Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich habe einige Mitteilungen zu machen. Am 13. März hat der Herr Abgeordnete Ziegler seinen 65. Geburtstag gehabt. Herzlichen Glückwunsch!
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Für den am 7. März 1980 ausgeschiedenen Abgeordneten Ahlers ist mit Wirkung vom 11. März der Abgeordnete Dr. Schweitzer in den Bundestag nachgerückt. Er ist uns ja kein Unbekannter. Herzlichen Glückwunsch und gute Zusammenarbeit!
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Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne haben die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Frau Simone Veil, und eine Delegation aus dem Europäischen Parlament Platz genommen. Ich möchte sie im Deutschen Bundestag recht herzlich begrüßen.
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Ich freue mich sehr, Frau Präsidentin Veil, Sie und Ihre Begleitung hier im Deutschen Bundestag begrüßen zu dürfen. Es ist eine große Ehre für uns, daß Sie im Rahmen Ihres offiziellen Besuches in der Bundesrepublik Deutschland hier beim Deutschen Bundestag anwesend sind. Sie sind die erste Repräsentantin eines Parlaments, das seiner Zusammensetzung nach einmalig ist. Die Bürger von neun europäischen Staaten haben am 10. Juni 1979 zum. erstenmal eine gemeinsame Volksvertretung direkt gewählt. Auf dieses internationale Parlament richtet sich seither das Interesse der Öffentlichkeit in besonderem Maße. Das Europäische Parlament ist eine Verbindung der grundlegenden Ideen des Parlamentarismus im transnationalen Rahmen. Eine der wesentlichen Aufgaben des Parlaments ist die Gestaltung einer würdigen Zukunft für die Völker und die Menschen dieser Völker. In diesem Sinne ist Europa nicht nur der Name eines Kontinents, es ist ein politisches Programm.
Der Deutsche Bundestag hat von Anfang an eine enge Zusammenarbeit der europäischen Staaten befürwortet. In der Europäischen Gemeinschaft ist die Zusammenarbeit verwirklicht. Ihr parlamentarisches Organ besitzt jetzt eine unmittelbare Beglaubigung durch den europäischen Wähler. Damit hat sich eine qualitative Änderung der Beziehungen
zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten vollzogen. Werden wir auch keine Mitglieder mehr nach Straßburg entsenden, so sind wir doch davon überzeugt, daß es beiden Seiten nützt, wenn weiterhin enge Beziehungen zwischen uns aufrechterhalten werden.
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In Ihrem Besuch bei uns, Frau Präsidentin, sehen wir einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Ich wünsche Ihnen noch einen recht angenehmen, erfolgreichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
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Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Bericht zur Lage der Nation
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage unserer geteilten Nation und die weltpolitische Entwicklung sind unlösbar miteinander verbunden. Es heißt in der Präambel des Grundgesetzes: Das deutsch Volk hat dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen,
... von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, .
Dieser Zusammenhang zwischen Deutschland, Europa und dem Weltfrieden ist in den letzten Bundestagsdebatten im Januar und Februar erneut jedem deutlich geworden. Für diesen Zusammenhang habe ich bei meinem Besuch in den Vereinigten Staaten bei Präsident Carter und meinen anderen Gesprächspartnern volles Verständnis gefunden - ein Verständnis unter Partnern und Freunden.
Ich habe auch öffentlich, in New York vor der Foreign Policy Association gesagt:
Ich hoffe, daß Sie nicht vergessen werden, daß mein Land und meine Regierung immer auch das Schicksal unserer deutschen Landsleute auf der anderen Seite, ihre Wünsche, ihre Belange im Auge behalten müssen und daß wir angesichts unserer Verantwortung für das deutsche
Volk als -Ganzes nicht vorpreschen und nicht Speerspitze sein können.
Ich rufe dazu zwei Leitsätze aus der letzten Regierungserklärung vom 28. Februar in Erinnerung:
Erstens - daß kein Volk ein größeres Interesse an Gleichgewichts- und Entspannungspolitik hat als das deutsche Volk, das in zwei Staaten leben muß.
Zweitens - daß wir zu einer Politik verpflichtet sind, mit der die Chance offengehalten wird, nach Beilegung der gegenwärtigen Krise das früher Erreichte weiterhin auszubauen. Das bedeutet: Wir müssen unseren Beitrag zur Erhaltung des Friedens leisten; wir wollen keinen Rückfall in einen Kalten Krieg.
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Gestern vor zehn Jahren, am 19. März 1970, traf Bundeskanzler Willy Brandt in Erfurt mit dem Vorsitzenden des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik, Willi Stoph, zusammen. Das knappe Kommuniqué von Erfurt - ganze sieben Sätze - läßt nicht erkennen, daß mit diesem ersten Gespräch der deutschen Regierungschefs ein neuer Abschnitt in der Nachkriegsgeschichte unseres geteilten Landes begonnen hat. Aber wir hier im Bundestag, wir Deutschen insgesamt, ob in der Bundesrepublik Deutschland oder in der Deutschen Demokratischen Republik oder im zweigeteilten Berlin, wir erinnern uns des Tages von Erfurt, wir erinnern uns der Besorgnisse und der Hoffnungen und der vielfältigen Gefühle, die an jene Begegnung damals geknüpft wurden.
Wir waren alle durch das Treffen in Erfurt tief bewegt. Aber bei allem inneren Engagement sind die Bundesregierungen der sozialliberalen Koalition das Problem nüchtern angegangen. Willy Brandt hat mit den 20 Punkten, die er dann acht Wochen später bei der zweiten Begegnung mit Stoph in Kassel formulierte, einen Maßstab für die Politik der folgenden Jahre gesetzt. Dies ist der Maßstab, an dem wir messen wollen, was wir bisher erreicht haben - und nicht Maßstäbe irgendwelcher utopischer Vorstellungen, wie sie z. B. aus den Reihen der Opposition zur Deutschlandpolitik häufig genug vorgetragen werden.
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Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf die Veröffentlichung des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen hinweisen, einen dicken Dokumentenband unter dem Titel „Zehn Jahre Deutschlandpolitik", in dem neben anderen wichtigen Dokumenten auch die 20 Punkte von Kassel erneut abgedruckt sind. Ich empfehle jedem, diese 20 Punkte noch einmal zu lesen. Ich nehme die 20 Punkte heute zum Maßstab einer Zwischenbilanz zu den Fragen: Was ist erreicht worden? Was bleibt zu tun?
Punkt 1. Willy Brandt schlug im Interesse der Nation einen Vertrag vor, der die Verbindung zwischen der Bevölkerung in beiden Staaten verbessern und bestehende Benachteiligungen beseitigen sollte. Tatsächlich ist dieser Grundlagenvertrag nach zähen und schwierigen Verhandlungen zwei Jahre später unterzeichnet worden. Wir haben damit die
Isolierung des anderen deutschen Staats und die Abschnürung der Deutschen in der DDR als Folge dieser Isolierung beseitigt. Damit wurde die Voraussetzung für eine Politik geschaffen, durch die der Zusammenhalt der Deutschen neu gestärkt worden ist.
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Entsprechend Punkt 2 des Kasseler Katalogs hat der Bundestag dem Vertrag im Juni 1973 trotz heftigen Widerstands der Opposition seine Zustimmung gegeben. Der politischen und der parlamentarischen Auseinandersetzung folgte die gerichtliche. Das Bundesverfassungsgericht hat am 31. Juli 1973 festgestellt, daß der Grundlagenvertrag dem Grundgesetz nicht zuwiderläuft.
Punkt 3 von Kassel. Willy Brandt forderte damals, daß die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Menschenrechte, der Gleichberechtigung, des friedlichen Zusammenlebens und der Nichtdiskriminierung geregelt werden. Der Grundlagenvertrag enthält alle diese Elemente. Sie sind heute das Fundament der deutsch-deutschen Beziehungen.
Der Grundlagenvertrag enthält auch das Bekenntnis zu den Menschenrechten. Wir alle wissen, daß in der DDR wesentliche Grundfreiheiten fehlen. Bis zu ihrer Verwirklichung ist noch ein langer Weg.
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Die Bemühungen der Bundesregierung um menschliche Erleichterungen, Herr Kollege Jäger ({4}), sind Schritte auf diesem Weg.
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Wir werden diese Schritte und diesen Weg beharrlich fortsetzen.
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In Punkt 4 des Kasseler Katalogs wurden der Gewaltverzicht, die friedliche Streitbeilegung und die Achtung der territorialen Integrität und der Grenzen postuliert. All dies ist dann in den Grundlagenvertrag aufgenommen worden. Diese Prinzipien sind Kern unserer Friedenspolitik.
In Punkt 5 erklärte sich die Bundesregierung damals bereit, die Unabhängigkeit und die Selbständigkeit des anderen deutschen Staates auch in seinen inneren Angelegenheiten zu respektieren. Auch dies ist voll in den Grundlagenvertrag übernommen worden, und wir stehen dazu.
Das gleiche gilt für Punkt 6, daß keiner der beiden deutschen Staaten für den anderen handeln oder ihn vertreten kann.
In Punkt 7 erklärte Willy Brandt, daß niemals wieder ein Krieg von deutschem Boden ausgehen darf, und er fügte - Punkt 8 - hinzu, daß beide Staaten alles unterlassen,
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was das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören geeignet ist.
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Dies entspricht der Präambel unseres Grundgesetzes.
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Es ist als Maxime der deutschen Politik von beiden deutschen Staaten in jenem Vertrag akzeptiert worden. Im Dezember letzten Jahres haben der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker und ich in Berlin unabhängig voneinander, aber übereinstimmend gesagt: Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen.
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In Punkt 9 bekräftigte Brandt unseren Willen, alle Bemühungen um Abrüstung und um Rüstungskontrolle zu unterstützen, die der Verbesserung der Sicherheit Europas dienen. Dieser Grundsatz ist in Art. 5 des Grundlagenvertrags weiterentwickelt worden. Inzwischen haben beide deutsche Staaten im Nichtverbreitungsvertrag auf den Erwerb von Kernwaffen verzichtet. Sie haben z. B. den Meeresbodenvertrag unterzeichnet. Sie wirken aktiv an den Wiener Verhandlungen über eine gleichgewichtige Verminderung der Streitkräfte mit, ebenso an den weltweiten Abrüstungsbemühungen im Rahmen der Vereinten Nationen.
Punkt 10 stellte damals fest, daß der Vertrag von der besonderen Lage Deutschlands und der Deutschen ausgehen müsse, die in zwei Staaten leben und die sich dennoch als Angehörige einer Nation verstehen. Ungeachtet der grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage mit der DDR-Führung hat die Bundesregierung konsequent an ihrer Überzeugung festgehalten und diese in den „Briefen zur deutschen Einheit" zu unseren Vertragswerken rechtsverbindlich dokumentiert.
Punkt 11 wies damals auf die fortbestehenden Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes hin. Der Grundlagenvertrag hat dem Rechnung getragen, indem beide Seiten anerkennen, daß die Vorbehaltsrechte der Vier Mächte durch den Vertrag nicht berührt werden. Das ist rechtlich und es ist politisch eine Aussage von größter Bedeutung, die klarstellt, daß die deutsche Frage auch bei dem Abschluß des Grundlagenvertrages offengehalten worden ist.
Punkt 12. Unser Vorschlag: Respektierung der Viermächtevereinbarung und der Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik. Unterstützung der Bemühungen der Vier Mächte um eine Normalisierung der Lage in und um Berlin. Das war Vorarbeit für das spätere Viermächteabkommen zu Berlin. Mit diesem Viermächteabkommen wurden danach die Lebensfähigkeit Berlins gestärkt, die Zugangswege nach Berlin gesichert, die Bindungen der Stadt zur Bundesrepublik gefestigt, die Bewegungsfreiheit der Berliner vergrößert.
Wichtige Verbesserungen an den Verbindungswegen von und nach Berlin sind inzwischen hinzugekommen. Die Vitalität der Berliner konnte sich neu entfalten. Die Berliner Wirtschaft erhielt neue Impulse. Seit 1978 hat die Berliner Wirtschaft den Anschluß an die durchschnittliche Entwicklung der Bundesrepublik bei den Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts und ebenso bei den gewerblichen Investitionen erreicht. Die Beschäftigung hat sich erstmals wieder erhöht. Die Zuwanderung westdeutscher Arbeitnehmer hat zugenommen. Auch mehrere Großunternehmen haben ihre Investitionsentscheidungen für Berlin getroffen.
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Das sind positive Signale, die über den wirtschaftlichen Bereich hinaus zur stabilen politischen Situation der Stadt beitragen und die ihre reiche und vielfältige kulturelle Situation zusätzlich stimulieren. Die Bundesregierung hat erheblich dazu beigetragen, daß die Rahmenbedingungen für diese Entwicklung geschaffen wurden. Sie hat stets beachtet, daß nicht alles, was rechtlich zulässig ist, auch politisch vernünftig wäre. Eine ruhige und konstruktive Entwicklung bedarf der Festigkeit und der Zurückhaltung. Wir müssen Augenmaß für das politisch Mögliche beweisen, und wir müssen Gespür für die europäischen Chancen der Stadt haben. Nicht wer am lautesten ruft, nützt der Sache Berlins, sondern wer sorgfältig bedenkt, was tatsächlich im Interesse der Stadt und im Interesse ihrer Menschen liegt.
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Manche deutsche Politiker sollten sich ein Beispiel an den alliierten Schutzmächten nehmen, die ohne große Worte, aber mit Festigkeit ihre Verantwortlichkeiten im Interesse Berlins ausüben.
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Punkt 13 enthielt in Kassel den Vorschlag, darauf hinzuwirken, daß Kollisionen zwischen der Gesetzgebung in beiden Staaten beseitigt würden, um Nachteile für die Bürger zu vermeiden. Dies ist inzwischen in zahlreichen Fällen geschehen. Ich erinnere beispielsweise an die Auseinandersetzung in jüngster Zeit über die Frage des Geltungsbereichs des neuen Umsatzsteuerrechts. Hier ging es darum, klarzustellen, daß sich unser Recht, Steuern zu erheben, nicht auf das Gebiet der DDR oder auf die heute zu Polen gehörenden ehemaligen deutschen Ostgebiete erstrecken könne.
Allerdings lassen sich nicht alle Meinungsverschiedenheiten, die sich auf die Gesetzgebung beziehen, ausräumen. Wir haben bei Abschluß des Grundlagenvertrages den Vorbehalt gemacht, daß Staatsangehörigkeitsfragen durch den Vertrag nicht geregelt worden sind. Die Bundesregierung hält an der deutschen Staatsangehörigkeit fest, wie sie im Grundgesetz verankert ist - und dies auch aus politischer und moralischer Verantwortung. Ich habe mich hier vor zwei Jahren im Bericht zur Lage der Nation unter Zustimmung aller Fraktionen des Bundestages etwas ausführlicher dazu geäußert. Ich will heute nur wiederholen, daß alle Deutschen, woher sie auch kommen, bei uns willkommen sind und daß unser Staatsbürgerrecht - im Einklang mit dem
Völkerrecht - nicht Rechte anderer beeinträchtigt, auch nicht Rechte der DDR, die ein eigenes Staatsbürgerschaftsgesetz erlassen hat. Ob ein Deutscher, der aus der DDR kommt, seine Rechte bei uns in Anspruch nehmen will, ist allein seine freie Entscheidung.
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In Punkt 14 schlug Brandt damals Maßnahmen vor, um den gegenseitigen Reiseverkehr zu erweitern und das Ziel der Freizügigkeit anzustreben.
Heute stellen wir fest: Beim Reiseverkehr in die DDR ist trotz fortbestehender Probleme in Einzelfällen ein wesentliches Stück Freizügigkeit in Deutschland inzwischen verwirklicht - mit 7 bis 8 Millionen Reisen jährlich gegenüber 2,5 Millionen Reisen vor zehn Jahren. Das schließt mehr als 3 Millionen Reisen von West-Berlinern ein, die von 1966 bis 1972 kaum eine Chance hatten, Verwandte und Freunde in Ost-Berlin oder in der DDR zu besuchen.
In der Gegenrichtung ist der Reiseverkehr ganz und gar unbefriedigend. Wir freuen uns, daß Jahr für Jahr etwa 1,4 Millionen Rentner aus der DDR in die Bundesrepublik zu Besuch kommen. Aber nur etwa 40 000 Menschen unterhalb der Altersgrenze von 60 oder 65 Jahren können jährlich in dringenden Familienangelegenheiten in die Bundesrepublik reisen. Letzteres war vor 1972 überhaupt nicht möglich. Auch die jetzige Regelung genügt uns nicht.
Punkt 15 handelte damals in Kassel von der Zusammenführung getrennter Familien. Ich stelle fest, daß seit 1970 auf Grund unserer Bemühungen 26500 Deutschen aus der DDR die Übersiedlung in die Bundesrepublik gestattet worden ist. Dazu kommt noch eine große Zahl ehemaliger Häftlinge, die mit unserer Hilfe ebenfalls ausreisen konnte.
Punkt 16 forderte, daß die Probleme an der Grenze nachbarschaftlich gelöst werden. Damit ist später im Grundlagenvertrag die Grenzkommission beauftragt worden. Diese hat in mühevoller Kleinarbeit durch Überprüfung und Feststellung des Grenzverlaufs dazu beigetragen, daß die Zahl schwerer Zwischenfälle in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist; sie ist nicht auf Null zurückgegangen. Fast 1 300 km Grenze wurden einvernehmlich festgestellt und neu markiert. Nur an der Elbgrenze ist auf einer Länge von 95 km eine Einigung bisher nicht in Sicht Es ist der Grenzkommission andererseits gelungen, bei der Bekämpfung von Schadensfällen, bei der Trinkwasserversorgung und bei anderen wasserwirtschaftlichen Fragen im Grenzgebiet praktische Lösungen zu finden.
Punkt 17: Zusammenarbeit im Verkehr, im Post-und Fernmeldewesen, beim Informationsaustausch, in der Wissenschaft, in der Erziehung, in der Kultur und im Sport. Dazu sind seit dem Grundlagenvertrag zahlreiche zusätzliche Vereinbarungen geschlossen worden. Uber andere wird verhandelt. Aus einem großen Mosaik von Einzelstücken möchte ich nur einige Elemente hervorheben, die anschaulich machen, was erreicht worden ist und was bisher nicht erreicht werden konnte.
Die Verbindungswege nach Berlin wurden und werden weiterhin verbessert, beispielsweise durch den Bau der Autobahn Berlin-Hamburg, durch die Öffnung eines zusätzlichen Eisenbahnübergangs in Berlin, durch die Öffnung des Teltow-Kanals in Berlin und durch die notwendigen Reparaturen an der Helmstedter Autobahn, an den Transitwasserstraßen. Das alles kostet sehr viel Geld; manche meinen, es kostet zuviel Geld. Aber dieses Geld hat viel dazu beigetragen, die Lebenskraft und die Wirtschaftskraft Berlins zu stärken und in die deutsch-deutschen Beziehungen ein Element langfristiger Stabilisierung einzufügen.
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Auch die Telefonverbindungen wurden ausgebaut. Heute vor zehn Jahren, im Jahre 1970, wurden aus der Bundesrepublik in die DDR etwa 700 000 Telefongespräche geführt. Im letzten Jahr waren es dreißigmal soviel, nämlich 20 Millionen Gespräche, durchschnittlich 55 000 Telefongespräche zwischen beiden Teilen pro Tag. Zwischen den beiden Teilen Berlins gab es 18 Jahre lang überhaupt keine Telefonverbindung. Heute hat West-Berlin über 500 Telefonleitungen nach Ost-Berlin und in die DDR.
Auch die gegenseitige Information der Öffentlichkeit in beiden Staaten ist wesentlich verbessert worden. Wir wissen mehr voneinander. Vor allem die Arbeit unserer Journalisten in der DDR hat dazu beigetragen, daß sich heute viele Menschen hier ein genaueres, ein anschaulicheres Bild von der DDR machen können. Vorurteile sind dadurch abgebaut worden. Die wirtschaftlichen und sozialen Leistungen der Menschen in der DDR haben über ihre Grenzen hinaus Anerkennung gefunden. Noch Mitte der 60er Jahre hatten einige Hamburger Journalisten über ihre Eindrücke in der DDR unter dem damals treffenden Titel berichtet: „Reise in ein fernes Land". Heute würde niemand hinter einer solchen Bezeichnung über einem Zeitungsartikel die DDR vermuten. Andererseits lassen die Arbeitsmöglichkeiten unserer Journalisten in der DDR vieles zu wünschen übrig. Ausweisungen, Beschränkungen, auch Drohungen durch die DDR stehen im Widerspruch zu den vertraglichen Vereinbarungen von 1972 und zur Schlußakte von Helsinki 1975.
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Wir wissen, daß in der DDR und in den anderen kommunistischen Staaten für journalistische Arbeit andere Maßstäbe als bei uns gelten. Dennoch sind wir der festen Überzeugung, daß die DDR und daß andere Warschauer-Pakt-Staaten ihren- internationalen Beziehungen besser dienen würden, wenn sie westliche Journalisten ungehindert arbeiten ließen.
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Im Kulturaustausch entspricht das erreichte Niveau nicht dem Interesse der Menschen an den Entwicklungen im gesamten deutschen Kulturraum. Es entspricht auch nicht dem allgemeinen europäischen Standard. Auch die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit bleibt weit hinter dem anBundeskanzler Schmidt
derswo erreichten Ost-West-Standard zurück. Im Sport gibt es ein Abkommen zwischen den Sportverbänden; aber die Ausfüllung läßt viele Wünsche offen.
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Im Umweltschutz fehlen Fortschritte, und die Probleme werden dringlicher, z. B. die Entsalzung der Werra. Wir bemühen uns um eine Absprache mit der DDR über den Beginn von Expertenverhandlungen, und ich hoffe, daß diese Gespräche bald beginnen können.
Punkt 18 in Kassel betraf den Ausbau des Handels. Das Ergebnis seither: Auf unveränderter rechtlicher Grundlage wurde der Handelsverkehr seit dem Ende des vorigen Jahrzehnts mehr als verdreifacht. Er betrug im letzten Jahr fast zehn Milliarden DM. Die Bundesregierung begrüßt diese Entwicklung ebenso, wie sie die Ansätze zu einer langfristigen Kooperation begrüßt. Die Bundesregierung weist gleichzeitig auf die Notwendigkeit hin, den nichtkommerziellen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr besser zu regeln und soziale Härten zu beseitigen, wie es in einem Zusatzprotokoll zum Grundlagenvertrag in Aussicht genommen worden ist.
In Punkt 19 schlug Willy Brandt vor, daß beide Regierungen Bevollmächtigte im Ministerrang ernennen und Dienststellen für die Ständigen Beauftragten der Bevollmächtigten errichten. Das Ergebnis: Die beiden Staaten haben 1974 amtliche Beziehungen aufgenommen. Die Ständigen Vertretungen nehmen seither vielfältige Aufgaben wahr, z. B. einen kontinuierlichen Meinungs- und Informationsaustausch zwischen den Regierungen. Zum Beispiel haben sie die Möglichkeit, Beistand zu leisten; einen Beistand, der jedes Jahr von vielen Tausenden von Deutschen in Anspruch genommen worden ist. Das alles erschien vor zehn Jahren fast unvorstellbar, und heute ist es eine Selbstverständlichkeit.
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Punkt 20 von Kassel betraf die Mitgliedschaft und die Mitarbeit der beiden deutschen Staaten in den Vereinten Nationen und in anderen internationalen Organisationen. Dies ist seit 1973 verwirklicht. Die Vier Mächte haben eine gemeinsame Erklärung abgegeben, daß diese Mitgliedschaft ihre Rechte und ihre Verantwortlichkeiten in keiner Weise berührt. Damit wurde auch hier der Modusvivendi-Charakter für Deutschland gewahrt.
Ich kann mich genau erinnern, meine Damen und Herren: Damals, heute vor zehn Jahren, wirkten jene 20 Punkte in Kassel wie ein sehr kühnes Programm. Es gehörte Mut dazu, ein solches Konzept vorzulegen und damit einen Maßstab zu setzen. Wir wissen heute: Dies war ein realistisches Konzept. Vieles von dem, was man sich damals vorgenommen hat, ist heute verwirklicht worden, in mühevoller Kleinarbeit, langwierig, für manchen sogar langweilig. Aber wir haben mit dieser zielstrebigen Politik für Deutschland erreicht:
Erstens. Wir haben die Lage der Menschen im geteilten Deutschland erleichtert und die Härte der Trennung gemildert.
Zweitens. Wir haben die deutsche Frage offengehalten, wie es das Grundgesetz gebietet, und wir haben das Ziel der deutschen Einheit auch gegenüber unseren Vertragspartnern bekräftigt.
Drittens. Wir haben im Laufe von zehn Jahren die Lasten der Vergangenheit im Verhältnis auch zu den Völkern Osteuropas überall dort abgetragen, wo dies durch Verträge, wo dies durch Zusammenarbeit möglich war. Was schon früher gegenüber unseren westlichen Nachbarn erreicht worden war, haben wir inzwischen weitgehend auch im Verhältnis zu den Völkern der Sowjetunion, zu den Polen und zu unseren anderen Nachbarn im Osten erreicht, und viele Menschen im Osten haben daran mitgewirkt.
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Viertens. Wir haben es der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, seit dem Ende der 60er Jahre im Entspannungsprozeß gemeinsam mit unseren westlichen Freunden die Rolle zu spielen, die ihr durch ihre nationale und europäische Verantwortung vorgeschrieben ist.
Fünftens. Wir haben verhindert, daß wir durch unsere besondere Lage als geteilte Nation in die internationale Isolierung gerieten. Wir haben vielmehr dafür gesorgt, daß wir die weltpolitische Handlungsfreiheit unseres Staates wesentlich ausweiten konnten.
Sechstens. Wir haben neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Ost und West möglich gemacht, die zur Stärkung des Gleichgewichts in Europa und zur Stärkung der Sicherheit in Europa beitragen.
Bei alledem, meine Damen und Herren:. Sehr vieles bleibt noch zu tun. Solange es eine Mauer und solange es Gewaltanwendung an der Grenze durch Deutschland gibt, so lange können wir uns nicht zufriedengeben.
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Die Ursachen der Spannung zwischen den beiden deutschen Staaten bestehen weiterhin. Das kann bei der Gegensätzlichkeit der politischen Systeme nicht anders sein, nicht bei dem Fehlen politischer Grundfreiheiten, bei dem Mangel an Freizügigkeit in der DDR. Insgesamt aber hat sich das Verhältnis der beiden Staaten zueinander verbessert, ohne daß wir schon von guten Beziehungen oder von Normalität sprechen könnten. Hier helfen Ungeduld und Kurzatmigkeit nicht weiter. In der Deutschlandpolitik brauchen wir einen langen Atem. So hat jüngst Bundespräsident Carstens das Wort wieder aufgenommen. Ich möchte es auch für die Zukunft dick unterstreichen.
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Es geht auch um die Fortsetzung der Deutschlandpolitik in der Zukunft, wenn Präsident Carter und ich uns Anfang dieses Monats in einer gemeinsamen Erklärung verständigten - ich zitiere -, „den Rahmen der Ost-West-Beziehungen zu erhalten, der in über zwei Jahrzehnten errichtet worden
ist". Auch der damalige CSU-Vorsitzende Strauß war sich des weltpolitischen Zusammenhangs des deutschen Problems - ({23})
- Damals wie heute. Ich rede aber von 1962, Herr Barzel. Ich habe nicht die Absicht, irgend etwas an der Gegenwart zu beschönigen, Herr Barzel.
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Auch der CSU-Vorsitzende Strauß war sich des weltpolitischen Zusammenhangs des deutschen Problems völlig bewußt, als er vor 18 Jahren, 1962, sagte, für eine deutsche Wiedervereinigung müßten 'wir eine Sternstunde des Ost-West-Gespräches - Gespräches! - abwarten - das war ein realistisches Wort; es kam übrigens aus Vilshofen -; oder als er vier Jahre später vor der Gefahr einer weltpolitischen Isolierung unseres Landes warnte, als er dazu aufrief, diese Isolierung mit Hilfe Frankreichs zu durchbrechen - sein Wortlaut -, und sich wegen der unterschiedlichen Interessenlage sehr skeptisch hinsichtlich eines bilateralen amerikanisch-deutschen Bündnisses äußerte.
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Jener Sprecher hatte damals die Gefahr der Isolierung durchaus erkannt. Aber in der Mitte der 60er Jahre hatte die CDU/CSU nicht das Konzept, diese Gefahr zu bannen.
Die sozialliberale Koalition hatte das Konzept für eine neue Deutschland- und Ostpolitik, und sie hatte und hat in Zukunft den Mut, das Konzept zu verwirklichen. Dieses Konzept war nicht als Durchbruch mit Hilfe Frankreichs angelegt, es erwuchs auch nicht aus Skepsis gegenüber den USA, sondern es beruhte auf den Interessen des deutschen Volkes, d. h., es hatte die Unterstützung der USA, die Unterstützung Frankreichs und die Unterstützung Großbritanniens, und es berücksichtigte die Interessenlage der Völker und Staaten Osteuropas.
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Wenn nun in den letzten Wochen Herr Strauß die neuesten und grundlegenden Dokumente der Gemeinsamkeit und Übereinstinunung in einer gefährlichen internationalen Krise, nämlich unsere miteinander verbundenen gemeinsamen Erklärungen mit den Franzosen vom 5. Februar, mit den Amerikanern vom 5. März 1980, das erstere mit der Qualifikation „an der Grenze des Törichten" herabsetzt, wenn er das letztere Dokument, noch dazu auf amerikanischem Boden, als Produkt eines Wahlkampfes beiseite wischen wollte, so schadet solcher Versuch den Interessen unseres Staates, er beleidigt die drei an den Erklärungen beteiligten Regierungsoder Staatschefs, und letztlich schadet er sogar auch noch dem Urheber der Polemik.
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Der deutschen Politik und der deutschen Einheit ist nur mit Stetigkeit gedient, meine Damen und Herren, nicht mit Rhetorik.
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Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan hat zu einer ernsten internationalen Krise geführt, die sich auch auf die Ost-West-Beziehungen in Europa auswirkt Wir hoffen, gemeinsam mit unseren Verbündeten den Schaden in Europa begrenzen zu können. Die Forderung nach einem Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan hat erste Priorität. Wir brauchen eine gemeinsame westliche Antwort auf die sowjetische Expansion. Wir haben darin inzwischen entscheidende Fortschritte gemacht. Ich zitiere erneut die gemeinsame Erklärung von Washington:
Sie nahmen mit Befriedigung zur Kenntnis, daß ihre Bewertung der Auswirkungen der sowjetischen Invasion Afghanistans ganz nahe beieinanderliegt, und sie stimmten hinsichtlich der Maßnahmen überein, die jedes Land als Antwort auf die sowjetische Aktion ergreifen soll.
Am Wochenende hatte ich Gelegenheit, in einem sehr freundschaftlichen, intensiven Gespräch unter vier Augen mit dem französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing den ständigen Gedanken- und Erfahrungsaustausch unserer beiden Regierungen zu vertiefen. Im Mittelpunkt standen seine wichtige Reise in den Nahen und den Mittleren Osten sowie meine Gespräche und Erfahrungen von Washington. Wir haben auch über die europäischen Probleme gesprochen, über die schwierigen Probleme, die sich den neun Regierungschefs beim Europäischen Rat in der übernächsten Woche in Brüssel stellen werden. Es ging uns insgesamt darum - um noch einmal die deutsch-französische Erklärung zu zitieren -,
daß die europäischen Mächte unter den derzeitigen Umständen besondere Verantwortlichkeiten zu übernehmen haben ...
Die Schwerpunkte der europäischen Aktivitäten im Rahmen einer gemeinsamen westlichen Politik zeichnen sich ab.
Erstens. Der Vorschlag der EG-Staaten für ein blockfreies, neutrales Afghanistan, ein Verhandlungsangebot in der zentralen Frage der gegenwärtigen Krise, liegt vor und wird nicht nur von unseren Verbündeten - ausdrücklich auch von den Vereinigten Staaten -, sondern z. B. auch von den ASEAN-Staaten unterstützt.
Zweitens. Die gemeinsame politische Erklärung der Außenminister unserer Gemeinschaft und der ASEAN-Staaten von Kuala Lumpur ist über das Kooperationsabkommen der beiden regionalen Staatengruppierungen hinaus ein ganz neuer Schritt auf dem Wege zu einer umfassenden Partnerschaft mit den Ländern der Dritten Welt, zur Stärkung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit und ihrer politischen Eigenständigkeit. Auf Grund deutscher Initiative sondiert die Europäische Gemeinschaft mit
den Golf-Staaten den Abschluß von Kooperationsabkommen. Mit dem Abkommen von Lomé hat die Europäische Gemeinschaft ein richtungweisendes Modell für die Zusammenarbeit von Industrie- und Entwicklungsländern vorgestellt.
Drittens. Die Bemühungen um Wiederherstellung des politischen Gleichgewichts im Nahen und im Mittleren Osten machen die Suche nach einem gerechten, umfassenden, dauerhaften Frieden in jener Region noch dringlicher. Die Europäer bemühen sich um eine Belebung des europäisch-arabischen Dialogs. Die Europäer werden zu gegebener Zeit versuchen müssen, in behutsamer Weise bei der Lösung nahöstlicher Konflikte zu helfen. Die wesentlichen Elemente unserer Politik bleiben: Das Recht aller Staaten der Region, in gesicherten Grenzen zu leben, und zum anderen das Selbstbestimmungsrecht - auch für das palästinensische Volk. Die Bedeutung dieses Rechts hat der französische Staatspräsident bei seiner Nahostreise erneut unterstrichen.
Viertens. In Afrika haben unsere britischen Freunde mit den Wahlen in Simbabwe einen wichtigen Beitrag zur weltweiten politischen Stabilisierung geleistet, und zwar in einem Kontinent, mit dem wir Europäer, mit dem wir Deutsche besonders eng verbunden sind. Man kann das nur bewundern, was dort zustande gebracht wurde. Der Regierung des Ministerpräsidenten Mugabe haben wir unsere partnerschaftliche Zusammenarbeit angeboten.
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Die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten werden in der gegenwärtigen weltpolitischen Krise beweisen müssen, daß sie es ernst meinen mit den Zielen, die beim Gipfeltreffen in Den Haag auch vor zehn Jahren, im Dezember 1969, so formuliert worden sind:
... einem vereinten Europa den Weg bahnen, das seine Verantwortung in der Welt von morgen übernehmen und den Beitrag leisten kann, der seiner Tradition und Aufgabe entspricht.
Ich stelle fest, daß in der gegenwärtigen Krise das Netz der internationalen Zusammenarbeit hält und sich bewährt, das uns mit unseren Verbündeten, mit den EG-Partnern und zunehmend mit den Staaten der Dritten Welt verbindet. Wir leisten in diesem Rahmen unseren eigenen nationalen Beitrag.
Unsere Sicherheit liegt im Bündnis der freien Völker Westeuropas und Nordamerikas, das die Vereinigten Staaten von Amerika als Primus inter pares führen. Deshalb gilt unsere erste Sorge der Einheit des Bündnisses, der engen und umfassenden Abstimmung mit allen Verbündeten, insbesondere auch zwischen uns und den Vereinigten Staaten.
Ich unterstreiche die Worte der deutsch-amerikanischen Erklärung,
... daß nicht nur die gemeinsamen Sicherheitsinteressen beide Länder miteinander verbinden, sondern auch ihre gemeinsamen Prinzipien und Grundwerte, ihre demokratische Lebensform und ihr Glaube an die unveräußerlichen Menschenrechte.
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Wir in diesem Staat tragen wesentlich zur gemeinsamen Verteidigung des Westens bei. Wir sind zu der notwendigen Erhöhung unserer militärischen Aufwendungen bereit - in gleichem Maße, wie das auch in den letzten zehn Jahren jedes Jahr geschehen ist. Wir wissen allerdings auch, daß die Verteidigungsfähigkeit nicht nur an den finanziellen Aufwendungen gemessen werden darf. Auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht, die unserem Verständnis von der Verteidigung eines demokratischen Gemeinwesens entspricht, haben wir eine gut ausgebildete, modern ausgerüstete Bundeswehr. Wir werden auch in Zukunft das tun, was verteidigungspolitisch notwendig ist, um unsere Verteidigungsfähigkeit und das Gleichgewicht zu sichern. Wir werden im Rahmen des Bündnisses in den Grenzen, die uns das Grundgesetz gesetzt hat, auch, wenn es nötig wird, Partner entlasten, wenn diese andere Aufgaben, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen haben.
Wir wollen unseren türkischen Freunden und Verbündeten helfen. Die Bundesregierung hat in diesem Frühjahr schon zum zweitenmal die Initiative für eine umfassende internationale Aktion zur wirtschaftlichen Konsolidierung der Türkei übernommen, die bereits erste positive Ergebnisse zeitigt.
Ich muß aber im Zusammenhang mit der Behandlung unserer Sicherheit auf einen anderen Gegenstand zurückkommen. Wir haben als Antwort auf sehr erhebliche sowjetische Vorrüstung den Doppelbeschluß der NATO vom Dezember 1979 zur Modernisierung der amerikanischen Mittelstrekkenwaffen und für das Angebot an die Sowjetunion zu Rüstungskontrollverhandlungen in diesem Bereich der Mittelstreckenwaffen gemeinsam mit unseren Partnern gefaßt. Wir stehen gemeinsam mit unseren Bündnispartnern zu beiden Teilen dieses Beschlusses. Beide Teile müssen im ganzen Ernst verstanden werden.
Ich wiederhole: Es geht hierbei ausschließlich darum, gestörtes Gleichgewicht wiederherzustellen. Wir streben nicht Übergewicht oder westliche Vorteile an. Wir Deutschen haben im Gegenteil ein vitales Interesse daran, das Gleichgewicht zu stabilisieren, und zwar auf niedrigerem Niveau.
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Wir sind uns mit unseren Bündnispartnern einig - so steht es auch in der deutsch-amerikanischen Erklärung -, daß das Rüstungskontrollangebot der NATO an die Sowjetunion in diesem Bereich der Mittelstreckenraketen auf dem Tisch bleibt und daß wir Fortschritte in der Rüstungsbegrenzung suchen wollen, wo immer dies möglich wird.
Das gilt auch für die Verhandlungen über strategische Rüstungsbegrenzungen ({32}). Ich wiederhole: Ich würde es begrüßen, wenn die Sowjetunion ihr Festhalten an SALT II - auch wenn noch nicht ratifiziert - in ähnlich klarer Weise zum Ausdruck bringen würde, wie es der amerikanische Präsident getan hat.
Das gilt auch für das Folgetreffen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Wir setzen uns dafür ein, daß dieses Folgetreffen termingerecht im Herbst in Madrid zustande kommt.
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Wir bereiten uns gemeinsam mit unseren Partnern intensiv darauf vor. Das Wissenschaftsforum in Hamburg mit Wissenschaftlern aus allen 35 Teilnehmerstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der KSZE, hat gezeigt, daß es auch in schwierigen Zeiten Fortschritte in der Zusammenarbeit geben kann.
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Das gilt auch für die MBFR-Verhandlungen. Wir unterstützen auch die Initiative Frankreichs für eine Konferenz über die Abrüstung in Europa und hoffen, auf dem Gebiet vertrauensbildender Maßnahmen voranzukommen. Ich begrüße erneut das Interesse an der Fortsetzung der Politik der Rüstungsbegrenzung, das im Vorschlag des Ersten Sekretärs der polnischen Arbeiterpartei, Gierek, zum Ausdruck kam, der sich an alle KSZE-Teilnehmer wandte, die ja auch in Helsinki und Belgrad beteiligt waren.
Wir möchten im Verhältnis zum Osten in Übereinstimmung mit unseren Verbündeten das Erreichte erhalten.
Vor allem aber: So wie es ohne Gleichgewicht keine Zusammenarbeit gibt, so gibt es ohne Kommunikation und ohne gegenseitige Information keine Krisenbeherrschung.
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Ich begrüße es, daß das Gespräch zwischen den beiden Weltmächten wieder in Gang gekommen ist. Auch meinen Briefwechsel mit dem Ersten Sekretär der KPdSU, Breschnew, verstehe ich als einen Beitrag zur Kommunikation zwischen Ost und West, die gerade in angespannten Zeiten nicht abreißen darf.
Zwischen Ost und West gibt es in Europa keine Alternative zu einer Politik der Gleichgewichts und der Entspannung.
({36})
Aber die Sowjetunion muß auch wissen, daß durch ihre Militärintervention in Afghanistan die Entspannung - wie es in der deutsch-französischen Erklärung heißt - „schwieriger und unsicherer geworden ist" und „einem neuen Schlag gleicher Art nicht standhalten würde".
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In anderen Worten: Es ist die Verantwortung der Sowjetunion, durch Truppenrückzug aus Afghanistan das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen, damit die mühsam eröffneten Wege der Zusammenarbeit offen bleiben und damit der Frieden in der Welt gewahrt bleibe.
({38})
Präsident Carter und ich haben gemeinsam festgestellt, daß die Invasion in Afghanistan die wirtschaftlichen Beziehungen des Westens mit der Sowjetunion ernsthaft beeinträchtigt hat.
Wir werden unsere Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion - bei Einhaltung aller Verträge - so gestalten, daß unsere Wirtschaft keine Vorteile aus Maßnahmen von Bündnispartnern zieht. Wir werden mit unseren Verbündeten darauf achten, daß unsere Wirtschaftsbeziehungen nicht sowjetische Rüstungsanstrengungen oder ihr Militärpotential stärken. Wir halten aber auch in Zukunft den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit allen Ländern Osteuropas für wichtige Elemente unsere Politik europäischer Stabilität.
({39})
Die Bundesregierung hält es für unerläßlich, daß die Sowjetunion die Bedingungen schafft, unter denen Sportler aus allen Staaten an den Olympischen Spielen teilnehmen können. Wir haben dies mehrfach erklärt. Auch heute sind diese Bedingungen nicht gegeben; denn Besetzung und Kämpfe in Afghanistan dauern unvermindert an.
({40})
Die Olympische Idee ist aber seit ihren Anfängen im klassischen Griechenland untrennbar mit dem Zustand des Friedens unter den Völkern verbunden. Wenn der Friede Afghanistans nicht wiederhergestellt wird, so wird eine gemeinsame Konsequenz in dieser Sache unvermeidlich.
Im übrigen lassen sich die Bedingungen ungestörter Zusammenarbeit in Europa nicht dadurch herstellen, daß man versucht, die Mitglieder der westlichen Allianz oder etwa die Mitglieder der Bundesregierung gegeneinander auszuspielen oder auseinanderzudividieren. Wenn sich z. B. die sowjetische Presse einmal den Bundesminister des Auswärtigen, ein anderes Mal den Bundeskanzler als besondere Zielscheibe ihrer Kritik aussucht, so hat sie dann nur in einem recht: daß beide - wie übrigens alle Mitglieder dieser Bundesregierung - ein und dieselbe Politik vertreten,
({41})
eine Politik für Deutschland, d. h.: eine Politik des Gleichgewichts und - auf dem Gleichgewicht basierend - eine Politik der Verständigung und der Zusammenarbeit.
({42})
Zehn Jahre Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition haben - ich nehme den Faden wieder auf - den Zusammenhalt der Menschen in beiden deutschen Staaten gefestigt. Ohne diesen menschlichen Zusammenhalt würde unser Bekenntnis zur Einheit seinen inneren Sinn verlieren.
({43})
Die Substanz der Nation, die gemeinsame Geschichte, die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Literatur, die Kunst, die Musik, das Wissen voneinander, der Wunsch zum Miteinander, ausdrücklich auch die gemeinsame Friedenspflicht und schließlich der gemeinsame Wille, sich unter einem Dach zusamBundeskanzler Schmidt
menzufinden - alles das sind Voraussetzungen für deutsche Einheit. Weil die Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition auf die Wahrung dieser Substanz gerichtet war, konnten wir die Verpflichtung zur Einheit - entsprechend der Präambel des Grundgesetzes - redlich erfüllen.
Ich erinnere daran - ich sagte es eingangs -, daß das Grundgesetz unseren Willen erklärt, in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Dabei können wir gewiß auf Vorsicht nicht verzichten, auf Voraussicht nicht verzichten, nicht verzichten auf Sicherheit und Verteidigungsbereitschaft zugunsten unserer Freiheit, nicht verzichten auf sorgfältige außenpolitische Kalkulation, auf Umsicht, auf Klugheit nicht verzichten. Aber eines müssen wir immer wissen: Wer von uns den Kompromiß mit dem Nachbarn nicht suchen will oder nicht suchen kann, der wäre für die friedliche Wiederherstellung Europas nicht tauglich.
({44})
Und hier komme ich zum Ausgangspunkt meiner Gedanken über die Einheit der Nation zurück: Nur die Wiederherstellung des geistigen Zusammenhangs von ganz Europa, nur die Wiederherstellung des wirtschaftlichen Zusammenhangs von ganz Europa - trotz all seiner gegenwärtig bedrückenden politischen Formen und Krisen - bietet eine Chance für die dereinstige Vereinigung unserer eigenen deutschen Nation unter einem gemeinsamen Dach.
Es bringt wenig, wenn in der Gegenwart Wiedervereinigungspläne vorgetragen würden oder darüber gestritten würde, wie die deutsche Einheit aussehen könnte. Wir haben im „Brief zur deutschen Einheit" deutlich gemacht, daß für uns der Friede in Europa die Voraussetzung für ein Wiederzusammenfinden der Deutschen ist. Das hat unverändert Gültigkeit. Es ist eine Verpflichtung, die in weltpolitischen Krisenlagen von der Bundesregierung eine besonders umsichtige und sorgsame Politik verlangt.
({45})
Dies verstehen alle unsere Verbündeten auch so, insbesondere Präsident Carter, insbesondere Präsident Giscard d'Estaing.
Vor zwei Jahren hat der damalige Bundespräsident Scheel darauf hingewiesen, daß es in der Präambel des Grundgesetzes nicht etwa heißt, die Einheit und Freiheit wiederherzustellen, daß es auch nicht heißt, sie herbeizuführen, sondern daß es dort heißt: sie zu vollenden - ein Hinweis auf Anfänge, die schon gemacht sind, die schon gemacht waren, ein Hinweis auf Gemeinsamkeiten, die fortbestehen. Scheel hat damals weiterhin gesagt:
Unser Streben nach Einheit ist keine verstaubte, nach rückwärts gewandte Reichsromantik - die Einheit ist ein in die Zukunft gerichtetes europäisches Friedensziel.
Ich unterstreiche diesen Satz besonders gegenüber
jenen Nachbarn und auch Freunden in Europa, bei
denen gelegentlich Unruhe wegen der Frage aufkommt, was die Deutschen mit sich selbst auf diesem Wege vorhaben.
Meine Damen und Herren, vieles an der Gegenwart der Teilung erfüllt uns mit Bitterkeiten, aber wir können den durch Hitler ausgelösten gegenwärtigen Zustand Deutschlands nicht durch - wie manche es denken - mehr Härte oder - wie manche es zu tun versucht sind - durch ständige Anklagen verändern. Wir können die Kriegsfolgen nicht ungeschehen machen. Im Gegenteil, solche Versuche würden zusätzliche Gefährdungen auslösen.
Was die Zukunft der deutschen Nation betrifft, so müssen wir nüchtern feststellen, daß die politischen Konstellationen in der Welt, in Europa in der Gegenwart keine Möglichkeiten bieten, die Teilung Deutschlands in zwei Staaten zu überwinden. Falls aber die beiderseitige Arbeit zur Entspannung zwischen diesen beiden durch eine neue Konfrontation abgelöst würde, so würden darunter auch die Möglichkeiten in der Zukunft leiden, und niemand hätte darunter mehr zu leiden als die Deutschen, insbesondere als die Deutschen auf der anderen Seite.
({46})
Die deutsche Teilung ist zugleich die Teilung Europas. Das bedeutet konkret, daß das deutsche Problem nur auf europäischem Wege zugänglich ist. Alles, was die Europäer auf beiden Seiten tun können, um die Gräben zwischen uns einzuebnen, mehr Solidarität zu schaffen, nützt zugleich der deutschen Sache.
Ich fasse zusammen:
Zum ersten. Zehn Jahre Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition haben den Menschen im geteilten Lande konkret positive Ergebnisse gebracht; sie haben die Lage Berlins zugleich gefestigt.
({47})
Zum anderen hat diese Politik den Auftrag des Grundgesetzes erfüllt. Sie hat den Zusammenhalt der Deutschen gewahrt und neu gestärkt - eine unverzichtbare Voraussetzung für das, was das Grundgesetz will.
({48})
Zum dritten ist sich die Bundesregierung der Fülle weiterer Aufgaben zwischen den beiden deutschen Staaten bewußt. Sie wird unermüdlich an ihrer Bewältigung arbeiten. Dazu soll auch ein Treffen zwischen dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und mir dienen, das nach meiner Vorstellung möglichst bald in der Deutschen Demokratischen Republik stattfinden sollte.
({49})
Die wichtigste Aufgabe für uns Deutsche, für uns in der Bundesrepublik Deutschland, für uns in der Deutschen Demokratischen Republik, übrigens auch für die Unterzeichner des Viermächteabkommens, ist in der gegenwärtig weltpolitisch gefährli16624
chen Situation die Vermeidung von Konfrontation auf deutschem Boden.
({50})
Der Zusammenhalt der deutschen Nation und die Erhaltung des Friedens sind unabdingbare Voraussetzungen für die deutsche Einheit, deren Vollendung wir alle wollen. Ohne Friede ist deutsche Einheit undenkbar.
({51})
Das Wort hat der Ministerpräsident des Freistaates Bayern.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat einen Bericht zur Lage der Nation geboten, dessen Inhalt uns größtenteils bekannt war, weil er sowohl die bekannten Tatsachen wie die bekannten Argumente wiederholte - und das ist sein gutes Recht -, der sich aber vor allen Dingen durch das auszeichnet, was er nicht gesagt hat.
({1})
Wenn man die Vorgänge innerhalb der Regierungspartei der SPD in den letzten Monaten und Wochen verfolgt hat und diese Auseinandersetzung, die sich sowohl innerhalb der Bundesrepublik abgespielt wie auch bis nach den Vereinigten Staaten von Amerika erstreckt hat, mit dem Text vergleicht, den heute Helmut Schmidt gesprochen hat, wird man feststellen, daß das weniger ein Bericht zur Lage der Nation war, sondern vielmehr der Versuch, einen Bericht zur Lage innerhalb der SPD zu geben, die es gar nicht gibt.
({2})
Es war eine Art innerparteilicher Befriedungsaktion.
({3})
Natürlich mußte in diesem Zusammenhang die neue Ostpolitik gewürdigt werden. Es hat heute wenig Sinn - aus zeitlichen Gründen, auch aus Gründen der Bekanntheit der Vorgeschichte für diejenigen, die überhaupt bereit sind, Vorgeschichte und Geschichte zur Kenntnis zu nehmen -, die Diskussion, die von 1969 an bis in die späten 70er Jahre mit Schwerpunkt in der ersten Hälfte der 70er Jahre stattgefunden hat, hier von neuem zu führen. Einige Schwerpunkte dürfen wohl, damit sie nicht dem Gedächtnis der Gegenwart und der Erinnerungsfähigkeit der nächsten Generation vorenthalten werden, hier in Kürze genannt werden.
Da ist einmal die Tatsache, daß mit dem Alleingang vom Herbst 1969 an leider die Geschlossenheit der demokratischen Parteien dieses Hauses in der Ost- und im besonderen in der Deutschlandpolitik mutwillig, leichtsinnig und mit gefährlichen Folgen aufgegeben worden ist.
({4})
Es wird doch niemand bestreiten, daß die Karlsbader Beschlüsse der kommunistischen Parteien des Warschauer Paktes von 1967, die Budapester Beschlüsse von 1969 und die Geheimverhandlungen, die der damalige Koalitionspartner SPD mit der italienischen kommunistischen Partei über eine neue, radikal andere Ostpolitik geführt hat, Paten an der Wiege dieser Politik gewesen sind.
Ich habe schon mehrmals von dieser Stelle aus betont, daß keine politische Partei für sich in Anspruch nehmen kann, durch ihre besonderen politischen Rezepte oder durch einen besonders genialen Plan die Wiedervereinigung unseres geteilten Landes in dieser Zeit herbeiführen zu können. Wir haben hier unzählige Male betont, daß für uns zur Lösung der deutschen Frage weder Kapitulation noch Anwendung militärischer Mittel auch nur in gedankliche Erwägung gezogen werden kann.
Ich möchte hier aber auch keinen Zweifel daran lassen - ich glaube, Grund dafür zu haben -, daß für uns die Freiheit den unbestreitbaren Vorrang vor der Einheit hat.
({5})
Vielleicht sind es falsche Zungenschläge, vielleicht sind es unbedachte Redensarten, die man übertrieben interpretiert; auch das ist im politischen Leben unvermeidlich. Aber wir haben in diesem Hause 1949, in den 50er, den 60er und den 70er Jahren nie einen Zweifel daran gelassen, daß unser Schmerz über die staatliche Teilung, so groß er auch sein mag, nie dadurch überwunden werden darf, daß wir uns das Unrechtsystem, das dem anderen Teil des deutschen Volkes aufgezwungen worden ist, etwa auf dem Umweg über eine längere Neutralisierungsperiode zu eigen machen könnten.
({6})
Den Text der Rede des Herrn Bundeskanzlers habe ich leider erst 55 Minuten vor Redebeginn .erhalten. Das ist oft so. Dadurch ist es schwierig, auf Behauptungen oder Zitate einzugehen; deren Nachprüfung natürlich wenigstens einige Stunden erfordern würde. Aber ich zitiere ihn wohl richtig, wenn ich seine Worte so wiedergebe: Durch diese Ostpolitik seien die Isolierung des anderen deutschen Staats und die Abschnürung der Deutschen in der DDR als Folge dieser Isolierung beseitigt worden. Warum sprechen Sie dann in den USA von „16 Millionen Geiseln", die eine andere deutsche Interessenlage begründen und die deshalb zu verschiedenen Verhaltensweisen zwischen den USA und Deutschland führen könnten?
({7})
Ich nehme an, daß es sich doch noch um 17 Millionen handelt. Wir wissen natürlich, wie die Lage dieser Deutschen im anderen Teil Deutschlands ist. Das wissen wir auf allen Seiten dieses Hohen Hauses. Aber es ist- ein gefährlicher Zungenschlag, wenn man aus taktischen Gründen oder aus opportunistischer Taktik, die in den USA befolgt worden ist, von „16 Millionen Geiseln" spricht. Ich spreche hier von 16 Millionen Anklägern, von 16 Millionen AnkläMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({8})
gern gegen ein Unrechtsystem und nicht von 16 Millionen Geiseln.
({9})
Noch immer ist es so - und es wird hoffentlich immer so bleiben -: Das Recht steht auf unserer Seite. Die Tatsache, daß das Recht der nationalen Selbstbestimmung einer Nation, daß das Recht des einzelnen Menschen, in einem freiheitlich geordneten Rechtsstaat zu leben, 17 Millionen Deutschen vorenthalten wird, macht die deutsche Frage zu einer Anklage gegen das Unrechtsystem des Kommunismus und seiner Vormacht.
({10})
Sie haben einzelne Verträge erwähnt. Besonders den Grundlagenvertrag haben Sie hervorgehoben. Sie haben hervorgehoben, daß ihn das Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt hat. Sie kennen die Vorgeschichte, Sie wissen ganz genau, welche Prozeßargumentation die Bundesregierung angewandt hat.
({11})
Sie hat beim Gericht die Frage der Verhältnismäßigkeit des Rechts einerseits und der angekündigten oder angedrohten politischen Folgen andererseits zur Geltung gebracht. Sie hat in dem Prozeß damit argumentiert, daß für den Fall einer Erklärung der Unvereinbarkeit die Bundesrepublik Deutschland Gefahr liefe, daß dann die DDR allein Mitglied der UNO sei - ein falsches Argument, nebenbei gesagt; aber es ist neben anderen Argumenten verwendet worden. Aus diesem Grunde kam ein Urteil zustande, dessen Begründung nur bei großer intellektueller Beweglichkeit und unter Zugrundelegung tolerantester Maßstäbe mit dem Urteil selber in Verbindung gebracht oder als eine Einheit betrachtet werden kann.
Gerade deshalb ist in der Begründung darauf hingewiesen worden, daß das Deutsche Reich rechtlich gesehen nach wie vor weiter besteht und die Bundesrepublik Deutschland die Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches ist.
({12})
Ich bin kein Utopist und kein Träumer, der glaubt, daß man geschichtliche Ereignisse von der Gewalt des Zweiten Weltkrieges und der daraufhin erfolgten Ausnutzung der militärischen Situation durch eine Großmacht lediglich durch eine Rechtsposition aus der Welt schaffen kann. Dem Traum bin ich nie nachgelaufen. Aber Rechtspositionen sind wirksame Waffen, und sie müssen für den Fall, daß einmal diese Übergangsverträge durch einen Friedensvertrag abgelöst werden, nachdrücklich zur Geltung gebracht werden.
({13})
In dieser Begründung ist auch davon die Rede, daß es Grenzen innerhalb Deutschlands gebe, aber diese Grenzen hätten keine grundsätzlich verschiedene Rechtsqualität. Man sieht doch gerade daran, daß die Grenze zwischen, sagen wir, Bayern und Baden-Württemberg einerseits und die Grenze zwischen Bayern und Sachsen andererseits eine vergleichbare Rechtsqualität haben soll, den erschüt- ternden Unterschied zwischen Verfassungsrecht und politischer Wirklichkeit - wenn man an die Zustände an diesen beiden „Grenzen" denkt.
Es ist auch von der Staatsbürgerschaft die Rede gewesen. Der Bundeskanzler hat nachdrücklich die eine Staatsbürgerschaft, die alle Deutschen haben, das eine Staatsbürgerrecht, das sie haben, hervorgehoben. Er hat auf ein besonderes Papier hingewiesen, in dem die Staatsbürgerfrage ausgeklammert worden ist. Aber das hindert den anderen Vertragspartner nicht, nach wie vor die Forderung auf Einführung zweier Staatsbürgerrechte zu erheben. Es gibt manche in Ihren Reihen, Herr Bundeskanzler, die sich diese Forderung zu eigen gemacht haben und sie vertreten, ob sie nun Mandatsinhaber oder ob sie Mitglieder der Exekutive sind.
Etwas wenig ist über die Verpflichtung zur Wiedervereinigung gesagt worden. Das Grundgesetz spricht von der Vollendung der Einheit. Das würde heißen, daß wir auf dem Wege der Einheit schon weit fortgeschritten seien und daß es nur noch gelte, diesen Prozeß abzuschließen und zu vollenden. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß das Grundgesetz in einer Situation entstanden ist, in der die Väter des Grundgesetzes aus gutem Grunde von der Einheit Deutschlands ausgegangen sind - in jener Zeit -, in voller Übereinstimmung mit den drei Westalliierten. Deshalb schien es damals so, als ob man nur noch etwas vollenden müsse, was vorübergehend gestört war.
Ihre Politik der letzten zehn Jahre hat erheblich dazu beigetragen, daß trotz der von uns anerkannten Erfolge, der von uns anerkannten Ergebnisse - Rentnerreisen, Telefonverkehr und Wirtschaftsverkehr - wir staatsrechtlich und politisch gesehen von dem Zustand 1949 heute weit entfernt sind.
({14})
Wer jene Diskussionen während der Beratungen des Parlamentarischen Rates und dann 1949 auch in diesem Hohen Hause miterlebt hat, der wird sich noch sehr wohl an diesen Zustand erinnern, wenn ihm das Gedächtnis nicht verlorengegangen ist.
Sie sprechen davon, daß die Menschenrechte in der DDR - bedauerlicher Zustand - noch nicht voll hergestellt seien. Das sei zu beklagen, und hier sei noch viel Arbeit zu leisten, und es sei noch viel zu bewältigen. Darf ich einmal darauf hinweisen, daß das, was Sie als Ergebnisse der neuen Ostpolitik hier in leuchtenden Farben geschildert haben, eigentlich das Minimum des Selbstverständlichen ist, was zwischen zivilisierten Nationen und kultivierten Staaten bestehen sollte?
({15})
Warum haben Sie denn nicht davon gesprochen, daß entgegen den damals geäußerten Erwartungen, ja sogar entgegen Ankündigungen der Schießbefehl und alles, was damit zusammenhängt, nicht nur nicht eingeschränkt oder abgebaut, sondern noch
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({16})
verschärft und vervollkommnet worden ist? Auch das ist doch deutsche Wirklichkeit.
({17})
Während Ihrer Rede hat der Kollege Barzel einen Zwischenruf gemacht. Die beiden deutschen Staaten haben sich verpflichtet, zum friedlichen Zusammenleben der Nationen beizutragen, aber die „brüderlichen Hilfen", um im hoffentlich diesmal verstandenen Ton der Ironie zu reden, die Honeckers Armee in Afrika leistet und deren Opfer Tausende von Menschen - Frauen und Kinder - geworden sind, wenn ich nur an die grausamen Verhältnisse in Äthiopien und in anderen Ländern denke, paßt denn das in dieses schöne Bild der wachsenden Gemeinsamkeit und der immer perfekteren Ausgestaltung der Beziehungen und der Erfüllung des Auftrages hinein? Wenn man nach den Maßstäben gesunden Menschenverstandes urteilt, bestimmt nicht!
({18})
Sie haben hier dem Begriff Offenhaltung der deutschen Frage einen Sinn gegeben - das ist typisch für Ihre politische Taktik; man kann hier von Strategie nicht reden, denn eine Strategie setzt an sich höhere Beurteilungsmaßstäbe voraus -, der nicht im Mittelpunkt stehen kann und nie dort gestanden hat: daß nämlich die Gemeinsamkeit der Sprache - die haben wir Gott sei Dank; wir werden sie auch behalten -, die Gemeinsamkeit unserer Kultur, die verstärkte Begegnung der Menschen und alles, was damit zusammenhängt, auch Beziehungen auf dem Gebiete der Wissenschaft, der Kunst, des Sports die deutsche Frage offenhalten. Das bestreite ich nicht, aber was mit der Offenhaltung der deutschen Frage gemeint war, ist etwas ganz anderes: die klare politische Ankündigung, daß wir uns mit der Teilung Deutschlands nie abfinden und die Wiedervereinigung der beiden Teile und damit der Zusammenführung unseres Volkes mit allen legitimen friedlichen Mitteln unserer Politik betreiben werden.
({19})
Denn wenn Ihre Kriterien, Herr Bundeskanzler, zuträfen, wären wir der Wiedervereinigung mit Osterreich schon wesentlich näher als mit dem anderen Teil Deutschlands.
({20})
Da gibt es auch die Gemeinsamkeit der Sprache, der Kultur und der Architektur. Wenn man über die Grenze geht, gibt es keine Probleme. Wenn man es ohne Paß tut, dann kostet es 5 DM und anderswo das Leben. Das ist der kleine Unterschied, das „Problemchen".
({21})
Sie haben in bewegten Worten die Leistungen der DDR erwähnt. Das ist das, was ich vorher das „Minimum der Selbstverständlichkeiten" genannt habe. Sie hätten etwas mehr über die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland für die Wirtschaft der DDR sagen sollen und Sie hätten diese Leistungen einmal bewerten müssen. Dann wäre klargeworden, daß wir mit einer Reihe von Transferzahlungen und durch Handelsprivilegien, die sich aus der stillen
Mitgliedschaft der DDR in der Europäischen Gemeinschaft ergeben, wesentlich größere Leistungen erbringen, als durch Gegenleistungen auch nur annähernd abgedeckt sind.
({22})
Sie haben aus einer Rede zitiert, die ich im Jahre 1962 gehalten habe. Vielleicht darf ich in Ihr zeitgeschichtliches Gedächtnis zurückrufen - obwohl ich nicht auf Titel scharf bin -: Es war damals nicht nur der CSU-Vorsitzende, es war auch der Bundesminister der Verteidigung. Ich habe in dieser Rede davon gesprochen, daß wir mit Hilfe Frankreichs - das war immerhin das Frankreich de Gaulles - die internationale Isolierung leichter überwinden. Ich habe nicht den geringsten Grund, dieses aus der Sicht des Jahres 1962 und der damaligen Umstände gesagte Wort heute etwa als falsch zu empfinden. Ich war 1962 der Meinung - ich könnte aus jener Zeit, dafür reicht die Zeit heute nicht, sehr viel zur Zeitgeschichte beitragen -, daß für uns die Annäherung an den Osten durch de Gaulle, durch das Frankreich auch de Gaulles, leichter als durch unmittelbare bilaterale Annäherungsversuche bewerkstelligt werden kann.
Sie haben unter dem Gelächter Ihrer Freunde gesagt, ich hätte damals Skepsis gegen ein bilaterales amerikanisch-deutsches Bündnis gehabt. Diese habe ich selbstverständlich gehabt, und ich habe sie auch heute noch.
({23})
Diese Skepsis bezieht sich nicht auf ein deutschamerikanisches Bündnis, sondern - Sie haben mich richtig zitiert - auf ein bilaterales amerikanischdeutsches Bündnis. Das entspricht nicht der Architektur der NATO,
({24})
das enspricht nicht den Vorstellungen. Nicht umsonst spannt sich der geographische Gürtel der NATO - ich lasse die Definition der heutigen geographischen Sicherheitsinteressen einmal offen - von den Vereinigten Staaten von Amerika, der Hauptmacht, über den anderen großen nordamerikanischen Staat, Kanada, und reicht dann quer durch Westeuropa, Mitteleuropa, einige neutrale Staaten auslassend, nämlich Finnland, Osterreich, Schweiz, hinunter bis in den Bereich von Griechenland und der Türkei. Dort ist dieser Gürtel leider nicht mehr in Ordnung, was ich nicht den Fehlern der deutschen Politik zuschreibe; das möchte ich hier ausdrücklich sagen. Ich habe nie etwas von einem bilateralen deutsch-amerikanischen Bündnis gehalten. Allerdings mache ich keinen Hehl aus meiner Meinung, daß mir ein bilaterales amerikanisch-deutsches Bündnis lieber als etwa gar kein Bündnis wäre.
({25})
Aber das ist nicht der Sinn unserer Bündnispolitik. Der Sinn unserer Bündnispolitik ist ein abgestimmtes Verhalten von Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Luxemburg, Großbritannien und Frankreich, auch mit seiner besonderen Stellung in der
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({26}) Militärorganisation, und Portugal. Auch von der Aufnahme Spaniens in dieses Bündnis ist die Rede. Ich würde es begrüßen, wenn das demokratische Spanien in dieses Bündnis aufgenommen würde.
({27})
Herr Bundeskanzler, nun möchte ich noch etwas zur innerdeutschen Situation sagen. Ich habe Ihnen vor einiger Zeit einen ausführlichen Brief geschrieben. Sie sind auch bei der Ministerpräsidentenkonferenz, wenn ich mich nicht recht erinnere, kurz darauf eingegangen. Ich hatte Ihnen im Hinblick auf das von Ihnen auf dem Berliner Parteitag der SPD angekündigte Treffen mit Honecker geschrieben, das durch unilaterale Aktionen, so möchte ich sagen, eine gewisse Verzögerung erfahren hat. Ich möchte nicht das gesamte umfangreiche Schreiben hier zitieren, sondern nur den Absatz daraus nennen, daß ich Ihnen einige Probleme benennen möchte, die aus der Sicht der Bayerischen Staatsregierung dringend einer Lösung bedürfen. Das gilt für alle Landesregierungen, deren Länder eine Demarkationslinie, eine Grenze, zum anderen deutschen Staat haben. Ich habe Ihnen geschrieben:
Die DDR hat im Jahre 1979 die umfangreichsten Arbeiten seit Jahren an den Grenzsicherungsanlagen auf ihrem Gebiet gegenüber dem bayerischen Teil der Grenze durchgeführt.
({28})
Zeitweise waren an die tausend Mann täglich beschäftigt, die Grenzsperr- und -sicherungsanlagen zu modernisieren. Gegenüber Bayern wurde in diesem Jahr 46,5 km einreihiger Metallgitterzaun errichtet, der durchgehend für die Installierung von Selbstschußanlagen ({29}) geeignet ist, wenn auch nur 10 km in diesem Jahre hiermit bestückt wurden.
Diese Maßnahmen sind ein Hinweis darauf, daß die DDR alle Anstrengungen unternimmt, ihr Gebiet und ihre Bevölkerung auch technisch von der Bundesrepublik Deutschland abzugrenzen, obwohl sie sich in Art. 1 des Grundlagenvertrags und der Präambel zum Regierungsprotokoll vom 29. 11. 1978 verpflichtet hat, gutnachbarliche Beziehungen zu entwickeln und zum Wohle der Menschen zu fördern.
Die Errichtung von 46 km Metallgitterzaun, die Bestückung von 10 km mit diesen mörderischen, grausamen Selbstschußanlagen ist wahrlich nicht geeignet, gutnachbarliche Beziehungen zu entwikkeln.
({30})
Ich habe Ihnen weiter von Behinderungen im Reiseverkehr, von den Problemen der Frachthilfe im Grenzbereich geschrieben. Ich habe Ihnen besonders eindringlich das allen Geboten des Umweltschutzes und seiner Minimalerfordernisse hohnsprechende Verhalten der Behörden der DDR bei der Gewässerreinhaltung dargestellt. Sie selbst haben dieses Problem angesprochen. Ferner schilderte ich Ihnen eine Reihe weiterer Probleme. Das ist die Wirklichkeit, Herr Bundeskanzler.
