Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Abgeordneten Dr. Gradl zu seinem 73. Geburtstag gratulieren,
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dem Abgeordneten Dr. Kiesinger ebenfalls zu seinem 73. Geburtstag.
({1})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Terrorismusbekämpfung. Das Haus ist einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen. Die Regierungserklärung wird um 16.30 Uhr im Anschluß an die Fragestunde abgegeben werden.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschlug des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung ({2}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Aale der Tarifstelle ex 03.01 A II des Gemeinsamen Zolltarifs ({3}) ({4})
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({5}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({6}) Nr. 2452/76 über den Transfer von Interventionsbutter aus anderen Mitgliedstaaten an die italienische Interventionsstelle ({7})
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({8}) Nr. 426/77 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Aufhebung der Verordnungen ({9}) Nr. 888/68, Nr. 990/68 und 752/74 betreffend den Rindfleischsektor
Verordnung ({10}) Nr. 427/77 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Anpassung der Verordnungen ({11}) Nr. 885/68 und Nr. 1302/73 infolge der Änderung der gemeinsamen Marktorganisation für Rindfleisch
Verordnung ({12}) Nr. 428/77 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Änderung der Verordnung ({13}) Nr. 989/68 zur Festsetzung der Grundregeln betreffend die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung bei Rindfleisch
Verordnung ({14}) Nr. 429/77 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Änderung der Verordnung ({15}) Nr. 98/69 zur Festsetzung der Grundregeln über den Absatz des von den Interventionsstellen aufgekauften gefrorenen Rindfleisches
Verordnung ({16}) Nr. 430/77 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Festlegung der Grundregeln des Systems der Ausgleichs-betrage für Rindfleisch
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen Vorschlag erhoben werden
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. April 1977 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Mai 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Viertes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({17})
Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 141 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Juni 1975 über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. April 1977 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 17. März 1977 verabschiedeten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Investitionszuschüsse für Mietwohnungen, Genossenschaftswohnungen und Wohnheime im sozialen Wohnungsbau zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/257 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 29. März 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schwarz, Biechele, Dr. Gruhl, Volmer, Hauser ({18}), Dr. Arnold, Dr. Kraske, Dr. Köhler ({19}), Josten, Dr. Schäuble, Dr. Eyrich, Breidbach, Hauser ({20}), Dr. Hüsch, Prangenberg und Genossen betr. Sauberhaltung der Rheinufer ({21}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/250 verteilt.
Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 31. März 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erhard ({22}), Frau Will-Feld, Dr. Langner, Dr. Lenz ({23}), Dr. Arnold, Dr. Stark ({24}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Steuerliche Behandlung unterhaltspflichtiger Väter und Mütter ({25}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/256 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 30. März 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erhard ({26}), Franke, Dr. Langner, Dr. Lenz ({27}), Dr. Becker ({28}) und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Änderung der, Rechtsprechung des Großen Senats des Bundessozialgerichts in Rentenfragen ({29}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/252 verteilt.
Der Bundesminister der Verteidigung hat mit Schreiben vom 4. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sick, Frau Tübler, Baron von Wrangel, von Hassel, Eymer ({30}), Dr. Narjes, Würzbach, Stutzer, Lagershausen, de Terra, Weiskirch ({31}), Ey, Dr. von Geldern, Daweke, Dr. Meyer zu Bentrup, Landré, Dr. Kraske und Genossen betr. Fragen nach Personalstand und Personalbesoldung an Bundeswehrdienststellen ({32}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/264 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 4. April 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wohlrabe, Dr. Riedl ({33}), Pfeifer, Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Waigel, Dr. Stavenhagen, Reddemann und Genossen betr. Bundesförderung des deutschen Films ({34}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/265 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 4. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Laufs, Spranger, Gerlach ({35}), Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bundesdatenschutzgesetz - BDSG ({36}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/266 verteilt.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 5. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordne1424 DeutscHer Bundestag - 8. Wahlperiode Präsident Carstens
ten Pfeifer, Dr. Gölter, Dr. Hornhues, Rühe; Dr. Müller, Dr. Klein ({37}), Frau Dr. Wilms, Daweke und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Hochschulzugangsverfahren ({38}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/273 verteilt.
Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat mit Schreiben vom 6. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schneider, Dr. Jahn ({39}), Dr. Möller, Frau Pack, Hösl, Dr. Jobst, Kiechle, Prangenberg, Dr. van Aerssen, Niegel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Überprüfung der Raumordnungspolitik ({40}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/275 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 12. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Stavenhagen, Dr. Häfele, Lenzer, Susset, Dr. Laufs, Benz und der Fraktion der CDU/CSU betr. Anwendung der Bewirtschaftungsgrundsätze des Bundesministers für Forschung. und Technologie ({41}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/279 verteilt.
Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 7. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kreile, Dr. Häfele, Leicht, Dr. Althammer, Dr. Schäuble, Spilker, Dr. Voss, Dr. Sprung, Frau Will-Feld, Vogt ({42}), Dr. Waigel, Dr. Meyer zu Bentrup, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. von Wartenberg, Dr. Warnke, Dr. Köhler ({43}), Dr. Kunz ({44}), Kiechle, Dr. Zeitel, Dr. Langner, Stutzer, Niegel und der Fraktion der CDU/CSU betr. ,Heimliche" Steuererhöhungen ({45}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/282 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 7. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Burger, Frau Hürland, Braun, Geisenhofer, Frau Berger ({46}) und Genossen betr. Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen ({47}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/284 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat mit Schreiben vom 14. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Marx, Dr. Gradl, Rühe, Böhm ({48}), Frau Dr. Wilms, Frau Benedix, Dr. Stercken, Daweke und der Fraktion der CDU/CSU betr. Kulturelle Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ({49}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/293 verteilt.
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 13. April 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vogel ({50}), Dr. Eyrich, Dr. Wittmann ({51}), Dr. Pinger, Erhard ({52}), Dr. Lenz ({53}), Dr. Hennig, Spranger, Dr. Warnke und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bekämpfung von Geiselnahme und erpresserischem Menschenraub ({54}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/295 verteilt.
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 15. April 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eyrich, Dr. Wittmann ({55}), Helmrich, Vogel ({56}), Dr. Schwörer, Dr. Köhler ({57}), und der Fraktion der CDU/CSU betr. Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte ({58}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/296 verteilt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 7. April 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung ({59}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({60}) Nr. 1794/76 zur Abweichung von der Verordnung ({61}) Nr. 155/71 über die Erstattung bei der Erzeugung für Olivenöl zur Herstellung von bestimmten Konserven ({62})
Verordnung ({63}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({64}) Nr. 2305/70 über die Finanzierung von Interventionsausgaben auf dem Binnenmarkt für Rindfleisch im Bereich bestimmter Transportkosten ({65})
Bericht der Kommission an den Rat über die von den Interventionsstellen übernommenen Rohtabakmengen der Ernte 1973
Verordnung ({66}) des Rates über besondere Maßnahmen im Tabaksektor für Tabak der Sorte Beneventano ({67})
Verordnung ({68}) des Rates
zur Festlegung vorläufiger Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände, die die Regelung für die Tätigkeit der Fischereifahrzeuge, die Verwendung von Fanggerät sowie die Nutzung bestimmter Fischbestände betreffen
zur Festlegung bestimmter Übergangsmaßnahmen gegenüber Drittländern zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen ({69})
Verordnung ({70}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({71}) Nr. 1848/76 zur Festlegung allgemeiner Einfuhrbestimmungen für Wein, Traubensaft und Traubenmost ({72})
Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 23. März 1977 gemäß § 32 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Jahresabschluß der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1975 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Jahresabschluß liegt im Archiv zur Einsicht aus.
Die Monopolverwaltung für Branntwein Berlin hat am 21. März 1977 gemäß den §§ 6 und 9 des Gesetzes über das Branntweinmonopol den
Geschäftsbereich der Monopolverwaltung für Branntwein Berlin und die Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1975/76
übersandt. Der Bericht wird als Drucksache 8/235 verteilt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 8/285 Wir beginnen mit der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. - Die Frage ist von der Fragestellerin zurückgezogen worden.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen zur Verfügung.
Frage 2 des Abgeordneten Schirmer:
Ist die Bundesregierung bereit, diejenigen Bundesländer - z. B. Niedersachsen -, die noch von gemeinnützigen Amateursportvereinen Grundsteuer, Erbschaftsteuer oder Grunderwerbsteuer erheben, entsprechend der in der Dokumentation Sport und Steuern" des Bundesfinanzministers dargelegten Auffassung zu ermuntern, auf die Erhebung derartiger Steuern in Zukunft zu verzichten?
Ist der Abgeordnete Schirmer anwesend? - Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schirmer, die Erhebung der Grundsteuer und der Erbschaftsteuer ist durch Bundesgesetz geregelt. Nach § 3 Abs. 1 des Grundsteuergesetzes ist der für sportliche Zwecke genutzte Grundbesitz von gemeinnützigen Sport-Vereinen von der Grundsteuer befreit. Ebenso sind Zuwendungen an gemeinnützige Sportvereine nach § 13 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit. Insoweit kann also ein Bundesland von gemeinnützigen Sportvereinen keine Steuer erheben. Davon gehen Sie aber in Ihrer Frage wohl aus.
Die Grunderwerbsteuer beruht dagegen auf Landesgesetzen, die zum Teil erheblich voneinander abweichen. Auch die Befreiung gemeinnütziger Sportvereine von der Grunderwerbsteuer ist in den Landesgesetzen nicht einheitlich geregelt. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe prüft zur Zeit die Möglichkeiten, das Grunderwerbsteuerrecht zu vereinheitlichen. Vor Abschluß dieser Prüfung wäre es wenig sinnvoll, die jeweiligen Landesgesetzgeber zu punktuellen Änderungen ihrer Gesetze zu ermuntern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schirmer.
Herr Staatssekretär, darf ich dennoch davon ausgehen, daß Sie entsprechend Ihrer generell positiven Aussage versuchen werden, bei der Grunderwerbsteuer im vorbezeichneten Sinne zu arbeiten?
Wenn es zu einer Vereinheitlichung der Grunderwerbsteuer durch Ausschöpfung der Bundeskompetenz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung kommen sollte, würde auch diese Frage zu prüfen sein.
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig:
Welche Folgerungen hat das Bundesfinanzministerium aus den eigenen Berichten zu Zollstrafen und Zollbeamten gezogen, die den Nachrichtenagenturen zugeleitet worden sind, und wie beurteilt das Bundesfinanzministerium in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß auf Grund der eigenen Angaben die durchschnittlichen Einnahmen pro Verwarnung oder Anzeige 1976 7,16 DM im Vergleich zu 7,64 DM 1975 betrugen, und wie vereinbaren sich hier Verwaltungsaufwand und entsprechende Strafe?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär.
Offergeld, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, die veröffentlichten Zahlen berichten nur über die Tätigkeit der Zollbeamten auf grenzpolizeilichem Gebiet. Bei der grenzpolizeilichen Überwachung können die Zollbeamten für geringfügige Ordnungswidrigkeiten Verwarnungsgelder zwischen 2 DM und 20 DM erheben. Sie verfahren dabei nach den Richtlinien des Bundesinnenministers. Das Verwarnungsgeld wird in der Regel an Ort und Stelle gegen Quittung erhoben.
In den übrigen Fällen der grenzpolizeilichen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten erstatten die Zollbeamten Anzeigen, die dann vom Grenzschutzeinzeldienst bzw. von der bayerischen Grenzpolizei bearbeitet werden. Die in diesen Verfahren verwirkten Beträge sind in der veröffentlichten Summe des Verwarnungsgeldes, auf die Sie sich beziehen, nicht enthalten.
Keine Zusatzfrage. Frage 4 des Abgeordneten Dr. Hubrig:
In welchem Umfang hat die Bundesregierung in den letzten Jahren Verwaltungsvereinfachungen im Zollwesen durchgeführt, und wie kann sie konkret dies in Einzelfällen belegen?
Herr Kollege, innerhalb der Grenzen, die der Bundesregierung durch die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts - des europäischen Rechts - gesetzt worden sind, wurden in den vergangenen Jahren in nahezu allen Bereidien des Zollwesens Vereinfachungsmaßnahmen durchgeführt. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich mich hier auf die wichtigsten beschränken muß.
Erstens. Die Zollkontrollen bei regelmäßigen Einführern können weitgehend in deren Betrieb verlagert werden. Es genügt zunächst eine vereinfachte Anmeldung, wenn die vollständige Anmeldung monatlich zusammengefaßt nachgereicht wird. Einfuhren können sogar ohne Abfertigung durch eine Zollstelle vorgenommen werden. Der Einführer hat dann über seine Einfuhren Buch zu führen, so daß die Zollbehandlung. als Veranlagung erfolgt. Diese vereinfachten Verfahren werden inzwischen auf über 60 °/o der Einfuhren angewendet.
Zweitens. Die im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Möglichkeit, Versandgut ohne Einschaltung einer Zollstelle zu versenden oder zu empfangen, ist bisher etwa 4 000 Beteiligten zugestanden worden. Vertrauenswürdige Versender können darüber hinaus Zollverschlüsse selber anbringen. Drittens. Die Überwachung der Zollkontingente und der allgemeinen Zollpräferenzen für Entwicklungsländer ist zentralisiert und mittels EDV automatisiert worden.
Viertens. Im Marktordnungsbereich sind die Gewährung von Ausfuhrvergünstigungen und die Erhebung von Ausfuhrabgaben zentralisiert worden. Die Auszahlungen von jährlich rund 1 Milliarde DM sind durch Automatisierung erheblich beschleunigt worden.
Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen können Sie daraus ablesen, daß trotz allgemeinen Aufgabenzuwachses, erheblich gestiegenen grenzüberschreitenden Verkehrs, Einrichtung neuer Grenzzollstellen und Arbeitszeitverkürzung der Stellenbestand der Zollverwaltung seit 1973 um mehr als 1 300 Stellen vermindert wurde.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 5 des Abgeordneten Kirschner auf:
Ist es gewährleistet, daß die von den Standesorganisationen der Ärzte und Apotheker geführte Kampagne gegen den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zum Krankenversicherungskostengesetz ({0}) in Form von Flugblättern, Zeitungsanzeigen, Plakaten und Aufklebern nicht noch steuerlich abgesetzt werden kann und damit letztlich vom Steuerzahler bezahlt werden muß?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kirschner, die Berufsverbände der Ärzte und Apotheker sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaftsteuer befreit. Aufwendungen dieser Berufsverbände für Flugblätter, Zeitungsanzeigen, Plakate, Aufkleber und ähnliches wirken sich deshalb steuerlich nicht aus.
Zur Finanzierung ihres Geschäftsbetriebs erheben die Berufsverbände von ihren Mitgliedern Beiträge. Diese Beiträge sind bei den Mitgliedern steuerlich absetzbare Betriebsausgaben. Der Betriebsausgabenabzug wird nicht dadurch berührt, daß der Verband mit den Mitgliedsbeiträgen Maßnahmen finanziert, die sich gegen einen die Berufsausübung der Mitglieder allgemein berührenden Gesetzentwurf der Bundesregierung richten. Die Berufsverbände unterliegen keiner Rechtsaufsicht durch die staatlichen Stellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, haben die Ärztekammern und die Kassenärztlichen Vereinigungen, die ja wohl als Körperschaften des öffentlichen Rechts einer Aufsicht unterliegen, sich mit ihren Beiträgen zur erwähnten Kampagne im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben gehalten?
Herr Kollege Kirschner, es ist richtig, daß die Ärztekammern und die Kassenärztlichen Vereinigungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts die ihnen durch Gesetz und Satzung zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen haben. Ob die Ärztekammern und die Kassen1426
ärztlichen Vereinigungen bei den Maßnahmen, die Sie genannt haben, sich im Rahmen ihrer Aufgaben bewegt haben, kann ich jetzt nicht überprüfen. Aber diese Vereinigungen unterliegen natürlich der Staatsaufsicht. Die zuständigen Aufsichtsbehörden sind für die Ärztekammern die obersten Gesundheitsbehörden der Länder und für die Kassenärztlichen Vereinigungen die Arbeits- und Sozialminister der Länder. Diese Aufsichtsbehörden müßten der von Ihnen aufgeworfenen Frage nachgehen.
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Köhler ({0}) auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der Novellierung des Entwicklungsländersteuergesetzes die zur Zeit bestehende steuerliche Förderungsintensität beizubehalten?
Herr Kollege, der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Novelle zum Entwicklungshilfe-Steuergesetz vom 20. Dezember 1974 durch eine Entschließung aufgefordert, bis zum 31. Dezember dieses Jahres gesonderte Regelungsvorschläge zu den mit dem Entwicklungsländer-Steuergesetz verfolgten Zielen vorzulegen. Die dazu notwendigen Untersuchungen sind eingeleitet. Die beteiligten Ressorts prüfen auch die Frage der künftigen steuerlichen Förderungsintensität. Diese Prüfung ist aber noch nicht abgeschlossen. Sie muß bis zu dem genannten Termin abgeschlossen werden. Eine Aussage über die künftige steuerliche Förderungsintensität, wie Sie sie wünschen, ist daher zur Zeit noch nicht möglich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köhler.
Herr Staatssekretär, ist in den Umfang Ihrer Prüfung auch einbezogen, ob die verschiedenen Auflagen, die zur Ermittlung z. B. der Arbeitsplatzintensität von Investitionen gemacht werden, d. h. all die Kriterien, die hier zur Anwendung kommen, sich als praktikabel und zweckmäßig erwiesen haben?
Herr Kollege, ich kann Ihnen nicht sagen, ob das schon einbezogen worden ist; aber ich werde die Anregung, die in Ihrer Frage liegt, gern aufgreifen und veranlassen, daß das geprüft wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köhler.
Herr Staatssekretär, kann Ihre Auskunft von mir so verstanden werden, daß sich Ihre Überlegungen speziell auf das Entwicklungsländer-Steuergesetz beziehen, oder wird auch erwogen, den Umfang dieses Gesetzes in ein allgemeines Auslandsinvestitionsförderungsgesetz einzubringen?
Herr Kollege, ich will das nicht verneinen. Je nach dem Ausgang der Prüfungen, die, wie gesagt, eingeleitet worden sind, wird auch diese Frage zu entscheiden sein.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung nach den heutigen Verhältnissen die zum 1. Januar 1975 vorgenommene Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs für Werbegeschenke ({0}), und teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine Beseitigung der Abzugsgrenze von 50 DM, mindestens aber eine angemessene Erhöhung, erforderlich wäre?
Ist der Herr Fragesteller anwesend? - Bitte schön, Herr Staatssekretär, zu Beantwortung.
Die Wertgrenze für abzugsfähige Werbegeschenke nach § 4 Abs. 5 Ziffer 1 des Einkommensteuergesetzes ist bei den Beratungen zur Steuerreform im Jahr 1974 eingehend erörtert worden. Nachdem in der Regierungsvorlage zunächst eine Wertgrenze von nur 10 DM für das einzelne Geschenk vorgesehen war, ist im Verlauf der parlamentarischen Beratung die Wertgrenze der zugewendeten Werbegegenstände auf 50 DM je Empfänger und Wirtschaftsjahr festgelegt worden.
Die steuerpolitischen Gründe für eine niedrige Wertgrenze bestehen fort. Die Bundesregierung hält daher auch unter den heutigen Verhältnissen weder eine Erhöhung noch gar eine Beseitigung der erst 1974 festgelegten Wertgrenze von 50 DM für erforderlich oder gerechtfertigt.
({0})
Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Da der Fragesteller der Frage 8, Abgeordneter Dr. Klein ({0}), nicht im Saal ist, wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Fragesteller der Frage 9, Abgeordneter Daweke, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Conradi auf:
Warum ist es der Bundesregierung nicht möglich, die Renten nach dem Bundesentschädigungsgesetz dadurch schneller den Erhöhungen der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten anzupassen, daß eine Rechtsverordnung parallel zum nächsten Bundesbesoldungserhöhungsgesetz vorbereitet und mit Verabschiedung des Bundesbesoldungserhöhungsgesetzes in Kraft gesetzt wird, die vorschreibt, daß die gesetzlich vorgeschriebene angemessene Erhöhung dieser Renten dadurdi geschieht, diese Renten um den gleichen einheitlichen Prozentsatz ({1}) zu erhöhen wie die Beamtenbezüge?
Herr Abgeordneter Conradi ist im Saal. Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Conradi, die Bundesregierung hat auch in diesem Jahr die Rentenerhöhungsverordnungen zum Bundesentschädigungsgesetz parallel zum nächsten Bundesbesoldungserhöhungsgesetz vorbereitet. Das Bundesministerium der Finanzen hat die entsprechenden Verordnungsentwürfe bereits fertiggestellt, mit denen die Verbesserungen der Beamtenbesoldung
durch das in Vorbereitung befindliche 6. Bundesbesoldungserhöhungsgesetz berücksichtigt werden sollen. Diese Entwürfe werden zur Zeit mit den Ländern und den beteiligten Bundesressorts abgestimmt und nach Anhörung der Verfolgtenverbände weiterhin parallel zum 6. Bundesbesoldungserhöhungsgesetz behandelt werden, um eine größtmögliche Beschleunigung der BEG-Rentenerhöhungen zu erreichen.
Die Möglichkeit, die BEG-Renten an die Erhöhungen der Beamtenbesoldung dadurch schneller anzugleichen, daß diese Renten um einen gleichen einheitlichen Prozentsatz und gegebenenfalls auch durch einen Sockelbetrag angehoben werden, besteht leider nicht. Wie ich Ihnen in meiner Antwort auf Ihre Anfrage in der Fragestunde am 16./17. März 1977 mitgeteilt habe, muß die jeweilige Erhöhung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Bundesbeamten auf Grund gesetzlicher Vorschrift auf das andersartige System des Bundesentschädigungsgesetzes bezogen und entsprechend umgerechnet werden. Dabei sind insbesondere auch strukturelle Änderungen des Beamtenbesoldungsrechts zu berücksichtigen und bestimmte Rentenhöchst- und -mindestbeträge im Wege des Ermessens festzusetzen. Unter diesen Umständen ist es nicht möglich, die BEG-Renten um einen gleichen einheitlichen Prozentsatz zu erhöhen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, ließe sich mein Petitum, durch eine parallele Erhöhung der Entschädigungsrenten entsprechend der Bundesbesoldungserhöhung eine erhebliche Arbeitszeiteinsparung zu erreichen, dadurch verwirklichen, daß der Bundestag im 6. Bundesbesoldungserhöhungsgesetz einen gesonderten Artikel beschlösse, der dieses festlegte und Ihrem Haus erhebliche Arbeit durch die Neufestsetzung der einzelnen Renten ersparen würde?
Ich glaube nicht, daß das geht, Herr Kollege Conradi, weil, wie gesagt, dem Bundesentschädigungsgesetz ein anderes System als der Beamtenbesoldung zugrunde liegt, was entsprechende Umrechnungen erforderlich macht. Außerdem muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Bundesrepublik durch völkerrechtliche Abkommen, insbesondere durch die in den sogenannten Haager Protokollen getroffenen Vereinbarungen, an dieses System im Bundesentschädigungsgesetz gebunden ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
, Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß die oft schleppende Behandlung der Anpassung dieser Renten, die manchmal länger als ein Jahr dauert, bei den Empfängern dieser Renten Verbitterung auslösen muß, weil die Täter - z. B. Richter aus der Nazizeit - ihre Pensionen ja termingemäß mit dem Bundesbesoldungserhöhungsgesetz angepaßt bekommen, während die Opfer oft über ein Jahr warten müssen, bis ihre Renten angepaßt werden?
Herr Kollege Conradi, ich habe darauf hingewiesen, daß das Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz auf völkerrechtliche Vereinbarungen, insbesondere mit dem Jüdischen Weltverband, zurückgeht, daß wir es also nicht von uns aus ändern können. Die Bundesregierung kann sich nur bemühen, die erforderlichen Verfahren so rasch wie möglich in Gang zu setzen. Das haben wir getan. Wir sind jetzt mit aller Intensität dabei, eine so schnelle Behandlung zu veranlassen, wie es eben möglich ist.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf:
Nach welchen Grundsätzen wird in der Verwaltungspraxis zwischen lohnsteuerfreien Annehmlichkeiten und lohnsteuerpflichtigen Sachbezügen unterschieden, und welche Folgerungen wird die Bundesregierung aus dem BFH-Urteil vom 22. Oktober 1976 - VI R 26/74 - ({0}) für die lohnsteuerliche Behandlung vergleichbarer Fälle ziehen?
Herr Kollege Dr. Voss, die Grundsätze zur Abgrenzung der lohnsteuerfreien Annehmlichkeiten von den lohnsteuerpflichtigen Sachbezügen sind in Abschnitt 53 der Lohnsteuer-Richtlinien niedergelegt. In der Verwaltungspraxis wird nach diesen Grundsätzen verfahren. Zu den steuerfreien Annehmlichkeiten gehören Leistungen, die der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht oder im betrieblichen Interesse für den Arbeitnehmer erbringt und die nach der Verkehrsauffassung nicht als Entlohnung angesehen werden. Um Annehmlichkeiten handelt es sich insbesondere bei Leistungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Ich nenne als Beispiele die Gestellung von typischer Berufskleidung, von Aufenthalts- und Erholungsräumen.
Das von Ihnen zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs betraf die lohnsteuerliche Erfassung des geldwerten Vorteils, der Arbeitnehmern der Deutschen Bundespost aus der unentgeltlichen Benutzung von Dienstapparaten zu privaten Ferngesprächen entsteht. Dieses Urteil hat die Grundsätze des Abschnitts 53 der Lohnsteuer-Richtlinien bestätigt. Die Bundesregierung wird daher voraussichtlich bei der nächsten Änderung der Lohnsteuer-Richtlinien einen entsprechenden Hinweis auf dieses Urteil in die Richtlinien aufnehmen. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder stimmen in der Auffassung überein, daß das Urteil keinen Anlaß zu einer abweichenden Verwaltungsentscheidung bietet. Es wird daher auch in vergleichbaren Fällen zu beachten sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voss.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung diejenigen Fälle, die in der heuti1428
gen Ausgabe einer bekannten deutschen Tageszeitung aufgeführt sind, auch in ihre Prüfungen und Überlegungen einbeziehen?
Herr Kollege, mir sind diese Fälle nicht bekannt, da ich diese Tageszeitung nicht gelesen habe. Ich kann nur sagen: Wir werden in allen vergleichbaren Fällen - es handelt sich ja um vielerlei mögliche Fallgestaltungen - darauf dringen, daß gemäß Abschnitt 53 der Lohnsteuer-Richtlinien verfahren wird. Die Ausführung der Steuergesetze obliegt ja den Landesfinanzbehörden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voss.
Herr Staatssekretär, wird sich die Bundesregierung denn an die Grundsätze, die in dem von mir erwähnten Urteil des Bundesfinanzhofs aufgeführt sind, halten, oder wird sie Ausnahmefälle zulassen?
Die Bundesregierung hat dies, wie gesagt, in der Verwaltungspraxis gar nicht auszuführen. Die Ausführung obliegt den Finanzbehörden der Länder. Ich habe aber darauf hingewiesen, daß wir einen Hinweis auf dieses Urteil in die Lohnsteuer-Richtlinien aufnehmen werden. Daraus können Sie ja schließen, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die Grundsätze dieses Urteils in der Verwaltungspraxis zu befolgen sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesregierung sich darüber Gedanken macht, diese für Sachbezüge von Arbeitnehmern geltenden Kriterien auch im Falle des Bezuges von Fahrzeugen, die im eigenen Werk hergestellt werden, in Erwägung zu ziehen?
Herr Kollege Jäger, es geht nicht darum, die Kriterien bei Sachzuwendungen in grundsätzlicher Art und Weise zu ändern.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen abgeschlossen. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Entspricht es der gesetzlichen Grundlage, daß Witwen landwirtschaftlicher Unternehmer, die freiwillig Beiträge weiterzahlen, bei einer Wiederverheiratung von dieser Verpflichtung nicht entbunden werden können, obwohl sie mit diesen Zahlungen wegen ihrer Wiederverheiratung keinen Anspruch auf Altersgeld mehr erwerben können, und wenn ja, sind Änderungen vorgesehen?
Herr Staatssekretär, bitte, zur Beantwortung.
Buschfort, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Horstmeier, es ist richtig, daß Witwen landwirtschaftlicher Unternehmer, die sich für die Weiterversicherung in der Altershilfe entschieden haben, auch bei einer Wiederverheiratung weiter Beiträge zahlen müssen. Durch die Weiterzahlung von Beiträgen bauen sie in ihrer Person einen eigenen Anspruch auf Altersgeld, auch auf vorzeitiges Altersgeld, auf. Der Situation, daß damit beide Ehegatten einen selbständigen Anspruch haben könnten, hat der Gesetzgeber Rechnung getragen. In diesem Fall erhält jeder Ehegatte das einem unverheirateten Berechtigten zustehende Altersgeld. Beide Altersgelder zusammen sind mindestens um ein Drittel höher als ein Verheirateten-Altersgeld.
Aus alledem ergibt sich, daß eine Weiterentrichtung von Beiträgen auch im Falle der Wiederverheiratung dazu führen kann, einen eigenen Anspruch auf Altersgeld zu erwerben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horstmeier.
