Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mitteilungen zu machen.
Am 21. Februar 1980 hat der Abgeordnete Lücker seinen 65. Geburtstag gefeiert. Meine herzlichen Glückwünsche!
({0})
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 26. Februar 1980 mitgeteilt, daß die Bundesregierung beschlossen hat, zu dem Gesetz über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung ({1}) - Drucksachen 8/2516, 8/3412, 8/3601 - zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3697 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 13. Februar 1980 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit die Kleine Anfrage der Abgeordneten Prangenberg, Frau Dr. Wilms, Pfeifer, Rühe, Schedl, Daweke, Frau Benedix-Engler, Dr. Hornhues, Frau Krone-Appuhn, Dr. Müller, Berger ({2}), Voigt ({3}), Frau Dr. Wisniewski, Dr. George, Kroll-Schlüter, Frau Karwatzki, Horstmeier, Lampersbach und der Fraktion der CDU/CSU betr. Berufsausbildungsabgabe - Drucksache 8/3632 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3689 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 25. Februar 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hammans, Hasinger, Stutzer, Burger, Frau Dr. Neumeister, Dr. Becker ({4}), Braun, Frau Karwatzki, Frau Männle, Frau Geier, Frau Dr. Wex, Bühler ({5}), Dr. George, Frau Hürland, Höpfinger, Dr. Blüm, Kunz ({6}), Müller ({7}), Dr. Laufs, Dr. Riedl ({8}), Kiechle, Spilker und der Fraktion der CDU/CSU betr. Durchführung von Tierversuchen bei Arzneimitteln und Chemikalien - Drucksache 8/3627 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3700 verteilt.
Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat mit Schreiben vom 25. Februar 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hauser ({9}), Dr. Zeitel, Engelsberger, Sick, Dr. Waigel, Lampersbach, Schröder ({10}), Frau Hoffmann ({11}), Dr. Köhler ({12}), Landré, Dr. Jobst, Dr. Schwörer, Müller ({13}), Kolb, Sauter ({14}), Dr. Waffenschmidt, Susset, Neuhaus, Dr. Jahn ({15}), Pohlmann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Privatisierung von Planungsaufgaben der öffentlichen Hand - Drucksache 8/3678 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3714 verteilt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 19. Februar 1980 unter Bezugnahme auf f 17 Abs. 5 Postverwaltungsgesetz den Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1980 übersandt. Der Voranschlag liegt im Archiv zur Kenntnisnahme aus.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Punkte 11 und 12 der Tagesordnung - Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung von Sprecherausschüssen für Leitende Angestellte und Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des Asylverfahrens - abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Mit Brief von gestern hat der Staatsminister beim Bundeskanzler mitgeteilt, daß der Herr Bundeskanzler zu Beginn dieser Plenarsitzung eine Regierungserklärung abzugeben beabsichtigt.
({16})
Da kein Thema angegeben ist, unterstelle ich, daß sich diese Regierungserklärung natürlich mit der internationalen Lage befassen wird, und deshalb frage ich die CDU/CSU-Fraktion, ob sie ihren Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung um eine Aussprache über die internationale Lage aufrechterhält.
({17})
- Gut.
({18})
Dann können wir mit der Regierungserklärung beginnen.
({19})
- Sie bemerken, daß ich das mit Verzögerung ausgesprochen habe, damit wir dem Herrn Bundeskanzler die Möglichkeit geben, rechtzeitig zu beginnen.
Das Wort zur
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler.
Schönen Dank für Ihr Filibustern, Herr Präsident! - Meine Damen und Herren, der Bundestagspräsident hat vorgestern nachmittag die Bundesregierung davon unterrichtet, daß der Bundestag die heutige Aussprache über die internationale Lage wünsche. Dazu liegt keine Große Anfrage und auch kein Antrag vor. Insofern möchte ich feststellen, daß es sich um ein ungewöhnliches Verfahren handelt.
({0})
Aber die Herren von der Opposition, die schon beim zweiten Satz ihre Zwischenrufe nicht unterdrücken können,
({1})
irren sich, wenn sie in den letzten Tagen zu verstehen gegeben haben, daß die Bundesregierung eine Debatte scheue. Das ist ein Irrtum. Wir sind jederzeit bereit, hier unsere Politik zu vertreten; nur hatten wir in den letzten Wochen von Ihnen gehört, daß Sie eine Debatte nicht wünschten, weil Ihre Auffassungen - öffentlich hörbar und lesbar - in einige Unordnung geraten waren.
({2})
Aber wir sind gern bereit, die Lücken zu füllen, die Sie gelassen haben oder reißen,
({3})
und wir sind gern bereit, diese Debatte mit einer erneuten Darlegung der auch Ihnen bekannten Haltung der Bundesregierung einzuleiten.
Die Ihnen bekannte Haltung der Bundesregierung ist hier vor dem Parlament am 17. Januar vom Bundeskanzler und vom Bundesaußenminister dargelegt worden, und ich lege Wert auf die Feststellung, daß diese vor sechs Wochen abgegebenen Erklärungen weiterhin gelten.
Inzwischen sind allerdings einige wichtige Elemente oder Bausteine für eine gemeinsame westliche Haltung hinzugekommen. Zum Beispiel habe ich mich wiederholt und intensiv mit dem französischen Staatspräsidenten und mit der britischen Premierministerin beraten. Mit dem Präsidenten der westlichen Führungsmacht, mit dem ich seit Beginn der Krise in einem engen Gedankenaustausch stehe, werde ich in der kommenden Woche zu einem seit langer Zeit geplanten Treffen zusammenkommen. Sicherlich kann ich hier, meine Damen und Herren, wie jedenfalls jedem international erfahrenen Politiker klar ist, nicht auf alle Einzelheiten dieser intensiven Konsultationen und Beratungen mit den Freunden, mit den Verbündeten eingehen, insbesondere nicht hinsichtlich der erst nächste Woche in Washington stattfindenden Beratungen und Verhandlungen.
Aber ich möchte doch mit dieser Erklärung heute morgen, so wie schon in den letzten Wochen mit vielen öffentlichen Äußerungen, jene klare politische Linie fortschreiben, welche die Haltung der Bundesregierung in der gegenwärtigen internationalen Krisensituation bestimmt. Die beiden Erklärungen, die am 17. Januar von mir und von Bundesminister Genscher vor dem Bundestag abgegeben worden sind, haben sich inzwischen als Darlegung der Leitlinien unserer Politik voll bewährt. Hinzu kommt die deutsch-französische Erklärung vom 5. Februar. Der französische Staatspräsident betrachtet sie ebenso wie ich als ein bedeutsames Dokument für die deutsche und die französische Außenpolitik. Diese Erklärung ist gleichzeitig ein gewichtiger gemeinsamer Beitrag zu einer überzeugenden politischen Antwort des Westens insgesamt auf die sowjetische Herausforderung in Afghanistan.
Aus diesen drei Dokumenten, in denen unsere Politik niedergelegt ist, rufe ich Ihnen einige wesentliche Elemente in Erinnerung.
Zum einen: Mit der großen Mehrheit der Völker der Welt verurteilen wir den Bruch des Völkerrechts in Afghanistan und fordern die unverzügliche Beendigung der sowjetischen Militärintervention.
Zum anderen: Für Entspannung und Frieden ist Gleichgewicht der militärischen Kräfte eine entscheidende, eine unabdingbare Voraussetzung. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, das Gleichgewicht wiederherzustellen und vor neuen Erschütterungen zu sichern.
Die Politik der Zusammenarbeit mit dem Osten hat einen Rückschlag erlitten. Wir bemühen uns, mit unseren Verbündeten gemeinsam das Erreichte zu wahren und es vor allem im Bereich der Rüstungskontrollpolitik fortzusetzen.
Die Unabhängigkeit der Dritten Welt und die eigenständige Rolle der blockfreien Länder sind wesentliche Faktoren des Friedens, wesentliche Faktoren der Stabilität in der Welt. Wir werden sie achten, und wir werden sie nach Kräften unterstützen.
In schwierigen Zeiten muß man miteinander reden. Die Gefahren der gegenwärtigen Lage können nur durch sorgfältig überlegende Konfliktbeherrschung begrenzt werden. Allerdings haben die Bemühungen zur Überwindung der Krise nur dann einen Sinn, wenn auch die Sowjetunion diesen Willen hat, den Willen hat, darauf einzugehen, und diesen Willen bekundet.
Schließlich aus diesen drei vorgenannten Dokumenten auch jenes Element: Kein Volk hat ein größeres nationales Interesse an Gleichgewichts- und Entspannungspolitik als das deutsche Volk, das gezwungen ist, in zwei verschiedenen Staaten zu leben.
({4})
Damit habe ich Ihnen einige der wenigen Punkte in Erinnerung gerufen aus den drei vorgenannten Dokumenten, von denen ich sage: Sie gelten zur Gänze fort.
Die Bundesregierung hat stets die Meinung vertreten - und sie bleibt auch in Zukunft dabei -, daß es uns nur im Rahmen eines westlichen Gesamtkonzepts gelingen kann, angemessene Antworten auf die sowjetische Intervention in Afghanistan zu finden. Es geht um den Rückzug der sowjetischen Interventionsstreitkräfte in jenem Land. Es gilt, in jener Region das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen, und es gilt zu verhindern, daß es an anderen Stellen erneut schwer oder mit noch schwereren Folgen gestört wird. Es geht schließlich darum, daß die Krise nicht weiter eskaliert, sondern daß aus der Krise ein gangbarer Ausweg gefunden wird. Um überzeugende Antworten auf diese Fragen zu finden, muß sich der Westen in der Tat klar sein über seine Ziele, über seine Interessen.
Bei alledem wird man sich nicht der Illusion hingeben dürfen, als sei die gegenwärtige Krise nur
eine Angelegenheit von heute oder morgen, sondern die Intervention in Afghanistan ist ein Ereignis mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Welt.
Nun war es die Zielsetzung der deutsch-französischen Erklärung, Elemente für ein gemeinsames Handeln des Westens zu erarbeiten. Sie enthält, wie Sie sich erinnern, ein klares gemeinsames Bekenntnis zum Atlantischen Bündnis.
Auch in dieser Krise hat die außenpolitische Zusammenarbeit der neun EG-Staaten, in den Zeitungen neuerdings häufig abgekürzt mit den drei Buchstaben EPZ - heißt: Europäische Politische Zusammenarbeit -, dazu beigetragen, der Stimme der Westeuropäer im Kreise der westlichen Verbündeten Gewicht und Gehör zu verschaffen. Mit ihrem Vorschlag z. B. für ein blockfreies oder neutrales, sein Schicksal selbst bestimmendes Afghanistan haben die neun Außenminister der EG eine konstruktive Vorstellung entwickelt, um das Kernproblem der Krise, die fortdauernde sowjetische Militärintervention in Afghanistan, anzupacken.
Wir stehen bei all diesen Arbeiten und Konsultationen - und wir standen bisher; wir stehen auch in Zukunft - in dauerndem engen Kontakt mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Der wichtige und angenehme Besuch des amerikanischen Außenministers in der letzten Woche hier bei uns und in anderen europäischen Hauptstädten hat uns gezeigt, welche Fortschritte wir in den letzten Wochen bei der Erarbeitung einer gemeinsamen westlichen Haltung gemacht haben.
Wir sind uns darüber einig, daß nicht alle Mitglieder der Allianz, nicht alle Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft der sowjetischen Herausforderung in identischer Weise zu begegnen haben, sondern wir wollen arbeitsteilig vorgehen. Das heißt, daß sich jeder von uns auf dem Hintergrunde gemeinsamer Ziele und übereinstimmender Interessen auf diejenigen Beiträge konzentriert, zu denen er besonders berufen oder befähigt ist.
Präsident Carter, mit dem ich seit Ausbruch dieser Doppelkrise in einem engen Meinungsaustausch stehe, telefonisch, schriftlich, hat in seinem letzten Brief die Bedeutung eines arbeitsteiligen, eines komplementären Vorgehens der westlichen Verbündeten ausdrücklich noch einmal unterstrichen. Ich bin sicher, daß wir bei unseren Gesprächen in der Mitte der nächsten Woche in Washington weitere Schritte auf dem Wege zu einer glaubwürdigen gemeinsamen westlichen Politik tun werden.
Der Besuch in Washington wird mir auch Gelegenheit geben, dem Präsidenten gegenüber persönlich zu sagen, zu wiederholen, was ich öffentlich viele Male zum Ausdruck brachte: nämlich wie sehr wir von dem Mut und von der Geduld und von der bewundernswerten Disziplin beeindruckt sind, welche die amerikanische Nation, geführt von ihrem Präsidenten, in der Krise um die Geiselnahme in Teheran gezeigt hat.
({5})
Gerade weil wir alle selbst mehrfach schwer an der
politischen Mitverantwortung für das Leben von
Geiseln getragen haben, möchte ich dem Präsidenten meine Bewunderung für eine außerordentliche staatsmännische Leistung zum Ausdruck bringen.
({6})
Ich denke, in diesem Zusammenhang auch im Namen der Opposition zu sprechen, wenn ich an dieser Stelle für den Bundestag, für uns alle - die Bundesregierung eingeschlossen - den dringenden Appell an die Regierung des Iran richte, die Geiseln jetzt endlich freizulassen.
({7})
Ich rufe in Ihre Erinnerung, daß wir bei allen Schritten, welche die Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber Teheran ergriffen oder erwogen haben, mehrfach unseren Ratschlag haben einfließen lassen, daß wir stets bereit waren, gleiche Schritte zu ergreifen.
Ähnliches gilt im Prinzip auch gegenüber der Sowjetunion in der Afghanistankrise. Ich will hier erwähnen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Handel mit der Sowjetunion nicht durch staatliche Kredite, nicht durch Zinssubventionen fördert, wie das ja von der großen Mehrheit der westlichen Industriestaaten geschieht. Bei uns wird nicht subventioniert. Es gibt auch keine Staatskredite. Bei uns müssen die Marktzinsen der privaten Banken gezahlt werden. Die Bürgschaften für Exportkredite, die wir gewähren, sind auch nicht kostenlos, sondern haben vielmehr dem Finanzminister im Laufe der Jahre zu staatlichen, man könnte auch sagen, zu stattlichen Einnahmen verholfen. Für unser Verhalten in der gegenwärtigen Krise gilt, daß wir nicht in Geschäfte einsteigen, die von den Vereinigten Staaten von Amerika aufgegeben werden, daß wir schon jetzt ebenso wie unsere EG-Partner nicht in die von den Vereinigten Staaten geschaffenen Lücken - etwa im Bereich der Landwirtschaft oder der Computertechnik - eindringen. Wir sind bereit, uns an einer Verschärfung der COCOM-Regeln für die Ausfuhr strategisch wichtiger Güter zu beteiligen. Dies gilt für uns - was diesen Bereich, aber ebenso alle anderen Bereiche angeht - unter dem Grundsatz - und der gilt wiederum nicht für den Osten -, daß wir bestehende Verträge einhalten werden. Dies entspricht übrigens nicht nur einem moralischen Gebot, nicht nur einem rechtlichen Gebot, sondern auch einem politischen Gebot; denn wir wollen ja auch, daß die uns gegenüber geschlossenen Verträge zu unseren Gunsten eingehalten werden.
({8})
Diese Haltung wird von den Vereinigten Staaten von Amerika geteilt.
Ich komme auf das etwas engere Feld der Exporte zurück. Die Bundesregierung bewegt sich hier im Rahmen des sogenannten OECD-Consensus. Das sind die Übereinstimmungen, die im Rahmen der Organisation der Industriestaaten der Welt erarbeitet worden sind. Wir sind bereit, uns einem Maßnahmenkatalog anzuschließen, wie ihn die amerikanische Regierung vorschlagen wird oder schon
vorgeschlagen hat, wenn auch unsere Verbündeten, unsere übrigen Partner entsprechend handeln, d. h. wenn solche Maßnahmen nicht unterlaufen werden können.
Natürlich werden wir bei der Entscheidung über unsere zukünftige Handelspolitik einschließlich der Bürgschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion zu bedenken haben: Unsere Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion wurden in jahrelanger Zusammenarbeit aufgebaut, und zwar auch - und zunächst und primär - aus politischen Gründen. Wir liefern überwiegend Erzeugnisse unseres ausgezeichneten Maschinenbaus. Wir liefern überwiegend Investitionsgüter. Ein Abbruch solcher Lieferbeziehungen - einen Abbruch wünschen auch unsere amerikanischen Partner nicht; da müssen sich einige deutsche Journalisten verhört haben - ließe sich erst nach einer Reihe von Jahren wieder korrigieren. Ich weise darauf hin, daß diese, zunächst aus politischen Gründen aufgebaute, wirtschaftliche Zusammenarbeit jedenfalls für unsere industrielle Beschäftigung, für unsere eigene Volkswirtschaft inzwischen einen erheblichen, einen bedeutenden Beitrag darstellt; sehr viel bedeutender als etwa vergleichbare Wirtschaftsaustauschsprozesse anderer Länder, die über dasselbe Problem nachdenken oder darüber sprechen.
Zur Frage der Teilnahme an den olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau ist die Bundesregierung auch heute noch der Meinung, daß es an der Sowjetunion liegt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Mannschaften aus allen Ländern an diesen Spielen teilnehmen können. Diese Voraussetzungen sind gegenwärtig nicht gegeben; vielleicht sollte man auch formulieren: noch nicht gegeben.
Nach den Regeln des Internationalen Olympischen Komitees haben die Nationalen Olympischen Komitees bis Ende Mai Zeit, sich zu den Spielen anzumelden. Ich gehe davon aus, daß die europäische und die amerikanische Haltung spätestens zu diesem eben von mir genannten Zeitpunkt in eins zusammengeflossen sein wird. Ich setze in dem Zusammenhang hinzu: Ich möchte wegen der Sommerspiele 1980 keinem Wunschdenken Vorschub leisten.
({9})
Langfristig gesehen muß es ein Ziel der westlichen Politik sein, ein stabiles Gleichgewicht der Kräfte herzustellen und zu bewahren. Ich wiederhole dieses Kernprinzip, von dem schon die Rede war. Nun haben wir innerhalb des Nordatlantischen Bündnisses über die Jahre gleichbleibend einen unserer Leistungsfähigkeit angemessenen militärischen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts geleistet. Die Stärke, die Ausbildung, die Ausrüstung, die Motivation unserer Streitkräfte halten jedem internationalen Vergleich stand. Das wird auch so bleiben.
({10})
Dabei sind unsere Verteidigungsaufwendungen nach den gemeinsamen NATO-Kriterien über das ganze letzte Jahrzehnt jedes Jahr im Durchschnitt real um fast genau 3 % angewachsen, d. h. lange bevor im Frühjahr 1978 im Nordatlantikrat eine solche Bemühensklausel beschlossen worden war. Der Anteil der militärischen Beschaffungen, also der investive Anteil, hatte sogar stets einen noch höheren Steigerungswert.
Ungeachtet dieses hohen Standes unseres Verteidigungsbeitrags und der Steigerung, die er erfahren hat, habe ich dem amerikanischen Außenminister Cyrus Vance bei seinem kürzlichen Besuch mitgeteilt, daß wir die Absicht haben, unseren Verteidigungshaushalt auch 1980 real um 3 % zu erhöhen. Daran werden natürlich die von uns beabsichtigten und die angesichts 'der gegenwärtigen weltpolitischen Situation unabweisbaren zusätzlichen militärischen Anstrengungen für die Türkei, aber auch für Griechenland, ihren Anteil haben.
Wir haben, wie ich an dieser Stelle erwähnen will, mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die beiden Anlieger der EG jetzt eine befriedigende Lösung für die Frage der Luftzufahrtswege nach über sechs Jahren des Konflikts gefunden haben.
Abschließend möchte ich meinen Bemerkungen zu den Verteidigungshaushalten ein Wort hinzufügen: Verteidigungsbereitschaft ist zunächst eine Angelegenheit von Männern und erst in zweiter Hinsicht eine Angelegenheit des Geldes.
({11})
Daß es ohne Geld auch nicht geht, wissen wir auch; sonst wären wir das ganze Jahrzehnt mit den Verteidigungsausgaben nicht so verfahren, wie ich Ihnen das eben vorgetragen habe.
({12})
Aber es ist in erster Hinsicht eine Angelegenheit von Männern, von Soldaten, von ihren militärischen Führern und von der politischen Leitung, von der sie eingesetzt werden.
({13})
- Nur nicht in Ihrem Fall, Herr Haase!
Zur Türkei zurückkehrend: Wir haben in der Bundesregierung aus eigenem Entschluß und ohne deswegen auf internationale Koordination oder Konsultationen zu warten, die Initiative zu einer koordinierten, umfassenden Hilfsaktion für die Türkei ergriffen. Wir werden unsere Freunde und unsere Verbündeten' nachdrücklich darum bitten, sich an dieser von uns in Gang gesetzten und angesichts der internationalen Lage dringend notwendigen Hilfe für die Türkei - ich rede jetzt nicht nur von militärischer Hilfe, sondern auch von Wirtschaftshilfe - angemessen zu beteiligen.
Schon in den vergangenen Jahren haben wir der Türkei jedes Jahr mit Wirtschafts- und Verteidigungshilfe zur Seite gestanden. Wir haben das auch nie unterbrochen. Wir haben darüber hinaus bereits im letzten Jahr eine außerordentliche zusätzliche Anstrengung auf wirtschaftlichem Gebiet unternommen: und zwar als der Ingangsetzer, als der BeBundeskanzler Schmidt
treiber einer innerhalb der OECD koordinierten Hilfsaktion, d. h. einer von der Organisation der Industriestaaten der Welt koordinierten Hilfsaktion. Wir haben unsere deutschen Leistungen sehr rasch erbracht, als erste. Manche haben sich zu Leistungen im Jahre 1979 verpflichtet, die jetzt, nachdem zwei Monate des Jahres 1980 vergangen sind, leider noch immer nicht erbracht sind.
Wir halten also auch 1980 ein solches außerordentliches Hilfsprogramm für die Türkei auf Wirtschaftlichem Gebiet wie auf dem Verteidigungsgebiet für notwendig. Deshalb haben wir im Vorgriff auf das, was wir jetzt in Gang gesetzt haben, auf Bitten der türkischen Regierung - übrigens mit Unterstützung des Bundestages - in kürzester Frist 100 Millionen DM zur Überbrückung bereitgestellt.
Bundesminister Matthöfer hat gestern im Kabinett, im Bundessicherheitsrat, ausführlich über seine jüngsten Gespräche in Athen und Ankara berichtet. Ebenso wie die Bundesminister Genscher und Apel wird Herr Matthöfer die intensiven Bemühungen der Bundesregierung, auch andere Geberländer für diese Hilfsaktion zu gewinnen, fortführen; zunächst in Washington, dann in Tokio, aber auch im Rahmen der OECD und im Rahmen der NATO. Es ist eine Hilfsaktion, die nach unserer festen Vorstellung nicht auf das Jahr 1980 beschränkt bleiben soll.
Im Zusammenhang der Hilfe für andere füge ich ein Wort zur Unabhängigkeit der Länder der Dritten Welt an, die ein wesentliches Element des Kräftegleichgewichts, ein wesentliches Element des Weltfriedens ist. Die Unabhängigkeit der Länder der Dritten Welt ist durch die Besetzung Afghanistans verletzt worden. Die Staaten der Dritten Welt haben durch ihre eigene Stimmabgabe in den Vereinten Nationen am 14. Januar 1980 klar zu erkennen gegeben, daß in erster Linie s i e sich vom sowjetischen Vorgehen in Afghanistan betroffen fühlen. Das haben dann später über 40 islamische Staaten in Islamabad noch klarer zum Ausdruck gebracht. Vielleicht sollte man sich, wenn von der Konferenz von Islamabad die Rede ist, einmal vorstellen, daß es mehr als 40 islamische Staaten auf der Welt gibt - das ist mehr als ein Viertel aller Staaten der Welt -, die sich dort zu gemeinsamer Beschlußfassung zusammengefunden haben.
Für die gemeinsame Politik des Westens ist daraus der Schluß zu ziehen, daß wir die Unabhängigkeit und die Eigenständigkeit der Staaten der Dritten Welt nicht nur anerkennen, sondern daß wir wirtschaftlich und politisch in gleichberechtigter Partnerschaft helfen . müssen, sie zu stabilisieren. Auf Grund unserer eigenen guten Erfahrungen mit regionaler Zusammenarbeit ermutigen wir regionale Zusammenschlüsse in der Dritten Welt, die gerade für kleinere Länder, die nicht durch ein militärisches Bündnis geschützt sind, ein hervorragendes Mittel zur Stärkung ihrer Unabhängigkeit sein können. Mit diesen regionalen Zusammenschlüssen wollen wir nach den soeben genannten Grundsätzen unsererseits zusammenarbeiten, kooperieren. Als Beispiel will ich die seit längerem bestehende und inzwischen sich auch politisch verfestigende Zusammenarbeit der Europäischen Gemeinschaft mit der südostasiatischen Staatengruppe ASEAN nennen.
Dies sind für die Bundesregierung keine neuen Erkenntnisse, sondern sie ist sich seit vielen Jahren bewußt - es hat darüber hinsichtlich des südlichen Teils von Afrika bisweilen auch Streit in diesem Haus darüber gegeben -: Nur wer die Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt achtet und unterstützt, nur wer jeglichen Gedanken an Vorherrschaft, an Einflußzonen oder an Neokolonialismus eine Absage erteilt, nur der darf erwarten, das Vertrauen und das Ansehen dieser Länder zu gewinnen.
({14})
In dem Zusammenhang möchte ich ein Wort zu Pakistan sagen. Wir sind bereit, an zusätzlichen Anstrengungen für Wirtschaftshilfe zugunsten Pakistans mitzuwirken. Ich erinnere mich, hier schon am 17. Januar 1980 dargelegt zu haben, wie sehr Pakistan und Indien seit Jahr und Tag als Empfänger unserer Entwicklungshilfe herausragen. Wir haben also schon früher erhebliche Hilfe an Pakistan gegeben. Wir werden auch jetzt einen erheblichen Beitrag zur wirtschaftlichen Stärkung des Landes leisten.
Diese notwendige Hilfe für Pakistan muß aber auch in ihrer Wirkung auf dessen Nachbarland Indien gesehen werden.
({15})
Indien ist berufen, in der Bewegung der blockfreien Staaten eine bedeutende Rolle zu spielen, und die Bundesregierung ist sich dieser Tatsache bewußt und wird ihr Rechnung tragen.
An dieser Stelle erscheint es mir angebracht, daran zu erinnern, daß das Nahostproblem im Lichte der Entwicklung rund um den Persischen Golf dringender denn jemals vorher einer Lösung bedarf. Wer das nicht erkennt, den möchte ich daran erinnern, daß die islamischen Außenminister in Islamabad Ende Januar in Wirklichkeit nicht nur eine, sondern vielmehr zwei Entschließungen gefaßt haben, die von Saudi-Arabien und Irak gemeinsam initiiert wurden. Nun die erste dieser beiden Entschließungen betraf Afghanistan und die Sowjetunion. Im Mittelpunkt der zweiten Entschließung - die eine wäre ohne die andere politisch nicht möglich gewesen - steht die nachdrücklich formulierte Forderung nach einer Lösung des Nahost-Problems. Das schließt die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes ebenso ein wie die Anerkennung und Sicherung des Existenzrechts Israels durch alle Araber.
({16})
Ich muß hinzufügen: Die Erhaltung der Stabilität und des Friedens im Nahen Osten - mit Ausstrahlungen auf den Mittleren Osten, mit Ausstrahlungen auf die ganze Welt, bis zu uns - entspricht auch einem wichtigen deutschen Interesse. Deswegen müssen wir an einer Regelung des Nahost-Problems
selber interessiert sein; ja, wir sind unmittelbar interessiert.
({17})
Wir haben für den Ausbau der Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Golf-Staaten Vorschläge gemacht, die dazu geführt haben, daß jetzt Sondierungen in Gang gesetzt worden sind, die parallel zu unserem fortgesetzten Interesse an der Weiterführung des europäisch-arabischen Dialogs laufen. Uns kommt es darauf an, den arabischen Staaten zu verdeutlichen, daß Europa für sie ein interessanter Partner der Zusammenarbeit ist.
In unserer auf Gleichgewicht und Stabilisierung ausgerichteten Friedenspolitik nehmen natürlich auch die Beziehungen zu Jugoslawien, das in der Bewegung der blockfreien Staaten eine führende Rolle spielt, einen hohen Rang ein. Wir sind sehr befriedigt darüber, daß die gerade von uns nachdrücklich geforderten Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen der Gemeinschaft mit Jugoslawien jetzt, vor zwei, drei Tagen, mit der Paraphierung des Abkommens erfolgreich abgeschlossen wurden.
Ich möchte an dieser Stelle unser Gefühl der Anteilnahme und unser Gefühl des Respekts für den schwer erkrankten Staatspräsidenten Tito zum Ausdruck bringen, in dem wir einen der großen Staatsmänner unserer Zeit erkennen.
({18})
Ich darf hinzufügen, daß wir der Zukunft seines Landes mit Zuversicht entgegensehen. Ich halte auch die äußere Sicherheit seines Landes für ungefährdet.
({19})
Meine Damen und Herren, zur Krisenbewältigung gehört auch, daß man nicht leichtfertig zuläßt, daß die Verbindungen zu den Staaten Osteuropas abreißen.
({20})
Auch in schwierigen Zeiten müssen wir mit unseren Nachbarn in Osteuropa sprechen; das gilt natürlich in besonderem Maße für die beiden deutschen, Staaten. Wir streben weiterhin eine Verbesserung unseres Verhältnisses zur Deutschen Demokratischen Republik an, um trotz der fortbestehenden Teilung weitere Erleichterungen für die Menschen auf allen Seiten zu erreichen. Wie Sie wissen, wird hierüber verhandelt. Es geht um die Ausfüllung der Absichtserklärungen aus dem Jahre 1978. Ich darf mit Genugtuung sagen, daß diese Gespräche auf gutem, auf recht gutem Wege sind.
({21})
- Es handelt sich um Millionenbeträge, in der Tat. Vielleicht haben Sie es, als Sie Ihre Frage stellten, mit Milliarden verwechselt.
({22})
Hinsichtlich der Rüstungsbegrenzung sind wir uns mit unseren Bündnispartnern darin einig, daß Erreichtes erhalten werden muß. Dies gilt besonders für die Abkommen über strategische Rüstungsbegrenzung, d. h. über die Begrenzung der strategischen Vernichtungswaffen, SALT I und SALT II. Es gilt auch für die MBFR-Verhandlungen in Wien. Es gilt auch für die Bemühungen um Rüstungsbegrenzung im Rahmen der Vereinten Nationen.
Ich will noch mal unterstreichen, was Präsident Carter zu SALT gesagt hat, nämlich daß die Einhaltung der Begrenzungen von SALT I und SALT II im wahren Interesse der Vereinigten Staaten und im wahren Interesse der Sowjetunion liegt und dazu beiträgt, den Frieden in der Welt zu bewahren.
Es gibt Anzeichen dafür, daß die Sowjetunion dies ähnlich beurteilt. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch die Führung der Sowjetunion ihr Festhalten an SALT II - selbst wenn noch nicht ratifiziert - in ähnlich klarer Weise zum Ausdruck bringen würde, wie es der amerikanische Präsident getan hat.
({23})
Die Aufgabe der Rüstungsbegrenzung ist ja eine Teilaufgabe zur Erreichung des Ziels, den Frieden zu bewahren. Zur Erreichung des Ziels, den Frieden zu bewahren, habe ich in den letzten Wochen immer wieder ein Element der Krisenbeherrschung oder der Konfliktbeherrschung betont, nämlich: Die Konfliktparteien müssen miteinander in Kontakt bleiben; sie müssen bereit sein, miteinander zu sprechen, damit nicht aus Unkenntnis oder Mißverstehen oder Fehlinterpretation des Handelns oder des Unterlassens der anderen Seite die Lage verschärft wird.
({24}).
In diesem Sinn hat sich die Bundesrepublik Deutschland mehrfach, nein: vielfach eingesetzt. In diesem Zusammenhang steht auch mein Brief an den sowjetischen Generalsekretär Breschnew.
({25})
Nicht zuletzt das eigene Interesse an der Erhaltung des Friedens hat inzwischen die beiden Weltmächte dazu geführt, daß das Gespräch zwischen Washington und Moskau auf sehr vielen Ebenen wieder in Gang gekommen ist. Es hat im Lauf der letzten zehn oder zwölf Wochen immer wieder mal Spekulationen darüber gegeben, ob wir uns zutrauten, in dem Zusammenhang eine besondere Rolle zu spielen. Ich will in diesem Zusammenhang aus einem „Spiegel"-Interview zitieren. Es ist eine der vielen Fundstellen meiner öffentlichen Äußerungen in den vergangenen Wochen und Monaten zu diesem Thema.
({26})
- Sie stehen Ihnen zur Verfügung.
({27})
Dort habe ich gesagt: „Die beiden Weltmächte bedürfen, um miteinander zu reden, nicht der guten
Dienste der Bundesrepublik Deutschland, und der Herr Breschnew und der Herr Carter bedürfen nicht der Dienste des deutschen Bundeskanzlers, wenn sie miteinander reden wollen.''
({28})
- Meine Damen und Herren, ich bin es ja gewohnt, daß Sie Regierungserklärungen schon mit Polemik begleiten. Gleich wird Herr Kohl mit ungeheurer Polemik antworten. Ich kann notfalls auch in einer Regierungserklärung an Ihre Adresse zurückpolemisieren. Nur glaube ich nicht, daß der Stil des Hauses davon einen Gewinn haben würde.
({29})
Es sind seit Beginn meiner Ausführungen keine fünf Minuten vergangen, in denen nicht Herr Kohl und seine Nachbarn Witze miteinander ausgetauscht haben. Das sollte nicht Ihr Stil sein!
({30})
Ich kehre zu dem Zitat
({31})
zurück: „Herr Breschnew und Herr Carter bedürfen nicht der Dienste des deutschen Bundeskanzlers, wenn sie miteinander reden wollen. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Zünglein an der Waage. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Bestandteil, ein wichtiger, ein nicht wegdenkbarer Bestandteil des westlichen Bündnisses. Und an anderer Stelle habe ich gesagt: Wir sind nicht Vermittler, wir sind Partei, wir sind Teil einer Partei.
Zur Konfliktbeherrschung gehört auch, daß man darauf achtet, zuhört, was die andere Seite sagt, daß man das, was die andere Seite sagt, vorurteilslos und sorgfältig prüft. Deswegen habe ich mich dafür eingesetzt, daß herausgefühlt, herausgelotet, untersucht wird, was der polnische Erste Sekretär, Herr Gierek, auf dem Parteitag über Abrüstung in Europa gesagt und was er damit gemeint hat; daß ausgelotet wird, was der sowjetische Generalsekretär Breschnew vor wenigen Tagen in seiner Rede über die sowjetischen Absichten in Afghanistan gesagt und was er damit gemeint hat oder gemeint haben könnte.
Zur Krisenbeherrschung ist ebenso wichtig, daß man selbst als Konfliktbeteiligter berechenbar und in seinem eigenen Verhalten verläßlich bleibt. Das erfordert keine scharfe Sprache, es erfordert eine klare Sprache. Es erfordert auch - wie schon gesagt -, daß man zu seinen eigenen Abmachungen steht, zu seinen eigenen Verträgen. Deshalb halten wir ja fest an allen unseren Verträgen und Abmachungen mit den Ländern Osteuropas, halten wir fest am Viermächteabkommen über Berlin.
Wir begrüßen es, daß die beiden Weltmächte ihre Zusammenarbeit nicht nur auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle fortsetzen, sondern daß die beiden Weltmächte in diesen Tagen auch ihre Interesse erklärt haben an einer Fortsetzung des KSZE-Prozesses von Helsinki 1975 bis Madrid 1980 und, ich nehme an, darüber hinaus. Wir begrüßen das. Wir würden es für eine schwere weitere Zuspitzung der Spannungen in der Welt halten müssen, wenn alle diese Arten von Konferenzen, von Prozessen, unterbrochen oder abgebrochen würden. Wir sind sehr zufrieden damit, daß wir in unserer Heimat, in meiner eigenen Stadt Hamburg, gegenwärtig Gastgeber sind für eines der vielen vorbereitenden Treffen im Rahmen dieses KSZE-Prozesses.
Ich fasse zusammen: Erstens. Die Aufgabe der Politik in der gegenwärtigen internationalen Krise ist es, den Frieden zu wahren. Unsere Aufgaben ist es, den Zusammenhalt der deutschen Nation zu wahren. Unsere Aufgabe ist es, die Zusammenarbeit der Völker und Staaten Europas zu bewahren und auszubauen.
Zweitens. Um den Frieden zu wahren und unsere Interessen zu schützen, brauchen wir Partner. Die Bundesrepublik Deutschland ist deshalb auch selbst ein zuverlässiger Partner und Verbündeter in der Europäischen Gemeinschaft, im Nordatlantischen Bündnis. Unsere enge Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten von Amerika ist der Kern unserer Sicherheit und der Lebensfähigkeit Berlins. Aber uns verbinden nicht nur gemeinsame Sicherheitsinteressen mit unseren Freunden in den USA, sondern wir haben auch gleiche Wertvorstellungen und ein wichtiges Stück gemeinsamer Geschichte. Ähnlich ist aus geografischen, aber ebenso aus historischen und aus sittlichen Gründen die enge Zusammenarbeit mit Frankreich ein bestimmender
Faktor unserer Außenpolitik.
Drittens. Gleichgewicht ist eine Grundlage friedlicher Weltordnung. Gleichgewicht darf weder regional noch weltweit durch einseitige Aktionen gefährdet werden. Die Bundesrepublik Deutschland leistet unverzichtbare Beiträge zum Gleichgewicht: durch ihren Verteidigungsbeitrag, durch ihre Beiträge zur Rüstungsbegrenzung mit dem Ziel, das notwendige militärische Gleichgewicht auf einem möglichst niedrigen Niveau zu erreichen, durch ihre konzeptionellen und diplomatischen Beiträge zum friedlichen Ausgleich, durch ihre umfangreichen wirtschaftlichen Hilfen. Kein Land kann mehr Interesse an Gleichgewicht und Entspannungspolitik haben als die geteilte deutsche Nation.
({32})
Wir Deutschen sind in einer geographisch und politisch und militärisch besonders exponierten Lage. Wir haben deshalb ein besonderes Interesse daran, daß internationale Krisen mit friedlichen Mitteln gelöst werden.
({33})
Viertens. Wir verurteilen die sowjetische Militärintervention in Afghanistan, die eine ernste Gefahr für die Stabilität in jener Region und für den Frieden
im allgemeinen bedeutet und deshalb auch uns betrifft. Sie muß beendet werden.
({34})
Fünftens. Auf diese Herausforderung antworten wir zusammen mit unseren Bündnispartern, mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft durch eine Politik, die sich an gemeinsamen Zielen orientiert.
Sechstens. Konkrete Elemente dieser Politik sind zum einen, die Fähigkeit des Bündnisses zu erhalten, damit gemeinsam die lebenswichtigen Interessen der Bündnispartner gesichert und verteidigt werden können. Darauf vertrauen wir. Dazu leisten wir mit der Bundeswehr einen wesentlichen Beitrag; einen Beitrag, ohne den das Bündnis seine Aufgaben nicht erfüllen könnte.
Zum anderen: gegenwärtig muß die Verteidigungsfähigkeit des westlichen Bündnisses gestärkt werden, und zwar durch die Anhebung der Verteidigungsausgaben um reale 3 % auch für 1980; durch die weitere Verwirklichung des Langzeitverteidigungsprogramms aller Bündnispartner; durch die Ausführung der Doppelentscheidung der NATO vom Dezember letzten Jahres - in beiden Elementen will sie ausgeführt werden, d. h. Ausführung sowohl der Nachrüstungsentscheidung als auch der Entscheidung über Verhandlungen zu beiderseitiger Begrenzung des Mittelstreckenpotentials; durch die Stärkung der Südflanke der NATO.
Zum dritten: Sind Elemente dieser Politik unsere Beiträge zur politischen Stabilisierung, zur wirtschaftlichen Stabilisierung, um die Eigenständigkeit der Staaten der Dritten Welt zu sichern.
Schließlich: Konkrete Beiträge im Rahmen dieser Politik sind unsere Bemühungen um Fortentwicklung der Rüstungsbegrenzung im strategischen Bereich, im Bereich der Wiener MBFR-Verhandlungen über konventionelle Abrüstung in Europa, Fortsetzung unserer Bemühungen um Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - ich sprach davon - von Helsinki bis Madrid. Auch in einer schweren Krise bemühen wir uns, die Zusammenarbeit zwischen Ost und West so zu gestalten, daß die Chance zu einem neuen positiven Anlauf offenbleibt und daß sie später genutzt werden kann.
({35})
Siebter Punkt. Ein koordiniertes Vorgehen des Westens wird erleichtert und die Möglichkeiten der Einwirkung auf das Verhalten der Sowjetunion werden vermehrt, je weitergehend die westlichen Länder sich über eine Rollen- und Arbeitsteilung verständigen.
Achtens. Zur Berechenbarkeit unserer Politik gehört: wir halten geschlossene Verträge und Abmachungen ein und sind auch in schwierigen Situationen ein zuverlässiger, ein berechenbarer Vertragspartner.
Neunter Punkt. Auch in dieser Krise gilt: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wer Angst hat, gerät in Gefahr, das Augenmaß zu verlieren. Wer Angst hat, bei dem kann die Vernunft zum Teufel gehen. Entweder kommt es dazu, daß er den Kopf in den Sand
steckt, das Appeasement, d. h. die Beschwichtigung sucht, und es droht ihm infolgedessen langsame, schrittweise Überwältigung; oder er erliegt umgekehrt der Gefahr der Überreaktion und damit dem Risiko des heißen Konflikts. Wer Angst schürt, der handelt gegen die Interessen der deutschen Nation.
({36})
Zehnter Punkt. Wir haben eine Politik zu machen, die die Chance offenläßt, nach einer Beendigung der Krise das vorher Erreichte weiterhin auszubauen und auszuweiten. Die Zusammenarbeit der Völker und Staaten auf der Basis des Gleichgewichts, auf der Basis ihrer Sicherheit, muß nach der Krise zum Nutzen der Menschen vervollkommnet werden.
Für all diese Politik brauchen wir Vorstellungskraft, Imagination; wir brauchen Entschlossenheit, wir brauchen auch Opferbereitschaft, wir brauchen geistige und politische Disziplin, und vor allem brauchen wir eine abwägende ruhige Vernunft und keine Emotion.
({37})
Die lang andauernde Tatsache, daß an unserer östlichen Grenze nun seit Jahrzehnten starke Streitkräfte eines östlichen Staates, einer Supermacht, stehen, hat uns Deutsche gelehrt, eine Außenpolitik zu verfolgen, die nicht hin und her pendelt zwischen Anmaßung und Kraftmeierei auf der einen und Unterwerfung oder einem bloßen Sichabfinden auf der anderen Seite.
({38})
Viele Politiker und viele Staaten der Welt haben längst erfahren und längst in ihre Rechnung eingesetzt, daß man sich darin auf die Bundesrepublik Deutschland verlassen kann, daß man sich auf diesen Staat verlassen kann, der einen festen, einen stetigen Kurs steuert; einen Kurs, der die Ost-West-Beziehungen zwischen den Menschen und zwischen den Staaten erleichtert, ohne deshalb das Gleichgewicht zugunsten der Sowjetunion verändern zu lassen,
({39})
sondern der vielmehr auf der Bewahrung des Gleichgewichts aufbaut.
Ich weiß, daß eine große Mehrheit des deutschen Volkes einschließlich der Menschen in der DDR - übrigens auch einschließlich eines großen Teils der Wählerinnen und Wähler der Christlich Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union - diesen ruhigen Kurs, diesen abwägenden Kurs, diesen von Emotionen freien, auf Vernunft gegründeten Kurs der Bundesregierung gutheißt.
({40})
Ich weiß, daß eine große Mehrheit der Deutschen wünscht, daß dieser abwägende Kurs der Vernunft beibehalten wird.
({41})
Und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition - Sie haben ja Ihre Meinungsumfragen -, Sie wissen auch, daß ich darin recht habe.
({42})
Ich eröffne die Aussprache zur Regierungserklärung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wie nicht anders zu erwarten war, sind Sie indigniert darüber - „indigniert" ist das Ihnen gemäße Wort -, daß Sie vor dem Deutschen Bundestag Rechenschaft geben müssen.
({0})
Sie formulieren, es sei ein ungewöhnliches Verfahren, daß Sie aufgefordert werden, hier im Bundestag zu sprechen. Der beleidigte Unterton ist unüberhörbar.
({1})
Es ist ja in der Tat auch ungewöhnlich - ich bleibe in Ihrer Sprache, Herr Bundeskanzler -, daß dieser Bundestag es wagt, von Ihnen zu erwarten, in diesen dramatischen Zeiten Rechenschaft zu geben.
({2})
Meine Damen und Herren, Herr Bölling hat gestern diese Debatte begrüßt, Herr Wehner und Herr Bahr haben diese Debatte zutiefst bedauert. Die beiden Herren sind wahrscheinlich der Meinung, der Bundestag vertage sich sowieso am besten bis zum Herbst dieses Jahres.
({3})
Wir, die CDU/CSU, haben diese Debatte gefordert, weil wir der Auffassung sind, daß es zweieinhalb Monate nach der sowjetischen Aggression in Afghanistan und sechs Wochen nach der ersten Bundestagsdebatte zu diesem Thema endlich Zeit ist, daß es, Herr Bundeskanzler, überfällig ist, daß die Deutschen, unsere Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland, und unsere Nachbarn und Partner in allen Teilen der Welt endlich Klarheit über die Position der Bundesregierung, über die Position des Bundeskanzlers gewinnen.
({4})
Auch Ihre wortreiche Zusammenfassung am Ende Ihres Redetextes kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie auch heute wieder die Klarheit der Position, die Klarheit des Kurses schuldig geblieben sind.
({5})
Das ist Ihre Form von - ich nehme Ihr Wort aus der Januardebatte auf - crisis management: viele tönende Worte.
Es war ein vielstimmiger Chor von Meinungen aus der Regierung, aus SPD und FDP in diesen
Wochen, von Meinungen, die widersprüchlich waren, von Meinungen, die anschließend als persönliche Auffassungen qualifiziert wurden. Ihre Meinung, Herr Bundeskanzler, war eigentlich überhaupt nur indirekt zu erfahren. In Presseberichten wurde dem staunenden Leser mitgeteilt: „In der Abgeschiedenheit vertraulicher Zirkel sagte Schmidt", oder: „Besucher des Kanzlers wissen zu berichten". Heute haben Sie in der uns teilgewordenen Gnade darauf hingewiesen, wir müßten eben nur die richtigen Fundstellen suchen.
Lieber Herr Bundeskanzler, wir sind hier nicht im Proseminar der Abteilung Geschichte einer philosophischen Fakultät, wir sind im Deutschen Bundestag. