Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Chef des Bundeskanzleramtes hat mit Schreiben vom 9. Mai 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Spranger, Dr. Miltner, Dr. Langguth, Dr. Wittmann ({0}), Dr. Jentsch ({1}), Regenspurger, Kraus, Lintner, Voigt ({2}), Glos, Hartmann, Dr. Waigel, Dr. Laufs, Gerlach ({3}), Biechele, Berger ({4}) und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten mit dem Magazin „Stern" - Drucksache 8/3959 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/4002 verteilt.
Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 24. April bis 8. Mai 1980 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/4013 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen.
Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 der Geschäftsordnung den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1980 ({5}) dem Haushaltsausschuß überwiesen.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Aufhebbare Dreiundvierzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - ({6})
Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 3. Juli 1980 vorzulegen
Aufhebbare Sechsundvierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung ({7})
Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 3. Juli 1980 vorzulegen
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksachen 8/3981, 8/3996 Ich rufe die Dringlichen Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Jäger ({8}) - Drucksache 8/3996 - aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf:
Was gehört nach Auffassung der Bundesregierung zu den „notwendigen Voraussetzungen" für die Reise des Bundeskanzlers nach Moskau, die Bundesminister Genscher nach Presseberichten bei seinem Treffen am kommenden Freitag mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko in Wien schaffen will, und gehört dazu auch die Erfüllung der von der UdSSR am 31. Juli 1975 gegebenen Absichtserklärungen in Korb III der Schlußakte von Helsinki?
Wird der Bundesminister des Auswärtigen am kommenden Freitag in Wien bei den vorbereitenden Gesprächen über die Reise des Bundeskanzlers nach Moskau auch die Erlaubnis der Aussiedlung aus der UdSSR für Tausende Deutsche bzw. deutschstämmige Personen in die Bundesrepublik Deutschland als eine der notwendigen Voraussetzungen ansehen, die für die Kanzler-Reise geschaffen werden müssen?
Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung. Bitte!
Es ist zutreffend, daß am Freitag in Wien eine Unterredung zwischen Herrn Genscher und Außenminister Gromyko vorgesehen ist. Das Gespräch gehört in einen allgemeinen Rahmen von Konsultationen, die auf Außenministerebene seit langem stattfinden.
Es versteht sich von selbst, daß neben der Behandlung bilateraler Fragen - wie der Vorschlag des Besuchs des Herrn Bundeskanzlers in Moskau - bei dieser Konsultation auch über die uns alle mit großer Sorge erfüllenden internationalen Konfliktherde gesprochen werden wird.
In der Frage der Reise nach Moskau steht die Bundesregierung in Abstimmung mit ihren westlichen Partnern und in vorbereitenden Kontakten mit der Sowjetunion.
Gestaltung und Zielsetzung des Besuchs werden in dem erkennbaren Bemühen liegen, in einer schwierigen weltpolitischen Lage den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Von diesem Bemühen waren auch die französisch-sowjetischen Gespräche beim Besuch des sowjetischen Außenministers in Paris getragen. Diese Bemühungen liegen auch der Begegnung des amerikanischen Außenministers Muskie mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko zugrunde, die ebenfalls geplant ist.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß der Bundesminister des Auswärtigen in Wien bei den von Ihnen eben bestätigten Gesprächen Voraussetzungen dafür schaffen will, daß die Moskaureise des Bundeskanzlers stattfinden kann? Und was sind das für Voraussetzungen?
Herr Kollege, ich darf noch einmal auf meine hier eben vorgetragene Antwort verweisen. Ich sagte darin: Es versteht sich von selbst, daß neben der Behandlung bilateraler Fragen - wie der Vorschlag des Besuchs des Herrn Bundeskanzlers in Moskau - bei dieser Konsultation auch über internationale Konfliktherde gesprochen werden wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie meine Frage immer noch nicht beantwortet haben, möchte ich gern wissen: Unter welchen Voraussetzungen - sprich: bei der Wahrscheinlichkeit welcher wichtigen Ergebnisse einer solchen Reise - sieht der Bundesminister des Auswärtigen die Möglichkeit einer Moskausreise des Bundeskanzlers für gegeben an?
Herr Kollege, ich darf es noch einmal wiederholen, weil ich es da17402
Staatsminister Dr. von. Dohnanyi
durch vielleicht noch präziser mache: Neben den selbstverständlich anstehenden bilateralen Fragen werden sicherlich auch internationale Probleme diskutiert werden.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, muß ich Ihrer Antwort entnehmen, daß der Bundesminister des Auswärtigen die in der Presse wiedergegebene Auffassung nicht hat und daß die Reise des Bundeskanzlers ohne die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen stattfinden wird?
Herr Kollege, Sie müssen das nicht entnehmen. Vielmehr verweise ich auf die Ihnen hier eben von mir gegebene Antwort.
Bitte, Herr Abgeordneter, die letzte Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie zu meiner zweiten Frage noch nicht Stellung genommen haben, möchte ich Sie fragen, ob zu den Gesprächsgegenständen, die zur Vorbereitung einer möglichen Moskaureise gehören, auch das Drängen auf die endliche Verwirklichung der Zusage zählt, daß deutsche und deutschstämmige Aussiedler aus der Sowjetunion endlich die notwendige Erlaubnis erhalten.
Herr Kollege, ich darf noch einmal auf die Ihnen gegebene Antwort zurückkommen. Ich hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, daß neben den anstehenden bilateralen Fragen selbstverständlich auch eine Diskussion über internationale Konfliktherde stattfinden wird.
Bitte, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, hat die Abstimmung mit den westlichen Verbündeten, auf die Sie in der ersten Antwort hingewiesen haben, schon zu einer Entscheidungsreife über die Reise geführt?
Herr Kollege, ich sagte, die Bundesregierung steht in Abstimmung mit ihren westlichen Partnern.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister, Herr Präsident, ich bin nicht davon ausgegangen, daß der Abgeordnete soeben eine zweite Zusatzfrage gestellt hat. Wenn das der Fall wäre, dann müßte ich sie beantworten.
Das ist nicht der Fall, Herr Staatsminister. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler zur Verfügung.
Herr Staatssekretär, die Fragen 16 und 17 des Herrn Abgeordneten Kiechle sowie Frage 20 des Herrn Abgeordneten Werner sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf:
.Ist es zutreffend, daß ab 1. März 1980 Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes auf Grund der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Bundesbesoldungsgesetz mehr als 100 DM Einkommensminderung hinnehmen müssen, wenn jeweils mehr als 210 DM im Monat an Kindesunterhalt vom anderen Elternteil geleistet werden, und wie hoch ist gegebenenfalls die Gesamtzahl der betroffenen Beamten und Angestellten?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen 12 und 13 gemeinsam beantworten könnte.
({1})
Dann rufe ich auch Frage 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die bisherige Regelung der Unterhaltsbemessungsgrenze, die für die Gewährung der Zahlung des Ortszuschlags der Stufe 3 und höher maßgebend war, wieder wirksam werden zu lassen, um ungerechtfertigte Einkommensminderungen zu verhindern?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nach Nr. 40.2.8. der am 1. März 1980 in Kraft getretenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesbesoldungsgesetz vom 23. November 1979 kann von einer Unterhaltsgewährung, insbesondere für ein in die Wohnung aufgenommenes Kind, im Sinne des § 40 Abs. 2 Nr. 4 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Regel ausgegangen werden, wenn die dem Beamten für den Unterhalt des Kindes zufließenden Mittel nicht mehr als 360 DM im Monat betragen. Zu diesen Mitteln zählen auch das speziell für den Unterhalt gewährte Kindergeld und der Kinderanteil im Ortszuschlag in - pauschalierter - Höhe von insgesamt 150 DM im Monat. Erhält ein Beamter diese Leistungen, dürfen deshalb weitere für den Unterhalt des Kindes bestimmte Mittel den Betrag von 210 DM im Monat nicht überschreiten. Durch die pauschale Berücksichtigung von Kindergeld und Kinderanteil im Ortszuschlag in Höhe von 150 DM wird vermieden, daß künftige Erhöhungen dieser Leistungen zu Überschreitungen des Höchstbetrages führen.
Die genannte Verwaltungsvorschrift hat keine Verschlechterung der bisherigen Rechtslage .gebracht, denn auch vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift bezifferte sich der für die Anwendung des § 40 Abs. 2 Nr. 4 des Bundesbesoldungsgesetzes maßgebliche Höchstbetrag auf 360 DM im Monat. Bei der Ermittlung dieses Betrages waren entsprechend dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift ebenfalls Kindergeld und Kinderanteil im Ortszuschlag zu berücksichtigen; es ist z. B. im Bereich des BMI und in anderen Bereichen schon bisher entsprechend verfahren worden.
Parl. Staatssekretär von Schoeler
Wenn in den Ihrer Anfrage zugrunde liegenden Fällen die Betroffenen gleichwohl nicht mehr den Unterschiedsbetrag zwischen den Stufen 1 und 2 des Ortszuschlages erhalten, so beruht dies darauf, daß in den Bereichen, in denen sie tätig sind, bislang das ihnen gewährte Kindergeld und der Kinderanteil im Ortszuschlag entgegen dem Regelungszweck außer Ansatz blieben. Diese Leistungen sind nunmehr einheitlich auf Grund der Klarstellung durch die Verwaltungsvorschrift zu berücksichtigen. Über diese Klarstellung waren sich Bund und Länder bei der Beratung der Verwaltungsvorschrift einig. Sie fand auch die einhellige Zustimmung des Bundesrates.
Es sei noch bemerkt, daß die Verwaltungsvorschrift für andere als Regelfälle keinen Höchstbetrag beziffert. Bei einer außergewöhnlichen Unterhaltsbelastung aus Gründen, die in der Person des Kindes liegen, ist vielmehr auf den Einzelfall abzustellen.
Ich mache ferner darauf aufmerksam, daß sich der Bundesminister des Innern in seinem Rundschreiben vom 18. Dezember 1979 allgemein damit einverstanden erklärt hat, den Ortszuschlag bei einer Minderung auf Grund der allgemeinen Verwaltungsvorschrift in bisheriger Höhe so lange weiter zu gewähren, bis Zahlungen aus der nächsten allgemeinen Besoldungserhöhung geleistet und verrechnet werden können. Dadurch werden insoweit die bisherigen Bezüge betragsmäßig nicht gemindert.
Eine Änderung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift, die erst vor zwei Monaten in Kraft getreten ist, hält die Bundesregierung aus den dargelegten Gründen derzeit nicht für angezeigt.
Angaben über die Gesamtzahl der Betroffenen liegen mir nicht vor; sie müßten bei den für die Festsetzung der Besoldung, Versorgung und Vergütungen zuständigen Dienststellen in Bund, Ländern und Gemeinden erfragt werden.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für diese sehr ausführliche Antwort, auf Grund derer ich Sie eigentlich nur fragen kann: Wenn es doch noch Fälle gibt, in denen berechtigte Personen glauben, ungerechtfertigte Einkommensverluste hinnehmen zu müssen, sind Sie dann bereit, dies in Ihrem Haus noch einmal überprüfen zu lassen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Riedl, ich habe eine so umfangreiche Antwort gegeben, weil Sie und auch noch weitere Fragesteller Fragen - teils mündlich, teils schriftlich - zu diesem Thema eingereicht haben. Daher wollte ich den Sachverhalt einmal umfassend darstellen.
({0})
Zweite Bemerkung. Selbstverständlich bin ich bereit, jeden Sachverhalt, den Sie im einzelnen noch vortragen, detailliert zu prüfen. Eine Rechtsänderung erscheint mir aus den dargelegten Gründen weder angebracht noch möglich.
Drittens habe ich darauf hingewiesen, daß der Bundesminister des Innern am 18. Dezember 1979 eine Regelung für mögliche Härtefälle, die sich aus dem Übergang der bisherigen Anwendung des § 40 des Bundesbesoldungsgesetzes in die neue Praxis ergeben könnten, getroffen hat. Ich glaube, Ihre Frage ist damit beantwortet.
Ich rufe Frage 14 des Abgeordneten Dr. Weber auf. Dr. Weber ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 21 - des Abgeordneten Dr. Schweitzer - auf:
Werden Gehaltszulagen, die Trainer von Sportlern aller Sportarten für die erfolgreiche Teilnahme ihrer Sportler im Rahmen von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen erhalten sollen, gegebenenfalls direkt oder indirekt aus Steuermitteln finanziert?
Herr Kollege, die Höhe der Aufwendungen für Bundestrainer ist von den Erfolgen der von ihnen persönlich betreuten Sportler oder Mannschaften abhängig. Leistungskriterien sind hierbei u. a. Medaillen bei Olympischen Spielen, aber ebenso Plazierungen bei Welt- oder Europameisterschaften, Weltcup- oder Europacup-Veranstaltungen.
Die Bundestrainer sind Angestellte des Deutschen Sportbundes. Die Aufwendungen für die Vergütung der Bundestrainer werden dem Deutschen Sportbund aus den Sportförderungsmitteln des Bundesministeriums des Innern als Projektförderung zur Verfügung gestellt.
Die Gesamtaufwendungen für 120 Bundestrainer belaufen sich im Haushaltsjahr 1980 auf zirka 7 Millionen DM. Dieser Betrag ist in dem für die Förderung des Sports ausgewiesenen Betrag in Höhe von 51,01 Millionen D-Mark enthalten. Im einzelnen darf ich auf den Bundeshaushaltsplan, die dort im Detail gegebene Erläuterung verweisen.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, können Sie in diesem Zusammenhang nähere Angaben über das Verhältnis der finanziellen Förderung aus öffentlichen Mitteln für tatsächlich an internationalen Wettkämpfen teilnehmende Sportler und andere Personenkreise machen, also sogenannte „Offizielle" bzw. „Sportfunktionäre", die an solchen Wettkämpfen ja nur sehr indirekt teilnehmen, wenn ich es einmal so ausdrücken darf?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine entsprechende Förderung durch die Bundesregierung, die sich an den jeweiligen Erfolgen orientiert, gibt es nur in dem dargestellten Fall der Bundestrainer, in keinem anderen Fall.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Ich hatte die Frage etwas erweitert und ganz generell nach der finanziellen Förderung von an solchen internationalen Veranstaltungen teilnehmenden Funktionären gefragt.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schweitzer, die Förderung von teilnehmenden Sportlern erfolgt durch die Förderung der betreffenden Fachverbände und Dachorganisationen. Ich müßte Sie also bitten - wenn Sie einen speziellen Punkt erfragen wollen -, mir noch etwas detailliertere Fragen an die Hand zu geben, damit ich Ihre Fragen beantworten kann.
Keine weitere Zusatzfrage mehr.
Ich rufe Frage 22 des Abgeordneten Benz auf. Der Abgeordnete Benz ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Das gleiche gilt für Frage 23.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Schüler zur Verfügung.
Ich rufe Frage 91 des Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach auf:
Trifft es zu, daß ein Brief Präsident Carters an Bundeskanzler Schmidt, in dem der amerikanische Präsident die Bundesregierung über Zeitpunkt des Inkrafttretens und Umfang der amerikanischen Sanktionen gegen den Iran informierte, im Bundeskanzleramt zwei Tage lang verschollen blieb, und wenn ja, wie ist dies möglich, und welche Konsequenzen werden aus diesem Vorfall gezogen?
Herr Staatssekretär.
Dr. Schüler, Staatsekretär, Chef des Bundeskanzleramtes: Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, war am Osterwochenende darauf vorbereitet, daß der amerikanische Präsident bald bereits früher angekündigte wirtschaftliche und politische Maßnahmen bekanntgeben würde, nachdem sich in der Vorwoche aufgekeimte Hoffnungen auf eine Überstellung der Geiseln an die iranische Regierung zerschlagen hatten. Ein Staatssekretärsausschuß war bereit, bei Bedarf nach Bekanntgabe der Maßnahmen zusammenzutreten. Dieser Ausschuß tagte auch am Dienstag, 8. April, nachdem der amerikanische Präsident die Maßnahmen am Abend des Ostermontags, des 7. April, bekanntgegeben hatte.
Ein Brief Präsident Carters, in dem er diese Bekanntgabe von Maßnahmen für die nächsten Tage ankündigte, ohne die Maßnahmen zu nennen, wurde am Sonntag, 6. April 1980, von einem Beamten der US-Botschaft an der Hauptwache des Bundeskanzleramtes abgegeben. Der Briefumschlag wies als Absender die US-Botschaft in Bonn aus und war weder als eilbedürftig noch als politisch wichtig gekennzeichnet. Deshalb wurde er nicht an den ständig im Kanzleramt anwesenden Beamten vom Dienst weitergegeben, sondern bei Dienstbeginn am 8. April 1980 weitergeleitet.
Im Bundeskanzleramt sind organisatorische Vorkehrungen getroffen worden, um einen solchen Vorgang, der bisher noch nicht vorgekommen ist, in Zukunft zu verhindern.
Bitte, Herr Abgeordneter.
von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}): Herr Staatssekretär, ist es normal, daß ein
Brief, der von einer befreundeten Botschaft abgegeben wird und der in diesem Fall, wie Sie soeben gesagt haben, durch einen entsprechenden Absender gekennzeichnet ist, zunächst einmal liegenbleibt, insbesondere in Zeiten, in denen Konsultation dringend erforderlich ist, wie sie von der Bundesregierung ja auch immer angemahnt worden ist? Ist das normal, oder sind die Konsequenzen, die Sie jetzt daraus gezogen haben, doch das Eingeständnis einer peinlichen Panne?
Ich habe gesagt, Herr Abgeordneter, daß es ein Vorgang ist, der sich nicht wiederholen darf und sich auch nicht wiederholen wird. Im übrigen ist es diplomatischer Brauch, der auch ständig so geübt wird, daß derartige Sendungen angekündigt werden. Das ist hier nicht geschehen. Im übrigen, Herr Abgeordneter, ist es aber so, daß die Dichte der Beziehungen dafür bürgt, daß ein solcher Vorgang überspielt wird, wie es ja auch in diesem Falle geschehen ist. Praktische Konsequenzen sind aus diesem Vorgang nicht erwachsen.
Bitte, Herr Abgeordneter.
von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}): Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben, der Brief sei mit dem Absender „US-Botschaft" abgegeben, insofern nicht als eilbedürftig erkannt und insofern diese zwei Tage auch normal abgelegt worden, möchte ich noch einmal nachfragen: Was machen Sie mit anderen Briefen - es werden dort ja gelegentlich Briefe abgegeben - ähnlicher Art? Werden die alle erst einmal irgendwo „geparkt", oder ist es normale Übung, daß Briefe, die eingehen, dem diensthabenden Beamten vorgelegt werden, der sie öffnet und ihre Bedeutung erkennt?
Das ist die ständige Praxis, Herr Abgeordneter. Ich habe gesagt, daß ein Beamter zu jeder Tageszeit anwesend ist, der auch für solche Aufgaben zur Verfügung steht. Die normale Praxis ist, daß ein solcher Brief sofort zu diesem Beamten befördert und dort geöffnet wird. Daraufhin werden dann die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Das ist hier nicht geschehen. Solche Vorgänge, Herr Abgeordneter, wird es, denke ich, in jeder Großorganisation geben, solange es solche Organisationen gibt.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger, bitte.
Herr Staatssekretär, da solche Briefe ja auch in einer sicherheitsrelevanten Beziehung zu dem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten stehen können: Gibt es denn keine klare Anweisung, daß Briefe dieser Art dem diensthabenden Beamten unverzüglich vorgelegt werden müssen, da ja die Bedeutung eines Briefes am Umschlag allein noch nicht erkannt werden kann?
Diese Weisung gibt es inzwischen in noch größerer Klarheit, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Hasinger.
Herr Staatssekretär, welche konkreten Änderungen innerorganisatorischer Art, von denen Sie gesprochen haben, sind im Bundeskanzleramt getroffen worden, damit sich derartig peinliche Pannen nicht wiederholen?
Die Sicherstellung, daß jeder Brief sofort dem Beamten vom Dienst vorgelegt wird, auch wenn er erkennbar nicht eilig oder bedeutsam ist.
Vizepräsdent Wurbs: Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, an wen war denn der Brief adressiert?
Da muß ich auf dem
({0})
Umschlag nachsehen. - Er war an den Bundeskanzler Helmut Schmidt adressiert, Herr Abgeordneter. Aber derartige Briefe gehen täglich in großer Zahl ein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja, bitte.
Herr Staatssekretär, war der Adresse nicht die besondere Wichtigkeit des Briefes zu entnehmen?
Herr Abgeordneter, ich habe soeben schon gesagt, daß täglich eine große Zahl von Briefen an den Bundeskanzler eingehen.
({0})
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen.
Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach auf:
Wann und in welcher Form hat die Bundesregierung von der amerikanischen Regierung die ersten Hinweise und Informationen über die beabsichtigte Befreiung der in der Teheraner Botschaft festgehaltenen Geiseln erhalten, und kann im Lichte der tatsächlichen Informationen wirklich der Vorwurf mangelnder Konsultation aufrechterhalten werden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Bundesregierung ist von der amerikanischen Befreiungsaktion vorher nicht unterrichtet worden. Angesichts der Zielsetzung der Aktion wurde der Vorwurf mangelnder Konsultation von der Bundesregierung auch nicht erhoben.
Bitte, Herr Abgeordneter.
von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}): Herr Staatsminister, wir hatten ja schon einmal Interpretationsprobleme dahin, was Dementis sein können und nicht sein können. Auf Grund der Meldungen, die die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 6. Mai gebracht hat und für die ein Journalist verantwortlich zeichnet, hinsichtlich dessen Recherchen ich die höchste Meinung habe - er schreibt, daß der Bundesregierung bereits im März Mitteilungen zugegangen seien -, möchte ich Sie doch fragen: Wie erklären Sie sich diese Meldungen?
Herr Kollege, ich kann die Meldung wirklich nicht erklären, sondern nur wiederholen, was ich hier gesagt habe. Ich wiederhole: Die Bundesregierung ist von der amerikanischen Befreiungsaktion vorher nicht unterrichtet worden. Aber angesichts der Zielsetzung hätten wir das auch nicht erwartet. Infolgedessen gab es auch keinen Vorwurf mangelnder Konsultation.
Bitte, Herr Abgeordneter.
von der Heydt Freiherr von Massenbach ({0}): Darf ich, Herr Staatsminister, noch einen Versuch machen. Hat es vielleicht doch im Zuge der laufenden Konsultationen und Überlegungen einen Austausch über Erwägungen gegeben, daß in dieser Hinsicht vielleicht an etwas hätte gedacht werden können, aus dem für die Bundesregierung erkennbar war, daß mit solchen Gedanken in der amerikanischen Regierung gespielt worden ist?
Herr Kollege, wie soll ich eine solche Konjunktivfrage beantworten?
({0})
Ich möchte wiederholen, was ich gesagt habe. Die Antwort war doch klar. Die Bundesregierung ist nicht informiert worden. Sie hat in dieser Frage auch nicht den Anspruch erhoben, informiert zu werden, und daher auch nicht einen Vorwurf mangelnder Konsultation erhoben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 93 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 94 auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß im Hinblick auf die jüngsten weltpolitischen Entscheidungen die Ankündigung und die Vorbereitung eines offiziellen, feierlichen Gegenbesuchs des Bundeskanzlers in Moskau dem Interesse der freien Welt abträglich wäre und den inneren, vertrauensvollen Zusammenhalt des Atlantischen Bündnisses schwer belasten würde?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Antwort lautet nein.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, rechnet die Bundesregierung damit, daß der
Bundeskanzler seine Reise nach Moskau mit einem Verhandlungsauftrag oder mit bestimmten Verhandlungsgesprächsaufträgen der westlichen Verbündeten antreten wird?
Herr Kollege, ich sagte vorhin im Zusammenhang mit den Dringlichkeitsanfragen, daß die Bundesregierung in Abstimmung mit den westlichen Partnern in dieser Frage steht.
Weitere Frage, Graf Stauffenberg? - Bitte.
Herr Staatsminister, für welchen Zeitraum ist die Reise geplant?
({0})
Herr Kollege, ich darf noch einmal wiederholen: Über alle Einzelheiten besteht noch ein Prozeß der Abstimmung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wird die Reise nach Moskau auch wesentlich von dem Ergebnis der Abstimmung mit den Verbündeten abhängen?
Herr Kollege, wir stehen mit den Partnern im Bündnis in Abstimmung über die Reise.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, können Sie dem Hause mitteilen, unter welchen Voraussetzungen die Bundesregierung eine solche Reise als politisch vertretbar ansehen würde?
Herr Kollege, ich wiederhole, was ich bei der Dringlichkeitsfrage gesagt habe. Die Bundesregierung steht in Abstimmung mit den westlichen Bündnispartnern und in Kontakten mit der Sowjetunion.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, welches Gewicht wird die Bundesregierung einer Zustimmung - oder Ablehnung - der Verbündeten zu dieser Reise beimessen?
Herr Kollege, in Ihrer Fragestellung ergeben sich Hypothesen in der einen oder anderen Richtung, und ich sehe mich nicht imstande, hypothetische Fragen von dieser Stelle aus zu beantworten.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Teilt die Bundesregierung die Sorge, daß die Glaubwürdigkeit und die Ernsthaftigkeit ihrer Empfehlung an deutsche Sportler und Sportorganisationen, unter den gegebenen Verhältnissen den Olympischen Spielen in Moskau fernzubleiben, zweifelhaft und in Frage gestellt wird, wenn gleichzeitig die Vorbereitungen für eine aufwendige, staatsbesuchsartige Reise des Bundeskanzlers nach Moskau. bekanntgegeben wird?
Herr Kollege, die Antwort lautet leider wiederum nein.
Zu einer Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Überraschend, Herr Staatsminister.
Herr Staatsminister, gehe ich recht in der Annahme, daß die geplante Reise im formellen Sinne eine offizielle Reise sein soll?
Herr Kollege, wenn der Herr Bundeskanzler reist, ist das wohl eine offizielle Reise.
Zu einer zweiten Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, ist sich die Bundesregierung bewußt über den Eindruck, den es haben wird und haben muß, wenn der Bundeskanzler unter den gegebenen Verhältnissen im Rahmen eines formellen, offiziellen Besuches eine Ehrenformation der gleichen Roten Armee abschreiten wird, die in Afghanistan gerade beim Völkermord beschäftigt ist?
Herr Kollege, wiederum möchte ich sagen: Hypothetische Fragen
({0})
über hypothetische Formen einer Reise kann ich wirklich von dieser Stelle aus nicht beantworten. Können wir uns nicht darauf einigen,
({1})
daß eine Abstimmung über die Reise im westlichen Bündnis stattfindet und daß es Kontakte, Herr Kollege, über diese Reise mit der Sowjetunion gibt?
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß für die deutschen Sportler, denen seitens der Bundesregierung und von seiten dieses Hauses empfohlen wurde, nicht nach Moskau zu fahren, eine Moskau-Reise des Bundeskanzlers nur dann einen Sinn hat, wenn dabei greifbare und bedeutsame politische Erfolge für die Menschen, sei es in der Sowjetunion, sei es im geteilten Deutschland, herausspringen?
. ({0})
Herr Kollege, über die Zielsetzung der Reise habe ich vorhin an anderer Stelle gesprochen. Ich möchte es nicht wieStaatsminister Dr. von Dohnanyi
derholen. Ich glaube, daß ich damit auch auf Ihre Frage ausreichend Auskunft gegeben habe.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Voss. Bitte.
Herr Staatsminister, sehen Sie eine Möglichkeit, die Reise des Bundeskanzlers nach Moskau so einzurichten, daß Fragen des Protokolls, die sonst bei offiziellen Reisen eine bedeutende Rolle spielen, in entsprechender Weise abgemindert werden können?
Herr Kollege, darf ich noch einmal sagen: Sie wollen hier zu einer hypothetischen Situation Fragen stellen, die zu diesem Zeitpunkt an dieser Stelle nicht beantwortet werden können. Genügt nicht das, was ich gesagt habe?
({0})
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke, bitte.
Herr Staatsminister, ist dem Auswärtigen Amt bekannt, wie weit die Pläne einer Moskau-Reise des Kanzlerkandidaten der Unionparteien, Strauß, inzwischen gediehen sind?
Herr Kollege Ehmke: Nein.
({0})
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Czaja auf:
Teilt die Bundesregierung die von der Volksrepublik Polen voll unterstützte Rechtsauffassung der Sowjetunion in den Verhandlungen über die Völkermordkonvention vom 11. Dezember 1948 ({0}), daß nach allgemeinem Völkerrecht unter „kulturellem Völkermord" u. a. Handlungen zu verstehen sind, „welche den Gebrauch der Muttersprache im täglichen Verkehr oder in den Schulen, sowie den Druck und die Verbreitung und Veröffentlichung in der Muttersprache verbieten" ({1}), und ist sie bereit, mit der Regierung der Volksrepublik Polen Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, daß die Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten die ihnen bisher vorenthaltenen Rechte erhalten?
Herr Kollege, die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung nicht.
Zusatzfrage, bitte.
Hat die Bundesregierung Einwendungen gegen die im Antrag verbal enthaltene sowjetische Rechtsauffassung, daß verwerflich und verboten alle Handlungen sein sollten - ich zitiere den Antrag -, „welche den Gebrauch der Muttersprache im täglichen Verkehr oder in den Schulen sowie den Druck und die Verbreitung und Veröffentlichung in der Muttersprache verbieten"? Warum kann diese Rechtsauffassung von der Bundesregierung nicht geteilt werden?
Herr Kollege, weil Ihre Darstellung, wie Sie sie in dieser langen
Frage unterstellt haben, so nicht zutrifft und die Tatsachen Ihrer Unterstellung nicht entsprechen.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem die Tatsachen aus Dokumenten der Vereinten Nationen zitiert sind, frage ich Sie, ob, nachdem man die Ablehnung des sowjetischen Antrags - der übrigens von der polnischen Regierung ausdrücklich gebilligt wurde - mit Vertagung auf eine spätere Konvention begründete, nicht hinter Artikel 27 des Menschenrechtspakts für bürgerliche und politische. Rechte der gleiche Gedanke steht, wenn dort die Verpflichtung enthalten ist, daß Angehörigen von nationalen Gruppen zu gewährleisten ist, ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen?
Herr Kollege, die Sowjetunion hat ausweislich der von Ihnen genannten Summary records nicht die von Ihnen behauptete Rechtsauffassung zum allgemeinen Völkerrecht vertreten. Sie hat dort vielmehr erklärt, sie halte den „kulturellen Völkermord" für einen Aspekt des Völkermords, der durch die Völkermordkonvention de lege ferenda, also erstkünftig, geregelt werden solle. Die Mehrheit der VN-Mitgliedstaaten hat allerdings die zukünftige Regelung damals abgelehnt.
Insofern komme ich auf meine erste Antwort zurück: Die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung nicht, weil schon die von Ihnen behaupteten Tatsachen so nicht zutreffen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger. Bitte.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß die Sowjetunion an ihre damaligen Absichten, dies eindeutig und klar zu regeln, erinnert wird und daß sie einer Interpretation der bereits geltenden völkerrechtlichen Bestimmungen in diesem Sinn ihre Zustimmung gibt?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat die Problematik, die der Frage des Herrn Kollegen Czaja zugrunde liegt, nämlich die Nutzung der eigenen Muttersprache usw., wiederholt in bilateralen Gesprächen aufgenommen. Sie wird dies auch in Zukunft tun.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. Ich bedanke mich, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 26 der Frau Abgeordneten Dr. Czempiel.
Vizepräsident Wurbs
Sind Bemühungen um die Fortbildung der Familienrichter - vor allem im psychologisch-pädagogischen Bereich - unternommen worden, und liegen der Bundesregierung Erfahrungsberichte über die Anhörung minderjähriger Kinder zur Vorbereitung von Sorgerechtsentscheidungen in Ehescheidungsverfahren vor?
Die Familienrichter stehen im Dienst der Länder. Für diese Richter werden Fortbildungsveranstaltungen auf überregionaler Ebene von der Deutschen Richterakademie in Trier, auf regionaler Ebene von den Landesjustizverwaltungen durchgeführt. Insbesondere seit dem Inkrafttreten des Ersten Eherechtsreformgesetzes gehört das Familienrecht zu den Schwerpunkten des Jahresprogramms der Deutschen Richterakademie, einer vom Bund und den Ländern gemeinsam getragenen Einrichtung. Allein im Jahre 1977, in dem die Familiengerichte gebildet worden sind, hat die Deutsche Richterakademie diesen Rechtsgebieten neun und in den beiden folgenden Jahren weitere neun Fortbildungstagungen gewidmet. Dabei wurden auch Fragen aus dem psychologischen und pädagogischen Bereich, insbesondere auch im Hinblick auf die am Kindeswohl auszurichtenden Sorgerechtsentscheidungen, behandelt.
Ergänzt wird das Programm der Richterakademie durch die Landesjustizverwaltungen, die vor allem im Jahre 1977, aber auch in den folgenden Jahren eine beträchtliche Anzahl von Fortbildungsveranstaltungen für Familienrichter angeboten haben.
Gelegenheit zu einem Meinungsaustausch der Familienrichter über erforderliche psychologische und pädagogische Elemente ihrer Entscheidungsfindung bietet im übrigen der vom Bundesministerium der Justiz geförderte Deutsche Familiengerichtstag, der sich auf seiner letzten Tagung im Herbst 1979 auch mit diesem Fragenbereich befaßt hat.
Zu der von Ihnen weiter angesprochenen Anhörung minderjähriger Kinder in Sorgerechtsangelegenheiten liegt der Bundesregierung ein Erfahrungsbericht nur für das früher geltende Recht - fakultative Fühlungnahme des Vormundschaftsgerichts mit dem Kind - vor. Es handelt sich um die 1977 abgeschlossene Untersuchung einer Frankfurter Forschungsgruppe. Diese Untersuchung bestätigte das von der Bundesregierung bereits damals bejahte Bedürfnis nach einer vermehrten Anhörung auch der betroffenen Kinder. Inzwischen ist mit der Neuordnung des Rechts der elterlichen Sorge, die die Bundesregierung schon in der vorigen Legislaturperiode durch ihren hierzu vorgelegten Gesetzentwurf eingeleitet hatte, auch die Anhörung der Kinder in Sorgerechtsangelegenheiten auf eine neue Grundlage gestellt worden.
Nach der jetzt maßgeblichen Regelung muß das Gericht vor seiner Entscheidung grundsätzlich das betroffene Kind anhören. Nur unter besonderen Umständen darf es hiervon absehen. Erfahrungsberichte über die Bewährung des neuen Rechts liegen noch nicht vor. Da das neue Recht erst am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, fehlt ein genügend breiter Erfahrungszeitraum.
Eine Zusatzfrage, bitte Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, ist geplant, derartige Erfahrungsberichte einzuholen, wenn die Zeit ein wenig fortgeschritten ist und man entsprechende Kenntnisse gesammelt hat? Es ist ja doch so, daß gerade Kinder, die in der häuslichen Misere psychisch schon sehr belastet sind, durch ungeschickte Befragungen noch weiteren psychischen Belastungen ausgesetzt werden.
Wie bei jeder bedeutenden Maßnahme wird auch hier nach geraumer Zeit ein Erfahrungsbericht erstellt, um feststellen zu können, ob die entsprechenden geänderten Bestimmungen wirksam sind oder nicht und welche weiteren Maßnahmen gebenenfalls getroffen werden müssen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Martiny-Glotz, bitte.