Herr Staatssekretär, ist das in der Praxis bisher auch so gehandhabt worden?
Ja. Wir haben uns noch einmal informiert, und uns sind keinerlei Beanstandungen bekanntgeworden. Ich möchte auch anregen: Wenn Ihnen ein Einzelfall bekanntgeworden sein sollte, wäre ich für eine entsprechende Information dankbar.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Cronenberg auf:
Welche konkreten Schritte hat der Bundesarbeitsminister vorgesehen, um einen oder mehrere Modellversuche betreffs einer Eigenbeteiligung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung ({0}) zu errichten, und wann und unter welchem Haushaltstitel werden diese Modellversuche eingeplant?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich würde, wenn der Kollege einverstanden ist, die Fragen 14 und 15 gern zusammen beantworten.
Bitte schön. - Ich rufe dann auch die Frage 15 des Abgeordneten Cronenberg auf:
Wer bestimmt ferner die Bedingungen, unter denen die Versuchsmodelle arbeiten, und beabsichtigt die Bundesregierung, bei Erstellung der Versuchsbedingungen den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung einzuschalten?
Herr Kollege Cronenberg, die Bundesregierung hält es für erforderlich, die Forschung im Rahmen des Gesundheitswesens zu aktivieren. Dabei sollen insbesondere auch Forschungsaufträge zu Fragen einer kostengünstigen Leistungserstellung und einer bedarfsgerechten Versorgung mit Gesundheitsleistungen vergeben werden. Es ist vorgesehen, auch Modellversuche durchzuführen. Hierfür sind zunächst jeweils
die Konzeption, und die Rahmenbedingungen zur Durchführung der Modellversuche zu ermitteln. Dieses Verfahren ist auch für solche Versuche erforderlich, mit denen z. B. die sozialpolitischen Auswirkungen von „Wahltarifen" in der gesetzlichen Krankenversicherung untersucht werden.
Die Finanzierung soldier Forschungsvorhaben erfolgt aus den dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bereits zur Verfügung stehenden allgemeinen Forschungsmitteln. Ob und in welcher Höhe Forschungsmittel für die Durchführung eines Modellversuchs erforderlich sind, kann erst nach Abschluß dieser Vorarbeiten entschieden werden.
Bei den Modellversuchen wird die Bundesregierung mit den für die Vorbereitung und Durchführung erforderlichen Organisationen und Verbänden sowie wissenschaftlichen Instituten zusammenarbeiten.
Darüber hinaus ist die Bundesregierung gern bereit, auch im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung über die beabsichtigten Forschungsvorhaben zu berichten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung schon überlegt, die Kassen aufzufordern, sich für solche Modellversuche zur Verfügung zu stellen? Sind die Kassen unterrichtet, daß solche Modellversuche geplant sind, so daß bei den Kassen Vorplanungen vorgenommen werden können?
Herr Kollege Cronenberg, die Abteilung V im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, die sich mit diesen Fragen beschäftigt, ist natürlich im Moment mit dem Kostendämpfungsprogramm voll ausgelastet. Ich bin aber ganz gewiß, daß sie sich auch dieser Frage verstärkt annehmen kann, sobald der 1. Juli hinter uns liegt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach auf:
Kann die Bundesregierung angeben, wie viele Personen zur Zeit Umschulungsbeihilfen aller Art - aufgeteilt auf Lernberufe - in Anspruch nehmen?
Herr Präsident, wenn der Kollege damit einverstanden ist, würde ich auch die Frage 16 und 17 gern im Zusammenhang beantworten.
Bitte schön. - Ich rufe auch die Frage 17 des Herrn Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach auf:
Inwieweit entsprechen diese Umschulungsmaßnahmen dem Arbeitsplatzangebot bzw. dem nicht gedeckten Arbeitskräftebedarf, so daß diese Umschulungen zur unmittelbaren Vermittlung der Umschüler nach Abschluß der Umschulung führen?
Nach der letzten ausgewerteten Sondererhebung der Bundesanstalt für Arbeit erhielten Ende Dezember 1976 rund 16 000 Männer und 9 000 Frauen Umschulungsförderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Wie viele davon einen Abschluß in einem Ausbildungsberuf anstrebten, wird nicht gesondert festgehalten. Aus der Dauer der Umschulungsmaßnahme kann man aber schließen, daß rund 12 000 Männer und rund 5 000 Frauen die Umschulungsmaßnahme mit einem qualifizierenden Ausbildungsabschluß beenden werden. Dabei strebten bei den Männern rund 3 000 das Berufsziel Schlosser, rund 2 200 das Berufsziel Elektriker, rund 1 700 das Berufsziel Bürofachkraft und rund 2 100 ein Berufsziel im Gesundheitsdienst an. Bei den Frauen waren es in erster Linie rund 2 200 Bürofachkräfte, rund 900 Maschinenschreiberinnen, rund 2 900 in Gesundheitsdienstberufen und rund 2 100 in sozialpflegerischen Berufen.
Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich bemerken: Die von verschiedenen Seiten geäußerte Vermutung, die Teilnehmer an beruflichen Bildungsmaßnahmen seien nach Abschluß der Maßnahme zu einem größeren Teil arbeitslos, trifft nicht zu. Bis vor etwa drei Jahren war es üblich, daß rund 70 % aller Umschüler innerhalb von drei Monaten nach Abschluß der Umschulung vermittelt werden konnten. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit wurde auch die Vermittlung von Umschülern schwieriger. Nach den Erfahrungen der Arbeitsämter ist es jedoch wesentlich leichter, Arbeitslose, die an einer Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme teilgenommen haben, zu vermitteln als andere Arbeitslose. So haben z. B. die Sonderuntersuchungen über Arbeitslose ergeben, daß Ende September 1975 lediglich 23,1 % der Arbeitslosen mit vorher abgeschlossener Bildungsmaßnahme ein halbes Jahr und länger arbeitslos gewesen sind, während dieser Anteil bei den Arbeitslosen insgesamt mehr als 36,9 % beträgt. Ende September 1976 waren es 29,3 % gegenüber 40,8 %.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von der Heydt.
von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}) : Ist die Bundesregierung mit den Ergebnissen der Umschulungsmaßnahmen im Sinne einer Beseitigung der Arbeitslosigkeit zufrieden, und sieht sie nicht, daß hier auch Mißbrauchstatbestände zu beobachten sind, wie es in der Öffentlichkeit jetzt öfter erwähnt wird?
Herr Kollege, Mißbrauchstatbestände mögen im einzelnen Fall in der Presse dargestellt und auch überzeichnet worden sein. Die wesentlichsten Veränderungen sind mit dem Haushaltsstrukturgesetz herbeigeführt worden. Damals hat der Bundestag übereinstimmend beschlossen, daß die sogenannten Durchstarter keine Chance mehr haben sollen und daß die Förderung der Mehrfachausbildung beendet wird. Seitdem sind uns nennenswerte Fehlentwicklungen nicht mehr bekanntgeworden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Berufsgruppen bekannt, für die bereits heute nachweislich keine Nachfrage mehr besteht, für die aber dennoch auch heute noch Umschulungshilfen gewährt werden?
Ja, solche Vorgänge sind uns bekannt. Allerdings muß man diesen Fragenkomplex sehr differenziert betrachten. Ich darf das an einigen Beispielen verdeutlichen.
Natürlich werden einige Behinderte nur die einzige Chance haben, beispielsweise als Bürofachkraft oder aber sonst im Verwaltungsbereich ausgebildet zu werden - und das, obwohl wir wissen, daß es gerade in diesen Berufen besondere Schwierigkeiten gibt. Weiter kommt hinzu, daß der Bedarf solcher Fachkräfte regional sehr unterschiedlich ist. Da darüber hinaus eine solche Ausbildungsmaßnahme zwei Jahre dauert, kann sich in dieser Zeit auf dem Arbeitsmarkt natürlich viel verändern. Die Bundesanstalt ist bemüht, ihre Aufgabe só gut wie möglich zu erfüllen. Aber die letzte Vorausschau ist bei diesen Fragen nicht möglich.
({0})
Es tut mir leid, aber Sie haben nur eine Zusatzfrage.
({0})
- Aber Sie sind nicht der Fragesteller, Herr Kollege.
({1})
- Bitte schön, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, stellt di Bundesregierung Überlegungen an, um künftig für solche Fälle auch Neuregelungen hinsichtlich der Umschulungsmöglichkeiten ins Auge zu fassen?
Diese Möglichkeit ist-schon im AFG vorgesehen. Es gibt auch jetzt schon nach einer bestimmten Wartefrist oder nach einer erneuten Beschäftigung wieder die Möglichkeit einer weiteren Förderung. Aber das sollte sicher nur in Ausnahmefällen geschehen. Es kann nicht der Sinn sein, heute einen Ausbildungsberuf anzustreben, um dann morgen festzustellen, daß es der falsche war.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die Forderung nach einer Anpassung des Ausbildungsplatzangebots an den Arbeitskräftebedarf eine planmäßige Ausbildung nach dem Bedarfsdekkungsprinzip voraussetzen würde?
Eine solche löckenlose Übereinstimmung ist natürlich nur sehr schwer zu erreichen, um so mehr, als wir wissen, daß die regionalen und strukturellen Unterschiede im Bundesgebiet sehr beachtlich sind. Wenn die Bundesanstalt hier bisher einigermaßen einen Einklang hergestellt hat, so möchte ich dazu an dieser Stelle einmal sagen, daß das nur mit einer ganz besonderen Anstrengung möglich war.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Braun.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, welche finanziellen Mittel in den letzten zwei Jahren für die Umschulungsmaßnahmen erforderlich waren?
Ich kann das wohl sagen, nur im Moment nicht. Ich bin gern bereit, diese Frage schriftlich zu beantworten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe dann die Frage 18 des Abgeordneten Kirschner auf:
Trifft es zu, daß in der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague seit dem Jahr 1975 Leukämie als Berufskrankheit anerkannt wird, und wenn ja, sieht die Bundesregierung auf Grund dieser Tatsache eine Notwendigkeit, das Problem der gesundheitlichen Gefährdung für die Beschäftigten in den deutschen Anlagen neu zu überdenken?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kirschner, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern beantworte ich die Frage wie folgt. Die französische Berufskrankheitenliste enthält unter Ziffer 6 die Erkrankungen durch ionisierende Strahlen. Ob hiernach auch Leukämien entschädigt werden, ist mir nicht bekannt. Frankreich hat ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen Nr. 115 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 22. Juni 1960 über den Schutz der Arbeitnehmer vor ionisierenden Strahlen ratifiziert.
Strahlenspätschäden, unter anderem auch die Leukämie, die durch einmalige Einwirkung einer hohen Dosis oder durch langzeitige wiederholte Einwirkung kleinerer Dosen verursacht worden sind, werden in Deutschland seit über 40 Jahren als entschädigungspflichtige Berufskrankheiten anerkannt. Hierzu möchte ich auf die Nr. 2402 der Anlage der Berufskrankheitenverordnung vom 8. Dezember 1976 hinweisen.
Der Schutz vor gesundheitlichen Gefährdungen ist in den strengen Bestimmungen der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen, der sogenannten Strahlenschutzverordnung, geregelt. Sie wurde erst im Herbst 1976 im Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern den neuesten Erkenntnissen angepaßt und ist am 1. April 1977 in
Kraft getreten. Hierin wurde u. a. auch der Gesundheitsschutz der in Wiederaufbereitungsanlagen Beschäftigten eingehend geregelt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, trifft es demnach zu, daß die Gefahr der Erkrankung an Leukämie auch in deutschen Kernanlagen gegeben ist, oder schließen die. bei uns bestehenden Sicherheitsvorschriften solche Gefahren aus?
Die Sicherheitsvorschriften in der Bundesrepublik sind in der Strahlenschutzverordnung geregelt. Auf einige Regelungen aus dieser Verordnung würde ich gerne noch einmal hinweisen. Da heißt es u. a., daß der Gesundheitsschutz durch eine eingehende ärztliche Erstuntersuchung und regelmäßige Überwachungsuntersuchungen, durch strenge technische Sicherheitsanforderungen, durch organisatorische Maßnahmen wie Beschränkung des Zutritts zum Kontroll- und Überwachungsbereich oder die Bestellung von Sonderbeauftragten für den Strahlenschutz, durch die Begrenzung der höchstzulässigen Personendosis entsprechend den in den Europäischen Gemeinschaften verbindlichen Euratom-Grundnormen erfolgt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram, bitte schön.
Herr Staatssekretär, gibt es im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften Verhandlungen über eine Harmonisierung des Katalogs der anerkannten Berufskrankheiten? Wenn nein, hielten Sie das für zweckmäßig?
Herr Kollege Wolfram, wenn ich meine Aufzeichnungen hier richtig deute, gibt es schon jetzt eine weitgehende europäische Übereinstimmung. Ob es auch Bestrebungen gibt, die Liste über die Berufskrankheiten auf europäischer Ebene zu harmonisieren, kann ich im Moment nicht sagen. Ich will das gern überprüfen lassen und Ihnen dann eine Antwort zukommen lassen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Feinendegen auf:
Hat sich die Bundesregierung schon einmal Gedanken darüber gemacht, ob die von der Bundesanstalt für Arbeit ausgegebene Zahl offener Stellen von 224 464 ({0}) vollständig ist, und warum viele offene Stellen nicht besetzt werden können?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Präsident, wenn es erlaubt ist, würde ich gern die Fragen 19 und 20 gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 20 des Abgeordneten Feinendegen auf:
In wieviel Fällen sind offene Stellen von arbeitslos gemeldeten Personen, die unter Berücksichtigung der früheren Tätigkeit angemessen ausgewählt wurden, nach mehr als dreimaliger Vermittlung von den jeweils vermittelten Personen nicht besetzt worden, und geben die Begründungen für das Nichtbesetzen Anlaß zu einer Überprüfung der Förderungs- und Unterstützungspraxis?
Die von der Bundesanstalt für Arbeit registrierte Zahl der offenen Stellen gibt nur einen Ausschnitt aus der Gesamtzahl der freien Stellen wieder. Deren Größenordnung läßt sich nicht abschätzen. Eine gewisse, gleichfalls nicht feststellbare Zahl an registrierten offenen Stellen ist am jeweiligen Zähltag nur deshalb noch nicht besetzt, weil die Anmeldung durch den Arbeitgeber eben erst erfolgte. Weiter gibt es natürlich auch offene Stellen mit speziellen Anforderungen, die für die Arbeitsvermittlung besondere Probleme aufwerfen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen.
In welchem Maße es jedoch der Arbeitsverwaltung gelingt, gemeldete offene Stellen zu besetzen, möchte ich an Hand weniger Zahlen belegen. Im Verlaufe des Jahres 1976 wurden den Arbeitsämtern 2,31 Millionen offene Stellen gemeldet. Im selben Zeitraum wurden 2,33 Millionen Arbeitsvermittlungen getätigt.
Die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, daß alles getan werden muß, um einen Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung zu verhindern. Durch das vor über einem Jahr in Kraft getretene Haushaltsstrukturgesetz ist der Kreis der Tätigkeiten, die dem Arbeitslosen zugemutet werden, näher abgegrenzt worden. Lehnt ein Arbeitsloser eine zumutbare Arbeit ab, so wird die Leistung regelmäßig für vier Wochen gesperrt. Hat er sich zweimal in dieser Weise versicherungswidrig verhalten, so erlischt sein Anspruch auf Dauer.
Diese Regelungen hält die Bundesregierung für ausreichend. Gestützt wird diese Ansicht durch das Ansteigen der Sperrzeiten, die wegen Ablehnung einer zumutbaren Tätigkeit verhängt wurden, von rund 44 000 im Jahre 1975 um etwa 40 % auf 62 000 im Jahre 1976.
Die .Arbeitsämter können allerdings die Bestimmungen nur dann voll ausschöpfen, wenn die Arbeitgeber auch bereit sind, den Arbeitsämtern die tatsächlichen Gründe dafür mitzuteilen, daß die vom Arbeitsamt vorgeschlagenen Arbeitslosen nicht eingestellt wurden. Die Bundesanstalt für Arbeit ist daher auf die Mitwirkung der' Arbeitgeber angewiesen.
Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Dann rufe ich Frage 21 des Herrn Abgeordneten Burger auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die dem Referentenentwurf der Rechtsverordnung nach f 55 des Schwerbehindertengesetzes zugrunde gelegten Kriterien für die Aufnahme von Behinderten in die Werkstatt derart gestaltet sind, daß sie einen ausreichenden Spielraum für eine individuelle Regelung ermöglichen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Kollege Burger, darf ich auch Ihre Fragen 21 und 22 gemeinsam beantworten?
({0})
Bitte schön. Ich rufe zusätzlich Frage 22 des Abgeordneten Burger auf:
Was hat die Bundesregierung veranlaßt, die seitens der Arbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte in der Bundesrepublik Deutschland e. V. vorgetragenen Argumente im Rahmen der Rechtsverordnung nach § 55 des Schwerbehindertengesetzes unberücksichtigt zu lassen?
Die Rechtsverordnung nach § 55 Abs. 3 des Schwerbehindertengesetzes wird im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unter Beteiligung der Länder, der Bundesanstalt für Arbeit, der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, der Werkstätten, ihrer Trägerorganisationen und der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege gründlich vorbereitet. Über diese Vorbereitungsarbeiten und die dabei im Vordergrund stehenden Probleme hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag in Antworten auf zwei Kleine Anfragen - das sind die Drucksachen 7/3999 und 7/5483 - in der vergangenen Legislaturperiode ausführlich berichtet. Der Stand der Entwicklung zu Beginn dieser Legislaturperiode ist darüber hinaus in einer vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Informationsbroschüre dargestellt worden.
Seitdem haben sich verschiedene Institutionen und Gremien der beruflichen Rehabilitation mit den Grundzügen der Werkstättenverordnung befaßt und ihr grundsätzliches Einverständnis mit den vorgeschlagenen Regelungen erklärt, so der Beirat für die Rehabilitation der Behinderten und der Beratende Ausschuß für Behinderte bei der Bundesanstalt für Arbeit.
Danach zeitweise aufgetretene Meinungsunterschiede und Bedenken seitens der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte und einiger Behindertenorganisationen, insbesondere der Bundesvereinigung der Lebenshilfe, sind in eingehenden Gesprächen mit Vertretern der Lebenshilfe und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte" am 21. und 22. März 1977 weitgehend ausgeräumt worden. Dies gilt auch für Bedenken, die sich gegen die Formulierung von Kriterien für das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung richteten.
In den Besprechungen war ausführlich Gelegenheit gegeben, die Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte zu erörtern. Eine Reihe von Vorschlägen und Anregungen wird bei der Überarbeitung des Referentenentwurfs, die in Aussicht gestellt wurde, berücksichtigt werden. Sobald der überarbeitete Entwurf vorliegt, wird er in der üblichen Weise mit den interessierten Organisationen, den hauptbeteiligten Rehabilitationsträgern und den Ländern erörtert werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Burger.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben erwähnt, daß es eine gewisse Übereinstimmung gegeben hätte, und Sie nannten den 21. oder den 22. März als Datum.
Ich habe hier den Pressedienst der Bundesvereinigung der Lebenshilfe. Darf ich Sie fragen, ob Sie wissen, daß die Lebenshilfe in dieser Presseverlautbarung u. a. feststellt, daß dieser Entwurf in keiner Weise ihren Vorstellungen entspreche, er lasse vielmehr eine erhebliche Verschlechterung der Situation geistig behinderter Menschen befürchten, und er sei in der vorliegenden Fassung unannehmbar? Das ist vom 30. März!
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Burger, es kann nur so sein, daß dieser Artikel vor dem 21. März geschrieben worden ist. Denn der neue Entwurf ist ja noch gar nicht herausgegeben; folglich kann dazu auch noch gar keine Stellungnahme abgegeben worden sein. Diese Formulierung kann sich nur auf den vorläufigen Referentenentwurf beziehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Burger.
Dann darf ich Sie zur Sache fragen, Herr Staatssekretär: Würden die vorgesehenen Aufnahmekriterien nicht letzten Endes darauf hinauslaufen, den Personenkreis der leistungsfähigen- Behinderten gegenüber den schwerer Behinderten 'zu bevorzugen?
Herr Kollege Burger, es ist ja Sinn und Zweck dieser Verordnung, Behinderte mit einem gewissen Maß an Leistungsvermögen aufzunehmen. Dabei ist uns natürlich bekannt, daß das ein breites Spektrum ist. Aber wir wollen die Schwelle ganz niedrig ansetzen, um den Bedenken, wie der Verband der Lebenshilfe sie wiederholt geäußert hat, begegnen zu können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hammans.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie - gerade auch im Hinblick darauf, daß in meinem Wahlkreis mit erheblichen Zuschüssen der Bundesanstalt für Arbeit eine Behindertenwerkstatt gebaut wird - fragen, auf welche Weise die Bundesregierung sicherzustellen gedenkt, daß bei der vorliegenden Konzeption über die Werkstatt für Behinderte hinsichtlich der qualitativen Bewertung einzelner Werkstätten keine Diskriminierung vorgenommen wird und im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit Eingriffe in die Eigenständigkeit der einzelnen Werkstätten verhindert werden?
Herr Kollege Hammans, mit unserem Entwurf beabsichtigen wir nicht, in die Eigenständigkeit der Werkstätten einzugreifen und nur die Wirtschaftlichkeit in irgendeiner Weise zur Grundlage zu machen. Uns geht es darum, daß die Werkstätten in der Bundesrepublik nach einigermaßen überschaubaren Ordnungsprinzipien tätig werden können. Natürlich kommt es auch darauf an, daß sich die Beteiligten, wie z. B. die Bundesanstalt für Arbeit, mit der Arbeitsweise dieser Werkstatt einverstanden erklären können. Aber nach all den Vorberatungen, die wir bisher geführt haben, wird es zu einer Übereinstimmung aller beteiligten Träger kommen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von der Heydt.
von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}) : Herr Staatssekretär, nach dem Sie meinem Kollegen Burger auf seine Frage nicht direkt geantwortet haben, wie denn in dem Entwurf sichergestellt ist, daß den schwerer Behinderten hierbei kein Nachteil entsteht, möchte ich Ihnen diese Frage nodi einmal stellen.
Herr Kollege, es handelt sich hier um eine Verordnung zum Schwerbehindertengesetz. Da ist es doch selbstverständlich, daß wir uns insbesondere den Fragen der Schwerst- und Schwerbehinderten zuwenden müssen. Sinn der Verordnung ist es ja gerade, insbesondere diesen Personen zu helfen. Der Leichtbehinderte braucht diesen besonderen Schutz nicht. Wie die ganze Anlage des Schwerbehindertengesetzes darauf abzielt, Schwerbehinderten zu helfen, so ist das auch bei dieser Verordnung der Fall.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Braun auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die nunmehr vorgelegte Konzeption der Werkstätten für Behinderte den im Gesetz festgelegten Voraussetzungen entspricht, oder werden hierdurch über den Sinn des Gesetzes hinausgehende Regelungen getroffen?
Bitte schön, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich würde auch in diesem Fall gerne die Fragen 23 und 24 gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 24 des Abgeordneten Braun auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß der Referentenentwurf der Rechtsverordnung nach § 55 des Schwerbehindertengesetzes bei den Verbänden auf erheblichen Widerstand stößt?
Die Rechtsverordnung nach § 55 Abs. 3 des Schwerbehindertengesetzes wird im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vorbereitet. Inzwischen wurden am 21. und 22. März 1977 eingehende Gespräche mit Vertretern der „Lebenshilfe" und der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte" sowie der „Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte" geführt. Auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Besprechungen wird der Referentenentwurf überarbeitet und dann in üblicher Weise mit den interessierten Organisationen, den hauptberuflichen Rehabilitationsträgern, den Ländern und den übrigen beteiligten Bundesressorts erörtert werden. Sie können versichert sein, daß dabei auch darauf Bedacht genommen wird, daß sich die Verordnung im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung hält und die in § 52 des Schwerbehindertengesetzes vorgegebenen Grundsätze berücksichtigt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Braun.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es sicherlich nicht im Sinne des Schwerbehindertengesetzes ist, wenn ausgerechnet Schwerstbehinderte keine Aufnahme in den Werktsätten für Behinderte finden sollen, wovon der bisherige 'Entwurf ausgegangen ist, und darf ich Ihre Antwort jetzt so auffassen, daß Sie bereit sind, den Referentenentwurf dahin gehend zu ändern, daß nunmehr auch Schwerstbehinderte Aufnahme in den Werkstätten finden können?
Herr Kollege, ich glaube, das war nie anders vorgesehen. Ebenso wie der alte soll auch der neue Referentenentwurf, den wir demnächst den Organisationen zustellen werden, den Schwerstbehinderten helfen. Für die Aufnahme in einer Werkstatt gibt es allerdings eine Voraussetzung: daß der Behinderte gemeinschaftsfähig ist. Darüber gibt es mit den beteiligten Organisationen aber keine Diskussionen und Verständigungsschwierigkeiten.
Auch die Frage der Pflegebedürftigkeit müssen wir in dieser Verordnung lösen. Allerdings gibt es Pflegefälle, für die es in einer Werkstatt keine Verwendung mehr gibt. Über diese beiden Details - der Gemeinschaftsfähigkeit und der Pflegebedürftigkeit - gibt es, soweit ich das übersehe, mit den beteiligten Organisationen, wie gesagt, grundsätzlich keine Meinungsverschiedenheiten mehr, nachdem die Gespräche in den letzten Wochen stattgefunden haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Braun.
Herr Staatssekretär, sind Sie auch bereit, die Aufgabe der Werkstatt für Behinderte in dem neuen Referentenentwurf mehr von der sozialen und nicht alleine von der wirtschaftlichen Seite her zu sehen?
Herr Kollege, es kann überhaupt nicht Sinn einer Gesetzgebung für Schwerbehinderte sein, diese Frage nur aus wirtschaftlicher Sicht zu beantworten. Selbstverständlich
Pari. Staatssekretär Buschfort
müssen die gesellschaftliche und die soziale Seite einbezogen sein. Anders formuliert: Die soziale, die gesellschaftliche und wohl auch eine wirtschaftliche Seite sind zu berücksichtigen.
Herr Abgeordneter Braun, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn das in dem bisherigen Entwurf angeblich schon berücksichtigt war, wie erklären Sie sich dann die Proteste nicht irgendwelcher Verbände, sondern ausgerechnet jener Verbände, die die wesentlichen Träger der Werkstätten für Behinderte sind?
Herr Kollege, die Proteste sind nicht von Anfang an vorhanden gewesen. Sie haben sich später eingestellt. Insbesondere ging es um die beiden Bereiche, die ich vorhin nannte. Es ging um die Frage: Was geschieht eigentlich mit den Behinderten, die pflegebedürftig oder schwer pflegebedürftig sind? Und es ging wohl um den etwas undeutlichen Begriff der Mindestanforderungen in Werkstätten. Aber nachdem man sich über diese beiden Fragen - wie ich es beurteile; ich habe selber an so einem Gespräch teilgenommen - weitgehend verständigt hat, erwarte ich keine neuen Schwierigkeiten mehr.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Burger.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie so richtig verstanden: Es wird nicht mehr an den bisherigen drei Kriterien als Voraussetzung für die Aufnahme von Behinderten in Werkstätten festgehalten. Es gilt lediglich noch das Kriterium der Gemeinschaftsfähigkeit. Es braucht also nicht befürchtet zu werden, daß die durch die drei Kriterien behinderten Schwerstbeschädigten, die bisher nicht aufgenommen werden konnten, jetzt nicht aufgenommen werden können. Ist das so richtig?
Herr Kollege, die letzte Formulierung des Verordnungsentwurfs ist noch nicht erfolgt. Wir arbeiten an diesem Entwurf. Aber es ist richtig, daß wir bei der neuen Verordnung Wert darauf legen, daß eben nicht nur - wie zunächst vorhin hier ausgedrückt wurde - die Wirtschaftlichkeit Schwerpunkt ist, sondern daß wir, wenn wir von der Gemeinschaftsfähigkeit und von einem gewissen Maß an erbrachter Tätigkeit in einer Werkstatt, auf die man sicher nicht verzichten kann, ausgeht, uns in dieser Frage sehr wohl verständigen können.
Herr Abgeordneter Burger, ich gebe Ihnen noch eine Zusatzfrage, da zwei Fragen vorliegen. Ich bitte aber das Haus, davon Kenntnis zu nehmen, daß ich bei der weiteren Abwicklung der Fragestunde jeweils nur eine Zusatzfrage zulassen werde, weil wir sonst zu sehr in Verzögerung kommen. - Herr Abgeordneter Burger, dann Herr Abgeordneter Dr. Hammans, bitte schön.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Vorschläge aus dem Kreis der Betroffenen und der Elternverbände bekannt, die davon ausgehen, daß es besser wäre, die Schwerstbehinderten in den Werkstätten in Gruppen zusammenzufassen, statt sie auszuschließen und in Werkstätten minderer Art, in zweitklassigen Werkstätten unterzubringen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Herr Kollege, nach der Konzeption der Verordnung ist die Zusammenfassung aller Behindertengruppen möglich. Wie man das organisationsmäßig in der Werkstatt durchführt, dürfte wohl im wesentlichen Sache der Träger sein.