Sie haben es für notwendig gehalten, dieses Hohe Haus falsch zu unterrichten, eine glatte Unwahrheit zu sagen. Sie sagten - ich nehme das Exemplar von 8.05 Uhr dieses Morgens -:
Wenn Herr Strauß in den letzten Wochen die grundlegenden Dokumente der Gemeinsamkeit und Übereinstimmung in einer gefährlichen internationalen Krise - nämlich unsere miteinander verbundenen gemeinsamen Erklärungen mit den Franzosen vom 5. Februar und mit den Amerikanern vom 5. März - mit der Qualifikation „an der Grenze des Törichten" herabsetzt und das letztere - noch dazu auf amerikanischem Boden - als Produkt eines Wahlkampfes beiseite wischen wollte, so schadet solcher Versuch den Interessen unseres Staates, beleidigt die an den Erklärungen beteiligten drei Regierungs- oder Staatschefs .. .
Warum müssen Sie die Unwahrheit sagen? Sie müssen die Wahrheit doch kennen.
({31})
Ich habe schon in meiner letzten Rede zu diesem Problem ganz genau Stellung genommen. Ich habe einen Satz in dem deutsch-französischen Kommuniqué beanstandet und werde es auch weiterhin tun. Es ist auch nicht so, daß wir von der Opposition verpflichtet sind, bei Ihnen zum Ringkuß anzutreten, Ihre Erklärungen huldvollst, möglichst in der Kniebeuge, entgegenzunehmen und sie als Perfektion der letzten Weisheit zu verehren.
({32})
Ich habe sowohl am Tage dieser deutschfranzösischen Erklärung als auch bei meinem anschließenden Besuch in Paris gesagt - weil von vielen Presseleuten befragt; es ist ja nicht möglich, solchen Fragen zu entgehen -, daß ich dem Inhalt des Kommuniqués in einer Reihe von Punkten bejahend gegenüberstehe, z. B. in bezug auf die deutschfranzösische Freundschaft und Zusammenarbeit. Wer hat denn damals die schwersten Vorwürfe und Vorbehalte gegen den Abschluß des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags erhoben?
({33})
Wer hat denn damals gesagt - lesen Sie die Protokolle einmal nach -, das Frankreich de Gaulles sei eine innerpolitische Wüste geworden? Es war seinerzeit Herr Kollege Wehner. Wer hat wegen der besonderen Beziehungen zwischen Adenauer und de Gaulle alle möglichen Verdächtigungen und hintergründigen Unterstellungen ausgesprochen?
({34})
Ich habe selbstverständlich das Bekenntnis, zur NATO bejaht, zur Solidarität mit den USA. Ich habe selbstverständlich die Verurteilung des russischen Einmarsches in Afghanistan bejaht. Ich habe selbstverständlich die Aufforderung an die Sowjetunion bejaht, ihre Truppen wieder zurückzuziehen.
Ich habe mich nur zu einem Satz in diesem Kommuniqué geäußert, und Sie sollten wenigstens soviel intellektuelle Kapazität oder moralische Redlichkeit haben, solche Dinge genau zu interpretieren
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({35})
und genau lesen zu können. Ich habe mich zu dem Satz geäußert - ich kann ihn nur sinngemäß wiedergegeben; wörtlich kann ich es aus dem Gedächtnis nicht mit letzter Perfektion zitieren -, daß die Politik der Entspannung einen weiteren solchen Schlag wie Afghanistan nicht überleben würde. Dieser Satz geht an die Grenze des Törichten. Es tut mir leid, wenn ich es hier wiederholen muß.
({36})
Die Sowjets vermögen Dokumente zu lesen und zu deuten ({37})
mehr, als man es offensichtlich in offiziellen Rängen in Bonn noch kann.
Diese Formulierung heißt doch nichts anderes als folgendes. Damit kommen wir zum Kern des politischen Gegensatzes in diesem Hause, in der Öffentlichkeit, in Europa und in der Welt. Es hat gar keinen Sinn, diesen Kern zu verschleiern, sondern hier müssen die Fronten ganz klar sein. Ich wünsche keine Konfrontation, aber intellektuelle Redlichkeit und geistige Klarheit der politischen Fronten und der Hintergründe. Diese Formulierung heißt doch: Ihr könnt ruhig in Afghanistan bleiben, deshalb ändert sich die Politik der Entspannung nicht; denn es wird doch angekündigt, daß nur eine nächste Aktion die Politik der Entspannung beeinträchtigen könnte. Hätten Sie doch lieber gar nichts geschrieben und nur mit der Aufforderung des Rückzuges geendet! Aber die Erklärung, daß wir das nächste Mal böse sein werden, ist wahrlich der Höhepunkt.
({38})
Die einzige politisch logische, in sich konsistente und zusammenhängende Formulierung wäre gewesen: Wenn die Sowjetunion nicht bereit ist, ihre Truppen in angemessener Zeit aus Afghanistan zurückzuziehen, die Neutralität, Integrität und Souveränität dieses Landes wiederherzustellen, dann allerdings kann die Politik der Entspannung nicht so weitergehen, wie wir sie bisher - Sie jedenfalls - aufgefaßt haben. Das wäre eine logische Fortsetzung gewesen.
({39})
Der Kern des Gegensatzes, um den man auch nicht herumreden sollte, besteht doch darin, daß wir sagen: Afghanistan ist die Probe aufs Exempel. Afghanistan hat bewiesen, daß die Sowjetunion nach wie vor eine brutale Machtpolitik treibt, daß sie sich nicht nach den internationalen Spielregeln verhält - nach dem berühmten code of conduct -, daß sie in das weltpolitische Geschehen der zivilisierten Welt nicht so verflochten ist, daß sie sich solcher Aktionen enthalten würde. Deshalb sagen wir: Der Rückzug aus Afghanistan ist die Probe aufs Exempel.
({40})
Soll der Hinweis auf die nächste Aktion heißen, daß wir dann darüber nachdenken, wie es eigentlich um die Politik der Entspannung bestellt ist, wenn die Sowjetunion in Pakistan einmarschiert, wenn sie Jugoslawien und Rumänien unter ihre besondere freundschaftliche Obhut nimmt? Das muß doch einmal in aller Offenheit ausgedrückt werden. Darum geht es doch.
({41})
Nur diesen einen Satz habe ich - übrigens in der Bundesrepublik Deutschland, nicht auf fremdem Boden; aber ich habe es dann in Frankreich wiederholt, weil ich auf den Satz hingewiesen worden bin - als „an die Grenze des Törichten reichend" bezeichnet Ich habe mich hierbei noch bemüht - entgegen dem mir unterstellten Naturell -, die äußerste Grenze meiner Höflichkeit walten zu lassen.
({42})
Präsident Carter hat mit der Bezeichnung „an die Grenze des Törichten reichend" überhaupt nichts zu tun, obwohl Sie es zu meiner Diffamierung so dargestellt haben, als ob ich das auch in bezug auf das deutsch-amerikanische Kommuniqué gesagt hätte.
({43})
In bezug auf das deutsch-amerikanische Kommuniqué habe ich gesagt - auch das sollte von Ihnen wenigstens zur Kenntnis genommen werden; die Kunst, Kommuniqués zu verfertigen, zu lesen und zu deuten ist, in mehr als einer menschlichen Generation politischer Tätigkeit ja immerhin etwas gestiegen -: Vieles, was in diesem deutsch-amerikanischen Kommuniqué steht, findet unsere Zustimmung. Wir sind nicht so begeistert, wenn Sie die Interessendifferenzen zwischen den USA und der Bundesrepublik auch in diesem Kommuniqué zu sehr durchscheinen lassen.
({44})
Interessant ist, was in dem Kommuniqué zwischen den Zeilen steht, und noch interessanter ist, was vor dem bekannten Hintergrund weder zwischen noch in den Zeilen steht. Dazu darf ich einige Worte sagen.
Wenn man ein Kommuniqué beurteilt, muß man natürlich auch den politischen Interessenstandpunkt derer bewerten, die ein solches Kommuniqué verfertigen und veröffentlichen. Das ist keine hämische Kritik oder mäkelnde Herabsetzung, sondern eine Selbstverständlichkeit Präsident Carter steht in einer schweren Wahlauseinandersetzung. Die USA haben in diesem Jahr Präsidentschaftswahlen. Er leidet unter der ungeheuren Belastung der immer noch nicht beendeten Geiselnahme in Teheran, unter der dramatisch hohen Inflationsrate, unter den Vorgängen in Afghanistan und unter manchen Ungereimtheiten, die sich früher zu bei Seiten des Atlantiks - ich möchte mich ganz vorsichtig ausdrücken - zugetragen haben. Es ist das selbstverständliche Interesse des Präsidenten Carter, ein Kommuniqué zu veröffentlichen, das nicht die Gegensätze, sondern die Gemeinsamkeiten betont, und ich billige auch Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu, daß es Ihr Interesse ist, in diesem Jahr ein Kommuniqué zu publizieren, mit dem Ihre Partei noch leben kann, mit dem Sie sich aber in der kommenden Wahlauseinandersetzung keine Blöße geMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({45})
ben. So habe ich erklärt - und habe keinen Grund, das irgendwie zu modifizieren oder zu entschuldigen -, daß dieses Kommuniqué natürlich auch ein Zeichen dafür ist, daß die beiden, die dieses Kommuniqué unterschrieben haben, ein Interesse daran haben, bei den kommenden Wahlen in ihren jeweiligen Ländern ihrem jeweiligen politischen Gegner keine Angriffsflanken zu öffnen. Denn hätte das Kommuniqué alles umfaßt, was deutsch-amerikanische Beziehungen heute ausmacht - einschließlich der psychologischen Seite der öffentlichen Meinung -, wäre dieses Kommuniqué mit Sicherheit für Sie, Herr Bundeskanzler, im kommenden Wahlkampf nicht nützlich gewesen. Und der amerikanische Präsident hat nicht das geringste Interesse daran, in einem Kommuniqué die Probleme, die sich nun einmal leider mit einem seiner wichtigsten Verbündeten, mit der Wirtschaftsgroßmacht Bundesrepublik Deutschland, ergeben haben, in aller Deutlichkeit oder vielleicht auch Plumpheit herauszustellen.
({46})
Wenn ich danach von Journalisten gefragt werde, kann ich doch nicht meine Meinung unterdrücken, bloß weil sie Ihnen nicht paßt. Die Tatsache aber, daß meine Meinung Ihnen nicht paßt, ist keine Rechtfertigung für eine Fälschung vor diesem Hohen Hause.
({47})
Ich will gar nicht, wie es heute in der „Welt" angekündigt wird, einen „großen Krach" zwischen Schmidt und Strauß. Dafür ist die Lage viel zu ernst. Großen Krach mache ich lieber nur dann, wenn mir nicht so ernst zumute ist. Aber Sie haben im Laufe der letzten Tage versucht, mich zu provozieren. Das schreibt heute auch ein Journalist, der sich nicht gerade durch sparsame Kritik an der CDU/CSU auszeichnet, in der „Süddeutschen Zeitung". Sie haben so törichtes Zeug wie die Behauptung in die Welt gesetzt, ich hätte mich danach gedrängt, nach Ihnen nach Frankreich zu kommen, ich hätte mich danach gedrängt, nach Ihnen in die USA zu kommen. Sie haben Ihr Mitleid mit mir zum Ausdruck gebracht und gesagt, ich hätte die Klinken geputzt; auf denen sich noch Ihre Fingerabdrücke befänden. Ich weiß nicht, ob Sie fettige oder ölige Fingerabdrücke hinterlassen haben.
({48})
Sie sagen also, ich hätte die Klinken geputzt, die noch Ihre Fingerabdrücke gezeigt hätten. - Das ist nicht die Sprache eines Bundeskanzlers,
. ({49})
das ist die Sprache eines SPD-Vorstadtwahlkämpfers!
({50})
Ich darf die Gelegenheit nutzen, hier vor der Öffentlichkeit klarzustellen, daß meine Termine für Besuche in Frankreich und in den USA längst feststanden. Übrigens sind diese Besuche eigentlich Selbstverständlichkeiten. Deshalb hat man sich doch weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen
({51})
noch so zu tun, als wäre das etwas Besonderes. Ich betrachte einen Besuch in Frankreich als einen Akt europäischer Innenpolitik, weniger als einen Akt deutscher Außenpolitik.
({52})
Ich betrachte einen Besuch in den USA als einen Meilenstein auf einer Straße, auf der es schon viele Meilensteine der gegenseitigen Kontaktnahme gegeben hat.
Herr Bundeskanzler, die Behauptung, daß ich mich nach Ihnen schnell hineingedrängt hätte, ist objektiv unwahr.
({53})
Meine Reisetermine standen Monate vorher fest,
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Monate, bevor Sie Ihren Besuch in den USA vereinbart haben. Sie wollten mich damit natürlich in den Augen der Öffentlichkeit herabsetzen oder wollten mich veranlassen, meinen Besuch in den USA abzusagen - in der Erwartung, daß dann mit Recht sehr unfreundliche Kommentare zu einer solchen lächerlichen Haltung, die ich dann hätte einnehmen müssen, erscheinen würden. So vorzugehen ist Ihrer unwürdig!
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Allerdings ist die Erregung der SPD über diese Vorgänge schon - ich darf sagen - ein großes Stück Heuchelei.
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Am 17. März hat die CDU/CSU eine Erklärung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU und Parteivorsitzenden der CDU, Dr. Helmut Kohl, verlesen, in der er sich sehr klar zur strikten Ablehnung der Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketenwaffen in der Bundesrepublik Deutschland durch den SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner ausgesprochen hat. Heute lese ich wieder: Wehner gleicher Kurs wie Kanzler. Hören Sie doch endlich einmal mit dem Versteckspiel auf!
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Wen wollen Sie noch hinter das Licht führen? Wir wissen doch genau, unter welchen schwierigen Geburtswehen der Berliner Beschluß zustande gekommen ist: schwammig und verwaschen, verschwommen und nichtssagend, doppeldeutig, alles erlaubend und alles verbietend, beliebig auslegbar. Wir wissen, daß ein großer Teil Ihrer Partei, selbst der Bundesgeschäftsführer, den Standpunkt vertreten hat, man hätte sozusagen in diesen sauren Apfel beißen, die Kröte schlucken müssen, bloß um die Amerikaner dahin zu bringen, daß sie auch an den Abrüstungsgesprächen teilnehmen, daß sie Angebote auf arms control, disarmament, limitation of armaments unterstützen. Das heißt: Wir haben diesen Beschluß widerwillig hingenommen, sonst hätten wir die Zu16630
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({58})
stimmung der Amerikaner zum Abrüstungsangebot nicht bekommen.
Meine Damen und Herren, damit es in diesem Hohen Hause keinen Zweifel gibt - dasselbe gilt auch für meine Person, der ich dem Hause nicht mehr angehöre Wir begrüßen jede, aber jede Initiative für eine sinnvolle Abrüstung, für eine wirksame Rüstungsbegrenzung, für eine echte Rüstungskontrolle. Wir begrüßen jede, aber jede Initiative, wir sind aber nicht bereit, und da liegt die Grenze, alles, was unter den Begriffen disarmament, arms control und limitation of armaments verstanden wird, als einen Selbstzweck anzusehen. Das ist vielmehr in sowjetischer Sicht ein Mittel ihrer Strategie, mit der sie ihre militärische Überlegenheit auch auf dem Gebiete der Abrüstungsverhandlungen geltend machen will.
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Das können wir nicht ändern, aber wir müssen es aufgreifen. Wir müssen dieser Provokation oder Herausforderung gerecht werden. Ich möchte nur mit aller Deutlichkeit sagen, daß jede Behauptung, daß die CDU/CSU weniger Interesse an Abrüstung, an Rüstungsbegrenzung, an Rüstungskontrolle als etwa die Regierungsparteien habe, nichts anderes als Brunnenvergiftung, als atmosphärische Vergiftung ist.
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Herr Kollege Wehner, ich darf mich an Sie wenden, der Sie immerhin noch ein wichtiges Amt in der SPD bekleiden. Wenn ich wegen dieses einen Satzes „an die Grenze des Törichten reichend" - in Deutschland gesprochen wenn ich wegen der Definition und Interpretation des deutsch-amerikanischen Kommuniqués, wie eben hier wiedergegeben, der Verletzung deutscher Interessen im Ausland bezichtigt werde, so heißt das, daß wir alle Schleppenträger des Herrn Bundeskanzlers zu sein haben. Dabei muß man ein höheres Maß an Geschwindigkeit aufbringen, weil er sich so schnell drehen kann, daß man hintenherum oft nicht mehr mitkommen würde.
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Herr Wehner, haben Sie sich nicht in jüngster Zeit - vom 17. September 1979 stammt der Auszug aus dem „Parlamentarisch-Politischen Pressedienst" -in einem Interview mit einer jugoslawischen Zeitung erklärt:
Nach Ansicht des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, fällt im Wahljahr 1980 die ,Entscheidung darüber, ob es der CDU/CSU unter der Führung von Strauß gelingt, die 30jährige Demokratieentwicklung in der Bundesrepublik wieder zurückzudrehen.
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In einem Interview mit der jugoslawischen Tageszeitung „Vjesnik" erklärte Wehner, ausschlaggebend für diesen Prozeß sei die Unfähigkeit der CDU/CSU-Opposition zu einer konstruktiven Opposition in einer parlamentarischen Demokratie.
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- Der Beifall ist für Sie noch blamabler, als es die Ausführungen des Herrn Wehner für ihn selbst sind.
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Ich möchte mich nunmehr nicht über den Aufbau der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 30 Jahren äußern. Daß wir eine aufzubauen hatten, Herr Wehner, verdanken wir denen, die die Weimarer Republik zerstört haben: den Nazis und den Kommunisten.
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Ich brauche hier keine apologetische Rede zu halten. Als Hitler an die Macht kam, war ich 17 Jahre alt; ich könnte manches über jene Zeit erzählen, auch über die Radikalisierung des damaligen Deutschen Reiches durch die Parteien der extremen Rechten und der extremen Linken. Ich wäre auf das Thema nicht zurückgekommen. Aber es ist ein seltenes Stück Unverfrorenheit, wenn Sie der CDU/CSU unterstellen, daß sie unter mir 30 Jahre Demokratie in der Bundesrepublik zurückdrehen wolle. Das ist ein unglaublicher Vorgang.
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Ich glaube trotz der scharfen Kontroverse, die wir haben, auch nicht, daß diese Äußerung der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers entsprechen kann. Denn wir haben doch die 30 Jahre nicht das deut. sche Volk belogen und betrogen. Wir haben eine Demokratie aufgebaut:
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als leidvolle Schlußfolgerung aus der Geschichte der Weimarer Republik,
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als leidvolle Schlußfolgerung aus dem Krieg, den wir miterlebt haben, und als leidvolle Schlußfolgerung aus der Situation, in der wir waren.
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Ich habe nie behauptet, daß wir sie allein aufgebaut haben. Aber ich kann immerhin darauf hinweisen, daß die entscheidenden Lösungen - Überwindung der wirtschaftlichen Not, Marktwirtschaft - und die entscheidenden Fragen unserer Sicherheit - Bundeswehr und NATO - gegen Sie und Ihre Freunde hier durchgesetzt werden mußten.
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Wenn Sie mit Ihrem Deutschlandplan seinerzeit durchgekommen wären, dann hätten wir heute allerdings schon die Chance, auf der falschen Seite wiedervereinigt zu sein.
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Es ist ein Stück Unverfrorenheit, was Sie sich im Ausland erlauben, aber nicht nur mir oder uns geMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({72})
genüber. Denken Sie doch daran, was Sie seinerzeit über Willy Brandt gesagt haben. Sie wissen doch noch, wie Sie ihn öffentlich lächerlich gemacht, herabgesetzt und beschimpft haben.
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Haben nicht wir damals Willy Brandt gegen die un- kontrollierten Haßausbrüche, die Sie sich haben zuschulden kommen lassen, in Schutz genommen? Was haben Sie in Ungarn, Prag und Warschau alles gesagt! Ich will hier gar nicht in der Zitatenkiste herumkramen. Aber ausgerechnet Sie hätten hier Ihren Mund halten sollen.
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Nicht mit uns brauchen Sie sich zu beschäftigen, Herr Bundeskanzler. Ich habe in den USA auf die Frage: „Was ist der Hauptunterschied zwischen Helmut Schmidt und Ihnen?" nicht lange Reden gehalten - obwohl es auch möglich gewesen wäre, analytische Unterschiede zu machen und in die politische Praxis umzusetzen -, sondern gesagt: Der Hauptunterschied zwischen mir und Helmut Schmidt besteht darin, daß das, was ich hier zu Fragen der Reaktion auf die sowjetische Invasion in Afghanistan - Nichtteilnahme an den Olympischen Spielen, Maßnahmen auf handelspolitischem Gebiet und Verstärkung unserer Verteidigung einschließlich des Nachrüstungsbeschlusses - sage, von den beiden Unionsparteien vom ersten bis zum letzten Mann getragen wird, aber nicht von der SPD.
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Meine Ausführungen waren eigentlich mehr zur Situation in Europa und den USA nach Afghanistan gedacht. Aber man muß sich den Imponderabilien des Herrn Bundeskanzlers und seinen kurzen Fristen anpassen.
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Nun möchte ich zu dem Verhältnis zwischen Europa und den USA im Hinblick auf die Weltlage noch einige Bemerkungen machen.
Sie dürfen SPD-Interessen nicht mit deutschen Interessen gleichsetzen.
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Daß Sie in den USA ein größeres Vertrauenskapital als Ihre Partei haben, pfeifen, nicht nur bei uns, sondern auch in Washington die Spatzen von den Dächern. Wenn deshalb kritische Äußerungen, die mein gutes Recht sind, von Ihnen gewürdigt werden, so handelt es sich hier nicht um eine Verletzung der deutschen Interessen, sondern um eine Klarstellung der SPD-Politik, ihrer gefährlichen Hintergründe, ihrer Ungereimtheiten, ihrer Schwierigkeiten und ihrer Gefährlichkeiten.
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Zwar nicht durch die Gespräche mit den Mitgliedern der amerikanischen Regierung, einschließlich des Präsidenten, wohl aber durch sämtliche Gespräche mit allen parlamentarischen Rängen, nämlich mit Senatsmitgliedern, Representatives - es war eine stattliche Zahl; zwei Kollegen dieses Hauses, Herr Mertes und Herr Hans Klein, sowie das frühere Mitglied dieses Hauses, Herr Leisler Kiep, waren bei diesen Gesprächen mit den Parlamentariern dabei -, zog sich ein Wort, das ich im Laufe meiner nunmehr 25 Jahre Begegnungen in den USA überhaupt noch nie gehört, nie in dem Zusammenhang vernommen habe und in diesem Ausmaß auch gar nicht für möglich gehalten hätte: das Wort uncertainty, das Wort Unsicherheit: Wir sind von Unsicherheit erfüllt, von Unsicherheit darüber, wie es in Teheran ausgeht, von Unsicherheit darüber, was die Konsequenzen von Afghanistan sind, von Unsicherheit darüber, wie sich die Alliierten uns gegenüber verhalten - auch die Bundesrepublik Deutschland, obwohl sie nicht allein angesprochen war -, und von Unsicherheit darüber, wie sich die Zukunft der NATO, wie sich unsere Inflationsrate weiter entwickelt. Also: Unsicherheiten über Unsicherheiten!
Wenn Sie so tun, Herr Bundeskanzler, als ob alles in bester Ordnung sei, dann weiß ich nicht, ob Ihre Fähigkeit, sich selber zu täuschen, oder die Bereitschaft, die Umwelt zu täuschen, größer ist. Nach Ihrem Besuch hat der Mann, der ohne Zweifel das Vertrauen des amerikanischen Präsidenten hat, weil er in seiner engsten Umgebung - in täglicher Prüfung der Lage und notfalls Entscheidungsfindung - mit ihm zusammenarbeitet, der Sicherheitsberater „Zbig" Brzezinski, erklärt: Wir brauchen mehr greifbare Solidarität der Verbündeten, mehr handfeste Aktionen und nicht nur rhetorische Unterstützung. Dabei ist auch die Bundesrepublik nicht ausgespart worden.
Ich darf noch weiter gehen: Der langjährige Botschafter der Vereinigten Staaten bei der NATO, Herr Strausz-Hupé, hat in einem Aufsatz in „Policy Review" im Winter 1980 im summary geschrieben: „Die amerikanisch-deutsche Beziehung hat sich in alarmierender Weise verschlechtert."
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Er hat das doch nicht geschrieben, weil wir ihn dazu aufgefordert haben oder um uns einen Gefallen zu erweisen. Vielmehr hat er einfach das wiedergegeben - er ist Historiker, politischer Wissenschaftler, strategischer Wissenschaftler -, was für ihn das Fazit aus der Entwicklung der amerikanisch-deutschen Beziehungen der letzten Jahre ist. Das kann auch Ihre Person mit ihrer oft doppeldeutigen Aussagefähigkeit, Herr Schmidt, nicht aus der Welt schaffen, wenn ein bedeutender amerikanischer Diplomat sagt, daß sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen in alarmierender Weise verschlechtert hätten, wenn er sagt, Westdeutschland sei drauf und dran, seine Prioritäten in internationaler Politik zu überprüfen. Wenn es in der Moskauer Presse über Sie heißt, Sie hätten in Amerika Hoffnungen enttäuscht, dann kann ich Ihnen dazu nur gratulieren. Die Frage ist nur: Warum haben Sie überhaupt Hoffnungen geweckt? Hätten Sie keine geweckt, dann hätten Sie auch keine zu enttäuschen brauchen.
Sie sagen: Die Sowjetunion braucht einen psychologischen Schutzschirm, um aus Afghanistan abzie16632
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hen zu können. Gut, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es wenig Sinn hat, gegenüber einer Großmacht von Strafaktionen oder in ähnlicher Terminologie zu reden. Allerdings gibt es in der amerikanischen politischen Terminologie und in der unserigen gewisse Unterschiede, die mit der Tradition, mit dem Sinn eines Wortes usw. zusammenhängen. Aber statt von den Gemeinsamkeiten zu reden, betonen Sie immer wieder stark die Interessensunterschiede zwischen den USA Europa und der Bundesrepublik Deutschland.
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Das ist zwar - analytisch gesehen - nicht total falsch - schon die geographischen und geschichtlichen Unterschiede, die es zwischen uns gibt, bedeuten diesseits und jenseits spezifische Interessen dieser und jener Art -, aber was heute notwendig wäre, wäre, wie gesagt, von den Gemeinsamkeiten zu reden.
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Zu der Feststellung, daß die sowjetischen Panzer 50 km vor Hamburg stehen, ist zu sagen, daß diese Panzer bis nach Hamburg nicht mehr Zeit brauchen, als die sowjetischen Raketen brauchen, um die Industriegebiete Nordamerikas zu zerstören. Wir sitzen heute angesichts der Entwicklung und der modernen Technik - ob man „leider" oder „Gott sei Dank" sagt, spielt keine Rolle; das ist eine Tatsachenfeststellung - in ein und demselben Boot. Die Welt von heute kennt infolge der wissenschaftlich-technischen Entwicklung der letzten Generation auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik, der Verkehrstechnik, der Zerstörungstechnik keine Grenzen mehr. Darum steht die Sicherheit Washingtons auch in Hamburg auf dem Spiel. Darum steht aber auch die Sicherheit Hamburgs in Washington auf dem Spiel.
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Es wäre erforderlich gewesen, daß Sie diese Aspekte der Gemeinsamkeit der Interessen mit aller Deutlichkeit herausgestellt hätten.
Ein kluger deutscher Korrespondent hat als Bewertung Ihres Besuches geschrieben: Schmidt ist bei seinem Besuch in Amerika mit dem amerikanischen Präsidenten fertig geworden, aber er ist nicht mit den Senatoren und den Kongreßabgeordneten, mit der amerikanischen Bevölkerung, mit den Zeitungen und den Medien fertig geworden. - Hier ist einer der ganz großen Unterschiede zwischen der kommunistischen Führungsform, wie es sie in der Sowjetunion und anderswo gibt, und der demokratischen Führungsform angesprochen. Herr Breschnew braucht keine Rücksicht auf eine öffentliche Meinung zu nehmen. Es gibt auch in Diktaturen eine öffentliche Meinung, die sich unter der Decke bildet. Es gibt dort aber keine öffentliche Meinung im Sinne einer gestaltenden Kraft. In den USA wird der Entscheidungsspielraum des Präsidenten durch die sehr leicht ansteigende oder auch wieder abebbende öffentliche Meinung bestimmt. Wenn Sie beim amerikanischen Präsidenten - darüber haben wir uns ja alle gefreut; niemand hat Sie doch deshalb kritisiert - zu einer guten Verständigung gekommen sind, nicht zuletzt auch deshalb, weil natürlich in Amerika die Verwaltung wegen der Abstimmungsprobleme im Sicherheitsrat im Zusammenhang mit der Resolution, die den Nahen Osten betraf - zuerst wurde mit Ja, dann mit Nein gestimmt -, gewisse Schwierigkeiten hatte - und dies haben Sie ja klug in Ihr Kalkül eingestellt; es ist auch Ihr gutes Recht gewesen, das zu tun -, so muß dennoch festgehalten werden: Die Verständigung mit dem amerikanischen Präsidenten und die höfliche Ausdrucksform im Kommuniqué täuschen nicht darüber hinweg, daß die Psychologie der öffentlichen Meinung in den USA beim Bürger, in den Massenmedien und bei den Mitgliedern der beiden parlamentarischen Körperschaften auf dem Capitol Hill gegenüber Europa und auch gegenüber der Bundesrepublik sich entscheidend verschlechtert hat. Dies ist ein Tatbestand, den Sie bei einem solchen Bericht zur Lage der Nation wirklich einmal herausstellen und analysieren sollten; zugleich sollten Sie Ihre Vorschläge darlegen, wie man das Problem, welches sich jetzt stellt, lösen kann.
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Haben Sie denn nicht bereits auf dem Rückflug aus den USA wie der Bonner Korrespondent der „New York Times" geschrieben hat, den Olympiaboykott wieder als eine Maßnahme kritisiert, die dem Ost-West-Dialog nur im Wege stehe? Die „New York Times" hat dazu geschrieben, Herr Bölling habe versucht, diesen Satz aus dem Interview wieder herauszustreichen; Sie hätten . aber darauf bestanden, daß dieser Satz im Interview bleibt. - Sie haben insoweit recht gehabt, als dieser Satz wirklich Ihre Meinung ausdrückt. Wenn Sie die amerikanische Presse regelmäßig lesen, wissen Sie doch, daß sich durch sie wie ein roter Faden die Sorge zieht, daß der Unterbau der NATO allmählich zu wanken beginnt, daß das amerikanisch-europäische Verhältnis einer Erosion unterliegt. Sie haben dieser Erosion durch Ihre Bemerkungen psychologischen Vorschub geleistet, sie aber nicht bekämpft.
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Es ist auch kein Zufall, daß in der „New York Times" noch am 15. März dieses Jahres, also nach Ihrem Besuch - diese Zeitung hat sich ja nicht gerade wie früher, als es um die Frage der Ostpolitik und anderer damit zusammenhängender Probleme ging, vor Bewunderung für die CDU/CSU überschlagen
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- tempora mutantur et nos mutamur in illis, Herr Professor -,
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zu lesen war: NATO out to lunch. Das heißt: Unsere Bundesgenossen sind beim Frühstück; sie kümmern sich nicht um unsere Probleme; sie kümmern sich nicht um unsere Schwierigkeiten; sie kümmern sich nicht um unsere Belastungen. Solche Artikel, wie man sie quer durch die gesamte amerikanische Presse, bis nach Los Angeles hinüber, auch im „Kansas
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City Star" feststellen kann, machen mehr amerikanische Psychologie als ein Kommuniqué, das drüben sowieso kaum jemand gekannt hat. Das sind doch die Probleme.
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Deshalb darf ich hier die Haltung - weil ich deswegen angegriffen worden bin -, die ich in den USA eingenommen habe, mit wenigen Sätzen klarlegen. Ich habe gesagt - und dabei auf die Rede von Herrn Dr. Kohl im Deutschen Bundestag hingewiesen -, daß wir die Nichtteilnahme an den Olympischen Spielen in Moskau als einen Teil der Gegenmaßnahmen, der Reaktion auf Afghanistan, von Anfang an gefordert und von Anfang an für richtig gehalten haben. .
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Ich bin nicht der Meinung, daß Sport und Politik deckungsgleich sind. Wenn man aber weiß, wie im Jahre 1936 der internationale Durchbruch des Nationalsozialismus, die internationale Aufwertung und Anerkennung, durch die Spiele in Berlin nachdrücklich gefördert worden ist - obwohl damals das Deutsche Reich noch keinen Nachbarn überfallen hatte -, wird man jetzt sagen dürfen, daß die Voraussetzungen für die Olympischen Spiele nicht vorliegen.
Außerdem: Was soll denn dieses Versteckspiel hinter dem 24. Mai, für den die Beschlußfassung durch das Internationale Olympische Komitee geplant ist? Wenn sich das Olympische Komitee für Moskau ausspricht, möchte ich sehen, ob Sie es dann wagen, sich auch für Moskau auszusprechen, wenn die Amerikaner nicht hingehen. Da sich die Amerikaner aber festgelegt haben, der von ihnen festgelegte Zeitpunkt abgelaufen ist, wäre es auch im deutschen Interesse und im Interesse der Gemeinsamkeit, der so oft beschworenen Solidarität gewesen, diese Erklärung jetzt abzugeben, statt sich hinter solchen dubiosen Terminen zu verstecken, wie Sie es opportunistisch getan haben.
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Ich habe auch die Bereitschaft der CDU/CSU - auch für die Zeit nach den Wahlen - erklärt, wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Sowjetunion als Teil der auf die Bundesrepublik entfallenden Bürde zu tragen. Ich muß mich nur dagegen wehren, daß, sei es aus Unkenntnis, sei es durch absichtliche Verdrehung, falsche Vorstellungen verbreitet werden. Ich darf die Stichworte nennen. Ich habe ersten gesagt: Geltende Verträge müssen eingehalten und abgewickelt werden. Ich habe zweitens gesagt: Die Bundesgenossen der Sowjetunion sollen in solche Maßnahmen nicht automatisch einbezogen werden - das ist auch die Meinung der Amerikaner auf diesem Gebiet -, es sei denn, daß sie der Umgehung dieser Maßnahmen nachhaltigen Vorschub leisteten. Das sei eine neue Lage. Ich habe ja zu einer neugefaßten, erweiterten COCOM-Liste gesagt. Ich habe meine schweren Bedenken - ich glaube hier mit dem Bundeswirtschaftsminister wenigstens ein bißchen gemeinsam zu sein - gegen die Barter-Geschäfte geäußert, die darin bestehen, daß industrielle Anlagen geliefert und mit der Produktion dieser Anlagen im Wege des Tausches gezahlt bzw. der Kredit abgetragen wird. Ich habe es für selbstverständlich gehalten, daß wir nicht in andere Verträge eintreten und uns damit einen Vorteil verschaffen, während sich andere den Nachteil einhandeln.
Jetzt komme ich zu einem entscheidenden Punkte: Wenn wirtschaftliche Maßnahmen - und das sind im Sprachgebrauch doch Sanktionen - in Betracht gezogen werden, dann nicht im deutschen Alleingang! Wir allein können nicht sagen: „Wir ergreifen diese oder jene Maßnahme", wenn sich die anderen daran nicht beteiligen. Ich habe erklärt: Eine CDU/CSU-bestimmte Regierung wäre bereit und wird bereit sein, sich an wirtschaftlichen Maßnahmen gemeinsamer Art zu beteiligen. Sanktionen sind das Gegenteil von normalem Handelsverkehr. Das würde auch bedeuten, daß normale Bedingungen, die bisher mit Recht gegolten haben, die wir auch gerne für die Zukunft gelten lassen würden, wenn die internationale Atmosphäre es erlaubte, zeitweise eingeschränkt oder aufgehoben werden können - nicht mehr und nicht weniger.
Dann war natürlich noch von den militärischen Maßnahmen die Rede. Hier haben wir, Herr Kohl, Herr Zimmermann und ich, dem Herrn Bundeskanzler in der Besprechung am 24. Januar unsere Meinung zu einigen Maßnahmen gesagt. Ich möchte sie hier im einzelnen nicht wiederholen. Ich möchte allerdings sagen: Uns unterscheidet von der Bundesregierung, von dem sozialdemokratischen Teil der Bundesregierung, natürlich etwas ganz gewaltig: Wir sind der Meinung, daß erhebliche Mehrausgaben für unsere Sicherheit nicht durch Aufstockung des ohnehin schon riesigen Kreditpotentials finanziert werden dürfen. Die Vorstellung, man könne dies allein durch Kredite bewältigen, ist eine der gefährlichen Vorstellungen, die bei den Amerikanern zum Verfall ihrer Währung geführt haben. Sie waren doch derjenige, Herr Bundeskanzler, der seinerzeit im Hinblick auf die Vorgänge in Vietnam am stärksten erklärt hat: Die Amerikaner wollen ihre Ausgaben mit Kredit finanzieren und bringen deshalb die ganze internationale Währungslage durcheinander.
Sie haben heute gesagt: Wenn der Frieden in Afghanistan nicht wiederhergestellt wird, ist eine gemeinsame Konsequenz unvermeidlich. Ich möchte von Ihnen gern wissen, was das heißt. Es geht in Afghanistan doch nicht um die Wiederherstellung allein des Friedens. Das kann ja auch ein Kirchhofsfrieden sein. Es kann ein Frieden sein, der diesem Volk nach einem Blutbad ohnegleichen als Frieden der Waffengewalt aufgezwungen wird. Aber das verstehen wir nicht unter Frieden. Unter Frieden für Afghanistan verstehen wir die Neutralität, die Integrität und die Souveränität dieses Landes und seiner Bevölkerung, sein Schicksal selber bestimmen zu können.
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Deshalb sollte man doch im Hinblick auf solche Vorwände, die man vor sich herschiebt, als Regierungschef eine realistischere Einschätzung und eine mutigere Haltung haben.
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Zur Zeit ist es so - das wissen Sie mindestens so gut wie ich -, daß sich der Aufmarsch der Roten Armee in Afghanistan mit Nachschub von Reserven laufend weiter vollzieht und verschärft. Sie wissen, daß die Rote Armee diesmal im Gegensatz zu Prag eine perfekte Organisation und einen planmäßigen Ablauf aufweisen kann und nunmehr ohne Zweifel auch eine größere Risikobereitschaft aufbringt, weil man im Westen - Stichworte „Angola" und „Äthiopien" - zu der falschen Schlußfolgerung gelangt ist, die sowjetische Machtpolitik könne sich alles erlauben. Mit einer ernsthaften westlichen Reaktion war nicht mehr zu rechnen.
In der Nähe der iranischen Grenze werden Depots, Startbahnen, Landebahnen, Helikopterlandefelder angelegt. Sie wissen doch, daß zur Zeit die sowjetische Frühjahrsoffensive zum Teil vorbereitet wird, zum Teil abläuft und daß hier mit Einsatz modernster Massenvernichtungsmittel, mit Einsatz modernster Waffentechnik, mit Einsatz von Hubschraubern, mit Napalmbomben und sogenannten Kugelbomben, mit Einsatz von MIG 23 und auch durch grausamste Behandlung der Frauen und Kinder in diesem Einsatzgebiet ein Terror ausgeübt wird, mit dem man hofft, die Härte des Widerstands der islamischen Rebellen oder der moslemischen Freiheitskämpfer brechen zu können, Man verfährt nach der Überlegung: Wenn, dann muß so zugegriffen werden, daß der Widerstandswille auch durch Einsatz der grausamsten Vernichtungsmittel erstickt wird. Das ist zur Zeit doch die Politik in Afghanistan. Deshalb ist es beinahe kindisch, zu sagen: Wir erwarten jetzt den Rückzug der sowjetischen Truppen; wir wollen den Sowjets eine Chance geben, ihre Truppen zurückzuziehen.
Es ist das Wort „Neutralisierung" in die Debatte geworfen worden. Was heißt denn Neutralisierung? Neutralisierung heißt: Weder die Sowjetunion noch die USA sollen das Land kontrollieren. Das Land soll weder dem einen noch dem anderen Block angehören. Es soll blockfrei sein. Es soll Souveränität und Integrität haben. Und es soll über sich selbst bestimmen können.
Täuschen Sie sich nicht darüber hinweg - ich sage es nicht im Ton der Gehässigkeit, nicht im Sinne einer moralischen Verdammung des Herrn Breschnew; ich selber halte ihn für einen großen Staatsmann, aber für einen solchen, der einen anderen moralischen Violinschlüssel hat, als wir ihn im Westen haben -: Unter Neutralität verstehen die Sowjets doch die Aufrechterhaltung eines Regimes ihrer Farbe, die Aufrechterhaltung eines Regimes, wie sie es mit Abu Daoud, mit Taraki, mit Amin und jetzt mit Karmal versucht haben. Dieses Regime kann sich ohne sowjetische Militärpräsenz nicht halten, weil es die moslemischen Freiheitskämpfer vertreiben würden. Aus diesem Grunde ist Afghanistan - das möchte ich hier noch einmal sagen - ein Wendepunkt entweder zum Guten oder zum Schlechten. Die westliche Politik muß darauf abgestellt sein, Afghanistan zu einem Wendepunkt zum Guten zu machen.
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Das erfordert aber auch, daß wir bereit sind, gewisse Opfer und Lasten und Risiken auf uns zu nehmen. Ich verwahre mich einfach gegen den intellektuellen Leichtsinn, den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan als ein unüberlegtes Abenteuer, als einen Dummenjungenstreich darzustellen.
Der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan ist ein logischer Schritt im Rahmen ihres gesamtstrategischen Konzeptes.
Der Einmarsch dient natürlich der Vorbereitung der Kontrolle über die arabischen Ölländer.
Er bedeutet Einschüchterung und Beherrschung Pakistans, besonders Belutschistans.
Er bedeutet Zugang zum Indischen Ozean, mit Verlegung eines Teiles der sowjetischen Pazifikflotte nach Südvietnam.
Er bedeutet eine Warnung an die Volksrepublik China, deren Einkreisung ausgedehnt wird.
Er bedeutet eine Einkreisung des Irans zu 50 %.
Er bedeutet die Vorbereitung der militärischen Ausgangsposition für die Zukunft Irans. Denn die Sowjets rechnen damit, daß die staatliche Einheit Irans unter dem Druck chaotischer Entwicklungen zerfallen wird. Für diesen Fall hat die Sowjetunion sich ihre Ausgangsposition heute schon ausgebaut. Sie baut ihre Flugplätze, ihre Munitionslager nicht an der pakistanischen Grenze aus, sondern zur Zeit an der iranischen Grenze. Aber Pakistan ist ohnehin eingeschüchtert. Eingeschüchtert ist auch Indien. Die arabischen Staaten werden eingeschüchtert. Ihre politischen Führungssysteme sollen destabilisiert und umgestürzt werden. Siehe die militärischen Vorbereitungen in Südjemen. Wir dürfen bei aller Aufmerksamkeit für das Afghanistan-Problem die Vorgänge in Südjemen nicht übersehen. Sonst passiert es uns wieder, daß wir nach einem bestimmten Krisenschwerpunkt sehen, während der nächste schon im vollen Aufbau ist. Herr Bundeskanzler, es wäre eines Regierungschefs würdig und angemessen gewesen, hier, wenn es um die Lage der Nation geht, das in aller Offenheit einmal darzustellen.
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Das Ziel des Einmarsches in Afghanistan ist doch die Schaffung eines zusammenhängenden Einflußbereiches vom Norden Afghanistans bis zu den Grenzen Südafrikas. Ich begrüße es, wenn Ministerpräsident Mugabe mit partnerschaftlicher Hilfe unterstützt wird - aber unter der Voraussetzung, daß er sein viele Jahre verkündetes Konzept eines marxistischen Einheitsstaates mit kommunistischer Führung aufgegeben hat. Sonst würde aus den Ereignissen in Rhodesien für uns eine unübersehbare Fülle neuer Belastungen, auch in der Lösung der Namibia-Frage, auch für die Zukunft und die friedliche Entwicklung Südafrikas herauskommen.
Der Einmarsch bedeutet doch auch eine massive psychologische Einwirkung auf die Blockfreien. Die Blockfreien sollen den Eindruck kriegen, nur die Macht der Sowjetunion zähle, keine andere Macht zähle mehr.
Dann steht doch dahinter, daß man an die Veränderung der strategischen Lage denkt - und daß
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({96}) Afghanistan ein strategisches Schlüsselland ist, braucht man hier nicht noch einmal mit allen Gründen, warum es so ist, zu wiederholen; die Geschichte und die Gegenwart beweisen es. Aber die Veränderung der strategischen Lage erfordert nach Meinung der Sowjetunion eine angemessene geopolitische Umverteilung oder Neuverteilung. Die Sowjets ziehen aus der Tatsache ihrer militärischen Kontrolle über Afghanistan die Schlußfolgerung, daß nun ein geopolitisches reassessment zu erfolgen habe, eine geopolitische Neuverteilung. Sie ist die Startbahn für die nächste Neuverteilung, die dann in Anspruch genommen wird.
Schließlich ist es ein Hauptinteresse, die amerikanischen von den europäischen Interessen abzutrennen. Tun Sie bitte alles, Herr Schmidt, auch Herrn Breschnew klarzumachen, daß es für uns unerträglich ist, zu hören, Carter-Politik sei Kriegspolitik, und „Wenn ihr Friedenspolitik wollt, müßt ihr euch von den Vereinigten Staaten von Amerika abwenden". Steter Tropfen höhlt den Stein, schafft psychologische Bewußtseinslagen.
Einen großen Vorteil haben die Sowjets - neben vielen Nachteilen ihres Systems -: daß sie mit langfristigen Entwicklungslinien rechnen können, daß sie Kampagnen einleiten können für Ziele, deren Erreichung im Augenblick utopisch scheint, die 10, 20, 30 Jahre noch in der Zukunft liegen, während wir, auch die Amerikaner, immer sehr pragmatisch fragen: Was können wir jetzt tun, was können wir bis morgen früh tun? Wir müssen uns wieder auf langfristige Entwicklungslinien einrichten. Wir müssen solche wieder gemeinsam erarbeiten.
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Deshalb kann ich nur beschwörend darum bitten, daß wir zu einer übereinstimmenden Lagebeurteilung zwischen den USA und Europa, zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland kommen, daß wir als Volk in dieser Lagebeurteilung von gemeinsamen Interessen reden, in gemeinsamen Interessen denken und in gemeinsamen Interessen handeln. Ich erinnere an das Gerede von Freundschaft und Solidarität. Freundschaft hat man ja mit allen auf der Welt. Solidarität hat den faulen, faden Beigeschmack: An sich wollen wir ja gar nicht, aber wenn die Amerikaner nicht nach Moskau gehen, dann müssen wir uns eben an dem Unsinn beteiligen, weil wir angesichts unserer Gebundenheit leider nicht anders können. Hoffentlich wird es morgen anders werden. - Nein, wir müssen aus eigener Lagebeurteilung und aus eigener politischer Entscheidungsfähigkeit handeln.
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Daraus sollte ein politisches Gesamtkonzept erwachsen.
So leid es mir tut, das sagen zu müssen: Der Sowjetunion muß klargemacht werden, daß sich ihr Risiko erhöht hat und daß das Risiko bei einem nächsten Schlag unkontrollierbar würde, daß der point of no return überschritten werden könnte, der Punkt, von dem es leider keine Rückkehr mehr gibt.
Wir sollten doch sehen, daß unsere wirtschaftlichen und militärischen Sicherheitsinteressen heute zusammenfließen. Energie wird das große Thema der letzten zwei Jahrzehnte dieses und der ersten drei Jahrzehnte des nächsten Jahrhunderts werden. Die Verfügungsgewalt oder die Nicht-Verfügungsgewalt über Energie und Rohstoffe bestimmt die Stabilität unserer demokratischen Industriegesellschaften. Hier sollten wir nicht vergessen, .daß die Vereinigten Staaten von Amerika in der Lage sind, sich mit einem großen Kapitalaufgebot - das ist für sie kein Problem - in zehn, längstens fünfzehn Jahren selbständig zu machen. Welches Interesse sollten sie dann noch haben, für diejenigen einzustehen, die sich leider wegen .anderer geographischer und geologischer Voraussetzungen nicht selbständig machen können, aber auch nicht die militärische Kraft und auch nicht die Glaubwürdigkeit haben, ihre Interessen in diesem Krisengürtel, in dem Erdöl und Rohstoffe produziert werden, gebührend zur Geltung zu bringen? Das sind doch die Probleme der Lage der Nation. Das sind doch die Probleme langfristiger Art. Das sind doch die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen. Über diese sollten wir diskutieren und über diese sollte der Regierungschef berichten und im Hinblick auf diese sollte er auch in aller Offenheit sagen, was an Opfern, was an Bürden, was an Schwierigkeiten auf uns zukommt. Das würde der Einheit der demokratischen Kräfte dienen; das würde das mutwillig zerstörte Problembewußtsein wiederherstellen helfen, und das wäre ein realistischer Ausgangspunkt, um endlich einmal mit dem Problem Afghanistan eine Wende in der Welt zugunsten der Freiheit herbeizuführen.
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Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema der Aussprache des heutigen Tages ist die Beantwortung der Frage, wie das politische Ziel der Bundesrepublik Deutschland, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt, unter den gegebenen Bedingungen der internationalen Lage mit Erfolg verfolgt werden kann. Wir haben in der Rede, die wir soeben gehört haben, dazu keine Hinweise vernommen.
({0})
Meine Damen und Herren, mit dem Brief zur deutschen Einheit sind diese bestimmenden Elemente der Deutschlandpolitik Bestandteil des Vertragswerks der Bundesrepublik Deutschland geworden, das nach der Westintegration die vertraglichen Grundlagen für die Politik der Entspannung und des Ausgleichs mit unseren Nachbarn im Osten und mit der DDR geschaffen hat. Das, Herr Kollege Strauß, ist das Bekenntnis, daß wir uns mit der deutschen Teilung nicht abfinden werden. Dieses Bekenntnis ist nicht verbal, sondern es ist Teil eines Vertrags16636
werkes, zu dem wir stehen und zu dem auch Sie sich bekennen.
({1})
Wenn diese Debatte ihren Sinn erfüllen soll, dann muß sie natürlich auch die Frage beantworten, was die Deutschen und ihre Verbündeten jetzt tun können, um im geteilten Deutschland die Wirkungen der internationalen Krise nicht stärker als an anderer Stelle wirksam werden zu lassen. Der Wille zum Frieden, das Bekenntnis zur Einheit der Nation - dieses Bekenntnis schließt die eine deutsche Staatsangehörigkeit ein -, der Wille zur Ausübung des unveräußerlichen Selbstbestimmungsrechts und die Entschlossenheit, dieses Recht mit friedlichen Mitteln im Rahmen einer europäischen Friedenslösung zu verwirklichen, das sind die tragenden Grundsätze der Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland.
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In der Aussprache über die Regierungserklärung zur Lage der Nation ist es wichtig, diese Grundsätze hervorzuheben; denn sie bestimmen auch das Maß der Verantwortung deutscher Politik im Rahmen des Bündnisses und bei der Sicherung des Weltfriedens. Hier liegt der Grund für die Feststellung am Ende meiner Rede am 17. Januar dieses Jahres. Ich habe damals gesagt:
Deshalb gibt es auch keine politische Entscheidung, die wir treffen können und dürfen, ohne dabei an Dresden .und Weimar, an Halle und Magdeburg, an Rostock und Greifswald zu denken. Im Bewußtsein dieser Verantwortung, ..., wollen wir weiterarbeiten für Frieden, Sicherheit und Entspannung, soweit das an uns selbst liegt.
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Der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung eine nüchterne Bilanz der Ergebnisse der Politik für Deutschland seit dem 21. Mai 1970 gegeben, als der damalige Bundeskanzler Willy Brandt in Kassel die Vorstellungen der Bundesregierung über die Grundsätze und Elemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vorlegte. Es ist offenkundig, daß nicht alles erreicht wurde; aber wir sollten uns einig darin sein: Nichts von dem, was erreicht wurde, wollen die Menschen im geteilten Deutschland wieder aufgeben.
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Wer das von 1970 bis 1980 Erreichte kritisiert - es ist das gute Recht der Opposition, hier eine kritische Analyse vorzunehmen -, der muß sich auch die Frage gefallen lassen, was er auf dem gleichen Wege in denselben Fragen in der Zeit seiner Regierungsverantwortung hat durchsetzen können.
({5})
- Verehrter Herr Kollege, wir waren nicht immer dabei. Im übrigen unterscheiden wir uns dadurch von Ihnen, daß wir die Kraft haben, das anzuerkennen, was andere für unser Land geleistet haben.
({6})
Deshalb ist z. B. in der gemeinsamen Erklärung des Bundeskanzlers mit dem amerikanischen Präsidenten von dem die Rede, was in den letzten zwei Jahrzehnten, also auch in der Zeit, in der Sie Regierungsverantwortung getragen haben, erreicht worden ist.
({7})
Wir haben die Verantwortung und die Pflicht, alles zu tun, um das Erreichte zu bewahren und den Weg für weitere Fortschritte zu ebnen. Ich denke, die Einheit der Nation, der Menschen hüben und drüben hat sich selten so deutlich dokumentiert wie in diesen Wochen, in der Sorge um den gemeinsamen Frieden, um die Sicherung des gemeinsam Erreichten, um die Menschenrechte und um weitere praktische Fortschritte. Die Verantwortlichen in der DDR sollen wissen, daß sie in uns Partner finden für jeden Schritt, der uns diesen Zielen näher bringt, Zielen, von denen wir wissen, daß sie die Deutschen in Ost und West gemeinsam wollen.
Die weltpolitische Lage berührt direkt auch die Lage der deutschen Nation. Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Jahrzehnten manche Krise erlebt, die ihren Ursprung im geteilten Deutschland hatte. Andere Krisen hatten ihren Ursprung im geteilten Europa. Daß es diesmal anders ist, beurlaubt uns nicht von der Geschichte, und es verleitet uns nicht zu der Illusion, die Sache in Afghanistan gehe uns nichts an. Entspannung ist unteilbar, und Selbstbestimmungsrecht und politische Unabhängigkeit sind unveräußerliche Rechte. Ihre Wahrung bringt Völker und Staaten unabhängig von ihrer geographischen Entfernung einander nahe.
Die Lage der Nation im geteilten Deutschland veranlaßt uns immer wieder, in der krisenhaften Entwicklung unserer Tage mit großer Sorgfalt darauf zu achten, wie wir Auswirkungen dieser Entwicklung vermeiden können, die uns besonders treffen oder betreffen. Wir müssen uns dabei bewußt sein, daß alle Fortschritte im geteilten Deutschland nur möglich waren zusammen mit unseren Partnern und Verbündeten. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft und die Mitgliedschaft im Nordatlantischen Bündnis sind die unverzichtbaren Fundamente, und sie sind nicht Behinderungen für jede realistische Politik der Entspannung und des Ausgleichs mit dem Osten.
Die Ziele unserer Deutschlandpolitik, wie ich sie hier dargelegt habe, sind deshalb nur verfolgbar zusammen mit unseren westlichen Partnern und nicht ohne sie.
({8})
Nur in der Gemeinschaft mit unseren Partnern und Verbündeten können wir diese Ziele verwirklichen.
Eines der bedeutendsten Dokumente der Nachkriegsgeschichte ist der Deutschland-Vertrag, dessen Inkrafttreten sich am 5. Mai dieses Jahres zum 25. Male jährt. In diesem Vertrag identifizieren sich die Drei Mächte - die Vereinigten Staaten, Frankreich und das Vereinigte Königreich - mit den Zielen unserer Deutschlandpolitik, und sie bekennen sich zu ihren Verantwortlichkeiten. Zahlreiche Dokumente der folgenden Zeit beziehen alle unsere Partner, also nicht nur diese drei, in die gemeinsamen Ziele ein.
Meine Damen und Herren, was mindestens so bedeutsam ist, ist die tatsächliche Unterstützung, die wir bei jeder Gelegenheit für unsere deutschen Anliegen erfahren haben. Deshalb ist unsere Zugehörigkeit zur westlichen Gemeinschaft und zum Nordatlantischen Bündnis auch Ausdruck des gemeinsamen Interesses auch in der nationalen Frage der Deutschen. Das Bewußtsein, daß das Bündnis und die Gemeinschaft Schicksalsgemeinschaften der Freiheit sind, die auf gemeinsamen Sicherheitsinteressen und gemeinsamen Wertvorstellungen beruhen, umfaßt auch die im Brief zur deutschen Einheit genannten Elemente der Deutschlandpolitik. Diese Feststellung unterstreicht unsere Überzeugung, daß die Interessen der Deutschen und ihre Wahrnehmung Ausdruck westlicher Einheit und nicht unterschiedlicher Interessen im westlichen Lager sind.
({9})
Das alles ist gemeint, wenn von der Solidarität im westlichen Bündnis, von der Solidarität zwischen Europäern und Amerikanern und von der Solidarität zwischen Deutschen und Amerikanern die Rede ist.
Meine Damen und Herren, unsere Mitwirkung im Bündnis bedeutet also deshalb keinen Gegensatz zu den Interessen der staatlich geteilten Nation. Im Gegenteil: Unsere Landsleute in der DDR wissen, daß unsere Freiheit ihre Hoffnung ist und daß unsere Freiheit von denselben Bedingungen abhängt, die auch unsere Sicherheit gewährleisten, und sie wissen, daß für uns Deutsche der Frieden ebenso unteilbar ist wie die Nation.
Der Wille zur Überwindung der Krise, die durch die sowjetische militärische Intervention in Afghanistan ausgelöst wurde, ist von der Bundesregierung in den Aussprachen am 17. Januar 1980 und am 28. Februar 1980 zum Ausdruck gebracht worden. Das damals Gesagte hat heute unverändert Gültigkeit.
Wesentliche Elemente der gemeinsamen Bemühungen der westlichen Staaten sind entweder durchgeführt, oder sie werden fortgeführt. Die Bundesregierung hat zur gemeinsamen Verteidigung in der Sitzung des Bundessicherheitsrates wichtige Entscheidungen getroffen. Die Europäische Gemeinschaft hat am 25. Februar 1980 das Kooperationsabkommen mit Jugoslawien paraphiert. Am 7. März 1980 ist der früher angekündigte Vertrag mit den ASEAN-Staaten unterzeichnet worden. Die Sondierungen mit den Golf-Staaten laufen. Die Anstrengungen für eine wirksame Hilfe für die Türkei sind durch die Bemühungen des Bundesministers der Finanzen wesentlich gefördert worden. Ich sage Ihnen: Gäbe es unsere Bemühungen nicht, gäbe es noch keine reale Aussicht auf Hilfe für die Türkei. Das ist überhaupt nicht zu bestreiten.
({10})
Im Simbabwe ist durch die Abhaltung von Wahlen, die als fair und gerecht bezeichnet wurden, ein bedeutsamer Schritt in die Unabhängigkeit getan und damit der Weg der Verhandlungslösung beschritten worden. Die Bemühungen um Unterstützung für die Lösung der Nahostfrage durch Garantie des Existenzrechts Israels in sicheren Grenzen und des Rechts das palästinensischen Volkes, sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben, gehen weiter.
Das heißt, in den sich immer deutlicher abzeichnenden Konturen eines westlichen Gesamtkonzepts als Antwort auf die sowjetische Herausforderung wurden wesentliche Schritte getan, Schritte, die zum Gegenstand haben die Stärkung der Verteidigungskraft des Bündnisses, Schritte, die zum Gegenstand haben Maßnahmen zur Wahrung eigener strategischer Interessen im wirtschaftlichen Bereich, Schritte, die zum Gegenstand haben Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit der blockfreien Staaten.
Wer das deutsch-amerikanische Verhältnis und wer unsere Position im westlichen Bündnis zutreffend bewerten will, kann nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Gesamtkomplex ein ganz erheblicher ist. Das wird in den Vereinigten Staaten auch anerkannt.
({11})
Teil des westlichen Gesamtkonzepts ist der Vorschlag der europäischen Außenminister vom 19. Februar 1980, ein Vorschlag, der immer mehr internationale Unterstützung findet. Dieser Vorschlag ist der aufrichtige Versuch, einen Weg aus den unmittelbaren Ursachen der Afghanistan-Krise zu weisen. Deshalb ist es das Ziel dieses Vorschlages - wie auch des Beschlusses der Vereinten Nationen -, den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan herbeizuführen. Der Vorschlag unternimmt den Versuch, für diesen Rückzug Rahmenbedingungen zu schaffen, die den künftigen Status von Afghanistan so stabilisieren, daß dieses Land weder Gegenstand machtpolitischer Bestrebungen anderer Staaten werden kann noch daß von Afghanistan eine Gefahr für irgend jemanden, also auch nicht für die Sowjetunion, ausgehen kann. Ein solcher Status Afghanistans ist nur erreichbar, wenn sein blockfreier Status, seine politische Unabhängigkeit und seine territoriale Integrität von allen Seiten respektiert werden und wenn sich niemand in die inneren Angelegenheiten dieses Landes einmischt. „Alle Seiten" heißt auch hier: auch die Sowjetunion. Die Sowjetunion sollte den Willen zu einer konstruktiven
Lösung, der in diesem Vorschlag liegt, ernst nehmen.
In der Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1980 habe ich erklärt:
Die Zielrichtung der sowjetischen Intervention in Afghanistan ist eindeutig. Sie ist Ausdruck einer Gesamtstrategie, den Einflußbereich dort auszubauen, wo Stabilität fehlt, wie sie in Europa vorhanden ist, und wo dies ohne größere Risiken möglich erscheint. Sie ist, konkret ausgesprochen, im mittelöstlichen Bereich auch Ausdruck der Gesamtstrategie, zu den „warmen Gewässern" vorzustoßen und zugleich Einfluß auf die Energiequellen und Rohstoffe der Region zu gewinnen.
Meine Damen und Herren, die Sowjetunion bezeichnet diese Feststellung als Unterstellung. Sie könnte durch ein Eingehen auf den europäischen Vorschlag ein Zeichen setzen, daß sie ernsthaft von dieser Strategie abrücken will.
({12})
Die bisherigen Reaktionen der Sowjetunion auf diesen Vorschlag geben wahrhaft keinen Anlaß zum Optimismus. Es fehlt an den notwendigen eindeutigen und greifbaren Hinweisen, die Aussichten für den Beginn eines Verhandlungsprozesses eröffnen könnten. Vor allem sind öffentlichen Erklärungen, in denen von Voraussetzungen eines sowjetischen Rückzugs die Rede war, keine entsprechenden Taten gefolgt. Im Gegenteil, die Aktionen der sowjetischen Interventionstruppen in Afghanistan sprechen eine andere Sprache.
Dennoch, meine Damen und Herren, würden wir alle unsere Pflicht versäumen, wenn wir nicht jede - auch die geringste - Möglichkeit nutzen würden, um auf unsere Weise mit politischen Mitteln - durch das Gespräch, durch die Verhandlung - zur Überwindung der Krise beizutragen. Dazu bedarf es aber vor allem der notwendigen Schritte der Sowjetunion.
Das gilt übrigens auch für die Olympiafrage, die hier eben noch einmal angesprochen worden ist. Nicht wir gefährden die Durchführung der Olympischen Spiele, sondern die Sowjetunion gefährdet sie durch ihre Intervention, und zwar gefährdet sie auch unsere Teilnahme. Sie allein kann sie durch den Rückzug ihrer Truppen aus Afghanistan möglich machen. Deshalb muß die Sowjetunion die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Mannschaften aus allen Staaten der Welt an den Spielen teilnehmen können. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, und ich habe leider heute nicht mehr Anlaß als bei meiner letzten Rede vor dem Deutschen Bundestag zu der Erwartung, sie könnten noch rechtzeitig geschaffen werden.
Aber, meine Damen und Herren, die Haltung der Bundesregierung ist eindeutig.
({13})
- Herr Kollege Marx, wenn wir uns bemühen, eine
gemeinsame europäische Haltung, eine gemeinsame Haltung der Neun in unserem - d. h. auch im
europäisch-amerikanischen - Sinne herbeizuführen, ist das nicht ein Schlag gegen das europäischamerikanische Verhältnis, sondern das Ringen darum, auch in einer solchen schwierigen Frage eine gemeinsame europäisch-amerikanische Position zustande zu bringen.
({14})
Meine Damen und Herren, den Erklärungen der Sowjetunion, in denen von den Voraussetzungen eines Rückzugs die Rede war, sind entsprechende Taten nicht gefolgt. Dennoch sind wir der Meinung - ich unterstreiche das noch einmal -, daß wir in dieser schwierigen Lage den Gesprächsfaden mit dem Osten nicht abreißen lassen dürfen. Wir als Deutsche haben in dieser weltpolitischen Krise bei der Behandlung des Berichts über die Lage der Nation die Auswirkungen dieser Krise auf die Entspannungspolitik in Europa und auf das Ost-West-Verhältnis insgesamt besonders zu würdigen.
Die sowjetische Intervention in Afghanistan hat gegenüber früheren Aktionen dieser Art außerhalb Deutschlands - ich erwähne Ungarn 1956 und Prag 1968 - die zusätzliche Bedeutung, daß sie sich unter den Voraussetzungen einer von und als fortschreitend gewollten Entspannungspolitik vollzog und daß damit wichtige Grundsätze dieser Entspannungspolitik verletzt worden sind. Deshalb wäre die internationale Lage auch nach einem Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan nicht mehr so, wie sie vorher war.
Zentrales Element der Entspannungspolitik ist - das muß in einer schwierigen internationalen Lage hier noch einmal sehr klar gesagt werden - die unbedingte Einhaltung aller geschlossenen Verträge. Die Bundesregierung bekennt sich auch dazu heute nachdrücklich. Für uns bedeutet das auch, daß wir alles tun werden, um die Verträge freizuhalten von Beeinträchtigungen durch Ereignisse in anderen Teilen der Welt. Wir werden uns auch mit allen Kräften bemühen, diese Vertragspolitik zu entwikkeln und ihre Möglichkeiten im beiderseitigen Interesse oder, soweit es sich wie bei der Schlußakte von Helsinki um ein multilaterales Instrument handelt, im allseitigen Interesse zu nutzen. Die gerade in der jüngsten Zeit geführten Verhandlungen mit der DDR sind der praktische Beweis nicht für den Willen zu dieser Politik, sondern auch dafür, daß auch unter den gegenwärtigen Umständen Möglichkeiten für diese Politik gegeben sind, die wir im Interesse der Nation nicht versäumen dürfen.
({15})
Entspannungspolitik bedeutet aber mehr. Die Grundsätze der Entspannungspolitik im Ost-West-Verhältnis sind auf das Verhalten überall in der Welt abgestellt. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben das in ihrer Grundsatzerklärung vom 29. Mai 1972 zum Ausdruck gebracht. Ich darf daraus zitieren:
Die USA und die UdSSR legen größten Wert darauf, das Entstehen von Situationen zu verhindern, die zu einer gefährlichen Verschlechterung ihrer Beziehungen führen können.
Sie werden daher Äußerstes tun, um militärische Konfrontationen zu vermeiden und den Ausbruch eines Nuklearkriegs zu verhindern. Sie werden in ihren gegenseitigen Beziehungen stets Zurückhaltung üben. Sie werden bereit sein, zu verhandeln und Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln beizulegen. Gespräche und Verhandlungen über offenstehende Fragen werden in einem Geist der Gegenseitigkeit, des beiderseitigen Entgegenkommens und des beiderseitigen Vorteils geführt werden. Beide Seiten erkennen an, daß Bestrebungen, direkt oder indirekt einen einseitigen Vorteil auf Kosten des anderen zu erreichen, nicht im Einklang mit diesen Zielen stehen.
Die Voraussetzung für die Erhaltung und Stärkung friedlicher Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR sind die Anerkennung der Sicherheitsinteressen der Vertragspartner auf der Basis des Grundsatzes der Gleichberechtigung und der Verzicht auf Anwendung oder Androhung von Gewalt.
Ain 27. Juni 1977 erklärten der französische Staatspräsident und der sowjetische Generalsekretär:
Die Sowjetunion und Frankreich halten es für notwendig, daß die Bemühungen aller Staaten zugunsten der internationalen Entspannungspolitik fortgesetzt und verstärkt werden müssen durch die Übereinstimmung ihrer Handlungegen gegenüber anderen Staaten und in allen Gebieten der Erde mit den Erfordernissen der Entspannung.
Schließlich heißt es in der gemeinsamen Deklaration des Bundeskanzlers mit dem sowjetischen Generalsekretär vom 6. Mai 1978:
In Respektierung der Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt werden sie
- also die Bundesrepublik Deutschland und die UdSSR ihre politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für dieses Ziel
- also die Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt unilateral, bilateral und multilateral einsetzen.
Unser Verhalten in der gegenwärtigen Krise muß erstens von der Entschlossenheit bestimmt sein, zusammen mit unseren Verbündeten alles zur Sicherung des Gleichgewichts und damit für unsere eigene Freiheit und Sicherheit und für die Erhaltung des Friedens Notwendige zu tun.
Zweitens muß sie von der Bereitschaft bestimmt sein, den Blockfreien ein Partner bei der Wahrung ihrer Blockfreiheit zu sein.
Drittens muß sie von der Erkenntnis bestimmt sein, daß das Verhalten der Sowjetunion unübersehbare Auswirkungen auf die Entspannungspolitik in Europa und auf das Ost-West-Verhältnis insgesamt hat.
Viertens muß sie von dem Willen bestimmt sein, die Verletzung dieser Grundsätze durch die Sowjetunion in Afghanistan nicht damit zu beantworten, daß wir diese Grundsätze in Europa aufgeben oder daß wir gar die geschlossenen Verträge mit der DDR, der Sowjetunion und den anderen osteuropäischen Staaten, das Viermächteabkommen über Berlin oder die Schlußakte von Helsinki in Frage stellen. Diese Dokumente bleiben weiterhin für unsere Politik bestimmend.