Herr Staatssekretär, da die Ausbildung der Familienrichter und die Ausstattung der Familiengerichte doch von Land zu Land sehr unterschiedlich sind, frage ich Sie: In welcher Weise ist denn sichergestellt, daß die zu findenden Erkenntnisse beim Bundesjustizministerium zusammenlaufen?
Es gibt drei Möglichkeiten, das sicherzustellen. Einmal gibt es in aller Regel - das gilt auch hier - von Zeit zu Zeit Berichte der Länder, die beim Bundesministerium der Justiz gesammelt und ausgewertet werden. Zum zweiten gibt der Familiengerichtstag, von dem ich sprach, die Möglichkeit, im Rahmen eines Forums über die Dinge sehr intensiv nachzudenken und zu sprechen. Das hat Rückwirkungen auf die Verwaltungen der Länder. Zum dritten können aus der Rechtsprechung ebenso wie aus der Literatur - und zwar in nicht geringem Maße - Erfahrungen gewonnen werden, die wiederum zu Rückfragen führen können, wenn daraus entnommen werden muß, daß es bei der Handhabung eines neuen Gesetzes Schwierigkeiten gibt.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Balser.
Könnte vom Justizministerium veranlaßt werden bzw. ist erwogen worden, eine Anleitung zur Gesprächsführung zu erstellen, die die psychologische Situation ausreichend berücksichtigt, und sie dann den Familienrichtern zur Verfügung zu stellen?
Ich sagte schon, zuständig sind in diesem Fall die Länder. Ich gehe davon aus, daß, wenn es Schwierigkeiten gibt, dies durchaus Gegenstand eines Tagesordnungspunktes einer Justizministerkonferenz sein kann. Falls erforderlich, schließe ich nicht aus, daß es auch hier Hinweise geben könnte. Aber ich glaube, daß hier wegen der richterlichen Unabhängigkeit mit großer Sorgfalt vorgegangen werden müßte.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Voss auf:
Wird sich die Bundesregierung bei den Gesprächen, die zur Zeit zwischen den beteiligten Bundesministerien sowie zwischen der Bundesregierung und den Kammern der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater geführt werden, von denen sie in ihrer Antwort auf die mündliche Anfrage A 22 ({0}) vom 18. April 1980 berichtet, in der Tendenz dafür einsetzen, daß auch Steuerberater die Zulassung als Abschlußprüfer für die vorgesehenen Pflichtprüfungen der GmbHs erhalten, und ist die Bundesregierung der Ansicht, daß der vergleichsweise hohe Ausbildungs- und Wissensstand der Steuerberater eine derartige Regelung rechtfertigt?
Hinsichtlich der von Ihnen gestellten Frage ist die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung wird sich jedenfalls dafür einsetzen, daß eine Regelung gefunden wird, die den berechtigten Interessen der betroffenen Steuerberater Rechnung trägt. Eine Entscheidung über die Form dieser Regelung wird spätestens bei der Verabschiedung des Regierungsentwurfs des Bilanzrichtliniengesetzes getroffen werden.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, vermögen Sie zu sagen, aus welcher Richtung Sie Widerstände gegen die Regelung, die Sie offensichtlich anstreben, erwarten? Sehen Sie diese Widerstände vornehmlich aus dem Bereich der Wirtschaftsprüfer oder aus dem europäischen Ausland?
Das läßt sich im einzelnen nicht differenzieren, weil wir jetzt noch im Stadium der Abstimmung sind. Es gibt berechtigte Anliegen der Steuerberater, ebenso berechtigte Anliegen der Wirtschaftsprüfer. Man darf nicht verkennen - um das hier deutlich zu machen -, daß etwa zwischen 30 000 und 40 000 Steuerberater betroffen sind, daß auf der anderen Seite diese Steuerberater jedenfalls jetzt noch keine Möglichkeit haben, in Zukunft wie ein Wirtschaftsprüfer bei GmbHs zu arbeiten. Hier muß es zu einer Güterabwägung kommen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Bundesregierung aber davon ausgeht, daß in jedem Fall versucht werden muß, den Besitzstand der Steuerberater zu wahren?
Das ist ein sehr wesentlicher Gesichtspunkt, den wir selbstredend zu beachten haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, könnten Sie das Hohe Haus vielleicht insofern erleuchten, als Sie uns sagen, was Sie unter dem Begriff „berechtigte Interessen" verstanden haben?
Es ist zur Zeit so, daß die Steuerberater Hilfe und Unterstützung bei Buchführung und Steuererklärung der GmbHs leisten - ich sagte: betroffen davon sind zwischen
30 000 und 40 000 Steuerberater -, daß sie aber nicht die Prüfung vornehmen können, wenn die Prüfungspflicht gegeben ist. Für den Fall, daß das in Rede stehende Gesetz in Kraft tritt und die Regelung gilt, daß die Wirtschaftsprüfer die Prüfung vorzunehmen haben, könnte das dazu führen, daß die Wirtschaftsprüfer auch die steuerliche Beratung vornehmen. Dies bedeutete einen Einbruch in die Tätigkeit der Steuerberater.
Hier gilt es, einen Interessenausgleich durchzuführen. Deswegen sprach ich von „berechtigten Interessen" der Steuerberater, weil hier ein Einbruch möglich ist. Wie der Ausgleich zustande kommen wird, kann ich selbstredend noch nicht sagen. Ich lege Wert darauf, zu betonen, daß wir versuchen werden, mit den beteiligten Verbänden zu einer Einigung zu kommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Cronenberg.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung - bei allem Respekt vor den berechtigten Interessen und der Besitzstandsproblematik - darauf achten, daß diejenigen, die dann zugelassen werden, durch entsprechende Prüfungen den Nachweis erbringen, daß der zu Beratende nicht benachteiligt wird, was dann der Fall wäre, wenn die Voraussetzungen bei dem Berater nicht vorlägen?
Das schließe ich bei der Güterabwägung, von der ich sprach, ein. Deutlich ist, daß eine Prüfung von GmbHs von uns bejaht wird; sonst stünden wir nicht zur Bilanzrichtlinie. Wenn das aber so ist, ist klar, daß ein entsprechendes Niveau gehalten werden muß.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Werner wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Böhme zur Verfügung.
Die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Hoffmann ({0}) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 30 der Frau Abgeordneten Dr. Martiny-Glotz auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Gottfried Claus, Abteilungsleiter im Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen ({1}) ({2}), daß Risikoüberschüsse und Zinsgewinne aus Kapitalanlagen keine Unternehmensgewinne im üblichen Sinne sind, sondern nicht benötigte Beitragsteile, die an die Versicherungsnehmer zurückzuzahlen bzw. auszuschütten sind, und wie beurteilt sie die Rückerstattungspraxis der Versicherungsunternehmen unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes?
Es ist richtig, daß Risikoüberschösse und Zinsgewinne der Lebensversicherungen keine Unternehmensgewinne im üblichen
Sinne sind, soweit sie auf den von der Aufsichtsbehörde vorgeschriebenen vorsichtigen Rechnungsgrundlagen beruhen. Soweit Überschüsse darüber hinausgehen und andere Ursachen haben, sind sie dagegen wie in anderen Gewerbezweigen als normaler Unternehmensgewinn anzusehen.
Andere Ursachen können sich insbesondere aus der Geschäftspolitik des Unternehmens, etwa beim Aufbau des Versicherungsbestandes, bei der Vermögensanlage, bei der Rückversicherungspolitik und aus anderen Gründen ergeben und sich in vergleichsweise höheren Gewinnen darstellen. Nur in diesem Sinne sind auch die von Ihnen zitierten Ausführungen von Herrn Claus zu verstehen.
Unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes ergeben sich für die Rückerstattungspraxis der Versicherungsunternehmen keine Folgerungen. Die Verletzung von Eigentum oder eigentumsähnlichen Rechten ist nicht ersichtlich. Es fehlt auch an hoheitlichen Eingriffen. Bloßes Dulden durch die Versicherungsaufsicht wäre noch kein Eingriff im Sinne des Art. 14 des Grundgesetzes.
Eine Zusatzfrage, bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß eine Organisation mit Namen „Zeller Kreis" die Vermögen, die durch Risikoüberschüsse und Zinsgewinne entstehen, auf 250 Milliarden DM beziffert?
Ich kann diese Zahl im aktuellen Zeitpunkt nicht bestätigen. Ich habe dazu keine Unterlagen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Selbst wenn die Zahl etwas zu hoch gegriffen sein sollte, was auch ich nicht beurteilen kann: Könnten Sie mir die Frage beantworten, wem diese Risikoüberschüsse und Zinsgewinne gehören?
Diese Risikoüberschüsse und Zinsgewinne werden nach der Praxis der Versicherungswirtschaft in dem angebotenen und angemessenen Umfang rückerstattet. Vergleicht man die Leistungen der Versicherungen gegenüber dem Versicherungskunden, so darf man nicht nur die Höhe der Prämie, sondern muß auch die Praxis der Rückerstattung sehen. Beides muß bei einem Leistungsangebot der jeweiligen Versicherung mit berücksichtigt, in die Bewertung einbezogen werden.
Ich rufe die Frage 31 der Frau Abgeordneten Dr. Martiny-Glotz auf:
Sind nach Ansicht der Bundesregierung die Einflußmöglichkeiten des Bundesamts für das Versicherungswesen ausreichend, um die auch vom BAV kritisierten unzureichenden Rückerstattungsquoten ({0}) der Versicherungsgesellschaften auf möglichst 100 v. H. anzuheben, oder sind gegebenenfalls gesetzliche Regelungen zu treffen, die ein Einschreiten des BAV im Interesse der Versicherungsnehmer sicherstellen?
Die Bundesregierung hält es für wichtig, das Interesse der Versicherten an angemessener Gewinnbeteiligung in der Lebensversicherung zu wahren. Die meisten Versicherer haben insoweit Leistungen vorzuweisen, die sich in beachtlichen Ausschüttungen an die Kunden niederschlagen. Wenn in Einzelfällen die Ausschüttungen nicht angemessen sind, greift die Versicherungsaufsicht mit den ihr schon jetzt zur Verfügung stehenden Mitteln ein.
Die Bundesregierung prüft zur Zeit, wie dieses Instrumentarium der Aufsichtsbehörde noch verbessert werden kann. Die Prüfung ist schon so weit fortgeschritten, daß mit einem gesetzlichen Verbesserungsvorschlag, der die Einflußmöglichkeiten der Versicherungsaufsicht erweitert, in Kürze gerechnet werden kann.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, die Rückerstattungen sind bei den Versicherungen auf Gegenseitigkeit und den anderen Versicherungen sehr unterschiedlich. Könnten Sie sich vorstellen, daß die Bundesregierung etwas intensiver dafür sorgte, daß diese Unterschiede auch den Versicherten deutlich werden?
Frau Abgeordnete, in der gesetzlichen Verbesserung, die ich in meiner Antwort erwähnte, wird es gerade darum gehen, durch Maßnahmen der Aufsichtsbehörde sicherzustellen, daß angemessene Überschüsse erzielt werden und den Versicherten möglichst weitgehend zufließen. Bei dieser Neuregelung soll auch eine Verbesserung der Transparenz und damit des Wettbewerbs herbeigeführt werden.
Noch eine Zuatzfrage, bitte.
In welcher Weise genießen Sie bei dieser Novellierung die Unterstützung der Versicherungswirtschaft?
Bei dieser Novellierung sind natürlich - wie üblich - Gespräche mit den zuständigen Verbänden zu führen. Dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen. Diese Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Auch die einzelnen Regelungen sind noch nicht endgültig und abschließend entschieden, so daß ich nur die allgemeine Zielrichtung angeben kann, so, wie ich es vorhin gemacht habe.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Diederich ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in Japan geregelte Aufteilung der Versicherungsprämie in einen Beitrag für den Schadensausgleich und einen Preis für die Dienstleistungen der Versicherungsunternehmen, und sieht sie Möglichkeiten, durch Obernahme des japanischen Systems die Interessen der Verbraucher nach Preisvergleich und voller Rückerstattung der Oberschüsse stärker zu berücksichtigen?
Den mir vorliegenden Unterlagen über Versicherungssysteme in Japan läßt sich eine Aufteilung der VersicherungsParl. Staatssekretär Dr. Böhme
prämie in einen Beitrag für den Schadenausgleich und einen Preis für die Dienstleistung der Versicherungsunternehmen nicht entnehmen. Ich werde aber auf Grund Ihrer Anfrage über die deutsche Botschaft in Tokio noch weitere Untersuchungen anstellen lassen.
Gegen eine Aufteilung der Prämie könnte folgendes sprechen:
Eine Aufteilung bringt dem Versicherungskunden keine wesentlich neue Information, die ihm bei der Einschätzung der Angebote nützen könnte. Entscheidend ist der Vergleich des Gesamtpreises und nicht seiner Bestandteile. Ein Vergleich nur von Dienstleistungspreisen ist keine brauchbare Grundlage für die Entscheidung des Kunden, weil offenbleibt, welche Ergebnisse aus dem Schadenbereich zu erwarten sind. Ein billiges Dienstleistungsangebot sagt überhaupt noch nichts über die Qualität des Versicherungsbestandes. Dieser aber ist bedeutsam für die Höhe der Schadenzahlungen, der Prämie sowie der Überschüsse.
Eine exakte Trennung der beiden Kostenbereiche dürfte überdies - insbesondere wenn es sich um Gemeinkosten handelt - kaum möglich und nur schwer zu kontrollieren sein.
({0})
Problematisch wäre es schließlich auch, festzustellen, welche Überschußteile für eine angemessene Eigenkapitalverzinsung und Rücklagenbildung abgezweigt werden sollen. Falls eine völlige Herauslösung des Risikobereichs aus dem Versicherungsunternehmen angestrebt wird, wäre eine Nachschußpflicht der Versicherungsnehmer für den Fall eines besonders ungünstigen Schadenverlaufs nicht zu umgehen. In beiden Fällen würde die unternehmerische Verantwortung der Versicherungen gravierend eingeschränkt.
Eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, würden Sie meiner Auffassung zustimmen, daß es in dieser Frage insbesondere darum geht, die Transparenz drastisch zu erhöhen, und könnten Sie sich vorstellen, daß - ähnlich wie im Bankenbereich, wo man ja auch versucht hat, dies durch entsprechende Gebührentabellen usw. herbeizuführen - diese Transparenz auch in der Versicherungswirtschaft stärker hergestellt werden kann?
Ich kann mir vorstellen, daß dies der Ansatzpunkt einer Regelung in Japan ist. Wie ich Ihnen sagen mußte, liegt allerdings nach den uns bekannten Informationen eine solche Aufteilung in Japan nicht vor. Die Gründe, die aus unserer Sicht und aus unserer Praxis gegen eine solche Aufteilung sprechen könnten, habe ich vorgetragen.
Ihr Anliegen aber, Herr Kollege, mehr Transparenz und auch mehr Möglichkeiten für das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen zu haben, wird unterstützt, und das ist der Grund dafür, daß die Bundesregierung jetzt eine Neuregelung beabsichtigt, die mehr Transparenz, vor allen Dingen eine bessere Ubersicht über die Leistungsangebote der Versicherungen, und mehr Wettbewerb ermöglicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? - Nein.
Dann rufe ich Frage 33 des Herrn Abgeordneten Diederich ({0}) auf:
Werden die Verbraucher nach Meinung der Bundesregierung ausreichend darüber informiert, daß sie bei einigen Versicherungsgesellschaften die steigenden Kosten für Werbung und Vertrieb, d. h. die Vertreterprovisionen, mit ihren Versicherungsprämien voll finanzieren, während bei anderen Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit diese Kosten zum Teil überhaupt nicht entstehen, und könnte die Information darüber nicht durch Aufteilung der Prämie in einen Schadensbeitrag und einen Preis für die Dienstleistung gefördert werden?
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß vor allem im Bereich der Lebensversicherungen die Transparenz der Versicherungsleistungen, insbesondere der Beitragsrückerstattungen, verbessert werden muß. Zusätzliche Informationen über Kostenteile würden hierzu nicht entscheidend beitragen. Es kommt vielmehr darauf an, dem Versicherungskunden den Vergleich möglich zu machen, welche Überschußbeteiligungen die einzelnen Versicherer gewähren. In meiner Antwort auf die zweite Frage von Frau Dr. Martiny habe ich bereits mitgeteilt, daß die Bundesregierung in diesem Bereich gesetzliche Verbesserungen beabsichtigt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
({0})
Dann rufe ich Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Jens auf:
Ist nach Meinung der Bundesregierung die Höhe der zwangsläufig anfallenden Überschüsse in der Lebensversicherung noch gegenüber dem Versicherungsnehmer vertretbar, und könnte das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen durch Verwendung realistischerer Kalkulationsgrundlagen zu niedrigeren Prämien und einem niedrigeren Überschußniveau beitragen?
Die in der Lebensversicherung anfallenden Überschüsse haben ihren Grund in der Vorsicht bei der Kalkulation der Prämien. Diese Vorsicht ist wegen der regelmäßig langen Laufzeit der Verträge unverzichtbar und im Hinblick auf eine umsichtige Kalkulation auch berechtigt.
Insbesondere ist verständlich, daß in Hochzinsphasen über die Angemessenheit des sogenannten Rechnungszinses nachgedacht wird. Von der Höhe dieser Rechnungszinsen wird das Überschußniveau beeinflußt. Allerdings ist darauf zu achten, auch bei niedrigem Überschußniveau eine angemessene Überschußbeteiligung der Versicherten zu gewährleisten. Darum bemüht sich auch die Versicherungsaufsicht.
In meiner Antwort auf eine Frage von Frau Dr. Martiny habe ich vorhin bereits darauf hingewiesen, daß gesetzgeberische Schritte bevorstehen, um das
Instrumentarium dieser Aufsicht noch zu verbessern.
Bei höherem Rechnungszinsfuß könnten die Prämien gesenkt werden, die notwendig sind, um eine bestimmte vertraglich zugesicherte Leistung zu erbringen. Es könnte allerdings auch im Interesse der Versicherungsnehmer liegen, bei höherem Rechnungszinsfuß mit gleichbleibenden Prämien eine höhere Leistung vertraglich zugesichert zu erhalten. Auch diese Fragen sind bei der beabsichtigten Gesetzesinitiative zu prüfen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, könnten Sie in Ihrem Hause einmal überprüfen lassen, ob die Zahl von 250 Milliarden DM an Risikoüberschüssen, die der Zeller Kreis angegeben hat, richtig und korrekt ist?
Dies will ich gern überprüfen lassen, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen auf Grund der vorgegebenen Zielsetzung überhaupt fähig und in der Lage ist, die Interessen der Versicherungsnehmer wirksam zu vertreten?
Dies möchte ich entschieden bejahen; natürlich ist das Versicherungsaufsichtsamt dazu in der Lage. Ich muß auch darauf hinweisen, daß je nach der Situation und den jeweiligen Erfordernissen eine ständige Verbesserung der Aufsichtsmöglichkeiten erfolgt. Ein Punkt dabei ist ja gerade die Frage, die Gegenstand dieser heutigen Fragestunde ist, die Frage nämlich, wie mehr Transparenz, mehr Durchsichtigkeit bezüglich der einzelnen Wettbewerbskomponenten im Angebot der Versicherer zu erhalten ist. Hieran wird zur Zeit gearbeitet, und das wird Gegenstand einer Novellierung des entsprechenden Gesetzeskatalogs sein.
Keine weiteren Zusatzfragen zu diesem Punkt.
Dann rufe ich Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Jens auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, zu mehr Wettbewerb und Markttransparenz im Versicherungsbereich zu kommen, und sollte u. a. durch geregelte Informationspflichten über Rückkaufwerte und Überschußbeteiligungen und eine Aufteilung der Prämie in einen Preis für die Dienstleistung und einen Beitrag für den Schadensausgleich mehr Markttransparenz angestrebt werden?
Zu Wettbewerb und Markttransparenz im Versicherungsbereich hat die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage am 28. Juni 1979 ausführlich Stellung genommen; auf die Bundestagsdrucksache 8/3030 nehme ich Bezug.
Dem ist heute hinzuzufügen: Die Bundesregierung hat veranlaßt, daß ein wissenschaftliches Gutachten erstellt wird, in dem Wettbewerb und Markttransparenz der Lebensversicherung hinsichtlich der derzeitigen Lage analysiert und auf Verbesserungsmöglichkeiten hin untersucht werden sollen. Die Ergebnisse bleiben abzuwarten. Hieraus sind auch zusätzliche Anregungen zur Verbesserung der Information der Verbraucher zu erwarten.
Zu der von Ihnen angesprochenen Trennung der Prämien in einen Preis für die Dienstleistung und einen Beitrag für den Schadensausgleich habe ich bereits vorhin auf die Frage von Herrn Kollegen Dr. Diederich Ausführungen machen können.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, halten Sie die jetzt in der Diskussion befindliche Novellierung des §
247 BGB - Sie sind sicherlich darüber informiert, was dort auf uns zukommt - für gerechtfertigt, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß durch die jetzt vorgeschlagene Änderung die Wettbewerbspositionen der Versicherungen verbessert und die Wettbewerbspositionen der Sparkassen erschwert werden?
Herr Kollege, über das Anliegen, den § 247 BGB zu reformieren, besteht im Grundsatz Einverständnis. Worüber diskutiert und auch gestritten wurde, war das Verfahren, ob nämlich eine Summenbegrenzung vorzunehmen ist oder die Reform nach dem jeweiligen Personenkreis durchzuführen ist. Dieses war der Streitpunkt, so daß Ihre Frage, die das grundsätzliche Anliegen betrifft, zu bejahen ist, nämlich daß § 247 zu novellieren ist.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können sie bestätigen, was in dieser Woche im „Spiegel" nachzulesen ist, nämlich daß kein Wirtschaftszweig eine so wirksame Interessenvertretung wie die Versicherungswirtschaft hat?
Herr Kollege, dieses kann ich nicht bestätigen, dazu fehlen mir die Erfahrungswerte.
({0})
Hierzu liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Ich rufe Frage 36 des Abgeordneten Dr. Voss auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Einbau von ölunabhängigen Befeuerungsanlagen zur Beheizung von Wohnhäusern bzw. von Befeuerungsanlagen, bei denen auch alternativ andere Brennstoffe verwendet werden können, steuerlich gefördert werden sollte, z. B. durch Einbeziehung in die Abschreibungsvergünstigung nach § 82 a EStDV, und wann wird die Bundesregierung gegebenenfalls entsprechende Rechtsänderungen vorschlagen, oder, falls die Bundesregierung dies ablehnt, welche Gründe sprechen gegen eine steuerliche Förderung ölunabhängiger Befeuerungsanlagen?
Aufwendungen für den Ersatz einer Ölzentralheizung durch eine andere Beheizungsanlage in einem bestehenden Gebäude sind nach der neuesten BFH-Rechtsprechung Erhaltungsaufwand. Sie können deshalb soParl. Staatssekretär Dr. Böhme
fort als Werbungskosten abgezogen werden. Bei selbstgenutzten Einfamilienhäusern, deren Nutzungswert nach § 21 a Einkommensteuergesetz ermittelt wird, ist allerdings Erhaltungsaufwand bereits im pauschalierten Nutzungswert berücksichtigt.
Aufwendungen für den Einbau einer Heizungsanlage in einem Neubau gehören zu den Herstellungskosten des Gebäudes und werden zusammen mit diesen nach den für das Gebäude maßgebenden Vorschriften, auf die Nutzungsdauer des Gebäudes verteilt, abgeschrieben.
Nach § 82 a Einkommensteuer-Durchführungsverordnung können zusätzlich die Herstellungskosten für den Einbau von Wärmepumpenanlagen, Solaranlagen und Anlagen zur Rückgewinnung von Wärme einschließlich der Anbindung an das Heizsystem mit bis zu 10 % jährlich abgeschrieben werden. Die Abschreibungsvergünstigung soll einen finanziellen Anreiz für den Einbau neuer Technologien auf dem Heizungssektor bieten, die gegenüber konventionellen Heizungsanlagen regelmäßig wesentlich teurer sind. Dies sind die Gründe für eine besondere Förderung, welche bei Heizungsanlagen, die zu der üblichen Grundausstattung eines Wohngebäudes gehören, nicht gegeben sind.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß Sie mir die Rechtslage geschildert haben, meine Frage aber nicht beantwortet haben, ob die Umstellung von erdölbetriebenen Heizungsanlagen auf Anlagen, die mit anderen Brennstoffen betrieben werden, gefördert werden soll?
Ich habe eben ausgeführt, daß der Ersatz einer solchen Ölheizung durch eine andere Beheizungsanlage sofort in voller Höhe als Erhaltungsaufwand abgeschrieben werden kann. Andere Abschreibungsmöglichkeiten, nämlich die Verteilung der Aufwendungssumme nach § 82 a Einkommensteuer-Durchführungsverordnung, sollen für bestimmte Formen reserviert sein, für deren Einbau ein Anreiz gegeben werden soll, weil sie finanziell besonders aufwendig sind, da es sich um neue, bisher noch nicht voll ausgereifte Technologien handelt, also z. B. Wärmepumpenanlagen oder Solaranlagen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Voss.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß bei der Erdölsituation, die wir haben, unbedingt etwas getan werden muß, um von diesem Material wegzukommen und in andere Bereiche zu gelangen, und daß just die steuerliche Förderung - im Gegensatz zu Subventionen, wenn sie daran denken - das geeignete Mittel wäre, um den Erfolg zu erzielen, den man haben will?
Herr Kollege, die steuerliche Förderung ist vorhanden. Die Umstellung einer Heizung kann sofort in voller Höhe als
Erhaltungsaufwand abgeschrieben werden. Die Möglichkeiten des § 82a EStDV - es- geht um die Verteilung der jeweiligen Aufwendungssumme - beziehen sich aber auf einen anderen Sachverhalt. Diese Möglichkeiten sollten für die modernen neuen Technologien reserviert sein. Der Ansatz, neue Technologien zu entwickeln und zu unterstützen, ist der Grund für die besondere Berücksichtigung in § 82a EStDV. Dieser Ansatz liegt bei den herkömmlichen Heizungsarten nicht vor. Deswegen glauben wir, daß eine zusätzliche Aufnahme der herkömmlichen Heizungsarten in den Katalog des § 82 a EStDV entbehrlich ist. Außerdem ist es so, daß - dies lag Ihrer Frage zugrunde - die Umstellung einer Heizung regelmäßig voll steuerlich abgeschrieben werden kann.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, einen Teil des Steueraufkommens aus der Tabak- und Branntweinsteuer für die Wiederherstellung der Gesundheit den Versicherungsträgern zur Verfügung zu stellen?
Dr. Böhme, Parl Staatssekretär: Gegen eine auch nur teilweise Zweckbindung der Einnahmen aus der Tabaksteuer und der Branntweinsteuer für Zuschüsse an Versicherungsträger bestehen erhebliche haushaltsrechtliche Bedenken. Für Steuern gilt das Gesamtdeckungsprinzip. Danach dürfen Einnahmen aus Steuern nicht zur Erfüllung bestimmter Aufgaben zweckgebunden werden. Vielmehr haben alle Steuereinnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben zu dienen. Das Gesamtdeckungsprinzip verhindert eine Einengung des Entscheidungsspielraums bei der jährlichen Prioritätenfestsetzung für die verschiedenen Aufgaben. Dies dient der Erreichung des höchstmöglichen Nutzens bei der Verwendung der öffentlichen Mittel und ist jeweils der Entscheidung des Parlaments überlassen.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, es gibt ja auch in anderen Bereichen Zweckbindungen, z. B. beim Aufkommen aus der Mineralölsteuer, die zu einem Teil für den Straßenbau zur Verfügung gestellt werden muß. Sehen Sie hier nicht eine Brücke, um eine Zweckbindung auch in dem von mir genannten Bereich zu erwägen?
Es ist richtig, daß im Straßenbau eine solche Zweckbindung teilweise noch besteht. Diese ergab sich aus der in der Nachkriegszeit bestehenden besonderen Notwendigkeit zu einem schnellen und umfassenden Ausbau des Straßennetzes. Diese Extremsituation der Nachkriegszeit besteht heute nicht mehr. Eine echte Zweckbindung besteht im Bundeshaushalt überdies nur noch hinsichtlich der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden, und zwar in Höhe der für diesen Zweck vorgenommenen Anhebung der Mineralölsteuer um 6 Pfennig je Liter.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Flämig, bitte.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht auch, daß, wenn hier schon pädagogische Ziele verfolgt werden sollen, es sinnvoller wäre zu prüfen, ob Krankenbehandlungskosten bei Krankheiten, die nachweisbar auf Tabak- oder Alkoholmißbrauch zurückzuführen sind, nicht mehr durch die Krankenkasse erstattet werden sollten, wie es neuerdings beispielsweise in Frankreich der Fall ist?
Herr Kollege, ich habe vorhin ausgeführt, daß wir mit guten Gründen an dem sogenannten Gesamtdeckungsprinzip festhalten. Dies bedeutet letztlich, daß dem Parlament jeweils die Entscheidung über die Verwendung der Steuereinnahmen zusteht. Es ist gerade ein Charakteristikum und ein Begriffsmerkmal aus der Steuerpolitik und aus der Steuerwissenschaft, für welches sich gute Gründe anführen lassen, daß die Steuer ohne Zweckbindung aufgenommen wird und dem Staat insgesamt zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung steht. An diesem Prinzip wurde in der Vergangenheit nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in allen vergleichbaren Staaten festgehalten. Deswegen auch meine Aussage, daran weiter festhalten zu wollen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 38 des Herrn Abgeordneten Niegel, 53 des Herrn Abgeordneten Kirschner, 60 des Herrn Abgeordneten Spranger, 61 des Herrn Abgeordneten Metz, 62 des Herrn Abgeordneten Kunz ({0}), 63 des Herrn Abgeordneten Broll und 73 des Herrn Abgeordneten Besch wurden von den Fragestellern zurückgezogen.
Die Fragen 58 und 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner sind nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig.
Damit stehen wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 26 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesberggesetzes ({1})
- Drucksache 8/1315 -
aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3966 -Berichterstatter: Abgeordneter Glos
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({3})
- Drucksache 8/3965 - Berichterstatter:
Abgeordnete Russe
Wolfram ({4}) Angermeyer
({5})
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel
- Drucksache 8/1018 -Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({6})
- Drucksache 8/3965 Berichterstatter:
Abgeordnete Russe
Wolfram ({7}) Angermeyer
({8})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Russe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dem Hohen Hause liegen auf Drucksache 8/3965 die Beschlußempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Bundesberggesetzes - Drucksache 8/1315 - und zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel - Drucksache 8/1018 - vor. Auf beide, Beschlußempfehlung und Bericht, möchte ich zunächst verweisen. In meinen nachfolgenden Ausführungen werde ich mich auf einige mir wichtig erscheinende und zum Teil ergänzende Aspekte beschränken.
Meine Damen und Herren, der Ausschuß hat die ihm nach der ersten Lesung überwiesene Gesetzesmaterie - übrigens ein gesamtes Rechtsgebiet umfassend - in verhältnismäßig kurzer Zeit - die erste Beratung datiert vom 7. Juni 1978 -, wie ich meine, sehr gründlich beraten. Davon zeugen nicht nur die 17 Sitzungen einer von mir geleiteten Arbeitsgruppe, sondern auch ein sehr substantiiertes Anhörungsverfahren, in dem Wissenschaftler, Verbände und die Vertreter der Landesregierungen Gelegenheit zur gutachtlichen Stellungnahme erhielten. Des weiteren sind eine Reihe von Eingaben außerhalb des offiziellen Anhörungsverfahrens zur Kenntnis genommen und beraten worden.
Ich darf den Kollegen meiner Arbeitsgruppe für die hier in der Tat geleistete Sisyphusarbeit ausdrücklich und herzlich danken. Es handelt sich um ein umfassendes Gesetzeswerk, das in den bisher mit der Angelegenheit befaßt gewesenen Institutionen unseres Hauses beraten und verabschiedet worden ist. Ein nicht minder anerkennender Dank gilt den Herren Referenten und Mitarbeitern des ResRusse
sorts sowie den Bediensteten des Sekretariats des Wirtschaftsausschusses.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist in der Tat auch angebracht, für die umfassende Kleinarbeit in den Sekretariaten - man denke an die Schriftsätze und alles, was zur Beratung dieses sehr umfangreichen Gesetzeswerks gehörte - den unabdingbar notwendigen Dank auszusprechen.
Die Gesetzgeber haben sich mit der Schaffung bzw. Novellierung von Bergrecht immer schwergetan. Das zu Recht als vorbildlich geltende und noch heute in weiten Teilen des Bundesgebiets gültige Allgemeine Berggesetz für die Preußischen Staaten vom 24. Juni 1865 bedurfte einer erheblichen Vorlaufzeit. Zwischen den Jahren 1824 und 1848 wurden nicht weniger als vier Berggesetzentwürfe konzipiert, aber ebenso auch wieder verworfen.
Bei näherer Betrachtung der Materie Bergrecht sind die geschilderten Geburtswehen auch gar nicht verwunderlich. Die Bergrechtsgesetzgebung muß die nahezu unlösbare Aufgabe bewältigen, gleichsam in einem magischen Dreieck die Interessen der Bergbauberechtigten, der Grundeigentümer und des Staates in angemessener Weise zu berücksichtigen.
Bergrecht ist in diesem Sinne immer auch ein zeitbezogenes Spiegelbild der politischen und gesellschaftlichen Ordnung. So heißt es in den Motiven zum Entwurf eines bayerischen Berggesetzes aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Es besteht das Bedürfnis, die gegenwärtigen Bergordnungen durch eine der freien Bewegung der Industrie mehr spielraumgebende und zu dem dermaligen Staatsorganismus passende, der Fortbildung auf dem Gebiet der Technik und der Wissenschaft angemessene Berggesetzgebung zu ersetzen.
Ich meine, in Analogie gilt diese Aussage heute genauso für das nun relevante Verhältnis Bund-Länder.
Meine Damen und Herren, auch heute, mehr als hundert Jahre nach der damaligen Anpassung des Bergrechts an die Industrialisierung des Bergbaus, stehen wir wiederum vor einer zukunftsweisenden Aufgabenstellung. Energie- und Rohstoffknappheit zwingen zu einem sorgsamen und sparsamen Umgang mit den heimischen Bodenschätzen. Hier muß das Bergrecht Rahmenbedingungen setzen, die eine gesamtwirtschaftlich vertretbare und erforderliche Ausbeute ermöglichen.
Aber noch eine weitere Parallele zur Berggesetzgebung des vorigen Jahrhunderts ist augenfällig: Wie damals eine Vielzahl von Bergordnungen, die zum Teil noch aus dem Mittelalter stammen, durch einheitliches Landesbergrecht abgelöst wurden, gilt es auch heute, ein zersplittertes Recht zu vereinheitlichen, und zwar um der Rechtsklarheit, der Rechtssicherheit und der Rechtsbeständigkeit im ganzen Bundesgebiet willen.
Es ist unstreitig: Gemäß Art. 74 des Grundgesetzes unterliegt das Recht des Bergbaues der konkurrierenden Gesetzgebung. Sowohl Wortlaut als auch Entstehungsgeschichte sprechen dafür, daß damit dem Bund das Recht zukommt, für den Bergbau ein umfassendes Sonderrecht zu schaffen. Diese Kompetenz des Bundes findet ihre Grenzen nur in sonstigen Bestimmungen des Grundgesetzes, nach denen bestimmte bergrechtliche Fragen ausschließlich den Ländern zugewiesen sind. Der Bund kann aus diesem Grunde, falls die allgemeinen Vorausetzungen des Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes, also das Bedürfnis nach bundesrechtlicher Regelung, vorliegen, nahezu das gesamte bestehende Bergrecht neu regeln.