Ich will auf meine vorherige Bemerkung noch etwas eingehen. Natürlich hat der Gesetzgeber -und daran müssen wir uns ja auch wohl halten - im Schwerbehindertengesetz ein gewisses Mindestmaß an Leistung beschlossen. Aber das schließt nicht aus, daß die anderen Gesichtspunkte, wie gesagt, doch jetzt stärker in den Vordergrund gestellt worden sind und daß wir, wie wir das bei der Übereinstimmung über den Begriff Gemeinschaftsfähigkeit sehen, sicher - ich darf das wiederholen - auch bei den anderen Problemen zu einer vernünftigen Lösung kommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär Buschfort, können wir davon ausgehen, daß die von Ihnen vorgesehene Verordnung erst dann erlassen wird, wenn Sie weitgehendste Übereinstimmung mit den betroffenen Verbänden erzielt haben?
Man wird letzte Übereinstimmung nicht mit allen erreichen können. Was der eine möchte, lehnt der andere möglicherweise ab. Aber wir sind bemüht, eine breite Übereinstimmung zu erzielen. Sie mögen das auch schon daran erkennen, daß wir jetzt mit den Trägern nochmals über eine Verordnung zu § 55 sprechen. Da sollte es sicher möglich sein, eine breite Übereinstimmung zu erzielen. Aber, wie gesagt, die letzte Übereinstimmung gibt es wohl in keinem Fall. Die gibt es auch hier im Bundestag nicht.
Eine letzte Zusatzfrage zu diesem Thema von dem Herrn Abgeordneten Dr. Pinger.
Herr Staatssekretär, wenn sich die Verordnungsermächtigung auf die Qualifikation der Werkstatt bezieht, können wir dann davon ausgehen, daß die zu erlassende Verordnung keine besondere zusätzliche Qualifikation an den einzelnen, der in der Werkstatt ist, bringt, sondern sich darauf beschränkt, eine Qualifikation an die Werkstatt anzulegen mit der Folge, daß es dem Träger obliegt, zu sehen, welche Einzelleistung der Behinderte erbringen kann?
Herr Kollege, die Verordnung soll ohnehin das Verhältnis zur Werkstatt regeln. Die Verordnung regelt nicht ein Verhältnis zum einzelnen in dieser Werkstatt. Allerdings ist im Gesetz festgelegt, daß ein gewisses Mindestmaß an Leistung erbracht werden soll. Nun unterhalten wir uns darüber, was das ist. Hier gehen die Meinungen nach wie vor noch ein wenig auseinander. Es ist verständlich, daß die Bundesanstalt für Arbeit in dieser Frage lange Zeit eine wesentlich andere Meinung vertreten hat als beispielsweise die anderen beteiligten Organisationen. Aber ich darf noch einmal sagen: Ich gehe davon aus, daß wir eine breite Übereinstimmung erzielen werden.
Es wurde um schriftliche Beantwortung der Fragen 25 und 26 der Frau Abgeordneten Hürland gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich rufe daher die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Geisenhofer auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, in der Rechtsverordnung nach ß 55 des Schwerbehindertengesetzes hinsichtlich der Größe der Werkstatt eine Mindestzahl von 120 Plätzen festzulegen, oder ist diese Begrenzung nicht rein willkürlich gezogen?
Ich möchte auch hier gerne die Fragen 27 und 28 gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 28 auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Sozialgerichts Bremen vom 10. Mai 1976, wonach bereits eine Werkstatt mit 15 Plätzen als Werkstatt für Behinderte anerkannt worden ist?
Es ist nach wie vor beabsichtigt, für die Anerkennung einer Werkstatt für Behinderte eine bestimmte Mindestgröße vorzusehen, da eine Werkstatt den unterschiedlichen Bedürfnissen des weiten Kreises von Behinderten, der in der Werkstatt Aufnahme findet, nur bei einer bestimmten Größe der Werkstatt gerecht werden kann. Das Vorhandensein eines möglichst breiten, differenzierten Angebots von Arbeitstrainings-, Arbeits- und sonstigen Plätzen, die Ausstattung mit vielfältigem qualifizierten Fachpersonal für die Unterweisung und Betreuung und andere Anforderungen, die im Interesse des Behinderten an eine Werkstatt zu stellen sind, setzen eine bestimmte Größe der Werkstatt voraus. Der Verzicht auf eine solche Mindestgröße ginge zu Lasten der Behinderten.
Die Mindestzahl von 120 Plätzen ist schon seit mehreren Jahren eine anerkannte Größe. Von ihr gehen auch die sogenannten „Mindestvoraussetzungen für die vorläufige Anerkennung einer Werkstatt für Behinderte" aus, die mit den Ländern, den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe und der Bundesanstalt für Arbeit am 5. Dezember 1974 abgestimmt worden sind. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es ausreicht, wenn die Zahl von 120 Plätzen im Endausbau erreicht wird. Außerdem kann die Zahl von 120 durch einen Werkstattverbund hergestellt werden. Im Zuge des Verfahrens der vorläufigen
Anerkennung der Werkstätten für Behinderte sind Schwierigkeiten, die sich ausschließlich aus den Anforderungen an die Größe ergeben hätten, nicht bekanntgeworden.
Auch in den bisherigen Erörterungen des Referentenentwurfs der Werkstättenverordnung im Beirat für die Rehabilitation der Behinderten und im Beratenden Ausschuß für Behinderte bei der Bundesanstalt für Arbeit sind Einwände grundsätzlicher Art gegen die vorgesehene Mindestgröße nicht erhoben worden.
Die von Ihnen zitierte Entscheidung des Sozialgerichts Bremen vom 10. Mai 1976 ist mir bekannt. Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Ich möchte mich daher einer Wertung dieser Entscheidung enthalten, um nicht in ein schwebendes Verfahren einzugreifen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geisenhofer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Mindestzahl von 120 Plätzen, auch wenn sie erst in der Endphase erreicht sein muß, große Schwierigkeiten für den Werkstättenbereich nach sich zieht?
Nein, dem kann ich nicht zustimmen, denn Schwierigkeiten sind bisher nicht bekanntgeworden.
Herr Abgeordneter Geisenhofer, keine weiteren Zusatzfragen? - Herr Abgeordneter Braun, bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Zahl 120 recht willkürlich gewählt worden ist, und daß es sehr wohl auch für Werkstätten für Behinderte die Möglichkeit der Spezialisierung gibt, so daß es geradezu zweckmäßig und notwendig ist, hier kleinere Einheiten zu schaffen?
Ich weiß momentan nicht, unter welchen Bedingungen diese Zahl festgesetzt wurde. Ich gehe einmal davon aus, daß es eine Betriebsgröße ist, wie man ja auch sonst in der Wirtschaft Betriebsgrößen hat. Da sagt man: Das eine ist noch wirtschaftlich und sinnvoll und steht im Verhältnis zu dem Personal, das andere nicht. Wenn wir uns auf eine Kleinstwerkstatt zurückziehen wollten, so könnten wir die notwendigen Leistungen für Behinderte eben nicht mehr erbringen, weil keine Verhältnismäßigkeit mehr bestünde. Wollen wir also eine optimale Betreuung, eine optimale Einarbeitungsmöglichkeit für die Behinderten herstellen, so brauchen wir auch eine angemessene Betriebsgröße. Diese Betriebsgröße ist nun einmal bei 120 festgelegt worden, und alle Träger haben dieser Betriebsgröße zugestimmt. Ich darf wiederholen: Uns sind keinerlei Beanstandungen bekanntgeworden.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Jaunich auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundesanstalt für Arbeit Ansprüche von Arbeitnehmern aus einem Sozialplan bei Konkurs des Unternehmens, die sie wegen Zahlung von Arbeitslosengeld auf sich übergeleitet hat, trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 1976 - 1 BvL 31/73 zu § 117 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes - nicht freigibt, solange eine Neufassung des § 117 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes nicht erfolgt ist, und wann beabsichtigt die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag eine Neuregelung des § 117 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes vorzuschlagen?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Jaunich, die gegenwärtige Verfahrensweise der Bundesanstalt für Arbeit erklärt sich daraus, daß das Bundesverfassungsgericht zwar § 117 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz teilweise für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat, jedoch davon abgesehen hat, die Nichtigkeit der Vorschrift festzustellen. Das Bundesverfassungsgericht hält das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld in gewissen Fällen, in denen der Arbeitgeber im Zusammenhang mit einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zu zahlen hat, grundsätzlich für zulässig. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift des § 117 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz jedoch so zu ändern, daß sie auch in ihrer näheren Ausgestaltung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es ist in dieser Lage sachgerecht, daß die Bundesanstalt für Arbeit in der Zwischenzeit nur vorläufige Entscheidungen nach bisherigem Redit trifft, die später auf Grund des neuen Redits überprüft und erforderlichenfalls angepaßt werden müssen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß eine entsprechende Änderung in Kürze vom Deutschen Bundestag beschlossen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir das kurz nodi ein wenig konkretisieren: Wie weit sind die Vorbereitungen der Bundesregierung für diese gesetzliche Regelung gediehen?
Herr Kollege, die Vorbereitungen der Bundesregierung sind soweit gediehen, daß wir genau wissen, wie eine solche Ausformulierung auszusehen hat. Es wird beim Parlament liegen, mit welcher Geschwindigkeit man diese Frage entweder eigenständig oder in Zusammenhang mit einem anderen Gesetzesbereich lösen kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Halten Sie eine Mithilfe der Bundesregierung bei Einzelfallregelungen wie in meinem Falle für möglich?
Herr Kollege, wir werden zu gegebener Zeit prüfen, ob die Bundesanstalt für Arbeit schon vorab Regelungen treffen kann, allerdings mit dem Vorbehalt der späteren gesetzlichen Regelung.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Kraus auf. Ist der Abgeordnete Kraus anwesend? - Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Trifft es zu, daß nach dem Referentenentwurf zur Rechtsverordnung nach § 55 Abs. 3 des Schwerbehindertengesetzes ({0}) nur solche Behinderte in Werkstätten für Behinderte aufgenommen werden sollen, die weitgehend unabhängig von Pflege sind?
Ist die Bundesregierung bereit, in der geplanten Werkstättenverordnung nach dem Schwerbehindertengesetz die Aufgaben der Werkstätten für Behinderte und den dort aufzunehmenden Personenkreis so zu beschreiben, daß eine umfassende gesellschaftliche Eingliederung aller Behinderten - ungeachtet der Art und Schwere ihrer Behinderung - ermöglicht werden kann?
In dem endgültigen Referentenentwurf einer Rechtsverordnung zur Durchführung des § 55 Abs. 3 des Schwerbehindertengesetzes, der zur Zeit im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung fertiggestellt wird, soll eindeutig zum Ausdruck gebracht werden, daß die Werkstatt Aufgaben auch gegenüber pflegebedürftigen Behinderten zu erfüllen hat, soweit dem nicht im Einzelfall ein außerordentliches Pflegebedürfnis des Behinderten entgegensteht.
Zu Ihrer zweiten Frage ist darauf hinzuweisen, daß die Aufgabe der Werkstatt als Einrichtung zur Eingliederung in das Arbeitsleben bereits im Gesetz in § 52 des Schwerbehindertengesetzes definiert ist. Diese Aufgabe soll in der Verordnung konkretisiert werden. Dabei soll verdeutlicht werden, daß die Werkstatt neben ihrem primären Auftrag ergänzend und begleitend auch Aufgaben der gesellschaftlichen Eingliederung zu erfüllen hat. Sie muß neben berufsfördernden Bildungsmaßnahmen zur Verbesserung der Eingliederung in das Arbeitsleben auch Maßnahmen zur Betreuung und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit durchführen. Hierzu müssen begleitende Dienste zur Verfügung stehen, die den Bedürfnissen der Behinderten angemessen Rechnung tragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung nach diesen Auskünften Bedenken aus dem Bereich der „Lebenshilfe" für ungerechtfertigt, wonach nach dem Erlaß der Werkstättenverordnung möglicherweise die Bundesländer als Träger der überörtlichen Sozialhilfe gezwungen wären, ein weiteres Netz von Werkstätten, Beschäftigungsstätten oder wie man sie nennen will, aufzubauen, um Schwerbehinderte, unter Umständen auch pflegebedürftige Schwerbehinderte, unterbringen zu können?
Herr Kollege Kuhlwein, dieser Personenkreis ist zweifellos nicht Gegenstand dieser Verordnung. Ich darf noch einmal das wiederholen, was ich vorhin bereits sagte: Soweit es sich um Personen handelt, die nicht gemeinschaftsfähig sind oder aber die so pflegebedürftig sind, daß dies in einer Werkstatt nicht mehr abzuwickeln ist, werden wir eine Berücksichtigung solcher Schwerstbehinderter in dieser Werkstatt nicht ermöglichen können. Aber daß pflegebedürftige Personen und Personen mit einer Mindestleistung dort Aufnahme finden, halte ich für selbstverständlich. Es wird also immer eine kleine Gruppe von Schwerbehinderten geben, die in diese Werkstatt nicht aufgenommen werden. Aber das ist auch heute der Fall.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, vielleicht ist meine Frage etwas mißverstanden worden. Ich wollte noch einmal klar und deutlich von der Bundesregierung hören, ob der Personenkreis, für den seinerzeit die beschützenden Werkstätten eingerichtet wurden, wie die „Lebenshilfe" befürchtet, in Zukunft aus den Behindertenwerkstätten verdrängt wird und ob es passieren könnte, wie die Lebenshilfe ebenfalls befürchtet, daß künftig auch behinderte Schulabgänger, die auf dem Arbeitsmarkt auf Grund der angespannten Lage dort nicht unterkommen, Behinderte aus den Werkstätten. verdrängen.,
Nein, Herr Kollege Kuhlwein, das ist nicht zu befürchten; denn für die Gruppe der Schwerstbehinderten, die ich vorhin nannte, ist eine Anbindung an die Werkstatt organisatorisch durchaus erlaubt und auch möglich.
Herr Abgeordneter Wolfram, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist sichergestellt, daß ein jugendlicher Schwerbehinderter, der in einer solchen Behindertenwerkstatt eine Ausbildung erhält, auch anschließend eine Beschäftigung bekommt?
Herr Kollege Wolfram, die Ausbildung steht, glaube ich, bei dem Typ einer Werkstatt, über den wir im Moment sprechen, nicht im Vordergrund. Ich hatte vorhin Gelegenheit, auf eine andere Frage mitteilen zu können, daß insbesondere im Rahmen der Rehabilitation die Zahl der zu Vermittelnden sehr günstig ist. Wir weisen immer wieder darauf hin, daß Personen mit einer Ausbildung im Rahmen der Rehabilitation eine wesentlich günstigere Vermittlungschance haben als Personen, die von diesem Angebot der beruflichen Bildung im Rahmen der Rehabilitation keinen Gebrauch machen.
Damit haben wir die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung behandelt. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Die vorliegenden Fragen 33 des Abgeordneten Dr. Probst sowie 34 und 35 des Abgeordneten Biehle aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung sollen sämtlich schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär zur Verfügung.
Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Schöfberger:
Wie will die Bundesregierung einer Zersplitterung der Kodifikation des bürgerlichen Rechts entgegenwirken, die dadurch entsteht, daß zunehmend mehr Einzelmaterien des bürgerlichen Redits nicht mehr im BGB, sondern in Spezialgesetzen geregelt werden oder werden sollen ({0}), und ist die Bundesregierung insbesondere bereit, geeignete Spezialgesetze zur Wiedereingliederung in das BGB vorzuschlagen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hält eine möglichst umfassende Kodifikation des bürgerlichen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch - nicht zuletzt im Interesse der Erkennbarkeit und Durchsichtigkeit des Rechts für den betroffenen Bürger - für erstrebenswert. Sie teilt daher die Auffassung, daß einer Zersplitterung des bürgerlichen Rechts durch Spezialgesetze entgegengewirkt und, wo immer dies sinnvoll und möglich erscheint, die Einheit der Kodifikation des bürgerlichen Rechts durch gesetzgeberische Maßnahmen wiederhergestellt werden sollte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schöfberger. Bitte schön.
Versteht die Bundesregierung darunter auch das Zurückführen schon bestehender Spezialgesetze in das bürgerliche Recht?
So ist es. Wobei von Fall zu Fall - wenn ich das ergänzen darf - unterschieden werden muß, ob schon eine gewisse Reife besteht; zum Teil müssen Erfahrungen abgewartet werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schöfberger.
Gehe ich recht in der Annahme, daß die Bereiche Arbeitsrecht und Mietrecht einen derartigen Umfang angenommen haben, daß sie im Gegensatz zu anderen Materien nicht mehr zurückgeführt werden können?
Beim Mietrecht kann man dies nicht sagen. Das Arbeitsrecht gehört wohl in aller Regel zu einem anderen Bereich.
Bei den Fragen 37 und 38 des Abgeordneten Dr. Möller bittet der Fragesteller um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden
Präsident Carstens
als Anlagen abgedruckt. Ich danke dem Herrn Staatssekretär. Wir haben damit den Bereich des Bundesministers der Justiz behandelt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär zur Verfügung.
Frage 39 des Abgeordneten Dr. Becker ({0}) :
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung wegen der erheblichen Zunahme des Handels und Gebrauchs harter Drogen ({1}) ergreifen, der auch durch die über 70%ige Zunahme an Todesfällen durch Drogenüberdosierung im Jahr 1976 gegenüber 1975 deutlich wird?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Dr. Becker, die Situation des Mißbrauchs illegaler Drogen einschließlich des Handels mit ihnen ist derzeit regional offenbar sehr unterschiedlich. Einerseits gibt es Hinweise darauf, daß sich der Zustrom bestimmter Rauschdrogen, wie Heroin und Kokain, verstärkt hat. Andererseits wird berichtet, daß gerade bei diesen Drogen in den letzten Monaten regional ein deutlicher Preisanstieg festzustellen ist, der möglicherweise auf eine Verknappung des illegalen Angebotes zurückzuführen ist. Die Feststellungen von Polizei und Zoll signalisieren zwar eine vermehrte Aktivität des illegalen Handels und Schmuggels, sind aber nur Teilaspekte der Situation insgesamt.
Im Bereich der Beratung und Behandlung drogengefährdeter bzw. drogenabhängiger Personen sind in den zurückliegenden Monaten kaum Veränderungen festzustellen gewesen.
Die Statistik der Drogentoten erbringt ebenfalls kein klares Bild. Die derzeit im Vordergrund stehende Gefährdung durch Heroin, die bei jedem zweiten Todesfall durch Drogenmißbrauch eine Rolle gespielt hat, läßt sich heute nicht allein durch nationale Maßnahmen und nicht ausschließlich durch repressive Maßnahmen zurückdrängen. Es bedarf dazu internationaler Absprachen sowie der verstärkten Aufklärung, Beratung und Hilfe. Die Bewertung der Gesamtsituation muß berücksichtigen, daß Todesfälle als Folge des Mißbrauchs von Heroin nahezu unvermeidbar sind, weil dieses auch für Abhängige nur in geringsten Mengen verträglich ist und die Grenze zur fehlerhaften und damit tödlichen Dosierung leicht überschritten wird.
Gleichzeitig muß man sehen, daß trotz der als durchaus ernst einzustufenden Situation die in der Bundesrepublik getroffenen Maßnahmen eine Ausuferung weitgehend verhindern konnten. Daraus läßt sich ableiten, daß diese Maßnahmen wirksam waren und im selben Rahmen intensiv weiterverfolgt werden sollten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, es hat den Anschein, daß aus den westlichen Anliegerländern das Heroin in irgendeiner Art und Weise vermehrt hier hereinkommt. Teilen Sie diese Auffassung, und glauben Sie mit unserem Nachbarland Niederlande - das ist das angesprochene Land - irgendwelche gemeinsamen Abwehrmaßnahmen treffen zu können?
Herr Kollege, ich habe schon darauf hingewiesen, daß dieses Problem internationale Maßnahmen erforderlich macht. Es gibt solche Maßnahmen. Es gibt eine intensive Zusammenarbeit. Aber Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß die nationale Gesetzgebung in einzelnen Ländern, z. B. in den Niederlanden, sich von der unseren unterscheidet. Ich kann das nicht bewerten und darf das nicht bewerten. Aber gerade auf diesem Gebiet gibt es intensive Anstrengungen, die sich bis in den Bereich der Anbauländer erstrecken.
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Dann rufe ich Frage 40 des Herrn Abgeordneten Dr. Nöbel auf. Ist Herr Abgeordneter Nöbel im Saal? - Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 41 des Abgeordneten Spitzmüller:
Trifft es zu, daß deutsche Transportunternehmer bei Rückfahrten aus dem Ausland, insbesondere aus Italien, in zunehmendem Maß Wein und Traubensäfte in den gleichen Tanks befördern, in denen auf der Hinfahrt Chemikalien transportiert worden sind, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang gegebenenfalls zu ergreifen?
Zur Beantwortung, der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Präsident, ich würde gerne beide Fragen, wenn der Herr Abgeordnete gestattet, zusammen beantworten.
Bitte schön. Ich rufe dazu Frage 42 des Abgeordneten Spitzmüller auf:
In welchem Umfang sind der Bundesregierung Krankheitsfälle bekannt, die auf einen wie oben geschilderten Fall zurückzuführen sind?
Herr Abgeordneter Spitzmüller, auf Grund entsprechender Berichte der zuständigen Behörden in Baden-Württemberg muß die Bundesregierung davon ausgehen, daß die angesprochenen Mißstände festgestellt worden sind. Die Fälle sollen allerdings nicht Traubensaft, sondern Traubenmost betroffen haben. Nach Auffassung der Bundesregierung reichen die bestehenden Rechtsvorschriften jedoch aus, um abwechselnde Transporte von Erzeugnissen im Sinne des Weingesetzes und von Füllgütern, die nicht zum Verzehr bestimmt sind, in den gleichen Tankfahrzeugen zu unterbinden.
Um die Bundesländer bei diesen in ihre Zuständigkeit fallenden Aufgaben zu unterstützen, sind auch die Zolldienststellen eingeschaltet worden. Zur Zeit wird geprüft, in welcher Weise auch die Bundesanstalt für Güterfernverkehr bei den Kontrollen tätig werden kann.
Krankheitsfälle sind der Bundesregierung in diesem Zusammenhang nicht bekannt. Im übrigen möchte ich auf die Ausführungen in der Antwort auf eine diesbezügliche Frage des Abgeordneten Egert in der Fragestunde vom 16. März 1977 verweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nachdem Sie bereits im Januar dem Kollegen Dr. Hammans mitgeteilt haben, daß die Hygieneverordnung erst in der zweiten Hälfte 1977 erlassen werden kann, was also Dezember 1977 heißt, habe ich die Frage an Sie: glauben Sie nicht, daß es im Sinne der Verbraucher nützlich und notwendig wäre, wenn Ihr Ministerium in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium und den Bundesländern sicherstellte, daß einmal gezielt vier Wochen lang einige Spezialtrupps von Zollbeamten und vielleicht Wirtschaftsdiensten umfassende Kontrollen durchführten, um das Maß solcher Verstöße festzustellen und durch solche gezielten Kontrollen dann den Mißbrauch oder den gesetzlich nicht zulässigen Mißbrauch total stillegen zu können?
Herr Kollege Spitzmüller, ich stimme Ihnen zu, daß das im Interesse der Verbraucher sinnvoll wäre. Sie werden mir sicher auch zustimmen, wenn ich sage, daß solche Maßnahmen natürlich sehr wenig Sinn haben, wenn sie mit großem Ankündigungseffekt hier in der Fragestunde des Bundestages hinsichtlich des Umfanges, des Zeitpunkts und des Ortes angekündigt werden; aber ich werde mich in diesem Sinne bemühen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Spitzmüller.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß allein das Wissen, daß so etwas geplant wird, vielleicht schon manche Unternehmer verschreckt, so daß sie sich auf solche unzulässigen Dinge nicht mehr einlassen und sich rechtzeitig verbrauchergemäß verhalten?
Ich wage das nicht abzuwägen, stimme aber mit Ihnen überein, daß auf diesem Gebiete alles unternommen werden sollte, was die Verbraucher vor solchen Transporten schützt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Peiter auf:
Hat sich die Bundesregierung über das vom Deutschen BrauerBund e. V. herausgegebene Faltblatt Hier geht es um unser Bier", in dem unter Bezug auf Fernsehspots des Bundesgesundheitsministeriums gegen Alkoholmißbrauch, Anzeigenkampagnen des Bundesverkehrsministers und das Aktionsprogramm der Ländergesundheitsminister zur Eindämmung und Verhütung des Alkoholmißbrauchs erklärt wird, „Wir sind immer bereit, wissenschaftlich abgesichertes Material mit jedem ernsthaft Interessierten zu diskutieren. Wir meinen allerdings, daß man dabei bisher zu leichtfertig mit Argumenten gearbeitet hat, die wissenschaftlich nicht ausreichend abgesichert sind.", eine Meinung gebildet, und wenn ja, zu welcher Beurteilung ist sie gekommen, und welche Folgerungen zieht sie daraus?
Herr Kollege Peiter, der Bundesregierung ist das Faltblatt des Deutschen Brauer-Bundes bekannt; es handelt sich um eine Argumentationshilfe für dessen Mitglieder. Zielrichtung dieses Merkblattes ist es, dem Bier insoweit eine Sonderstellung einzuräumen, als es nicht zu den gefährlichen alkoholhaltigen Getränken gerechnet werden soll. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Mißbrauchs alkoholhaltiger Getränke haben im Gegensatz dazu das Bier anderen alkoholischen Getränken gleichgestellt. Der Deutsche Brauer-Bund hat daran Kritik geübt. In seinem Antwortschreiben hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit dem Deutschen Brauer-Bund am 1.. Dezember 1976 mitgeteilt, daß er nicht bereit sein kann, bestimmte alkoholische Getränke aus den Bemühungen, deren Mißbauch einzuschränken, auszunehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peiter.
Herr Staatssekretär, ich gehöre nicht dem Deutschen Brauer-Bund an, bin aber Biertrinker. Dieses Faltblatt wurde mir als Kunden bei der Bierlieferung gegeben. Meinen Sie nicht, daß aus Gründen der Umsatzsteigerung mit der Volksgesundheit etwas Schindluder getrieben wird?
Herr Kollege Peiter, ich habe Ihre Frage akustisch nicht präzise verstanden. Können Sie sie bitte wiederholen?
Vielleicht können Sie etwas näher an das Mikrophon herangehen, Herr Abgeordneter Peiter.
Soweit ich es kann, werde ich meine Frage wiederholen. Ich habe das so verstanden, als würde der Deutsche Brauer-Bund sagen, das sei für die Mitglieder bestimmt. Ich bin nicht Mitglied des Brauer-Bundes, aber Biertrinker. Deshalb darf ich mir die Frage erlauben: Meinen Sie nicht auch, daß hier mit der Werbung etwas zu weit gegangen wurde, daß aus Gründen einer Umsatzsteigerung mit der Volksgesundheit etwas Schindluder getrieben wird?
Herr Kollege Peiter, ich gehe davon aus, daß Werbung immer die Steigerung des Umsatzes im Auge hat. Die Maßnahmen der Bundesregierung auf diesem Gebiet haben ausschließlich Mißbrauch alkoholischer Getränke im Auge und nicht etwa einen mäßigen Konsum, sondern wir richten uns in diesen gesundheitlichen
Pari. Staatssekretär Zander
Aufklärungsmaßnahmen gegen Mißbrauch und müssen dabei allerdings alkoholische Getränke im Grunde gleichbehandeln.
Herr Abgeordneter Peiter, Fragen dürfen keine Werturteile enthalten. Ich habe davon abgesehen, diese Regel in Ihrem Falle anzuwenden; aber ich wollte mir doch erlauben, darauf hinzuweisen. Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Picard.
Herr Staatssekretär, haben Sie den Eindruck, daß der Brauer-Bund mit dieser Information zum Mißbrauch beim Biertrinken anregt?
Nein, ich habe den Eindruck, daß er den Umsatz steigern will. Das kann natürlich bei einzelnen auch einschließen, daß es zu Mißbrauch kommt. Diese Entscheidung liegt allerdings nicht beim Brauer-Bund, sondern bei den einzelnen Konsumenten.
({0})
Es tut mir leid, Herr Abgeordneter Picard, Sie haben nur eine Zusatzfrage. Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Ich danke dem Herrn Staatssekretär. Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Jugend, Famile und Gesundheit.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Hält die Bundesregierung in Anbetracht der Arbeitsmarktsituation die Regelung des Artikels 3 ß 1 des Haushaltsstrukturgesetzes vom 18. Dezember 1975 noch für zeitgemäß, die die Möglichkeit, sich als Beamter auf Lebenszeit auf Antrag in den Ruhestand versetzen zu lassen, vom 62. auf das 63. Lebensjahr verschoben hat?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich würde gern die Fragen 44 und 45 gemeinsam beantworten, wenn Sie damit einverstanden sind.
