die Frau am Arbeitsplatz bewußt wird, daß sie ihre Rechte erkämpfen kann. - Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Wenn in dieser Debatte für die Liberalen zwei Männer sprechen, dann nicht zuletzt auch deswegen,
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weil wir nicht der Meinung sind, daß Frauen zu Frauenfragen und zu Familienfragen besonders gut sprechen können. Wir halten dies für ein Privileg und sind der Meinung, daß solche Privilegien abgebaut werden sollten. Wir sind der Auffassung, daß es richtig und vernünftig ist,
({1}) '
Frauen zu den Gebieten sprechen zu lassen, auf denen sie sachkundig sind. Es muß auch Männern gestattet sein, sich zu einer Frage, wie sie hier zur Diskussion steht, zu äußern.
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- Lieber Kollege Wehner, es fällt mir nicht schwer, die mit dieser Frage verbundene Kritik - und das ist eine berechtigte Kritik - zu unterstreichen.
Nichts in der Welt ist stärker als eine Idee, für die die Zeit gekommen ist, hat Victor Hugo einmal gesagt. Niemand zweifelt daran, daß die Zeit für die Idee gekommen ist, Mann und Frau gleichberechtigt in der Gesellschaft leben zu lassen, den Frauen Chancengleichheit, gleiche Möglichkeiten zu geben.
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Die Notwendigkeit, zwischen unseren Wünschen und der Realität Übereinstimmung zu schaffen, ist sicher gegeben.
In der Tat werden in unserer Gesellschaft Frauen häufig benachteiligt. Diese Benachteiligung erstreckt sich auf viele Bereiche.
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Sie erstreckt sich nicht nur, wie man den Eindruck haben könnte, auf arbeitsrechtliche Bereiche, sondern auf viele andere Lebensbereiche. Genau deswegen meinen wir, daß man zwar im Bereich des Arbeitsrechts Sonderregelungen zu treffen hat, aber auch, Frau Kollegin Steinhauer, auf anderen Gebieten diese Dinge verfolgen und notfalls regeln -muß. Dies ist der Hintergrund, warum wir die Forderung nach einem Antidiskriminierungsgesetz gestellt haben. Es gilt, bewußte und unbewußte Benachteiligung abzubauen. Wir dürfen in diesem Zusammenhang weniger an jene Frauen, die in Politik und Wirtschaft erfolgreich tätig sind, denken. Sie wissen, wenn sie einmal die ersten Schritte erfolgreich gegangen sind, eher einen Vorteil als einen Nachteil aus ihrem Geschlecht zu ziehen.
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- Doch, gnädige Frau, Sie wissen genausogut wie wir, daß die Damen gelegentlich, wenn sie eine bestimmte Schwelle überschritten haben, den Männern in Politik und Wirtschaft gegenüber durchaus im Vorteil sein können.
({6})
Wir wollen die Startchancen für die Benachteiligten in Politik und Wirtschaft verbessern und nicht für diejenigen, die möglicherweise bevorzugt sind.
Wir können und wollen nicht auf Leistungen und auf Bewährungen verzichten. Diese sind notwendige Voraussetzungen für den Erfolg für Männer und Frauen. Aus diesem Grunde lehnen wir Quotierun18246
gen jedweder Art ab. Solche Quotierungen können sogar eine Beleidigung für tüchtige Frauen sein.
({7})
Ich hoffe, daß ich hier die Zustimmung des ganzen Hauses finde. Aber weil wir solche Quotierungen ablehnen, müssen wir darauf drängen, daß keine Benachteiligungen erfolgen. Wir hoffen, daß dieses Gesetz hierzu einen sinnvollen und praktikablen Beitrag leistet.
({8})
Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist eine uralte liberale Forderung. Wir bemühen uns darum, nicht nur, weil dies im Grundgesetz steht, sondern weil wir diese Gleichberechtigung für notwendig und richtig halten.
({9})
Die Beachteiligungen ergeben sich durch lang eingeübte Verhaltensweisen; Verhaltensweisen übrigens, die nicht nur von Männern, sondern gelegentlich auch von Frauen praktiziert werden. Diese Verhaltensweisen wiederum sind das Ergebnis teilweise jahrhundertealter Tradition.
({10})
Das Rollenverständnis von Mann und Frau, einmal festgelegt, widerspricht aber in vielen Bereichen unserem heutigen Verständnis von Gleichberechtigung.
Der guten Ordnung halber sei an dieser Stelle vermerkt, daß niemand von uns biologische Unterschiede leugnet oder gar abschaffen will.
({11})
Wo die Frau, die werdende Mutter, die erziehende Mutter des besonderen Schutzes bedarf, kann sie sich auf die Liberalen verlassen.
({12})
Die Abschaffung von Benachteiligungen hat nichts mit mangelnder Bereitschaft, notwendigen Schutz zu erhalten, zu tun. Wir legen großen Wert gerade auf diese Feststellung.
Alt eingefahrene Verhaltensweisen sind aber nur schwer zu ändern.
({13})
Wichtig ist das Umdenken, das Überzeugen; es ist, wie ich meine, auch wichtiger als alle noch so gut gemeinten Versuche, diese Probleme per Gesetz regeln zu wollen.
({14})
Wir alle müssen uns um die Gleichberechtigung bemühen, nicht nur hier im Parlament, nicht auf irgendwelchen Frauenkongressen, nicht auf irgendwelchen parteilichen Abendveranstaltungen, sondern in der täglichen Praxis; im Beruf, im Arbeitsleben.
({15})
Aus Brüssel, meine Damen und Herren, erreichen uns viele Richtlinien. Manche von dort verordnete Gesetzesänderung ist überflüssig. Die Regelung z. B. der Höhe oder Breite von Traktorensitzen ist ebenso überflüssig wie lästig. Also: Nicht alles, was von Brüssel kommt, ist gut oder gar notwendig.
({16})
Viel Überflüssiges wird uns auferlegt, wobei ich den Eindruck habe: Wir Deutschen machen das immer ganz besonders gründlich und perfekt.
({17})
Mancher mit Recht kritisierte Unsinn sollte von uns unter dem Motto „Der Hund bellt, die Karawane zieht weiter" behandelt werden: Zur Kenntnis nehmen sollte man es, aber nicht unbedingt in Gesetze und Verordnungen umsetzen.
Ein guter
Grundsatz!)
Die anderen EG-Länder sind da sehr viel großzügiger oder, wie ich meine, verhalten sich vernünftiger.
({0})
Einer ernsthaften Auseinandersetzung allerdings bedurfte die Richtlinie 76/207 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz. Unabhängig davon, ob wir in der Bundesrepublik den Anforderungen aus Brüssel formal Genüge getan haben oder nicht, waren sich alle drei Fraktionen darüber einig, daß Klarstellung und gesetzliche Regelung und Änderung den eben erwähnten Umdenkungsprozeß durchaus anregen und ihm förderlich sein können. Um der tatsächlichen Gleichbehandlung von Frau und Mann zu dienen, haben wir uns zu diesem Gesetz entschlossen.
({1})
Deswegen stellt das Gesetz auch klar, daß der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau uneingeschränkt auch im Arbeitsrecht zu gelten hat.
Daraus ergeben sich entsprechend der Systematik unserer Rechtsordnung bei Verstößen gegen diesen Grundsatz auch bestimmte Schadenersatzansprüche für denjenigen, der benachteiligt, diskriminiert worden ist.
Zur Durchsetzung dieser Ansprüche haben wir Beweiserleichterungen, Beweisregelungen gefunden, von denen wir glauben, daß sie wirksam sind und der Systematik unserer Rechtsordnung entsprechen. Sie sollen die Durchsetzung dieser Ansprüche für diejenigen, die sie durchsetzen müssen, erleichtern. Sie sollen aber gleichzeitig - und das war unser Bemühen - im Ergebnis kein Einstellungshindernis für Frauen sein. Uns lag daran, unnütze BüCronenberg
rokratie, unnütze Schnüffelei - oder besser gesagt: Schnüffelei überhaupt - in den Personalbüros, in der Personalpolitik der Betriebe zu verhindern.
({2})
Wir sind sicher, daß nicht zuletzt dank der Unterstützung und Mitwirkung der Betriebsräte in dieser Frage diesem unserem Wunsch entsprochen und unser Anliegen auch in die Praxis umgesetzt wird. Was in Großunternehmen durch wohlausgearbeitete Personalfragebögen relativ unproblematisch sein mag und kann, dürfte in dem einen oder anderen kleinen oder mittleren Betrieb am Anfang ungewollt zu Schwierigkeiten führen.
({3})
- Sie wissen, welch hohen Stellenwert für uns der Datenschutz hat, und Sie können versichert sein, Herr Kollege, daß dieser Aspekt in diesem Zusammenhang eine große Rolle gespielt hat. Dies wurde intensiv auch von den Kollegen Ihrer Fraktion geprüft und in gleicher Weise wie von uns beurteilt.
({4})
- Entschuldigung, ich meine: von den sachkundigen Juristen Ihrer Fraktion, z. B. dem Kollegen Pohlmann, der vor Ihnen sitzt.
({5})
Wir hoffen, daß sich in der Praxis keine Schwierigkeiten für diese Betriebe ergeben, und wir sind sicher, daß der gute Wille auch in diesen Betrieben dazu führt, daß sich die Kritik, die Frau Verhülsdonk hier vorgebracht hat, daß wir für Stellenausschreibung und den Aushang nur Sollvorschriften festgelegt haben, erübrigt. Gnädige Frau, wir haben das Vertrauen, daß der gute Wille der Arbeitgeber, kontrolliert durch die Betriebsräte, zu positiven Ergebnissen führt. Wir lieben es einfach nicht, unnötig mit dem Knüppel zu drohen. Lassen Sie den Arbeitgebern doch die Chance, das zu praktizieren, was der Gesetzgeber will, ohne gleich mit der Strafe zu drohen. Sollte sich herausstellen, daß unsere Vermutung falsch ist, so besteht in diesem Hause kein Hinderungsgrund, das Gesetz entsprechend zu ändern. Einigen wir uns auf einen sinnvollen Versuch.
({6})
- So, wie es im Gesetz geregelt ist. Wenn Sie einen Blick ins Gesetz werfen würden, würde sich Ihr Zwischenruf erübrigen, gnädige Frau.
Die Kritik an der vorgesehenen Neuregelung nehmen wir durchaus ernst. Dem einen geht der vorgesehene Schutz nicht weit genug, dem anderen geht er zu weit. Wir fassen diese zwei Kritiken als Beweis und Bestätigung auf,
({7})
daß wir auch in diesem Fall den richtigen Weg, den vernünftigen Weg gegangen sind und einen richtigen Versuch unternommen haben.
({8})
Wichtig für die gesellschaftspolitisch bedeutsame Lösung dieses Problems ist, daß es nicht zu falschen Konfrontationen führt, zu Konfrontationen im Betrieb, Konfrontationen in der Gesellschaft. Diese wären für die Frauen schädlich und nicht nützlich. Da wir ja im Sinne von Gleichberechtigung Gutes und Richtiges wollen, haben wir großen Wert darauf gelegt, daß es eben nicht zu solchen Konfrontationen kommen kann.
Wir geben denen, die das Gesetz anzuwenden haben, eine große Portion Vertrauensvorschuß. Wir hoffen - ich persönlich bin dessen sicher -, dieser Vorschuß wird entsprechend genutzt werden. Ich glaube, daß wir durch dieses Gesetz das, was notwendig ist, das Umdenken in dieser Gesellschaft fördern werden, daß wir ein Stück mehr Gleichberechtigung für die von uns verehrten Damen erreicht haben. - Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({9})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Männle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über ein Problem, das sich nach dem Verständnis unserer Verfassung eigentlich gar nicht stellen dürfte. In unserem Grundgesetz ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau verbürgt. Ebenso verpflichtet § 75 des Betriebsverfassungsgesetzes Arbeitgeber und Betriebsrat zur gleichen Behandlung aller in einem Betrieb tätigen Arbeitnehmer.
Wenn wir in dem jetzt hier zur Verabschiedung vorliegenden Gesetzentwurf erneut die Gleichberechtigung von Mann und Frau, und zwar insbesondere in der Arbeitswelt, postulieren, dann zeigt das zum einen, daß der Gleichberechtigung der Frau eben nicht mit einer einmaligen globalen Statuierung von Grundsätzen Genüge getan ist. Es bedarf offensichtlich mehrerer nachhaltiger und detaillierter gesetzlicher Fixierungen.
Zum anderen zeigt es aber ebenso deutlich, daß gesetzliche Regelungen allein keine Gewähr bieten, um Mißstände abzuschaffen. Ich darf sagen, daß sich die Union für alle Maßnahmen rechtlicher und bewußtseinsbildender Art einsetzt, die geeignet sind, die tatsächliche Situation der Frauen zu verbessern.
({0})
Lassen Sie mich aber hier gleich überleiten zu einigen Grenzen des vorliegenden Gesetzentwurfes. Er ist nach unserer Auffassung wenig geeignet zu verhindern, daß Frauen in der Arbeitswelt zukünftig Benachteiligungen erfahren. Mit dieser Beurteilung sehen wir uns, wie ja die öffentliche Anhörung zu diesem Gesetzentwurf zeigte, in Übereinstimmung
mit den Frauenverbänden, aber auch mit den Tarifvertragsparteien, die in seltener Einmütigkeit
({1})
- ja, aus unterschiedlichen Beweggründen - dem Gesetzentwurf ablehnend oder skeptisch gegenüberstanden. Und Sie gestatten mir auch, daß ich darauf hinweise, daß die Koalitionsparteien in der Bewertung des Gesetzes ebenfalls unterschiedlicher Auffassung sind oder waren. Jedenfalls scheiterten einige von der SPD formulierte Änderungsanträge am Veto der FDP. Sie wurden nicht eingebracht.
Wir verhehlen auch nicht unsere Skepsis hinsichtlich der Frage, ob das Gesetz überhaupt angetan ist, positive Wirkungen auf die Gesamtsituation der Frauen zu entfalten und Arbeitnehmerinnen tatsächlich zu mehr Gleichberechtigung im Arbeitsleben zu verhelfen. Wie wir alle wissen, ist die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau im Berufsleben nicht losgelöst von der Situation der Frau im Spannungsfeld der Familie und des Berufes zu sehen. Die Diskriminierung der Frau in der Arbeitswelt ist nicht so sehr ein Problem der unterschiedlichen Behandlung von Männern und Frauen wie meines Erachtens ein Problem von Frauen mit Kindern. Häufig spielen Alter und Familienstand eine erheblich größere Rolle als reine Geschlechtsunterschiede. Frauen mit Kindern, die um Arbeit nachsuchen, werden immer gefragt, wer denn ihre Kinder versorge. Wie ich mir habe sagen lassen, Männer nie, höchstens alleinerziehende Väter. Dieser Frage trägt der Gesetzentwurf leider nicht Rechnung.
Der Gesetzentwurf kann vielleicht auch individuelle, flexible Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers einengen, spezielle Regelungen zugunsten der Frauen zu treffen, die den Wünschen der Frauen entgegenkämen und ihnen entsprächen, wie z. B. variable Arbeitszeitgestaltung oder auch verkürzte Arbeitszeit. Dieses Problem ist hier nicht angesprochen.
Wir halten das Gesetz auch für ungeeignet, eine Veränderung in der tatsächlichen Situation der erwerbstätigen und der arbeitsuchenden Frau herbeizuführen. Wir glauben nicht, daß dieses Gesetz einen entscheidenden Beitrag zum Wegfall z. B. der Tatsache beiträgt, daß nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes nur 8,7 % aller Facharbeiter Frauen sind, aber 63 % aller Fließbandarbeiter dem weiblichen Geschlecht angehören. Wir glauben nicht, daß dieses Gesetz die einseitige Struktur der weiblichen Beschäftigung, nämlich den hohen Frauenanteil im Dienstleistungsbereich und in den Büro- und Verwaltungsberufen, in der Weise zu brechen vermag, daß Frauen eben nicht mehr im Normalfall auf der unteren Stufe der Betriebshierarchie oder im günstigsten Fall als mittlere Angestellte tätig sind. Die Erwartungen, die Frauen draußen, wenn man mit ihnen diskutiert, im Zusammenhang mit der Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzes an uns stellen, gehen aber genau in diese Richtung. Hier werden falsche Hoffnungen geweckt.
Wir glauben auch nicht daran, daß mit diesem Gesetz der Abbau des überproportionalen Frauenanteils an der Arbeitslosigkeit erreicht werden kann, der nun schon seit einigen Jahren über 50 % beträgt, obwohl der Anteil der Frauen an den beschäftigten Arbeitnehmern nur 38 % ausmacht. Das sind aber unserer Meinung nach Probleme, deren Lösung uns allen, wie ich hoffe, auf den Nägeln brennt.
({2})
Man soll - da kamen vorhin so einige Zwischenrufe - den Frauen nicht einreden wollen, daß allein die „bösen Arbeitgeber" an der unzureichenden Berücksichtigung von Frauen bei Einstellungen oder Höhergruppierungen und an der leider immer noch weithin verbreiteten und praktizierten Auffassung von der weiblichen Arbeits-Reservearmee schuld wären. Derselbe Vorwurf träfe dann mit der gleichen Schärfe die Gewerkschaften, die sich des in ihren männlichen Kreisen gleich wenig beliebten Themas der Erwerbstätigkeit und der Berufssituation der Frauen nur ungern annehmen.
Wenn Sie, Frau Kollegin Steinhauer, vorhin gesagt haben, man sei sehr gern bereit, Studien zu entwickeln und Expertisen anzufordern, ist das sicherlich ein Weg. Nur müssen dem auch Taten folgen. Ich möchte hier nur an die Leichtlohngruppen erinnern.
({3})
Wir sind der Meinung, daß dieses Gesetz eigentlich ungeeignet ist, bei Frauen auf politischen und parteipolitischen Stimmenfang zu gehen. Wenn wir diesem Gesetzentwurf dennoch zustimmen, geschieht dies in der Hoffnung, daß von dem Gesetz eine gewisse Signalwirkung in dem Sinne ausgeht,
({4})
daß Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, aber auch der einzelne Arbeitgeber und der Betriebsrat aufgefordert sind, sich vehementer als bisher für die Gleichberechtigung der Frau im Arbeitsleben einzusetzen.
({5})
Ich begrüße auch, daß dieses Gesetz in den Betrieben zum Aushang kommt. Damit wird zumindest öffentlich kundgetan, wie das Arbeitsverhältnis in bezug auf die Gleichbehandlung von Mann und Frau sein soll. Dieser Imperativ, den wir als moralische Verpflichtung verstehen, veranlaßt uns im besonderen, dem Gesetz trotz der Bedenken, die Frau Verhülsdonk vorhin, vor allem was die Beweislastumkehr und all diese Probleme angeht, erläutert hat, unsere Zustimmung zu geben.
({6})
Wir begrüßen auch die neue Form der Ausschreibung von Stellen, die erwartet wird. Auch wenn Sprachwissenschaftler zum Ausdruck bringen, daß die maskuline Form zweifach interpretiert werden kann, nämlich männlich und geschlechtsneutral - „Lehrer" kann einen Lehrer männlichen Geschlechts, aber auch eine Lehrerin bezeichnen -, verkennen wir doch nicht, daß von dieser Art der
Stellenausschreibung gewisse positive psychologische Auswirkungen und stärkere Anreize für Frauen, sich zu bewerben, ausgehen können. Wir sind ja noch nicht so weit, daß wir das Grundgesetz ändern und von „Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin", sprächen, aber vielleicht kommt das dann als nächstes.
({7})
Allgemein begegnet man der Ansicht, daß, wie „Die Zeit" z. B. kürzlich schrieb, mit dem hier zur Debatte stehenden Gesetzentwurf über ein Frauenthema entschieden wird, von dem die Männer eigentlich nicht betroffen sind. Ich muß sagen, ich stimme dieser Beurteilung nicht zu. Es kann ja durchaus sein, daß sich auch die Herren der Schöpfung gegenüber den Frauen im Arbeitsleben benachteiligt fühlen könnten. Hier fänden dann auch sie eine Rechtsgrundlage dem entgegenzutreten, und vielleicht sollte man auch dieses Problem in der Tat einmal sehen.
({8})
Es kann durchaus sein, daß Männer in bisher weitgehend von Frauen bestimmte Berufe und entsprechende Arbeitsplätze „einbrechen", ohne daß Frauen wegen noch mangelnder beruflicher Qualifikation als Äquivalent bisher weitgehend von Männern belegte Arbeitsplätze erhielten. Dieses Problem wurde vor allen Dingen bei der Anhörung der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft", als es um die Frage der Quotierung ging, deutlich.
Aber ich sehe, ehrlich gesagt, diese Gefahr des Einbrechens eigentlich nicht als so groß an. Es könnte ja durchaus sein - und wir haben dafür auch einmal ein Beispiel erlebt -, daß Männer, die in diese typischen Frauenberufe streben, gleichzeitig für diese Berufe eine bessere Besoldung durchsetzen. Ein sehr gutes Beispiel ist meines Erachtens der Beruf der früheren Kindergärtnerin, wo gleichzeitig mit dem Eindringen der Männer und der Umbenennung in „Erzieher" eine finanzielle und ideelle Aufwertung erfolgt ist.
({9})
Vielleicht geht auch dies von diesem Gesetzentwurf aus. Eine Bumerangwirkung auf Frauenarbeitsplätze kann deswegen nicht unbedingt unterstellt werden; es können sich auch positive Auswirkungen ergeben.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Das Gesetz bringt nach unserer Meinung keine substantiellen Verbesserungen der Rechtslage in bezug auf eine tatsächliche Diskriminierung bei der Einstellung, am Arbeitsplatz und hinsichtlich der Kündigung, wohl aber eine psychologische Wirkung. Bei der Diskussion über die Benachteiligung der Frau im Arbeitsleben hat die indirekte Diskriminierung - es wurde vorhin schon häufig darauf hingewiesen - auf Grund des noch ungelösten grundsätzlichen Konflikts zwischen Berufsrolle und Mutterrolle eine weit größerer Bedeutung. Ein mittelbares Diskriminierungsverbot ist mit diesem Gesetz aber nicht ausgeschlossen. Mit dem gesellschaftspolitisch wichtigeren Problem der mittelbaren, der im Einzelfall eben nicht faßbaren Benachteiligung der Frau auf allen Ebenen, hat sich die Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft", die auf Antrag der CDU/CSU eingesetzt wurde, ausführlich befaßt. Es bleibt zu hoffen, daß wir auch in dieser Frage auf Grund der Beratungen dieser Kommission zu konkreten Ergebnissen kommen. Bis dahin werden wir uns mit dem vorliegenden Gesetz begnügen müssen in der Hoffnung, daß es dazu beiträgt, ein weiteres Mosaiksteinchen in der erforderlichen allgemeinen Bewußtseinsänderung im Hinblick auf die neu zu bestimmenden Rollen von Mann und Frau im Beruf und für die Familie zu sein. Die im Entschließungsantrag geforderten Berichte werden uns zeigen, ob die an dieses Gesetz geknüpften Erwartungen erfüllt wurden.
Zum Schluß möchte ich noch eine scherzhafte Bemerkung machen, wenn Sie dies erlauben.
({10})
So verführerisch auch die Vision sein könnte, eines darf man mit Gewißheit vorhersagen, und dieses richtet sich vor allen Dingen an Sie, meine Herren, zur Beruhigung: Eine Dame, die Mitglied dieses Hohen Hauses ist, oder eine Bewerberin um ein Bundestagsmandat wird für ein Verbleiben bzw. ein Einrücken in den Bundestag in diesem Gesetz keine erfolgversprechende Rechtsgrundlage finden. Das wären ja auch sehr schöne Zeiten, finden Sie nicht auch?
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, wenn man die Diskussion bis jetzt verfolgt hat, könnte man eigentlich sagen: Mir fällt schon gar nichts mehr ein. Vieles ist eigentlich gar nicht zu diesem Gesetz gesprochen worden, sondern war vielmehr eine allgemeine Darstellung der Situation der Frau. Herr Cronenberg ist inzwischen nicht mehr da.
({0})
- Na, fabelhaft. Es hat mir so richtig wohlgetan, lieber Herr Kollege Cronenberg, wie Sie so in lyrischer Form und so zart gewinnend über die Situation der Frau gesprochen und die Frauen hier als Einzelwesen dargestellt haben. Wissen Sie, das ist ein ganz ernstes Problem: Wir wollen nicht aus der Gesellschaft herausgehobene Einzelwesen sein, denen man charmant begegnet - wir nehmen das auch hin, das ist natürlich ganz nett -, sondern wir wollen vielmehr in der Gesellschaft Chancengleichheit haben. Nun ist es vollkommen richtig, daß dieses Gesetz dieses Problem nicht ohne weiteres löst. Dazu gehört die Bereitschaft nicht nur dieses Hohen Hauses, sondern die der ganzen Gesellschaft, die Mißstände, die Schwierigkeiten, die Dinge, die gegen diese Gleichstellung stehen, wegzuräumen. Das ist das Entscheidende bei dieser ganzen Geschichte.
Meine Damen und Herren, auch ich bin mit diesem Gesetz nicht gerade glücklich, keineswegs, man kann das auch nicht sein. Es ist eine unvollkommene Anpassung an die EG-Richtlinien. Ich möchte Ihnen aber etwas sagen, verehrte Frau Kollegin Verhülsdonk: Wenn Sie dieses Gesetz kritisieren, so gehen Sie von einer ganz anderen Seite heran, als ich das jetzt gerne tun möchte. Die einen sagen, das Gesetz sei nicht ausreichend, die anderen sagen, wir brauchten das prinzipiell nicht. Ich möchte Ihnen einmal die Begründungen dazu geben. Da hat z. B. die Mehrheit im Rechtsausschuß des Bundesrates dekretiert, daß „das Grundgesetz anders als z. B. für Ehe und Familie keinen besonderen Auftrag zur positiven Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen im Wirtschafts- und Berufsleben enthält". Dieses ist eine merkwürdige Begründung, wie ich sagen möchte, und ich hoffe, man schließt sich in diesem Hause dieser Begründung nicht an. Täte man dies nämlich, kämen wir kein Stück weiter. Es ist also eine falsche Begründung.
Man muß einmal sehen: 30 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes bestreitet ein Ausschuß des Verfassungsorgans Bundesrat das Recht der Frau, durch wirtschaftliche Arbeit für sich und ihre Angehörigen den Unterhalt zu gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen, wie die Männer sie haben, zu erwerben. Dies ist der eigentliche Punkt. Wenn dann in den Diskussionen auch noch die Familien zum Vorwand genommen werden, dann muß ich dies in diesem Zusammenhang als ein nicht gutes Argument zurückweisen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Wex?
Bitte, Frau Kollegin.
Frau Renger, ich nehme an, wir sind darüber einig, daß es das Wichtigste ist, daß wir gemeinsame Anstrengungen - ich hoffe, Sie sind damit einverstanden - machen. Davon ausgehend, frage ich Sie: Warum haben Sie auf meinen Brief, in dem ich vorgeschlagen habe, in einem überparteilichen Institut einmal die objektiven Tatbestände der Ungleichbehandlung zusammenfassen zu lassen, um die Praxis zu verbessern, negativ geantwortet? Warum haben die ganzen SPD-regierten Länder auf das Angebot, in einem überparteilichen Forschungsinstitut die objektiven Beweise für Ungleichbehandlung zusammenzutragen, negativ geantwortet? Die CDU/CSU hat dies angeboten. Ich denke, wir sollten dies gemeinsam nach vorne bringen.
({0})
Liebe Frau Dr. Wex, wir haben zahlreiche Institute, wir hatten mehrere EnqueteKommissionen des Deutschen Bundestages,
({0})
die sich mit den anstehenden Problemen befaßt haben.
({1})
- Nicht doch; ich antworte auf Ihre Frage, und dann darf ich bitte in meinen Ausführungen fortfahren. - Wir sehen in Ihrer Anregung keine wirkliche Bereicherung für eine Lösung dieses Problems und auch nicht den Versuch, in die Materie wirklich einzusteigen.
({2})
- Ich lasse jetzt keine weiteren Zwischenfragen mehr zu. - Meine Damen und Herren, zahlreiche Briefe, die mir aus dem Arbeitsleben vorliegen - sie beinhalten keine Theorie,
({3})
sondern zeigen die Praxis, wie es draußen wirklich aussieht -, sagen uns - diese Briefe füllen ganze Bibliotheken -, wie die Verhältnisse sind.
Nun ist vorhin davon gesprochen worden, man solle doch den Arbeitgebern gegenüber nicht so mißtrauisch sein. Ich bin in der Tat den Arbeitgebern gegenüber mißtrauisch. Wenn ich daran denke, daß wir seit Jahrzehnten darum kämpfen, den gleichen Lohn für gleiche Arbeit einzuführen, daß wir seit Jahren ein Gutachten von Rohmert & Rutenfrantz haben, auf dessen Grundlage wir eine neue Arbeitsplatzbewertung hätten durchführen können, daß sich die Arbeitgeber weigern, dabei mitzuwirken, daß die Leichtlohngruppen entfallen, dann meine Damen und Herren, muß ich Ihnen ganz klar sagen, daß ich zu den Arbeitgebern kein Vertrauen habe, bis sie beweisen, daß sie hier eine andere Haltung einnehmen.
({4})
Und nun sage ich Ihnen noch etwas: Die Damen und Herren, die hier sitzen, haben zu den Arbeitgebern doch viel eher Zugang, als meine Fraktion das hat.
({5})
Es wäre ausgezeichnet, wenn Sie auf die Arbeitgeber stärker einwirken könnten - ich hoffe, daß Sie da mit mir übereinstimmen -, um hier - ohne die Tarifhoheit außer Kraft zu setzen, meine Damen und Herren - Verbesserungen zu erreichen.
({6})
- Hören Sie einmal zu! Ich bin gewerkschaftlich organisiert wie Sie, verehrter Herr Kollege Franke. Ich darf Ihnen dazu sagen, daß sich die Gewerkschaften gerade in dieser Frage seit Jahren bemühen, mit den Arbeitgebern in ein vernünftiges Gespräch zu kommen. Aber es ist z. B. nicht gelungen, hier eine Neubewertung von Arbeitsplätzen vorzunehmen.
({7}) Sie kennen das alles ganz genau.
Ich darf zum Gesetz zurückkommen: Eine ganze Reihe von Dingen scheinen mir hier unzureichend geregelt zu sein. Aber auch dieses Gesetz ist ja, wenn Sie so wollen, ein Einstieg, sogar ein Einstieg in ein Antidiskriminierungsgesetz, das vor allen Dingen die Damen der FDP so gerne wollen. Ich frage mich allerdings, wie sie ein Antidiskriminierungsgesetz durchsetzen wollen, wenn sie hier nicht einmal in der Lage waren, eine Regelung hinsichtlich der Beweislastumkehr zu treffen.
({8})
Aber das muß man dann nachher natürlich politisch selber auskämpfen. Denn eine vernünftige Zielsetzung kann ja überall Platz greifen. Es gibt ja kein Hemmnis, da lernfähig zu sein. Dies wird dann möglicherweise auch im nächsten Kabinett denkbar sein, so daß es nicht schon daran scheitert. Wir sind ja ganz ehrlich und geben zu, daß die Dinge hier noch nicht so sind, wie sie sein sollten.
Aber eines können Sie mir abnehmen: Wenn die Sozialdemokraten hier im Haus in der Lage wären, ihre arbeitsrechtlichen, sozialrechtlichen und familienrechtlichen Vorstellungen - für uns ist Familienpolitik vor allen Dingen die beste Sozialpolitik - durchzusetzen, dann käme das dem deutschen Volk sehr zugute.
({9})
Ich möchte noch einmal auf etwas hinweisen, was mich auch persönlich bekümmert. Es ist schon angesprochen worden, daß in den EG-Richtlinien etwas steht, was in diesem Entwurf nicht umgesetzt worden ist: Es sollten eigentlich jene mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung nicht zu vereinbarenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften revidiert werden, bei denen der Schutzgedanke nicht mehr begründet ist. Schauen Sie: Das habe ich draußen des öfteren gesagt. Dann kam sofort die Gegenrede: Die Frau Renger möchte die Nachtarbeit für die Frauen usw. usw. Nein, das wollen wir nicht. Aber wir wollen für Frauen auch keine wirklichen Berufsverbote, die durch ganz bestimmte Bestimmungen, die nicht mehr begründet sind, bewirkt werden und die Frauen daran hindern, in handwerkliche oder technische Berufe einzutreten. Dies muß geändert werden. Auch all dies werden wir zwar nicht mit Hilfe dieses Gesetzes, aber hoffentlich in späterer Vervollkommnung dieses Gesetzes in die richtige Richtung bringen.
Eines will ich noch sagen. Ich kämpfe nicht für Frauen gegen Männer, sondern ich bin der Meinung: Alles, was für Frauen schlecht ist, ist auch für die Männer schlecht.
({10})
Das trifft für die Nachtarbeit und die Schichtarbeit zu. Wir werden daran arbeiten, daß sich das ändert. Aber dies ist ein langer Prozeß, für den wir Ihre Unterstützung ganz dringend brauchen. Sie sagen ja:
Auch bei Ihnen sind Wähler, die Arbeitnehmer sind.
({11})
Trotz der Schwierigkeiten, die wir sehen, und trotz dessen, was uns nicht so gut gefällt, müssen wir sagen, daß der Einstieg dieses Gesetzes doch zu gewissen Hoffnungen berechtigt. Wir werden sehen, ob es eine wirkliche Hilfe gegen Diskriminierung ist. Ich hoffe, daß dieses Gesetz in allen Bereichen der mittelbaren und unmittelbaren Diskriminierung extensiv ausgelegt wird. Auch dies ist eine Möglichkeit, voranzukommen.
Wir begrüßen den von den Koalitionspartnern eingebrachten Entschließungsantrag, wonach die Bundesregierung bis zum 31. Dezember 1982 über Erfahrungen mit diesem Gesetz berichten soll. Ich bin überzeugt, daß der Deutsche Bundestag dann die Konsequenzen ziehen wird, die meine Fraktion heute noch im Gesetzentwurf vermißt. Aber Kompromisse müssen geschlossen werden. Das ist ein Bestandteil der Demokratie. - Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz machen wir zweifellos einen wichtigen Schritt, das in der Verfassung enthaltene Gleichberechtigungsgebot im betrieblichen Alltag zu verwirklichen.
Ich fand es sehr nett, Frau Kollegin Professor Männle, daß Sie bedauernd festgestellt haben, daß dieses Gesetz nicht die Rückkehr weiblicher Abgeordneter in den Bundestag sichert. Ich kann nur ebenfalls bedauernd feststellen, daß Ihrer Partei wohl nicht wußte, was sie tat, als sie, wie ich hörte, Ihnen die Rückkehr in den Bundestag so schwergemacht hat. Aber das ist ein Problem der CSU. Ich bedaure dies persönlich. Denn gerade Ihrer Rede hat gezeigt, daß Gemeinsamkeiten da sind, die eigentlich auch die Hoffnung deutlich machen, daß wir beim Abbau von Verletzungen des Gleichberechtigungsgebots, wo immer sie auftreten, in der nächsten Wahlperiode das eine oder das andere doch gemeinsam machen können.
Der Kollege Cronenberg hat für meine Fraktion bereits unsere Haltung verdeutlicht. Ich will, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht noch einmal auf Inhalt und Wertungen eingehen.
Mein Anliegen ist es deshalb, auf die politische Bedeutung des Entschließungsantrags auf Drucksache 8/4259 hinzuweisen; denn bei dieser Entschließung handelt es sich nicht um eine unverbindliche Pflichtübung des Parlaments, sondern um eine sehr wichtige, in die Zukunft weisende Willenserklärung. Frau Kollegin Renger, wenn ich Sie richtig verstanden habe, erscheint es auch Ihnen notwen18252
dig, heute nicht nur über das EG-Anpassungsgesetz zu sprechen, das nur einen Teilaspekt von Diskriminierung behandelt, sondern auch über Verletzungen des Gleichberechtigungsgebots in anderen Lebensbereichen. Ich bin sehr froh, daß dies in dem Entschließungsantrag in einer Willenserklärung zum Ausdruck gekommen ist, die auch eine Selbstverpflichtung des Parlaments für die nächste Legislaturperiode bedeutet.
Es wird hier festgestellt, daß Erfahrungen aus dem arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz zu sammeln sind. Die Bundesregierung wird aufgefordert, bis zum 31. Dezember 1982 über die Praktikabilität des Gesetzes, über Erfolge, aber natürlich auch über eine sich möglicherweise zeigende Wirkungslosigkeit zu berichten. Wir brauchen diese Erfahrungen; denn wir haben in der Vergangenheit keine vergleichbaren Gesetze verabschiedet. Wir betreten hier Neuland, und deshalb müssen wir uns auch vorbehalten, das Gesetz dann und dort wieder zu ändern, wo die vorgesehenen Maßnahmen das angestrebte Ziel nicht erreichen und nicht zu einer Verbesserung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben führen.
Selbstverständlich - dies drückt die EntschlieBung aus - möchten wir in diesem Zusammenhang auch wissen, ob die Arbeitnehmer, bei denen eine Benachteiligung auf Grund ihres Geschlechts vermutet wird, auch tatsächlich mit den vom Gesetz angebotenen Beweisregelungen zurechtkommen. Wir wollen auch wissen, ob die Vorschriften für die geschlechtsneutrale Stellenausschreibung und den Betriebsaushang beachtet worden sind. Es wäre gut - ich hoffe, daß dies eintritt -, wenn sich nach zweijähriger Praxis herausstellt, daß schärfere Beweisregelungen und Sanktionen zu Lasten des Arbeitgebers gar nicht notwendig sind, weil allein die Existenz dieses Gesetzes - hoffen wir dies gemeinsam! - dafür sorgt, daß Diskriminierungen nicht oder jedenfallls nicht mehr in nennenswertem Umfang stattfinden. Gerade im sozialpolitischen Bereich haben wir diese Gesetze, z. B. das Gesetz über die illegale Beschäftigung von Arbeitnehmern. Wir wissen, daß es illegale Beschäftigung gibt. Wir wissen aber auch, daß die Tatsache, daß ein solches Gesetz vorhanden ist, schon zu Besserungen führt, weil - ich möchte es salopp ausdrücken - der Knüppel in der Hinterhand ist. Möglicherweise bedarf es gar keiner Änderung; nur wissen wir dies heute noch nicht. Hier müssen wir Erfahrungen sammeln.
({0})
Frau Kollegin Renger, ich bin nicht damit einverstanden, wenn möglicherweise unbewußt in diesem Hause der Eindruck entstehen sollte, die FDP habe es zu verantworten, daß die Frau im Grunde genommen selbst den Beweis dafür antreten muß, daß eine Gleichgebotsverletzung vorliegt. So ist es nicht. Ich gebe zu, wir haben formal keine De-jure-Beweislastumkehrung, aber wir haben eine faktische Beweislastumkehrung.
({1})
Die Frau braucht nur glaubhaft zu machen, daß sie
wegen ihres Geschlechtes benachteiligt wurde. Sie
braucht - lassen Sie mich dieses Beispiel einmal anführen - nur eine eidesstattliche Versicherung abzugeben,
({2})
und der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, zu beweisen, daß die Benachteiligung nicht auf Grund des Geschlechtes erfolgte.