Meine Damen und Herren, der Bund hat auch - dies wird in der öffentlichen Diskussion weithin übersehen - bereits von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht, wie etwa die Änderung der Zulegungsverordnung durch § 44 des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau vom 29. Juli 1963 es beweist. Der Hinweis auf das vorläufige Festlandsockelgesetz von 1964 und die Änderungsgesetze der Jahre 1968, 1969 und 1976 ist in diesem Zusammenhang ebenfalls angebracht, mag dies auch mit dem Bundesberggesetz nicht unmittelbar vergleichbar sein.
Meine Damen und Herren, diese Aussage muß man treffen, um auf das Argument, das sich drei Bundesländer im ersten Durchgang im Bundesrat zu eigen gemacht haben, eingehen zu können, nämlich die Länderkompetenzen würden weiter ausgehöhlt und mit dem Bergrecht ziehe der Bund erneut eine gewichtige Kompetenz der Länder an sich. Dem ist nicht so. Das Bergrecht gehört bereits jetzt zum Kompetenzbereich des Bundes. Der Bund nimmt also nur wahr, was ihm zusteht. Das verfassungspolitische Problem einer etwaigen Gefährdung der föderativen Staatsstruktur stellt sich nur dort, wo es um die Erweiterung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz geht, wie dies in der Vergangenheit mehrfach - etwa 1959 bei der Kernenergie, 1969 bei der Ausbildungsförderung und 1972 beim Umweltschutz - geschehen ist.
Aber, meine Damen und Herren, es bleibt natürlich das verfassungsrechtliche Problem des Bedürfnisses für ein Bundesberggesetz. Auch hier spricht eine Fülle von Argumenten für eine bundeseinheitliche Regelung. Nach zehnjähriger Arbeit an einem Musterentwurf zur Vereinheitlichung des deutschen Bergrechts haben die Länder Ende der 50er Jahre ihre Bemühungen eingestellt. Erst danach hat der Bund mit den Vorbereitungen zu einem Bundesberggesetz begonnen. Die Länder selbst haben dies übrigens präformiert, denn sie selbst sind bis in die jüngste Vergangenheit von einer Bergrechtsreform durch den Bundesgesetzgeber ausgegangen.
Sie haben dies in länderamtlichen Begründungen und Reden in ihren Parlamenten zum Ausdruck gebracht. So zitiere ich z. B. aus der Begründung zum Entwurf eines Landesgesetzes über das Bergrecht im Lande Rheinland-Pfalz - Landtagsdrucksache 7/2035 -:
Die Gesetzesvorlage ({1}) beschränkt sich auf die unbedingt notwendigen Gesetzesänderungen, ohne eine umfassende Reform des geltenden Bergrechts anzustreben. Letztere Aufgabe soll einem künftigen Bundesberggesetz überlassen bleiben, zu dem in dem Bundesministerium für Wirtschaft die Vorarbeiten bereits im Gange sind.
Mit gleicher Eindeutigkeit spricht es die Begründung des Entwurfs eines dritten Gesetzes zur Anderung bergrechtlicher Vorschriften der Landesregierung von Baden-Württemberg in der Landtagsdrucksache 6/6500 aus - ich zitiere -:
Eine vollständige Vereinheitlichung und Reform des Bergrechts im Land ist zur Zeit nicht beabsichtigt, da die Vorarbeiten für ein Bundesberggesetz inzwischen so weit vorangeschritten sind, daß mit der Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfs im Bundestag zu rechnen ist.
Auch die Begründung zum Entwurf des zweiten Gesetzes zur Änderung bergrechtlicher Vorschriften im Lande Niedersachsen - Drucksache 8/1100 - setzt die Schaffung eines Bundesberggesetzes als selbstverständlich voraus.
Meine Damen und Herren, eine Vereinheitlichung und Reform durch die Länder ist auch wegen des mangelnden Zugriffs auf die bundesrechtlichen Vorschriften gar nicht möglich. Erinnert sei hier beispielsweise an die Sylvesterverordnung, das Festlandsockelgesetz, das die Länder selbst zu novellieren beantragt haben, dem das Hohe Haus mit dieser Lesung sicherlich auch entsprechen wird. Der Bund hat in Teilbereichen von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht, oder aber er mußte es im Auftrag der Länder sogar tun.
Ein weiteres! Nur ein Bundesgesetz schafft endlich gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für die Unternehmen in den einzelnen Bergbauzweigen. Bis 1949 hatten die Unternehmen diesbezüglich den absolut einheitlichen Rechtskreis des ehemaligen preußischen Allgemeinen Berggesetzes als Aktionsparameter für ihre Entscheidungen. Die Länder haben durch ihre Novellierungen demgegenüber ab 1949 in vielfältiger Weise dazu beigetragen, daß nicht mehr von einer Übereinstimmung, ja nicht einmal mehr von einer Vergleichbarkeit der einzelnen Berggesetze und -verordnungen und damit des gesamten gültigen Bergrechtes gesprochen werden kann. Dies tangiert natürlich auch unsere Kumpels; die sind hier insbesondere angesprochen. Die Bergleute vor Ort haben ein Anrecht darauf, endlich eine einheitliche und zeitgemäße Schutzvorschrift für ihre Arbeit zu erhalten.
Auch die wünschenswerte Harmonisierung im europäischen Rahmen ist undurchführbar, wenn im eigenen Rechtskreis die derzeitige Rechtszersplitterung in über hundert aufzuhebenden Gesetzen und Verordnungen beibehalten wird.
Die Aspekte der Rohstoffsicherung - die Lagerstätten sind nun einmal nicht an Landesgrenzen gebunden - sowie die Sicherstellung eines angemessenen, im ganzen Bundesgebiet gleichwertigen und gleichartigen Schadenausgleichs für den betroffenen Bürger erfordern eine bundeseinheitliche Regelung. Der. Bundesrat hat selber - völlig zu Recht - herausgestellt, daß die überfällige Reform des Bergschadenrechts auf Landesebene nicht zu bewältigen sei.
Der Wirtschaftsauschuß und auch die anderen beteiligten Ausschüsse waren sich der besonderen Bedeutung des Gesetzgebungsvorhabens für die Länder bewußt. Wir haben uns bei unseren Beratungen und Entscheidungen ganz wesentlich davon bestimmen lassen, daß der Schritt zur bundeseinheitlichen Regelung des gesamten Bergrechts und dessen Reform, der heute mit der Verabschiedung des Gesetzeswerkes durch das Hohe Haus vorgenommen werden soll, nur in der stärksten Form der Mitwirkung des Bundesrates und der Bundesländer gegangen werden kann. Deshalb haben alle beratenden Ausschüsse des Bundestages die weitaus überwiegende Mehrzahl der Änderungswünsche des Bundesrates ohne Abstriche oder, wie bei den für besonders wichtig erklärten Anliegen, nur in enger Kontaktnahme mit den Ländern in einer Form übernommen, die die Zustimmung des Bundesrates erwarten lassen muß. Während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens fand eine ständige Fühlungnahme mit den Ländervertretern statt.
Unsere eingehende Beratung im Wirtschaftsausschuß, aber auch in den sonstigen beteiligten Ausschüssen hat die Notwendigkeit einer Neuregelung bzw. Neuordnung des Bergrechtes deutlich gemacht. Deshalb ist festzustellen, daß wir mit einer Verabschiedung der Vorlage dieses Gesetzes das nach Art. 72 des Grundgesetzes eingeräumte Ermessen richtig und rechtens nutzen.
Natürlich sind verschiedene Regelungsbereiche des Gesetzentwurfs im Wirtschaftsausschuß auch kontrovers diskutiert worden. Das war nach dem Ergebnis des Anhörungsverfahrens nicht anders zu erwarten. Wenn sich gleichwohl der Wirtschaftausschuß bei nur einer Gegenstimme auf die vorliegende Fassung des Gesetzentwurfes verständigen konnte, spricht allein dieser Umstand für eine ausgewogene Lösung bzw. Konfliktregelung im Widerstreit aller beteiligten Interessen. Deshalb haben wir - natürlich informell - nur Zustimmung gehört, sei es aus Kreisen der beteiligten und betroffenen Wirtschaft oder auch etwa der Gewerkschaften.
Folgende Regelungen waren besondere Gegenstände der Diskussion. Erstens ging es um die Kommunalbeteiligung an der Betriebsplanzulassung. Bei dieser verständigte sich der Wirtschaftsausschuß auf eine bergrechtliche Spezialregelung, deren Ausgestaltung im einzelnen wegen der hier entscheidenden regionalen Aspekte den Landesregierungen überlassen bleibt.
Zweitens ging es um Arbeitsschutz und Betriebssicherheit. Hinsichtlich der diesbezüglichen Einzelbestimmungen - insbesondere was die lückenlose Ausfüllung und Ausgestaltung dieser beiden Komplexe angeht - ist der Verordnungsgeber gefordert, den gesetzlichen Rahmen auszufüllen.
Drittens ging es um das Bergschadenrecht. Das Herzstück eines jeden Bergrechts ist die Regelung des Verhältnisses zwischen den Bergbautreibenden und Grundeigentümern. Hierbei wiederum spielt das Bergschadenrecht die weitaus wichtigste Rolle.
Der Ausschuß begrüßt die im Gesetzentwurf vorgesehene Verstärkung der Bergschadenshaftung, die eine gegenüber dem geltenden Recht einheitliche schadensersatzrechtliche Behandlung der Auswirkungen bergbaulicher Tätigkeiten zum Ziele hat.
Ein bedeutender Bestandteil des Bergschadenrechts ist die Bergschadensvermutung. Sie verbessert die Beweissituation des Geschädigten. Gerade diese Klausel war aus diesem Grund Gegenstand einer eingehenden Beschäftigung im Ausschuß - nach vorheriger intensiver Befragung der Gutachter. Der Ausschuß hat allerdings eine Ausdehnung der Bergschadensvermutung auf den Tagebau abgelehnt. Er sah einen entscheidenden Unterschied zwischen untertägigem und übertägigem Bergbau in der Tatsache, daß die im Gesetz tatbestandsmäßig beschriebenen Einwirkungen auf die Oberfläche beim untertägigen Bergbau typisch sind und in der Regel zu einem Schaden führen, während beim Tagebau derartige Erscheinungen nur den Ausnahmefall darstellen.
Meine Damen und Herren, wir haben hier einen Änderungsantrag vorliegen, der diesbezüglich eine andere Position bezieht. Herr Kollege Spies von Büllesheim wird ihn nachher begründen.
({2})
- Herr Kollege, ich bin hier in einer besonderen Funktion, die ich auch zu achten bitte, wie ich das gegenüber dem souveränen Recht, Herr Kollege Wolfram, eines jeden Kollegen in diesem Hause selbstverständlich festzustellen verpflichtet bin.
({3})
Viertens. Bergschadensausfallkasse, Bundesprüfanstalt: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah die Einrichtung einer Bergschadensausfallkasse als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts vor. Meine Damen und Herren, demgegenüber hat sich der Wirtschaftsausschuß für eine andere Lösung entschieden. Statt der definitiven Ein- richtung einer Bergschadensausfallkasse als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts enthält der Alternativvorschlag des Wirtschaftsausschusses eine bloße Ermächtigung des Bundesministers für Wirtschaft, eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts mit Zustimmung des Bundesrates nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zu errichten.
Wir treten dafür ein: Die Bergschadensausfallkasse soll in Form einer staatlichen Einrichtung nur dann eingerichtet werden, wenn es der Bergbauwirtschaft selbst nicht gelingt, eine entsprechende Einrichtung auf privatrechtlicher Basis zu schaffen. Nach Auffassung des Wirtschaftsausschusses sollen der Selbstordnung und Selbstgestaltung, also einer
Selbsthilfeeinrichtung des Bergbaus, Vorrang vor einer staatlichen Institution eingeräumt werden.
Die gleichen tÜberlegungen haben den Wirtschaftsausschuß veranlaßt, statt der obligatorischen Einrichtung einer Bundesprüfanstalt für den Bergbau - so der Regierungsentwurf - wiederum bloß eine Ermächtigung an den Bundeswirtschaftsminister auszusprechen - also subsidiäres Handeln zuzulassen, gekoppelt an die Zustimmung des Bundesrates -, von der nur dann Gebrauch gemacht werden kann, wenn die beteiligte und betroffene Wirtschaft nicht selbst ausreichend handelt.
Fünftens und letztens: Bergrechtliche Gewerkschaft. Meine Damen und Herren, der Regierungsentwurf sieht hier eine zwangsweise Umwandlung der bestehenden „Bergrechtlichen Gewerkschaft" in eine andere Unternehmensrechtsform nach Wahl des betroffenen Unternehmens innerhalb einer Übergangszeit von zwei Jahren vor. Der Wirtschaftsausschuß will diese Frist auf vier Jahre verlängert wissen, um den Weg zu einer grundlegenden gesellschaftsrechtlichen Reform dieser Unternehmensform nicht zu verbauen.
Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung ist die Gewerkschaft als Unternehmensform nicht bedeutungslos. Von insgesamt sechs Gesellschaften des Steinkohlenbergbaus in der Bundesrepublik existieren z. B. zwei als bergrechtliche Gewerkschaft, nämlich die Gewerkschaften „Auguste Victoria' und „Sophia Jacoba". Im Bereich Erdöl bzw. Erdgas sind die Gewerkschaften „Brigitta" und „Elwerath" tätig. Mit Schachtbau beschäftigt sich - sogar auf internationaler Ebene - die Gewerkschaft „Walter".
Die bergrechtliche Gewerkschaft kennt - im Gegensatz zur AG und GmbH - kein festes Grundkapital, so daß der steigende oder fallende Kapitalbedarf durch die sogenannte Zubuße oder Ausbeute reguliert werden kann. Die Gewerkschaft war, so meine ich, an sich geeignet, sich dem - bergbautypisch - ständig schwankenden Kapitalbedarf anzupassen. Dennoch soll sie in Zukunft als Unternehmensform nicht mehr Bestand haben. Nach Auffassung des Wirtschaftsausschusses sollte den Gewerkschaften - den bergrechtlichen Gewerkschaften, damit hier kein Mißverständnis aufkommt - auch bei Umwandlung in eine andere Unternehmensform aber in jedem Fall die Möglichkeit der Namensführung „Gewerkschaft" belassen werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, daß ich aus Zeitgründen nicht weitere Aspekte der hier zu behandelnden Gesetzgebungsmaterie vortrage. Ich verweise Sie noch einmal auf die schriftliche Berichterstattung.
Wir haben uns im Wirtschaftsausschuß und in den anderen Ausschüssen mit unseren Beratungen und Empfehlungen bemüht, die Weichen zu stellen für eine Verabschiedung des überfälligen Reformwerks Bundesberggesetz einschließlich Festlandsockelgesetz noch in dieser Legislaturperiode. Im Interesse einer sinnvollen und geordneten Ausbeute unserer heimischen Bodenschätze wäre dies zu wünschen. Ich möchte Ihnen deshalb die Annahme des Gesetzes empfehlen, und darf hier für meine
Fraktion ergänzend die Erklärung abgeben, daß wir dem Gesetzeswerk in dritter Lesung unsere Zustimmung geben werden.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfram ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach mehreren vergeblichen Anläufen können wir heute endlich das neue Bundesberggesetz abschließend beraten und verabschieden. Das ist nur möglich, weil alle Beteiligten in einer, wie ich meine, einmalig kooperativen Art und Weise zusammengearbeitet haben.
Deshalb habe ich, bevor ich mich zu dem Gesetz äußere, Dank zu sagen. Ich danke dem Bundeswirtschaftsminister und seinem Hause, vor allem Herrn Dr. Zydek und seinen Mitarbeitern. Herr Dr. Zydek hat mit außergewöhnlicher Sachkenntnis und unermüdlich die Voraussetzungen für die heutige Verabschiedung geschaffen.
Ich danke den beteiligten Ausschüssen, den Bundesressorts und dem Bundesrat. Nur im ständigen Dialog mit den Vertretern des Bundesrats war es möglich, Ihnen, meine Damen und Herren, heute einen Gesetzestext vorzulegen, der meines Erachtens auch für den Bundesrat konsensfähig ist.
Ich danke vor allem dem Kollegen Russe und den Kollegen in der vom Wirtschaftsausschuß gebildeten „Arbeitsgruppe Bundesberggesetz". Herr Kollege Russe, Sie haben in anerkennenswerter Weise die 17 Sitzungen unserer Arbeitsgruppe geleitet und wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieses Gesetzes. Dafür spreche ich Ihnen, im Namen der sozialdemokratischen Mitglieder dieser Arbeitsgruppe und auch persönlich herzlichen Dank aus.
({0})
Ein letztes Wort des Dankes möchte ich den beteiligten Wirtschaftsverbänden, der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, den unabhängigen Wissenschaftlern und Sachverständigen sagen, die mit uns konstruktiv zusammengearbeitet und die uns objektiv beraten haben.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt die mit dem Bundesberggesetz verfolgten Ziele. Es war überfällig, ein mehr als ein Jahrhundert altes Bergrecht, unzählige Landesgesetze und Verordnungen neu zu ordnen und zu vereinheitlichen. Unser Bundesberggesetz umfaßt nicht nur die Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen. Wir haben in den Geltungsbereich neu die Erdwärme, die unterirdischen Hohlraumbauten, die Kohleveredelung einbezogen. Das Konzessionssystem ist ausgebaut worden. Bei dem Erwerb von Bergwerkseigentum haben wir eine wesentliche Verbesserung zugunsten des Bergbaus vorgenommen.
Ein besonderer Schwerpunkt des Gesetzes sind die Feldes- und Förderabgaben. Die Neuregelung des Förderzinses war überfällig. Diesem Instrument kommt gerade in der aktuellen energiepolitischen
Situation nicht nur wegen der finanziellen Bedeutung der Abgabe für die Haushalte einiger Bundesländer ein besonderes Gewicht zu. Ein angemessener Förderzins rückt auch den oft zitierten und viel umstrittenen windfall-profits zu Leibe. Diese Differentialgewinne, die aus inländischer Öl- und Gasproduktion entstehen, sind ein Element der Wettbewerbsverzerrung. Auch bei Anerkennung der Tatsache, daß die bislang in den Genuß dieser Sondereinnahmen kommenden Unternehmen, sicher einen größeren Teil dieser Sondergewinne im energiewirtschaftlichen Bereich reinvestiert haben, ist eine angemessene Abschöpfung vertretbar und geboten.
Der Grundbetrag für den Förderzins soll 10 % des Marktwertes betragen. Das ist der im Erhebungszeitraum durchschnittlich für den jeweiligen Bodenschatz erzielte Preis. In Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung kann der Bundeswirtschaftsminister in Abstimmung mit dem Bundesrat den Förderzins auch bis zu 40 % erhöhen. Ursprünglich war im Gesetzesentwurf ein Satz von 20 % vorgesehen. Das erschien uns zu niedrig. Mit einer solchen Regelung können die windfall-profits angemessen „abgeschöpft" werden. Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, und die Bundesländer sollten diese Möglichkeit, die eine Sondersteuer erübrigt, nutzen. Der Forderung des Bundeskanzlers, über den Förderzins das Problem der windfall-profits zu lösen, wird Rechnung getragen. Ich stelle in diesem Zusammenhang mit besonderer Genugtuung fest, daß der Wirtschaftsausschuß diese Neuregelung des Förderzinses einstimmig beschlossen hat.
Für das betriebliche Geschehen im Bergbau kommt dem Betriebsplanverfahren eine Schlüsselstellung zu. Im Vordergrund der Erörterungen in den Ausschüssen und bei der Anhörung stand das Problem einer über die Regierungsvorlage hinausgehenden Beteiligung der Gemeinden an der Zulassung der Betriebspläne. Die Forderungen reichten von der Einräumung eines Vetorechts der Gemeinden bei allen Betriebsplänen bis zur Streichung der in der Regierungsvorlage vorgesehenen Einschaltung der Kommunen als Planungsträger.
Hier war von uns einer der vielen Zielkonflikte, vor denen wir bei den Beratungen standen, zu lösen. Denn verständlicherweise waren die Interessen aller Beteiligten - in diesem konkreten Fall des Bergbaus einerseits und der kommunalen Spitzenverbände andererseits - nicht immer und schon gar nicht leicht auf einen Nenner zu bringen.
Der vollen Mitbestimmung der Gemeinden bei der Betriebsplangestaltung bis hin zum Vetorecht konnten wir verständlicherweise nicht Rechnung tragen. Denn dann kämen in den erforderlichen Zeiträumen wohl kaum die notwendigen Betriebspläne zustande.
Andererseits erkennen wir Sozialdemokraten an, daß die Gemeinden ein berechtigtes Interesse bei der Oberflächennutzung, insbesondere bei Aufhaldungen von Kohle und vor allem von Bergen, haben. Bergbaufremde müssen nämlich wissen, daß mit jeder Tonne verwertbarer Steinkohle eine weitere Tonne Gestein gefördert und gelagert werden muß.
Wolfram ({1})
Deshalb türmen sich in den Kohlerevieren nicht nur Kohle- und Kokshalden, auch die nationale Kohlenreserve - von der ich mir wünsche, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie mit dem Bundesrat Übereinstimmung darüber erzielen, daß sie im ganzen Bundesgebiet möglichst gleichmäßig verteilt und gelagert wird -, sondern auch riesige Berghalden mit enormen Eingriffen in Natur und Umwelt.
Mit der vom Wirtschaftsausschuß empfohlenen Ermächtigung für die Landesregierungen ist ein Kompromiß gefunden worden, der es ermöglicht, regionalpolitischen Besonderheiten und sektoralen Belangen bei Aufhaldungen unter stärkerer Mitwirkung der Gemeinden Rechnung zu tragen.
Aus eigener kommunalpolitischer Erfahrung weiß ich, daß es am besten wäre, wenn der Bergbau mit den betroffenen Gemeinden sowohl hinsichtlich der Standorte als auch der Transportmittel und der Transportwege einvernehmliche Regelungen anstreben würde. Die Bergbaugemeinden sind doch aufgeschlossen und kompromißbereit. Sie können deshalb vom Bergbau erwarten, daß er in einem hohen Maß auf ihre berechtigten Interessen und die berechtigten Interessen ihrer Bürger optimal Rücksicht nimmt.
Für die Regional- und Landesplanung und meines Erachtens auch für den Bundesminister für Raumordnung stellt sich hier ein Aufgabenfeld, auf dem sich überregionale Lösungen anbieten. Sie würden auch die große Chance bieten, die Umweltqualität der Kohlereviere wesentlich zu verbessern. Ich bin überzeugt, daß bei gutem Willen aller Beteiligten konstruktive Lösungen gefunden werden können.
Ein weiterer Schwerpunkt des neuen Bundesberggesetzes sind der Arbeitsschutz und die Betriebssicherheit im Bergbau. Deshalb werden Regelungen für den Erlaß von Verordnungen über den Arbeitsschutz und die Betriebssicherheit, die Gewährleistung einer möglichst objektiven Prüfung von Betriebsmitteln, und die Anwendung allgemeiner arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften im Gesetz gefunden.
Wegen des hohen Stellenwerts dieses Teils des Bergrechts haben sich vor allem der Wirtschaftsausschuß und der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bemüht, in enger Fühlungnahme mit der Wirtschaftsvereinigung Bergbau und der IG Bergbau und Energie einerseits und den Bundesländern andererseits einen Mittelweg zu suchen, der unterschiedlichen Belangen soweit wie möglich Rechnung trägt. Bei der Verordnungsgebung wird die Zuständigkeit zum Erlaß der arbeitsschutzrechtlichen und sicherheitlichen Vorschriften nicht allein beim Bund, aber auch nicht mehr allein bei den Ländern liegen. In einigen Sachbereichen soll der Bund ausschließlich, in allen anderen dagegen nur subsidiär tätig werden, wenn die Länder sich nicht auf gleichwertige Regelungen verständigen können.
Ein besonderes Problem war die im Regierungsentwurf vorgesehene Errichtung einer Bundesprüfanstalt. Da der Bergbau über erstklassige und anerkannte Prüfeinrichtungen verfügt, die seit Jahrzehnten erfolgreich arbeiten, gibt der Wirtschaftsausschuß einer Eigeninitiative der Bergbauwirtschaft zur Durchführung der erforderlichen organisatorischen oder sonstigen Maßnahmen den Vorzug. Der Bundeswirtschaftsminister kann mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates nur dann eine Bundesanstalt errichten, wenn der Bergbau die ihm eingeräumte Chance ungenutzt läßt.
Für die SPD-Bundestagsfraktion füge ich hinzu: Für uns wird von entscheidender Bedeutung sein, daß die Bergbauunternehmer mit der IG Bergbau und Energie Übereinstimmung erzielen. Das gilt auch für die Mitbestimmung der in diesen Instituten beschäftigten Mitarbeiter.
Mit den von mir dargelegten Regelungen haben wir die Grenzen der Kompromißmöglichkeit erreicht. Zu bedenken ist dabei noch, daß der Wirtschaftsausschuß auch einem Votum der Bundesregierung in der Gegenäußerung gefolgt ist und auf eine Änderung des Verhältnisses zu der Berufsgenossenschaft verzichtet hat.
Bei der Arbeitsstätten- und Arbeitsstoffverordnung sowie beim Gerätesicherheitsgesetz dagegen handelt es sich um arbeitsschutzrechtliche Normen, die einen allgemeingültigen Charakter haben. Deshalb muß die in der Regierungsvorlage vorgesehene Anwendung dieser Normen auf den Bergbau uneingeschränkt erfolgen.
Ein letzter, aber sehr bedeutender Schwerpunkt des Gesetzes soll von mir noch angesprochen werden, nämlich das Bergschadensrecht. Es ist neu geregelt worden. Oberstes Ziel war die Verwirklichung des Grundsatzes: „Schaden verhüten ist besser als Schaden vergüten."
Für die besonderen Beziehungen zwischen Bürger und Bergbau ist eine gerechte Bergschadensregelung außerordentlich wichtig. Deshalb haben wir schadensverhütende Regeln durch Anpassungs- und Sicherungsmaßnahmen neu eingeführt. Hier wie bei der Aktualisierung der Vorschriften über Baubeschränkungsgebiete geht es um die Verhinderung volkswirtschaftlich bedenklicher oder wenig sinnvoller Investitionen.
Obwohl gerade auf diesem Gebiet gegensätzliche Interessen und Standpunkte besonders ausgeprägt sind, stelle ich fest, daß die Neuregelung des Schadensausgleichs ausgewogen und gerecht ist. Es erfolgt eine Ausdehnung der vom Verschulden unabhängigen Haftung für Bergschäden an allen beweglichen Sachen, der Haftung für Personenschäden und eine aus wohlerwogenen Gründen auf den untertägigen Bergbau beschränkte Einführung einer Bergschadensvermutung zur Erleichterung der Beweisführung für die Betroffenen. Das sind die Kernstücke der Neuordnung des Bergschadensrechts.
Unabhängig davon stelle ich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion fest, daß wir Verständnis für von Bergschäden betroffene Bürger haben, denen dieses verbesserte Bergschadensrecht noch nicht weit genug geht. Diese Bürger bitten wir um Verständnis, wenn im Bergschadensrecht keine Sonderregelungen getroffen werden können.
Wolfram ({2})
Die SPD-Bundestagsfraktion ist sich einig, daß das gesamte Schadensersatzrecht möglichst noch in der nächsten Legislaturperiode neu geregelt werden sollte.
Zusammenfassend stelle ich fest: Wir verabschieden heute ein Gesetz, das für den Bergbau, für die im Bergbau tätigen Menschen, für die Bergbaugemeinden und Reviere, für Bergschadensbetroffene und für Behörden und Verwaltungen von größter Bedeutung ist. Mit diesem Gesetz, das ich als ein Jahrhundertgesetz" bezeichnen möchte, haben wir die rechtlichen Grundlagen für eine moderne, zukunftsorientierte deutsche Bergbauwirtschaft geschaffen, damit sie ihre wichtigen Aufgaben in unserer Volkswirtschaft erfüllen kann.
Den Bundesrat, dem wir außerordentlich entgegengekommen sind, bitte ich, dem heute zu verabschiedenden Bundesberggesetz ohne weitere Einwendungen zuzustimmen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird zu diesem Gesetz selbstverständlich und mit gutem Gewissen ja sagen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur zu Ihrer, auch zu meiner Überraschung habe ich die Ehre und das Vergnügen, die Stellungnahme der FDP zu diesem Gesetzesvorhaben abgeben zu dürfen. Bevor ich das tue, möchte ich denselben Adressaten, an die der Kollege Wolfram seinen Dank abgestattet hat, für die zügige Beratung auch unseren Dank aussprechen. Von den Kollegen, die die Beratungen seitens der FDP-Fraktion durchgeführt haben, bin ich beauftragt; insbesondere dem Kollegen Russe unseren Dank zu übermitteln.
Bei der ersten Lesung des vorliegenden Entwurfs für ein Bundesberggesetz hat sich die FDP dafür eingesetzt, eine zügige Behandlung des Gesetzentwurfs zu fördern. Dieses Versprechen haben wir eingehalten. Wie schon gesagt: Dieses unser Versprechen war leicht einzuhalten, weil die Verhandlungsführung entsprechend angenehm war.
Gleichwohl erwies sich eine eingehende Beratung und umfassende Anhörung der Beteiligten als notwendig und erforderlich. Wir begrüßen an dieser Stelle die Vereinheitlichung und Reform der teilweise jahrhundertealten Partikularrechte im Bergwesen. Die FDP-Bundestagsfraktion weil sich mit den anderen Fraktionen dieses Hauses einig in der Bewertung und Bedeutung dieses Vorhabens.
In dem vorliegenden Entwurf ist zum erstenmal in der deutschen Bergrechtsgeschichte ein ordnungspolitischer Rahmen für bergbauliche Tätigkeiten geschaffen worden. Hiermit ist der erheblich gewachsenen Bedeutung der mineralischen Rohstoffe und fossilen Energieträger deutschen Ursprungs für die Versorgung des Marktes angemessen Rechnung getragen worden. Postulat bei der Formulierung des Gesetzes war im Interesse der heimischen Rohstoffversorgung das Aufsuchen, Gewinnen und Aufbereiten von Bodenschätzen unter Berücksichtigung der
Standortgebundenheit der Lagerstätten und des Lagerstättenschutzes. Dieses mußte umfassend neu geordnet werden.
Gleichzeitig sollte das Gesetz sicherstellen, daß die bergbaulichen Betriebe und die Beschäftigten im Bergbau mit ihrer jeweiligen Situation einen besonderen ihnen zukommenden Schutz erhalten sollten.
Als Drittes war beabsichtigt, die Vorsorge gegen Einwirkungen des Bergbaus auf der Erdoberfläche zu verstärken und den Ausgleich unvermeidbarer Schäden zu verbessern; wenn Sie so wollen: ein Stück praktizierter Umweltschutz.
Diese drei großen Bereiche sind auf Grund des Beratungsergebnisses hervorzuheben. Zum erstenmal sind in der Bundesrepublik für die Bergbauwirtschaft gleiche Rahmenbedingungen und für alle gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen geschaffen worden. Gegenüber dem Regierungsentwurf schlägt der Wirtschaftsausschuß eine Reihe von Verbesserungen vor, die sich zunächst einmal auf die Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen schlechthin beziehen. Ferner wird durch die Vorschläge des Wirtschaftsausschusses der privatwirtschaftlichen Initiative gegenüber der Schaffung staatlicher Einrichtungen der Vorrang eingeräumt, was wir verständlicherweise besonders begrüßen.
Hier ergeben sich nun zwei Schwerpunkte. Es sollen eine Kasse zur Sicherstellung von Bergschadensersatzansprüchen bei Insolvenz der Ersatzpflichtigen sowie besondere Einrichtungen zur Prüfung bestimmter Betriebsmittel im Bergbau anstelle einer Bundesprüfungsanstalt geschaffen werden. Hier ist nicht zuletzt auf Betreiben der Freien Demokraten eine weitere Bürokratisierung vermieden worden.
Wir sind überzeugt, daß die Betroffenen ihre Angelegenheiten genauso in eigener Verantwortung regeln können. So möchte ich auch darauf hinweisen, daß der Vorrang des öffenlichen Schienen- und Straßenverkehrs gegenüber dem Bergbau der Einführung des Grundsatzes der gegenseitigen Rücksichtnahme entsprechen sollte und auch müßte.
Einen ganz besonderen Schwerpunkt hat der Wirtschaftsausschuß auf die Behandlung der Belange der Beschäftigten im Bergbau gelegt. Wenn wir gleich - ich nehme an: in zwei Stunden - über die Humanisierung des Arbeitslebens zu sprechen haben, so können wir darauf hinweisen, daß hier in praktischer Form zur Humanisierung des Arbeitslebens erhebliche Beiträge geleistet wurden.
Der vorliegende Gesetzentwurf setzt Maßstäbe für Arbeitsschutz und Betriebsicherheit im Bergbau. Dies kommt an zahlreichen Stellen des Gesetzes zum Ausdruck. Ich nenne hier nur als Beispiel das Betriebsplanverfahren und die Ermächtigung zum Erlaß arbeitsschutzrechtlicher und betriebssicherheitlicher Verordnungen.
Der Gesetzentwurf hat an der Konzeption festgehalten, daß die Vorschriften dieser Art - von wenigen Ausnahmen abgesehen - durch Verordnungen erlassen und festgelegt werden sollen. Die ErmächCronenberg
tigung zum Erlaß solcher Verordnungen ist ein strittiger Punkt gegenüber den Ländern gewesen. Wir sind aber der Meinung, daß ein Kompromiß gefunden wurde, der von allen Seiten, auch von den Ländern, akzeptiert werden kann.
Ich möchte hier auf einen Punkt eingehen, der Anlaß zur Diskussion gewesen ist; ich spreche von der Umwandlung und Auflösung bzw. der Abwicklung der bergrechtlichen Gewerkschaften. In diesem Bereich schließt sich der Ausschuß für Wirtschaft im wesentlichen im Grundsatz der Regierungsvorlage an. Nach langen, sehr intensiven Überlegungen besteht im wesentlichen Übereinstimmung darin, daß die bergrechtliche Gewerkschaft in ihrer heutigen Erscheinungsform den Ansprüchen an eine gewerblich tätige Gesellschaft kaum noch genügt. Hierfür spricht auch die Zahl der noch bergbaulich tätigen Gewerkschaften. Von einer Unentbehrlichkeit kann bei allem Wohlwollen für gewachsene Strukturen nicht die Rede sein. An eine Aufrechterhaltung wäre nur dann zu denken, wenn der rechtliche Rahmen dieser Gewerkschaften grundlegend verändert würde.
Die Entscheidung ist nicht leichtgefallen. Wenn wir uns aber dafür entschieden haben, der Regierungsvorlage in diesem Punkt zu folgen, dann nur unter der Voraussetzung, daß damit kein Präjudiz hinsichtlich der Veränderung der Formen des Gesellschaftsrechts überhaupt geschaffen wird. Aus diesem Grunde ist auch zur Reform der bergrechtlichen Gewerkschaft vom Ausschuß die Empfehlung formuliert worden, die Übergangsfrist auf vier Jahre zu verlängern. Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß die Auflösungs- und Umwandlungsbestimmungen immerhin unter dem Vorbehalt stehen, daß eine Reform der bergrechtlichen Gewerkschaft nicht zustande kommt. Ich möchte noch einmal betonen, daß mit dem Verzicht auf die Form der bergrechtlichen Gewerkschaft kein Reformzwang verbunden ist.