({16})
Deshalb werden wir mit Zähnen und Klauen alle praktischen Ergebnisse unserer Politik bewahren. Wir werden von uns aus keinen Schritt rückgängig machen, der durch die geschlossenen Verträge und Vereinbarungen im Interesse des geteilten Landes möglich geworden ist.
Weil wir die eingeleitete Politik nicht statisch, sondern dynamisch verstehen, werden wir von uns aus nichts tun, was diese Möglichkeiten weiterer Fortschritte gefährden könnte.
Die Bundesrepublik Deutschland steht mit dieser Politik nicht allein, sondern in der Gemeinschaft der westlichen Länder. Die Erklärung, die der Bundeskanzler und der amerikanische Präsident am 5. März 1980 abgegeben haben, sagt:
Der Bundeskanzler und der Präsident wiederholten die Entschlossenheit ihrer Länder, Spannungen in der Welt abzubauen. Sie waren sich einig, daß es in der gegenwärtigen Periode erhöhter Spannungen wünschenswert ist, den Rahmen der Ost-West-Beziehungen zu erhalten, der in über zwei Jahrzehnten errichtet worden ist.
Nun hat Herr Kollege Strauß hier noch einmal auf die deutsch-französische Erklärung vom 5. Februar 1980 abgehoben. Der Zuhörer mußte den Eindruck gewinnen, die französische und die deutsche Regierung hätten mit dieser Erklärung sagen wollen: Also bis jetzt ist es gerade noch vielleicht tolerabel; aber beim nächsten Mal: Wehe!
Die Ziffer 1 der Erklärung lautet - ich muß sie jetzt vorlesen -:
Sie
- nämlich der Präsident der französischen Republik und der Bundeskanzler sind der Auffassung, daß die sowjetische Milltärintervention in Afghanistan unannehmbar ist und ernste Gefahren für die Stabilität in der Region und für den Frieden schafft. Sie halten es für unerläßlich, diese unverzüglich zu beenden, wie es die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit gefordert hat. Dies ist das einzige Ziel: eine den Rechten des afghanischen Volkes und den Erfordernissen des internationalen Friedens entsprechende Lage wiederherzustellen.
Deutlicher kann das Ziel gemeinsamer westlicher Politik überhaupt nicht ausgesprochen werden.
({17})
Herr Bundesaußenminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, wird der Text, den Sie soeben verlesen haben und der sicher von allen hier für richtig gehalten wird, durch den Punkt, den der Herr Ministerpräsident Strauß angesprochen und kritisiert hat, nicht gerade entwertet? Wenn der Sowjetunion durch diesen Text signalisiert wird, daß Folgen ihres Verhaltens für die Entspannung erst beim nächsten Akt dieser Art eintreten werden, entwertet das nicht alles, was Sie soeben an Richtigem gesagt und vorgetragen haben?
({0})
Eigentlich, Herr Kollege, sollten wir weder der eigenen noch der französischen Regierung unterstellen, daß sie in derselben Erklärung gegenseitig das aufheben, was gesagt wird. Was Sie soeben behauptet haben, steht auch gar nicht in der Erklärung. Sondern der Satz, an dem Sie sich stoßen, lautet:
Sie erklären, daß die Entspannung einem neuen Schlag gleicher Art nicht standhalten würde.
Wer diesen Satz ablehnt, muß sagen, daß er ab jetzt Entspannungspolitik nicht mehr machen will. Und ich sage Ihnen: Wir werden versuchen, die Voraussetzungen für eine Weiterführung der Entspannungspolitik herbeizuführen und sie dort zu erhalten, wo sie noch vorhanden sind.
({0})
Eine Lösung der Afghanistan-Krise wird nicht ohne Antwort auf die Frage auskommen, wie es die Sowjetunion künftig mit dem Grundsatz der Unteilbarkeit der Entspannung halten wird. Das ist doch eine der zentralen Fragen, die in diesem Satz angesprochen sind.
({1})
- Wenn für Sie die Unteilbarkeit der Entspannungspolitik bedeutungslos ist, dann lassen Sie sich von den außenpolitisch versierten Kollegen Ihrer Fraktion unterrichten.
({2})
Der Frieden in Europa wird künftig noch stärker als bisher von den Entwicklungen in der Welt abhängen. Die Entwicklungen, die auf uns zukommen, enthalten ernste Gefahren. Ich nenne nur den wachsenden Bedarf an knapper werdenden Rohstoffen und Energie, die zunehmende Kluft zwischen armen und reichen Ländern, die mangelnde Achtung vor der Unabhängigkeit der Länder der Dritten
Welt, wie sie in der sowjetischen Intervention in Afghanistan zum Ausdruck kommt, und schließlich die Gefahr eines neuen, durch sowjetische Vorrüstung verursachten Rüstungswettlaufs. Wir wollen diesen Rüstungswettlauf nicht. Die Sowjetunion zwingt ihn uns auf; sie allein kann ihn anhalten. Unsere Hand bleibt ausgestreckt für Abrüstungspolitik in allen Bereichen.
({3})
Die sowjetische Intervention in Afghanistan fällt in eine Zeit, in der die letzten Überreste des Kolonialismus langsam verschwinden, in der sich die selbständig gewordenen jungen Staaten Afrikas und Asiens ihrer Unabhängigkeit, ihres Gewichts und auch ihrer Mitverantwortung für ihr Schicksal, für den Frieden der Welt bewußt werden. Die sowjetische Politik in der Dritten Welt läuft dieser starken geschichtlichen Strömung zuwider. Der Vertreter eines afrikanischen Staates erklärte in der großen Debatte der Vollversammlung der Vereinten Nationen über Afghanistan: Keine Worte könnten die tiefe Enttäuschung und Ernüchterung wiedergeben, die Regierung und Volk seines Landes bei der Nachricht der bewaffneten sowjetischen Intervention in Afghanistan empfunden hätten, eines nicht gebundenen Entwicklungslandes der Dritten Welt, das den Frieden und die Sicherheit der Sowjetunion nicht bedroht habe. Nichts kann deutlicher als diese Erklärung die Grundstimmung in der Dritten Welt zum Ausdruck bringen. Meine Damen und Herren, deshalb befinden wir uns in der außerordentlich kritischen Lage, daß der Versuch der Sowjetunion, in der Dritten Welt Vorherrschaft zu errichten, sie in immer stärkere Konflikte auch mit den Ländern Afrikas und Asiens bringt. Zwei Bedingungen müssen deshalb erfüllt werden, um angesichts dieser Gefahren eine friedliche Entwicklung nicht zu gefährden. Erstens. Dem sowjetischen Expansionsdrang muß wirksam Einhalt geboten werden.
({4})
Zweitens. Die stabilisierende Rolle der BlockfreienBewegung muß anerkannt und vom Westen nachhaltiger unterstützt werden als in der Vergangenheit.
({5})
Amerika hat die Herausforderung dieser Stunde angenommen. Die Bevölkerung, die Üffentlichkeit, der Kongreß haben die Regierung einmütig ermutigt, sich der weltpolitischen Verantwortung Amerikas mit neuer Kraft und neuem Bewußtsein zu stellen. Diese Wiederbelebung der weltpolitischen Verantwortung Amerikas ist für uns, für Europa und für den Frieden in der Welt eine Chance. Die heute verantwortlichen Europäer werden daran gemessen werden, ob sie das erkennen und danach handeln. Die Bundesregierung ist dazu entschlossen.
Die Sowjetunion muß erkennen, daß einseitige militärische Expansion nicht hingenommen wird. Meine Damen und Herren, der Westen darf der These von der unaufhaltsamen Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten des kommunistischen Lagers nicht Vorschub leisten, und zwar weBundesminister Genscher
der durch Worte noch durch Taten, auch nicht durch Worte, die die Berechenbarkeit unserer Politik, zu der die westliche Einheit und Geschlossenheit gehören, in Frage stellen. Und zu dieser Geschlossenheit gehört das europäisch-amerikanische Verhältnis.
Wenn die Sowjetunion ihre Interessen richtig einschätzt, wird sie erkennen, daß es auch im globalen Maßstab im Grunde keine vernünftige Alternative zur Kooperation gibt. Je früher die Sowjetunion das erkennt, um so besser auch für ihre eigenen Belange. Ungeheure Kosten können gespart und erhebliche Risiken können vermieden werden.
Es kommt auch entscheidend darauf an, daß alle im Westen - ich muß das noch einmal unterstreichen - die Bedeutung der Blockfreien-Bewegung erkennen und die Chance wahrnehmen, durch das Angebot fairer, partnerschaftlicher Zusammenarbeit eine wirkliche, ehrliche Grundlage für eine dauerhafte, den Frieden stabilisierende Zusammenarbeit mit diesen Ländern zu schaffen. Das ist eine historische Verpflichtung für uns, und es ist eine Aufgabe, bei der Europa eine wichtige außenpolitische und entwicklungspolitische Rolle zukommt. Das Treffen zwischen den Außenministern der Europäischen Gemeinschaft und der ASEAN-Staaten hat gezeigt, daß diese Bereitschaft bei den Ungebundenen ein Echo findet. Die Bemühungen um Friedensregelungen in Afrika und im Nahen Osten sowie unsere Anstrengungen für die Entwicklungspolitik sind Ausdruck unserer Entschlossenheit, zu Stabilität und. Frieden überall in der Welt beizutragen.
Für die Entspannungspolitik in Europa ist aber die Sicherung des Gleichgewichts von entscheidender Bedeutung. Die gemeinsame deutsch-sowjetische Deklaration vom 9. Mai 1978 sagt dazu: Beide Seiten betrachten es als wichtig, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebt. Sie gehen davon aus, daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen. Sie bringen Ihre Überzeugung zum Ausdruck, daß die Vereinbarung weiterer Schritte auf dem Gebiet der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung beschleunigt werden muß, damit der Prozeß der Entspannung durch die Entwicklung im militärischen Bereich nicht beeinträchtigt, sondern ergänzt wird.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne verstehen wir die Ausdehnung der Entspannung auf den militärischen Bereich. Wir wollen Gleichgewicht, und wir wollen es auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstungen.
Sollte aber die Sowjetunion mit der Forderung nach militärischer Entspannung als Fortsetzung der politischen Entspannung meinen, daß der Westen Ungleichgewichte hinnehmen oder sich gar weniger als bisher um die Erfordernisse der Verteidigung bemühen solle, so wäre das ein folgenschweres Mißverständnis. Ich wiederhole noch einmal: Grundbedingung realistischer Entspannungspolitik ist und bleibt das militärische Gleichgewicht. Wo Ungleichgewichte bestehen, müssen sie abgebaut werden. Wer militärische Überlegenheit anstrebt, setzt sich in Widerspruch zu der objektiven Voraussetzung stabiler Beziehungen in Europa und in der Welt und er provoziert einen Rüstungswettlauf. Vorrüstung führt zur Nachrüstung. Das ist so, und ich füge hinzu: leider. Wir wollen den Rüstungswettlauf nicht anheizen. Wir wollen ihn stoppen. Wir können es nicht allein. Deshalb die ausgestreckte Hand an die Sowjetunion.
({6})
Ich wiederhole noch einmal: Wir wollen das Gleichgewicht auf einem niedrigeren Niveau der Rüstung. Das ist das Ziel unserer Rüstungskontrollpolitik. Diese Rüstungskontrollpolitik ist eine vordringliche Aufgabe für die 80er Jahre. Die Abrüstungsangebote der NATO vom Dezember 1979 bleiben auf dem Tisch. Wir lassen uns von der ersten negativen Reaktion der Sowjetunion, die wir bedauern, nicht entmutigen. Der Nachrüstungsbeschluß wird wie geplant durchgeführt. Er ist eine verteidigungspolitische Notwendigkeit und nicht nur eine deklaratorische Verhandlungsposition.
({7})
Jedes wirklich oder scheinbar andere Verhalten beeinträchtigt unsere Sicherheitsinteressen. Es führt zu Fehleinschätzungen in Moskau und verschlechtert damit die Aussichten der Rüstungskontrollverhandlungen.
Gerade in der gegenwärtigen Krise halten wir es für notwendig, das Gespräch zwischen Ost und West nicht abreißen zu lassen. Deshalb werden wir auch nicht Gespräche absagen. Wir sind dazu bereit und wir erwarten, daß andere ihren guten Willen durch die Bereitschaft dazu beweisen. Deshalb wollen wir auch, daß das KSZE-Folgetreffen in Madrid stattfindet. Wir wollen dort über vertrauensbildende Maßnahmen sprechen, die die Welt jetzt nötiger braucht denn je.
({8})
Mit Befriedigung können wir feststellen, daß das Hamburger Wissenschaftliche Forum der KSZE sachlich verlaufen ist und daß es auch konstruktive Ergebnisse gehabt hat.
Wir unterstützen die französische Initiative, eine Konferenz für Abrüstung in Europa einzuberufen, die das Gebiet der vertrauensbildenden Maßnahmen auf ganz Europa ausdehnen soll. Wir nehmen jedes Signal aus dem Osten ernst. Das gilt auch für den Vorschlag des polnischen Parteichefs Gierek für eine europäische Abrüstungskonferenz. Wir prüfen, wo gemeinsame Elemente mit dem von uns unterstützten französischen Vorschlag zu finden sind.
Die Bundesrepublik Deutschland hat in der Vergangenheit ihren vollen Beitrag geleistet, um die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses in Europa zu sichern. Wir stehen mit unseren Leistungen für das Bündnis, mit der kontinuierlichen Verstärkung der Kampfkraft der Bundeswehr seit Jahren an der Spitze der NATO-Staaten. Wir sind bereit, innerhalb der Allianz in Europa zusätzliche Aufgaben zu übernehmen und zusätzliche Lasten zu tragen. Wir werden unsere Verteidigungsanstrengungen weiter im
Rahmen der in der Allianz eingegangenen Verpflichtungen steigern und die Ziele der Streitkräfteplanung der NATO uneingeschränkt erfüllen. Meine Damen und Herren, niemand bei uns hat die Absicht, das durch eine Politik der Verschuldung zu machen. Aber wenn wir es durch Einsparung erreichen wollen, werden wir ein hohes Maß von Kooperation in diesem Hause und zwischen Bund und Ländern brauchen. Der Bund kann es nicht allein.
({9})
Das eindeutige und unbezweifelbare Bekenntnis zum westlichen Verteidigungsbündnis ist eine der unverzichtbaren Voraussetzungen für die Fortsetzung unserer realistischen Entspannungspolitik. Unsere Verankerung und Sicherheit im westlichen Bündnis gibt uns aber nicht nur die Möglichkeit zur Entspannungspolitik, sondern macht uns im Interesse der Menschen in Deutschland auch in Krisenzeiten die Bewahrung des in der Entspannung Erreichten zur Pflicht. Gerade in dieser Debatte über die Lage der Nation muß auch darauf hingewiesen werden.
In der Sorge um den Frieden wissen wir uns, die Deutschen in Ost und West, in diesen Wochen einig. Das Bewußtsein dieser Gemeinsamkeit, die Verantwortung für das Schicksal der ganzen Nation bleiben auch weiterhin für unsere Politik bestimmend.
Selbstbestimmungsrecht!)
Ich bin zuversichtlich: Der Wunsch der Völker nach Unabhängigkeit und Freiheit, nach Verwirklichung ihres Selbstbestimmungsrechts wird sich gegenüber allen Tendenzen der Vorherrschaft und der Unterdrückung als stärkere Kraft erweisen.
Die Grundtendenz im Zusammenleben der Staaten ist darauf gerichtet, Gräben zu überwinden, nicht zu vertiefen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir die Ziele des Briefes zur deutschen Einheit mit Nachdruck und Verantwortungsbewußtsein verfolgen, dann vertreten wir die richtige Sache, und diese Sache wird sich durchsetzen.
({0})
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Dr. Marx das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst, Herr Kollege Genscher, einige Stichworte, die Sie in Ihrer Rede vorgetragen haben, aufnehmen und dazu die Auffassungen meiner Fraktion sagen.
Sie haben sich zunächst noch einmal - wenn ich so sagen darf - an Herrn Strauß zu reiben versucht, und zwar wegen seiner Kritik an einem Satz im deutsch-französischen Kommuniqué. Der Kollege Jäger hat in einer Zusatzfrage deutlich zu machen versucht, um was es uns geht. Es geht gar nicht um irgendeine Diskussion z. B. über den ganzen Teil 1., den Sie vorgetragen haben. Niemand von uns hat sich dagegen gewehrt. Wir halten die dortigen Feststellungen für richtig.
Ich muß jetzt aber den Punkt 3 vorlesen. Da heißt es:
Sie
die beiden Teile, die Franzosen und die Deutschen stellen fest, daß durch die Ereignisse in Afghanistan die Entspannung schwieriger und unsicherer geworden ist und daß deshalb der Rückzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan erforderlich ist. Sie erklären, daß die Entspannung einem neuen Schlag gleicher Art. nicht standhalten würde. In diesem Falle würden Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit ihren Bündnispartnern die Maßnahmen ergreifen, die unter diesen Umständen erforderlich sind, um ihre Sicherheit zu gewährleisten und die internationale Stabilität zu verteidigen.
Unsere Frage, Herr Bundesminister des Auswärtigen, ist: Warum nur in diesem Falle?
({0})
Warum kann man nicht in einem solchen Kommuniqué feststellen, was die Not der Stunde gebietet, nämlich daß wir bereits jetzt unsere Maßnahmen ergreifen, miteinander sprechen, sie miteinander abstimmen, weil wir eben nicht einen Satz in der Tasche haben, den wir künftig in alle Kommuniqués hineinschreiben könnten, der - ironischerweise gesagt - heißen könnte: „Aber beim nächsten Mal ..."? Wir müssen vielmehr klarmachen, daß wir schon dieses Mal bei der Okkupation eines armen und tapferen Volkes nicht damit einverstanden sind, dies noch in den Gesamtkomplex der Entspannungspolitik hineinzunehmen. Die Sowjetunion hat damit ihre Entspannungspolitik als Spannungspolitik enthüllt. Das muß man sehen und offen sagen.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Diskussion über die Lage in der Dritten Welt kurz einen zweiten Punkt aufnehmen. Herr Bundesaußenminister, ich glaube, wir haben darüber nicht strittig zu diskutieren. Aber ich möchte gern für uns festhalten, daß schon bei der Konferenz in Havanna, als die sogenannten nichtgebundenen Staaten zusammen waren, die Sowjetunion versucht hatte, über die Kubaner eine Entwicklung in Gang zu setzen und eine Resolution verabschieden zu lassen, in der sie selbst - die Sowjetunion - als der „natürliche Verbündete der nichtgebundenen Staaten" verstanden wird. Dies ist, infolge vieler Einwirkungen von anderer Seite, nicht geglückt. Aber jedermann weiß, daß sich die SowjetDr. Marx
union durch einen Fehlschlag nicht entmutigen läßt. Sie hat auch weiterhin ihren Plan und ihr Ziel.
Es ist für uns wichtig, zu sehen, daß die Sowjetunion durch die Vorgänge in Afghanistan ihren eigenen Überlegungen jetzt doch einen wichtigen Teil des Bodens, auch des psychologischen Bodens, entzogen hat. Daher muß ein wichtiger Teil unserer Politik in der Reaktion auf Afghanistan auch darin bestehen, daß wir den suchenden, den fragenden, den in mancherlei Hinsicht irritierten Ländern der Dritten Welt unsere eigene Hilfe, unseren eigenen Rat, unsere unaufdringliche Partnerschaft anbieten, nicht weil wir närrisch darauf wären, den Ost-West-Konflikt in die Dritte Welt zu verlagern, sondern weil die Sowjetunion ihn dorthin verlagert hat, viele heute nach der deutschen Stimme fragen und wir ihnen diese Frage in einer richtigen und sauberen Weise, die mit unseren außenpolitischen Grundsätzen übereinstimmt, beantworten sollten.
Ein dritter Punkt. Der Außenminister hat - und mir ist aufgefallen, daß er damit wohl nicht die CDU gemahnt haben kann - mit großem Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Sicherung des militärischen Gleichgewichts eine vorrangige Bedeutung habe und daß das militärische Gleichgewicht, von dem ja auch der Bundeskanzler - siehe „Frankfurter Allgemeine" vom 10. März - sagt, daß es immer weniger bestehe, und von dem er in seiner Fraktion offenbar gesagt hat, daß sich die sowjetische militärische Überlegenheit von „Quartal zu Quartal" steigere, die Grundlage einer, wie der Bundesaußenminister jetzt sagt, realistischen Entspannungspolitik sein müsse.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat in all ihren Einlassungen nie etwas anderes gesagt. Wir haben auch in den Jahren nach 1969 immer wieder, z. B. wenn wir Probleme der Verteidigung diskutiert haben oder wenn es um Stellungnahmen zu NATO-Kommuniqués ging, darauf hingewiesen, daß es nicht nur darauf ankommt, eine hübsche politische Formel zu finden und zu hoffen, daß der Partner den gleichen Inhalt meint, sondern auch darauf, daß wir unsere Politik durch die notwendige militärische Kraft und Macht innerhalb des Bündnisses abstützen.
Aber ich bitte, folgendes hinzufügen zu dürfen. Wir bekommen doch heute von der Regierung, wenn wir sie hinsichtlich der Beschlüsse von Brüssel vom 12. Dezember letzten Jahres, der Nachrüstungsbeschlüsse der NATO, wonach die Waffen Pershing II und Cruise Missile gebaut werden sollen, fragen, wann sie in der Lage sei, diese Waffen nach Europa zu bringen, einen Zeitraum genannt, der etwa in der Mitte dieses Jahrzehnts liegt. Dann wird gesagt: Wir haben halt eine ,,Lücke". - Aber, meine Damen und Herren, so einfach ist das nicht. So einfach können sich auch die Bundesregierung und der verehrte Herr Verteidigungsminister nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie können nicht einfach sagen: Da haben wir halt eine Lücke. Unsere Frage an die Bundesregierung heißt: Warum ist die Lücke da? Wer hat sie zu verantworten?
({2})
Es ist auch nach der Bedeutung von Kommentaren zu fragen - ich will sie meinerseits jetzt nicht kommentieren -, die in den letzten Tagen im Zusammenhang mit der Aufnahme einer Forderung des SPD-Parteitags von Anfang Dezember des letzten Jahres zu vernehmen waren, wonach man Mittelstreckenraketen auf deutschem Gebiet - dann wird in Klammern hinzugefügt: nicht allein - nicht stationieren dürfe. Ich war verblüfft, Herr Bundesaußenminister, weil Sie ja auch gesagt haben, man sei sich in der Regierung völlig einig. Das ist eine Mitteilung, die uns hier überrascht und für die wir in der Wirklichkeit keine Tatsachen finden.
({3})
Dann aber hat uns ein anderer autorisierter Sprecher der Bundesregierung gesagt, daß die Formulierungen, die wir vor einigen Tagen aus Pirmasens und St. Ingbert gehört haben, in der Tat die Meinung der Bundesregierung deckten. Ich frage, ob Sie wirklich der gleichen Auffassung sind. Denn dann allerdings müßten wir uns darauf einrichten, daß Ihre eigenen verteidigungspolitischen Überlegungen ganz andere als jene sind, die in den Vorlagen der Bundesregierung bei der NATO-Konferenz in Brüssel enthalten waren.
({4})
Der Bundesaußenminister sagt: „Ungleichgewichte zerstören die Voraussetzungen einer realistischen Entspannungspolitik." Wer würde dem nicht zustimmen? Ich habe es eben getan. Herr Außenminister, wir sind ja dankbar für diese Bemerkung heute, und wir wollen nicht nachkarten. Aber wir müssen auch der historischen Wahrheit wegen darauf hinweisen, daß in den letzten Jahren hier fast ein Jahrzehnt lang eine ganz andere Melodie gepfiffen worden ist, daß man ganz anderen politischen Horizonten zueilte, weil man glaubte, die Diskussion über politische Macht sei im Grunde genommen etwas Unvornehmes, damit könne man sich nicht beschäftigen.
({5})
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Der Bundesaußenminister und sein Haus und, ich denke, viele andere sind offenbar hinsichtlich der Rede von Edward Gierek, dem Generalsekretär der polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, bei seinem jüngsten Parteitag in Warschau immer noch in der Prüfung begriffen. Damals hat Herr Gierek vorgeschlagen, daß eine Abrüstungskonferenz in Warschau stattfinden solle. Einzelne Stimmen der Regierung haben damals etwas unterschiedlich gewertet, aber sie haben gesagt, man wolle das prüfen, das sei eine sehr interessante Sache. Neu war daran nur eines, nämlich daß man den Ort Warschau in Vorschlag gebracht hatte.
Wir sind, Herr Bundesaußenminister - das wissen Sie aus unserer Mitarbeit in vielen Bereichen, hier im Hause, in den Ausschüssen, im Auswärtigen, im Verteidigungsausschuß, im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle -, überhaupt nicht gegen Abrüstung. Wir sind gar nicht gegen Rüstungskontrolle. Wir sind aber dagegen, daß man sie zum Gegenstand eines allgemein vernebelnden
Palavers macht, während doch viele von denjenigen im Osten, die Entspannung schreien und Abrüstung verlangen, in Wirklichkeit Spannung betreiben und alle Elemente einer überbordenden Rüstung aufgebaut haben.
({6})
Ich habe schon einmal darauf hingewiesen und möchte es noch einmal tun, damit es in unserem Gedächtnis haften bleibt: Im vergangenen Jahr gab es eine Konferenz der Regierungs- und Parteichefs der Warschauer-Pakt-Staaten in Moskau. Dort hat man einen flammenden Appell an uns alle gerichtet. Dieser Appell ist durch den Präsidenten des Obersten Sowjets auch den Parlamentspräsidenten in aller Welt zugestellt worden. Es war ein flammender Appell zur Abrüstung. Wenige Tage später haben wir gehört, was sich dahinter verbirgt. Da hat nämlich damals der rumänische Ministerpräsident und Parteichef Ceausescu in seinem Lande vor einer großen Funktionärskonferenz seiner Partei erklärt, warum er nicht in der Lage gewesen war, den von ihm verlangten Beschlüssen zuzustimmen, nämlich massiv aufzurüsten. Er hat damals erklärt, daß er niemanden im Westen sehe, der einen Krieg vorbereite. Richtig, denn niemand von uns ist toll genug, bei der Anfüllung der Waffen in der Welt, an einen Krieg zu denken. Die Pflicht, die Aufgabe unserer Politik vom ersten Tage an war, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um niemand dazu zu verleiten - auch durch Schwäche nicht -, daß er sich zu einem militärischen Abenteuer oder zu einem gezielten Krieg gedrängt fühlt.
({7})
Das war immer der Inhalt unserer Politik. Insoweit hat es durch alle Auseinandersetzungen hindurch - das wußten Sie auch, und darauf konnten Sie sich immer verlassen - in dieser entscheidenden Frage eine gemeinsame politische Überzeugung gegeben. Nur füge ich noch einmal hinzu: Wir haben daraus nicht pazifistische Parolen abgeleitet, sondern wir haben gesagt: nur ein Staat, nur ein Bündnis, das in der Lage ist, sich zu verteidigen, seine eigene Freiheit zu bewahren, und das dem Gegner das Risiko eines Krieges unkalkulierbar hoch macht, nur ein solcher Staat wird in der Lage sein, seine und seiner Bündnispartner Freiheit und den Frieden auch wirklich zu gewährleisten.
Ich darf noch einmal zu Ceausescu zurückkommen. Meine Damen und Herren, was ich mit dieser Erinnerung an jene Konferenz und an die Bukarester Bemerkungen darstellen wollte, war, daß man der westlichen Welt gegenüber mit viel Aplomb und mit vielen einzelnen Überlegungen einen Abrüstungsvorschlag machte, daß sich aber die Warschauer-Pakt-Staaten selber in Wirklichkeit nicht für einen Beitrag zu einer allgemeinen weltweiten Abrüstung entschlossen haben, sondern daß sie von sich gegenseitig einen Beitrag zu einer erheblichen Aufrüstung verlangt haben. So doppelbödig ist die Politik, die die andere Seite mitunter betreibt. Deshalb ist es richtig, wenn man nicht nur auf die Worte hört, sondern wenn man auch die Taten wägt, denn reden kann man viel. Reden können bestechlich und täuschend sein, die Taten selbst aber nicht. Daher richtet sich diese Fraktion nicht nach Versicherungen, die man ihr gibt, sondern nach den Taten, die man messen und zählen kann.
({8})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu den Versuchen sagen, die die Außenminister der Ostblock-Staaten Anfang Dezember bei ihrer Konferenz in Ost-Berlin unternommen haben. Auch dabei ist der Gedanke geäußert worden, die künftige KSZE-Konferenz in Madrid umzufunktionieren, sie ihres wichtigen Gehaltes zu entkleiden und sie zu einer Abrüstungskonferenz zu machen.
Ich möchte gern festhalten, daß wir wiederholt in diesem Raume über die KSZE, ihre Inhalte, über ihre Bedeutung und über die einzelnen „Körbe" gesprochen haben. - Herr Bundesminister des Auswärtigen, Sie haben soeben gesagt: Wir werden keine Gespräche absagen. Gut, niemand von uns fordert Sie auch auf, dies zu tun; aber Gespräche um der Gespräche willen - das ist eine Sache, die sich vielleicht nur mühsam rentiert. Es muß bei den Gesprächen etwas herauskommen. Sie müssen einen Inhalt, ein Ziel und einen politischen Grund haben. Wenn Sie und wir alle zusammen über die KSZE sprechen, muß es möglich sein, daß die entscheidenden Themen der Bewahrung der Menschenrechte in allen Teilen Europas immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden; wir sind auf keinen Fall bereit, davon abzugehen.
({9})
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat oft in diesem Hause gesagt und durch ihr Handeln bewiesen, daß wir niemals Außenpolitik formulieren wollten, niemals führen wollten und uns niemals zu einzelnen Bereichen der Außenpolitik entscheidend äußern wollten, ohne den Blick auf die Lebensnotwendigkeiten aller Deutschen zu richten. Wir haben soeben etwas Ähnliches von dem Bundesaußenminister gehört. Herr Bundesminister, Sie haben beispielhaft einige Städte in Mitteldeutschland, Dresden usw., genannt. Ich sage noch einmal, um es nicht geographisch einzuschränken - denn es gibt Millionen Deutsche, die nicht in der DDR leben, sondern in ganz anderen Bereichen -: Wir meinen alle Deutschen. Dies ist ein wichtiger Zusatz, den wir machen müßten; denn unsere Außenpolitik gegenüber anderen Ländern kann z. B. nicht ohne die Berücksichtigung der Situation der Deutschen in Polen, der Deutschen in der Tschechoslowakei, der Deutschen in anderen Balkanländern und vor allen Dingen der Deutschen, die heute noch in der Sowjetunion sind, geführt werden. Ich möchte das der Sauberkeit halber für uns ausdrücklich hier in die Diskussion einführen.
Nun, Herr Bundesaußenminister, haben Sie eine, wie ich glaube, bemerkenswerte Passage in Ihrer Rede gehabt, in der Sie gesagt haben, Sie würden gern nicht nur die Politik der letzten zehn Jahre, sondern auch die vorherige Politik untersucht wissen und auf die Waage der politischen Kritik gelegt sehen. Gut, dem werden wir gerne entsprechen. Wir haben' keinen Grund, unsere eigenen politischen Bekenntnisse und Handlungen seit dem Jahre 1949 irDr. Marx
gendwie unter den Scheffel zu stellen. Sie waren ja - ich sage das ausdrücklich - auch fair genug, darauf hinzuweisen, daß in der amerikanisch-deutschen Presseerklärung der wichtige Satz steht, man meine jene Entspannungspolitik, die über zwei Jahrzehnte betrieben worden sei. Fügen Sie ruhig hinzu: drei Jahrzehnte; denn wenn Sie, meine Damen und Herren, Reden von Konrad Adenauer nachlesen wollen - es gibt heute wohlfeile Ausgaben, die man sich leicht besorgen kann -, dann werden Sie finden, daß der erste Vorsitzende unserer Partei, der erste Bundeskanzler, der von dieser Stelle aus oft die Grundzüge und die Grundlinien seiner Politik vorgetragen hat, an den entscheidenden Scharnieren seiner politischen Philosophie immer wieder darauf hingewiesen hat, daß das Ziel der Politik Entspannung sei. Aber - und hier liegt der zentrale Punkt - er hat unter Entspannung durchaus etwas anderes als sein später Nachfolger Willy Brandt verstanden.
({10})
Er hat unter Entspannung verstanden, daß wir bemüht sind, miteinander die Spannungsursachen zu mindern und, wenn es geht, zu beseitigen. Wenn das heute noch unser Ziel ist - ich denke, wir antworten auf die Frage mit Ja -, dann betreiben wir in der Tat auch heute bei allem, was wir denken, planen und tun, Entspannungspolitik; denn die Forderung, die Sowjets müßten ihre Truppen aus Afghanistan zurückziehen, diese Forderung, die nicht nur eine verbale, allgemein dahingeredete Forderung sein kann, sondern die mit einem politischen Inhalt und Willen gefüllt sein soll, ist Entspannungspolitik. Denn die sowjetischen Truppen in Afghanistan sind eine der bemerkenswertesten Ursachen für neu aufgelebte schwierige Spannungen.
Ich erinnere an das, was Franz Josef Strauß vorhin gesagt hat. Er sagte: Nach der Entwicklung in Afrika, nach vielen Einbrüchen, die der Westen ziemlich wortlos hingenommen hat, hat Afghanistan gezeigt, daß wir uns an einer Wende der Weltpolitik befinden, und es wird sehr darauf ankommen - und ohne daß wir uns überschätzen, füge ich hinzu: es kommt auch auf uns an, auf jede der Fraktionen, auf dieses Haus, auf seine gemeinsamen Entschlüsse, darauf, ob es in entscheidenden Fragen Übereinstimmung zwischen den verschiedenen politischen Kräften hier geben kann -, ob wir in der Lage sind, diese Wende zum Besseren herbeizuführen, weil die Alternative dazu, wie Strauß sagte, die Wende zum Bösen sei. Dies muß man, glaube ich, ganz ernst nehmen, wenn man die gegenwärtige Entwicklung Revue passieren läßt und wenn man sich dazu politisch einstellen will.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben in Ihren Darlegungen immer wieder vom Bündnis, von der Wichtigkeit des Bündnisses und von der Wichtigkeit gesprochen, im Bündnis verläßlich arbeiten zu können. Ich will den Weg zum Bündnis nicht im einzelnen darlegen; die Geschichte weiß es, und sie wird darüber positiv urteilen. Aber die Tatsache, daß es dieses Bündnis gibt, daß die Europäische Gemeinschaft aus einem Kern entwickelt und weiter entfaltet worden ist, lag gerade in jener Zeit vor 1969. Das ist die Zeit der Regierung der CDU/CSU, von der man uns vorgeworfen hat, sie sei eine Zeit, gepflastert mit Unterlassungen.
Wer ein bißchen historisch denkt, wird wissen, daß ein Staat, noch dazu ein geteiltes Land und ein Teilstaat in diesem Land, wie wir, der sich aus den Trümmern, die nicht nur materielle, sondern auch moralische Trümmer gewesen waren, langsam wieder herausarbeitet, zunächst einmal neben der Befriedigung der inneren Notdurft darauf sehen mußte, daß er draußen in der Welt Partner findet, daß das zerstörte Vertrauen in die Deutschen einem neuen Vertrauen Platz macht. Dieser Aufgabe haben wir uns damals alle, Konrad Adenauer und die damaligen Männer und Frauen der CDU/CSU, zuvörderst unterzogen. Man kann nicht sagen, wir hätten damals sozusagen alles auf einmal machen können.
Sie werden bitte nicht vergessen, daß es Adenauer, Erhard und Kiesinger waren, die in vielen Diskussionen, in vielen Ansprachen, in diplomatischen Noten immer wieder versucht haben, mit der sowjetischen Seite in ein förderliches Gespräch zu kommen, daß aber die sowjetische Seite dies immer zu- rückgewiesen hatte, weil sie Bedingungen aufstellte, von denen wir überzeugt waren, daß man sie nicht erfüllen könne, ohne auf Dauer dem eigenen Volk einen schweren Schaden zuzumuten.
Daß der Bundesaußenminister den Deutschland-Vertrag angesprochen hat, nehmen wir dankbar ad notam; denn das ist fast vergessen. Wenn heute gesagt wird „die Verträge", dann meinen die meisten Leute, damit seien die Ostverträge gemeint. Wenn gesagt wird „pacta sunt servanda", dann meine viele, damit meine Strauß nur die Ostverträge. Nein, es geht nicht nur darum, daß in Art. 4 der Ostverträge steht, daß andere Verträge und Vereinbarungen von seinem Inhalt nicht berührt werden, sondern wir meinen alle Verträge. Wir meinen vor allem die Basis - so möchte ich es sagen - unserer Sicherheit und Freiheit in den fünfziger Jahren, nämlich jene Westverträge, die damals entwickelt worden sind und die weiterhin gelten. Es ist mitunter bestürzend -- und da hat die Bundesregierung ihre Aufklärungspflicht der deutschen Öffentlichkeit gegenüber wirklich nicht gewahrt -, wie in Diskussionen an Hochschulen mit studentischen Gruppen der verschiedensten Art, wenn man auf dieses Thema kommt und sagt „Was heißt denn für Sie ,Verträge'?", oft ein Schulterzucken festzustellen ist, weil das junge Publikum - dafür können die jungen Leute gar nichts, weil es ihnen niemand gesagt hat - die eigentliche Vertragsgrundlage des westlichen Bündnisses und, ich wiederhole es, unserer Sicherheit und Freiheit leider gar nicht kennt.
Meine Damen und Herren, es ist auch vom Bündnis gesprochen worden. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung auf die gemeinsamen Grundlagen hingewiesen. Es ist richtig: Die Grundlage des Bündnisses ist nicht nur die Übereinstimmung von Interessen. Sie ist es natürlich und besonders. Aber die gemeinsamen Grundlagen sind, daß wir über das gleiche Wertsystem verfügen, daß wir ein Menschenbild haben, das sehr vergleichbar ist mit den anderen in West- und Mitteleuropa, daß wir
die Demokratie als ein Ordnungssystem verstehen, von dem wir glauben, es sei bei allen Fehlern, die es haben mag, das beste System, das menschlicher Geist ersonnen hat und Politiker haben erproben können. Dies war für uns von Anfang an die Grundlage unseres Denkens und unseres Handelns, als wir an das Bündnis herangingen und das Bündnis festigten.
Ich darf dazu eine Bemerkung machen, obwohl der Kollege Strauß dies schon sehr gründlich getan hat. Ich habe, Herr Bundeskanzler, nicht verstanden, daß Sie ausgerechnet Ihren Besuch in den Vereinigten Staaten dazu benutzt haben, um eine Besonderheit der deutschen Interessen herauszupräparieren und sie als Begründung dafür anzugeben, daß Sie einer Reihe von amerikanischen Vorschlägen hinsichtlich der Reaktion auf den sowjetischen Überfall in Afghanistan offenbar nicht oder nur halben Herzens zustimmen wollen. Sie haben recht, wenn Sie darauf hinweisen, daß die Deutschen - das haben wir übrigens auch immer getan; insoweit ist das gar nichts Neues - ein geteiltes Land sind. Sie haben recht, wenn Sie darauf hinweisen, daß niemand von uns daran interessiert sein kann, die menschenrechtlichen Erleichterungen in irgendeiner Weise einzuschränken. Niemand von uns will das.
Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben auch Berlin genannt. Da muß ich mich allerdings fragen, was dies bedeuten soll; denn jedermann von uns ist sich doch klar darüber, daß für den Status der Stadt Berlin, für ihre Freiheit und Sicherheit die drei westlichen Alliierten stehen.
({11})
Sie stehen dort - auch das muß ich der historischen Richtigkeit wegen hinzufügen - nicht nur wegen des Viermächteabkommens, sondern das Viermächteabkommen baut auf den historischen Siegerrechten auf.
({12})
- Sie werden bestätigt, Herr Kollege Mertes.
Es wird uns immer wieder deutlich, wenn hier und draußen Berlin-Diskussionen stattfinden, wie sehr es notwendig ist, die Alliierten in diesen ihren Berlin betreffenden Rechten und Pflichten nicht nur nicht zu stören, sondern sie zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, wenn der Eindruck entsteht, wir können das eine oder andere wegen Berlin nicht tun, und wenn dies den Amerikanern ins Gesicht gesagt wird, dann werden sich die Amerikaner eines Tages, wenn diese Krise, wie ich hoffe, bald vorbei ist, die Frage stellen: Wer hat eigentlich damals von unseren Bündnispartnern, wer hat von denen, die in einer ganz besonders schwierigen, geschichtlich gewordenen Situation gewesen sind, in dem Augenblick, da wir in einer schwierigen Lage waren, ohne Wenn und Aber zu uns gestanden, an unserer Seite gestanden?
({13})
Wer hat die wichtigen, die übergreifenden, die gemeinsamen, die grundlegenden Interessen zur
Grundlage von allem gemacht? Wer hat die einzelnen Interessen zu einer, wie ich sagen darf, kleinkarierten Grundlage seiner eigenen Überlegungen gemacht?
({14})
Wichtig war in dem, was der Herr Bundesaußenminister vortrug, eine Korrektur des bisherigen politischen Bildes, das aus dem Munde vieler seiner Freunde und Koalitionspartner in den ganzen Jahren gezeichnet wurde. Man hatte nämlich immer gesagt, unsere frühere Politik, die Politik der Einbettung in den Westen, dorthin, wohin wir auf Grund unserer Geschichte und unseres Willens, unserer politischen und ethischen Vorstellungen eben gehören, gar noch das Bündnis, gar noch die Europäische Gemeinschaft hätten der Deutschlandpolitik widersprochen, diese Einbettung habe sie schwierig, ja fast unmöglich gemacht. Der Bundesaußenminister hat gesagt - deshalb hebe ich die Sache hervor -, daß das Bündnis - ich verkürze das ein wenig - nicht im Gegensatz zur deutschen Frage und ihrer Weiterentwicklung und nicht im Gegensatz zur Deutschlandpolitik stehe. Das möchten wir gerne festhalten; denn niemand von uns hatte je daran gedacht, hier einen Gegensatz konstruieren zu wollen. Wir waren damals schon der Meinung, daß Entspannung unteilbar sei.
({15}) Damals schon!
Der Bundesaußenminister hat mit Bedacht, wie ich annehme, alle diejenigen Teile, Punkte und Paragraphen aus bilateralen oder multilateralen Verabredungen der letzten Wochen und Monate noch einmal vorgetragen, in denen - z. B. durch den französischen Staatspräsidenten und den Chef der kommunistischen Partei der Sowjetunion - von der Unteilbarkeit des Friedens und von der Unteilbarkeit der Entspannung die Rede war. Auch das möchten wir gerne festhalten.
Wir werden am heutigen Nachmittag in der Debatte im einzelnen wohl auch noch zu anderen Themen kommen, z. B. zu der Frage, die ich jetzt nur kurz ansprechen will: Ist denn jenes Versprechen, das Willy Brandt damals in seiner ersten Regierungserklärung und in seiner ersten Erklärung zur Lage der Nation am 14. Januar 1970 abgegeben hat, der Friede werde in der Konsequenz dieser Politik, die er angeboten habe, sicherer werden, eingehalten worden? Ist der Friede in der Tat sicherer geworden? Ich will jetzt kein Urteil vortragen, aber doch jeden bitten, einmal darüber nachzudenken, sich selbst einmal die Frage zu beantworten: Was und wieviel ist von deutscher Seite aus der Substanz geleistet worden, und was hat die sowjetische Seite, dieselbe, die mit uns die Verträge schließt und ihre Truppen nach Afghanistan schickt, eigentlich dazu beigetragen, daß der Friede in der Konsequenz der Entspannungspolitik, in der Konsequenz der Abrüstungspolitik sicherer geworden ist?
Nun darf ich mit Blick auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers noch drei Punkte ansprechen. Dabei folge ich seinem Denkschema - das allerdings sehr unvollkommen ausgeführt worden ist -, nämlich von den Punkten, die Brandt
vorgeschlagen hatte, die damals Stoph und Brandt entwickelt hatten, auszugehen. Ich beziehe mich ganz kurz auf Punkt 7, in dem es heißt, daß von deutschem Boden niemals wieder ein Krieg ausgehen dürfe. Darüber haben wir auch schon einmal gesprochen, aber der Bundeskanzler hat sich darauf berufen, daß er beim letzten SPD-Parteitag und fast zur gleichen Zeit auch Herr Honecker in Ost-Berlin dieselbe Formel verwendet hätten. Formeln sind eine geduldige Sache. Was ist der Inhalt?
Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich schon darauf beziehen, daß auch Herr Honecker so etwas sagt, dann müßten Sie der Ehrlichkeit und der Wahrheit wegen sagen, daß Herr Honecker, obwohl er die Flagge, nie wieder dürfe von deutschem Boden ein Krieg ausgehen, seit Jahren vor sich herträgt, eigene Truppen in die Tschechoslowakei zur Besetzung eines Nachbarlandes geschickt hat
({16})
und daß sich 16 000 bis 18 000 Soldaten der Nationalen Volksarmee - die ja immer noch national und Volksarmee heißt, obwohl sie des eigentlichen Charakters einer nationalen und vom Volke getragenen Armee völlig entbehrt - in Afrika befinden. Man überlege sich einmal, dort wären nur drei Soldaten der Bundeswehr! Dort aber sind es etwa 16 000 bis 18 000 Soldaten der Nationalen Volksarmee. Angesichts dieser Tatsachen hätte ich mir gewünscht, daß der Bundeskanzler, wenn er eine Regierungserklärung abgibt, auch seine Sorge - die er, wie ich annehme, ebenfalls hat - darüber ausdrückt, daß es heute in einer Reihe von afrikanischen Ländern militärische Aktivitäten gibt, die von deutschen Soldaten getragen und von sowjetischen Offizieren und Inspekteuren organisiert und kontrolliert werden. Das darzustellen hätte ihm nichts ausgemacht. 1m Gegenteil: Er hätte sich dabei der Wirklichkeit näher befunden als in vielen Passagen der Regierungserklärung.
({17})
Meine Damen und Herren, ich habe den Wortlaut der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor mir liegen und muß auf einen merkwürdigen Umstand aufmerksam machen. Herr Bundeskanzler, Sie sagen wörtlich:
Er
- das ist Willy Brandt fügte - Punkt 8 - hinzu, daß beide Staaten alles unterlassen, was das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören geeignet ist.
({18})
Sie bringen diesen Punkt, und Sie kommentieren ihn nicht mit einem einzigen Wort. Genau hier hätte man doch die Frage stellen und eine Antwort erwarten dürfen: Was ist denn nun nach diesen zehn Jahren, auf die Sie sich berufen haben, daraus geworden? Hat der andere Staat wirklich alles unterlassen, was das friedliche Zusammenleben der Völker stören könnte? Er hat nicht alles unterlassen, sondern hat vieles getan,
({19})
um das friedliche Zusammenleben nicht möglich zu machen,
({20})
um es an seiner Wurzel, in seiner Entwicklung zu stören.
({21})
Wir glauben schon, daß es notwendig wäre, dazu ein bißchen mehr zu sagen, statt sich in einer Welt ziemlich leerer Formeln aufzuhalten.
({22})
Herr Bundeskanzler, Sie nehmen dann Bezug auf den damaligen Punkt 9 und sagen:
... bekräftigte Brandt unseren Willen, alle Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle zu unterstützen, die der Verbesserung der Sicherheit Europas dienen.
Jawohl, dazu habe ich mich vorhin, was unseren eigenen Beitrag und unseren eigenen Willen anlangt, geäußert. Aber, meine Damen und Herren, auch hier wäre natürlich eine Antwort auf die Frage notwendig gewesen: Was hat denn die DDR bisher auf dem Felde der Rüstungskontrolle wirklich getan, um durch eine solche international verbürgte Kontrolle dafür zu sorgen, daß die Sicherheit in Europa verbessert werden kann?
Es gibt noch einen weiteren Punkt. Herr Kollege Genscher, ich will die Judos, mit denen Sie, wie ich Ihrem Kommentar entnommen habe, einige Sorgen haben, in diesem Saal nicht zu besonders politischer Bedeutung bringen; die haben sie nun wirklich nicht. Aber die deutsche Öffentlichkeit muß wissen, daß es dort eine junge Kraft, die sich „liberal" nennt, gibt, die ernsthaft verlangt, daß wir die deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben und sie in eine der Bundesrepublik Deutschland und eine der DDR aufspalten, daß wir also der DDR sozusagen auf einem goldenen Teller unsere politische Bereitschaft präsentieren sollten, ihr diesen sehnlichen Wunsch zu erfüllen. Wenn man das liest, fragt man sich wirklich, ob sich nicht der Redakteur, der diese Meldung in die Zeitung gesetzt hat, getäuscht hat, ob nämlich diese Forderung nicht von irgend jemandem in der FDJ erhoben worden ist.
({23})
Denn die Gedanken beider passen sehr gut zusammen.
({24})
Auf beiden Seiten wird verlangt, daß die DDR eine eigene Staatsbürgerschaft erhält. Was sollte eigentlich dann, wenn so etwas wirklich Schule machen sollte - was ich nicht hoffe und was niemand von uns wünscht -, noch der Satz von der „Einheit der Nation" heute, wo wir über die Lage der geteilten Nation im gespaltenen Deutschland - so hieß ja ursprünglich die Formulierung - miteinander sprechen?
Ein letztes Wort zu dem, was der Bundeskanzler im ersten Teil seiner Regierungserklärung ausführte. In Punkt 12 heißt es:
Respektierung der Viermächtevereinbarung und der Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik.
Ergänzen sollte man: Deutschland.
Unterstützung der Bemühungen der Vier Mächte um eine Normalisierung der Lage in und um Berlin.
Auch hier muß man feststellen, daß dies natürlich unsere Politik ist, auch die Politik der Bundesregierung, die Politik der westlichen Alliierten. Aber es ist nicht die Politik der DDR! Sie hat das nie respektiert.
({25})
Sie hat niemals respektiert, daß es noch eine Verantwortung für Berlin als Ganzes gibt.
({26})
Sie hat erklärt, ihr Teil Berlins sei die Hauptstadt der DDR. Sie hat die dort gewählten Abgeordneten nun als voll berechtigte Abgeordnete in die Volkskammer aufgenommen.
({27})
Sie hat einen eigenen Bezirk aufgebaut. Meine Damen und Herren, sie hat all das, was damals, vor zehn Jahren, postuliert worden ist, unmöglich gemacht, soweit sie die Kraft dazu hatte und soweit die Sowjetunion ihr dies erlaubte.
Meine Damen und Herren, ich darf bitte noch einige Bemerkungen im Zusammenhang mit anderen Fragen anfügen, die heute hier aufgeworfen worden sind. Der Bundeskanzler gab sich Mühe, uns durch Teilzitate aus der Presseerklärung, die in Amerika gefertigt worden war, deren Inhalt noch einmal besonders drastisch zur Kenntnis zu bringen. Ich muß trotzdem bekennen, Herr Bundeskanzler, daß die Interviews, die Presseerklärungen, die Kommuniqués, die in den letzten Wochen gemacht worden sind, mir und uns nicht jene Klarheit gebracht haben, die wir brauchen: Was ist denn nun eigentlich wirklich, konkret, einvernehmlich, und, wie man heute sagt, arbeitsteilig verabredet worden? Was im Bündnis? Was bei den Amerikanern? Was soll bei uns und was im Zusammenhang mit den Europäern geschehen? Das ist nicht geschehen. Da fehlt bisher noch jede probate Mitteilung, auf die wir warten. Wir hoffen, daß heute noch jemand aus der Regierung die Gelegenheit wahrnimmt, um einmal darzustellen, was nun mit dem Konzept ist. Man sagt immer wieder nach einer neuen bilateralen Diskussion, man habe sich darüber verständigt, daß es notwendig sei, die Konturen eines gemeinsamen Konzepts zu bilden. Man hat sich zwar über die Notwendigkeit verständigt, aber über das Konzept nicht. Wir warten immer noch darauf.
Man fragt dann immer uns, die Opposition: Wie ist das bei euch? Herr Strauß hat heute für uns in vielen Detailfragen - und in Amerika seinen Gesprächspartnern gegenüber - Punkt um Punkt genannt. Wir aber warten immer noch darauf, daß die
Regierung, die hochverehrte, endlich einmal damit überkommt.
({28})
Herr Bundeskanzler, es ist doch die Führungsaufgabe der Regierung, die den Apparat hat, die die Gespräche führt, die die internationalen Diskussionen führt und die die Papiere bekommt, nun ihrerseits Vorschläge zu machen. Ich muß Ihnen sagen, ich war naiv genug, heute morgen in dieses Haus mit der Annahme zu kommen, der Bundeskanzler werde die Gelegenheit der Regierungserklärung benutzen, um dem Hause nun im einzelnen mitzuteilen: was werden wir tun, was haben wir verabredet.
({29})
Ich muß aber annehmen, daß die Mangelanzeige, die aus dem Schweigen über diese Probleme zu erkennen ist, offenkundig macht, daß man sich immer noch nicht zumindest zu den Konturen durchgerungen hat.
Begreift man eigentlich, was dies für das Ansehen der liberalen, der parlamentarischen und der rechtsstaatlichen Demokratie bedeutet, wenn die demokratischen Staaten so lange miteinander palavern, immer neue Diskussionen und neue Resolutionen machen und offenkundig immer noch nicht in der Lage sind, jetzt miteinander einen Plan, ein Konzept - wie immer man es nennen möchte - zu entwerfen, um der sowjetischen Penetration nach Afghanistan und der Gefahr, daß man Afghanistan als Basis für weitere Angriffe verwenden könnte, wirksam entgegenzuwirken?
Der Bundesaußenminister hat bei einem bestimmten Teil seiner Rede gesagt, was die Olympischen Spiele anlange, so sei es die Absicht - ich habe es jedenfalls so verstanden - der Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß. die Europäer einen gemeinsamen Beschluß faßten. Wir hoffen, daß es einen klaren Beschluß geben wird und nicht wieder einen Beschluß, den jeder nach seiner Seite hin interpretieren kann.
Ich möchte von der Bundesregierung nicht nur wissen, was sie beabsichtigt, sondern ich hätte gerne gehört, mit welchen eigenen Vorschlägen, mit welcher eigenen Haltung sie in diese europäischen Konferenzen und Diskussionen hineingeht.
({30})
Es kann ja nicht so sein, daß man darüber nur redet, sondern es muß jemand da sein, der einen Vorschlag auf den Tisch legt, der diesen Vorschlag der Diskussion unterwirft und der davon ausgehen kann, daß dieser Vorschlag so richtig und so akzeptabel ist, daß daraus dann auch eine europäische Regelung hervorgehen wird.
Meine Damen und Herren, damit es noch einmal klar ist: Die CDU mit ihrem Präsidium und wenige Tage später diese Fraktion haben sehr eindeutig ihre Meinung zu der Frage der Teilnahme an den Olympischen Spielen erklärt. Wir haben gesagt - ich ergänze das jetzt -, seit den ersten Olympischen Spielen, seit dem Jahre 776 vor Christus, seit
I es die neuen Spiele gibt, seit 1896, war mit dem olympischen Gedanken nicht nur der Wettstreit, der „edele", wie man sich in der griechischen Sprache ausdrückte, der agonale Wettstreit üblich, sondern es war auch die absolute Friedenspflicht mit ihm verbunden. Niemals was es möglich, daß ein Staat, der gleichzeitig Krieg führt oder andere heimtückisch mit Krieg überzieht, zu Olympischen Spielen seine Wettkämpfer entsendet. Ich muß Ihnen sagen, daß nach meiner festen Überzeugung der, der, obwohl er dies alles kennt, seine Athleten nach Moskau schickt, sich am olympischen Gedanken versündigt
({31})
und daß er der sowjetischen politischen Macht die Möglichkeit einräumt - und die Olympischen Spiele haben ja jetzt sogar schon eine Bezeichnung, nämlich „Spiele des Friedens" -, unter diesem fälschenden Etikett die Welt vergessen zu machen, daß die gleiche Sowjetunion, die der Gastgeber für die Olympischen Spiele ist, ein Nachbarland überfällt und im Augenblick - auch darauf hat Strauß hingewiesen - mit Napalmbomben in der grausamsten Weise die, ich sage nicht Partisanen, sondern die Freiheitskämpfer in Afghanistan unterdrückt.
({32})
Ich würde gern an den Herrn Bundeskanzler noch eine Reihe anderer Fragen stellen, und zwar hinsichtlich des Briefs, den Herr Breschnew ihm ins Flugzeug, als er nach Amerika reiste, nachgereicht hat. Herr Bundeskanzler, Sie nehmen es mir bitte nicht übel, daß ich dies sage: Ich habe noch nie etwas Dünneres an Kommentar gehört, als Ihre Formel, dieser Briefwechsel sei „ein Beitrag zur Kommunikation zwischen Ost und West".
({33})
Also das sollten Sie dem Haus nicht zumuten. Sie sollten auch nicht glauben, daß sich das hier irgend jemand meiner Fraktion zumuten läßt.
Sie haben bei einer Pressekonferenz weit mehr als im Deutschen Bundestag erklärt. Was ist das eigentlich für eine Regierungserklärung, die das Haus dafür zusammenruft und so mit dem Haus und seinen Abgeordneten umgeht, daß man uns mit einem solchen sparsamen Satz abzuspeisen versucht? Ich will ja gar nicht, daß Sie den Brief hier vorlesen. Vielleicht ist er zugänglich. Aber ich möchte gern, daß Sie die Substanz vortragen und daß Sie ein bißchen über das hinausgehen, was Sie bei der Pressekonferenz gesagt haben.
({34})
Herr Bundeskanzler, Sie haben bei der Pressekonferenz gesagt: Die Form sei konziliant. Es gebe einen gewissen drohenden Unterton. In der Sache sei er hart. Es gebe dort Angriffe auf die amerikanische Politik. Sie selbst entnähmen aus diesem Brief keinen Hinweis auf die Bereitschaft zum Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan. Das alles ist nicht gerade eine heitere Bilanz.
Ich muß im Ernst fragen, ob der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der ja auch eine
Zeitlang Bundesminister der Verteidigung war, angesichts der sowjetischen Politik in den ganzen letzten Wochen und der Diskussion über die Frage „Olympische Spiele: ja oder nein?" tatsächlich geglaubt hat, daß dieser wohlvorbereitete, von langer Hand bedachte, systematisch geplante Angriff auf ein anderes Land so etwas wie ein Abenteuer gewesen sei, dem man mit einer europäischen Initiative, etwa unter der Losung „Wir wollen die Neutralisierung Afghanistans", entgegenwirken und damit die Sowjetunion veranlassen könne, vielleicht sogar sich aus peinlicher Verlegenheit befreit fühlend, aus Afghanistan herauszugehen.
({35})
Welches Bild sowjetischen Denkens, sowjetischer Konsequenz und - dafür ist offenbar vielen das Gefühl verlorengegangen - angewandter sowjetischer Machtpolitik liegt einer solchen Vorstellung zugrunde!
Franz Josef Strauß hat vorhin gesagt, er halte nichts von gewissen Formeln, die man einer Großmacht gegenüber nicht verwenden sollte; er hat dabei die Formel von der Strafexpedition verwendet. Darüber sind wir uns völlig klar: daß mit keiner dieser Formeln an politischen Verhältnissen, wie sie die Sowjetunion erzwungen hat, etwas geändert werden kann; vor allem deshalb nicht, weil jeder eine andere Formel gebraucht und weil sich die Sowjetunion ja eigentlich in ihrer Politik ermuntert und ermutigt fühlen müßte. Denn sie hat ja immer noch nicht eine westliche Antwort, immer noch nicht verläßliche westliche Sätze, die nicht nur verbal gelten, sondern hinter denen politische Kraft und Macht stehen, gehört. Aus diesem Grund plant sie ja im Augenblick - auch dies hat Strauß dargestellt -, in vielen Teilen Afghanistans ihre Macht immer weiter auszubauen. Das tut sie offenbar nicht nur, um die Freiheitskämpfer dort niederzuwerfen, sondern auch, um ihre eigene Macht zumindest in der Form der Erpressungsmöglichkeit und des Klirrenlassens der Waffen auszudehnen.
Meine Damen und Herren, wir würden gern wissen: Welche Konsequenzen zieht der Bundeskanzler aus dem politischen Inhalt des Briefwechsels mit Herrn Breschnew? Was bedeuten die Antwort Breschnews und die konkrete sowjetische Politik in Afghanistan für die Einschätzung der deutschen Bundesregierung gegenüber dieser sowjetischen Aktion überhaupt? Welche Politik will die Bundesregierung künftig durchführen, wenn sich die Sowjets jetzt in Afghanistan einrichten und nicht herausgehen? Welche Politik will die Bundesregierung dann betreiben, wenn sie ihre Positionen dort ausbauen und ihren Einflußbereich durch Umsturzpolitik oder direkten Zugriff weiter ausbreiten? Glaubt man - die nächste Frage -, daß eine allmähliche Gewöhnung an den Besatzungszustand in Afghanistan im Laufe der Zeit eine westliche Reaktion unnötig und überflüssig macht? Warum eigentlich, meine Damen und Herren, ist keine westliche Gipfelkonferenz oder zumindest Außenministerkonferenz einberufen worden?
Dazu möchte ich gern noch ein paar Bemerkungen machen. Im Laufe der letzten Jahre sind immer
wieder Gipfelkonferenzen abgehalten worden, und zwar - bei Gott - über weniger wichtige Themen, als es das Thema Afghanistan ist.
({36})
Es war zwar eine Außenministerkonferenz vorgesehen, die hier in Bonn stattfinden sollte, die aber dann - ich will jetzt der Delikatesse der Sache wegen nicht untersuchen, aus welchen Gründen - abgesagt werden mußte. Dann trafen sich die Außenminister der Europäer in Rom, dann kam der amerikanische Außenminister nach Europa und mußte sozusagen von einer Hauptstadt in die andere reisen. Allein dieses Bild - Abend für Abend im Deutschen Fernsehen - hat der deutschen Öffentlichkeit nicht den Eindruck vermittelt, daß die atlantische Welt, die Europäer und die Amerikaner wirklich an einem Strick ziehen, daß sie gemeinsam, miteinander versuchen, aus der schwierigen Situation herauszukommen. Vielmehr hat man auf diese Weise den Eindruck erweckt, als ob die europäischen Staats- und Regierungschefs oder die europäischen Außenminister nicht bereit seien, zu einer gemeinsamen Politik zu schreiten.
Herr Bundesaußenminister, ich möchte mit ganz wenigen Worten gern noch auf den Nahen Osten zu sprechen kommen; auch Sie haben dazu ja Stellung genommen. Wir lesen heute in den Zeitungen, daß der amerikanische Präsident Carter sowohl Herrn Sadat als auch Herrn Begin zu unterschiedlichen Terminen in die Vereinigten Staaten eingeladen hat und dabei versuchen will, die etwas ins Stocken geratenen Autonomieverhandlungen wieder flottzumachen. Unser eigener Wille, unsere politische Auffassung ist, daß dies geschehen soll. Wir wollen sowohl die Israelis als auch die Ägypter ermutigen und - ich füge hinzu - ermuntern, in ihren Bemühungen fortzufahren, den geschlossenen Friedensvertrag weiterzuentwickeln. Wir bitten die Bundesregierung und fordern sie auf, alles zu tun, damit auch der eine oder andere arabische Staat in die nächste Phase der Entwicklung mit einsteigen kann, weil es eben nicht sein kann, daß diejenigen, die im Nahen Osten für Frieden arbeiten, öffentlich beschimpft werden. Vielmehr sollten wir denen, die sich um Frieden kümmern, unsere eigene Hilfe, unsere eigene politische Unterstützung leihen. Das gilt für die Ägypter und die Israelis
({37})
wie auch für jeden anderen, der sich an einer solchen friedensvertraglichen Regelung, ohne radikale Störungen, beteiligt.
({38})
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß kommen: Unser Wunsch, der Wunsch der Fraktion der CDU/CSU, ist es, daß in diesem Hause auch künftig außenpolitische Diskussionen geführt werden können, die den Zusammenhang der außenpolitischen Probleme, die ihre geschichtliche Bedeutung deutlich machen. Dabei erbitten und fordern wir vom Bundeskanzler, daß er in einer dazu geeigneten Regierungserklärung Anstöße gibt und die
Meinungen und die Haltung seiner eigenen Regierung unzweifelhaft festlegt. Dies haben wir heute - zwar nicht überall, aber zu einem wichtigen Teil - leider vermißt.
({39})
Meine Damen und Herren, einer Vereinbarung im Ältestenrat zufolge soll eine Mittagspause eingelegt werden. Wir unterbrechen jetzt die Sitzung. Sie wird um 14 Uhr fortgesetzt.
({0})
Wir fahren in den Beratungen fort. Ich möchte dem Hause für den Fall, daß Sie sich über die Abwesenheit des Herrn Bundesaußenministers wundern, nur mitteilen, daß der Herr Bundesaußenminister noch bei dem Empfang festgehalten ist, den er für Frau Veil gibt, und deswegen etwas später kommt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man übertreibt gewiß nicht, wenn man sagt, daß bange Fragen in Europa umgehen. Es gehört wohl zu den Charakteristika dieses Jahres 1980, daß es ähnlich bange Fragen sind, die die Menschen im östlichen wie im westlichen Teil Europas bewegen und umtreiben. Wenn ich mir das westeuropäische und das deutsche Interesse vor Augen zu führen versuche, so sollte dies klar sein: Es darf keine Zweifel an der Loyalität innerhalb des Bündnisses und im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten geben. Als Fußnote füge ich nur hinzu: Dies erreicht man nicht durch bloßes Übersetzen und Übernehmen amerikanischer Texte.
({0})
Man tritt niemandem zu nahe, wenn man sagt: Was für Texas gut sein mag, ist nicht notwendigerweise im einzelnen auch schon für das Rheinland und Westfalen gut.
({1})
Hier und da ist in diesen Wochen - wie ich finde, törichterweise - von einer Achse Bonn-Paris die Rede gewesen, von der man behauptet, sie könne gegen die Vereinigten Staaten gerichtet sein.
({2})
Das enge Zusammenwirken ist aber richtig und bleibt notwendig, denn in Europa läuft nichts, wenn es zwischen Bonn und Paris nicht klappt. Die Allianz steht insgesamt besser da, wenn die Europäer einig sind.
({3})
Das Besondere unserer Lage und unserer Interessen wird deutlich, wenn wir nie vergessen, was an unvorstellbaren Vernichtungsmitteln auf deutschem und europäischem Boden gelagert ist, wenn wir aber auch nicht in Vergessenheit geraten lassen, was sich in diesem Teil der Welt doch in zehn -Jahren in Richtung auf mehr Zusammenarbeit, mehr Austausch, mehr menschliche Begegnungen entwickelt hat. Humanitäre, mitmenschliche Fragen
sind im deutschen Fall immer auch nationale Fragen.
({4})
Dazu habe ich von Herrn Strauß heute vormittag so gut wie nichts gehört. Es ist fast ein Kunststück, eine so lange Rede mit so wenig konstruktivem Inhalt zu halten,
({5})
wobei es an Polemik freilich nicht gefehlt hat.
Frau Präsidentin, ich will auf eine Änderung in der Parlamentspraxis hinweisen, die ich nicht zu kritisieren habe. Auch ich bin als ein Mitglied des Bundesrates 1961 und 1965 angetreten, um für meine Partei einen Wahlkampf zu führen. Ich habe aber nie diesen Platz in Anspruch genommen, um von hier aus in den Wahlkampf einzugreifen.
({6})
Aber wenn man schon von der Bundesratsbank aus hierher geht, dann sollte man mehr zu bieten haben, als es der bayerische Ministerpräsident heute früh geboten hat.
({7})
Wenn ich an meine Zeit als Regierender Bürgermeister denke - das sage ich an die Adresse meines Vorredners, des Kollegen Marx, der vor der Mittagspause gesprochen hat -, so meine ich: Keiner von uns hat im Laufe dieser Jahre seit 1949 oder davor immer und in allem recht gehabt. Aber niemand wird ernsthaft den deutschen Sozialdemokraten ihren Beitrag streitig machen können, der sich z. B. ausdrückt in den Begriffen: Berlin und deutsche Einheit, Grundgesetz und Orientierung hin auf den demokratischen und sozialen Bundesstaat und, nicht zuletzt, Freundschaft mit dem Westen, ergänzt durch möglichst gute Beziehungen mit unseren östlichen Nachbarn. Das ist unsere Politik.
({8})
Hier ist heute an Erfurt vor zehn Jahren erinnert worden, an den 19. März 1970. Einen Tag nach jener Begegnung von Erfurt, heute genau vor zehn Jahren, am 20. März, konnte ich dem Deutschen Bundestag aus meiner damaligen Verantwortung einen ersten Bericht über meine Gespräche geben. Ich habe das nachgelesen und mich vergewissert, daß ich gesagt habe:
Erfurt konnte nur ein Anfang sein. Es war ein Anfang.
Ich verschwieg nicht - warum hätte ich es tun sollen? - daß, mit allem, was dazugehörte, dies auch ein starkes menschliches Erlebnis war. Hier habe ich hinzugefügt - ich darf, was man eigentlich nicht soll, mich selbst zitieren -:
Daß derartige praktische Ergebnisse möglich sein können, daß eine schrittweise Milderung der Folgen, die sich aus der Spaltung Deutschlands ergeben, denkbar ist - denkbar ! wenn auch alles andere als sicher -, das halte ich heute
- das war jener 20. März 1970 bei aller gebotenen Skepsis eher für möglich als vorgestern.