({3})
Sie wissen, wir haben die Diskussion sehr offen geführt. Ich gehöre in meiner Fraktion zu denjenigen, die in dieser Frage gern etwas weiter gegangen wären. Ich werde dennoch meinem Kollegen Cronenberg, mit dem ich heute gemeinsam die Ehre habe, unsere Frauen hier im Grunde genommen mit zu vertreten, nicht unterstellen, daß er die Rechtsstellung der Frau schlechter als ich gesetzlich verankert wissen wollte. Er mag möglicherweise mehr Vertrauen in die normative Kraft vorhandener Gesetze haben. Manch anderer betrachtet das mit etwas mehr Skepsis. Aber uns alle eint im Grunde genommen, daß hier erstmals ein Einstieg erfolgt ist, der bewirkt, daß eine Frau nicht auf sich selbst gestellt ist, wenn sie den Nachweis bringen soll, daß sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt wird. Wie sollte sie das nach geltendem Recht können, da sie zur Zeit keine Möglichkeit hat, z. B. bei Bewerbungen in die Personalakten Einsicht zu nehmen?
Besonderer Schwerpunkt unserer Entschließung ist die Verpflichtung der Bundesregierung, darzulegen, ob außerhalb des Bereichs des Arbeitslebens Benachteiligungen von Frauen festzustellen sind, damit der Deutsche Bundestag in die Lage versetzt wird, entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Wir haben das Schulwesen, den Bereich der Medien und der Werbung, den Dienstleistungsbereich und die Beteiligung von Frauen an politischen und anderen Entscheidungsgremien beispielhaft aufgeführt.
Wenn ich mich Ihnen, verehrte Frau Kollegin Renger, noch einmal widmen darf: Für uns ist ein Antidiskriminierungsgesetz und dieses arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz kein Widerspruch. Man mag sich ja sehr wohl darüber streiten, ob man nun den Abbau von Verletzungen des Gleichheitsgebotes im Rahmen von Teilgesetzen behandelt oder im Rahmen eines allgemeinen, umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes. Gegen solche Teilgesetze spricht zweifellos mehr Bürokratie, weniger Transparenz, viel mehr Perfektionismus; das muß sich nicht unbedingt immer zugunsten der Frauen auswirken.
Warum reden wir nicht nach dem 5. Oktober über ein Antidiskriminierungsgesetz, das z. B. vorsieht - das entspricht jedenfalls der Beschlußlage meiner Partei, dem Wahlprogramm der FDP vom Juni dieses Jahres -, daß eine mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattete Kommission eingerichtet wird, die Verletzungen aufspürt und Maßnahmen ergreift, um sie abzustellen? Ich denke, wir sollten dafür offen sein. Jedenfalls sind das Gesetz, das wir heute zu verabschieden haben, und unsere ForHölscher
derung nach einem umfassenderen Antidiskriminierungsgesetz für uns kein Gegensatz.
({4})
Denn wir sind der Meinung, daß es in vielen Lebensbereichen Diskriminierung gibt. Dies wurde auch von meinen Damen Vorrednern angesprochen. Das EG-Anpassungsgesetz betrifft ja nur einen Teilbereich.
({5})
Es gibt zweifellos Diskriminierungen. Die Bundesregierung wird dies zwar prüfen müssen, aber ich möchte für meine Person schon heute feststellen, wo Diskriminierungen auf der Hand liegen.
Ich möchte einmal ein ganz besonders mieses Beispiel anführen. In der Werbung wird z. B. für Taschendiktiergeräte mit der Abbildung nackter Frauen und dem Text: „Spielzeug für Männer" geworben. Diese Geräte haben, wie in der Werbung gesagt wird, mit Mädchen manches gemeinsam: handlich, immer wieder bespielbar und stets bereit. Das ist nicht nur geschmacklos, das ist diskriminierend und letzten Endes entwürdigend.
({6})
So etwas müssen wir auch in den Griff bekommen. Hier darf eine diskriminierend-entwürdigende Objektstellung der Frau nicht als Transportmittel für dubiose Werbefeldzüge herhalten.
Wir haben Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen, mit der Folge, daß ihnen bestimmte Berufe versperrt sind. Ich möchte dies als eine positive Diskriminierung bezeichnen. Ich persönlich rechne hierzu das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen. Jemand wollte das vor zwei Jahren einmal auf weibliche Angestellte ausdehnen. Aber Gott sei Dank gab es in allen Fraktionen Frauen, die hierin eine Bevormundung sahen, und es ist auch nichts geschehen.
Wir müssen uns auch mit dem öffentlichen Dienst befassen, der ja, soweit es die Beamten betrifft, von diesem Gesetz gar nicht betroffen ist. Ich denke, der öffentliche Dienst bietet ein extrem schlechtes Beispiel, wenn mit steigender Qualifikation der Anteil der Frauen bei den Beamten abnimmt, obwohl fast 50 % der Abiturienten Frauen sind - hier haben wir gleichgezogen - und obwohl von allen Erwerbstätigen mit Hochschulabschluß immerhin knapp 30 Frauen sind. Aber dies zeigt, daß es gerade der öffentliche Arbeitgeber mit dem Art. 3 des Grundgesetzes, jedenfalls was dessen Umsetzung angeht, so genau nicht genommen hat. Dies - ich möchte das wiederholen - ist ein denkbar schlechtes Beispiel für die Wirtschaft, von der wir ja auf Grund dieses Gesetzes erwarten, daß sie niemanden wegen seines Geschlechts benachteiligt.
({7})
- Ich rede ja vom Staat; Herr Stark, Sie waren vielleicht gerade durch eine andere Beschäftigung abgelenkt. Ich rede schon die ganze Zeit vom Staat.
Wenn Frauen im Strafvollzug später als Männern Hafturlaub gewährt wird - das ist ein weiteres Beispiel -, weil die Verwaltung befürchtet, Frauen könnten schwanger werden, dann ist dies eine schwere Diskriminierung und Beleidigung wegen des Geschlechts. Dies ist Praxis.
({8})
Wenn schließlich - da möchte ich noch ein Beispiel anführen; hier müssen wir uns alle an die eigene Brust schlagen - so wenig Frauen in diesem Parlament sitzen und so wenig Frauen in den Entscheidungsgremien der Parteien Verantwortung tragen, so zeigt dies nur, wie wir, die Parteien selbst, noch in der alten Rollenfixierung von Mann und Frau verhaftet sind.
Selbstverständlich gehört zur Gleichstellung von Mann und Frau auch die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung. Hier sind wir - ich hoffe, gemeinsam - auf dem besten Wege, im Rahmen der für 1984 vorgesehenen Neuordnung der Rentenversicherung die Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen. Im übrigen gehört hierzu auch die rentenrechtliche Bewertung der Kindererziehungszeiten. Auch dies ist ein Stück mehr Gleichberechtigung.
({9})
Meine Damen und Herren, ich denke, diese Beispiele zeigen, daß es mit einem arbeitsrechtlichen Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen nicht getan ist, sondern daß es einer umfassenden Beschäftigung mit dem Gleichberechtigungsgebot bedarf.
Wir sehen in dem EG-Anpassungsgesetz einen wichtigen Schritt, für gleiche Chancen der Frauen im Berufsleben zu sorgen. Über diesen Teilbereich hinaus jedoch sollten weitere Schritte folgen.
Hierzu gehört allerdings nicht nur der Abbau der Diskriminierungen von Frauen in allen Lebensbereichen, sondern auch die Beseitigung von Benachteiligungen durch Gesetz und Behörden hinsichtlich neuer Formen des Zusammenlebens. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes - dies kann aber nicht bedeuten, daß z. B. Alleinerziehende und Wohngemeinschaften diskriminiert werden,
({10})
wobei nicht zu bestreiten ist, daß nicht die gleichen Rechtsfolgen für solche neuen Lebensformen gelten können.
Meine Damen und Herren, zweifellos haben wir nach 30 Jahren Grundgesetz vieles an Gleichheit der Chancen erreicht. Gesetze allein - dies wurde heute wiederholt betont - schaffen es nicht, eine gesellschaftliche Bewußtseinsänderung herbeizuführen. Dennoch hat gerade der liberale Rechtsstaat die Pflicht, dort, wo Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit nicht im Einklang stehen, zu handeln. In diesem Zusammenhang sehe ich nicht nur die Notwendigkeit des heute zu verabschiedenden Gesetzes über die Gleichbehandlung von Män18254
nern und Frauen am Arbeitsplatz, sondern auch den Inhalt des heute vorgelegten Entschließungsantrags. - Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort.
Sie haben zwar heute Geburtstag, aber er ist noch nicht so rund, daß ich ihn ausdrücklich darstellen könnte. Aber: Herzlichen Glückwunsch, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
({0})
Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was Frau Kollegin Verhülsdonk ausgeführt hat.
({0})
Ich bedaure natürlich, daß Frau Verhülsdonk jetzt wahrscheinlich einen wichtigen Termin hat und nicht mehr anwesend sein kann. Dennoch will ich zunächst einmal sagen: Sie hat ihre Rolle gut und geschickt gespielt.
({1})
Wir mußten alle miteinander den Eindruck haben: Die CDU will eigentlich viel mehr. Mir sind fast die Tränen gekommen; denn ich bin überzeugt, daß das, was Frau Verhülsdonk gesagt hat, in ihrer eigenen Fraktion nicht umsetzbar ist.
({2}) Ich will ein weiteres hinzufügen:
({3})
Wir werden Veranlassung haben, diese Rede sehr aufmerksam zu lesen, um bei den nächsten Gesetzesberatungen noch einmal darauf zurückkommen zu können.
({4})
Ich gehe davon aus, daß wir dann wieder die Gesetzentwürfe vorlegen und Sie uns als Opposition begleiten.
({5})
Ich will hier noch einmal betonen, daß wir diese Rede inhaltlich überprüfen werden.
(Franke [CDU/CSU]: Lesen Sie Ihre Rede
ab, und dann setzen Sie sich wieder
- Ach, Herr Franke, lassen Sie es. Es ist zu hoch für Sie.
({6})
- Ja, wir haben die Mehrheit, und wir werden dafür sorgen, daß wir sie auch ausbauen und dann gestärkt in den nächsten Bundestag zurückkehren.
Ich stelle fest: Wenn es ernsthaft Ihre Auffassung gewesen ist, daß dieses Gesetz ein Nullum sei - wie Frau Verhülsdonk sagte -, dann hätten Sie ihm doch wohl nicht im Ausschuß zugestimmt und dürften das auch gleich nicht tun. Sie hätten, wenn das Gesetz mangelhaft wäre, im Ausschuß und auch heute hier in zweiter und dritter Lesung weitere Anträge oder vielleicht sogar alternativ einen besseren Gesetzentwurf vorlegen können.
(Frau Dr. Wex [CDU/CSU]: Das überlassen
Sie mal uns
Sie hätten dann, wie gesagt, auch im Ausschuß, nicht alle - bei zwei Gegenstimmen - ({7})
- Ich denke nicht, Herr George, daß die Gegenstimmen gekommen sind, weil das Gesetz nicht weit genug ging, sondern deshalb, weil es möglicherweise schon zu weit ging.
({8})
- Gut, wenn das Gesetz in seiner Zielsetzung falsch ist, akzeptiere ich ja diesen Einwand. Aber dann wäre es möglich gewesen, ein besseres Gesetz vorzulegen und es nicht zuzulassen, daß die Regierungsparteien ein unbefriedigendes Gesetz vorlegten. Ich wollte das noch einmal sagen, weil ich das nicht korrekt fand, wie es hier vorgetragen worden ist. Ich weiß ja, wie die inhaltlichen Schwierigkeiten zu sehen sind.
({9})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?
Herr Staatssekretär, können Sie mir ein Beispiel geben, in dem im Ausschuß Anträge -
Herr Abgeordneter Müller, bitte vorne ins Mikrophon sprechen, nicht auf die Seite. - Jawohl, so ist es gut.
. ({0})
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause jetzt ein Beispiel geben, inwieweit die Koalition im Laufe der ganzen Legislaturperiode Änderungsanträge oder sogar Gesetzentwürfe der CDU angenommen hätte?
({0})
Herr Kollege Müller, ich bin überzeugt: wenn wir die einzelnen Ausschußberatungen einmal auswerteten, gäbe es auch Beispiele dafür, wo wir Ihre guten Anregungen aufgenommen haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nun zu dem Gesetzentwurf -
Der Abgeordnete Müller wollte noch eine Zusatzfrage stellen. - Bitte.
Darf ich Sie insoweit korrigieren, daß Sie, wenn wir gute Anregungen gegeben haben, diese in der nächsten Sitzung als Koalitionsänderungsanträge eingebracht haben?
({0})
Wenn Sie sie selber nicht eingebracht haben, ist es Ihr Problem, nicht unseres.
Meine Damen und Herren, die Forderung nach voller Gleichberechtigung von Mann und Frau ist mehr als hundert Jahre alt, aber der Widerstand gegen diese Forderung auch. Ich darf hier noch eine, vielleicht etwas polemische Bemerkung machen. Ich habe nie den Eindruck gehabt, daß diese Widerstände insbesondere bei Sozialdemokraten oder Liberalen zu suchen waren, sondern die Widerstandskämpfer gegen die Gleichberechtigung waren wohl immer mit einer anderen Bezeichnung versehen.
({0})
Für die Durchsetzung des Gleichberechtigungsgebots des Grundgesetzes gilt dasselbe, was für viele Reformen im Verlauf der Geschichte galt: Im Prinzip sind alle dafür, aber im konkreten Fall - leider auch bei diesem Gesetz - sind immer noch zu viele dagegen.
({1})
- Ja. Das war aber kein geistreicher Zwischenruf.
- Da werden die alten Vorurteile hervorgeholt Das Bekenntnis zur Gleichberechtigung wird nur in Sonntagsreden für die Frauen formuliert.
Worum geht es heute? Es geht um mehr als einen politischen Maßnahmenkatalog. Es geht um eine Änderung des Bewußtseins und des Verhaltens. Es geht darum, die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau auch materiell ein weiteres Stück voranzubringen. Der vorliegende Gesetzentwurf will hierzu einen Beitrag leisten.
Mit dem arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz wird erstens dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes, zweitens den berechtigten Forderungen der Frauen und drittens völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Rechnung getragen.
Ansatzpunkt dabei ist das Arbeitsverhältnis. Denn solange Benachteiligungen der Frauen am Arbeitsplatz noch nicht der Vergangenheit angehören, so lange muß hier der Schwerpunkt unserer Anstrengungen liegen, Verfassungsgebot und soziale Wirklichkeit besser in Übereinstimmung zu bringen.
Das Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz schließt vor allem Lücken, die nach geltendem Recht bei der Einstellung, dem beruflichen Aufstieg und der Kündigung
von Frauen bestehen. Hier gibt es für viele benachteiligte Frauen bisher keine wirkungsvolle Möglichkeit, sich gegen Diskriminierungen des Arbeitgebers bei der Einstellung und bei der Kündigung zu wehren.
Durch die neue Beweislastregelung soll es den benachteiligten Frauen erleichtert werden, ihre Rechte auch durchzusetzen. Künftig reicht es aus, wenn die Arbeitnehmerinnen Tatsachen glaubhaft machen können, die eine Diskriminierung durch den Arbeitgeber vermuten lassen. Es bedarf also keiner echten Beweisführung, wozu die Frauen aus eigener Kraft auch kaum in der Lage sind. Vielmehr trifft den Arbeitgeber in diesem Falle die volle Beweislast dafür, daß er nicht diskriminiert hat.
Auch der Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit - in einer Gesellschaft, die sich Leistungsgesellschaft nennt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit - wird über das Grundgesetz hinaus im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben. Damit wird die Durchsetzung dieses Anspruchs auf gleichen Lohn bei gleichwertiger Arbeit im Klageweg verbessert
Meine Damen und Herren, in einem zweiten Schwerpunkt will der Entwurf die Rechte der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang, insbesondere wenn Betriebe verkauft werden, wahren und schützen. Ansprüche aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen sollen grundsätzlich für mindestens ein Jahr nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden können.
Sicherlich hätte dieser Gesetzentwurf - die ursprüngliche Fassung beweist dies - vor allem bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau noch mehr festschreiben können. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz einiger Unzulänglichkeiten und trotz aller Kritik bleibt festzuhalten: Dieses Gesetz ist ein Fortschritt gegenüber der derzeitigen Rechtslage, und der Gesetzgeber kommt damit dem Gebot des Grundgesetzes nach, nämlich der strikten Gleichbehandlung von Mann und Frau nicht nur in schönen Worten, sondern auch durch eigenes positives Handeln. Dabei kann es nicht angehen - das will ich noch einmal ganz deutlich sagen -, daß die ebenfalls im Grundgesetz geschützte Vertragsfreiheit als Deckmantel mißbraucht wird, die dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Diskriminierung bei Einstellung und Beförderung erhalten soll. Die Vertragsfreiheit soll nicht abgeschafft, aber sie muß dort eingegrenzt werden, wo sie nur die Freiheit eines Vertragspartners sichert, die soziale Abhängigkeit des anderen aber unberücksichtigt läßt
Jene, denen der Gesetzentwurf nicht weit genug geht, möchte ich daran erinnern, daß dieses Gesetz ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist, ein notwendiger Schritt, dem weitere folgen können und müssen. Den vorliegenden Entschließungsantrag begrüße ich deshalb ausdrücklich.
Ich möchte daran meinen Dank an alle Beteiligten knüpfen, daß es trotz sehr schwieriger Beratungen gelungen ist, einen Kompromiß zu finden, durch den der Gesetzesvorschlag, wenn ich an die geschlechts18256
neutrale Stellenausschreibung und den öffentlichen Aushang des Gesetzes denke, noch verbessert werden konnte. Gleichzeitig möchte ich alle auffordern, sich durch heute nicht erfüllte Forderungen in Zukunft nicht davon abhalten zu lassen, weiterhin für eine volle Gleichberechtigung der Frau im öffentlichen und im beruflichen Leben einzusetzen. Die Bundesregierung jedenfalls wird die praktischen Konsequenzen der jetzt vorgesehenen gesetzlichen Regelungen sehr sorgfältig beobachten und ständig prüfen, welche Verbesserungsvorschläge erforderlich sind. Der Grundsatz der Gleichberechtigung in der Arbeitswelt darf nicht länger nur Programm sein, er muß endlich auch soziale Wirklichkeit werden. Ich bitte Sie deshalb in diesem Hohen Hause um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz.
({2})
Zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung nach § 59 hat der Abgeordnete Dr. Lenz das Wort
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Abstimmung möchte ich folgende Erlärung abgeben.
Ich betrachte es als unglücklich, daß Art. 1 dieses Gesetzes das Bürgerliche Gesetzbuch ändert, ohne daß die Federführung für diese Änderung beim Bundesminister der Justiz gelegen und ohne daß die Federführung hier im Hause beim Rechtsausschuß gelegen hat. Der Rechtsausschuß hat leider, obwohl er viermal auf der Tagesordnung stand, keine Möglichkeit gehabt, diesen Gesetzentwurf zu beraten, wie es
- das hat diese Debatte hier auch bewiesen - wohl notwendig gewesen wäre.
Ich betrachte es gleichfalls als unglücklich, daß der Zeitpunkt der Beratung und der Abstimmung über dieses Gesetz von morgen nachmittag auf heute nachmittag vorverlegt worden ist. Auf diese Weise könnte es durchaus sein, daß einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die an der Beratung und Abstimmung dieses Gesetzes teilnehmen wollten, diese Möglichkeit abgeschnitten worden ist.
({0})
- Sie können sich nun darüber aufregen, Herr Kollege, aber das ist nun einmal meine Meinung.
({1})
- Herr Kollege Wehner, über Sie hingegen ist man selten belustigt.
({2})
Zweitens möchte ich sagen, daß dieser Gesetzentwurf nicht genügend beraten worden ist. Der Bundestag hatte in der ersten Lesung, die übrigens ziemlich spät stattgefunden hat - offenbar, weil der Entwurf sehr spät vorgelegt worden ist -, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - sowie an den Rechtsausschuß und den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung überwiesen. Ich stelle hier vor dem Plenum des
Deutschen Bundestages fest, daß zwei der vom Plenum beauftragten Ausschüsse sich mit der Materie nicht beschäftigt haben. Ich halte es für höchst ungewöhnlich, daß dennoch - ({3})
- Ich habe es auf die Tagesordnung gesetzt, Frau Kollegin Timm. Sie wissen auch, daß ich im Ausschuß nicht befehlen kann, etwas zu beraten, zumal wir in diesem Hause nicht die Mehrheit haben.
Ich betrachte es als höchst ungewöhnlich, daß diesem Hause ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, der so ungenügend beraten worden ist. Normalerweise müßte man hier die Rücküberweisung an die Ausschüsse beantragen. Da ich jedoch einem solchen Antrag keine große Chance auf Erfolg einräume, werde ich gegen dieses Gesetz stimmen.
({4})
Liebe Frau Kollegin Eilers! - Die Veränderung der Tagesordnung, Herr Kollege Dr. Lenz, ist interfraktionell abgesprochen, vom amtierenden Präsidenten dem Plenum vorgelegt und ohne Widerspruch genehmigt worden. Diese Frage bitte ich als korrekt anzusehen. Zu der anderen Frage habe ich keine Stellung zu beziehen.
Eine weitere persönliche Erklärung zur Abstimmung möchte Herr Abgeordneter Dr. George abgeben.
Herr Präsident! Ich möchte im Namen von neun CDU/CSU-Abgeordneten eine schriftliche Erklärung gemäß § 59 unserer Geschäftsordnung abgeben. -
Sie wird zu Protokoll genommen *).
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 5 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Sie sind mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort dazu gewünscht? - Dies ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieses Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
*) Anlage 2
Präsident Stücklen
Es liegen noch zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4259 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme und einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4259 unter Ziffer 3 ferner, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein; keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 4 ist abgesetzt worden. Tagesordnungspunkt 5:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Melderechtsrahmengesetzes ({0})
- Drucksache 8/3825 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4302
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({2})
b) Beschlußempfehlung des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 8/4261 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Laufs Dr. Penner
({4})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Bitte schön! Als Berichterstatter? - Herr Abgeordneter Laufs!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich als Berichterstatter auf die Notwendigkeit einer redaktionellen Berichtigung der Drucksache 8/4261 hinweisen. § 21 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz der Gesetzesvorlage in der Fassung der Beschlüsse des 4. Ausschusses enthält einen sinnentstellenden Fehler. Dort muß das Wort „Betroffene" durch das Wort „Datenempfänger" ersetzt werden.
Ich möchte dies im Einvernehmen mit den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen so richtigstellen.
Dies war also eine redaktionelle Bemerkung des Berichterstatters. Gibt es dagegen Einwendungen? - Dann ist das so akzeptiert Weitere Berichterstatter melden sich nicht zu Wort.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Bleiben Sie gleich hier, Herr Abgeordneter Dr. Laufs! Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was uns vor wenigen Wochen noch nahezu unmöglich erschien, ist in greifbare Nähe gerückt: die Verabschiedung eines Melderechtsrahmengesetzes nach zehnjähriger wechselvoller Geschichte. Mit Verdruß und wachsender Ungeduld haben wir das Scheitern mehrerer Anläufe der Bundesregierung miterleben müssen. Der nunmehr vorliegende Beschlußantrag des Innenausschusses konnte schließlich von allen Seiten gutgeheißen werden. Er stellt einen hart erkämpften, aber, wie wir hoffen, tragfähigen Kompromiß zwischen den Gesichtspunkten eines verstärkten, bereichsspezifischen Datenschutzes und den Erfordernissen einer einfachen und wirkungsvollen Verwaltung dar. Er ist ein wichtiger Beitrag zur bereichsspezifischen Ausgestaltung des Datenschutzrechts, aber nicht die Vollendung des Datenschutzes schlechthin. Zur überzogenen Profilierung in Sachen Datenschutz eignet sich das Melderecht nicht
Der Regierungsentwurf ist in weitem Umfang geändert worden. Die wesentlichste Änderung wurde dort vorgenommen, wo die Organisationshoheit im Rahmen der nach Art. 28 des Grundgesetzes garantierten kommunalen Selbstverwaltung berührt war. Hier wurde den von Ländern und Gemeinden empfohlenen Vorschlägen voll entsprochen. Durch Bundesgesetz soll nicht in die Regelung der Aufgabenzuweisung an die Meldebehörden eingegriffen werden.
Bei der Auflösung des Zielkonflikts zwischen der bundesgesetzgeberischen Absicht, die Einheitlichkeit des Melderechts zu schaffen und zu wahren, und der Rücksichtnahme auf gewachsenes und weiterzuentwickelndes Landesrecht wird ebenfalls auf extreme Gewichtungen verzichtet Es ist der politische Wille aller Fraktionen, einen ausreichenden Gestaltungsspielraum für den Landesgesetzgeber zu lassen, damit den verschiedenartigen Wünschen und Bedürfnissen der Länder und Gemeinden so weit wie möglich Rechnung getragen werden kann.
Eine unserer zentralen Fragen betrifft den Umfang des Melderegisters. Niemand will den Datenkatalog mit 40 Gruppen und 200 Nebenangaben früherer Entwürfe wiederaufleben lassen. Unser Bestreben ist, im Interesse des Schutzes der Privatsphäre nur die Daten zur Speicherung im Melderegister vorzusehen, die zur Erfüllung der Aufgaben einer Meldebehörde tatsächlich erforderlich sind.
Die Sammlung von Einwohnerdaten im Melderegister ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben. Eine strikte Begrenzung des Datenkatalogs ist dann nicht im Sinne des Datenschutzes, wenn dadurch zwangsläufig an anderen Stellen zusätzliche Datensammlungen entstehen müssen. Es wird deshalb ausdrücklich dem Landesgesetzgeber überlassen, für die Erfüllung von Aufgaben der Länder weitere Daten in den Katalog aufzunehmen.
Strittig war insbesondere, ob die Seriennummer von Personalausweisen und Pässen zur Erfüllung von Aufgaben z. B. im Sicherheitsbereich der Länder
erforderlich ist. Die Vorstellungen des Bundes und einiger Länder gehen bei der Beurteilung dieser Frage auseinander. Die Seriennummer wurde im Interesse des Datenschutzes aus der Zahl der Nebenangaben zum Datum „Personalausweis/Paß" im Datenkatalog des Regierungsentwurfs gestrichen, um einem Mißbrauch dieser Nummer als Ersatz für das einmütig abgelehnte Personenkennzeichen vorzubeugen. Es besteht aber Einvernehmen darüber, daß die Speicherung dieser Seriennummer im Melderegister und ihre Übermittlung zur Erfüllung von Länderaufgaben durch Landesgesetz ermöglicht werden muß. § 2 Abs. 4 des Entwurfs schafft dafür die Rechtsgrundlage.
Ich möchte eine Bemerkung über die Entbehrlichkeit der Berufsbezeichnung im Datenkatalog des Melderegisters machen. Das ist zunächst eine Frage der Zweckmäßigkeit, welche die Verwendung dieses Datums im privaten Bereich nicht berührt. Die Angabe des Berufs ist in unserer mobilen Zeit kein beständiges und zuverlässiges Kennzeichen mehr. Die bestehenden Melderegister sind voll von falschen und falsch gewordenen Berufsbezeichnungen, die praktisch nicht zu aktualisieren sind. Gleichwohl ist die Frage aufgeworfen worden, ob es z. B. für Zwecke des zivilen Bevölkerungsschutzes nützlich und notwendig sein könnte, daß bei der Durchführung der Sicherstellungsgesetze in den Ländern auf die Angabe des Berufs in den Melderegistern zurückgegriffen werden kann. Überwiegend wird aber die Auffassung vertreten, daß Angehörige bestimmter Berufsgruppen zuverlässiger über Standesorganisationen wie Ärztekammern, Schwesternverbände usw. namhaft gemacht werden können. Der Landesgesetzgeber wird sich eingehend damit befassen müssen, ob es zur Aufgabenerfüllung der Länder doch erforderlich ist, den Beruf zu registrieren. Im Bestreben, den Datenkatalog im Interesse des Datenschutzes möglichst klein zu halten, wurde im vorliegenden Entwurf auf die Nennung der Berufsbezeichnung als Datum des Melderegisters verzichtet.
Die Bundesregierung sowie die Koalition betrachten das neu geschaffene Meldegeheimnis als einen wichtigen Teil des Gesetzes. Die CDU/CSU ist dagegen der Auffassung, daß der notwendige zusätzliche Schutz gegen den Mißbrauch von Meldedaten in praktisch gleicher Weise vom bestehenden Datengeheimnis des Bundesdatenschutzgesetzes bewirkt wird. Hier ist die bereichsspezifische Ausgestaltung überflüssig und kann zu Mißverständnissen führen. Folgerichtig wurde auf die Erstreckung des Meldegeheimnisses auf Leiter von Beherbergungsstätten und -einrichtungen sowie deren Beauftragte einvernehmlich verzichtet Die Verpflichtung dieser Personen auf das Datengeheimnis nach geltendem Recht genügt.
Einen hohen Stellenwert nahm bei den Beratungen die Frage der Einführung einer selbständigen Meldepflicht des Wohnungsgebers ein. Es steht außer Zweifel, daß durch eine Mitteilungspflicht des Vermieters über die Tatsache einer Vermietung die Aktualität und Genauigkeit des Melderegisters erhöht werden kann, obwohl der erwünschte Nutzen
z. B. für den Sicherheitsbereich nicht überschätzt werden darf. Es wird auch durchaus erkannt, daß die nunmehr vorgesehene hilfsweise Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers durch Mitunterschreiben auf dem Meldeschein bei der An- und Abmeldung praktische Schwierigkeiten mit sich bringt. Bei der Abwägung der bürokratischen Lasten für Hausbesitzer und Kommunen gegenüber dem möglichen Nutzen wird jedoch empfohlen, von der allgemeinen Einführung einer selbständigen Nebenmeldepflicht abzusehen.
Die in Baden-Württemberg bestehende Regelung soll ausdrücklich sanktioniert werden. Den dagegen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der dabei verfehlten Rechtseinheitlichkeit hat sich der Innenausschuß nicht angeschlossen. Die baden-württembergischen Erfahrungen werden zur Entscheidungsfindung beitragen können, ob das Melderechtsrahmengesetz zugunsten einer selbständigen Meldepflicht des Wohnungsgebers in der Zukunft einmal geändert werden soll.
Wir sind einmütig der Auffassung, daß bei der Übermittlung von gewissen Grunddaten aus dem Melderegister im Rahmen der Amtshilfe innerhalb des öffentlichen Bereichs der allgemeine Vorbehalt des Bundesdatenschutzgesetzes beachtet werden muß. Die Übermittlung soll nur zulässig sein, wenn sie zur rechtmäßigen Erfüllung von Aufgaben erforderlich ist, die in der Zuständigkeit der Meldebehörde oder des Empfängers liegen. Diese Prüfung wird in aller Regel einfach und ohne besonderen Verwaltungsaufwand durchführbar sein. Eine schärfere datenschutzrechtliche Überprüfung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Datenübermittlungen an andere Behörden und sonstige öffentliche Stellen wird verlangt, wenn der Empfänger über die Grunddaten hinaus zusätzliche Daten aus dem Melderegister anfordert
Um die Arbeit der Sicherheitsbehörden nicht zu erschweren, wird im Gesetzentwurf auf eine Überprüfung der Zulässigkeit der Übermittlung von Zusatzdaten an die für Sicherheitsaufgaben, für die Strafverfolgung, für die Strafvollstreckung und für den Strafvollzug zuständigen Behörden verzichtet Zum Ausgleich wird aber eine Aufzeichnungspflicht der Sicherheitsbehörden eingeführt, die eine spätere Kontrolle jeder einzelnen Übermittlung ermöglicht und damit dem Mißbrauch von besonders sensiblen Hinweisen aus den Melderegistern vorbeugt Die Protokollierung wird in der Regel automatisch mit technischen Hilfsmitteln der Datenverarbeitung erfolgen können.
Nach eingehenden Beratungen wurde das Datum „Personalausweis/Paß" von der Protokollierungspflicht ausgenommen. Ich möchte ausdrücklich auf unseren gemeinsamen politischen Willen hinweisen, daß dies auch für die Seriennummer gilt, wenn diese durch Landesgesetz als Nebenangabe zu Nr. 15 des § 2 Abs. 1 in den Datenkatalog des Melderegisters aufgenommen worden ist
Zur Regelung der Melderegisterauskünfte möchte ich noch folgendes bemerken. Es ist selbstverständlich, daß Auskünfte über Namen, akademische Grade und Anschriften einzelner bestimmter
Einwohner ohne weiteres gegeben werden können. Der Schutz der Privatsphäre des betroffenen Bürgers gebietet aber, daß erweiterte Auskünfte über persönliche Verhältnisse restriktiv gehandhabt werden. Das im Regierungsentwurf dafür vorgesehene Kriterium des rechtlichen Interesses - insbesondere zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen - wird jedoch als zu eng angesehen und sollte durch das Kriterium des berechtigten Interesses des Auskunftbegehrenden ersetzt werden. Dem betroffenen Bürger hat die Meldebehörde zu seinem Schutz unverzüglich den Datenempfänger mitzuteilen.
Diese Unterrichtungspflicht besteht aber nicht - damit verweise ich auf die redaktionelle Richtigstellung -, wenn dadurch die Verfolgung rechtlicher Interessen des Datenempfängers gefährdet würde. Ein säumiger Schuldner oder Unterhaltspflichtiger z. B. soll von der Meldebehörde nicht vorgewarnt werden, wenn über ihn eine erweiterte Auskunft angefordert wird.
Meine Damen und Herren, die Berichterstatter haben Ihnen einen Änderungsantrag vorgelegt, der die Regelung der Melderegisterauskunft über Alters- und Ehejubiläen neu faßt. Statt der restriktiven Einwilligungsregelung soll die Widerspruchslösung, wie sie in Bundesländern bereits landesrechtlich verankert ist, bundeseinheitlich eingeführt werden. Der Bürger soll das Recht haben, der Veröffentlichung seiner Jubiläumsdaten zu widersprechen.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Entwurf eines Melderechtsrahmengesetzes haben wir versucht, beim Ausgleich widerstreitender Interessen das rechte Maß zu finden. Wir hoffen, daß die Umsetzung in Landesrecht in den kommenden zwei Jahren diesem Bemühen Rechnung trägt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird der Beschlußempfehlung zustimmen. - Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Penner.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Skeptiker haben nicht recht behalten: Der Fachausschuß sieht sich in der Lage, die Vorlage einstimmig zur Annahme zu empfehlen. Das ist das Ergebnis gemeinsamer konzentrierter Bemühungen um sachgerechte Regelungen.
Dem Gesetzentwurf hat das Einvernehmen der Parteien nicht geschadet. Es ist an keiner Stelle der Versuch gemacht worden, unüberbrückbar Scheinendes zwanghaft zusammenzuführen und damit Formelkompromisse zu finden. Es hat sich gezeigt, daß die 52 Änderungsvorschläge des Bundesrats, die eigentlich ein mögliches Scheitern des Gesetzes vermuten ließen, kein Hindernis für eine Einigung gewesen sind. Die Kernprobleme haben sich im Verlauf der Beratungen auf eine Handvoll oder wenig mehr Streitfragen reduziert. Alle Unterschiede in den Ansichten konnten durch gründliche Diskussionen mit den Ländern, mit den Gemeinden, mit den Datenschützern, den Kirchen und anderen aufgelöst werden. Gleichwohl steht fest: Der Kern der Regierungsvorlage ist erhalten geblieben. Die Zusätze und Ergänzungen ändern daran nichts. Anders als bei früheren Uberlegungen beschränkt sich das Gesetz grundsätzlich auf seine eigentlichen Aufgaben, nämlich die Identitätsfeststellung und den Wohnungsnachweis. Das ist gut so.
Das Melderecht ist nach dem heutigen Stand der Dinge eng mit den Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung verknüpft. Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungseffizienz waren Leitlinien früherer Gesetzentwürfe. Sie sind im Laufe der Jahre durch gewachsene und berechtigte Ansprüche des Datenschutzes ergänzt worden. Auch dies halten wir für richtig. Wir können nicht übersehen, daß schon heute etwa 43 Millionen Einwohner der Bundesrepublik in automatisierten Melderegistern erfaßt sind und der Trend zur automatisierten Datenverarbeitung weiter anhält. Wir alle wissen, daß Meldebehörden heute Lohnsteuerkarten ausstellen, Wahlbenachrichtigungen versenden, Daten an Schulen und Sozialversicherungsträger, Gesundheits- und Finanzämter und manch andere öffentliche Stelle weiterleiten. Überdies gibt es Datenaustauch nicht nur innerhalb der Behörden oder innerhalb der Länder, sondern auch zwischen den Ländern. Die elektronische Datenverarbeitung ist für diesen Bereich der öffentlichen Verwaltung unverzichtbar geworden. Wer eine bürgernahe, schnelle und erfolgreich arbeitende Verwaltung wünscht, kann sich nicht prinzipiell gegen die elektronische Datenverarbeitung wenden. Die Arbeit der Verwaltung darf sich aber nicht darauf beschränken. Kommunal- und Kreisverwaltungen, die den engsten Kontakt mit dem Bürger haben, sind auf eine schnelle und präzise Erledigung ihrer Aufgaben angewiesen, und zu Recht wünschen dies vor allem auch die Bürger unseres Staates selbst.
Das Geflecht von Notwendigkeiten und Zwangsläufigkeiten sowie individuellen Schutzbedürfnissen bestimmt den Regelungsgehalt des Gesetzes. Bei der Gegenüberstellung so unterschiedlicher wichtiger Ausgangspositionen, wie es die innere Sicherheit und der individuelle Datenschutz sind, wird dies besonders sinnfällig. Wir haben in der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß die Belange der inneren Sicherheit nicht gegen den Datenschutz ausgespielt werden sollten und umgekehrt. Wir haben versucht, dem Rechnung zu tragen.
Das Gesetz gilt für Sicherheitsbehörden, und da die viel diskutierte Seriennummer des Personalausweises nicht im Datenkatalog des Gesetzentwurfes enthalten ist, werden die Sicherheitsbehörden des Bundes auch insoweit keine Erkenntnisdaten abrufen können. Der Bundesminister des Innern hat uns wissen lassen, daß dies nach Auffassung der Sicherheitsbehörden des Bundes verzichtbar sei. Damit wird die Handlungsfähigkeit dieser Behörden nicht geschwächt. Die Sicherheitsbehörden können nach wie vor Daten, die sie für ihre Zwecke benötigen, abrufen. Daß für einen bestimmten Anwendungsbereich eine Protokollierungspflicht - in der neueren Bezeichnung eine Aufzeichnungspflicht - eingeführt werden soll, ist keine Entscheidung gegen die innere Sicherheit, sondern für einen sorgsamen Um18260
gang mit den weiten Ermächtigungen dieses Gesetzes.
Es widerspricht dem Grundgedanken des Gesetzes auch nicht, wenn wir für Religionsgesellschaften die Zahl der übermittlungsfähigen Daten gegenüber dem Regierungsentwurf erweitert haben, den noch weitergehenden Vorstellungen des Bundesrats aber nicht gefolgt sind.
Ähnlich verhält es sich mit den Interessen der Gemeinden. Sie sind mit ihrem Anspruch auf eigene Organisationshoheit voll berücksichtigt worden, ohne daß die Aspekte des Datenschutzes darunter gelitten hätten. Das Meldegeheimnis ist in diesem Zusammenhang besonders zu beachten.
Wir haben die schätzenswerten Interessen von Minderheiten berücksichtigt. Es ist absolut nicht einzusehen, daß die Meldebehörde über den Wohnort hinaus noch den gegenwärtigen Aufenthaltsort eines Einwohners, z. B. eine psychiatrische Anstalt oder eine Justizvollzugsanstalt, erfassen soll.
Ebenso wenig ist es sinnvoll, daß die Meldebehörde über eine eventuell bestehende Wahlunfähigkeit eines Bürgers hinaus noch die Gründe dafür speichert. Wir haben daher - wie wir meinen: mit vollem Recht - davon abgesehen.
Schließlich noch ein Wort zu den Ländern: Wir haben uns bemüht, die dem Bund nach der Verfassung zugewiesene Rahmenkompetenz auszufüllen, aber nicht zu überschreiten. Nach unserer Überzeugung besetzt die Bundesinitiative nicht den Platz, den die Länder für eine notwendig werdende, den Rahmen ausfüllende landesgesetzliche Regelung brauchen und mit Recht auch fordern können. Gerade dieser Gesichtspunkt hat bei unseren Beratungen eine wichtige Rolle gespielt.
Die langjährige Beratung, die vielfältigen Anregungen, die Wünsche und Verbesserungsvorschläge haben dem Gesetzentwurf genützt. Er ist jetzt verabschiedungsreif und geeignet, Gesetz zu werden. Er wird unser gesamtes Meldewesen auf eine neue, gesichertere Grundlage stellen.
Lassen Sie mich abschließend allen, die sich an diesen Beratungen beteiligt haben, insbesondere aber den Bediensteten des Bundesinnenministeriums, die uns jederzeit zur Verfügung gestanden haben, Dank sagen.
Die SPD stimmt dem Gesetzentwurf zu.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dieser Entwurf, den wir in der Fassung des Innenausschusses heute abschließend beraten, ist - der Kollege Penner sagte es schon - ein guter Beweis dafür, daß es möglich
ist, eine Aufgabe durch eine sachlich-faire Zusammenarbeit aller Beteiligten mit einem guten und für alle tragbaren Kompromiß zu lösen.
Das Melderechtsrahmengesetz, das in der Fassung, wie der Innenausschuß sie Ihnen vorschlägt, auch nach Auffassung der FDP heute verabschiedet werden soll, wird ein bedeutendes Stück Verfassungswirklichkeit repräsentieren. Das Grundgesetz hat den klaren Auftrag erteilt, die Menschenwürde zu achten und die Freiheit des einzelnen Bürgers zu garantieren. Diese Forderung wollen wir durch ein auf den Persönlichkeitsschutz des Menschen zugeschnittenes Gesetz festschreiben, um damit Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, und zwar bei den Meldebehörden ebenso wie bei dem einzelnen Bürger, zu bewirken. Das Melderechtsrahmengesetz ist damit in seiner Substanz auch ein typisches Persönlichkeitsschutz- und Datenschutzgesetz, das, wie ich glaube, für den weiteren Ausbau des bereichsspezifischen Datenschutzes richtungweisend sein wird.
Darüber hinaus verfolgt das Gesetz eine bundeseinheitliche Lösung der im Meldewesen aufgetretenen Fragen und Probleme, eine Lösung, die nach dem hohen Wert, der das Konzept dieses Gesetzeswerkes trägt, eine unterschiedliche und vielleicht widersprüchliche Behandlung identischer Sachfragen in den einzelnen Bundesländern nicht zulassen sollte.
Auf kaum einem anderen Sektor werden so viele Daten über den Bürger verarbeitet wie im Meldewesen. Die rapide fortschreitende technologische Entwicklung und die damit verbundenen neuen Möglichkeiten der Datenverarbeitung lassen es zu - wir wissen es alle -, in kürzester Zeit ungeheuer viele Daten über den Bürger zu erfassen, zu speichern, zu übermitteln usw. Es ist nicht unsere Aufgabe, es kann nicht unsere Aufgabe sein, den technischen Fortschritt zu bremsen. Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es jedoch, mit rechtlichen Schranken - d. h. mit klaren Aufgabenzuweisungen, Geboten und Verboten - eine Kanalisierung und damit eine Kontrolle dieser Datenströme einzurichten. Ich glaube, daß dies mit der im Innenausschuß nunmehr einstimmig gebilligten Fassung auf eine den Umständen nach optimale Weise gelungen ist.
Trotz widerstreitender Interessen der Kreise, die von diesem Gesetz berührt werden, ist ein ausgewogener und, wie ich meine, sachgerechter Kompromiß gefunden worden, der sowohl dem Gesetzesziel treu geblieben ist als auch praktikabel bleibt. Das Gesetz beschränkt sich auf die nach unserer Ansicht unumgänglichen Regelungen, so daß der oft zu hörende Übermaß-Vorwurf hier kaum erhoben werden kann. Die Einzelbestimmungen sind in sich klar und unmißverständlich. Das ist, so möchte ich betonen, eine Auswirkung der Bemühungen aller Fraktionen dieses Hauses auf Grund der oftmals zu Recht erhobenen Kritik an unklaren und überflüssigen rechtlichen Regelungen.
Ich hoffe, daß das klare Konzept dieses Gesetzes nicht dadurch verwässert wird, daß landesrechtliche Regelungen - wir haben hier ja ein Rahmengesetz; deswegen ist ja auch für landesgesetzliche Regelungen von Verfassungs wegen Raum - eine Vielzahl
von Sondertatbeständen schaffen, die dem Wunsch nach einem bundeseinheitlichen Konzept vielleicht entgegenwirken können.
Lassen Sie mich kurz auf einige Punkte zu sprechen kommen, die auch ich und meine Fraktion für bedeutsam halten.
In § 2 finden Sie eine Liste der Daten, deren Speicherung für die Erfüllung der meldebehördlichen Aufgaben erforderlich ist. Im Innenausschuß haben wir übereinstimmend darauf verzichtet, Angaben zum Beruf aufzunehmen - es war schon davon die Rede -, und uns statt dessen darauf beschränkt, eine Antwort auf die Frage „Erwerbstätig oder nicht erwerbstätig" zu erhalten. Dies ist, wie aus der Praxis der Meldebehörden sachverständig berichtet wurde, ausreichend und aus datenschutzrechtlicher Sicht erfreulich.
Ebenso wurde entgegen den Forderungen des Bundesrats darauf verzichtet, die besonderen Aufenthaltsverhältnisse aufzunehmen. Dies hätte ich als ausgesprochen bürgerunfreundlich und datenschutzwidrig erachtet. Bei einer derartigen Angabe würde es sich wohl um eines der sensibelsten Daten in der gesamten Auflistung überhaupt gehandelt haben, ohne daß gleichzeitig in hinreichender Klarheit erkennbar gemacht worden wäre, wieso die Meldebehörden wissen müssen, in welcher Heilanstalt oder Justizvollzugsanstalt der Betreffende behandelt wird oder einsitzt und anderes mehr.
Nicht in dem Katalog enthalten ist - anders sah es noch der Regierungsentwurf vor; hier sehe ich einen wesentlichen Fortschritt auf Grund unserer Beratungen - die Speicherung der Seriennummer des Personalausweises oder des Passes. Hier ist, wie ich meine, ein wirksamer Versuch unternommen, eine mögliche Umfunktionierung der Seriennummer zu verhindern, bei der das Personenkennzeichen in irgendeiner Form in das Melderecht hineingebracht würde.
Ein Wort zu dem vielgerühmten, aber auch vielgescholtenen sogenannten Meldegeheimnis nach § 5. Es ist sicher richtig - und insoweit stimme ich Ihnen, Herr Kollege Laufs, zu -, daß eine solche Bestimmung kein Essentiale des Gesetzes darstellt. Aber gar so klein würde ich es doch nicht schreiben wollen. Es ist zu bedenken, daß von einer solchen Vorschrift, für die § 5 des Bundesdatenschutzgesetzes Pate gestanden hat, eine starke Signal- und Warnfunktion ausgeht. Es bietet einen zusätzlichen Schutz gegen den mißbräuchlichen Umgang mit Meldedaten, verlangt aber nach meiner Ansicht auch, daß der Landesgesetzgeber im Zusammenhang mit der näheren Ausgestaltung gemäß § 5 Abs. 3 für entsprechende Sanktionen Sorge trägt.
Zum sogenannten harten Kern des Melderechtsrahmengesetzes gehört der zweite Abschnitt mit der Überschrift „Schutzrechte". Hier wird in Anlehnung an das bewährte Modell im Bundesdatenschutzgesetz und in Datenschutzgesetzen der Länder ein Katalog der subjektiven Rechte des Betroffenen geschaffen, die auf die übrigen Vorschriften des Gesetzestextes zu projizieren sind. Hervorheben möchte ich dabei die vorgesehene Gebührenfreiheit bei der Auskunftserteilung, die auf der Linie der Überlegungen auch zu möglichen Novellierungen des Bundesdatenschutzgesetzes liegt.
Besonderes Augenmerk wurde weiter - auch davon war schon die Rede - auf den Datenverkehr zwischen Meldebehörden und Sicherheitsbehörden gelegt. Der auch unter dem nicht immer zutreffenden Stichwort „Amtshilfe" laufenden Problematik wurde mit § 18 Rechnung getragen, der auch die Bedürfnisse des Datenschutzes, wie ich meine, hinreichend berücksichtigt.
Daneben wurden spezifische Besonderheiten berücksichtigt, etwa die in Satz 2 des Abs. 1 enthaltene Möglichkeit, daß die Sicherheitsbehörden Zugang auch zu den Personalausweisdaten nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 erhalten können. Dies erschien uns zur Durchführung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit, also zur Prävention kriminellen Handelns, notwendig.
§ 18 Abs. 3, von dem schon die Rede war, bestimmt, daß darüber hinaus die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern Zugang zu den übrigen Daten der Melderegister erhalten, ohne daß damit eine eigene Zuständigkeitsprüfung durch die Meldebehörden vorgeschrieben wird. Das halten ich und meine Fraktion für entscheidend. Als Kontrollkorrelativ und zur Ermöglichung der Überprüfung durch die Datenschutzbeauftragten sind über Namen und Anschriften des Betroffenen und Anlaß der Übermittlung Aufzeichnungen vorzunehmen, die erst nach einer bestimmten Zeit vernichtet werden dürfen.
Abschließend möchte ich auf eine Vorschrift zu sprechen kommen, auf die ich schon anläßlich der ersten Beratung am 23. April 1980 an dieser Stelle Bezug genommen habe. Es handelt sich um § 21 Abs. 2. Damals habe ich Bedenken gegen die Fassung des Regierungsentwurfs angemeldet, nach dem die erweiterte Melderegisterauskunft an das Vorliegen eines rechtlichen Interesses geknüpft werden sollte. Dies schien mir eine zu kategorische Festschreibung eines absoluten Vorranges des Datenschutzes vor anderen ebenfalls durch die Verfassung geschützten Rechtsgütern zu sein, die durch das Grundgesetz nicht geboten war. Datenschutzrecht - was wir hier regeln, ist ein Teil des Datenschutzrechtes - ist Konfliktrecht und bedarf deshalb stets der Güterabwägung. Berechtigte Interessen, etwa der Wirtschaft oder, wie es nunmehr in Abs. 7 der Vorschrift zum Ausdruck gebracht wurde, auch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, bedürfen einer sachgerechten Ausbalancierung, die, wie ich meine, nunmehr in diesem Entwurf gelungen ist.
Auch ich möchte nicht des Lobes zuviel, aber doch noch einmal sagen: Die Ihnen vorliegende Fassung ist eine gute, zumindest akzeptable Lösung. Ich danke für mich und meine Fraktion all denen, die an dem Zustandekommen dieses Gesetzgebungswerkes mitgearbeitet haben, vor allen Dingen auch dem Bundesinnenminister und seinen Beamten, die uns in jeder Phase der Beratung beratend zur Seite gestanden haben. Ich bin der Hoffnung und Überzeu18262
gung, daß der vorliegende Entwurf auch die Zustimmung des Bundesrates finden wird, damit er alsbald rechtswirksam werden kann. Die FDP-Fraktion stimmt daher der Vorlage zu.
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
von Schoeler, Parl. Staatssekretar beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem in der Vergangenheit mehrfach Anläufe, das Melderecht bundeseinheitlich zu regeln, gescheitert sind, ist heute für die Bundesregierung, und, wie ich glaube, für das gesamte Haus ein außerordentlich wichtiger Tag, an dem es nun - noch dazu einvernehmlich - doch gelingt, zu einer Entscheidung für ein Rahmengesetz im Meldewesen zu kommen. Ich glaube, daß man diese Einigung und die Tatsache, daß wir in den Beratungen entgegen früheren Entwürfen soweit vorangekommen sind, darauf zurückführen kann, daß sich die Grundkonzeption des Regierungsentwurfs gegenüber früheren Vorläufern dieses Gesetzes erheblich verändert hat. Wo früher Verwaltungseffizienz und die Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis in Bund und Ländern an erster Stelle der Prioritätensetzung lagen, ist bei dem jetzigen Regierungsentwurf der Datenschutz an die erste Stelle getreten. Der Regierungsentwurf stand unter dem eindeutigen Primat des Datenschutzes. Diese Grundkonzeption ist in den Ausschußberatungen trotz der von den Rednern der drei Fraktionen im einzelnen dargestellten Veränderungen erhalten geblieben, und dafür sind wir dankbar. Das scheint mir für die weitere Entwicklung des Meldewesens außerordentlich wichtig zu sein.
Daß der Vorrang des Datenschutzes in diesem Meldegesetz erhalten geblieben ist, zeigt sich an zahlreichen Stellen. Ich will nur einige, die für uns besonders wichtig sind, hervorheben. Besonders wichtig scheint mir erstens die klare Beschränkung der Aufgabenstellung der Meldebehörden auf die Feststellung der Identität und der Wohnung der Einwohner zu sein. Darüber hinaus sollen nur wenige Sonderaufgaben - Lohnsteuerkartenausstellung, Wählerverzeichnis sind hier als Beispiele genannt worden - erfüllt werden. Nur die für diese Aufgaben wirklich erforderlichen, unbedingt notwendigen Daten sollen von den Meldebehörden gespeichert werden. Verzichtet wird - das möchte ich noch einmal zusammenfassend sagen - auf folgende Daten: die Seriennummer des Personalausweises oder des Passes, die Berufsangabe, die Speicherung der besonderen Aufenthaltsverhältnisse - Herr Kollege Penner hat, wie ich meine, zu Recht, die Wichtigkeit dieses Verzichtes besonders hervorgehoben - sowie die Speicherung der Gründe für den Ausschluß vom Wahlrecht oder für eine Paßversagung.
Nach Auffassung der Bundesregierung ist es unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes zweitens besonders wichtig, daß die Grunddaten, die für die allgemeine Aufgabenerfüllung der Meldebehörden benötigt werden, scharf von den Sonderdaten getrennt werden, die für die Spezialaufgaben benötigt werden. Grunddaten und Spezialdaten werden streng voneinander getrennt. So können z. B. in Zukunft Sonderdaten nicht untereinander verbunden werden.
Drittens ist für die Bundesregierung die Verankerung des Meldegeheimnisses wichtig. Es ist ein Schutz gegen den Mißbrauch von Daten im Meldewesen. Ich meine, diesen Schutz sollten wir nicht zu klein schreiben. Im Hinblick darauf, daß bei den Meldebehörden von fast allen Einwohnern Daten gespeichert werden, ist das Meldegeheimnis von seiner Bedeutung her durchaus mit dem Bankgeheimnis, dem Statistikgeheimnis oder mit dem Steuergeheimnis vergleichbar.
Für die Bundesregierung ist schließlich ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des. Datenschutzes der Anspruch des Bürgers auf die gebührenfreie Auskunft, auf Berichtigung und Löschung wichtig sowie der Anspruch darauf, durch Auskunftssperren die Übermittlung seiner Daten zu verhindern.
Einen weiteren Punkt möchte ich hervorheben, weil er in seiner Bedeutung weit über das Melderecht hinausgeht. Mit der Regelung des § 18 des Entwurfs, also der Regelung der Datenübermittlung zwischen Behörden, haben wir einen ersten Schritt gemacht, um die außerordentlich komplizierte Frage der Amtshilfe zwischen Behörden in einem Spezialbereich - hier im Verhältnis der Meldebehörden zu den Sicherheitsbehörden - zu regeln. Das Verfahren, das wir gefunden haben, die Verpflichtung der Sicherheitsbehörden zur Protokollierung,
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wird nach unserer Auffassung einen wirksamen Grundrechtsschutz gewährleisten. Er gibt den Datenschutzkontrollorganen überhaupt erst die Möglichkeit, in einem äußerst sensiblen Bereich wirksam zu kontrollieren. Das erscheint - ich glaube, das ist die übereinstimmende Meinung hier im Hause - uns allen als eine besonders wichtige Aufgabe der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder.
Ich meine, daß die Regelung des § 18 des Melderechtsrahmengesetzes als erster Schritt der Regelung einer speziellen Amtshilfeproblematik auch Modellcharakter für zukünftig anstehende spezielle Amtshilferegelungen haben könnte. Wenn ich an das denke, was sich die Bundesregierung - unterstützt von den Koalitionsfraktionen - bei der Regelung der Amtshilfe zwischen Nachrichtendiensten und beispielsweise dem Bundesgrenzschutz vorgenommen hat, dann wird die Bedeutung dieses ersten wichtigen Schrittes besonders deutlich.
Es hat Kompromisse gegeben in diesem Gesetzgebungsverfahren. Im Laufe der Debatte ist schon erwähnt worden, daß insbesondere dort, wo Bedenken der Gemeinden vorhanden waren, die Beratungen dazu geführt haben, daß Abstriche am ursprünglichen Entwurf vorgenommen worden sind. § 1 Abs. 2 z. B. ist jetzt nicht mehr in diesem Entwurf. Die Bundesregierung hätte es gern gesehen, wenn es bei ihParl. Staatssekretär von Schoeler
rer Konzeption in diesem Punkte geblieben wäre. Aber ich meine, daß hier - das erkennen wir auch an - beachtliche Gegeneinwände gemacht worden sind. In dem Ausschußbericht wird darauf hingewiesen, daß die Länder im Rahmen der Landesgesetze durchaus Regelungen treffen können, die - besser als das bei einem Bundesgesetz der Fall sein kann - auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten abstellen. Ich hoffe, daß von dieser Möglichkeit, Regelungen im Rahmen von Landesgesetzen zu treffen, auch Gebrauch gemacht wird.
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Meine Damen und Herren, ich möchte mich abschließend bei allen, die das Zustandekommen dieses Gesetzes durch ihre Beratungen möglich gemacht haben, sehr herzlich bedanken. Mein Dank gilt insbesondere den Berichterstattern der drei Fraktionen. Ich glaube, wir alle haben aus diesem Gesetzgebungsverfahren dem Plenum die gemeinsame Erfahrung zu vermitteln, daß auch gegen Ende einer Legislaturperiode und sogar noch in den letzten zwei Wochen hier in einer guten Atmosphäre eine einvernehmliche Regelung gefunden werden konnte. Dafür herzlichen Dank.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung.
Ich rufe die §§ 1 bis 17 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Bitte die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen.
Ich rufe § 18 auf. Hierzu lieg auf Drucksache 8/4310 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Berichterstatter vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Bitte die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wer dem § 18 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die §§ 19 bis 21 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, bitte das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 22 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/4310 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Berichterstatter vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Änderung ist einstimmig angenommen.
Wer dem § 22 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe die §§ 23 bis 26, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4261 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von den Abgeordneten Broll, Spranger, Berger ({0}), Regenspurger, Dr. Miltner, Schwarz, Krey, Dr. Laufs, Biechele, Volmer, Dr. Langguth, Sauer ({1}), Ey, Metz, Löher, Hanz, Dr. Unland, de Terra, Dr. Hüsch, Dreyer, Dr. Hubrig, Erpenbeck, Dr.-Ing. Oldenstädt, . Dr. Sprung, Dr. George, Rühe, Francke ({2}), Dr. Stavenhagen, Dr. von Geldern, Pohlmann, Dr. Hoffacker eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der Abgeltung besonderer Erschwernisse bei Polizeivollzugsbeamten im Wechselschichtdienst
- Drucksache 8/3842 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4303 -
Berichterstatter: Abgeordneter Walther
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksache 8/4239 Berichterstatter:
Abgeordneter Wittmann ({5}) Broll
({6})
Interfraktionell ist ein Kurzbeitrag je Fraktion vereinbart.
Wünscht einer der Herrn Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zweck dieses Gesetzentwurfs ist es gewesen, die Praxis bei der Abgeltung von Dienst der Beamten zu ungüstigen Zeiten zu vereinfachen. Die Koalition und die Regierung machen es uns leider gar nicht leicht. Dieser Gesetzentwurf war eigens Ihnen zuliebe erfunden worden, um den doch etwas erlahmten Flügelschlag der Reformpolitik wieder ein bißchen in Gang zu bringen. Ich hatte in der ersten Lesung auch ein paar Tips gegeben, wie die Koalition und die Regierung diesen Gesetzentwurf ein bißchen in ihrem Sinne hätten anreichern können. Aber dann ist - wie gesagt - halt alles abgelehnt worden.
({0})
Wir sind natürlich damit getröstet, daß die Regierung in ihrer Stellungnahme gesagt hat, die Zielsetzung wenigstens begrüße sie. Aber das ist für uns kein sehr große Trost; denn mit Absichten allein kann man in unserem Lande nicht allzuviel verändern.
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Nur ein paar ganz kurze Bemerkungen zu diesem Gesetzentwurf: Parkinson hat stellvertretend für viele andere dem Staat den Vorwurf gemacht, er beschäftige sich zusehr damit, sich selbst zu verwalten. Hier geht es um die Art, wie Erschwerniszulagen abgegolten werden, wie die Polizeibeamten - um die geht es in unserem Gesetzentwurf - wirklich Minute für Minute auflisten müssen, die sie nach 20 Uhr oder an Sonn- und Feiertagen Dienst gemacht haben, wobei sie noch in solche Zeiten, die steuerbegünstigt, und solche, die nicht steuerbegünstigt sind, unterscheiden müssen. Kurzum: Es muß ein ziemlich großer bürokratischer Aufwand für eine minimale Zahl von D-Mark geleistet werden.
Gerade dieses Beispiel zeigt, daß es dringend nötig gewesen wäre, das Verfahren zugunsten der Beamten zu vereinfachen, besonders bei Polizeibeamten, die ja von der Aufgabe her, die sie für uns alle wahrnehmen, am ehesten dazu da sind, auf die Straße zu gehen, in die Offentlichkeit zu gehen, sichtbar zu sein und sich nicht in ihren Dienststuben aufzuhalten. Und daß die Polizeibeamten diese Abrechnung außerhalb der Dienstzeit vornehmen, wird weder jemand vermuten, noch kann es jemand verlangen.
Es ist auch nicht einzusehen, was gegen den Gesetzentwurf vorgebracht worden ist: daß eine Pauschalierung ungerecht sei. Schließlich ist die Polizeizulage selbst eine solche Pauschale, eine zu versteuernde Pauschale, die sich also auch hier unterschiedlich auswirkt, je geringer das Einkommen des begünstigten Beamten ist. Da die Polizeizulage selber mit fast gleicher Begründung wie die Erschwerniszulage mit ihren 75 Pf bzw. 1,25 DM pro Stunde gegeben wird, ist eine Pauschalierung systematisch durchaus möglich. Wir hätten absolut keine Hemmungen, zu beschließen, daß jüngere Beamte - in der Regel sind es ja jüngere Beamte, die weniger Einkommen haben als die älteren, schon beförderten Beamten - ein paar Hennig mehr herausbekommen bei solch einer Pauschale.
Ein Argument ist in der Debatte, zwar nicht vom Kollegen Wittmann - der ist dafür zu klug -, sondern aus den Reihen einiger Ministerien gebracht worden: Wenn wir eine Pauschale für solche Erschwerniszulagen gäben, dann würde der Anreiz für die Beamten schwinden, überhaupt Dienst zu ungünstigen Zeiten zu machen. Nun kann ich mir vorstellen, daß ein Beamter sich nicht gerade danach reißt, in der Nachtzeit oder am Samstagnachmittag oder am Sonntag Dienst zu tun. Aber daß die Aussicht, 75 Pf pro Stunde zu bekommen, ihn etwa reizen könnte, diesen Dienst freiwillig auf sich zu nehmen, das, meine Damen und Herren, grenzt ja fast an Verachtung der Beamten. Ich muß Ihnen sagen: wenn ich Polizeibeamter wäre - nach allem, was früher schon gewesen und was mit diesem Gesetz jetzt geschehen ist -, ich würde SPD nicht mehr wählen. Aber diese Dinge haben Sie ja am 5. Oktober selber abzurechnen.
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Ich könnte mir denken, daß die Verwaltungsbeamten - nicht die Fachbeamten, die mit der Polizei zu tun haben, wohlgemerkt, sondern die für das gesamte Beamtenrecht zuständigen Beamten -, die in den Abteilungen der zuständigen Ministerien gewisse Bedenken gegen unseren Gesetzentwurf hatten, einfach nach dem alten Grundsatz der deutschen Staatsphilosophie gehandelt haben: „Das ist schon immer so gewesen, und es wäre doch gelacht, wenn es mal anders werden sollte." Das Gesamtproblem - so hat die Regierung gesagt - des Dienstes zu ungünstigen Zeiten, des Wechselschichtdienstes und des Schichtdienstes überhaupt müsse in Angriff genommen werden, und solange müsse etwa die Pauschalierung der Erschwemiszulage unterbleiben. Nun haben wir relativ schlechte Erfahrungen damit, wenn jemand erst Gesamtprobleme in Angriff nehmen will. In der Regel sind dann die einzelnen Lösungen viel zu spät und häufig überhaupt nicht gekommen, weil es erfahrungsgemäß sehr viel schwieriger ist, Gesamtprobleme zu lösen, als in konkreten überschaubaren Einzelbereichen etwas Vernünftiges zu tun.
Noch etwas Grundsätzliches möchte ich zu dem sagen, was die Regierung zu dem Gesetzentwurf geäußert hat. Die Regierung sagt, es müsse gewartet werden, bis im tariflichen Bereich sich etwas getan habe. Grundsätzlich ist natürlich nichts gegen die Gleichbehandlung zu sagen. Aber ebenso grundsätzlich müssen wir sagen: wir halten es für falsch, wenn der Dienstherr, der Arbeitgeber der öffentlichen Bediensteten, immer erst wartet - auch dort, wo er selber gesetzgeberisch oder durch Verordnungen tätig sein könnte -, bis im tariflichen Bereich etwas geregelt ist. Erstens wird dadurch der prinzipielle Unterschied außer acht gelassen, der zwischen dem dienstrechtlichen Bereich einerseits und dem tarifrechtlichen Bereich andererseits besteht. Zweitens muß bedacht werden, daß Tarifabsprachen sich in der Regel nach den Interessen großer Mehrheiten richten. Sonst wäre das Problem des Schichtdienstes schon längst einmal angepackt worden.
Der öffentliche Arbeitgeber könnte in zwei Bereichen vor allen Dingen vorbildlich sein und in den
Regelungen voranschreiten, um damit gleichzeitig auch für tarifliche Regelungen Zeichen zu setzen. Das eine ist die Frage der familiengerechten Besoldung, und das andere wäre das ganze Problem des Schichtdienstes und des Wechselschichtdienstes. Wir bedauern es unter diesem Gesichtspunkt sehr, daß auch hier wiederum das Warten auf die tariflichen Regelungen hineingebracht worden ist, wo die Regierung doch handeln könnte. Es gibt auch keinen für mich einsehbaren Grund, warum die Veränderung in der finanziellen Abgeltung von Erschwernissen gekoppelt sein müßte etwa an die Regelung ärztlicher Untersuchungen, Urlaubsverlängerungen, Lärmschutzmaßnahmen in den Wohnungen derjenigen Bediensteten, die zur Nacht arbeiten und am Tage schlafen müssen, usw.
Wir haben als CDU-Fraktion - und damit komme ich schon zum Schluß - parallel zu dem, was wir in diesem Gesetz vorgeschlagen haben, eine Anfrage an die Regierung gerichtet, die sich mit dem Schicht- und dem Wechselschichtdienst beschäftigt. Ich hoffe, daß die Antwort auf diese Anfrage während der Sommermonate eingehen und besser sein wird als die Äußerungen der Regierung zu dem Gesetzentwurf.
({3})
Wenn nämlich die Antwort einigermaßen gut ist, könnte sie die Grundlage bilden für die Beratung des Schicht- und Wechselschichtdienstproblems in der nächsten Legislaturperiode.
Sie kennen den bekannten Spruch von Bismarck, Politik sei die Kunst des Möglichen. Paul Valéry hat diesen Spruch ein klein wenig abgewandelt; er hat nämlich gesagt: Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen. Notwendig ist unter anderem - da sind wir uns einig - eine Änderung, eine Vereinfachung in diesem Bereich. Darum sollten wir uns auch in die Lage versetzen, Verbesserungen möglich zu machen. Ich bedauere, daß dies in dieser Periode von der Regierung und der Koalition nicht möglich gemacht worden ist. Ich hoffe, daß es uns in der nächsten Periode gelingt, dieses Versäumnis nachzuholen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Kollege Broll, vielleicht witzig, gemeint hat, die Polizeibeamten würden uns, wenn wir den Antrag ablehnten, nicht wählen,
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muß ich Ihnen sagen, daß dann sein eigener Antrag in der Begründung falsch war. Sie haben nämlich zu der Kostenfrage geschrieben, es kämen nur ganz minimale Erhöhungen heraus. Wegen minimaler Erhöhungen aber wird der Polizeibeamte nicht von der
SPD zur CDU umschwenken. Ich glaube, das darf ich vorab einmal feststellen.
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Ich darf in dieser Frage auch das in Erinnerung rufen, was ich als Sprecher der SPD-Fraktion in der ersten Lesung dieses Gruppenantrags am 13. Mai bereits gesagt habe: Wir begrüßen jeden Vereinfachungsvorschlag; Voraussetzung aber ist, daß eine Neuregelung alle im Schicht- und Wechselschichtdienst eingesetzten Bediensteten des öffentlichen Dienstes erfaßt Die Beratungen im Innenausschuß des Deutschen Bundestages haben ergeben, daß dieses vielschichtige Problem nicht so kurzfristig zu lösen ist.
Mir als ehemaligem Eisenbahner ist das Problem des Wechseldienstes bei der Bahn und aus der Zusammenarbeit zwischen Bahn und Post auch bei der Post noch gegenwärtig. Mir ist auch bekannt, daß bei den beiden großen Betriebsverwaltungen rund ein Drittel aller Beschäftigten zu außergewöhnlichen Zeiten, d. h. im Früh-, Spät- und Nachtdienst, Dienst tun muß. Und das heute, im Zeitalter der Fünftagewoche! Wenn man den allgemeinen Betrieb in den Werkstätten und Betrieben am Freitag betrachtet, wo ja erfreulicherweise meist schon um 14 Uhr Dienstschluß ist, könnte man sogar von der Viereinhalbtagewoche sprechen. In dieser Situation wirkt sich insbesondere der Schicht- und Wechselschichtdienst an Sonn- und Feiertagen für den betroffenen Personenkreis sehr nachteilig aus. Aus dem Schicht- und Wechseldienst ergeben sich also ganz klare Probleme bei der außerdienstlichen Zeitgestaltung. Die Familien haben gerade unter diesem Problem sehr zu leiden. Schauen Sie einmal in die Familien, wo die Kinder um 13 Uhr von der Schule kommen, der Dienst des Vaters aber am Mittag um 12 Uhr beginnt. Da ist der Familienvater kaum mit seinen Kindern zusammen. Bei der Gestaltung der Freizeit, des Wochenendes usw. spürt man, wie die Familien unter solchen Dienstleistungen, auf die wir keinesfalls verzichten können, zu leiden haben.
Ich habe vorhin von Bahn und Post gesprochen. Wir müssen in diesen Personenkreis aber auch die Feuerwehr einbeziehen, das Rote Kreuz, die Ärzte in den Krankenhäusern und das gesamte Personal dort. Wir können es uns deshalb nicht so leicht machen, nur für eine Gruppe, für die sich gerade eine Lösungsmöglichkeit anbietet, eine Lösung zu treffen und die anderen Gruppen auszuschließen.
Ich möchte von den gesundheitlichen Belastungen erst gar nicht reden, die diese Beamten im Nacht- und Wechseldienst auf sich nehmen müssen. Ich denke bei dieser Gelegenheit auch daran, daß die Schichtdienst Leistenden häufig keine Möglichkeit haben, von kulturellen Angeboten und dergleichen Gebrauch zu machen. Ich denke etwa an einen Lokomotivführer, der bei einer Fernsehübertragung, wenn das Endspiel um die Europameisterschaft im Fußball stattfindet, seinen Zug fahren muß und keine Chance hat, das Spiel zu sehen.
({2})
Wittmann ({3})
Ich will das hier nur einflechten.
Daraus, meine sehr verehrten Damen und Herren, folgt für uns, daß wir für diese Leistung einen Ausgleich schaffen müssen. Ich habe das bereits in der ersten Lesung gesagt: für mich ist eine finanzielle Abgeltung, gleich in welcher Höhe, kein Ausgleich dafür.
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Unsere Überlegungen müssen sich also auf einen Ausgleich bei der Arbeitszeit für die Überlastung durch Schichtleistungen konzentrieren. Sie haben ein bißchen abwertend von einigen Urlaubstagen gesprochen. Einige Urlaubstage gewährt, das ist mehr Freizeit für die Familie. Das ist für mich eine sehr wesentliche Frage.
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Herr Broll, lesen Sie einmal im Protokoll nach, was Sie so am Rande über Urlaub oder Freizeit gesagt haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Broll?
Bitte.
Herr Kolle Wittmann, darf ich Sie daran erinnern, daß ich in keiner Weise abwertend über den Urlaub gesprochen habe, sondern nur an Sie die Frage gerichtet habe, wie Sie dazu kommen, zu meinen, eine Veränderung der Art der Bezahlung dieser Stunden habe etwas mit der Verlängerung des Urlaubs zu tun?
Herr Broll, ich habe in der ersten Lesung und auch bei den Gesprächen im Innenausschuß Ihnen deutlich gemacht, daß ich im Prinzip nicht gegen den Antrag bin, weil er das Problem der Schichtarbeit wieder ins Bewußtsein des Parlaments gebracht hat und auch die Regierung zwingt, in dieser Frage mehr als in der Vergangenheit tätig zu werden.
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Mir ist bekannt, daß die Tarifvertragsparteien fest vereinbart haben, dieses Problem bei der nächsten Verhandlungsrunde zu lösen. Wir sollten auf jeden Fall das Ergebnis dieser Beratungen abwarten. Aus diesem Grunde wird die SPD-Fraktion den Antrag ablehnen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies wird voraussichtlich meine letzte Bundestagsrede sein. Ich möchte von dieser Stelle aus die Bundesregierung bitten, in der nächsten Legislaturperiode dieses für viele Menschen wichtige Problem der Schichtarbeit einer Entscheidung zuzuführen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Ansatz der Vorlage zur Vereinfachung der Abgeltung besonderer Erschwernisse bei Polizeivollzugsbeamten im Wechselschichtdienst ist auf den ersten Blick ohne jeden Zweifel bedenkenswert. Es ist auch, wie mir scheint, eine berechtigte Frage, ob die im Einzelfall umständlich zu berechnenden Erschwerniszulagen bei Polizeivollzugsbeamten durch ein einfacheres und gerechteres Verfahren ersetzt werden können. Wir sind allerdings nicht davon überzeugt, daß die Form einer Pauschalierung durch eine erhöhte Polizeizulage nun schon die optimale Lösung ist. Ich will dies nicht im einzelnen ausführen, meine aber, daß es doch wohl - dies ist eigentlich auch schon in den Beiträgen meiner beiden Vorredner zum Ausdruck gekommen - auf einige andere Gesichtspunkte ankommt.
Wenn wir uns - damit meine ich auch die Fraktion der FDP - in den Beratungen des Innenausschusses zu einer Ablehnung haben entschließen müssen, so im wesentlichen aus zwei Erwägungen. Wechselschichtdienst gibt es nicht nur bei der Polizei - wir wissen das alle -, sondern auch in vielen anderen Verwaltungszweigen: bei der Feuerwehr, bei der Bundeswehr, vor allen Dingen in zahlreichen Betriebsverwaltungen. Eine nur auf den Polizeivollzugsdienst beschränkte Regelung wäre zu eng und schon aus diesem Grunde schwer vertretbar. Dabei will ich nicht bestreiten, daß die Einbeziehung einer pauschalierten Erschwerniszulage in die Polizeizulage nicht unbedingt schon zu sehr viel höheren Kosten führen muß. Anders sähe es aber aus, wenn alle Bereiche, in denen Wechselschichtdienst vonstatten geht, in eine solche Regelung einbezogen würden.
Die Sicht wäre aber auch zu eng, wenn man eine Lösung für das Problem des Wechselschichtdienstes
- das scheint mir die entscheidende Frage zu sein
- nur im Bereich des Zulagewesens erblicken wollte. Die physischen und psychischen Belastungen einer solchen Arbeitszeiteinteilung stehen weit stärker im Vordergrund. Auch die am 18. Juni 1980 eingebrachte Kleine Anfrage der CDU/CSU geht deshalb zu Recht, wie ich meine, auf diese erweiterte Problematik ein. Die denkbare und, wie ich meine, auch notwendige Lösung liegt deshalb bei den Arbeitsbedingungen im einzelnen. Hierzu gehören eine intensivere gesundheitliche Betreuung, verbesserte Gesamtarbeitszeiten und Urlaubsregelungen, möglicherweise auch eine Begrenzung des Wechselschichtdienstes auf ein bestimmtes Lebensjahr, z. B. auf das 50. Lebensjahr.
Wie uns der Herr Bundesminister des Innern mitgeteilt hat, haben die öffentlichen Arbeitgeber in der Tarifrunde 1980 zugesagt, Tarifverhandlungen über die Arbeitsbedingungen im Wechselschichtdienst aufzunehmen. Dies ist gut so. Ich möchte jetzt an dieser Stelle nicht unbedingt eine differenzierte Debatte darüber eröffnen, was ich im Tarif- und was ich im Beamtenbereich mache. Ich spreche die Erwartung aus, daß die Bundesregierung - dies hielte
ich für gut - diese Verhandlungen, wenn nicht schon geschehen, aufnimmt und in der von mir aufgezeigten Richtung weiter verhandelt und dem Parlament dann auch möglichst bald ihre Vorschläge vorlegt. Dies verbunden mit Vorschlägen, die dann - vielleicht sogar schon vorher - auch für den Bereich des Beamtenrechtes gelten müssen. Ich würde hier also nicht unbedingt eine Verbindung zwischen beiden Bereichen, aber auch keine Priorität eines Bereiches sehen. Diese Frage muß vielmehr im Rahmen der Gesamtentwicklung der Verhandlungen auch zwischen der Bundesregierung und den einschlägigen Gewerkschaften geregelt werden.
In der Erwartung, daß dies so geschieht, verehrter Herr Kollege Broll, muß die Fraktion der FDP dabei bleiben, die Vorlage der Union, die nur den Polizeivollzugsdienst erfaßt und die nur das Teilproblem der Erschwerniszulagen aufgreift, hier und heute abzulehnen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.
Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wird Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung gewünscht? - Sie wünschen keine Abstimmung?
({0})
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung über den Gesetzentwurf der CDU/CSU. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich 'um das Handzeichen. - Bitte die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Nach § 84 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung unterbleibt somit jede weitere Beratung und Abstimmung.
Es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/4239 unter Ziffer 2 vor, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) zu dem Entwurf einer Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 8/3460, 8/4127, 8/4262 Berichterstatter:
Abgeordnete Collet
Spitzmüller
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schulte ({2}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Geschäftsordnungsausschuß legt Ihnen heute das Ergebnis einer etwa achtjährigen Arbeit in zwei Legislaturperioden vor. Ich würde mich nicht wundern, wenn der eine oder der andere sagte: Ein Berg kreißt, und ein Mäuslein wird geboren. Trotzdem bitte ich Sie sehr herzlich, die Arbeitsergebnisse vielleicht etwas genauer zu betrachten.
Ich halte nicht sehr viel von den Danksagungen, die allgemein hier stattfinden - Danksagungen der Regierung an das Parlament und des Parlaments an die Regierung und die Mitarbeiter -, weil ich meine, wir alle tun hier unsere Pflicht Trotzdem muß ich darauf aufmerksam machen, daß wir im Geschäftsordnungsausschuß in einer ganz besonders fatalen Situation sind. Alle Mitglieder haben eine besondere Funktion; sie sind Geschäftsführer, Frau Renger ist Vizepräsidentin, in der letzten Legislaturperiode war sie Präsidentin, und alle Mitglieder sind in einem Ausschuß, der besonders mit Arbeit belastet ist, entweder im Rechtsausschuß oder im Innenausschuß. Wir mußten auf die Wochenenden ausweichen. Das war nicht immer besonders angenehm, auch nicht für die Mitarbeiter des Ausschusses, den Sekretär, Herrn Dr. Bäcker. Ich möchte deshalb gerade den Mitarbeitern hier meinen Dank aussprechen, daß sie auch die Wochenenden für diese Arbeit geopfert haben.
({0})
Warum eine Änderung, eine Reform der Geschäftsordnung, wie wir sagen? Wir hatten den Zustand erreicht, daß wir in weiten Bereichen unserer Arbeitsregeln - denn diese sind in der Geschäftsordnung niedergelegt - ausschließlich von Interpretationen lebten; denn ganze Teile unserer regelungsbedürftigen Arbeit waren in der Geschäftsordnung nicht ausdrücklich niedergelegt; ich denke z. B. an die Arbeit in den Ausschüssen. Manchmal verging kaum ein Tag - vor allen Dingen, wenn sich Legislaturperioden zu Ende neigten -, daß wir nicht angesprochen wurden: Wie ist diese oder jene Frage zu regeln; denn wir finden keine ausdrückliche Bestimmung?
Nun kann man der Auffassung sein, daß man solche Interpretationen als Präjudizien sammelt und eine Stelle hat, die dann bereitwillig Auskunft gibt. Wir waren aber übereinstimmend der Meinung, daß es richtig und notwendig ist, daß die Mitglieder des Deutschen Bundestages in der Lage sind, auf Grund der ihnen vorliegenden Geschäftsordnung selbst zu erkennen, wo die Rechte und Pflichten liegen und wie die Arbeitsweise geordnet ist. Deshalb haben wir uns der Mühe unterzogen, weithin diese Interpretationen in die Geschäftsordnung aufzunehmen.
Zur Arbeitsweise in unserem Ausschuß erlauben Sie mir ein paar Worte. Wir haben sozusagen - das werden Sie alle verstehen - unter Einigungszwang gestanden. Es ist nahezu unmöglich, mit Mehrheiten - vielleicht mit parteipolitischen und Fraktionsmehrheiten - die Arbeitsregeln, die Spielregeln für unsere Arbeit hier zu beschließen. Deshalb haben wir auch über scheinbar belanglose Fragen häufig stundenlang diskutiert, haben uns
Schulte ({1})
alle möglichen denkbaren Situationen vorgestellt, um einander zu überzeugen, haben auch hier und da, wo es möglich war, Kompromisse gemacht, die vielleicht dann letzten Endes nicht jeden befriedigen werden.
Es war auch nicht ganz zu verkennen, daß der eine oder andere in unserem Ausschuß die Neigung hatte, aus seiner derzeitigen Situation - entweder als Mitglied einer Fraktion der Mehrheit oder als Mitglied der Opposition - heraus zu argumentieren. Aber ich glaube, wir sind weitestgehend dieser Versuchung ausgewichen, weil dies ja nun doch schon etwas präjudiziellen Charakter für weitere Legislaturperioden haben würde. Wir haben unsere Aufgabe also nicht so verstanden, daß wir für den Augenblick arbeiten. Jeder wird sich in jeder Position wiederfinden müssen.
({2})
Ich habe schon zu einem früheren Zeitpunkt von dieser Stelle einmal gesagt, welche Grundprinzipien uns geleitet haben. Es ist sicherzustellen, daß die parlamentarische Mehrheit in jedem Stadium der parlamentarischen Arbeit auch die Möglichkeit hat, ihren politischen Willen durchzusetzen. Dies ist in unserem Parlament verwirklicht; beileibe nicht in allen Parlamenten. Es gibt Parlamente, in denen man durch Filibusterreden ein Gesetz verhindern kann. Dies ist bei uns ausgeschlossen. Wir haben insofern eine sehr rationale und auch rationelle Arbeitsweise, wie wir überhaupt beim Vergleich von Parlamenten feststellen können, daß wir im Grunde genommen in erster Linie ein Arbeitsparlament sind.
Das zweite ist, daß die Minderheit im Parlament die Gelegenheit haben muß, ihren politischen Willen zu artikulieren, und ihr dazu auch konkret die Chancen eröffnet werden, z. B. in der Rede, in der Redezeitordnung, auch in der Möglichkeit, die Institutionen des Parlaments zu benutzen. Hier hat es hier und da Ausuferungen gegeben. Ich muß Ihnen bekennen, daß wir nicht in der Lage waren, alle Probleme, die hier auftauchten, wirklich in der Geschäftsordnung zu lösen. Manches geht nur durch Einsicht und durch eine vernünftige Disziplin. Ich würde der Selbstdisziplin das Wort reden mögen.
Noch ein Thema, das in diesen Zusammenhang hineingehört. Die Arbeit an der Geschäftsordnung hat keine besondere Publizität. Da, wo sie Publizität gefunden hat, bin ich eigentlich erschrocken darüber, wie negativ die Äußerungen insbesondere der Medien sind.
({3})
Man spricht viel von einer Parlamentsreform. Ich möchte mit allem Nachdruck erklären: Was wir Ihnen heute vorlegen können, ist keine Parlamentsreform. Es ist lediglich eine Geschäftsordnungsreform. Aber ich erlaube mir auch die ganz konkrete Frage: Was wird denn unter einer Parlamentsreform verstanden?
Wir haben eine Reihe von Hinweisen aus der sehr wertvollen Arbeit der Enquete-Kommission „Verfassungsreform", die sich unter ihrem Vorsitzenden,
unserem Kollegen Professor Schäfer, auch mit der Arbeit des Parlaments beschäftigt hat. Wir mußten aber bald erkennen, daß die Vorschläge, die von dort gemacht worden sind, den Rahmen unserer Arbeit mit Sicherheit gesprengt hätten. Manche dieser Fragen gingen bis an das Verfassungsverständnis heran, gingen so tief, daß wir mit Sicherheit ohne eine große vorherige Diskussion in den Parteien und in der Offentlichkeit nicht zu Beschlüssen gekommen wären. Damit hätten wir auch für diese Legislaturperiode die Verabschiedung der Änderungen der Geschäftsordnung, die uns notwendig erschienen, verhindert.
Ich möchte gern einem ganz besonderen Problem, das gelegentlich angesprochen worden ist, ein paar Sätze widmen. Es wird immer wieder gesagt, in unserer Geschäftsordnung seien zuwenig individuelle Rechte für den einzelnen Abgeordneten, für das einzelne Mitglied des Deutschen Bundestages, verankert. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, sich dies einmal sehr sorgfältig zu überlegen. Selbst diese Frage rührt an unsere Verfassung, an unser Verfassungsverständnis. Wir dürfen nicht übersehen, daß wir eine parlamentarische Demokratie haben, in der die Mehrheit einen Kanzler und damit eine Regierung wählt und unter normalen Umständen daran interessiert ist, diese Regierung bei ihrer Arbeit zu unterstützen, zu stützen. Wenn der einzelne Abgeordnete auf Grund seiner individuellen Rechte allein in der Lage wäre, ein Gesetz zu initiieren, würde das sehr unsichere Mehrheitsverhältnisse im Parlament bewirken. Deshalb wird in bezug auf die Quoren in der Regel an eine Fraktion oder die Fraktionsstärke angeknüpft; das werden Sie durchgehend in unserer Geschäftsordnung finden. Dies wird manchmal bedauert. Derjenige, der vielleicht neben seiner Fraktion oder über sie hinaus initiativ werden möchte, ist dann eben gezwungen, 26 Unterschriften zusammenzubringen.
Es hat die Meinung gegeben, man könne ausschließlich auf die Fraktionen des Hauses abstellen. Dies hielte ich für verfassungswidrig. Aber in der Regel an die Zahl von Abgeordneten anzuknüpfen, die nach unserer Rechtsordnung eine Fraktion bilden, schien uns nicht nur zweckmäßig, sondern auch unserer gesamten Rechtsordnung angemessen zu sein. Alle diejenigen, die Individualrechte in größerem Umfang vermissen, müssen sich über die Rechtsgrundsätze unseres parlamentarischen Systems, unserer parlamentarischen Demokratie, im klaren sein.
Meine Damen und Herren, wir haben eine Reihe von einzelnen Punkten expressis verbis geändert. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir in der Vergangenheit aufgetretene Zweifelsfragen zu klären hatten. Wir waren jeweils in einer sehr mißlichen Situation, weil wir uns nicht auf Vorschriften, die interpretierbar gewesen wären, beziehen konnten. Ich möchte Ihnen einige vortragen. Sicherlich werden diejenigen Kollegen aus dem Ausschuß, die die Berichterstatterfunktion übernommen haben, noch das eine oder andere zu ihren Abschnitten sagen.
Schulte ({4})
Es hat eine Zeitlang Schwierigkeiten zwischen dem Ältestenrat und dem Haushaltsausschuß gegeben. Ich möchte jetzt dieses Verhältnis nicht näher charakterisieren; aber wir waren gezwungen, uns dazu zu äußern. Wir haben schließlich gesagt: Wenn es dort in bezug auf den Haushaltsplan 02 Spannungen gibt, dann haben sich beide miteinander ins Benehmen zu setzen, d. h., dann hat ein Gedankenaustausch über den Konflikt stattzufinden. Wir haben grundsätzlich die Entscheidungsfreiheit beim Haushaltsausschuß belassen.
Wenn Sie unsere Arbeit hier verfolgen, werden Sie feststellen, daß in § 27 Abs. 2 unserer Vorlage geregelt ist, wie man eine Zwischenfrage in diesem Hause stellt. Damit beschäftigte sich bislang eine ganze Anlage. Ich will und kann jetzt diese Anlage nicht vorlesen. Ich bin im Grunde genommen etwas traurig darüber, daß sie verschwindet; denn das waren die einzigen lyrischen Passagen in unserer Geschäftsordnung.
({5})
Lesen Sie sie deshalb bitte noch einmal nach. Auch hier hat sich nun rationelle und rationale Arbeit durchgesetzt, und es gibt jetzt nur noch einen Absatz für diese Problematik.
Eine heftige Kontroverse hat es über die Frage der freien Rede gegeben. Sie werden es nicht glauben, wie lange man in freier Rede über die Frage der freien Rede reden kann. Es hat leidenschaftliche Verfechter der freien Rede gegeben, die gesagt haben, jedem, der nicht frei rede, müsse eigentlich sofort das Wort entzogen werden.
({6})
Wir haben uns darauf verständigt, nun einen Hinweis in der Geschäftsordnung zu haben, der zur freien Rede ermahnt, aber dem Präsidenten nicht auferlegt, sofort exekutiv zu werden. Ich möchte unterstreichen, daß mir dies richtig zu sein scheint. Ganz abgesehen davon, daß manche Beiträge hier ohne schriftliche Aufzeichnungen, ohne exakte schriftliche Aufzeichnungen sicherlich gar nicht geleistet werden könnten, ist es ja so, daß der eine oder andere Kollege unter Umständen am einzelnen Wort gemessen und es ihm vorgehalten wird. Darüber hinaus bin ich auch der Auffassung, daß nicht unbedingt jeder die freie Rede beherrscht, daß nicht unbedingt jedem diese Möglichkeit gegeben ist. Diese Kollegen können trotzdem sehr wohl kluge Gedanken zu äußern haben.
({7})
Man kann daran nicht gemessen werden. Deshalb haben wir aus darauf verständigt.
Einer der wichtigsten Komplexe, der uns aber weitgehend entzogen war, war der der Rededauer. Ich mache darauf aufmerksam, daß wir im Augenblick einem Beschluß des Bundestages für diese Legislaturperiode folgen. Die dort vorgesehenen Maßnahmen haben den Charakter einer Erprobung. In dem neuen § 35 werden sie nun einige Änderungen finden, über die man auch lange nachdenken kann.
Wir wissen, daß die Redeordnung im Parlament ein Eckpfeiler ist. Die kurze, präzise Rede sollte die Regel sein, aber nicht nur der kurze, präzise Vortrag. Nach meiner Auffassung kommt es vielmehr darauf an, daß die Abgeordneten des Bundestages die Fähigkeit entwickeln, auf den Vorredner einzugehen und hier einen wirklichen Dialog der Auffassungen zu erzeugen.
({8})
Dies ist sehr schwierig, wenn man sich vorgenommen hat, ganz bestimmte Dinge zu sagen und diese dann abzuspulen. Dabei verliert das Parlament an Interesse; das erleben wir immer wieder. Ich gehöre dem Bundestag jetzt 15 Jahre an. Ich habe es vielleicht zwei-, dreimal erlebt, daß es wirklich zu einer Aussprache kam, in der der nachfolgende Redner auf den vorhergehenden Redner inhaltlich wirklich so eingegangen ist, daß auch die Zuhörer mit Interesse teilgenommen haben.
Wir haben gesagt: Die 15-Minuten-Rede soll Platz greifen, soll die Standard-Rede sein. Ein Sprecher jeder Fraktion soll 45 Minuten reden können. Wir haben - dies an die Präsidenten des Hauses - allerdings auch wieder die Öffnungsklausel aufnehmen müssen, wonach, wenn der Charakter der Aussprache und dergleichen mehr es nahelegen, die Möglichkeit eröffnet wird, hier flexibel zu sein. Denn die parlamentarische Praxis hat den Nachweis erbracht, daß ganz starre Regeln leider nicht einzuhalten sind.
Wir haben einen VII. Abschnitt in die Geschäftsordnung eingefügt, der sich in mehreren Paragraphen ausdrücklich mit der Arbeit der Ausschüsse beschäftigt. Dies war z. B. ein Kernproblem unserer Interpretationsnotwendigkeiten. Wir haben uns häufig sehr unwohl gefühlt, weil die Verweisung auf die Regeln des Gesamtparlamentes nicht ausreichte. Da hat es unterschiedliche Auffassungen gegeben. Es gibt Ausschüsse hier im Haus, bei denen die Arbeit völlig anstandslos klappt. Der Vorsitzende kann kraft seiner Autorität das durchsetzen, was er möchte, und es wird ihm nicht übelgenommen. In manchen Ausschüssen allerdings werden Fragen wie z. B. der Tagesordnung, z. B. des Schlusses der Aussprache und dergleichen mehr ausgesprochen politisch. Hier gab es immer wieder Fragen: Wie haben wir dies zu regeln? Wie haben wir dies zu lösen? Wir waren in vielen Fragen überfordert. Deshalb, glaube ich, müßten wir alle begrüßen, daß wir jetzt ausdrückliche Regelungen haben, die im Grunde genommen niemanden einengen.
Eine wichtige Frage ist die erstmalige Regelung hinsichtlich der Unterausschüsse. Meine Damen und Herren, ich mache mit allem Nachdruck darauf aufmerksam, daß parlamentarische Demokratien hier einer großen Gefahr ausgesetzt sind. Die Atomisierung der Arbeit im Parlament, die ja nicht zu bestreiten ist, findet ihren Ausdruck häufig darin, daß das Parlament oder seine Ausschüsse das Bestreben haben, ihre Arbeiten noch einmal zu untergliedern und die Abgeordneten in Unterausschüssen unterzubringen. Im amerikanischen Kongreß hat das verheerende Folgen gehabt. Es gibt dort, glaube ich, über 150 Unterausschüsse, die eine sol18270
Schulte ({9})
che Selbständigkeit erlangt haben, daß amerikanische Parlamentarier sagen: Die Arbeit ist völlig unübersehbar geworden. Dieser Gefahr wollen und müssen wir entgehen.
({10})
Die Regel muß sein, daß die Unterausschüsse einen begrenzten Auftrag bekommen und, wenn sie ihren Auftrag erfüllt haben, ihre existentielle Erledigung finden.
({11}) Ich halte das für wichtig.
Trotzdem brauchen wir in der Geschäftsordnung eine flexible Regelung, weil es Unterausschüsse wie den Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle gibt, von dem alle Abgeordneten des Hauses glauben, daß er für die Dauer einer Wahlperiode fest installiert sein und eine kontinuierliche Arbeit leisten muß. Das heißt, Sie haben selber sorgfältig aufzupassen, daß hier die Zahl nicht ausufert.
Ich sehe, daß hier das Ende meiner Redezeit signalisiert wird.
({12})
Herr Präsident, ich war davon ausgegangen, daß wir keine festen Redezeiten festgelegt hatten. Aber ich werde mich kurz fassen.
Vizepräsident von Weizsäcker: Herr Abgeordneter, es war für Sie eine Redezeit beantragt, die sich in der Tat ihrem Ende nähert. Aber Sie haben ja selber eben schon gesagt, daß der amtierende Präsident dann, wenn der Gegenstand oder der Verlauf der Aussprache es nahelegt, einen anderen Maßstab anlegen soll. Davon geht der amtierende Präsident jetzt aus. Bitte fahren Sie fort
({13})
Ich möchte noch zwei Punkte hervorheben.
Sie finden nun Auslegungsregeln, in denen dem Geschäftsordnungsausschuß ein besonderes Recht eingeräumt wird. Es hat Kolleginnen und Kollegen gegeben, die daran Bedenken geknüpft haben. Ich muß Ihnen allerdings sagen: Wenn jede Auslegung, die wir vorzunehmen hatten, Gegenstand eines Plenarbeschlusses hätte werden müssen, dann hätten wir den Ausschüssen und den anderen, die nach einer Auslegung gefragt haben, Steine statt Brot gegeben. Wir mußten in vielen Fällen sofort reagieren. Wir sind als Ausschuß gern bereit - dies ist in der Geschäftsordnung auch so fixiert -, unsere Arbeit dann dem Urteil des Plenums zu überlassen. Aber wir müssen in der Lage sein, schnell zu reagieren.
Ein wichtiger Teil, der uns in der Diskussion im Ausschuß lang beschäftigt hat, waren das Fragerecht und die Aktuelle Stunde; mit Recht, wenn man bedenkt, einen wie breiten- Raum diese Rechte für den Abgeordneten und die Fraktionen einnehmen. Da gab es besonders zwei Probleme, die wir alle nicht ignorieren können.
Das eine: Wie müssen Fragen gefaßt sein? Da gab es auf der einen Seite den Wunsch, die Fragen überhaupt keiner Beschränkung zu unterwerfen.
({0})
Das heißt, es hätte alles einbezogen werden können; jede Polemik hätte sich schon in der Fragestellung niederschlagen können. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen: Das hätte zu einer Verwilderung der Sitten geführt.
({1})
Wir haben nun versucht, durch unsere Formulierungen die Polemik in der Frage auszuschließen. Ich weiß natürlich, daß das für die Präsidenten, die jeweils damit befaßt sind, nicht ganz leicht ist.
({2})
- Der Freitag ist da ein kritischer Tag, auch für die Geschäftsführer der einzelnen Fraktionen. Aber dies ist notwendig.
Die zweite Problematik besteht darin, daß viele Kolleginnen und Kollegen es nicht als notwendig erachten, in der Fragestunde anwesend zu sein, obwohl sie Fragen gestellt haben. Ich bitte jeden, einmal darüber nachzudenken, was er in Bewegung setzt, wenn er hier eine Frage stellt Die Vertreter der Regierung haben uns das im Ausschuß sehr anschaulich geschildert, und über Stunden, manchmal sogar in die Nacht hinein, wird die Ministerialbürokratie damit beschäftigt, die Fragen, die wir stellen, zu beantworten. Ich meine, es ist einfach ein Akt der Höflichkeit, daß man, wenn man eine solche Frage gestellt hat, dann auch hier bei der Beantwortung anwesend ist
({3})
Es gibt Fälle, in denen das vielleicht nicht möglich ist, auch weil nicht immer vorhersehbar ist, wann die Beantwortung erfolgt Dann ist es nur eine kleine Mühe, dem Präsidium zu sagen: Ich werde nicht anwesend sein können, und ich bitte um schriftliche Beantwortung.. Ich meine, dann hat man das getan, was man aus Anstand und Höflichkeit tun sollte, und das Bild, daß das Plenum in diesen Fällen bietet, ist etwas besser. Ich glaube, wir würden uns allen damit einen großen Gefallen tun.
({4})
Die Überlegungen hinsichtlich Sanktionen gingen so weit, daß einzelne gesagt haben, man sollte denjenigen, die nicht anwesend sind, eine Geldbuße auferlegen, wie das bei unentschuldigter Abwesenheit geschieht. So weit wären manche von uns gern gegangen; aber wir haben dann davon Abstand genommen, weil wir schon die Proteste hörten. Wir haben jetzt den Weg gefunden, daß diese Fragen dann nicht schriftlich beantwortet werden, wenn die entsprechende Anmeldung nicht rechtzeitig erfolgt ist Auch das ging einigen Kolleginnen und Kollegen schon zu weit
Wir haben im Bereich der Aktuellen Stunde einen Schritt getan, den ich im Interesse des Parlamentarismus als richtig und notwendig erachte. Die Aktuelle Stunde ist jetzt nicht mehr an eine vorhergeSchulte ({5})
hende Frage geknüpft, sondern ein aktuelles Thema kann in der Aktuellen Stunde zu jeder Zeit behandelt werden.
({6})
Das macht das Parlament flexibler; das kommt natürlich den Wünschen der Opposition, aber nicht nur ihnen, entgegen. Ich meine sogar, in vielen Fällen sollten wir von diesem Institut der Aktuellen Stunde häufiger Gebrauch machen, weil dies mit Sicherheit zu einer Verlebendigung der Demokratie beiträgt.
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Wenn ich jetzt ein Wort über den beklagenswertesten Zustand unseres Parlaments sage - ich meine den Umstand, daß das Plenum, was das Wort eigentlich ausdrücken soll, selten voll ist -, dann will ich nicht alle die Entschuldigungen vorführen, die wir immer alle miteinander zur Hand haben, wenn uns Besuchergruppen hier aufsuchen und als erstes diese Frage stellen: Wie ist es überhaupt möglich, daß so wenige Abgeordnete im Parlament sitzen? Ich will nicht auf den Zustand verweisen, den das Parlament jetzt bietet Ich glaube nicht, daß für uns im Geschäftsordnungsausschuß auch nur irgendeine Möglichkeit gegeben wäre, diesen Zustand durch Geschäftsordnungsregeln zu ändern. Diese Frage muß in den Fraktionen diskutiert werden. Es hat dort Vorschläge gegeben. Ich möchte jede Fraktion herzlich ermutigen, diese noch einmal neu zu diskutieren. Letztlich ist es auch die Frage der Disziplin des einzelnen Abgeordneten.
Lassen Sie mich abschließend einen weiteren Gedanken anführen. Wenn dieser Raum nicht den Eindruck vermitteln würde, hier vorne hielte jemand hinter diesem Pult eine Vorlesung, und das übrige sei das Auditorium, sondern wenn dieser Raum als Plenarsaal anders gestaltet wäre - ich denke z. B. an die Form des Europarats in Straßburg oder an ähnliches -, so daß man unmittelbar zueinander spricht, einander begegnet, und wenn man auch Stühle hätte - was sehr profan klingt -, auf denen man vernünftig sitzen könnte, und Tische, an denen man auch hier im Saal arbeiten könnte,
({8})
dann wären sicher mehr Abgeordnete hier im Saal anzutreffen, als das jetzt der Fall ist.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ihnen jetzt diese Arbeit vorgelegt. Ich glaube, Reformen der Geschäftsordnung werden eine dauernde Aufgabe für ein Parlament sein, weil sich immer neue Situationen ergeben, die es angeraten erscheinen lassen, die eigenen Regeln erneut zu überdenken. Trotzdem bin ich der Meinung: Wenn wir heute zur Verabschiedung kommen, tun wir einen notwendigen Schritt. In der nächsten Legislaturperiode wird manche Zweifelsfrage ausgeräumt sein. - Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Ausschußvorsitzende hat gewissermaßen. im Konsens mit dem Ausschuß hier die Grundzüge der neuen Geschäftsordnung und die Entstehung der Geschäftsordnung, die in vielen Sitzungen vor sich ging, angesprochen. Er hat auch schon einige Einzelprobleme dargestellt, und ich will versuchen, aus meiner Sicht einige Aspekte hier zu ergänzen.
Ich mache zunächst darauf aufmerksam, daß wir in der Geschäftsordnung eine redaktionelle Änderung von grundlegender Art insofern vorgenommen haben, als wir im Text der Geschäftsordnung die Wiederholung des Wortlautes von Verfassungsbestimmungen vermieden haben und dafür an den entsprechenden Stellen, wo die Geschäftsordnung auf die Verfassung Bezug nimmt, den Verfassungstext abdrucken, ein Verfahren, das in der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtages schon immer so gehandhabt wird.
({0})
Weiterhin litt die Geschäftsordnung teilweise an einem Mangel: Durch die im Laufe der Jahre erfolgten Änderungen und Interpretationen haben sich an verschiedenen Stellen verschiedene Begriffe für zum Teil gleiche Sachverhalte eingeschlichen. Wir haben uns bemüht, die gleichen Begriffe durchgängig zu verwenden, also beispielsweise dort, wo es sich um eine Erklärung handelt, diesen Begriff auch durchgängig zu verwenden.
Der Herr Ausschußvorsitzende hat schon ein wichtiges Thema, das ja nicht nur den Geschäftsordnungsausschuß, sondern auch die Fraktionen lange beschäftigt hat, nämlich die Frage des „Benehmens" oder des „Einvernehmens" mit dem Haushaltsausschuß beim Haushalt, dargestellt. Ich verhehle nicht, daß der Geschäftsordnungsausschuß in seiner Mehrheit in dieser Frage an sich auf der Seite des Ältestenrates stand. Aber wir haben natürlich die besondere Funktion des Haushaltsausschusses anerkannt, um hier nicht einen unnötigen Konflikt heraufzubeschwören.
Es gab auch lange Diskussionen über die in den §§ 42 und 43 geregelte Frage der jederzeitigen Herbeirufung bzw. des Rederechts eines Mitglieds der Bundesregierung. Wir haben die Frage erörtert, ob hier auf die zuständigen Ressortminister abgehoben werden kann. An sich waren wir der Meinung, daß diese Frage auf Grund der engen Verfassungsbestimmung des Grundgesetzes wohl nicht regelbar ist. Wir gehen aber davon aus, daß dies auch in Zukunft auf die Ressortminister beschränkt bleibt. Dies ist eben nicht ganz abgrenzbar, weil im Einzelfall auch verschiedene Ressorts zuständig sein können.
Bei dieser Gelegenheit darf ich anmerken, daß Ihnen der Geschäftsordnungsausschuß nach den langen Beratungen jetzt zwar auch einen einstimmigen Beschluß vorlegt, daß wir aber keineswegs - der Ausschußvorsitzende hat das hier sehr vornehm dargestellt - von vornherein immer einer Meinung
waren, sondern um manche Bestimmungen doch sehr hart gestritten haben.
So hatten wir beispielsweise am Anfang dieser Legislaturperiode in unserer Fraktion einmal die Frage ventiliert, ob man nicht auch abgesehen von Wahlen geheime Abstimmungen im Bundestag durchführen könnte. Daß ein solcher Vorschlag bei der Koalition von vornherein überhaupt nicht auf Freundschaft gestoßen ist, liegt bei den Verhältnissen in diesem Parlament wohl auf der Hand. Meine sehr verehrten Damen und Herren, stellen Sie sich einmal vor, wir hätten in der letzten Woche geheim über den Nachtragshaushalt abgestimmt. Was wäre wohl dabei herausgekommen? Die SPD hat uns die Beratungen sehr kurz gemacht, indem sie erklärte: „Dies ist für uns eine essentiellle Frage; wenn Sie darauf bestehen, dann gibt es keine neue Geschäftsordnung." Da auch wir eine neue Geschäftsordnung wollten, haben wir das dann nicht mehr besonders vehement weiterverfolgt.
({1})
- Frau Kollegin Timm, ich bin nicht ganz sicher, ob das mit dem Bindestrich zwischen CDU und CSU zu solchen Problemen geführt hätte. Zur Zeit haben wir jedenfalls einen starken Bindestrich, keinen Schrägstrich.
Ich darf sagen, daß wir ergänzend auch eine Reihe von Regelungen - das ist schon dargestellt worden
- über die Ausschüsse eingefügt haben. Diese sind nicht bei allen Ausschußvorsitzenden auf hellen Jubel gestoßen. Ich meine, dies liegt auf der Hand; denn aus jeder Regelung, die wir schaffen, ergibt sich natürlich auch ein Eingriff - und das müssen wir sehen - in die Dispositionsfreiheit des Ausschußvorsitzenden. Da wir in der letzten Legislaturperiode aber auch Konfliktfälle zu behandeln hatten, waren wir einvernehmlich der Meinung, in die Möglichkeiten des Ausschußvorsitzenden und des Ausschusses nicht zu stark eingreifen, aber für den Konfliktfall doch Regelungen treffen zu sollen.
Wir haben uns auch kurz einmal über die Frage der Möglichkeit der Offentlichkeit von Ausschußsitzungen unterhalten. Die Enquete-Kommission hat sich ebenfalls zu dieser Frage geäußert. Es gibt ein Parlament in der Bundesrepublik Deutschland, den Bayerischen Landtag,
({2})
- Berlin auch; ich bedanke mich -, wo die Ausschüsse in der Regel öffentlich tagen, was der Arbeit der einzelnen Ausschüsse eine größere Publizität verschafft und - ich möchte dies nicht verhehlen - natürlich auch dem einzelnen Abgeordneten mehr Möglichkeiten zur Selbstdarstellung bietet, so daß der Drang zu diesem Pult dann nicht mehr allzugroß ist - weil dieses Bedürfnis schon anderweitig befriedigt werden kann.
Das Argument des Herrn Ausschußvorsitzenden, der von einer Atomisierung durch die Einsetzung von Unterausschüssen sprach, ist sicher ernst zu nehmen. Mich befriedigt allerdings die jederzeitige Auflösungsmöglichkeit eines Unterausschusses, der
nicht direkt auf Zeit eingesetzt ist, nicht ganz, weil sie - vielleicht wenn der Unterausschuß nicht ganz nach dem Willen der Mehrheit arbeitet - eventuell einer Manipulationsmöglichkeit Tür und Tor öffnet. Ich möchte hier appellieren, tatsächlich nur in sachlich begründeten Fällen von der Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung eines Unterausschusses Gebrauch zu machen.
Der Herr Kollege Dr. Miltner wird nachher noch zu der Frage der Berichterstatterbenennungen, die uns auch etwas beschäftigt hat, Stellung nehmen. Wir haben lange darüber beraten, ob wir es bei der bisherigen Regelung belassen sollten oder ob nur ein Berichterstatter benannt werden sollte. Ich meine, daß wir jetzt eine vernünftige Regelung für die Geschäftsordnung gefunden haben.
({3})
- Die ist möglicherweise wieder interpretationsbedürftig. Ich gebe das zu.
Im Ausschuß war auch die Frage, wie man wenigstens zu einer kleinen Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens kommen könnte, Gegenstand der Erörterungen. Wir haben hier eine Regelung gefunden, wonach in dritter Beratung bei Gesetzentwürfen Änderungsanträge nur noch bei solchen Bestimmungen möglich sein sollen, zu denen in zweiter Beratung Änderungen beschlossen wurden. Dies ist zwar nur ein kleiner Schritt, aber, ich meine, er ist ein vernünftiger erster Schritt.
Eine wesentliche Änderung ist bei Entschließungsanträgen in die Geschäftsordnung eingeführt worden. Ich betone, daß dies ein Wunsch gerade von unserer Seite war. Um in Zukunft zu vermeiden, daß vielleicht unliebsame Entschließungsanträge an die Ausschüsse verwiesen werden und dort durch Nichtaufruf eine Beerdigung fünfter Klasse erfahren, haben wir festgelegt, daß Entschließungsanträge einem Ausschuß nur dann überwiesen werden können, wenn die Antragsteller nicht widersprechen. Als kleines Korrektiv, um nicht eine Behandlung unvorbereitet am gleichen Tag durchführen zu müssen, haben wir allerdings festgelegt, daß dies dann auf den nächsten Tag verschoben werden kann. Die Sache bleibt aber jedenfalls auf der Tagesordnung des Plenums.
In der Offentlichkeit wurde die Frage der Änderung auch sehr stark unter dem Gesichtspunkt der Lebhaftigkeit der Parlamentsdebatten geführt. Der Kollege Schulte hat dazu schon einige Ausführungen gemacht. Hier wurde - auch in der Offentlichkeit - viel Schlaues und weniger Schlaues geschrieben und auch gesprochen im Laufe der Jahre.
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- Wie hier im Parlament auch. Ich bedanke mich. Natürlich.
Die Frage, wie die Plätze im Parlament angeordnet werden sollen, ist schon wichtig. Auch die Erörterung der Frage der Kürze oder Länge der Debatten dient vielleicht diesem Ziel.
Der § 35, der schon angesprochen wurde, ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluß für die
Parlamentsdebatte. Ob dies zu einer größeren Präsenz im Plenarsaal führt, wage ich füglich zu bezweifeln. Aber wir sollten auch einmal in der Offentlichkeit klarmachen, daß die gleichen Bürger, die sagen „Die sind nicht da, und wo sind sie denn', sich aber gerne dann an gleicher Stelle darüber beschweren, wenn ihre Briefe, die sie an die Abgeordneten schicken, nicht in drei oder vier Tagen beantwortet werden. Ich sage das in aller Klarheit, so wie ich das hier meine.
Wenn ein Mitglied der Bundesregierung im übrigen in den letzten Tagen - Sie haben gewiß die gestrigen Pressemeldungen gelesen - sich dazu geäußert hat, es werde zuviel debattiert, die Selbstdarstellung werde von den Abgeordneten übertrieben, dann kann ich dazu nur sagen: die Mitglieder der Bundesregierung sollten bei der Frage der Selbstdarstellung vielleicht dann mit gutem Beispiel vorangehen
({5})
und im eigenen Bereich das Verhältnis von Aufwand und Ertrag der Selbstdarstellung oder, weniger vornehm ausgedrückt, Propaganda überprüfen, statt über die Zeitung vor der Verabschiedung dem Parlament gute Ratschläge geben zu wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?
Gerne, ja.
Herr Kollege Bötsch, halten Sie es für angemessen, daß ein Mitglied der Bundesregierung, das nach der Verfassung ein jederzeitiges und nach unserer Interpretation unbegrenzt dauerndes Rederecht hat, hier dem Parlament Vorhaltungen macht, das die Redezeit für seine eigenen Abgeordneten sehr streng handhabt?
Ja, ich kann dies nur bestätigen. Vor allen Dingen möchte ich die Auffassung vertreten: ich kritisiere nicht, daß die Bundesregierung nicht vertreten ist; die Geschäftsordnung ist eine Sache des Parlaments. Aber wenn ein Mitglied der Bundesregierung am Tag vorher in der Zeitung Ratschläge erteilt, dann hätte er eigentlich heute wenigstens als Abgeordneter teilnehmen sollen.
({0})
Das ist meine Auffassung dazu. Er hätte von einem Platz im Parlament aus teilnehmen können. Das wäre zu erwarten gewesen.
Ich will noch einiges zu den Anlagen der Geschäftsordnung sagen, nicht zu der Frage der Änderung der Verhaltensregeln; das haben wir ja beim nächsten Tagesordnungspunkt. Ich greife die Richtlinien für die Fragestunden heraus. Daß es in der Vergangenheit zu nicht immer vernünftigen und in der Öffentlichkeit darstellbaren Verhaltensweisen gekommen ist, möchte ich nicht bestreiten, insbesondere wenn in der vergangenen Woche die Fragestunde am Freitag um 8 Uhr stattgefunden hat. Die Problemstellung ist einfach hier, einen Kompromiß zwischen den Notwendigkeiten eines geordneten Parlamentsbetriebs auf der einen Seite und der Tatsache zu finden, daß ich einen freien Parlamentarier nicht nach den Regeln einer Schulklasse reglementieren kann. Da müssen wir irgendwo einen Mittelweg finden. Ich verhehle nicht, daß ich persönlich für die bisherige Regelung -- ohne Änderung - gewesen wäre. Wir sind jetzt in der Situation, daß vor Beginn der Fragestunde die Anmeldung erfolgen muß, daß man nicht anwesend ist. Das ist natürlich im Einzelfall schwierig. Denn beim einen kommt der Fahrdienst nicht rechtzeitig, und der andere steckt in den Aufzügen des neuen Hochhauses fest. Man kennt das ja. Aber die jetzige Regelung ist noch vertretbar.
Die Änderung bei den schriftlichen Fragen - ich darf das ergänzen, was der Ausschußvorsitzende sagte - scheint mir vernünftig zu sein. In Zukunft sind die schriftlichen Fragen nicht mehr an die Sitzungswoche, sondern an die Monate des Jahres gebunden. Wir haben das zeitlich umgelegt und sind zu der Lösung gekommen, daß vier Fragen in jedem Monat, über das Jahr verteilt, gestellt werden können. Diese Form bietet die gleichen Möglichkeiten wie bisher. Von der Bundesregierung wurde uns überzeugend dargestellt, daß die Ballung der Fragen zu einer unheimlichen Hetze führt. Jetzt werden auch die schriftlichen Fragen nicht mehr geballt am Freitag oder am Donnerstag beantwortet, sondern innerhalb einer Woche nach Eingang beim Bundeskanzleramt. Ich glaube, dies führt zu einer Entzerrung in diesem Bereich.
Es wurde schon gesagt, daß uns die Frage der Aktuellen Stunde sehr ausführlich und lange beschäftigt hat, und ich verhehle nicht, daß wir als die derzeitige Opposition hier auf eine Neuregelung besonderen Wert gelegt haben. Wir sind ja vom Herrn Bundeskanzler persönlich indirekt darauf gestoßen worden, als er im letzten Jahr die Aktuelle Stunde in einem 33-Minuten-Beitrag denaturiert hat. Da hat sich gezeigt, daß dies vom Parlament insgesamt so nicht mehr hingenommen werden konnte. Wir haben lange diskutiert und viele Lösungsmöglichkeiten gewälzt. Ich meine, wir alle sind von dem Prinzip ausgegangen, daß die Waffengleichheit zwischen der Regierung und dem Parlament hergestellt werden muß. Dabei sind allerdings vom Grundgesetz her natürlich nur beschränkte Eingriffsmöglichkeiten gegeben, die Regierung an die Kandare zu nehmen. Ich meine, die nach vielen anderen Überlegungen, die angestellt wurden, gefundene Lösung ist vertretbar: daß dann, wenn ein Mitglied der Bundesregierung in der Aktuellen Stunde länger als zehn Minuten spricht, ein Übergang zur allgemeinen Debatte stattfindet.
Besonderen Wert habe ich darauf gelegt, daß man dann nicht in einzelnen Beiträgen von je 5 Minuten antworten muß. Ich habe das immer etwas scherzhaft begründet, und ich will es auch hier sagen: Es nützt nichts, wenn man dann nur mit Haschee-Beiträgen antwortet; man muß am Stück, im Filet, antworten können, weil nur dann der nötige Zusammenhang gegeben ist.
Sicherlich ist mit der neuen Geschäftsordnung nicht der ganz große Wurf gelungen. Ob das daran liegt, daß in der Offentlichkeit zu große Erwartungen gehegt wurden, aber auch von einzelnen Mitgliedern dieses Hauses außerhalb vielleicht zu große Erwartungen geweckt wurden, möchte ich nicht kommentieren. Aber in der Offentlichkeit wurden auch Fragen angesprochen, die mit der Geschäftsordnung nichts zu tun haben. So wurde z. B. in der letzten Woche in einem Kommentar einer großen Zeitung aus Süddeutschland die Frage der Aufstellung von Kandidaten für das Parlament angesprochen und bemängelt, daß der Geschäftsordnungsausschuß diese Frage nicht behandelt habe. Nun hat das Wahlrecht weiß Gott nichts mit der Geschäftsordnung zu tun. Das möchte ich doch noch angemerkt haben.
Es ist schon gesagt worden, daß die Ausschußarbeit - und das möchte ich am Ende auch betonen - die Mitglieder viel Zeit gekostet hat. Und wenn ich noch einen Ausblick machen darf: Der Geschäftsordnungsausschuß wird auch in der neuen Legislaturperiode nicht arbeitslos sein, wenn er sich der Probleme annimmt, die noch in der Gegend herumliegen. Sicher werden auch wieder Auslegungsfragen auf den Geschäftsordnungsausschuß zukommen. Auch wartet seit 1965 - da gab es dazu zum erstenmal einen gemeinsamen Antrag - immer noch die Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse. Als dauerndes stellvertretendes Mitglied des Abhörungsausschusses habe ich an eigenem Leibe erfahren, wie notwendig hier eine Regelung ist.
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- Natürlich ist es eine Frage des Beweises, ob man ihn einsetzt oder nicht.
({2})
- Das ist möglich. Es ist immer besser, man macht so etwas, wenn keiner da ist, weil man dann nicht den aktuellen Bezug hat, was in dem Falle sicher günstiger wäre.
Wir werden uns auch einmal grundsätzlich der Frage der Immunität der Mitglieder des Parlaments annehmen müssen. Wir werden uns darüber unterhalten müssen, ob sie nicht im Einzelfall zu einem Nachteil wird und wie das vielleicht praktischer gestaltet werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, auch namens unserer Fraktion, der Geschäftsordnung in der vorliegenden Form zuzustimmen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({3})
Als Berichterstatter hat jetzt der Abgeordnete Collet das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will hier in meiner Eigenschaft als Berichterstatter nur zu einer Frage eine Bemerkung machen, damit wir nicht in der gleichen Stunde, in der wir die Geschäftsordnung verabschieden, schon eine Novellierung vornehmen. In der Drucksache 8/4127 finden Sie unter § 18 Verhaltensregeln. Wenn Sie die nachgereichte Vorlage 8/4262 zur Hand nehmen, stellen Sie fest, daß wir dort den § 18 und die Verhaltensregeln wieder geändert haben. Dazu ist es gekommen, weil das Abgeordnetengesetz zur Beratung anstand und sich daraus durch die Beratungen im Rechtsausschuß für uns diese Änderung ergeben hat.
Ich stelle dem Herrn Präsidenten anheim, durch die Reihenfolge der Abstimmung - und zwar sollte über Drucksache 8/4262 abgestimmt werden -, zu verhindern, daß wir eine verabschiedete Geschäftsordnung gleich wieder ändern.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Schweitzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich begrüße es wie wir sicherlich alle hier, daß sich dieser unser Bundestag einmal wieder zu einer längeren Aussprache über seine eigenen Probleme zusammengefunden hat, wenngleich auch in der einmal wieder relativ kleinen Zahl. Es hat in der 8. Legislaturperiode darüber eine sehr ausführliche Debatte im Februar 1978 stattgefunden, die ich auch noch einmal nachgelesen habe. Ich selber hatte unter anderem in der 7. Legislaturperiode mehrfach angeregt, daß es das Parlament zu einer ständigen Praxis machen sollte, in Verbindung mit der Debatte über den Einzelplan 02, also den eigenen Etat, in längerer Rede und Gegenrede die eigenen Probleme zu diskutieren. Ich hoffe immer noch, daß das zu einer ständigen Praxis wird.
Wir sollten uns auch heute - das ist schon im Ältestenrat so vorgesehen - durchaus etwas Zeit nehmen, um einmal' wieder diese unsere eigenen Probleme zu diskutieren, auch wenn die Sitzung etwas länger dauern wird.
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- Ich darf - einmal in Klammern - daran erinnern, lieber Herr Kollege Lenz, daß das britische Parlament, obwohl natürlich ganz anders strukturiert, insgesamt doch weit mehr Plenarwochenstunden hinter sich bringt, als das mitunter bei uns geschieht, obwohl die da später anfangen.
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- Die Ausschußarbeit ist natürlich anders strukturiert. Das ist mir klar. Das meine ich auch.
Auch ich weiß die langjährige Arbeit des 1. Ausschusses dieses Hauses zu schätzen. Wir alle wissen, welche mühselige Kleinarbeit sich hinter dieser uns heute übermittelten Vorlage verbirgt. Wir alle begrüßen sicherlich die insgesamt erreichte Modernisierung einzelner Bestimmungen, die Straffung und bessere Übersichtlichkeit, weil auch bessere Systematik. Es wäre hier müßig, zu einzelnen Punkten noch lobend Stellung zu nehmen. Es gibt sehr viele
Punkte, die wir alle gleichermaßen begrüßen können. Ich könnte beispielhaft und stellvertretend für andere Bestimmungen etwa auf § 60 und folgende hinweisen. Auch ich sehe darin einen bedeutsamen Fortschritt angesichts mancher Vorkommnisse gerade in der letzten Legislaturperiode.
Mein sehr geschätzter Fraktionsfreund und Vorsitzender des 1. Ausschusses hat schon selber darauf hingewiesen, daß es sich um eine Reform der Geschäftsordnung handelt, die von der Natur der Sache her kein Jahrhundertwerk sein kann und niemals sein wird. Aber wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß eine Reform der Geschäftsordnung immer als ein Teil auch einer Parlamentsreform anzusehen ist. Wir sind uns alle sicherlich darin einig, daß eine Parlamentsreform sozusagen eine immerwährende Aufgabe ist. Ich plädiere nicht für eine permanente Revolution, sondern für eine permanente Evolution in diesem ganzen Bereich.
Ich möchte daher auch meinerseits diese Debatte erneut zum Anlaß nehmen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, um aus einer gewissen Beschäftigung mit der Materie in Theorie und Praxis einige meines Erachtens nach wie vor vordringlichen Reformwünsche erneut anzumelden.
Ich muß es wie andere Kolleginnen und Kollegen sicherlich ein wenig bedauern, daß es dem Deutschen Bundestag insgesamt - hier sind natürlich nun auch Innen- und Rechtsausschuß angesprochen - doch nicht gelungen ist, einige der wichtigen Reformvorschläge der Enquete-Kommission für Verfassungsreform, der ich selber auch die Ehre hatte eine Zeitlang anzugehören, noch in dieser Legislaturperiode in die Tat umzusetzen. Darüber ist auch im Februar 1978 debattiert worden, und seitdem wiederholt. Auf dieser Linie hätten noch weitere Änderungen der Geschäftsordnung vorgesehen werden können.. Es hätten sicherlich in dieser Legislaturperiode auch - deswegen sprach ich andere Ausschüsse an - noch Änderungen unter anderem des geltenden Bundeswahlgesetzes vorgenommen werden können.
Lassen Sie mich nun in gedrängter Kürze meinerseits noch einmal einige Reformwünsche präzisieren.
Erstens, und hier folge ich ganz den in letzter Zeit wieder öffentlich vorgetragenen Erläuterungen des langjährigen Vorsitzenden der Enquete-Kommission für Verfassungsreform, des Kollegen Schäfer. Wir sollten uns doch im Deutschen Bundestag noch einmal sehr ernsthaft überlegen, ob wir die Empfehlungen der Kommission zur Beratung von Gesetzentwürfen nicht endlich in die Tat umsetzen können. Ich erinnere daran: Wir hatten damals vorgeschlagen, daß drei Beratungen nur bei verfassungsändernden Gesetzen und beim Haushaltsgesetz sowie bei anderen Gesetzentwürfen auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Bundestages erfolgen sollten. Für die erste Beratung war eine allgemeine Aussprache als politische Richtliniengebung für die Sachberatung vorgesehen. Die Fraktionen sollten bei Vorlagen von erheblicher Bedeutung die allgemeine Aussprache durch schriftliche Stellungnahmen vorbereiten. Zwischen der ersten und zweiten Beratung sollte auf Verlangen eine gemeinsame Sitzung des federführenden und mitberatenden Ausschusses in Form einer sogenannten erweiterten Ausschußberatung in öffentlicher Sitzung stattfinden. Der Präsident sollte von Amts wegen am Schluß der zweiten Beratung die Beschlußfähigkeit des Hauses feststellen.
Ich glaube nach wie vor, daß die Verwirklichung eines solchen Reformvorschlages u. a. das auch vom Herrn Vorsitzenden des 1. Ausschusses angesprochene und uns allen immer wieder bewußte Problem einer Lösung näherbrächte: Ich meine die uns alle ja immer wieder beschäftigende leidige Präsenzfrage. Ich sehe - anders als der Vorsitzende des Ausschusses in seinem Bericht - in solchen weiteren Reformen zumindest eine Möglichkeit, hier vom Parlament insgesamt für weitere Abhilfe zu sorgen. Ich stimme Ihnen, Herr Kollege Schulte, aber natürlich insofern zu, als die Frage der Präsenz, insgesamt gesehen, unser aller Selbstverständnis und Selbstdisziplin berührt.
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- Der Saal ist ja auch vorher nicht sehr voll gewesen, lieber Herr Kollege. Wir sollten uns, glaube ich, einmal ernsthaft mit diesen Dingen beschäftigen. Sie wissen genausogut wie ich, daß diese Frage in der Offentlichkeit stark diskutiert wird. Uns allen sollte dies also ein Anliegen sein.
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- Das ist ein ganz anderes Problem.
Ich glaube meinerseits, daß es durchaus erwägenswert wäre, in irgendeiner Form eine Bestimmung in der Geschäftsordnung aufzunehmen - im Augenblick ist eine solche Regelung immer dem Ältestenrat anheimgestellt -, daß Ausschüsse grundsätzlich nicht parallel zu Plenarsitzungen - mit Ausnahme des Haushaltsausschusses - tagen dürfen. Eine Sitzung parallel zum Plenum hat in dem Ausschuß, in dem ich mitarbeite, heute vormittag auch wieder stattgefunden. Ich erwähne dies nur, weil wir uns alle gemeinsam - unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit - weiter Gedanken über dieses Problem machen sollten.
Ich begrüße es, daß in diesem Zusammenhang der Ablauf der Fragestunden neu geregelt worden ist. Ich halte es für eine sehr wichtige kleine Reform der Geschäftsordnung, daß Fragesteller, die nicht anwesend sind und sich nicht vorher entschuldigt haben, sozusagen von der Liste gestrichen werden.
Ein zweites Problem, das uns immer beschäftigt hat und uns immer wieder beschäftigen wird - dazu haben auch die Vorredner schon Stellung genommen -, betrifft die Redezeit. Theoretisch ist es natürlich jederzeit - auch nach der derzeitigen neuen Fassung des § 35 - möglich, neue Redezeitvereinbarungen zu treffen, wie dies ja auch in dieser Legislaturperiode ausprobiert worden ist. Ich plädiere auf Grund der Erfahrungen aus der vorigen Periode immer noch dafür, daß eine Redezeit von fünf Minuten
ohne Rundensystem und Begrenzung anvisiert werden sollte, um den einzelnen Abgeordneten eine bessere Möglichkeit zu eröffnen, ohne vorherige fraktionsinterne Vereinbarungen sozusagen spontan zu einem Sachgegenstand Stellung zu nehmen und, wie es der Herr Vorsitzende des Ausschusses ja auch gesagt hat, die parlamentarische Arbeit hier in Rede und Gegenrede weiter voranzubringen. Es ist sehr schwierig, solche Fragen im einzelnen zu regeln. Ich bin aber sicher, daß wir hier nach wie vor nach weiteren Möglichkeiten der Reform suchen müssen.
Zum dritten meine ich - andere Kolleginnen und Kollegen meinen dies auch -, daß wir uns ernsthaft Gedanken über die Begrenzung der Redezeit für die Mitglieder des Bundesrates machen sollten. Wir haben es hier oft genug erlebt, daß gerade auch Mitglieder des Bundesrates den Abgeordneten des Hohen Hauses ihre Redezeit gewissermaßen wegnehmen und so einschränkend wirken.
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- Das ist ein ganz anderer Punkt, auf den ich gleich zu sprechen kommen will, Herr Kollege. Das hat auch gar nichts mit Parteipolitik und damit zu tun, daß der Bundesrat jetzt eine bestimmte Zusammensetzung und Mehrheit hat.
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- Ja, das ist in der Tat eine Frage zunächst des Grundgesetzes, im Blick auf das wir Überlegungen anstellen müssen. Deswegen spreche ich sie hier ja an. In der entsprechenden Bestimmung des Grundgesetzes, die dann einen Niederschlag in den Regelungen der Geschäftsordnungen gefunden hat, sehe ich ein überholtes Überbleibsel Bismarckscher Verfassungsvorstellungen. Für Bismarck und sozusagen andere Reichsgründer - daher kommt ja diese Vorstellung - waren die Vertreter des entsprechenden Gremiums „Vertreter der verbündeten Regierungen". Die Vertreter des Bundesrates sind heute aber nicht Vertreter verbündeter Regierungen, Vertreter von Exekutiven, sondern ausschließlich Vertreter des Legislativorgans „Bundesrat". Insofern sollten wir uns ernsthaft bemühen, hier auf dem Wege einer Änderung sowohl des Grundgesetzes wie der Geschäftsordnung für Abhilfe zu sorgen. Ich darf uns alle daran erinnern, daß wir als Vertreter des Legislativorgans Bundestag unsererseits schließlich auch kein Rederecht im Bundesrat haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lenz?
Bitte.
Herr Kollege Schweitzer, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß die Länge der Reden, die von den Mitgliedern des Bundestages und der Bundesregierung hier gehalten werden, eine erheblich größere Einschränkung der Redemöglichkeit der anderen Mitglieder des
Hauses ist als die gelegentlichen Wortmeldungen von seiten des Bundesrates?
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Dem stimme ich nicht zu, lieber Herr Kollege Lenz. Wir haben auch in diesem Hause immer wieder solche zu langen Reden erlebt; das ist richtig. Grundsätzlich kann ich dem aber nicht zustimmen, weil Ihre Frage an dem Kern des Problems vorbeigeht. Wir müssen uns tatsächlich überlegen, ob die Mitglieder des Bundesrats als Vertreter eines Legislativorgans hier überhaupt jederzeit Rederecht haben sollen.
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Das ist ja auch schon öfter von anderen Kollegen angesprochen worden, lieber Herr Kollege Jäger. Ich erinnere etwa an Ausführungen des Kollegen Arndt.
Viertens. Ich persönlich bedaure es ein wenig, daß der alte § 22 der Geschäftsordnung ersatzlos gestrichen worden ist. Die Neuregelung des § 18 ist ja in diesem Sinne kein Ersatz, obwohl man diese Formulierung natürlich später einmal als Generalklausel für neue und andere Verhaltensregeln für Mitglieder des Hohen Hauses anwenden könnte. Ich bin der Sache noch einmal nachgegangen. Sie werden alle wissen, daß es der Kollege Ewers von der DP war, der sich seinerzeit am 7. Juli 1951 mit diesem Problem beschäftigt hat. Wir sollten keine Scheu haben - im Sinne von standesorganisatorischen Vorstellungen, möchte ich beinahe sagen; ich denke an Rechtsanwälte oder Ärzte -, doch noch einmal zu überlegen, ob wir nicht etwas gemäß den ursprünglichen Intentionen der Geschäftsordnung tun sollten. Schließlich sind wir durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil und die Neuregelung der Diäten in ein ganz bestimmtes, neu definiertes Verhältnis zu diesem Staate getreten.
Ich bin mir natürlich bewußt, daß der Verwirklichung dieses Vorschlages grundsätzliche verfassungsrechtliche Probleme nicht gerade entgegenstehen, aber im Zusammenhang damit doch aufgeworfen werden. Ich denke insbesondere an Art. 38 des Grundgesetzes. Ich bin mir natürlich auch der Tatsache bewußt, daß letztlich nur der Bundesgesetzgeber im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren - also nicht durch eine Reform der Geschäftsordnung - Pflichten und Sanktionen gegenüber Mitgliedern des Bundestages einführen könnte, die den Abgeordneten in seiner verfassungsmäßig verankerten Rechtsstellung tangieren. Insofern könnte eine Ehrenordnung im Sinne des alten § 22 der Geschäftsordnung gewissermaßen nur eine moralisch verpflichtende Handlungsweise der Abgeordneten stipulieren.
({1})
- Ja, ein an jeden einzelnen Abgeordneten gerichteter - ich darf es einmal so formulieren - kategorischer Imperativ, der den Volksvertreter an allgemein anerkannte parlamentarisch-demokratische
Wertvorstellungen und Spielregeln zu binden suchen würde.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bötsch?
Bitte schön.
Haben Sie bei Ihren jetzigen Ausführungen berücksichtigt, daß wir unter dem nächsten Tagesordnungspunkt genau diese durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgeworfene Frage in Gesetzesform gießen wollen?
Das habe ich, Herr Kollege. Aber das, was wir unter dem nächsten Tagesordnungspunkt behandeln, trifft natürlich nicht das, was ich mit einer Neueinführung des § 22 - wie auch immer numeriert - eigentlich erreichen will. Ein gewisser Zusammenhang besteht allerdings; darin folge ich Ihnen. Wir können das nachher vielleicht noch einmal durch Frage und Zwischenfrage klären.
Ich möchte zum Schluß kommen. Da ein Verhaltenskodex in Form eines Kataloges, der bestimmte Verhaltensweisen als mit dem Ansehen eines Bundestagsabgeordneten für unvereinbar erklärt, sicherlich nicht konsensfähig wäre, bestünde meines Erachtens nur die Möglichkeit, eine für das inner-und außerparlamentarische Verhalten der Volksvertreter moralisch verpflichtende Generalklausel in die Geschäftsordnung aufzunehmen, die nach meinem Dafürhalten etwa formuliert werden könnte: „Der Abgeordnete hat sich innerhalb und außerhalb des Parlaments so zu verhalten, daß er sich der Achtung und des Vertrauens würdig erweist, die das ihm anvertraute Amt von ihm erfordert."
({0})
Fünftens will ich nur am Rande noch einmal auf das hinweisen, was der langjährige Vorsitzende der Enquete-Kommission und auch der Vorsitzende meiner Fraktion schon mehrfach ausgeführt haben
- und das geht ja auch auf Vorschläge der EnqueteKommission zurück -: Wir sollten, glaube ich, durch eine Änderung des Wahlrechts noch stärkere Vorkehrungen für die tatsächliche Einführung der Briefwahl bei der Aufstellung von Kandidaten treffen.
({1})
- Das gehört zu unserer Sache, lieber Herr Kollege!
- Insbesondere sollten wir auch noch den Vorschlag der Enquete-Kommission aufnehmen, durch eine Änderung des Bundeswahlgesetzes sogenannte begrenzt-offene Listen à la Bayern einzuführen, um den Bürgern mehr Einflußmöglichkeiten zu sichern.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin nun am Ende meiner Notizen angelangt. Weil neben dem amtierenden Präsidenten auch der Herr Bundestagspräsident anwesend ist, möchte ich abschließend nur noch sagen: Wir alle sollten, glaube ich, die begrüßenswerte Anregung aufgreifen, die er seinerzeit in einer Veranstaltung unserer Vereinigung für Parlamentsfragen gegeben hat, die Anregung nämlich, eine Enquete-Kommission Parlamentsreform ins Leben zu rufen. Mein Wunsch an dieses Haus am Ende dieser Legislaturperiode wäre, daß wir diesen Vorschlag des Bundestagspräsidenten Stücklen, den auch andere vorher und nachher gemacht haben, aufgreifen, denn ich sage noch einmal: Geschäftsordnungsreformen sind Teil einer umfassenden Parlamentsreform. Parlamentsreform ist eine ständige Aufgabe. Nur so können wir der Stärkung des Gedankens der parlamentarischen Demokratie in diesem unserem Lande dienen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, obwohl ich sicherlich einige von Ihnen von anderen Geschäften abgehalten habe.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur ein paar kurze Bemerkungen zur Fragestunde. In den Fraktionen ist darüber diskutiert worden, wie denn in Zukunft die Fragestunde möglicherweise lebendiger gestaltet werden kann. Es ist auch darüber diskutiert worden, ob die Fragestunde nicht zu sehr durch das, was wir in der Geschäftsordnung festlegen, und durch das, was in den Fraktionen, bezogen auf die jeweils zuständigen Geschäftsführer, festgelegt worden ist, eingeengt wird. Ich möchte dazu auf zwei Punkte eingehen.
Erstens. Wir haben uns nach sehr eingehenden Beratungen darauf verständigt, daß die Fragen keine unsachlichen Feststellungen oder Wertungen enthalten sollen. Wir haben das getan, weil wir meinen, daß die Fragestunde inhaltlich so gestaltet sein soll, daß Fragen zu konkreten Sachverhalten an die Regierung gestellt werden können, und daß das nicht eine Polemikstunde, sondern eine Fragestunde ist. Deswegen diese Festlegung in Abschnitt I 1 der Richtlinien für die Fragestunde.
Zweitens. Wir haben uns darüber unterhalten, ob es zumutbar ist, daß so viele Fragesteller dann, wenn ihre mündlichen Fragen aufgerufen werden, im Plenum nicht anwesend sind, und ob man der Regierung und ihrem Apparat zumuten kann, daß sehr viel Arbeit in die Vorbereitung dieser Antworten auf die gestellten Fragen investiert wird. Deswegen sind wir dazu gekommen, festzulegen, daß dann, wenn bis zum Beginn der Fragestunde jemand, der eine mündliche Frage gestellt hat, in dem Fall, daß er verhindert ist, dennoch nicht darum bittet, daß sie schriftlich beantwortet wird, diese Frage überhaupt nicht beantwortet wird.
Dazu möchte ich noch zwei Anmerkungen machen. Wir haben uns der Mühe unterzogen, einmal festzustellen, wie viele Fragen in dieser Wahlpe18278
Becker ({0})
riode eingereicht worden sind. Dazu ist folgendes zu sagen. Bis Ende Mai wurden eingereicht: von der Fraktion der SPD 2 557 mündliche Fragen und 3 938 schriftliche Fragen, insgesamt 6 495 Fragen; von der FDP-Fraktion 318 mündliche Fragen und 887 schriftliche Fragen, insgesamt 1 205 Fragen; von der CDU/ CSU-Fraktion 4 969 mündliche Fragen und 8 521 schriftliche Fragen, insgesamt 13 490 Fragen. Das heißt, in dieser Wahlperiode sind bisher 21 190 schriftliche und mündliche Fragen eingereicht worden. Dies bedeutet, umgesetzt, natürlich auch immer Tätigkeit der Regierung, Tätigkeit der Bürokratie in Beantwortung dieser Fragen.
Zu meiner Bemerkung, ob es unzumutbar ist, daß man einen Regierungsapparat beschäftigt, wenn man selbst nicht im Plenum anwesend ist, obwohl man eine Mündliche Frage gestellt hat, möchte ich auch dieses noch kurz sagen: Schriftlich beantwortet wurden in diesem Zeitraum wegen Abwesenheit des Fragestellers 11 % der Fragen der SPD-Fraktion, das sind rund 300 Fragen. Bei der FDP-Fraktion waren es 27,3 % der Fragen, d. h. rund 100 von 318 Fragen, und bei der CDU/CSU-Fraktion 7,5 %, bezogen auf die insgesamt eingereichten Fragen, also rund 700 Fragen.
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- Nein, hier zeichnet sich natürlich sowohl die Fraktionsstärke ab wie auch das Recht der Oppositionsfraktion und das Recht der Regierungsfraktionen.
Insgesamt möchte ich feststellen, daß angesichts dieser Verhältnisse unsere Bestimmung, daß der Fragesteller in Zukunft hier anwesend sein oder sich entschuldigen soll, berechtigt ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jung?
Herr Kollege Becker, würden Sie aber einräumen, daß eine schriftlich gestellte Frage mit dem Vermerk „mit schriftlicher Beantwortung einverstanden" für die Verwaltung sehr viel weniger Aufwand bedeutet und gleichzeitig für den Abgeordneten den Effekt hat, daß er z. B. die Antwort auf eine regional bezogene Frage dann auch in seinem Wahlkreis verwenden kann, ohne hier präsent sein zu müssen?
Herr Kollege Jung, wir sind da überhaupt nicht auseinander. Die Zahlen, die ich jetzt vorgetragen habe, beziehen sich nur auf die Fälle, wo derjenige, der eine Mündliche Frage gestellt hat, bei deren Aufruf nicht anwesend war und vorher auch nicht darum gebeten hat, sie schriftlich zu beantworten. Dies müssen wir ändern. Es ist absolut kein Vorwurf gegen Sie. Es ist selbstverständlich bei einer kleinen Fraktion noch viel schwieriger, bei dem schnellen Wechsel in der Beantwortung hier immer präsent zu sein. Manchmal führt der Ausfall ganzer Sachgebiete dazu, daß man zeitlich überhaupt nicht kalkulieren kann.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Jung?
Bitte.
Herr Kollege Becker, bedeutet das, daß in dieser Ihrer Aufstellung die Fragen, die schon bei Einreichung mit dem Zusatz „mit schriftlicher Beantwortung einverstanden" versehen sind, nicht enthalten sind?
Die sind nicht enthalten.
Wenn ich zu diesem Thema der schriftlichen Beantwortung noch Stellung nehmen soll, dann gleich dazu folgende Zahlen: Bei der SPD-Fraktion sind von den zur mündlichen Beantwortung eingereichten Fragen vor Erteilung der Antwort 21,3 % mit dem Vermerk „mit schriftlicher Beantwortung einverstanden" versehen worden, bei der FDP-Fraktion 19,8 % und bei der' CDU/CSU-Fraktion 19,5 %. Hier ist ein ziemlicher Gleichlauf festzustellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wollte mit diesen Bemerkungen nur noch einmal deutlich machen, daß wir uns im Geschäftsordnungsausschuß sehr genau Gedanken darüber gemacht haben, wie wir künftig rationell und im Sinne dessen, was Fragestunden sein sollen, im Parlament verfahren können. Ich hoffe, wir haben dazu einen positiven Beitrag geleistet. - Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miltner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hat von Anfang an konstruktiv an der neuen Geschäftsordnung mitgewirkt, natürlich in der Erkenntnis, daß parlamentarisches Leben nur möglich ist, wenn der gemeinsame Wille zum Zusammenwirken besteht. Bei der Neufassung der Geschäftsordnung stand also immer das Bemühen vor uns, die Funktionen des Parlaments zu verbessern, effektiver zu gestalten, das Parlament als Diskussionsforum, als Gesetzgebungsorgan und als Kontrollorgan zu stärken, darüber hinaus natürlich auch die Rechte der Abgeordneten.
Meine Damen und Herren, als der Vorsitzende vorhin in seiner Rede den Werdegang der Geschäftsordnung schilderte, ist er auch auf die schwierigen und langwierigen Beratungen eingegangen. Ich möchte im Namen der CDU/CSU-Fraktion dem Vorsitzenden des Ausschusses für seine Arbeit danken.
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Sie haben, Herr Kollege Schulte, die sicher nicht einfachen Beratungen als ein echter Moderator geleitet und immer versucht und verstanden, die gegensätzlichen Auffassungen wieder auf einen Nenner und zu einem Ergebnis zu bringen. Aber ich glaube, es schmälert die Anerkennung Ihrer Verhandlungsleitung nicht, wenn ich auch noch darauf hinweise, daß uns die Geschäftsführer zur Seite gestanden haben, wenn wir uns einmal im Ausschuß festgebissen hatten. So möchte ich auch unseren GeDr. Miltner
schäftsführern für ihre Mitwirkung herzlich danken.
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Mehrfach ist bereits darauf hingewiesen worden, wie lange der Geschäftsordnungsausschuß an dieser Neufassung gearbeitet hat, wieviel Vorarbeiten notwendig waren, um heute zu dem Ergebnis zu kommen - und das Ergebnis ist erfreulich -, daß wir fast in allen Punkten eine einstimmige Beschlußempfehlung vorlegen können. Fast wäre ich geneigt zu sagen, der Bundestag sollte sich nicht nur mit den Regeln, die ihn selber betreffen, so viel Mühe machen, sondern die gleiche Mühe auch bei Gesetzen aufwenden, die vorn Staatsbürger zu beachten sind.
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Möglicherweise wäre als erwünschter Nebenerfolg zu verzeichnen, daß wir in Zukunft mit weniger, aber dafür gründlicher beratenen Gesetzen den gleichen Zweck erfüllen können. Ich bin mir natürlich bewußt, daß diese Frage den Rahmen einer Geschäftsordnungsreform übersteigt, meine aber doch darauf hinweisen zu sollen, daß sich der nächste Bundestag im Rahmen der Diskussion über die Parlamentsreform dieser Mühe unterziehen sollte.
Wenn wir also heute eine Neufassung der Geschäftsordnung für den Deutschen Bundestag vorlegen, so stellen wir damit dem kommenden Bundestag ein handliches Werkzeug zur Erledigung seiner Aufgaben zur Verfügung. Wenn wir im Gegensatz zum amerikanischen Parlament viele Regeln ausdrücklich in die geschriebene Geschäftsordnung übernommen haben, so soll damit für alle Mitglieder dieses Hauses nachprüfbar gemacht werden, was für Rechte und Pflichten der einzelne hat. Die häufige Berufung auf frühere Präzedenzfälle, die nur wenigen bekannt sind und bekannt sein können, soll damit überflüssig gemacht werden; nicht zuletzt auch deshalb, weil geschriebenes Recht häufiger und leichter zu ändern ist als etwa ungeschriebene Bräuche und Gewohnheiten.
Wir haben uns bemüht, die Geschäftsordnung systematisch zu gliedern, und ich bin der Meinung, daß diese systematische Neugliederung eine Ubersicht und eine Klarheit gebracht hat, die für den einzelnen Abgeordneten von Vorteil sein dürften.
Lassen Sie mich kurz auf den § 35 eingehen. Sie wissen, daß wir uns sehr und lange bemüht haben, um eine Lösung für die Rededauer und die Ausgestaltung der Aussprache zu finden. Dabei wird es allerdings darauf ankommen, ob im nächsten Bundestag von den beschlossenen Aussprachetypen, die der Ältestenrat vorgeschlagen hat, richtig Gebrauch gemacht wird. Je nachdem wird sich eine lebhaftere Gestaltung der Parlamentsdebatten ergeben.
Herr Kollege Bötsch ist vorhin bereits auf die Aktuelle Stunde eingegangen. Ich möchte nur noch einmal betonen, daß wir daran festhalten, daß die Aktuelle Stunde ihres Wesens beraubt wird, wenn von seiten eines Redeprivilegierten eine längere Redezeit in Anspruch genommen wird, als sie den Mitgliedern dieses Hauses zusteht. Wie Sie wissen, haben wir versucht, dafür in die Geschäftsordnung eine Sanktion einzubauen. Diese Sanktion sieht jetzt vor, daß dann, wenn ein Mitglied der Bundesregierung oder des Bundesrates länger als zehn Minuten spricht, der § 44 Abs. 3 zur Anwendung kommt. Das bedeutet, daß in diesem Falle auf Verlangen einer Fraktion eine normale Aussprache stattfinden muß.
Die vorhin angeführte Begrenzung der Redezeit für Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrates kann ja nur durch eine Grundgesetzänderung eingeführt werden. Dieses Kapitel haben wir natürlich nicht in der Geschäftsordnungsreform aufgreifen können.
Ob sich im übrigen die vorgesehene Rederegelung während der Aktuellen Stunde bewähren wird, wird nicht zuletzt davon abhängen, in welcher Weise wir von diesem Instrument Gebrauch machen.
Lassen Sie mich dann noch auf einen wunden Punkt, auf einen umstrittenen Punkt bei der Beratung eingehen, nämlich auf die Frage der Zahl der Berichterstatter. Ich möchte ganz klar feststellen, daß es uns darauf ankommt, einen objektiven Bericht durch die Berichterstatter erstellen zu lassen. Wenn sich unsere Fraktion für die jetzt vorgeschlagene Lösung ausgesprochen hat, wonach vorbehaltlich der Entscheidung des Ausschusses der Vorsitzende einen oder mehrere Berichterstatter für eine Vorlage bestimmen kann, so nicht deshalb, weil wir der Meinung wären, die aus den verschiedenen politischen Lagern kommenden Berichterstatter sollten versuchen, ihre Parteimeinung im schriftlichen Bericht unterzubringen, sondern weil wir meinen, daß durch mehrere Berichterstatter der Bericht vielleicht sogar objektiver abgegeben werden muß. Wir wollen also einen objektiven Bericht, in dem auch die im Ausschuß unterlegene Auffassung ohne eine abwertende Bemerkung, ohne abwertende Attribute gewürdigt wird. Wenn wir uns über diese Grundsatzfrage geeinigt haben, haben wir auch dem Selbstverständnis des Parlaments gedient.
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu den Vorschriften über Ausschüsse sagen. Wir begrüßen es, daß in dem Kapitel Ausschüsse konkretere Regelungen für die Arbeit der Ausschüsse aufgenommen worden sind. Diese Regelungen sollten aber natürlich nicht den Sinn haben, die Ausschüsse an die Kandare zu nehmen, sondern ihnen nur eine Hilfestellung zu geben, wenn es im Ausschuß zum Streit kommt.
In diesem Zusammenhang begrüßt meine Fraktion auch die Änderung des Begriffspaares „beraten" und „befasssen" in § 60 Abs. 2 der Geschäftsordnung. Was wollen wir damit bezwecken? Durch diese Klarstellung wird verdeutlicht, daß die Ausschüsse nur bei ihnen überwiesenen Gegenständen die Möglichkeit haben, Beschlüsse mit Außenwirkung zu fassen. Die Beschränkung auf das Befassungsrecht folgt aus der Ein- und Zuordnung der Ausschüsse als internes Hilfsorgan des Bundestages.
Mit dieser Verdeutlichung der Aufgabenstellung der Ausschüsse soll auch dem entgegengewirkt werden, was in der politischen Wissenschaft als Mitregierung und Mitregieren der Ausschüsse bezeichnet worden ist. Hier wird nach meiner Auffassung deutlich, daß der Unterschied zwischen Kontrolle und Aufsicht nicht mehr in ausreichender Deutlichkeit gesehen worden ist. Wer Aufsicht hat, muß die Verantwortung für das Tun seiner Untergebenen übernehmen und auch notfalls die Entscheidung an sich ziehen können. Demgegenüber bedeutet Kontrollbefugnis das Recht des einen und die Entscheidungsfreiheit und Rechenschaftspflicht des anderen.
Wenn wir also auf die Trennung dieser Begriffe besondere Bedeutung legen, so deshalb, weil wir der Auffassung sind, daß die Regierung dem Parlament gegenüber verantwortlich ist und nicht durch fragwürdige Kooperation zwischen Ressort und Fachausschuß die Verantwortlichkeit unter Umgehung des Parlamentes verwischt werden darf.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die neue Geschäftsordnung kann nur in einem bescheidenen Maße dazu beitragen, den Stellenwert des Parlaments in unserer repräsentativen Demokratie positiv zu beeinflussen. Die verschiedenen Neuerungen in der Geschäftsordnung dienen diesem Ziel.
Unser Bestreben war, eine lebendige Auseinandersetzung im Plenum zu begünstigen. Es war weiter unser Bestreben, dem Parlament die Möglichkeit zu verschaffen, stärker zum wichtigsten Umschlagplatz von Ideen zu werden. Wir mußten auch anstreben, daß das Parlament angesichts der leistungsbewußten und arbeitsteiligen Welt zu möglichst raschen und sachgerechten Entscheidungen kommt Sehr oft wird ja heute gefragt, ob das Parlament in unserer Industriegesellschaft, innerhalb des komplizierten Lebensorganismus in Staat und Gesellschaft, überhaupt in der Lage ist, seine ihm zugedachte und zugewiesene Aufgabe zu erfüllen. Das Parlament kann heute nicht mehr nach den Vorstellungen etwa des 19. oder beginnenden 20. Jahrhunderts arbeiten. Die Bewertung der Funktionen des Parlaments, letztlich die Qualität des Parlaments, muß innerhalb der repräsentativen Demokratie und damit auch innerhalb des Rahmens unserer Verfassung den veränderten Lebensgrundlagen angepaßt werden. Das zeigt auch ganz deutlich, in welchem Maße das Parlament heute auf Experten und Sachverständige angewiesen ist und diese Sachverständigen immer wieder in zahlreichen Hearings gehört werden, womit sie zur Entscheidungsfindung beitragen.
Bei der Kompliziertheit der Sachverhalte geht es uns aber auch darum, daß der Bundestag das Forum ist und bleibt, wo die politische Auseinandersetzung für den Bürger sichtbar und verständlich stattfindet Wenn die Rechte der Opposition in einigen Punkten verbessert worden sind, dann geht dies auch auf die Erkenntnis zurück, daß die Gewaltentrennung zwischen Mehrheitsparteien und Regierung einerseits und Oppositionsparteien andererseits verläuft.
Wir müssen uns bewußt sein, daß mit der Neufassung der Geschäftsordnung neben der geschriebenen Verfassung ein Stück Verfassungswirklichkeit
ausgestaltet wird. Die Geschäftsordnung ist Ausdruck der ungeschriebenen Verfassungsnorm, daß eben Parlamentarismus nur möglich ist, wenn die Mitglieder des Parlaments, wenn das Parlament insgesamt und die anderen Verfassungsorgane den Willen und die Bereitschaft haben, nach bestimmten parlamentarischen Regeln zusammenzuwirken.
Ich glaube, mit der Neufassung der Geschäftsordnung ist uns ein Konsens gelungen. Ich glaube auch sagen zu können: Dieser Konsens wird dazu beitragen, die Zukunft unseres Parlaments zu sichern.
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Das Wort hat der Abgeordnete Collet
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir die Feststellung, daß dies heute für mich ein Festtag ist Warum? Seit wir in der zweiten Hälfte der 5. Legislaturperiode hier tatsächliche Parlamentsreformen miteinander betrieben hatten, hatten wir uns vorgenommen, auch die Geschäftsordnung zu novellieren und den damaligen Beschlüssen anzupassen. Dann haben wir in der 6. Legislaturperiode noch einmal einen reformerischen Schritt getan, indem wir durch Änderung des Grundgesetzes die Aufgaben des Petitionsausschusses erweitert haben. Seither quälen wir uns über Jahre hinweg mit der Frage: Wie können wir endlich auch die Geschäftsordnung den damals eingeleiteten Initiativen anpassen? - Deswegen bitte ich, auch wenn das ein bißchen leger klang, um Verständnis für diese meine einleitend getroffene Feststellung.
Seit Mitte der 6. Legislaturperiode haben wir uns verstärkt bemüht, diese Änderung herbeizuführen, und zwar unter wechselnden Vorsitzenden. Wir haben uns - das wurde hier schon vorgetragen - in Klausurtagungen und bei anderen Wochenendanlässen immer wieder damit beschäftigt und mußten feststellen, daß Gesetze, die für die Gesamtbevölkerung sind, selbstverständlich wichtiger sind, und daß unsere Arbeit am Ende der Legislaturperiode wieder reif war für den Papierkorb.
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Wir hatten zwar nach der Wahl zum 8. Deutschen Bundestag mehrere Wochen Zeit, bis der neu gewählte Bundestag amtieren konnte und wir waren auch fast dabei, die Geschäftsordnung zu verabschieden. Aber dann kamen die Beschlüsse von Kreuth, und es war natürlich zweifelhaft für die CDU/CSU-Fraktion, ob die Geschäftsordnung jetzt nicht doch neu überlegt werden müsse, ob sich daraus nicht andere Folgerungen ergäben.
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- Nein, nein; nicht von mir, Herr Kollege Reddemann, nicht jetzt und nicht bei diesem Anlaß.
Ich wollte hier nur darstellen, daß Dinge, die eigentlich auch wichtig sind, immer wieder anderen Notwendigkeiten zum Opfer gefallen sind. Deshalb ist tatsächlich für mich heute unabhängig von der
Frage der Präsenz - dazu äußere ich mich später - ein wichtiger Tag. Ich habe es noch bis gestern nicht geglaubt, eigentlich so lange nicht, bis der Tagesordnungspunkt aufgerufen wurde, daß wir nach zehn Jahren tatsächlich zur Verabschiedung kommen. Gerade nach einer so langen Zeit müssen ja auch andere, die daran gearbeitet haben, immer wieder enttäuscht gewesen sein; ich möchte ihnen auch besonders danken. Ich danke Herrn Dr. Bäcker, dem Sekretär des Ausschusses, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern;
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ich möchte Herrn Blischke und selbstverständlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Arbeitskreis meiner Fraktion bei dieser Aufzählung nicht vergessen.
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Bei anderen Fraktionen wird es sicherlich ähnlich gewesen sein. Aber ich möchte mich auch - nicht nur, weil es sich so gehört - bei allen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß herzlich bedanken.
Derjenige, der an Plenarsitzungen teilnimmt und täglich Zeitungen liest, freut sich, wenn er einmal mit Kollegen von der anderen Fakultät auch freundschaftlich diskutieren kann und sich mit ihnen auseinandersetzen kann, ohne dabei in Streit zu geraten.
Wir waren uns alle von Anfang an darüber einig, eine neue Geschäftsordnung möglichst nicht kontrovers zu verabschieden, damit wir nicht - je nachdem, wie die Mehrheitsverhältnisse nach Wahlen aussehen - jedesmal neue Geschäftsordnungen machen müssen. Das wäre ja schrecklich. Weil wir das wußten, waren alle Seiten bemüht, Teile ihrer Vorstellungen aufzugeben. Häufig verliefen die Voten bei Abstimmungen quer durch den Ausschuß und waren nicht nach Fraktionen abzugrenzen.
Ich wäre manchmal dankbar, wenn sich diese Atmosphäre auch einmal auf die Plenardebatten übertragen würde. Ich habe während des heutigen Tages bei der Debatte über den Verfassungsschutz manchmal wehmütig darüber nachgedacht, wie das bei uns im Ausschuß läuft, auch wenn wir strittige Fragen haben. Ich gebe mich vor dem 5. Oktober sicher nicht der Illusion hin, daß wir dies in der Weise, wie wir es im Ausschuß trotz der unterschiedlichen Standpunkte praktiziert haben, noch ändern können. Aber ich darf noch einmal darauf zurückkommen.
Wir verabschieden heute - es wurde schon gesagt - eine Geschäftsordnung, die seit 1951 besteht, an der ab und zu einmal irgendein Paragraph geändert wurde, der dann an der falschen Stelle eingefügt wurde, so daß man in der Geschäftsordnung nichts mehr finden konnte. Sie war eigentlich schon von der Geschäftsordnung des Reichstages aus dem Jahr 1922 übernommen worden. Ich hoffe - ich selbst bin jedenfalls sicher, aber vielleicht ist man ein bißchen betriebsblind, wenn man sich so viel damit beschäftigt hat -, daß die neue Geschäftsordnung auch durch die neue Gliederung sowohl für Präsidenten als auch für Parlamentarischen
Geschäftsführer und vor allen Dingen für die Kolleginnen und Kollegen im Hause eine bessere Handhabung ermöglicht. Sie finden jetzt wenigstens auch einmal eine Liste darüber, welche Art von Vorlagen es überhaupt gibt und welche Rechte sie haben. Das finden sie in der Geschäftsordnung jetzt leichter, und zwar zusammengefaßt und geordnet.
Ich selbst bedaure zwei Dinge. Einmal geht es hier um die Ablesebestimmungen in § 33 des Entwurfs. Ich bedauere, daß wir nicht dazu gekommen sind, eine härtere Fassung zu finden. Ich habe damals den Vorschlag gemacht, wenigstens dem Kompromiß zuzustimmen, daß bei wichtigen, kontroversen Debatten, ein Redner pro Fraktion, wenn er eine die fraktion bindende Aussage macht, ablesen darf. Man hätte die jetzige Formulierung vermeiden sollen, um eine härtere Formulierung für alle weiteren Redner zu verabschieden. Irgendwo ist die Bestimmung, die wir in der alten Geschäftsordnung haben, denaturiert. Wissen Sie, wann das immer auftaucht? Immer dann, wenn einer sagt: „Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten." Dies braucht er gar nicht So etwas steht überhaupt nicht in der Geschäftsordnung. Dabei wird nur deutlich, daß er jetzt ablesen will. Aber auch bis dahin hatte er abgelesen; und nun will er die Genehmigung für das Ablesen des Zitats haben.
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Daher kommt das. Wir sollten den Kollegen sagen, sie sollten auf diese Floskel verzichten.
Der Nichtablesende hat noch einen Nachteil. Ich wurde heute schon viermal gefragt: Können Sie mir Ihr Manuskript geben? Ich habe gesagt: Tut mit leid, ich muß vorher erst fünf Kollegen zuhören; deshalb kann ich nicht jetzt schon ein Manuskript machen und das dann unterbreiten.
Der zweite Punkt, den ich bedaure, ist genau die Bestimmung, die der Kollege Dr. Miltner begrüßt hat. Das war nicht unbedingt eine fraktionskontroverse Sache. Es gab auch Ausschußvorsitzende meiner Fraktion, die dieser Meinung waren. Einer von ihnen ist da. Ich sehe ihn gerade. Ich meine die Frage der Berichterstatter. Ich hätte mir gewünscht, daß wir wirklich dazu gekommen wären, nur einen Berichterstatter zu haben, es sei denn, wir teilten den Stoff nach der Fülle auf - aber nicht, indem wir Mehrheits- und Minderheithberichterstatter in der Geschäftsordnung verankern. Fanden Sie es nicht gut, daß zwei Sprecher der Opposition, dem Ausschußvorsitzenden, der von der Koalition kam, bestätigen, daß er fair war, daß er bemüht war, zu der guten Atmosphäre beizutragen? Ich fand es auch gut, als vor einigen Monaten einer meiner Kollegen hier erklärt hat, wie fair Herr Wörner aus Ihrer Fraktion damals die Berichterstattung und die Führung jenes Ausschusses gehandhabt hat. Müßte es nicht der Ehrgeiz jedes Berichterstatters sein - das wäre einer der Punkte, wo der Zwang dazu da wäre, auch über den anderen und darüber, wie er es gemeint hat, nachzudenken -, das Lob der jeweils anderen Seite dafür zu bekommen, daß sein Bemühen zur objektiven Berichterstattung gegeben war?
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Jetzt soll es weiterhin zwei Bericherstatter geben. Der eine wird die Mehrheitsmeinung vortragen und der andere die Minderheitsmeinung. Ich bedaure diese Lösung jedenfalls. Ich stimme ihr jedoch zu; denn wir haben den Kompromiß abgeschlossen.
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Wenn ich sage, ich stimme zu, dann ist das natürlich nach dieser Arbeit und der guten Atmosphäre - und sie war auch in dieser Frage gut; es gab halt quer durch die Fraktionen eine andere Mehrheit; ich stelle nur mein Bedauern fest - selbstverständlich. Wir hoffen jedenfalls, daß wir hier eine Geschäftsordnung gefunden haben, die die Mehrheit sichert, aber die Minderheit und ihre Rechte so schützt, wie das notwendig ist. Das wurde heute hier schon vom Vorsitzenden in anderer Form vorgetragen.
Gestatten Sie mir jetzt einige Bemerkungen zu dem, was nicht in der Geschäftsordnung drinsteht, was auch nicht drinstehen kann, weil man es nicht in Paragraphen fassen kann. Ich hoffe - jedenfalls nach dem Geist der Beratungen in unserem Ausschuß -, daß wir diese Dinge so verstehen werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe vorhin die Atmosphäre erwähnt, die in diesem Ausschuß herrschte. Ich darf mich jetzt auf die Beratung des Einzelplans 02 des Haushalts 1978 beziehen, in der ich etwas darüber gesagt habe, daß jeder in bezug auf sein eigenes Verhalten immer wieder vor der Frage steht: Was ist richtig, und was kommt an? Es kommt ja nicht immer das an, was richtig ist. Es beginnt eigentlich schon beim kleinen Kind, das zu begreifen und sich dem anzupassen. Das gilt erst recht in unserer Wirtschaft, in der Gesellschaft überhaupt. Es ist natürlich nicht verwunderlich, daß diese Versuchung für den Politiker, der auch von anderen abhängig ist, immer wieder gegeben ist und daß er in der Selbstdarstellung nicht immer nach dem Grundsatz „Was ist richtig?', sondern auch nach dem Grundsatz „Was kommt an?" handelt. Ich meine, da gilt es, sehr wohl abzuwägen, wo die Grenzen sind; denn sonst hätten wir auf Dauer keine Chance, dem entgegenzutreten, dem wir alle eigentlich entgegentreten wollen: der Versuchung, nur auf Schlagzeilen auszugehen.
Wir alle beklagen doch, daß es eine Parteienverdrossenheit und als Folge davon zum Teil auch schon eine Parlamentsverdrossenheit gibt,
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die zwar nicht generell die Demokratie, aber doch so manches in Frage stellt Dabei sind die Parteien von ihrem Auftrag aus dem Grundgesetz mit dieser Demokratie und mit diesem Parlament sehr stark verbunden; das ist ganz natürlich.
Ich möchte wenigstens einen Versuch machen. Ich verweise auf Debatten wie heute morgen über den Verfassungsschutz und auf andere Debatten, die wir haben, mit Unterstellungen und dergleichen; das geht gar nicht in eine bestimmte Richtung. In dieser Beziehung will ich zwar keinen Versuch machen, aber ich will den anderen Versuch machen: ob wir uns für die Zukunft nicht in sechs Punkten dahin
einigen können, uns zurückhaltend zu verhalten, denn das Gegenteil nützt keinem und schadet den Parteien und der Demokratie schlechthin. Ich zähle die sechs Punkte einmal auf.
Einmal geht es um die Frage der Präsenz. Ich bin mit dem Kollegen Schweitzer nicht ganz einig, der das angesprochen hat. Ich darf ihn an folgendes erinnern. Er hat es in der vergangenen Legislaturperiode auch gesagt. Ich habe ihn manchmal rufen lassen, wenn er nicht hier war. Wir müssen einfach abwägen zwischen dem, was möglich ist, und dem, was man aussagt, weil es ankommt. Ich bitte also da um Verständnis. Hier hätte eigentlich moralisch nur ein einziger Kollege das Recht, die Frage der Präsenz kritisch anzusprechen, nämlich Herbert Wehner, der Vorsitzende der SPD-Fraktion.
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Kein anderer hat moralisch das Recht, zur Frage der Präsenz hier zu reden. Das muß man zugestehen, ganz gleich, welcher Fraktion man angehört. Es ist wirklich eine schwierige Sache. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir durch organisatorische und andere Dinge dieser Situation abhelfen können. Aber ich bin lieber bereit, Besuchergruppen zu erklären, daß sich für mich mittwochs abends nach den Ausschußsitzungen - sie wissen es ja nicht, ob ich immer da bin - häufig die Frage stellt: Gehst du morgen ins Plenum oder erledigst du deine Arbeit? So schrecklich das klingt, aber so stellt sich die Frage. Nur wagt man nicht, sich dazu zu bekennen. Keiner will doch hier unterstellen, daß der andere nichts tut.
Aber manch einer stellt sich dann hierher und sagt: Daran, wieviel da sind, sieht man wieder, welches Interesse an der Agrar- oder an der Bildungsoder an dieser und jener Politik besteht. Nur: Wenn die andere Politik behandelt wird, dann ist derjenige, der das gesagt hat, auch nicht mehr da. Dies halte ich nicht für korrekt Unterlassen wir also in Zukunft den Hinweis auf die Präsenz. Bemühen wir uns vielmehr darum: Wie können wir uns selber dabei helfen, daß das besser wird, ohne uns gegenseitig dabei öffentlich anzugreifen?
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- Gut, wir müssen uns damit beschäftigen. Aber wir können es nicht mit dem Hinweis: Ich bin jetzt der Feine, der den anderen kritisiert, weil er nicht da ist. Damit können wir das Problem nicht lösen. Dadurch schaden wir bloß dem Parlament schlechthin.
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- Ich will nicht noch einmal darauf eingehen.
Nun zu dem zweiten Punkt, den ich anführen wollte. Ich meine den wechselseitigen Hinweis auf das Parteisüppchen, das da einer kochen will. Die einen werfen es den anderen vor: Hier geht es ja nur um Parteipropaganda, hier will nur jemand ein Parteisüppchen kochen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Parteilichkeit und die Mitwirkung der Parteien stehen im Grundgesetz. Wenn wir mit einem Auge darauf schielen, daß es in der Bevölkerung Gegner der Parteien gibt, und uns
selber so verhalten, als seien wir Parteigegner, indem wir es uns wechselseitig vorwerfen, dann, finde ich, ist das schizophren.
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Wir sammeln damit keine Punkte, sondern schaden den Parteien überhaupt. Dies unterstützt das Verhalten derer, die zu Hause diskutieren und am Stammtisch zum Schluß mit Stolz feststellen: Ich bin anständig, ich bin in keiner Partei. Hat dann die Partei, die das gerade in dem Moment sagt - ich will jetzt nirgends hingucken, damit niemand glaubt, ich meinte eine bestimmte Richtung -, dadurch einen Vorteil? Ich glaube das nicht. Die schaden den Parteien schlechthin, wenn sie die anderen angreifen.
Ein dritter Punkt, der ebenfalls ein Verhalten betrifft, mit dem ich aufzuhören bitte: Die Verfilzung, Verkrustung, Vetternwirtschaft, Pfründensicherung und Parteibuchpolitik sollten nicht immer wieder so pauschal angesprochen werden, je nach Bundesland - beim Bund ist es wieder so herum -, indem man sich das wechselseitig vorwirft, je nachdem, wer in der Regierung und wer in der Opposition steht. Das können Sie durchgängig feststellen. Machen doch wir im Bundestag damit den Anfang! Dann sagen wir lieber im Falle X - ganz konkret -: Wie kommen Sie dazu - ich nehme jetzt das gleiche Beispiel, das ich schon einmal verwendet hatte -, einen Gartenbautechniker als Elektroingenieur anzustellen? Begründen Sie das hier! - Dann sind wir konkret geworden. Aber alles andere hier ständig anzusprechen fördert wieder dem Eindruck beim Bürger: Parteien sind alle gleich schlecht. Sorgen Sie dafür, daß das korrekt gemacht wird. Bemühen wir uns, und spekulieren wir nicht auf einen scheinbaren Erfolg! Er ist nur im Augenblick vorhanden. Letztlich schadet es uns allen, mit solchen Formulierungen zu operieren.
Vierte Bitte. Man hört oft: „Dies war nur eine Wahlrede"; oder: „Der hat hier Wahlkampf geführt." - Wahlen sind demokratisches Grundrecht nach der Verfassung. Eigentlich sollte jeder zu jeder Stunde bemüht sein, sich so verhalten, daß er dem Wähler gerecht wird. Mit der Formulierung „er hält eine Wahlrede" legt man wiederum dem Bürger draußen nahe: Wahlkämpfe sind negativ, Wahlreden sind etwas Schlechtes. Das suggeriert man. Wenn man es auch nur für die andere Seite sagt, zurück schlägt es auf alle Seiten.
Meine fünfte Bitte in diesem Zusammenhang wäre die, einmal zu überlegen, ob es so sein muß, daß nach allen Diskussionsbeiträgen jeweils nur auf einer Seite Beifall gegeben wird. Kann man nicht abwägen, ob es nicht Gelegenheiten gibt, wo man bei der Unterstützung eines Arguments demonstriert, daß sich alle einig sind? Bitte denken Sie auch darüber einmal nach!
Für wen reden wir hier eigentlich? An sich reden wir hier doch, weil wir den anderen überzeugen, für das eigene Argument gewinnen wollen. In Wirklichkeit aber reden wir für den Beifall der eigenen Leute, für das Protokoll und für die Offentlichkeit. Ich bin mir darüber klar, daß man, nachdem die Meinungsbildung, wenn wir hier hereinkommen - vor allem zur zweiten und dritten Lesung -, bereits abgeschlossen ist, den anderen nicht mehr gut überzeugen kann. Nach meiner Erinnerung gab es in den letzten 15 Jahren nur drei Fälle, in denen das Plenum unterbrochen wurde und man noch einmal neu über etwas nachgedacht hat. Das ist natürlich selten. Aber ich kann doch letztlich niemanden überzeugen wollen, wenn ich ihn hier im Plenum verprügele. Das ist doch ein Widersinn. Aber ich bin mir darüber klar, daß dies eine schwieriges Problem ist; deswegen wollte ich das auf die Frage des Beifalls je nach Anlaß reduzieren.
Der sechste und letzte Punkt in dieser Aufzählung: Die einen werfen den anderen vor, es gehe ihnen nur darum, an der Macht zu bleiben; die anderen werfen denen wieder vor, sie hätten ja nur das Ziel, an die Macht zu kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie treten doch einer Partei bei. Parteien werden doch gebildet, stellen Programme auf, weil sie die Macht erstreben, weil sie das, was sie für gut halten, verwirklichen wollen. Was soll es denn dann, bei dem Bürger den Eindruckzu erwecken, Macht sei etwas Schlechtes? Demokratisch kontrollierte Macht ist von uns doch gewollt. Warum werfen wir uns wechselseitig vor: Ihr wollt bloß an die Macht kommen! Und umgekehrt: Die wollen bloß an der Macht bleiben! Hören wir damit auf! Das bringt nichts.
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Ich darf nun noch unsere Mitbürger draußen bitten, sich doch stärker zu engangieren, nicht nur Kritik zu üben, sondern Anregungen zu geben, sich aber auch zu informieren, bevor man Kritik nachredet.
Auch zu den Journalisten darf ich eine Bemerkung machen: Nicht nur der Plenarsaal, auch die Journalistentribüne ist leer. Ich werfe das den Journalisten nicht vor. Ich weiß, daß um 16 Uhr Redaktionsschluß ist und daß sie ihre Artikel schreiben müssen. Ich werfe es ihnen nicht vor, ich bitte bloß darum, darzustellen, wie es den Abgeordneten in solchen Zusammenhängen geht, und vielleicht auch in Büros, Ausschußsäle und Besuchergruppen hineinzuleuchten, nicht nur in den Plenarsaal und auf Grund dessen Feststellungen zu treffen.
Ein anderes Beispiel: In der Publizistik werden ja immer die Diätenerhöhungen kritisiert. Ich habe aber in den vier Jahren, in denen wir die Diäten nicht erhöht haben, nicht jeweils zu den Haushaltsberatungen Schlagzeilen gelesen: Die Abgeordneten haben die Diäten schon wieder nicht erhöht. Das habe ich nicht gelesen. Das ist nirgendwo berichtet worden. Es ist gar nicht aufgefallen.
Und dann kommt immer die Feststellung: Da sind sie sich alle einig. Man müßte doch objektiverweise berichten - denn man weiß es ja -, daß so eine Vorlage nur dann hier auf den Tisch kommt, wenn sich alle einig sind. Keine Fraktion wird in einer solchen Frage einen Alleingang machen. Das muß man objektiverweise dann auch darstellen.
Nun zu uns selber, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich wäre dankbar, wenn wir in manchen
Punkten mehr Natürlichkeit behalten könnten. Ich wundere mich manchmal. Da sitze ich mit irgendeinem Kollegen aus einer anderen Fraktion im Restaurant und unterhalte mich, finde ihn sehr sympatisch. Aber in dem Moment, wo er hier steht, denke ich - und das gilt sicher genauso umgekehrt -: Wer ist denn das da? Ist das derselbe, mit dem ich soeben so nett gesprochen habe? Es ist für mich erschreckend, wie sehr wir dabei unsere Natürlichkeit verloren haben, immer in dem Zwang einer Rolle stehen, die wir überhaupt nicht mehr verlassen. Ich bedauere wirklich, daß das so läuft und wir gar nicht mehr natürlich miteinander reden.
Ich würde also bitten, das zu versuchen. Denn alle drei, die Abgeordneten, die Journalisten und die Bürger selbst - wobei die ersten beiden Gruppen ja letztlich auch Bürger sind -, leben von dieser parlamentarischen Demokratie und genießen ihre Freiheit. Dann sollten Sie auch alle, nicht nur die einen, ihren Beitrag zur Stabilisierung dieser Demokratie leisten.
Ich jedenfalls wünsche dem 9. Deutschen Bundestag eine erfolgreiche Arbeit mit der neuen Geschäftsordnung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach den eindrucksvollen Anmerkungen meines Kollegen Vorredners über das, was in der Geschäftsordnung steht, und über das, was nicht in ihr steht und was eigentlich sein sollte, kann ich nur sagen: weder die geschriebene noch die ungeschriebene Geschäftsordnung wird jeweils und jemals ein Ideal werden. Aber wir sollten es anstreben.
Sowohl unsere eigenen Verhaltensweisen wie auch die Veränderungen im Parlament und im Parlamentarismus werden uns keine starre feste Form finden lassen. Sonst wäre in diesem Bereich ja schon alles perfektioniert; denn Geschäftsordnungen gibt es nicht erst seit dem Bestehen des Deutschen Bundestags. Es gibt sie schon sehr lange. Unsere Geschäftsordnung fußt, wenn ich das recht nachgesehen habe, auf der des Reichstages von 1922, der sich übrigens, was ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, bei der Festlegung der Ausschüsse 14 ständige Ausschüsse vorgestellt hatte, bei denen der erste für die Wahrung der Rechte der Volksvertretung vorgesehen war und der letzte, der vierzehnte, für Beamtenangelegenheiten.
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Wir haben das ein wenig kaschiert und nennen das jetzt Innenausschuß.
Der frühere Präsident des Deutschen Bundestages, der verstorbene Hermann Ehlers, hat schon damals bei den Debatten um die Änderung der Geschäftsordnung 1951 gesagt, daß er mehr Lebendigkeit und mehr Flexibilität dieses Parlaments wünsche. Ich meine, das ist ein wichtiger Punkt, unter den wir diese Änderung der Geschäftsordnung gestellt haben, neben der Ausgewogenheit, neben der ordnungsmäßigen Funktion und dem Funktionieren des Ablaufs und neben der Sicherstellung der Mehrheitsrechte und der Wahrung der Minderheitsrechte zu einer stärkeren Position vom Monolog zum Dialog zu kommen zu versuchen.
Ich möchte auch an dieser Stelle den Dank meiner Fraktion an den Kollegen Manfred Schulte aussprechen, unter dessen Leitung die Sitzungen des Geschäftsordnungsausschusses stattfanden, an denen ich in Vertretung nur einmal teilnehmen konnte. Er hat mit viel Mühe und viel Sorgfalt diesen schwierigen und mühsamen Weg gesteuert. Herzlichen Dank dafür.
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Die Rechte des einzelnen Abgeordneten sind wichtig. Wenn er neu ins Parlament kommt, findet er sie vielleicht ein wenig verloren in der Geschäftsordnung wieder. Das kann nicht anders sein; denn wir können bei der Fülle der Abgeordneten die Rechte des einzelnen nicht so ausweiten. Wir hatten darüber einmal eine Debatte in der Parlamentarischen Gesellschaft; dort wurde es von den Kollegen auch so gesehen und unterstützt.
Aber wir haben immerhin die Rechte des einzelnen für die zweite Lesung ausgeweitet, wir haben auch für internationale Verträge und Entschließungen dem einzelnen Abgeordneten die Möglichkeit gegeben, Änderungsanträge einzubringen. Ich finde, davon sollte mehr Gebrauch gemacht werden, weil es wirklich eine Möglichkeit für den einzelnen Abgeordneten ist, hier seine Meinung deutlich darzustellen.
Die FDP-Fraktion hat intensiv und engagiert in dem Ausschuß mitgearbeitet. Der Kollege Spitzmüller hat mit vielen Vorschlägen und Änderungsanträgen, die ich im einzelnen nicht aufführen will, auch deutlich gemacht, welchen Anteil wir an der Geschäftsordnung nehmen. Daß wir die Mehrheit nicht überzeugen konnten, daß die Regierung eine Ständige Stunde in den Plenarwochen zur Berichtspflicht einrichtet, müssen wir akzeptieren - wir hätten es gern anders gesehen -, und zwar im Interesse der Lebendigkeit und der Aktualität.
In der Debatte sind die Rederechte von Mitgliedern des Bundesrates und der Bundesregierung angesprochen worden. Ich will nicht im einzelnen darauf eingehen. Der Kollege Lenz hat eine Zwischenfrage dazu gestellt. Ich meine, daß beide Vorrechte hier hin und wieder überzogen werden, sowohl die der Bundesregierung als auch die des Bundesrats.
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Wir sollten uns wirklich einmal - gemeinsam mit allen, da es sich um ein Verfassungsrecht handelt - überlegen, ob wir hier nicht zu einer besseren Lösung kommen. Ich erinnere mich, daß wir hier Debatten hatten, in denen wir mit der ersten Parlamentsrunde erst am späten Nachmittag, ja sogar erst am frühen Abend zum Zuge gekommen sind. Ich meine, die Stunde des Plenums ist letztlich eine Stunde des Parlaments. Sie ist nicht eine Stunde der
Wolfgramm ({3})
Regierung, und sie ist auch nicht eine Stunde des Bundesrats.
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Die Geschäftsordnung hat einen wichtigen Einfluß auf die Plenarbesetzung. Ich möchte auch auf dieses Thema noch kurz zu sprechen kommen. Sie hat aber natürlich keinen entscheidenden und keinen ausschließlichen Einfluß. Ich glaube, die Instrumente, die wir in der Geschäftsordnung jetzt geschaffen haben und die wir vorher mit der Kurzdebatte und mit der Präzisierung der Aktuellen Stunde schon länger ausprobiert haben, eröffnen Möglichkeiten, hier zu besseren Ergebnissen zu kommen. Ich glaube, dies ist ein Schritt auf dem richtigen Wege. Wir dürfen uns aber natürlich auch nicht vorstellen, daß wir in dieser Geschäftsordnung alles perfektionieren können und müssen. Es kann nicht jeder Handgriff sozusagen vorgeschrieben und vorgegeben sein, wenn wir von den Vorlagen der amtierenden Präsidenten einmal absehen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Linde?
Selbstverständlich, Herr Kollege.
Herr Kollege Wolfgramm, sind nicht auch Sie der Meinung, daß gerade dadurch eine Belebung des Parlaments erreicht werden könnte, daß man der Kurzdebatte wirklich einmal freien Lauf läßt und sie nicht vorher bürokratisch festlegt? Man sollte den Abgeordneten also tatsächlich Gelegenheit geben, auf kurze Statements kurz zu antworten. Dazu könnten auch die Geschäftsführer wesentlich beitragen. Dies wäre meine Bitte am Rande.
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Ich stimme Ihnen darin voll zu. Ich merke noch einmal an, daß ich gesagt habe, es handle sich um einen Schritt auf dem richtigen Wege. Ich meine, wir sollten diesen Weg auch weiterhin beschreiten, um hier das Unsere beizutragen. Ich stimme dem Kollegen Collet voll zu, wenn er sagt: Es sind eben zusätzliche Faktoren, die die Kollegen - wenn wir von dem besonderen Beispiel, das mein Vorredner genannt hat, von Herbert Wehner absehen - davon abhalten, an den Sitzungen bei jedem Tagesordnungspunkt teilzunehmen. Es ist die Belastung, die durch die vielen Wünsche und Eingaben der Bürger, der Verbände, der Organisationen, der Gemeinden auftritt, im Wahlkreis, im Landesverband oder auch bundesweit tätig zu sein. Hinzu kommt aber auch das Problem, daß viele Abgeordnete eben nicht Spezialisten in dem Gesetzesbereich sind, der gerade zur Diskussion ansteht. Wir sollten auch erwägen, die Debatten zeitlich zu kürzen, um diesen Belastungen gerecht zu werden. Wir sollten im Ältestenrat darauf hinwirken, daß wir wirklich nur zu den Bereichen Debatten führen, die von allgemeinerem, von politischem Interesse sind,
wobei auch der Faktor „Kontroverse" eine Rolle spielt.
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Ich will das Problem jetzt nicht an Hand der Debatten der heutigen Woche oder des heutigen Tages aufzeigen. Was ich meine, ist sicher leicht nachzuvollziehen.
Ich glaube, es ist ein kleiner Rückschritt, daß wir hier versuchen, uns, auch was die freie Rede angeht, stärker den Gewohnheiten anzupassen. Man hat ja zwei Möglichkeiten, wenn man Dinge verändern will. Entweder paßt man sich den Gewohnheiten an und nimmt sie als solche in das, was man regeln will, auf oder man versucht, die Gewohnheiten zu verändern. Ich meine, wir müssen hier einen Mittelweg gehen. Wir müssen auf der einen Seite die Belastungen sehen, auf der anderen Seite aber auch versuchen, durch raschen Wechsel von Rede und Gegenrede unsere Debatten attraktiv zu gestalten. Es sollten wieder stärker diejenigen Elemente eingeführt werden, die die Sache attraktiver machen. Ich gebe gerne zu, daß dies am Anfang auch für mich sehr mühsam war. Wenn ich meine Reden hin und wieder einmal nachlese, stelle ich fest, daß es alles aufgeschriebene Reden gewesen sind, die ich zu Anfang vor dem Plenum vorgetragen habe. Später habe ich dann mühsam versucht, meine Reden zwar vielleicht nicht besser, aber auf die andere Art zu gestalten. Ich glaube, daß den Kollegen bei der freien Rede, wenn man so will, auch ein wenig der Eindruck des Absturzes vermittelt wird: Bleibt die Sache vielleicht irgendwo stecken, geht die Sache nicht weiter? Auch ein bißchen Schadenfreude, die Vorstellung, wie das wohl gehen wird, kann eine Erwartungsrolle spielen. Das kann man nicht erwarten, wenn die Rede von vorn bis Ende fertig schriftlich konzipiert ist.
Ich möchte ein Wort zur Presse sagen. Die Presse, die immer sehr gerne darauf verweist, daß die freie Rede in diesem Hause selten geübt wird, pflegt uns ja mit der Bitte zu plagen, das fertige Manuskript bis zum Schluß der Redaktionskonferenz, möglichst bis 13 Uhr, einzureichen. Wenn das nicht geschieht, ist man jedenfalls nicht in der Berichterstattung voll präsent.
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- Sicher, so ist es, Frau Kollegin. Aber das entbindet uns doch nicht von der Feststellung, daß es hier eine ganz merkwürdige kontroverse Position gibt: auf der einen Seite eine Forderung und auf der anderen Seite der Wunsch, die Dinge in möglichst ausführlicher schriftlicher Form vorliegen zu haben, damit man sie dann in den Redaktionsbüros leicht und angenehm bearbeiten kann.
Ich möchte nun einen Vorschlag machen, den ich vorhin schon skizziert habe. Wir sollten uns auf die Reden und die Zeiten beschränken, die unbedingt notwendig sind. Wir sollten versuchen, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wir sollten bei Gesetzen, die wir ohne Debatte verabschieden, denjenigen, die sich damit intensiv befaßt haben, die Mög18286
Wolfgramm ({2})
lichkeit geben, über die Presseabteilungen der einzelnen Fraktionen unter ihrem Namen eine entsprechende Erklärung an die Presse abzugeben. Wir sehen es doch selbst im Bundestag, daß bei uns ein Wechsel eintritt, wenn ein Spezialbereich abgeschlossen ist und ein neuer aufgerufen wird. Das ist wie bei der Crew eines Flugzeuges, die wechselt, wenn sie bei einer Zwischenstation angekommen ist, obwohl die Passagiere dieselben und das Flugziel dasselbe bleiben.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Collet?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Wolfgramm, sind Sie nicht auch mit mir der Meinung, daß es hilfreich wäre, wenn wir wieder dazu kommen könnten, Zwischenfragen und die Antworten darauf nicht auf die Redezeit anzurechnen - jedenfalls in einem bestimmten Maße -, und daß das auch zur Belebung beitrüge?
Sicher. Wir hatten das ja schon einmal, und zwar, glaube ich, in der vorletzten Legislaturperiode. Ich kann jetzt nicht sagen, warum es abgeschafft worden ist. Ich meine, das wäre hilfreich, zumal wir jetzt versuchen, in Form der Kurzdebatten von den langen Reden wegzukommen.
Ich glaube auch, daß wir in diesem Bereich - Präsenz im Plenum - mit Ordnungsmaßnahmen überhaupt nichts erreichen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal eine Rede zur Geschäftsordnung des Deutschen Reichstages zitieren. Der Redner Schmidt aus Sachsen hat in der 269. Sitzung am Freitag, dem 17. November 1922, erklärt, daß er hier zu einer entsprechenden Auslegung der belgischen Geschäftsordnung, Art. 39, komme, nämlich der Redner kann erklären: Ich bedaure, daß ich das ganze Haus falsch verstanden habe.
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Ich meine, die Geschäftsordnung ist ein wichtiges Stück des Parlamentarismus. Wir werden sie weiter ändern müssen, aber wir werden sie nicht perfektionieren dürfen.
Ich habe mir vorgenommen, schon im Rahmen der neuen Regelaussprache die 15 Minuten Redezeit nicht zu überschreiten. Ich will das tun.
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Das Wort hat der Präsident des Deutschen Bundestages, Herr Abgeordneter Stücklen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schade, daß die Geschäftslage des Deutschen Bundestages es nicht erlaubt hat, die Debatte über die Neufassung der Geschäftsordnung zu einem günstigeren Zeitpunkt auf die Tagesordnung zu setzen; dennn ich habe im Laufe der letzten vier Jahre - drei Jahre als Vizepräsident, ein Jahr als Bundestagspräsident - immer wieder den Wunsch vorgetragen bekommen, endlich einmal die Möglichkeit zu haben, einen ganzen Tag lang über die Arbeit des Deutschen Bundestages, über die Geschäftsordnung, vielleicht auch über die Neubauten des Bundestages usw. zu sprechen. Wir wissen aber - und diejenigen, die schon so lange wie der Kollege Wehner und ich im Parlament sind, wissen das schon vom 1. Bundestag an -, daß es am Ende jeder Wahlperiode ein Gedränge gab; alle glaubten, sie müßten dieses und jenes Gesetz unter allen Umständen noch verabschieden, sonst würde die Welt zusammenbrechen. Ich bin der Meinung, daß nicht viel zusammenbrechen würde, wenn wir das eine oder das andere über die Legislaturperiode hinaus im Auge behalten und nach dem Neubeginn in der neuen Wahlperiode wieder aufgreifen würden.
Ich freue mich natürlich ganz besonders darüber, daß nach so vielen Jahren schwierigster Beratungen nun heute die Neuformulierung der Geschäftsordnung zu einem Abschluß kommt. Einige haben hier festgestellt, daß es in der Offentlichkeit zu große Erwartungen gab. Ob sie wirklich da waren, kann ich nicht so sicher sagen. Ich meine aber, daß die Annahme unzutreffend ist, die Reform der Geschäftsordnung als solche sei schon eine Parlamentsreform. Die Geschäftsordnung ist die Grundlage, auf der wir hier im Parlament arbeiten. Sie soll die Grundlage für uns alle sein, für die Mehrheit, also für die Fraktion oder die Fraktionen, die die Regierung stützen und die die Regierung tragen, wie auch für die, dIe in der Opposition stehen und die Rechte der Minderheit wahrnehmen. Das ist doch das klassische Verhältnis in einer parlamentarischen Demokratie.
Drei Dinge möchte ich herausstellen. Allzuviel möchte ich nicht wiederholen, denn es ist sehr Vieles und sehr Gutes gesagt worden. Das etwa, was Sie, Herr Kollege Collet, gesagt haben, nehme ich Ihnen nicht nur ab, sondern ich würde mich auch freuen, wenn wir es im Umgang aller miteinander Stück für Stück übernehmen könnten. Aber wir wissen, wir alle sind Menschen, und jeder hat sein Temperament. Wenn ich jetzt ein bißchen gelassener hier oben am Rednerpult stehe, muß ich mich auch daran erinnern, daß ich dort unten gesessen habe und keinesfalls so gezähmt war wie jetzt in der Eigenschaft als Präsident oder eben hier am Rednerpult. Es ist also auch eine Frage des Temperaments.
Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, in anderen Parlamenten ginge es wie in einem wohlgeführten Mädchenlyzeum - ich meine natürlich, wie in einem des vorigen Jahrhunderts - zu. Nein, auch in anderen Parlamenten sind die Auseinandersetzungen in dieser Härte da, und die Konfrontation ist - ebenso wie der Umstand, Macht zu haben - im Grunde nichts Schlechtes. Es gibt die Gegenüberstellung der Meinungen, und sie darf in einem Parlament natürlich nicht untergehen, sie muß erhalten bleiben.
Ich wollte also drei Dinge ansprechen. Zum ersten: Ohne jeden Zweifel bedeutet die neue GePräsident Stücklen
schäftsordnung eine Stärkung der Rechte des Parlaments. Darüber, ob diese Stärkung schon völlig ausreichend ist, ließe sich wohl streiten, aber es ist eine Stärkung der Rechte des Parlaments. Das, was uns manchmal gar nicht behagt, ist, daß die Redner von der Seite der Regierung und die von der Seite des Bundesrates einander ablösen und daß dann, wie schon gesagt worden ist, nach drei oder vier Stunden zum erstenmal ein Redner aus dem Parlament zu Wort kommt. Das ist mit Sicherheit auch nicht nach dem Geschmack des Präsidenten, der oben sitzt und das Wort erteilt. Aber dieser Zustand entspricht nun einmal einem grundgesetzlich verankerten Recht, das man nicht durch eine Geschäftsordnung außer Kraft setzen kann. Man könnte das eigentlich nur durch ein Agreement, durch eine Vereinbarung freundschaftlicher Art mit der Regierung auf der einen und dem Bundesrat auf der anderen Seite. Dies sollte man auch versuchen. Ich meine, das wäre des Schweißes der Edlen wert.
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Es wäre gut, wenn es gelänge, die Rechte des Parlaments gegenüber denen der beiden anderen Verfassungsorgane zu stärken.
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Das zweite, was ich ansprechen wollte, ist die Verstärkung der Position der Minderheit in diesem Hause. Ich sage ganz bewußt - und ich glaube, daß ich das auch mit Recht sagen kann -, daß hier eine Verstärkung der Rechte der Minderheit vollzogen wird. Das ist gut so, denn wir alle wissen - ich werde mit Sicherheit nicht parteipolitisch sein, weder heute, noch wenn ich da oben sitze -, was man von einem Präsidenten, der seine Amtsaufgaben korrekt und gewissenhaft wahrnimmt, auch erwarten darf. In der Tat ist zumindest in einem gewissen Umfang eine Verstärkung der Rechte der Minderheit eingebaut.
Ganz besonders freue ich mich, daß es gelungen ist, hier Einstimmigkeit herbeizuführen. Dies ist also eine Geschäftsordnung des ganzen Parlaments.
Geschäftsordnungsfragen sind Machtfragen. Täuschen wir uns nicht, Geschäftsordnungsfragen können auch Machtfragen sein, Machtfragen nicht einmal unbedingt im guten Sinne des Wortes Macht, sondern etwa im Sinne der Ausschaltung des anderen, der Ausschaltung der Minderheit, einseitiger Bevorzugung der Mehrheit. Man spricht ja auch beim Wahlgesetz sicherlich zu Recht von Machtfragen.
Nun das große Problem der freien Rede. Natürlich ist es herrlich, frei zu sprechen. Manche beherrschen das in großartiger Weise, andere kommen einfach nicht so gut zurecht. Es gibt bei uns im Bundestag auch Materien, die einer so präzisen Ausführung bedürfen, daß man es sich nicht erlauben kann, hier frei zu sprechen und einen Satz nicht richtig zu Ende zu bringen oder eine völlig andere Diktion hineinzubringen, die man erst beim Nachlesen während der Korrektur bemerkt und dann nicht mehr sinnverändernd korrigieren darf. Es muß also beides geben.
Von der Regel der freien Rede wird aber natürlich sehr wenig Gebrauch gemacht. Die Regel ist eigentlich die vorbereitete Rede.
Dazu stimmt alles das, was Sie gesagt haben, Herr Wolfgramm, daß Sie es der Presse übergeben wollen. Mit Recht, was nicht in der Zeitung steht, was nicht über das Fernsehen kommt, hat beinahe nicht stattgefunden. Wir leben in dieser Demokratie. Der Abgeordnete braucht natürlich Publicity. Das ist doch ganz klar. Es geht doch nicht an, daß er in der Offentlichkeit nicht erwähnt wird. Ich weiß aber auch, daß dann Reden abgegeben werden, die womöglich so nicht gehalten worden sind, so daß die Journalisten sagen: Dem kannst du keine Rede abnehmen, der redet über etwas ganz anderes. Deshalb scheue ich mich schon seit langer, langer Zeit, eine Rede, die ich zu halten beabsichtige, der Presse zu geben, weil ich weiß, daß ich sie so doch nicht halte. Ich kann mich nicht daran halten. Wenn ich eine Rede vorlesen muß, bekomme ich ein Gefühl der Unsicherheit, nicht dagegen, wenn ich hier frei rede. Deshalb nehme ich mir auch die Freiheit heraus, und das sollte jeder tun, der im Bundestag ist.
Ich habe auch nachgelesen, wie es im englischen Parlament ist. Dabei habe ich festgestellt, daß einmal ein Redner in seiner Rede plötzlich den Faden verlor und nicht mehr weiter konnte. Was war im alten englischen Unterhaus, das zu dieser Zeit sehr gut besetzt gewesen sein soll, geschehen? Der Redner bekam lebhaften Beifall. Das ist eine moralische Unterstützung, die man aus den Abgeordnetenbänken erfahren kann. Ich bin ein alter Sünder, und ich bekenne das auch. Sie, Herr Collet, haben gesagt: Spendet doch auch einmal Beifall, wenn jemand etwas sagt, was vernünftig ist. Manchmal sehe ich von da oben, daß es das gibt, und darüber muß man sich freuen. Das sollten wir viel stärker tun. Deshalb brauche ich nicht, wenn einer eine halbe oder eine dreiviertel Stunde geredet und mich richtig abgebürstet hat, am Schluß unbedingt Beifall zu spenden, weil er drei oder vier Sätze darin gehabt hat, die auch meiner Auffassung entsprechen. Hier gibt es schon eine Möglichkeit des Abwägens und nichts, was in Richtung der Seligsprechung eines Abgeordneten geht. Bisher habe ich nicht erlebt, daß ein einziger Abgeordneter seliggesprochen worden wäre.
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- Ja, aber mit Sicherheit stehe ich nicht auf seiner Vormerkliste, Herr Kollege Broll. Mit mir ist da nichts zu wollen.
Ich meine, die freie Rede sollte wieder ein bißchen stärker kommen, insbesondere wenn man kurz sprechen soll.
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Ich begrüße auch, daß die Kurzdebatte jetzt nicht immer wieder um ein halbes Jahr verlängert wird, sondern, weil sich dieses Institut bewährt hat, in der Geschäftsordnung verankert wird. Die Kurzdebatte ist ein Bestandteil der Geschäftsordnung geworden. Nun müssen die Damen und Herren im Ältestenrat davon lebhaft Gebrauch machen. Dann bekommen wir das hin. Ich gebe dem recht, der hier heute ge18288
Präsident Stücklen
sagt hat - ich weiß nicht genau, wer es gewesen ist -, daß dann mehr Abgeordnete zum Zuge kommen. Hier sitzen ja sehr viele Abgeordnete, die eben nicht so zum Zuge kommen, es aber verdienen würden, daß sie zum Zuge kommen. Ich werde manchmal gefragt: Was kommt denn eigentlich danach, was ist an Abgeordneten nachgekommen? Da sind die alten Haudegen da, die den Bundestag beherrschen - und die anderen? Nein, es ist doch überraschend, wie diese jungen Abgeordneten - bei der SPD, bei der CDU/CSU, bei der FDP -, die nun zum ersten Mal im Parlament sind, lebhaft und frei an dieser parlamentarischen Auseinandersetzung teilnehmen. Also: Es sollte mehr von der Kurzdebatte Gebrauch gemacht werden. Dann können auch mehr Abgeordnete reden, auch jene, die nicht schon seit Jahren das Patent für gewisse Sachbereiche haben.
Besuch des Parlaments: Ich darf sagen, daß es kein demokratisches Parlament gibt, das im Schnitt besser besucht ist als unseres.
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Das ist für uns ein schwacher Trost. Nur, die Feststellung sei mir erlaubt: Als ich im amerikanischen Kongreß war, habe ich erlebt, daß drei Abgeordnete da waren. Einer stand vorne am Pult und las noch eine Stunde lang vom Blatt herunter. Und dann saßen da noch fünf, sechs Leute, nicht Abgeordnete. Ich weiß nicht, wer sie waren. Vielleicht waren sie Hilfskräfte des Abgeordneten. Was uns angeht, würde ich trotzdem sagen: Ein bißchen mehr wäre durchaus möglich. Aber ich übersehe auch nicht die vielfältigen Belastungen. Zwar habe auch ich einen Wahlkreis, doch gehöre ich heute auch zu denen, die dafür ein bißchen auf die Hilfskräfte zurückgreifen können. Denn sonst könnte ich das Geschäft ja nicht machen, genauso wenig wie Frau Kollegin Renger und die anderen Vizepräsidenten, die eben zusätzliche Aufgaben haben. Daher glaube ich, daß es notwendig wäre, unsere Abgeordneten von Aufgaben, die nicht unmittelbar, ja manchmal nicht einmal mittelbar mit der Gesetzgebung, mit der Parlamentsarbeit, mit der Plenumsarbeit und mit der Ausschußarbeit, zu tun haben, zu entlasten.
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Ich bin der Meinung, die Mindestausstattung eines Abgeordneten - ich sage das ganz offen - müßte darin bestehen, daß er einen Assistenten und eine Sekretärin hat. Das ist das, was jeder Abgeordnete braucht.
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Wer soll denn die Ablage machen? Wer soll denn etwas so ordnen, daß man es wiederfindet, daß es einen Sinn hat, es aufzuheben?
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Ich nehme an, Herr Kollege Wehner, daß auch Sie die Stenographischen Berichte - entweder gebunden oder in einer anderen Form - aufgehoben haben. Das ist doch ganz klar! Man will doch einmal nachsehen. Da kommt ein Problem, da liest man etwas in der Zeitung, oder man muß sich für eine Diskussion, für eine Aussprache, für einen Vortrag oder etwas anderes vorbereiten. Da muß man doch auf etwas Geordnetes zurückgreifen können. Wenn Sie sich einmal die Stenographischen Berichte von 1949 bis heute anschauen, dann stellen Sie fest, daß sie eine Wand abdecken, die ungefähr zehn, zwölf oder 15 Meter lang und 3,5 Meter hoch ist, und dann haben Sie erst ein Minimum an Handwerkszeug griffbereit. Deshalb meine ich, daß wir die Abgeordneten von Aufgaben befreien müssen, die gleichwohl - das möchte ich nachdrücklich betonen- gemacht werden müssen. Denn der Bürger wendet sich an den Abgeordneten. Und ich möchte den Abgeordneten kennen, der dann sagt: Wende dich doch selber an deinen Landrat. Was interessiert mich dein Baugesuch? Die Straße interessiert mich auch nicht. Ich habe große Aufgaben, ich muß Europa bauen. Dann würde der Bürger sagen: Mein lieber Freund, wenn du für mich keine Zeit hast, dann habe ich für dich auch keine. Das ist doch das Wechselspiel, das da ist, das auch funktionieren muß. Das ist doch die Klammer der parlamentarischen Demokratie, damit unsere, sagen wir einmal, hochinflationäre Gesetzgebung draußen nicht noch mehr Schaden anrichtet, als ohnedies Schaden angerichtet worden ist. Und da gibt es auch keinen, der mit dem Finger auf jemanden zeigen kann. Michael Horlacher hat immer gesagt: Wer mit dem Finger auf den anderen zeigt, muß wissen, daß drei Finger auf ihn selber zeigen. Also: Sünder allzumal, auch auf diesem Gebiet.
Nun zum Parlamentsbesuch. Da können Sie mit Engelszungen reden. - Sie können das den Leuten nicht klarmachen. Sie können sagen: Das ist schon im Fraktionsvorstand, in der Fraktion, im Arbeitskreis, im Ausschuß und dann in Zwischenberichten in den Fraktionen behandelt worden, und dann geht es wieder in den Fraktionsvorstand, dann wieder in den Arbeitskreis. Das, was im Plenum letztlich verabschiedet wird, ist schon viermal, fünfmal, sechsmal und öfter durch unsere Gremien gegangen. Also wir wissen es. Und die im Ausschuß wissen ganz genau: Da spricht der Herr Miltner, da spricht der Gärtner, der Bötsch oder Collet oder Schulte. Die wissen ganz genau, was der sagt, weil es schon im Ausschuß besprochen worden ist. Aber dies alles hilft nichts.
Und wenn eine Bundestagsdebatte im Fernsehen übertragen wird und das Plenum so wie jetzt besetzt ist, laufen oben im Präsidium - nicht hier, sondern ein Stockwerk höher - die Drähte heiß. Die Bürger, die da mit uns telefonieren wollen und, wenn sie durchkommen, natürlich eine Gesprächspartner finden, haben nicht immer die zarteste Ausdrucksweise, um uns klarzumachen, daß sie mit dem Zustand nicht zufrieden sind.
Also versuchen wir es! Versuchen wir es! Ich sage immer: Wenn Herbert Wehner das fertigbringt, warum sollte es uns nicht gelingen, daß wir ein bißchen stärker anwesend sind? Es sind heute schon die Richtigen da; die sind auch sonst überwiegend im Plenum.
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Präsident Stücklen
Mit dieser Geschäftsordnung können wir nicht nur leben, sondern diese Geschäftsordnung ist konkretisiert worden. Sie ist vervollständigt worden. Wir brauchen das eben in der Bundesrepublik Deutschland. Wir Deutschen sind so. Das muß jeder genau wissen: Wie darf er sich verhalten? Der Präsident muß wissen: Was kann er, was darf er, was muß er? Und der Abgeordnete muß seine Rechte kennen. Und die müssen in Paragraphen festgelegt werden. Und es darf nur wenig Schwierigkeiten und Auslegungsschwierigkeiten geben. Das hat diese Geschäftsordnung wirklich in hervorragender Weise zustande gebracht. Den Dank werde ich am Schluß denen aussprechen, die diesen Dank wirklich verdient haben.
Und nun gibt es die Parlamentsreform. Der Kollege Schäfer ist im Augenblik nicht da. Die Parlamentsreform betrifft die Behandlung der Gesetzesvorlagen: Wo soll die zweite Lesung stattfinden? Wie und wann und wo soll die Offentlichkeit zugezogen werden, damit diese Ausschußberatung einen Teil der Behandlung im Parlament ersetzen kann? Dies alles ist eine ganz, ganz schwierige Frage.
Wir haben im bayerischen Landtag die Ausschußsitzungen öffentlich. Das bedeutet: Da wird schon im Ausschuß mit offenem Fenster gesprochen. Ich sage immer wieder und sage es auch den Besuchergruppen hier und in Diskussionen: Wo wirklich noch ein versöhnlicher Ton herrscht - in der Regel -, das ist in den Ausschüssen; und wo noch Kompromisse gesucht und gemacht werden, das ist in den Ausschüssen. Dort wird noch die harte Kärrnerarbeit geleistet, die man von einem Parlamentarier erwarten muß.
Und deshalb bin ich strikt dagegen, die Ausschußsitzungen öffentlich zu machen,
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weil wir dann den Bereich noch verlieren, in dem wir noch ohne Prestigeverlust unsere Meinung auch einmal konträr zu der der Fraktion sagen können und hoffentlich auch sagen müssen. Daß sie im Plenum dann vielleicht nur noch temperiert erscheint, ist eine andere Sache. Wir wissen ganz genau, daß es ohne Fraktionsdisziplin - es gibt keinen Fraktionszwang - nicht immer geht.
Und dann meine ich - das ist ein ganz wichtiges Problem; ich weiß nicht, ob ich hier vielleicht etwas zu weit greife; aber ich sage es -: Die heutige Zusammensetzung und Arbeitsweise unserer Untersuchungsausschüsse sind meiner Meinung nach nicht tragbar.
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Hier sitzt eine Partei über die andere Partei zu Gericht. Es gibt kein Urteil, es gibt einen Bericht. Aber in der Offentlichkeit wird dieser Bericht als Urteil gewertet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier müssen wir versuchen, einen Weg zu finden, um eine Objektivierung der Arbeit der Untersuchungsausschüsse, die es geben muß, natürlich auch künftig geben muß, zu finden. Ich habe mich lange mit dem Justizminister, Herrn Dr. Vogel, über
diese Frage unterhalten. Er stimmt mir im Grundsatz und im Prinzip völlig zu.
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- Ich weiß auch ganz genau, wie schwierig das ist. Wenn man wirklich darangeht und versucht, eine andere Lösung für die Untersuchungsausschüsse zu finden, dann, davon bin ich überzeugt, findet man sie auch.
Die Fragestunde. Ich bin neun Jahre Minister gewesen und weiß ganz genau Bescheid in diesem Bereich. Da kommt die Frage herauf und saust hinunter bis zum Amtsrat, das ist der Sachbearbeiter. Der pinselt eine halbe oder eine Seite, und dann erkundigt er sich schon im Parlament, ob da auch eine Zusatzfrage kommt. Wenn ja gesagt wird, fragt er, wie die ungefähr aussieht. Der Abgeordnete sagt das dann auch, weil der Abgeordnete ein freundlicher Mensch ist. Dann wird auch die Zusatzfrage bereits in der Antwort vorbereitet. Da ist es besser, Sie schicken es gleich schriftlich ins Haus, und die Antworten auf die Fragen, die ihn in seinem Heimatkreis, in seinem Wahlkreis interessieren, soll er dann veröffentlichen lassen. Dann brauchen wir uns hier nicht so lange aufzuhalten.
Deshalb meine ich, daß die Fragestunde stärker politisch aktualisiert werden sollte. Wie großartig, das englische Unterhaus - es hat sicher in der Vergangenheit große Debatten gehabt, sie haben es dann und wann auch heute noch - hat immer eine aktuelle Fragestunde. Die Fragestunde im englischen Unterhaus: da ist Zucker drin, da ist Pfeffer drin, da muß auch mal der Minister antreten und dastehen und nicht nur seinen nachgeordneten Gehilfen - heute brauchen sie nicht da zu sein, wir sagen ihnen schon, was wir hier gesagt haben -, seinen nicht schlecht bezahlten Vertreter, den Parlamentarischen Staatssekretär hinschicken. Etwas anders sehen Sie doch kaum mehr, wenn Sie die Fragestunde nehmen. Hier sollte das also aktualisiert werden.
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- Ich weiß, ich habe das gesehen. Ich habe schon gesagt: Er traut seinem Parlamentarischen heute nicht, er stellt sich selber hin.
Gibt es eine Möglichkeit, daß wir nicht diese Art von Fragestunde haben? Wie auch hier gesagt worden ist, bin ich der Meinung, daß es richtig ist, aus der mündlichen Frage Bewertungen, Unterstellungen und ähnliches herauszuhalten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Collet?
Herr Präsident, Herr Abgeordneter, sind Sie der Meinung, daß die heutige Fragestunde ein Muster dafür war, wie Fragestunden sein sollen?
Ich habe Sie nicht ganz mitbekommen, Herr Kollege Collet.
({0})
Ich kann nur sagen, ich habe den Landwirtschaftsminister zu der Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle gehört, und die war meiner Meinung nach instruktiv. Wieso glauben wir im übrigen denn
- auch ich weiß, daß es die Erwartung der Abgeordneten hier im Hause ist -, daß die Regierung das sagt, was er erwartet? Die denken gar nicht daran. Sie werden das sagen, was sie für richtig halten, und das ist ihr gutes Recht. Sie haben auch das Recht, zu sagen: Darauf gebe ich keine Antwort. Sie haben auch das Recht, mit zwei Sätzen zu antworten.
({1})
- Das sind aber selbstverständlich Ausnahmen, Herr Kollege Collet.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?
Herr Kollege Stücklen, können Sie die Frage beantworten, weshalb wir die einmal schon probeweise eingeführte Praxis, nämlich die Regierung zu befragen - Sie haben daikenswerterweise auf die Praxis im englischen und kanadischen Parlament hingewiesen; ich habe das dort mitgemacht und kann bestätigen, daß das sehr munter und sehr aufschlußreich ist -, wieder aufgegeben wurde?
Gut, dann sollte man sofort nachkramen oder es wieder hervorholen, und wenn es brauchbar ist, soll man es machen. Ich meine nur, man erwartet mehr Aktualität, mehr Lebendigkeit in diesem Parlament, und das braucht auch dieses Parlament.
Ich darf noch einen einzigen Punkt anschneiden. Auch darüber habe ich mit einem Sachverständigen gesprochen. Heute habe ich ein Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs gehabt. Der Präsident des Bundesrechnungshofes müßte dem Parlament zugeordnet sein ({0})
ganz gleich, wer an der Regierung ist; das spielt überhaupt keine Rolle; ich sage das parteipolitisch wertneutral - so wie der Wehrbeauftrage. Nur muß man dem Wehrbeauftragen endlich mal ein Gesetz geben, damit er weiß, wo er wirklich hingehört. So müßte es auch beim Präsidenten des Bundesrechnungshofes sein. Da bestellt ihn eine Regierung. Damit ist nicht mehr sichtbar dokumentiert, daß hier eine Position vorhanden ist wie beim alten preußischen Rechnungshof.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?
Herr Kollege Stücklen, wenn Sie schon die richtige Forderung stellen, daß der Präsident des Bundesrechnungshofes dem Bundestag unterstehen sollte, meinen Sie nicht, daß wir dann nicht wenigstens eine viel kleinere Reform durchführen könnten, nämlich die Wochenzeitung „Das Parlament", die über unsere Debatten berichtet, aus der Zuständigkeit des Bundesinnenministers endlich in die Zuständigkeit des Bundestages zu überführen?
({0})
Warum nicht? - Frau Kollegin Renger, warum nicht? Wir müssen „Das Parlament" auf die Hörner nehmen. Das ist eine Anregung, die aber heute im Zusammenhang mit der Geschäftsordnung nicht zur Entscheidung steht.
({0})
Zum Abschluß möchte ich sagen, daß diese mühsame Arbeit, die über mehrere Legislaturperioden hinweg geleistet worden ist, nach meiner Meinung und nach meiner parlamentarischen Erfahrung, die doch - an Jahren gesehen - groß ist, ein gelungenes Werk darstellt. Der Geschäftsordnungsausschuß hat in der Tat mit großer Gewissenhaftigkeit und mit großem politischem und parlamentarischem Einfühlungsvermögen ein Werk geschaffen, das in der Lage ist, die parlamentarische Arbeit über Jahre zu tragen. Dafür möchte ich Ihnen, Herr Vorsitzender Schulte - Frau Schlei, winken Sie nicht ab; ich will etwas Gutes über ihn sagen, weil er das verdient hat -, der Sie mehr an Zeit und innerer Anteilnahme an diese Aufgabe gewandt haben, als man schlechthin auch bei gewissenhafter Erfüllung der Pflicht erwarten konnte, den Ausschußmitgliedern, den Berichterstattern und dem Sekretariat des Ausschusses den aufrichtigen und herzlichen Dank des Präsidiums des Deutschen Bundestages sagen. Mit dieser Geschäftsordnung läßt sich ein Parlament gut, wirkungsvoll und auch attraktiv führen.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4127 unter Ziffer 1, den Entwurf einer Geschäftsordnung des Bundestages in der Fassung des Entwurfs auf Drucksache 8/4127 mit den Änderungen auf Drucksache 8/4262, Nachtrag zur Beschlußempfehlung und zum Bericht, anzunehmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/4127 unter Ziffer 1 und auf der Drucksache 8/4262 unter Ziffer I sind damit einstimmig angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/4127 unter Ziffer 2, daß die Neufassung der Geschäftsordnung am 1. Oktober 1980 in Kraft treten soll. Wer hiermit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit angenommen.
Vizepräsident Wurbs
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 8/4114 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4304 -
Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksachen 8/4293, 8/4305 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Linde Dr. Bötsch
({2})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das Wort zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Dr. Bötsch.
Ergänzend zu dem vorgelegten schriftlichen Bericht darf ich als Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion noch folgende Anmerkung machen. Ich möchte mich zunächst bei all denen bedanken, die trotz des Zeitdruckes in sorgfältiger Beratung die schwierige Materie mitbehandelt haben; eine sorgfältige Beratung, die teilweise bis in die späten Abendstunden der letzten Woche hineinging und noch heute vormittag einige Feinabstimmungen notwendig machte.
Auch um in der Offentlichkeit kein falsches Bild über das heute zu verabschiedende Gesetz entstehen zu lassen, muß betont werden, daß hiermit keine Änderung der Vergütung der aktiven Abgeordneten oder etwa eine Änderung der Höhe der Versorgung beschlossen werden soll. Mit einer Wahlmöglichkeit für die bereits vor dem 1. April 1977 ausgeschiedenen Abgeordneten, ob sie die Versorgung nach dem Abgeordnetengesetz oder nach dem früheren Diätengesetz von 1968 geltend machen wollen, sollen inzwischen aufgetretene Härtefälle beseitigt werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Regelung ist die Frage der Imkompatibilität von Professuren und Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß wegen der Notwendigkeit der Betreuung von Doktoranden und Habilitanden und auch wegen der Sonderstellung des Professors, der nicht in allen Punkten mit den übrigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gleichgesetzt werden kann, eine Sonderregelung notwendig ist. Es muß ihm auch während seiner Tätigkeit im Deutschen Bundestag eine Chance geboten werden, in seinem Fachbereich weiter zu forschen. Die Vergütung - dies wurde ausdrücklich sichergestellt - soll sich aber nur nach der tatsächlichen Arbeitszeit richten. Eine Tätigkeit in den Selbstverwaltungsgremien der Hochschule sollte gewährleistet sein.
Eine Regelung für Mitglieder des Europäischen Parlamentes, die in der ersten Lesung noch nicht vorgesehen war, wurde im Laufe der Beratungen auf Grund interfraktioneller Anträge aufgenommen. Der Wunsch des Bundestages bei der Verabschiedung des Europaabgeordnetengesetzes im letzten Jahr, daß das Europäische Parlament baldmöglichst eine eigenständige zureichende Regelung für die Europaabgeordneten treffen würde, hat sich leider nicht erfüllt. Eine solche Regelung ist bisher nicht nur nicht geschaffen, sondern auch in absehbarer Zeit nicht in Sicht. Der Deutsche Bundestag sollte deshalb davon ausgehen, daß die Mitglieder des Europäischen Parlaments in Zukunft nicht schlechter, aber - ich betone - auch nicht besser als die Mitglieder des Deutschen Bundestages gestellt werden. Um ihnen am Sitze des Deutschen Bundestages wegen der Verbindung des Parlaments zum Europäischen Parlament eine einigermaßen tragbare Arbeitsmöglichkeit zu geben, werden technische Hilfen beim Aufenthalt in Bonn angeboten, die Sie im einzelnen im Gesetzestext nachlesen können. Damit ist natürlich nicht eine Amtsausstattung wie für die dauernd in Bonn präsenten Abgeordneten des Deutschen Bundestages gemeint.
Die Versorgung sollte in gleicher Weise wie bei Bundestagsabgeordneten geregelt werden, wobei wir in einer Bestimmung sichergestellt haben, daß keine Doppelversorgung gewährt wird und diese Versorgung dann wegfällt, wenn das Europäische Parlament in diesem Bereich eine gleiche oder bessere Regelung beschließen sollte.
Mit den Bestimmungen über die Verhaltensregeln der Abgeordneten bei einer Tätigkeit neben der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag wurde ein Auftrag des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975 erfüllt. Der Ausschuß war sich hierbei voll und ganz darüber im klaren, daß es hier eine absolut befriedigende Regelung wohl kaum geben kann. Es hat sich bei den Beratungen gezeigt, daß theoretische Abhandlungen in Urteilen in der Praxis oft auf Schwierigkeiten stoßen. So mußte sich der Ausschuß und so muß sich der Gesetzentwurf damit begnügen, Grundsätze festzulegen, die dann ihre Ausformung in der Anlage der Geschäftsordnung erhalten haben.
({0})
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Linde.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich darf mich bei dem Kollegen Bötsch bedanken, daß wir in Arbeitsteilung dieses Gesetz, das unter sehr schwierigen Umständen beschlossen worden ist, unter Zeitnot und auch mit Änderungen im laufenden Ausschußverfahren fertigstellen konnten. Ich hoffe, daß wir trotzdem etwas Gutes hinbekommen haben.
Ich möchte zwei Punkte noch einmal hervorkehren und ganz deutlich sagen, daß es eigentlich zu bedauern ist, daß es entgegen früheren Ankündigungen, insbesondere bei der ersten Lesung des Abgeordnetengesetzes, nicht gelungen ist, über den öffentlichen Dienst hinaus das Verhältnis Beruf und
Mandat auseinanderzuklamüsern, d. h., diese Frage umfassend, allgemeingültig und zutreffend zu regeln. Wir müssen offen sagen, daß wir dies nicht geschafft haben, daß es dafür keine zutreffenden Regelungen gibt. Denn wenn dieses Parlament repräsentativ aus allen Bevölkerungskreisen und aus allen Berufen zusammengesetzt bleiben soll, muß die finanzielle Unabhängigkeit der Abgeordneten als wesentliche Voraussetzung zur Sicherung ihrer Entscheidungsfreiheit gewährleistet werden. Das ist geschehen. Aber darüber hinaus Beschäftigungsverbote auszusprechen, würde die Repräsentation des Deutschen Bundestages beeinträchtigen.
Nicht gewollt sind - das kommt in § 44 a zum Ausdruck - nicht offengelegte Interessenverknüpfung und Beraterverträge, die dem freien Mandat und damit letzten Endes auch dem Art. 38 widersprechen. § 44 a schafft hier eine Ermächtigungsgrundlage. Aber es ist uns auch nicht gelungen, Sanktionen gegen eventuelle Verstöße zu finden. Solche Sanktionen konnten nicht gefunden werden. Sie wissen, daß hier über Dinge wie z. B. eine Strafvorschrift über Abgeordnetenbestechung diskutiert worden ist. Wir sind der festen Überzeugung gewesen, daß eine solche Strafvorschrift nur der Verleumdung und dem Mißbrauch Tür und Tor öffnen würde.
Wir haben uns auch überlegt, ob man die Verhaltensregeln durch eine steuerliche Offenlegung absichern sollte. Auch dieses ist kein gangbarer Weg; denn wenn es „Sünder" gibt, dann werden sie schon bei den Verhaltensregeln nicht offen sein, erst recht nicht bei der Steuer. Dies führt alles nicht weiter. Das ist aber auch nicht nötig, um das freie Mandat zu sichern, weil sich die freiheitliche Demokratie selber gegen Mißbrauch dadurch schützt, daß Abgeordnete gewählt und auch abgewählt werden können und stets, Tag für Tag, der Offentlichkeit, dem Wähler, dem Bürger rechenschaftspflichtig sind. Dies ist die eigentliche Sanktion, und dies sollte man auch hier im Deutschen Bundestag mit Selbstbewußtsein feststellen.
Der Beruf des Abgeordneten ist ein Beruf, der keine Voraussetzungen hat, der aber auch keine Rechtsmittel im Falle der Abwahl oder Kündigungsschutz kennt Dies mögen einmal alle diejenigen bedenken, die zwar ein freies Parlament wünschen, aber manchmal die Vorstellung haben, sie könnten die Abgeordneten voll verbürokratisieren. Im Gegensatz zu jedem anderen Beruf gibt es hier keine Zulassungsbeschränkungen oder Prüfungen. Jedem, der die Vorteile des Abgeordnetenberufes, nicht aber die politische Verantwortung und auch nicht die volle persönliche Hingabe des Abgeordneten zu sehen geneigt ist, sei gesagt: Dieser Beruf und das Mandat stehen jedem offen, der sich wählen lassen möchte und gewählt wird. Mehr ist hier nicht hinzukriegen.
Zum zweiten möchte ich gerne noch auf folgendes hinweisen. Die Regelungen der Amtsausstattung für den Abgeordneten des Europäischen Parlaments - so steht es auch im Bericht des Haushaltsausschusses - schaffen nicht die gleiche Amtsausstattung wie für die Abgeordneten des Deutschen
Bundestages. Ich weiß nicht, wodurch sich dieser Fehler hat einschleichen können. Es wird eine Amtsausstattung geschaffen, die ausdrücklich nur die Zusammenarbeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages sichern soll.
Im übrigen erlauben Sie mir noch einen Hinweis. Um Gerüchten in der Offentlichkeit entgegenzutreten, daß neben der Freifahrberechtigung auch europäische Reisekostenregelungen zur Anwendung kämen, möchte ich auf die klare und eindeutige Kollisionsregelung des § 16 Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes hinweisen. Wenn der Deutsche Bundestag die Rechtsstellung der deutschen europäischen Abgeordneten sichert und sichern muß, weil zur Zeit bedauerlicherweise eine europäische Regelung nicht möglich ist, dann muß aber auch erwartet werden, daß die europäischen Regelungen diesen deutschen Vorgaben angepaßt werden. Die Verwaltungen beider Parlamente sind verpflichtet, dem Willen des Gesetzgebers unbedingt Geltung zu verschaffen und Doppelleistungen zu vermeiden oder diese, wenn sie gezahlt worden sein sollten, zurückzufordern. Die Auskünfte, die wir im Rechtsausschuß in dieser Frage erhalten haben, sind noch nicht voll befriedigend. Wir hoffen aber, daß die beiden Verwaltungen das klarstellen.
({0})
Meine Damen und Herren, das Wort wird anderweitig nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit der Ergänzung auf Drucksache 8/4305 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist bei einer Enthaltung angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegen noch zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4293 unter Buchstabe b die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit einstimmig angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt ferner auf Drucksache 8/4293 unter Buchstabe c, den Antrag auf Drucksache 8/4115 für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Vizepräsident Wurbs
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jäger ({0}), Graf Huyn, Dr. Abelein, Dr. Kunz ({1}), Dr. Becher ({2}), Dr. Czaja, Schmöle und der Fraktion der CDU/CSU
Menschenrechtsorganisationen - Drucksache 8/4196 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({3}) Auswärtiger Ausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jäger ({4}).
Herr- Präsident! Meine Damen und Herren! 7000 politische Häftlinge in der DDR, in ihren Zuchthäusern und Gefängnissen, weit über hunderttausend Ausreisewillige in der DDR! Das sind Zahlen, die naturgemäß auf Schätzungen beruhen. Aber es sind über hunderttausend Ausreisewillige, deren Chancen, bei Wiederholung ihrer Anträge die Gefängnisse der DDR kennenzulernen, weit größer sind als ihr Chancen, in die Freiheit der Bundesrepublik zu gelangen. Dies ist ein Stück der traurigen Wirklichkeit in Deutschland im Jahre 1980. Hinter diesen Zahlen verbergen sich tragische Einzelschicksale von Deutschen und ihren Familien, die dieses Parlament eigentlich weit intensiver beschäftigen müßten, als dies leider der Fall ist.
Diesen Tausenden von Menschen wirksam zu helfen durch eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und allen freiheitlichen Organisationen, die sich der Verwirklichung der Menschenrechte für unsere deutschen Landsleute hinter der Grenze quer durch Deutschland verschrieben haben, ist das eigentliche Ziel unseres Antrags. Damit wollen wir mehr Menschlichkeit und einen Abbau der Menschenrechtsmißachtung durch die DDR-Behörden erreichen.
Zur Einschüchterung der Menschen drüben, vor allem aber derer, die Anträge auf Übersiedlung stellen, oder der Häftlinge, die sich nicht freiwillig dem System unterwerfen, hat die DDR-Regierung in jüngster Zeit zu einer Drohkampagne gegriffen, bei der diesen Menschen gesagt wird: Wenn sich für euch im Westen öffentlich Stimmen erheben, die sich um euer Schicksal kümmern und für euch eintreten, dann müßt ihr wissen, daß ihr erst recht keine Chance mehr habt herauszukommen. Diese Drohkampagne ist naturgemäß um so gefährlicher, je stärker man im Westen bereit ist, auf sie einzugehen.
Es gehört zu den traurigen Wirklichkeiten des Jahres 1980, daß sich der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen leider in diese Kampagne hat einspannen lassen und daß er sich inzwischen, wenn auch sicherlich nicht aus völlig freien Stücken, aber doch im Zwange der von ihm selbst mitkonzipierten Politik, zu einem Werkzeug dieser Drohkampagne machen ließ, weil er die Drohungen an die Adresse weitergehen läßt, an die sie nach Absicht ihrer Urheber gelangen sollen.
({0})
Meine Damen und Herren, dafür gibt es Belege. Ich selbst habe in jüngster Zeit schon Briefe des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen bekommen, in denen bereits formularhaft eine Floskel enthalten ist, die den Hinweis enthält, man möge sich doch bitte aller öffentlichen Stellungnahmen enthalten, weil man sonst diesen Menschen nur schade.
({1})
Unmittelbar oder mittelbar durch die vom Bundesminister eingeschalteten Anwaltsbüros wird Angehörigen, wird Journalisten, wird Menschenrechtsorganisationen bedeutet, sie hätten sich gefälligst jeder öffentlichen Äußerung zu enthalten, weil sie sonst den ihnen Anvertrauten nur Schaden zufügen.
Dies, meine Damen und Herren, ist nicht im Sinne der Menschenrechte aller dieser Menschen. Dies können wir nicht hinnehmen. Dies müssen wir klar und deutlich kritisieren.
Es hat sich interessanterweise gezeigt, daß sogar Kontakte zum Bundesminister selber - das vergißt man allzu leicht - heute schon gefährlich sind. Nach den geltenden Strafgesetzen der DDR ist es schon ein Straftatbestand, wenn sich jemand - auch über Mittelsmänner - an den Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen wendet, um dessen Hilfe und Unterstützung zu seiner vorzeitigen Freilassung zu bekommen. Deswegen ist der Hinweis, daß sich Privatpersonen oder Organisationen hier heraushalten sollten, nichts anderes als eine Täuschung der über diese Dinge nicht informierten Offentlichkeit.
Ich könnte dafür eine Fülle von Beispielen vorlegen. Dies alles ist nichts anderes als das Ergebnis einer Politik, die Leisetreterei, Verharmlosung, wie wir das leider schon oft feststellen mußten, zum Grundsatz gemacht hat.
Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen macht sich zum selbsternannten Vormund .der Menschen, indem er so handelt. Er beansprucht ein Alleinbestimmungsrecht über Menschenschicksale, das weder ihm noch irgend jemandem in dieser Republik zusteht, sondern das nur diesen Menschen selber und allenfalls ihren Angehörigen zusteht. Wir meinen, hier griffen der Bundesminister und die Bundesregierung, für die er handelt, weit über das hinaus, was ihnen das Grundgesetz zugesteht.
Ich will hier gar nicht näher von der gefährlichen Nähe reden, in die sich das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen mit diesem Handeln zu einer grundgesetzlich verbotenen Pressezensur begibt, wenn es diese Warnungen auch auf Journalisten ausdehnt. Wir kennen ja die Beispiele. Ich brauche nur auf die Sendung „Hilferufe von drüben" im Zweiten Deutschen Fernsehen zu verweisen, bei der es massive - massive! - Eingriffe dieses Bundesmi18294
Jäger ({2})
nisters gegeben hat. Wir müssen davor warnen, die Pressefreiheit in einer solchen Weise auszuhöhlen.
Selbst von der Bundesregierung unterschriebene Dokumente - ich verweise auf die KSZE-Schlußakte von Helsinki - erkennen ausdrücklich die Rolle von Privatpersonen und Organisationen bei der Verwirklichung der Beschlüsse von Helsinki, also auch bei der Verwirklichung der Menschenrechte an. Die Bundesregierung ist gehalten, diese Rolle von Privatpersonen und Organisationen anzuerkennen. Alles andere wäre ein glatter Verstoß gegen die Prinzipien, die die Bundesregierung selbst klar und deutlich als ein politisches Ziel herausgestellt hat.
Die Haltung der CDU/CSU, meine Damen und Herren, zu diesen Fragen ist klar und eindeutig. Auch wir befürworten zunächst vertrauliche Gespräche zwischen den Behörden hüben und drüben. Wenn aber anhaltenden Bemühungen im Rahmen dieser Gespräche kein Erfolg beschieden ist, wenn sich die Behörden drüben trotz anhaltender Bemühungen weigern, für die betroffenen Menschen etwas zu tun, ist, wie wir meinen, die Mobilisierung der öffentlichen Meinung nicht nur zulässig, sondern in vielen Fällen geboten, um den Gesetzen der einfachsten Menschlichkeit Genüge zu tun.
({3})
Dies hat im übrigen - das möchte ich denen von Ihnen sagen, die sich jetzt hier so laut ereifern - der frühere Bundespräsident Scheel durch sein Bundespräsidialamt ausdrücklich anerkannt, als er am 5. Dezember 1978 schrieb - ich zitiere -:
Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, daß das Nebeneinander von Bürgeraktionen und privaten Organisationen auf der einen Seite und den Aktivitäten der Bundesregierung auf der anderen Seite auf dem Gebiet der Verwirklichung der Menschenrechte durch diese Zweispurigkeit außerordentliche Hilfen leisten konnte.
Es ist also einfach falsch, so zu tun, als sei allein die Hilfe des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen maßgeblich. Wir kennen sogar Fälle, in denen seine Hilfe nichts genützt hat, wohl aber öffentliches Eintreten.
({4})
- Ich könnte Ihnen hier - die kürze Zeit, die uns heute abend zur Verfügung steht, reicht dazu nicht aus - verschiedene Zitate bringen, aus denen sich das ergibt.
Die Organisationen, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben, verdienen unseren Dank und unsere Ermunterung für ihre weitere segensreiche Tätigkeit zum Wohl einzelner Menschen. Optimale Erfolge jedoch für eine große Zahl unterdrückter und inhaftierter Deutscher im kommunistischen Machtbereich lassen sich in Zukunft nur erreichen, wenn die Gängelei und Leisetreterei der Bundesregierung und vor allem des Ministers für innerdeutsche Beziehungen durch ein planvolles und vertrauensvolles Zusammenwirken mit den die Menschenrechte verteidigenden Organisationen und Gruppen erreicht wird. Freiheit für die Menschen ist letztlich die Frucht der Solidarität aller Demokraten für Freiheit und Menschlichkeit. Wir appellieren an die Bundesregierung, sich dieser Solidarität nicht länger zu verschließen.
(Beifall bei der CDU/CSU - Wehner [SPD]:
Gewaltig»
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist eine Provokation. Ich bedaure diese Provokation.
({0})
Ich habe mir den Ausgang dieser Legislaturperiode gerade in unserem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen etwas anders vorgestellt - nach dem, was in diesem Ausschuß vor sich ging und auch geboten wurde. Es widerspricht dem Geist, in dem sonst zu sprechen für uns notwendig ist, wenn man hier Unterstellungen vornimmt, die nicht stimmen und die böswillig gegen Menschen gerichtet werden, die sich mit aller Mühe und allem, was möglich ist, um die Menschen, die in Gefängnissen sitzen, bemühen.
({1})
- Lassen Sie das doch; ich habe bei Ihnen auch keine Zwischenrufe gemacht.
({2})
- Sie machen mich auch nicht nervös; geben Sie sich keine Mühe. Sie hätten sich dies sparen sollen. Dann hätten wir besser miteinander reden können.
({3})
Wissen Sie eigentlich nicht, Herr Jäger, daß Sie mit solcher Beschimpfung und Unterstellung
({4})
nicht nur die Leistungen, sondern vor allen Dingen auch die zukünftigen Möglichkeiten in Frage stellen? Diese Gefahr bergen dieser Antrag und die Begründung dieses Antrages in sich.
({5})
Sie nehmen auf die Schlußakte von Helsinki Bezug. Verehrter Herr Kollege, wo wären wir denn heute, wenn wir Ihrem Rat gefolgt wären und die KSZE-Schlußakte nicht unterschrieben hätten?
({6})
Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wären wir der Schlußakte nicht beigetreten. Wenn Sie überhaupt eine politische Einschätzung und eine Ubersicht haben - Sie können sie sich verschaffen -, dann wissen Sie, daß mit der KSZE nicht nur in Deutschland,
sondern in einem großen Teil Europas völlig neue politische Entwicklungen eingeleitet worden sind.
({7})
- Sie können sich nichts mehr wünschen. Aber ich kann mir noch etwas wünschen.
Wir wissen, daß die DDR in unserem Sinne kein humaner Staat ist. Aber dieser Staat ist vorhanden, und wir müssen mit ihm leben. Wir müssen vor allen Dingen mit seinen Menschen rechnen, die auf uns warten und auf uns hoffen, die insbesondere darauf hoffen, daß über die KSZE und weitere Entwicklungen auch für sie einmal eine Veränderung - wie auch immer - eintritt.
({8})
Der Bundesregierung und besonders dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen wird vorgeworfen, man setze sich nicht genügend für die Menschenrechte ein und übe Druck auf Menschen und Organisationen aus, öffentliche Appelle zugunsten bedrängter Landsleute in der DDR zu unterlassen. Der Minister kann gar keinen Druck ausüben. Er kann eine Meinung haben, und wenn er es für richtig hält, hat er die Pflicht, diese Meinung auch denen zu sagen, von denen er glaubt, daß es für sie notwendig ist.
({9})
Ich sage Ihnen: Den Vorwurf, den Sie einem so alten Sozialdemokraten wie Egon Franke gemacht haben, muß er sich nicht gefallen lassen. Seine Partei hat in vielen opferreichen Kämpfen bewiesen, wie sie für Freiheit und Demokratie einsteht. Ihr Sprecher Otto Wels hatte als einziger den Mut, am 22. März 1933 vor dem Deutschen Reichstag unter Lebensgefahr laut und deutlich für die von Nationalsozialisten Verfolgten und Bedrängten einzutreten. Das müssen sich die Sozialdemokraten anhören, die sich nach den Torturen des Nationalsozialismus genauso gegen die kommunistische Diktatur gewandt haben!
Die Bundesregierung soll Druck ausüben. Was tut sie? Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und der Leiter unserer Ständigen Vertretung in Ost-Berlin würden ihre Amtspflicht verletzen, wenn sie nicht jeden, den es angeht, darauf hinwiesen, welche Risiken er eingeht, wenn er das Schicksal von einzelnen öffentlich anprangert.
({10})
- Das sind zwei Fälle, Herr Jäger. Daneben sind Hunderte von Fällen unter den Tisch gerutscht. Das sind zwei Fälle, die so aufgebauscht worden sind, daß es für die DDR leichter war, von allen anderen abzulenken. Wir haben im Innerdeutschen Ausschuß gerade in den letzten Monaten - Sie waren immer dabei - von Herrn Staatssekretär Gaus und auch vom Minister selbst Zahlen bekommen und gehört, auf welche Art der Minister mit Hilfe seines Amtes die Leute aus den Gefängnissen herausgeholt hat. In dem Hearing, das vertraulich sein sollte und dann doch verhonoriert worden ist, ist deutlich geworden, daß selbst ein Mann wie Hübner bekannt hat, daß er ein Einzelfall sei.
({11})
Die Mehrzahl der Befragten hat sich bei dem Minister für die Leistungen bedankt, die still und lautlos erbracht worden sind.
Sie haben kein Recht, jemanden anzuklagen. Wenn Sie es tun, verletzen Sie - ich wähle diesen Ausdruck, weil Sie ihn gebraucht haben - die Solidarität, die gerade auf diesem Gebiet unter uns noch bestehen sollte.
({12})
Ich habe den Eindruck, daß manchmal Schicksale von einzelnen Menschen für tendenziöse Zwecke mißbraucht werden.
({13})
Da wird das Einzelschicksal eines verhafteten Westdeutschen veröffentlicht und die Frage angeschlossen: „Von der Bundesregierung vergessen?" Die fragestellende Organisation, die von sich behauptet, sie sei über die Zustände in den Haftanstalten so gut unterrichtet, weiß natürlich genau, daß sich die Beamten der Ständigen Vertretung - auch durch Besuche - laufend um alle westdeutschen Häftlinge kümmern.
Meine Damen und Herren, ich möchte bei dieser Gelegenheit diesen Beamten und anderen Mitarbeitern des Hauses von dieser Stelle aus den Dank und die Anerkennung für ihren unermüdlichen und erfolgreichen Einsatz aussprechen.
({14})
Der einzige, der sich in Gesprächen mit der DDR wirksam für Bedrängte in Haftanstalten und für Fälle der Familienzusammenführung einsetzen kann, ist die Bundesregierung. Wer etwas anderes behauptet, täuscht meistens etwas vor. Ein Abgeordneter, der um Hilfe angegangen wird, wendet sich an den Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen. Der Vorsitzende des Ausschusses tut das gleiche, und auch die Menschenrechtsorganisationen können nichts anderes tun.
Ich empfehle daher jedem, sich gegebenenfalls direkt an den Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen in Bonn, Godesberger Allee 41, Postfach 12 02 50, zu wenden, und ich stelle fest, daß Abgeordnete aller Fraktionen mit der vertrauensvollen Kooperation mit dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und seinen Beamten gute Erfahrungen gemacht haben.
({15})
Auch ihm und seinen Mitarbeitern gebührt an dieser Stelle Dank, und ich bin sicher, daß der Herr Minister auch in der Lage ist, zahlreiche Dankschreiben von Mitgliedern der Opposition vorzuweisen. Der vorliegende Antrag verdient eine sang- und klanglose Beerdigung.
({16})
Meine Damen und Herren, unser Bemühen in diesen Fragen war, ist und bleibt ein Bemühen um möglichst enge Kooperation. Die letzten Jahre haben für die innerdeutschen Beziehungen viele Erfolge gebracht Minister, Staatssekretär und Parlamentarischer Staatssekretär haben laufend berichtet. In vielen Gesprächen sind Anregungen gegeben worden, und in Hearings haben wir uns Kenntnisse verschafft Mit dem letzten haben wir, wie ich schon sagte, Pech gehabt Es sollte vertraulich bleiben, aber es ist nicht vertraulich geblieben. Das wird noch Schaden anrichten.
({17})
Darüber, meine Damen und Herren, bin ich traurig.
({18})
Meine Damen und Herren, dies wird meine letzte Stellungnahme vor diesem Hause sein. Ich bedanke mich bei allen Kollegen für die gute Zusammenarbeit, und ich bedanke mich beim Minister, beim Staatssekretär und beim Parlamentarischen Staatssekretär für die Hilfe, die sie uns in den vier Jahren angeboten, und für die Zusammenarbeit, die sie praktiziert haben. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Merker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema, das uns heute von der Opposition vorgelegt worden ist, war vor einiger Zeit Gegenstand einer Pressekonferenz, und ich habe den Eindruck, daß das Ergebnis dieser Pressekonferenz so dürftig gewesen ist, daß die Opposition sich veranlaßt gesehen hat, uns diesen Antrag hier noch einmal vorzulegen, einen Antrag, aus dem ich zitieren möchte: „Daß von amtlicher Seite auf Menschenrechtsorganisationen kein Druck ausgeübt werden solle, um Hilferufe oder Appelle zu unterlassen, mit denen auf die Freilassung von Häftlingen in der DDR hingewirkt wird."
Was soll eigentlich, meine Damen und Herren von der Opposition, dieser erneute Versuch? Seit einigen Jahren versucht die Opposition immer wieder, durch parlamentarische Aktivitäten den Nachweis zu erbringen, daß es der Bundesregierung im Bereich der Menschenrechte an Initiativen fehle und daß sie kein Konzept zur Durchsetzung der Menschenrechte habe. In diesem Zusammenhang werden dann insbesondere gegen die Deutschland- und Ostpolitik Vorwürfe erhoben. Es sind unberechtigte Vorwürfe, wie ich meine; denn diese Vorwürfe haben ihre Ursache in einem bewußten oder unbewußten Mißverständnis der Ziele und Methoden der Entspannungspolitik. In Anbetracht der vielfältigen Bemühungen um die Verwirklichung der Menschenrechte im innerdeutschen wie im internationalen Bereich muß ich diese Vorwürfe gegen die Bundesregierung mit allem Nachdruck zurückweisen.
Das Thema Menschenrechte darf nicht innenpolitisch mißbraucht werden, denn damit wird nur das Gegenteil des eigentlich Gewollten erreicht, nämlich eine Erschwerung der Bemühungen um die Durchsetzung der Menschenrechte im Interesse der einzelnen Personen.
({0})
Wenn es um die Verwirklichung der Menschenrechte auch für unsere Landsleute in der DDR geht, dann wird derjenige enttäuscht werden, der spektakuläre Erfolge sucht. Wer diese als möglich hinstellt, erzeugt Illusionen und verstellt sich den Blick für das heute Erreichbare.
In diesem Sinne begrüßen wir die in der DDR verkündeten Amnestien der vergangenen Monate. Wir halten die Freilassung Bekannter und Unbekannter für einen wichtigen Schritt, auch wenn damit - wem sage ich das eigentlich? - in der DDR noch lange nicht ein Rechtssystem vorhanden ist, das unseren Vorstellungen entspricht Jede Möglichkeit zu praktischen Fortschritten muß genutzt werden, seien sie noch so gering. Es gibt viele Gebiete von gemeinsamem Interesse für die Bundesrepublik Deutschland und die DDR. Die Koalitionsregierung hat in den letzten zehn Jahren bewiesen, daß man diese Gebiete herausfinden muß, damit Fortschritte für die Menschen verwirklicht werden können. Das, meine Damen und Herren von der Opposition, ist praktische Menschenrechtspolitik.
({1})
Was die Verletzung von internationalen Vereinbarungen zum Schutze der Menschenrechte angeht, so ist es die erklärte Politik dieser Bundesregierung, sich gegen die Verletzung dieser Rechte zu wenden, unabhängig davon, wo und von wem die Verletzungen begangen werden. Diese Politik hat die Bundesregierung sowohl auf der KSZE-Folgekonferenz in Belgrad als auch vor den Vereinten Nationen vertreten. Es erweist sich jedoch, daß mit den Mitteln der stillen Diplomatie in bilateralen Gesprächen für die Sache der Menschenrechte mehr zu erreichen ist als durch laute Erklärungen oder durch Verurteilung in internationalen Gremien. Es geht dabei nicht darum, Schärfen in der Beurteilung der Menschenrechtssituation in der DDR zu vermeiden, sondern darum, sich gegenüber der DDR nicht die Möglichkeit für die Lösung zahlreicher humanitärer Einzelfälle zu verbauen. Eine Haltung, die von der DDR als reine Polemik empfunden würde, geMerker
fährdet nach unserer Ansicht die Hilfe für einzelne Menschen im anderen Teil Deutschlands.
({2})
Wir legen für die Beurteilung der Menschenrechte im Verhältnis zur DDR keinesfalls einen großzügigeren Maßstab an, als wir dies weltweit tun.
({3})
Nun kommt die Opposition und beklagt sich, daß gewisse Organisationen von der Bundesregierung nicht genügend beachtet werden. Nach unserer Meinung, Herr Kollege Jäger - ich sage Ihnen dies in aller Deutlichkeit -, schaden diese sogenannten Menschenrechtsorganisationen der Sache gelegentlich mehr, als sie nützen.
(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das ist eine
Unverfrorenheit, was Sie da ausdrücken»
Wie viele positive Ansätze besonders unter der Leitung des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen wurden bereits zerredet, sehr oft zum großen Schaden der Betroffenen, weil damit lediglich in der Offentlichkeit eine Provokation erreicht werden sollte? Das liegt eben nicht im Geiste der Schlußakte von Helsinki.
({4})
Ist sich die Opposition eigentlich dieses Tatbestandes bewußt? Wo liegen denn eigentlich die von der Opposition erwähnten Übelsttände? Doch nicht bei dieser Bundesregierung, die mit ihrer Politik der kleinen Schritte zäh und geduldig für die Verbesserung der Beziehungen mit der DDR arbeitet, die oft in vertraulichen Kontakten mit den Behörden der DDR Freilassungen von Häftlingen zu erreichen versucht und auch erreicht, während die von der Opposition erwähnten Menschenrechtsorganisationen aus durchsichtigen Motiven lediglich mit den Mitteln der Provokation in der Offentlichkeit und in den Medien arbeiten. Die Ergebnisse, meine Damen und Herren, sind dann allerdings auch entsprechend, manchmal sogar mit einem schlimmen Ausgang für die Betroffenen.
Selbstverständlich stellt die Bundesregierung fest, wenn Menschenrechtsverletzungen in der DDR vorliegen, die die politischen Beziehungen der beiden deutschen Staaten belasten. Ich darf daran erinnern, meine Kollegen von der CDU/CSU, daß die Bundesregierung Ihre Große Anfrage am 20. September in einem umfassenden Katalog beantwortet hat, der insgesamt über 100 Antworten der Bundesregierung auf insgesamt über 19 Druckseiten enthalten hat. Es liegen heute naturgemäß keine neuen Erkenntnisse vor, wohl aber wird gezeigt, daß sich auch die Bundesregierung keine Illusionen über die Situation der Menschenrechte in der DDR macht. Sie hat die Konsequenz daraus gezogen, und sie ist und bleibt bemüht, weitere Verbesserungen zu erreichen.
Die FDP-Bundestagsfraktion, die die Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung maßgeblich mitprägt und mitgestaltet, sieht keine Veranlassung,
das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen zu tadeln. Es geht hier nicht um öffentliche Proteste, so wie die Organisationen es fordern, sondern es geht um die Fortsetzung der Politik der kleinen Schritte, die vor Rückschlägen sicher nicht bewahrt bleiben wird. Aber wir wollen die Durchsetzung der Menschenrechte vorrangig für die einzelne Person.
(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Richtig»
Deshalb ist die Menschenrechtspolitik für uns kein Instrument - das aber steht nun einmal im Gegensatz zu den vielen sogenannten Menschenrechtsorganisationen, die Sie zitiert haben -, um anderen Staaten die eigene Staats- oder Gesellschaftsordnung aufzudrängen.
({5})
Vielmehr geht es uns um menschliche Erleichterungen. Die Strategie der Menschenrechtsorganisationen hilft dem einzelnen Menschen nicht. Das ist keine Menschenrechtspolitik, das ist Menschenrechtspolemik.
Meine Damen und Herren, der Präsident dieses Hauses hat soeben als Redner zu einem anderen Tagesordnungspunkt gesagt, es werde nicht viel zusammenbrechen, wenn dies oder jenes nicht noch kurz vor Schluß einer Sitzungsperiode behandelt würde. Er hat an uns alle appelliert, nicht kurz vor Toresschluß einer Parlamentsperiode noch alle möglichen Anträge einzubringen. Ich würde Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, diese Rede zur Lektüre empfehlen. Denn der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, gehört ganz gewiß dazu. - Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, daß ich den Fahrplan, den sich die Regie dieses Hauses ausgedacht hat, störe. Aber das, was hier vorgetragen wurde, kann nicht unerwidert stehenbleiben. Herr Kollege aus Wangen, ich muß Ihnen schon sagen - ({0})
- Ja, aber ich muß ihn wohl nicht immer kennen. Denn es ist fast peinlich, sich mit diesem Thema zu diesem Zeitpunkt so auseinanderzusetzen, wie Sie meinen, das dirigieren zu sollen.
({1})
Es mag eines geben, was wir gemeinsam haben: Wir haben die politische Wirklichkeit in Deutschland zu beklagen, und da zähle ich die DDR mit hinzu. Wir mögen gemeinsam beklagen, daß es Häftlinge gibt, die auf Grund ihres Verhaltens mit politischer Motivation ihrer Freiheit verlustig gegangen sind. Aber das festzustellen ist keine große Leistung; das bewegt uns seit vielen Jahren. - Ich muß zu
dem, was Sie hier vorgebracht haben, konkret Stellung nehmen.
Der hier in Rede stehende Antrag ist von einer Tendenz getragen und enthält Unterstellungen, gegen die ich mich entschieden verwahren muß.
In Punkt 1 wird behauptet, amtliche Stellen übten Druck auf bestimmte Organisationen oder Einzelpersonen aus, damit diese öffentliche Hilferufe oder Appelle unterlassen.
Worum geht es wirklich? Ich bin einesteils dankbar, daß ich noch einmal die Gelegenheit habe, es hier deutlich zu machen. Aber für manchen ist es vergeblich, wenn man es jeden Tag zehnmal sagt. Es geht darum, daß wir, die Bundesregierung, alle, die es angeht, warnen, humanitäre Anliegen von Einzelpersonen in der DDR hier an die große Glocke zu hängen in der Hoffnung, damit den Bedrängten nutzen zu können. Diese Hoffnung trügt Nichts anderes und nur dies sagen wir hier denen, die sich öffentlich unter Nennung von Namen und Angabe der Anschriften für inhaftierte oder umsiedlungswillige Einzelpersonen in der DDR einsetzen wollen.
Das hat weder etwas mit Leisetreterei zu tun, wie infamerweise in der Begründung dieses Antrags unterstellt wird, noch geschieht es in der Absicht, aus unlauteren oder sonst wie sachfremden Erwägungen Druck auszuüben. Uns und, soweit es mich persönlich angeht, mich leiten einzig und allein die Sorge und die Verantwortung für die höchstmögliche Wirksamkeit unserer humanitären Hilfe, unserer Möglichkeiten. Nehmen Sie das doch endlich zur Kenntnis!
Argumentieren Sie gegen diese Auffassung! Sagen Sie meinetwegen, daß die Menschenrechte nicht auf humanitäre Einzelfälle verkürzt werden dürfen! Wenn Sie so redeten, könnten wir uns ja wenigstens auseinandersetzen. Aber verleumden Sie nicht unsere Motive, indem Sie uns unterschwellig vorwerfen, wir machten uns zum Vormund der Unterdrückten oder gar zum Büttel der Menschenrechtsverletzer!
({2})
Wir wollen helfen und nicht bevormunden. Darum aus unserer Sachkenntnis die Bitte um Mithilfe bei unseren Bemühungen, Tausenden fast durchweg weniger bekannten Einzelpersonen zur vorzeitigen Entlassung aus dem DDR-Gewahrsam zu verhelfen. Das ist das, worum es geht. Benutzen Sie dieses traurige Thema nicht dazu, parteipolitische Münze daraus zu machen!
({3})
Es ist entwürdigend für dieses Haus. Jahrelang war da Konsens. Es bedurfte wohl erst einer neuen Generation CDU-Abgeordneter, um diese Selbstverständlichkeit zu zerstören.
({4})
- Nein! Nein! Das hat gar keinen Sinn. Sachliche
Versuche und Bemühungen sind nie auf Resonanz
gestoßen. Sie, Herr Jäger, bedienen sich aller Möglichkeiten, um in der Offentlichkeit ein Bild darzustellen, das noch mehr als beschämend ist. Hier werde ich in einem Blatt als eidleistender Bundesminister dargestellt. Da heißt es dann unter falscher Zitierung der Eidesformel: Des deutschen Volkes Nutzen mindern: SPD-Minister Franke. Und daneben steht ein Interview mit Ihnen, auf das in diesem Kommentar schon gleich verwiesen wird.
Ein freundliches Zusammenarbeiten, ein Respekt vor dem Ernst dieses Anliegens - ({5})
- Ich unterstelle Ihnen gar nichts! Ich belege das.
({6})
- Ich will Ihnen mal was sagen. Ich habe den Amtseid, den ich hier geleistet habe, immer ernst genommen, und alle meine Handlungen werden durch meinen Eid gestützt
Ich will Ihnen, weil Sie den Amtseid wohl nicht kennen, ihn kurz verlesen:
... meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz
({7})
- bitte? was? jetzt ist ein Druckfehler drin? - ({8})
und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen
({9})
und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Und wenn ich sage: „gegen jedermann", dann beziehe ich auch jenen Mann ein, der im Bereich der DDR lebt und eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat und schon Tausenden durch sein entschiedenes Eintreten mit dazu verholfen hat, daß sie früher in die Freiheit kamen.
Diese Art der Doppelstrategie, die Sie anwenden, ist beschämend. Ich werde täglich von Ihnen mit Zuschriften bepflastert. Da werden mir tragische Einzelschicksale nahegebracht Ich bemühe wicht darum mit meinen Mitarbeitern, oft jahrelang - wir wissen, was das für ein Geschäft ist -, und dann kommen diese Freibeuter - so nenne ich sie mal - an und sagen: Die haben wir rausgeholt
Nischt haben sie dazu getan. Ich kann Ihnen Namen von Häftlingen bringen, die leider jetzt noch in Haft sitzen, weil sie hier mißbraucht wurden
({10}) für die öffentliche Polemik.
({11})
Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Jäger. Es ist für Sie leider kennzeichnend, daß Sie keine Ahnung von diesen Dingen haben.
({12})
Uns geht es darum, so vielen Menschen wie irgend möglich in ihrer Bedrängnis beizustehen und zu helfen. Darum ersparen wir es niemanden, der auf eigene Faust in der Offentlichkeit hier tätig werden will, ihn auf die möglichen gegenteiligen Folgen seines Tuns hinzuweisen.
({13})
- Wer hat denn hier wen beleidigt? Darf ich mal fragen, wer hier wen beleidigt hat?
({14})
- Mit diesem Spektakel können Sie den Tatbestand nicht aus der Welt räumen, daß dieses tragische Schicksal Deutschlands - ({15})
- „Spektakel' - methodisch jener Herr als Wortführer dieser Ausrichtung.
Ich sage Ihnen noch einmal: Weil das so ist, ersparen wir es niemandem, der auf eigene Faust in der Offentlichkeit tätig werden will, ihn auf die möglichen gegenteiligen Folgen seines Tuns hinzuweisen.
({16})
Ich bitte um mehr Ruhe.
Ich meine, es ist unsere Pflicht, die Leute hier in die Verantwortung zu nehmen, ihnen den erschreckenden Zustand der Unwissenheit zu nehmen - damit meine ich auch Sie -, der es ihnen im sicheren Fall der objektiven Erschwerung gestatten würde, zu sagen, sie hätten in gutem Glauben gehandelt und nur das Beste gewollt. Jahrelang bemühe ich mich im stillen Gespräch mit einzelnen, ihr Verantwortungsbewußtsein gegenüber diesen tragischen Fällen zu wecken. Das ist fruchtlos; denn es gibt welche, die bereit sind, auch den letzten Deutschen dort drüben austrocknen zu lassen, wenn sie hier nur ihre Märtyrer aufweisen können.
In der Begründung zum Antrag ist vollmundig vom Menschen- und Grundrecht die Rede, für die Menschenrechte anderer Bürger einzutreten. Das ist sehr gut. Das ist zu allen Zeiten die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie gewesen, auch in
Deutschland, in dem früheren Deutschland, die Menschenrechte zu verwirklichen.
({0})
Da gab es noch nicht diesen Konsens, daß das für uns ein Allgemeingut war. Überall in der Welt treten wir nicht nur für die Wünsche, sondern für die Möglichkeiten ein, die sich bieten, um dem Menschenrecht zum Durchbruch zu verhelfen. Das ist hier nicht ausreichend. Reicht denn dieses Menschenrecht auch so weit, daß für die Menschrechte anderer ohne Rücksicht auf die Folgen eingetreten werden sollte, selbst dann, wenn die Art des Eintretens nachweislich mehr schadet als nützt? Hier sind wir wieder bei der Verschwisterung von Menschenrecht und Menschlichkeit. Wir, die Bundesregierung, bekennen uns dazu ohne Wenn und Aber.
Punkt 2 verlangt, das zuständige Bundesministerium solle mit hiesigen Organisationen vertrauensvoll zusammenarbeiten, um auf diese Weise eine - ich zitiere - „sich gegenseitige ergänzende Vielfalt von Maßnahmen" herbeizuführen. Ich vermag dem nicht zuzustimmen, sofern unter „Vielfalt von Maßnahmen" u. a. auch die öffentliche Erörterung in der Weise verstanden wird, wie sie teilweise etwa in der Gesellschaft für Menschenrecht gewählt wird.
Wir blicken in unseren humanitären Bemühungen mittlerweile auf eine Erfahrung seit 1964 zurück; seit 1964, Herr Kollege Jäger! Diese Erfahrung besagt ganz eindeutig, daß die stille, nicht öffentliche Lösung im Einzelfall der bei weitem sicherste, schnellste und effektivste Weg ist. Soweit es um Erfahrung geht - nur die zählt im konkreten Fall -, ist es auch bezeichnend, wer diesen Antrag unterschrieben und wer ihn nicht unterschrieben hat; denn die Kollegen, die Erfahrung haben, sind sich darin einig, daß es auf gar keinen Fall so geht, wie Sie meinen. Diesen Weg der Erfahrung wollen und müssen wir intakt halten, und darum kann eine Zusammenarbeit der geforderten Art nicht zustande kommen. Es geht einfach nicht.
Darum bedauere ich, insgesamt sagen zu müssen, daß eine Annahme des Antrages durch den Deutschen Bundestag nicht nur nicht nützlich, sondern sogar schädlich für den Erfolg der humanitären Bemühungen der Bundesregierung wäre, die inzwischen eine über 15000fache Bestätigung erfahren haben. Wenn es sein muß, können wir sie namentlich aufführen. Wir können das belegen, weil das Ergebnis immer erst nach langwierigen Verhandlungen zustande kam. Schädlich wäre diese Annahme vor allem auch für die Interessen vieler Menschen, die unsere Hilfe brauchen und inständig darauf warten. Unerträglich wäre ein solcher Beschluß für die seit über 16 Jahren in diesem Bereich tätigen Personen in der Bundesrepublik Deutschland und auch für diejenigen, die in der DDR leben und auch mitwirken müssen, damit überhaupt Ergebnisse zustande kommen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen, da Sie meinen Ausführungen ja sowieso keinen Wert beimessen und Argumenten nicht zugänglich sind, in Auszügen eine Zuschrift verlesen, die unverdächtig
ist, etwa uns zu besonderem Erfolg verhelfen zu wollen. Da heißt es hier unter anderem:
Anliegend erlauben wir uns, Ihnen unsere Presseerklärung zu den Angriffen der Frankfurter Gesellschaft für Menschenrechte zu übersenden. Wir distanzieren uns klar von derartigen Verletzungen der persönlichen Integrität von Herrn Dr. Vogel.
- Um ihn geht es in dieser Zuschrift. Mit derartigen Angriffen wird letztlich nichts weiter erreicht, als daß die besonderen Bemühungen um mehr Humanität in Deutschland in politisches Zwielicht geraten. Wenn wir auch nicht immer einer Meinung sein werden, gerade was die Publizierung von verschiedenen Menschenrechtsverletzungen im anderen Teil Deutschlands angeht, haben wir jedoch keineswegs die Absicht, die besonderen Bemühungen zu untergraben. Im Unterschied zu anderen, die wie die vergangenen 30 Jahre nichts weiter unternehmen, als den Kommunismus zu illustrieren, meinen wir, daß bei allen stillen oder öffentlichen Bemühungen der konstruktive Ansatz gewährleistet sein muß.
Hier heißt es noch an anderer Stelle:
Durch die neuerliche Entwicklung hat die Sache der Menschenrechte in Deutschland einen schweren Schlag erlitten.
Sie haben mit dazu beigetragen. Ich bedaure das sehr und hoffe, daß wir uns trotz all dieser Anwürfe weiterhin erfolgreich auch um die Anliegen, die Sie oder Ihre Kollegen an uns herantragen, bemühen können. Da wird kein Parteiunterschied gemacht. Aber es ist völlig unmöglich, das Feld jenen zu überlassen, die kein Verhältnis zur Sachlichkeit haben. Darum würde ich empfehlen, diesen Antrag abzulehnen.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrages zur federführenden Beratung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? -({0})
Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Bei mehreren Gegenstimmen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1980 ({1})
- Drucksache 8/3988 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4192 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({3})
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksache 8/4191 Berichterstatter:
Abgeordnete Berger ({5}) Brandt ({6})
({7})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 14, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Ergänzung des § 10 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/4191 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen ({8})
- Drucksache 8/3828 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4249 Berichterstatter:
Abgeordneter Müller ({10})
b) Beschlußempfehlung und Bericht des
Vizepräsident Wurbs
Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen ({11})
- Drucksache 8/4186 Berichterstatter: Abgeordneter Sick
({12})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort wird anderweitig nicht gewünscht
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 29, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs ({13})
Drucksache 8/2131 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({14}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4253 Berichterstatter:
Abgeordneter Müller ({15})
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({16}) - Drucksache 8/4252 Berichterstatter:
Abgeordneter Topmann
({17})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? - Das ist auch nicht der Fall.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4252, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 8/2131 abzulehnen. Wird Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir stimmen also über die Beschlußempfehlung insgesamt ab.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4252, den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs - Drucksache 8/2131 - abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Oktober 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Neuseeland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und einigen anderen Steuern
- Drucksache 8/3918 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({18}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4248 -
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({19})
- Drucksache 8/4244 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
({20})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und t berschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte
- Drucksache 8/3691 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({21}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4317 -
Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
Vizepräsident Wurbs
b) Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({22})
- Drucksache 8/4277 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Linde Dr. Wittmann ({23})
({24})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 15, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4277 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
- Drucksache 8/3866 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({25})
- Drucksache 8/4245 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wittmann ({26}) Schmidt ({27})
({28})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der SchluBabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Vertrages vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
- Drucksache 8/3867 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({29})
- Drucksache 8/4245 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wittmann ({30}) Schmidt ({31})
({32})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort?
({33})
Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Lesung. Ich rufe die §§ 1 bis 39, Einleitung und Überschrift auf, und zwar mit den vom Ausschuß beschlossenen Änderungen der §§ 36 und 37. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen
- Drucksache 8/3232 Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({34})
- Drucksache 8/4276 Berichterstatter:
Abgeordneter Jäger ({35})
({36})
Vizepräsident Wurbs
Wünscht der Berichterstatter das Wort?
({37})
- Gut. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen
- Drucksache 8/4163 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({38}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4318 Berichterstatter:
Abgeordneter Schmitz ({39})
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({40})
- Drucksache 8/4281 Berichterstatter:
Abgeordnete Brandt ({41}) Krey
({42})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4281 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte
- Drucksache 8/3181 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({43})
- Drucksache 8/4284 Berichterstatter:
Abgeordnete Helmrich Dr. Weber ({44})
({45})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe den ersten Abschnitt auf: die §§ 1 bis 10; den zweiten Abschnitt: die Art. 1 bis 4; den dritten Abschnitt: die Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4284 unter Ziffer 2, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes
- Drucksache 8/3920 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({46})
- Drucksache 8/4257 Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Will-Feld
({47})
Wünscht die Frau Berichterstatterin das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Vizepräsident Wurbs
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4257 unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes ({48})
- Drucksache 8/3870 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschuses ({49})
- Drucksache 8/4256 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Diederich ({50})
({51})
Der Berichterstatter wünscht das Wort. Ich erteile dem Berichterstatter das Wort
({52})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich höre schon: Muß das sein? Vielleicht werden Sie mir aber verzeihen, wenn Sie gehört haben, was ich zu sagen habe.
Wir kennen die Ministerialbürokratie als sehr treues Organ der Bundesregierung und auch als unseren loyalen Helfer der Legislative hier in diesem Hohen Hause. Wir wissen, daß diese Bürokratie stets bemüht ist, unsere Gesetzgebung nach Inhalt, Form und Verständlichkeit zu Höherem zu führen. Das ist hier so oft in Danksagungen eingeflossen, daß es deshalb eigentlich keines besonderen Wortes bedurft hätte. Auch der Kollege Schulte, der jetzt nicht mehr anwesend ist, hat vorhin gesagt, daß er nichts von Danksagungen halte, die hier ständig stattfinden. Ich möchte aber doch auf einen Fall hinweisen, der besonderer Aufmerksamkeit würdig ist. Es ist nichts so vollkommen, als daß es sich nicht doch durch einen allerletzten Schliff zu einem höheren Glanze führen ließe.
Das vorliegende Gesetz, dessen Inhalt von der zollrechtlichen Behandlung bei der Veredelung von
Waren handelt, ist nämlich gleichzeitig ein Spitzenprodukt des Bemühens um die Veredelung unserer Gesetzgebung. Der Finanzausschuß hat mir hierin zugestimmt. Ich darf übrigens sagen, er hat mich nur deshalb zum Berichterstatter gemacht, weil ich darauf hingewiesen habe, daß diesem Gesetz eine Palme gebührt, daß es sozusagen preiswürdig ist, wenn man nach dem geschliffensten Detail einer Gesetzgebung in dieser auslaufenden 8. Legislaturperiode sucht.
Wenn Sie sich einmal die Mühe machen und aus den dicken Papierhaufen, die Sie vor sich haben, den Gesetzestext zur Hand nehmen und Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 aufschlagen - das ist auf Seite 16 -,
({0})
so finden Sie als bemerkenswerte Folgeänderung dieses 17. Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes auch eine Verbesserung oder „Veredelung" des Biersteuergesetzes, die in ihrer Aussagekraft, Präzision und Schärfe sozusagen nach Gehalt, nach Würze und nach Süffigkeit sicherlich die höchste Leistung darstellt, die mir jedenfalls in dieser Legislaturperiode begegnet ist.
({1})
Es heißt dort nämlich:
In § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 10 Abs. 2 Satz 2 werden das Wort „Biers" jeweils durch das Wort „Bieres" und in § 13 das Wort „Betriebs" durch das Wort „Betriebes" ersetzt.
Der Duden laßt übrigens - ich habe extra nachgeschlagen - bei Bier und Betrieb beide Genitivformen zu. Es mangelt also offensichtlich dem „Sprachgesetzbuch" nach Meinung unserer Finanzjuristen an Präzision. Endlich führen wir den gesetzgeberisch einzig richtigen Genitivgebrauch ein. Des „Biers", des „Betriebs" - ohne „e" vor dem „s" - mag üblich und volkstümlich sein.
(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das um halb
elf, ein starkes Stück
Es ist aber nur Umgangssprache. Der Genitiv in der Gesetzessprache - so lernen wir heute und hier, so wenig wir auch sind -, der allein der Rechtseinheitlichkeit und Verständlichkeit dient, lautet auf „es"; also richtig: des „Bieres", des „Betriebes".
Ich wollte noch einmal darauf hingewiesen haben: So sind wir. Das deutsche Volk wird es auch dem Gesetzgeber danken, daß er so sorgfältig ist. Da es sich um Biersteuer handelt und die Materie so trokken ist, rufe ich aus: Na, denn Prost!
({2})
Das Wort wird anderweitig nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte
ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist noch über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4256 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/4256 unter Ziffer 3, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Sprung, Spilker, Rapp ({0}), Gobrecht, Dr. Spöri, Kühbacher, Frau Matthäus-Maier, Schleifenbaum, Dr. Haussmann und den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften
- Drucksache 8/4082 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 8/4266 Berichterstatter:
Abgeordnete von der Heydt Freiherr von Massenbach
Rapp ({2})
({3})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
({4})
- Das habe ich nicht zu entscheiden. Ich habe nur gefragt, ob das Wort gewünscht wird. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4266 unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Protokoll vom 17. April 1979 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 22. April 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern
- Drucksache 8/3960 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß O 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4319 -
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({6})
- Drucksache 8/4260 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. von Wartenberg
({7})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort wird anderweitig nicht gewünscht
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
- Drucksache 8/4118 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({8})
- Drucksache 8/4285
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
({9})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -- Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes
- Drucksache 8/4020 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({10})
- Drucksache 8/4230 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Fischer
({11})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort wird anderweitig auch nicht gewünscht? -Dann kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Ûberschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Straßen in den Gemeinden 1981
- Drucksache 8/4038 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/4320 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({13})
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen ({14})
- Drucksache 8/4255 Berichterstatter: Abgeordneter Hanz
({15})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort anderweitig begehrt? - Das ist auch nicht der Fall.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4255, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/4038 abzulehnen. Wird Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir stimmen also über die Beschlußempfehlung insgesamt ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Statistik der Straßen in den Gemeinden 1981 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rüge den Abgeordneten Wehner ob seines Ausdrucks, den er in der Debatte gegenüber dem Abgeordneten Hasinger verwendet hat.
({16})
- Er hat aber doch nicht einen derartigen Ausdruck verwendet.
({17})
- Ich gucke mir das Protokoll noch einmal an.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.