Nicht zuletzt möchte ich den Umstand hervorheben, daß, insgesamt gesehen, der Wirtschaftsausschuß den vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen soweit wie nur eben möglich gefolgt ist und die Übernahme dieser Vorschläge durch das Plenum empfiehlt. Umgekehrt gehen wir aber auch davon aus, daß der Bundesrat nunmehr der jetzigen Vorlage in unveränderter Form zustimmen wird. Wir hoffen, daß dies keine vergebliche Bitte ist.
Die Ausgewogenheit der Regierungsvorlage wird in keiner Weise in Frage gestellt. Die Tatsache, daß von allen Fraktionen so viel Zustimmung signalisiert wird, mag möglicherweise den Aufmerksamkeitswert dieses Gesetzesvorhabens hier im Hause mindern. Ich hoffe aber, daß mindestens die durch dieses Gesetz Begünstigten und Betroffenen mit der notwendigen Aufmerksamkeit die sachliche Arbeit dieses Hauses in diesem Punkt zu würdigen wissen.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit der heutigen Beschlußfassung über den vorliegenden Gesetzentwurf - das wird man sagen dürfen - leitet der Bundestag eine Wende im deutschen Bergrecht ein. Jahrzehntelange Bemühungen um ein Bergrecht, das den Anforderungen gerecht wird, die an jede gesetzliche Regelung eines Sach- und Lebensbereichs im Rahmen unserer heutigen Wirtschaftsordnung gestellt werden, finden einen Abschluß. Das Parlament entscheidet über ein modernes und erstmals bundeseinheitliches Berggesetz.
Es ist hier zwar schon Dank gesagt worden, aber ich möchte mich dennoch dem sehr herzlichen Dank an den Kollegen Russe anschließen. Er hat es fertiggebracht, daß in der Arbeitsgruppe außerordentlich intensiv, außerordentlich erfolgreich Kompromisse gefunden werden konnten, die schließlich - wie alle Beteiligten glauben - tragfähig sind. Das, Herr Russe, war ein wesentlicher Beitrag zu dieser Gesetzgebung. Herzlichen Dank.
({0})
Ich darf vielleicht noch eines hinzufügen: Herr Kollege Wolfram, eine so koalitionsunfreundliche Aufforderung, wie Sie sie an mich gerichtet haben, habe ich doch nicht verdient. Sie fordern mich auf, ich sollte die Bundesländer dazu bewegen, zuzustimmen, daß wir die Lasten auch bei ihnen unterbringen. Sie wissen doch, daß das nicht klappt. Sie sollten mir keinen Mißerfolg ins Nest legen.
({1})
- Vielen Dank. Das haben wir lange genug versucht, und es funktioniert nicht. Ich bin in der Sache völlig Ihrer Meinung. Vielleicht läßt sich darüber dann später auch einmal reden.
Meine Damen und Herren, die Ziele des Gesetzentwurfs und dessen wesentlicher Inhalt sind an dem hohen Stellenwert ausgerichtet, den Bundesregierung und, erfreulicherweise, auch Bundestag dem Vorhaben beimessen. Die besondere gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Bergbaus und die Bodenschätze als lebenswichtige Grundlage einer Volkswirtschaft spielen dabei angesichts der wenigen Bodenschätze, die wir haben, eine besonders wichtige Rolle.
Zu den rohstoffwirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Gesetzentwurfs werden dem Bundestag vom Wirtschaftsausschuß in mehrfacher Hinsicht Verbesserungen vorgeschlagen, die sich im Ergebnis als Erhöhung des Anreizes zu bergbaulichen Aktivitäten auswirken. Das halte ich für wesentlich und wichtig.
Das gilt einmal im Hinblick auf die Erlangung und Verlängerung von Bergbauberechtigungen im allgemeinen und des Bergwerkseigentums im besonderen, das als grundstücksgleiches Recht die stärkste Form der Gewinnungsberechtigung darstellt.
Der Ausschuß schlägt ferner vor, die Übersichtsprospektion in das System des Gesetzes einzuordnen. Das darf für die Möglichkeiten, heimische Lagerstätten in größeren Tiefen zu entdecken - ein Thema, das uns beschäftigt und beschäftigen wird -, nicht unterschätzt werden. Nicht zuletzt darf ich auf die Klausel hinweisen, nach der bei Handhabung bestimmter Verbote und Beschränkungen aus anderen Gesetzen die Aufsuchung und Gewinnung der dem Berggesetz unterliegenden Bodenschätze so wenig wie möglich beeinträchtigt werden soll; also auf eine Prioritätsregelung. Die ursprüngliche Vorschrift, die sichern und klarstellen sollte, daß diese Verbote und Beschränkungen unberührt bleiben, hat damit eine andere Dimension bekommen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Beratungen waren die Vorschriften, die sich mit den Auswirkungen bergbaulicher Tätigkeit auf die Oberfläche befassen und damit unmittelbar den Bürger in allen Bergbaurevieren der Bundesrepublik berühren. Ich kann hier auf das Bezug nehmen, was zur Frage des Bergschadenrechts bereits gesagt worden ist. Ich will das nicht wiederholen; ich stimme dem zu.
Die Gesamtkonzeption des Regierungsentwurfs und die mit ihm angestrebte Ausgewogenheit sind in allen diesen Beratungen bestätigt worden. Daran ändert die Tatsache nichts, daß Wünsche offengeblieben sind. Das ist wohl eher ein Beweis für die Gegensätzlichkeit und Vielschichtigkeit der hier auszugleichenden Interessen. Es spricht nach meiner Auffassung alles dafür, daß es bei dem bisherigen Ergebnis der Beratungen bleibt.
Ich möchte das unterstreichen, was Herr Wolfram hier im Hinblick auf die ja angekündigten Änderungsanträge gesagt hat. Erstens habe ich Verständnis dafür. Zweitens: Dies ist nicht der Ort, allgemeine entschädigungsrechtliche Grundsätze zu ändern und zu modifizieren. Daß man darüber einmal in breiterem Rahmen reden sollte, sei durchaus bestätigt, und das muß offenbleiben. Drittens, meine Damen und Herren, hoffe ich, daß wir nicht zu hören bekommen, die Bergbaugesellschaften, die Bergbau treibenden Unternehmen ihrerseits seien mit einer solchen weitergehenden Entschädigungsregelung durchaus einverstanden. Denn die zahlen das, wie wir alle ganz genau wissen, nicht unbedingt bis auf den letzten Pfennig aus der eigenen Tasche, sondern andere zahlen. Und es ist bekanntlich immer einfach, über anderer Leute Geld zu verfügen. Auch wir selbst erliegen, da wir wissen, wie einfach das ist, gelegentlich dieser Versuchung.
Meine Damen und Herren, letzteres gilt auch für den vom Wirtschaftsausschuß zur Absicherung von Bergschadensersatzansprüchen bei Insolvenzen und in anderen Fälllen vorgeschlagenen Vorrang privatrechtlicher Initiative gegenüber der in der Regierungsvorlage vorgesehenen staatlichen Ausfallkasse. Hier wie auch bei der Bundesprüfanstalt für den Bergbau, bei der in den Ausschußempfehlungen ebenfalls der Vorrang privater Initiative vor einer staatlichen Einrichtung zum Ausdruck kommt, gehe ich davon aus, daß die Bergbauwirtschaft das in sie gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen wird.
Bergrecht ohne eine Regelung des Schutzes der im Bergbau beschäftigten Menschen ist nicht denkbar. Mir kommt in der gesamten energiepolitischen Diskussion etwas befremdlich vor, daß die Tatsache, daß der einzige Energiegewinnungsprozeß in der Bundesrepublik, in dem wir immer noch von Zeit zu Zeit tödliche Unfälle zu verzeichnen haben, nach solchen Schutzregelungen verlangt, in ihren Dimensionen gar nicht gesehen wird, sondern daß die tödlichen Unfälle dort angesiedelt werden, wo sie in Wirklichkeit nicht vorkommen. Ich meine, wir sollten gerade das Risiko nicht vergessen, daß im Bergbau nach wie vor für die dort Beschäftigten liegt und bei allen Schutzmaßnahmen und Vorsorgeeinrichtungen niemals hundertprozentig beseitigt und ausgeschlossen werden kann. Es ist gut, daß diesem Aspekt bei dieser Gelegenheit und in diesem Gesetz ein so großer Stellenwert beigemessen worden ist und daß man sich darum so bemüht hat.
({2})
Das zieht sich denn auch als Leitfaden durch alle Vorschriften, die den bergbaulichen Betrieb zum Gegenstand haben, und es kommt vor allem in den Ermächtigungen zum Erlaß sicherheitlicher Verordnungen zum Ausdruck.
Wegen des hohen Stellenwerts, der dem Arbeitsschutz und der Betriebssicherheit beizumessen ist, haben die gegensätzlichen Standpunkte von Bundesrat und Bundesregierung in der Frage der Zuständigkeit für die sicherheitlichen Verordnungen die beteiligten Ausschüsse vor eine nicht leicht zu lösende Aufgabe gestellt; der Herr Kollege Cronenberg hat das angedeutet. Die Aufgabe war um so schwerer zu lösen, als das Ziel des Gesetzentwurfes, einen einheitlichen, zumindest gleichwertigen Arbeitsschutz sicherzustellen, nach Meinung aller Beteiligten nicht beeinträchtigt werden durfte. Die letztlich vorgeschlagene Lösung schützt unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte die hier maßgeblichen Belange und findet deswegen auch die Zustimmung der Bundesregierung.
Zu ebenfalls sehr eingehenden Erörterungen hat ein weiterer Bereich des Gesetzentwurfes geführt, der in besonderem Maße die Vielfältigkeit der Materie dokumentiert, mit der sich der Ausschuß auseinanderzusetzen hatte. Ich meine die Vorschrift über die bergrechtliche Gewerkschaft, über deren Umwandlung und Auflösung. Angesichts der gegen die Regierungsvorlage erhobenen Einwände ist das Ringen um eine richtige Regelung verständlich. Die erst in der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses getroffene Entscheidung, auf die bergrechtliche Gewerkschaft als besondere Gesellschaftsform unter bestimmten Voraussetzungen in Zukunft zu verzichten, beläßt es bei der Regierungsvorlage. So kann - und das ist sicher zu begrüßen - eine beträchtliche Lücke in der angestrebten Vereinheitlichung und Reform des Bergrechts vermieden werden. Ich gestehe, daß mein juristischer Verstand - dies liegt allerdings schon lange zurück - mich dennoch etwas betrübt mitansehen läßt, wie diese Rechtsform untergeht, daß es in Zukunft keine Kuxe mehr geben soll, die ich früher einmal in anderen Berufen gehandelt habe. Das ist schade, aber so ist
der Lauf der Welt. Es ist wohl einzusehen, daß Gründe entgegenstehen, die überzeugend sind.
Lassen Sie mich abschließend auf ein Thema eingehen, das von ungleich größerem Gewicht ist und in seiner Bedeutung auch weit über das Bergrecht hinausreicht: die Feldes- und Förderabgabe für bestimmte Bodenschätze. Dabei geht es nicht nur um die erstmalige berggesetzliche Verankerung einer bei der Vergabe bestimmter Bergbauberechtigungen seit langem eingeführten Praxis. Das Stichwort windfall-profits, das hier erwähnt wurde, genügt, um es deutlich zu machen. Die Bundesregierung hat keinen Zweifel daran gelassen, daß sie das bergrechtliche Instrument des Förderzinses auch zu der hier erforderlichen Abschöpfung als geeignet ansieht und gegenüber anderen Wegen bevorzugt, wenn es bei der in der Regierungsvorlage vorgesehenen Konstruktion bleibt. Ich habe immer, auch von dieser Stelle aus, gesagt, daß die Heranziehung von windfall-profits, in welcher Form auch immer - das ist finanzverfassungsrechtlich bei uns außerordentlich schwierig -, ordnungspolitisch gerechtfertigt und notwendig ist.
Die Änderungsvorschläge des federführenden Wirtschaftsausschusses stimmen mit diesen Vorstellungen voll überein. Sie tragen nach meiner Meinung maßgeblich zu einer Verbesserung des gewählten Instruments bei.
({3})
Die Länder, in deren Kassen die Einnahmen aus den beiden Abgaben nach wie vor fließen sollen, werden das sicherlich nicht verkennen. Es ging nicht darum, ihnen diese Einnahmequelle wegzunehmen; sonst würden wir wohl kaum mit ihrer Zustimmung rechnen dürfen.
Meine Damen und Herren, insgesamt ist aber auch nicht zu übersehen, daß den zahlreichen Änderungswünschen der Mehrheit des Bundesrates aus dem ersten Durchgang in nahezu allen Fällen Rechnung getragen worden ist. Das gilt insbesondere in den vom Bundesrat für wesentlich erachteten Punkten. Deswegen sind wir sehr gespannt auf die Reaktion des Bundesrates. Mehr kann man eigentlich nicht tun, als mit Ihrer Unterstützung, Herr Kollege Russe, und der Unterstützung Ihrer Fraktion in allen Punkten entgegenzukommen und jeden Versuch zu unterlassen, diesen Gesetzentwurf etwa auf Nichtzustimmungsbedürftigkeit hin zu frisieren. Auch das haben wir von Anfang an bewußt nicht getan. Nun wird sich zeigen, ob der einzige Fehler dieses Gesetzgebungsvorhabens vielleicht darin liegt, daß es erst vier Monate vor der Bundestagswahl in den Bundesrat kommt.
Es spricht nicht nur für die Regierungsvorlage, sondern in hohem Maße für die umfassende, mehr als zweijährige parlamentarische Erörterung und Meinungsbildung, daß der Gesetzentwurf so, wie er Ihnen jetzt zur Beschlußfassung vorliegt, in den beteiligten Ausschüssen breite Zustimmung gefunden hat. Ich freue mich sehr, daß der Kollege Russe ankündigen konnte, daß dies in der dritten Lesung bei der Verabschiedung hier im Hause auch zum Ausdruck kommen wird, und appelliere sehr an die Vertretungen der Länder im Bundesrat, dann das Votum des Bundestages zu bestätigen und auch im Bundesrat die notwendige Zustimmung zum Ausdruck zu bringen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Spies von Büllesheim.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begründe den Änderungsantrag, der Ihnen auf Drucksache 8/4009 vorliegt. Der Änderungsantrag betrifft drei Fragen:
Erstens. Das Berggesetz schafft die Möglichkeit zur Festsetzung von Baubeschränkungsgebieten dort, wo innerhalb der nächsten 15 Jahre Bergbau zu erwarten ist. Diese neue Möglichkeit ist selbstverständlich volkswirtschaftlich richtig. Es ist aber nicht richtig, daß die Betroffenen für die sich daraus ergebenden Schäden keine vollständige Entschädigung, sondern nur eine eingeschränkte Entschädigung erhalten. Die Entschädigung ist eingeschränkt, weil unwesentliche Wertminderungen bei den Betroffenen ohne Entschädigung bleiben. Der Änderungsantrag fordert in diesem Punkte, daß der Betroffene, wenn sich der Eingriff als eine Enteignung darstellt, eine volle Entschädigung erhält.
Zweitens. Das Berggesetz sieht für Bergbauunternehmen die Möglichkeit vor, in Bereichen, für die ein Rahmenbetriebsplan vorliegt, von einem Bauherrn Anpassung seines Bauwerks im Hinblick auf zu erwartende Bergschäden zu verlangen. Der Bauherr wird also, wenn ein solches Anpassungsverlangen geäußert wird, verpflichtet, Lage, Stellung, Konstruktion seines Bauwerks zu verändern. Auch das ist volkswirtschaftlich richtig. Nicht richtig ist wiederum, daß der betroffene Bauherr keine volle Entschädigung erhält. Der Bauherr muß unerhebliche Aufwendungen und unwesentliche Wertminderungen selbst tragen.
Im hier vorliegenden Änderungsantrag wird ein Kompromiß geschlossen. Er sieht vor, daß der Bauherr alle sich aus dem Anpassungsverlangen ergebenden Aufwendungen ersetzt bekommt, daß er aber unwesentliche Nachteile selbst tragen muß. Eine solche Regelung erscheint deswegen notwendig, um Ansprüche in Bagatellfällen und Querulanten abzuwehren. Wenn z. B. jemand durch ein Anpassungsverlangen veranlaßt wird, sein Haus auf einem großen Grundstück etwa fünf Meter zurückzusetzen, so soll er daraus keinen besonderen Anspruch herleiten können. Wenn er aber Aufwendungen hat, so besteht überhaupt kein Grund dafür, daß er diese Aufwendungen nicht voll ersetzt bekommt.
Der dritte Punkt betrifft das Verlangen der vom Tagebau betroffenen Bevölkerung, die Bergschadensvermutung, die jetzt nur für den untertägigen Bergbau gilt, auch auf den Braunkohlentagebau auszuweiten. Dies hat in den Beratungen des Unterausschusses bereits eine erhebliche Rolle gespielt. Ich will hier ganz klar sagen, daß das Anliegen als solches in der umfassenden Form, wie es vorgetra17424
gen wurde, keinesfalls aufgenommen werden kann, denn sonst wäre es so, daß der Braunkohlenbergbau wegen der großflächigen Grundwasserabsenkung jeden Riß in einem Haus im Raume von Aachen bis Bonn bezahlen müßte. Eine Bergschadensvermutung darf und kann nur tatsächliche Veränderungen der Oberfläche und bergbautypische Geschehensabläufe abdecken. Dies ist die Einschränkung, die in diesem Punkte gemacht worden ist. Wenn aber die genannten Voraussetzungen gegeben sind, besteht wirklich kein Grund, den vom Tagebau Betroffenen - unter den genannten Einschränkungen - auch die Beweislastvermutung zugute kommen zu lassen.
Meine Damen und Herren, wenn wir den vorliegenden Änderungsantrag ablehnen wollen, müssen' wir uns doch fragen, wie wir der vom Bergbau betroffenen Bevölkerung verständlich machen wollen, daß sie eine schlechtere - nämlich eine unvollständige - Entschädigung erhält, als sie z. B. nach dem Landbeschaffungsgesetz, nach dem Atomgesetz, nach §§ 94 und 96 des Bundesbaugesetzes und nach dem Bundeswasserstraßengesetz vorgesehen ist. Dies . könnte man dem Bürger einfach nicht verständlich machen. Sie können auch keinem von Bergschaden betroffenen Bürger verständlich machen, daß er die ihm aus der Notwendigkeit der Anpassung entstehenden Aufwendungen, z. B. ein um 20 cm breiteres Fundament zu bauen - selbst wenn diese Aufwendungen im Rahmen des Gesamtvorhabens als unerheblich betrachtet werden -, aus eigener Tasche bezahlen muß. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben gerade gesagt, es sei leicht, über anderer Leute Geld zu verfügen. Ich möchte diese Aussage umkehren. Wenn wir das Gesetz in der vorliegenden Fassung verabschieden, verfügen wir über anderer Leute Geld, nämlich in der Weise, daß der einzelne Grundstückseigentümer die vom Bergbau veranlaßten Mehraufwendungen, soweit sie unerheblich sind, selbst tragen muß. Das ist meiner Meinung nach nicht hinnehmbar.
Es ist für mein Gefühl aber nicht einmal das Schlimmste - als ehemaligem Bürgermeister einer Bergarbeiterstadt liegt mir dieses Problem sehr am Herzen -, daß der einzelne 100, 200, 500 oder vielleicht auch 1 000 DM aus eigener Tasche bezahlen muß. Das Schlimmste ist, daß er entmutigt wird. Das Schlimmste ist, daß für ihn die Rechtslage unsicher ist. Das Schlimmste ist, daß ihm gesagt wird: Das ist ja unerheblich. Ich erhebe in diesem Zusammenhang gar keinen Vorwurf gegenüber den Vorständen irgendwelcher Gesellschaften. Es ist selbstverständlich die Pflicht der Mitarbeiter der Bergbauunternehmen, für ihr Unternehmen Aufwendungen abzuwehren. Wenn die erwähnte Bestimmung in der vorliegenden Fassung angenommen wird, werden sie sagen: Das ist unerheblich; das ist unwesentlich. - Der Betroffene wird dann oftmals seinen Schaden gar nicht mehr geltend machen.
Ich möchte hier auch erwähnen, daß nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes durchaus die Frage besteht, ob die vorgesehene Regelung verfassungsgemäß ist. Wir haben über diese Frage natürlich auch im Unterausschuß eingehend gesprochen. Der Wissenschaftliche Dienst ist in dieser Frage anderer Auffassung als das Bundesjustizministerium. Wir sollten uns in diesem Hause eigentlich davor hüten, Gesetze zu verabschieden, die an die Grenze der Verfassungsmäßigkeit gehen.
Für den vorliegenden Änderungsantrag spricht des weiteren der allgemeine Gesichtspunkt, daß in diesem Lande alles, was es kostenlos gibt, über alle Maße in Anspruch genommen wird. Der Bergbau wird natürlich sehr weitgehende Anpassungsverlangen für weite Gebiete stellen, wenn ihn das überhaupt nichts kostet, wenn nämlich den 1 000 oder 1 500 betroffenen Bürgern jeweils nur unerhebliche Aufwendungen entstehen oder diese Bürger nur unerhebliche Nachteile haben. Ich meine, das ist nicht hinzunehmen.
Genau das gleiche gilt auch für die Baubeschränkungsgebiete. Wenn das überhaupt keine oder nur wenige vom Bergbau auszugleichende Nachteile hat, dann werden die Gebiete wahrscheinlich sehr großzügig und großflächig festgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, in Gebieten, in denen Bergbau getrieben wird, trägt die Bevölkerung ein Sonderopfer. Darauf hat der Bundeswirtschaftsminister schon hingewiesen. Sie trägt es in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich weitgehend klaglos. Denken wir an Unfälle, an Halden, an Bergschäden, an Schmutz. Alle diese Belastungen werden getragen. Andere argumentieren mit Landschaftsschutz, argumentieren gegen die Kernenergie, argumentieren gegen Steinkohlekraftwerke, weil hier ein Schornstein in einen Wald kommt oder dort eine Elektrizitätsleitung verlegt werden muß. Die Bergbaubevölkerung trägt dieses Sonderopfer weitgehend klaglos. Es besteht kein Grund, dem einzelnen Bürger im Falle einer konkreten Belastung dazu noch zusätzliche Sonderopfer aufzuerlegen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte hier noch einmal bestätigen: Diese Sache ist unglücklich gelaufen. Wir sind ja gar nicht so weit voneinander entfernt. Von allen Seiten ist Verständnis für diesen Antrag geäußert worden. Das materielle Gewicht ist nicht sehr groß. Meine Damen und Herren, ich werbe noch einmal darum, daß Sie dieses Verständnis für die vom Bergbau und seinen Schäden betroffenen Bürger jetzt in die Realität umsetzen, indem Sie diesem Änderungsantrag in letzter Minute doch noch zustimmen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich ist es das gute Recht des Kollegen Spies von Büllesheim, einen solchen Änderungsantrag, der zunächst als Gruppenantrag angekündigt war, einzubringen. Selbstverständlich ist es das Recht der Opposition, sich als Fraktion einem solchen Antrag anzuschließen. Befremdlich ist, daß der verehrte Kollege Spies von Büllesheim, nachdem er diese Themen mit uns gemeinsam in der Arbeitsgruppe sehr, sehr eingeWolfram ({0})
bend und intensiv beraten hat und nachdem wir mit überwiegender Mehrheit entschieden haben, daß wir den Einwendungen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht folgen können, und nachdem er im Wirtschaftsausschuß der einzige war, der, wenn ich es recht in Erinnerung habe, überstimmt worden ist, jetzt, in letzter Minute, von uns, vom gesamten Haus, erwartet, daß wir derartigen Änderungen zustimmen.
Bei allem Respekt, verehrter Kollege Spies von Büllesheim, so sollte man es nicht machen. Ich will nicht mehr andeuten.
({1})
- Ach, lieber Kollege, Sie verstehen von dieser Materie wahrscheinlich zu wenig. Lassen Sie sich doch einmal von Ihren sachverständigen Kollegen Russe, Gerstein und anderen beraten, damit Sie feststellen, daß auch Ihre Fraktion über den Weg, der jetzt beschrieben worden ist, nicht ganz glücklich ist. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Und nun zur Sache:
({2})
Alle diese Themen - Sie, Herr Kollge Spies von Büllesheim, haben es eben durch Kopfnicken bestätigt - haben wir in den Beratungen eingehend erörtert. Sie sind bei den Anhörungen eingehend behandelt worden. In den Ausschüssen wurde zu den teilweise nicht einfach gefundenen Lösungen einstimmig oder mit überwiegender Mehrheit die Auffassung vertreten, daß die im Gesetz gefundenen Regelungen ausgewogen sind. Selbstverständlich können Kompromisse, die hier geschlossen worden sind, nicht alle Wünsche erfüllen.
Lassen Sie mich zu den drei Punkten folgendes sagen.
Zu § 107. Die Vorschrift hat nicht nur einen bergrechtlichen, sondern auch einen baurechtlichen Bezug. Die Entschädigungsregelung in Abs. 1 und Abs. 5 entspricht allgemeinen entschädigungsrechtlichen Grundsätzen bei Baubeschränkungen. Ich weise auf das Bundesbaugesetz hin. Ich darf auch wiederholen, was ich für die SPD-Fraktion festgestellt habe und was dankenswerterweise der Bundeswirtschaftsminister aufgegriffen hat, daß wir uns wohl einig sind, daß die Schadensersatzregelung möglichst in der nächsten Legislaturperiode generell verbessert und neu gefaßt werden müßte. Das Berggesetz ist nicht der richtige Ort. Es liegt im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung, daß wir hier keine Sonderregelungen treffen.
Zu § 108. Der Änderungsvorschlag berührt Grundsatzfragen des Verhältnisses zwischen Bauherren und Bergbau bei Anpassungsfragen. Die Regierungsvorlage hält sich an Regelungen, wie sie beispielsweise im Bürgerlichen Gesetzbuch für nachbarschaftliche Verhältnisse ihren Niederschlag gefunden haben. Die Verpflichtung des Bauherrn bleibt im Rahmen der Sozialpflichtigkeit, der Situationsgebundenheit. Das Pendant beim Bergbau wird als Genehmigungsvorbehalt im Betriebsplanverfahren sichergestellt Man muß die Bergschadensregelung insgesamt sehen, die gegenüber dem derzeitigen Recht eine Vielzahl von Verbesserungen bringt Sie ist ausgewogen; das können Sie nicht ernsthaft in Zweifel ziehen.
Zu § 118. Kausalitätsvermutungen sind im deutschen Recht zwar nicht singulär, aber nur in ganz besonders gelagerten Fällen gesetzlich geregelt Die Kausalitätsvermutung ist rechtspolitisch nur vertretbar, wenn der Regelfall des für diese Vermutung maßgebenden Zusammenhangs von Ursache und Wirkung erfaßt wird. Beim Untertagebergbau sind solche Voraussetzungen gegeben. Deshalb haben wir dort die Bergschadensvermutung. Beim Tagebau schaut es grundsätzlich anders aus.
({3})
- Schütteln Sie nicht den Kopf; da sind wir uns in der Sache einig. - Daß z. B. durch eine großflächige Absenkung des Grundwassers entstehende Veränderungen sich in der Regel merklich von dem für die Bergschadensvermutung maßgeblichen Erscheinungsformen unterscheiden, ist unstrittig.
Der Änderungsvorschlag, meine Damen und Herren, läßt den Eindruck entstehen, als ob er diese Schwierigkeiten ausräumen könnte. Ich wiederhole: Es entsteht der Eindruck, als könnte er diese Schwierigkeiten ausräumen. Er erweckt einen Erwartungshorizont, der nicht ausgefüllt werden kann. In Wirklichkeit verlagert er das Problem und stellt die Landesregierungen vor eine kaum lösbare Aufgabe.
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen bitte ich im Namen der beiden Koalitionsfraktionen, d. h. auch im Namen der FDP, die Änderungsanträge abzulehnen.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung.
Ich rufe die §§ 1 bis 106 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe § 107 auf. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Schmitz ({0}), Frau Dr. Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU auf der Drucksache 8/4009 unter den Ziffern 1 und 2 vor. Die Begründung ist bereits erfolgt Wer den Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Änderungsanträge sind abgelehnt
Wer § 107 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - § 107 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe § 108 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 8/4009 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der vor-
Vizepräsident Leber
hin genannten Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer wünscht, dagegen zu stimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer § 108 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - § 108 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die §§ 109 bis 117 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe § 118 auf. Hierzu liegen auf der Drucksache 8/4009 unter den Ziffern 4 bis 6 drei Änderungsanträge der vorhin genannten Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer den Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Änderungsanträge sind abgelehnt
Wer § 118 in der Ausschußfassung anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - § 118 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ichrufe die §§ 119 bis 121 und 127 bis 178, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme?
- Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Ich frage den Bundestag, ob dazu das Wort gewünscht wird. - Ich sehe, daß das Wort nicht gewünscht wird.
Wir kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist angenommen.
Wir haben noch über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3965 unter Ziffer 2, den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel - Drucksache 8/1018 - für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
- Der Beschlußempfehlung des Ausschusses wird zugestimmt
Der Ausschuß empfiehlt ferner auf Drucksache 8/3965 unter Ziffer 3, die zum Entwurf des Bundesberggesetzes eingegangenen Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Hohe Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt Punkt 27 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Glombig, Egert, Rappe ({1}), Lutz, Stockleben, Hoffmann ({2}), Grunenberg, Schmidt ({3}), Cronenberg, Dr: Ing. Laermann und der Fraktionen der SPD und FDP
Humanisierung des Arbeitslebens
- Drucksachen 8/3476, 8/3844 -
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Gerstein, Müller ({4}), Lenzer, Dr. George, Dr. Probst, Pfeifer, Franke, Dr. Blüm, Hasinger, Benz, Engelsberger, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
Menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen
- Drucksachen 8/3576, 8/3852 Im Ältestenrat ist verbundene Debatte vereinbart worden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gerstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Beurteilung des Forschungsprogramms der Bundesregierung „Humanisierung des Arbeitslebens" liegen uns die Antworten auf zwei Große Anfragen der SPD /FDP und der CDU/CSU sowie ein Sachstandsbericht des Bundesministers für Forschung und Technologie vor. Die Antworten auf diese Großen Anfragen zeigen folgendes. Erstens. Es ist eine gründliche Bestandsaufnahme des Forschungsprogramms, seiner Ergebnisse und der Umsetzung am Arbeitsplatz erfolgt Hierfür gebührt insbesondere den Beamten im Bundesforschungsministerium durchaus Dank. Andererseits stellen wir aber fest, daß für die Ergebnisse dieses Programms mit 324,9 Millionen DM in den letzten Jahren ein zu hoher Preis gezahlt worden ist. Der Bundesforschungsminister konnte aber - das hat er ja immer schon gekonnt - auch hier magere Ergebnisse eines teuren Programms gut verkaufen.
Zweitens. In den Antworten finden sich Ansätze zum Nachdenken über die Berechtigung der Kritik. Dies erkennen wir an.
Drittens, und das ist die wesentliche Erkenntnis aus den Antworten: wir müssen die politische Diskussion über Richtung und Ziele des Programmes hier im Deutschen Bundestag führen. Dies muß vor allem erfolgen, bevor neue Mittel, insbesondere bevor Aufstockungen für das Programm bewilligt werden können.
Unsere Kritik an dem Programm, an seiner Organisation und an seiner Durchführung haben wir bereits seit mehreren Jahren vorgetragen. Leider ohne Erfolg. Der Bundesforschungsminister hat sich wiederholt einer Diskussion über unsere Kritik entzoGerstein
gen. Dies ist besonders bedauerlich, weil dadurch eine Reihe von Fehlentwicklungen, die wir rechtzeitig erkannt haben, nicht abgestellt worden sind und heute dazu führen, daß das Programm in einen erheblichen Mißkredit geraten ist.
Allerdings sehen wir aus den Antworten auf die Anfragen, daß nunmehr das Bundesforschungsministerium bereit ist, jedenfalls soweit es die Organisation der Verwaltung des Förderprogramms angeht, Besserung zu geloben. Auch ist der Versuch gemacht worden, die schwerwiegenden Probleme zwischen sozialwissenschaftlicher Forschung und betrieblicher Wirklichkeit aufzugreifen.
Wir erkennen auch an, daß es in den letzten Jahren - allerdings unabhängig von dem eigentlichen Forschungsprogramm - eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Arbeitsschutzes im weiteren Sinne gegeben hat, so wie sie in der Bestandsaufnahme vorgetragen worden ist. Hier sind erhebliche Fortschritte für den Menschen am Arbeitsplatz und für seine Gesundheit erzielt worden. Meine Damen und Herren, dieser Weg muß kontinuierlich weitergegangen werden.
Fraglich ist nur, inwieweit das eigentliche Forschungsprogramm auf diesem Wege eine Hilfe oder eine Behinderung gewesen ist. Es bleiben eben einige zentrale Fragen offen. Wir - und mit uns viele andere, die an Fragen der Humanisierung des Arbeitslebens interessiert sind - haben Zweifel, echte Zweifel an der wirksamen Durchführung
des Programms, an seiner Umsetzung in die betriebliche Wirklichkeit. Vor allem aber haben wir Zweifel - ich komme auf diesen zentralen Punkt zurück - an der klaren Zielsetzung des Programms.
Unsere Zweifel, meine Damen und Herren, teilen viele. Lassen Sie mich hier einige Zweifler aufzählen. Der Bundesverband junger Unternehmer will gleich das ganze Forschungsministerium abschaffen; so weit gehen wir vielleicht nicht. Der Verein Deutscher Maschinenbauanstalten erklärte durch seinen Sprecher, das Programm „Humanisierung der Arbeitswelt" könne jederzeit ersatzlos abgebrochen werden. Der Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff, hält es für richtig, die in vielen Fällen höchst problematische wirtschaftsnahe, direkte Projektförderung zurückzuschrauben. Auch der forschungspolitische Sprecher der Freien Demokraten fordert, daß die Forschung aus den die Effizienz immer mehr einschränkenden Fesseln von Organisation und Bürokratie gelöst werden müsse. Wissenschaftliche Fachzeitschriften beklagen die Konzeptlosigkeit und das organisatorische Chaos bei der Abwicklung des Programms. Auch den Gewerkschaften erscheint der mit den bisher ausgegebenen Mitteln erreichte Nutzeffekt des Programms für den arbeitenden Menschen zunehmend mehr als fraglich. In der kürzlich veröffentlichten Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die sich mit der Lage der Arbeitsmedizin und Ergonomie beschäftigt hat, wird ebenfalls erhebliche Kritik am Programm der Bundesregierung geübt. Es heißt dort:
Die Einengung wissenschaftlicher Kreativität durch Limitierung des Forschungsgegenstandes, durch die Begleitforschung im Rahmen des Programms wird ebenso beklagt wie die Gefahr einer Forschungszentralisierung durch das Programm.
Professor Rohmert, Arbeitswissenschaftler an der TH in Darmstadt, stellte auf dem 26. Kongreß der Gesellschaft für Arbeitswissenschaften fest:
Bereits beginnend mit der Antragsphase eines Humanisierungsprojekts gilt es durchzusetzen oder zu verhindern, . .. Es kann angezweifelt werden, daß der ausgehandelte Kompromiß auch stets in Richtung auf eine humanere Arbeitswelt, eine höhere Menschlichkeit läuft.
Darauf käme es eigentlich an, wenn ein solches Programm konsequent verfolgt wird.