Nun wird, meine Damen und Herren, zuweilen noch immer so getan, als hätten wir Illusionen nachgejagt. Die mit aller Zurückhaltung ausgesprochene Hoffnung, an die ich soeben erinnert habe, war keine Illusion. Sie war auch nicht überzogen. Auch die Kritiker unserer Politik müssen heute einräumen, daß in Deutschland, trotz allem, fühlbare, im Alltag vieler Menschen spürbare Verbesserungen erreicht werden konnten, und die wollen wir, wenn es irgend geht - ich weiß es nicht -, bewahren und dann auch ausbauen.
({9})
Ich hatte in Erfurt gesagt, wir- stünden allenfalls am Anfang eines langen und mühseligen Weges. Herr Stoph - wenn ich mal von manchem absehe, was polemisch übersteigert war, zum Teil auch durch die Entwicklung überholt ist - sagte aus seiner Sicht erstens, daß es darum gehe - wie er es formulierte -, Grundfragen der Normalisierung der Beziehungen zu erörtern. Er sagte zweitens, er erwarte von uns - von beiden Seiten, war damit gemeint - einen konstruktiven Beitrag zur Sicherung des Friedens im Herzen unseres Kontinents.
Ich selbst - wenn ich daran erinnern darf - forderte uns dazu auf, erstens nach solchen Gebieten zu suchen, auf denen es die beiderseitigen Interessen gestatteten, Fortschritte für den Frieden und die Menschen zu erreichen, und zweitens aktiv zu einer Entwicklung beizutragen, durch die es möglich werde, die Gräben zuzuschütten, die uns in Deutschland trennen.
Ich würde mir eher die Zunge abbeißen, als hier meinen Eindruck zu vermitteln, alle Beteiligten hätten sich seitdem stets so verhalten, wie es der Sache, d. h. den insoweit gemeinsamen Interessen, objektiv entsprochen haben würde. Gleichwohl ist es heute, in diesen schwierigen Zeiten, ein Vorteil, daß die Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland damals auf eine neue Grundlage gestellt worden sind. Wir kamen ja auch, was heute bei uns und erst recht bei unseren westlichen Nachbarn so viele vergessen, zunächst einmal auf das Niveau von Beziehungen, das andere längst erreicht hatten. Wir wurden insofern „gleicher", als wir es vorher waren.
({10})
Das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten ist dann auch zu einem der Faktoren von Stabilisierung und Friedenssicherung in Europa geworden. Ich sage dies in vollem Bewußtsein dessen, daß wir in Mitteleuropa natürlich nicht mit einer Oase des Friedens und der Sicherheit rechnen könnten, falls um uns herum die Spannungen weiter zunehmen würden, und daß auch beide deutsche Staaten zusammen nicht allzuviel bewirken könnten, wenn sie es sich zumuteten, eine Konfrontation der Weltmächte und damit der Blöcke zu verhindern.
Aber, meine Damen und Herren, wer sich mit mir daran erinnert, wie innerdeutsche Probleme, Pro16652
bleme auf deutschem Boden, weltpolitische Spannungen früher noch verschärften, wird ermessen, daß immerhin einiges erreicht worden ist.
Herr Kollege Marx, das Wort „den Frieden sicherer machen" konnte immer nur auf diesen unseren Teil der Welt bezogen sein. Ichhabe nie gemeint - das wäre eine völlige Fehleinschätzung der Dinge auf dieser Welt gewesen -, die Beziehungen - ({11})
- Ach was! Wir sind immer davon ausgegangen - Sie würden zu den Illusionisten gehören, wenn Sie nicht davon ausgegangen wären -, daß eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Weltmächten auch auf die europäischen und die deutschen Verhältnisse durchschlägt.
({12})
Vermutlich werden es die Partner auf der anderen deutschen Seite ähnlich sehen, wenn ich sage: Sollte das alles noch sehr viel schwieriger werden - das gilt auch für den Satz von Herrn Strauß heute früh über das Verhältnis zu gewissen Staaten, die er genannt hat -, dann wird es in den Bereichen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion leider keine „Naturparks" geben. Vielleicht hätte ich besser sagen sollen: im Verhältnis zu den Partnern, um die es sich dort handelt.
Ich halte es jedenfalls für gut, daß wir damals die Kraft zu einem neuen Anfang gefunden haben. Die Lage der Nation sähe im Frühjahr 1980 sonst noch bedenklicher aus; denn wir hätten es mit einem zusätzlichen Spannungsherd zu tun. Das aber kann nicht in unserem Interesse liegen, auch nicht im Interesse unserer europäischen und unserer atlantischen Verbündeten.
Nun brauchen wir in Wirklichkeit nicht darüber zu streiten, wie wichtig unsere im Bündnis verankerte Sicherheitspolitik ist, eine Sicherheitspolitik, die jedoch über die Verankerung im Bündnis hinaus zu behaupten und auch zu gestalten bleibt.
Der Vorstand meiner Partei hat dieser Tage einen Entwurf für das in die Diskussion eingeführt, womit wir den Wählerinnen und Wählern nach der Sommerpause begegnen wollen. Dort machen wir die Definition unserer Sicherheitspolitik an sechs Punkten fest. Das sollte eigentlich auch die Kollegen von der Opposition davon überzeugen, daß wir einiges aus dem Bereich überflüssiger Polemik herausnehmen könnten. Wir sagen: 1. Aktive Friedenspolitik heißt Sicherheit im Bündnis, 2. aktive Friedenspolitik heißt Entspannung, 3. aktive Friedenspolitik heißt Politik für die Menschen in Deutschland, 4. aktive Friedenspolitik ,heißt Rüstungsbegrenzung, 5. aktive Friedenspolitik heißt Ausgleich zwischen Nord und Süd, 6. aktive Friedenspolitik heißt mehr europäische Einigung. Das begründen wir im einzelnen. Das werden wir im großen Gespräch mit den Bürgern im Laufe dieses Jahres - jeder auf seine Weise - zusätzlich zu erläutern wissen.
Der bayerische Ministerpräsident, der nun selber nicht hört und vielleicht auch nicht einmal nachliest - was weiß ich -, was ich ihm zu sagen habe, dient -({13})
- Ich habe nicht dem Bundeskanzler in diesem Augenblick zu antworten. Ich sage nur - ({14})
- Ich stelle nur die Tatsache fest, daß er das zweite Mal von der Bundesratsbank hierher geht und danach wegfährt. Das ist die Tatsache.
({15})
Jetzt sage ich: Der bayerische Ministerpräsident dient der eigenen Sache nicht, wenn er den deutschen Wahlkampf in die USA trägt.
({16})
Er wird den Interessen der Bundesrepublik nicht gerecht, wenn er meint, deutschen Wahlkampf mit amerikanischen-Argumenten bestreiten oder Carter gegen Schmidt ausspielen zu können.
({17})
Er hat ja auf dieses Argument hier übrigens heute vormittag interessanterweise verzichtet.
({18})
Der bayerische Ministerpräsident riskiert dann auch, durch diejenigen, auf die er sich beruft, so rasch dementiert zu werden, wie er durch den amerikanischen Verteidigungsminister dementiert worden ist.
({19})
- Herr Kohl, es gab gar keinen Grund, so nervös zu reagieren.
({20})
Denn was ich jetzt an die Adresse von Herrn Strauß sagen will, war ganz nett gemeint. Ich hätte ihm gerne sagen wollen, daß mir das Bild im Fernsehen mit dem großen Hut richtig Spaß gemacht hat.
({21})
Ich würde ihm auch gesagt haben - wenn er hätte da sein können, sage ich jetzt und werde ihm damit hoffentlich auch gerecht -: Der Ehrensheriff von Dallas/Texas braucht sich gegenüber der SPD, ihrer
inneren Meinungsbildung und ihrem Auftreten nach außen nicht als Ordnungsfaktor aufzuführen.
({22})
Da gibt es ja überhaupt einiges, wo wir uns wohl unterscheiden. In der eigenen Partei diskutieren wir offen, auch kritisch. Das war so, das bleibt so. Ich halte das immer noch für überzeugender als manches, was ich über die Phantastereien aus Gesprächen mit europäischen Rechtsradikalen über die Zukunft der Welt lese.
Nun kann man natürlich Herrn Strauß eine ganze Menge zutrauen, aber eines nicht: daß er klüger ist als alle anderen zusammengenommen. Das ist nicht glaubhaft.
({23})
Es ist auch ein Kunststück, Erklärungen bei Präsident Ceausescu in Bukarest, beim Premierminister Raymond Barre in Paris, bei Carter und für Frau Thatcher auf einen Nenner bringen zu wollen. Das ist nicht leicht. Aber auch Herr Strauß würde nicht widersprochen haben - wenn er da wäre -, daß es nicht im Interesse Europas liegen kann, wenn Spannungen weiter zunehmen. Aus europäischer Sicht ist es vielmehr gut, wenn die Weltmächte wieder mehr - ich betone: mehr - miteinander ins Gespräch kommen. Der Wille der amerikanischen Regierung, von dem ich vor einem Monat ja auch einiges gehört habe, alles zu tun, um einen Rückfall in den Kalten Krieg zu vermeiden, verdient nicht unser Mißtrauen, sondern unsere ausdrückliche Unterstützung.
({24})
Ich habe mit großem Interesse gelesen, was Präsident Carter am 5. März anläßlich eines Abendessens für den deutschen Bundeskanzler gesagt hat. Mir liegt die englische Fassung der Rede des Präsidenten vor; ich trage es der Einfacheit halber auf Deutsch vor.
({25}) Er sagt dort:
Wir erkennen an, daß es ernsthafte Bedrohungen der Stabilität gibt, daß wir die Vorteile der Entspannung in den letzten Jahren schätzen gelernt haben und daß trotz anderer möglicher wichtiger Differenzen die Kontrolle von Rüstung und Nuklearwaffen an der Spitze der Tagesordnung stehen muß. Diese Verpflichtungen sind erschüttert, aber nicht verändert worden durch die sowjetische Invasion in Afghanistan.
Dann sagt Carter weiter - ich zitiere -:
Wir sind weiter der Entspannung verpflichtet. Wir bekennen uns weiter dazu, einen Rückfall in den Kalten Krieg zu vermeiden. Wir fühlen uns weiter der Kontrolle von Nuklear- und konventionellen Waffen verpflichtet. Wir sind weiterhin der Zusammenarbeit aller Nationen der Welt verpflichtet. Wir sind weiter der Stabilität
und dem Frieden verpflichtet, und wir fühlen uns weiter verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß jede Aktion, die wir unternehmen, um Krisen zu bewältigen, eine friedliche und konstruktive Aktion ist, die dazu beiträgt, unsere Ziele zu erreichen, ohne diese fest verankerten Verpflichtungen und Prinzipien zu verletzen, auf denen die Politik unseres Landes begründet ist.
Dies, meine verehrten Damen und Herren, unterscheidet sich nicht nur nach der Sprache, sondern auch dem Inhalt nach gründlich von dem, was mancher aus den Reihen der Opposition unserer Öffentlichkeit als maßgeblichen Kurs der amerikanischen Politik darzustellen versucht. Man sollte nicht nahtlose Übereinstimmung vorgaukeln, wenn man auf nichts anderes aus ist, als den Präsidenten für eigene Positionen oder eigene Interessen in unserem Wahlkampf einzuspannen.
({26})
Aber ich fürchte, meine Damen und Herren, man wird alles in allem feststellen müssen: Auch zu beginn der 80er Jahre ist Europa immer noch mehr Objekt als Subjekt der Weltpolitik. Trotz seines großen geistigen und materiellen Reichtums ist Europa weiterhin nicht in der Lage, dem hohen und zugleich zwingenden Anspruch, als starker Faktor des Friedens in der Welt zu wirken, auch nur einigermaßen zu genügen.
Ich schätze nicht gering, was die Außenminister der Neun - Außenminister Genscher hat heute früh daran erinnert - zur Lösung der AfghanistanKrise beizutragen versuchen. Ich meine, man darf dort und auch anderswo nicht lockerlassen, um den Status Afghanistans als eines unabhängigen und blockfreien Landes zu erreichen, das mit seinen Nachbarn verträglich zusammenarbeitet und dessen Grenzen garantiert sein müßten.
({27})
Ich will mich jetzt nicht im einzelnen zu den Olympischen Spielen und zur olympischen Idee äußern, Herr Kollege Marx,
({28})
sondern ich gehe einmal davon aus,
({29})
daß der Bundeskanzler, der das in andere Worte gekleidet hat, davon ausgeht, daß da ein Zug abgefahren ist.
({30})
- Herr Kollege Kohl, Sie machen der deutschen Öffentlichkeit etwas vor, wenn Sie den Eindruck erwecken, ein einziger russischer Soldat kommt aus
Afghanistan weg, weil es sonst keine Olympischen Spiele mehr gibt.
({31})
Jetzt erinnere ich Sie noch einmal an eine schwierige Krise, die wir miteinander durchzustehen hatten, als im Jahre 1961 die Mauer errichtet wurde,
({32})
als man ziemlich hilflos dastand und versuchte, das zusammenzubauen, was man Gegenmaßnahmen nannte. Dazu gehörte auch die Aufkündigung des innerdeutschen Sportverkehrs. Ich erinnere mich daran, daß fast alle Beteiligten nach ein paar Jahren froh darüber waren, daß dieser innerdeutsche Sportverkehr wiederaufgenommen wurde. Ich sage also nur: Die eine Sache ist, daß ein Zug abgefahren sein muß; dazu muß ich nicht auch noch hurra rufen. Ich sage zum anderen: Schätzen Sie diesen Faktor nicht falsch ein, was das eigentliche politische Geschehen in der Welt angeht!
({33})
Ich begrüße das, was die Außenminister in bezug auf Afghanistan versuchen. Ebenso begrüße ich es, wenn sich Frankreichs Staatspräsident, Giscard d'Estaing, und andere darum bemühen - der Bundeskanzler hat heute früh in seiner Regierungserklärung daran erinnert -, eine Verschärfung des Konflikts im Nahen Osten vermeiden zu helfen. Ich möchte, wenn ich es darf, die Regierungserklärung aus meiner Sicht zu diesem Punkt ein wenig präzisieren. Es war von allen Staaten in der Region die Rede. Ich sage für meine Fraktion dazu: Beides gehört zusammen, das unantastbare Recht auf Leben und Gedeihen des Staates Israel und die Selbstverwirklichung des palästinensischen Volkes.
({34})
Im übrigen widerspreche ich meinem Vorredner nicht, der sinngemäß sagte, was auch ich hätte sagen können, daß es der Friedensprozeß, der zwischen Ägypten und Israel in Gang gekommen ist, verdient, ausgebaut und ausgeweitet zu werden.
Ich habe weiter wie die Regierung zu begrüßen, daß für Simbabwe offensichtlich ein Weg nach vorn gefunden worden ist. Ich sage für die deutschen Sozialdemokraten gute Wünsche für die Führung jenes Staates,
({35})
verbunden mit der Hoffnung, daß es weitere Fortschritte für das südliche Afrika geben möge. Wo wären wir gelandet, wenn wir dem Rat derer gefolgt wären, die nicht begriffen hatten, daß die Zeit des Rassismus und der Herrschaft von Minderheiten in weiten Teilen der Welt zu Ende geht?
({36})
Andere Wetterzonen kommen hinzu, wie Zentralamerika und Südostasien. Manchmal - ich möchte das hier einmal loswerden - fragt man sich, wie schweigsam die Welt geworden war, als in Kambodscha das schlimmste Massenmorden seit den Vernichtungslagern auf europäischem Boden vor sich ging.
({37})
Die Wahrheit muß auch von dieser Stelle aus einmal gesagt werden.
({38})
Sie muß auch dann gesagt werden, wenn es in der Hauptstadt einer fernöstlichen großen Macht, Pol Pots wegen, und auch anderswo nicht gern gehört wird. Die Existenz eines ganzen Volkes - jetzt: der Reste eines ganzen Volkes - steht auf dem Spiel, und das kann einem nicht gleichgültig sein. Darüber braucht es gewiß auch keinen Parteienstreit zu geben.
({39})
Die Ereignisse dieser Wochen und Monate haben gezeigt, wie wenig Ost und West noch immer in der Lage sind, aufkommende Konflikte zu beherrschen und einzudämmen. In den frühen 70er Jahren geschaffene Strukturansätze für erfolgreiches Crisis Management, also für die Beherrschung von Krisen, werden nicht genutzt oder kommen nicht zum Tragen. Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Weltmächten, zum Teil ausgelöst oder belastet durch Konflikte in der Dritten Welt, wirkt sich in kürzester Frist auch auf die Bündnissysteme aus. Es rächt sich bitter, daß es nicht gelungen ist, in den Jahren fortschreitender, wenn auch widersprüchlicher, politischer Entspannung wirksame Maßnahmen zur Rüstungsbegrenzung oder gar Abrüstung zu vereinbaren. Denn was bisher passierte, war ja immer nur, einen Deckel draufzulegen, wenn die eine oder die andere Seite bei den Rüstungen wieder einen Schritt voran getan hatte.
Ich sage wie die Bundesregierung: Bilaterale und multilaterale Kontakte müssen genutzt werden, um Mißtrauen zu reduzieren, Unwägbarkeiten auszuräumen und, wenn es irgend geht, neue Sicherheit zu schaffen.
Wir - mit „wir" meine ich jetzt nicht nur uns Deutsche, sondern die Europäer und die Menschen auf dieser Welt überhaupt - können es uns eigentlich nicht leisten, noch weitere Jahre vergehen zu lassen, bevor die interkontinentalen und die sogenannten eurostrategischen Nuklearwaffen qualitativ und quantitativ begrenzt werden.
Ich sehe einen Widerspruch darin - ich will das hier in der Öffentlichkeit vortragen -, wenn der sowjetische Außenminister Gromyko vorgestern in dem Kommuniqué über den Besuch des ungarischen Außenministers wiederholte, die Ost-West-Verhandlungen über die nuklearen Mittelstreckenraketen könnten beginnen, „wenn die NATO ihren Nachrüstungsbeschluß oder dessen Verwirklichung aussetzt".
Ich wiederhole den zweiten Teil des Satzes: „oder dessen Verwirklichung aussetzt". Ich frage mich allen Ernstes, ob die sowjetische Seite beide Elemente des Brüsseler Beschlusses ernst genommen hat, ob sie nicht die rüstungskontrollpolitische Komponente falsch verstanden oder unzulänglich bewertet hat.
Herr Kollege Marx, der Fraktionsvorsitzende der SPD ist in diesem Zusammenhang zu Unrecht gescholten worden.
({40})
Er hat in dem, was er wirklich sagte, auf den Teil eines wichtigen Beschlusses meiner Partei auf dem Berliner Parteitag vom letzten Dezember und auch auf ein wichtiges Element der Regierungspolitik aufmerksam gemacht. Ich pflichte ihm bei, wenn er meint, daß uns rüstungspolitischer Übereifer und rüstungspolitisches Vordrängen nicht gut zu Gesicht stünden.
({41})
Im übrigen sage ich für den Kollegen Wehner mit: Schlimm wäre es, wenn auf das Nachrüsten wieder ein Nach-Nachrüsten folgte. Aber daß es solche Befürchtungen gibt, kann man ja an den Sorgen ablesen, die - voneinander ganz unabhängig - unter anderem von norwegischer oder jugoslawischer Seite artikuliert werden.
({42})
- Ich möchte jetzt fortfahren.
Dies kann ja nicht - das sage ich noch einmal an die Adresse der Führung der Sowjetunion - allein oder primär auf vermeintliche amerikanische Scharfmacher oder behaupteten deutschen Übereifer zurückzuführen sein.
Auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden, füge ich gleichwohl hinzu, was heute früh „ddp" aus offiziöser sowjetischer Quelle meldet und was mir darauf hinzudeuten scheint, daß auch dort noch ein Meinungsbildungsprozeß im Gange ist. Dort heißt es: „Von vornherein sei gesagt, daß sich die UdSSR nach wie vor für Entspannungs- und Abrüstungspolitik sowie für umfassende Zusammenarbeit einsetzt und daß sie ihren prinzipiellen Kurs in den Beziehungen zu anderen Ländern nicht verändert hat." Was die Welt braucht, ist jedenfalls ein Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau, und gleichzeitig muß man das Entstehen neuer Grauzonen vermeiden.
Ich brauche nicht zu wiederholen, was wir im Januar und im Februar zu SALT, also den Verhandlungen über strategische Waffen, und was wir zu Wien, also den Verhandlungen, die nun seit vielen Jahren im Gange sind - ob es nicht doch geht, in der Mitte Europas Truppen und Rüstungen zu reduzieren -, schon gesagt haben, sondern ich füge jetzt hinzu: Eine raschere - nicht bloß rasche - und mit gutem Willen geführte Prüfung der französischen und der polnischen Vorschläge über eine Konferenz für Sicherheit und Abrüstung im gesamteuropäischen Rahmen könnte von Bedeutung sein.
({43})
- Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Brandt, bei voller Zustimmung zum Ziel des Gleichgewichtes auf niedrigerem militärischen Niveau möchte ich Sie fragen: Haben Sie mit Ihren Äußerungen soeben nicht das Ziel des Nachrüstungsbeschlusses der NATO abgewertet, nämlich zunächst einmal dieses Gleichgewicht wiederherzustellen, und haben Sie mit der ironischen Bemerkung, dann könne ein Nach-Nachrüstungsbeschluß kommen, diesen Beschluß nicht Ihrerseits politisch abgewertet?
Ich kann dieser Wertung in keiner Weise zustimmen, Herr Kollege. Es tut mir leid.
({0})
Auch wenn es gilt, die Vorbereitungen für Madrid weiterzuführen - und übrigens auch den sowjetische Vorschlag einer Energiekonferenz einzubeziehen; denn da gibt es ja Interessen in West und Ost und bei den Neutralen -, kann man doch Zweifel haben - ich äußere sie nicht zum erstenmal -, ob das im Spätherbst 1980 so laufen wird, wie viele es wünschen. Die Zweifel, die mir nicht fremd sind, wurden dieser Tage auch von französischer Seite - offiziös, wenn nicht offiziell - zum erstenmal deutlich ausgesprochen.
Aber dann auch noch dies: Die Krisen im Nahen Osten und in Südostasien, im südlichen Afrika und in Zentralamerika, im Iran und in Afghanistan sind ja auch dramatische Beweise dafür, daß der Frieden dort kaum eine Chance hat, wo auf die Dauer die soziale Rechnung nicht stimmt. Der Bundeskanzler hat heute früh Lomé angeführt. Das ist ein guter und wichtiger Ansatz. Ich sage dazu als Fußnote: Die Unterstützung - wie man es so nennt - „westlich" orientierter Regierungen in der Dritten Welt wird nicht viel nützen, wenn deren Politik den Bedürfnissen der Menschen, der Gesundung von Staaten und Gesellschaften nicht hinreichend Rechnung trägt.
Aber ganz gewiß: Ohne einen grundlegenden Wandel im Verhältnis zwischen Nord und Süd, zwischen Industrie- und Entwicklungsländern kann es auch für Europa auf die Dauer keine Sicherheit geben. Der Westen sollte es meiner festen Überzeugung nach vermeiden, Nord-Süd-Beziehungen noch einmal in erster Linie unter strategischen Aspekten zu sehen, sondern statt dessen - zumal auch für unser Land, für Europa - die Chance nutzen, daß weite Teile der Dritten Welt auf der Suche nach ehrlichen, dauerhaften Partnern sind, die die Bereitschaft zeigen, die Länder der Dritten Welt, die Blockfreien, als
gleichberechtigte Partner mit eigenen Interessen anzuerkennen.
({1})
Da bedarf es nun u. a. auch neuer Methoden. Wir sehen doch das ganze Elend der Mammutkonferenzen, die ja gar keine sind, sondern auf denen man Reden vorliest, zu denen vielfach Beamte mit dem Auftrag geschickt werden, zurückzukommen, ohne irgendwo einen Kompromiß gemacht zu haben. Es bedarf also auch neuer Methoden, um internationale Konferenzen anders vorzubereiten,, als das bisher der Fall war.
({2})
Zahlenmäßig begrenzte Gipfelkonferenzen - selective summit meetings, wie die Angelsachsen sagen würden - können dabei eine wichtige Rolle spielen. Ich bin dankbar für die positive Stellungnahme, die der Bundeskanzler hierzu nach seinem Gespräch mit Generalsekretär Waldheim auf der Pressekonferenz in der vergangenen Woche abgegeben hat.
Sorgfältige Vorarbeiten haben ergeben, daß es sinnvoll wäre, sich für die nächsten Jahre ein Dringlichkeitsprogramm vorzunehmen, das gemeinsamen Interessen entspräche und zu dem jedenfalls vier Elemente gehören müßten: erstens die Überwindung des Welthungers, zweitens umfassende energiepolitische Vereinbarungen, betreffend nicht nur das 01, sondern auch die Entwicklung von Energievorhaben in Ländern, in denen sie, was die Forschung angeht, noch nicht einmal angepackt worden sind, drittens ein verstärkter Transfer von Ressourcen und viertens eine ernsthaft beginnende Reform der internationalen Organisationen.
Das, was ich jetzt - nicht zum erstenmal - hinzufüge, mag gerade in diesem Augenblick nicht sehr realistisch wirken. Ich nehme 'das in Kauf und sage doch:
({3})
Es wird - hoffentlich nicht zu spät - der Zeitpunkt kommen, zu dem man weltweit darüber zu reden und zu entscheiden wünscht, wie ein Teil von Mitteln, die sonst für zusätzliche Rüstungen ausgegeben würden, für produktive Zwecke der Entwicklung umzuleiten ist.
Meine Damen und Herren, eine nüchterne Bilanz der Lage unserer Nation im Frühjahr 1980 kann angesichts dessen, was um uns herum geschieht, ganz gewiß nicht von blankem Optimismus getragen sein. An Risiken und Gefährdungen besteht wahrlich kein Mangel. Aber wir, die Menschen in diesem Land, haben auch keinen Grund, in Resignation zu verfallen. Es gibt Wege in der Gefahr, die uns zu mehr Sicherheit und gefestigtem Frieden führen können. Die Bundesregierung darf sich und wird sich - Herr Bundeskanzler, ich weiß es - vom Weg der Vernunft nicht abbringen lassen. Darauf verlassen wir uns. Dabei wollen wir Sie unterstützen, und dafür erbitten wir das aufgeschlossene Engagement unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, nicht zuletzt der jungen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern haben die Parteien ein Wahlkampfabkommen geschlossen, und das Fairneßgebot ist ein zentraler Punkt dieser Vereinbarung. Damit, so glaube ich, sind wir alle gefordert, und unsere politische und parlamentarische Praxis steht auf dem Prüfstand. Es ist nämlich, wie mir scheint, die Form unserer politischen Auseinandersetzung, die viele Bürger in unserem Lande, besonders die jungen Menschen, zu neuen Gruppierungen treibt. Das „grüne Ereignis" ist jedenfalls nicht allein mit Okologie zu erklären. Es geht nicht nur um die Inhalte der Politik, sondern auch darum, unsere politische Auseinandersetzung offen und mit Anstand zu meistern.
({0})
Meine Damen und Herren, auch der Deutsche Bundestag wird darauf achten müssen, daß seine Debatten nicht zu einem bloßen Ritual einer Kanzlerkandidatenkür erstarren. Wenn nämlich das unbestrittene Recht des Bundesrates zu einer solchen Staatspraxis gerät, werden wir letztlich alle keinen Gefallen daran finden können.
({1})
In der heutigen Debatte über die Lage der Nation haben der Bundeskanzler und der Außenminister die innen- und außenpolitischen Aspekte ausgeleuchtet Der Kanzlerkandidat der Opposition hat - jedenfalls zeitweise - die Lage der Nation mit der Lage der SPD vertauscht und zum anderen über die Lage seiner Besuchstermine in ausländischen Hauptstädten referiert.
Wenn der Kollege Dr. Marx in seinem Beitrag davon spricht, daß hier zum Teil dünne Argumente vorgetragen worden seien,
({2})
dann sollte er bei dieser Betrachtung den eigenen Mann nicht aussparen.
({3})
Wenn ich nach dem Kollegen Willy Brandt hier zu sprechen habe, dann erinnere ich mich an einen Abschnitt der engen politischen Zusammenarbeit im Senat von Berlin. Damals haben wir mit der Politik der kleinen Schritte die Türen für den Dialog aufgestoßen, der dann in Erfurt und Kassel begonnen hat. Wir haben damals geholfen, ein Stück jener Politik vorzubereiten, über die wir heute in der Aussprache miteinander zu diskutieren haben.
Zwei Männern wollen wir Freien Demokraten für ihr umsichtiges Vorgehen in dieser kritischen Weltlage Dank aussprechen: Bundeskanzler Helmut
Schmidt .und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.
({4})
Sie haben in den zurückliegenden Wochen ein Beispiel für abwägende Politik gegeben. Sie haben es nicht bei Worten belassen, sondern sich in koordiniertem Einsatz um ein geschlossenes Konzept der freien Welt bemüht. So konnte es gelingen, in Abstimmung mit den Partnern in Europa und in Solidarität mit den Vereinigten Staaten die Weichen für konkretes Handeln zu stellen.
Bundeskanzler und Außenminister leisteten handfeste Arbeit im westlichen Bündnis und bei den Staaten der Dritten Welt. Durch ihren Einsatz haben sie erkennbar dazu beigetragen, daß ein Konzept Konturen gewinnt, mit dem nach dem von den Sowjets erzeugten schweren internationalen Störfall in Afghanistan das Gleichgewicht der Kräfte wiederhergestellt und gesichert werden kann.
({5})
Herr Kollege Marx, was heute der Bundeskanzler und der Außenminister zum Teilaspekt Olympia gesagt haben, schafft, wenn man hören will und sich nicht die Ohren gewaltsam zuhält,
({6})
Klarheit für die deutsche Öffentlichkeit, Klarheit für den Sport und, wie ich glaube, auch Klarheit bei den Vereinigten Staaten.
({7})
Wenn wir uns dann noch gemeinsam darum bemühen, daß die hier deutlich zum Ausdruck gekommene konsequente Haltung der Bundesregierung
({8})
zu einer einheitlichen Haltung in Europa werden kann, Herr Kollege Marx, dann sollten auch Sie dieses Stück Weg, das in Europa noch gegangen werden muß, gemeinsam mit der Bundesregierung gehen, statt Zweifel zu nähren, die nicht angebracht sind.
({9})
Es gilt, mit allen Kräften den Ausbruch eines weltweiten Konflikts zu verhindern, die Krise ein zudämmen und den Weg zur Umkehr zu öffnen.
({10})
Diese Bemühungen haben neben dem entscheidenden militärischen Faktor in ganz entscheidendem Maß auch eine politische Perspektive. Die Bundesregierung hat dies bei jedem ihrer Schritte beachtet. Sie ist mit Umsicht ans Werk gegangen. Sie hat einen ehrlichen Dialog im Bündnis und mit den Staaten der Dritten Welt geführt. Verläßliche Zusammenarbeit verlangt eindeutige Verständigung über Fakten und Interessen. Darauf hat die Bundesregierung in Paris, Washington und Kuala Lumpur Wert legt, und das, wie mir scheint, nicht ohne Erfolg.
Einige Stimmen seien zum Beleg dafür angeführt. Der amerikanische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, Stoessel, sprach über die wichtige Rolle der Deutschen bei der Wahrung des Gleichgewichts in Mitteleuropa und der Stabilisierung der Verhältnisse im Nahen Osten. Er kam zu dem Schluß, daß die Beratungen des Bundeskanzlers in Washington „ein wichtiger Schritt nach vorn" gewesen seien.
Die große britische Zeitung „The Times" bezeichnet den Besuch des Bundeskanzlers in Washington als erfolgreich, weil er die Festigkeit der deutschamerikanischen Basis bewiesen habe.
Nato-Generalsekretär Luns hob den ausschlaggebenden Grundkonsens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten hervor.
Zu solch realitätsorientierter Betrachtung kann sich der Kanzlerkandidat der Union offenbar nicht bereit finden. Er bevorzugt nach wie vor eine simple Sicht der Dinge.
({11})
Dabei muß sich der Kanzlerkandidat bei seinem wieder so schnell geäußerten Verdammungsurteil über die Bundesregierung doch gerade folgende Aussage entgegenhalten lassen:
({12})
Wir müssen alles dafür tun, daß ein Europa geschaffen wird, das weniger abhängig ist von Amerika, das vom amerikanischen Schutz und Schirm nicht so bedingungslos abhängt, wie wir es sind. Ein Europa, das nicht am Rockzipfel der Amerikaner hängt, das nicht von den innenpolitischen Wechsellagen der amerikanischen Politik bestimmt wird, das nicht von wechselnden Meinungen des amerikanischen Präsidenten mit seinem Lebensschicksal abhängt.
Das ist eine Sprache von drastischer Direktheit, zugleich aber auch von erstaunlicher Einseitigkeit und zudem nicht frei von persönlicher Herabsetzung, in diesem Falle des amerikanischen Präsidenten. Es ist die Sprache von Franz Josef Strauß, nachzulesen im „Bayernkurier" vom 1. März 1980.
Bemerkenswert daran sind nicht einmal die harten Töne. Der wirkliche Dollpunkt liegt, wie mir scheint, darin, daß Franz Josef Strauß nur zwei Wochen später in Amerika das absolute Gegenteil beteuerte, seine vollkommene Übereinstimmung mit dem amerikanischen Präsidenten behauptete und gleichzeitig Tiefschläge gegen den Bundeskanzler austeilte.
Schon nach der plumpen Abqualifizierung der Pariser Erklärung vom 5. Februar auch mit der heute hier vorgetragenen einschränkenden Korrektur - ({13})
Aus den Reaktionen des französischen Präsidenten
und des französischen Ministerpräsidenten war für
die deutsche Öffentlichkeit doch wohl erkennbar, in welche Lage die Nation mit diesem Mann an der Spitze der Bundesregierung allzu leicht geraten könnte.
({14})
Meine Damen und Herren, Besonnenheit ist gefragt - nicht nur in Krisenzeiten, aber besonders dann.
Die Bundesregierung hat den einstmals sehr engen Handlungsspielraum durch ihre aktive Bündnispolitik im Westen und ihre offensive Verständigungs- und Vertragspolitik nach Osten Jahr für Jahr wesentlich erweitert. Die Zeiten, in denen von einem wirtschaftlichen Riesen und einem politischen Zwerg gesprochen wurde, sind längst vorbei. Das aber war nur erreichbar, weil wir gegen den von Ängstlichkeit und Einfaltsarmut gekennzeichneten Widerstand der Opposition die strukturellen Voraussetzungen für eine stärkere Mitsprache auf internationaler Ebene geschaffen haben. Ich möchte an unseren Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag, an unsere Aufnahme in die Vereinten Nationen, an die vertraglich eingeleiteten Verbesserungen für ungezählte Menschen im geteilten Deutschland sowie an die Sicherung Berlins erinnern. Ich erinnere auch an die konstruktive Rolle der Bundesregierung bei der Abstimmung unter den westlichen Verbündeten im Vorfeld und im Verlauf der Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Meine Damen und Herren, wo stünden wir heute, wenn wir dieses Guthaben nicht angesammelt hätten? Was wäre, wenn sich die von Strauß geführte Ablehnungsfront gegen alle diese instrumentellen und praktischen Verbesserungen durchgesetzt hätte? Mit Sicherheit würde die Afghanistan-Krise weit tiefere und längere Schatten werfen.
({15})
Meine Damen und Herren, gewiß sind beide deutschen Staaten gleichermaßen - wenn auch auf unterschiedlicher Weise - in die zwei großen Machtblöcke eingebunden. Der Spielraum wird folglich niemals größer sein können, als es ins Konzept des jeweiligen Bündnissystems paßt. Und dennoch führt uns die derzeitige Situation vor Augen, daß auf deutsch-deutscher Ebene nicht gleich alle Bewegung erstarren muß, wenn es zwischen Washington und Moskau wieder klirrend frostig wird. Das sollte uns allerdings keineswegs zu euphorischen Hoffnungen verleiten. Letztlich werden die Deutschen ihre Zusammenarbeit nur dann sinnvoll voranbringen können, wenn die durch die Afghanistan-Krise verdunkelte weltpolitische Lage durch Signale und Schritte der Vernunft aufgehellt wird. Es muß deshalb im ganz besonderen Interesse der deutschen Nation liegen, daß die von der Sowjetunion verursachten Spannungen nicht zum dominierenden Element im weltweiten Maßstab werden. Die Zeche hätten nicht zuletzt die zu zahlen, die an der Nahtstelle der Bündnissysteme angesiedelt sind, nämlich die Deutschen in Ost und West.
Wir Freien Demokraten sehen aus diesem Grunde unsere Hauptaufgabe darin, alle jene Kräfte im Westen wie im Osten zu bestärken, die auf eine Entschärfung der zugespitzten Lage hinarbeiten. Wir appellieren mit Nachdruck auch an die Sowjetunion, ihre derzeit an den Tag gelegte Haltung des ertappten Sünders, der zunächst einmal nur mit Gegenvorwürfen reagiert, nicht zum trotzig durchgehaltenen Prinzip ihrer Außenpplitik zu erheben. Die Sowjetunion weiß doch wohl sehr genau, daß sie einen schweren Fehler begangen hat. Das wurde ihr von mehr als 100 Staaten vor dem Forum der Vereinten Nationen attestiert. Sie kann die negativen Folgen ihres afghanischen Abenteuers nicht dadurch beseitigen, daß sie es zum Dauerzustand werden läßt.
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Wäre sie zu keiner gravierenden Korrektur in der Lage, so wäre das Ost-West-Verhältnis einer unzumutbaren Belastung ausgesetzt. Es kommt doch wohl hinzu, daß das Ansehen Moskaus bei vielen Staaten der Dritten Welt ohnehin stark gelitten hat. Es würde dann sicher auf den Nullpunkt sinken.
Die Bundesregierung tut deshalb das einzig Richtige, wenn sie auf der einen Seite gegenüber den Staaten Osteuropas gesprächsbereit bleibt und wenn sie zum anderen gegenüber den Staaten der Dritten Welt auf ein strikt partnerschaftliches Verhältnis Wert legt. Nicht die Schaffung von Einflußzonen ist unser Ziel, sondern die Stärkung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der blockfreien Staaten. Auf dieser Basis wachsenden Vertrauens und der Freundschaft wird spürbar mehr für die Balance in der Welt getan als durch machtpolitische Initiativen. Dieser von den Freien Demokraten geforderte und vom Außenminister praktizierte Grundsatz entspricht voll unseren nationalen Interessen. Er ist zugleich bestimmend für unsere Politik in Europa und im Atlantischen Bündnis. Was Franz Josef Strauß unserer Regierung gern als Widerspruch vorhalten möchte, ist in Wahrheit ein Dreiklang, den die Bundesregierung unbedingt wahrt: nationale Interessen, politische Zusammenarbeit in Westeuropa und enge vertrauensvolle Verbindung mit den USA - das alles bedingt einander und läßt sich nicht gegeneinander ausspielen.
Unsere Sicherheit erlangen wir durch die militärische Allianz in der NATO, und darin sind wir ein zuverlässiger Partner, der seine Aufgaben voll erfüllt - und das gestern, heute und morgen. Eine andere Sicht und eine andere Handhabung darf es nicht geben, können wir uns nicht leisten. Aber wir können auch nicht Fehlleistungen von solcher Art gestatten, wie sie sich der wahlkämpfende bayerische Ministerpräsident in Amerika erlaubt hat.
({17})
Sie sind von label. Es offenbart sich dabei hin und wieder eine Geisteshaltung, bei der immer das Negative Vorrang hat. Positives erscheint anstößig, wenn es nicht ins Konzept paßt. Das Schlimme daran ist nur, daß solche Entgleisungen nicht nur zu
Lasten von Strauß gehen, Sie werden uns allen angelastet.
({18})
- Wenn Sie, verehrter Herr Kollege Todenhöfer, darauf bestehen, dann will ich noch einmal in Erinnerung rufen, daß der Kollege Strauß vor seinem Antrittsbesuch beim amerikanischen Präsidenten und vor Journalisten die gemeinsame Erklärung von Jimmy Carter und Helmut Schmidt zu einem Muster ohne Wert abtat. Er sagte laut Agenturmeldung, Carter habe das Kommuniqué nur unterschrieben, weil in den Vereinigten Staaten die Präsidentschaftswahlen bevorstünden, und er erklärte wörtlich: „In der Not frißt der Teufel Fliegen.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser Auftritte kommt mir die klassische Unterwerfungsgeste in den Sinn, die Herr Heubl auf dem letzten CSU- Parteitag zelebrierte: „Franz Josef Strauß, gib uns Hoffnung, Aussicht, Chance und Ermutigung für die Zukunft!" So flehte er dort. Er hat sich zweifellos an die falsche Adresse gewandt. Strauß verkörpert genau das Gegenteil der dort beschworenen Sehnsüchte.
({19})
Wir versprechen uns noch weniger von seiner Lippenübung „pacta sunt servanda", weil sie nämlich stets mit dem Totalverriß eben dieser Vertragspolitik einhergeht. Was nottut, ist zunächst einmal die behutsame Sicherung des in den letzten zehn Jahren Erreichten. Das kann aber nur gelingen, wenn nicht Rechthaberei den Ton angibt, sondern wenn Umsicht und der Wille zum fairen Interessenausgleich vorherrschen.
Das gilt besonders für die deutsch-deutschen Beziehungen. Hier hat sich inzwischen ein Zustand herausgebildet, der zwar nicht als komfortabel bezeichnet werden kann, der aber kalkulierbar ist und auch zeitweiligen Belastungen standhält. Diesen Zustand haben wir durch realistische Einschätzungen der Möglichkeiten, durch beherztes Handeln und Geduld erreicht.
Dabei lassen die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen keinen Zweifel daran aufkommen, daß die bisher erreichten menschlichen Erleichterungen noch nicht zufriedenstellend sind. Wir werden nicht nachlassen, auf eine Änderung des nach wie vor unbefriedigenden Zustandes zu drängen.
Wir werden auch immer wieder den Staatsratsvorsitzenden Honecker daran erinnern, daß er schon vor Jahren Erwartungen geweckt hat, was die Herabsetzung der Altersgrenze in bezug auf Reisen aus der DDR in die Bundesrepublik angeht.
Politisch und technisch sinnvoll sind zweifellos die beabsichtigten Verbesserungen auf den Transitstrecken. Das in der Verhandlung stehende 500-
Millionen-DM-Paket bringt Nutzen für beide Seiten.
({20})
Eine weiterführende Perspektive kann mit einer Anschlußvereinbarung über langfristige Verträge auf dem Gebiet Schiene und Energie gefunden werden. Das ist gewiß ein teures Unternehmen.
({21})
Aber, meine Damen und Herren, wenn eine Einigung auf der Basis des gegenseitigen Vorteils erreicht würde, wäre das eine wertvolle Investition für die deutsche Zukunft.
Die CDU/CSU, so meine ich, muß endlich den Widerspruch auflösen, einerseits die Einheit der Nation zum Refrain ihres politischen Credos zu machen, und andererseits all das zu verteufeln, was wir zur Wahrung des Zusammenhalts der Deutschen auch an materiellen Leistungen aufbringen.
({22})
Meine Damen und Herren, Sie beklagen mit Recht - so im Zusammenhang mit einer Großen Anfrage, die Sie am Dienstag veröffentlicht haben -, daß das Deutschlandbild gerade bei vielen jungen Bundesbürgern verblaßt und verworren sei. Für die meisten der jungen Bürger in diesem Lande - so wurde bei der Vorstellung der Anfrage erläutert - verbinde sich der Deutschlandbegriff nur noch mit der Bundesrepublik. Zur Abhilfe schlägt die Opposition vor, das Bewußtsein von der Einheit der Nation nicht nur durch Bemühungen im Unterricht, sondern auch in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion aufrechtzuerhalten. Das ist hervorragend gesagt. Ich kann der CDU/CSU nur vorschlagen, dann auch in dem eigenen politischen Verhalten daraus die Konsequenzen zu ziehen.
({23})
Sie sollte deshalb zum einen aufhören, finanzielle Aufwendungen zugunsten verstärkter Bindungen und Verbindungen zu verteufeln. Zum anderen sollte sie mit uns darum bemüht bleiben, daß an unseren Schulen mit der intensiven Behandlung der deutschen Frage ernst gemacht wird. Der Bundesregierung ist in dieser Hinsicht jedenfalls kein Vorwurf zu machen. Sie ist der falsche Adressat. Es liegt an den Kultusministern der Bundesländer
({24})
- aller Bundesländer, meine Damen und Herren -, endlich jenen Beschluß in die Tat umzusetzen, den die Kultusministerkonferenz bereits im November 1978
({25})
auf Initiative des liberalen Berliner Schulsenators gefaßt hat.
({26})
Wer das Deutschlandbild nicht verblassen lassen will, muß mehr können als feierliches Deklamieren. Er muß Mut und Kraft zum praktischen Handeln haben.
({27})
Meine Damen und Herren, diese Eigenschaften hat die sozialliberale Koalition gerade in der Deutschlandpolitik praktiziert. Drei Grundsätze sind bei unseren weiteren Anstrengungen zu beachten.
1. Eine Politik in Richtung auf eine gemeinsame deutsche Zukunft läßt sich nur fortsetzen, wenn wir weiter in einem engen, vertrauensvollen Verhältnis mit unseren westlichen Partnern leben.
({28})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Präsidentin, ich möchte die Zwischenfrage erst zulassen, wenn ich die drei Punkte vorgetragen habe.
2. Wir müssen uns über die Wechselwirkung von Westintegration und nationaler Frage klar werden. Die in den 50er Jahren aufgebaute Frontstellung scheint heute überwunden zu sein. Damals wurden das Zusammenwachsen Westeuropas und die Hoffnung auf ein gemeinsames Dach für die beiden deutschen Staaten häufig als Widerspruch empfunden. Jetzt gilt es, das scheinbar Widersprüchliche kongruent zu machen. Eine auf gesamteuropäische Politik angelegte Entwicklung und eine wachsende enge Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten bis hin zu institutionalisierten Gemeinsamkeiten lassen sich sehr wohl miteinander vereinbaren.
3. Eine Annäherung kann nur stattfinden, wenn in Ost und West die Bereitschaft besteht, eine solche Politik auch zu tolerieren. Das setzt voraus, daß das Klima zwischen den Machtblöcken wieder verbessert wird und in Osteuropa allmählich eine spürbare Veränderung zu mehr Selbstsicherheit und Freizügigkeit eintritt. .
Jetzt kann die Zwischenfrage gestellt werden.
Bitte, Herr Kollege Sauer.
Herr Kollege Hoppe, würden Sie mir denn zustimmen, daß es notwendig ist, im gemeinsamen Bemühen Deutschland in allen seinen Teilen - insbesondere der jüngeren Generation - bewußt zu machen und daß es der Bundeskanzler auch in diesem Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland leider erneut unterlassen hat, ein Wort zu der bedrückenden Situation unserer Landsleute in Schlesien, Pommern und Ostpreußen zu sagen?
({0})
Verehrter Herr Kollege Sauer, ich glaube nicht, daß ein von Ihnen jetzt in die Diskussion eingeführter Spezialaspekt, den niemand von uns geringschätzen will, eine entscheidende Rolle für Erfolg oder Mißerfolg unserer Bemühungen spielt, das gesamtdeutsche Bewußtsein lebendig zu halten und durch unsere Schulen in die junge Generation hineinzutragen.
({0})
Meine Damen und Herren, niemand in Europa wird unter Spannungen zwischen den Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung mehr zu leiden haben als die Deutschen. Keine Nation ist so sehr auf vernunftorientiertes Handeln angewiesen wie gerade die deutsche. Andere können sich zur Entspannungspolitik bekennen; wir müssen sie zur Bewahrung der Einheit unserer Nation zum zentralen Inhalt unserer Politik machen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dregger.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers heute morgen begann mit dem zutreffenden Satz:
Die Lage unserer geteilten Nation und die weltpolitische Entwicklung sind unlösbar miteinander verbunden.
Ich möchte in meinem Beitrag diese Verbindung beleuchten. Ich möchte es nicht beschönigend tun, sondern mit all der Nüchternheit, die dem Ernst der Lage allein angemessen ist. Ich hatte heute den Eindruck, daß der Ernst der Lage in dieser Debatte noch nicht ausreichend sichtbar geworden ist.
({0})
Ich will dabei einen Begriff zugrunde legen, der unser außen- und sicherheitspolitisches Denken seit jeher geprägt hat, der im letzten Jahrzehnt sträflich vernachlässigt worden ist, der aber - nachdem die Lage so ist, wie sie ist - auch in den Reden des Bundeskanzlers und des Außenministers zunehmend wiederkehrt: Gleichgewicht, militärisches Gleichgewicht in Europa und in der Welt.
Wer sich zu einer Politik des Gleichgewichts bekennt, muß wissen, was das in der gegenwärtigen Weltlage bedeutet. Es bedeutet erstens, sich zu etwas zu bekennen, was im letzten Jahrzehnt weitgehend verlorengegangen ist. Es bedeutet zweitens, etwas zu erstreben, was die Sowjetunion mit allen Mitteln politischen Drucks und politischer Propaganda zu verhindern versucht. Es bedeutet daher drittens, die Spannungen in Kauf zu nehmen, die mit diesem Druck der Sowjetunion zur Verhinderung des Gleichgewichts unvermeidlich verbunden sein werden.
Daß diese drei Thesen zutreffen, läßt sich am leichtesten für den Bereich der eurostrategischen Nuklearwaffen nachweisen. Die Bundesregierung selbst spricht hier von der Notwendigkeit der Nachrüstung. Nachrüstung bedeutet ja, daß die andere Seite vorgerüstet hat, also gegenwärtig militärisch überlegen ist. Wir alle wissen, daß das nicht nur für diesen Bereich, sondern genauso für die Land- und Luftstreitkräfte und für die Zivilverteidigung einDr. Dregger
schließlich des zivilen Bevölkerungsschutzes gilt, den es ja in der Bundesrepublik Deutschland so gut wie nicht gibt.
({1})
Disparitäten also in der Zivilverteidigung, bei den Land- und Luftstreitkräften, bei den nuklearen Mittelstreckenwaffen. In der Vergangenheit wurden diese Disparitäten durch die Überlegenheit unseres amerikanischen Verbündeten in den interkontinentalen Nuklearwaffen ausgeglichen. Diese Überlegenheit besteht nicht mehr, wie wir alle wissen. Unsere amerikanischen Verbündeten laufen Gefahr, auch auf diesem Felde noch unterlegen zu sein, wenn sie sich nicht sehr anstrengen. Aber schon die jetzt erreichte Parität in den interkontinentalen Waffen bedeutet, daß die kontinentalen Disparitäten in Europa voll zu Lasten des Westens durchschlagen. Schlußfolgerung also: das militärische Gleichgewicht in Europa ist in gefährlicher Weise in Frage gestellt. Das zu These eins.
Nun zu These zwei! Daß die Sowjetunion nicht bereit ist, an der vom Westen erstrebten Wiederherstellung des Gleichgewichts durch Rüstungskontrollvereinbarungen mitzuwirken, hat sie mit nicht zu überbietender Brutalität deutlich gemacht. Außenminister Gromyko hat bei seinem letzten Besuch in Bonn öffentlich erklärt, der Nachrüstungsbeschluß der NATO schließe Rüstungskontrollverhandlungen aus. Das ist um so bemerkenswerter, als die NATO diese Verhandlungen vorgeschlagen hatte, um die Verwirklichung ihres eigenen Nachrüstungsbeschlusses überflüssig zu machen. Statt auf dieses Angebot einzugehen, statt Parität auf möglichst niedrigem Niveau - am besten ohne Mittelstreckenwaffen - zu vereinbaren, lehnt die Sowjetunion Verhandlungen auf der Basis der Gleichheit ab.
Was bedeutet das? Die Sowjetunion verlangt nicht weniger als die Unterwerfung des Westens schon vor dem Beginn der Verhandlungen. Sie stellt uns vor eine Wahl. Wir sollen zwischen der Fortsetzung der Entspannungspolitik, so wie sie sie versteht, und der Wiederherstellung des Gleichgewichts wählen. Wir sollen gleichzeitig wählen zwischen der Fortsetzung der Entspannungspolitik in der Art der Sowjetunion und der Bündnissolidarität zu unseren wichtigsten Alliierten, den USA.
Daß die Sowjetunion uns heute vor diese Wahl stellen kann, wurde durch eine Entspannungspolitik ermöglicht, die nicht nur auf die Gleichheit von Leistung und Gegenleistung im politischen Bereich, sondern zunehmend auch auf das Gleichgewicht im militärischen Bereich verzichtet hat.
({2})
Daß eine derartige Entspannungspolitik trotz aller nationalen Opfer der Deutschen den Frieden nicht sicherer machen konnte, daß sie ihn unsicherer machen mußte, war all jenen von Anfang an klar, die im letzten Jahrzehnt nüchtern geblieben sind. Inzwischen kommt diese Tatsache auch denen zu Bewußtsein, die sich selbst und andere getäuscht haben.
Meine Damen und Herren, es ist gewiß schwieriger und risikoreicher, verlorengegangenes Gleichgewicht wiederherzustellen, als vorhandenes Gleichgewicht zu bewahren. Aus der von mir gegebenen Analyse der Lage folgt daher noch nicht, welche Politik jetzt möglich und richtig ist. Die Herren Brandt, Bahr und Wehner, die Architekten der Entspannungspolitik ohne Gleichheit und ohne Gleichgewicht, empfehlen uns, auf die Wiederherstellung des Gleichgewichts zu verzichten und die Entspannungspolitik ohne Gleichgewicht fortzusetzen.
({3})
Sie sind offensichtlich bereit, um dieses Zieles willen auch die Aushöhlung der Bündnissolidarität mit den USA in Kauf zu nehmen. - Ja, meine Damen und Herren von der SPD, wenn Herr Brandt auf den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan erklärt, das sei ein Zeichen dafür, daß es ein Zuwenig und nicht ein Zuviel an Entspannung gibt, dann muß er doch annehmen, durch noch mehr Entspannungspolitik der alten Art die Lage wiederherstellen zu können. Und wenn der Herr Wehner erklärt: Keine Mittelstreckenwaffen in Deutschland, dann entzieht er damit doch der NATO und der Sicherheitspolitik der eigenen Bundesregierung die Grundlage.
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- Herr Wehner, dann ist die ganze Weltöffentlichkeit angelogen worden. Wenn Sie etwas anderes gesagt haben, dann geben Sie uns den Text, in dem steht, wie Sie es gesagt haben.
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- Ich warte immer noch auf Ihren Text.
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Meine Damen und Herren, wenn diese Politik der Herren Brandt, Bahr und Wehner, der sich mit Recht sehr getroffen fühlt, auch falsch und, wie ich meine, auch lebensgefährlich ist, so ist sie wenigstens konsequent. Das letztere wird man von der Politik des Bundeskanzlers nicht sagen können.
Die Ankündigung des Bundeskanzlers, die Sowjetunion werde die angestrebten Rüstungskontroliverhandlungen am Nachrüstungsbeschluß der NATO nicht scheitern lassen, hat sich als falsch herausgestellt. Während der Bundeskanzler in der ersten Fassung seiner Weihnachtsansprache noch die Friedensliebe der Sowjetunion beschrieb, marschierte sie in Afghanistan ein. Zunächst schwieg der Bundeskanzler. Was er seitdem sagt, ist widersprüchlich. Ich erinnere an die Frage des Olympia-Boykotts, wo er noch in Amerika Wert darauf legte, sich in dem gemeinsamen Kommuniqué von der amerikanischen Haltung durch die Beschreibung
unserer Haltung abzusetzen. Ich frage, ob das den deutschen Interessen nützlich sein konnte.
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Ich erinnere an seine verschiedenen Stellungnahmen zur Nützlichkeit von Handelsbeschränkungen und zu den Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft, sich daran zu beteiligen. Ich erinnere an die heißen und kalten Blitzgüsse, mit denen er wechselnd den amerikanischen Präsidenten auszeichnet - ein Meisterstück von Diplomatie, meine Damen und Herren. Was den Bundeskanzler dabei bewegt, ist nicht klar ersichtlich. Schwankt er zwischen Einsicht und Selbsttäuschung, schwankt er zwischen dem amerikanischen und dem französischen Präsidenten, oder schwankt er nur zwischen Genscher und Wehner?
({8})
Auf jeden Fall schwankt er, und das ist schlimm
({9})
„Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist, der vermehret das Übel und bereitet es weiter und weiter.
({10})
Herr Bundeskanzler, Sie kennen das Zitat; ein solcher Mensch sind Sie. Vielleicht liegt es nicht an Ihrem Charakter, sondern nur an den Machtverhältnissen in Ihrer Partei; im Ergebnis kommt es auf dasselbe heraus. Sie ermutigen durch ihre schwankende Haltung den Aggressor; sie schüren seine Hoffnung, das Bündnis spalten und Europa von den USA abkoppeln zu können.
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Sie wecken Zweifel bei dem Verbündeten, auf dessen absolute Bündnistreue wir im Ernstfall angewiesen sind.
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Ich verkenne nicht, daß in der gegenwärtigen Lage, Herr Ehmke, jede eindeutige Positionsbestimmung nicht nur mit positiven, sondern auch mit negativen Konsequenzen verbunden ist.
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Aber der Verzicht auf eine klare Positionsbestimmung - das kann man Herrn Brandt und Herrn Wehner nicht vorwerfen - hat nur negative Konsequenzen.
Wer sich dem sowjetischen Druck nicht beugt, wer das militärische Gleichgewicht wiederherstellen will, was auch Ihnen vorzuschweben scheint, Herr Bundeskanzler, der muß bereit sein, sich der Spannung auszusetzen, die mit dem ultimativen Druck Moskaus und dem Durcheinander in Ihrer Partei unvermeidlich verbunden ist.
Prüfen wir aber noch einmal sorgfältig, ob die von den Herren Brandt, Bahr und Wehner, also von der Parteiführung der SPD, vorgeschlagene Politik des Verzichts auf Gleichgewicht, ob eine Entspannungspolitik ohne Gleichgewicht eine verantwortbare Alternative ist! Das hängt von der Bewertung der Ziele und der Methoden sowjetischer Politik ab.
({14})
Es ist nicht schwierig, sie zu erkennen. Afghanistan ist weder ein Einzelfall noch ein Betriebsunfall noch ein Schwächezeichen sowjetischer Politik, wie einige Toren in ihrer Strohhalmmentalität uns glauben machen wollen. Afghanistan ist Glied in einer Kette, die bereits 1939 mit der Eingliederung von Estland, Lettland, Litauen und Ostpolen, damals im Bündnis mit Hitler, in die Sowjetunion begann. Diese Kette setzte sich nach dem Kriege durch die Eingliederung von Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Ost- und Mitteldeutschland in das sowjetische Imperium fort. Die sowjetische Expansion in Europa wurde 1949 durch die NATO gestoppt, also durch Gleichgewicht,
({15})
nicht durch eine Entspannungspolitik besonderer Art, wie sie erst 1970 begann.
Die dritte Phase der sowjetischen Expansion, die noch anhält, vollzieht sich in Asien und Afrika. Angola und Mozambique im südlichen Afrika, Äthiopien und Aden/ Südjemen am Horn von Afrika, jetzt Afghanistan sowie Indochina mit Vietnam, Laos und Kambodscha, zuvor Kuba - um nur die wichtigsten Stationen zu nennen - gehören heute zum sowjetischen Macht- und Einflußbereich.
Die Instrumente der sowjetischen Expansion in Asien und Afrika sind der ideologische Kampf, sind weltweite Propagandaaktionen, an denen sich viele westliche Politiker und Publizisten beteiligen, und zwar ohne Rücksicht auf die Folgen für die betroffene Bevölkerung. Denken Sie nur an die unglücklichen Menschen in Vietnam, Laos und Kambodscha, an die Bootsflüchtlinge, denken sie auch an die Zustände im Iran! Zu den Instrumenten dieser Expansion gehört die Lieferung von Waffen, die Entsendung kubanischer Kampftruppen und deutscher Militärinstrukteure in Spannungsgebiete. Dazu gehört die Schürung regionaler Konflikte, z. B. zwischen Indien und Pakistan, zwischen China und den südostasiatischen, zwischen Israel und den arabischen Ländern.
Bei keiner ihrer Aktivitäten ist die Sowjetunion bisher ein unkalkulierbares Risiko eingegangen. Tatsachen hat die Sowjetunion stets respektiert, aber nur Tatsachen, nicht Reden und Resolutionen.
({16})
Wenn es weiter so ist, daß die Sowjetunion die Tatsachen schafft und der Westen Reden und Resolutionen entgegensetzt, dann wird er sich nicht durchsetzen.
({17})
- Von den Tatsachen habe ich gerade gesprochen. Ich meine die Tatsachen, die in diesen Ländern Asiens und Afrikas gesetzt worden sind.
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- Ich habe Ihnen heute morgen sehr geduldig zugehört, obwohl das sehr anstrengend war, Herr Bundeskanzler. Ich darf ebenfalls um etwas Geduld bitten.
({19})
Das ergibt sich nicht nur aus einer nüchternen Analyse der sowjetischen Politik, sondern auch aus den Erklärungen der sowjetischen Führer, die im Westen unverständlicherweise entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht geglaubt werden. Die sowjetischen Führer haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß ihre Politik der Entspannung nicht auf Dauer angelegt ist, daß sie nur als Durchgangsphase im weltrevolutionären Kampf begriffen wird, daß sie dem derzeitigen - oder muß man nach zehn Jahren dieser Entspannungspolitik schon sagen: dem bisherigen? - Kräftegleichgewicht auf der Welt entsprach. Dieses Kräftegleichgewicht soll jedenfalls nicht stabilisiert, sondern überwunden werden durch den Sieg des Kommunismus im Weltmaßstab, selbstverständlich unter sowjetischer Führung. Das ist die erklärte Staats- und Parteidoktrin der Sowjetunion. Die praktische Politik stimmt mit dieser Doktrin nahtlos überein und kann nur durch sie, nicht durch anderes erklärt werden.
Diese Doktrin, meine Damen und Herren, ist die Grundlage der Herrschaft der kommunistischen Staats- und Parteifunktionäre; sie ist die Legitimation der ungeheuren Entbehrungen, die diese Funktionärsschicht den Völkern der Sowjetunion durch übermäßige Rüstungslasten auferlegt. Es hat keinen Sinn, sich über diese Doktrin und die ihr entsprechende Praxis moralisch zu entrüsten. Man muß sie ganz einfach zur Kenntnis nehmen und sich darauf einstellen.
Die Schlußfolgerung - nun komme ich zu dem, was Sie wünschen, Herr Bundeskanzler -, die sich aus dieser Doktrin und der politischen Praxis der Sowjetunion für den Westen ergibt, ist zwingend: Entspannungspolitik auf Dauer ist ohne Gleichgewicht nicht möglich. Entspannungspolitik ohne Gleichgewicht führt unvermeidlich zum Ende der Entspannung; zunächst zur sowjetischen Hegemonie und dann zur sowjetischen Weltherrschaft. Wer Entspannung nicht nur als Durchgangsphase zum Sieg des Kommunismus im Weltmaßstab, sondern wer Entspannung auf Dauer will, für den gibt es zur Gleichgewichtspolitik daher keine Alternative. Ich betone: zur Gleichgewichtspolitik; vorher haben Sie immer gesagt, es gebe keine Alternative zur Entspannungspolitik.
({20})
Wenn uns die Sowjetunion vor die schlimme Alternative stellt: Gleichgewicht oder Entspannung, wie sie sie sich vorstellt, dann können wir nur das Gleichgewicht wählen. Die von den Herren Brandt,
Bahr und Wehner und der Parteiführung der SPD empfohlene Politik ist daher keine verantwortbare Alternative. Sie ist absolut unakzeptabel, meine Damen und Herren.
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Je eher und je konsequenter wir zu einer Politik des Gleichgewichts zurückkehren, je eindeutiger und je fester wir uns an die Seite unserer wichtigsten Alliierten stellen und diese auch moralisch stärken, desto eher und besser dienen wir dem Frieden.
Seien wir uns klar darüber: Wer nicht den Frieden, sondern die Entspannung zum obersten Wert erhebt, auch dem Aggressor gegenüber, der gefährdet den Frieden und wählt die Unterwerfung.
({22})
Aus dieser Erkenntnis ergeben sich Konsequenzen für unsere Politik nicht nur in, sondern auch außerhalb Europas. Europas Abhängigkeit von Asien und Afrika war nie so groß wie jetzt. Ohne offene Rohstoff- und Energiemärkte und ohne offene Exportmärkte sind wir lebensunfähig. Wenn die Sowjetunion die Golfregion kontrolliert, kontrolliert sie uns.
In dieser Situation kann es nicht darum gehen, der drohenden sowjetischen Hegemonie in der Golfregion durch eine westliche Hegemonie zuvorzukommen. Es geht ausschließlich darum, den Ländern der Golfregion und den Ländern der Dritten Welt eine nicht nur von Moskau, sondern von den Großmächten unabhängige Politik zu ermöglichen. Ob diese Länder zu einer solchen Politik bereit und fähig sind, ist auch - aber nicht nur eine Frage des militärischen Gleichgewichts. Es hängt auch und vor allem von ihrer inneren Stabilität ab, die wir fördern müssen. Es hängt schließlich nicht zuletzt davon ab, wie wir mit diesen Ländern umgehen.
Dabei spielt nicht nur der Umfang der Entwicklungshilfe eine Rolle. Wenn es darauf ankäme, müßten die Länder der Dritten Welt geschlossen hinter dem Westen stehen. Die Entwicklungshilfeleistungen des Westens betrugen 1978 einschließlich Japans 20 Milliarden Dollar. Das mag zu wenig sein. Die des Sowjetblocks betrugen aber nur eine halbe Milliarde Dollar, also nur ein Vierzigstel der westlichen Leistungen.
({23})
Von den Exporten der Dritten Welt nimmt der Westen 19 Zwanzigstel ab, der Sowjetblock nur ein Zwanzigstel. Dieses Übergewicht an Entwicklungshilfeleistungen hat dem Westen wenig genützt. Es gibt heute nur noch wenige Länder der Dritten Welt, die bereit wären, sich offen an die Seite des Westens zu stellen. Das spektakulärste Beispiel ist die Zurückweisung der allerdings unzureichenden amerikanischen Hilfe durch Pakistan.
Woran liegt der Sympathie- und Vertrauensverlust des Westens in der Dritten Welt? Meine Antwort: Erstens. Man kann nicht mit jedem zusammenarbeiten. Aber wenn man mit jemandem zusammen16664
arbeiten will, muß man ihn zunächst so nehmen, wie er ist. Das gilt nicht nur für das Leben der einzelnen Menschen, sondern auch für das Zusammenleben der Völker. So wünschenswert es ist, westliche Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat über die Welt zu verbreiten, so schädlich und kontraproduktiv ist es, wenn das dogmatisch und ohne Rücksicht auf den anderen geistigen Hintergrund der asiatischen und afrikanischen Völker geschieht.
({24})
Die islamische Welt ist anders als die christlich geprägte Welt, und das hinduistisch geprägte Indien ist wiederum anders. Wer erfolgreiche Asien- und Afrikapolitik betreiben will, muß daher die Kultur und die Geistesgeschichte dieser Völker studieren und sich darauf einstellen.
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Was für Asien und Afrika gilt, gilt auch für Lateinamerika, das zwar christlich und europäisch geprägt, das aber trotzdem weder in der Zusammensetzung seiner Völker noch in seiner geistigen Entwicklung mit Europa oder Nordamerika identisch ist. Es war sicherlich eine herbe Enttäuschung für die Vereinigten Staaten, daß Argentinien nicht bereit war, sich dem amerikanischen Getreideboykott gegen die Sowjetunion anzuschließen. Überraschend war es nicht. Es war die Quittung für die Verständnislosigkeit, mit der der Westen die innere Situation eines Landes beurteilt, das in seiner jüngsten Geschichte vom Peronismus geprägt wurde, das daher anders als z. B. Chile nicht über intakte Parteistrukturen verfügt, ein Land, in dem die Alternative zur Militärregierung zur Zeit leider nicht westliche Demokratie, sondern ein links- oder rechtsperonistisches, d. h. ein faschistisches System wäre. Wer das alles übersieht und vom hohen Roß Zensuren verteilt, wie es die Linken in Westeuropa und die Liberals in Nordamerika so gerne tun, muß in einer kritischen Situation mit Konseqenzen rechnen.
Was für die Verbreitung westlicher Vorstellungen von Rechtsstaat und Demokratie gilt, gilt auch für den gemeinsamen Wunsch der USA und der Sowjetunion nach Nichtverbreitung von Atomwaffen. Das liegt sicherlich im allgemeinen Interesse. Trotzdem ist es, wie ich meine, unklug, wenn sich die USA von der Sowjetunion in die Rolle des Weltpolizisten drängen lassen, während sich die Sowjetunion selbst vornehm zurückhält.
Zweitens. Der Westen muß nicht nur die Eigenart und das Selbstwertgefühl der Länder der Dritten Welt, er muß auch ihre nationalen und regionalen Interessen respektieren oder sie wenigstens nüchtern in seine Überlegungen einbeziehen. Indien z. B. sieht in der Sowjetunion nicht nur eine Bedrohung, sondern - ob zu Recht oder zu Unrecht - auch ein Gegengewicht gegenüber Pakistan und China. Obwohl Pakistan im Hinblick auf seine innere Schwäche und seine Bedrohung von Norden für Indien keine Gefahr sein kann und obwohl China seine Außenpolitik gegenüber Indien grundlegend verändert hat und eine Wiederholung des Grenzkrieges von 1962 daher nicht in Frage kommt, möchten weder die jetzige indische Regierung noch die frühere, die heutige Opposition, die sowjetische Karte gänzlich aus ihrem Spiel entlassen. Es liegt im Interesse des Westens und der Region, die Gefühle der Angst und des Mißtrauens zwischen Indien auf der einen Seite sowie Pakistan und China auf der anderen Seite abzubauen. Aber das wird nicht dadurch gefördert, daß man hier im Westen die indische Politik als „moskauhörig" diffamiert. DaB das falsch ist, hat sich beim Besuch des indischen Außenministers jetzt in Bonn und bei seinen Erklärungen ebenso gezeigt wie in dem Gespräch, das ich vor einigen Wochen mit Frau Gandhi in Delhi führen konnte.
Das Dritte, was der Westen in seiner Politik gegenüber den Ländern der Dritten Welt beachten muß, ist sicherlich das Wichtigste: Er muß kalkulierbar und zuverlässig sein. Die Politik des Westens muß einen langen Atem haben und darf nicht sprunghaft sein. Werden die USA die jetzige Linie gegenüber der Sowjetunion nach Afghanistan beibehalten, oder werden sie sie um 180 Grad verändern? Das ist die bange Frage, die sich die Freunde des Westens in der Dritten Welt stellen. Der Rückzug aus Vietnam und das Fallenlassen des Schah haben das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Westens, um es vorsichtig auszudrücken, nicht gerade vergrößert.
Schließlich: Es muß sich - auch ökonomisch und sozial - lohnen, mit dem Westen befreundet zu sein. Es ist masochistisch, seine Freunde nicht besser oder gar schlechter zu behandeln als seine Gegner, wozu der Westen neigt. Das heißt nicht, daß der Westen seine Entwicklungshilfe auf diejenigen asiatischen und afrikanischen Länder konzentrieren sollte, die sich hundertprozentig hinter ihn stellen. Die Politik des Westens muß auch insofern einen langen Atem haben, als sie Veränderungen in der Innen- und der Außenpolitik dieser Länder zum Nachteil des Westens nicht gleich mit Sanktionen bei der Entwicklungshilfe bestraft.
({26})
Aber daß man seinen Freunden mehr hilft als anderen, das ist bei unverbildeten Menschen - und die Länder der Dritten Welt sind unverbildet - so selbstverständlich, daß das Gegenteil nur Verwirrung auslösen kann.
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Aus denselben politisch-psychologischen Gründen halte ich es auch für falsch, den Eindruck zu erwecken, wir erwarteten für unsere Hilfe keine Gegenleistungen. Das wird nicht als Großzügigkeit, sondern als Arroganz empfunden. Sagen wir daher den Ländern der Dritten Welt, daß wir auf sie so angewiesen sind wie sie auf uns und daß wir auf ihre Hilfe rechnen, wie sie auf die unsere rechnen!
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Ein Letztes: Politik ohne Macht bleibt auch in Asien und in Afrika in der Regel wirkungslos. Es entspräche unseren Wünschen, wenn die Länder der Dritten Welt selbst in der Lage wären, das
Gleichgewicht gegenüber der Sowjetunion zu wahren. Dazu sind sie im militärischen Bereich jedoch weder technisch noch ökonomisch in der Lage. Allein China dürfte auch einer Großmacht gegenüber defensivfähig sein, ich betone: defensivfähig, nicht offensivfähig. Daneben verfügt das kommunistische Vietnam über eine bedeutende Militärmacht. Alle anderen Länder der Dritten Welt können sich militärisch allenfalls gegen kommunistische Subversion schützen. Gegen einen äußeren Angriff können sie höchstens ersten Widerstand leisten.
Die Aufgabe, das militärische Gleichgewicht gegenüber der Sowjetunion im Südatlantik, im Indischen Ozean und im Pazifischen Ozean aufrechtzuerhalten, kann nur von den USA zusammen mit den anderen Industriestaaten erfüllt werden. Ich zweifle daran, daß die Amerikaner allein dies können und auf Dauer wollen. Westeuropa und Japan haben auch moralisch und politisch keinen Anspruch darauf, daß diese Aufgabe auch zu ihren Gunsten allein von den USA wahrgenommen wird. Die ökonomische Kraft der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft mit einem Bruttosozialprodukt von 2 000 Milliarden Dollar im vorigen Jahr ist nahezu so groß wie das Bruttosozialprodukt der USA mit 2 100 Milliarden Dollar. Die Abhängigkeit Westeuropas und Japans von der Golfregion ist weit größer als die Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von diesen Regionen der Welt.
({29})
Westeuropa und Japan werden daher auf die Dauer einen Anteil übernehmen müssen, der unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen, ihrer ökonomischen Kraft und ihrem Interesse in etwa entspricht.
Diese Erkenntnis zwingt nicht dazu, den Allianzbereich der NATO auszudehnen, was ich nie gefordert habe. Es bedeutet auch nicht die Notwendigkeit, daß alle westlichen Industriestaaten sich am militärischen Schutz der Lebenslinien des Westens in Übersee beteiligen, was ich ebenfalls nie gefordert habe. Es bedeutet aber, daß sich alle westlichen Verbündeten mitverantwortlich fühlen und daß sich diejenigen, die nicht in anderer Weise besonders gebunden sind wie z. B. wir an der mitteleuropäischen Zentralfront, sich an dem Schutz dieser Lebenslinien mit den USA auch militärisch beteiligen.
Meine Damen und Herren, die Zukunft der Welt hängt davon ab, ob sich der Westen nach Afghanistan so verhält, wie er sich nach dem Überfall auf die Tschechoslowakei im Jahre 1968 verhalten hat.
({30})
Darauf hat die Sowjetunion spekuliert, und es steht noch nicht fest, ob sie sich dabei getäuscht hat.
({31})
Wenn sich der Westen nach einer Anstandsfrist, in
der er sich zerstreitet, Afghanistan genauso vergißt,
wie er die Tschechoslowakei vergessen hat, und
dann erneut in politischen Tiefschlaf verfällt, dann hat er keine Zukunft.
({32})
Wenn der Westen durch Afghanistan auf Dauer aufgewacht sein sollte, wenn er nicht nur in Europa, sondern auch in den anderen Regionen der Welt durch eine kluge Politik gegenüber den Entwicklungsländern und durch militärische Anstrengungen für Gleichgewicht sorgt, dann ist Optimismus möglich; denn der Westen ist der Sowjetunion nicht nur ökonomisch überlegen. Wenn Sie die wirtschaftliche Kraft der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft und der USA zusammennehmen - es sind 4 100 Milliarden Dollar Bruttosozialprodukt im vorigen Jahr - und das mit der Sowjetunion vergleichen - 800 Milliarden Dollar -, stellen Sie fest, daß die ökonomische Überlegenheit des Westens das Fünffache beträgt. Der freie Westen ist der sowjetischen Diktatur vor allem auch moralisch und politisch überlegen. Was dem Westen fehlt, sind nicht Mittel und Möglichkeiten, sondern Wirklichkeitssinn und Selbstbehauptungswille. Wenn er sie zurückgewinnt, dann kann der Friede gesichert werden, dann wird es Entspannung nicht nur vorübergehend, wie es sich die Sowjetunion vorstellt, sondern auf Dauer geben. Dann kann man vielleicht sogar hoffen, daß sich die Sowjetunion in einem längeren Zeitraum aus einer imperialistischen und weltrevolutionären zu einer saturierten Großmacht wandelt, die zum Frieden der Welt beiträgt. Darauf durch eine konsequente Politik des Gleichgewichts hinzuwirken, ist die große Aufgabe der 80er Jahre. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind offensichtlich auf Dauer dazu entschlossen. Wir sollten sie unterstützen, meine Damen und Herren.
({33})
Der Sowjetunion aber wollen wir sagen: Wir wollen auch mit ihr in Frieden, möglichst in Freundschaft leben, wir wollen mit ihr Handel treiben und geistigen Austausch pflegen. Wir wollen das aber ohne Angst tun können. Zu einem Satelliten ist die deutsche Nation nicht geeignet. Wir wollen Partnerschaft, wollen als Gleiche auf der Basis des Gleichgewichts mit ihr im Frieden leben.
({34})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Unterschied zu meinem Herrn Vorredner möchte ich die Regierungserklärung, die hier heute der Bundeskanzler gegeben hat, positiv bewerten und dem Bundeskanzler herzlich danken
({0})
sowohl für die Erklärung als auch für das, was er in ihrem Rahmen in Erinnerung gebracht hat in bezug auf das, was mit den Namen Erfurt und Kassel jedenfalls bei manchen noch in Erinnerung ist; andere werden versuchen, sich noch einmal ein Bild darüber zu machen.
Der Ministerpräsident des Freistaats Sachsen hat leider auf diese Regierungserklärung - ({1})
- Bayern; ja!
({2})
- Moment! Wenn Sie sich ausgelacht haben - Sie lachen sich ja selber aus -, werde ich Ihnen mal die Wende in der Geschichte sagen.
({3})
Meine Heimat hieß in der Weimarer Republik Freistaat Sachsen; genauso: Freistaat Thüringen.
({4})
- Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden, Sie Düffel-Doffel da!
({5})
Jetzt ist es umgekehrt. Jetzt gibt es einen Freistaat Bayern.
({6})
Ist in Ordnung. So dreht sich das Karussell.
({7})
- Ist gut. Ich habe keine Heimat mehr. Sie haben sie, und die ist jetzt Freistaat. Ich wünsche gute Reise in die Geschichte.
({8})
Ich erinnere hier auch an den 19. März 1980,
({9})
der in Erinnerung gebracht hat, was vor 10 Jahren in Erfurt ausgesprochen worden ist. Ich zitiere gerade auch deshalb, weil manche hier in ihren Beiträgen zu dieser Debatte nicht sehr gerecht geurteilt haben, den damaligen Bundeskanzler, den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler, Willy Brandt:
Deutsche Politik nach 1945 war bei allen Aufbauleistungen hüben und drüben
({10})
nicht zuletzt eine Funktion der Politik der Mächte, die Deutschland besiegt und besetzt hatten. Die Machtkonfrontation zwischen Ost und West überwölbte seitdem die deutsche Situation und teilt Europa. Wir können diese Teilung nicht einfach ungeschehen machen. Aber wir können uns bemühen, die Folgen dieser Teilung zu mildern und aktiv zu einer Entwicklung beizutragen, die sich anschickt, die Gräben zuzuschütten, die uns trennen in Europa und damit auch in Deutschland.
Damals sind Grundsätze, von denen sich die Bundesregierung leiten ließ, so dargestellt worden:
1. Beide Staaten haben ihre Verpflichtungen zur Wahrung der Einheit der deutschen Nation. Sie sind füreinander nicht Ausland.
2. Im übrigen müssen die allgemein anerkannten Prinzipien des zwischenstaatlichen Rechts gelten, insbesondere der Ausschluß jeglicher
Diskriminierung, die Respektierung der territorialen Integrität, die Verpflichtung zur friedlichen Lösung aller Streitfragen.
3. Dazu gehört auch die Verpflichtung, die gesellschaftlichen Strukturen im Gebiet des Vertragspartners nicht gewaltsam ändern zu wollen.
4. Die beiden Regierungen sollten eine nachbarschaftliche Zusammenarbeit anstreben, vor allem die Regelung der fachlich-technischen Zusammenarbeit, wobei gemeinsame Erleichterungen in Regierungsvereinbarungen festgelegt werden können.
5. Die bestehenden Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und Berlin sind zu respektieren.
6. Die Bemühungen der Vier Mächte, Vereinbarungen über eine Verbesserung der Lage in und um Berlin zu treffen, sind zu unterstützen.
Es war ein wichtiger Tag, als diese sechs Grundsätze, von denen sich die Bundesregierung leiten ließ, deutlich ausgesprochen wurden. Das sollte nicht völlig in Vergessenheit geraten.
Ich bin dem Bundeskanzler dankbar für seine für viele, die sie nachlesen werden, doch wohl nachdenklich stimmende Darlegung der 20 Punkte von Kassel. Es hat sich gelohnt, daß das heute hier herausgehoben worden ist.
({11})
Meine Damen und Herren, mein verehrter Herr Vorredner hat hier von Brandt, Bahr und Wehner gesprochen, die empfehlen würden, auf das Gleichgewicht zu verzichten.
({12})
- Ich habe Sie ja nicht gemeint, Herr, obwohl Sie jetzt wie ein Papagei dazwischenreden.
({13})
Nein, nein, ich rede zu meinem verehrten Vorredner. Sie meinen, weil Sie neben ihm sitzen, könnten Sie sich auch alles erlauben; das ist so nicht. ({14})
Nein, nein, hier ist das ganz einfach, Herr Kollege Dregger: Wir drei, wie Sie sagen, die Sie hier genannt haben, empfehlen keineswegs, auf das Gleichgewicht zu verzichten. Wir sind mit Helmut Schmidt über die Notwendigkeit des Gleichgewichts ein und derselben Meinung; das ist die Tatsache.
({15})
Meine Damen und Herren, ich habe hier die Ausführungen, die der Bundeskanzler nach der Bekanntgabe der Erklärung des Präsidenten der Französischen Republik und des deutschen Bundeskanzlers in Paris auf die Frage eines Korrespondenten, der sogar einen bedeutenden Namen hat, gemacht hat, nämlich auf die Frage, ob der Ausdruck „Entspannung" nicht überholt und sogar ein gewisser
„Fetischismus" sei. Helmut Schmidt hat geantwortet:
Entspannung setzt voraus, daß einer nicht so viel mächtiger ist als der andere, daß der andere fürchten muß, er könne eines Tages überwältigt werden. Mit anderen Worten: Entspannung setzt Gleichgewicht voraus, Gleichgewicht insbesondere der militärischen Faktoren. Und insofern war das Konzept, das schon zu Nixons und Breschnews Zeiten, später zu Jimmy Carters und Breschnews Zeiten hinter den SALT-Verhandlungen stand - SALT I wie SALT II -, Gleichgewicht der nuklear-strategischen Kräfte auf beiden Seiten, die Herstellung einer grundlegenden Vorbedingung für Entspannung überhaupt. Man kann Gleichgewicht natürlich auf zweierlei Weise herstellen: durch einen Rüstungswettlauf, daß einer versucht, mindestens so schnell zu laufen wie der andere - das wird eine Spirale, höchst gefährlich -, man kann es auch herstellen durch beiderseitig verpflichtende Begrenzung der Rüstung. Entspannung ist nicht möglich ohne Gleichgewicht. Die Wiederherstellung des Gleichgewichts, die Stabilisierung des Gleichgewichts - das ist eine der wichtigsten Aufgaben in diesem Jahr 1980 und darüber hinaus.
So ganz klar der Bundeskanzler Helmut Schmidt nach der Deklaration, die er zusammen mit Giscard d'Estaing abgegeben hat.
({16})
Sie haben vorhin gesagt, die von Ihnen genannten drei - in diesem Fall haben Sie Brandt, Bahr und Wehner genannt - seien völlig anderer Meinung. Nein, wir sind dieser Meinung; in diesem Punkt gibt es keine Differenz.
({17})
Meine Damen und Herren, da hier vorhin Unruhe war und gesagt wurde, in allen Zeitungen hätte ja gestanden, daß - - Dessen bin ich mir sicher. Ich könnte Ihnen hier eine einzige, wirklich anständige Wiedergabe dessen vorlesen,
({18})
- ich bitte Sie, ich darf das hier doch wohl sagen -, was ich tatsächlich gesagt habe. Daß sich andere völlig irren und daß sie den Irrtum mit Genuß verbreiten, kenne ich doch. Es lebe die Freiheit der Presse, es lebe aber auch meine, gelegentlich zu sagen, wie sie etwas falsch macht; das sage ich Ihnen.
({19})
Ich habe auch eine Freiheit. Ich ergebe mich nicht dem, was einen hetzen soll; das kommt nicht in Frage.
({20})
- Nein, nun lassen Sie mich bitte einmal sprechen. Sie haben ja noch Gelegenheit, heute den ganzen
Tag bis spät in die Nacht zu reden, Sie bedeutenden Herren. - Was habe ich hier gesagt?
({21})
- Reden Sie doch keinen Stuß, reden Sie doch keinen StuB, Sie weiser Herr!
({22})
- Ja, ja. Nun gehen Sie hin und machen Sie eine Anzeige gegen mich, Sie Knabe!
({23})
- Mann, Sie sind doch nicht ganz voll.
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen wortwörtlich, was ich in zahlreichen - ({24})
- Ja, Sie können es nicht aushalten, daß einmal jemand feststellt, was er wirklich gesagt hat.
({25})
Sie wollen ihn dann niederbrüllen, Sie wollen die Freiheit des Brüllers haben. Das ist Ihre Art von Parlamentsauffassung. Ich habe eine ganz andere. Da müssen ganz andere Leute kommen, als daß ich mich niederbrüllen lasse.
({26})
Meine Damen und Herren, ich zitiere jetzt, was ich sowohl in St. Ingbert als auch anderswo gesagt habe. Sie werden sich wundern: Genau dasselbe, was ich dort gesagt habe, habe ich auch hier im Bundestag gesagt. Ich nenne Ihnen die Fundstelle jetzt schon: Sie finden das im Protokoll 8/191 auf der Seite 15 065. Sie werden das dort wortwörtlich wiederfinden. Warum? Damals habe ich auf eine Rede des Herrn bayerischen Ministerpräsidenten geantwortet, der anzweifelte, daß wir in Fragen des Rüstungsgleichgewichts aufrichtig seien. Ich lese Ihnen jetzt vor, was ich tatsächlich in dem Beschluß mit verfaßt habe, den der Ordentliche Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Dezember in Berlin mit großer Mehrheit angenommen hat.
({27})
- Muß ich Ihnen sagen, daß ich dasselbe in St. Ingbert gesagt habe?
({28})
Glauben Sie, Sie können mich irritieren? Sie können ganz etwas anderes mit mir, aber mich nicht irritieren.
({29})
- Weil Sie es sonst unmöglich machen. Sie sind nämlich nicht Parlamentarier, sondern Sie sind das Abscheu-Bild eines Quasi-Parlamentariers.
({30})
- Ich gehöre dem Bundestag seit über 30 Jahren an. Solche Mob-Szenen wie in diesem 8. Bundestag hat es selten gegeben.
({31})
- Ja, ja, das ist ein Skandal. Sie sind ein Skandal für dieses Haus. Das ist alles.
({32})
- Das kann sein. Dann holen Sie mal Ihre Kalaschnikow und sagen - so wie der Brzezinski -: „Am liebsten möchte ich schießen."
({33})
- Das Haus nicht. Das Haus wollen sie sowieso umbauen, Herr!
Ich zitiere:
Friedenspolitik, die Politik der sozialen und politischen Entspannung, bleibt vom Rüstungswettlauf in der Welt bedroht. Sozialdemokratische Politik sieht, wie es im Godesberger Programm heißt, die Grundsätze der Landesverteidigung in der Schaffung von Voraussetzungen für eine internationale Entspannung und für eine wirksame kontrollierte Abrüstung. Dieser Auftrag des Godesberger Programms besteht unverändert fort.
Entspannung und Abrüstung setzen Gleichgewicht voraus. Das globale Gleichgewicht darf weder regional noch weltweit durch einseitige Aufrüstung gefährdet werden. Bei der Herstellung des Gleichgewichts haben Rüstungskontrolle und Abrüstung eindeutig die politische Priorität.
Die konkurrierenden Staaten und Bündnisse müssen von der Friedensbereitschaft des anderen ausgehen, diese Auffassung auch aussprechen und aufhören, sich das Gegenteil zu unterstellen. Verteidigungspolitische Maßnahmen. dürfen nicht Überreaktionen sein, die aus Mißtrauen und Angst entstehen. Das subjektive Sicherheitsbedürfnis der jeweils anderen Seite muß in Rechnung gestellt werden. Die Art des innenpolitischen Schlagabtausches über die Begriffe „defensiv" und „offensiv hat gezeigt, wie gering bisher Fähigkeit und Wille sind, in diese schwierigen Zusammenhänge einzudringen.
Dann folgt, was ich immer wieder erkläre, das, was in dem Punkt 28 unseres mit großer Mehrheit angenommenen Beschlusses steht:
Die Solidarität des Bündnisses muß sich bewähren. Wir werden auch künftig unsere Politik fortsetzen, die jederzeit deutlich sichtbar macht, daß wir weder Nuklearmacht sind noch werden. Eine ausschließliche Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden kommt nicht in Frage. Die nächsten Jahre werden auch darüber entscheiden, ob der nukleare Rüstungswettlauf gebremst werden kann oder die Gefährdungen für die Welt weiter steigen werden. Deshalb darf es keine Automatismen geben. Der Gang der Verhandlungen und die erwarteten Ergebnisse müssen es den Politikern der NATO jederzeit möglich machen, Beschlüsse zu überprüfen und, wenn nötig, zu revidieren.
Aus diesen Gründen soll die Bundesregierung der Stationierung der von den USA in eigener Verantwortung zu entwickelnden Mittelstrekkenwaffen in Europa ({34}) nur unter der auflösenden Bedingung zustimmen, daß auf deren Einführung verzichtet wird, wenn Rüstungskontrollverhandlungen zu befriedigenden Ergebnissen führen.
Ziel der Verhandlungen ist es, durch eine Verringerung der sowjetischen und eine für Ost und West in Europa insgesamt vereinbarte gemeinsame Begrenzung der Mittelstreckenwaffen die Einführung zusätzlicher Mittelstreckenwaffen in Westeuropa überflüssig zu machen.
... Es ist zu prüfen, ob bei fortschreitendem Verhandlungsprozeß überprüfbare Vereinbarungen ({35}) über einen Produktions- und Stationierungsstopp neuer nuklearer Waffensysteme die Erfolgsaussichten von Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt erleichtern würden.
Das ist der authentische Text, den ich immer in jeder meiner Reden - weil ich das Thema immer wieder behandle: „Sicherheit für die 80er Jahre" -, so wie ich das hier gemacht habe, zitiere.
({36})
Und dann kommen Sie. Meine Damen und Herren, um es Ihnen zu erleichtern, sage ich Ihnen nochmal: das Protokoll der 191. Sitzung. Da habe ich das genauso in Erwiderung auf eine Rede des Herrn Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern hier zitiert und habe dann noch hinzugefügt:
Herr Ministerpräsident, worum es den Sozialdemokraten geht und worauf Sie wohl auch hinzielen - Sie haben ja genau an dem Tag, der der Tag vor den NATO-Erörterungen in Brüssel ist, hier das Wort genommen, was auch Ihr gutes Recht ist -, ist das Folgende. Die Entscheidung, die von der NATO im Dezember getroffen wird, und gleichzeitig Verhandlungen mit der UdSSR, dem Warschauer Pakt sind untrennbar verbunden. Dies ist die Voraussetzung für das, was in der unmittelbar vor uns stehenden Zeit von uns, der Bundesrepublik Deutschland, als BestandDeutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode Wehner
teil dieses Bündnisses, aus zu tun ist, zugleich durch die Verträge mit den Nachbarn im Osten, die zwar nicht wesensgleich mit den Verträgen sind, die uns in die westliche Verteidigungsgemeinschaft NATO und in die Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Gemeinschaft integrieren, die man aber, weil man auf einem Bein bestenfalls stehen kann, als zweites Bein braucht, um an die Tische gehen zu können, an denen von Gleichberechtigten, wenn auch nicht Gleichmächtigen, über das, was auch unser Interesse ist, verhandelt wird: Sicherung des Friedens.
In Klammern steht da dann: „({37})". Hinzu habe ich gefügt:
Das ist es, was wir mit unserem Beschluß wollen.
Und dann steht in Klammern: „({38})".
({39})
- Das steht hier drin, Herr Mertes. „Darüber gibt es keinen Streit!", haben Sie damals gesagt. Das scheint sich inzwischen geändert zu haben. Aber warum nicht?
({40})
Wenn Herr Kollege Dregger das, was er dem Bundeskanzler vorwarf, er sei wohl schwankend - Herr Dregger hat sich das natürlich zusammengestellt und geschrieben, um es rechtzeitig auch noch hier vortragen zu können -, nachher noch einmal gut überlegt, wird er einiges seiner eigenen Beurteilung
- er muß es nicht laut machen -, in seinen eigenen Gedanken korrigieren müssen.
Dann möchte ich ihm folgendes sagen, meine Damen und Herren: Wir werden noch schwere Zeiten vor uns haben und zu durchleben haben. Es kann sein, daß gewisse Dinge jetzt so in die Luft steigen wie ein schöner bunter Luftballon. Ich denke zum Beispiel an dieses mit einem Zeitultimatum verbundene „Wenn bis zum 20. Februar ..., dann Olympiade-Boykott"; das ist ganz menschlich, das habe ich durchaus verstanden. Nur, dann kommt der logische Zwang, wenn wir dann hier sitzen werden - vielleicht werden Sie es erst richtig spüren, wenn der nächste Bundestag gewählt ist und zusammentritt - und uns dann damit zu befassen haben: „Wie bringen wir z. B. den innerdeutschen Sportverkehr wieder in Gang?", der nämlich dann einfach platzen wird.
({41})
- Bitte sehr, ich habe keine Angst, ich werfe es Ihnen auch gar nicht vor, aber alles überlegt haben Sie nicht.
Eines allerdings gebe ich zu: Bei Ihnen sind manche an der ständigen Aufregung im innerdeutschen Verhältnis so interessiert, daß es denen natürlich ein gefundenes Fressen sein wird, wenn die anderen sagen: Schluß mit innerdeutschen Sportbeziehungen! Dann kann man nämlich wieder protestieren.
Dann kann man vielleicht auch die Transitstrecken ziemlich belasten.
({42})
- Das habe ich ja schon: Wir wollen, daß Verträge eingehalten werden.
({43})
Es ist jetzt eine Situation, in der z. B. erstmals Persönlichkeiten von einem gewissen Rang in den Parteien mit dem C vorn und dem U hinten der Wirtschaft öffentlich vorwerfen, daß sie noch keine Handelsbeziehungen abgebrochen hat. Einer der Kollegen hier - ich will ihn jetzt nicht noch beschämen
- hat sogar öffentlich dazu aufgefordert und gesagt, der Schaden, der auf die Unternehmen zukäme, müßte vom Staat erstattet werden. Der das gesagt hat, ist ein bedeutender Herr, der viel mit Export zu tun hat, früher, glaube ich, auch mit Export in jene Gebiete zu tun hatte. Aber sei es wie es sei, wir werden das alles noch erleben.
({44})
- Ich decke Afghanistan? Überhaupt nicht!
({45})
- Ich habe mich noch nie jemandem unterworfen, auch nicht Ihren Schreiern. Noch nie habe ich mich jemandem unterworfen. Dort, wo ich gemerkt habe, daß ich einen Fehler gemacht habe, habe ich mich entschuldigt. Aber mich unterworfen? Da müssen Sie erst einmal einen Neuen erfinden, den Sie an meine Stelle setzen. Das gibt es überhaupt nicht.
({46})
Ich weiß ja, wonach es Sie gelüstet. Ich weiß, daß Sie glauben, Sie kommen jetzt in eine Zeit, in der man andere hetzen muß. Ich kenne das. Das habe ich bei jeder Bundestagswahl erlebt. Ich hoffe, daß es niemandem genauso ergeht wie mir bei den Bundestagswahlen 1949, 1953, 1957 und bei allen anderen.
({47})
Ich war immer der Prügelknabe der Nation.
({48})
- Wenn Sie sich hier aufspielen, so spielen Sie sich bitte auf, aufregen werden Sie mich nicht.
Nur, denken Sie daran: In einigen Monaten werden wir uns über das Weiterdrehen des Rades Afghanistan, und was dazugehört, noch manchen Kopf zerbrechen müssen, wie wir Schaden von unserem Land abwenden, weil wir - unsere Grundposition ist klar - ja nicht völlig allein wie auf einer Insel handeln können. Denken Sie bitte darüber nach!
({49})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Möllemann.
({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es war absehbar, daß sich diese Debatte über den Bericht zur Lage der Nation nicht nur mit den Problemen, die sich im Verhältnis zwischen den deutschen Staaten ergeben, beschäftigen würde, sondern sich gleichermaßen oder, wie wir gesehen haben, noch mehr mit den außenpolitischen Fragen auseinandersetzen würde, die uns nun schon seit Beginn dieses Jahres beschäftigen. Ich möchte deshalb, da mein Kollege Hoppe wie auch der Bundesaußenminister sehr ausführlich die Aspekte des deutsch-deutschen Verhältnisses und dessen Notwendigkeiten skizziert haben, hierauf nicht eingehen.
Ich möchte allerdings nachdrücklich eine Bemerkung des Bundesaußenministers unterstreichen, nämlich die, daß es für uns Liberale keinen Gegensatz zwischen der Bündnispolitik und der Verfolgung der deutsch-deutschen Interessen gibt, sondern daß das eine die Voraussetzung für den Erfolg beim anderen ist. Ich denke, darüber gibt es hier keinen Dissens. Nur sollte man auch nicht den Eindruck hervorzurufen versuchen, daß es bei uns eine andere Meinung gäbe.
Ich habe, wie es sich gehört, den Vorrednern, die sich mit der außenpolitischen Problematik beschäftigt haben, also insbesondere dem bayerischen Ministerpräsidenten, der jetzt im Wahlkampfeinsatz unterwegs sein muß, während wir hier weiter debattieren
({0})
- eben! -, dem Kollegen Dregger und dem Kollegen Marx, bei ihren Bemerkungen zur Außenpolitik zugehört und habe wie bei den Debatten im Januar und im Februar herauszufinden versucht, wo neben der Analyse des Problems, vor dem wir stehen, in der Ableitung praktischer Maßnahmen unterschiedliche Ansätze und konkrete unterschiedliche Vorschläge vorhanden sind, damit man sich mit denen auseinandersetzen kann. Wie beim letzten und vorletzten Mal - ich bedaure dies wiederholen zu müssen, weil das gleiche Erscheinungsbild der Opposition gegeben war - sind, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, keine konkreten Vorschläge für konkretes anderes Vorgehen als das, was wir ohnehin im westlichen Lager praktizieren, gekommen.
({1})
- Doch, doch, Herr Kollege. Ich habe sehr aufmerksam zugehört. Das sollten Sie mir nicht absprechen.
Es gibt einige abweichende Einzelvoten, auf die ich eingehen will. Aber in vielen Punkten ist das, was die Bundesregierung konkret betreibt, was der
Bundesaußenminister als Position der Bundesregierung hier wiederholt ausführlich dargestellt hat, von Ihnen im Grunde bestätigt worden.
({2})
- Nein. Sie sagen: beim Bundesaußenminister eher als beim Bundeskanzler. Ich möchte ausdrücklich unterstreichen, daß die Position des Bundeskanzlers und die des Bundesaußenministers vollkommen identisch sind.
({3})
Man kann hier überhaupt nicht versuchen, einen Gegensatz zu konstruieren. Ich halte es auch für eine Selbstverständlichkeit, daß man die Politik der Bundesregierung als eben die Politik der Regierung und nicht als die von Individuen vorträgt. Wiewohl sicherlich beim Zustandekommen dieser Politik der eine diesen und der andere jenen Einfluß haben mag. Das liegt aber auch daran, daß es sich nicht nur um zwei selbständige Persönlichkeiten, sondern auch um zwei Repräsentanten von zwei selbständigen Parteien handelt. Aber das ist nichts Besonderes.
({4})
- Nein.
Ich möchte nun auf die Schwerpunkte im Bereich der außen- und sicherheitspolitischen Maßnahmen kommen, die wir hier diskutieren, und an Hand dieser Schwerpunkte einmal im einzelnen zu analysieren und kurz zu prüfen versuchen, ob Sie denn da anderer Meinung sind. Ich habe mir insgesamt zehn solcher Schwerpunkte notiert und gehe einfach mal an Hand dieser Auflistung vor.
Den ersten Grundsatz habe ich vorhin fast im Wortlaut vom Kollegen Dregger ausdrücklich bestätigt gehört. Er besagt, daß der Westen eine glaubwürdige und entschlossene Politik der Unterstützung der Unabhängigkeit und Blockfreiheit in der Dritten Welt betreiben muß. Das bedeutet übrigens, daß er sich selbst überall und strikt an dieses Prinzip zu halten hat. Ich glaube, es ist keine Kränkung für den einen oder anderen westlichen Partner, wenn man im Blick auf die jüngere Vergangenheit diese Bitte auch an sie richtet, etwa im Blick auf bestimmte Ereignisse in Zentralafrika in den letzten Monaten. Es stärkt nämlich unsere Position, wenn wir selber uns alle konsequent an dieses Prinzip halten. Ich glaube, daß die Zustimmung, die der Bundesaußenminister zuletzt in Kuala Lumpur und auch bei vielen anderen Treffen mit Repräsentanten der Dritten Welt erfahren hat, genau dort ihren Grund hat: daß wir nicht nur in Deklarationen, sondern auch in der praktisch betriebenen Politik von uns aus die Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt ernst meinen. Ich weiß, daß nicht alle in Deutschland dies so sehen. Beispielsweise ist mit Recht die Politik der DDR moniert worden, in die Staaten Afrikas Truppenkontingente zu entsenden, seien sie auch als Berater verkleidet. Dies ist in der Tat mit dem Respekt
vor der Unabhängigkeit und Souveränität unvereinbar.
({5})
Zweitens. Durch eine spürbar intensivierte Entwicklungshilfe müssen die armen Länder der Dritten Welt die Voraussetzungen für eine innere Stabilisierung durch sozialen Fortschritt und damit für eben ihre Unabhängigkeit erhalten. Die muß ja konkret machbar sein. Stabilität nämlich, die sich nur auf Panzer gründet, ist, wir wir an Beispielen in der Vergangenheit gesehen haben, sehr brüchig.
({6})
Ich finde, daß das Gutachten der unabhängigen Kommission, in der der Kollege Brandt mitgearbeitet hat, wertvolle Hinweise gerade in dieser Richtung gibt. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß diese Intensivierung der . Hilfeleistungen teuer sein wird. Ich möchte nachdrücklich das unterstreichen, was der Bundesaußenminister und Kollege Hoppe gesagt haben: dieses verlangt natürlich als Maßnahme einer geforderten langfristigen Strategie zur Sicherung der Stabilität Opfer und Aufwendungen auch von unserer Bevölkerung. Das müssen wir ihr sagen, daß dieser Betrag konkret von ihr aufgebracht werden muß und nicht von jemandem irgendwo sonst. Das wäre ein konkreter operativer Vorschlag auch von Ihrer Seite gewesen, wenn Sie hier gesagt hätten: Entwicklungshilfeleistungen heraufsetzen, vielleicht gar konkret um diesen oder jenen Betrag.
Dritter Punkt. Im südlichen Afrika muß der in Rhodesien - jetzt Simbabwe - eingeschlagene Weg der Verwirklichung der Menschenrechte für alle konsequent fortgesetzt werden.
({7})
- Hier tun Sie sich schwer. Es stellt sich die Frage, wie Sie sich denn zu diesem Prozeß stellen wollen. Da kommen einige Kollegen von Ihnen hierher und sagen sehr weitsichtig, man müsse diesen Prozeß fördern. Aber noch vor kurzem ist doch Ihr entwicklungspolitischer Sprecher herumgelaufen und hat den jetzt amtierende Ministerpräsidenten als „Chefterroristen" tituliert, mit dem man keine Kontakte haben dürfe. Was gilt denn bei Ihnen als politische Lösung? Wie wollen Sie denn mit einem solchen Staat partnerschaftliche Beziehungen pflegen, wenn Sie Befreiungsbewegungen je nach Bedarf als „Terroristenorganisationen" und dann wieder als jetzt amtierende Regierungen behandeln wollen? Dies ist nicht konsequent. Hier müssen Sie Ihre Position klar definieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Werner?
Natürlich.
Kollege Möllemann, wollen Sie sich eigentlich mit den verbrecherischen Anschlägen solidarisch erklären, die z. B. die Patriotische Front, die Zanu und die Zanla unter dem Kommando von Herrn Mugabe nicht gegen Bewaffnete, sondern gegen Wehrlose und vor allen Dingen gegen Schwarze durchgeführt hat? Machen Sie es sich nicht ein bißchen zu einfach?
Nein, ich glaube nicht, daß ich das tue. Ich bemühe mich ja, das Problem von beiden Seiten auszuleuchten. Ich habe mich überhaupt nicht mit den Methoden von Organisationen - seien es Befreiungsbewegungen, seien es andere - auseinanderzusetzten, weil ich die nicht zu vertreten habe. Ich habe mich hier im übrigen auch nicht mit den Methoden - das hätten Sie in Ihrer Fragestellung ja mit anklingen lassen können - der zunächst dort herrschenden Minderheit auseinandergesetzt. Auch die, glaube ich, wird im Umgang mit der Mehrheit wohl nicht das praktiziert haben, was Ihrem christlichen Ideal entspricht. Es ist nur eigenartig, daß Sie bei diesem Problem immer nur die eine Seite ausleuchten.
Tatsache aber ist, daß aus Wahlen, die als frei und fair bezeichnet worden sind - ich denke, von Leuten, die wir in ihrem Urteil alle akzeptieren; der Kollege Petersen war, wie ich meine, Mitglied dieser Kommission -, jetzt eine Regierung hervorgegangen ist, der wir eine Chance geben sollten. Wir haben unsere Auffassung von pluralistischer Demokratie schon so oft vorgetragen, daß sie bekannt ist. Aber ich habe doch vorhin von Herrn Kollegen Dregger gehört, wir sollten damit vorsichtig sein, so ganz problemlos unser Idealbild von Demokratie auf andere Staaten zu übertragen. Wo gilt das denn? Überall oder nur in Fällen, die Ihnen oder uns in den Kram passen? Ich meine, wir sollten dieses Konzept dann weltweit anwenden.
Vierter Punkt: Die Europäische Gemeinschaft muß den Versuch unternehmen, durch energische Anstrengungen das indisch-pakistanische Verhältnis zu verbessern statt zu verschlechtern. Hier besteht wiederum kein Dissens; das heißt, im Hinblick auf Punkt 3 besteht schon ein Dissens, hier aber nicht. Ich meine, daß das Gespräch, das der indische Außenminister mit dem Bundesaußenminister und dem Bundeskanzler geführt hat, verdeutlicht hat, daß wir bei der Stärkung Pakistans die Stärkung der Unabhängigkeit Pakistans meinen und nicht etwa seine offensiven Möglichkeiten gegenüber anderen und daß wir die Unabhängigkeit Indiens gleichermaßen im Auge haben. Wir haben nicht gesagt, Indien sei sozusagen aus der Natur der Sache heraus ein quasi-kommunistischer Satellit. Wir unterstützen die Bestrebungen auch der indischen Regierung, die Unabhängigkeit des Landes zu wahren. Es gibt hier keinen Dissens.
({0})
Ich freue mich im übrigen, daß eine Parlamentsdelegation des Deutschen Bundestages unter Teilnahme mehrerer Kollegen, die hier anwesend sind, in den nächsten Tagen nach Pakistan und Indien fahren wird, um unsere Position dort zu verdeutlichen.
Fünftens: Ein besonderer Schwerpunkt, wenn nicht sogar das Hauptanliegen der Außenpolitik der Europäischen Gemeinschaft muß meines Erachtens in der nächsten Zeit der Nahe Osten sein. Die part16672
nerschaftlichen Beziehungen zu allen Staaten dieser Region müssen und können noch ausgebaut werden. Ein entscheidender Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens ist dabei eine jeden Tag dringlicher werdende Friedensinitiative, die ich im Augenblick nur von seiten der EG erwarten kann. Außer der Bitte, man möge doch diejenigen, die mit dem Friedensprozeß angefangen haben, nicht diskreditieren - das wollen wir nicht -, habe ich vom Kollegen Marx nichts Konkretes mehr gehört. Nur: Das reicht doch nicht.
({1})
- Herr Kollege Mertes, der Hinweis, Sie hätten sich dazu im Ausschuß geäußert, ist zwar richtig, aber er hilft ja hier in der Debatte, die wir nach draußen führen, nicht weiter.
({2})
Auch wir haben das Abkommen von Camp David, das Bemühen Ägyptens und Israels gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, als den Versuch begrüßt, aus dem Prozeß von Haß und Gegenhaß herauszukommen und zur Versöhnung zu gelangen. Aber jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, vielleicht schon etwas eher als heute, wo es von der Thematik und der Zahl der Teilnehmer her nicht reicht, dieses Verfahren so beizubehalten, wie wir es jetzt haben. Es ist notwendig, daß zur Lösung des Nahostkonflikts alle an ihm Beteiligten, einschließlich der Palästinenser, d. h. nun einmal einschließlich der PLO, an einen Tisch gebeten werden, um die Probleme in konkreten Verhandlungen zu lösen. Wir werden unseren israelischen Freunden nicht ersparen können, ihnen zu sagen, daß sie, gerade weil wir ihren Frieden haben wollen, eine Verhandlung unter Einbeziehung auch der Palästinenser werden akzeptieren müssen. Ich sehe dazu keine realistische Alternative.
Wir sollten, finde ich, gemeinsam diejenigen in beiden Lagern ermuntern, im arabischen, palästinensischen und israelischen Lager, die in Ansätzen bereit sind, von Maximalpositionen abzugehen, und nicht diejenigen, die heute auf beiden Seiten als die Falken auftreten und sich im Grunde überhaupt weigern, den anderen als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Ich meine, dies ist auch ein wichtiger Punkt bei der Wahrung des Friedens in der nächsten Zeit.
Sechstens. Die wirtschaftliche und militärische Hilfe für die Türkei muß endlich zügig anlaufen. Das Verhalten verschiedener westlicher Staaten bei der Hilfsaktion vom letzten Jahr ist nach meinem Eindruck auch dieses Mal, gemessen an den verbalen Deklarationen der Solidarität, ein Skandal. Hier ist bei vielen westlichen Staaten außer Sprüchen bisher nichts gewesen. Wenn aber der Türkei diese zentrale Funktion zur Sicherung der Südostflanke der NATO zukommt, die wir ihr beimessen, wenn wir darüber hinaus auch aus historischen Gründen Solidarität praktizieren wollen, dann darf sich das nicht auf das Reden begrenzen. Hier sind andere, nicht die Bundesrepublik Deutschland, aufgefordert, praktische Taten folgen zu lassen. Wir wenden erhebliche finanzielle Mittel auf - das begrüßen wir alle hier im Parlament -, aber die anderen müssen nun auch an unsere Seite treten.
Siebtens. Der Westen muß mehr für seine militärische Sicherheit tun, um das gestörte Kräfteverhältnis wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dies geschieht am sinnvollsten durch die Erfüllung des NATO-Langzeitprogramms, das wir verabschiedet haben, durch den Abbau von Mängeln bei den Streitkräften aller Partner und eine Überprüfung der bisherigen Aufgabenverteilung und Aufgabenerfüllung.
Auch hier, meine Kollegen, frage ich mich, wo hier der Dissens liegt. Er liegt nicht in der Definition des Gleichgewichts als Grundlage für friedliche Entwicklung. Das sehen wir als notwendig an. Er liegt nicht in der Bereitschaft, die vom Bundeskabinett vertreten wird, durch eine reale Steigerung von 3 vorhandene Schwächen abzubauen. Wo liegt er dann? Ich habe außer der mehr allgemeinen Kritik daran, daß es in bestimmten Bereichen ein Ungleichgewicht gebe, keine konkreten Vorschläge gehört, wie dies abzubauen sei.
({3})
Wir haben den konkreten Vorschlag gemacht, den Haushalt um real 3 % zu erhöhen. Wir haben darüber zu debattieren, wie sich diese Mehrausgaben niederschlagen werden, und dies hängt wohl mit der Bestandsaufnahme und der Aufgabenverteilung zusammen.
({4})
- Ich spreche hier für die FDP.
Beispielsweise werden wir sicherlich darüber nachzudenken haben, ob wir bei eventueller Verlagerung maritimer Einheiten von Partnern der Bundesmarine die ohnehin vorgesehenen Fregatten in einem schnelleren Tempo zuführen müssen. Beispielsweise werden wir darüber nachdenken müssen, ob wir für die Auffrischung und Zuführung zusätzlicher amerikanischer Streitkräfte im Bereich der heimischen Unterstützung, des sogenannten „Host Nation Support", mehr tun müssen.
({5})
Für falsch halte ich die Überlegungen, die beschlossenen Rüstungsprogramme, egal ob bei MRCA oder Leopard, jetzt beschleunigt vorziehen zu wollen. Das ist mit vielen Problemen versehen, sowohl was die Finanzierung vom Gesamtvolumen, die Verkraftbarkeit bei der Truppe als auch die Produktionsfähigkeit der Unternehmen angeht. Ich denke also, hier werden die beiden Schwerpunkte, die ich soeben ansprach, eher geeignet sein. Im übrigen wird natürlich - ich denke mit Ihrer Zustimmung - ein erheblicher Anteil der Mehrausgaben auf dem militärischen Sektor der Stärkung der soeben angesprochenen Türkei dienen müssen.
Hier ist gesagt worden, die Solidarität solle auch die kritischen Einwendungen von der einen oder anderen Seite gegenüber Partnern zurückdrängen. Aber da sind, finde ich, zwei Einschränkungen zu machen.
Zunächst einmal habe ich das Gefühl, daß der Begriff „Solidarität" bei uns allmählich nicht mehr rational verwendet wird. Da wird so getan, als sei derjenige schon unsolidarisch gegenüber irgendeinem Partner, der es sich erlaubt, einmal die konkrete Aktion des einen oder anderen Regierungschefs, die konkrete Aktion oder Entscheidung des einen oder anderen Parlamentsausschusses kritisch zu beleuchten. Da ich doch ganz genau weiß, daß Sie alle in Ihren Ausschuß- und Arbeitskreisberatungen das ganz genauso tun, daß sich der eine oder andere selbst einmal die Freiheit genommen hat, die eine oder andere Entscheidung auch des amerikanischen Präsidenten zu kritisieren, sollten wir das wirklich ein bichen realistischer diskutieren.
({6})
- Das ist, wie Sie sagen, sogar ein Ausdruck der Solidarität, helfend einzugreifen, wo man meint, der andere macht Fehler. Aber das ist dann ein Recht aller Seiten dieses Hauses.
Mein Eindruck ist, daß die amerikanische Seite, die uns mehrfach eindringlich gemahnt hat, wir sollten die 3 % erreichen, am Ende dieses Jahres die Frage von uns zurückbekommen wird, ob sie sie selbst erreicht hat. Das wird mit gutem Grund nicht nur die amerikanische Seite betreffen. Ich glaube, mein Eindruck ist auch nicht unbegründet, wenn wir einmal nach den personellen Fähigkeiten der amerikanischen Streitkräfte fragen. In der Tat wird die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in den Vereinigten Staaten von Amerika ein unabdingbares Mittel zur Realisierung der dortigen Streitkräfteplanung sein. Diese Anregung möchte ich in diese Richtung auch geben.
Eine Frage, die ich mehr an den Bundeskanzler habe, ohne daß er sie heute hier beantworten müßte
- dafür wird es auch andere Gelegenheiten geben; es sei denn, er ginge zur Erwiderung auf andere ohnehin noch einmal an das Rednerpult -, ist folgende: Ich denke, uns beschäftigt auch die Frage der zukünftigen europäischen Verteidigung und der Rolle der französischen Force de frappe in der nächsten Zeit. Wenn ich mir die Projekte der europäischen und atlantischen Partner sowie die Notwendigkeiten der Verstärkung in den Bereichen anschaue, über die wir schon des öfteren hier gesprochen haben, bin ich mir nicht darüber im klaren, ob die bisherigen Komponenten europäischer atomarer Verteidigungssysteme in der bisherigen Konzeption weiterhin aufrechterhalten werden können und sollen. Am Ende stehen wir eigentlich vor der Alternative, dann eine gesamt europäische atomare Konzeption zu entwickeln oder - und das ist meine Neigung - als Europäer die atomare Schutzschildfunktion den Amerikanern zu überlassen und uns voll auf die konventionelle Ebene zu konzentrieren, um dort unsere Aufgaben besser erledigen zu können. Ich weiß nicht, ob es jetzt der richtige Zeitpunkt
ist, dieses Thema emotionslos zu beraten, aber es kommt auf uns zu.
Achter Punkt: Der Dialog mit den Staaten Osteuropas muß jetzt auf allen Ebenen intensiviert werden, um die Krise auf dem Verhandlungswege einzugrenzen. Nicht weniger, sondern mehr Begegnungen auf allen Ebenen sind notwendig, um die Entwicklung unter Kontrolle zu behalten und Spannungen abzubauen.
Natürlich muß der Westen Geschlossenheit und auch Härte bei der Zurückweisung sowjetischer Expansionspolitik beweisen. Aber er muß eben auch das Interesse verdeutlichen, auf der Grundlage weltweiter Anerkennung und Verwirklichung der Prinzipien der Entspannungspolitik zu mehr Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen zu kommen.
Wir sind nicht naiv oder illusionär, daß wir glaubten, die Zusammenarbeit könne an die Stelle der Sicherheit treten. Wir wissen, daß die Sicherheitspolitik - die Verteidigungsfähigkeit - das eine Element, die eine Säule unserer Außenpolitik ist, und daß auf ihrer Grundlage eine vernünftige Politik der Entspannung, der Zusammenarbeit und der Kooperation auf allen Ebenen betrieben werden kann. Dies vertreten wir dauerhaft. Ich meine, es bedarf hier keiner Kritik von Ihrer Seite.
Mit Interesse warten wir natürlich darauf, wie denn jetzt die Sowjetunion nach der gerechtfertigten Kritik nicht nur des Westens, sondern der ganzen Welt an ihrem Vorgehen in Afghanistan auf die Notwendigkeiten der Fortsetzung dieses Dialogs ihrerseits reagiert. Es hat keinen Zweck - dies möchten wir ganz klar sagen -, daß sie, um von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken, permanent auf bestimmte Einstellungen im Westen hinweist. Wir erwarten, daß auf unser konkretes Angebot bei den MBFR-Verhandlungen in Wien, daß auf unseren konkreten Abrüstungsvorschlag für den Bereich der Mittelstreckenraketen konkrete Antworten und nicht Attacken auf den deutschen Außenminister oder auf andere Politiker kommen. Das hilft nicht weiter. Hier wird man sich den konkreten Angeboten, den konkreten Fragen stellen müssen.
Ob es im Bereich der Mittelstreckenraketen zu Vereinbarungen kommen kann, hängt, glaube ich, von zweierlei ab. Zum einen von der Bereitschaft beider Seiten, die getroffenen Vereinbarungen im SALT-II-Vertrag bis zu dessen Ratifizierung so zu behandeln, als sei dieser Vertrag ratifiziert. Ich denke, das wäre eine vertrauensbildende Maßnahme, die anschließende Verhandlungen ermöglichen und erleichtern würde.
({7})
- Ich sage das beiden Seiten.
({8})
- Die Ratifizierung durch den amerikanischen Kongreß ist nicht erfolgt.
({9})
16674 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode'Möllemann
Zum anderen müssen wir gleichermaßen deutlich machen, daß für uns beide Elemente des Beschlusses vom Dezember unabhängig voneinander wichtig sind. Wir haben den Nachrüstungsbeschluß nicht getroffen, um eine Grundlage zu Verhandlungen zu haben, sondern weil durch Vorrüstung ein Ungleichgewicht entstanden war. Wir bieten aber die Verhandlungen an, weil wir die Möglichkeit eben auch nicht verschütten wollen, durch Verhandlungen zu einer Verringerung des Ungleichgewichts, zu dem von uns allen gewünschten Gleichgewicht also, als Voraussetzung zu einer friedlichen Entwicklung zu kommen.
Neuntens. Verteidigungs- und Entspannungspolitik des Westens kann ihre Ziele nur erreichen, wenn sie in ihren Grundpositionen von allen Partnern gemeinsam und solidarisch vertreten wird. Solidarität - ich meine damit nicht, wie gesagt, kleinliches Verzichten auf Kritik im Detail - ist für uns kein lästiges Beiwerk dann, wenn es einmal kritisch wird, sondern die notwendige Grundlage für den Erfolg unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Daran, glaube ich, gibt es auch hier im Hause nicht den geringsten Zweifel.
Zehntens. In der Frage der Teilnahme an den Olympischen Spielen muß der Westen alles daransetzen, zu einer gemeinsamen Haltung zu gelangen. Diese geneinsame Haltung, soweit es nach unserer Auffassung geht, sollte so aussehen, daß im Falle der Aufrechterhaltung der Besetzung Afghanistans durch sowjetische Truppen - nichts erweckt den Anschein, als sei diese Aktion kurz vor ihrem Ende - die Voraussetzungen für die Teilnahme von Mannschaften aus dem Westen nicht gegeben sind. Es ist ja in der Tat ein Paradoxon, sich vorzustellen, daß die Olympischen Spiele, die zum erstenmal unter einem politischen Motto stehen sollen - „Spiele der Jugend, Spiele des Friedens" -, in einem Land unter unserer Teilnahme stattfinden sollen, das in diesem Moment Krieg führt.
Ich glaube, daß die Position, die wir eingenommen haben, vernünftig ist, und zwar deshalb, weil sie auf die Setzung einer ausdrücklichen, knapp bemessenen Frist verzichtet hat. Niemand von uns - auch von Ihnen nicht - hat diese ursprünglich in Amerika gesetzte Frist gutgeheißen. Es trifft im übrigen auch nicht zu, daß die Opposition vom ersten Tage an erklärt hätte - wie Herr Strauß behauptet hat -, sie sei vom ersten bis zum letzten Mann einstimmig für den Boykott. Ich weiß ja, daß heute noch nicht vom ersten bis zum letzten Mann alle dafür sind.
({10})
- Ich habe nur daran erinnert, daß Herr Strauß vorgetragen hat, er habe in Amerika erklären können, die Union sei vom ersten bis zum letzten Mann von Anfang an für den Boykott gewesen. Das trifft nicht zu. In der Debatte am 17. Januar 1980 haben wir alle aus wohlerwogenen Gründen keine Festlegung zu diesem Thema getroffen. Danach hat es im Sportausschuß - und nicht nur dort - intensive Debatten gegeben, in denen abweichende Voten auch aus Ihren Reihen zu hören waren.
Es ist doch auch gar nicht schlimm zuzugeben, daß ein solches Thema unter uns und auch in unserer Bevölkerung draußen sehr kontrovers diskutiert wird: Soll man den Sport nicht außen vor lassen, soll man den Sportlern nicht doch die Chance geben, Brücken zu schlagen? Es hat doch keinen Zweck, so zu tun, als hätten wir die Position, die wir jetzt gemeinsam gefunden haben, nicht auch erst nach längeren Diskussionen finden können. Wir haben diese Diskussionen doch geführt.
Ich habe versucht, in diesen zehn Punkten - reduziert auf das, was wir nach unserer Auffassung konkret tun sollen - auszuleuchten, wo denn Unterschiede zwischen der Opposition und der Koalition liegen könnten. Nach dem, was die Herren Strauß, Dregger und Marx hier vorgetragen haben, gibt es nach meinem Dafürhalten Unterschiede lediglich im Verhältnis zu Befreiungsbewegungen im afrikanischen Bereich, beim Umgang mit dem Thema „Olympia" und - so will ich es einmal ausdrücken - hinsichtlich des Tons im Umgang mit den Staaten des Warschauer Paktes. Daraus aber eine konkrete, politisch weittragende Alternative - verbunden sogar mit Attributen wie „Weitsicht" und „historisches Wissen" - zu machen, halte ich für maßlos überzogen.
Aus der Debatte von heute mit ihren Anregungen und Diskussionsbeiträgen ergibt sich einmal mehr, daß die Bundesregierung recht hat, wenn sie ihre Politik maßvoller Überlegungen und vernünftigen, mit allen westlichen Partnern abgestimmten Vorgehens beibehält.
({11})
Das Wort hat der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der diesjährige Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation hat uns vor Augen geführt, was wir Deutschen, insbesondere die Berliner, zu verlieren haben, wenn es tatsächlich dahin kommen sollte, daß der Osten und der Westen in Europa wieder in Konfrontation, Konflikt und Abgrenzung zurückfallen. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen; sie besteht tatsächlich. Sie zu bannen, liegt allerdings nicht in erster Linie an uns, auch und gerade wenn wir noch so sehr darum bemüht sind, die Voraussetzungen und Grundbedingungen gleichgewichtiger Entspannungspolitik aufrechtzuerhalten.
Dem Bundeskanzler - vielleicht darf ich das auch als Minister für innerdeutsche Beziehungen einmal sagen - ist dafür zu danken, daß er bei unseren Verbündeten unermüdlich um Verständnis für unsere spezifischen deutschen Interessen wirbt, für spezifische deutsche Interessen, was das Verhältnis zu den Staaten des Warschauer Paktes, zu denen ja auch die DDR gehört, betrifft.
({0})
Meine Damen und Herren, dieses Thema „Bericht zur Lage der Nation" verlangt gerade in der heutigen Zeit, daß wir im Bündnis mit unseren Freunden auch
die Wahrnehmung unserer speziellen Interessen noch pflegen können und daß diese mit eingebracht werden. Und das ist überhaupt unser Problem in der Welt: daß viele weitab von uns leben und wohnen und diese Probleme besonderer Art nicht kennen. Um so wichtiger ist es, in solchen entscheidenden Situationen in aller Sachlichkeit, aber auch Behutsamkeit die Gemeinsamkeiten zu betonen und dennoch das deutsche Interesse nicht untergehen zu lassen. Diese Interessen sind uns aus Erfolgen unserer Entspannungspolitik zugewachsen, und ich sehe nichts Vorwerfbares oder gar Verwerfliches darin, um ihren Bestand besorgt zu sein.
Ein Wort zur Größenordnung: Man wirft uns häufig vor, wir übertrieben aus parteipolitischen oder wahltaktischen Gründen diese Erfolge. Andere sagen es so: Das sind nur Rinnsale, das alles ist kümmerlich. Man hat sich daran gewöhnt, man sagt kaum noch etwas darüber. Man versucht, den ganz beachtlichen Unterschied gegenüber der Zeit vor zehn Jahren völlig zu ignorieren, und man verfährt nach der Parole, daß man auch mit der Vergeßlichkeit der Menschen taktieren kann.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sollten ein Interesse daran haben, daß wir in der Tat durch unser ernsthaftes Bemühen, durch unser sachliches Bemühen für die Deutschen in beiden Teilen, in beiden Staaten Deutschlands Erleichterungen und Veränderungen herbeiführen, die zum menschlichen Zusammenhalt beitragen können.
Hinsichtlich der Größenordnung, dann, wenn es um die Behauptung geht, wir hätten diese Erfolge nur aus parteipolitischen oder wahltaktischen Gründen gefeiert, empfehle ich die Gegenprobe. Dabei stellt sich heraus, daß auch kein Politiker der Opposition es wagt, die Vorteile, die wir Deutschen, insbesondere die Berliner, aus der europäischen Entspannungspolitik ziehen, in Frage zu stellen oder gar aufs Spiel zu setzen. Auch das ist für mich, so muß ich sagen, ein Indiz für den Wert dieser Vorteile, die ja die besonderen deutschen Interessen an der Politik der Entspannung ausmachen.
Ich habe auch noch keinen Oppositionspolitiker gehört, der es auf sich genommen hätte, die besonderen deutschen Probleme und Interessen gegen die nichtspezifischen deutschen Interessen zu gewichten, sie zueinander in ein Verhältnis zu bringen. Dabei denke ich in erster Linie an diejenigen unserer Interessen, die wir als Bundesrepublik etwa mit unseren westlichen Verbündeten gemeinsam haben, die uns also mit ihnen verbinden. Von der Opposition hören wir nur vage Verdächtigungen und Anschuldigungen, daß wir es an dem nötigen Eifer im Dienste unserer gemeinsamen westlichen Bündnisinteressen fehlen ließen. Dann wieder hören wir Bekenntnisse zur einen deutschen Nation. Das eine wie das andere wäre überzeugender, wenn beides einmal in Verbindung zueinander gesetzt würde, um dann an dieser Verbindung, wie immer sie auch gewichtet wäre, das tatsächliche Handeln der Bundesregierung in der einen wie in der anderen Richtung zu messen.
Das, meine Damen und Herren von der Opposition, sind Sie uns und der Öffentlichkeit bisher schuldig geblieben.
({1})
Ich vermute, wohlweislich, denn das ist in der Tat eine dornige Sache. Sie verlangt Augenmaß und Unvoreingenommenheit. Im Grunde verlassen Sie sich da doch ganz auf die Bundesregierung in der Hoffnung, diese werde es schon schaffen, die besonderen deutschen Belange in die gemeinsame westliche Interessenlage und Beschlußfassung einzubringen. Mit dieser Hoffnung in die Bundesregierung liegen Sie gar nicht einmal falsch. Wir bemühen uns immer wieder darum, ungeachtet Ihrer Unkenrufe.
Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, daß die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen die innerdeutschen Beziehungen nicht belasten - bis jetzt wenigstens nicht. Meine Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal: bis jetzt wenigstens nicht belasten. Es ist wichtig, diesen Umstand richtig einzuordnen. So wäre es ein Irrtum, daraus zu schließen, daß die innerdeutschen Beziehungen von den bestimmenden Faktoren der allgemeinen Ost-West-Lage, wie dem militärischen Gleichgewicht und dem Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten, bereits weitgehend oder auch nur relativ unabhängig sind. Das sind sie in Wirklichkeit nicht. Es gibt keine deutsche Entspannung abseits oder, besser, im Windschatten internationaler Vorgänge, die das Kräfteverhältnis insgesamt beeinflussen. Hüten wir uns vor solchen Illusionen.
Wir tun deshalb heute mehr denn je gut daran, uns ständig gegenwärtig zu halten: Beide Staaten sind in ihr jeweiliges Bündnis eingebunden, und danach bemißt sich ihr Spielraum. Beide müssen sogar darauf bedacht sein, diesen Spielraum einzuhalten, sonst verlören sie mit der Lockerung ihrer Bindung zu den Verbündeten auch den Rückhalt im internationalen Kräfteverhältnis. Auf diesen Rückhalt ist jeder von ihnen aus je eigenen Gründen angewiesen. Ich brauche, was uns betrifft, dabei nur das Stichwort Berlin zu nennen.
So sagt denn auch das derzeitige innerdeutsche Verhältnis nichts weiter aus, 41s daß in beiden Staaten und darüber hinaus in beiden Bündnissen kein Interesse herrscht, in Mitteleuropa die Politik der Zusammenarbeit aufzugeben. Im Gegenteil, beide Seiten sind bemüht, ihren Wunsch und ihr Bestreben nach mehr statt weniger Zusammenarbeit zu demonstrieren. Die innerdeutschen Beziehungen sind und bleiben ein Teil der Ost-West-Politik in Europa, ein gewichtiger Teil mit Anzeige- und sogar Antriebsfunktionen.
Weil das so ist, steht nach meiner Auffassung die Opposition weiterhin vor dem Problem, eine tragfähige glaubwürdige Einstellung zu unserer innerdeutschen und europäischen Entspannungspolitik zu finden. Dieses Problem hat Ihnen Afghanistan mitnichten vom Halse geschafft, meine Damen und Herren, auch wenn einige von Ihnen das hoffen mögen.
Was Ihre Einstellung zur Deutschlandpolitik seit 1969 angeht, so empfehle ich Ihrem Nachdenken die
Ausführungen des bayerischen Ministerpräsidenten, die dieser hier am 28. Februar, also vor wenigen Wochen, zu unserem Thema gemacht hat. Sie sind im Protokoll der 203. Sitzung auf Seite 16192 nachzulesen. Zur Erklärung ist es notwendig, ein wenig weiter auszuholen.
Bei Rednern der CDU/CSU ist es gang und gäbe, auf das angebliche Mißverhältnis zwischen „unwiderruflichen Leistungen" unserer Seite und den angeblich „widerruflichen Gegenleistungen" der anderen Seite hinzudeuten. Mit unseren „unwiderruflichen Leistungen" ist insbesondere unsere Hinnahme der Staatlichkeit der DDR gemeint, während unter den Gegenleistungen der DDR vor allem die Kommunikationsverbesserung für die Menschen und humanitäre Zusagen im Bereich der Familienzusammenführung verstanden werden. Diese Redewendung vom angeblichen Mißverhältnis - ich sage das hier nicht zum erstenmal - beruht schlichtweg darauf, daß man den Wert unserer damaligen Leistungen beharrlich überschätzt.
({2})
Es war eben nicht so, daß die damals neu gebildete Bundesregierung von hier auf jetzt und aus purem Ubermut auf den Gedanken verfiel, die DDR als Staat zu akzeptieren. Vielmehr folgte sie damit einer Notwendigkeit, nachdem die Deutschlandpolitik längst in einer Sackgasse festgefahren war und die Kräfte unserer Außenpolitik sich mit abnehmendem Erfolg darin verbrauchten, das Ignorierungsgebot in bezug auf die DDR durchzusetzen. Sie erinnern sich an die Hallstein-Doktrin - um es noch genauer zu sagen. Hier tat Abhilfe not, und zwar möglichst zu einem Zeitpunkt, als für das ohnehin Unvermeidliche etwas zu bekommen war. Dieser Zeitpunkt war Ende der 60er Jahre in der Tat gegeben.
({3})
Hier darf ich nun zur Bestätigung auf die Äußerung
von Franz Josef Strauß vom 28. Februar verweisen.
({4}).
- Nein! Ich beziehe mich ja nur auf Ihren Spitzenreiter. Auch der hat das richtig erkannt. Nur, Sie sind sogar ein Ignorant der Wirklichkeit. Das zeichnet Sie in besonderer Form aus.
({5})
- Ja, ausgerechnet Mertes!
({6})
Auch der ist zeitweise Ignorant. Sie haben eine interessante Arbeitsteilung vorgenommen. Sie meinen, Sie können jeden hier mit dem bedienen,was gerade gebraucht wird. Wir wollen mal eine Gesamtkonzeption bei Ihnen entdecken!
Jetzt beziehe ich mich mal auf den Mann, der nach Ihrem Willen demnächst die Richtlinien der Politik bestimmen soll. Da werden Sie sehen, was auf Sie zukommt. Sie haben jetzt gar keine Veranlassung, zu kritisieren. Er sagte nämlich: Erstens. In der zweiten
Hälfte der 60er Jahre habe im Kreml ein Ernüchterungsprozeß eingesetzt. Demzufolge hätten die sowjetischen Führer eingesehen, daß sie mit dem Westen in eine wirtschaftliche Zusammenarbeit eintreten müßten. Hier liege - so Strauß wörtlich - „der realistische Ansatz der Entspannungspolitik".
({7})
Zweitens sagte Strauß - ein Stück weiter -, er glaube nicht, daß wir, die Bundesrepublik, die Hinnahme der Staatlichkeit der DDR auf längere Zeit hätten vermeiden können.
({8})
Da haben wir es doch! Diese Entwicklung hat sogar Strauß damals schon erkannt.
({9})
„Auf längere Zeit" ist natürlich ein dehnbarer Begriff Außerdem macht uns Herr Strauß einen verhandlungstaktischen Vorwurf. Etwas muß er ja schließlich kritisieren.
Aber das Wesentliche ist doch wohl, daß es sich bei der Hinnahme der Staatlichkeit der DDR um etwas handelte, das auch nach Straußens Urteil letztlich unvermeidbar war.
Hiermit ist eine wichtige Aussage über den tatsächlichen Wert unserer Leistungen und damit über unsere tatsächliche Verhandlungsposition getroffen. Wenn man etwas gibt, dessen Dreingabe mit dem Zeitablauf ohnehin nicht zu vermeiden ist, dann ist die Position am Verhandlungstisch nicht so stark, wie sie wäre, wenn man sein Leistungsangebot ohne Not und Notwendigkeit abgäbe. Davon konnte in unserem Fall keine Rede sein. Das war der anderen Seite wohl bewußt. Wohl bewußt war ihr schließlich auch das, was bei Strauß in der Qualifizierung „auf längere Zeit" zum Ausdruck kommt: daß unsere Leistung, je mehr sie verzögert wurde, an Wert einbüßte.
Jedenfalls, meine Damen und Herren von der Opposition: Spätestens seit dem 28. Februar 1980 können Sie das Argument von dem angeblichen Mißverhältnis zwischen „unwiderruflichen Leistungen" und „widerruflichen Gegenleistungen" nicht länger bringen. Franz Josef Strauß hat es Ihnen sanft aus der Hand gewunden. Sie sollten es nun endlich ausrangieren. Gestimmt hat es ja sowieso nie. Es hat Sie nur daran gehindert, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen.
Diese sehen, zusammengefaßt, so aus: Die Deutschlandpolitik, die seit zehn Jahren von den Bundesregierungen der sozialliberalen Koalition verfolgt wird, berücksichtigt die Lage, wie sie sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Welt, in Europa und besonders in Deutschland entwickelt hat. Auf dieser Grundlage war es möglich, die internationale Tendenz zur Minderung und Beherrschung der Ost-West-Spannungen auch in Deutschland für die Menschen spürbar zur Wirkung zu bringen. Selbst Rückschläge haben es nicht vermocht, den substantiellen Ertrag der 1969 eingeleiteten Politik zu schmälern: die Verbesserung der gegenseitiBundesminister Franke
gen Information und der Verbindung über Reisen und Telefon zwischen den Menschen im geteilten Deutschland; die Wiedergewinnung von mehr örtlicher Bewegungsfreiheit für Einwohner von West-Berlin; die Erleichterung, Beschleunigung und rechtliche Absicherung des Transitverkehrs sowie die Verbesserung der Verkehrswege von und nach Berlin ({10}); die Erweiterung der Möglichkeiten, Menschen aus der DDR mit ihren Angehörigen in der Bundesrepublik Deutschland zusammenzuführen. Das in diesen unterschiedlichen Bereichen inzwischen stabilisierte Niveau weist nach Auffassung der Bundesregierung den Erfolg ihrer Deutschland- und Berlinpolitik aus. Diese Politik erfolgreich fortzusetzen, heißt, auf dem erreichten Stand aufzubauen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch dazu einige Worte sagen: Es hat in letzter Zeit Pressemeldungen gegeben, wonach die öffentliche Behandlung von Einzelfällen - sei es im Bereich der Familienzusammenführung, sei es im Bereich besonderer Bemühungen - künftig ausreicht, um das Ausreisebegehren der betreffenden Personen endgültig niederzuschlagen. Dazu muß ich erklären: Anhaltspunkte und Hinweise dafür, daß. solche Befürchtungen zutreffen, gibt es in letzter Zeit mehr denn je. Ich habe auf die Gefahren publizistischer Behandlung und anderweitiger Benutzung von Einzelfällen wiederholt hingewiesen und dem Weg der diskreten Problemlösung stets den Vorzug gegeben. Daß dieser Weg, wenn man den beteiligten Personen wirklich helfen will - diese Einschränkung mache ich allerdings -, erfolgreich und richtig ist, wissen in der Opposition sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die sich mit mir zusammen um Lösungen mühen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang bitte ich auch zu bedenken, daß die Zahl derjenigen, denen wir helfen wollen und müssen, wenn wir unsere Glaubwürdigkeit nicht verlieren wollen, um ein Vielfaches größer ist als die Aufmerksamkeit, die zu mobilisieren in der hiesigen Öffentlichkeit überhaupt möglich ist. Wir sollten an die Gefühle der vielen, vielen Unbekannten denken, deren Namen hier nicht bekanntgemacht werden können, die aber deshalb nicht weniger in Bedrängnis sind und Anspruch auf Hilfe haben als die paar exemplarischen Fälle.
({11})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0})?
Nein. Mir ist vorhin zugerufen worden, ich solle mich möglichst kurz fassen, da noch weitere Redner sprechen wollten.
({0})
- Er kann ja sprechen, er kann sich ja zu Wort melden. - Wir, die Bundesregierung, sehen es jedenfalls in erster Linie als unsere Aufgabe an, die vielen, die von ihren Voraussetzungen her nicht in solchem
Maße öffentliche Beachtung erwarten dürfen, mit Rat und Tat zu unterstützen; dabei bleibt es auch.
Lassen Sie mich einige Worte zu den Vorwürfen sagen, die Bevölkerung der Bundesrepublik werde von uns zu wenig, einseitig oder unzutreffend über die Verhältnisse in der DDR informiert. Richtig ist: Wir bemühen uns um sachliche Information. Wer das als einseitig empfindet, bestätigt nur, daß er in Vorurteilen befangen ist. Dazu, solche zum Teil „alteingesessenen" Vorurteile zu bestätigen, ist unsere Informationsarbeit allerdings nicht da.
Hierbei befinden wir uns augenscheinlich im Einklang mit einem wachsenden Teil unserer Bevölkerung. Die Nachfrage nach sachlicher Information wächst ständig. Wir haben alle Mühe, dieser steigenden Nachfrage trotz Mittelaufstockung - trotz Mittelaufstockung! - gerecht zu werden. Wer hier die Nachtigall trapsen hören sollte, hört durchaus richtig. Wir haben für die Informationspolitik mehr Mittel als je zuvor bekommen, und diese Politik wird angenommen.
Ich will für die steigende Nachfrage ein Beispiel aus allerjüngster Zeit nennen. Im Benehmen mit der Kultusministerkonferenz der Länder haben wir ein Bücherpaket mit 104 Titeln zur deutschen Frage zur Einstellung in Schulbibliotheken angeboten. Die Schulen sollen es bei einer geringen finanziellen Eigenbeteiligung von uns beziehen können. Drei Bundesländer haben bisher in ihren Amtsanzeigern auf dieses Angebot hingewiesen: Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Berlin. Wie ich höre, wird Nordrhein-Westfalen diese Woche folgen. Die Aktion läuft erst einige Wochen, und doch liegen allein aus den drei genannten Bundesländern heute schon mehr Bestellungen vor, als wir allen Bundesländern für das ganze Jahr 1980 überhaupt zur Verfügung stellen können. Mit anderen Worten: Wir werden vom Erfolg unserer Aktion, den Fachleute vorher eher skeptisch beurteilten, förmlich überrollt. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als das bereitgestellte Kontingent streng nach Länderproporz zu rationieren. Niemand wird uns übelnehmen können, wenn wir aus solchen Nachfragen - die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen - entnehmen, daß wir mit unserer sachlichen Informationsarbeit auf dem richtigen Wege sind.
Darin werden wir uns durch nichts und niemand beirren lassen, auch nicht durch noch so viele Große Anfragen, wie diejenige, die vorgestern von der Fraktion der CDU/CSU eingebracht wurde. Um welches Kaliber es sich dabei handelt, zeigt sich besonders eindrucksvoll an der Frage 9. Da wird doch die Bundesregierung allen Ernstes gefragt:
Wie beurteilt die Bundesregierung die- auch in der Debatte des Deutschen Bundestages verwandte Bezeichnung „die Bevölkerung der beiden deutschen Staaten" an Stelle der Bezeichnung „Deutsches Volk"?
Die Bundesregierung als Zensor des Deutschen Bundestages? Und in diese Rolle bringt sie ausgerechnet die Oppositionsfraktion! Das ist schon erstaunlich.
Nicht weniger erstaunlich sind die Probleme, die den Fragestellern offenbar auf den Nägeln brennen. So achten sie peinlich darauf, daß das Eigenschaftswort „deutsch" nur ja immer groß geschrieben wird: Deutsche Frage, Deutsches Volk, Deutsche Nation. „Deutsch" immer groß. Daran erkennt man nächstens den wahren Patrioten, ob er „deutsch" immer groß schreibt.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn Sie schon so weit gekommen sind, darin Deutschlandpolitik zu erkennen, dann merkt man, wie weit das gediehen ist. - Sie können den Kopf schütteln. Das ist das jüngste Produkt, das ist Ihr jüngster Beitrag zu dem Problem, das wir ganz anders sehen.
({2})
- Natürlich ist das Ihr Beitrag! Herr Jäger, daß Sie lachen, erheitert mich auch in besonderer Weise. Es würde was fehlen, wenn Sie kein Lebenszeichen von sich gäben.
Zur Sache selber will ich mich jetzt nicht weiter äußern. Die Antwort werden Sie, wie es sich gehört, bekommen. Aber vier Sätze will ich dennoch sagen.
Erstens. Die Bundesregierung hat jedes Interesse daran - und wo wir können, handeln wir danach -, daß unsere Bevölkerung wahrheitsgemäß und sachlich über die historischen wie heutigen Bedingungen und Inhalte der deutschen Frage unterrichtet wird.
Zweitens. Wir sind nicht für unterschwellige Methoden der Vermittlung, sondern für offene rationale Darstellung der Probleme und Verhältnisse.
Drittens. Die Bundesregierung sieht sich und alle demokratischen Kräfte dieses Landes zu einem Sprechen und Handeln verpflichtet, durch das nicht falsche Ansprüche, Erwartungen oder Illusionen in unserem Volk genährt werden, vielmehr die Fähigkeiten zu einem nüchternen Urteil.
Viertens. Augenmaß und nüchternes Urteil sind die Voraussetzungen für eine verantwortliche deutsche Politik, die dem Frieden und der Nation gleichermaßen verpflichtet ist.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, zum Schluß noch einmal auf einen Aspekt zurückzukommen, den ich eingangs schon erwähnt habe. Ich bin mir der ernsten Gefahren, die aus der internationalen Lage für die innerdeutsche Entspannungspolitik erwachsen können, sehr bewußt. Ich glaube, es ist von höchster Wichtigkeit, daß wir vor allem nach außen gegenüber unseren Freunden und Nachbarn den Sinn und den Zweck unserer Deutschlandpolitik überzeugend vertreten.
Die Bundesrepublik Deutschland akzeptiert seit 1970 die Existenz eines zweiten, des anderen deutschen Staates. Zum Zeichen dessen unterhalten wir zu ihm formelle Beziehungen. Wir erstreben zur Deutschen Demokratischen Republik ein Verhältnis kooperativer Nachbarschaft. Unser Ziel dabei ist, die Folgen der Teilung zu mildern. Wir wollen die Folgen der Teilung für die Menschen mildern. Unsere
Politik ist vielmehr das Gegenteil. Wir sehen darin einen unserer Beiträge zur Sicherung des Friedens in Europa. Jedes Stück Normalisierung zwischen den beiden Staaten und Gesellschaftsordnungen in Deutschland ist in unseren Augen und nach unserem Willen ein Beitrag zur Befriedung Europas.
Unsere Nachbarn und Freunde müssen wissen, daß der Friede und die Gewaltfreiheit zwischen den Völkern Europas uns Deutschen höher stehen als die Fragen und Anliegen unserer geteilten Nation.
({3})
Für uns Deutsche und wegen uns Deutschen soll von unserem Boden aus kein Krieg mehr über uns und unsere Nachbarn kommen. Als Angehöriger einer Generation, sehr verehrter Herr Kollege Jäger, die erlebt hat, wie und woran der erste Versuch, in Deutschland eine freie offene Gesellschaft, eine Republik zu schaffen, gescheitert ist, weiß ich, wovon ich rede, wenn ich behaupte, daß wir Deutschen in übergroßer Zahl - ich verwende diese einschränkende Formel - heute gegen Nationalismus, gegen nationalistisches Verhalten immun sind - in großer Zahl, aber nicht absolut. Diese Immunität ist die wichtigste Lehre, die wir aus unseren nationalen Katastrophen in diesem Jahrhundert gezogen haben. Diese Erfahrung hat die Selbstgewißheit der deutschen Nation auf Generationen getroffen. Damit zugleich hat sie den Nationalismus, in dessen Zeichen Hitler den großen Krieg im Osten gesucht hat und die millionenfachen Rassenmorde verübt wurden, so diskreditiert, daß er auf absehbare Zeit keine Versuchung mehr für uns Deutsche darstellen kann.
Nur in einem gesamteuropäischen Prozeß in Richtung auf einen Frieden, der die einzelnen Menschen und Völker zu ihrem Recht kommen läßt, erblicken und erhoffen wir Deutschen eine Lösung auch unseres nationalen Problems. Aus den Erfahrungen unserer jüngsten Vergangenheit haben wir gelernt, wie ein solcher Frieden beschaffen sein muß, wenn er gerecht sein und Bestand haben soll. Er muß unbedingt an Gewaltverzicht, Menschenrecht und Selbstbestimmung orientiert sein. Diese Dreiheit verschmilzt die Rechte und Pflichten der Völker und Staaten untereinander mit den Rechten und Pflichten der einzelnen Menschen.
Der Frieden zwischen Staaten kann nicht als stabil und sicher gelten, wenn im Innern der Staaten Intoleranz, Furcht und Mißtrauen regieren. DasVerhalten der Staaten nach außen ist keine Veranstaltung, die sich unabhängig von der Innenpolitik und den inneren Verhältnissen vollzieht. Das haben gerade auch wir Deutschen in diesem Jahrhundert erfahren müssen. Es war derselbe Geist der Gewalt, der einerseits Gleichschaltung betrieb und Bücher verbrannte und der andererseits den Zweiten Weltkrieg entfesselte
({4})
in der Absicht, andere Völker zu unterjochen.
Meine Damen und Herren, ich werde manchmal makaber erinnert an Atmosphäre und Milieu meiner jüngsten politischen Lebensjahre, die vor 1933
lagen, wenn ich so manches in politischen Diskussionen erlebe. Keiner von Ihnen wird mir nachsagen können, daß ich je eingeheizt habe, um Gegensätze in der Tagespolitik demagogisch zu nutzen, um einen parteipolitischen Vorteil zu gewinnen. Im Gegenteil, ich habe dafür zahlen müssen, daß wir nicht zur richtigen Zeit in Deutschland erkannt haben, daß die Probleme nur mit den Mitteln des Gewaltverzichts gelöst werden können. Ich weiß mich einig mit der breiten Mehrheit unseres Volkes - da sind Sie mit eingeschlossen -, daß es nie zur Wiederholung einer solchen Situation kommen darf.
({5})
Darum heißt unser Beitrag heute in der aktuellen Situation, das Risiko zu vermeiden, wieder in eine Situation zu schliddern, bei der hinterher keiner mehr richtig feststellen kann, wie das eigentlich gekommen ist.
({6})
So war es beim Ersten Weltkrieg, und beim Zweiten war es deutlicher. Jetzt haben wir die Aufgabe, für die Zukunft des Friedens in Deutschland und Europa unsere speziellen Beiträge zu leisten, und das in Gemeinschaft mit unseren Verbündeten. Daran haben wir nie einen Zweifel aufkommen lassen.
Meine Damen und Herren, wir können nur wenig bewegen, sehr wenig können wir bewegen. Der Zweite Weltkrieg ist verloren. Die Einbindung der beiden deutschen Staaten in zwei unterschiedliche, ja gegensätzliche Bündnisse ist eine Tatsache. Sich in dieser Tatsache zu bewegen und den Deutschen in beiden Bereichen zu helfen, das ist eine Aufgabe, die mehr Ernsthaftigkeit verlangt, als mancher von Ihnen aufzubringen bereit ist.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, Herr Minister Franke, ob ich Sie da recht verstanden habe; Sie haben etwas gesagt, was mich doch außerordentlich überrascht hat: Sie fühlten sich vom Erfolg Ihrer Arbeit geradezu überrollt. Ich weiß nicht, ob Sie das etwa auf die Arbeit Ihres Ressorts bezogen haben. In diesem Fall muß ich sagen, fehlt Ihnen wohl jegliches Augenmaß für die Arbeit, die diese Bundesregierung und Sie darin geleistet haben.
({0})
Seit zehn Jahren führt diese Koalition hier Deutschlandpolitik. Ich kann nur fragen: Was ist aus Deutschland in dieser Zeit geworden?
({1})
Sie sprechen häufig von Frieden, und Herr Franke hat dies heute auch getan. Sie haben auch von Gewaltfreiheit gesprochen. Hier besteht völlige Übereinstimmung. Wann aber hören wir von Ihnen eigentlich mal das Wort „Freiheit" und nicht nur
„Frieden"? Denn Frieden ohne Freiheit ist Frieden des Konzentrationslagers und nicht der Frieden freier Bürger in einem bürgerlichen Rechtsstaat.
({2})
Was ist bis heute aus der SPD geworden, seit Kurt Schumacher einmal von den Kommunisten als „rotlackierten Nazis" sprach - bis zu diesem Tag, da wir im Zusammenhang mit dem sowjetischen Einfall in Afghanistan in einem Interview der „Stimme der DDR" hören:
Ich halte nichts von Handelsboykottmaßnahmen; gar nichts. Ich halte nichts von Olympiaboykott; schlechthin gar nichts.
Und im Zusammenhang mit dem Nachrüstungsbeschluß der NATO:
Eine Vorausleistung von der sowjetischen Seite hat es ja gegeben. Dagegen ist unsere Antwort
- nämlich die dieser Bundesregierung nicht die angemessene gewesen.
Der das sagte, war ein Mitglied dieses Hauses, der Abgeordnete der SPD Karl-Heinz Hansen. Es war die „Stimme der DDR".
({3})
Es ist derselbe Hansen, der gemeinsam mit Karl Wienand und einer großen Anzahl von Kommunisten und DKP-Funktionären in der - so nennt sie sich - „Gesellschaft BRD - UdSSR", Regionalverband Rhein-Ruhr, sitzt und dessen Vorsitzender ist. Ich kann mich nur fragen: Hätte Herr Hansen auch zu Hitlers Olympiade solche Worte gefunden? Immerhin hatte Hitler damals sein Prag und Warschau noch vor sich, während Breschnew heute sein Prag und Kabul bereits hinter sich hat.
Was ist denn aus dem Verhältnis der SPD zur Freiheit geworden, seitdem sie einer Politik der Gemeinsamkeit mit Kommunisten abschwor und dann Ulbricht und Grotewohl überließ. Wie sagte doch Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg in seiner letzten großen Rede am 27. Mai 1970 in diesem Hause. Er meinte, daß
... ein Handeln gegen das Freiheitsrecht aller Deutschen zugleich ein Handeln gegen den Frieden in Europa ist.
... wer Unterdrückung legitimierte, der ermunterte die Unterdrücker und damit die Friedensstörer.
Er warf dem SPD-Bundeskanzler damals vor,
... daß Ihre Regierung auf Anerkennungskurs liegt. Dieser Kurs wird dazu führen, daß eines Tages der Schutz der NATO zerbröckeln und die Sowjetunion ihre Vorherrschaft über ganz Europa gewinnen kann.
Herr Minister Franke, wenn Sie hier versucht haben, die unwiderruflichen Leistungen dieser Bundesregierung und ihrer Vorgängerin und die widerruflichen Gegenleistungen in der Sache, in ihrer
Form, in ihrem Wert und in ihrer Bedeutung zu vertuschen, dann zeigt das eben nur, daß hier offenbar keine Konzeption vorliegt. Wenn Sie von Konzeption sprechen und ich Sie und Ihre Arbeit im Innerdeutschen Ausschuß mit der des Herrn Kollegen Mertes, mit dem ich nun seit 25 Jahren über Konzeptionen der Politik spreche und den ich deswegen kenne, vergleiche, dann erübrigt sich jeder Kommentar.
Was Guttenberg ,Anerkennungskurs" genannt hat, hat Zbigniew Brzezinski, der Berater des Präsidenten der Vereinigten Staaten, gegenüber der Bundesregierung als Vorwurf in das Wort „Selbstfinnlandisierung" gekleidet. Was würde aus Deutschland und Europa werden, wenn es noch zehn Jahre so weiterginge wie bisher? Es gibt keinen Frieden, der lebenswert ist, ohne Freiheit. Aber ich will Ihnen sagen, was dann werden kann, wenn diese Bundesregierung über 1980 hinaus regieren und weiterhin zunehmend den Frieden über das Gut der Frei- heit stellen würde. Dies ist dann die Umkehrung der Politik Konrad Adenauers. Wenn wir nämlich auf Freiheit verzichten, werden uns Moskau und Ost-Berlin ihren Frieden diktieren, allerdings den Frieden des Konzentrationslagers.
({4})
Anerkennungskurs und Selbstfinnlandisierung, nicht auf einmal, sondern scheibchenweise - nur daß die Scheiben hier von der tragenden Partei der eigenen Regierung und von der Bundesregierung selber abgeschnitten werden - führen zur Gewöhnung an die Situation, zur Hinnahme von Unfreiheit, von Teilung und Unrecht.
Ich werde Ihnen auf Ihren Zwischenruf gerne antworten, Herr Kollege. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor wenigen Tagen hat Bundeskanzler Schmidt mit Herrn Honecker telefoniert. In großer Aufmachung hat unsere Presse hierzu verkündet, zwischen Bonn und Ost-Berlin gebe es zur Zeit überhaupt keine Probleme. Am selben Tag - an diesem selben Tag - wurde an der Mauer in Berlin wegen der Flucht zweier Deutscher eine neue teuflische Grenzbefestigung installiert: zehn bis 30 Zentimeter lange Nägel auf Matten, die jedem Flüchtling die Füße durchlöchern. Aber unsere öffentliche Meinung hat sich dank Ihrer Politik an diese Situation schon so gewöhnt, daß es hierzu heißt, es gebe zur Zeit keine Probleme.
({5})
Was ist aus Deutschland geworden, seitdem Sie regieren? Ja, aus Deutschland! Sie nehmen ja dieses Wort gern in den Mund. Sie sprechen vom „Modell Deutschland". Sie sagen „Deutsche, seid stolz auf unser Land". Sie behaupten, das moderne Deutschland zu schaffen. Gewiß, dieses Hohe Haus ist das einzig frei gewählte Parlament aller Deutschen, gewählt von den freien Bürgern im freien Teil Deutschlands. Aber der Begriff Deutschland ist mehr als dieser freie Teil. Er umfaßt ganz Deutschland, in den Grenzen, die unsere Verfassung uns vorschreibt. Weil die deutsche Frage bis zu einem Friedensvertrag offen ist!
Nehmen Sie doch einmal Grundsätze zur Deutschlandpolitik und zur Zonengrenze zur Kenntnis! Wir können diese Grenze nicht wie die eines fremden Staates respektieren. Wir sollten sie zu überwinden suchen, weil wir die Wiedervereinigung unseres Volkes fordern und nie aufhören werden, das Selbstbestimmungsrecht zu fordern. Die Bundesregierung kann nicht auf eine Humanisierung der Lebensverhältnisse im anderen Teil Deutschlands verzichten. Sie kann auch nicht auf eine Politik verzichten, deren Ziel die Wiederherstellung der staatlichen Einheit ist. Sie kann also in der Konsequenz nicht darauf verzichten, von der Sowjetunion die Aufgabe jenes Territoriums zu fordern, das heute sowjetisch besetzt ist.
Wir meinen, daß die Deutschen in Osteuropa entweder das Recht auf Freizügigkeit oder den Volksgruppenstatus erhalten müssen, der ihnen ein sozialkulturelles Eigenleben sichert.
({6})
- Herr Kollege Jäger, Sie haben „sehr gut" gerufen. Diese Grundsätze, die ich hier vorgetragen habe, sind alle von Willy Brandt formuliert worden, allerdings von dem Herrn Brandt vor der kurzen, aber verhängnisvollen Zeit seiner Kanzlerschaft. Für uns gelten solche Grundsätze heute noch. Das ist der Unterschied.
({7})
Was hat Brandt nicht alles versprochen? Gestern allerdings hat er gegenüber der „Frankfurter Rundschau" deutlich gemacht, daß auf absehbare Zeit für die DDR-Bürger keine Freizügigkeit in dem Maße erreicht werden kann, wie sie etwa Ungarn oder Jugoslawien für ihre Bürger im Verhältnis zum westlichen Ausland praktizieren.
({8})
Erstens sollte Herr Brandt zur Kenntnis nehmen, daß es für uns keine DDR-Staatsbürger gibt, sondern nur Deutsche, zweitens sind wir für die Deutschen drüben kein Ausland, und drittens ist dies das vernichtendste Eingeständnis des Scheiterns Ihrer Ostpolitik. Gerade - dies ist bereits zitiert worden - angesichts der Äußerungen, die Brandt vor zehn Jahren in Erfurt gemacht hat - „Fortschritte für den Frieden"; er sprach von „menschlicher Not", der wir abhelfen sollen usw. -, ist heute doch ganz deutlich geworden, daß diese Hoffnungen gescheitert und daß diese Versprechungen nicht eingelöst worden sind.
({9})
Aber - das ist mir wichtig bei den Zitaten Brandts aus den Jahren zwischen 1961 und 1965 - Brandt hat diese harten Erklärungen gegenüber dem Osten zu einem Zeitpunkt abgegeben, als ein innerdeutscher Minister der CDU, nämlich der Kollege Dr. Rainer Barzel, es gerade ermöglicht hatte, daß hier Getrennte zusammengeführt wurden. Heute, nachdem die Bundesregierung viele der schmerzlichsten und brutalsten Fälle getrennter Familien nicht mehr
zu lösen in der Lage ist, möchten Sie dem Deutschen Bundestag am liebsten verbieten, sich öffentlich mit den Zuständen in den Zuchthäusern der DDR zu befassen.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden diese Politik der Selbstfinnlandisierung jedenfalls nicht mitmachen. Wir werden uns mit den Fragen der Haftverschärfung in Ost-Berlin, in Bauzen, in Naumburg, in Hoheneck und in Cottbus und auch mit den Arbeitsnormen, die erhöht worden sind, befassen. Wir werden uns mit den im Namen des Sozialismus Ausgebeuteten befassen, die als einzige warme Mahlzeit nur noch Kohlsuppe und Schweinekartoffeln bekommen und deren Schreibund Besuchserlaubnis eingeschränkt ist. Wir ermuntern die Gesellschaft für Menschenrechte und alle rechtlich und frei Denkenden, immer wieder öffentlich über die Verletzung der Menschenrechte in Mitteldeutschland und die Zustände in den Haftanstalten zu berichten. Und es wird, so meinen wir, wohl keinen Intendanten einer Rundfunk- oder Fernsehanstalt geben, der sich von Ost-Berlin diktieren läßt, was gesendet wird und was nicht. Ebensowenig wird sich der Deutsche Bundestag von den Zonenmachthabern vorschreiben lassen, was in diesem Hohen Hause, sei es eine Debatte, sei es eine öffentliche Anhörung, auf die Tagesordnung kommt. Es geht hier um die Menschen drüben, die wissen müssen, daß sie nicht vergessen sind.
({11})
- Herr Kollege Wehner, es ist ja inzwischen allgemein bekannt, daß alle, die von drüben herauskommen, uns immer wieder bitten, dies öffentlich zu sagen und deutlich zu machen. Das ist doch die Tatsache, und Sie sollten es eigentlich besser wissen, Herr Wehner.
({12})
- Genau das Gegenteil ist richtig, Herr Wehner. Und Sie wissen es, sonst würden Sie nicht so laut darüber reden.
({13})
- Herr Wehner, ich glaube, Sie richten sich selbst mit diesem Zwischenfall.
({14})
Wie sieht denn Ihre Bilanz aus? - Herr Franke, Sie haben von sachlicher Information gesprochen, die Ihr Haus gebe. Sie sagen doch vieles einfach nicht mehr. Warum verschweigen Sie, daß der OstBerliner Verteidigungsminister Hoffmann vor wenigen Tagen von seinen Soldaten gefordert hat, sie müßten „den Klassenfeind auf dem Gefechtsfeld mit den Augen des Soldaten sehen, d. h. in ihm den Feind erkennen, der uns und dem Sozialismus ans Leben will, dem wir im Kampf überlegen sein müssen, um ihn zu besiegen". Sie sagen nicht, daß die Ost-Berliner Zeitschrift „Militärwesen" behauptet, in einem Zeitraum von fünf Jahren hätten vom Territorium der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlins aus etwa 23 000 „Provokateure" die sogenannte Staatsgrenze der DDR verletzt. Sie sagen nicht, daß die vom ZK der SED herausgegebene Zeitung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, „Kämpfer", fordert, das klassenmäßig begründete Feindbild noch überzeugender zu gestalten. Sie haben sich - auch dies wurde schon gesagt - wiederholt geweigert, hier in diesem Hohen Hause Auskunft über die Präsenz der sogenannten Nationalen Volksarmee und des Staatssicherheitsdienstes in Afrika zu geben, obwohl gesagt wurde, vom deutschen Boden solle kein Krieg mehr ausgehen.
Der Herr Bundeskanzler hat Anfang 1975 in seiner Neujahrsansprache erklärt: Um Berlin brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Ich kann nur hoffen, daß der Bundeskanzler hier für viele Jahre recht hat. Aber da sind die Forderungen der Sowjetunion wegen ernster Konsequenzen eines Anschlags auf das sowjetische Generalkonsulat oder die Ankündigung, die wir gestern erfahren haben, daß der europäische Reisepaß wahrscheinlich scheitern wird, weil Moskau und Ost-Berlin nicht bereit sind, ihn auch für die Berliner als Reisedokument anzuerkennen. Warum erklärt der Herr Bundeskanzler statt dessen, das freie Deutschland sei wegen Berlin innerhalb des westlichen Bündnisses in einer besonderen Situation? Zu Recht hat Richard von Weizsäkker diese Äußerungen des Kanzlers als irreführend und gefährlich bezeichnet; denn Berlin trennt uns nicht, sondern verbindet uns mit den Vereinigten Staaten.
({15})
Ich meine, auch solche Erklärungen des Bundeskanzlers sind Schritte zur Selbstfinnlandisierung. Es ist besser, wenn die Bundesregierung das deutsche Volk öffentlich darüber unterrichtet, wie vom Osten versucht wird, uns mit Berlin zu erpressen, statt hier in die Knie zu gehen und solche Erklärungen abzugeben.
({16})
Warum sagen Sie nicht, wie die Truppen in Osteuropa, in Ungarn, Bulgarien oder von Königsberg aus an der Grenze des freien Deutschlands, nach Pilsen, verstärkt werden.
Statt den Verteidigungsbeitrag der NATO zu erhöhen, sind in den letzten Jahren - wir haben soeben die Antwort auf die Anfrage unserer Fraktion bekommen - an die 8 Milliarden DM an Ost-Berlin gegeben worden. Einzig und allein im vergangenen Jahr sind 1,5 Milliarden DM an die SED-Machthaber gezahlt worden. Ich meine, das darf nicht geschehen, wenn dabei nichts für die Deutschen herauskommt, wenn es Verschlechterungen statt Verbesserungen gibt.
Wo war denn der Bundeskanzler eigentlich, als die Jungsozialisten gemeinsam mit den sowjetischen Komsomolzen im vergangenen Herbst erklärt haben - ich zitiere wörtlich aus der Juso-Presseerklärung -, daß die Stationierung von NATO- Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik und in West-Berlin lebensgefährlich sei? Am nächsten Sonntag fuhren dieselben Jungsozialisten zu einem „Abrüstungsseminar" mit den Komsomolzen nach Moskau. Dasselbe gilt für die Jungdemokraten. Ich muß den Vorsitzenden der FDP fragen, was er zu tun gedenkt, wenn diese die Anerkennung einer DDR- Staatsbürgerschaft fordern. Hier genügen nicht einige distanzierende Erklärungen. Denn es ist eine Tatsache, daß die Judos nach wie vor Sitz- und Mitspracherecht in den hohen Gremien der FDP haben
({17})
und direkt und indirekt auch finanziert werden. Diese Politik liegt auf Anerkennungskurs und auf dem Wege zur Selbstfinnlandisierung. Wir brauchen deswegen eine Kurskorrektur, zu der allerdings diese Regierung wohl nicht mehr fähig ist.
Wir brauchen mehr Menschlichkeit, die Herabsetzung der Altersgrenze für Mitteldeutsche zum Besuch im freien Teil Deutschlands, die Beseitigung der Westkontaktverbote für den absurd großen Kreis sogenannter Geheimnisträger drüben, die Ermöglichung von Besuchsreisen in grenznahen Gebieten auch in westlicher Richtung, die Schaffung weiterer Zonengrenzübergänge, die Verringerung der umfangreichen Sperrgebiete und auch das Einsetzen wirtschaftlicher und anderer Mittel. Herr Franke, Sie haben damals gefragt, ob wir welche vorschlagen können. In meiner letzten Rede zur Lage der Nation habe ich Ihnen 20 Punkte aufgeführt. Lesen Sie sie einmal nach! Vielleicht können Sie etwas damit anfangen. Schließlich meine ich, daß die Opfer unserer Steuerzahler gegenüber Ost-Berlin nur gerechtfertigt sind, wenn ihnen Verbesserungen für den Zusammenhalt unseres Volkes gegenüberstehen.
Nun folgt noch eine Bitte, auch an die Bundesregierung, sich einzusetzen. In diesen Tagen, in denen in Afghanistan Tausende und Abertausende durch sowjetische Kugelbomben und Napalmbomben und Nervengas ermordet werden - Frauen, Kinder, Freiheitskämpfer -, sollten wir besonders auch an die Gräber der Deutschen denken, die noch im Osten und insbesondere in der Sowjetunion ruhen, Millionen Menschen, die in sowjetischer Erde liegen. Ich meine, der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge verdient hier jede Unterstützung auch von seiten der Bundesregierung, um in dieser Beziehung endlich zu einer Lösung zu kommen.
({18})
Lassen Sie mich abschließend etwas zu der Deutschlandkonzeption bei einigen Mitgliedern der SPD sagen.
({19}) Herr Ehmke hat in seinen Ausführungen zur deutschen Frage von "Neuvereinigung" gesprochen und wollte nicht mehr von „Wiedervereinigung" sprechen. Heute hat Bundeskanzler Schmidt sich auch hierzu bekannt. Ich möchte ihn an den vierten Leitsatz des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum innerdeutschen Grundvertrag erinnern, in dem es heißt - und das ist bindendes Verfassungsrecht -:
Aus dem Wiedervereinigungsgebot folgt: Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland darf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben. Alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken. Das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Innern wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten und alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln würde.
({20})
Die unhistorische und daher völlig abwegige Wunschvorstellung von Herrn Ehmke, daß man sich eine Vereinigung Deutschlands nur in der ideologischen Uniform eines demokratischen Sozialismus vorstellen könne, ist geradezu lebensgefährlich.
({21})
- Doch, der demokratische Sozialismus hat eine; allerdings eine aus sehr schillerndem Tuch gemachte Uniform.
Niemand hat uns bisher klar sagen können, Herr Ehmke, was denn dieses mehrdeutige Schlagwort vom „demokratischen Sozialismus" bedeutet. Nennt sich nicht auch die DDR „demokratisch" und die SED „sozialistisch"?
Lassen Sie mich hierzu jemanden zitieren, der wie kaum ein anderer solche Demokratie und solchen Sozialismus von innen erlebt hat, nämlich Alexander Solschenizyn. Er sagt:
Die wertvollste Ausbeute der letzten 60 Jahre der Weltgeschichte besteht in der Befreiung von der sozialistischen Seuche, die unser Volk durchgemacht hat.
({22})
Diese Befreiung ist auch eine Befreiung für die übrige Welt, sogar für diejenigen Länder, denen diese Krankheit noch bevorsteht Ja, wir sind Gefangene des Komminismus.
So spricht Solschenizyn vom russischen Volk.
Aber dennoch ist er für uns ein toter Hund, während er für viele westliche Kreise noch ein lebendiger Löwe ist.
Ich meine, wir sollten uns darüber klar sein, was er für uns alle bedeutet.
({23})
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, komme ich noch einmal auf den Beitrag zurück, den Herr
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
Abgeordneter Wehner vor kurzem hier unter meinem Vorsitz gehalten hat. Wegen des Lärms im Hause war nicht deutlich zu verstehen, was gesagt wurde. Ich habe mir das Protokoll vorlegen lassen. Herr Abgeordneter Wehner, danach haben Sie einen parlamentarischen Kollegen „das Abscheu-Bild eines Quasi-Parlamentariers" und einen „Skandal" genannt. Ich rüge diese Ausdrucksweise.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schlei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soeben sprach hier der Kollege Graf Huyn, CSU. Was er sagte, war nicht adelig, war nicht edel.
({0})
Seine Frage „Was ist aus Deutschland geworden, seitdem Sie regieren?" ist sehr leicht zu beantworten und würde von vielen Menschen auf der Welt ähnlich beantwortet werden, wie wir sie beantworten, nämlich: ein Staat, der ein begehrter Bündnispartner ist, ein Staat mit einer starken Wirtschaft, ein Staat mit einem sehr hohen Bruttosozialprodukt, ein Staat mit Löhnen und Gehältern, die in der Welt vergleichsweise hoch sind, und ein Staat, der sich als friedensfähig erwiesen hat. Das ist aus Deutschland geworden,
({1})
seitdem die sozialliberale Koalition regiert.
({2})
- Ich habe eine Frage, die wir als unerhört empfanden, beantwortet.
({3})
Ganz und gar unappetitlich ist die Frage an Herrn Bundesminister Franke: Wann hören wir von Ihnen einmal das Wort Freiheit? Wissen Sie nicht, Herr Kollege, daß Sie einen Mann gefragt haben, der für seinen Kampf um Freiheit in der Hitler-Zeit im KZ gesessen hat?
({4})
Dann stellten Sie die Frage nach dem Verhältnis der SPD zur Freiheit. Schämen Sie sich nicht?
({5})
Sie stellten die Frage an eine Partei, die wie keine andere Blutopfer, Freiheitsopfer gebracht hat, deren Mitglieder Hunderte von Jahren KZ-Haft ertragen haben. Sie sollten so eine Frage als Parlamentarier in unserer Demokratie nicht stellen, Sie sollten nicht so geschichtsfremd sein, das eine Partei zu fragen, die Opfer gebracht hat.
Kennen Sie nicht die Freiheitsrede von Otto Wels
- dessen Sprache Sie allerdings nicht sprechen, Herr Kollege; das steht fest -, die er, noch im letzten Versuch, Hitler abzuwehren, im Reichstag hielt?
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Huyn?
Nein. Herr Graf Huyn, Sie haben hier Ihre Zeit genutzt - schlecht genutzt, wie ich meine.
({0})
Ich weiß, daß das, was Sie ausgeführt haben, nicht die Meinung der Gesamtfraktion der CDU/CSU ist. Das ist nicht die Meinung der demokratischen CDU. Ob Sie die CSU-Meinung vertreten haben, können Sie vielleicht besser beantworten.
({1})
- Nein, das maße ich mir auch nicht an. Ich unterstelle nur, daß das, was vorgetragen wurde, nicht die Meinung der Gesamtfraktion der CDU/CSU ist. Daß Sie sich mit dem Gesagten identifizieren, Herr Jäger, glaube ich. Dazu kenne ich Sie lange genug. Das stimmt.
Sie haben heute eine Chance vertan. Ich verstehe nicht, wie man eine Große Anfrage zum Deutschlandbild der Jugend stellen kann, ohne diesen historischen Moment zu beschreiben, um den es heute geht. Ob Sie nun alles gut finden, was sich entwikkelte, seitdem der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt in Erfurt war, ist eine Sache. Aber Sie selber müssen doch zugeben, daß Sie als Person seitdem selbst Verbesserungen erlebt haben. Oder nutzen Sie die Verbesserungen nicht, weil der andere Teil Deutschlands für Sie nicht Deutschland ist?
Ohne Frieden - so sagte unser Bundeskanzler Helmut Schmidt heute - ist die deutsche Einheit undenkbar. Das ist unsere Meinung.
({2})
- Es ist schön, daß Sie das auch sagen. Ich freue mich über Ihre Zustimmung.
({3})
Es ist ein bleibendes Verdienst von Willy Brandt und Walter Scheel, daß sie mit dem von ihnen eingeleiteten politischen Prozeß die beiden deutschen Staaten in die Pflicht genommen haben, ihrer Friedensaufgabe in Europa gerecht zu werden. Den Sozialdemokraten war lange vor dieser bewegenden Begegnung in Erfurt klar, daß ideologische Kreuzzüge uns Deutsche immer weiter auseinanderführen. Bereits in den 60er Jahren stellten westliche Politiker fest, daß viele Jahre der Spannung bewiesen hätten, daß Spannung nicht an die Wiedervereinigung Deutschlands heranführt.
({4})
Zehn Jahre nach Erfurt können wir nun sagen, daß sich die beiden deutschen Staaten als zum Ausgleich fähig erwiesen haben. Wir wissen, daß uns in diesem Bemühen die Unterstützung aller unserer Nachbarn sicher ist.
({5})
Uns jedenfalls ist es nicht möglich, die bewegenden Bilder zu vergessen, die wir damals im Fernsehen sehen konnten, als der deutsche Bundeskanzler bei den Menschen im anderen deutschen Staat war. Und auch diese Menschen werden das nicht vergessen; für sie ist das ein historisches Datum.
({6})
Es ist wirklich schade, daß es für Sie kein historisches Datum ist, denn Sie sind doch diejenigen, die uns und der Jugend von heute so leicht den Vorwurf der Geschichtslosigkeit machen. Aber was tun Sie denn dafür, der Jugend von heute dieses eine Deutschland nahezubringen? Das können Sie doch nicht durch Ausführungen, wie Sie sie heute gemacht haben, Graf Huyn!
({7})
Es kann doch nicht dazu anregen, den anderen Teil Deutschlands als Heimat zu betrachten, wenn man das Regime nur dauernd beschreibt und die Menschen dabei ausläßt.
({8})
- Doch, abstrakte Formeln nehmen nicht zur Kenntnis, was der Mensch in diesem oder im anderen Teil Deutschlands vermißt, was er erleidet, was er erhofft.
({9})
- Die Freiheit hat er nicht durch die Politik der sozialliberalen Koalition verloren,
({10})
die Freiheit ging durch den Hitler-Krieg verloren, und die Menschen im anderen Teil Deutschlands haben dafür einen höheren Preis zu zahlen als wir. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen.
Trotzdem dürfen wir den Standpunkt, daß auch der andere Teil für uns Deutschland ist, nicht aufgeben. Diesen Standpunkt kann man nicht durch Deklamationen vertreten; dafür hat man etwas zu leisten.
Willy Brandt hat in seiner ersten Regierungserklärung gesagt:
Die Deutschen sind nicht nur durch ihre Sprache und ihre Geschichte - mit ihrem Glanz und Elend - verbunden; wir sind alle in Deutschland zu Haus.
({11})
Sorgen wir in ausreichender Weise dafür, daß wir alle in Deutschland zu Hause sind! Gehen wir mit unseren Kindern auf die Insel Rügen; sie ist doch heute mindestens so leicht zu erreichen wie Mallorca. Gehen wir nach Greifswald, um zu zeigen, wie schön Backsteingotik ist und wie sie der Backsteingotik im nördlichen Raum der Bundesrepublik ähnelt. Zeigen wir unseren Kindern oder unseren Enkeln den göttlich schönen Elbebogen bei Dresden, und gehen wir in den Zwinger, um ihnen zu zeigen, daß dort deutsche Kunstschätze sind. Jeden einzelnen von Ihnen, ja von uns allen möchte ich fragen: Was tun wir, was tun die Eltern, was tun die Lehrer heute dafür, daß wir alle in Deutschland zu Hause sind? Denn unsere Politik hat ja mit bewirkt, daß man heute mit vielen Begründungen - touristischer oder religiöser Art oder aus Anlaß von Verwandtenbesuchen - eine gewisse Zeit im anderen Teil Deutschlands sein kann. Nutzen wir diese Möglichkeit!
Haben eigentlich wir Parlamentarier schon alle Begegnungen konzipiert, die heute möglich sind? Man spricht ja in der Interparlamentarischen Union miteinander. Ich finde, zur Frage, wie wir dieses Deutschland zu unserem Zuhause für alle machen, wäre noch viel zu überlegen.
Meines Erachtens haben wir heute eine gute Bilanzierung durch Bundeskanzler Helmut Schmidt gehört. Sie war wohl auch geeignet, die Defizite zu beschreiben, die zu beschreiben sind. Er hat nichts ausgelassen von dem, was offen ist,
({12})
was offenbleibt, was noch erworben werden muß. Aber durch reden allein wird das nicht erworben.
({13})
Dazu kommt, daß man sich dafür einsetzt, und leider kommt auch dazu, daß man sich für solchen Einsatz noch diffamieren lassen muß.
({14})
Wir müssen unsere politische Aussage, vielleicht wir alle, noch anders gestalten, damit auch die Jugend in beiden Teilen Deutschlands parlamentarische Demokratie in ihrer Aussage, in ihrem Einsatz, in ihrem Erfolg akzeptieren kann.
Lassen Sie mich einmal, um nicht immer nur abstrakt zu bleiben, uns vor Augen halten, was eine Personengruppe in der DDR durch unsere Politik und dadurch, daß die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki zustande kam, an Lebenserleichterung erhalten hat. Es ist die Gruppe der Christen in der DDR, die ich heute einmal in unser Blickfeld rücken möchte. Wir haben seit einigen Jahren und auch in diesen Tagen wieder von den Sprechern der EKD und den Sprechern der evangelischen Christen in der DDR Dinge gehört, die uns ermutigen, daran zu glauben, daß sich nicht nur Politiker um Friedenspolitik mühen und sich dafür einsetzen, sondern auch die Kirchenführungen, und zwar in gemeinsamen Deklarationen. Das ist doch etwas Neuartiges, das muß einmal gesagt werden.
({15})
- Nein, das stimmt nicht. Zusammengefügt durch Sprecher der evangelischen Kirche der DDR und der Kirche hier, Herr Kollege. Das ist neuartig, daß gemeinsame Deklarationen formuliert und verabschiedet werden.
({16})
Ganz neuartig ist, daß Kirchen der Staaten des Warschauer Pakts diese Texte mittragen. Dazu gehört auch die russisch-orthodoxe Kirche. Dies ist neuartig nach den Vereinbarungen in der KSZE. Wir müssen dies mit Dank verzeichnen, denn dazu gehört auch der Mut der Menschen, die das erarbeiten, tragen und gegenüber ihren Regierungen vertreten.
({17})
Wir müssen feststellen, daß sich mit der Entspannungspolitik das Verhältnis der Kirche in der DDR zur Regierung der DDR und umgekehrt verbessert hat.
({18})
Das ist nicht nur gut für den Kirchenbau. Sie wissen, daß früher nur Kirchenaltbauten renoviert werden durften. Jetzt dürfen Kirchenneubauten errichtet werden. Wir haben erfahren - Sie ganz bestimmt auch -, daß Gelände zur Verfügung gestellt wird, daß das zeitgerecht abgewickelt wird und daß es eine Planung für Kirchenneubauten und Kindergärten der Kirche bereits bis zum Jahre 1985 gibt. Dies wird auch verwirklicht.
Junge Menschen können sich jetzt unbehinderter auf Foren äußern. Ich referiere nur, was Christen aus der DDR selbst veröffentlichen. Ich referiere nur, was uns die Bischöfe mitteilen und was ein Teil der deutschen Zeitungen dankenswerterweise aufgearbeitet hat. Hier wird ein Stück mehr Menschenrechtspolitik auch für die Christen in der DDR sichtbar. Ich finde, dies ist wichtiger als das Pathos von Menschenrechtserklärungen.
({19})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einmal sagen, was Bischof Schönherr vor zwei Jahren in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung' zum Thema Menschenrechte erklärt hat. Es wird Sie irritieren, aber wir haben nicht das Recht, einem Christen, der sich als Christ in der DDR bezeichnet, seine Definition zu verbieten. Er sagte:
Wir sind sehr interessiert an der Menschenrechtsfrage, und wir haben es sehr begrüßt, daß die KSZE-Schlußakte die Menschenrechte ausdrücklich genannt hat. Wir halten das für eine sehr glückliche Verknüpfung und haben selbst eine ganze Menge darüber zu sagen. Es ist nicht richtig, wenn man Menschenrechte einfach pauschal gleichsetzt mit dem, was man im Westen darunter versteht. Wir sind uns darüber klar, daß auch der Sozialismus angetreten ist zur Verwirklichung der Menschenrechte. Wir sind nicht der Meinung, daß es gut ist, wenn
man gegeneinander individuelle und kollektive Menschenrechte ausspielt.
({20})
Ich glaube, daß man sehen muß, daß die Menschenrechte einen starken Kontextbezug haben. Menschenrechte gibt es immer nur in einer bestimmten gesellschaftlichen und sozialen Verküpfung. Wir hoffen sehr,
- so sagte Bischof Schönherr kurz vor der KSZE- Folgekonferenz in Belgrad daß Belgrad nicht daran scheitern wird, daß man sich gegenseitig die Menschenrechte um die Ohren haut.
({21})
Sie, verehrte Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, wissen, daß unsere Menschenrechts-Auffassung mit der Ihren identisch ist. Das ist klar. Wir haben die Auffassung von dem individuellen, von dem einzelnen Menschen selber zu verlangenden Menschenrecht. Aber wir müssen - ich glaube, Willy Brandt hat dies heute schon angedeutet - auch sehen, daß es Menschenrechte gibt, die überhaupt nicht erfüllt werden. Denken Sie an die Hungernden der Welt und an das erste Menschenrecht, überhaupt leben zu bleiben. Das ist meines Erachtens in Relation zu setzen.
Das bedeutet nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß wir uns nicht für die individuellen Menschenrechte für alle Deutschen einsetzen wollen, wie wir es jetzt wieder in einer gemeinsamen Entschließung aller drei Fraktionen getan haben. Ich danke Herrn Olaf von Wrangel für die Kooperation in diesem Bereich. Wir haben einen Antrag, den Sie gestellt haben, gemeinsam bearbeitet. Wir haben unsere Gedanken dazugebracht und die Entschließung zu Menschenrechtsinstitutionen der UN, die besser ausgestattet werden sollen, im Ausschuß gemeinsam verabschiedet. Das ist möglich: gemeinsam etwas zu tun.
Deshalb war ich von diesem totalen Ausbruch aus einer Gemeinsamkeit, den mein Vorredner hier gebracht hat, so irritiert.
Ich möchte eigentlich mit dem Hinweis auf eine millionenstarke Gruppe von Menschen in der DDR schließen, die zu bewundern ist, daß sie mutig, geduldig und tolerant bereit ist, den Dialog in ihrer Situation zu führen: ein Beispiel für uns, Dialog zu führen, ein Beispiel für uns, in bedrängterer Situation Mut zu haben und die Wahrheit auf den Tisch zu legen. Wir können von den Christen in der DDR lernen. Ich möchte unsere Christen hier ermutigen, in ihrer Fürsorge für die Christen in der DDR nicht nachzulassen, sei sie materieller Art, seien es andere Hilfsmöglichkeiten. Ich appelliere an den Erfindungsreichtum auch der Nichtchristen, nicht zu vergessen, daß das Zuhausesein in Deutschland täglich neu und friedenstiftend gestaltet werden muß.
({22})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3833 auf. Es ist beantragt, den Entschließungsantrag an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Entschließung des europäischen Parlaments zur sowjetischen Intervention in Afghanistan
- Drucksache 8/3667 -
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung -an den Sportausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. So beschlossen.
Ich rufe dann Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes
- Drucksache 8/2067-
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3826 -
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksachen 8/3495, 8/3758 Berichterstatter: Abgeordnete Zink Egert
Schmidt ({2})
({3})
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind für die Aussprache zwei Kurzbeiträge für jede Fraktion vereinbart. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist der Fall. Bitte, Herr Abgeordneter Egert, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs muß noch vorgetragen werden, daß seit der Beschlußfassung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes - Drucksache 8/3495 - im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung am 14. November 1979 einige Änderungsgesetze verkündet worden sind, die Korrekturen in den Einleitungssätzen der Art. 1, 2, 3 und 3 a sowie in Art. 1 § 10 Abs. 1 Nr. 2 und 10 des Gesetzentwurfs in der Fassung der Ausschußbeschlüsse erforderlich machen. Es wird um Zustimmung gebeten, diese redaktionellen Anpassungen an die Weiterentwicklung der Gesetzgebung bei der Ausfertigung des Gesetzes zu berücksichtigen. Dies habe ich - zugleich im Namen der beiden anderen Berichterstatter - hier vorzutragen.
Weitere Wortmeldungen der Herren Berichterstatter liegen nicht vor.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Geschichte des heute hier zu behandelnden Krankenhausfinanzierungsgesetzes ist durch eine Vielzahl von Hindernissen, parlamentarischen Kompromissen und verfassungsrechtlichen Bedenken gekennzeichnet. Ursprünglich war die Novellierung des KHG im Rahmen des Kostendämpfungsgesetzes geplant. Nach sehr kontroversen Beratungen wurde auf Antrag des Bundesrates im Vermittlungsausschuß der Krankenhauskomplex aus dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz - KVKG - herausgenommen, um die Probleme in ihrer Gesamtheit in einer erweiterten Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes zu regeln.
Der Regierungsentwurf wurde schon dieser Zielsetzung nicht gerecht. Gegenüber der ursprünglichen Fassung war der Gesetzentwurf zwar verändert, aber er wurde den schon im KVKG aufgetretenen Schwierigkeiten und rechtlichen Bedenken nicht gerecht. Die von den Bundesländern seinerzeit verworfenen Verfahren bei der Krankenhausbedarfsplanung und bei der Änderung der Vereinbarung der Pflegesätze enthielt auch der neue Entwurf. Die Schwierigkeiten waren damit vorprogrammiert. Der Bundesrat hat dann auch folgerichtig den Entwurf der Bundesregierung stark kritisiert und eine Vielzahl von Änderungen gefordert.
Eines der Hauptziele der Novelle war, die starke Kostenentwicklung im Krankenhausbereich zu bremsen. Dazu ist festzustellen, daß es deshalb keiner Novellierung bedurft hätte. Denn die Steigerungsraten der Kosten für stationäre Behandlung sind während der letzten Jahre erheblich gesunken. Während 1974 noch eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr in Höhe von 30 % vorlag, war diese bereits 1976 mit 10,3 % wesentlich gesunken. Neuesten Statistiken zufolge belief sich die Steigerung auf diesem Sektor des Gesundheitswesens 1979 auf 5,1 %, d. h., sie lag noch unter der Steigerungsrate der Gesamtkosten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß 30 der gesamten Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Krankenhaussektor entfallen. Der Rückgang der Steigerungsraten war überwiegend ein Erfolg der Bemühungen der Selbstverwaltung, wie dies zuvor auch schon im ärztlichen Bereich der Fall war.
Rückblickend ist zu sagen, daß es gar nicht zu den starken Steigerungsraten der Jahre 1973 bis 1975 geDr. Becker ({0})
kommen wäre, wenn die Bundesregierung rechtzeitig die im alten KHG vorgesehenen und von der CDU/CSU immer wieder geforderten Verordnungen und Richtlinien erlassen hätte, die teilweise selbst heute noch nicht vorliegen.
({1})
Das zweite Ziel, mehr Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus, will die Bundesregierung durch den Ausbau der Planungs- und Steuerungsinstrumente erreichen. Aus der Sicht der Länder, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der freien Träger ist dies ein verfehlter Ansatz.
({2})
Durch die geplanten schwerwiegenden Eingriffe in die Kompetenz der Länder, die letztlich durch Grundgesetzauftrag für die Planung verantwortlich sind, wurden die Länder zu geborenen Feinden dieses Regierungsvorschlags.
Auch die freien Krankenhausträger sind Gegner des Gesetzes. Sie werden einem allzu starken Druck der in der Regel stärkeren Verhandlungspartner bei der Aushandlung der Pflegesätze ausgesetzt, zumal die freien Träger keinen Rückhalt finanzieller Art haben, wie ihn die öffentlichen Krankenhausträger in der Defizitübernahme durch die Gemeinden finden. Die schwache Verhandlungsposition dieser freien Krankenhausträger, so wird befürchtet, führt langfristig zu Defiziten und damit über kurz oder lang zur Gefährdung ihrer Existenz.
Darüber hinaus enthält der Ausbau der Planungs- und Steuerungsinstrumente die große Gefahr einer noch stärkeren Bürokratisierung des Krankenhauswesens und auch der Fehlplanung. Ich erinnere nur an das Klinikum Aachen oder die hessische Planungsruine „klassenloses Krankenhaus". Ein Mehr an Planung, an Steuerung bedeutet nicht schon ein Mehr an Wirtschaftlichkeit und schon gar nicht stärkere Kostendämpfung. Bei einer wirtschaftlichen Betriebsführung gilt der Satz, daß mehr Steuerung von außen auch mehr Schwierigkeiten im Krankenhaus mit sich bringt. Schon die bestehenden Einflüsse sind enorm. So wird eine Lohnsteigerung um 7 % in der anstehenden Tariflohnrunde eine Kostensteigerung im Krankenhausbereich von rund 2 Milliarden DM ausmachen. Hinzu kommen weitere Belastungen aus Arbeitszeitverkürzungen und ähnlichen Erfordernissen. Auch die Planungsvorgabe von Personalbedarf je Patient führt nicht unbedingt zu mehr Kostendämpfung. Sie kann sogar das Gegenteil bewirken, nämlich eine Orientierung nach oben.
Ein weiteres Ziel des Entwurfes ist die Stärkung der Selbstverwaltung im Krankenhausbereich. Die Regierungsvorlage will den Staatseinfluß abbauen mit der Folgewirkung einer Veränderung der inneren Struktur des Krankenhauses. Hierzu hat der Bund keine Kompetenz. Der Stärkung der Selbstverwaltung kann man nur dann das Wort reden, wenn hierbei Verhandlungen von gleichgewichtigen und gleichstarken Partnern vorgegeben und gewährleistet sind. Zudem enthält die Regierungsvorlage noch den Mangel, daß nicht einmal alle an der Planung und Finanzierung des Krankenhausbetriebes
Beteiligten bei der Pflegesatzverhandlung eingeschlossen sind.
Es gehört nach unseren Auffassungen zu den Grundvoraussetzungen eines leistungsfähigen und funktionsgerechten Krankenhauswesens, daß die Finanzierung gesichert ist. Nach dem alten KHG bestand eine sinnvolle Aufteilung der Kosten auf die öffentliche Hand und den Benutzerkreis. Für Investitionskosten sollte die öffentliche Hand zuständig sein, für die Benutzerkosten der Patient bzw. der zuständige Sozialleistungsträger. Dieser Grundsatz des Finanzierungssystems ist leider schon in der Vergangenheit mißachtet worden. Ich erinnere nur an das Haushaltsstrukturgesetz.
In der Vorlage wird das Kostenverteilungsprinzip noch weiter verlassen. Der Vorrang der Selbstkostendeckung wird noch mehr ausgehöhlt. Einer rein volkswirtschaftlich orientierten Zielsetzung werden die bisher überwiegend betriebswirtschaftlichen Kriterien des KHG geopfert.
Die ordnungspolitisch bedenklichen Schritte des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes mit einer einnahmenorientierten Ausgabenpolitik, mit Deckelverordnungen, mit dirigistischen Maßnahmen sollen offensichtlich mit der Änderung der Zielsetzung in § 1 der neuen KHG-Vorlage über die Erweiterung des § 405 a RVO nun auch auf das Krankenhauswesen ausgedehnt und dort angewandt werden. Selbst wenn man eine Orientierung der Sozialleistungen an gewissen Obergrenzen guthieße, so wäre das Krankenhauswesen mit Sicherheit nicht der richtige Ansatzpunkt. In den Beratungen und Diskussionen um das KHG hat sich gezeigt, daß die Bundesregierung die Länder und die Opposition bezichtigt hat, das KHG demontiert zu haben - was bei dem nach unserer Ansicht völlig falschen Ansatz des Gesetzes notwendig und dringlich war.
Demgegenüber ist festzustellen, daß die Bundesregierung jetzt ihrerseits eine totale finanzielle Demontage des KHG betreibt. Ich erinnere nur an die Zurücknahme der Finanzierungszusagen in § 14 und § 30 durch Finanzminister Matthöfer. Aus unserer Sicht waren die ursprünglichen Ansätze bereits unzureichend.
Meine Damen und Herren, die Krankenkassen und Krankenhausträger hielten bisher schon nicht viel von dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Jetzt, nach der Beseitigung der wenigen für sie attraktiven Regelungen durch die Koalitionsparteien, halten sie den Entwurf für völlig unbrauchbar.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilt diese Auffassung. Nach unserer Meinung ist der Gesetzentwurf nicht akzeptabel, weil er die Probleme im Krankenhaus a) nicht löst und b) das vorgeschlagene Instrumentarium völlig ungeeignet und zudem verfassungsrechtlich bedenklich ist.
({3})
Mit diesem Gesetzentwurf wird die wirtschaftliche Sicherung des Krankenhauses nicht erreicht - im Gegenteil, durch die mangelhafte Übernahme der Investitionskosten durch den Bund wird die Lage sogar noch verschärft.
Dr. Becker ({4})
Auch das Ziel eines bedarfsgerechten und leistungsfähigen Krankenhauses wird nicht erreicht. Es ist sogar zu befürchten, daß das bisher Erreichte gefährdet wird. Dabei ist das Problem der Humanisierung des Krankenhauses noch gar nicht angesprochen.
({5})
Bei überfordertem Personal und bei zu geringer Personalausstattung mangels Finanzmasse wird dies zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Versorgung des kranken und leidenden Menschen im Krankenhaus führen.
({6})
Die personale Zuwendung ist aber für ein humanes Krankenhaus unabdingbar.
({7})
Abschließend ist zu sagen: Die Krankenhausfinanzierungsnovelle können wir nur als einen Mißerfolg bezeichnen. Weniger wäre mehr, insbesondere weniger Planung, weniger Steuerung von außen, weniger Dirigismus. Das alte KHG ist damit noch das bessere KHG.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hätte der Kollege Dr. Becker doch bei seiner Rede den Faden nicht verloren. Er hatte so schön sachlich angefangen und ist dann im zweiten Teil wirklich abgeglitten.
({0})
- Herr Kollege Burger, er ist nicht zu den harten Realitäten vorgeschritten, sondern er mußte nun noch eine Begründung dafür finden, daß die Opposition auf dem weiten Weg vom Kostendämpfungsgesetz, wo wir schon mal einen Anlauf genommen haben, den Krankenhausbereich zu regeln, und wo mutige Worte auch von der Opposition gesprochen worden sind, der Mut verlassen hat.
({1})
- Gut, das verstehe ich. Aber nehmen wir es so. Deswegen brauchen wir dazu in der Sache, glaube ich, nicht mehr allzuviel zu sagen; denn wir hatten ganz andere Überlegungen, Herr Kollege Dr. Bekker, bei den Diskussionen zum KVKG. Daran darf ich Sie erinnern. Sie durften sich dann nicht mehr bewegen - auch das verstehe ich -, weil der Bundesrat die Linie vorgezeichnet hatte.
Wir gehen davon aus, daß mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes im zweiten Anlauf der Versuch gemacht wird, das nachzuholen, was, bedingt durch den Widerstand der Bundesratsmehrheit, beim Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz 1977 nicht mehr gelungen ist: die Bemühungen um Kostendämplung im Gesundheitswesen nun auch im Krankenhausbereich auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Wir sehen in diesem Gesetzentwurf eine flankierende Maßnahme zu einer konsequenteren Kostendämpfungs-und Strukturverbesserungspolitik im Gesundheitswesen.
Wie bereits bei dem Kostendämpfungsgesetz 1977 sind wir auch bei dem Bemühen um die Verbesserung der Krankenhausfinanzierung auf einem konsequenten Weg geblieben. Wir stärken die Selbstverwaltung. Für die Kostendämpfung im Krankenhausbereich heißt dies: Der Gesetzgeber schafft Instrumente für die Selbstverwaltungen des Gesundheitswesens, derer sie sich bedienen können, um aus eigener Kraft der Kostenentwicklung entgegenzuwirken. Wir, meine Damen und Herren von der Opposition, nehmen nämlich das Prinzip der Selbstverwaltung ernst. Das „fishing for compliments" in Reden auf einschlägigen Fachkongressen und anläßlich von Gedenktagen überlassen wir dabei gern anderen. Wir setzen auf gesetzgeberische Maßnahmen zur Stärkung der Selbstverwaltung.
Bevor ich auf Einzelheiten des Gesetzentwurfs eingehe, erlauben Sie mir noch einige Bemerkungen zum Bundesrat und zu seiner Rolle bei diesem Gesetzgebungsvorhaben. Ohne jeden Zweifel ist der vorliegende Gesetzentwurf zustimmungsbedürftig. Das Gesetz wird also nur zustande kommen können, wenn Bundestag und Bundesrat zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge gelangen und aufeinander zugehen.
Wer unsere Bemühungen zur Kostendämpfung im Krankenhausbereich anläßlich des Kostendämpfungsgesetzes mit der jetzt vorliegenden Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz vergleicht, wird feststellen, daß wir dem Bundesrat bis an die Grenze des sachlich Vertretbaren entgegengekommen sind. Ich kann nur hoffen, daß dieses Zeichen des Entgegenkommens von den Ländern der Bundesratsmehrheit erkannt und nicht mißdeutet wird.
({2})
Wir erwarten nunmehr auch von Ihnen Schritte des Entgegenkommens. Wenn die Haltung der CDU/CSU-geführten Länder allerdings durch die heute vorliegenden Änderungsanträge der Bundestagsopposition, zu denen mein Kollege Urbaniak noch Stellung nehmen wird, vorgezeichnet sein sollte, werden wir sicherlich auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Das Ergebnis dieser Anträge wäre nämlich: Der Bund soll mehr zahlen und für seine Zahlung damit belohnt werden, daß er seiner ohnehin bescheidenen Mitwirkungsrechte beraubt wird. Zahlen und Schweigen mag ein Motto fragwürdiger Kavaliere bei galanten Abenteuern sein - als Grundlage einer ernsthaften Politik kann es nicht taugen. Wir halten es mehr mit dem Grundsatz, daß derjenige, der die Musik mitbezahlt, die Melodie, die gespielt wird, mitbestimmen kann.
Ich sage für meine Fraktion ganz deutlich: Sollte die Bundesratsmehrheit darauf aus sein, bereits bestehendes Krankenhausfinanzierungsrecht mit der Novelle weiter zu verwässern, so werden wir uns dem mit Entschiedenheit entgegenstellen. Ein Gesetz, das seines materiellen Inhalts beraubt ist, eine
leere Gesetzeshülse, werden wir zu verhindern wissen.
Kernpunkt des Gesetzentwurfs ist die Verbesserung der Mitwirkung der gesetzlichen Krankenversicherung an der Krankenhausbedarfsplanung und der Festlegung der Krankenhauspflegesätze. Die Krankenkassen tragen über die Pflegesätze die Folgekosten der Investitionsentscheidungen, ohne daß sie aber an deren Zustandekommen bisher mitwirken konnten. Wir meinen, dieser Zustand ist änderungsbedürftig. Wir wollen, daß die Krankenkassen an diesen Planungen und Investitionsentscheidungen der Länder, die Kostenfolgen für den Geldbeutel der Versicherten haben, beteiligt werden.
Wir haben den Bedenken der Länder insoweit Rechnung getragen, als diese Entscheidungen nur in enger Zusammenarbeit und nicht im Einvernehmen - wie wir es uns auch hätten vorstellen können - mit den beiden Betroffenen gefällt werden können. Dieses Entgegenkommen haben wir aufgebracht, weil wir eine gesetzlich abgesicherte Einigung wollen.
Bezüglich der Krankenhauspflegesätze haben wir nicht verstanden, warum unserem Begehren, hier zu einer stärkeren Beteiligung der Krankenkassen zu kommen, widersprochen worden ist. Denn warum sollten nicht, wie im ambulanten Bereich, Ärzte und Krankenkassen über die Höhe der Honorare verhandeln, auch im stationären Bereich Krankenhäuser, Krankenhausträger und Krankenkassen über die Höhe der Pflegesätze verhandeln? Wir meinen, über den Preis zu verhandeln ist besser, als den Preis staatlich festgesetzt zu bekommen. Es ist bezeichnend, daß Sozialdemokraten diesen Grundsatz gegen die selbsternannten Gralshüter des marktwirtschaftlichen Systems durchsetzen müssen.
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Wir wären bei der Ausgestaltung dieses Grundsatzes - das will ich nicht verhehlen - gern noch ein Stück weitergegangen. Wir hätten für den Fall der Nichteinigung der Verhandlungspartner gern eine Schiedsstelle als Instanz zur Konfliktlösung gesehen. Aber auch hier sind wir bescheiden geblieben, und zwar aus der Absicht, mit den Ländern eine Einigung über eine Konfliktlösung im Nichteinigungsfall herbeizuführen. Wir sind Ihren Vorstellungen gefolgt, eine Konfliktlösung im Nichteinigungsfall durch die staatliche Pflegesatzfeststellung vorzusehen.
Ein weiterer Kernpunkt des Gesetzes ist die Einbeziehung des Krankenhausbereichs in die Empfehlungsbefugnis der konzertierten Aktion. Es hat eine Menge Diskussionen darüber gegeben, ob die konzertierte Aktion befugt ist, hier Empfehlungen abzugeben, oder nicht. Um diesen Streit letztlich auszuschalten, ist es zu einer gesetzlichen Formulierung gekommen; denn wir können nicht wollen, daß diejenigen, die bisher im Rahmen der konzertierten Aktion einbezogen sind, in dieser Empfehlungsvereinbarung alleinbleiben. Wir haben deshalb gesagt: Wir wollen sicherstellen, daß auch für den stationären Bereich unter Berücksichtigung seiner Besonderheiten - es handelt sich also nicht um einen platten Finanzierungsschematismus - die konzertierte Aktion sinnvolle Empfehlungen geben kann.
Wir haben in der letzten Zeit zu dieser Empfehlung und zu den begrifflichen Änderungen in den §§ 1 und 2 der KHG-Novelle Kritik gehört. Die beiden Kirchen haben ihrer Sorge Ausdruck gegeben, das für das einzelne Krankenhaus geltende Prinzip der Selbstkostendeckung werde nunmehr außer Kraft gesetzt. Ich erkläre für meine Fraktion, daß das Selbstkostendeckungsprinzip weder jetzt noch in der Zukunft zur Disposition steht. Es wird nicht angetastet.
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Wir haben nicht 1972 die Kostenunterdeckung der Krankenhäuser beseitigt, um sie auf Umwegen heute wieder einzuführen. Das Selbstkostendekkungsprinzip ist unabdingbarer Bestandteil unseres Krankenhausfinanzierungsrechts. Wer in einem Krankenhausfinanzierungsgesetz, wie wir es haben, ausschließt, daß Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften können, muß konsequenterweise auch ausschließen, daß sie Verluste machen. Das eine geht nur im Zusammenhang mit dem anderen. Um den Schutz vor Verlusten zu gewährleisten, wurde das Selbstkostendeckungsprinzip konstitutiver Bestandteil dieses Gesetzes. Ich hoffe, daß diese Klarstellung dazu beiträgt, die Befürchtungen auszuräumen.
Wenn das Gesetz vorsieht, daß sich der Krankenhausbereich nur im Zusammenhang mit der gesamten Entwicklung unserer Wirtschaft entwickeln kann, so besteht kein Widerspruch zum Selbstkostendeckungsprinzip. Hier geht es einmal um eine volkswirtschaftliche Zielvorgabe; das andere ist eine betriebswirtschaftliche Zielvorgabe, die das Selbstkostendeckungsprinzip nebeneinander durchaus vertragen kann.
Meine Damen und Herren, die engen zeitlichen Grenzen dieser Debatte erlauben nicht, hier ausführlich auf weitere Verbesserungen, die diese Novelle gegenüber dem derzeitigen Rechtszustand bedeutet, einzugehen. Ich erinnere stichwortartig nur an den Bestandsschutz kleinerer Krankenhäuser nach § 371 der Reichsversicherungsordnung, den Wegfall der starren 100-Betten-Grenze, die stärkere Bundeseinheitlichkeit der Bedarfsplanung, das Erfordernis der Abstimmung der Krankenhausbedarfsplanung mit anderen Bedarfsplanungen und die flexiblere Gestaltung der Investitionsgüterförderung.
Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion werbe ich um Ihre Zustimmung zur Novelle des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, auch zu den vorgelegten Änderungsanträgen in Sachen Halbierungserlaß und zum Entschließungsantrag zur Bekämpfung von Rheumakrankheiten. Wir, die Sozialdemokraten, werden dem Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag in der Sache zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe aufmerksam den Worten des Kollegen Dr. Becker gelauscht. Ich habe mich gefragt, Herr Dr. Becker, zu welcher Vorlage Sie reden. Sie redeten laufend von Dirigismus, Steuerung und Bürokratie. Zum Schluß war es mir klar: Sie haben zu Ihren eigenen Änderungsanträgen geredet, aber zweifellos nicht zu unserem Gesetz; denn Zweck unseres Gesetzes ist es, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern leistungsfähig, wirtschaftlich und bedarfsgerecht ist. Mehr Leistungsfähigkeit, mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Bedarfsgerechtigkeit lassen sich aber wohl nur erreichen, wenn die für den Krankenhausbereich Verantwortlichen, also die Träger der Krankenhäuser, die Ärzte und die Kassen mehr Eigenverantwortung übernehmen können und der Einfluß des Staates zurückgedrängt wird.
In unserem Grundanliegen geht es uns also auch hier um weniger Staat und mehr Mitwirkung der Betroffenen, um weniger bürokratischen Dirigismus und mehr Freiheiten für die Selbstverwaltung der Träger. Dies wird in folgenden Kernpunkten des Gesetzentwurfs deutlich.
Bei der Bedarfsplanung sollen Land, Krankenhaus und Kostenträger eng zusammenarbeiten. Ich will nicht verschweigen, daß die FDP eine einvernehmliche Bedarfsplanung für besser gehalten hätte. Insofern ist das, was der Gesetzentwurf mit der Formulierung „enge Zusammenarbeit" vorsieht, schon ein Kompromiß.
Weiter enthält der Gesetzentwurf inhaltliche Vorgaben für die Bedarfsplanung, um die überregionale Vergleichbarkeit der Bedarfspläne zu sichern. Selbstverständlich muß beim Inhalt der Bedarfspläne auch dafür gesorgt werden, daß zum Beispiel bürgernahe, also auch kleinere Krankenhäuser, in zumutbarer Entfernung für die Patienten vorhanden sind und daß - ein weiteres Beispiel - die Vielfalt der Krankenhausträger, auch die Vielfalt der therapeutischen Richtungen - ich denke zum Beispiel an die anthroposophischen Krankenhäuser - vorhanden ist.
({0})
Der Ausschuß hat gerade in diesem Punkt noch eine Klarstellung vorgenommen.
Lassen Sie mich etwas zu den Pflegesätzen sagen. Auch bei diesem entscheidenden Kostenfaktor ist weniger Staat und mehr Beteiligung der Betroffenen unerläßlich, d. h., wie im Gesetz vorgesehen, eine Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen und nicht mehr eine Pflegesatzfestsetzung durch das Land. Diese Regelung müßte auch für Länder und Bundesrat akzeptabel sein, da im Streitfall das Land den Letztentscheid hat.
Lassen Sie mich auch etwas zu den Empfehlungen sagen, einem dritten wichtigen Kernpunkt. Entscheidend ist hierbei die maßgebliche Heranziehung von Krankenhäusern und Krankenkassen bei der Erarbeitung bundesweiter Richtwerte für Bedarfsplanung und Pflegesätze. Dringend erforderlich ist die Neuerarbeitung von Anhaltszahlen für die Personal- und Sachkosten im Krankenhausbereich.
Unverzichtbar und längst überfällig ist es, damit die Betroffenen und zugleich Sachverständigen zu beauftragen, statt behördliche Planungsentscheidungen zugrunde zu legen.
Meine Damen und Herren, mehr betriebliche Entscheidungsfreiheit und Anreize zu wirtschaftlichem Verhalten sind also Kern unseres Gesetzentwurfs. Es versteht sich wohl von selbst, daß dies die Grundlage auch für eine leistungsfähige und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung im stationären Bereich ist. Planwirtschaft hat noch nie zu mehr Qualität geführt. Aber gerade die Anträge der Opposition sind ein Musterbeispiel für die Festschreibung von Planwirtschaft.
Ich möchte einige Einzelerläuterungen geben, insbesondere zu § 1. Ich bin dem Kollegen Egert dankbar, daß er schon in aller Deutlichkeit davon gesprochen hat. Nach §§ 1 und 2 soll das Gesetz einerseits zu sozial tragbaren Kosten von Krankenhausleistungen beitragen, andererseits aber die Selbstkosten eines leistungsfähigen Krankenhauses decken. Ich betone dies ausdrücklich; denn aus den Reihen der Krankenhausträger wurden Befürchtungen geäußert, der Bundestag wolle das Selbstkostendeckungsprinzip aufgeben. Ich verweise hier ausdrücklich auf den Bericht, in dem u. a. festgestellt wird - ich zitiere -:
Das in § 2 Abs. 2 vorgeschriebene Selbstkostendeckungsprinzip soll und kann durch die allgemeine Vorschrift des § 1 nicht etwa eingeschränkt werden.
In jedem Einzelfall müssen also die Selbstkosten eines bestimmten Krankenhauses aus den öffentlichen Förderungsmitteln und den Erlösen aus den Pflegesätzen zusammen gedeckt werden und nicht etwa, wie irrtümlich vermutet wurde, auch aus den Eigenmitteln von Krankenhäusern.
Ein besonderes Anliegen der FDP war die Sicherstellung der stationären Versorgung durch kleine und mittlere Krankenhäuser. Der Gesetzentwurf sieht daher eine Änderung des § 371 RVO vor, indem klargestellt wird, daß bei Krankenhäusern außerhalb des Bedarfsplans, die schon vor Erlaß des Krankenhausfinanzierungsgesetzes betrieben wurden, der Gesichtspunkt des Bestands- und Vertrauensschutzes beachtet werden muß. Dies gilt vor allem für die kleinen privaten, freien, gemeinnützigen und öffentlichen Krankenhäuser. Dennoch - lassen Sie mich dies ausdrücklich hinzufügen - muß auch in Zukunft die stationäre Versorgung über bürgernahe kleinere Betriebseinheiten sichergestellt sein. Grundlage hierfür bietet der § 6, den die Opposition streichen will. Nach § 6 sollen u. a. die einzelnen Krankenhäuser „nach Größe und Standort eine bedarfsgerechte, leistungsfähige Versorgung in wirtschaftlichen Betriebseinheiten ermöglichen und für die Patienten in zumutbarer Entfernung erreichbar sein".
Lassen Sie mich auch noch einige Worte zur Haltung der Opposition sagen. Ausgerechnet die Partei, die uns sonst immer Bürokratismus und Staatsdirigismus vorwirft und in ihrer polemischen Argumentation draußen sonst nach dem berüchtigten Slogan
„Freiheit statt Sozialismus" verfährt, also die CDU/ CSU, redet hier selbst dem Staatsdirigismus das Wort. Die Änderungsanträge - und ich befürchte: auch die zu erwartende Schlußabstimmung des Gesetzes zeigen, daß die CDU/CSU entgegen ihren Sonntagsreden nicht für die Stärkung der Selbstverwaltung und der Eigenverantwortung ist.
({1})
Sie will, daß bei der Bedarfsplanung, bei der Pflegesatzvereinbarung und bei den Empfehlungen für die Kostenentwicklung im Krankenhausbereich nach wie vor der Staat allein entscheidet und unkontrolliert in die Taschen des Steuerzahlers greift, unkontrolliert die Pflegesätze festsetzt und damit allein über die Verwendung der Beiträge der Versicherten bestimmt.
({2})
Alle unsere Hoffnungen, die wir in der ersten Lesung noch hatten - z. B. nach den Ausführungen der Frau Kollegin Dr. Neumeister -, sind während der Ausschußberatungen verflogen. Frau Dr. Neumeister, ich habe heute nachgelesen, was Sie gefordert haben. Sie haben gesagt, daß bei der Bedarfsplanung eine stärkere Mitwirkung aller Beteiligten erforderlich sei und daß die Bedarfsplanung, so wie sie heute stattfinde, auch im Zusammenhang mit der Mitwirkung nicht ausreichend sei. Ich kann nur bedauern, daß Sie sich nicht durchsetzen konnten, obwohl bei Ihnen persönlich zweifellos der beste Wille vorhanden war.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Büchsenspanner der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat auch diese kleinen erfreulichen Ansätze zur Stärkung der Mitwirkung der Betroffenen zunichte gemacht haben.
Die Opposition im Bundestag sollte nicht so verfahren - das gilt für manchen Fachkollegen von der Opposition, und hier beziehe ich Herrn Dr. Becker mit ein; ich hoffe, ich darf das - wie die CDU/CSU- Mehrheit im Bundesrat, die nach dem Motto handelt: So viel Staat wie möglich, so wenig Freiheit wie möglich.
Weder bei der Bedarfsplanung noch bei dem Inhalt der Bedarfspläne noch bei den Pflegesätzen gestehen Sie von der Opposition den Krankenhausträgern und den Kassen auch nur etwas mehr Mitverantwortung zu.
({3})
- Das ist nicht polemisch, sehr verehrter Herr Kollege Müller ({4}). Ich glaube, daß auch Sie zu denen gehören, die es lieber anders gemacht hätten. Sie werden sich im Wahlkampf noch oft daran erinnern lassen müssen, wenn Sie uns vorwerfen, nichts für die Selbstverwaltung zu tun. Wir müssen weg von den Sonntagsreden. Wir müssen Sie beim Wort nehmen. Im politischen Handeln entscheidet sich nämlich, was von Ihren Platitüden zu halten ist.
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Wir werden im Bundestag diesen selbstverwaltungsfreundlichen Gesetzentwurf mit der Mehrheit von SPD und FDP verabschieden. Wir befürchten aber, daß die CDU/CSU-Länder einerseits den Gesetzentwurf sterilisieren und damit zur Wirkungslosigkeit bringen werden, andererseits aber auch noch erheblich mehr Bundesmittel für den Krankenhausbereich fordern. Wir haben dies in Zusammenhang mit den Mitteln, die wir für die psychiatrische Versorgung zur Verfügung stellen wollen, hier schon erlebt.
Ich darf in aller Offenheit schon jetzt sagen, daß wir unsere Vertreter im Vermittlungsverfahren dringend bitten werden, Vermittlungswünsche abzulehnen, weil wir nicht bereit sind, die Alibifunktion für ein Gesetz zu übernehmen, das nur noch eine Hülse darstellt.
Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Auch wenn ich eine Änderung der staatsautoritären Haltung der Opposition nicht mehr erwarte, appelliere ich dennoch an die Verantwortung der Kollegen von CDU und CSU, sich für eine leistungsfähige, bedarfsgerechte und wirtschaftliche Versorgung unserer Bevölkerung im Krankenhausbereich einzusetzen. Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren von der Opposition, vielleicht doch noch endlich einzusehen, daß dies nicht durch mehr Planwirtschaft zu erreichen ist, sondern nur durch mehr Selbstverantwortung und Mitwirkung aller Beteiligten. Geben Sie der Liberalität und damit der Selbstverwaltung endlich einmal eine Chance.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höpfinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Egert und der Herr Kollege Hölscher und vor wenigen Wochen auch der Herr Bundesarbeitsminister haben im Zusammenhang mit der Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes die Selbstverwaltung angesprochen. Ich möchte Ihnen einmal ganz offen meine Befürchtung sagen. Daß wir Selbstverwaltung achten, schätzen und selber darin mitarbeiten, ist bekannt.
({0})
Wir befürchten aber, daß nach Ihren Vorstellungen die Rechte der Länder in den Fragen der Krankenhausplanung und der Planungsgrundsätze immer mehr eingeengt und verringert werden sollen, daß zum anderen die Bundeszuständigkeit in diesem Problembereich immer größer wird und der Bundesarbeitsminister immer mehr Krankenhausfragen durch verschiedene Institutionen in seinem Haus ansiedelt, weil er die Krankenhausfragen ganz in den Griff bekommen will. Ich meine: Das ist auf die Dauer nicht mehr Selbstverwaltung, sondern birgt die Gefahr zentralistischer Regelung in sich. Deshalb unsere Bedenken zu Ihren Vorschlägen, zu Ihren Zielsetzungen.
({1})
Die sachliche Behandlung dieses Gesetzentwurfs im Ausschuß darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit dieser Novelle die ursprüngliche Zielsetzung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in der derzeit geltenden Fassung Änderungen erfahren soll, denen von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zugestimmt werden kann. Die Mängel der vorliegenden Fassung und die von der Bundesregierung angestrebten Kompetenzverlagerungen treten überdeutlich hervor. Vom Prinzip der Selbstkostendeckung wird abgewichen.
({2})
Gesetzgebungskompetenzen der Länder werden eingeschränkt. Bundeseinheitliche Regelungen und Planungsgrundsätze sollen den Ländern für die Krankenhausbedarfsplanung vorgegeben werden. Die laufenden Kosten für die Ausbildungsstätten einschließlich der Ausbildungsvergütung sollen nun wieder unberücksichtigt bleiben. Mit bundeseinheitlichen Empfehlungen über die Ausgaben der Krankenkassen für die Krankenhauspflege wird die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser gefährdet und der Grundsatz der Kostendeckung eines sparsam wirtschaftenden und leistungsfähigen Krankenhauses preisgegeben.
Um diese gravierenden Fehler der Gesetzesvorlage zu beheben, bringen wir folgende Anträge ein.
Wir beantragen, in § 1 die Worte „Kosten von Krankenhausleistungen" durch das Wort „Pflegesätze" zu ersetzen. Begründung hierfür: Während es im Regierungsentwurf noch heißt, daß der Zweck des Gesetzes u. a.. darin besteht, zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen, hat sich die SPD/FDP-
Mehrheit im Ausschuß auf die Formulierung „zu sozial tragbaren Kosten von Krankenhausleistungen beizutragen" festgelegt. Diese Formulierung bindet die Krankenhäuser erneut an die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Krankenkassen. Damit wird vom tragenden Prinzip der Selbstkostendekkung abgewichen.
({3})
Dem Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze vom 29. Juni 1972 wird unserer Meinung nach damit die Grundlage entzogen.
In bezug auf unseren Änderungsvorschlag zu § 5 Abs. 1 haben wir von Anfang an zu keiner einheitlichen Meinung gefunden. Ihre Formulierung heißt „in enger Zusammenarbeit". Wir meinen, daß „im Benehmen" der klarere Begriff ist; denn der feststehende Begriff „im Benehmen" bringt zum Ausdruck, wie die Zuständigkeiten geordnet sind, und sagt aus, daß die Gesetzgebungskompetenzen der Länder im Bereich der Krankenhausplanung nicht eingeschränkt werden dürfen. Deshalb unser Antrag, die Worte „in enger Zusammenarbeit" durch die Worte „im Benehmen" zu ersetzen.
Zu § 6, den Herr Kollege Hölscher vorhin gerade angeführt hat, haben wir die Streichung beantragt. Hier geht es um den Inhalt der Bedarfspläne. Die Krankenhausplanung hat länderspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Es geht nicht an, daß über das Krankenhausfinanzierungsgesetz den Ländern Planungsinhalte bundeseinheitlich vorgeschrieben werden. Deshalb der Antrag auf Streichung.
Auch zu § 8 beantragen wir die Streichung. In § 8 geht es die Abstimmung der Planungsgrundsätze. Nach § 8 sollen die Grundsätze zum Aufstellen und zum Inhalt der Krankenhausbedarfspläne im BundLänder-Ausschuß nach § 35 abgestimmt werden. Darin sehen wir einen Eingriff in die verfassungsmäßigen Kompetenzen der Länder. Wir beantragen deshalb die Streichung.
In § 12 wollen wir einen Abs. 5 neu angefügt wissen, und zwar wegen der Festsetzung pauschaler Kostenwerte bei Errichtungskosten. Für die nach § 12 Abs. 1 zu fördernden Maßnahmen sollen die Länder die Möglichkeit haben, ganz oder teilweise Kostenwerte festzusetzen. Die Förderung nach dem Einzelfall zwingt nämlich zu einem erheblichen Prüfungsaufwand. Hier ist das Ziel unseres Antrags zum einen die Vermeidung von zeitlichen Verzögerungen, zum anderen die Vergrößerung des Entscheidungsspielraums und der Eigenverantwortung der Krankenhausträger, und schließlich soll für die Errichtungskosten dieselbe Regelung angewendet werden, wie sie der Regierungsentwurf für den Ersatz- und Ergänzungsbedarf anwenden will.
Dann zum Änderungsantrag zu § 24. Hier beantragen wir ebenfalls, einen Abs. 5 neu anzufügen. Er betrifft die laufenden Kosten der Ausbildungsstätten einschließlich der Ausbildungsvergütungen. In § 9 Abs. 2 Nr. 2 wird die Förderung der Investitionskosten für Ausbildungsplätze geregelt. Folgerichtig muß auch eine Regelung hinsichtlich der Übernahme der laufenden Kosten für die Ausbildungsplätze einschließlich der Ausbildungsvergütung getroffen werden. Diese sind nach unserer Auffassung in den Pflegesatz einzubeziehen. Damit würde gleichzeitig die Übergangsregelung, die im Haushaltsstrukturgesetz beschlossen wurde und bis 1981 befristet ist, in eine Dauerregelung umgewandelt.
Zu § 26 - Empfehlung und Vereinbarung -: Hier beantragen wir wiederum die Streichung. Die in § 26 vorgesehenen Regelungen werden der verfassungsrechtlichen Verantwortung und Zuständigkeit der Kommunen und der Länder im Krankenhauswesen nicht gerecht. Zur Beratung solcher Grundsätze sind zuständig der Bund-Länder-Ausschuß nach § 35 KHG, dann der Beirat für Krankenhausfragen nach § 36 KHG und die Konzertierte Aktion. In diesen Gremien sind die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Spitzenverbände der Träger der gesetzlichen Krankenversicherungen ja vertreten. Es ist unseres Erachtens nicht erforderlich, noch weitere Empfehlungsgremien zu bilden.
Zu Art. 2 Nr. 3 a - er betrifft § 371 RVO -: Bereiterklärung eines Krankenhauses. Unser Antrag dient dazu, sicherzustellen, daß auch künftig kleinere und private Krankenhäuser weiterhin an der Krankenhausversorgung teilnehmen können. Die vom Ausschuß beschlossene Fassung wird dem Anliegen nur teilweise gerecht. Den Schutz kleinerer und privater Krankenhäuser im Rahmen der Krankenhausbedarfsplanung gilt es zu gewährleisten.
Zu Art. 2 Nr. 4 - er betrifft § 405 a RVO -: Hier beantragen wir ebenfalls die Streichung. Die Begründung: Die Einfügung in Abs. 1 Satz 2, die besagt, daß die Konzertierte Aktion Empfehlungen über die Ausgaben der Krankenkassen für Krankenhauspflege geben soll, steht im krassen Gegensatz zum Anspruch des einzelnen Krankenhauses auf Erstattung seiner bei wirtschaftlicher Betriebsführung und unter Beachtung der Leistungsfähigkeit entstandenen Selbstkosten. Ziel des Krankenhausfinanzierungsgesetzes war die Selbstkostendeckung.
Zu Art. 4b - Aufhebung des Halbierungserlasses -: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die Aufhebung des Halbierungserlasses. Der Antrag entspricht einer seit langem von verschiedenen Seiten erhobenen Forderung. Die zusätzlichen Regelungen in Abs. 2 und 3 des Änderungsantrages der Koalition halten wir nicht für gerechtfertigt. In einigen Bundesländern bestehen entsprechende Verrechnungen. Zum anderen kann nicht sichergestellt werden, daß die Kompetenzschwierigkeiten durch die in Abs. 2 und 3 vorgesehenen Regelungen wirklich beseitigt werden.
Unser Änderungsantrag ist auf Drucksache 8/3820 ausgedruckt, der Antrag der SPD /FDP auf Drucksache 8/3808. Sollten Sie, Herr Präsident, über den Antrag der Koalition zuerst abstimmen lassen, bitte ich, absatzweise abstimmen zu lassen, weil bezüglich Abs. 1 Übereinstimmung besteht.
Schlußbemerkung: Wir sind sicher, daß mit unseren Anträgen zwar nicht alle, aber wesentliche Mängel dieses Gesetzentwurfes beseitigt würden. Wir bitten deshalb, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen. Sollten unsere Anträge wieder abgelehnt werden, wie das im Ausschuß der Fall war, wird die CDU/CSU dem Gesetzentwurf die Zustimmung versagen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Höpfinger, wenn man die Schlußfolgerung aus Ihrer Darstellung zieht, kommt man wohl dazu, zu sagen, daß Sie einer sinnvollen Weiterentwicklung unseres Krankenhauswesens so viel Widerstand entgegensetzen wollen, daß es überhaupt keine vernünftige Entwicklung mehr gibt. Das kann ja wohl nicht der Sinn der Sache sein. Die Ziele des . Krankenhausfinanzierungsgesetzes müssen voll erfüllt werden.
Den hier heute zur zweiten und dritten Beratung anstehenden Gesetzentwurf haben wir in den Ausschüssen sehr gründlich beraten. Wenn wir in der zweiten Beratung Änderungsanträge einbringen, so hat das einen sehr triftigen Grund. In der Debatte über die Lage der Psychiatrie hat der Kollege Egert schon darauf hingewiesen, daß wir uns alsbald mit den Fragen beschäftigen wollen, die sich aus dem Erlaß des Reichsarbeitsministers und des Reichsinnenministers von 1942 über die Kostenträgerschaft bei der Unterbringung in psychiatrischen Kliniken, dem sogenannten Halbierungserlaß, den wir außer Kraft setzen wollen, ergeben. Die Koalitionsfraktionen haben sich entschlossen, diese Außerkraftsetzung wegen des sachlichen Zusammenhangs mit dem vorliegenden Gesetzentwurf jetzt vorzunehmen; deshalb heute unsere Änderungsanträge.
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, der Halbierungserlaß von 1942 ist ein unseliges Relikt aus der Nazizeit und eine der Barrieren, die einer Gleichbehandlung von psychisch Kranken und körperlich Kranken entgegenstehen. Ohne den Abbau dieser gesetzlichen Barriere ist eine solche Gleichstellung nicht zu erreichen.
Wir wollen aber, daß psychisch Kranke wie körperlich Kranke behandelt werden. Wir wollen nicht, daß die diskriminierende Regelung weiter gilt, nach der ohne Prüfung der Frage, ob bei Patienten ein Krankheits- oder ein Pflegefall vorliegt, die Behandlungs- und Unterbringungskosten pauschal zwischen den Krankenkassen und der Sozialhilfe geteilt werden. Wir wollen vielmehr, daß im Falle psychischer Erkrankung wie bei Krankheiten schlechthin die Regel gilt: Im Krankheitsfall zahlt die Krankenkasse, im Pflegefall gegebenenfalls die Sozial-hilf e.
Vielleicht wird an dieser Stelle der enge Zusammenhang deutlich, in dem diese Frage mit dem zu regelnden Problem der Pflegebedürftigkeit steht. Ich plaudere kein Geheimnis aus, wenn ich feststelle, daß sich meine Fraktion die gesetzliche Regelung der Pflegebedürftigkeitsproblematik für die nächste Legislaturperiode fest vorgenommen hat. Die Regelung dieser Frage wird für die Pflegefälle und für die Fälle körperlicher Erkrankung einheitlich ausgestaltet werden müssen. Meine Fraktion hat daher auch alle Versuche zurückgewiesen, im Rahmen der Bemühungen um die Aufhebung des Halbierungserlasses die gesetzliche Regelung der Pflegebedürftigkeitsproblematik mit leichter Hand gleich mit zu erledigen. Dies waren Bemühungen am gänzlich ungeeigneten Objekt.
Ich darf darauf hinweisen, daß sich zwangsläufig ein weiterer Aspekt der Aufhebung des Halbierungserlasses ergibt. Zu unseren Bemühungen gab es eine merkwürdige Begleitmusik. Beide Leistungsträger, sowohl die Kassen als auch die Sozialhilfeträger, hegten offenbar die Erwartung, mit der Aufhebung dieses Erlasses ließe sich ihr Beitrag zur Finanzierung der Unterbringung und Behandlung psychisch Kranker reduzieren. Für meine Fraktion stelle ich eindeutig fest: Der Wegfall des Halbierungserlasses bietet keine Veranlassung, sich aus der finanziellen Verantwortung zu stehlen. Er bietet ebenfalls keine Veranlassung zur Verschiebung finanzieller Lasten oder für Versuche der Leistungsträger, dem jeweils anderen neue Lasten aufzubürden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion würde öffentlich deutlich machen, daß solche Versuche letztlich den einzelnen meist hilfslosen Kranken treffen müssen. Wir werden Finanzmanipulationen zu Lasten hilfloser kranker Bürger schonungslos aufdecken.
Dies alles sind Gesichtspunkte, die uns dazu bewogen haben, in dem Änderungsantrag eine beson16694
dere Schutzklausel für den einzelnen Kranken vorzusehen. Wir wollen damit verhindern, daß die Rechtsstreitigkeiten zur Frage der Leistungspflicht zwischen den Leistungsträgern auf dem Rücken der Kranken selbst ausgetragen werden. An die Stelle des Halbierungserlasses waren, durch Urteil des Bundessozialgerichts ermöglicht, in vielen Fällen sogenannte Kostenteilungsabkommen zwischen den Leistungsträgern, den Kassen und den Trägern der Sozialhilfe getreten. Mit dem Wegfall des Halbierungserlasses entfällt auch die Rechtsgrundlage für diese Abkommen.
Aus mancher Ecke waren obskure Andeutungen zu hören, dies werde man ausnutzen, dem jeweils anderen einen Teil bisher selbst getragener Kosten aufzuerlegen. Auch hierbei muß der einzelne Hilflose auf der Strecke bleiben. Ich frage mich, wie man solche bemerkenswerten Operationen eigentlich mit seinem Gewissen diesen Bürgern gegenüber verantworten will. Haben eigentlich die Urheber solcher Pläne vergessen, in welch schwerer Schuld wir diesen Kranken gegenüber stehen, die in zwölfjähriger Naziherrschaft gequält und ermordet worden sind?
All dies hat uns zu einer gesetzlichen Schutzregelung für die Kranken bewogen, die eindeutig ist. Bei Fällen psychischer Neuerkrankungen, die Klinikaufenthalt erfordern, gilt im Falle des Rechtsstreits zwischen den Leistungsträgern bis zur endgültigen Klärung die Regelung des § 43 SGB. Der Erstangesprochene muß vorleisten. Im Falle psychischer Alterkrankungen, also bei allen, die bereits derzeit in einer Klinik untergebracht sind, haben im Falle von Streitigkeiten die Träger der Sozialhilfe bis zur Klärung ohne die Möglichkeit der Rückgriffe auf Vermögenswerte bei Betroffenen und Unterhaltspflichtigen vorzuleisten.
Meine Damen und Herren, angesichts der großen Verantwortung gegenüber unseren psychisch kranken Mitbürgern appelliere ich an Sie, unseren Antrag zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch einige Worte zu den Änderungsanträgen der Opposition, die, wenn ich dies richtig sehe, alle bereits im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung von der Ausschußmehrheit abgelehnt worden sind. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, liegen mit diesen Anträgen auf der Linie, um nicht zu sagen, an der Kette der Bundesratsmehrheit. Diese Bundesratsmehrheit will keine Verbesserung, sondern eine Verwässerung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Sie will im Kern materiell-rechtlich zurück zu den Zuständen vor 1972, dem Jahr des Inkrafttretens des noch geltenden Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Es wird Sie kaum überraschen können, wenn ich Ihnen sage: Da machen wir nicht mit, dies werden wir zu verhindern versuchen.
Wir wollen in § 5 des Entwurfes die Mitwirkung der Krankenversicherung bei der Krankenhausbedarfs- und -investitionsplanung stärken, weil sie doch über die Pflegesätze deren Folgekosten tragen muß. Sie wollen dies ausdrücklich nicht. Wir nehmen den Grundsatz der Selbstverwaltung ernst und ziehen daraus auch gesetzgeberische Konsequenzen. Sie führen darüber hinaus Sonntagsreden und weigern sich, die Konsequenzen zu ziehen. Sie lehnen mit vorgeschobener verfassungsrechtlicher Argumentation den § 6 des Entwurfs ab, der eine bundeseinheitliche Regelung der Planungsgrundsätze erreichen will. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land aber gebietet dies doch selbstverständlich. Die merkwürdige Logik, die Sie in allen Ihren Änderungsanträgen, insbesondere denen auf Streichung der §§ 8 und 26, an den Tag legen, macht dies klar. Ihr Bekenntnis, die Krankenhausversorgung verbessern zu wollen, steht in seltsamem Gegensatz zu Ihren Änderungsanträgen.
Ich erkläre für meine Fraktion, daß wir keinem einzigen Ihrer Anträge zustimmen werden. Wir werden auch in Zukunft den Mangel an Glaubwürdigkeit Ihrer Krankenhauspolitik bloßstellen.
({0})
Herr Kollege Höpfinger, es kann doch nicht darauf ankommen, zu sagen, daß wir die Selbstverwaltung schätzen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter! Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich komme sofort zum Schluß. - Es kommt darauf an, daß wir etwas tun. Wir schätzen die Selbstverwaltung nicht nur, sondern wir tun konkret etwas dafür, daß die Selbstverwaltung noch besser als gegenwärtig funktioniert.
Ich bitte für meine Fraktion um Zustimmung zur Aufhebung des Halbierungserlasses und empfehle Ihnen, die Anträge der Opposition, weil sie nichts taugen, abzulehnen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich beschäftige mich kurz mit der Notwendigkeit der vorliegenden Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz.
Was mir von den Beiträgen einiger Unionspolitiker zur Zeit der Beratung des Kostendämpfungsgesetzes wert erscheint, hierzu in Erinnerung gerufen zu werden, lassen Sie mich kurz streifen. Frau Kollegin Neumeister, sie wurden vorhin schon angesprochen. Sie sprachen es damals wohl mit am positivsten mit der Bemerkung aus: Da man das Gesetz für verbesserungsbedürftig halte, sollte man es statt durch Einzeländerungen im ganzen novellieren. Ähnlich äußerte sich Herr Wicklmayr von der saarländischen Landesregierung, die damals eine erfreulich mäßigende Position einnahm. Kollege Müller ({0}) gab der einmütigen Ansicht des Vermittlungsausschusses Ausdruck, indem er die Novellierung des KHG für dringend erforderlich erklärte. Jene Erklärungen vom Frühjahr 1977 konnten bezüglich eines baldigen und deutlichen zweiten Schritts der Kostendämpfung, nämlich im Krankenhausbereich, hoffnungsvoll stimmen.
Spitzmülle
Leider trog die Hoffnung weithin. Das Votum des Bundesrats zum Regierungsentwurf der gegenwärtigen KHG-Novelle war geradezu ein Rundumschlag gegen so gut wie alle Vorschläge des Entwurfs. Die CDU/CSU-Opposition paßte ihre Ausschußanträge weitgehend an und legt sie heute zum großen Teil wieder vor: Bei der Bedarfsplanung keine enge Zusammenarbeit der Länder mit den Trägern, keine Mindestvorgaben und keine länderübergreifende Abstimmung; bezüglich der Empfehlungen durch Krankenhausträger und Krankenkassen Streichung zugunsten des Beamtengremiums Bund-LänderAusschuß. Und um dem Bund erst so richtig eine Abfuhr zu erteilen, verlangten Bundesrat und Opposition dazu noch fast eine Verdoppelung der Bundesmittel. Das war keine glückliche Haltung zu dieser angeblich so dringlichen Gesamtnovellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Eine Länderpolitik, durch eine Fraktion im Deutschen Bundestag vertreten, etwa nach dem Motto: Die Rechte des Bundes halbieren und seine Pflichten verdoppeln, ist doch im Grund genommen Obstruktion.
({1})
Erfreulicherweise gibt es in den jetzt vorgelegten Oppositionsanträgen zwei Lichtblicke. Die Pflegesatzvereinbarungen lehnt man offenbar jetzt nicht mehr so ab, und der kräftige Zugriff in die Bundeskasse wird nicht wiederholt. Ich hoffe, daß auch der Bundesrat sich besinnt und im zweiten Durchgang zu etwas gemäßigten Vorstellungen kommt.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich muß Ihnen Ihr eigenes gesundheitspolitisches Programm von 1978 in Erinnerung rufen. Da fordern Sie nämlich theoretisch, was Sie hier praktisch weithin verleugnen: So viel Freiheit wie möglich, so viel Staat wie nötig. Das wird im Punkt 2 gefordert. Aber hier geht es nach dem Motto: Nur keine enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Trägern bei der Bedarfsplanung. In Punkt 28 fordern Sie: Entwicklung einheitlicher Kriterien bei der Krankenhausbedarfsplanung.
({2})
Aber hier heißt es nun: Keine länderübergreifende Abstimmung. Dies aber wäre im Sinn Ihres Punktes 28. In Punkt 6 legen Sie ein Bekenntnis zum Grundsatz der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ab; aber warum hier und heute kein Wort zu der ebenso notwendigen Selbstverwaltung von Krankenkassen und Krankenhäusern?
Sie sehen, meine Damen und Herren, daß man hier beim Überlegen und Nachdenken durchaus auch zu anderen Ergebnissen kommen kann, selbst wenn man nach Ihrem gesundheitspolitischen Programm handeln möchte. Und wir wollen das sogar, meine sehr verehrten Damen und Herren, indem wir nämlich die Dinge einbauen, die wir für notwendig halten.
Da Herr Kollege Höpfinger die Frage des sozial tragbaren Pflegesatzes bzw. der sozial tragbaren Kosten von Krankenhausleistungen hier eingeführt und diesen Worten einè Auslegung gegeben hat, die mit der Wirklichkeit absolut im Widerspruch steht,
({3})
möchte auch ich dazu etwas sagen. Der Bundesrat hat dies nicht so gesehen. Die Wörtchen „sozial tragbare Pflegesätze" waren schon im Entwurf, zu dem der Bundesrat Stellung genommen hat.
({4})
- Gut, ich werde gleich darauf eingehen. Ich möchte nun einiges zum Selbstkostendekkungsprinzip sagen. Dies gehört nämlich für uns zum unveräußerlichen Bestand dieses Gesetzes. Ohne Deckung der Selbstkosten durch Förderungsmittel und Pflegesätze gibt es keine Erhaltung auch privater und frei-gemeinnütziger Krankenhäuser. Selbst viele Gemeinden kämen sonst wieder in die gottlob längst überwundene Finanzierungsmisere, die vor Erlaß des KHG vorhanden war. Meine Damen und Herren, machen wir uns doch nichts vor: Damals erreichte der Zuschußbedarf aus Eigenmitteln der kommunalen und frei-gemeinnützigen Krankenhäuser Milliardenhöhe. Dies haben wir Gott sei Dank beseitigt. Leider müssen einige Gemeinden schon wieder zur Zusatzfinanzierung übergehen.
Nun, was heißt „sozial tragbare Kosten"? Das heißt: Die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit, der Bedarfsgerechtigkeit und der Leistungsfähigkeit müssen beachtet werden, und zwar nicht nur intern, sondern auch in der Planung, d. h. eben auch: keine Gigantomanie, die zu finanzieren ist. Wenn diese Prinzipien der Wirtschaftlichkeit, der Bedarfsgerechtigkeit und der Leistungsfähigkeit nach innen und außen beachtet werden, dann ist das Selbstkostendeckungsprinzip nicht angerührt.
Im übrigen ist es nun nicht richtig, wenn Sie in Ihrem Antrag zu § 1 sagen, die Ausschußfassung gebe das Selbstkostendeckungsprinzip auf. Das Prinzip ist in § 2 mit denselben Worten wie bisher abgesichert; die Änderung in § 1 mißdeuten Sie. Ich bitte Sie, den Ausschußbericht zu diesen beiden Vorschriften, der gerade auf unsere Veranlassung hin so deutlich Stellung nimmt, nachzulesen. Ich kann dies in dem Kurzbeitrag, in der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht noch mehr vertiefen.
Meine Damen und Herren, ich verstehe Sie übrigens auch in einem anderen Punkt nicht. Da wollen Sie die vorgeschlagene Ergänzung des § 405 a der Reichsversicherungsordnung über diese Konzertierte Aktion streichen, weil auch dadurch das Selbstkostendeckungsprinzip angeblich gefährdet wird. Nun kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, daß bereits die geltende Vorschrift die Krankenhäuser in die Konzertierte Aktion einbezieht. Der Regierungsentwurf spricht nur aus, was bereits gilt. Allerdings hebt der Entwurf - und noch deutlicher die Ausschußfassung - hervor, daß Empfehlungen über die Pflegesätze eben dieses Selbst16696
kostendeckungsprinzip nicht berühren. Und das wollen Sie streichen, meine Damen und Herren! Man muß sich wirklich an den Kopf langen.
Lassen Sie mich noch ein paar kurze Bemerkungen zu einigen besonderen Anliegen der Freien Demokraten machen.
Wir haben wegen des offenkundigen Mißbrauchs bei der Anwendung des § 371 RVO eine Änderung dieser Vorschrift gefordert und in dieser Vorlage auch erreicht; im Grundsatz sind wir uns darüber einig.
Eine weitere Sicherung gegen eine einseitige Bevorzugung öffentlicher Krankenhäuser ist die nun vorgesehene Absicherung der Vielfalt der Krankenhausträger. Herr Kollege Hölscher hat dies bereits vertieft.
Meine Damen und Herren, schließlich haben wir Freien Demokraten besonderen Wert darauf gelegt, im Krankenhausbereich auf der Seite der Kostenträger neben den gesetzlichen Krankenkassen auch die private Krankenversicherung zu verankern. Denn sie trägt nun einmal einen beträchtlichen Anteil der Pflegesätze.
({5})
Bei der Bedarfsplanung und in dem Gremium nach § 26 ist uns dies gelungen. Wir sind im übrigen sehr froh darüber, daß es heute gelingen wird, den Halbierungserlaß aufzuheben. .
Zum Schluß, meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung zu der Rheuma-Entschließung, die wir fassen wollen. Sie geht - unserem heutigen Thema entsprechend - im wesentlichen nur auf den Krankenhausbereich ein. Es besteht aber kein Zweifel daran - und der Rheuma-Bericht der Regierung beschreibt dies überzeugend -: Rheumapatienten sind meist Dauerpatienten. Sie müssen daher in erster Linie dauernd ambulant behandelt werden. Rheumabetten dürfen also nur geschaffen oder vorgehalten werden, soweit in schweren und hoch akuten Fällen stationäre Behandlung ausnahmsweise unabweisbar ist.
Die FDP wird dem Gesetzentwurf, der Entschließung und den von uns mit unterzeichneten Anträgen zustimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahrscheinlich. kein einfacher Gang, an dieses Rednerpult zu kommen, um einen Antrag zu begründen, der vorsieht, aus einem wichtigen und guten Gesetz eine durchaus erwägenswerte Bestimmung wieder herauszunehmen, die der sachkundige Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hineingebracht hat. Es kommt auch nicht sehr häufig vor, daß der Haushaltsausschuß von dem Recht nach § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Gebrauch macht und eine geplante gesetzliche Bestimmung, aus der
Ausgaben entstehen, als „nicht mit der Haushaltslage vereinbar" erklärt.
Die vom federführenden Ausschuß in das Krankenhausfinanzierungsgesetz eingefügten Bestimmungen sehen erstens eine pauschalierte Übernahme der bisher aus dem Pflegesatz zu bestreitenden Kosten der mit der Krankenhausausbildung verbundenen Ausbildungsstätten und zweitens die Bereitstellung von Sondermitteln nach Maßgabe des Haushalts durch den Bund vor.
Beide Bestimmungen sind auch nach meiner Auffassung von der Sache her durchaus wünschenswert. Beide Bestimmungen würden jedoch den Bundeshaushalt in einem erheblichen Maße zusätzlich belasten. Deckung für diese Mehrbelastung ist nicht vorhanden. Wegen der Notwendigkeit der Zurückführung der Verschuldung des Bundes muß eine zusätzliche Belastung künftiger Bundeshaushalte vermieden werden. Auch der Haushaltsausschuß hat sich deshalb nicht in der Lage gesehen, eine Dekkungsmöglichkeit für die Mehrbelastung vorzuschlagen.
Hinzu kommt noch die verfassungsrechtliche Problematik, die eine Zurückhaltung des Bundes in beiden Bereichen gebietet. Das gilt insbesondere für die mit dem Krankenhausbetrieb verbundenen Ausbildungskosten. Hierbei handelt es sich um mit den Berufsschulkosten zu vergleichende Kosten, die nach der Aufgabenteilung des Grundgesetzes von den Ländern zu tragen sind. Aber auch die Bereitstellung von Sondermitteln. ist haushaltswirtschaftlich nicht vertretbar, zumal sie die Gefahr einer Ausuferung und weiterhin die Gefahr in sich birgt, daß wir damit gleichzeitig neue Tatbestände von Mischfinanzierung schaffen, die mehr als problematisch sind.
Die Koalitionsfraktionen beantragen deshalb die Streichung der §§ 14 Abs. 3 a und 30 Abs. 3 mit den entsprechenden Folgeänderungen. Ich bitte Sie, diesen beiden Anträgen zuzustimmen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der im Dezember 1978 eingesetzte Unterausschuß „Rheumabekämpfung" hat sich seither intensiv mit den Möglichkeiten einer besseren Versorgung Rheumakranker in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Insbesondere für die etwa anderthalb bis zwei Millionen an chronischer Polyarthritis leidenden Patienten ist sowohl die notwendige kontinuierliche wohnortnahe ambulante als auch die stationäre Behandlung in Fachkliniken oder -abteilungen nicht gewährleistet. Nach Meinung des Unterausschusses „Rheumabekämpfung" würde sich in verstärktem Maße eine teilweise Umwidmung von Rehabilitationskliniken in Spezialkliniken anbieten, die von den Krankenkassen im Rahmen des § 371 RVO als förderungswürdig anerkannt werden, wie auch die Schaffung kleinerer Spezialabteilungen in Allgemeinkrankenhäusern, die über ausreichende physikalisch-theraFrau Dr. Neumeister
peutische Einrichtungen - insbesondere für die Ambulanz - verfügen, um die kontinuierliche Dauerbehandlung am Heimatort zu gewährleisten.
Dem Rheumabericht der Bundesregierung vom 30. Januar dieses Jahres zufolge hat sich die Arbeitsgruppe für Bedarfsplanungsfragen des Bund-Länder-Ausschusses nach § 7 KHG auch mit der Frage befaßt, ob eine Umorientierung von Bettenstationen in Abteilungen für physikalische Therapie möglich ist, um Rheumaabteilungen in Schwerpunktkrankenhäusern bedarfsgerecht auszustatten. Nach Auffassung der Länder ist eine solche Umorientierung prinzipiell möglich und auch sehr wünschenswert. Es sei dabei allerdings mit Finanzierungsproblemen zu rechnen.
Sowohl das geltende KHG im § 23 wie auch der heute vorliegende Entwurf eines KHG im § 31 bieten die Möglichkeit, im Benehmen mit dem BundLänder-Ausschuß Finanzhilfen nach Schwerpunkten zuzuweisen.
Im vorliegenden Antrag - Drucksache 8/3809 - wird die Bundesregierung ersucht, im Rahmen dieser Möglichkeiten den Ländern Hilfe und Anreize zu geben, durch Umstellung und Ausbau geeigneter Krankenhäuser Behandlungszentren und Abteilungen für Rheumakranke zu schaffen, die sowohl eine optimale Versorgung der Rheumakranken ermöglichen als auch Voraussetzungen für die Aus- und Weiterbildung von Rheumatologen bieten.
Ich bitte, diesem interfraktionellen Antrag zuzustimmen.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit dem im Sommer 1978 den gesetzgebenden Körperschaften zugeleiteten Entwurf einen Auftrag von Bundesrat und Bundestag erfüllt. Wie Sie wissen, ist dieser Teil seinerzeit in den Vermittlungsverfahren vom Kostendämpfungsgesetz abgekoppelt worden. Ich glaube, drei Jahre stabile Beitragssätze in der Krankenversicherung belegen heute sehr deutlich, wie wirksam das Kostendämpfungsgesetz war, und legitimieren uns dazu, hier jetzt einen zweiten wichtigen Schritt zu tun.
Dieser Gesetzentwurf ist sehr lange und gründlich beraten worden. Ich möchte den Kollegen aus den beteiligten Ausschüssen ganz besonders dafür danken, daß sie in diesen langen Beratungen auf die vielfältigen Bedenken und Einwendungen des Bundesrates eingegangen sind. Da dies ein zustimmungsbedürftiges Gesetz ist, ist es besonders notwendig, schon in den Beratungen hier den Einwendungen Rechnung zu tragen.
Ich freue mich auch, daß hier die Berücksichtigung mancher Gesichtspunkte erfolgt ist, auch wenn aus Bundessicht durchaus andere Akzentuierungen möglich erschienen.
Um so mehr begrüße ich, daß bei der Fortentwicklung des Entwurfs die unverzichtbaren Punkte erhalten geblieben sind, vor allem, daß festgehalten wird an den Regelungen über Verfahren und Gegenstand der Krankenhausbedarfsplanung, die von entscheidender Bedeutung für eine zureichende Versorgung sind, an einem Pflegesatzverfahren, das der selbständigen Rolle von Krankenhausträgern und Krankenkassen gerecht wird, an dem Auftrag an die Spitzenverbände der Krankenhäuser und der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, gemeinsam Empfehlungen und Maßstäbe für Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit zu erarbeiten, und an der Klarstellung, daß der für das einzelne Krankenhaus geltende Selbstkostendeckungsgrundsatz sinnvollen Empfehlungen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen nicht entgegensteht, sondern daß dies sich gegenseitig wirksam ergänzt
Lassen Sie mich bitte hier noch einmal deutlich zum Ausdruck bringen, daß es bei all diesen Punkten nicht um Eingriffe in von der Verfassungsordnung den Ländern zustehende Kompetenzen geht, sondern daß es darum geht, der Selbstverwaltung, die sich im Gesundheitswesen besonders bewährt hat, so wie im ambulanten Bereich auch im Krankenhausbereich die nötige Position zu geben.
({0})
Ich bedaure sehr, daß die CDU das von ihr im Dezember 1979 verkündete Entbürokratisierungsprogramm, wo sehr Lesenswertes nachzulesen ist
({1})
- ein sehr gutes Programm -, nicht auf die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen anzuwenden bereit ist Das bedaure ich sehr.
Es wäre schon von großem Wert, wenn auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in Anerkennung der berechtigten Anliegen beider Seiten der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen den Krankenhäusern und den Krankenkassen das zugestehen würden, was sie zur sinnvollen Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen.
Ich glaube, darüber hinaus ist es besonders wichtig, daß von Bundesseite aus Beiträge dazu geleistet werden, daß die großen volkswirtschaftlichen Ressourcen aus dem Krankenhausbereich den Bürgern wirklich dort zur Verfügung stehen, wo sie benötigt werden und in der Qualität, in der sie benötigt werden, und daß im Krankenhausbereich die Betroffenen, vor allen Dingen die Krankenhausträger selbst und die Krankenkassen, die die Last der Finanzierung tragen, bei den Entscheidungen für die Zukunft der Krankenhausentwicklung entsprechend mitzureden und mitzuwirken haben.
Wir täten weder der Krankenhausversorgung noch dem Föderalismus einen guten Dienst, wenn wir der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen die Chance zu mehr Mitverantwortung, wie sie dieser Gesetzentwurf enthält, abschlagen wollten.
Herr Kollege Hölscher hat schon ganz deutlich gesagt, daß diese neuen Bestimmungen das Selbst16698
Bundesminister Dr. Ehrenberg kostendeckungsprinzip nicht in Frage stellen, sondern daß der Selbstkostengrundsatz in § 2 noch einmal deutlich herausgestellt wird. Aber dieser Grundsatz darf natürlich die allgemeinen Bemühungen um Kontrolle der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen nicht für das Krankenhaus ausklammern. Das von uns 1972 eingeführte Selbstkostendeckungsprinzip für das einzelne Krankenhaus wird durch eine Zielsetzung kosteneinsparender Gesamtentwicklung im Krankenhausbereich nicht beeinträchtigt
Für die Versorgung der Bevölkerung sind Zahl, Umfang und Qualität der einzelnen Krankenhäuser von entscheidender Bedeutung. Selbstverständlich können Entscheidungen über Krankenhausleistungen für den einzelnen Patienten und über die Führung des Krankenhausbetriebs nur im Krankenhaus selbst getroffen werden. Dies entbindet aber weder das einzelne Krankenhaus noch die Gesamtheit aller Krankenhäuser, noch die staatlichen Stellen, dort vor allen Dingen die Planungsbehörden, davon, ihre Entscheidungen auch an dem Ziel der gesamtwirtschaftlichen Tragbarkeit der Krankenhauskosten zu orientieren. Hier liegt eine der wesentlichen Aufgaben der neuen Mitwirkungsrechte der Selbstverwaltung.
Ein ganz kurzes Wort nur noch zum Halbierungserlaß, auf den der Kollege Urbaniak dankenswerterweise schon eingegangen ist. Ich freue mich, daß dieser Gesetzentwurf das in diesem Hause bereits mehrfach erörterte Problem der Gleichbehandlung von körperlich und seelisch Kranken jetzt einer guten Lösung zuführt, wie wir das in der Stellungnahme der Bundesregierung zur Psychiatrieenquete schon angekündigt haben. Die jetzt gefundene Regelung ermöglicht auch eine praktische Abwicklung der teilweise heftig umstrittenen Altfälle und wird für die Zukunft zu einer klaren leistungsrechtlichen Abgrenzung der Behandlungsfälle von den Pflegefällen führen.
Meine Damen und Herren, in unseren Krankenhäusern als den kompliziertesten und anspruchsvollsten Einrichtungen des Gesundheitswesens wird auch in Zukunft jede technische Innovation, jede Arbeitszeitverkürzung, jede Anforderung zusätzlichen, für ein humanes Krankenhaus dringlich benötigten Personals natürlich den Kostendruck verstärken. Die gegenwärtigen Entscheidungsstrukturen reichen unserer Meinung nach nicht aus, diesen Problemen sach- und patientengerecht begegnen zu können.
Ich möchte Sie auch aus diesem Grunde sehr herzlich bitten, der jetzt vorliegenden Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz zuzustimmen. Diese Bitte verbinde ich mit einem Appell an den Bundesrat, dem Gesetz, nachdem dieses Haus entschieden hat, ebenfalls seine Zustimmung zu geben, damit wir die Erfolge der Kostendämpfung im ambulanten Bereich auf den stationären Bereich übertragen und es dann gemeinsam fortsetzen können.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich gehe davon aus, daß sämtliche Änderungsanträge ausreichend begründet wurden, so daß wir über die Anträge unmittelbar abstimmen können.
Ich rufe Art. 1 § 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3810 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt
Wer Art. 1 § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art 1 § 1 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 2 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 §§ 3 und 4 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3811 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt
Wer Art. 1 § 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 § 5 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art 1 § 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3812 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Streichung der Vorschrift vor. Ich mache darauf aufmerksam, daß es sich um ein etwas kompliziertes Abstimmungsverfahren handelt. Wer die beantragte Streichung will, muß in der folgenden Abstimmung mit Nein stimmen. Ich lasse jetzt abstimmen. Wer Art. 1 § 6 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 § 6 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Damit ist gleichzeitig der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3812 abgelehnt
Ich rufe Art. 1 § 7 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen. - Enthaltungen? - Art. 1 § 7 ist damit angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 8 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3813 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Streichung der Vorschrift vor. Wer die beantragte Streichung will, muß in der folgenden Abstimmung mit Nein stimmen. Wir stimmen ab. Wer Art. 1 § 8 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 § 8 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Vizepräsident Wurbs
Damit ist gleichzeitig der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3813 abgelehnt.
Ich rufe Art. 1 § 9 Abs. 1 bis 3 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 9 Abs. 4 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 §§ 10 und 11 in der Ausschußfassung auf. - Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 12 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 8/3814 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer Art. 1 § 12 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 § 12 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 13 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 § 13 ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 14 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 8/3806 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Unter Nr. 1 dieses Änderungsantrages wird die Streichung des § 14 Abs. 3 a und unter Nr. 2 eine Folgeänderung des § 40 Abs. 1 beantragt. Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag insgesamt abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Wer Art. 1 § 14 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 §§ 15 bis 23 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 24 Abs. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 24 Abs. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 24 Abs. 3 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 24 Abs. 4 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 8/3815 vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer Art. 1 § 24 Abs. 4. in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 8/3816 zu Art. 1 § 24 auf. Es wird die Anfügung eines neuen Abs. 5 beantragt. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe Art. 1 § 25 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 26 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 8/3817 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Streichung der Vorschrift vor. Auch hier gilt wieder: Wer die beantragte Streichung will, muß in der nachfolgenden Abstimmung mit Nein stimmen. Ich lasse insgesamt abstimmen. Wer Art. 1 § 26 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 § 26 ist damit in der Ausschußfassung angenommen. Damit ist gleichzeitig der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3817 abgelehnt.
Ich rufe Art. 1 §§ 27, 28 und 29 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 30 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3807 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Unter Ziffer 1 dieses Antrages wird die Streichung des § 30 Abs. 3 und unter Ziffer 2 eine Folgeänderung des § 31 Abs. 2 beantragt. Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag insgesamt abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist angenommen.
Wer Art. 1 § 30 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 31 Abs. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Vizepräsident Wurbs
Ich rufe Art. 1 § 31 Abs. 2 mit der vorhin beschlossen Folgeänderung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 31 Abs. 3 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 §§ 32 bis 39, § 40 mit der vorhin beschlossenen Folgeänderung sowie die §§ 40 a und 41 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 2 und 3 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 3 a auf. Auch hierzu liegt auf Drucksache 8/3818 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer Art. 2 Nr. 3 a in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 3 b und 3 c in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 4 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3819 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Streichung der Vorschrift vor. Ich mache darauf aufmerksam, daß derjenige, der die Streichung will, bei der Abstimmung mit Nein stimmen muß. Ich lasse jetzt insgesamt abstimmen. Wer Art. 2 Nr. 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3819 abgelehnt.
Ich rufe Art. 2 Nr. 5 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 3 Nr. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 3 Nr. 3 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 3 a in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 4 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 4 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 4 a in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen,
Meine Damen und Herren, ich rufe die Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/3808 und der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/3820 auf. In beiden Fällen wird die Einführung eines neuen Art. 4 b beantragt. Die CDU/CSU wünscht, daß wir über die Abschnitte getrennt abstimmen. Der Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP ist der weitergehende. Ich lasse zuerst über diesen Antrag abstimmen, und zwar abschnittsweise.
Ich lasse über den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/3808 Abs. 1 abstimmen und bitte um das Handzeichen, wer zuzustimmen wünscht. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Wer den Absätzen 2 und 3 im Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/3808 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist angenommen.
Eine Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU auf Drucksache 8/3820 erübrigt sich damit.
Ich rufe die Art. 5 und 6 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Es bleibt noch über Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einleitung und Überschrift sind angenommen.
Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Vizepräsident Wurbs
Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3495 unter Nr. 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 8/3809 auf. Wer diesem interfraktionellen Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 8/873 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3827 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl ({1})
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 8/3764 - Berichterstatter:
Abgeordnete Brandt ({3}) Regenspurger
Dr. Wendig
({4})
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine kleine Ergänzung einzufügen. In Art. 6 sollen im letzten Satz hinter der Paragraphenbezeichnung „§ 48 a Abs. 1 Nr. 1" die Worte ergänzt werden „des Deutschen Richtergesetzes", damit klar ist, um welche Paragraphen in welchem Gesetz es sich hier handelt. Ich bitte dies zu ergänzen.
Wird weiterhin von einem Berichterstatter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Regenspurger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute in zweiter und dritter Lesung zu verabschiedende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften eröffnet die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung für Beamtinnen und Beamte, die praktisch nur im öffentlichen Dienst beschäftigt werden können. Damit wird ein gewichtiger Beitrag zur Lösung der Lehrerarbeitslosigkeit erbracht. Des weiteren werden die schon bestehenden Möglichkeiten der Beurlaubung und Teilzeitbeschäftigung für Beamte und Richter mit Kindern verbessert.
Zu den in der Öffentlichkeit diskutierten Möglichkeiten der Nebentätigkeit und zur Versorgung trifft der Gesetzentwurf eine sachgerechte Regelung, welche die Ausübung der Nebentätigkeit durch die Teilzeitbeamten erschwert und die gleichfalls die Teilzeitbeschäftigung bei der Versorgung berücksichtigt.
Die Nebentätigkeit und die Versorgung der teilzeitbeschäftigten Beamten ist in der Öffentlichkeit durch zum Teil äußerst tendenziöse Berichte verzerrt dargestellt worden. Ich will hierzu zwei Anmerkungen machen.
Zum einen. Es ist die Befürchtung geäußert worden, jetzt sei für den totalen Mißbrauch Tür und Tor geöffnet. Es ist gesagt worden, derselbe Steuerbeamte, der morgens die Steuererklärungen peinlich genau überprüfen solle, könne in seiner Freizeit am Nachmittag gegen gutes Geld als Steuerberater tätig werden. Diejenigen, die derartige Behauptungen aufstellen, haben den Entwurf nicht gelesen.
({0})
Es muß festgehalten werden: Entgeltliche Nebentätigkeit dürfe nach dem Gesetzentwurf nicht ausgeübt werden. Ausnahmen sind wie bisher nur dann zugelassen, wenn beispielsweise wissenschaftliche, schriftstellerische und künstlerische Tätigkeiten nebenher ausgeübt werden.
In diesem Zusammenhang muß ich der Bundesregierung den schweren Vorwurf machen, daß sie die dringend notwendige Reform des Nebentätigkeitsrechts in dieser Legislaturperiode trotz wiederholter öffentlicher Ankündigung nicht verwirklichen wird.
({1})
Bundesminister Baum hat zwar hierzu den Verbänden ein Papier zugeleitet. Dies ist aber reine Spiegelfechterei; denn er weiß genau, daß er diesen Entwurf vor der Sommerpause nicht mehr durch die parlamentarischen Beratungen bringen kann.
Zum anderen ist behauptet worden, die Beamten wollten mit der jetzt getroffenen Regelung einen Reibach machen, weil eine für sie äußerst günstige Pensionsregelung getroffen worden sei. Sie seien besser gestellt als Angestellte und Arbeitnehmer. Auch diese Mutmaßungen sind falsch.
Die Zeiten der Teilzeitbeschäftigung werden bei der Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit abgezogen. Des weiteren sieht der Gesetzentwurf vor, daß die Steigerungssätze für die Festlegung des Ruhegehalts zusätzlich um 0,5 % - mit Ausnahme der ersten zehn Jahre - gekürzt werden. Ich räume ein, daß diese Regelungen kompliziert sind. Diejenigen, die aber leichtfertig in der Öffentlichkeit Vor16702
würfe erheben, sollten sich künftig sachkundig machen, ehe sie derartige Behauptungen aufstellen.
Namens meiner Fraktion bekräftige ich nochmals an dieser Stelle, daß wir gegen jegliche Privilegienbildung sind, egal um welche Berufsgruppe es sich auch handeln mag. Andererseits sind wir aber nicht bereit, nur deshalb auf die Beamten einzuprügeln, weil dies öffentlichkeitswirksam ist.
({2})
Wir sind der Meinung, daß mit der Teilzeitregelung keine Privilegien geschaffen werden. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion wird deshalb dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir sind der Meinung, daß alle Verantwortlichen das in ihrer Macht Stehende tun müssen, um Instrumente zu schaffen, um dem Problem der Lehrerarbeitslosigkeit beizukommen.
Mit Ausnahme der familienpolitischen Komponente, die auf Initiative meiner Fraktion bei den Beratungen im Deutschen Bundestag eingefügt worden ist, und einer Modifikation im Versorgungsteil und bei der Nebentätigkeit stimmt der Gesetzentwurf mit dem Vorschlag des Bundesrates vom 2. September 1977 fast wörtlich überein. Der Bundesrat hatte auf Initiative der Länder Bayern und Baden-Württemberg den Gesetzentwurf eingebracht. Der erstaunte Zuhörer wird sich fragen, weshalb der Vorschlag des Bundesrates, obwohl nicht wesentlich verändert, erst nach zweieinhalbjähriger Verzögerung vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird. Die Verwunderung ist gerechtfertigt, zumal Veranlassung für eine rasche Verabschiedung bestanden hätte, denn die Lehrerarbeitslosigkeit ist ein seit Jahren äußerst dringliches Problem.
Der alleinige Grund für diese ungewöhnlich lange Beratungszeit ist die Flipflop- und Chamäleon-Taktik der Koalitionsfraktionen. Sie haben - oft in atemberaubender Geschwindigkeit - ihre Standpunkte gewechselt wie Otto Normalverbraucher sein Hemd. Ich will hier nur einige Kostproben der Stellungswechsel und Frontbegradigungen geben. Eine Verfolgung der zahllosen Richtungsänderungen im Laufe der zweieinhalb Jahre ist ohnehin nicht möglich:
Erstens. Der Bundesregierung war die Gesetzesinitiative des Bundesrates von Anbeginn an viel zu zahm und nicht weitgehend genug. Der damalige Bundesinnenminister, Prof. Maihofer, hat Anfang Januar 1978 vor dem Deutschen Beamtenbund in Bad Kissingen in klassischem Neudeutsch wörtlich erklärt, „es sei mit timiden Palliativen nicht gedient, sondern nur mit einer drastischen Remedur". Meine Damen und Herren, wenn so Gesetze.gemacht werden, dann kann man sich vorstellen, wie dies draußen aufgenommen wird.
Herr Baum hat im ersten Durchgang hier im Deutschen Bundestag am 29. September 1979 betont, es müsse ein gesellschaftspolitischer Schritt nach vorne getan werden. Gemeint war die uneingeschränkte Teilzeitbeschäftigung für alle Beamten nach dem Motto: „Morgens er Hausmann und sie Beamtin, nachmittags sie Hausfrau und er Beamter.
In ähnlicher Weise äußerten sich die Vertreter der SPD und FDP - beispielsweise die Kollegen Liedtke und Dr. Wendig - hier im Plenum. Meine Fraktion wurde seinerzeit als rückständig angegriffen, weil sie vor einer uferlosen Ausdehnung der Teilzeitbeschäftigung warnte.
Zweitens. Die Bundesregierung legte sogar einen Formulierungsvorschlag vor, der diese uneingeschränkte Teilzeitbeschäftigung vorsah. Der Entwurf wurde von fast allen Gewerkschaften und Verbänden in einem Hearing Ende 1978 als völlig unzulänglich abgelehnt. Er verschwand dann in der Folgezeit sehr schnell in der Versenkung, sprich im Papierkorb.
Drittens. Des Dramas dritter Akt erfolgte im Mai und im Juni des vergangenen Jahres. Nachdem SPD und FDP endlich ein Einsehen hatten, daß sie mit ihren utopischen Vorstellungen nicht weiterkamen, erklärten sie sich schließlich im Innenausschuß mit einer Regelung einverstanden, die neben der jetzt getroffenen Regelung auch eine soziale Komponente vorsah, nämlich die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung für ältere und schwerbehinderte Beamte.
Viertens. Dann allerdings wurde das Drama zur Groteske. Ausgerechnet den Sozialpolitikern in der SPD war diese einvernehmlich getroffene Regelung zu weitgehend. Obwohl die SPD-Bundestagsfraktion für den Vorschlag des Innenausschusses votiert hatte, setzte sie im Dezember letzten Jahres einen Parteitagsbeschluß durch. Auf Grund dieser Initiative wurde ausgerechnet die soziale Komponente wieder gestrichen. Den Sozialpolitikern der SPD ist es zu danken, daß schwerbehinderte und ältere Beamte nicht, wie vorgesehen, ab dem 52. bzw. dem 55. Lebensjahr in Teilzeit gehen können. Das nenne ich praktizierte Sozialpolitik. Es mutet deshalb wie ein schlechter Witz an, wenn in Presseerklärungen die jetzt getroffene und praktisch vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung als der große Wurf der Koalition hingestellt wird.
Ich habe diese Entwicklung deshalb so eingehend dargestellt, weil damit wieder einmal deutlich geworden ist, daß innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion uneingeschränkt das imperative Mandat gilt.
({3})
Parteitagsbeschlüsse werden ergeben und bedingungslos vollzogen.
({4})
Noch schlimmer ist aber, daß auch die FDP, die so gerne ihre Selbständigkeit betont, die Beschlüsse des SPD-Parteitages gehorsam vollzieht.
({5})
Wie anders ist es zu erklären, daß die FDP entgegen dem früheren Votum ihrer Fraktion dem Beschluß des SPD-Parteitages gefolgt ist?
Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dieses Buch so schnell wie möglich zuzuschlagen. Das Kapitel, das hier geschrieben wurde, ist kein Ruhmesblatt für den Parlamentarismus in unserem Staate. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf muß unverzügRegenspurger
lieh verabschiedet werden. Die Länder, die die Betroffenen sind, haben einen berechtigten Anspruch, daß endlich die gesetzliche Grundlage geschaffen wird, um Maßnahmen zur Lösung des Problems der Lehrerarbeitslosigkeit zu treffen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Regenspurger, es ist verständlich, daß Sie ein wenig gekitzelt haben. Wir haben darauf reagiert und haben gelacht. Sie hatten also Erfolg damit. Ich glaube aber, damit sollte man dieses Kapitel beenden.
Ich weiß auch, daß die Geschichte dieses Gesetzes kein Ruhmesblatt ist. Darüber brauchen wir miteinander nicht zu diskutieren. Es wäre ein abendfüllendes Programm, wenn man hier in alle Facetten der Diskussion einsteigen wollte. Ich komme vielleicht noch einmal kurz darauf zurück.
Ich will zunächst noch einmal festhalten, worum es jetzt geht. Sie haben es schon gesagt, ich will es noch einmal zusammenfassen:
Erstens. Im familienpolitischen Teil dieses Gesetzes über Teilzeitarbeit erfolgt eine Erweiterung dessen, was es jetzt schon gibt. Seither konnten Personen, Beamte, die Kinder betreut haben - in der Regel waren dies fast ausschließlich Frauen -, von der Regelung Gebrauch machen, wenn sie Kinder bis zum 16. Lebensjahr hatten, und dies zwölf Jahre lang. Jetzt sind Kinder bis zum 18. Lebensjahr berücksichtigt, und die Teilzeitregelung kann 15 Jahre lang in Anspruch genommen werden. Das ist der eine Teil, der, glaube ich, auch von Anfang an unstrittig war.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem, was uns besonders auf den Nägeln gebrannt hat und was auch, wie sie hier richtig bemerkt haben, dem Bundesrat besonders am Herzen gelegen hat, nämlich in jenem Bereich, in dem ein öffentliches Interesse bestand, für Beamte Teilzeitarbeit einzuführen, dies auch tatsächlich tun zu können. Dafür haben wir jetzt die Möglichkeit geschaffen. Im Klartext heißt dies: im Lehrerbereich. Ich denke, daß die Länder dies jetzt in eigener Verantwortung sehr schnell umsetzen werden.
Sie haben auch recht, wenn Sie sagen, das alles hätten wir früher haben können. Es gab aber eine ganze Reihe vop Diskussionen über die Frage, ob man die Teilzeitregelung weiter ausdehnen, noch für weitere Beamtenbereiche einführen solle. Aus verschiedenen Gründen ist dies gescheitert, nicht zuletzt, Herr Kollege Regenspurger, auch aus Gründen, die sich aus einer Anhörung ergeben haben. Es waren - jetzt gar nicht im bösen Sinne gemeint - beamtenideologische Gründe, daß der Beamte nämlich dem Dienstherrn seine ganze Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen habe. Insofern wurde Teilzeitarbeit als sehr problematisch angesehen, sofern sie nicht besonders begründet wird.
Wir haben uns darauf zurückgezogen. Es ist richtig, daß wir in unseren ersten, im Innenausschuß einvernehmlich verabschiedeten Entwurf dabei über die Vorschriften, die heute verabschiedet werden sollen, hinaus Regelungen aufgenommen haben. Sie haben sie erwähnt: für die über Fünfundfünfzigjährigen, und, soweit sie schwerbehindert sind, die Zweiundfünfzigjährigen.
Die vorgeschlagenen Regelungen erklären sich daraus, daß das Gesetz ohnehin nur eine längstens achtjährige Teilzeitarbeit vorzieht. Seine Geltung soll im übrigen bis zum 31. Dezember 1985 begrenzt sein. Dann soll es entweder auslaufen oder erneuert oder modifiziert werden. Das muß man dann sehen. Es ist also eines der wenigen Gesetze, die eine Auslaufzeit haben und deren Geltung befristet ist. Man wird 1985 darüber zu befinden haben, was damit geschieht.
Es liegt mir daran, auf eines nochmals hinzuweisen, damit man kein schiefes Bild bekommt. Auseinandersetzungen haben nicht nur bei uns, sondern auch bei Ihnen, wenngleich mit anderer Gewichtung, zwischen Sozialpolitikern auf der einen und Innenpolitikern auf der anderen Seite stattgefunden. Diese tiefgreifenden Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf einen Punkt, den man nicht auf die leichte Schulter nehmen kann: Tatsache ist, daß auch bei Teilzeitarbeit ein Beamter seine volle Altersversorgung erreichen kann. Denn das Beamtenrecht sieht vor, daß die volle Beamtenversorgung in einem Zeitraum von 35 Jahren aufgebaut wird. So kommt dies zustande. Aber in keinem Fall ist es möglich, daß Teilzeitarbeit im Arbeiter- oder Angestelltenbereich für die spätere Versorgung unschädlich ist. Das war der Ausgangspunkt der Auseinandersetzungen.
Wir waren uns, glaube ich, alle einig, daß wir bei Gelegenheit des Teilzeitarbeitsgesetzes, wie immer man sonst darüber denkt, nicht das ganze Versorgungsrecht ändern können. Das hat uns beschäftigt und zu dem vorliegenden Ergebnis geführt. Man sollte diese Gründe würdigen. Wir haben keinen Grund, uns deswegen zu verstecken.
Das hat weniger mit einem Parteitagsbeschluß zu tun. Parteitagsbeschlüsse haben ihr eigenes Gewicht. Nur, man schätzt sie falsch ein, wenn man sie isoliert sieht und nicht berücksichtigt, daß besonders in diesem Fall eine lange Auseinandersetzung in unserer Fraktion stattgefunden hat. Ich weiß, daß solche Auseinandersetzungen auch bei den Kollegen in der FDP und auch bei Ihnen in der CDU/CSU stattgefunden haben.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Bitte sehr.
Hatte denn nicht Ihre Fraktion kurz vor dem Parteitagsbeschluß mit Mehrheit anders beschlossen?
Das ist richtig, Herr Kollege Berger. Aber es war eine Mehrheit, die ich
Brandt ({0})
Ihnen ins Gedächtnis rufe, von 49 : 47. Bei einer solchen Halbierung der Fraktion ist es nach meiner Meinung unredlich, auf die Mehrheit von einer einzigen Stimme zu pochen. In einer Fraktion gelten dann wohl andere Grundlagen - auch des Vertrauens zueinander. Da mußte man neu anfangen, miteinander zu reden. Ich bitte, das entsprechend zu würdigen.
Das hindert uns aber nicht, dann, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist und hoffentlich die Wirkung, die wir uns von ihm versprechen, tut, weiter darüber nachzudenken, wie zwei Altersversorgungssysteme und zwei Arbeitsrechtssysteme zueinander in Beziehung gebracht werden können: auf der einen Seite das Recht der Arbeiter und Angestellten, auf der anderen Seite das völlig anders geartete Recht der Beamten. Das hat mit Privilegien - gegen die auch ich bin - und mit Privilegiendiskussion nichts zu tun. Es ist eine rationale Überlegung, daß wir diese beiden Systeme nicht auseinanderdriften lassen dürfen, sondern sie näher zueinanderrücken müssen, weil gleiche Sachverhalte zu regeln sind - wenn nicht gleich, so zumindest ähnlich. Darüber werden wir uns wahrscheinlich noch viele Jahre zu unterhalten haben. Denn eine Dienstrechtsreform - ich glaube, diese Erfahrung haben wir machen müssen - ist keine Sache, die man in einem Anlauf machen kann. Aber wir wären dagegen, wenn wir sie nun vergessen würden. Denn dafür sind, glaube ich, die Probleme, die wir hier miteinander zu lösen haben, zu groß und zu gewichtig.
Wir stimmen diesem Gesetzentwurf jetzt zu. Ich denke, wir werden über die verbleibenden Fragen in den kommenden Jahren noch im engen Gespräch bleiben müssen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Regenspurger, ich meine, wir sitzen hier, wenn wir diesen Dingen zustimmen - das habe ich Ihrer Rede positiv entnommen -, doch alle in einem Boot. Das heißt: Das, was wir wollen, ist, daß hier unterschiedliche Überlegungen, die zu unterschiedlichen Prüfungen in verschiedenen Zeiten geführt haben, nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden. Das ist der Grund dafür, daß wir alle die eine oder andere unserer Vorstellungen für die Zukunft aufgehoben und uns jetzt beschieden haben.
Wir wollen, daß dieses Gesetz nun so rasch wie möglich in Kraft tritt, weil wir wissen, daß in diesem Bereich wirklich ein dringender Bedarf bei denjenigen da ist, die die Hochschule absolviert haben und die sehen, daß keine Planstelle für sie vorhanden ist. Wir wollen, daß dieses Gesetz so rasch wie möglich in Kraft tritt, damit die Betroffenen nicht in eine Isolierung getrieben werden, damit sie nicht für einen bestimmten Zeitraum möglicherweise einen Berufswechsel vornehmen müssen und damit sie nicht Umschulungsüberlegungen anstellen müssen. Das ist, meine ich, der wichtigste Punkt. Den sollten wir hier alle drei positiv sehen und nicht in ein kleinliches historisches Hickhack verfallen, damit das, was wir heute beschließen, für diejenigen, die eingestellt werden sollen, in aller Kürze wirksam werden kann.
Ich gebe zu, daß das Hearing auch im Hinblick auf die Fortentwicklung des Dienstrechts für uns Erkenntnisse gebracht hat, die es erforderlich machen, das Problem der Flexibilität im Beamtenrecht sehr intensiv, sehr sorgfältig und sehr umfassend zu prüfen. Dazu aber reicht eine so kurze Zeit nicht aus. Wir sind ja im Beamtenrecht - ähnlich wie im Sozialrecht - in einer Phase der Strukturverfestigung. Das hat zur Folge, daß Veränderungen Schwierigkeiten verursachen, wie das z. B. auch durch diese Bestimmung geschieht, die mehr Teilzeitarbeit für eine bestimmte Berufsgruppe von Beamten - eben die Lehrer - ermöglichen soll. Daher muß das eben sehr sorgfältig eingepaßt und eingebaut werden mit allen Folgewirkungen, die daraus entstehen. Dabei wird man sich dann auch des Sachverständigenrats bedienen, wie das auch im Hearing geschehen ist. Ich glaube, es kann niemandem verwehrt werden, auf Grund solcher Informationen, die wir in diesem Bundestage nutzen, klüger zu werden.
Verzeihung, Herr Abgeordneter; gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Würden Sie uns, Herr Kollege Wolfgramm, Gründe nennen, warum die FDP-Fraktion ihre Meinung - entsprechend dem SPD-Parteftagsbeschluß - geändert hat?
Das haben wir aus dem gleichen Grund getan wie Sie, Herr Kollege Berger, weil wir dieses Gesetz jetzt endlich verabschieden und uns nicht mehr in einem kleinlichen Hin und Her über das Plus oder Minus streiten wollen. Vielmehr wollen wir endlich dazu kommen, daß die Lehrer diese Dinge rasch in Anspruch nehmen können. Sonst würde ich nicht verstehen, Herr Kollege Berger, wieso Sie diesem Gesetz dann in dieser Form zustimmen.
({0})
Übrigens hat sich der Kollege Dr. Remmers, der innerhalb der Opposition zu Bildungsfragen eine differenzierte Position einnimmt, hier mit einer Kommission, einer Arbeitsgruppe, die er beauftragt hat, hervorgetan, die einen Bericht über die Auswirkungen des Bildungssystems auf das Dienstrecht vorlegen soll. Darin sind interessante und sehr nachlesenswerte Anmerkungen enthalten, die auch Sie, Herr Berger, interessieren sollten.
Er enthält nämlich in einigen Punkten auch auf die Zukunft ausgerichtete Überlegungen. Ich meine, wir sollten über diesen Bericht, wenn er vorliegt, im Innenausschuß mit Zeit und Sorgfalt diskutieren. Jedenfalls werden wir Liberalen ihn in die Überlegungen, die wir nicht aufgegeben haben, mit einbeziehen, um nach sorgfältiger Prüfung und nach grundsätzlicher und tatsächlicher Betrachtung auf dem Wege der Teilzeitbeschäftigung fortzuschreiten.
Wolfgramm ({1})
Wir werden aber einen Punkt deutlich machen müssen, nämlich, daß diese erhebliche Verbesserung der Situation der Lehrer nicht dazu führen darf, daß für den öffentlichen Dienst in diesem Bereich die Möglichkeiten zu Nebentätigkeiten ausgeweitet werden. Wir haben beim Bericht der Bundesregierung über die Situation der freien Berufe ja deutlich vor Augen geführt bekommen, daß es hier ernste Probleme gibt. Wir erwarten, daß im Hinblick auf die Problematik der Nebentätigkeit restriktiv verfahren wird. Die Bundesregierung erarbeitet ja derzeit eine Verordnung.
Wir werden nicht nachlassen, auch künftig gute Gedanken und realisierbare Konzepte zur Ermöglichung einer Teilzeitbeschäftigung für alle Beamten zu entwickeln.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 11 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit der vom Herrn Berichterstatter erwähnten Ergänzung zu Art. 1 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung bei einer Enthaltung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist bei zwei Enthaltungen angenommen.
Es ist nun noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3764 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Schulte ({0}), Spitzmüller und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berücksichtigung des Denkmalschutzes im Bundesrecht
- Drucksache 8/3105 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 8/3716 Berichterstatter:
Abgeordnete Broll
Dr. Schwencke ({2}) Dr. Wendig
({3})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. - Anderweitig wird das Wort auch nicht gewünscht.
Wir kommen dann zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, 4 a, 5, 5 a, 6 und 7 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. - Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Bitte die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Es ist nun noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3716 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Kaffee- und Teesteuergesetzes
- Drucksache 8/3297 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3769 -
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5})
- Drucksache 8/3745 Berichterstatter: Abgeordneter Baack
({6})
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Anderweitig wird das Wort auch nicht gewünscht.
Dann kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf - mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! 16706
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
Enthaltungen? - Dann ist das Gesetz in zweiter Beratung bei einer Enthaltung angenommen.
({7})
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3745 unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abgeltung von Kriegssachschäden deutscher Staatsangehöriger in Italien
- Drucksache 8/3419 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({8})
- Drucksache 8/3744 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
({9})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Anderweitig wird das Wort auch nicht gewünscht.
Dann kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 22, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das Gesetz in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht. -
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 10 der Tagesordnung abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch! Es ist so beschlossen.
Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien
- aus Drucksache 8/3688 -
a) Erster Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3830 - Berichterstatter:
Abgeordneter Löffler
b) Erste Beschlußempfehlung und erster Bericht des Finanzausschusses ({11})
- Drucksache 8/3824 Berichterstatter:
Abgeordneter Meinike ({12}) ({13})
Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch? Dann ist so beschlossen.
Wir treten in die zweite Beratung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien ein. Wer den Bestimmungen des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien - Drucksache 8/3688 - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung bei einer Enthaltung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
des Gesetzentwurfs ein. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe bitte! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher und versorgungsrechtlicher Vorschriften 1980
- Drucksache 8/3624 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({14})
Verteidigungsaussschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit ihrer Vorlage macht die Bundesregierung für einige besonders dringende Strukturprobleme Lösungsvorschläge. Das Vorhaben entlastet zugleich - das ist nach den Erfahrungen früherer Jahre, glaube ich, ein wichtiger
Parl. Staatssekretär von Schoeler
Gesichtspunkt - die Gesetzgebung zur linearen Anpassung dieses Jahres sowie des Jahres 1979.
Im öffentlichen Dienst, meine Damen und Herren, arbeiten über 4 Millionen Beschäftigte, davon etwa 2 Millionen Beamte, Richter und Soldaten. Auf Probleme und Interessen eines so komplexen Personalkörpers muß auch die Besoldung angemessen reagieren. Dies ist sachlich geboten und unvermeidlich.
Mit ihrem Vorschlag will die Regierung eine Antwort wenigstens auf einige vordringliche Probleme geben. Ich erwähne nur die beiden Schwerpunkte: Spitzenamt A 9 und Zulage im mittleren Dienst sowie die Neuregelung der Eingangsämter im mittleren und im gehobenen Verwaltungsdienst in den Besoldungsgruppen A 6 und A 10 mit vorgeschalteter verlängerter Probezeit in A 5 und A 9.
Zunächst zu Spitzenamt A 9 und Zulage. Bei der Polizei können herausgehobene Funktionen im mittleren Dienst seit dem Gesetz vom 4. Januar 1979 mit einer Amtszulage leistungsgerecht abgegolten werden. Nicht nur der Bundesrat, sondern auch der Bundesminister der Finanzen hat zwischenzeitlich darauf hingewiesen, daß es derartige Spitzenfunktionen auch in anderen Bereichen der Verwaltung gibt, so z. B. beim Zoll, im Strafvollzug und in der Steuerverwaltung. Die Regierung hat daher nach erneuter Prüfung des Sachverhalts in Zusammenarbeit mit allen Ländern eine Ausweitung der Regelung vom 4. Januar 1979 vorgeschlagen.
Zur Neuordnung von Eingangsämtern ist aus der Sicht der Bundesregierung folgendes zu sagen. In erster Linie geht es hier um die ungleiche Eingangsbezahlung von technischen und nichttechnischen Verwaltungsbeamten des gehobenen Dienstes. Techniker beginnen seit 1974 in A 10. Für Verwaltungsbeamte mit Fachhochschulabschluß ist 1975 ebenfalls A 10 vorgeschrieben worden. Dies wurde damals beim Zweiten Besoldungs-Vereinheitlichungs- und -Neuordnungsgesetz einstimmig beschlossen. Kurz darauf hat das Haushaltsstrukturgesetz wegen der damaligen Haushaltslage und weil die Fachhochschulausbildung noch nicht überall eingeführt war, einen Aufschub gebracht.
({15})
Heute ist die Fachhochschulausbildung bundesweit vorgeschrieben. Eine Lösung ist daher nicht mehr aufschiebbar.
Die jetzt vorgeschriebene Lösung vermag sicher nicht alle Erwartungen zu erfüllen. Sie bleibt für den gehobenen Dienst hinter der Lösung von 1975 zurück. Dies gilt insbesondere für die umstrittene Vorschaltung einer Probezeit mit geringerer Bezahlung. Andererseits werden die Kosten der Neuordnung unter Einbeziehung des mittleren Dienstes ganz erheblich gedrückt. Ich mache mit Nachdruck darauf aufmerksam, daß die Gewerkschaften dringlich und einmütig eine Lösung fordern, die sie trotz des für sie unbefriedigenden Umfangs mittragen wollen.
Ober die Notwendigkeit erheblicher Verbesserungen im Verteidigungsbereich besteht allseits
Einvernehmen. Aber: Gegenüber den für Soldaten insgesamt vorgesehenen und im Haushalt vorgeplanten Verbesserungen sollte der Beamtenbereich nicht abgehängt werden. Für Beamte gibt das Gesetz nur eine Antwort auf die vordringlichen Strukturfragen. Ich meine, Regierung und Parlament sollten bei allen Problemen und Schwierigkeiten die auslaufende Legislaturperiode nicht ohne eine Lösung wenigstens der wichtigsten Probleme beenden. Mit diesem Grundsatz, meine ich - und darum darf ich bitten -, sollten wir in die Ausschußberatungen gehen.
({16})
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regenspurger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Gut Ding will Weile haben", sagt ein bekanntes altes Sprichwort. Mit dem heute in erster Lesung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher und versorgungsrechtlicher Vorschriften hat die Bundesregierung leider nur den zweiten Teil dieser Spruchweisheit beachtet: Weile - sprich Zeit - hat sie sich wahrhaftig genug gelassen. Seit mehr als zwei Jahren hat die Bundesregierung an dem Papier her- umgebastelt. Sie benahm sich dabei wie ein Teilnehmer einer Echternacher Sprungprozession, allerdings ohne den dazu notwendigen Glauben. Sie setzte zum Sprung nach vorne an, indem sie mit wohltönenden, aber leider hohlen Phrasen immer wieder die alsbaldige Vorlage eines Gesetzes ankündigte, das - ich zitiere - „eine ausgewogene Gesamtlösung der anstehenden strukturellen Besoldungsfragen bringen" sollte. Der Sprung zurück folgte stets auf dem Fuße. Denn der Vorlagetermin des angepriesenen „Jahrhundertwerks" wurde immer wieder hinausgeschoben. Und, Herr Staatssekretär, ich habe auch jetzt schon den Sprung zurück gehört, denn es wurden nur noch Teilbereiche in dem Gesetz als möglich angesprochen.
Mit dieser durchsichtigen Go-slow-Taktik hat die Bundesregierung jetzt ihr Ziel erreicht. Der Gesetzentwurf ist so spät vorgelegt worden, daß er mit großer Wahrscheinlichkeit in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden kann. Die Verantwortung für dieses Fiasko tragen allein die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen. Ich sage dies *in aller Deutlichkeit. Auch bei der Terminierung der Beratungen des Gesetzentwurfs im Innenausschuß haben die Vertreter der SPD und der FDP die von der Regierung vorgegebene Marschroute getreu eingehalten. Obwohl bereits Anfang Februar dieses Jahres eine interfraktionelle Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist, haben trotz des Drängens meiner Fraktion die beiden Koalitionsfraktionen sich bis heute auf keinen Beratungstermin noch vor Ostern verständigen können. Für diese Hinhaltetaktik ist kein einleuchtender Grund genannt worden.
Dieses Verhalten ist unverantwortlich. In den Jahren der Untätigkeit dieser Regierung haben sich zahlreiche Strukturprobleme angehäuft, die dringend einer Lösung bedürfen. Mit den ständig wiederholten Versprechungen sind bei den Betroffenen Erwartungen geweckt worden, die nunmehr schlicht und einfach vom Tisch gewischt werden. Schaut man sich allerdings den vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung an, so kann man ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, daß sie dieses Werk am liebsten mit dem Mantel der Vergessenheit zudecken möchte.
Der Gesetzentwurf ist ein getreues Spiegelbild der Beamtenpolitik dieser Regierung: er ist dürftig, mager und eine lästige Pflichtübung. An Stelle der angekündigten, dringend notwendigen Strukturmaßnahmen werden die Seiten und Paragraphen dieses „Jahrhundertwerks" damit gefüllt, daß Zulagenregelungen, die bereits in anderen Rechtsvorschriften enthalten sind, in das Besoldungsgesetz übernommen werden. Das sieht dann so aus: Von den 15 Seiten des Gesetzestextes sind allein 9 Seiten mit diesen redaktionellen und rein kosmetischen Regelungen ausgefüllt. Dies ist allenfalls für Besoldungsexperten und Perfektionisten von Interesse. In der Sache bringen Sie rein gar nichts.
Bei den wenigen Vorschriften, die sich mit echten Strukturfragen befassen, hat die Bundesregierung gleichfalls keine glückliche Hand gezeigt. Ich will dies an zwei Beispielen erläutern.
Erstens. Die Bundesregierung schlägt im mittleren und gehobenen Dienst die Einführung eines neuen Eingangsamtes in den Besoldungsgruppen A 6 bzw. A 10 vor. Diese Regelung ist grundsätzlich gerechtfertigt. Denn beispielsweise im gehobenen Dienst ist als neue Qualifikation für den Zugang zu dieser Laufbahn die Fachhochschulausbildung neu eingeführt worden. Entgegen eindeutigen Aussagen und Versprechungen maßgeblicher Vertreter der Bundesregierung wurde jetzt eine Lösung vorgeschlagen, die verfassungsrechtlich unzulässig, unzumutbar und ungerecht ist. Unzulässig ist sie deshalb, weil die alten Eingangsämter A 5 und A 9 für die Dauer einer verlängerten Probezeit durchlaufen werden müssen. Offensichtlich hat der für das Verfassungsrecht zuständige Bundesinnenminister Baum das Grundgesetz nicht richtig gelesen. Andernfalls hätte er merken müssen, daß der Bund keine Kompetenz hat, in einem Besoldungsgesetz eine Probezeitregelung für die Länder zu treffen. Überhaupt verstärkt sich immer mehr der Eindruck, daß Herr Baum den Schwerpunkt seiner Arbeit und seiner Tätigkeit mehr auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit für seine Person sieht als in der Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben.
({0})
Nicht mehr der für das Beamten- und Dienstrecht verantwortliche Bundesinnenminister bestimmt die Grundsätze der Beamtenpolitik, sondern der Bundesfinanzminister, der den Geldhahn zudreht, und der Bundesarbeitsminister, der mit nachhaltiger Unterstützung der SPD-Fraktion die hergebrachten Grundzüge des Berufsbeamtentums aushöhlt und die totale Gleichschaltung der Beamten mit den Angestellten und Arbeitern anstrebt ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen Strukturen. Von dem Bundesinnenminister und der FDP, die sich so gern beamtenfreundlich gibt, ist weit und breit nichts mehr zu sehen.
Unzumutbar und ungerecht ist die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung des neuen Eingangsamtes für den mittleren und den gehobenen Dienst deshalb, weil nunmehr die Beamten des mittleren und des gehobenen technischen Dienstes wieder schlechtergestellt werden sollen. Seit dem Jahre 1975 sind sie im Gegensatz zu den Beamten des gehobenen nichttechnischen Dienstes voll in dem höheren Eingangsamt. Der Bundesregierung ist offensichtlich entgangen, daß gerade die Beamten des technischen Dienstes auf Grund ihrer Ausbildung und der wahrgenommenen Funktion einen Anspruch auf dieses uneingeschränkt höhere Eingangsamt haben. Ich stelle bereits an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit fest: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird die Schlechterstellung der Beamten des technischen Dienstes nicht mitmachen.
({1})
Zweitens. Die Bundesregierung, die in der Öffentlichkeit nicht müde wird, zu bekräftigen, wie sehr ihr die Anliegen der Alten und Einkommensschwachen am Herzen liegen, hat in dem Gesetzentwurf praktisch nichts für die Versorgungsempfänger getan. Sie war noch nicht einmal bereit, den Erhöhungsbetrag bei der Mindestversorgung, der seit Jahren festgeschrieben ist, um auch nur eine Mark zu erhöhen.
Es würde zu weit führen, meine Damen und Herren, wenn ich alle Strukturprobleme im einzelnen aufzählen würde, die dringend einer Lösung bedürfen und die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht enthalten sind. Ich will mich deshalb auf wenige Beispiele beschränken.
Ist es der Bundesregierung entgangen, daß besonders bei Bahn und Post zahlreiche Beamte des einfachen Dienstes ihren Dienst unter schwierigen Bedingungen versehen? Weshalb ist in dem Gesetzentwurf auch nicht eine einzige Verbesserung für den einfachen Dienst enthalten, obwohl es auch hier Strukturprobleme gibt? Weshalb hat die Bundesregierung den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 zur besoldungsmäßigen Gleichstellung von Familien mit drei und mehr Kindern immer noch nicht voll berücksichtigt? Wie lange will sie diese Schlechterstellung noch hinnehmen? Wie steht die Bundesregierung zu den berechtigten Forderungen zahlreicher Beamtengruppen nach gerechter Bezahlung entsprechend der von ihnen wahrgenommenen Funktionen, z. B. der Rechtspfleger, der Gerichtsvollzieher und der Amtsanwälte? Wie stellt sich die Bundesregierung zu den weiteren berechtigten Forderungen der Versorgungsempfänger nach Anpassung der Mindestversorgung an die allgemeinen Besoldungserhöhungen, nach Erhöhung der Witwenabfindung und nach der gebotenen Gleichstellung der sogenannten nachgeheirateten Witwen? Was tut die Bundesregierung, um die bekannte unhaltbare Beförderungssituation bei den Oberinspektoren der Bundespost und der ZollverRegenspurger
waltung zu verbessern? Kein Wort findet man auch zur Problematik der Funktionsgruppenverordnung, des Justizwachtmeisterdienstes im Sitzungsdienst, der Bundesbank-, Versicherungskammer- und Sparkassenzulage; kein Wort zur Problematik der Situation der Prüfer und Richter beim Patentamt, der Leiter großer Behörden, der Anwärtersonderzuschläge, des Entgelts der Rufbereitschaft, der Hochschullehrerbesoldung, des Polizeivollzugsdienstes, der Hausinspektion des Deutschen Bundestages und der Verwaltungsbeamten beim Bundesgrenzschutz.
Auf alle diese Fragen - dies ist keineswegs ein ausführlicher Katalog - gibt der Regierungsentwurf keine Antwort. Wie hieß es doch damals: Es soll eine ausgewogene Gesamtlösung der anstehenden strukturellen Besoldungsfragen gefunden werden. - Es ist nicht ein Gesetzentwurf zur Lösung anstehender Strukturfragen, sondern eher ein Gesetzentwurf zur Ausklammerung anstehender Strukturfragen.
Die Ratlosigkeit der Bundesregierung wird auch in ihrer Stellungnahme zu den 17 Änderungsanträgen des Bundesrates deutlich. Obwohl sich die Bundesregierung mehr als einen Monat Zeit gelassen hat, war sie nicht zu einer sachlichen Gegenäußerung zu den fundierten Vorschlägen des Bundesrates bereit. Diese Verhaltensweise stellt auch eine grobe Mißachtung der Institution des Bundesrates und eine Unhöflichkeit gegenüber den Ländervertretern dar.
Bei den Beratungen im Deutschen Bundestag wird meine Fraktion darauf drängen, daß die Vertreter der Bundesregierung ihr Versteckspiel beenden und zu den ungelösten und ausgeklammerten Problemen eindeutig Stellung nehmen. Namens meiner Fraktion fordere ich die Vertreter von SPD und FDP auf, die Hinhaltetaktik zu beenden. Auch die Beamten haben einen Anspruch darauf, daß ihre berechtigten Anliegen in fairer Weise behandelt werden.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist eine erste Lesung, und es ist 20.30 Uhr. Ich beschränke mich auf einige Bemerkungen meines Vorredners, die mich erschrocken haben.
Ob der Bundesinnenminister die Verfassung gelesen hat, mag er selbst entscheiden.
({0})
Erschrocken bin ich darüber, Herr Erhard, daß der Sprecher Ihrer Fraktion hier ankündigt: Das Gesetz wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden.
({1})
- Sie brauchen nicht zu fragen; natürlich geben Sie uns die Schuld. Das haben Sie ja nun sauber dargelegt.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Regenspurger?
Ja, aber ich werde nicht laufend Zwischenfragen gestatten; denn sonst sind die wenigen Minuten um. Es ist eine Kurzdebatte.
Herr Kollege Liedtke, gestehen Sie mir zu, daß die bisherige Terminplanung nicht geeignet war, um an eine zügige Beratung zu glauben?
Stimmen Sie mir zu, daß wir heute die erste Lesung machen und daß das Gesetz erst damit dem Bundestag vorgelegt wird?
({0})
- Ihre Meldung habe ich schon gesehen; aber ich habe nur zehn Minuten Redezeit, die ich nicht einmal ausnutzen möchte.
({1})
Es gibt in diesem Hause eine Ordnung. Der Bundestag bekommt heute das Gesetz.
({2})
- Bei Ihnen ist alles zu spät.
({3})
- Jetzt fangen Sie hier nicht mit Kalenderblättern an!
({4})
Wo gibt es einen Grund dafür, wenn heute ein Gesetz vorgelegt wird, die rote Lampe aufzustecken und zu sagen, daß das bis Juli nicht mehr zu machen sei? Nur, wenn der Sprecher der Opposition sagt: Das wird nichts mehr, dann wird mir schon angst - ({5})
- Ich habe bei Ihnen auch nicht dauernd dazwischengeredet. Lassen Sie mich doch einmal einen Satz zu Ende reden! Dann wird mir angst und bange; denn dann müssen wir in dieser kurzen Zeit schon einen Müden mit über die Hürde tragen. Das ist nicht gut. Wenn Sie dann, Herr Regenspurger, einen Riesenkatalog an wünschenswerten möglichen zusätzlichen Strukturverbesserungen aufzählen, wissend - ich habe sie gedanklich mitvollzogen -, daß das in Milliardengröße - wobei ich Herrn Berger anschaue, der das wie ich seit 15 Jahren im Kopf mitrechnen kann ({6})
zu Buche schlägt, dann muß ich noch einmal warnen. Solange dieser Bundestag im Besoldungsbereich arbeitet, haben wir alle Besoldungsgesetze einstimmig verabschiedet. Sonst geht es mit dem Bundesrat gar nicht, weil viel Geld dahintersteht. Wenn Sie nur ein Drittel von dem nehmen, was Sie hier offensichtlich für die Verbandszeitungen heruntergeblättert haben, liegen Sie bei 2 bis 3 Milliarden DM. Damit haben Sie den Rahmen des finanziell Möglichen überbordet, und damit begründen Sie Ihre Eingangsfeststellung: Das Gesetz wird nicht mehr verabschiedet.
({7})
- So hat das bei Ihnen geklungen. Wenn das von Ihnen nicht so gemeint war, ist es um so besser.
Ich warne jeden - und damit möchte ich. diesen Teil schon beschließen -, der mit Schauanträgen nach draußen tritt. Dazu gehört die Opposition, wie Sie es gerade aufgeblättert haben, dazu gehören die Gewerkschaften, und dazu gehört der Beamtenbund. Wer überbordet, macht nichts anderes, als die Bremsen anzuziehen, und nichts bewegt sich mehr. In welcher Welt leben wir denn? Welche Debatte haben wir denn den ganzen Tag über hier geführt, mit allen möglichen finanziellen Auswirkungen?
Lassen Sie mich noch einen Schlußsatz sagen. Ich habe Ihren Gesetzentwurf zur Bürokratie, den Sie gestern der Presse vorgestellt haben, und ihren Entschließungsantrag dazu zu Gesicht bekommen. Da lese ich: „Der Deutsche Bundestag möge beschließen: Die Regierung wird beauftragt: 1. Der Beamte hat dem Bürger höflich zu antworten." Da der Bundestag nur Dinge beschließt, die nicht existent sind, ist das eine Beleidigung für 4 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst.
({8})
Dem öffentlichen Dienst sage ich: Er kann froh sein,
daß er diese Mehrheit hat, die die Arbeit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch anerkennt.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Warum beschäftigen wir uns heute mit diesem Thema? Weil wir die Absichtserklärung abgegeben haben, daß wir die vordringlichen strukturellen Probleme des Besoldungs- und Versorgungsrechts zu lösen versuchen wollen. Daß wir nicht alles auf einmal und nicht alles in diesem Gesetz tun können, ist sicher schmerzlich.
Lieber Kollege Regenspurger, Sie haben hier eine Fülle von Aufzählungen gebracht, wen Sie noch einbeziehen wollen; Kollege Liedtke hat schon eine Anmerkung dazu gemacht. Ich darf darauf Bezug nehmen, daß Sie gesagt haben, der Finanzminister drehe den Geldhahn zu, und wir identifizierten uns damit. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Außerung der Mehrheit des Bundesrats - Ihrer Mehrheit - lenken, der in seiner Stellungnahme dazu erklärt, daß er Sorgen hat, daß eine nicht tragbare Belastung und ein Hinausschieben der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte die Folge wäre, wenn das Gesetz in der Form, wie es die Bundesregierung vorgelegt hat, Wirklichkeit würde.
Was würde wohl die Mehrheit des Bundesrats - in einem solchen Falle glaube ich: pflichtgemäß und richtig - zu Ihren Vorschlägen gesagt haben, die Sie hier ausgebreitet haben?
({0})
Sie erhielten dort ein sehr viel schärferes Urteil, als es hier schon abgegeben wurde.
Ich meine, man sollte sich bei dem Aufstellen von Forderungskatalogen gerade in diesem Bereich davor hüten, Hoffnungen bei denjenigen zu erwecken, die sich möglicherweise - wir werden das ja in den Ausschußberatungen behandeln - in einer Ungleichgewichtigkeit befinden. Aber die Opposition sollte nicht in dieser Form Hoffnungen und Vorstellungen erwecken, als könnte und wäre das alles machbar. Wir halten gerne fest, wie die Sparvorstellungen Ihrer Kollegen im Haushaltsausschuß mit den Vorstellungen kollidieren, die Sie an anderen Orten vortragen.
Wir Liberalen wollen dieses Gesetz rasch und sorgfältig beraten. Sicher wird das eine oder andere auch einer Veränderung zu unterziehen sein. Wir gehen davon aus, daß wir denjenigen, die hier ungleichgewichtig behandelt sind, so intensiv wie möglich helfen wollen.
Noch eine Anmerkung, Herr Kollege Regenspurger. Sie haben davon gesprochen, daß gewisse Dinge nach dem Verfassungsrecht unzumutbar seien. Sie sollten das etwas deutlicher interpretieren. Es gibt höchstens etwas Unzulässiges, aber es gibt dabei nichts Unzumutbares.
Wir wollen, daß das vorliegende Gesetz bis zum Ende dieser Legislaturperiode abschließend beraten und beschlossen wird. Wir werden das Unsere tun, damit denen, die hier angesprochen sind, geholfen wird.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 8/3624 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 - 2.FStrAbÄndG -- Drucksache 8/3662Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({0})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Haushaltsausschuß gemäß ß 96 GO
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lemmrich.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf über den Ausbau der Bundesfernstraßen behandelt einen wichtigen Teil der Verkehrsinfrastruktur unseres Landes. Diese Verkehrsinfrastruktur ist die Voraussetzung für ein leistungsfähiges Verkehrswesen, und das wiederum beeinflußt die Ertragsfähigkeit unserer in scharfem Wettbewerb stehenden Volkswirtschaft. Das gilt aber nicht nur für den Transport von Gütern, sondern ebenso für den Personenverkehr.
Die hohe Mobilität unserer Bürger ist aber nicht nur ein Stück Produktivität unseres Wirtschaftslebens, sondern ein Stück persönliche Freiheit. Zur Zeit sind wir allerdings in eine Phase geraten, wo diese Grundtatsachen nicht mehr überall zur Kenntnis genommen werden. Die Atmosphäre für Verkehrsinvestitionen hat sich generell verschlechtert, und zwar nicht nur beim Straßenbau, sondern ebenso bei neuen Eisenbahnstrecken und Rangierbahnhöfen.
Alle Parteien im Bundestag bekennen sich zur freien Wahl der Verkehrsmittel. Die Konsequenz war die rasante Motorisierung. Wer meinte, durch die Erdölkrise 1973 sei diese Welle gebrochen worden, hatte sich geirrt. Seit 1973 nahm der Pkw-Bestand jährlich um 1 Million Fahrzeuge zu. Der Gesamtbestand an Kraftfahrzeugen aller Art betrug Ende 1978 24,6 Millionen.
Mit einer Pkw-Dichte von 368 Pkw je 1000 Einwohner besitzen drei Fünftel der fahrfähigen Bevölkerung unseres Landes ein eigenes Auto. Die Pkw-Dichte hat eine Größenordnung erreicht, die weit über jener liegt, die Anfang der 70er Jahre in allen Vorausschätzungen als maximal angesehen wurde.
Für die weitere Entwicklung ist die Energiefrage von besonderer Bedeutung. Die Automobilindustrie hat aber eindeutig erklärt, daß sie die individuelle Mobilität auch in Zukunft sicherstellen werde. Zur Zeit konzentrieren sich ihre Bemühungen auf Einsparungen an der derzeitigen Art des Fahrzeuges. Ein um ein Drittel geringerer spezifischer Kraftstoffverbrauch wird für das Jahr 2000 als realistisch angesehen. Vor diesem Hintergrund ist die Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin verständlich, die mit einem weiteren Anstieg des Pkw-Bestandes um 5 Millionen Fahrzeuge auf 27,7 Millionen Pkw bis zum Jahre 1990 rechnet.
Wer A sagt, muß wohl auch B sagen. Das bedeutet, daß der entsprechende Straßenraum vorhanden sein muß, damit der Straßenverkehr für Teilnehmer wie für Betroffene nicht völlig unerträglich wird.
Neben den anerkannten Vorteilen des Straßenverkehrs treten eine Reihe von Nachteilen wie Unfallgefahr, Lärm, Abgase und Eingriffe in die Landschaft. Diese Probleme gilt es heute mit anzugehen. Das Verkehrslärmschutzgesetz, das wir gerade verabschiedet haben, ist ein wichtiger Schritt auf diesem Wege.
({0})
Der vorliegende Gesetzentwurf stellt die seit 1959 betriebene langfristige Straßenbauplanung auch über das Jahr 1985 hinaus sicher. Wir begrüßen dies. Die langfristigen Straßenbaupläne haben ein Autobahnnetz von nunmehr insgesamt 7000 km Länge und ein Bundesstraßennetz, das heute 32 200 km lang ist, geschaffen.
Der neue Bedarfsplan geht von einer maßvollen Abrundung des Netzes von 3500 km Autobahnen in den Dringlichkeitsstufen I und II aus und hebt sich damit von den unrealistischen Plänen aus einer zehn Jahre zurückliegenden Ära ab.
({1})
Der damalige Verkehrsminister gab damals als Ziel für Autobahnplanungen folgendes an:
({2})
„85 % der Bevölkerung wohnen höchstens 10 km von der nächsten Autobahn entfernt." - Diese riesige Netzausweitung, die wir bereits damals für utopisch hielten, hätte im Endstand eine Gesamtlänge des Autobahnnetzes von rund 20 000 km bedeutet.
Die heutigen Planungen beinhalten ein endgültiges Netz von ca. 10 500 bis 11 000 km Autobahnen. Bei der letzten Überprüfung der Dringlichkeiten des Fernstraßenbaus im Jahre 1976 hatte der Bundestag wie auch der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, ein gestrafftes und realistisches Netz zu erstellen und vorzuschlagen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Sätze zu dem Schlagwort „Qualität geht vor Quantität" sagen. Qualität sollte im Straßenbau stets vor Quantität gehen. Doch muß klargestellt werden, was Qualität ist. Eine Straße mit Lärmschutzeinrichtungen bringt Qualität in einem Ballungsraum. Eine moderne Straße, die in ein peripheres Gebiet führt, die Fahrzeiten verkürzt und die Sicherheit auf der Straße erhöht, bringt für die dort lebenden Menschen ebenfalls Qualität, auch wenn es dabei hinsichtlich der Länge nicht ohne Quantität geht.
Der finanzielle Rahmen der Dringlichkeitsstufe I - sie umfaßt den Zeitraum 1981 bis 1990 - wird durch den Bundesverkehrswegeplan abgesteckt. Dabei wurde der Anteil für den Fernstraßenbau von 53,1 % auf 42,2 % gesenkt. Wer aber meint, mit den dadurch freiwerdenden Geldern würden die Investitionen der Bundesbahn wesentlich erhöht - wie die Steigerung des Bundesbahnanteils von 16,4 auf 29,1 % es vermuten läßt -, der irrt. Die Investitionsmittel werden nicht erhöht; es werden nur Mittel
der Bundesbahn durch Mittel des Bundes ersetzt. Während die von der Deutschen Bundesbahn aufgebrachten Investitionsmittel 1975 2,5 Milliarden DM betrugen, machen sie 1980 noch ganze 178 Millionen DM aus. Dies unterstreicht das, was ich hinsichtlich der Substitution der Mittel gesagt habe.
Die Stufe I, die 51,4 Milliarden DM zur Realisierung erfordert, ist nur zu 80 % finanziell abgedeckt. Weiter zu erwartende Preissteigerungen und laufend steigende Anforderungen an die Ausführung der Straßen werden dazu führen, daß bei der vorgesehenen Einfrierung der Straßenbaumittel die Verwirklichung der Stufe I 20 Jahre dauern wird. Dies bedeutet: Die Stufe I wird voraussichtlich im Jahre 2000 verwirklicht sein.
In diesem Jahr sind die Fernstraßenmittel gegenüber den Planungen bereits um 450 Millionen DM gekürzt worden. Weitere 150 Millionen DM sollen hinzukommen. Es werden somit insgesamt 600 Millionen DM sein. Ähnliches haben wir vor Jahren schon einmal erlebt. Erst wurden die Straßenbaumittel 1976 gekürzt. Ein Jahr darauf wurden dem Straßenbau durch ein Konjunkturprogramm wieder beträchtliche Mittel zugeführt, um die zurückgehende Konjunktur zu beleben. Die Methode des stop and go bekommt dem Straßenbau nicht gut; er benötigt ein Mindestmaß an Stetigkeit.
Bei der Beratung des Gesetzentwurfes wird sich die Union von folgenden straßenbaupolitischen Auffassungen leiten lassen. Die Aufgaben des Straßenbaus werden bestimmt erstens durch Erschließung unseres Landes, insbesondere der strukturschwachen Gebiete.
({3})
Zweitens durch Erhöhung der Verkehrssicherheit. Drittens durch den Umweltschutz, einschließlich landschaftsschonenden und flächensparenden Straßenbaues. Viertens durch Verbesserung des vorhandenen Straßennetzes, um Straßenneubauten einzusparen.
Die Erschließung des Landes muß sicherstellen, daß die Lebensbedingungen auch in den strukturschwachen Gebieten so gestaltet werden, daß die dort lebenden Menschen Arbeit und Brot finden und in ihrer angestammten Heimat wohnen bleiben können.
Bei insgesamt 523 000 Verkehrsunfällen ist im internationalen Vergleich die Situation bei der Verkehrssicherheit im Bundesgebiet unbefriedigend. Bei der Verbesserung der Verkehrssicherheit fällt dem Straßenbau eine wichtige Rolle zu. Zu den Maßnahmen der Erhöhung der Verkehrssicherheit gehören nicht nur die Beseitigung örtlicher Unfallschwerpunkte, von höhengleichen Bahnübergängen und Verkehrsengpässen, sondern vorrangig auch der Bau von Ortsumgehungen. Durch die Herausnahme des Durchgangsverkehrs wird die hohe Unfallhäufigkeit auf den Innerortsstraßen gesenkt. Stark belastete einbahnige Straßen müssen durch eine zweite Fahrbahn ergänzt oder notfalls durch eine Autobahn ersetzt werden. Von den 14 662 Verkehrstoten des Jahres 1978 starben immerhin 8 682 auf Außerortsstraßen. Zweibahnige Straßen mit
Richtungsverkehr sind mit Abstand die sichersten Straßen, die es gibt. Autobahnen sind fünfmal sicherer als einbahnige Bundesstraßen. Der Schutz der Bürger vor körperlichem Schaden oder vor dem Verkehrstod ist eine vorrangige Aufgabe. Der Straßenbau kann dabei helfen.
Der Umweltschutz im Straßenbau umfaßt sowohl den Schutz der Menschen vor Lärm und Abgasen als auch den Schutz der Natur. Durch Ortsumgehungen, die einen besonderen Schwerpunkt darstellen - wir begrüßen, daß die Regierung hier ein besonderes Programm, das sich jedoch im vorgegebenen Finanzrahmen bewegt, aufgestellt hat -, werden in vielen Fällen die Lebensbedingungen in den Wohngemeinden verbessert. - Auf die große Bedeutung des Verkehrslärmschutzgesetzes habe ich bereits hingewiesen.
Im Bereich Natur und Landschaft muß laufend ein Kompromiß gefunden werden zwischen Erschließung des Landes, Bewältigung des Straßenverkehrs einerseits und einem möglichst umweltfreundlichen, landschaftsgerechten und flächensparenden Straßenbau andererseits. Die Sorge um die Landschaft und der knappe Boden zwingen uns hierbei, neue Straßen so geländesparend wie möglich zu bauen. Dabei stehen wir hinter den neuen Regelquerschnitten für Autobahnen und zweibahnige Bundesstraßen, die gegenüber den früheren wesentlich reduziert sind. Allerdings gibt es auch Fälle, wo die Belange des Landschaftsschutzes gegenüber dem Straßenbedarf so dominierend sind, daß auf den Bau einer Straße verzichtet werden sollte, wie dies zum Beispiel bei der Queralpenautobahn Irschenberg-Kempten der Fall ist.
({4})
- Dort scheint die Frage vom Bedarf her etwas anders zu sein, Herr Kollege. Vielleicht schauen Sie sich in der Sommerzeit die Sache im Raum Singen an, wo die Autobahn von Stuttgart endet.
Neben Planungen und Finanzierung wirft die Durchsetzung der Planung neue Probleme auf. Rechtzeitige und umfassende Unterrichtung der Bevölkerung können hierbei viel helfen. Die Bürgerbeteiligung sollte über die kommunalen Parlamente erfolgen, die alle Bevölkerungsschichten vertreten und nicht nur Einzelinteressen.
Bei der Beratung im Bundestag geht es nicht um die Festlegung bestimmter Linienführungen der Straßen, sondern ausschließlich um den Bedarf. Die Linienführung wird in Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren, an denen der Bundestag nicht beteiligt ist, festgelegt.
Wie bei der letzten Dringlichkeitsüberprüfung 1976 ist die CDU/CSU auch diesmal zu einer kooperativen Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen bereit.
({5})
- Sie sind damals noch nicht im Bundestag gewesen. Sie staunen ja über manches.
Ein modernes Straßennetz dient unserem Lande und all seinen Bürgern. Aber es darf nicht nur auf dem Papier stehenbleiben. Es sollte auch kein Torso
bleiben. Es muß vielmehr zügig in die Wirklichkeit umgesetzt werden.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Topmann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Bau und Ausbau von Straßen, insbesondere der von Bundesstraßen, unterliegt seit geraumer Zeit nicht nur mehr verkehrs- und wirtschaftspolitischen sowie raumordnerischen Zwängen, sondern er entwickelt sich immer mehr zu einem in erster Linie gesellschaftspolitischen Problembereich. Das sich in diesen Veränderungen widerspiegelnde Umweltdenken eines großen Teils unserer Mitbürger wäre von der politischen Seite, also von uns, sicher sehr viel leichter nachzuvollziehen, wenn mit der zunehmenden Abneigung gegen den Bau neuer Verkehrswege auch die Bereitschaft einherginge, in gleicher Weise das Auto als individuelles Verkehrsmittel in Frage zu stellen.
Die Zuwachsraten gerade bei den Pkw und die trotz abnehmender Bevölkerungszahlen nach wie vor stark ansteigenden Gesamtfahrleistungen auf der Straße lassen erkennen, daß sich das Auto im Bewußtsein des überwiegenden Teils unserer Bevölkerung seinen hohen Stellenwert bewahrt hat. Anders ist es doch wohl nicht zu erklären, daß - und das mit zunehmender Tendenz - 61 % unserer Bevölkerung über 18 Jahre im Besitz eines Führerscheins sind.
Ich habe diese Feststellungen zu Beginn meiner Ausführungen gemacht, um einmal mehr zu verdeutlichen, um wieviel schwieriger die Aufgabe der Bundesregierung in diesem Jahre war, einen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen vorzulegen, der den beiden sich im Kern scheinbar widersprechenden Vorstellungen Rechnung trägt.
Ich möchte an dieser Stelle namens meiner Fraktion der Bundesregierung vorab bestätigen, daß sie dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der in seiner Zielsetzung unseren Vorstellungen entspricht.
({0})
- Na ja, soviel sind auch nicht mehr da, um Matschen zu können, verehrter Herr Kollege Sick.
({1})
Dabei muß eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Aufgabenverteilung für alle Verkehrsträger angestrebt werden. Kapazitätserweiterungen und auch Kapazitätsverminderungen der verschiedenen Verkehrswege dürfen nicht isoliert vorgenommen werden, sondern müssen aufeinander abgestimmt sein.
Die Verbesserung des Bundesverkehrswegenetzes, deren Grundzüge im Bundesverkehrswegeplan 1980 ihren Ausdruck finden, steht unter dem Ziel, die Lebensbedingungen in allen Teilen der Bundesrepublik zu verbessern.
({2}) - Wenn Sie eben Herrn Lemmrich zugehört hätten, verehrter Herr Kollege, hätten Sie doch dort schon Ihrer Meinung Ausdruck geben können. Er hat Ihnen ja an zwei Stellen Gelegenheit dazu geboten. Ich nehme das gern auf.
({3})
Ich sage dazu nur eines: Damals entsprach die Grundtendenz auch Ihren Vorstellungen. Das habe ich auch in verschiedenen Protokollen nachlesen können. Ich hatte damals noch nicht wie Sie die Ehre, Mitglied dieses Hohen Hauses zu sein.
Dazu gehören nach unserer Auffassung
erstens, eine angemessene Verkehrsinfrastruktur sicherzustellen,
zweitens, zu energiepolitischen Zielen beizutragen
drittens, Arbeitsplätze schaffen und sichern zu helfen,
viertens, die Umwelt zu schützen und zu verbessern - ein ganz wesentlicher Punkt -, und
fünftens, die europäische Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.
Keinem dieser Einzelziele - ich glaube, das ist unser Problem - kann und darf absoluter Vorrang eingeräumt werden. Nur die Gesamtschau aller Vor- und Nachteile kann zu einer tragfähigen Entscheidung führen.
Dies schließt im Fall von Zielkonflikten - wer wollte schon bestreiten, daß es solche sicherlich geben wird - den Interessenausgleich und auch den Kompromiß mit ein. Die isolierte Betrachtung eines einzelnen Aspektes wird selten den Interessen der Bürger gerecht und führt nicht zu akzeptablen Lösungen für die Gesellschaft als Ganzes. Das müssen sich insbesondere jene sagen lassen, die ihre Vorstellungen und häufig auch ihre eigenen Interessen zum Maßstab aller Dinge machen und dabei nur allzuoft den Mitbürger und seine Probleme ignorieren.
Im Bereich des Straßenbaus hat der Bundesminister für Verkehr mit seiner Zielvorgabe „Qualität geht vor Quantität" die allgemeinen Ziele präzisiert Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bekennt sich uneingechränkt zu diesen Zielen. Dabei gehen wir, verehrter Herr Kollege Lemmrich, davon aus, daß unter dem Begriff Qualität mehr als nur die Straße, die Art des Ausbaus der Straße und auch mehr als nur die Umweltfreundlichkeit einer Straße zu sehen ist. Zu diesem Begriff Qualität gehört sicherlich auch die Befriedigung des bei unseren Bürgern sehr stark vorhandenen Mobilitätsbedürfnisses. Dazu gehört gleichermaßen der Wunsch anderer, nur noch dort neue Straßen zu bauen, wo dies nach sorgfältiger Abwägung und unter Berücksichtigung aller Alternativmöglichkeiten unabweisbar notwendig ist.
Wir sind der Bundesregierung dankbar, daß sie bei der Fortschreibung des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen zu Recht von der Voraussetzung ausgegangen ist, daß die Kapazität unseres bereits
fertiggestellten Bundesfernstraßennetzes einen hohen Stand erreicht hat und daß demzufolge der weitere ausgewogene Ausbau als Ergänzung des vorhandenen Netzes gesehen werden muß.
Das bedeutet, daß die Substanzerhaltung, der Abbau von Engpässen, die Beseitigung von Unfallschwerpunkten und netzschließende Maßnahmen im Vordergrund unserer Überlegungen stehen müssen, zumal wir doch in den zurückliegenden 20 Jahren die Bundesautobahnstrecken verdreifacht und die leistungsfähigen Bundesstraßen nahezu verdoppelt haben. Schon deshalb ist es folgerichtig, daß bei der Fortschreibung des Gesetzes 5000 km der geplanten Autobahnen ersatzlos gestrichen worden sind und weitere 2000 km zugunsten weniger beeinträchtigender Bundesstraßenausbaumaßnahmen in Fortf all kamen.
Wir unterstützen die Vorschläge der Bundesregierung, die Aufwendungen für Ersatzinvestitionen zu Lasten jener für den Erweiterungsbau deutlich zu erhöhen.
Bereits im Vorfeld der Fortschreibung des Bedarfsplanes haben viele Bürger unseres Landes entweder über ihre gewählten Kommunalparlamente, über die Abgeordneten der Landtage und des Bundestages oder aber durch die Bildung von Bürgerinitiativen Einfluß auf die Inhalte des Bedarfsplanes genommen. Wir begrüßen das, weil wir der Auffassung sind, daß sich nur so die von uns allen gewünschten Bürgerbeteiligungen artikulieren können.
({4})
- Herr Hennig, daß Sie in Ostwestfalen auch mit Ihren eigenen Freunden einige Schwierigkeiten haben, kann und darf heute nicht unser Problem sein.
({5})
Wo immer auch die Wünsche der Bürger mit dem Gemeinwohl in Einklang zu bringen sind, sollten wir nichts unversucht lassen, mindestens nach einem Kompromiß zu suchen. Wo dieser nicht möglich ist - und ich verkenne nicht, daß es solche Fälle bei unserer Arbeit in den nächsten Wochen geben wird -, müssen wir sicherstellen, daß den Bürgern klar aufgezeigt wird, aus welchen Gründen ihren Wünschen nicht entsprochen werden konnte. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt Wir dürfen sie nicht nur auf die Argumentationen unserer Landesstraßenbauämter verweisen. Wir als die verantwortlichen Politiker müssen vielmehr mit dafür Sorge tragen, daß den Bürgern die Begründungen deutlicher mitgeteilt werden, als es diese Behörden vielleicht tun. Wir betrachten es nicht als lästige Pflichtaufgabe - dessen bin ich sicher -, uns mit Bürgerbeteiligungen zu befassen. Sorgen wir dafür, daß diese unsere Auffassung auch zum Allgemeingut jener Behörden wird, die vor Ort den Willen des Bundesverkehrsministers nach mehr und frühzeitigerer Bürgerbeteiligung in die Praxis umsetzen müssen. Ich glaube, in dieser Hinsicht besteht hier und dort noch ein großer Nachholbedarf. Nicht das Festhalten an einer vorgezeichneten Trasse um jeden Preis wirbt bei unseren betroffenen Bürgern um Verständnis, sondern vielmehr die Bereitschaft zu einer möglichen alternativen Lösung.
Der uns vorgelegte Gesetzentwurf mit dem Bedarfsplan als Anlage stellt für uns eine, wie ich meine, sehr gute Arbeitsvoraussetzung dar. Trotzdem wird die Arbeit auch für uns in den nächsten Wochen nicht leicht sein, nicht zuletzt deshalb, weil die auch zur Grundlage dieser Fortschreibung gemachten Bewertungskriterien bei dem derzeitigen Stand der Methodik nur eine Entscheidungshilfe sein können. Die politische Entscheidung kann dadurch nicht ersetzt werden und wird uns somit nicht abgenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gehen wir an die Arbeit, und versuchen wir, das in uns gesetzte Vertrauen der Bürgerschaft durch eine sich an der schwierigen Problemstellung orientierende Arbeit zu rechtfertigen! Nach Ihren Ausführungen, verehrter Herr Kollege Lemmrich, bin ich der Auffassung, daß in diesem Jahr die Grundstimmung des Hauses sehr viel besser ist als im Jahr 1976. Dafür möchte ich mich bei Ihnen, bei der Opposition bedanken.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Merker.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion dankt der Bundesregierung für die Vorlage des Entwurfs zur Fortschreibung des Ausbauplangesetzes. Wer sich über Umfang und Ausmaß des Ausbaus von Autobahnen und Bundesfernstraßen in den nächsten Jahrzehnten unterhalten will, tut sicherlich gut daran, zu Beginn festzustellen, daß unser Straßennetz zu den besten der Welt gehört. Mit über 7 500 km hat unser Bundesautobahnnetz inzwischen einen Standard erreicht, der hohen Anforderungen in bezug auf Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs gerecht wird.
Der Preis, den wir hierfür haben zahlen müssen, läßt sich aber nicht allein in Mark und Pfennig ausdrücken. Wir haben dafür, so meine ich, auch den Preis einer endgültigen und irreparablen Preisgabe von Landschaft und Umwelt zahlen müssen. Für einen Kilometer Vollautobahn werden heute durchschnittlich zwischen 6 und 7 ha Grund und Boden benötigt. Nicht nur die Nutzungsansprüche unserer Industriegesellschaft im Bereich des Verkehrs engen die verbliebenen Freiräume immer weiter ein. Beim Straßenbau ist diese Einengung der verbliebenen Freiräume aber deshalb besonders verhängnisvoll, weil die Einwirkung auf das ökologische Gefüge eine doppelte ist: Es erfolgt eine unmittelbare Einwirkung durch die radikale Umwandlung des Lebensraumes für Menschen, Tiere und Pflanzen durch den Straßenbau und eine unmittelbare Einwirkung durch die Verunreinigung von Luft, Wasser und Erdreich, durch Schadstoffe und Lärm durch den dann folgenden Verkehrsbetrieb. Wir meinen, daß wir an der kritischen Grenze der Belastbarkeit
unseres Lebensraumes angelangt sind. Dies zwingt uns, das Naturgut Umwelt sparsam zu nutzen.
Wir danken der Bundesregierung, daß sie aus dieser Erkenntnis mit der Vorlage des Gesetzentwurf es die richtigen Konsequenzen gezogen und diese Grundsätze in einem großen Maße berücksichtigt hat.
Der Straßenbau der vergangenen Jahrzehnte, der von Dimensionen ausging, die wir alle heute für überholt halten, entsprach einem allgemeinen Konsens. Das ist von beiden Vorrednern angesprochen worden. Ich halte gar nichts davon, sich jetzt gegenseitig Schwarze Peter zuschieben zu wollen. Der Umfang dessen, was in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gewollt war, entsprach einem allgemeinen Konsens mit der Bevölkerung und, wie ich meine, auch zwischen den politischen Parteien.
Wer sich heute in politische Diskussionen vor Ort mit Bürgern oder Bürgerinitiativen begibt, der weiß, daß sich die Wertvorstellungen des Bürgers im Hinblick auf diesen Zielkonflikt zwischen wünschenswerter Mobilität des Individualverkehrs und den negativen Auswirkungen des Straßenbaus gründlich geändert haben. Wir müssen heute erkennen, daß der Bürger nicht mehr wie in der Vergangenheit bereit ist, seine Umwelt unwiederbringlich dem Individualverkehr zu opfern. Deshalb begrüßen wir es, daß auch in der Verkehrspolitik Abschied von einem Gigantismus vergangener Jahre genommen wird, der auch in anderen Bereichen - ich nenne die Stichworte Aachener Klinikum, Steglitzer Kreisel - bereits seine Negativsymbole hat.
Wir begrüßen es, daß mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs eine grundsätzliche Neuorientierung beginnt, was das Verhältnis zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr betrifft.
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Die angestrebte Investitionsstruktur für die nächsten zehn Jahre zeigt deutlich, daß die Bundesregierung bemüht ist, eine Besserstellung des öffentlichen Verkehrs zu erreichen.
In der Tat ist es erschreckend, wenn man sich die Zahlen über die Entwicklung der Beförderungsleistungen im Personenverkehr, und zwar im öffentlichen Verkehr einerseits und im Individualverkehr andererseits, ansieht. Während im Jahre 1950 noch insgesamt 67 % des Personenverkehrs im öffentlichen Verkehr abgewickelt wurden und 33 To des Aufkommens Individualverkehr waren, hat sich dieses Verhältnis im Jahre 1976 nicht nur umgekehrt, sondern die Schere hat sich noch weiter geöffnet. Der Anteil des öffentlichen Verkehrs - und da ist der Anteil der Taxen noch mit einzurechnen - betrug nur noch 22 %, während der Anteil des Individualverkehrs 78 % ausmachte. Diese Entwicklung, so meine ich, zeigt in einem ganz erschreckenden Maße, wie sich der Straßenbau auf der einen Seite und der Autoverkehr auf der anderen Seite gegenseitig hochgeschaukelt haben. Diese Entwicklung mußte selbstverständlich zu Lasten der Attraktivität des öffentlichen Verkehrs gehen. Durch äußere Einflüsse, nicht zuletzt durch die Energiekrise, konnte im Fernverkehr dieser Trend zum erstenmal im vergangenen Jahre gestoppt werden.
Hoffnungsvolle Ansätze zeigen sich auch bei dem Versuch, in zunehmendem Maße den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Die Zuwächse im Kombiverkehr zeigen eine erfreuliche Tendenz.
Wenn wir diese Entwicklung unterstützen wollen, müssen wir erstens dafür sorgen, daß die Investitionsmittel der nächsten zehn Jahre in stärkerem Maße von der Straße auf die Schiene verlagert werden, und zweitens, daß die Bundesbahn in die Lage versetzt wird, diese Investitionsmittel, die ihr zur Verfügung stehen, auch anzuwenden.
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Ich möchte hinzufügen: Wir müssen dafür sorgen, daß die Bundesbahn in die Lage versetzt wird, diese Mittel auch für neue Investitionen einzusetzen. Ich habe von dieser Stelle aus schon einmal an die Bürgerinitiativen appelliert, endlich ihre Widerstände gegen den Neubau von Schienensträngen aufzugeben, weil nur so - ({2})
- So pauschal mache ich das. Ich bin wirklich der Meinung, daß die Bürgerinitiativen ihre Widerstände gegen jeden Bau von Schienensträngen aufzugeben haben, weil nur so die Attraktivität des Schienenverkehrs gegenüber dem Individualverkehr zu steigern ist und weil nur so langfristig ein entscheidender Durchbruch bei der politischen Zielsetzung einer Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene möglich ist.
Meine Damen und Herren, uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der auf bisher erwogene 7 000 km neuer Autobahnen entweder ganz verzichtet oder sie durch weniger aufwendige und damit selbstverständlich auch landschaftsschonendere Bundesstraßen ersetzt. Das ist, so meine ich, eine deutlich sichtbare Konsequenz aus der Diskussion der letzten Jahre, für die die Bürgerinitiativen in diesem Land überall den Anstoß gegeben haben.
Ich möchte an dieser Stelle den Bürgerinitiativen ausdrücklich danken. Ich bin der festen Überzeugung, daß sie den entscheidenden Anstoß zu einer notwendigen Neuorientierung in der Verkehrspolitik gegeben haben.
Der Gesetzentwurf sieht für den Zeitraum bis 1990 auf der Basis des Preisstandes von 1978 Straßenbaumaßnahmen in Höhe von 51,4 Milliarden DM vor. Davon entfallen 20,6 Milliarden DM auf rund 3 000 km neuer Autobahnen. Der Restbetrag teilt sich auf Ersatzinvestitionen und neue Bundesstraßen auf. Hier, meine Damen und Herren, beginnt die Verantwortung dieses Hauses.
Für die Fraktion der Freien Demokratischen Partei möchte ich hier erklären, daß wir uns im Laufe der Beratungen der Fortschreibung dieses Bedarfsplans die Maßnahmen, die der Gesetzentwurf jetzt noch enthält, sehr sorgfältig auf ihre Notwendigkeit und Realisierbarkeit hin ansehen werden. Wir wer16716
den ebenso sorgfältig wie kritisch jede einzelne Maßnahme prüfen und uns in möglichst vielen Fällen einen persönlichen Eindruck von der Situation vor Ort verschaffen.
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- Das machen wir nicht in Ausschußsitzungen. Wenn ich Ihnen sage, daß wir das vor Ort tun wollen, dann können wir es nicht in Ausschußsitzungen tun, Herr Kollege Dr. Hennig. - Wir haben dies in den vergangenen Wochen und Monaten getan, und wir werden es in' der uns zur Verfügung stehenden Zeit auch weiter tun. Wir werden in einer Vielzahl von Veranstaltungen mit Betroffenen diskutieren, mit Befürwortern und Gegnern von Straßenbaumaßnahmen.
Wir haben uns Landschaften angesehen, durch die neue Straßen gebaut werden sollen. Wir haben uns aber auch Ortsdurchfahrten angesehen, wo Anwohner wohnen, die durch den durch sie hindurchführenden Verkehr in einer solch unzumutbaren Weise belastet werden - durch Geräusch- und Abgasimmissionen -, daß man diesen Bewohnern wirklich nur noch wünschen kann, möglichst bald durch eine neue Ortsumgehung davon entlastet zu werden. Wir werden auf der Basis dieser Eindrücke bei unseren Diskussionen mit den Betroffenen vor Ort im Verlauf der Beratungen unsere Entscheidungen fällen.
Wir werden ebenso sorgfältig wie kritisch jede einzelne Maßnahme daraufhin abklopfen, ob sie den von der Bundesregierung aufgestellten Kriterien gerecht wird, nämlich den Kriterien, nach denen erstens Naturschutz und Landschaftspflege stärker zu berücksichtigen sind und zweitens Trassenbündelungen der Vorzug zu geben ist und wonach der Bau von Ortsumgehungen deshalb Vorrang haben muß, weil er die Verkehrssicherheit und die Lebensqualität in den Städten verbessert, die Funktionsfähigkeit in den Ortszentren wiederherstellt und die Voraussetzungen für die Einrichtung verkehrsberuhigter Zonen schafft.
Das bedeutet, daß wir bei vielen auch jetzt noch in Rede stehenden Maßnahmen kritisch hinterfragen, ob sie nicht entbehrlich werden, wenn sie durch den Bau von Ortsumgehungen und verkehrsgerechten Ausbau der bestehenden Straßen ersetzt werden. Auf diese Weise wird es möglich sein, viele Hektar Wald in unserem Lande vor der endgültigen Zerstörung zu retten.
In den Beratungen der kommenden Woche wird sich zeigen, mit. welchem Selbstverständnis dieses Haus das Problem des Straßenbaues und der Umwelt anpacken wird. Manche Kollegen in diesem Hause, aber auch mancher Bürger draußen im Lande ist der Meinung, daß der Einfluß des Parlaments auf den Straßenbau zu gering ist. Manche glauben, daß die Vorgaben durch die Planer und die Straßenbauverwaltung zu groß sind und die Kompliziertheit der Materie Straßenplanung so groß ist, daß für die Abgeordneten eine Beurteilung der einzelnen Projekte, in ihrer Wertung auf das gesamte Netz bezogen, zu schwierig ist. Deshalb, so meinen viele, müßten sich die Politiker ganz auf die Experten der Verwaltung verlassen, die über die notwendigen Informationen, über die statistischen Unterlagen und über die Entscheidungs- und Beurteilungskriterien verfügen. Ich gestehe hier freimütig, daß auch ich mir eine größere Einwirkung des Parlaments wünschen würde. Im Bundesverkehrswegeplan aus dem Jahre 1973 ist dazu ausgeführt worden:
Planungsinitiative und Planungstätigkeit sind zwar Sache der Regierung. Es scheint aber geboten, die Zusammenarbeit mit Regierung und Parlament bei umfassenden Planungsarbeiten neu zu durchdenken. Die Verkehrswegeplanung stellt eine solche umfassende Aufgabe dar.
So weit das Zitat.
Ich möchte anregen, daß wir uns alle gemeinsam Gedanken darüber machen, wie diese Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament intensiviert werden kann, wie der Einfluß des Parlaments auf die Planungstätigkeit bei der Bundesverkehrswegeplanung verstärkt werden kann. Solange dies nicht realisiert werden kann, ist unsere Einflußnahme - abgesehen von den jährlichen Haushaltsberatungen - auf die alle fünf Jahre stattfindende Fortschreibung des Bedarfsplanes beschränkt. Hier liegt aber auch unsere große Verantwortung. Wir, die Freien Demokraten, stellen uns dieser Verantwortung. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, daß der Wille des Bürgers umgesetzt wird.
Auf die Frage „Finden Sie, daß unser Autobahnnetz im augenblicklichen Status den Anforderungen gerecht wird?", wird der Bundesbürger im allgemeinen mit Ja antworten. Das bedeutet nicht - hier darf ich auf meine Eingangsausführung hinweisen -, daß wir einem totalen Straßenbaustopp das Wort reden. Dies bedeutet nicht: „Bis hierher und nicht weiter." Aber wir meinen, daß das Tempo verringert werden muß, und zwar nicht aus Kostengründen, sondern vor allem im Interesse unserer Landschaft.
Die FDP bedankt sich bei der Bundesregierung für die Vorlage des Gesetzentwurfs und bietet eine kritisch-konstruktive Mitarbeit bei den weiteren Beratungen an.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 8/ 3662 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen vor, zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen sowie nach einer interfraktionellen Vereinbarung zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. - Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 bis 20 auf - es handelt sich um zur ersten Beratung vorgelegte Gesetzentwürfe -:
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll Nr. 2 vom 17. Oktober 1979 zu der am 17. Oktober 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschifffahrtsakte
- Drucksache 8/3748 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll Nr. 3 vom 17. Oktober 1979 zu der am 17. Oktober 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschifffahrtsakte
- Drucksache 8/3749 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. Dezember 1979 zur Änderung des Vertrages vom 11. September 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten
- Drucksache 8/3746 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mauritius zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Förderung des Handels und der Investitionstätigkeit zwischen den beiden Staaten
- Drucksache 8/3747 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({0})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksache 8/3785 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes
- Drucksache 8/3750 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Verteidigungsausschuß ({1})
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß f 96 GO
19. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge
- Drucksache 8/3752 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({2})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß gemäß $ 96 GO
20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes
- Drucksache 8/3766 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3})
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/3748, 8/3749, 8/3746, 8/3747, 8/3785, 8/3750, 8/3752 und 8/3766 an die zuständigen Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 21 auf - es sind noch fünf Tagesordnungspunkte, meine Damen und Herren! -:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
Förderung der Menschenrechtserziehung
- Drucksache 8/3751 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({4}) Auswärtiger Ausschuß
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des interfraktionellen Antrags auf Drucksache 8/3751 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, vor. Ist das Haus mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({5}) zur Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker UNESCO-Empfehlung über die Fortentwicklung der Weiterbildung
- Drucksachen 8/1130, 8/3763 Berichterstatter: Abgeordneter Wüster
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Anderweitig wird das Wort auch nicht gewünscht.
Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/3763, die UNESCO-Empfehlung über die Fortentwicklung der Weiterbildung auf der Drucksache 8/ 1130 zur Kenntnis zu nehmen. - Ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß das Haus Kenntnis genommen hat.
Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 64 des Petitionsausschusses ({6}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 8/3768 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf der Drucksache 8/3768, die in der Sammelübersicht 64 enthaltenen Anträge des Petitionsausschusses anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Petitonsausschusses ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({7})
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
- Drucksache 8/3770 Berichterstatter:
Abgeordneter Wimmer ({8})
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Anderweitig wird das Wort auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf der Drucksache 8/3770 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) zu der
Aufhebbaren Vierundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Aufhebbaren Vierzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Aufhebbaren Dreiundsiebzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Aufhebbaren Vierundsiebzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -- Drucksachen 8/3540, 8/3539, 8/3519, 8/3544, 8/3787 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Das Wort wird nicht gewünscht. Es handelt sich um einen Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, von dem das Haus nur Kenntnis zu nehmen braucht, wenn nicht Anträge aus der Mitte des Hauses gestellt werden. - Anträge liegen nicht vor. Ich stelle fest, daß das Haus von dem Bericht auf der Drucksache 8/3787 Kenntnis genommen hat.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der heutige Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 21. März, 8. Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.