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 45 des Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Wann wird die Bundesregierung eine Änderung des Artikels 3 I 1 des Haushaltsstrukturgesetzes vorlegen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat schon in der Begründung zum Haushaltsstrukturgesetz darauf hingewiesen, daß bei der Altersgrenze, bei deren Erreichen ein Beamter oder Richter auf Antrag auch ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden kann, wie auch bei den vorgezogenen Altersgrenzen nach angemessener Zeit zu prüfen sein werde, ob die Maßnahme auf Dauer aufrechterhalten werden könne. Wegen der personalwirtschaftlichen Auswirkungen der heraufgesetzten Altersgrenzen und wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt habe ich bereits veranlaßt zu prüfen, ob die bis zu dem Inkrafttreten des Haushaltsstrukturgesetzes geltenden Regelungen schon bald wiederhergestellt werden können.
In diese Prüfung ist unter anderem auch die Frage einbezogen worden, ob die Altersgrenze für den freiwilligen Eintritt in den Ruhestand übergangsweise in Anbetracht der Arbeitsmarktsituation sogar auf 60 Jahre herabgesetzt werden kann. Die Erörterungen in dieser Angelegenheit sind noch nicht abgeschlossen, so daß es mir zur Zeit nicht möglich ist, einen Zeitpunkt anzugeben, zu dem ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ahrens.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele Beamte von der Möglichkeit, mit der Vollendung des 62. Lebensjahres einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand zu stellen, jeweils Gebrauch gemacht haben?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann im Augenblick dazu keine genauen Zahlenangaben machen, bin aber gerne bereit, Ihnen Zahlen, soweit das möglich ist, schriftlich zu geben.
Weitere Zusatzfragen wünscht der Herr Fragesteller nicht.
Wir kommen dann zur Frage 46 des Abgeordneten Büchner ({0}) :
Kann die Bundesregierung Erklärungen aus dem Bereich des Deutschen Leichtathletikverbands bestätigen, nach denen die medikamentöse Leistungsbeeinflussung - z. B. Verabreichung von Anabolika - vor und während der Olympischen Spiele 1976 auch der Führung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft bekannt war?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Bundesinstitut für Sportwissenschaft und seine Führung waren mit konkreten Einzelfällen medikamentöser Leistungsbeeinflussung vor und während der Olympischen Spiele 1976 nicht befaßt. Das Bundesinstitut hat unter Beteiligung des Dopingbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Donike, in einer Veröffentlichung mit dem Titel „Die Dopingkontrolle in Montreal" unmittelbar vor den Olympischen Spielen auf die bestehenden Dopingverbote und den Ablauf des Untersuchungsverfahrens hingewiesen. Es hat hierbei ausdrücklich auf das Verbot der Applikation anaboler Steroide aufmerksam gemacht.
Die Bundesregierung kann im übrigen nach den von ihr eingeholten Informationen nicht bestätigen, daß der Leitung des Bundesinstituts außerhalb ihrer dienstlichen Tätigkeit konkrete Einzelfälle medikamentöser Leistungsbeeinflussung bekannt waren, die im Bereich des Deutschen Leichtathletikverbands vor und während der Olympischen Spiele 1976 aufgetreten sein sollen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchner.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Leistungssportförderung mehr als bisher an Kriterien zu orientieren, die den gesundheitlichen Schutz des Sportlers als absolut vorrangig betrachten und vor allem im Bereich des Kinder- und Jugendsports geeignete Schutzmaßnahmen gegen medikamentöse oder manipulierende Eingriffe sicherstellen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe schon in der Antwort auf die Frage des Abgeordneten Kuhlwein in der Fragestunde vom 17. März 1977 ausführlich dargelegt, welche Position die Bundesregierung bezüglich der Einnahme beispielsweise von Anabolika einnimmt. Daran hat sich nichts geändert. In dieser Antwort ist auch ausführlich dargestellt worden, welche Maßnahmen und Einwirkungsmöglichkeiten die Bundesregierung getroffen bzw. genutzt hat, um ihr Ziel zu erreichen.
Noch eine weitere Zusatzfrage?
Hat der Herr Staatssekretär meine zweite Frage gleich mit beantwortet?
Ich glaube, nein. Ich rufe dann die Frage 47 des Abgeordneten Büchner ({0}) auf:
Hat die Bundesregierung auf Grund des Verlaufs des Verbandstags des Deutschen Leichtathletikverbandes am 26. April 1977 in Leverkusen Untersuchungen zur Klärung der Frage eingeleitet, ob auch Jugendlichen Anabolika mit dem Ziel der Leistungssteigerung mit Wissen des Geschäftsführenden Direktors des Bundesinstituts für Sportwissenschaft verabreicht wurden?
Herr Staatssekretär, zur Beantwortung.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nach dem Verbandstag des Deutschen Leichtathletikverbandes am 26. März 1977 in Leverkusen hat die Bundesregierung durch Presseveröffentlichungen Kenntnis von Behauptungen erhalten, daß der Direktor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft von der Vergabe anaboler Steroide an Jugendliche gewußt habe. Diese Meldungen treffen nach Auskunft der Leitung des Bundesinstituts nicht zu.
Der Leitung des Bundesinstituts ist nach den Erkenntnissen des Bundesministers des Innern lediglich ein Sachverhalt bekannt, der im Jahre 1975 wegen angeblicher Einnahme von Anabolika durch einen seinerzeit vor Vollendung des 20. Lebensjahres stehenden Hammerwerfer zu einem Briefwechsel mit dem Deutschen Leichtathletikverband geführt hatte. Nach der Deutschen Leichtathletikordnung gehörte dieser Hammerwerfer der Kategorie „Männer" und nicht der Jugendklasse an. Die Jugendklasse wird nach der Leichtathletikordnung mit Vollendung des 18. Lebensjahres abgeschlossen.
Nach neuesten Meldungen eines Sportinformationsdienstes, die sich auf Aussagen des betroffenen Sportlers stützen, soll auch die in früheren Presseveröffentlichungen erörterte Behauptung nicht zutreffen, daß ein Trainer des Deutschen Leichtathletikverbandes dem Athleten Anabolika zur Verfügung gestellt habe.
Der Deutsche Leichtathletikverband hat zwischenzeitlich beschlossen, sich mit sämtlichen aktuellen Fragen zu befassen, die anläßlich des Verbandstages in Leverkusen zum Problem der medikamentösen Leistungsbeeinflussung aufgeworfen worden sind. Er will zugleich im Rahmen seiner Verbandsautonomie feststellen, ob und inwieweit Funktionsträger persönlich verantwortlich sein könnten. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das eingeleitete verbandsinterne Rechtsverfahren der angemessene und ordnungsgemäße Weg ist, um den Fragenkomplex nach jeder Richtung zu klären.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchner.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Erklärung des Präsidenten des Deutschen Sportbundes es gehe hierbei um mehr als nur um eine Goldmedaille, es gehe um das Ansehen des gesamten Sports, und welche sportpolitischen Schlußfolgerungen gedenkt die Bundesregierung hieraus zu ziehen, um der zunehmenden Verunsicherung der Leistungssportler und ihrer sportlichen Zielsetzungen entgegenzuwirken?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung nutzt, u. a. aus den von Ihnen zitierten. Gründen, alle ihre Möglichkeiten, um unzulässigen Leistungsbeeinflussungen zu begegnen.
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Wüster auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in ihrem Geschäftsbereich und bei den ihr nachgeordneten Behörden bei der Besetzung jeder freien Stelle überprüfen zu lassen, ob anstelle eines Vollbeschäftigten jeweils mehrere Teilzeitbeschäftigte eingestellt werden können, wenn dem keine übermäßigen finanziellen Belastungen oder organisatorische Schwierigkeiten entgegenstehen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Wie in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers angekündigt, Herr Kollege, wird die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst anstreben. Hierbei geht es in erster Linie darum, im Beamtenbereich die rechtlichen Voraussetzungen auszudehnen, unter denen eine Teilzeitbeschäftigung möglich ist. Die Überlegungen hierzu - gemeinsam mit den Ländern - sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung bemüht sich aber mit Nachdruck, eine Lösung durchzusetzen, die weitgehend Teilzeitarbeit ermöglicht.
Soweit die rechtlichen Möglichkeiten schon jetzt gegeben sind, kann davon ausgegangen werden, daß die zuständigen Behörden bei der Besetzung frei werdender Stellen im Sinne Ihrer Frage verfahren, wenn geeignete Bewerber mit dem Wunsch nach
Parl. Staatssekretär von Schoeler
einer Teilzeitbeschäftigung vorhanden sind und die dort wahrzunehmenden Aufgaben für Teilzeitarbeit geeignet erscheinen. Solange die rechtlichen Grundlagen für eine erweiterte Inanspruchnahme der Teilzeitbeschäftigung jedoch nicht geschaffen sind, erscheint es aus verwaltungsökonomischen Gründen nicht sinnvoll, über den Bedarf hinaus jede frei werdende Stelle auf ihre Eignung für eine Teilzeitbeschäftigung zu überprüfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüster.
Herr Staatssekretär, hat. die Bundesregierung einen ungefähren Überblick über die Anzahl der Teilzeitarbeitsplätze in ihrem Geschäftsbereich?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin im Augenblick nicht in der Lage, Ihnen dazu genaue Zahlen anzugeben.
Sie würden aber bereit sein, eine solche Überprüfung durchführen zu lassen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ich bin gern bereit, Ihnen Zahlen, soweit sie uns vorliegen, zur Verfügung zu stellen.
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Jens auf. - Der Fragesteller ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 50 des Abgeordneten Dr. Jens. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Regenspurger auf. - Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Dr. Becher ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung zwei Monate nach der Flucht des CETEKA-Korrespondenten Svetozar Simko in der Lage, mitzuteilen, welche Ergebnisse die von ihr angekündigte Überprüfung seiner Angaben erbrachte?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir gestatteten, Ihre beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusammen zu beantworten.
Ich rufe auch die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Becher ({0}) auf:
Hat sich die von Simko getroffene Feststellung bestätigt, daß die Bonner Botschaft der CSSR eine gut ausgerüstete Agentenzentrale sei, die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Waffen- und Nachrichtendepots für kommunistische Saboteure anlegt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Zu den Aussagen des ehemaligen Korrespondenten der tschechoslowakischen Nachrichtenagentur CETEKA hat Herr Kollege Baum auf Ihre Fragen und auf eine Frage des Kollegen Gerlach bereits in den Fragestunden des Deutschen Bundestages am 3. bzw. 24. März 1974 mitgeteilt, daß die Bundesregierung alle in diesem Zusammenhang verfügbaren Informationen sehr sorgfältig prüft. Im übrigen darf ich Sie, Herr Kollege, um Verständnis dafür bitten, daß Fragen dieser Art sich nicht für eine öffentliche Erörterung eignen. Die Bundesregierung ist selbstverständlich - wie in vergleichbaren anderen Fällen auch - gern bereit, die zuständigen Gremien zu informieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becher.
Herr Staatssekretär, müssen wir auf Grund der in der englischen Presse wiedergegebenen Angaben des Herrn Simko nicht von der Tatsache ausgehen, daß die Sabotagevorbereitungen von Mitgliedern der tschechoslowakischen Botschaft nicht nur die äußere, sondern auch die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in gefährlicher Weise bedrohen und daß die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sehr wohl ein Recht darauf hat, zu wissen, was bei den Untersuchungen dieses Falles bisher zutage getreten ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie müssen nach der Antwort auf Ihre beiden Fragen, die ich soeben gegeben habe, davon ausgehen, daß es die Bundesregierung entsprechend der Gepflogenheit nicht für richtig hält, Einzelheiten über Tätigkeiten von Nachrichtendiensten in der Öffentlichkeit zu erörtern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becher.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auch auf die Möglichkeit vorbereitet, daß es zu einer Zusammenarbeit zwischen linksradikalen Terrorgruppen und Sabotagetrupps der von Simko aufgedeckten Art und Gattung kam bzw. kommt, zumal von anderen Überläufern in früheren Jahren bereits mehrere Mordtaten aufgedeckt wurden, die von tschechoslowakischen Geheimdiensten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wurden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ohne in Widerspruch zur Beantwortung der ersten Fragen zu kommen, kann ich Ihnen nur ganz generell antworten. Sie können generell davon ausgehen, daß die Bundesregierung auf alle Maßnahmen, die notwendig sind, um unsere innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten, jederzeit bestens vorbereitet ist.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Becher.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß verbrecherische Anschläge gegen die Bundesrepublik DeutschDr. Becher ({0})
land auch dann nicht tabu sind, wenn sie von Mitgliedern ausländischer Botschaften vorbereitet und eventuell durchgeführt werden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ja.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, können Sie mir Gründe dafür nennen, weshalb die Bundesregierung davon ausgeht, daß die deutsche Öffentlichkeit keinen Anspruch darauf habe, die Auffassung der Bundesregierung zu einer so schwerwiegenden Behauptung wie die des Herrn Simko zu erfahren, daß nämlich die Botschaft der tschechoslowakischen Republik eine sehr gut eingerichtete Agentenzentrale sei?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es entspricht Gepflogenheiten auch früherer Bundesregierungen, in der Öffentlichkeit keine Erklärungen über Erkenntnisse von Tätigkeiten von Nachrichtendiensten abzugeben. Ich bin sicher, daß Sie dafür Verständnis haben.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Die Fragen 54, 55 und 56 werden auf Wunsch der Fragesteller, der Abgeordneten Daweke und Reddemann sowie der Frau Abgeordneten Simonis, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 57 des Abgeordneten Spranger auf
Treffen Pressemitteilungen zu, wonach der Kommunistische Bund Westdeutschlands ({0}) intensive Kontakte zur Terroristenszene in der Bundesrepublik Deutschland pflegt und fast ausschließlich von der ,,DDR" finanziert wird, welcher Art sind diese Kontakte gegebenenfalls, und umfassen diese insbesondere finanzielle Leistungen des KBW an die Terroristen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich wegen des Sachzusammenhangs beide Fragen zusammen beantworten kann.
({1})
Ich rufe dann auch die Frage 58 des Abgeordneten Spranger auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung deswegen gegebenenfalls gegen den KBW und gegen die ,,DDR" zu ergreifen?
Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung liegen entgegen der Meldung in der „Welt" vom 9. April 1977, auf die Sie Ihre Fragen offenbar beziehen, keine konkreten Erkenntnisse über intensive Kontakte aus der Terroristenszene mit dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands vor. Es liegen ihr auch keine Informationen vor, nach denen der KBW von der DDR finanziert wird. Die Bundesregierung sieht daher in den von der „Welt" verbreiteten Meldungen keinen Anlaß für besondere Maßnahmen. Sie bleibt aber selbstverständlich bei. der Feststellung, daß es sich beim KBW um eine verfassungsfeindliche Organisation handelt, die die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele offen propagiert und praktiziert. Der KBW wird daher von der Bundesregierung besonders sorgfältig beobachtet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung mit Sicherheit ausschließen, daß solche angesprochenen Beziehungen bestehen, und ist die Bundesregierung bereit, entsprechende Nachforschungen anzustellen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung in diesem Bereich sorgfältige, ständige Beobachtungen vornimmt. Sie kann nur darüber Auskunft geben, ob ihr in diesem Zusammenhang konkrete Anhaltspunkte bekanntgeworden sind. Dies habe ich mit der Beantwortung Ihrer Fragen verneint. Selbstverständlich wird diese Beobachtung fortgesetzt.
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Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe, damit wir den Rest der Fragestunde in Ordnung abwickeln können.
Herr Abgeordneter Spranger, eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß der KBW sowohl über eine ausgezeichnete Organisation und technische Ausrüstung als auch über eine quasi-militärische Ausrüstung verfügt, und wie ist nach Ihrer Ansicht die Finanzierung dieser Organisation durchgeführt worden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung liegen auf Grund der Beobachtungen des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands Unterlagen über die Organisation, über die „gute Organisation", dieser Vereinigung vor. Erkenntnisse über finanzielle Zuwendungen, beispielsweise seitens der DDR, gibt es nicht. Dies habe ich bereits vorhin in meiner Antwort deutlich gemacht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung an konkreten Schritten gegen den KBW über, wie Sie sagten, sorgfältige Beobachtungen hinaus zu unternehmen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung beobachtet nicht nur sorgfältig, sondern sie klärt die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland darüber hinaus ständig über das Ergebnis ihrer Beobachtungen auf. Darüber hinaus werden die staatlichen Organe des Bundes und
Parl. Staatssekretär von Schoeler
der Länder selbstverständlich in jedem Fall, in dem
ein Vergehen gegen unsere Gesetze vorliegt, tätig.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, gedenkt die Bundesregierung den KBW eventuell als verfassungsfeindliche Organisation verbieten zu lassen oder als kriminelle Vereinigung zu behandeln?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, die Bundesregierung hat es bisher grundsätzlich abgelehnt, die Frage des Für und Wider von Verbotsmaßnahmen gegen bestimmte Organisationen in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, ich habe noch zwei Zusatzfragen, die ich zulassen kann; dann müssen wir zum Ende der Fragestunde kommen. Die erste Zusatzfrage des Abgeordneten Kühbacher.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung überhaupt Erkenntnisse über die Finanzierungsmethoden des KBW, und hält sie diese Finanzierungsmethoden mit den Grundsätzen eines Rechtsstaats für vereinbar?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen dazu keine näheren Auskünfte geben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Langguth.
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Meine Damen und Herren, wir stehen am Schluß der Fragestunde.
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Meine Damen und Herren, bevor wir in die weitere Tagesordnung eintreten, möchte ich der Opfer des Mordanschlags vom vergangenen Gründonnerstag gedenken. Wir alle, die Mitglieder des Deutschen Bundestags, haben unsere tiefe Erschütterung über den brutalen Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, seinem Fahrer Wolfgang Göbel und dem Justizhauptwachtmeister Georg Wurster noch nicht überwunden.
Die Persönlichkeit Siegfried Bubacks und sein Eintreten für unseren Staat sowie auch der Einsatz der beiden Männer, die an seiner Seite bei der Ausübung ihres Dienstes von den Kugeln tödlich getroffen wurden, sind anläßlich des Staatsakts am vergangenen Mittwoch in Karlsruhe in Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten und der Repräsentanten der anderen Verfassungsorgane gewürdigt worden. Zahlreiche Mitglieder des Deutschen Bundestags nahmen an dem Trauerakt teil.
Mich drängt es, von dieser Stelle ein Wort des Gedenkens und der Besinnung zu sagen. Siegfried Buback wurde ermordet, weil er die Bürger dieses Landes vor erpresserischer Geiselnahme und brutaler Gewalt zu schützen suchte, weil er die ganze Kraft seiner starken Persönlichkeit in den Dienst des Amtes stellte, das ihm von der frei gewählten Regierung unseres Staates zu unser aller Schutz übertragen worden war. Die tödlichen Kugeln galten Siegfried Buback als dem Mann, dessen Name wie kaum ein anderer für die erfolgreiche Bekämpfung und Eingrenzung des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland steht und der deshalb in besonderem Maße den Haß fanatischer Gewaltverbrecher auf sich zog.
Aber die Kugeln der Mörder haben uns alle getroffen. Sie galten allen Bürgern dieses Landes, die entschlossen sind, diesen freiheitlichen Rechtsstaat, in dem wir leben, zu verteidigen. Sie galten all denen, die selbst bereit sind, demokratische Mehrheitsentscheidungen zu respektieren und Minderheiten den Schutz unseres Grundgesetzes zuteil werden zu lassen. Sie galten damit auch und in besonderem Maße dem Parlament, den frei gewählten Vertretern des Volkes.
Die Kugeln der Mörder trafen ein Volk, das sich nach 1945 diesen Staat aus Trümmern als einen freiheitlichen Rechtsstaat aufgebaut hat und das -daran sollte kein Zweifel aufkommen - jederzeit die Vernunft und die Kraft aufbringen wird, diesen Staat gegen seine Feinde zu schützen.
In diesem Sinne wird unsere Solidarität mit Siegfried Buback, Wolfgang Göbel und Georg Wurster ihren Ausdruck in unser aller Entschlossenheit finden, die zuständigen staatlichen Organe bei der Ausübung ihrer Sicherheitsfunktionen zu unterstützen. Wir, die parlamentarischen Vertreter des deutschen Volkes, sollten darüber hinaus an uns selbst die Frage richten, ob wir die Bekämpfung des Terrorismus noch wirksamer gestalten und das Betätigungsfeld der Terroristen noch weiter einschränken können.
Der Deutsche Bundestag wird den Opfern des Mordanschlags ein ehrendes Andenken bewahren. Ihren Angehörigen gilt unser aller tiefempfundenes Beileid.
Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich rufe dann den zusätzlich vereinbarten Punkt unserer Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Terrorismusbekämpfung
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat soeben durch den Mund des Bundestagspräsidenten, aber die einmütigen Abgeordneten aller drei Fraktionen und die Bundesregierung umfassend, die Erschütterung geteilt und den Abscheu geteilt, den 60 Millionen Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Mördern des Generalbundesanwalts Siegfried Buback und seiner Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster empfinden; vielleicht sollte man sagen, daß eine Welle der Empörung über diesen
erneuten grauenvollen und hinterhältigen Akt von
Gewaltkriminalität durch das Land gegangen ist.
Der Bundestagspräsident hatte recht, als er zum Ausdruck brachte, daß die Bürger unseres Landes einen Anspruch darauf haben, daß wir sie und unseren gemeinsamen Staat nach besten Kräften schützen, einen Anspruch darauf, daß wir in gemeinsamer Anstrengung die terroristischen Gewalttäter hinter Schloß und Riegel bringen. Sie haben auch Anspruch darauf, daß wir uns nicht im Affekt oder um des augenblicklichen Effektes willen zur Abkehr von unseren freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen verleiten lassen.
Max Güde, unser früherer Kollege, fünfeinhalb Jahre lang Leiter der Bundesanwaltschaft, einer von Siegfried Bubacks Amtsvorgängern, schrieb am 15. April einen Nachruf. Darin hieß es:
Härte allein, ohne menschliches Maß, ist kein wirksames Heilmittel gegen Verbrechen. Im Übermaß ist sie schädliches Gift. Nicht die Härte allein verbürgt den Frieden im Staat, sondern die wohlüberlegte, gleichmäßige Gerechtigkeit, die sich in ihrem Maß auf das Notwendige beschränkt, so daß sie in ihrer Vernunft auch dem Schuldigen glaubwürdig sein kann.
Weiter sagt er in dem Nachruf auf Siegfried Buback, es sei
uralte Weisheit, daß die größte Härte nicht etwa die wirksamste Gerechtigkeit verbürgt. Gerechtigkeit hängt entscheidend vom rechten Maß ab.
Es ist diese Suche nach dem rechten Maß, meine Damen und Herren, nach dem adäquaten, dem angemessenen rechtsstaatlichen Mittel, die auch den Kampf der Bundesregierungen gegen den Terrorismus seit Jahren kennzeichnet.
Uns allen sind die Gefährlichkeit wie auch die internationale Dimension der politisch motivierten Gewaltkriminalität spätestens seit dem spektakulären Überfall auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 in München bewußt. Die Entführung unseres Kollegen Peter Lorenz im Februar 1975, der Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm im April 1975, der Überfall auf die in Wien tagenden OPEC-Minister im Dezember 1975, die Entführung der Air-France-Maschine nach Uganda im Juni 1976 - und viele andere Vorfälle könnte man noch nennen - haben nicht nur uns, sondern auch anderen Regierungen schwerwiegende Entscheidungen abverlangt.
Diese Beispiele und andere Überfälle und Geiselnahmen und Morde in vielen Teilen der Welt machen deutlich, daß der Terrorismus ein Problem zahlreicher Staaten ist, daß kein freiheitlich verfaßtes Land über Nacht mit ihm fertigwerden kann und daß übrigens selbst Militärdiktaturen dies nicht können.
Die Bundesregierung hat das Problem frühzeitig auf zwei Ebenen in Angriff genommen. Erstens mußte innerhalb unseres Staates das Instrumentarium zum Schutz der inneren Sicherheit ausgebaut werden, und zweitens mußte die internationale Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung verbessert werden. Wir haben auf beiden Gebieten vieles vorangebracht. Leugnen könnte das nur jemand, der sich oder anderen über das Ausmaß des schnell Erreichbaren bei der Bekämpfung terroristischer Verbrechen Illusionen macht. In der gemeinsamen Sitzung des Innen- und des Rechtsausschusses letzte Woche ist nach dem Vortrage der Fachleute der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamtes keine Frage oder Rüge in dieser Richtung ausgesprochen worden.
Unser Rechtsstaat ist keineswegs ohnmächtig. Er ist im Laufe der letzten Jahre wehrhafter geworden. Er kann sich wehren, und er wehrt sich in der Tat.
Auf dem internationalen Felde hat die Bundesregierung auf weltweite Maßnahmen gegen den Terrorismus abgezielt; denn man hat sich ja in manchen Teilen der Welt über die verhängnisvollen Folgen des Terrorismus täuschen lassen. Ereignisse wie der Anschlag auf die OPEC in Wien oder das Geiseldrama in Entebbe lassen immer deutlicher werden, in welchem Ausmaß der Terrorismus international die Ordnung und die Sicherheit, ja selbst das Funktionieren internationaler Beziehungen bedroht.
Es hat auf diesem Felde inzwischen erste, aber - wie ich hinzufüge - noch keineswegs ausreichende Erfolge gegeben. Die Mitglieder des Europarats haben in Straßburg mit großer Mehrheit eine Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus angenommen. Wir treten für eine baldige Ratifizierung dieser Konvention sowie für ein zusätzliches Abkommen unter den neun EG-Staaten ein.
In der ersten Erklärung, die die Bundesregierung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen abgegeben hat, sind wir dafür eingetreten, daß sich die nächste Generalversammlung mit dem Thema des Terrorismus befasse; das ist auch geschehen. Sie hat die Ausarbeitung einer internationalen Konvention gegen Geiselnahme gefordert. Damit haben wir in den Vereinten Nationen eine politische Bewegung in Gang gebracht, die uns hoffen läßt, daß die Gefahren des Terrorismus stärker ins internationale Bewußtsein rücken und daß die internationale Kooperation bei dessen Bekämpfung zunimmt.
Auf nationaler Ebene, d. h. innerhalb der Bundesgrenzen, haben Bundesregierung und Bundestag den personellen und den technischen Ausbau der Sicherheitsorgane des Bundes energisch und beharrlich vorangetrieben. Das Bundeskriminalamt z. B. ist in einem nicht dagewesenen Umfange verstärkt worden. Die Zahl der dort Tätigen ist vom Jahre 1969 bis heute auf nahezu das Dreifache angestiegen. Die jährliche Finanzausstattung des Bundeskriminalamts ist im selben Zeitraum' auf das Siebenfache angestiegen.
Natürlich ist für die Bekämpfung des Terrorismus im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern von ganz großer Bedeutung. Ich habe deshalb in der Sicherheitsdebatte des Bundestages am 13. März vor zwei Jahren ein Höchtsmaß an Koopera1446
tion zwischen Bund und Ländern gefordert und die Erwartung zum Ausdruck gebracht, daß das gemeinsam entwickelte Instrumentarium fortwährend überprüft und das mögliche Verbesserungen unverzüglich durchgeführt würden. Seither wurde und wird die Zusammenarbeit schrittweise ausgebaut und verbessert. Nach den einen Monat später ergangenen Beschlüssen der Innenminister der Länder unid des Bundes hat Bundesminister Maihofer im Bundeskriminalamt eine besondere Abteilung zur Bekämpfung des Terrorismus eingerichtet, der die zentrale Auswertung sowie die Informations- und Ermittlungssteuerung bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund unid Ländern obliegt. Allein in dieser Abteilung arbeiten über 200 Spezialisten, die in vorbildlicher Weise ihre Pflicht tun - unid mehr als das.
Dem war eine sehr lange Entwicklung vorangegangen. Schon im Jahre 1971 hatte der damalige Bundesinnenminister Genscher das Bundeskriminalamt erstmalig mit den Ermittlungen gegen anarchistische Gewalttäter beauftragt. 1972 hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern auf ein Verfahren der Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden bei der Bekämpfung anarchistischer Gewalttäter verständigt. 1974 beschloß die Innenministerkonferenz „Grundsätze für die polizeiliche Fahndung nach politisch motivierten Gewalttätern". Im April 1975 wurden dann, wie erwähnt, endlich sämtliche „Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Bekämpfung politisch motivierter Gewaltkriminalität" in einem umfassenden Beschluß einmütig zwischen Bund und Ländern festgelegt.
Diese Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden hat dazu geführt, daß alle Erkenntnise, die für die Bekämpfung politisch motivierter Straftäter wesentlich sind, gleichmäßig allen mit dieser Sache befaßten Sicherheitsbehörden zur Verfügung stehen.
Durch die im vorigen Jahr geschaffene Erstzuständigkeit des Generalbundesanwalts für die Strafverfolgungsaufgaben bei terroristischen Vereinigungen ist ein weiterer Schritt zur Konzentration der Terrorismusbekämpfung getan worden.
Die aufopferungsvolle Arbeit von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz, die unseren Dank, unsere Loyalität und unseren Respekt verdienen, hat inzwischen durchaus beachtliche Erfolge erzielt: Bisher sind insgesamt 123 terroristische Gewalttäter oder deren Helfer rechtskräftig verurteilt worden. Gegen 60 weitere liegen Urteile vor, die noch nicht rechtskräftig sind. Anklage ist gegen 85 weitere Personen erhoben. Gegenwärtig befinden sich 103 solcher Personen in Haft, darunter viele der gefährlichsten Rädelsführer früherer Terroraktionen. Gegenwärtig laufen gegen 240 Personen Ermittlungsverfahren, weit überwiegend bei den Staatsanwaltschaften der Länder. Gegenwärtig wird nach 35 Personen auf Grund richterlicher Haftbefehle gefahndet.
Ich will aber hier gleich auch die Zahl der Opfer nennen. 17 Personen sind bisher durch terroristische Gewalttäter um ihr Leben gebracht worden, darunter vier Angehörige der Justiz, vier Angehörige der
Polizei, zwei Angehörige unseres auswärtigen Dienstes und vier amerikanische Soldaten. Bisher haben 13 Personen das Schicksal der Geiselnahme erlitten. 88 Personen wurden durch Sprengstoffattentate und Schießereien verletzt. Gleichzeitig sind dabei 10 terroristische Gewalttäter selber zu Tode gekommen.
Diese Liste der Opfer ist insgesamt eine schlimme Bilanz, die die Bundesregierung und den Bundestag als Gesetzgeber mehrmals schon in den vergangenen Jahren veranlaßt hat, auch die gesetzlichen Voraussetzungen zur wirksamen Bekämpfung krimineller Vereinigungen und terroristischer Gewalttaten zu verbessern. So haben wir die Bildung und die Förderung terroristischer Vereinigungen mit schärferen Strafen belegt. Wir haben die Anzeigepflicht erweitert. Wir haben das Haftrecht verschärft, die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts erweitert und die Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs eingeführt. Daneben ist durch neu gefaßte Strafvorschriften auch die Anleitung, die Billigung und die Befürwortung bestimmter schwerer Gewalttaten in weiterem Umfange unter Strafe gestellt worden.
Mit besonderer Sorge hat die Bundesregierung das Verhalten einiger weniger Rechtsanwälte in Strafverfahren beobachtet, die terroristische Gewaltakte zum Gegenstand hatten. In einigen Fällen besteht der dringende Verdacht, daß hier aus Organen der Rechtspflege in Wahrheit Helfershelfer von Gewalttätern geworden sind. Bei dem ehemaligen Rechtsanwalt Haag z. B. wurden zur Zeit seiner Festnahme Geldscheine gefunden, die aus zwei Banküberfällen stammten. Deshalb können seit 1975 Verteidiger, die dringend verdächtigt sind, den Verkehr mit ihren inhaftierten Mandanten zur Begehung von Straftaten zu mißbrauchen, aus dem Strafverfahren ausgeschlossen werden. Hinzugekommen ist seither die gesetzliche Möglichkeit der Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs, um es Mitgliedern terroristischer Vereinigungen unmöglich zu machen, mit Hilfe von Verteidigerpost - wie offensichtlich in der Vergangenheit geschehen - aus ihrer Zelle heraus terroristische Vereinigungen zu steuern.
Diesen Abschnitt zusammenfassend stelle ich fest: Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt gezögert, dem Bundestag Vorschläge zur Ergänzung oder Änderung von Gesetzen zu unterbreiten, wenn und soweit dies zur Verbesserung der Verbrechensbekämpfung notwendig oder geboten war. Wir haben uns dabei nie aus momentaner Erbitterung in gesetzgeberischen Aktionismus hineindrängen lassen. Auch Siegfried Buback war sich dieser Notwendigkeit bewußt, als er in einem Presseinterview sagte - es ist noch nicht so lange her -:
Wenn man jede Situation, mit der man nicht fertigzuwerden meint, durch neue Gesetze meistern will, so ist das ein schlechter Weg.
Die Bundesregierung hatte allerdings auch vorgeschlagen, unter bestimmten Voraussetzungen auch den mündlichen Verkehr zwischen Häftlingen und ihren Verteidigern zu überwachen. Für meine Person vertrete ich diese Meinung heute noch. Das
Parlament hat anders entschieden. Es hat für seine Haltung ebenfalls gute Gründe gehabt, nachdem im Anhörungsverfahren des Rechtsausschusses von Fachleuten bestritten worden war, daß der Aufklärungs- und Schutzwert der Maßnahme in einem akzeptablen Verhältnis zur Beeinträchtigung rechtsstaatlicher Grundsätze stehe.
Im übrigen halte ich es für unsere gemeinsame Pflicht, fortwährend zu prüfen, ob es neue Tatsachen, neue Erkenntnisse und damit neue Grundlagen für die nötigen Abwägungen in der Gesetzgebung gibt. Nur muß ich nochmals betonen, daß dies nicht aus augenblicklicher Empörung oder Erregung geschehen sollte, sondern es handelt sich um eine ständig uns aufgegebene rechtsstaatliche Pflicht, immer wieder unsere Instrumente auf ihre Wirksamkeit zu prüfen und neuen Herausforderungen gegebenenfalls mit neuen Mitteln zu begegnen. Dies verlangen die Bürger von uns, und mit Recht.
Die Opposition hat angekündigt, daß sie ein Gesetz zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens erneut vorschlagen wolle. Hier gilt es, zwei verschiedene Erscheinungen auseinanderzuhalten.
Das eine sind Gewaltaktionen am Rande von Demonstrationen - und zum Teil die Demonstrationen zu ihrer Deckung ausnutzend -, wie sie z. B. an der Baustelle in Brokdorf oder in Grohnde stattgefunden haben. Diese Gewaltakte waren weder tatsächlich noch waren sie rechtlich Demonstrationen, sondern das war Landfriedensbruch, in einzelnen Fällen auch schwere Körperverletzung und versuchter Totschlag. Diese Vorgänge können auch im Zusammenhang mit dem Vorfeld des anarchistischen Terrorismus gesehen werden. Deshalb widmet die Bundesregierung diesen Erscheinungen große Aufmerksamkeit. Die beiden Landesregierungen und die ihnen unterstehenden und unterstellten Polizeikräfte der Länder und des Bundes haben in Brokdorf und in Grohnde auf der Grundlage der geltenden Gesetze gezeigt, daß der Staat durch Gewalttätigkeiten nicht erpreßt werden kann.
Zum anderen gibt es bei friedlichen Demonstrationen gelegentlich einzelne strafbare Handlungen. Zu deren Bekämpfung reicht nun ganz gewiß das geltende Recht aus. Terroristen sollten nicht Anlaß geben, das im Grundgesetz verbürgte Demonstrationsrecht anzutasten.
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Der bisherige Vorschlag der Opposition, jedenfalls so, wie er öffentlich angekündigt ist, hätte allerdings zur Folge, daß auch nicht gewalttätige Teilnehmer an einer Demonstration, aus der heraus einzelne Gewaltat üben, beispielsweise nicht gewalttätige Teilnehmer aus Kreisen der Bürgerinitiativen, bestraft werden könnten, ja, nach dem Legalitätsprinzip bestraft werden müßten. Damit würde aber dann das Gegenteil von dem erreicht, was für den Erfolg des Kampfes gegen den Terrorismus notwendig ist. Nötig ist nämlich die moralische Isolierung der Terroristen,
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und nötig ist die moralische Ernüchterung auch der letzten Sympathisanten.
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Diese letzten Sympathisanten müssen endlich begreifen, daß ihre Sympathien und daß ihr moralischer Beistand Mördern gelten.
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Aus ähnlichem Grunde steht die Bundesregierung dem Vorschlage skeptisch gegenüber, bestimmte Organisationen, die ja teilweise auch als politische Parteien bei Wahlen auftreten, zu verbieten. Mir erscheint es klüger, daß die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger extremistischen politischen Gruppen bei jeder Wahl eine klare Abfuhr bereiten, als daß wir sie durch Verbot in den Untergrund drücken und ihnen die Chance geben, sich selbst als Märtyrer aufzuspielen.
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Soweit sie als extremistische Gruppen Straftaten begehen, werden sie ohnehin zur Verantwortung gezogen. Ich weiß übrigens, daß die Regierungen der Länder dies jedenfalls bisher ähnlich sehen und deshalb von ihrem Antragsrecht auf diesem Felde bisher keinen Gebrauch gemacht haben.
In unserem Staat hat jeder die Möglichkeit, seine politische Auffassung im Rahmen des Grundgesetzes zur Geltung zu bringen. Er hat aber keineswegs ein Recht oder gar ein sogenanntes Widerstandsrecht, auf Grund dessen er sich gegen Verfassung, gegen Gesetz und demokratische Mehrheitsentscheidung, die im Einklang mit der Verfassung zustande gekommen sind, mit Gewalt auflehnen dürfte. Im Gegenteil - ich darf einen Satz aus meiner Karlsruher Rede hier wiederholen -:
Wir anderen, die wir die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes mit Zähnen und mit Klauen verteidigen wollen - wir, die große, überwältigende Mehrheit der Deutschen, wir haben das Grundgesetz und das Recht und die Grundwerte und die sittliche Pflicht auf unserer Seite.
Gewalttaten gegen Personen wie auch Gewalt gegen Sachen sind Verstöße gegen unsere freiheitliche rechtsstaatliche Grundordnung.
Nun ist ein höheres Strafmaß für Gewalttaten in der Diskussion. Ich bezweifle, daß damit entschlossene Mörder abgeschreckt würden. Wenn die Opposition dies dennoch will, so kann sie niemand daran hindern. Die Bundesregierung bleibt dabei: Gegenüber Terroristen, die sich in bewußter Willensentscheidung aus Haß gegen unsere rechtsstaatliche Ordnung auflehnen, muß der strafrechtliche Grundgedanke der Abschreckung versagen. Hier hilft keine Erhöhung des Strafrahmens. Vielleicht sollte aber auch darauf hingewiesen werden, daß der Gesetzgeber nur den Straf rahmen setzt, innerhalb dessen dann die Richter ihre Entscheidung über das Straf m a ß zu treffen haben.
In diesem Zusammenhang muß mir ein politisches Wort an den Führer der Opposition erlaubt sein.
Herr Abgeordneter Kohl hat gestern behauptet, ich sei nicht bereit, mit der Opposition über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu diskutieren. Dies ist unwahr. Ich bin im Gegenteil dazu durchaus bereit; deshalb nicht nur unsere heutige Regierungserklärung, die ja eine Debatte auslösen wird und soll, sondern auch meine an Sie, Herr Abgeordneter Kohl, und an andere ergangene Einladung zu einem grundsätzlichen Gespräch über die Fragestellung, ob uns Gesetzesänderungen in diesem Felde bessere Chancen einräumen könnten.
Es ist ebenso unwahr, wenn Herr Abgeordneter Kohl gestern veröffentlichen ließ, ich riefe nach der „Solidarität der Demokraten", wenn die Regierung angeblich nicht weiterwisse. Diesen Sprachgebrauch habe ich bisher vornehmlich vom Abgeordneten Kohl selbst immer wieder gehört, zuletzt im „Deutschland-Union-Dienst" am 14. April. Erlauben Sie mir zu sagen, daß ich übrigens dieses Wort von der Solidarität der Demokraten, das sehr wohl seine Berechtigung hat, deshalb nicht gerne höre, weil es immer wieder aus einer politischen Richtung kommt, deren Vertreter erst vorgestern wieder das Handeln des Bundeskanzlers, übrigens auch das Handeln des SPD-Parteivorsitzenden „als einzig und allein im Interesse Moskaus" liegend diffamiert hat.
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Das paßt schlecht zum Gebrauch des Wortes von der „Solidarität der Demokraten".
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Es ist drittens unwahr, wenn man uns von seiten der Opposition unterstellt hat, wir überlegten, die lebenslange Freiheitsstrafe abzuschaffen. Auf Mord steht lebenslänglich . und bitte unterlassen Sie die Unterstellung, daß wir dies ändern wollten!
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Wahr ist demgegenüber - und dies wiederhole ich -, daß wir die Gesetze vielfältig geändert haben und daß wir das weiterhin tun wollen, wo dies notwendig oder zweckmäßig erscheint. So ist z. B. ein Gesetzentwurf, welcher der Beschleunigung der Strafverfahren dienen soll, wie Sie wissen, zwischen Ländern und Bund in gemeinsamer Vorbereitung. Vielleicht sollte man an dieser Stelle seine Genugtuung darüber aussprechen, daß in Stuttgart-Stammheim die Bundesanwaltschaft in den letzten Tagen ihre Schlußplädoyers gehalten hat und daß morgen die Pflichtverteidiger plädieren sollen. Zum Beispiel ist auch zu prüfen, ob nicht die Strafvorschriften über unerlaubten Besitz von Maschinenpistolen zu verschärfen sind. Und so gibt es manche Beispiele, die gegenwärtig in der öffentlichen Diskussion keine große Rolle spielen, die aber der Erörterung auch wert und würdig sind.
Ich will auf diese weiteren Beispiele verzichten, eines aber doch betonen: Jedermann hat Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Gesetzesverfahren. Ein Sonderprozeßrecht für Terroristen darf es nicht geben. Der Raubmörder und der terroristische Mörder müssen nach dem gleichen Recht, auch nach dem
gleichen Verfahrensrecht, vor Gericht gezogen werden.
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Allerdings denken wir, daß jede rechtsstaatliche Möglichkeit der Konzentration und der Beschleunigung der Strafverfahren genutzt werden sollte.
Aber ich wiederhole auch: Mit Gesetzgebung allein schaffen wir den Terrorismus nicht aus der Welt. Wir müssen ihm jeden geistigen Nährboden entziehen. Dazu ist es nötig, unseren Bürgern, zumal den jüngeren, die Einmaligkeit des liberalen Rechtsstaates in unserer nationalen Geschichte stärker erlebbar, stärker bewußt zu machen, als das bisher geschehen ist. Was die faschistische NS-Diktatur tatsächlich an gewaltsamer Vernichtung angerichtet hat und was sie anrichten wollte, muß jenen Menschen deutlich gemacht werden, jenen jungen Menschen, denen von Terroristen gesagt wird, man kämpfe gegen einen angeblich faschistischen Staat, während tatsächlich diese Menschen gleichzeitig dieselben Methoden benutzen wie viele Faschisten auf der Welt.
Die Intellektuellen in unserer Gesellschaft sollten den politisch Verantwortlichen im Prozeß der Aufklärung solcher junger Deutscher helfen, die noch ein unklares Urteil über Terroristen, über deren Motive und über deren scheinbare Rechtfertigung haben. Ich richte diesen Aufruf zumal an jene Universitätslehrer, Wissenschaftler, 'Philosophen, Schriftsteller, auf deren Stimmen die junge Generation damals, in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in der APO-Zeit so sehr gehört hat. Jene bedeutenden und einflußreichen Intellektuellen, die am Anfang viele junge Menschen mit ihren Vorstellungen beeindruckt haben und die sich dabei doch keinen Augenblick lang die Möglichkeit solcher schrecklichen Verbrechen vorgestellt haben, sollten ihre besondere Verpflichtung und Chance erkennen.
Diese Aufklärung gelingt allerdings nicht mit den Mitteln der Einschüchterung, sondern kann nur gelingen 'durch argumentative Wahrhaftigkeit. Es geht ja nicht darum, das freie Denken einzuschränken, sondern darum, denen die bisher kein klares Urteil haben, die Trennungslinie zum Terrorismus zu verdeutlichen und ihren Willen zur Verantwortung zu schärfen.
Die Identifikation mit unserem freiheitlichen Rechtsstaat kann freilich nur gelingen, wenn wir dessen Grundsätze in der staatlichen Wirklichkeit auch tatsächlich bewahren. Dazu muß gerade der jungen Generation gesagt werden, daß wir uns nicht von der Brutalität eines in Wahrheit doch verlorenen Haufens verleiten lassen wollen, uns zu jener Parole des Obrigkeitsstaates zurückzuflüchten, die da gebot, Ruhe sei die erste Bürgerpflicht, sondern das Recht auf Widerspruch, das Recht auf abweichende Meinung, das Recht auf deren Äußerung darf auch unter dem Eindruck verbrecherischer Anschläge gegen unsere liberale Ordnung nicht deformiert werden.
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Wir haben unseren Staat nach den Erfahrungen der ersten deutschen Republik, der Weimarer Republik, auf ein Grundgesetz gebaut und mit Gesetzen ausgestattet, die uns erlauben, die demokratische und soziale, die rechtsstaatliche freiheitliche Grundordnung, die Grundwerte, auf die es uns ankommt, wehrhaft und offensiv zu verteidigen. Jene anderen aber, die unseren Staat, die die Bürger und die Diener dieses Staates und die Gemeinschaft insgesamt mit schwerster Gewalttat bekämpfen, können nicht auf einen Staat rechnen, der sie als verlorene Söhne behandelt.
Wo nach ruhigem Abwägen durch Politiker, durch Juristen, durch Fachleute der inneren Sicherheit die Instrumente nicht wirksam genug erscheinen, dort sollen sie verbessert und ergänzt werden. Wir müssen aber der Versuchung widerstehen, ein Geflecht von Gesetzen herzustellen, hinter dem eines Tages die Freiheit unsichtbar wird.
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Wer einer falschen und verhängnisvollen Solidarisierung mit Desperados von großer krimineller Energie entgegenwirken will
({11})
und wer die Täter von der Gemeinschaft total isolieren will, darf dabei nicht riskieren, daß die Freiheit der Person zu einem Ausstellungsstück wird, das nicht mehr berührt, sondern nur noch in der Vitrine besichtigt werden kann.
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({13})
Wir haben in Wahrheit zwei Aufgaben zu leisten. Zum ersten: den Terrorismus ohne Wenn und ohne Aber und ohne jede sentimentale Verklärung der Tätermotive zu verfolgen, bis er aufgehört haben wird, ein Problem zu sein. Aber die andere Aufgabe muß es sein, die Meinungsfreiheit kämpferisch und entschlossen zu verteidigen und über jeden Zweifel klarzumachen, daß Kritik an den vielerlei Obrigkeiten nicht nur statthaft ist, sondern daß sie für jeden demokratischen Staat prinzipiell erwünscht ist.
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Solche Kritik freilich legitimiert sich allein durch das vorbehaltlose Bekenntnis zu eben diesem freiheitlichen Rechtsstaat unseres Grundgesetzes, der den Wettbewerb der Ideen und Argumente garantiert. Für die Werte und Rechte des Grundgesetzes stehen wir alle im Bundestag. Keiner sollte dem anderen unterstellen, dessen Wille zum Gehorsam gegen das Grundgesetz oder dessen Wille zum Dienst an unserer freiheitlichen Ordnung sei geringer als der eigene. Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland erwarten dies von uns. Sie erwarten von uns nicht Rechthaberei, sondern äußerste Anstrengungen unserer Fähigkeiten. Ich bedanke mich.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der feige Mordanschlag auf Generalbundesanwalt Buback und seine Mitarbeiter ha uns alle in diesem Hohen Hause und mit uns alle unsere Mitbürger mit Abscheu und Empörung erfüllt. Terroristische Gewalttäter haben zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik auf offener Straße einen heimtückischen Mord begangen. In dieser Stunde, in der sich der frei gewählte Deutsche Bundestag, die Vertreter des deutschen Volkes, mit den Konsequenzen aus dieser Mordtat befaßt, gilt unser ganz besonderes Mitgefühl den Angehörigen der Opfer dieses Attentats. Die Bevölkerung der Bundesrepublik ist über diesen Mord zutiefst erschrocken und beunruhigt. In dieser Situation sind wir alle herausgefordert, und wir alle müssen die für diesen unseren demokratischen Staat tätigen Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte in ihrer besonders verantwortungsvollen Aufgabe unterstützen. Sie müssen die Solidarität aller Bürger dieses Landes verspüren.
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Die Frage, die uns jetzt und heute gestellt wird, ist: Sind die gewählten Repräsentanten des Volkes in der Lage, gemeinsam zu handeln? Auf diese Frage müssen wir auch in der heutigen Debatte eine Antwort geben. Doch es genügt überhaupt nicht, jetzt bloß nach der Solidarität der Demokraten zu rufen und dann nur festzustellen, es werde zur Bekämpfung des Terrorismus und zunehmender Gewaltkriminalität ja schon alles Notwendige getan. Die Solidarität der Demokraten muß sich jetzt und in dieser Zeit in kraftvollem Handeln bewähren. Das ist das Gebot der Stunde.
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Wir, die CDU/CSU-Fraktion, sind bereit, alles Notwendige für den Schutz der Freiheit der Bürger und zur Bewährung und Bewahrung des inneren Friedens in unserem Lande zu tun. Der Mordanschlag auf Siegfried Buback und seine Begleiter hat uns eindringlich darauf hingewiesen, wie verletzbar trotz allem diese unsere staatliche Ordnung ist. Er hat gezeigt, daß der Terrorismus, der seit über zehn Jahren die Bundesrepublik heimsucht - nicht nur die Bundesrepublik; aber wir sprechen über die Verhältnisse in der Bundesrepublik -, offenbar in eine neue Phase getreten ist. Die Terroristen beschränken sich nicht mehr auf Brandstiftungen in Kaufhäusern, Gefangenenbefreiung, Geiselnahme oder Bankeinbrüche, so schlimm diese Dinge an sich schon sind. Sie greifen zum äußersten Mittel, zum brutalen Mord, und sie bezeichnen diesen brutalen Mord als Hinrichtung, d. h. als eine Maßnahme, die in Staaten auf dem Weg des Vollzugs der Gesetze verhängt wird und auf die unser Staat im Grundgesetz aus guten Gründen verzichtet hat. Dies ist eine ganz und gar unerhörte Herausforderung an diesen unseren Staat, der wie kein anderer in der Geschichte der Deutschen nach dem Gesetz antrat, seinen Bürgern Freiheit zu schaffen, Freiheit zu gewährleisten. Es waren die Erfahrungen der jüngsten deutschen Geschichte, die zu der wohl freiheitlichsten Verfassung in unserer Geschichte, zu
unserem Grundgesetz, führten. Meine Damen und Herren, aber wer hat in diesen Tagen, nach diesen schrecklichen Stunden am Gründonnerstag nicht gespürt, daß sich Geschichte niemals ganz wiederholt, daß Geschichte aber Lektion erteilt!?
Im Jahre 1922, nach der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau hat der damalige Reichskanzler Joseph Wirth im Deutschen Reichstag einen Aufruf und Mahnruf an das deutsche Volk gerichtet, in dem er unter anderem sagte:
Eine rastlose und nichtswürdige Verhetzung, welche sich gegen die Staatsform richtet und ihre Diener für vogelfrei erklärt, treibt immer wieder unklare, politisch verblendete oder verwilderte Köpfe zu Mordversuchen und Mord. Der Mord
- so sagte Wirth an Walther Rathenau ist nur ein Glied in einer Kette wohlvorbereiteter Anschläge auf die Republik. Zuerst sollen die Führer der Republik und dann die Republik selbst fallen.
Geschichte - ich sage es noch einmal - wiederholt sich niemals in der gleichen Form. Aber wir alle sind doch als deutsche Demokraten nach dem Krieg und nach dem Ende der Nazizeit angetreten, aus der Geschichte zu lernen. Wir alle sagen doch: Bonn darf niemals wieder Weimar werden. Das ist doch eines der Gesetze dieser Zeit.
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Meine Damen und Herren, wir sollten uns nichts vormachen: Das Verbrechen von Karlsruhe und das mehr oder minder stillschweigende Eingeständnis, daß weitere Verbrechen dieser Art nicht auszuschließlich sind, haben zu einer tiefen Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Es geht jetzt darum, die Dinge nicht zu dramatisieren unid nichts zu beschönigen. Es geht darum, die Konsequenzen nüchtern unid rechtsstaatlich entschlossen zu ziehen.
Herr Bundeskanzler, es nützt dann wenig, wenn Sie beteuern, daß der Rechtsstaat unverwundbar bleibt, wenn wir nicht gleichzeitig alle Anstrengungen unternehmen, mehr Schutz vor solcher verbrecherischen Gewalttat zu schaffen.
({3})
Wir sollten uns doch nicht täuschen: Wir stehen alle in der Gefahr, in eine schwere Krise des Vertrauens in die Institutionen dieses demokratischen Rechtsstaates zu geraten, wenn wir nicht glaubhaft alles in unserer Macht Stehende tun, terroristische Angriffe auf die Rechtsordnung dieses Landes abzuwehren. Denn unsere Mitbürger besinnen sich in diesen Tagen und Wochen ganz selbstverständlich darauf, was die erste, was die ursprüngliche Aufgabe unseres Staates ist: der Schutz seiner Bürger vor dem Stärkeren und vor allem dem Kriminellen, der Schutz des inneren Friedens, der Gerechtigkeit. Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat bedeutet nicht nur Gewährung von Freiheit, sondern auch Schutz der Freiheit.
({4}) Dieser Rechtsstaat ist nicht nur im Kampf gegen den allmächtigen absolutistischen Staat und gegen staatlichen Machtmißbrauch jener Zeit entstanden. Er war immer zugleich auch eine Antwort auf die Gewalttätigkeiten, auf bürgerkriegsähnliche Zustände in jenen Jahrhunderten. Herr Bundeskanzler, am Anfang der modernen Rechtsstaatsidee stand nicht nur die Freiheit des einzelnen, sondern immer auch ihre Sicherung durch einen machtvollen Rechtsstaat, den gerechten Staat. Ein Bekenntnis zum Rechtsstaat bedeutet deshalb nicht nur ein Bekenntnis zur Freiheit des einzelnen Bürgers, sondern auch die Forderung an diesen Rechtsstaat, die Freiheit des einzelnen, seinen Frieden und sein privates Glück ohne jede falsche Rücksichtnahme zu verteidigen und zu sichern.
({5})
Man muß schon blind sein für die Probleme unserer Tage, wenn man glaubt, daß heute Gefahr für die Freiheit des Bürgers in erster Linie vom demokratischen Staat droht.
({6})
Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung fanden sich einige Passagen, die man immer wieder noch einmal nachlesen muß. Wo ist denn eigentlich in diesem Lande die Meinungsfreiheit bedroht? Das ist doch nicht unser Thema. Unser Thema heute ist doch, daß die Angst umgeht, daß die staatlichen Insituationen mit terroristischer Herausforderung nicht zurechtkommen. Das ist das, was die Bürger in unserem Lande beschäftigt.
({7})
Wie kommen wir dazu, uns als Demokraten, die diesen Rechtsstaat leidenschaftlich verteidigen, etwa seiner Machtmittel zu schämen! Ein Staat, ein demokratischer Staat, der sich seiner rechtsstaatlichen Machtmittel schämt, wird niemals in der Lage sein, die fundamentale Aufgabe der Friedenssicherung sicherzustellen.
({8})
Herr Bundeskanzler, ich muß Ihre Regierungserklärung so verstehen, daß sie sich zu einem Teil an die deutsche Öffentlichkeit und zu einem anderen an einen Teil Ihrer eigenen Partei richtet.
({9})
Denn nur so können diese Sätze einen Sinn haben. Leider müssen wir feststellen, daß bestimmte Kreise innerhalb der Sozialdemokratie immer noch ein gestörtes Verhältnis zur Ausübung rechtsstaatlicher Macht haben, die notwendig ist, um diesem Staat seine Zukunft zu garantieren.
({10})
Staatliche Macht erscheint diesen Kreisen als etwas Anstößiges. Sie unterliegen immer noch dem Vorurteil, daß nur der Staat Freiheit und Sicherheit gefährden könne. Hier herrscht doch noch die Utopie von der herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung, in der sich alle Bürger friedlich der Einsicht in das Notwendige beugen. Ideologisches Vorbild ist eine marxistische Doktrin vom Absterben des Staates. Der Staat erscheint solchen Leuten immer noch als
ein Herrschaftsinstrument der Privilegierten, als eine Form gewaltsamer Unterdrückung. Auch wenn der revolutionäre Kampf gegen die staatliche Ordnung abgelehnt wird, so ist doch ganz schnell - vorschnell - das Wort vom „Obrigkeitsstaat", vom „Widerstand gegen staatliche Machtentfaltung", vom „zivilen Ungehorsam" zur Stelle. Die Gefahren, die von einzelnen Gruppen ausgehen, die sich verbunden haben, diesen Staat zu zerstören, werden bewußt oder ungewollt unterschätzt.
Solche ideologischen Konzepte sind nicht geeignet, notwendiges Vertrauen in die Autorität des demokratischen Rechtsstaats zu stärken. Sie sind immer und stets der Versuchung ausgesetzt, die Legitimität der staatlichen Macht in Frage zu stellen. Sie sind ein ideologischer Nährboden auch für manchen Sympathisanten, der in der gewaltsamen Auflehnung gegen unseren Staat eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sieht.
Heute - ich sage es noch einmal - fühlen sich die Bürger in dieser unserer Bundesrepublik nicht durch den demokratischen Staat gefährdet. Dieser demokratische Staat ist für den Bürger dieses Landes entscheidender Garant für Sicherheit, Freiheit und Chance zum privaten Glück Das ist die Voraussetzung unserer Verfassung.
({11})
Herr Bundeskanzler, ich hätte es gern gesehen, wenn Sie heute in Ihrer Regierungserklärung etwas mehr auf dieses geistig-intellektuelle Umfeld eingegangen wären, auch auf jene Mitverantwortung, die Sie mit Ihren politischen Freunden in bestimmten Bereichen trifft. Denn, meine Damen und Herren, der Boden, auf dem sich solches an geistigem Umfeld entwickeln konnte, wurde doch nicht nur jetzt in der kriminellen Szenerie bereitet. Er ist vielmehr unlösbar mit bildungs- und schulpolitischen Entwicklungen, mit Hochschulpolitik in bestimmten Ländern, mit Zuständen an bestimmten deutschen Universitäten verbunden.
({12})
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang gern mit Beispielen dienen. So heißt es beispielsweise in den Hessischen Rahmenrichtlinien der Sekundarstufe I für Gesellschaftslehre
({13})
- hören Sie bitte zul; das führt zentral zu diesem Thema -:
... prüfen, ob es Situationen gab und gibt, in denen erklärt werden muß, ob es zur Verbesserung oder Sicherung demokratischer Verhältnisse notwendig ist, formaldemokratische Spielregeln und Rechte vorübergehend außer Kraft zu setzen.
({14}) An anderer Stelle heißt es:
... lernen, historische und gegenwärtige Formen der Gewalt
- das ist das Stichwort, nach dem Sie gerufen haben auf die Frage hin zu untersuchen, ob sie der Ausübung von Herrschaft dienen oder ob sie im Sinne von Gegengewalt zur Bekämpfung von politischer, ökonomischer oder militärischer Unterdrückung verstanden werden können.
({15})
Mit dieser Bundesrepublik, in der wir leben, haben diese Rahmenrichtlinien jedenfalls überhaupt nichts zu tun.
({16})
Und da erleben Kinder und Jugendliche in Lesebüchern in. deutschen Schulen die Familie unter dem Motto „Kinder leiden unter ihren Eltern", die Wirtschaft unter der Devise „Unternehmer beuten aus", die Schule als Ort der Torheit, der Ungerechtigkeit und des Schreckens und unseren Rechtsstaat unter der Überschrift „Gesetz ist nie gleich Recht". Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wer kann sich da noch wundern, wenn diese Indoktrination Folgen hat! Die Art der Erziehung bestimmt die Einstellung künftiger Staatsbürger zu ihrem Staat, zur Gesellschaft, zu ihren Mitmenschen. Denn das Identitätsbewußtsein bildet sich in Elternhaus und Schule.
Darauf hat sehr, sehr deutlich eines der prominentesten Mitglieder der Grundwerte-Kommission der SPD, Professor Richard Löwenthal, hingewiesen. Er sagte im Blick auf diese Konfliktpädagogen:
Sie [die Schule] kann diese Aufgabe nicht erfüllen ohne die klare Zielsetzung durch die politische Führung. Darum ist die Rolle der Schule, speziell ihrer Bildungsinhalte, eine Lebensfrage der Demokratie. Die Erziehung der künftigen Bürger entscheidet darüber, ob unser Staat auf lange Sicht als frei funktionierende Gesellschaft bestehen kann.
Was so in Schulen begonnen wird, setzt sich an Universitäten fort. Wir haben in der Bundesrepublik den traurigen Rekord, daß wir als einziges Land der Welt in diesen Universitäten die Tore für radikale Linke institutionell geöffnet haben. Meine Damen und Herren, ich brauche nur an die Verhältnisse in Bremen oder an die der Freien Universität in Berlin zu erinnern.
({17})
- Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage beantworten. - Hier, Herr Bundeskanzler, ist ein Wort von Ihnen am Platze, auch und gerade in dieser Debatte.
({18})
Diese Zitate, die ich hier wiedergab, sind doch alle
- ohne Ausnahme - von Mitgliedern Ihrer eigenen Partei Ihnen ins Stammbuch geschrieben worden, wenn man immer wieder ruft und sagt, daß es eben für diese Entwicklung, die ich mit vielen Millionen im Lande beklage, mannigfaltige Helfershelfer auf dem linken Flügel Ihrer Partei gibt. Ich zitiere hier Professor Schwan, Mitglied Ihrer eigenen Partei.
Meine Damen und Herren, wir reden heute nicht um die Dinge herum. Wenn über dieses intellektuelle Umfeld gesprochen werden muß, dann müssen auch Roß und Reiter und mancher Helfershelfer genannt werden, und ich bringe solche Beispiele.
({19})
Herr Bundeskanzler, was sagt man dazu, daß ein Bundestagskandidat Ihrer eigenen Partei, Herr Professor Rentorff, früher Rektor in Heidelberg, an der Heidelberger. Universität in seiner Rektorenzeit dem Sozialistischen Patientenkollektiv, aus dem - nach all dem, was jetzt an Information vorliegt - wahrscheinlich die Attentäter auf Generalbundesanwalt Buback hervorgegangen sind, nicht nur Räume in der Universität zur Verfügung stellte, sondern aus dem Universitätsfonds auch Mittel in einer Höhe von über 30 000 DM gegeben hat?
({20})
Herr Bundeskanzler, was soll ich dazu sagen - und dazu sollten Sie sich äußern -, daß noch vor Jahresfrist eine Juso-Hochschulgruppe in Frankfurt im Volksbildungsheim der Stadt Frankfurt - Eigentümer: die Stadt Frankfurt - in Zusammenarbeit mit dem Kommunistischen Bund Westdeutschland eine Versammlung durchführte zu dem Thema „Liquidation politischer Verteidiger" ? Als Redner traten drei bekannte Anwälte von Terroristen auf, darunter Croissant, der öffentlich die Gewalttaten der Rote Armee Fraktion als „Ausbruch internationaler proletarischer Solidarität" rechtfertigte und die Fortsetzung dieses Kampfes ankündigte. Und wir haben die Fortsetzung im Sinne von Herrn Croissant auch tatsächlich erlebt!
({21})
Herr Bundeskanzler, was soll ich dazu sagen, wenn auf einer Vollversammlung des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin anläßlich der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von der Sozialistischen Assistentenzelle eine einhellige Beifallsadresse ausgebracht wurde?
Meine Damen und Herren, uns geht es in dieser Stunde doch nicht darum, daß wir hier Dinge dramatisieren, sondern uns geht es darum, daß wir jetzt gemeinsam darauf ansprechen: Wie sieht das Umfeld aus, in dem dieser Terror in der Bundesrepublik überhaupt möglich war?
({22})
Wenn ich dies hier sage, dann behaupte ich doch nicht, daß das, was ich eben hier vortrug, die Meinung der deutschen Sozialdemokraten ist.
({23})
Ich weiß ganz genau, daß in Ihren Reihen, in den Reihen der Bundesregierung viele sitzen, die genauso denken wie wir.
({24})
Dann stehen Sie doch bitte auf, und schreiten Sie ein in Ihren eigenen Reihen!
({25})
Es geht doch hier in diesem Augenblick nicht um die Frage einer Partei, und die Frage ist doch viel zu ernst, als daß wir zulassen könnten, daß Sie in dieser Frage wegen einer inneren Gespaltenheit nicht zu einer klaren Aussage kommen.
({26}) Ich darf zitieren:
Wer Gewalt verharmlost, stellt sich ebenso gegen den Rechtsstaat wie jene, die die Schuld lieber beim Staat und beim Opfer zu suchen bereit sind als bei den Tätern; denn sie, die Verharmloser, tragen dazu bei, daß sich die Grenze zwischen Recht und Unrecht verwischt.
Der, der dies sagte, ist der Kollege Genscher. Ich kann ihm nur wünschen, daß diese Erkenntnis von ihm in alle Teile seines Koalitionspartners in dieser Bundesregierung übergeht.
({27})
Meine Damen und Herren, was nützt die bange Frage, die die Gräfin Dönhoff vor drei Jahren in einer der großen und angesehenen liberalen Zeitungen unseres Landes stellte, indem sie schrieb:
Hat sich nicht eine allgemeine Laxheit eingeschlichen, eine übergroße Sorge, als Reaktionär abgestempelt zu werden oder den Vorwurf einstecken zu müssen, man sei nicht tolerant genug? Manche im Grunde wohlmeinende Intellektuelle haben zugelassen, daß Gewalt und Terror ästhetisiert und jegliche Macht dagegen kriminalisiert wurde.
Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen. Die Terroristen, die jetzt wiederum zugeschlagen haben und in unserem Lande auch ihr Unwesen treiben, können ohne Sympathisanten nicht existieren, weil das das Wasser ist, in dem sie schwimmen. Und die Ereignisse zeigen, daß diese Kriminellen immer noch schwimmen können, weil es immer noch genug Wasser gibt, und das darf nicht verharmlost werden.
({28})
Herr Kollege Brandt, es ist mir gänzlich unverständlich, wie Sie dann in diesem Zusammenhang davon sprechen können, daß Hysterie und Angstpropaganda betrieben werden.
({29})
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, werden uns durch solches Gerede nicht von unserer Verantwortung, die aber doch unsere gemeinsame Verantwortung ist, abbringen lassen.
({30})
Wir werden, solange diese Gefahr besteht, unablässig vor der Gefahr des Terrorismus und des politischen Extremismus warnen, ob er von links oder von rechts kommt, und wir werden darauf bestehen, daß die Regierung handelt.
({31})
Hand in Hand mit der Verharmlosung dieser Vorgänge ging der Abbau staatlicher EinwirkungsmögDr. Kohl
lichkeiten zur Gewährleistung des Friedens innerhalb der Gesellschaft. Es wurde gar nicht erkannt, daß der Staat seinen Bürgern eine Ordnung zu garantieren hat, die das friedliche Miteinander der Menschen in der Gesellschaft gewährleistet und die den Schwächeren vor dem Übergriff des Stärkeren zu schützen hat. Sie, meine Damen und Herren, haben eben nicht erkannt, daß „Gesetz und Ordnung" ein zutiefst rechtsstaatliches Begriffspaar ist,
({32})
und Sie haben alles getan, daß dieses rechtsstaatliche Begriffspaar eine Beschimpfung für uns, für die Opposition geworden ist. Das war doch das Ziel Ihrer Politik!
({33})
Das Recht - das ist doch nicht zu leugnen, Herr Bundeskanzler - wurde in wesentlichen Punkten so sehr beschnitten - und darüber müssen wir jetzt reden -, daß es seine Rolle als Ordnungsfaktor nicht mehr voll erfüllen konnte. Als Folge davon konnten Minderheiten, kleine Gruppen exzessiven Gebrauch von ihrer Freiheit machen; daß die Freiheit anderer dabei auf der Strecke blieb, wurde kaum beachtet.
Als 1970 gegen unsere Stimmen das Dritte Strafrechtsreformgesetz verabschiedet wurde, das einen weitgehenden Abbau der Strafvorschriften zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens im Bereich des Demonstrationsstrafrechts brachte, haben Sie unsere Position ironisch belächelt. Denn, meine Damen und Herren, Sie liberalisieren ja, Sie hatten ja gesagt, die Fahne der Freiheit wird aufgerichtet -, während wir ja bloße Vorkämpfer für „Recht und Ordnung" waren. Und Sie haben dabei die vornehmste Aufgabe gerade eines demokratischen Rechtsstaats - bewußt oder unbewußt - vernachlässigt, nämlich die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, daß jeder Bürger so viel Freiheitsraum wie möglich erhält, aber nicht mehr, als er ohne Verletzung des Freiheitsraumes anderer wahrnehmen kann.
({34})
Für die CDU/CSU - und ich hoffe, für die deutschen Demokraten insgesamt - stand und steht die Freiheitssicherung aller in unserer politischen Zielsetzung an oberster Stelle. Um dieses Ziel zu erreichen, zu sichern, zu gewährleisten, brauchen wir Gesetz und Ordnung. Wir haben uns nie gescheut, das ganz offen zu sagen und dafür auch zu kämpfen.
Was soll man denn davon halten, wenn beispielsweise der Herr Abgeordnete Gansel, ein führender Jungsozialist, auf dem Kongreß der Jusos in Büsum eine Entschließung billigte, in der die Oppositionspolitiker Dregger, Carstens und Strauß für die Demokratie als weitaus gefährlicher eingestuft wurden als anarchistische Gewalttäter, und wenn der Herr Abgeordnete Gansel dann noch in einem Zusatzantrag dafür sorgte, daß auch noch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg in dieser Liste aufgenommen wurde?
({35})
Was müssen eigentlich, Herr Bundeskanzler, die Bürger der Bundesrepublik angesichts der Erfahrungen dieser Jahre und dieser Wochen denken und was müssen sie von diesem Staat und den sie tragenden Parteien halten, wenn sie so etwas lesen? Was müssen sie eigentlich über den Willen denken, sich mit dem Terrorismus, der die Freiheit bedroht, ernsthaft auseinanderzusetzen?!
({36})
Herr Bundeskanzler, wie sieht Ihre Rechtspolitik in diesem Zusammenhang aus? Ich gehe auch auf das ein, was Sie heute gesagt haben. Das ist doch eine Sammlung von Appellen, von Inkonsequenz und von Konzeptionslosigkeit. Unter dem Druck terroristischer Aktivitäten - ich komme jetzt darauf zu sprechen - bieten Sie jeweils kurzfristige Augenblickslösungen an.
({37})
Ist dann für eine Zeit wieder Ruhe, geraten diese Maßnahmen mehr oder minder in Vergessenheit. Das von Ihnen 1970 verabschiedete Dritte Gesetz zur Strafrechtsreform, das einen entscheidenden Abbau des Schutzes der Allgemeinheit vor gewalttätigen Demonstrationen brachte, habe ich schon erwähnt. Gerade weil wir das Recht auf friedliche Demonstration als Grundrecht aller Bürger achten wollen, haben wir bei den Beratungen zu diesem Gesetz unsere Bedenken ausgesprochen. Aber unser Gegenentwurf wurde von Ihnen nicht ernst genommen. Herr Bundeskanzler, so wollen wir nicht miteinander umgehen. In der Frage des Freiheitsraums für wirklich friedliche Demonstrationen läßt sich in diesem Hause keine Fraktion von einer anderen übertreffen. Das ist Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
({38})
Aber darum geht es doch gar nicht; es geht doch gar nicht um die friedliche Demonstration. Wir wissen doch, daß die Bundesregierung im März 1970 in Beantwortung eines Entschließungsantrages einräumte, daß damals im Bundesgebiet im Lauf von vier Monaten insgesamt 109 Demonstrationen stattfanden, bei denen unter Verstoß gegen die gesetzliche Ordnung Rechte der Allgemeinheit und Rechte einzelner verletzt wurden. Damals, als das Gesetz verabschiedet wurde, erwähnte der Bericht für den Zeitraum von drei Monaten drei Sprengstoffanschläge, neun weitere Bombenankündigungen und -drohungen gegen Angehörige der Justiz. Kurz vorher war mit Ihrer Mehrheit ein Gesetz über Straffreiheit verabschiedet worden. Es hatte u. a. eine Amnestie für Straftaten, die im Zusammenhang mit Demonstrationen begangen wurden - gefährliche Körperverletzung und anderes - zum Gegenstand. Der Bundesminister der Justiz - damals noch Herr Jahn - bezeichnete die gewalttätigen Demonstrationen dieser Jahre als gesellschaftlichen Vorgang, unter den es einen Schlußstrich zu ziehen gelte.
Wohin das dann führte, hat noch im letzten Jahr, 1976, der ermordete Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Rechtsausschuß des Bundestages deutlich gesagt; ich zitiere:
Der in den 60er Jahren begonnene Abbau des im Bereich der inneren Sicherheit zum Schutze des Bürgers notwendigen Instrumentariums ist nicht ohne Wirkung geblieben. Die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden wurde abgewertet. Viele, die sich im Bereich der inneren Sicherheit engagiert hatten, wurden enttäuscht und haben resigniert.
Buback fuhr fort, es sei nicht verwunderlich, daß die politischen Aktivitäten, die 1968 unser Land in Unruhe versetzten, zu einer Zeit ihren Anfang nahmen - jetzt zitiere ich wieder wörtlich -, „als die politische Führung glaubte, die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf das Zusammenleben der Bürger erheblich einschränken zu sollen".
Bezeichnend war ja das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Haftrechts. Herr Bundeskanzler, die Neuordnung des Haftrechts, die wir - und das sage ich auch in dieser Stunde - seinerzeit mitgetragen haben, wirkte sich im Laufe der folgenden Jahre negativ aus.
({39})
Die Hoffnungen, die in diese Entscheidung gesetzt wurden, haben sich nicht erfüllt. Wir sind heute im Gegensatz zu Ihnen - vielleicht belehrt die Entwicklung mich eines Besseren - jederzeit bereit; den Fehlschlag dieses Unternehmens einzuräumen und notwendige Konsequenzen daraus zu ziehen.
Als sich die negativen Auswirkungen der Novellierung des Haftrechts abzeichneten, fragte die CDU/ CSU-Fraktion die Bundesregierung in einer Großen Anfrage zur Verbrechensbekämpfung, wie sie die Auswirkungen der Änderungen des Haftrechts auf die Arbeit der Kriminalpolizei beurteile. In der Antwort war klar davon die Rede, daß das neue Haftrecht zu einer Minderung der Aufklärungsquote beigetragen und für die Ermittlungstätigkeit der Polizei eine Reihe von Erschwernissen mit sich gebracht habe. Daraufhin brachte die CDU/CSU-Fraktion im Jahre 1971 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Haftrechts ein. Der damalige Bundesjustizminister Jahn nannte ihn in der Debatte eine klare und endgültige Absage an die Gemeinsamkeit; er sprach auch damals von einem Geschäft mit der Angst.
Ein halbes Jahr später, unter dem Druck einer schlimmen Terrorwelle, die Tote gefordert hatte, gab die Koalition endlich ihre monatelange Ablehnung auf und verabschiedete unseren Gesetzentwurf. Im folgenden Wahlkampf stellte sie diese Entscheidung als eine große gesetzgeberische Leistung ihrer Rechtspolitik heraus.
So zeigt sich in all diesen Jahren immer die gleiche Taktik: Große Reden - vor allem nach Terroranschlägen -, denen kaum Taten folgen. Bedauern über die Attentate, Lob für die Justiz, Ermunterung, Vorwürfe der Panikmache an die Opposition und Warnung vor Hysterie und Überreaktion.
Wo gesetzliche Regelungen unumgänglich waren, wurden zwar auch von Ihnen zunächst Gesetzentwürfe vorgelegt. Aber sie verschwanden nach kurzer Zeit in der Versenkung.
Ein trauriges Beispiel, das heute eine besondere Beleuchtung durch den Herrn Bundeskanzler erfahren hat, sind die gesetzlichen Bestimmungen zur Überwachung der Korrespondenz und der Gespräche zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten, wenn der Verdacht konspirativen Zusammenwirkens zwischen beiden Seiten bestand. Drei ganze Jahre, von 1973 bis 1976, hat das Hin und Her über eine entsprechende gesetzliche Bestimmung gedauert.
({40})
Man muß die Daten vorlesen: November 1974: Die Koalitionsfraktionen und die Justizminister und -senatoren der Länder fordern den Bundesjustizminister auf, gesetzliche Regelungen zur Überwachung der Kontakte zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten vorzulegen. Im gleichen Monat: Der Bundesjustizminister entschließt sich, der Forderung der Justizministerkonferenz nachzukommen. Er legt dem Kabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Das Bundeskabinett beschließt die Überwachungsregelung. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, der Kollege Schäfer, bezeichnet die Beschlüsse des Bundeskabinetts, als ausgewogen und dem Rechtsstaat angemessen.
({41})
Ich darf dem Kollegen Schäfer für diese Haltung danken; ich bin sicher, das wird für uns hilfreich sein.
Aber nach Ihrer heutigen Einlassung, Herr Bundeskanzler, stellt sich doch die Frage: Warum haben Sie als Regierungschef und als stellvertretender Vorsitzender der SPD, obwohl Sie mit uns und vielen anderen ganz selbstverständlich dies für einen richtigen Schritt gehalten haben, in dieser wichtigen Frage nicht mit uns gestimmt und an unserer Seite gestritten?
({42})
Das setzte sich so durch die Monate fort. Im März 1975 erklärte Generalbundesanwalt Buback:
Wir haben Anzeichen dafür, daß das neue Gesetz über den möglichen Ausschluß von Verteidigern bisher nicht abschreckend gewirkt hat.
Im April 1975, Herr Bundeskanzler, sprachen Sie und der Vizekanzler sich dafür aus, eine Überwachung der Kontakte zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten vorzunehmen. Der Vorsitzende der FDP sagte damals - ich zitiere -:
Aber ich sage Ihnen offen: Ich habe immer die Meinung vertreten, die Überwachung ist genauso notwendig, ohne daß damit das Privileg des Anwalts und des Verteidigers eingeschränkt wird. Ich bin selbst im Privatberuf Anwalt und kann das beurteilen.
Meine Damen und Herren, wenn dem so ist, haben wir doch eine Mehrheit für eine vernünftige Gesetzgebung.
({43})
Dann lassen Sie uns doch ohne Wenn und Aber
schnell zur Tat schreiten! Glauben Sie mir, es ist
nicht unsere Sache, ob es nun ein Entwurf der CDU/ CSU-Fraktion ist, der beschlossen wird. Uns kommt es allein auf das Ergebnis an, das jetzt dringend erforderlich ist.
({44})
Meine Damen und Herren, daß das alles nicht Geschichte Ist, erleben wir ja in diesen Tagen; denn der wichtigste Informationsstrang der Terroristen nach draußen konnte eben nicht abgeschnitten werden. So konnte - das ist neuesten Datums - unmittelbar nach der Verhaftung des Terroristen Rechtsanwalt Haag der Anwalt der Terroristen, Croissant, zwei ganze Stunden ohne jede Kontrolle mit ihm sprechen. Der Rechtsausschuß dieses Hauses hat im April 1976 eine nichtöffentliche Anhörung durchgeführt, in der Sachverständige zu den sogenannten Antiterroristengesetzen gehört wurden. Alle diese Sachverständigen haben übereinstimmend erklärt, sowohl die Überwachung des schriftlichen als auch die des mündlichen Kontakts zwischen Verteidigern und Beschuldigten sei unerläßlich.
Diese Sachverständigen sind doch nicht ohne Grund zu diesem Ergebnis gekommen. Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, weiß, daß der Strom der Nachrichten nach wie vor mehr oder minder ungehemmt auf diesem Weg aus den Gefängnissen heraus und in sie hineinfließt und ein Ende vorerst nicht abzusehen ist. Der unverminderte Austausch von Informationen gibt beispielsweise Baader die Möglichkeit, die Taktik der Angeklagten und ihrer Verteidiger im Stockholm-Verfahren in Düsseldorf mitzubestimmen. Bei einer Rechtsanwältin wurde u. a. ein Kassiber gefunden, in dem Gudrun Ensslin anläßlich des Todes des Terroristen Hauser aufforderte, den Generalbundesanwalt Buback als Mörder zu deklarieren und eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit einzuleiten. Nach einer Äußerung wiederum von Gudrun Ensslin sind die roten Anwälte zur Erreichung der Ziele der Baader-Meinhof-Bande unentbehrlich; ohne ihre gebündelte und sortierte Information gehe es nicht. Nach Aussagen des Präsidenten des Bundeskriminalamts, eines in dieser Sache ganz gewiß kompetenten Mannes, kanalisiert sich der Informationsfluß auf die Anwälte. Die Möglichkeiten, die der nicht überwachte Verteidigerverkehr für konspiratives Verhalten bietet, hat Generalbundesanwalt Buback damals anschaulich beschrieben. Man braucht kein Wort hinzuzufügen. Er sagte wörtlich:
Die Zelle und die Verteidiger ohne Überwachungsmöglichkeit sind ja - das sei geklagt - das am besten abgeschirmte konspirative Zimmer, das wir in der Bundesrepublik Deutschland haben.
({45})
Meine Damen und Herren, wenn das nicht alles nur irgendwie Gerede ist, müssen wir doch, was immer vorher war, jetzt und heute und in den nächsten Wochen aus dieser Erfahrung Konsequenzen ziehen.
({46})
Das ist der Sinn unserer entsprechenden Vorschläge.
Wir haben doch überhaupt nicht behauptet, Herr
Bundeskanzler, daß diese Vorschläge schon das
allerletzte Wort sind und daß man darüber mit uns nicht reden kann. Aber in diesen Vorschlägen ist das jetzt Notwendige gesagt. Ich erwarte dann von Ihrer Seite, von der Seite der Regierung, von der Seite der FDP und der SPD, daß das Notwendige auch in den Ausschüssen beigetragen wird. Die Fraktion der CDU/CSU wird in Kürze im Hohen Haus eine Reihe von Vorlagen zur besseren Bekämpfung des Terrorismus und der Gewaltkriminalität einbringen. Im einzelnen werden wir vorlegen:
Ein wirksameres Demonstrationsstrafrecht. Das derzeit geltende Demonstrationsstrafrecht ist so unwirksam, daß Strafverfahren oft gar nicht mehr eingeleitet werden, weil sie ohnehin wegen Beweisschwierigkeiten gleich wieder eingestellt werden müßten. Meine Damen und Herren, das ist doch nicht irgendeine Frage. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die wir vor wenigen Wochen in Grohnde in Niedersachsen erlebt haben, müssen doch jeden in diesem Lande alarmieren. Wir können doch nicht zulassen, daß eine extremistische Gruppe von kleiner Zahl, aber ohne jede Hemmung öffentliches Eigentum, Privateigentum und auch das Leben und die Gesundheit von Mitbürgern bedroht. Dies ist ganz und gar unerträglich.
({47})
Als langjähriger Regierungschef eines Bundeslandes weiß ich, was es für eine Zumutung in einer solchen Situation bedeutet, als handelnder Minister, als handelnder hoher Beamter und Polizeioffizier junge Beamte in eine solche Situation zu schicken, denen man dann nicht einmal sagen kann, daß die Täter, die ergriffen wurden, anschließend schnellstens der gerechten Bestrafung zugeführt werden.
({48})
Wir werden für bestimmte Delikte der Gewaltkriminalität eine Anhebung der Mindeststrafe und auch eine Erhöhung der zeitlichen Freiheitsstrafe vorschlagen. Wir werden eine Vorlage zum Thema Bildung krimineller Vereinigungen bringen, wonach die Bildung terroristischer Vereinigungen als Verbrechen eingestuft werden soll. Wir wollen eine Vorlage für bestimmte Delikte der Schwerkriminalität einbringen. In diesem Fall soll die Aussetzung eines Strafrestes nur unter erschwerten Bedingungen möglich sein, wenn zwei Drittel der Strafe verbüßt sind. Wir werden weiter vorschlagen, daß auch Gespräche zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten überwacht werden können,, wenn der Verdacht der Begehung neuer Straftaten besteht. Nachdem, was sich heute hier im Gespräch entwickelt hat, bin ich glücklich, daß das jetzt offensichtlich eine Mehrheit findet.
({49})
Herr Bundeskanzler, ich möchte einem schweren Mißverständnis entgegentreten. Wir wollen kein Sonderstrafprozeßrecht, wenn wir sagen, für Fälle offenkundiger Prozeßsabotage soll die Möglichkeit des Ausschlusses von Verteidigern vorgesehen werden. Das ist doch etwas ganz anderes als ein Sonderstrafrecht oder Sonderstrafprozeßrecht, wie Sie es hier genannt haben.
({50})
Meine Damen und Herren, auch wir wissen, daß es keinen absoluten Schutz gegen Kriminalität und Terror gibt. Nur kann diese richtige Behauptung nicht zu der Aufforderung an den Gesetzgeber führen, die Gesetzgebung einzustellen. Wir müssen doch wenigstens Gesetze schaffen, die das Risiko für potentielle Mörder möglichst entsprechend einschätzen lassen. Und da meine ich nach all dem, was wir hier reden, gibt es einiges zu tun. Die Behauptung - das ist eine ganz schlimme Behauptung -, die bestehenden Gesetze brauchten ja nur voll ausgeschöpft zu werden, dann sei die bestmögliche Bekämpfung des Terrorismus erreicht, ist nicht neu. Sie gehört sozusagen zur Standardbeschwörungsformel der letzten Jahre.
({51})
Nur sind wir damit in den letzten Jahren nicht weitergekommen, und die jahrelange ständige Wiederholung legt doch den Schluß nahe, daß die bestehenden Gesetze eben nicht voll ausgeschöpft werden konnten, aus welchen Gründen auch immer. Statt erfolgloser Aufforderung stünde es jetzt der Regierung besser an, endlich Vorschläge darüber vorzulegen, wie denn erreicht werden kann, daß die Gesetze ausgeschöpft werden. Das wäre immerhin auch schon etwas auf dem Wege zu einer Verbesserung der Verhältnisse.
({52})
Dazu ein klares Wort. Es steht das böse Wort von der „Überreaktion" im Raume. Meine Damen und Herren, wenn sich der freiheitliche Rechtsstaat, unser Verfassungsstaat gegen Gruppierungen zur Wehr setzt, die diese Freiheit nur dazu mißbrauchen, die Freiheit des ganzen Landes zu zerstören, kann ich keine Überreaktion erkennen.
({53})
Angesichts jener frivolen Herausforderung müssen wir uns doch fragen: Was müssen die Terroristen unserem Staat eigentlich noch bieten, bis wir endlich bereit sind, so kraftvoll zu reagieren, wie dies notwendig ist?
({54})
Jeder Staat, jeder freie Staat der Welt reagiert auf Herausforderungen, auf neue kriminelle Erscheinungsformen oder auf einen erheblichen Anstieg der Kriminalität. Das ist nicht nur legitim, das ist selbstverständliche Pflicht und Schuldigkeit des Staates. Auch die Bundesregierung hat das getan, selbstverständlich mit unserer Unterstützung. Sie reagierte doch auch auf neue kriminelle Erscheinungsformen. Strafvorschriften über Luftpiraterie, erpresserischen Menschenraub: alles durchaus richtige und notwendige Reaktionen. Nur hier, meine Damen und Herren - und dies ist gänzlich unverständlich -, auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, bei der Bekämpfung des Terrorismus, sträuben Sie sich, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Da drängt sich doch unweigerlich die Frage auf: warum ausgerechnet in diesem Felde? Rechtsstaatliche Bedenken können es doch nicht sein. Denn die von uns immer wieder vorgetragenen gesetzlichen Maßnahmen halten sich
im Rahmen der Verfassung. Das ist auch nie von Ihnen bezweifelt worden. Es kann auch nicht das Wort des Kollegen Maihofer sein: „In dubio pro libertate". Denn daß Freiheit und Sicherheit einander nicht ausschließen, sondern einander bedingen, hat uns ja Herr Maihofer in diesen Wochen von diesem Platz aus durchaus eindrucksvoll demonstriert.
({55})
Diesmal und nach den Vorgängen dieser Tage werden Sie, Herr Bundeskanzler, und die von Ihnen geführte Bundesregierung die Antwort auf die in der Bürgerschaft unseres Landes gestellte Frage nicht auslassen können. Sie dürfen diese Antwort um dieses Staates willen nicht schuldig bleiben. Der Bürger hat nicht nur ein Anrecht, Ihre Antwort zu erfahren; unsere Mitbürger verlangen eine Antwort. Jetzt, meine Damen und Herren, ist die Stunde zum Handeln. Jetzt müssen wir versuchen, nicht nur über Solidarität der Demokraten zu reden, sondern bei aller Kontroverse in der Sache für ,das Ganze unseres Landes gemeinsam das Richtige zu tun. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, sind dazu bereit.
({56})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Penner.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürger unseres Landes und wir mit ihnen sind entsetzt über jenes Gewaltverbrechen von Karlsruhe. Einige nennen es politisch; aber mit Politik hat solches Tun wenig gemeinsam. Es ist weder von ethischen Grundüberzeugungen beeinflußt, hat nicht den Frieden und Ausgleich zwischen den so unterschiedlichen Gruppen unserer Gesellschaft zum Ziel, noch kann es politische Verhältnisse bewegen und verändern helfen. Es ist ganz einfach ein ganz gemeines Verbrechen.
({0})
Wer Terror als geeignetes Mittel zur Durchsetzung seiner Ideen für notwendig hält, kann im Ernst auch nicht davon überzeugt sein, mit der Durchschlagskraft seiner Argumente Rückhalt zu finden, bei den Bürgern Mehrheiten zu finden. Eine solche Meinung aber, die auf fundierte Zustimmung keinen Wert legt, hat mit unserer Idee der umfassenden Demokratie und ihren daraus abgeleiteten Idealen nichts gemein. Wer die Freiheit in unserem Land und damit auch die Freiheit des einzelnen verteidigen will, der muß die Liberalität unseres Staates und zugleich dessen Verteidigungsbereitschaft verstärken helfen,
({1})
und zwar gegen die, die ihm zu Unrecht totale Schwäche vorwerfen, Herr Kollege Strauß, und gegen die, die ihn zum Knecht des Monopolkapitals und des Unternehmertums erklären wollen.
({2})
Hier im Deutschen Bundestag wird sich auch ' entscheiden, ob der Staat auf Grund der gewaltsamen Herausforderung einer Minderheit Schaden nimmt. Denn hier entscheidet sich, wie die großen Parteien draußen im Land zu seiner Substanz, zu seiner Verfassung, zu seinen Aufgaben stehen. Hier entscheidet sich auch, in welchem Verhältnis die Parteien dieses Deutschen Bundestages zueinander stehen, ob sie sich gegenseitig verdächtigen oder ob sie zueinanderstehen, ohne ihre unterschiedlichen Standpunkte zu verwischen.
({3})
Herr Abgeordneter, eine Sekunde bitte. - Ich wollte das Hohe Haus bitten, ein wenig ruhiger zu sein. Es ist sehr unruhig im Hause, und der Redner, glaube ich, hat ein Recht darauf, gehört zu werden.
({0})
Nach dem Auftrag des Grundgesetzes wirken sie an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Dies meint auch, sich nicht nur Strömungen des Tages anzuhängen oder von Emotionen treiben zu lassen. Wir sind aufgerufen, mutig und beharrlich aufzuklären über die Möglichkeiten als Gesetzgeber und auch über unsere Grenzen. Unsere eigene Kompetenz in der Politik nähme langfristig Schaden, ließen wir uns nur von Tagesereignissen leiten.
({0})
Es wäre fatal, Herr Kollege Lenz, wenn diese Debatte über Terrorismus nur alltäglichen Schlagabtausch brächte.
({1})
Es wäre fatal, zeichnete sich heute keine Perspektive zugunsten unseres Staatswesens und seiner freiheitlichen Ordnungsstruktur ab. Es muß auch über parteiliche Grenzen hinweg möglich sein, tragfähige Sätze der Übereinstimmung zu finden. In dieser staatspolitisch wesentlichen Frage dürfen sich die hier anwesenden Fraktionen nicht lediglich in dem Bemühen treffen, jeweils taktische Gewinne auf Kosten der anderen Seite zu erzielen.
(Beifall bei der SPD und der FDP
Wir sind in dieser Hinsicht zu besonderer Mäßigung verpflichtet und aufgerufen. Ich sehe die Gefahr, daß stereotype Abschätzigkeit in der Einschätzung des politischen Nachbarn sich zur Maxime unseres Handelns verkrustet. So rühren die einen mit Vorwürfen vom vermeintlich laschen Staat und der Verniedlichung des Terrorismus die vorhandenen Schul- und Ausbildungsprobleme, das Vorkommnis unfriedlicher Demonstrationen und letztlich so bezeichnete „linke Sozialdemokraten" zu einem unappetitlichen Brei, der nach Terroristennähe schmeckt,
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und die anderen handeln mit Begriffen wie „erzreaktionär" und „rechtsstaatfeindlich" usw. usw., was auch nicht weiter hilft.
Ich sehe dies auch durchaus selbstkritisch. Allzuleicht erliegt man der Versuchung, sich politisch in der Be- und Verurteilung des Kontrahenten einer anderen Partei zu verlieren. Wohlgemerkt: es kann nicht darum gehen, gegensätzliche Standpunkte zu übertünchen. Gerade im Parlament ist der Ort, ja, besteht eine Notwendigkeit, die Unterschiedlichkeit des Standorts deutlich zu machen. Gerade dann muß man aber mit Bestürzung feststellen, daß ausgerechnet terroristische Aktionen dazu herhalten, Minen der Emotionalisierung gegen die Sozialdemokratie, gegen die Koalition zu legen und diese bedenkenlos auszubeuten.
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Noch am Mordtag äußerte die CSU-Landesleitung, Herr Kollege Strauß, die rhetorischen Bekundungen der Bundesregierung seien nutzlos, ihre beschwichtigenden und verniedlichenden Erklärungen seien lebensgefährlich, und dann noch in Richtung Koalitionsparteien - wie gesagt, alles am Mordtag -: sie hätten sich in einer penetranten Anbiederung gefallen, die nunmehr mit dieser blutigen Demonstration eine Quittung erhalten habe.
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Ein Beispiel nur, gewiß aber kein untypisches; Herr Kollege Kohl, vielleicht hilft Ihnen das: Sie haben heute ein Lehrstück dafür geliefert und anschließend uni parteiübergreifendes Verständnis geworben. Das kann man mit uns nicht machen. Dann bleiben Sie lieber bei Ihrem großen Bruder in Bayern.
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Das ist nicht nur eine Stilfrage, ein extremer Verstoß gegen politische Sitten, und das macht die auch von der Opposition immer wieder beschworene Gemeinsamkeit oder Solidarität der Demokraten - Herr Kollege Kohl, Sie haben es heute verschiedentlich in Ihrer Rede erwähnt - in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wenig glaubhaft, eine Gemeinsamkeit, die so bitter notwendig ist. Unter solchen Umständen wirken solche Appelle wie inhaltslose Floskeln. Letztlich sollen Äußerungen wie die aus München den politischen Nachbarn nicht besiegen helfen, sondern ihn vernichten.
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Es ist die Saat, die nach der Katastrophenstrategie von Sonthofen ins Kraut schießt. Wir Sozialdemokraten stellen dazu fest: Wer uns in dieser Weise schmäht, belastet die Sache, die eigentlich selbstverständlich eine gemeinsame Sache sein sollte, aufs schwerste.
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Wir Sozialdemokraten werden uns auch durch noch so scharfe und unqualifizierte Angriffe in dem Bemühen nicht irre machen lassen, für diesen Staat, für diese Gesellschaft, für die Gemeinschaft der Bürger an seiner Sicherung und an seiner Festigung weiter zu arbeiten.
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Abgesehen davon, daß derartige Polemik weder dem Polemisierer noch dem Geschmähten, weder
dem Bürger noch unserer verfassungsrechtlichen Ordnung in ihrem Bemühen hilft, die Mörder von Karlsruhe hinter Schloß und Riegel zu bringen,
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frage ich mich: Sind diese in Wahrheit törichten Worte der Ausdruck einer glitzernden Gedankenlosigkeit, oder steckt dahinter mehr, ein parteipolitisch ausgeklügeltes strategisches Konzept? Sollte es ein strategisch-politisches Konzept sein, das einzelne in der CDU/CSU zu solchen Äußerungen treibt, so stehen wir hier nicht zum erstenmal vor den Auswirkungen solch zerstörerischen Verhaltens.
Es hat begonnen, Herr Kollege Kohl, mit einer ideologischen Kampagne in den Jahren 1973 und 1974 um unsere Verfassung. Die theoretischen Grundlagen dafür wurden im Dezember 1973 durch Sie selbst gelegt, als Sie bei einem Vortrag in München behaupteten, die CDU/CSU sei zur Zeit d i e Verfassungspartei,
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was sagen will, sie sei die einzige Partei, die sich eindeutig für das Grundgesetz ausspricht und sich als einzige für seine Erhaltung einsetzt. Damit könnte der Weg der Opposition begonnen haben: weg von der politischen Auseinandersetzung, hin zur Diffamierung mit der Verfassung als Schlagstock.
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Der Versuch, das Grundgesetz für eine Partei zu besetzen, Herr Kollege Kohl, gefährdet den demokratischen Grundkonsens,
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und das wird auch sichtbar in Äußerungen, die dem Bürger suggerieren, ihm einflüstern wollen, die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien nähmen es mit der strafrechtlichen Verfolgung der Terroristen und der gerechten Ahndung ihrer Taten nicht so genau. Da wird das Bild einer Kumpanei gezeichnet, und das ist schlimm.
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Lassen Sie mich nachdrücklich an den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vor etwas mehr als zwei Jahren erinnern. Dort heißt es:
Der Terrorismus ist zu einer Herausforderung in der ganzen Welt geworden. Auch die Bundesrepublik ist davon betroffen. Der Terrorismus ist ein Angriff auf unseren freiheitlichen, sozialen und demokratischen Rechtsstaat. Diesen Angriff wehren wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln ab.
Damit sind zwei Dinge bekräftigt worden: 1. Sozialdemokraten bekennen sich zu diesem Staat in der ihm durch das Grundgesetz gegebenen Gestalt und 2. Sozialdemokraten sind entschlossen, und zwar nicht nur da, wo sie besondere Verantwortung als Regierungspartei tragen, den Staat auch gegen innere Feinde zu verteidigen.
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Wenn wir „Staat" sagen, dann meinen wir nicht nur den Staat, der Recht setzt, sondern wir meinen auch den Staat, der Recht durchsetzt,
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für seine Geltung sorgt, sich selbst schützt und sich in den Augen der Gesellschaft immer wieder dadurch legitimiert, daß er diese Rechtsdurchsetzung gewährleistet. Dazu gehört auch die Funktion des Staates, sichtbar den einzelnen Bürger zu schützen und für die Aufrechterhaltung des Gemeinwohls zu sorgen. Auf dieser gesicherten Grundlage staatlicher Legitimität kann er wirken. Als sozialer Rechtsstaat, dessen Verwirklichung und Bewahrung von der Verfassung als Aufgabe gestellt ist, greift er planend und lenkend in gesellschaftliche Abläufe ein, tritt er als leistender und verteilender Staat durch seine Gesetzgebung und im Bereich der Daseinsvorsorge auf.
Die Errungenschaft staatlicher Macht wie überhaupt seiner Existenz ermöglicht die Herrschaft des Rechts anstatt der Willkür. Eine komplizierte Gesellschaft wie die unsrige braucht dies. Sie lebt vom Vertrauen der Bürger, daß jedermann dem Recht Achtung und Gehorsam entgegenbringt.
Von uns Sozialdemokraten wird die Erhaltung des Staates als eine Grundvoraussetzung unserer Politik verstanden. Gesellschaftliche Veränderungen haben ihn vor neue und wachsende Aufgaben gestellt, weil das moderne wirtschaftliche und soziale Leben der Gestaltung bedarf, weil die Aufgabe der Daseinsvorsorge in stets wachsendem Maße hervortritt und die soziale Sicherung als eine der vornehmsten Aufgaben des Staates angesehen wird. Es bedarf allerdings nicht nur der Erhaltung und der Stärkung seiner Fähigkeiten gegen einzelne, die ihn zerstören oder mindestens verunsichern wollen. Er wird als politische Einheit erst im täglichen Handeln und politischen Wirken Existenz. Die politische Einheit aber als Voraussetzung eines planmäßigen, organisierten Zusammenwirkens aller gesellschaftlichen Gruppen - eben auch der Parteien - ist nur über ein stets vorhandenes Bewußtsein der eben zitierten Solidarität der Demokraten möglich. Es ist lebenswichtig für unsere Grundordnung, daß prinzipielle Übereinstimmung darüber besteht, daß die rechtliche Ordnung als legitime Ordnung vorhanden ist und vor allem durch die, die für ihre Erhaltung und Durchsetzung Verantwortung tragen, bewahrt wird. Staat und Recht sind nicht bloße Instrumente politischer Machthaber. Deshalb steht auch die Bewahrung des Rechtsstaats unter der Pflicht, den eigenen rechtsstaatlichen Geboten zu folgen.
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Vor acht Jahren erklärte von dieser Stelle aus ein Vorgänger im Amt des Generalbundesanwalts, Herr Güde, der ja auch Vorsitzender des Strafrechtssonderausschusses gewesen ist:
Mit doktrinären Thesen kann man keine Kriminalität bekämpfen. Man muß sehen, daß es eine Realität ist, die keinen Doktrinen nachgeht. Eine Realität muß man ins Auge fassen und muß sie natürlich pragmatisch behandeln.
Das gilt für uns auch heute noch. Gesetzgebung und Rechtsanwendung durch die dazu Berufenen sind durchaus pragmatische Angelegenheiten. Das gilt gerade auch dann, wenn es darum geht, gegen gefährliche und in ihren Erscheinungsformen eigenartige kriminelle Täter vorzugehen.
Die sozialliberale Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung haben solchen Überlegungen Rechnung getragen. Hier ist das unter der Bezeichnung „Antiterroristengesetz" bekannte Gesetzesbündel zu nennen. Es hat einschneidende Ergänzungen und Änderungen im materiellen Strafrecht wie im Strafverfahrensrecht für den wirksameren Schutz des einzelnen wie auch des Staates gebracht.
Sicher, wir haben es uns bei den damaligen Beratungen nicht leichtgemacht. Das gilt übrigens auch für das Vierzehnte Strafrechtsänderungsgesetz, das u. a. verfassungsfeindliche Befürwortung schwerer Straftaten unter Strafe stellt - eine Vorschrift, die übrigens nicht nur bei linken Häretikern oder übersensibilisierten Liberalen auf Kritik gestoßen ist. Aber wir waren und sind der Meinung, daß wir damit im Vorfeld der von uns aus tiefer Überzeugung abgelehnten Gewaltakte ein Wehr geschaffen haben, ohne die Substanz des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu verletzen.
Mag sein, daß sich eine konservative Opposition da leichter tut. Herr Kollege Kohl, wenn ich an Ihre Gesetzesbündel denke, verdichtet sich der Eindruck, den man von Ihrer Haltung haben kann.
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- Wir haben doch in der vorigen Legislaturperiode ausreichend darüber geredet.
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Aber gut, wir sind zu einem neuen Gespräch bereit.
Für uns Sozialdemokraten sind Gesetze, die einschneiden und eingreifen können in Positionen des einzelnen, immer Anlaß zu besonders sorgfältigem Wägen und Prüfen. Keine Frage, daß wir im Ziel, der Beseitigung des betreffenden Mißstandes, einig sind. Jedoch: Gesetze haben Geltung über den Tag hinaus; sie können sich sehr leicht von der Zielrichtung her verselbständigen und Freiräume zudecken, die offenbleiben können, ja sogar müssen. So ist unsere Art des Wägens und Gewichtens bei einer so bedeutungsvollen Materie eigentlich selbstverständlich. Auf dieser Grundlage haben wir die Möglichkeit des Ausschlusses von Strafverteidigern erweitert, die dringend verdächtigt sind, Komplizen ihrer Mandanten zu sein - sicherlich eine Prozeßhilfe, die, halb schon vergessen, ihre Bedeutung bei der Meisterung prozessualer Schwierigkeiten gehabt hat und noch hat.
Ein Wort an Sie, Herr Kollege Kohl, über die Möglichkeit der Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs. Ich räume ein, daß diese Frage in der politischen Diskussion eine sehr große Rolle spielt. Es trifft auch zu, daß der ermordete Generalbundesanwalt Buba& dazu neigte, eine solche Regelung in die Strafprozeßordnung einzuführen.
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Es ist aber ebenso wahr, daß der bei der Sitzung des Innen- und des Rechtsausschusses anwesende Bundesanwalt Kaul, der ja derzeit die Staatsschutzabteilung leitet, sich in dieser Frage sehr differenziert ausgedrückt hat. Allerdings hat er zum Ausdruck gebracht - das muß man auch offen bekennen -, daß die Bundesanwaltschaft insgesamt dankbar wäre, wenn diese Frage noch einmal geprüft würde.
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Das ist wahr. Aber mir scheint, Herr Kollege Kohl, daß dieser Frage in der Bekämpfung des Terrorismus eine wesentlich höhere Bedeutung beigemessen wird, als ihr tatsächlich zukommt. Lassen Sie sich das von mir sagen; ich habe mit diesen Dingen früher von Berufs wegen mehr zu tun gehabt als Sie.
Ich darf fortfahren: Nichts anderes gilt für die im Jahre 1974 geschaffene erweiterte Möglichkeit, Hauptverhandlungen auch in Abwesenheit des Angeklagten durchzuführen, sofern er, z. B. durch Hungerstreik, schuldhaft seine Verhandlungsunfähigkeit herbeiführt.
Das sind Beispiele, die sich in langer Kette vervollständigen ließen; es soll damit sein Bewenden haben. Es sind aber zugleich sinnfällige Beweise dafür, daß die Bundesregierung und daß die Koalition sich dem Problem Bewältigung des Terrorismus auch gesetzgeberisch gestellt haben. Sicher, die Opposition hat noch weitergehende Vorschläge entwickelt - im Strafrecht, im Strafverfahrensrecht, auch im Demonstrationsrecht -, denen wir nicht gefolgt sind. Teils schienen sie uns zu sehr an einem momentanen Zeitgeist orientiert zu sein, teils schienen sie uns untauglich zu sein, teils schienen sie uns im Lichte der Verfassung und auf dem Hintergrund des Grundrechtskatalogs nicht richtig zu sein, eher ein Schritt in Richtung Obrigkeitsstaat. Selbstverständlich sind dies Meinungen, auf die mit anderen Auffassungen erwidert werden kann. Aber müssen wir nicht gerade als Gesetzgeber sehr genau darauf achten, daß wir, ohne es zu wollen, durch ein Zuviel an Gesetzen denen in die Hände arbeiten, die sich über die Verhöhnung der rechtsstaatlichen Ordnung deren Vernichtung zum Ziel gesetzt haben?!
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Die Terroristen brauchen eine autoritäre, schließlich offen faschistische Atmosphäre, damit aus ihrem blindwütigen Handeln eine Bewegung wird, die auch von Massen mitgetragen wird. Diese Voraussetzungen sind nicht da. Um alle Mißverständnisse auszuräumen: Auch die bisher bekannten Gesetzesvorschläge der Opposition - man mag zu ihnen stehen, wie man will - bleiben zwar hinter den Möglichkeiten der Verfassung zurück, sie sind aber von ihren Anforderungen her sicher gedeckt. Nein, hier ist nicht der Punkt, an dem man innehalten darf. Der
Chef des Bundeskriminalamtes, Herr Herold, hat noch im Anschluß an die Karlsruher Morde geäußert, daß das Morden der Terroristen noch nicht abgeschlossen sei. Laufen wir aber nicht nach jeder weiteren Aktion - ich möchte hier zunächst einmal an Ihre Adresse appellieren, Herr Kollege Kohl; ich habe die Ergebnisse der 7. Legislaturperiode noch sehr genau in Erinnerung -, nach jedem weiteren Mord Gefahr, über eine nicht mehr beherrschbare Eigendynamik nach immer neuen gesetzlichen Regeln zu suchen, die dann letztlich doch den Kern des Rechtsstaates treffen?!
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Werden nicht zuweilen die Möglichkeiten des Strafrechts überschätzt? Der Gesetzgeber, im besonderen der Deutsche Bundestag, wird Grundstimmungen der Bürger immer in seine Überlegungen einbeziehen müssen, soll es nicht zu einer Krise des Vertrauens kommen.
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Aber er darf sich nicht von nur aktuellen Ereignissen provozieren lassen. Das repräsentative Prinzip bietet genug Schutz und Anspruch, das Gesetzgebungsverfahren von allzu flüchtigen Ereignissen fernzuhalten.
Kein geringerer als der früher schon zitierte Generalbundesanwalt Güde hat einmal gesagt, daß das Strafgesetzbuch nur eine der Waffen in der Verbrechensbekämpfung sei, vielleicht eine ganz schwache, vielleicht für sich allein wirkungslos.
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Auch bei einer bewußten, gezielten und lebendigen Anwendung sei das ganze Strafrechtswesen nur ein Sektor, ein Ausschnitt aus der notwendig breiten Bekämpfung der Kriminalität. Selbst wenn man diese sehr zurückhaltende Bewertung dieses erfahrenen Strafrechtspraktikers so nicht teilt, sollte man sich hüten, das dem Strafrecht auch innewohnende Ordnungsprinzip dadurch schartig zu machen, daß man seine Möglichkeiten überdehnt und die damit verbundenen Erwartungen der Bürger enttäuscht, nicht einlösen kann. Hätte es nicht einen zusätzlichen Verlust an Glaubwürdigkeit, besonders auch des Strafrechts, zur Folge, wenn nach den geforderten Änderungen und Verschärfungen trotzdem - das kann ja niemand ausschließen; siehe Äußerungen des Chefs des Bundeskriminalamts - weitergemordert wird? Ist dieser Verlust an Glaubwürdigkeit nicht eine Gefahr für die rechtsstaatliche Ordnung, die vom Vertrauen der Bürger getragen werden muß, will sie lebendig bleiben?
Eine Bemerkung zum Tätertyp. Immer mehr bestätigt sich der Eindruck, daß Ideologie und angebliche politische Motivation ihm nur zur Verschleierung seiner brutalen Verbrechen dienen, nicht einmal in Richtung auf die Bürger, sondern um sich selbst etwas vorzumachen. Die Entscheidung des Terroristen für das Verbrechen mag das Ergebnis verschiedenartiger Erlebnisse und Beeinflussungen sein. Jedenfalls ist die Entscheidung für das Verbrechen bei ihm gefallen, und dafür muß er vor dem Recht die Verantwortung tragen.
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Aus der politischen Betrachtung jedenfalls scheidet der spätestens aus, der sich die erste Gewalttat zuschulden kommen läßt. Von da an ist vorgeblich politische Motivation nur Verbrämung jener irren Suche nach dem dramatischen Abenteuer, der Lust am Terror als Zuflucht vor der Enttäuschung über sich selbst.
Wenn diese Darstellung aber richtig ist, gehen Vorschläge, die das System der Mindest- und der Höchststrafen im Strafrecht betreffen, fehl, Herr Kollege Kohl. Diese Leute begehen ja ohnehin Verbrechen, die mit der schwersten Strafe, der lebenslangen Freiheitsstrafe, bedroht sind.
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Darum halte ich auch die Vermutung für abwegig, daß Täter dieses Kalibers durch die Anhebung von Mindeststrafen und die Heraufsetzung zeitlich begrenzter Höchststrafen zu beeindrucken sind. In diesem Sinne hat der Gedanke der Generalprävention, der im Strafrecht durchaus seine Berechtigung hat, keine Durchschlagskraft.
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Wie auch immer: Bei der Frage, ob neue Gesetze und härtere Strafen eine bessere Bekämpfung des Terrorismus ermöglichen, sollte der Gesichtspunkt der Rationalität entscheidend sein.
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Keine Frage: Wir werden den Terrorismus wie bisher mit allen Mitteln bekämpfen. Ihm geht es um
diese staatliche Ordnung; ihr gilt der Hauptangriff.
Natürlich hat man mit Buback, aber auch mit von Drenckmann Vertreter und Verfechter der verhaßten Staatsordnung einfach hingemäht. Aus der Sicht der Terroristen sollte damit zugleich ein Kernstück unserer Ordnung, der Rechtsstaat, getroffen werden. Nein, wir werden und müssen uns dieser Herausforderung mit unseren demokratisch legitimierten Mitteln stellen, mit den Mitteln des Rechtsstaats,
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auch wenn z. B. unsere Verfahrensregeln auf diesen alles verneinenden Tätertyp nicht zugeschnitten sind; denn die Strafprozeßordnung geht ja davon aus, daß der Beschuldigte, der Angeklagte, daß auch der Rechtsbrecher in gewisser Weise beim Strafverfahren mittut und nicht nach der Maxime ausschließlicher Obstruktion verfährt, wie das ja geschehen ist.
Viel wichtiger als alle noch so gutgemeinten Gesetzesvorschläge für die Zukunft ist die Verwirklichung des geltenden Rechts.
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Im übrigen weise ich darauf hin, daß von der Bundesregierung insbesondere auch jener Teil der VerDr. Penner
brechensbekämpfung verstärkt worden ist, den man mit dem Stichwort „Exekutive" beschreiben kann.
Aber auch das ist wahr: Terrorismus ist keine nationale Angelegenheit.
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Es gibt ihn in vielen Ländern dieser Erde, und zwar mit den unterschiedlichsten Motivationen: aus nationalen, aus religiösen, aus rassistischen und aus ideologischen Begründungen.
Niemand kann im Ernst behaupten, in der Bundesrepublik würden, wenn man nur wolle, absolute Sicherheit und Ruhe einkehren. Dagegen stünde schon die selbstzerstörerische Triebfeder des Anarchismus. Kurz vor der Jahrhundertwende sind innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums - ich glaube, es waren fünf Jahre - vier europäische Staatsoberhäupter von terroristischen Gewalttätern ermordet worden - und nichts konnte sie daran hindern, auch nicht, daß viele ihrer Anhänger gehenkt und geköpft wurden. Es gab gleichwohl Nachahmer und Anhänger.
Vor mehr als 2 000 Jahren setzte ein Mann in Ephesus den berühmten Tempel der Göttin Artemis in Brand, nur um, wie er gestand, berühmt zu werden. Er wurde hingerichtet, und die Nennung seines Namens erklärte man zum todeswürdigen Verbrechen. Und doch ist sein Name bis heute überliefert, was auch zeigen kann, daß wir alle sehr aufmerksam unlegitimierte Gewaltanwendung beobachten. Sie erfährt mehr Beachtung als die tägliche Arbeit eines Angestellten, Architekten oder Arbeitnehmers überhaupt.
Erinnern wir uns, wie oft in letzter Zeit die Welt den Atem anhielt und sie nichts anderes wirklich interessierte als die allmählich erfahrbaren Einzelheiten eines ungewöhnlichen Unfalls oder einer Tat. Plötzlich standen die Täter, ihre Worte und Gebärden, ihre Wünsche und Drohungen, ihr Lebensweg im Mittelpunkt der Berichterstattung. Aber der Staat und ebenso die Bundesregierung sind deshalb noch nicht handlungsunfähig, wie letzthin noch behauptet wurde, wenn durch Gewalt bestimmter Herkunft der Rechtsfrieden gestört wird.
War denn die Regierung Adenauer auch handlungsunfähig, als es zu dem Attentatsversuch von Halacz in den 50er Jahren kam oder als es diese unerträgliche Kette von Liebespaarmorden in den 60er Jahren gab?
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Oder kann man einer CDU-Regierung die unglaublichen Verbrechen des Kindermörders Bartsch anlasten? Sicherlich nicht. Was soll dann aber der Versuch, die sozialliberale Koalition und die von, ihr getragene Regierung für Kriminalität selbst verantwortlich zu machen?
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Ich wiederhole: Wir werden - wie in der Vergangenheit auch - alles tun, um innere Sicherheit zu gewährleisten. Aber wir können nicht verhindern, wenn sich trotzdem Menschen zu Morden hinreißen lassen. Wir sind aufgerufen, die Voraussetzungen dafür zu sichern und, wo es nötig ist, auszubauen, damit die Täter so schnell wie möglich ermittelt und gerechter Bestrafung zugeführt werden. Ein Fahndungserfolg, den wir alle uns wünschen, kann aber keine Tat ungeschehen machen. Die Chance gewalttätiger Minderheiten, Aufmerksamkeit zu erwecken, Menschen aufzurütteln, ist größer als früher, wo die technischen Mittel des Terrorismus noch begrenzt waren und auch die Medien noch nicht jeden Bürger mit 'ihren Schlagzeilen erreichten.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf das zurückkommen, was schon der Bundeskanzler erwähnt hat: So schutzlos ist unser Staat nicht. 117 Personen sind in der Bundesrepublik wegen terroristischer Delikte rechtskräftig verurteilt worden. Erstinstanzliche Urteile liegen gegen weitere 63 Personen vor. Anklage wurde gegen 85 mutmaßliche Täter erhoben. Bei 240 Personen ist das Ermittlungsverfahren eingeleitet. Inhaftiert sind zur Zeit 102 Menschen, davon 33 in Strafhaft und 69 in Untersuchungshaft. Und vielleicht interessiert das in diesem Zusammenhang auch noch: Bundesanwalt Kaul hat auf Befragen versichert, daß die Gerichte die Strafmaße für terroristische Gewalttaten nach seiner Auffassung voll ausschöpften.
Meine Damen und Herren, nicht erst seit gestern gibt es in einem Teil der veröffentlichten Meinung eine Diskussion über das Verhältnis von Freiheitsanspruch und Sicherheitsbedürfnis. Es ist nicht zu bestreiten, daß beide, Sicherheit und Freiheit, sich überlappen und in ihrer Reichweite einengen können.
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Aber ist dies verwunderlich in einer industriell bestimmten Massengesellschaft wie der unseren, wo einmal mehr Freiheit beansprucht wird, später wieder mehr das Bedürfnis nach Sicherheit im Vordergrund steht? Ich glaube jedoch nicht daran, daß beide Werte so unversöhnlich gegeneinander stehen wie manchmal der Eindruck erweckt wird. Will eine Gesellschaft intakt bleiben, will sie lebendig sein, wird sie weder auf Freiheit noch auf Sicherheit verzichten können. Beides ist unabdingbar.
Natürlich spricht ein Zeitabschnitt, in dem der Terrorismus seine blutigen Menetekel zeichnet, für mehr Beachtung von Gesichtspunkten der Sicherheit. Natürlich kann ein einseitig ausgerichtetes Handlen für mehr kollektive Sicherheit den ihdividuellen Freiheitsraum einengen - unerträglich sogar. Natürlich kann in dieser Richtung ein Gewohnheitsprozeß einsetzen durch Gesetze, durch Verordnungen, durch Maßnahmen des Staates ganz allgemein, die mehr Lebenssachverhalte erfassen, als ein Regelungsbedürfnis besteht. Sicherlich sind Tendenzen nicht zu verkennen, die den Grundwert, das Grundrecht Freiheit, unter dem Eindruck aktueller Ereignisse auch in seiner gesellschaftspolitischen Dimension nicht genau beachten, manchmal gar aus den Augen verlieren und damit auch die Zukunft des gesellschaftlichen Ganzen in Frage stellen.
Aber wer würde abstreiten wollen, daß der Staat auch im Interesse der Gesellschaft und vieler einzelner ein stark sicherndes Element haben muß? Vergessen wir bei alledem nicht, daß staatliche Tätigkeit und individuelle Freiheit im sozialen Rechtsstaat kein notwendiges Gegensatzpaar bildet. Für viele bedeutet Sozialstaat ein Mehr an persönlicher Freiheit, ein Weniger an Not und materieller Bedrängnis, ein Weniger an Unfreiheit.
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Allerdings, ein Patentrezept zur Auflösung dieser Spannungsbögen gibt es nicht. Neue Lebenssachverhalte, neue vom Leben geschaffene Tatsachen können neue Überlegungen erforderlich machen.
Wir Sozialdemokraten werden unseren Teil dazu leisten, daß Sicherheit und Freiheit erhalten bleiben und vervollkommnet werden, wo immer das nötig und möglich ist, damit sie lebenswichtige Elemente für unsere Grundordnung bleiben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das, was der Vorsitzende der Opposition zu den für uns verpflichtenden Grundwerten unserer Verfassung, zu der Empörung über den schändlichen Mord von Karlsruhe gesagt hat und was er, sehr weit ausholend, zu dem ausgeführt hat, was wir in diesem Lande in diesem Zusammenhang gemeinsam beachten sollten, teilen wir uneingeschränkt. Das ist mit Sicherheit auch für die sozialdemokratische Fraktion zum Ausdruck gebracht worden.
Nun erhebt sich die Frage, warum wir die allgemeinen Fragen, über die wir uns doch einig sind, in diesem Zusammenhang so ausführlich und so ungewöhnlich pathetisch darlegen, statt zu versuchen, unserer Bevölkerung durch eine Auseinandersetzung über das, was etwa in der Sache geschehen kann, über das, was wir unterschiedlich für notwendig oder nicht notwendig halten, in dieser Stunde den Eindruck zu vermitteln, daß wir die Grundsätze die wir alle haben, die wir aber sehr selten so beschwören und nicht tagtäglich und stündlich öffentlich ausbreiten - zum Grund unseres Handelns machen. Wir sollten weniger darüber reden, wir sollten sie vielmehr befolgen. Darüber, warum diese Grundsätze soweit ausgebreitet werden - anstatt daß man zur Sache kommt -, kann man allerlei Vermutungen anstellen.
Nach Beendigung des staatsmännischen Teils ist der Vorsitzende der Opposition dann dazu übergegangen, das, was in den letzten Wochen von anderen Mitgliedern dieser Fraktion in die Presse gebracht worden, an Äußerungen gefallen ist, auch für seine Person - allerdings erheblich vornehmer und mit durchaus nennens- und beachtenswerten Nuancen -, vorzutragen. Es ging um einen Beitrag zu der ständigen Behauptung, daß man sich - zusammen mit den meisten Sozialdemokraten und natürlich den meisten Freien Demokraten - einig sei. Auf die Unterschiede in Ihrer Bewertung der Haltung der beiden Fraktionen mag ich an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Allerdings waren gewisse Unterschiede herauszuhören. Im übrigen gab es starken verbalen Protest der schräg rechts hinter mir sitzenden Herren Ihrer Partei. Sie scheinen da noch einiges an Durchsetzungsarbeit leisten zu müssen, wenn Sie sicher sein wollen, daß Ihre Ausführungen tatsächlich dem Gesamtwillen der Fraktionsmitglieder entsprechen.
({0})
- Ich bin auch gern bereit, dazu Einzelheiten anzudienen. Aber der, den ich hauptsächlich im Auge habe, verdient es nach meiner festen Überzeugung nicht, hier namentlich genannt zu werden.
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Sie haben wie viele Ihrer Freunde wieder einmal versucht, die äußersten Anstrengungen, die seitens dieser Regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen unternommen worden sind, direkt, meist aber bedeutend mehr indirekt, in Zweifel zu ziehen. Es geht um die äußersten Anstrengungen bei der Bekämpfung des Terrorismus, die wir im Gegensatz zu vielen Vorkehrungen aus der Zeit vor 1969 und häufig zu Nichtmaßnahmen, also Versäumnissen, unternommen haben.
Ich möchte ganz deutlich darauf hinweisen, daß die Aufgabe in diesen Tagen nicht die Verleumdung der Demokraten oder jedenfalls die Verdächtigung der Demokraten ist, sondern die Bekämpfung der Terroristen.
({2})
Zu dem wichtigen zweiten Punkt kam eigentlich nur die Wiederholung einer Fülle von Vorschlägen, die wir in diesem Haus schon sehr oft, allerdings selten in so geraffter Form wie heute gehört haben und über die wir, wie ich meine, mit Argumenten, deren sich beide Seiten häufig nicht zu schämen hatten, ausführlich schon zu einer Zeit diskutiert hatten, zu der Sie, Herr Kohl, unsere Beratungen noch nicht unmittelbar verfolgen konnten, so daß einiges, was Ihnen bei der Darstellung unterlaufen ist, eher entschuldigt werden kann.
Natürlich kann nicht alles entschuldigt werden, was Sie, Herr Kohl, hier vorgetragen haben.
({3})
Wenn Sie nicht an den vertraulichen Sitzungen des Rechtsausschusses teilnehmen können, dann hat das, finde ich, etwas mit Ihren anderen Aufgaben zu tun. Aber wenn Sie hier zu einem der von Ihnen mit Fleiß immer wieder verfolgten Kernpunkte der Diskussion hier aus solchen vertraulichen Sitzungen berichten und gegenüber der Öffentlichkeit einen Autoritätsbeweis für Ihre Ansicht führen zu müssen glauben, dann müssen Sie Ihre Mitarbeiter so anKleinert
leiten, daß sie Ihnen richtige Unterlagen zur Verfügung stellen.
({4})
Sie haben nämlich mit dem Ihnen eigenen Nachdruck und Pathos gesagt, alle - ich wiederhole: alle! - Sachverständigen hätten sich in der Anhörung des Rechtsausschusses für die Überwachung des Verteidigergesprächs ausgesprochen. Diese Behauptung ist anhand des Protokolls dieser Rechtsausschußsitzung ohne weiteres mit aller wünschenswerten Eindeutigkeit zu widerlegen. Es haben sich eben nicht alle Sachverständigen dafür ausgesprochen, sondern einige haben sehr dezidiert die Ansicht geäußert, aus mehreren Gründen solle von dieser Überwachung abgesehen werden.
({5})
Einer der neuesten Zeugen, der auch Ihnen nicht verdächtig sein sollte, ist einer der angesehensten Richter dieses Landes: der im Ruhestand lebende frühere Chefpräsident des Oberlandesgerichts Stuttgart,
({6})
dessen Äußerungen in dem gestrigen ZDF-Interview ich - mit Genehmigung der Frau Präsidentin - zitieren möchte. Herr Oberlandesgerichtspräsident Schmid hat gesagt:
Ich bin der Meinung, daß diese Forderung nach Abbau der Liberalisierung und Verschärfung der Strafgesetze eine reine parteiliche Agitation unterster Ordnung ist, also untersten Niveaus; denn was das materielle Strafrecht betrifft, das Strafgesetz, so hat in den letzten Jahren keine Liberalisierung, sondern nur eine Verschärfung stattgefunden.
({7})
Das sagt hier nicht irgendein Anwalt, der für angebliche Standesprivilegien streitet, sondern das sagt ein durchaus sehr berufserfahrener hoher Richter,
({8})
der die Dinge hier verfolgt hat und sich dieses Urteil über ihre rechtspolitischen Bemühungen und deren tatsächliche und rechtstheoretische Grundlagen deshalb erlaubt hat.
({9})
Sie haben ähnliche Dinge bei Ihrer Wertung einfließen lassen, die sicherlich auch darauf zurückgehen, daß Ihren Mitarbeitern in der Eile das Material nicht so ganz deutlich wurde und sie Ihnen falsche Unterlagen gegeben haben. Mit großer Ausführlichkeit, mit dem mehrfach erwähnten Nachdruck und Pathos haben Sie hier die Hessischen Rahmenrichtlinien zitiert. Das ist wohl eines Ihrer hervorragendsten Steckenpferde. Ich sehe, Ihr Gesicht strahlt rundherum. Wenn Sie das nicht hätten, was sollten Sie dann machen?
({10})
Nun, Herr Kohl, kommt das Problem. Sie haben sie nämlich nicht. Sie zitieren hier Hessische Rahmenrichtlinien, als gäbe es sie. Sie zitieren aber einen Entwurf, der klugerweise nie in Kraft gesetzt worden ist,
({11})
und zwar auf Betreiben nicht zuletzt der Freien Demokraten, die gemeinsam mit den hessischen Sozialdemokraten der Ansicht waren, daß wir Ihnen den Spaß solcher Zitate lieber nicht gönnen sollten. Ich sage das ohne alle Häme. Das sind also Dinge, wo Sie einfach mit falschen Fakten operiert haben,
({12})
um hier einen Eindruck hervorzurufen, der sachlich gar nicht begründet ist. Es erhebt sich die Frage, ob Sie vielleicht einen gewissen Mangel an anderen Argumenten haben,
({13})
wenn Sie hier unzutreffende Argumente zur Darstellung Ihres Standpunktes mit einführen.
({14})
Die Beantwortung dieser Frage wollen wir den Bürgern überlassen. Wir sind der Meinung, daß wir mit der gebotenen Eile - ({15})
- Ich komme noch zu einigen Punkten, Herr Kohl, wo Ihnen ähnliche Schnitzer, vergleichbare Schnitzer unterlaufen sind, wenn ich jetzt versuche, einmal etwas von dem Grundsätzlichen wegzugehen und zu sagen, wie wir uns die Dinge bisher gedacht haben und weiterhin denken, damit man auch weiß, warum wir diesen oder jenen Standpunkt vertreten, statt uns auf hehrste Grundsätze zu berufen und nicht zu sagen, wie die Umsetzung solcher Grundsätze in praktische Politik unserer Auffassung nach vonstatten gehen soll. Das haben wir immer mitzuteilen versucht. Wir sind mit dem sogenannten argumentativen Wahlkampf, den wir kürzlich wieder einmal zu führen versucht haben, im Ergebnis nicht so recht glücklich geworden, wie wir und auch außenstehende Beobachter meinten, daß das vielleicht beim Wahlergebnis hätte der Fall sein können. Aber wir lassen uns dadurch nicht dazu bringen, nun anders vorzugehen, etwa auf Polemik und auf unsachliche Darstellungen überzugehen, sondern wir versuchen es weiter, weil wir der Meinung sind, daß ganz zum Schluß erkannt werden wird, daß eben das Argumentative doch mehr Zukunft hat. Wir üben uns weiter darin.
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Wir sind der Meinung, daß die wesentlichen, nämlich die erfolgversprechenden gesetzlichen Än1464
derungen in den letzten Jahren ohne Zögern durchgeführt worden sind. Wir sind weiter der Meinung, daß es uns nicht ansteht, auch nur in einem einzigen Fall die Diskussion über neue Vorschläge zu verweigern oder alte Entscheidungen noch einmal zu überprüfen. Das entspricht unserer Auffassung vom Gespräch, vom Miteinander in der täglichen Praxis des Parlaments, daß wir nicht mit Schlagworten hantieren wollen. Wir werden also auf alle ihre Vorschläge, die uns leider durchgehend ungewöhnlich bekannt vorkommen, eingehen, und wir werden versuchen, uns überzeugen zu lassen.
Feststeht doch z. B., um zu diesem berühmten Punkt zu kommen, daß die Gesetzesbestimmung über den Ausschluß der Verteidiger vom Strafverfahren nicht die erhoffte Wirkung im Hinblick auf eine Bereinigung des Verdachts gehabt hat, es könnte ein Zusammenwirken geben, das schädlich ist, das schändlich ist und der Unterstützung der terroristischen Szene dient. Dieses Mittel, das wir als Alternative zu der von uns abgelehnten Verteidigerüberwachung eingeführt haben, hat nicht recht gegriffen. Wir wollen daraus nun aber nicht voreilig den Schluß ziehen, wir müßten nun das andere Übel wählen und die Verteidigerüberwachung doch einführen. Wir wollen uns vielmehr mit Ihnen gemeinsam über Tatsachen, über Erfahrungen und Berichte unterhalten. Wir möchten gerne einmal noch genauer, als das in den letzten Anhörungen gesagt ist, wissen, woran es denn liegt, und ob man das Problem nicht doch auf diesem Wege besser unter Kontrolle bekommt.
Wir haben nach wie vor festzustellen, daß Gerichtsverfahren insgesamt viel zu langwierig sind, nachdem zu langwierige Ermittlungen vorhergegangen sind. Die Frage ist - und da haben Sie vollkommen recht, Herr Kohl -: Kann man das Gesetz verbessern? Wenn ja, müssen wir das tun, weil wir dafür zuständig sind, nicht aber für die Aufsicht über die Justiz, die äußerst begrenzt ist, wie wir wissen und wollen, oder über die Staatsanwaltschaft.
Allerdings sind einige Möglichkeiten meiner Meinung nach von den Länderjustizministern nicht immer ausgeschöpft worden. So ist z. B. durch das Hamburger Ehrengericht im Fall Groenewold im einzelnen auf eine geradezu schmerzliche Weise allein durch die schlichte Wiedergabe der Daten dargestellt worden, wie ungewöhnlich langwierig die Staatsanwaltschaft vorgegangen ist, bevor sie dieses Verfahren betrieben hat, und wie schnell dann anschließend das Ehrengericht zum Ausschluß des Rechtsanwalts gekommen ist. Wenn man diese Daten nebeneinander hält, fragt man sich doch, ob das, was dem Ehrengericht möglich war, nicht in solchen Fällen auch einmal der Staatsanwaltschaft möglich sein sollte. Auch der Leidensweg anderer Verfahren scheint mir darauf hinzudeuten, daß es mehrere Fälle dieser Art gibt.
Wenn wir schon angegriffen werden wegen angeblich unzulänglicher Gesetze, fordern wir zunächst einmal unverdrossen erneut dazu auf, die gegebenen Möglichkeiten zu nutzen. Das ist nun einmal das, was zu geschehen hat. Deshalb wiederholen wir diese Aufforderung und hoffen, daß da einiges möglich ist. Wenn Sie uns aber nachweisen, wie man ohne Gefährdung des Rechtsstaates mit vernünftigen gesetzgeberischen Mitteln die Dinge von hier aus beschleunigen kann, dann werden wir auch darüber mit Ihnen diskutieren und gegebenenfalls zu Änderungen kommen. Warum denn nicht!
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Das wollen wir aber an Hand von Fakten und Tatsachen und Erfahrungswerten prüfen. Wir wollen das nicht aus der Emotion heraus, nicht aus der grundsätzlichen Erwägung heraus tun, alles, was die Möglichkeiten des Staates verstärke, sei gut, noch dazu im rechtspolitischen Bereich. Diese Meinung haben wir allerdings nicht.
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Wir wollen nur das, was erfolgversprechend und mit rechtsstaatlichen Mitteln erreichbar ist, wie Sie sicher auch. Dazu müssen wir zu den Einzelheiten kommen und gemeinsam die Tatsachen erforschen, statt die Dinge pauschal zu behandeln und so zu tun, als sei dazu nur die eine Seite des Hauses in der Lage.
Der Hauptpunkt ist interessanterweise, vielleicht auch verständlicherweise von Ihnen gar nicht angesprochen worden. Sie haben heute z. B. im „Münchner Merkur" - meine Zeugen werden laufend unverdächtiger - lesen können, daß die ganze Gesetzgebungsauseinandersetzung, die ganze Rechthaberei um diese oder jene Strafschärfung - etliche davon sind ja, wie Ihnen sicherlich bekannt ist, rein verbaler Art, z. B. das berühmte Umtaufen von Vergehen in Verbrechen, ohne daß sich am Ergebnis des Verfahrens das Geringste ändert - ({19})
- Herr Vogel, das Stichwort kommt gleich. Ich bin jetzt bei dem Punkt, den Herr Kohl überhaupt nicht angesprochen hat - es ist unserer Ansicht nach zur Zeit der wichtigste; es ist auch der zwar nicht so sehr von hier aus, aber auch von hier aus am ehesten beeinflußbare -, nämlich bei der polizeilichen Arbeit. Bei aller Anerkennung der Verbesserungen, die übrigens die Bundesinnenminister Genscher und Maihofer mit einer dramatischen Verstärkung des Bundeskriminalamts, nicht etwa mit einem Aufstokken, sondern mit einer Vervielfachung der personellen und sachlichen Möglichkeiten, eingeführt haben, sind in dem Bereich der polizeilichen Arbeit, für den die unmittelbare Zuständigkeit gegeben ist, erhebliche Fortschritte gemacht worden, die überhaupt erst die hier mehrfach zahlenmäßig genannten Erfolge bei der Bekämpfung dieser Kriminalität ermöglicht haben, Erfolge, die früher mit dem seinerzeit vorhandenen Apparat des Bundeskriminalamts nicht möglich gewesen wären.
Nun habe ich Verständnis dafür, wenn sich der Bundesinnenminister mit Rücksicht auf die notwendige kollegiale, gute Zusammenarbeit u. a. und besonders mit den Landesinnenministern scheut, bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß nicht nur vieles gebessert ist, sondern einiges auch noch deutKleinert
lich im argen liegt. Es ist ja nicht so, wie immer gelobt wird, daß jetzt in dieser Zusammenarbeit endgültig der Stein der Weisen gefunden worden wäre. Im November letzten Jahres hat der Bundesinnenminister den Vorschlag gemacht, eine Spezialgruppe zur Bekämpfung von Gewaltkriminalität beim Bundeskriminalamt einzurichten. Dieser Vorschlag ist von den Länderinnenministern nicht einmal . zur Kenntnis genommen worden. Sie haben es abgelehnt, sich mit diesem Vorschlag zu befassen. Herr Friedrich Vogel hat dazu erklärt, man würde einen Grundpfeiler des Föderalismus ausheben, wenn man solchen Vorschlägen näherträte. Hier sind wir z. B. ganz undogmatisch. Wenn es praktisch ist und wenn es etwas nützt, dann müssen wir das machen. Wie dabei die Mitwirkung der Länder, wie ihre Mitbestimmung und eine Sicherung gegen Mißbräuche, eine Sicherung föderaler Grundsätze zu regeln sind, ist eine zweite Frage. Darüber wäre sicherlich zu reden gewesen. Es ist aber abgelehnt worden, darüber zu reden. Deshalb hatte ich die Idee: vielleicht haben Sie im Hintergrund Ihres Wesens - das ist menschlich durchaus richtig und bei Konservativen sicher noch stärker als bei anderen - eine starke Bindung an Ihre Zeit als Ministerpräsident eines Bundeslandes und sind deshalb diesen Problemen in Ihren Darlegungen aus dem Wege gegangen.
Wir können aber diesen Problemen nicht dauernd aus dem Wege gehen, sondern wir müssen uns ihnen nach wie vor stellen, damit die Ergreifung der Täter als das einzige, was eine gewisse Abschreckung hat - ich sage, eine gewisse, weil man Anarchisten wahrscheinlich nun einmal leider nicht abschrecken kann, was aber für die Sympathisanten mit Sicherheit nicht so sehr gilt -, in kürzerer Zeit als bisher ermöglicht wird. Das ist unserer Ansicht nach wichtig.
Wichtig ist es auch, ihnen ihr Geschäft zu erschweren und darum wiederum die Fahndung zu erleichtern. Seit Jahr und Tag wird bedauerlicherweise über die Einführung fälschungssicherer Autokennzeichen gestritten. Das ist ein kleines technisches Problem. Angesichts der notwendigen Voraussetzung größter Mobilität für die Täter in der terroristischen Szene ist dies aber für die praktische Arbeit der Polizei von erheblicher Bedeutung, genauso wie mindestens in erheblichem Maße fälschungssicherere Personalpapiere und Kraftfahrzeugpapiere in diesen Bereich gehören. Hier ist einfach bei der notwendigen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nicht weiterzukommen. Wir lassen die Polizei bei ihrer Ermittlungsarbeit in diesen Punkten im Stich. Da ist der Punkt, wo man in der praktischen Arbeit zusammenarbeiten und zusammenhelfen muß, die Beziehungen auch in die Länder spielen lassen muß, damit alle diese Dinge endlich einmal kommen und die Polizei sich nicht alleingelassen fühlt, wenn sie von den Verbrechern an der Nase herumgeführt wird mit Hilfe von Tricks, die man technisch ausschalten könnte. Helfen Sie doch! Machen Sie doch in .der Praxis mit!
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Das will die Polizei, und als nächstes will die Polizei natürlich sehen, daß die Verfahren - ich hatte es bereits angedeutet - zügig durchgeführt werden und die Täter einer raschen Bestrafung zugeführt werden. Dazu gehört das schnellere Ermittlungsverfahren, das ich bereits angesprochen hatte, und das schnellere Strafverfahren. Da haben wir festzustellen, daß immer noch die Neigung besteht, umfangreiches Material, das für historische Archive von größter Bedeutung sein könnte, als Prozeßstoff erst im Ermittlungsverfahren zusammenzutragen, wodurch die Anklageerhebung verzögert wird, und anschließend dann mit diesem Archivmaterial die Prozesse zu belasten, statt die drei erwiesen klaren Fälle herauszugreifen, aufzuklären, anzuklagen und zu verfolgen.
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Die historischen Forschungen können sich dann anschließen. Das ist ein falscher Ehrgeiz, der hier immer noch herrscht, und zwar da, wo Weisungsberechtigung der Justizminister der Länder besteht. Denn das Material wird ja nicht von den Gerichten beherrscht. Nicht dort liegt die Herrschaft über das Verfahren und die Anhäufung dieses Materials, sondern bei den weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften. Da muß es doch möglich sein, diese Dinge etwas besser in den Griff zu bekommen. Dafür sind wir nun mal nicht zuständig, sondern die Länderjustizminister.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Vogel.
Herr Kollege Kleinert, können Sie mir denn verraten, warum Sie im vergangenen Jahr den Entwurf der Opposition zur Beschleunigung von Strafverfahren weder beraten noch verabschieden wollten?
Wegen seiner besonders eindrucksvollen Bestimmungen, seiner Detailbestimmungen, die von höchster Öffentlichkeitswirksamkeit und ungewöhnlich geringer rechts- und strafrechtspolitischer Bedeutung waren.
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Sie haben da hineingeschrieben, daß vorsätzliche Prozeßsabotage zum Ausschluß und zu allen möglichen Maßnahmen führen soll. Wir haben uns in diesem Hause bereits darüber unterhalten, daß das schon nach geltendem Recht möglich war, daß das leider völlig plakative Dinge waren und der Kern der Sache nicht angesprochen war: was ich eben über die Konzentration des Ermittlungs- und des Strafverfahrens gesagt habe; danach haben wir, weil wir das Problem schon länger erkannt haben, auch in der mehrfach erwähnten Anhörung des Rechtsausschusses die Sachverständigen gefragt. Es hat keinen gegeben, der uns - natürlich - nicht bestätigt hätte, daß das nach geltendem Recht so möglich ist. Wozu brauche ich dann Ihre StPO-Änderung? Wir brauchen die Hilfe der Landesjustizminister mit ihrem
Einfluß auf die Staatsanwaltschaften zur Konzentrierung dieser Verfahren. Das ist der Punkt.
Auf dem Gebiet gibt es nun sehr viel zu tun für unsere gemeinsamen Vorstellungen. Hier ist das, wo praktisch ausfließen muß, was Sie an sehr viel Grundsätzlichem heute dargelegt haben, damit die Bevölkerung von Ihren begrüßenswerten grundsätzlichen Einstellungen und Überzeugungen auch einen praktischen Erfolg bei der Verbrechensbekämpfung hat.
Wir werden uns jedenfalls in diesem Sinne dafür einsetzen, mit aller gebotenen Sachlichkeit und Energie wie bisher weiter das Äußerste zu tun, damit unsere Bevölkerung sich in ihrem Staat sicherer und sicherer fühlen kann. Vieles ist getan, vieles bleibt noch zu tun. Wir wollen nach Kräften daran mitarbeiten.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Das Wort zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Kleinert zwei falsche Zitate von Herrn Kohl richtiggestellt hat, bin nunmehr auch ich gezwungen, eine weitere Unwahrheit zurückzuweisen. Herr Kohl hat die Büsumer Erklärung der schleswig-holsteinischen Jungsozialisten in den „Dunstkreis des Terrorismus" gerückt, wie Herr Strauß sich hier einmal ausgedrückt hat. Ich kenne den genauen Zusammenhang nicht, Frau Präsidentin, da ich wegen einer Ausschußsitzung nur an der Totenehrung teilnehmen konnte.
Ich möchte aber feststellen: Zu dieser Jungsozialisten-Resolution habe ich am 13. März 1975 hier im
Deutschen Bundestag erklärt - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -:
2. Die Resolution enthält eine scharfe Verurteilung der Terroristen. Sie nennt Terror Terror und die Taten der Baader-Meinhof-Anarchisten „menschenverachtende Verbrechen".
3. In der Resolution distanzieren sich die Jungsozialisten von der Behauptung, die Baader-Meinhof-Häftlinge seien einer Isolationsfolter ausgesetzt .. .
4. In der Resolution heißt es wörtlich:
Für die Jungsozialisten gibt es keine politische Solidarität mit anarchistischen Terroristen. Anarchistische Gewalttäter sind keine Linken, sind vielmehr objektive Handlanger und willige Werkzeuge der äußersten Reaktion.
Man kann auch durch Weglassen - bewußt oder aus Unkenntnis - die Wahrheit verfälschen.
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Ich gehe davon aus, daß Herr Kohl nur mit dieser
Methode auch meinen Genossen Rentorf und die
Frankfurter Volkshochschule verdächtigen konnte.
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Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages für Donnerstag, 21. April 1977, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.