Meine Damen und Herren, wir stellen fest: Kritik an diesem Programm und Enttäuschung äußern inzwischen fast alle Beteiligten. Und dies ist etwas Besonderes: daß inzwischen fast alle Beteiligten, selbst diejenigen, die Geld aus dem Programm bekommen, an den Möglichkeiten sinnvoller Verwendung der Mittel in zunehmendem Maße zweifeln.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann?
Mit Rücksicht auf meine sehr begrenzte Redezeit möchte ich meine Gedanken im Zusammenhang vortragen. Sie haben ja nachher noch Gelegenheit, selbst einen Beitrag zu leisten.
Wenn man die Zweifel betrachtet und zusammenfaßt, was die Kritiker vorgetragen haben, dann stellt man fest, daß sie drei zentrale Fragen betreffen, die wir behandeln müssen: erstens die Frage nach der Stellung des Forschungsprogramms in der staatlichen Forschungsförderung überhaupt, zweitens die Frage nach der wirksamen Durchführung des Programms, drittens die Frage nach der wirklichen Zielsetzung des Programms.
Zum ersten Komplex darf ich hier noch einmal den Bundeswirtschaftsminister zitieren, der vor kurzem festgestellt hat:
Die Förderung von Forschung und Entwicklung durch den Staat setzt eine sorgfältige Prüfung voraus, ob und inwieweit die Marktkräfte wirklich nicht ausreichen, um technologische Suchprozesse überhaupt in Gang zu setzen.
Wir fragen die Bundesregierung: Hat sie eine solch sorgfältige Prüfung, wie sie der Bundeswirtschaftsminister fordert, auch für den Bereich der Humanisierung des Arbeitslebens vorgenommen?
Ich darf in diesem Zusammenhang den Herrn Wirtschaftsminister erneut zitieren. Er sagt an gleicher Stelle: Nicht der Staat, sondern die Unternehmen müssen den strukturellen Wandel meistern. Der Staat kann und darf ihnen diese Aufgabe nicht abnehmen, auch nicht durch Strukturdirigismus im Gewand direkter Forschungs- und Entwicklungsförderung. Ich bin der gleichen Meinung. Wir dürfen
die Wirtschaft, wir dürfen die Tarifpartner nicht aus ihrer Hauptverantwortung für ein ständiges Bemühen zur Verbesserung der Arbeitsplätze entlassen. Aufgabe des Staates kann es nur sein, Hilfestellung zu geben und Anreize zu wecken. Natürlich ist es gerade innerhalb unserer Wirtschaftsordnung auch Aufgabe des Staates, durch entsprechende Ge- und Verbote den Mindestrahmen abzustecken, der mit Rücksicht auf den Arbeitsschutz im weitesten Sinne des Wortes geboten erscheint. Das hat er bisher, wie ich meine, auch ständig getan.
Wir möchten aber klarstellen: Der Staat muß der Versuchung widerstehen, als könne oder müsse er allein die Humanisierung des Arbeitslebens betreiben, als könne sie nur durch seine Hilfe und nur durch seine Aktivitäten erreicht werden.
In diesem Zusammenhang müssen wir die Ausgaben des Programms stellen. Von insgesamt 324,9 Millionen DM sind ein Drittel an Wissenschaft und Forschung gegangen, zwei Drittel sind als direkte Forschungs- und Entwicklungsförderung ausgegeben worden. Hier ist offensichtlich bereits ein großer Bereich von Strukturdirigismus durch den Forschungsminiser neu erschlossen worden.
Unsere Zweifel sind zweitens besonders groß im Hinblick auf die wirksame Durchführung des Programms. Wir meinen, die Bundesregierung müsse dringend Klarheit über die zukünftige Organisation und die Arbeitsweise des Projektträgers schaffen, der ja in diesem Falle für die gesamte Abwicklung des Programms verantwortlich ist. Auf diesen besonders wichtigen Punkt wird mein Kollege Probst in einem späteren Beitrag noch im einzelnen eingehen, so daß ich mir hier längere Ausführungen ersparen kann.
Ich möchte aber erwähnen, daß es uns dringend geboten erscheint, das Gutachter- und Ausschußwesen umzugestalten und kritisch zu durchleuchten. Nach unserer Auffassung ist es geboten, die wissenschaftliche Inkompetenz innerhalb der Ausschüsse zu beseitigen und die Gefahr der Selbstbedienung durch entsprechende Besetzung der Ausschüsse abzuschaffen. In diesem Zusammenhang möchte ich den Vorschlag machen, zu überlegen, ob es nicht zweckmäßiger wäre, einen Teil der zur Verfügung stehenden Mittel dadurch einer wirksameren Verwendung zuzuführen, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die sich für dieses Gebiet „Humanisierung des Arbeitslebens" in außerordentlicher Weise interessiert, für ihre Grundlagenforschung besser ausgestattet wird.
Meine Damen und Herren, es werden erhebliche Anstrengungen notendig sein, um den Mißkredit, in den der Gesamtkomplex „Humanisierung des Arbeitslebens" durch die schlecht organisierte Arbeitsweise des Projektträgers bei mangelnder Kontrolle der Bundesregierung geraten ist, abzubauen. Die Fördermittel, die gewonnenen Forschungsergebnisse müssen letztlich am Arbeitsplatz, beim Menschen wirksam ankommen und nicht in Instituten und in viel beschriebenem Papier hängenbleiben. Es gilt eben, meine Damen und Herren, Arbeitsplätze zu humanisieren, und es gilt nicht, Arbeitsplätze zu politisieren.
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Ich komme damit zu dem dritten Komplex. Zweifel, Enttäuschung und Unsicherheit sind besonders stark, wenn es um den wichtigsten Komplex, wenn es um die Zielsetzung des Programmes geht. Meine Damen und Herren, diese Zweifel beginnen zunächst einmal, weil die Bundesregierung den Eindruck erweckt, Humanisierung des Arbeitslebens gebe es erst seit Bestehen dieser Bundesregierung, und weil die Bundesregierung versucht, den Begriff so zu vermarkten, als sei er eine Erfindung der Koalition. Und dies entspricht, meine Damen und Herren, nicht der Wahrheit. Wir brauchen nur die in dieser Frage direkt betroffenen Gruppen, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, zu fragen, die uns in allen ihren Papieren über dieses Problem bestätigen, daß dies jeweils eine uralte gewerkschaftliche oder unternehmerische Aufgabe ist. Die geschichtliche Wirklichkeit zeigt uns dies ja auch deutlich an.
Das Zwielicht, in das das Förderungsprogramm geraten ist, ist nicht nur wegen dieser falschen historischen Betrachtungsweise so groß. Es gibt in diesem Komplex gewichtigere Zweifel und Enttäuschungen.
Wenn man fragt, woher diese Zweifel kommen, muß man feststellen, daß sie wohl daher kommen, daß keine Klarheit und keine Einigung über die verschiedenen Bedeutungen von Humanisierung des Arbeitslebens aus politischer Sicht bestehen. Ich kann kurz zusammenfassend sagen: Wir kennen aus politischer Sicht zwei grundlegend verschiedene Bedeutungen der Humanisierung der Arbeitswelt.
Zum einen wird diese Humanisierung als das Problem einer neuen Arbeitsumwelt und als Antwort auf neue Entwicklungen der Technologie und des Arbeitsmarkts angesehen. Die Anhänger dieser Auffassung halten die Verwirklichung einer humanen Arbeitswelt in unserer Wirtschaftsordnung und innerhalb der sozialen Marktwirtschaft für möglich. Sie gehen davon aus, daß Rationalisierung und Produktivitätssteigerung zusammen mit der arbeitswissenschaftlichen Forschung und der Umsetzung der Erkenntnisse dieser Forschung in Richtung auf eine humanere Arbeitswelt dauernd wirken. Diese Auffassung ist auch die Auffassung meiner politischen Freunde.
Die andere Auffassung, die von vielen Sozialwissenschaftlern, und zwar gerade von denen, die in erheblichem Umfang Fördermittel aus dem Programm „HdA" erhalten, geteilt und vertreten wird, besteht darin, daß Humanisierung der Arbeitswelt als Teil einer Strategie angesehen wird, die darauf abhebt, die Grundlagen unserer WirtsChafts-, Sozial- und Gesellschaftsordnung mehr oder weniger radikal zu verändern.
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Innerhalb des Programms haben bedauerlicherweise - und dies hat unsere Kritik hervorgerufen - im besonderen Maß die Vertreter dieser AuffasGerstein
sung mit ihren Instituten ein großes Übergewicht erhalten. Ich zitiere einige Beispiele. So vertritt Herr Volpert, TU Berlin, der immerhin in den letzten zwei Jahren mit über 1 Million DM gefördert worden ist, die Auffassung, Humanisierung der Arbeit bedeutet die grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse.
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Oder: Schumann, von 1975 bis 1979 immerhin mit 3 785 118 DM bedacht, verkündet:
Steigende Kampfbereitschaft der Arbeiter zur Durchsetzung ihrer Interessen ist die wesentliche Voraussetzung für eine Realisierung jenes Konzepts der Humanisierung der Arbeit, das auf eine strukturelle Veränderung der Verfaßtheit von Arbeit und Gesellschaft gleichermaßen abzielt.
Alles Förderung BMFT!
Sehr deutlich hat über diese Ziele die Diskussion Auskunft gegeben, die im Wissenschaftszentrum in Berlin unter Federführung des Internationalen Instituts für vergleichende Gesellschaftsforschung vor einigen Monaten stattgefunden hat. Ich kann das nicht alles wiedergeben.
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Nur möchte ich klarstellen: Auch dieses Institut wird mit hohen Beträgen - in den letzten Jahren über 1,6 Millionen DM - durch die Bundesregierung gefördert. Es kommt zu dem Ergebnis, das staatliche HdA-Programm sei die intentionale Gegensteuerung zur dominierenden Rationalisierungspolitik in der Bundesrepublik. Es hält es für richtig, zu sagen, „die grundsätzliche Stoßrichtung der Bemühungen des Förderprogramms zur Humanisierung des Arbeitslebens liege in der Überwindung der bestehenden Arbeitsorganisation, weil sie in Zielsetzung und Form unter der dominanten Kontrolle des Managements steht und zur umfassenden Degradierung menschlicher Arbeit mit allen ihren sozialen Folgen führt".
Ich könnte die Reihe der Zitate verlängern. Wir fragen die Bundesregierung, ob sie eigentlich die Auffassung dieser von ihr in erheblichem Umfang geförderten Sozialwissenschaftler teilt.
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Und wir fragen: Kann es denn wirklich Aufgabe des Staates sein, dies alles direkt zu fördern? Wir haben keine Bedenken, wenn es Wissenschaftler verschiedener Auffassung gibt. Aber ist es notwendig und richtig, daß der Staat dies direkt fördert und daß er eine solche Entwicklung - man muß ja auch mal an die Nachwuchswissenschaftler denken, die aus diesen Instituten hervorgehen - direkt durch seine finanziellen Mittel unterstützt? Müssen denn gerade jene Sozialwissenschaftler und Institutionen bevorzugt Gelder bekommen, die offen die Humanisierung des Arbeitslebens in den Dienst einer völligen Veränderung unserer Gesellschaftsordnung stellen und die einseitig vor allem Beweise für ihre festgefügten Konflikttheorien fördern, während andererseits Arbeitswissenschaftler, die andere Auffassungen vertreten, um wenige tausend Mark für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse betteln müssen und dann noch vom BMFT über viele Monate hinweg an solchen Veröffentlichungen gehindert werden. Ich meine z. B. Herrn Rohmert mit seinem Vortrag, den er, glaube ich, am 26. März 1980 in Hamburg gehalten hat. Sie können diesen ganzen Vortrag im Wortlaut gerne nachlesen. Oder Sie brauchen sich auch nur die Anfrage einer Ihrer Kolleginnen zu diesem Komplex anzuschauen, die irgendwann gestellt worden ist.
Wir sind der Auffassung, daß diese Entwicklung falsch ist. Humanisierung des Arbeitslebens darf keine vom BMFT finanzierte Spielwiese, kein Vehikel linker Theoretiker für neue Theorien und Ansätze zur Zerstörung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sein.
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Der bayerische Sozialminister Pirkl hat einmal festgestellt: Wer humanisieren will, braucht ein Gespür für das Wünschbare, aber auch für das Machbare. Humanisierung ähnelt einer Gratwanderung. Wir erwarten, daß sich die Bundesregierung dieser Gratwanderung bewußt ist und nicht vom rechten Wege abweicht.
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- Das ist sehr wichtig, weil wir sonst unsere ganze Gesellschaftsordnung ändern.
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- Nein, vom rechten Wege. ({8})
Meistens ist aber auch der rechte Weg der Weg nach rechts.
Ich komme zum Schluß. Nur dann, wenn die Bundesregierung bereit ist, in der zentralen gesellschaftspolitischen Frage nach den wahren Zielen der Humanisierung des Arbeitslebens und der Gestaltung menschengerechterer Arbeitsplätze Klarheit zu schaffen, ist der Weg für eine Prüfung der Frage offen, inwieweit der Einsatz größerer Mittel in Zukunft wirklich sinnvoll ist. Die Großen Anfragen und die Antworten der Bundesregierung, die wir heute diskutieren, sollten über die Bestandsaufnahme hinaus Anlaß zu einem gründlichen Überdenken der unterschiedlichen Positionen geben. Das Unbehagen und die Zweifel der Beteiligten, die Kritik von Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerseite und die Sorgen der Fachwissenschaft müssen ebenso wie unsere Kritik aufgegriffen werden. Nur dann lassen sich die hohen, für die Zukunft geplanten Ausgaben rechtfertigen. Nur dann werden diese Ausgaben den Menschen an ihren Arbeitsplätzen wirklich zugute kommen, und darauf kommt es uns an.
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Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gerstein, Sie haben, so wie ich das begriffen habe, in Ihrem Rede-Konzept - wenn man dieses Wort überhaupt wählen darf - im wesentlichen administrative Querelen genannt, Aufzählungen von Zitaten, Unterstellungen gebracht Ein politisches Konzept zur Humanisierung der Arbeitswelt sind Sie dem Hohen Hause schuldig geblieben. Das ist schlecht.
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Die Arbeitswelt spielt im Leben des Arbeitnehmers eine beherrschende Rolle. Mehr als 80 %- wir wissen das doch alle - der Erwerbstätigen sind Arbeitnehmer. Sie beziehen die Forderung nach einer besseren Qualität des Lebens auch und gerade auf ihren Arbeitsplatz.
Für die SPD geht es bei der Humanisierung des Arbeitslebens um ein politisches Gesamtkonzept, in dem der Mensch mit seinen Bedürfnissen und seinen Interessen im Mittelpunkt steht. Darum ist es gut, daß uns heute Rechenschaft gegeben wird, was auf diesem Felde geleistet worden ist, daß wir über das sprechen, was die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage dazu enthält.
Die Opposition hat, wie ich meine, an der Leistungsbilanz wohl kein Interesse. Sie will auf Fehler aufmerksam machen. Dagegen wäre auch gar nichts einzuwenden, wenn die Vertreter der Union sorgfältiger mit den Tatsachen umgegangen wären. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es wird behauptet, die CDU/ CSU trete seit Anbeginn ihrer Regierungsverantwortung für die ständige Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein.
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Tatsache ist, daß es Ende der 60er Jahre nur wenige mit den Bedingungen der Arbeitswelt vertraute Forscher gab. Das ist doch eine Tatsache.
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- Sie werden sich auch wieder beruhigen, meine Damen und Herren. - In der Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage heißt es: „In vielen Betrieben waren Kenntnisse über eine menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen nur schwach oder gar nicht entwickelt.'
Es ist kein parlamentarischer Zufall, daß die beiden Anfragen der Koalition und der Opposition gleichzeitig beraten werden können; denn die Union hat sich nach der Einbringung der Koalitionsanfrage beeilt, einen eigenen Fragenkatalog nachzuschieben.
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Es ist hilfreich, beide Konzepte auch parlamentarisch gegeneinanderhalten zu können, denn so werden die Unterschiede - und das ist uns sehr wichtig - deutlich.
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Die Humanisierung im Arbeitsleben hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Das werden auch Sie nicht bestreiten. Dabei ging es nicht immer geräuschlos zu. Wer etwas anderes erwartet hat, kennt die Realitäten unserer Betriebe und das Spannungsfeld nicht, die sich aus Humanisierung und Rationalisierung des betrieblichen Alltagslebens ergeben.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben eben unterschiedliche Erwartungen. Die Unternehmen erhoffen sich bei Humanisierungsprojekten Wirtschaftlichkeitsvorteile; die Arbeitnehmer, die Betriebs- und Personalräte und die Gewerkschaften sind mit ihren Interessen natürlich im wesentlichen auf Arbeitsinhalte, Arbeitsbelastungen, Qualifikationsmöglichkeiten konzentriert. Nicht zuletzt spielen auch Fragen der Entlohnung eine ganz besondere Rolle, ebenso wie natürlich auch Fragen der Arbeitsplatzsicherheit.
Ich meine, der Opposition paßt wieder einmal die ganze Richtung nicht. Mit ihrer eigenen Anfrage hat die Union außerdem versucht, persönliche Auseinandersetzungen auszunutzen - ohne Erfolg, wie die Antworten der Bundesregierung zeigen.
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Ein wichtiger Punkt für die Union war es auch, die begleitende Sozialforschung zu diskreditieren. Kein Zweifel: Die Union hat - Sie haben das ja sehr bestätigt, Herr Kollege Gerstein - auch ideologische Barrieren. Offenbar geht in Ihren Reihen die Angst vor der indirekten Investitionslenkung um.
Die Humanisierung des Arbeitslebens ist tatsächlich, wie wir Sozialdemokraten meinen, ein Beitrag zur Modernisierung der Volkswirtschaft. Modernisierung muß den Menschen dienen. Die notwendigen Neuerungsmaßnahmen dürfen nicht zu Lasten der arbeitenden Menschen gehen. Eine neue betriebliche Organisation, die den Betriebsablauf menschengerechter gestaltet und die Möglichkeit für die im Betrieb Tätigen zu einer befriedigenden Arbeit erweitert, gehört nach unserer Meinung zur Modernisierung der Volkswirtschaft ebenso wie die Einführung eines neuen Produktionsverfahrens, das die Produktion international wettbewerbsfähig hält. Die Modernisierung der Volkswirtschaft ist nicht allein ein technisches Problem. Wir als Sozialdemokraten haben die Problematik der Humanisierung umfassend von der Konzeption und der Zielsetzung her in Angriff genommen.
Die Arbeitswelt menschlicher zu gestalten ist bereits seit 1969 ein wichtiges Ziel der Regierungspolitik. Sie behaupten, diese Position schon früher vertreten zu haben. Allerdings wurde immer versäumt, dies zu sagen, von dem Mangel an Taten ganz zu schweigen.
Humanisierung des Arbeitslebens heißt, Gefährdungen und Belastungen am Arbeitsplatz zu verringern und gleichzeitig die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung zu verbessern. Von den Bürgern wird der technische Fortschritt nicht mehr automatisch und uneingeschränkt auch als menschUrbaniak
licher Fortschritt eingeschätzt. Dies gilt für das Arbeitsleben in besonderem Maße.
Immer wieder ist versucht worden, den Gewerkschaften Rationalisierungsängste anzuhängen und Fortschrittsfeindlichkeit zu unterstellen. Die Wahrheit sieht anders aus: Für die Gewerkschaften wie für die SPD geht es um die soziale Beherrschung der Produktionsentwicklung. Im Vollbeschäftigungsprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes kann man nachlesen:
Produktionsfortschritte sollen durch technische Neuerungen grundsätzlich im Interesse der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und eines steigenden Lebensstandards ausgeschöpft werden. Notwendig ist jedoch ein umfassender Schutz der Arbeitnehmer vor unsozialen Folgen des technischen Fortschritts.
Nicht alles, was produktionssteigernd wirkt, ist auch ein Fortschritt. Deshalb sagt der DGB auch ganz klar:
Produktionsfortschritte, die allein durch Intensivierung der Arbeit angestrebt werden, müssen im Interesse der beschäftigten und arbeitslosen Arbeitnehmer gleichermaßen bekämpft werden.
Ausgangspunkt der Humanisierung des Arbeitslebens ist die Arbeitsschutzpolitik. Es besteht kein Anlaß, sich auf verdienten Lorbeeren auszuruhen; denn allein die gesetzliche Unfallversicherung hatte im Jahre 1968 Aufwendungen von rund 10 Milliarden DM. Die Zahl der Unfälle im Arbeitsleben ist im letzten Jahrzehnt aber erheblich zurückgegangen, seit 1970 um 23 %. Dieser Trend hat sich in jüngster Zeit leider nicht mehr fortgesetzt. Es kann auch nicht übersehen werden, daß die Meldungen und Entschädigungen im Zusammenhang mit Berufskrankheiten von 1970 bis 1977 stetig zugenommen haben. Ob die günstigere Entwicklung im Jahre 1978 eine Wende zum Besseren markiert, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.
Die Koalition braucht sich indes nicht Versäumnisse vorhalten zu lassen oder gar in Selbstanklage zu verfallen; denn allein die Gesetzgebungsarbeit der letzten Jahre legt Zeugnis über den Umfang unserer Anstrengungen ab. Die umfassende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 ist auch und gerade für die Humanisierung des Arbeitslebens von großer Bedeutung. Selbst das Mitbestimmungsgesetz 1976 muß in diesem Zusammenhang genannt werden, weil es für den notwendigen Rahmen, für bessere Ansprechpartner sorgt. In mitbestimmten Betrieben findet die Interessenvertretung der Arbeitnehmer eine bessere Resonanz. Ein weiterer Ausbau der Mitbestimmungsrechte kann für die Humanisierung des Arbeitslebens nur nützlich sein.
Auch die notwendige Feinarbeit ist in den letzten Jahren nicht zu kurz gekommen. Folgende staatliche Vorschriften sind in den letzten Jahren hinzugekommen: Arbeitssicherheitsgesetz 1973, die Rentenreformen - flexible Altersgrenze - 1972, 1979 und 1980, die Arbeitsstättenverordnung 1975, die Arbeitsstoffverordnung 1975, die Strahlenschutzverordnung 1976, das Jugendarbeitsschutzgesetz 1976, das Gerätesicherheitsgesetz 1979, die Regelung des Mutterschaftsurlaubs 1979, die Verordnung über besonders gefährliche Anlagen 1980.
Staatliche Schutzvorschriften zu erlassen ist die eine Seite, für die bessere Durchführung zu sorgen die andere, und da hapert es eben mit der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere was den Jugendarbeitsschutz angeht. Die Kleinbetriebe sind hier in besonderem Maße ins Schußfeld geraten. Wir wissen, daß hier oftmals eklatant gegen den gesetzlichen Schutz der Gesundheit der Jugendlichen verstoßen wird. Nach örtlichen Zählungen gilt dieser Vorwurf - ich sage betont: leider - für jeden zweiten Betrieb. Dabei reichen die Sanktionsmöglichkeiten, die wir geschaffen haben, ja völlig aus; nur die Handhabung der Instrumente durch die Gewerbeaufsichtsämter läßt einfach zu wünschen übrig.
Was das Arbeitssicherheitsgesetz angeht, kann man der Meinung sein, es hätte 20 Jahre früher kommen können. Die Union hat viel versäumt, was später aufgearbeitet werde mußte. Arbeitsmedizin und Ergonomie haben 'erst in den letzten Jahren wieder Anschluß an die internationale Entwicklung gefunden. Immer noch wird aber festgestellt, die Forschung auf diesem Gebiet reagiere lediglich auf offenbar gewordene Schäden und Gefahren, statt sie, mehr vorbeugend, zu verhindern. Ergonomie und Arbeitswissenschaften konnten sich bisher an den klassischen Universitäten immer noch nicht recht durchsetzen.
Das Arbeitssicherheitsgesetz hatte mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Die arbeitsmedizinische Betreuung auf der Grundlage des Arbeitssicherheitsgesetzes muß in Zukunft verstärkt werden. Heute überwiegt noch die diagnostische Tätigkeit der Betriebsärzte. Sie müssen aber stärker arbeitsplatzbezogen tätig werden, müssen mehr Befahrungen und Gänge durch die Betriebe machen. Damit sie von diesen Erfahrungen und Erkenntnissen her ihre Arbeit und ihre vorbeugenden Möglichkeiten gestalten können, möchten wir ihnen anempfehlen, dies im Rahmen ihrer Tätigkeit besonders zu beachten.
Aber kein Zweifel, die Erfolge des Arbeitssicherheitsgesetzes können sich insgesamt sehen lassen. Die Unfallverhütungsvorschrift Betriebsärzte erfaßt zur Zeit etwa 11 Millionen Arbeitnehmer; das sind 52 der Beschäftigten.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat ein Forschungsvorhaben vergeben, das untersuchen soll, auf welche Weise nach und nach die betriebsärztliche Betreuung aller Arbeitnehmer unabhängig von der Betriebsgröße realisiert werden kann. Für die Arbeitnehmer in Kleinbetrieben gibt es in der Tat einen Nachholbedarf.
Ende 1979 waren etwa 10 000 Betriebsärzte tätig, davon 2 500 hauptberuflich. Ende letzten Jahres gab es 253 stationäre und mobile Zentren. Für die Betreuung kleinerer und mittlerer Betriebe ist also tatsächlich noch viel zu tun, aber dennoch ist auch bereits einiges geleistet worden.
Jeder wußte, daß das Arbeitssicherheitsgesetz aus dem Jahre 1973 erhebliche Anlaufschwierigkeiten würde haben müssen. Daran gemessen ist der gegenwärtige Stand der Umsetzung ein schöner Erfolg.
Die Strategie zur Humanisierung der Arbeitswelt erfordert nach unserer Meinung den Ausbau des Arbeitsschutzes durch staatliche Rahmenbedingungen, die Stärkung der Arbeitnehmerrechte im Betrieb und die Intensivierung der auf die Humanisierung bezogenen Forschung. Dabei wollen wir den Teil, den die Gewerkschaften in Form von Tarifverträgen zu leisten haben, nicht nur akzeptieren, son-dem selbstverständlich auch unterstützen.
Herr Kollege Urbaniak, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit schon weit überschritten ist. Bei der augenblicklichen Geschäftslage bitte ich Sie, darauf zu achten, daß sie nicht zu sehr überschritten wird.
Herr Präsident, ich komme zum Ende.
Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal betonen: Für die Sozialdemokraten ist die politische Arbeit, um auf dem Felde der Humanisierung weiter voranzukommen, ein ganz gewichtiger Teil unserer zukunftsgerichteten dynamischen Sozialpolitik. Sie hat in unseren politischen Bestrebungen einen hohen Stellenwert. Um so glücklicher sind wir, daß die Koalitionsfraktionen gestern die 10 Millionen DM für das Bundeszentrum „Humanisierung des Arbeitslebens" freigegeben haben, das an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung in Dortmund angesiedelt ist, damit wir mit dieser Einrichtung noch stärker die betriebliche Praxis für die Aus- und Weiterbildung von Betriebsräten, Sicherheitsfachkräften und die direkte Beratung der Vertreter aus den Betrieben betreiben können. Sie sehen: Das, was wir angekündigt haben, in diesem Fall ein weiterer konkreter Punktdes Ruhrgebietsprogramms, ist erfüllt worden.
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Das Wort hat der Kollege Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Fragen, vielleicht einige Fragen zuviel, sind Ursache für diese Große Anfrage. Wie ja der eine oder andere weiß, habe ich mich sehr bemüht, die Zahl der Fragen zu reduzieren, nicht etwa, weil wir dem Gesamtkomplex keine Bedeutung beimessen, sondern weil ich weiß, daß hier in diesem Hause mit mehr bedrucktem Papier zu rechnen ist, das nicht gelesen wird, denn mit gelesenem, und weil ich weiß, daß im Grunde genommen zu viele Beamte in den Ministerien mit Berichten, Großen und Kleinen Anfragen beschäftigt werden und dies häufig kein Beitrag zur Humanität ihrer Arbeit ist.
Menschlich verständlich, aber trotzdem zu bedauern ist es, daß sich die Fragesteller sehr häufig mehr mit ihren eigenen Fragen als mit den Antworten beschäftigen.
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- In der Tat, Herr Kollege. - Die Antworten auf unsere Fragen sind ausführlich. Meistens kann man beifällig nicken, zustimmen, und ein wenig Selbstbeweihräucherung ist in der einen oder anderen Antwort auch festzustellen.
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Worum geht es? Für Liberale ist Arbeit mehr als Job. Für Liberale ist Arbeit ein Stück Selbstverwirklichung. Selbstverwirklichung des Menschen im ureigensten Sinne des Wortes ist nämlich human, ist menschlich. Das eine sollte sogar Voraussetzung für das andere sein. Die Humanisierung unseres Arbeitslebens muß aber auch im Zusammenhang mit der Beschäftigungspolitik gesehen werden. Wenn Arbeit Selbstverwirklichung ist, also nicht nur Job, um Leben zu finanzieren, dann müssen wir für ausreichende Beschäftigung in diesem Lande sorgen, und dies ist uns in den letzten Jahren in erfreulich großem Umfang auch dank einer, wie ich meine, besonders effektiven Wirtschaftspolitik gelungen. Die Kritik der Opposition an der Beschäftigungssituation findet draußen im Lande eben keine Zustimmung.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal wiederholen, daß das Recht auf Arbeit, das wir grundsätzlich bejahen, nach unseren Vorstellungen keinen einklagbaren Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz beinhalten kann.
Die Sorge um ein gutes und ausreichendes Angebot an Beschäftigung zwingt uns, die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu stellen. Wir sind, wie wir wissen, ein exportorientiertes Land mit dankenswerterweise höchstem Lohnniveau und höchster sozialer Sicherheit, einer sozialen Sicherheit, die ihren Preis kostet. Gelegentlich wird der Preis in Form von Sozialversicherungsbeiträgen von den aktiv arbeitenden Menschen in unserem Lande als hoch, manchmal sogar als zu hoch empfunden. Der Unterschied zwischen brutto und netto ist ihnen, einfach gesagt, zu groß.
Wir bejahen die Humanisierung unseres Arbeitslebens, weil es nach unseren liberalen Vorstellungen um das Recht des einzelnen auf Schutz seiner Persönlichkeit, seiner Personalität und der Entfaltung seiner Fähigkeiten auch und gerade in der Arbeitswelt geht. Es wäre aber unredlich, wenn wir unsere Bemühungen völlig losgelöst von der Kostensituation unserer Wirtschaft sähen. Es muß daher unser Bestreben sein, alle Maßnahmen und Forderungen im Einklang mit der Leistungsfähigkeit, mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu sehen. Humane Arbeitsplätze, auf denen nur Produkte erzeugt werden können, die in der Welt draußen nicht mehr verkaufbar sind, sind keine Arbeitsplätze. Sie bedeuten Arbeitslosigkeit, und dies ist sicher das höchste Maß an Inhumanität.
Wir wissen, daß gerade die Arbeitswelt im Leben der Arbeitnehmer - und Arbeitnehmer machen ja den größten Teil unserer Bevölkerung aus; richtigerweise hat Kollege Urbaniak schon ausgeführt, daß 80 % unserer Bevölkerung abhängig beschäftigt sind - eine beherrschende Rolle spielt. Mit Recht verlangen wir, daß sich eine bessere Lebensqualität gerade und besonders auf den Arbeitsplatz erstreckt. Für uns steht in allen politischen Bereichen - aber eben auch gerade im Arbeitsleben - der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt unserer Bemühungen, unseres politischen Interesses.
Ich habe eben sehr bewußt auf den Zusammenhang zwischen Beschäftigung und humanen Arbeitsplätzen hingewiesen. Sie wissen, daß ich um einer ausgeglichenen Beschäftigung willen von dieser Stelle aus oft ja zum qualitativen Wachstum gesagt habe. Qualitatives Wachstum und Humanisierung der Arbeitswelt korrespondieren miteinander. Sie sind keine Gegensätze. Ganz im Gegenteil: Ein qualitativ richtiges Wachstum ist Voraussetzung für humane Arbeitsplätze.
Bessere Entfaltungsmöglichkeiten für den einzelnen Arbeitenden führen zu höherer Arbeitsqualität und somit manchmal sogar zu höherer, oft aber zu besserer Leistung. Eine humanere Gestaltung unserer Arbeitswelt bedeutet Vorbeugung gegen Frühinvalidität, verhindert Arbeitsunfälle, erspart Berufskrankheiten und damit verbundene soziale Kosten.
Natürlich geht es nicht nur darum, die äußeren Arbeitsbedingungen zu verbessern. Natürlich geht es nicht nur darum, die Arbeitsanforderungen und die Arbeitsabläufe nach arbeits- und sozialmedizinischen Erkenntnissen zu gestalten. Natürlich geht es nicht nur darum, flexiblere Arbeitszeitangebote zu erstellen. Natürlich geht es nicht nur darum, den Schutz vor Gesundheits- und Unfallgefahren am Arbeitsplatz zu verbessern. Entscheidend ist eben auch das Ziel, dem Arbeitnehmer größere Chancen zur Mitwirkung und Mitverantwortung im Arbeitsprozeß, zur Selbstverwirklichung durch sinnvolle Arbeitsleistung und sinnvollen Arbeitseinsatz zu ermöglichen. Dieser Gesichtspunkt findet im Hinblick auf den sich vollziehenden Wandel von einer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft ganz besondere Bedeutung.
Aus diesem Grunde möchte ich hier noch einmal klarstellen: Für uns Liberale haben nachfolgende Punkte einen ganz besonders hohen Stellenwert: Ausbau der Selbstbestimmungsrechte des einzelnen am Arbeitsplatz durch Garantie von unveräußerlichen Individualrechten; die Institutionalisierung von überschaubaren Arbeitsgruppen mit autonomen Rechten und Pflichten und gewählten Gruppensprechern; die Forderung und Durchsetzung von menschengerechten Arbeitstechnologien und da, wo eben möglich, auch von kooperativen Formen der Arbeitsorganisation; die Erarbeitung von Richtwerten und Mindestanforderungen an Maschinen und Anlagen auch und gerade im Hinblick auf die Gesamtbelastung des Arbeitnehmers; die Förderung von Humanisierungsbemühungen auch durch öffentlich geförderte Versuchsprogramme. In diesem Zusammenhang sind die Probleme der berufstätigen Frauen und die spezifischen Probleme von Verwaltungstätigkeiten ganz besonders zu beachten. Außerdem möchten wir an dieser Stelle sehr nachdrücklich wiederholen, daß wir die gesetzliche Verankerung von Sprecherausschüssen für leitende Angestellte verlangen und uns dafür einsetzen werden, und zwar auch dann, wenn dies zu Schwierigkeiten in der Koalition führt.
Wir benötigen ein geschlossenes Konzept, das den sich in der Arbeitswelt ständig vollziehenden Wandel berücksichtigt und werden uns für ein solches Konzept einzusetzen wissen. Es muß auch erwähnt werden, daß auf diesem Sektor bereits manches geschehen ist, was die Stärkung der Individualrechte der Arbeitnehmer anbelangt. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972, das Bundespersonalvertretungsgesetz von 1974, das Mitbestimmungsgesetz von 1976, Gesetze zur Arbeitssicherheit und zum Arbeitsschutz, z. B. das Arbeitssicherheitsgesetz von 1973, das Jugendarbeitsschutzgesetz von 1976, trotz Kritik im Detail, und das im letzten Jahr verabschiedete Gerätesicherheitsgesetz - dies sind einige Leistungen der Koalition, die man bei dieser Gelegenheit ruhig erwähnen sollte. Vieles ist besser geworden, als der eine oder andere behauptet. Die Einführung der flexiblen Altersgrenze ist ganz sicher für einen Teil der Begünstigten ein Stück Humanisierung.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit deutlich auf unsere Forderung nach einer Teilrente, nach einem gleitenden Übergang vom Arbeitsleben in das Rentnerleben, hinweisen.
Alles in allem muß unter Berücksichtigung der Sicherheit der Arbeitsplätze geringere körperliche Belastung für den arbeitenden Menschen das Ziel unserer Bemühungen sein. Wir können nicht das Paradies auf Erden versprechen. Aber wir können Schritt für Schritt mehr tun und Verbesserungen anbringen.
Staatliche Politik hat sicher einen gewissen Einfluß auf die Humanisierung des Arbeitslebens. Aber die entscheidenden Faktoren müssen von den Sozialpartnern, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, gestaltet werden. Die gutwilligsten Arbeitgeber und die einsatzfreudigsten Gewerkschaften können aber nichts bewegen, wenn nicht die Mitarbeit des einzelnen Arbeitnehmers gesichert ist. Staatliche Regelungen können und dürfen nur die Rahmenbedingungen gestalten. Ausgefüllt, in die Realität umgesetzt werden muß dies durch andere, durch jene, die eben die Arbeit leisten.
Nicht nur die Abwehr physischer Gefährdungen, sondern der besondere Schutz von Arbeitnehmergruppen muß Teil dieser Bemühungen sein. Die Gestaltungsmöglichkeiten für solche Gruppen und die Selbstverwirklichung des einzelnen in unseren Mammutorganisationen, die auf Grund der Entwicklungen wohl unvermeidlich sind, verdienen unsere ganz besondere Aufmerksamkeit. Die Mitsprache- und die Mitgestaltungsmöglichkeit in diesen Bereichen unserer Dienstleistungs- und Verwaltungsgesellschaft sind für die Qualität des menschlichen
Daseins von ganz besonderer Bedeutung. Hier stellt sich weniger die Frage der Arbeitssicherheit, des Lärms oder gefährlicher Stoffe, sondern hier stellt sich die Frage der Gestaltungsmöglichkeit durch Mitsprache. Hier ist das eigenverantwortliche Verhalten des einzelnen Arbeitnehmers gefordert.
Das Ziel unserer Bemühungen muß klar sein. Man darf keine Wunder erwarten. Entwicklungen, die unsere Arbeitswelt humaner gestalten, können nicht vom Himmel fallen. Sie müssen wie vieles andere in unserer Wirtschaft erarbeitet werden. Sie sind und können nur das Ergebnis von Leistung sein. Sie dürfen nicht Arbeitsplätze zerstören, sondern sie müssen Arbeitsplätze besser, sicherer und auch humaner machen. Es geht nicht darum, Unmögliches zu verlangen, sondern darum - wo auch immer -, Mögliches zur rechten Zeit Schritt für Schritt zu erfüllen und weiterzukommen.
Vergessen wir nicht: Keine Arbeitsplätze zu haben ist sicher am inhumansten. Aber sehen wir auch, daß human gestaltete Arbeitsplätze ein Beitrag zu mehr und besserer Leistung sein können. Human gestaltete Maschinen und Einrichtungen, Anlagen, die Arbeitsmöglichkeiten unter humanen Bedingungen schaffen, sind draußen in der Welt bedeutsam, bedeutsam auch für die Exportfähigkeit unserer Wirtschaft.
Lassen wir uns also gemeinsam Schritt für Schritt unsere Arbeitswelt humaner gestalten! Sorgen wir für menschliche Arbeitsbedingungen! Dann werden die Menschen auch das von uns gewünschte Verhältnis zu ihrer Arbeit haben. Dies sollte das Bemühen aller Fraktionen des Hauses sein, und ich hoffe, daß wir langsam, aber sicher, Schritt für Schritt weiterkommen.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Humanisierung des Arbeitslebens wurde 1969 in der ersten Regierungserklärung des Bundeskanzlers Willy Brandt erstmals für die Bundesrepublik zu einer zentralen politischen Forderung erhoben. Herr Kollege Gerstein, Sie haben zwar recht, daß das eine uralte gewerkschaftliche und auch eine uralte sozialdemokratische Forderung war. Nur wurde zur Durchsetzung dieser Forderung vor der sozialliberalen Koalition auf der Bundesebene schlicht nichts getan. Das ist der Unterschied.
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- Die Arbeit der Gewerkschaften vergesse ich gar nicht. Die haben auch vorher viel getan. Mir ging es darum, hier deutlich zu machen, wann zum erstenmal von der Bundesregierung aus in dieser Frage Aktivitäten gezeigt wurden.
Wenn Sie daran zweifeln sollten, dann nenne ich zwei Beispiele. Erstmals gab es 1970 im Bundeshaushalt ganze 600 000 DM für Arbeitsschutzforschung. Heute, nach zehn Jahren, haben wir für diesen Zweck rund 100 Millionen DM. Ich glaube, das ist ein sehr deutliches Beispiel dafür, seit wann Humanisierung des Arbeitslebens politische Leitlinie für die Arbeit der Bundesregierung ist.
Noch ein Beispiel. 1964 ist auf Betreiben der Sozialdemokraten in diesem Hause eine Entschließung gefaßt worden, ein Arbeitssicherheitsgesetz zu verabschieden. Der Arbeitsminister ist beauftragt worden, einen entsprechenden Entwurf zu erarbeiten. Erst der erste sozialdemokratische Arbeitsminister hat dies in Angriff genommen. 1973 stand dieses für die Humanisierung des Arbeitslebens so wichtige Gesetz im Bundesgesetzblatt. Sechs Jahre lang ist auf Grund dieser Entschließung nichts geschehen. Das nur , zu Ihrer Einleitung, Herr Kollege Gerstein.
Meine Damen und Herren, eine humanere Arbeitswelt erfordert erstens weiter verbesserten Schutz vor Unfällen und Berufskrankheiten - schädliche psychische und physische Belastungen müssen vorbeugend bekämpft werden -, zweitens menschengerechtere Arbeitsplatzgestaltung - eintönige und mechanische Arbeitsabläufe müssen verringert, der technische Fortschritt muß auch am Arbeitsplatz zum Nutzen aller Beschäftigten eingesetzt werden -, drittens die Nutzung aller Möglichkeiten von Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Betriebs- und Unternehmensebene - denn fast jede unternehmerische Entscheidung entscheidet indirekt auch über die Qualität der Arbeitsplätze -, viertens eine gesicherte arbeitsrechtliche Position der Arbeitnehmer.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP die Leistungen, Probleme und Aufgaben in der Humanisierung des Arbeitslebens ausführlich dargestellt. Ich möchte an dieser Stelle nur eine der wichtigsten herausgreifen.
Von 1970 bis 1978 sind die gemeldeten Berufsunfälle um 23 % - von 2,7 Millionen auf 2 Millionen - zurückgegangen. Die schweren Berufsunfälle und Berufskrankheiten haben sich in der gleichen Zeit um 25 % - von 100 000 auf 75 000 - vermindert. Das sind immer noch zu viel, aber es ist ein gewaltiger Fortschritt in der Verbesserung der Qualität der Arbeitsplätze.
Das Arbeitssicherheitsgesetz hat in ganz kurzer Zeit eine schon fast dramatische Vermehrung der dort eingesetzten Fachkräfte gebracht. Die Zahl der Fachkräfte stieg in fünf Jahren von 2 000 auf 30 000, die Zahl der Betriebsärzte stieg von 2 000 auf rund 10 000.
Wir haben mit der Arbeitsstättenverordnung wesentlich dazu beigetragen, die Bedingungen am Arbeitsplatz zu verbessern. Die inzwischen erlassenen Arbeitsstättenrichtlinien haben sich in den Betrieben als praxisnahe Handlungsanweisung für die Arbeitsplatzgestaltung bewährt.
Leider besitzt, wie Sie wissen, die Arbeitsstättenverordnung für den gesamten öffentlichen Dienst keine Gültigkeit. Ich bedaure das und hoffe, daß wir
in der nächsten Legislaturperiode hier etwas andern können. Ich will aber den Behörden in Bund, Ländern und Gemeinden von dieser Stelle aus empfehlen, vorläufig dem Bundesarbeitsministerium zu folgen. Wir haben die Arbeitsstättenverordnung durch eine Dienstvereinbarung mit dem Personalrat nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz auch voll in unseren Dienststellen eingeführt. Das sei auch anderswo zur Nachahmung empfohlen.
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Meine Damen und Herren, ein Kernpunkt unserer Politik war die Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens. Die Große Anfrage beinhaltet zu einem großen Teil Fragen zu diesem Thema. Lassen Sie mich zum Ausdruck bringen, daß wir in den letzten zehn Jahren haben feststellen müssen, welch erhebliche Wissens- und Erkenntnisdefizite hier bei allen Beteiligten bestehen.
In vielen Gesetzen verwenden wir den Ausdruck „gesicherte arbeitswissenschaftliche und arbeitsmedizinische Erkenntnisse" oder „allgemein anerkannte Regeln der Technik". Solche Generalklauseln sind in der Gesetzgebung auch unverzichtbar, nur: Wir brauchen für die Betriebsräte eine handliche Anweisung, damit sie auch verstehen können und wissen, was „allgemein anerkannte Regeln der Technik" oder „gesicherte arbeitswissenschaftliche und arbeitsmedizinische Erkenntnisse" sind. Hier ist ein weites Feld der praktischen Umsetzung noch offen, das in Angriff genommen werden muß.
Es ist zuzugeben, daß in der Industrie beim Arbeitsschutz aktiv mitgewirkt wird. Aber gerade im Umgang mit gefährlichen Arbeitsstoffen bedarf es erheblicher Nachhilfe durch Staat, Gewerkschaften und Betriebsräte, um den Erkenntnisstand auch in die betriebliche Praxis umsetzen zu können. Es ist eine wichtige Aufgabe der Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens, hier das handfeste Wissen um Fakten und Zusammenhänge zu vermehren.
Lassen Sie mich Ihnen einige Beispiele geben, was wir gerade in den letzten Jahren hierzu beigetragen haben. Erstens. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung hat kürzlich eine Fachtagung über Bildschirmarbeitsplätze durchgeführt. Diese Tagung wurde von insgesamt 2 300 Teilnehmern besucht. Das weist auf ein großes Informationsbedürfnis hin. Es hat sich gezeigt, daß die Technik der Bildschirmarbeitsplätze heute ausgereift ist, daß wir aber über ihre Auswirkungen auf den Menschen noch viel zu wenig wissen, daß hier Forschung und ihre Umsetzung noch viel zu leisten haben.
Wir haben bereits 1975 mit dem Thema Bildschirm und einem entsprechenden Forschungsbericht einige Rekordauflagen in der Verbreitung dieses Themas gehabt; es gab mehrmals Nachdrucke. Die inzwischen erarbeitete Handlungsanleitung für die Praxis gibt Unternehmern und Betriebsräten verbindliche Auskunft darüber, welche Probleme an den Bildschirmarbeitsplätzen bestehen.
Zweitens. Ein weiteres Beispiel zur praktischen Bedeutung der Humanisierungsforschung ist das Thema „Schichtarbeit". Wir haben auf diesem Gebiet sehr früh Forschungsaufträge vergeben. Niemand kann heute mehr Zweifel daran haben, wie viele negative, gesundheitsschädliche Auswirkungen mit Schichtarbeit verbunden sind. Trotz dieser Erkenntnisse wissen wir, daß in einer so hochkomplizierten technischen Welt Schichtarbeit nicht zu verbieten ist. Weder bei der Polizei, der Feuerwehr, im Krankenhaus, noch bei der Nutzung einiger hochtechnisierter Anlagen kann auf kontinuierliche Arbeit verzichtet werden. Aber wir müssen viel mehr als bisher dazu übergehen, Schichtarbeit nicht durch Zuschläge abzugelten, sondern durch mehr Freizeit, wie es einige Tarifverträge in der letzten Zeit vorbildlich geregelt haben. Derjenige, der zu ungewohnten Zeiten arbeiten muß, hat statt dessen weniger Stunden im Jahr zu leisten als diejenigen, die von acht bis fünf ihre Arbeit verrichten. Hier liegt ein breites Feld für die Tarifvertragsparteien, die Erkenntnisse über die Belastungen durch Schichtarbeit in praktische Verbesserungen des Arbeitslebens umzusetzen.
({2})
Der dritte Bereich ist die Lärmforschung. Ober viele Jahrzehnte lang ist der Lärm als Quelle gesundheitlicher Gefahren weitgehend vernachlässigt worden. Berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit blieb in vielen Fällen als Berufskrankheit unerkannt. Erst in den letzten Jahren sind wir hier mit Hilfe unserer Forschung ein Stück weitergekommen. Die Erkenntnisse über die Schäden des Lärms fanden Eingang in die Normen und VDI-Richtlinien.
Das vierte Beispiel sind die Schädigungen durch gefährliche Arbeitsstoffe. Neuere Forschungsergebnisse haben deutlich die Gefahren beispielsweise beim Umgang mit Asbest aufgezeigt. Hier treffen zwei Problemkreise unmittelbar aufeinander: die Gesundheitsschädigung durch die Arbeiten mit diesem Stoff und andererseits die vorläufige, aus Arbeitsplatzgründen nicht wegzustoßende Erkenntnis, daß auf diesen Stoff noch nicht völlig verzichtet werden kann. Um so wichtiger ist, daß hier die Forschung weiter voranschreitet und daß in den Arbeitsbedingungen entsprechende Veränderungen zumindest der zeitlichen Belastung beim Umgang mit diesen Stoffen eintreten.
Ich glaube, daß die von der Opposition hier vorgebrachte Kritik an der Humanisierungsforschung vor dem Hintergrund dieser großen Erfolge einer objektiven Prüfung nicht standhält. Je mehr der Wissensstand der Humanisierungsforschung voranschreitet, um so wichtiger wird die praxisgerechte Umsetzung der neuen Erkenntnisse. Dazu dienen Veröffentlichungen, Seminare und die Handlungsanleitungen der Bundesanstalt in Dortmund. Gerade diese Handlungsanleitungen sind in der täglichen Arbeit unverzichtbar. Dieser so überaus wichtigen Umsetzung wird sich vor allem auch das geplante Bundeszentrum „Humanisierung des Arbeitslebens" in Dortmund widmen.
Den Kollegen des Haushaltsausschusses
({3})
möchte ich ein ausdrückliches Wort des Dankes dafür sagen, daß sie gestern diese Mittel entsperrt haben. - Ich kann allerdings nicht verstehen, Herr Kollege Urbaniak, daß die Kollegen der CDU/CSU diese Entsperrung nicht mitgetragen haben,
({4})
da sie doch in dem vorgelegten Entschließungsantrag die mangelnde Umsetzung ausdrücklich bedauern. Ds ist wiederum eine der vielen Zwielichtigkeiten der Opposition, die ich nicht untersuchen kann, die aber deutlich zeigt, wie bei Ihnen, meine Herren von der Opposition - ({5})
- Ich habe leider keine gesehen, entschuldigen Sie.
({6})
- Meine Ubersicht ist hier vorne so, daß ich keine sehen kann.
({7})
- Das Präsidium sitzt hinter mir, nicht vor mir, zum Ansprechen; entschuldigen Sie. - Die Herren von der Opposition, so wie sie hier vor mir sitzen, haben jedenfalls deutlich gemacht, daß sie theoretische Forderungen stellen, sich aber der praktischen Umsetzung dieser Forderungen dann, wenn es darauf ankommt, schlicht versagen.
({8})
Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den wichtigen Aufgaben der Zukunft sagen. Es wird in den Ausschüssen das Chemikaliengesetz beraten, mit dem für die Zukunft vorgeschrieben wird, daß neue Stoffe von Herstellern und Importeuren auf ihre Schädlichkeit geprüft werden müssen. Darüber hinaus haben wir die neue Arbeitsstoffverordnung in Arbeit, die sich vor allen Dingen mit dem Schutz vor Krebserkrankungen beim Umgang mit Arbeitsstoffen befaßt. Und wir wollen die Erfolge bei der Lärmbekämpfung verbessern. Maschinen, Geräte und Anlagen werden in Zukunft mit ihren Lärmwerten gekennzeichnet werden. Ich verspreche mir davon mehr Transparenz für den Kunden und einen Wettbewerb der Hersteller dahin, als verkaufsförderndes Argument niedrige Lärmwerte vorweisen zu können.
({9})
Meine Damen und Herren, in wenigen Tagen wird von zwei unabhängigen Forschungsinstituten eine Untersuchung über unser Arbeitsschutzsystem vorgelegt werden. Wir werden nach gründlicher Auswertung hier dann Vorbereitungen treffen, um das Arbeitsschutzrecht in Zukunft zu einem umfassenden Arbeitsschutzgesetz zusammenzufassen und damit sicherzustellen, daß es in Zukunft eindeutige, gleiche Regelungen für Arbeitnehmer in Betrieben und Verwaltungen, eine bessere Regelung der Arbeitsorganisation, eine Verbesserung der Zusammenarbeit der überbetrieblichen Aufsichtsdienste und eine größere Transparenz bei den Arbeitsschutzvorschriften geben wird.
Lassen Sie mich zum Schluß, meine Damen und Herren, nochmals zum Ausdruck bringen, daß Humanisierung des Arbeitslebens nicht nur eine Frage besserer Arbeitsschutzvorschriften, auch nicht nur eine Frage kürzerer Arbeitszeit ist. Zur Humanisierung des Arbeitslebens gehört auch, allen Menschen Arbeitsplätze zu geben, an denen sie soweit wie möglich Anregungen und Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung und Befriedigung erhalten. Hier gilt noch mehr als anderswo das Wort: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Über eine anständige Bezahlung und einen wirksamen Arbeitsschutz hinaus muß eine humane Arbeitswelt allen Menschen die Möglichkeit geben, Zufriedenheit und Selbstverwirklichung in der Arbeit zu finden. Unsere Forschungsarbeit zur Humanisierung des Arbeitslebens hat hierzu wesentlich beigetragen. Sie wird das auch in Zukunft tun.
({10})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Ehrenberg, es ist nicht das erste Mal, daß ich in einer sozialpolitischen Debatte des Deutschen Bundestages darauf hinweisen muß, daß die sozialpolitische Erschaffung der Welt in Deutschland nicht 1969 begonnen hat.
({0})
Wer die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Humanisierung des Arbeitslebens liest, muß nämlich wiederum feststellen, daß gesetzliche Initiativen auf diesem Gebiet nur für den Zeitraum nach 1969 aufgeführt werden. Aber, Herr Minister Ehrenberg und Herr Kollege Urbaniak, für mich ist das Thema Humanisierung der Arbeitswelt wegen der davon Betroffenen viel zu wichtig, als daß es hier mit einer billigen parteipolitischen Polemik behandelt werden könnte.
({1})
Herr Minister Ehrenberg, mein Vater ist an Silikose gestorben, und ich habe seinen Beruf gelernt. Ich habe den Facharbeiterbrief. Wenn ich hier etwas sage, dann weiß ich, wovon ich rede. Sie können nicht so tun, als ob die Christlichen Demokraten sich nicht um die Humanisierung der Arbeitswelt gekümmert hätten.
({2})
Ich stelle dazu fest: Die wichtigsten sozialen Grundpfeiler in der Bundesrepublik nach dem zweiten
Müller ({3})
Weltkrieg sind während der Regierungszeit von CDU und CSU geschaffen worden.
({4})
Die CDU/CSU hat in ihrer Regierungszeit durch zahlreiche verabschiedete Gesetze und Verordnungen unter Beweis gestellt, daß die menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen für uns eine besondere Priorität besitzt. Für uns ist die Humanisierung der Arbeitswelt ein unverzichtbarer Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft. Die Fülle der Gesetze, die auf Initiativen und auf den politischen Willen der Unionsparteien zurückgehen, beginnen mit dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmen des Bergbaus und der Eisen- und Stahlindustrie, einem Gesetz, dem bisher nichts besseres an die Seite gestellt wurde.
({5})
Und das Betriebsverfassungsgesetz, das Gesetz über die Gestaltung des Tarifvertrages, Arbeitsschutz-und Arbeitszeitrecht, ganz zu schweigen von Sozialhilfe- und Sozialversicherungsrecht bis hin zum Kündigungsschutzgesetz und Mutterschutzgesetz. Ich will nur einige nennen, um zu beweisen, wie ernst wir die Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen nehmen. Denn menschliche Arbeitsbedingungen sind untrennbar mit der Menschenwürde verbunden und gehören daher zu den natürlichen Grundrechten, deren Verwirklichung unsere Politik ermöglichen will.
({6})
Es ist Aufgabe der Politik, Mittel und Wege aufzuzeigen, wie das Ziel menschengerechter Arbeitsbedingungen, des Menschseins in der Welt der Arbeit, in unserem Ordnungssystem der Sozialen Marktwirtschaft verwirklicht werden kann.
Ich glaube, man sollte in diesem Zusammenhang auch auf die Verantwortung und die Leistungen der Sozialpartner in der Vergangenheit hinweisen, denn sie haben in der Tat in der Vergangenheit schon eine Menge in der Frage der Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen getan. Sonst könnte man am 1. Mai gerade von seiten der Gewerkschaften nicht so auf ihre Erfolge hinweisen.
({7})
Wir alle müssen dazu beitragen, vermeidbare Belastungen und Arbeitserschwernisse abzubauen, um die Sicherheit und die äußeren Bedingungen am Arbeitsplatz zu verbessern. Die Organisation des Arbeitsprozesses und das soziale Umfeld des Arbeitsplatzes müssen den Bedürfnissen des Menschen verstärkt angepaßt werden. Der Kongreß „Humanität im Arbeitsleben" der Christlich Demokratischen Union und der Christlichen Arbeitnehmerschaft im Jahre 1974 in Leverkusen hat uns für unsere Arbeit weitere wesentliche Anstöße gegeben.
({8})
Mit der problemorientierten Programmforschung „Humanisierung des Arbeitslebens" der Bundesregierung versucht man seit 1974, allen Beteiligten Lösungsmöglichkeiten für diesen Bereich anzubieten.
Aber nach sechs Jahren Förderprogramm müssen wir heute leider feststellen, daß in zunehmender Weise Ziele des Programms und die damit verknüpften Erwartungen nicht voll erfüllt worden sind.
Vor allen Dingen hapert es an der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis. Das war einer der wichtigsten Gründe für die Große Anfrage meiner Fraktion zur menschengerechten Gestaltung der Arbeitsbedingungen.
Führende Wissenschaftler und ein Bericht der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Arbeitsmedizin und Ergonomie bestätigen unsere Sorgen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in einer Stellungnahme vom 6. November 1979 u. a. festgehalten - ich zitiere -:
Die Projektergebnisse werden nicht verständlich für Nichtfachleute dargestellt, zu Lasten der Aktualität oft verspätet vorgelegt. Weiterführende und für die Arbeitnehmer positive Projektergebnisse werden unzureichend in die Praxis umgesetzt
Weiter:
Der Förderungsbereich Umsetzung ist noch nicht in ausreichendem Maß ausgebaut
Soweit das Zitat des DGB.
Meine Fraktion hält nichts von Forschungsprogrammen, die keine Effizienz aufweisen, aber sehr viel Geld kosten. Wir haben deshalb einen Entschließungsantrag zur Großen Anfrage über menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen im Deutschen Bundestag eingebracht
Herr Minister Ehrenberg, in diesem Antrag begrüßen wir grundsätzlich die vom Ansatz her wünschenswerten staatlichen Maßnahmen für eine menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Ich wäre der letzte, der sagen würde, daß nicht auch dieses Programm Erfolge gehabt hat. Es muß einfach in der Kontinuität bleiben. Wir legen dabei besonderen Wert auf ein wirksam organisiertes und an der betrieblichen Praxis orientiertes Förderungsprogramm. Wir bedauern die schlechte Umsetzung der Forschungsergebnisse des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens" in die Praxis. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß wesentlich mehr als die Hälfte der Forschungsergebnisse nicht in die Praxis umgesetzt wird.
({9})
Ich wäre dem Minister für Forschung und Technologie dankbar, wenn er zu diesem Punkt in nächster Zeit genauere Angaben machen könnte.
({10})
In diesem Zusammenhang war für mich die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage sehr aufschlußreich. Man könne - so die Bundesregierung - den im Rahmen des Humanisierungsprogramms tätigen Sozialwissenschaftlern
Müller ({11})
eine generelle Abkapselung gegenüber der Praxis nicht vorwerfen.
({12})
Mit diesem Zugeständnis werden wir von der Bundesregierung in unserer Auffassung eindeutig bestätigt, daß Forschungsergebnisse und Praxis nur ungenügend Hand in Hand gehen. Dabei erscheint es uns dringend erforderlich, die Begleitforschung stärker an der industriellen Wirklichkeit auszurichten und vorzugsweise Disziplinen wie Arbeitsmedizin, Arbeitspsychologie und Ergonomie zu beteiligen. Eine stärkere Zusammenarbeit der einzelnen Arbeitsdisziplinen müßte zur Selbstverständlichkeit gehören. Denn Scheuklappendenken führt hier nicht zum Erfolg.
Auch wünschen wir eine stärkere Berücksichtigung der kleinen und mittleren Unternehmen bei den verschiedenen Forschungsprogrammen.
Aber all das würde allein nicht genügen. Im Hinblick auf die Umsetzung müssen den kleinen und mittleren Unternehmen auf Grund der gewonnen Erfahrungen Kataloge von beispielhaften Lösungen und Leitfäden für die praktische Anwendung an die Hand gegeben werden, wie sie die großen Unternehmen im Laufe des Forschungsprogramms bereits entwickelt haben. Ich kann hier nur den Satz unterstreichen: Wissenschaft muß öffentlich sein.
Am 6. März 1980 beklagte sich Professor Rohmert auf dem Kongreß der Gesellschaft für Arbeitswissenschaften in Hamburg - auch hieraus darf ich zitieren -:
Heute, 22 Monate nach Vorliegen unseres Endberichts zur ergonomischen Begleitforschung zur Arbeitsstrukturierung in der Motormontage bei VW sind die Ergebnisse unserer Begleitforschung der Öffentlichkeit immer noch nicht bekannt.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, daß die Ergebnisse der Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens so rasch wie möglich veröffentlicht werden.
Die CDU/CSU-Fraktion will mit ihrem Entschließungsantrag die genannten gravierenden Mängel beseitigen. Wir wollen die weitere Verbesserung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumwelt des einzelnen. Die aus Förderprogrammen gewonnenen Erkentnisse und die daraus entwickelten Maßnahmen müssen einer möglichst großen Anzahl arbeitender Menschen zugute kommen.
Das Ergebnis des Programms „Humanisierung der Arbeitswelt" der Bundesregierung ist in weiten Bereichen nicht befriedigend. Ausgaben in Höhe von mehreren hundert Millionen Mark bringen nichts, wenn sie nicht den arbeitenden Menschen erreichen. Wir wollen keine Ideologie, sondern Forschung für den arbeitenden Menschen.
({13})
Eine wirkungsvollere Forschungspolitik auf dem
Gebiete der Humanisierung des Arbeitslebens ist
daher dingend vonnöten. Wir erwarten, daß die Ausschüsse die Entschließung zügig beraten, damit sie
im Plenum schon bald verabschiedet werden kann.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Stockleben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, daß die Debatte, die heute im Deutschen Bundestag geführt wird, der Sache insofern nicht angemessen ist, als insbesondere Herr Gerstein sie mit großer Polemik eingeläutet hat. Ich muß daher an dieser Stelle wirklich einiges zurechtrücken.
Wenn Sie über Kernenergie reden, sehen sie grüne Männchen. Wenn Sie über Humanisierung der Arbeit reden, sehen Sie rote Matrosen. Sie haben immer einen verstellten Blick. Ich darf Ihnen sagen: Sie haben zum Teil so debattiert, wie der Blinde von der Farbe spricht. Da nützt es auch nichts, daß Sie einen hierherschicken, der einen Facharbeiterbrief hat. Ich sage Ihnen: Diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik, die wissen, daß sie vom Facharbeiterbrief bis zu Pensionierung dort arbeiten, würden sich schon für diese Debatte interessieren, dafür, wie das heute gelaufen ist.
An dieser Stelle möchte ich einmal deutlich machen, wie die Humanisierungsdebatte überhaupt entstanden ist. Sozialdemokraten sind es gewesen, die die Humanisierung des Arbeitslebens als einen ihrer Schwerpunkte im Orientierungsrahmen verankert haben. Dort heißt es:
Der Anspruch der Arbeitnehmer auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, das heißt auf den Schutz ihrer Gesundheit, auf sichere Arbeitsplätze und verbesserte Arbeitsumwelt, auf befriedigende Arbeitsinhalte, eine soziale Arbeitsorganisation und auf Mitbestimmung steht im Mittelpunkt sozialdemokratischer Gesellschaftspolitik. ... Persönliche Entfaltung des einzelnen und demokratische Entwicklung der Gesellschaft hängen direkt von den Bedingungen am Arbeitsplatz ab.
Was heißt das? Sie, die Sie für Aussperrung sind, Sie, die Sie gegen die Mitbestimmung gestimmt haben, Sie, die Sie gegen das Betriebsverfassungsgesetz gestimmt haben, können den deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern draußen doch nicht ernsthaft sagen, daß Sie für Mitbestimmung sind.
({0})
Das sind doch Instrumente für die Verwirklichung der Humanisierung des Arbeitslebens. Anders kann das doch wohl überhaupt nicht erfolgen.
({1})
Das muß doch einmal deutlich gemacht werden.
Wenn ich an dieser Stelle den Orientierungsrahmen zitiere, dann deshalb, weil die Humanisierung des Arbeitslebens mit einem anderen Schwerpunkt zusammenhängt, nämlich mit der Modernisierung
der Wirtschaft. Das, was wir im Forschungsausschuß auf verschiedenen Feldern der Forschungspolitik leisten, muß doch unter dem Gesichtspunkt der Humanisierung in verschiedene andere Bereiche hineinfließen, damit wir nicht nur immer Reparaturwerkstatt sind, sondern damit schon von Anbeginn neue menschengerechte Technologien auf den Weg gebracht werden. Das kommt heute noch an vielerlei Stellen zu kurz. Wir wollen das mit den einzelnen Programmen entsprechend weiterführen.
Das ist nicht nur mit Individualrechten oder, wie Sie sagen, mit der sozialen Marktwirtschaft - auch dort wieder weiße Salbe drauf - zu leisten. Wer ist denn der Nachfrager, wenn es um bessere Arbeitsbedingungen geht? Doch nicht der einzelne. Oder werden heute schon Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefragt, wenn es darum geht, wie ihre Arbeitsplätze auszusehen haben?
Der Bundesforschungsminister hat ein Forschungsprogramm entwickelt. Ich freue mich insbesondere darüber, daß dieses Forschungsprogramm in meiner Heimatstadt läuft, in dem Unternehmen, in dem ich selbst einmal tätig war. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie das dort gelaufen ist, daß Arbeitende selbst durchaus in der Lage sind, ihre Arbeitsplätze entsprechend zu gestalten, um sich höher zu qualifizieren. Heute finden doch zum überwiegenden Teil auch Dequalifikationen durch neue Technologien statt. Wer selbst einmal 8 000 bis 10 000 mal dieselbe Handreichung bei der Arbeit gemacht hat - oder wer das einmal gesehen hat -, der weiß, zu welch sinnentleertem, stumpfen und monotonen Dasein das führt. Es ist die Aufgabe der staatlichen Forschungspolitik, diesen Männern und Frauen zu helfen. Wenn wir dafür kein Geld haben - gut. Ihr Antrag und Ihr Programm zielen aber doch darauf ab, das Ganze restriktiv zu fahren. Ich meine, dies ist typisch für die Opposition hier im Deutschen Bundestag.
Zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Gerstein: Ich kam mir so vor, als säße ich in einer Ausschußsitzung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Dort wird auch immer gesagt: Für Humanisierung sind wir auch, Herr Stockleben, das ist uns alles lieb; nur: das ist uns zu teuer. So ist die tatsächliche Situation hier im Deutschen Bundestag. Das ist Ihnen alles lieb, aber es ist Ihnen zu teuer.
({2})
Lassen Sie doch einmal die Maske herunter, Herr Gerstein. Wenn Sie von „roten Matrosen" reden,
({3})
dann meinen Sie wohl, morgen marschiert der Arbeiter- und Soldatenrat hier auf und verändert zusammen mit den linken Ideologen die ganze Republik. Diese Auffassung steht bei Ihnen dahinter. Auch in dieser Beziehung haben Sie einen falschen Blick. Sie sehen die Dinge nicht nüchtern und sachlich.
({4})
Bezüglich der Kritik, die auch von den Gewerkschaften kommt und zum Teil berechtigt ist, darf ich zitieren, was das geschäftsführende Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Metall, Herr Janzen, dazu ausgesagt hat:
Bei aller Kritik, die wir im einzelnen haben und die wir auch in Zukunft ungeschminkt vortragen werden, möchte ich hier eines klarstellen. Unsere Kritik hat nur ein Ziel: Verbesserung der Wirksamkeit des Programms. Es gibt offenbar Kreise
- damit meint er wohl Sie von der Opposition -,
die sich auf die von uns als konstruktiv verstandene Kritik stützen, um das gesamte Humanisierungsprogramm der Arbeit entweder zu Fall zu bringen oder es jedoch erheblich zurückzufahren. Das ist in unseren Augen ein absoluter Mißbrauch der von uns vorgetragenen Sachargumente. Die Gewerkschaften fordern die Fortsetzung des Programms und seine Ausdehnung.
Ich habe ein weiteres Zitat des Deutschen Gewerkschaftsbundes vorliegen, das denselben Inhalt hat.
Ich meine, Sozialdemokraten und Gewerkschaften tragen dieses Programm gemeinsam; daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Wir werden dieses Programm auch weiterentwickeln. Wenn Kritik laut wird, so sage ich dazu: Wir wollen doch keine Friedhofsstille. Wie kann sich so etwas anders entwikkeln? Hierüber muß gesprochen werden, und das ist nicht konfliktfrei. In den Betrieben wird darüber diskutiert werden müssen. Nur dann, wenn es uns gelingt, die in den Betrieben Handelnden stärker daran zu beteiligen, wird es uns auch gelingen, das Programm in verstärktem Maße in die Wirklichkeit umzusetzen. Ich halte dies ingesamt für einen ganz wesentlichen und wichtigen Aspekt.
In der Frage 9 der Opposition wird zum Ausdruck gebracht, die Sozialwissenschaftler seien viel zu weit von der Praxis entfernt. Dazu darf ich Ihnen folgendes sagen. Ich wünschte mir manchmal, alle Wissenschaften wären etwas praxisnäher orientiert. Aber gerade die Sozialwissenschaftler gehen in die Praxis und sprechen mit den Arbeitenden. Dadurch kann man voneinander lernen. Dieser Lernprozeß mußte zunächst einmal stattfinden. Er hat sich durchaus in Erfolgen ausgezahlt, denn heute sprechen auch die Sozialwissenschaftler in den Betrieben eine andere Sprache.
Wichtig ist auch, daß die betrieblichen Praktiker auf die Sozialwissenschaftler zugehen, daß sie eine gemeinsame Sprache finden. Es muß nicht immer die Fachsprache sein, wenn Wissenschaftler und Arbeitende in den Betrieben miteinander diskutieren. Denn die Zielgruppen der Sozialwissenschaftler sind nicht die wissenschaftlichen Kollegen, sondern vielmehr Betriebsräte, Vertrauensleute, betriebliche Führungskräfte, Sicherheitsbeauftragte und die Arbeitenden selbst Die Sozialwissenschaftler finden damit einen ganz anderen Ansatz zur Problemlösung. Die Sozialwissenschaftler werden also nach einer gewissen Zeit sehr viel praxisnäher an die Pro17440
bleme herangehen, als das zum Teil bei anderen Wissenschaften der Fall ist.
Nun aber, meine Damen und Herren, einiges zu dem Auftrag, den der Deutsche Bundestag durch die Verabschiedung der §§ 90 und 91 des Betriebsverfassungsgesetzes erteilt hat. Es geht uns darum, daß die §§ 90 und 91 des Betriebsverfassungsgesetzes gezielt ausgefüllt werden.
({5})
Diese gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse, die Grundlage für ein solides Miteinander-Umgehen im Betrieb sein sollen, haben dazu geführt, daß im Rahmen des Humanisierungsprogramms Belastungen abgebaut wurden. Beispielsweise wurden Lärmbelästigungen dadurch abgebaut, daß das Bundesministerium für Forschung und Technologie ein optimales Rammsystem gefördert hat, durch das der Lärm von 115 Dezibel auf 80 Dezibel gesenkt wurde. Da gleichzeitig die Vibrationen vermindert wurden, hat dies also auch zu einer Reduzierung der körperlichen Belastungen geführt. Im Bereich der Reduzierung von Staubemissionen - Herr Gerstein, da hatten Sie einen großen Anteil bei der Hansa, wo gerade für die Bergarbeiter einiges geleistet worden ist - konnten wir eine Verminderung um 50 % erreichen. Diese Senkung des Feinstaubgehalts ist das Ergebnis ganz gezielter Forschungsprogramme. Dabei wurden Verfahren der nassen Staubbekämpfung erprobt und dann durchgesetzt. Tun Sie bitte nicht so, als wüßten Sie nicht, daß es ganz konkrete praktische Beispiele gibt, die wir überall vorzeigen können.
Im Bereich des Schutzes der Arbeitnehmer vor Hitzebelastungen sind Techniken entwickelt worden, mit deren Hilfe zur gefahrlosen Messung von Temperatur, Sauerstoff- und Kohlenstoffgehalt Proben der Stahlschmelze aus LD-Konvertern genommen werden können. Dieses läßt sich auch im Bereich der Stahlindustrie insgesamt umsetzen.
Ich könnte hier eine Reihe an Beispielen aufzeigen. Mir geht es darum, daß wir künftig bei diesen Forschungsprogrammen Schwerpunkte setzen. Die Schwerpunkte gehören dorthin, wo die Belastungen am stärksten sind. Ich meine, daß insbesondere die Stahlindustrie, die chemische Industrie, die Bauindustrie und einige andere dabei spezifische Ansatzpunkte liefern könnten.
Meine Damen und Herren, dies ist nicht nur eine technokratische Frage. Sie meinen, das alles könnten Ingenieure leisten. Ich bin der Meinung: Ohne die Beteiligung der Betroffenen selbst, ohne die Beteiligung der Arbeitnehmer wird es nicht zu einer Humanisierung kommen, weil die Arbeitnehmer dies dann nicht so empfinden. Man kann nicht sagen: Wir weisen bei Siemens oben an, und dann funktioniert das bis an die Werkbank.
Wir haben - wie ich vorhin schon einmal angesprochen hatte - ein Programm gefördert, wo ungelernte Arbeiterinnen und Arbeiter selbst die Ziele mit formuliert haben, wo sie an der organisatorischen und technischen Entwicklung teilgenommen haben. Dabei wurden neue Organisationsformen und neue Qualifikationsmöglichkeiten gefunden, die zu einer Höhergruppierung der dort Arbeitenden geführt haben. Das ist das Ziel, das wir erreichen wollen und müssen. Das heißt, hier muß eine erweiterte Form der Mitbestimmung gefunden werden. Es muß ein Weg gefunden werden, die Mitbestimmung am Arbeitsplatz verstärkt zur Umsetzung der Ziele der Humanisierung des Arbeitslebens heranziehen zu können. Ich halte dieses für eine sehr wichtige Aufgabe.
Ich möchte, daß der technische Wandel, der bei uns zu diesem Wohlstand geführt hat, nicht dadurch blockiert wird, daß wir eines guten Tages unvernünftig wirtschaften. „Rationalisierung" heißt auf deutsch doch nur: „mit Vernunft wirtschaften. Mit Vernunft wirtschaften heißt doch wohl, daß man nicht nur einseitig das Kapital, sondern auch die Arbeitnehmer gleichberechtigt an diesen Entscheidungen beteiligt.
Das Forschungsprojekt, das in Peine gelaufen ist, wurde von der Presse sehr begrüßt. Ich meine auch: Es kann sich sehen lassen, zumal da heute schon die Übertragung aus dieser Abteilung heraus in andere Betriebe, andere Unternehmensbereiche geschieht und den Arbeitenden ein Erfolgserlebnis bei der Arbeit vermittelt wird, indem sie nicht immer nur nach Anweisung arbeiten, sondern an der Gestaltung und Verbesserung ihrer Arbeitsplätze mitwirken.
Die Wirklichkeit in der Arbeitswelt sieht sicherlich etwas anders aus, als viele der Unionsabgeordneten es wahrhaben wollen.
({6})
Die Ziele des Humanisierungsprogramms sind von Ihnen nicht kritisiert worden; deswegen sind diese Ziele richtig. Ich halte die Lösung dieser Aufgaben für überaus wichtig. Einige Ergebnisse sind erfolgversprechend. Wir werden daran weiterarbeiten.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf die Frage 12 zurückkommen, wo die CDU versucht, auch hier -
Herr Kollege Stockleben, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abläuft. Ich wäre dankbar, wenn wir uns im ganzen so verhielten, daß wir bei der Debatte über die Humanisierung des Arbeitslebens nicht übersähen, daß der Ältestenrat mit großer Entschlossenheit vom Präsidenten verlangt hat, die Debatte um 1 Uhr zu beenden. Das geht nur, wenn wir alle etwas Disziplin üben.
({0})
Herr Präsident, ich komme zum Schluß.
Die Humanisierung des Arbeitslebens wird ohne die Mitwirkung der betroffenen Arbeitenden nicht den gewünschten Erfolg haben.
({0})
Wir werden uns bemühen, sie daran in verstärktem Maß zu beteiligen.
Einige im Deutschen Bundestag und draußen sagen, nicht alles, was technisch machbar ist, sollten
wir tun. Meine Meinung dazu: Das, was hier machbar ist und nicht geschieht, wird auf Dauer für uns alle viel teurer werden. In diesem Sinne bitte ich den Deutschen Bundestag, die Programme zur Humanisierung des Arbeitslebens, die Entscheidungen, die in diesem Jahr und in den nächsten Jahren anstehen, weiterhin tatkräftig zu unterstützen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Probst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Stockleben hat im zweiten Teil seiner Rede wenigstens in einigen Passagen sehr akzeptable Ausführungen gemacht. So hat er z. B. gesagt, daß ein Programm der Regierung dann nicht falsch ist, wenn es die Opposition nicht kritisiert. Bei dieser Beurteilungslage, Herr Stockleben, sollten Sie bleiben.
({0})
Ich habe nur nicht verstanden, warum Sie im ersten Teil Ihrer Ausführungen heute so klassenkämpferisch waren,
({1})
nachdem Sie von der Worterteilung mitten im Saal überrascht worden waren. Soviel ich weiß, sind Sie als Kandidat schon aufgestellt; dessen hätte es also nicht bedurft.
({2})
Ich möchte zu dem Thema Humanisierung des Arbeitslebens keine grundsätzlichen Ausführungen machen; die sind gemacht. Die Ausführungen meines Kollegen Müller ({3}) unterstreiche ich ausdrücklich; denn sie haben das Wesentliche noch einmal klar hervorgehoben. Das Thema Humanisierung des Arbeitslebens ist in einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft so eminent wichtig, daß man es nicht in den Parteienstreit um Stimmen hineinziehen darf. Hier wurde in der Vergangenheit in der Sozialpartnerschaft Beispielhaftes geleistet, das voll anzuerkennen ist und dem ich nichts hinzufügen möchte, außer dem, daß wir selbstverständlich alle konkreten, sinnvollen Maßnahmen auch mit öffentlichen Geldern zu unterstützen bereit sind. Es ist nicht wahr, wie man uns anhängen will, daß wir wegen der Kritik mancher Programmteile das Programm insgesamt ablehnen.
Leider aber haben Matthöfer und Hauff - und mit deren Forschungsprogramm möchte ich mich vor allem befassen - ihr Forschungsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens zu einem erklärten Prestigeobjekt gemacht. Sie haben es in sehr kurzer Zeit mit sehr großen Geldmitteln ausgestattet. 1974 waren 12,7 Millionen DM ausgewiesen; im Jahre 1980 sind es bereits 110 Millionen DM; in ganz kurzer Zeit, nämlich 1983, sollen es 185 Millionen DM sein. Nun möchte ich gar nicht über die Höhe des Betrages streiten. Eines ist in der Zwischenzeit aber klar: daß diese Gelder nämlich für sinnvolle Projekte nicht unterzubringen waren. Es ist bekannt, daß die Projektträger und die Minister betteln gingen, um ihre Programme überhaupt unterzubringen. Ich werde darauf noch eingehen.
Bis zum 31. Dezember 1979 sind im Programmbereich „Humanisierung der Arbeit" 648 Projekte mit einer Gesamtbewilligungssumme von 468 Millionen DM gefördert worden. Schon eine erste Analyse dieser Projekte vermittelt in der weit überwiegenden Zahl der Fälle den Eindruck der Konzeptionslosigkeit. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch eine sprachlich unpräzise wissenschaftliche Kopflastigkeit, die insbesondere im soziopolitischen Bereich des Programms durch eine in ihrer Praxisferne nicht mehr nachvollziehbare Terminologie bestimmt ist. Es ist hier leider nicht der Platz, eine Blütenlese zu halten, aber da Sie von der Tatsache sprachen, daß die Sozialforscher sehr wohl praxisnah sind - Herr Kollege Stockleben, wenn Sie sich diesem Teil meiner Ausführungen noch einmal widmen möchten -, folgendes Beispiel: Da gibt es einen Forschungsauftrag für 2,1 Millionen DM, der sich mit der „Entwicklung neuer Arbeitsstrukturen in bildungssoziologischer Perspektive" befaßt. Man hat den Eindruck, daß derjenige, der dieses Programm aufgestellt und diesen Arbeitstitel formuliert hat, selbst keine präzise Vorstellung hat, was er eigentlich forschen möchte; denn sonst würde der das ja hinschreiben. - Ein anderes Beispiel, bei dem Sie uns sicher sagen können, was das bedeutet: „Konzeption einer Untersuchung zur Entwicklung und Validierung einer Taxonomie von Qualifizierungsperspektiven'. Das ist eine Spitzenleistung, die mit erheblichen Mitteln gefördert worden ist.
({4}): „Für Peking und Umgebung"! - Weitere Zurufe
von der CDU/CSU)
Ich habe eine seitenlange Blütenlese parat. Herr Kollege Stockleben, wenn Sie es interessiert, kann ich Ihnen dazu einiges überlassen.
Die eklatanten Mängel des HdA-Programms sind in jüngster Zeit durch eine Vielzahl von Betroffenen, Berufenen, Wissenden kritisiert worden. Sie lassen sich zusammenfassen:
Erstens. Ein Großteil der Projekte dient der Finanzierung von Rationalisierungs- und Entwicklungsvorhaben, die von der Wirtschaft ohnehin durchgeführt werden müßten. Ein zusätzlicher Humanisierungsbeitrag wird durch diese Projekte nicht geleistet. Ihre Förderungsfähigkeit beruht daher auf einem Etikettenschwindel, weil erst die Hochstilisierung von Nebeneffekten den beantragten technischen Innovationsvorhaben den erforderlichen Humanisierungstouch verleiht.
Zweitens. Antragsverfahren und Projektabwicklung sind zeitraubend, praxisfremd und bürokratisch überlastet. Dadurch geht mehr als die Hälfte der eigentlichen Förderungsmittel durch die Verwaltungen des Ministeriums und der Unternehmen verloren. Klein- und Mittelbetriebe kommen nur dann zum Zuge, wenn sie ihre Förderungsanträge von versierten Unternehmensberatern aufbereiten lassen.
Drittens. Bei der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung und im soziopolitischen Themenbereich ist der Praxisbezug weitestgehend verlorengegangen. Dieser Forschungsbereich ist überwiegend ideologisch ausgerichtet und häufig auf Systemüberwindung angelegt. Ich möchte das ausdrücklich unterstreichen. Hierzu sprach mein Kollege Gerstein. Die Ergebnisse sind deshalb in der Praxis nicht anwendbar.
Viertens. Verwaltung und Beratungswesen im HdA-Programm sind personell völlig übersetzt, chaotisch organisiert und vom Ministerium - das ist das Bedauerliche, es ist vom Rechnungshof festgestellt - nicht kontrollierbar. Während das Bundesministerium für Forschung und Technologie einerseits auf die Zusammenarbeit mit 50 hauptamtlichen Mitarbeitern beim Projektträger angewiesen ist, laßt es sich andererseits allein im Programmbereich HdA von einem Fachausschuß mit 24 Gutachtern sowie zehn Gutachterausschüssen mit insgesamt 112 Gutachtern beraten.
Fünftens. Das bestehende Gutachtersystem des BMFT - das ist besonders wichtig, ich habe dazu von dieser Stelle schon Ausführungen gemacht - trägt den Keim der Korrumpierung in sich, weil es von der Struktur her völlig unmöglich ist, daß ein derart ausgeuferter Gutachterstab vom Ministerium noch kontrolliert werden kann. Es ist deshalb gängige Praxis geworden, daß die Fördermittel des BMFT de facto von den Gutachterausschüssen vergeben werden. Da aber die Gutachter meistens Institutionen oder Lehrstühlen angehören, die selber Forschungsaufträge durchführen, ist der Interessenkonflikt vorprogrammiert. Das BMFT mußte auf eine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im April letzten Jahres bestätigen - erst nach langem Zögern wurde diese Bestätigung gegeben -, daß sich die Gutachter bei 65 Einzelprojekten mit einem Finanzvolumen von etwa 50 Millionen DM selber in die Tasche gewirtschaftet haben.
({5})
Sechstens. Die sozialwissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik Deutschland wird durch die einseitige ideologische Ausrichtung des HdA- Programms mit erheblichen Finanzzusschüssen, die nicht der üblicherweise strengen Rechnungskontrolle z. B. der Universitäten unterliegen, in Richtung auf eine systemverändernde „kritisch& Wissenschaft umfunktioniert. Dadurch - das ist sehr wichtig, weil es ein Verfassungsaspekt ist - wird zugleich die Kompetenz der Bundesländer, Herr Senator Glotz, im geisteswissenschaftlichen Bereich der Universitäten systemwidrig ausgehöhlt. Wir haben die Praxis, daß derzeit oft raumgleich mit den Universitäten E. V. und GmbH-Institute entstehen, von denen man den Eindruck hat, daß sie nur deshalb gegründet worden sind, um staatliche Zuschüsse verbraten zu können.
Es gibt wohl kaum einen Politikbereich, der selbst bei den unmittelbar Beteiligten, also bei denjenigen, die erhebliche Gelder bekommen, auf eine derart breite Front von Ernüchterung, Ratlosigkeit, Unverständnis und Ablehnung stößt. Was im Bereich von
Wissenschaft und Projektleitung wortreich als „mangelnde Umsetzung" beklagt wird, hat das IGMetall-Vorstandsmitglied Karl-Heinz Janzen auf die für das HdA-Programm vernichtende Formel gebracht - Herr Stockleben, das sollten Sie sich noch einmal anhören -:
Die Bilanz ist erschütternd. Für die Betroffenen ist nichts oder nur wenig herausgekommen.
Nicht mehr zustimmen kann man der alarmierenden Konsequenz, die Professor Pöhler, der ja, nachdem er sehr stark hochgelobt worden ist, offenbar nunmehr im Juni ausscheiden soll, aus seiner ernüchternden Analyse über sechs Jahre Humanisierungsprogramm glaubt ziehen zu müssen.
Herr Kollege Probst, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann?
Da ich in der Zeit sehr bedrängt bin, erlaube ich sie nicht.
Professor Pöhler sieht nämlich den einzigen Ausweg in einer sozialorientierten Technologiepolitik. Ich möchte genau wissen, was er damit im Einzelfall meint. Dieses Konzept erinnert fatal an die Vorstellung von Professor Reese, ebenfalls Gutachter der Bundesregierung, der im Bundestagsausschuß für Forschung und Technologie kürzlich die Forderung erhoben hat, Technikentwicklungen sollten nur noch dann mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, wenn bekannt ist, „welche Zwecke damit eigentlich erreicht werden. Das heißt, es müssen konkrete Anwendungen und Projekte auf dem Tisch liegen, bei denen die Anwendungen beschrieben werden. Diese Anwendungen müßten in einer sozialen, sozialpolitischen oder gesundheitspolitischen Weise qualifiziert werden." So weit das Zitat.
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Ins Deutsche übersetzt heißt das: Der Forschungsminister muß künftig Herrn Pöhler oder Herrn Reese fragen, ob er eine Technologie überhaupt noch mit staatlichen Mitteln fördern darf.
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Das veranlaßt mich, an den BMFT folgende Fragen zu richten:
1. Wie beurteilt der Bundesminister für Forschung und Technologie das Anliegen von Herrn Professor Reese und insbesondere die Forderung des noch amtierenden Leiters des Projektträgers HdA nach einer sozialorientierten Technologiepolitik? Ist er bereit, eine solche Akzeptanzforschung auch nur in Teilbereichen zuzulassen? Das ist sehr wichtig.
2. Wie stellt sich der BMFT zu dem von Professor Pöhler erhobenen Vorwurf, das Humanisierungsprogramm erfülle lediglich die Feigenblattfunktion der sozialen Abfederung einer vornehmlich an ökonomischen Kriterien orientierten Technologiepolitik? Diese Kritik liest sich anders als das, was Minister Ehrenberg gesagt hat.
3. Welche Konsequenzen gedenkt der BMFT aus der aufgezeigten Fehlentwicklung zu ziehen, und wie will er in Zukunft sicherstellen, daß das HdAProgramm auch wirklich in praktische Hilfen für die Arbeitswelt umgesetzt wird?
Unter den zahlrichen kritischen Veröffentlichungen zum Thema Programmbereich HdA hat das ,.Manager-Magazin" in seinem Heft März 1980 einen durch Fakten belegten alarmierenden Beitrag geleistet.
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Ich fordere deshalb den Bundesminister für Forschung und Technologie dazu auf, hier zu den gravierenden Vorwürfen heute Stellung zu beziehen. Es handelt sich um folgende Fragen:
1. Trifft es zu, daß das Forschungsvorhaben „Untersuchung von Arbeitsstrukturen im Bereich der Aggregatfertigung der Volkswagenwerk AG" den Steuerzahler 10,6 Millionen DM gekostet hat und daß dieses Projekt praktisch gescheitert ist?
2. Trifft es zu, daß allein von Januar 1978 bis September 1979 fast 3 Millionen DM für abgebrochene Projekte verschleudert wurden?
3. Trifft es zu, daß die Begleitforscher der Universität Trier das inzwischen gescheiterte Projekt „Erweiterung von Mitwirkungsspielräumen" der PorstGruppe Schwabach weiter betreuen, nur um die bewilligten 1,06 Millionen DM voll aufzehren zu können?
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4. Trifft es zu, daß dem Bundesverband Junger Unternehmer für die Veröffentlichung eines „Leitfadens zur Organisationsentwicklung" - ({4})
- Herr Stockleben, hören Sie zu! Ich bin ja ganz Ihrer Meinung. Darum wiederhole ich für Sie die Frage:
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- Trifft es zu, daß dem Bundesverband Junger Un- ternehmer für die Veröffentlichung eines „Leitfadens zur Organistionsentwicklung" 119 000 DM zugewiesen worden sind, obwohl er hierfür nur 10 000 DM verlangt hatte?
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5. Trifft es zu, daß bei der Innovan-Stroebe KG in Pforzheim ein Projekt abgebrochen werden mußte, weil die von der DFVLR beauftragten Begleitforscher des Saarbrücker Instituts für Sozialforschung und Sozialwissenschaft - ISO - das Projekt nicht nur begleiten, sondern auch entscheidend beeinflussen wollten, und trifft es zu, daß dieses abgebrochene Projekt den Steuerzahler fast 1 Million DM gekostet hat?
6. Trifft es zu, daß über die rund 260 beendeten HdA-Projekte bisher nur zwölf Abschlußberichte veröffentlicht worden sind? Und warum ist das so?
7. Wie beurteilt der BMFT die Aussage eines Unternehmensberaters: „Bei den Projekten handelt es sich ganz selten um einen direkten Humanisierungsbeitrag. Meine Aufgabe liegt darin, für die Kunden Humanisierungsakzente aus technischen Innovationsvorhaben herauszufiltern, Nebenprodukte hochzustilisieren.?
Herr Bundesminister Hauff, Sie haben in Ihrem Sachstandsbericht zum Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" - 2. Mai 1980 - ausgeführt:
Dieses Programm will durch eine praxisorientierte Forschungspolitik beispielhafte betriebliche Lösungsvorschläge zur Gestaltung menschengerechter Arbeitsbedingungen entwikkeln und erproben.
Nach allem, was wir bisher wissen, sind Sie von diesem hehren Ziel meilenweit entfernt. Sie müssen dieses Forschungsprogramm gänzlich neu organisieren, das Finanzgebaren schärfer kontrollieren und die ideologische Überfrachtung beseitigen, wenn Sie Erfolg haben wollen. Ihrer Antwort hier, Herr Bundesminister, sehe ich mit Interesse entgegen.
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Das Wort hat der Herr Minister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den ersten Teil der Ausführungen des Kollegen Probst gehört hat, dann stellt man sich zwei Fragen. Frage eins: Wenn das alles so ist, wenn Sie die Humanisierung des Arbeitslebens in modernen Industriestaaten für so wichtig halten und auch ein staatliches Engagement in diesem Bereich befürworten, warum waren wir dann eigentlich gezwungen, 1973 mit dem Programm zu beginnen? Warum haben Sie nicht schon früher damit begonnen, als Sie Regierungsverantwortung hatten, wenn Ihnen das so ungeheuer am Herzen liegt?
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Die zweite Frage ist die Frage nach den Gutachtern, die in die eigene Tasche wirtschaften, wie Sie formuliert haben. Herr Kollege Probst, diese Formulierung über die Leute, die uns beraten, ist mindestens fahrlässig, denn in der Anfrage, die Sie zitiert haben, steht der Satz:
Es ist selbstverständlich, daß Gutachter an Entscheidungen über Vorhaben, die sie oder ihre Institute betreffen, nicht beteiligt sind und ihre Interessenbindung offenlegen müssen.
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Das ist ein Grundsatz, der für jeden Kommunalpolitiker und auch für jeden Gutachter gilt. Deswegen muß ich die Gutachter gegen den pauschalen Vorwurf, den Sie hier geäußert haben, in Schutz nehmen.
Wenn Sie im übrigen mit der gleichen Vehemenz dafür einträten, daß beispielsweise Mitarbeiter der
Firma Siemens das Ministerium nicht mehr in Fragen der Datenverarbeitung beraten sollten oder daß auch Mitarbeiter der Firma MBB in einem Bereich, der Ihnen möglicherweise noch mehr am Herzen liegt, nämlich in der Raumfahrttechnik, nicht mehr in den Gutachtergremien vertreten sein sollten, dann wäre Ihre Kritik etwas glaubwürdiger.
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Man hat den Eindruck, daß Sie im Grunde nur das Programm meinen und daß Ihnen die ganze Richtung auf diesem Gebiet nicht paßt.
Humanisierung der Arbeit heißt Arbeitsplätze, heißt Arbeitsbedingungen verändern, und zwar mit dem Ziel, die Arbeit wirklich menschlicher zu machen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Probst?
Nein, ich möchte mich gern an das halten, was Herr Probst für sich reklamiert hat. - Dies ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, und ich weiß, daß es genügend weitsichtige Unternehmer in unserem Lande gibt, die wissen, daß die Lösung dieser Aufgabe auch langfristig im wohlverstandenen wirtschaftlichen Interesse liegt; denn die Stärke unserer Wirtschaft ist wesentlich bestimmt von der Qualität und der Leistungskraft der Arbeitnehmer, d. h. von ihrer Bereitschaft, sich auch zu engagieren. Noch immer wachsen junge Menschen in eine Arbeitswelt hinein, die sie - wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen - nicht als die ihre akzeptieren. Sie suchen ihre Chancen woanders - in der Freizeit, im Konsum, auch als Aussteiger.
Ich glaube, es ist wichtig festzuhalten: Wir sind uns einig, daß die Arbeitsbedingungen weiter verbesserungsbedürftig sind. Dies betrifft sowohl den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz wie auch die Entfaltungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten vieler Arbeitnehmer. Diese Einigkeit im Grundsatz halte ich für einen wesentlichen Ausgangspunkt der Debatte. Die kontroverse Diskussion über Einzelziele, über Maßnahmen und über bisherige Ergebnisse halte ich für notwendig, weil sie auch der Weiterentwicklung des Forschungsprogramms förderlich ist.
Meine Damen und Herren, ein Programm, das von seiner Aufgabenstellung her die Interessen und Konfliktbereiche der Tarifvertragsparteien berührt, kann nicht damit rechnen, jenseits dieser Konflikte in einer heilen Forschungswelt leben zu können. Dies gilt insbesondere, wenn - wie im Programm „Humanisierung der Arbeit" - dabei auch noch vielfach Neuland beschritten wird.
In den letzten Jahren sind bei der Humanisierung des Arbeitslebens, insbesondere auch beim Arbeitsschutz, erhebliche Fortschritte gemacht worden. Dies betrifft sowohl den Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz als auch den Versuch, die Arbeitsinhalte und die Qualifikationsmöglichkeiten zu erweitern.
Es wurden Belastungen abgebaut. Darauf ist in der Antwort auf die Anfrage der Koalitionsfraktion ausführlich eingegangen worden. .Beispielhaft lassen sich hier die Projekte im Bergbau nennen. - Es wäre schön, Herr Kollege Gerstein, wenn sie darauf eingegangen wären und nicht nur aus irgendwelchen Verbandsverlautbarungen zitiert hätten.
Wenn man an einem Lärmarbeitsplatz unter Tage mit über 100 Dezibel gestanden oder dort gearbeitet hat, bei einer Lautstärke, bei der man sich allenfalls noch durch lautes Schreien miteinander verständigen kann, der weiß, was ein solch belastender und schädigender Lärm für das Lebensgefühl und auch für die Lebensqualität des einzelnen Arbeitnehmers bedeutet. Es gibt jetzt leisere Bohrhämmer, leisere Motoren, leisere Pumpen; leisere Förderanlagen sind in der Planung.
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Wir sind also auf diesem Gebiet einen wichtigen Schritt weitergekommen.
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Ich gehe davon aus, daß die besonders reibungslose Zusammenarbeit mit dem Bergbau sicherlich auch mit der langjährigen Mitbestimmungspraxis im Montanbereich zu tun hat. Dadurch konnten eben frühzeitig Berührungsängste abgebaut werden, die anderswo gelegentlich noch auftreten. Immer wichtiger wird aber die Berücksichtigung kombinierter Belastungen, besonders deutlich etwa in Gießereien und an anderen stark belastenden Arbeitsplätzen. Wer weiß, was an solchen Arbeitsplätzen an Staub, an Lärm und an Hitzebelastung anfällt, wird nicht mehr mit der Illusion leben, daß bereits alles in Ordnung ist und auf die konsequente Anwendung von Forschung und Technik zur Lösung dieser Probleme verzichtet werden kann.
Zweitens wurde die Arbeitssicherheit erhöht. Solche Projekte gibt es unter anderem in der Hüttenindustrie, im Bergbau, in der chemischen Industrie. Vor allem im Bereich der chemischen Industrie fallen gesundheitsschädliche und explosionsfähige Schadstoffe an. Diese Schadstoffe konnten - um nur ein Beispiel zu nennen - bisher nur mit hohem Explosionsrisiko verbrannt werden. Mit aufwendigen Versuchen wurde eine bisher einzigartige Verbrennungsanlage zur Beseitigung dieser gefährlichen Schadstoffe entwickelt, die eine Gefährdung der Mitarbeiter an solchen Anlagen ausschließt.
Drittens konnte Monotonie abgebaut, zumindest gemildert werden. In verschiedenen Projekten der Elektroindustrie ist es z. B. gelungen, Montagetätigkeiten so zu strukturieren, daß die Maschinen nicht mehr wie bisher den Zeittakt starr vorgeben. Dabei zeigte sich ein ganz wichtiges Ergebnis, das von großer allgemeiner Bedeutung für die Arbeitswelt ist: daß erst Puffergrößen von mindestens 30 Minuten wirklich befriedigend sind.
Viertens sind Versuche erfolgreich gewesen, auch angelernte Arbeiter dazu zu bringen, aktiv an der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen mitzuwirken. Es konnte nachgewiesen werden, daß solche
Verbesserungen nicht nur zur Höherqualifizierung beitragen, sondern auch die Produktivität erhöhen. Damit konnte beispielsweise nachgewiesen werden, daß kein grundsätzlicher Widerspruch zwischen der Humanisierung der Arbeit und den Produktivitätssteigerungen vorhanden ist. Entscheidend dabei ist aber, daß Produktivitätsgewinne auch den Arbeitnehmern zugute kommen und nicht ausschließlich von den Unternehmern vereinnahmt werden.
Das Programm hat Anstöße zur Fortentwicklung einer interdisziplinär angelegten Arbeitswissenschaft gegeben. Es ist ein notwendiger und sehr mühevoller Prozeß. Wissenschaft und Arbeitswelt waren in unserem Lande traditionell eher getrennte Welten. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Arbeit war häufig theoretisch, ohne praxisnahen Bezug aufgebaut, oder sie ging im anderen Extrem von einer engen ergonomischen Sicht aus, also von der bloßen Vermessung von Arbeitnehmern. Zur Überwindung dieser Einseitigkeit leistet das Programm einen wichtigen Beitrag. Die Verbindung der Wissenschaft mit der Arbeitswelt hat durch dieses Programm wesentliche neue, qualitative Anstöße bekommen.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang ein Wort speziell zu den Sozialwissenschaftlern sagen, die auch Herr Kollege Probst angesprochen hat. Die Kritik an den Sozialwissenschaftlern hat die Opposition sich mit mehr oder weniger Glück auf ihre Fahnen geschrieben. Bei einer Reihe von Vorhaben, nämlich denjenigen, die sich mit erweiterten Arbeitsinhalten und Qualifikationsmöglichkeiten befassen, unterstützen neben Ingenieuren und Arbeitswissenschaftlern auch Sozialwissenschaftler den Umstellungsprozeß. Diese Begleitforschung ist gerade bei komplexeren Vorhaben der Einführung von neuen Techniken oder Organisationsformen auch unumgänglich. Sie wird in der Regel von den zuständigen Sachverständigenkreisen zur Bedingung gemacht und auch - entgegen den Vermutungen der Opposition - von den Unternehmern begrüßt. Während z. B. die Ingenieurwissenschaften bei solchen Aufgabenstellungen bereits langjährige Erfahrungen aufweisen können, ist dies - das muß man sehr klar sehen - bei den Sozialwissenschaften nicht der Fall. Dies bringt Schwierigkeiten mit sich, es bringt Reibungsverluste mit sich und erzwingt einen Lernprozeß auf allen Seiten im Umgang miteinander. Ohne sozialwissenschaftliche Grundlage können aber zahlreiche Problemstellungen nicht angegangen werden. Die sozialwissenschaftliche Begleitforschung als reine Rechtfertigungswissenschaft abzutun, wie Sie es mal vor kurzem getan haben, Herr Kollege Gerstein,
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wird den anstehenden Problemen nicht gerecht und zerstört nach meiner Meinung die Basis für eine konstruktive Kritik sozialwissenschaftlicher Forschungsweisen.
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Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfragen zeigt deutlich: Die Mehrzahl der Probleme liegt trotz aller Anstrengungen gerade auf diesem Gebiet noch vor uns und nicht hinter uns. Bei allen Erfolgen, die wir erreicht haben - mein Kollege Ehrenberg hat darauf schon hingewiesen -, dürfen wir nicht vergessen: Alle 17 Sekunden gibt es bei uns in der Arbeitswelt einen Arbeits- oder Wegeunfall. Alle zweieinviertel Stunden gibt es in unserem Lande einen tödlichen Unfall in der Arbeitswelt. Bei Berufskrankheiten werden an jedem Tag 125 berufsbedingte Erkrankungen angezeigt. Etwa ein Sechstel davon führt wegen Erwerbsminderung von mehr als 20 To zu Renten.
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Die Berufskrankheit Nummer eins ist die Lärmschwerhörigkeit.
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An jedem Tag werden Arbeitnehmer davon betroffen.
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Lärm ist nur eines der Probleme dabei. Ähnlich problematisch sind Hitzearbeitsplätze, der Umgang mit gefährlichen, gesundheitsschädigenden Arbeitsstoffen oder übermäßiger Zeitdruck durch die Nacht- und Schichtarbeit.
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- Nein, das wissen wir nicht erst jetzt.
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Aber das ist für uns Grund, das Programm - im Gegensatz zu Ihnen - weiter auszubauen, weil wir die Probleme ernst nehmen, während Sie sie verharmlosen. - Deshalb müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um zu einer Reduzierung solcher Gefahren und Belastungen zu kommen. Deshalb ist Humanisierung des Arbeitslebens eine ständige Aufgabe, der wir wachsende Aufmerksamkeit schenken müssen.
Hinzu kommen dann noch verstärkt Bemühungen, Arbeitsinhalte und Qualifikationsmöglichkeiten dort auszuweiten, wo sich Arbeitsvorgänge bisher auf Handgriffe von sekundendauer beschränkt haben. Wir glauben, daß wir mit diesen Anstrengungen nicht nur dem Humanisierungsgedanken Rechnung tragen, sondern zugleich auch eine Arbeit leisten, die im gesamtvolkswirtschaftlichen Interesse liegt.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang einige Bemerkungen zum Verhältnis von Humanisierung und Rationalisierung machen. Wenn Zielkonflikte zwischen Humanisierung und Wirtschaftlichkeit auftreten, können diese Zielkonflikte nicht mit einem Forschungsprojekt gelöst werden. Daß aber der Schutz der Gesundheit Vorrang hat, steht für mich außer Frage. Ich will dies an einem Beispiel erläutern, am Beispiel eines Projekts, das wir gefördert haben und das im „manager magazin" schief und zum
Teil auch falsch dargestellt worden ist. Dieses Beispiel betrifft Quarzsand, der für Gußformen verwendet wird und der lungenkrank macht. Wenn - wie im Programm geschehen - erfolgreich Ersatzstoffe gefunden und demonstriert werden, dann kann man, wenn der wirtschaftliche Mehraufwand einigermaßen verkraftbar ist, diese Erkenntnisse nicht ignorieren oder gar auf Subventionen spekulieren. Unsere Aufgabe, die Aufgabe des Forschungsministeriums, ist es, die entsprechenden Informationen zugänglich zu machen, damit sich die Betroffenen zusammenraufen und diese Erkenntnisse in die praktische Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsplätze umsetzen.
Das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" soll weiter ausgebaut werden. Lassen Sie mich daher zu den Akzenten, die ich dabei setzen will und die auf den bisherigen Programmerfahrungen aufbauen, einige Worte sagen.
Erstens. Zukünftige Schwerpunkte sollen dort gesetzt werden, wo die größten Humanisierungsdefizite bestehen. Ich nenne beispielhaft dafür den Abbau von Belastungen im Dienstleistungsbereich,
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insbesondere dort, wo auf Grund schlechter Arbeitsbedingungen Arbeitskräftemangel herrscht. Ein solches Projekt ist das Branchenprojekt Hotel- und Gaststättengewerbe.
Zweitens. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Gestaltung von Arbeitsplätzen in Verwaltungen, weil wir mit den modernen Informationstechnologien erstmals in der Lage sind, den Verwaltungsbereich so zu rationalisieren, wie bisher nur der gewerbliche Bereich rationalisiert wird, und man aufpassen muß, daß man dort die Fehler, die man im gewerblichen Bereich mit einer sehr weitgehenden Arbeitszerstückelung gemacht hat, nicht noch einmal macht.
Drittens. Ein ausgesuchter Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit sind die Entwicklung von humanen Arbeitsplätzen für Behinderte und - im Bereich der Materialentwicklung - Forschungen im Zusammenhang mit der Verwendung von Asbest in der Arbeitswelt. Bei den arbeitsorganisatorischen Projekten werden Qualifikationsaspekte größeres Gewicht als bisher erhalten.
Die Weiterentwicklung der bisherigen Programmschwerpunkte hat zu dem neuen Projekttyp des Branchenvorhabens geführt. In Branchenvorhaben werden die Humanisierungsdefizite einer Branche systematisch erfaßt, in den beteiligten Betrieben werden die gemeinsam mit den Begleitforschern erarbeiteten Verbesserungsvorschläge nach gründlicher Planung modellhaft in die Praxis umgesetzt. Solche Branchenvorhaben erleichtern die Einbeziehung auch der kleinen und mittleren Unternehmen. Sie erleichtern die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse und Betriebserfahrungen in die Praxis ganz erheblich. Projekte dieser Art laufen bisher - in Zusammenarbeit mit den Unternehmensverbänden und den Gewerkschaften - in der Bekleidungsindustrie, im Hotel- und Gaststättengewerbe und in der Verpackungsindustrie.
Der Erfolg des Forschungsprogramms, dessen Aufgabe es ist, wirklich beispielhafte, d. h. übertragbare Lösungen zur durchgreifenden Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu entwickeln, wird aber - darauf möchte ich zum Schluß sehr nachdrücklich hinweisen - letztlich davon bestimmt, daß die Interessen aller Kooperationspartner angemessen berücksichtigt werden. Die Bewältigung des technischen Wandels, die Nutzung der Technik zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen stellt alle Beteiligten vor neue Probleme. Für viele Arbeitnehmer haben diese Probleme existentielle Bedeutung.
Humanisierung des Arbeitslebens, ernst genommen, setzt Mitbestimmung voraus. Ohne Mitbestimmung ist ein fairer Interessenausgleich, wie ihn dieses Programm braucht und voraussetzt, nach meiner Meinung nicht. möglich. Ohne einen fairen Interessenausgleich gerät aber auch die soziale und ökonomische Stabilität der Bundesrepublik in Gefahr. Und in diesem Sinne ist das Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens ein Teil der erfolgreichen Politik der Bundesregierung zur Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zur Sicherung des sozialen Friedens in unserem Lande.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, wir sollten uns bei der Diskussion um das Problem Humanisierung des Arbeitslebens weniger um die Historie und die historischen Entwicklungen bemühen.
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Es kommt nicht darauf an, wer was wann wo und vielleicht früher als ein anderer gesagt hat, es kommt vielmehr darauf an, im Interesse aller Betroffenen für die anstehenden und die in Zukunft auftretenden Probleme Lösungen zu finden.
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Ich finde es auch nicht gut, daß wir heute nur oder vorwiegend über die Forschungsproblematik im Bereich der Humanisierung der Arbeitswelt sprechen. Ich finde es ebensowenig gut, Herr Kollege Gerstein, wenn Sie sozusagen eine Zitatensammlung bringen, einen forschungspolitischen Rundumschlag machen, der alles betrifft, sich aber nur wenig und nur punktuell mit dem Problem der Humanisierung des Arbeitslebens befaßt, und im übrigen wieder versäumen, dabei die eigene Position deutlich zu markieren.
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Herr Kollege Probst, es geht auch nicht darum, ob irgendwo einmal ein Projekt nicht zu Ende geführt wurde, falsch gelaufen ist, ob vielleicht einmal ein
Gutachter mit Selbstversorgungseffekt aufgetreten ist.
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Dies halte ich für kleinkariert. Wir sollten uns mit dem Grundsätzlichen auseinandersetzen und nicht versuchen, hier einen ideologischen Streit zu initiieren.
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- Vielleicht lassen Sie mich ausreden! Ich bin gerne
bereit, am Schluß nochmals ganz konkret auf Ihre
Vorstellungen und Darlegungen zurückzukommen.
Ich möchte vorweg ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen. Zweifellos hat der gewaltige technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte in den Industrieländern zu einer wirtschaftlichen Prosperität und zu einer beachtlichen Anhebung des durchschnittlichen Lebensstandards geführt. Dieser Fortschritt schaffte auch die Voraussetzungen für das Netz der sozialen Absicherung und der sozialen Sicherheit. Aber ähnlich wie zu Beginn der Industrialisierung befinden wir uns heute erneut in einer Situation, in der der Fortschritt auch als eine Bedrohung empfunden wird. Durch Automatisierung der Arbeitsprozesse wurde zwar einerseits ein weiterer Abbau von physischer Belastung erzielt. Andererseits droht hier aber der Verlust des Arbeitsplatzes durch Rationalisierungseffekte. Ja, es droht das Auslaufen - das geschieht tatsächlich - von zahlreichen Berufen; viele gibt es heute schon nicht mehr.
Durch neue Produkte und .Produktionsverfahren entstanden für den arbeitenden Menschen neue Belastungen durch neue, zum Teil gefährliche Arbeitsstoffe, deren Gefährlichkeit oft noch unerkannt ist, durch Lärmbelastung, durch Immissionsbelastung, gefährliche Dämpfe, durch die Fließbandarbeit, die Schichtarbeit. Vieles ist heute schon angesprochen worden. Auch wird der Arbeitsrhythmus der Menschen mehr und mehr von Maschinen bestimmt, von technisch ausgeklügelten, nur schwer oder nicht überschaubaren Systemen. Und dies führt zu einer enormen neuen psychischen Belastung, zu einer, wie gerade auf der Jahrestagung der Arbeits- und Betriebspsychologen, die zur Zeit in Düsseldorf stattfindet, diskutiert wird,' Verödung des Arbeitsklimas. Und das nicht nur in den Prozessen der Grundindustrie, sondern auch im Büro und in der Verwaltung.
Es dürfte aber auch unumstritten sein, daß wir gerade auf technische Weiterentwicklungen, auf Automatisierung und Rationalisierung in allen Arbeitsbereichen nicht verzichten können. Sie sind zur Erhaltung der Wirtschaftskraft und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit notwendig. Sie sind Grundlage für den notwendigen Strukturwandel, und sie dienen dem Erhalt der sozialen Sicherheit, dem Erhalt der Arbeitsplätze und der Erhaltung unseres Lebensstandards.
Befinden wir uns nun hier in einem Konfliktbereich, in dem Konflikt zwischen dem Gebot der Humanisierung einerseits und dem Gebot der wirtschaftlichen Entwicklung andererseits? Ich meine, dieser scheinbare Konflikt kann und muß aufgelöst werden, jedoch nicht durch Anhalten der Entwicklung, sondern indem diese Entwicklungen so gesteuert werden, daß sie den Bedürfnissen der Menschen besser entsprechen, als es bisher geschehen ist.
Wenn Veränderungen unvermeidbar sind, müssen sie von allen Beteiligten mitgetragen werden. Dazu ist es unverzichtbar, die Auswirkungen vorhersehbar zu machen und den möglicherweise Betroffenen verständlich darzustellen. Schon durch intensive Vorbereitung und Heranführung der Arbeitnehmer an die Probleme lassen sich, wie ich meine, viele Konflikte vermeiden oder mindestens mildern.
Dazu ist es erforderlich, zu untersuchen, welche Auswirkungen sich ergeben und wie negative Wirkungen vermieden oder abgefangen werden können. Deshalb sind Untersuchungen und Forschungen interdisziplinärer Art notwendig wie in sonst keinem Gebiet der Humanisierung der Arbeitswelt. Dazu gehören die Bereiche Arbeitsmedizin, Ergonomie, Arbeitspsychologie, technische, verfahrenstechnische, sicherheitstechnische Bereiche und die Sozialwissenschaften genauso wie die Wirtschaftswissenschaften. Dies alles muß in dem Zusammenhang des Wirkungsgefüges untersucht und erforscht werden.
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- Herr Kollege Gerstein, ich komme darauf zurück, wenn die Zeit es mir erlaubt.
Diese Untersuchungen lassen sich jedoch in den meisten Fällen nicht sinnvoll im Labor oder am Schreibtisch irgendeines Instituts oder einer Institution durchführen, sondern nur in enger Zusammenarbeit mit der Praxis und in enger Kooperation - darauf hat der Kollege Stockleben schon hingewiesen - mit den Leuten am Arbeitsplatz und in begleitender Forschung. Das gilt besonders für die Sozialwissenschaften. Aber, Herr Kollege Gerstein, das Programm befaßt sich nicht nur mit den Sozialwissenschaften, sondern mit allen Bereichen, die ich vorhin skizziert habe. Wir wollen das deutlich festhalten.
An der Durchführung des Programms der Bundesregierung „Humanisierung des Arbeitslebens" haben Sie und auch Außenstehende erheblich Kritik geübt. Ich meine, auch dies hat die Bundesregierung in ihrer Antwort nicht verschwiegen. Sie hat zugegeben - das weisen die Antworten deutlich aus -, daß manche der Kritiken berechtigt sind.
Herr Kollege Gerstein, Ihre Zweifel und Ihre Enttäuschung können ja nicht mit einer falschen historischen Darstellung begründet werden. Ich habe das eingangs schon gesagt.
Nicht alles, was in dem Programm gefördert wurde, ist, wie ich meine, der Forschung zuzuordnen. Das haben wir erkannt. Das sehen wir ein.
Es zeigt sich weiter - das bestätigt sich auch in diesem Bereich von Forschung -, daß das Aufgreifen von Problemen und die Durchführung notwendiger Untersuchungen und Forschungsarbeiten nicht nur eine Frage der Höhe der staatlichen Finanzaufwendungen sind und auch nicht sein dürfen.
Die Gefahr ist in einem solchen Fall unvermeidbar, daß bei zu raschem Anstieg der zur Verfügung stehenden Mittel Fehlentwicklungen eintreten und daß zu viele nicht von vornherein für derartige Aufgaben Qualifizierte auf diesen Zug aufspringen: Wo es Geld gibt, da forschen auch wir. Ich sage das bewußt so provozierend, weil das nicht vermeidbar ist, besonders dann nicht, wenn solche Dinge gepusht werden.
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- Bitte, Herr Kollege Gerstein, es sei Ihnen gestattet. Sie haben heute ja schon einmal versucht, mich zu zitieren.
Eine entsprechende Infrastruktur - das möchte ich hier deutlich sagen - kann, wenn sie wirkungsvoll und ohne Fehlentwicklungen arbeiten soll, nur kontinuierlich aufgebaut werden. Daß es Fehlentwicklungen gibt, auch im Bereich des Gutachterwesens, Herr Kollege Gerstein, gilt für dieses Programm wie für andere Programme. Ich glaube, das gilt durchgängig und ist kein Spezifikum der Kritik an diesem Programm. Diese Erkenntnis hat, wie die vorliegenden Antworten ausweisen, auch die Bundesregierung gewonnen. Das läßt sich doch nicht leugnen. Sie müssen jedoch die Antworten lesen und dürfen sich nicht nur mit Ihren Fragen beschäftigen.
Die inzwischen vorliegenden - auch negativen - Erfahrungen werden ausgewertet und die erforderlichen Schlußfolgerungen gezogen. Ich meine, öffentliche Forschungsgelder dürfen nur da eingesetzt werden, wo es sich wirklich um Forschung handelt, dürfen nur da eingesetzt werden, wo nicht Verwaltung und Industrie aus unternehmerischer und sozialer Verantwortung die erforderlichen Maßnahmen unter Beteiligung der Betroffenen ergreifen; jene Maßnahmen, die zur erträglicheren Gestaltung der Arbeitsprozesse und der Arbeitsplätze notwendig sind. Mit Forschungsförderung dürfen nicht Subventionierung von Arbeitsplätzen und aus betrieblichen Gründen ohnedies erforderliche Umstellungen verkleistert werden. Wenn die Investitionen für Umstellungen zu teuer sind, darf das nicht durch Forschungsgelder ergänzt oder finanziert werden.
Forschung auf dem Gebiete Humanisierung des Arbeitslebens kann nur interdisziplinäre Forschung sein. Sie muß allgemein verfügbare Erkenntnisse vermitteln, muß die grundlegenden Erkenntnisse für die Lösung spezieller Probleme bereitstellen. Herr Kollege Gerstein, auch hier gilt das Gebot - das müssen wir akzeptieren -, daß dem Wesen der Forschung gemäß die Pluralität berücksichtigt wird und unterschiedliche Auffassungen und Meinungen vertreten werden können. Unser Anliegen kann es nur sein, dafür Sorge zu tragen, daß Meinungen nicht unterdrückt und abgelehnt werden, es sei denn, eine objektivierbare sachliche Begründung spräche für eine Ablehnung.
Forschung muß auch Aufschluß darüber geben, wie den Behinderten die Möglichkeiten eingeräumt werden können, am Arbeitsprozeß teilzunehmen, um Erfüllung und Befriedigung in ihrem ohnehin schweren Leben zu finden. Besonders diejenigen Bereiche bedürfen einer staatlichen Förderung - hier sollte es möglich sein, Einigkeit herbeizuführen -, in denen politisches Handeln verlangt wird. Dazu zähle ich insbesondere den sozialpolitischen und den gesundheitspolitischen Bereich. Die FDP-Fraktion hält deshalb das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" für notwendig und wichtig. Sie betrachtet die Förderung von Forschung und die Umsetzung von Erkenntnissen weitgehend als eine staatliche Aufgabe.
Die FDP-Fraktion hält es nicht für vertretbar, wenn staatlicherseits finanziell gefördert wird, was aus betrieblichen Gründen ohnehin von Verwaltung, Industrie und Gewerbe eingeführt bzw. durchgeführt wird und durchgeführt werden muß.
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Die FDP hält es nicht für vertretbar, wenn wegen der möglichen staatlichen Förderung neue Institute gegründet werden, die dann nur akademische Expertisen liefern, die wenig Realitätsbezug aufweisen.
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Die FDP hält es für erforderlich, daß Forschungen in allen Disziplinen in engem Bezug zur Realität der Arbeitswelt, des Arbeitsplatzes durchgeführt werden.
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Die FDP hält eine Beteiligung der Betroffenen, der Arbeitnehmer, für sinnvoll und unverzichtbar. Dabei geht sie davon aus, daß notwendige Veränderungen in den Strukturen und Produktionsprozessen nicht verhindert, sondern Verständnis und Übereinstimmung hinsichtlich notwendiger Maßnahmen herbeigeführt werden. Ich schließe mich der Forderung der Arbeitspsychologen an: Die Arbeitnehmer haben ein Recht darauf, nicht zu bloßen Handlangern der Technik zu werden.
Die FDP-Fraktion geht davon aus, daß, wie sich aus den Antworten der Bundesregierung ergibt, aus den bisher gemachten Erfahrungen Konsequenzen gezogen, eingetretene Fehlentwicklungen korrigiert und in Zukunft vermieden werden. Hier ist Neuland betreten worden. Hier gibt es negative Erfahrungen, die nun - wir sind sicher, daß das auch geschieht - umgesetzt werden müssen.
Die FDP-Fraktion erwartet vom Forschungsprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens", daß es Konflikte und Spannungsfelder im Betrieb und am Arbeitsplatz abbaut und vermeidet. Das Programm muß so ausgeführt werden, daß es nicht neue Konflikte schafft.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete George.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab eine grundsätzliche Bemerkung. Die Notwendigkeit der Humanisierung des Arbeitslebens ist unbestrittene Daueraufgabe der Sozialpartner und aller gesellschaftspolitischen Kräfte seit Beginn der Industrialisierung, seit der Zerlegung des Arbeitsprozesses überhaupt.
Deshalb sollten Sie auch nicht das Erstgeburtsrecht für Ihre Große Anfrage in Anspruch nehmen; denn als Sie gemerkt haben, daß wir dabei sind, das HdA-Programm nach sechs Jahren auf seine Effizienz hin abzufragen, haben Sie erst Ihre Große Anfrage eingebracht.
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Wer die Antworten der Bundesregierung und die Einlassungen der Vertreter von SPD und FDP auf die beiden Großen Anfragen fachkritisch analysiert, kommt zu drei grundsätzlichen Feststellungen:
Erstens. Statt substantieller Ergebnisse und konkreter Antworten werden überwiegend programmatische Absichtserklärungen geboten. Hierfür gab Herr Minister Hauff ein Beispiel.
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Zweitens. Statt ungeschminkter Bestandsaufnahme werden beschönigende Selbstdarstellungen betrieben. Paradebeispiel: Minister Ehrenberg.
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Drittens. Statt problemorientierter Sachkunde wird überwiegend ideologische Weltverbesserung propagiert. Paradebeispiel: Herr Urbaniak.
Ich meine: ein wahrlich mageres Ergebnis, vor allem dann, wenn man die fette Dotierung der HdAProgramme dazu in Bezug setzt
Dort, wo die Antworten erfreulicherweise Substanz bieten, z. B. auf den Sachgebieten Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit und ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, handelt es sich um verwertbare Ergebnisse, die überwiegend von anderen in eigener Regie initiiert und erprobt worden sind. Viel Unternehmen sind mit ihren Betriebsräten und den zuständigen Gewerkschaften schon sehr viel weiter gekommen, als es die HdA-Programmierer, die HdA-Modellierer und die HdA-Theoretiker wahrhaben wollen, geschweige denn realisiert haben.
Ich meine, hier ist ein Dank an DFG, REFA, VDI, VDMA und RKW geboten, auch an andere bewährte Institutionen. Denn diese haben bewiesen, daß sie gestern und heute - und mit Sicherheit auch morgen - besser, rationaler und rationeller in der Lage sind, die sich ständig wandelnden Probleme zu erkennen, sie einer arbeitnehmernahen Lösung zuzuführen und in die Alltagspraxis umzusetzen.
Eine zweite kritische Bemerkung: Völlig unbefriedigend sind die Auskünfte und Ergebnisse gerade dort, wo es um die im Aktionsprogramm postulierte Selbstverwirklichung der Menschen in der Arbeitswelt geht Es fehlen überall Beispiele und qualifizierte Aussagen über den Sektor der psychischen Beanspruchung und Lösungsangebote für die am Menschen orientierte Weiterentwicklung der Arbeitsorganisation.
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Am unbefriedigendsten sind die Auskünfte der Bundesregierung, wenn man die dargestellten Ergebnisse - es sind ohnehin nur wenige dargestellt - unter dem Gesichtspunkt der Übertragbarkeit betrachtet Daran muß sich dieses Programm letztlich messen lassen.
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Erstens. Eine ganze Reihe von Projekten ist so betriebsspezifisch angelegt, daß eine Übernahme der Ergebnisse durch andere Unternehmen unmöglich ist. Beispiel: Die Millionenausgaben für die Ruhrkohle AG sind im wesentlichen, wenn man genau hinsieht, nichts anderes als Mittel für ein „Infrastrukturprogramm" zur Beseitigung von „Problemecken" in diesem Unternehmen.
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Ich will ein Gegenbeispiel nennen: Das Haus Siemens hat in den 70er Jahren mit einem Aufwand in Höhe von 300 Millionen DM aus eigener Kraft etwas Ähnliches getan wie das, was hier von Staats wegen bei der Ruhrkohle AG finanziert wurde. Die nachweisbaren Erfolge des HdA-Programms, soweit sie überhaupt nachweisbar sind, rekrutieren sich interessanterweise in erster Linie aus diesem Bereich!
Zweitens. Eine zweite Kategorie von Projekten läßt befürchten, daß sie keine weiteren Anwender finden. Auch dazu ein Beispiel: In Band 3 der vom BMFT herausgegebenen Schriftenreihe wird über das VW-Projekt berichtet Abgesehen davon, daß die ursprünglichen Projektziele nicht erreicht wurden, sind sich Betrieb, Betriebsrat und die beteiligten Institute darüber einig, daß sie - sicherlich aus unterschiedlichen Gründen - weder mit dem Projektverlauf noch mit dem Ergebnis zufrieden sind. An Ergebnissen werden unter anderem solche Banalitäten herausgestellt, wie sie Herr Bundesminister Hauff hier auch noch einmal wiederholt hat:
a) daß es zum vielgescholtenen Fließband in der Massenproduktion keine vertretbare Alternative gibt;
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b) daß der erzielbare Lohn für den Mitarbeiter eine dominierende Rolle spiele; c) daß es wichtig sei, daß Interessen und Qualifikation zum Ausgleich geführt werden.
Meine Damen, meine Herren, dies ist ein Sammelsurium von nicht gerade neuen Erkenntnissen
für mindestens 10 Millionen DM an Steuergeldern. Ich könnte noch eine ganze Reihe derartiger Beispiele aufzählen. Herr Probst hat sehr deutlich auf den Verdacht hingewiesen, der hier entstehen kann, daß HdA eine sehr luxuriös ausgestattete Spielwiese für Ideologie und Bürokratie zu sein scheint, an deren Eingang ein Schild steht „Für Arbeitnehmer verboten".
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Stockleben?
Ich habe nur noch drei Minuten Zeit Ich muß ja meine Redezeit einhalten.
Wenn man sich die Zahl der Projekte und die Projektstruktur etwas näher ansieht, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das Aktionsprogramm zu einem Gemischtwarenladen mit Selbstbedienungscharakter ausgeartet ist.
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Nicht zuletzt deshalb ist eine gründliche Bestandsaufnahme unumgänglich notwendig, sind neue - ideologiefreie - Akzente zu setzen, ist das Programm zu straffen und unter eine ständige Effizienzkontrolle zu stellen. Mein Kollege Adolf Müller hat ausführlich begründet, weshalb die Union Sie um Zustimmung zu unserem darauf abzielenden Entschließungsantrag bittet
Lassen Sie mich noch drei grundsätzliche Bemerkungen hinzufügen.
Erstens. Es ist unverantwortlich, wenn von bestimmten Sozialwissenschaftlern, aber in zunehmendem Maße auch von Politikern und Interessenvertretern, Leistung als etwas Verdammenswertes dargestellt wird.
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Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Nur über leistungsorientiertes Handeln ist in der Arbeitswelt ein positives Selbstwertgefühl - gleich Selbstverwirklichung - zu erzielen.
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Zweitens. Es muß mit dem Widersinn Schluß gemacht werden, daß sich Humanität und rationelle Betriebsführung ausschließen.
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Ich meine, das Gegenteil ist der Fall. Nur wirtschaftlich produzierende Betriebe sind in der Lage, die Arbeitsplätze zu sichern und die Arbeitssituation der Mitarbeiter weiterzuentwickeln. Wie überall im
Leben kommt es auch hier darauf an, daß Verhältnismäßigkeit und Ausgewogenheit vorliegen.
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Drittens. Für die Zukunft ist zu fordern, daß alle Humanisierungsmaßnahmen dem anspruchsvollen Ziel wirklich dienen, die Verweildauer am Arbeitsplatz - diesen wesentlichen Zeitraum des menschlichen Lebens - so zu gestalten, daß die Qualität des Arbeitslebens dem individuellen und gesellschaftlichen Anspruchsniveau der Arbeitenden entspricht und gleichzeitig die Realisierung der Organisationsziele ermöglicht wird.
Lassen Sie mich das Dilemma zum Abschluß, weil ja hinter mir ein berühmter Polemiker kommen wird, mit einen Wortspiel zusammenfassen.
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Wenn die Bundesregierung und die sie tragende Koalition weiter nach dem Motto verfahren „Kommt allzeit zu Hauff, er zahlt blindlings drauf", dann müßte das HdA-Programm vielleicht umgetauft werden in „Humanisierung durch Beamte, Unternehmer und Gewerkschaften'. Kürzen Sie das bitte einmal ab; es würde „Humbug" heißen.
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Wir sollten wünschen und hoffen, daß der neue Projektleiter ausschließlich nach sachlichen Kriterien und nur nach der fachlichen Qualifikation ausgewählt wird. Dies könnte ein neuer Anfang sein, ein Anfang für einen besseren Weg zu einer weiteren „menschgemäßen und ideologiefreien Gestaltung der Arbeitsbedingungen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Polemiker" bin ich geheißen worden. Ich will versuchen, dieser Bezeichnung nicht gerecht zu werden.
Gestern haben zwei Kollegen beredte Klage über die Uhr am Rednerpodium geführt und gesagt, mit diesem Digitalanzeiger kämen sie nicht zurecht In der Tat, der Deutsche Bundestag tut sich mit der modernen Technik schwer. Auch sein Flirt mit einem Abstimmungscomputer war nur von kurzer Dauer; dann hatte sich der Mensch wieder durchgesetzt.
Warum sage ich das? Ich glaube, wir reagieren als Abgeordnete mit äußerster Sensibilität auf Veränderungen unserer unmittelbaren Arbeitsbedingungen. Um wieviel mehr wird ein Arbeitnehmer vom technischen Wandel seines Arbeitsplatzes bedrängt!
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Für den Schriftsetzer - um nur ein Beispiel zu nennen -, der vom Setzkasten verdrängt und an den Bildschirm gesetzt wird, verändern sich Welten. Unsere gemeinsame Aufgabe wird es sein, darüber zu
wachen, daß sich diese Welten nicht zum Negativen hin verändern, daß er nicht zum Bildschirmidioten verkümmert, daß an seinem Arbeitsplatz noch die Chance der Selbstverwirklichung bleibt, daß neue Technologien mit dem Menschen und nicht gegen ihn entwickelt werden,
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daß das eintritt, was wir heute in der Debatte immer wieder schlagwortartig mit dem Begriff der Humanisierung der Arbeitswelt umschrieben haben.
Ich halte es für ein arges Mißverständnis, die Humanisierung des Arbeitslebens zu einem reinen Thema der Forschungspolitik zu reduzieren.
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Wenn wir als Bundestag die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs beschließen, dann ist für Hunderttausende von Müttern die Arbeitswelt ein Stück humaner geworden.
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Wenn wir die Unfallverhütung verbessern, die sicherheitstechnische Betreuung ausbauen, erstmals einen betriebsärzlichen Dienst gesetzlich einrichten, dann wird so die Arbeitswelt ein Stück menschlicher. Wenn die Tarifvertragsparteien - wie in einigen wenigen Fällen schon geschehen - die Arbeitszeit für die älteren Arbeitnehmer bei vollem Lohnausgleich reduzieren, dann ist dies tatsächliche Humanisierungspolitik,
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und sie gereicht allen daran Beteiligten zur Ehre, und ich hoffe, sie findet viele Nachahmer.
Das Wichtigste aber sollten wir nicht aus dem Auge verlieren: Ein sicherer Arbeitsplatz ist die Grundvoraussetzung für die Humanisierung des Arbeitslebens. Nicht vorhandene Arbeitsplätze kann man nicht humanisieren.
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Wer von Kündigung bedroht ist - ich würde da keine zynischen Zwischenrufe machen -, wird sich schwertun, für bessere Arbeitsbedingungen, für eine menschengerechte Arbeitsgestaltung zu streiten. Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation lassen sich nur an gesicherten Arbeitsplätzen herstellen. Deshalb ist die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung eine gemeinsame Aufgabe.
Ich fand es sehr bemerkenswert, daß die Bundesregierung auf unsere Große Anfrage feststellen mußte:
Zwischen den aktuellen Arbeitsmarktproblem en und gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Arbeitnehmern bestehen enge Zusammenhänge. Der Anteil der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen ist von 23,5 v. H. im September 1974 auf 33,9 v. H. im September
1979 gestiegen. Entgegen dem allgemeinen Rückgang der Arbeitslosigkeit - vor allem in den letzten beiden Jahren - ist die Zahl der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen 1978 gestiegen und hat 1979 weit geringer abgenommen als die Zahl der Arbeitslosen insgesamt.
Weniger ausgewogen formuliert heißt das doch wohl, daß die von den Arbeitgebern immer wieder neu produzierten und angewandten „Anforderungsprofile" weit überzogen sind. Fast alle, die heute langfristig arbeitslos sind, standen früher in gesicherten Arbeitsverhältnissen. Man hat ihnen und sie haben sich zuviel zugemutet. Es kam zu einer „Frühverschrottung" ihrer Arbeitskraft, zu einem vorzeitigen Verschleiß mit all den bedenklichen Folgen, die wir jetzt zu beklagen haben. Deshalb - Minister Ehrenberg hat das schon gesagt, aber man muß es immer wiederholen - besteht praktische Humanisierungspolitik auch und sehr wesentlich aus verbesserten Arbeitsschutzgesetzen und -bestimmungen.
Uns allen sollte in der heutigen Debatte Marge-worden sein, daß auf vielen Politikfeldern und in vielen Einzelbereichen Beiträge zur Humanisierung des Arbeitslebens geleistet werden können und geleistet werden müssen. Die Opposition hat sich in ihrer Großen Anfrage dagegen nahezu ausschließlich auf dem Feld der Humanisierungsforschung festgebissen. Ich will nicht schulmeistern, aber das deutet doch auf eine bedenkliche Horizontverengung hin und wirft unausweichlich die Frage auf, ob die Vermenschlichung der Arbeitswelt für die Union so weit degeneriert ist, daß sie nur noch fragt, welche Forscher bzw. Institute wieviel D-Mark erhalten haben.
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Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort den Wissensdurst der Unionsfraktion gestillt. Gleichwohl, so meine ich, hat die Debatte gezeigt, daß die Opposition noch immer nicht ganz begriffen hat, wo es langgehen muß.
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Die Humanisierungsforschung, so scheint mir, kann dem Gesetzgeber, kann den Tarifvertragsparteien, den Betriebsräten und Unternehmensleitungen wichtige Hinweise für die menschengerechte Gestaltung der Arbeitsstätten und Arbeitsbedingungen liefern. Das muß sie auch. Aber Parlament -Wirtschaft, Gewerkschaft, Betriebsvertretungen und jeder einzelne Verantwortliche müssen dann mit dazu beitragen, daß diese neuen Erkenntnisse auch umgesetzt werden.
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Wir wollen nicht neben einem halben Meter Goethe einen Meter Bände über Humanisierungsforschung in unseren Bücherschränken stehen haben.
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Da wären es nur Staubfänger.
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Es kommt darauf an, das in die Praxis umzusetzen. Ich glaube, auch da sind wir einen wesentlichen Schritt weitergekommen. Hier ist schon darüber gesprochen worden: gestern hat der Haushaltsausschuß die Mittel für das Dortmunder Bundeszentrum entsperrt und damit die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Erkenntnisse der Wissenschaft unmittelbar an die weitergegeben werden können, die diese Erkenntnisse in ihrer praktischen Arbeit benötigen, beispielsweise an die Betriebsräte oder an die Sicherheitsfachkräfte, an die Techniker und an die Unternehmensleitungen. Es wird, um es andersherum zu formulieren, eben nicht folgenlos geforscht, es werden vielmehr unentbehrliche Handreichungen für die Praxis gegeben.
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Ein höherer Erkenntnisstand aller Beteiligten - das räume ich ein - führt allerdings leider noch nicht dazu, daß diese Erkenntnisse auch Arbeitswirklichkeit werden. Deshalb ist schon mehrmals mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Humanisierung des Arbeitslebens - mein Kollege Urbaniak hat daran erinnert - ohne eine weitere qualitative Verbesserung der Mitbestimmungsrechte der Betroffenen in den Betrieben und Unternehmen kaum zu verwirklichen sein wird. Ich gestehe freimütig, daß die politische Landschaft und die politischen Mehrheiten derzeit eine solche qualitative Verbesserung der Mitbestimmungsrechte als nicht sehr real erscheinen lassen. Das wird uns aber nicht abhalten davon, beim Wähler und bei Ihnen hier im Parlament um mehr qualitative Einsichten zu ringen, denn der Mensch, der die Werte dieser Gesellschaft schafft, hat das unveräußerliche Recht, mitzubestimmen, unter welchen Bedingungen das geschieht.
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Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf ein weiteres Problem lenken. Jahrzehnte hindurch setzten die Rationalisierungsexperten auf das Prinzip der größtmöglichen Arbeitsteilung. Mit immer sinnentleerteren Arbeitsvorgängen erzielte man ein Maximum an Produktivität. Niemand kümmerte sich aber um die menschliche Seite dieses Prozesses. Mittlerweile sind wir alle, so glaube ich, hellhörig geworden. Wir müssen erkennen, daß es ein Irrweg war,
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daß wir Produktivitätssteigerungen mit wachsender Verkümmerung der Persönlichkeit des in den Produktionsprozeß Eingespannten bezahlten. Hier gegenzusteuern bleibt eine Aufgabe der Betroffenen, der Tarifvertragsparteien und der Wissenschaft. Diese Einsichten und Erkenntnisse zu fördern bleibt eine Aufgabe der Politik, der wir uns stellen sollten.
Noch eine Bemerkung. Immer mehr wird die Notwendigkeit erkannt, die sozialen Folgen neuer Technologien frühzeitig zu erforschen, damit sie beherrschbar werden. Beachtliche Mittel werden dafür eingesetzt. Das ist auch gut so. Noch besser aber wäre es, wenn unsere Forscher und Konstrukteure schon von Anfang an zeitgleich mit der Entwicklung neuer Technologien auch die Auswirkungen auf die Arbeitswelt und auf den einzelnen Arbeitnehmer bedenken würden, wenn sich herumspräche, daß die Maschine um den Menschen und seine Fähigkeiten herum konstruiert werden muß und nicht der Mensch der Technik anzupassen ist. In manchen Betrieben wird dies bereits erkannt, in manchen nicht. Dazu bedarf es weniger eines Gesetzesbefehls als eines allgemeinen Umdenkens, was zweifellos schneller vonstatten ginge, wenn sich die Unternehmen im Vorweg der Zustimmung der Betroffenen zu technologischen Wandlungsprozessen vergewissern müßten. Über diese Frage wird, so glauben wir, in der kommenden Legislaturperiode zu reden sein.
Wir stehen erst am Anfang unserer Humanisierungsbemühungen. Es wird interessant sein, festzustellen, wieweit alle Fraktionen dieses Hauses bereit sind auf diesem wichtigen Feld der Politik weiter zugehen. Ich hoffe, daß diese Aussprache wenigstens eines klargemacht hat, nämlich daß es von ungeheurer Bedeutung ist, zu einer Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen beizutragen, daß es notwendig ist, den technologischen Wandel sozial beherrschbar zu machen, daß es unverzichtbar ist, dem einzelnen Arbeitnehmer mehr Selbstbestimmungsrechte am Arbeitsplatz einzuräumen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Auf Drucksache 8/3999 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Es wird vorgeschlagen, diesen Antrag dem Ausschuß für Forschung und Technologie - federführend - und dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - mitberatend - zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 22. Mai 1980, 9 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Vatertag und, wenn möglich, ein politikfreies Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.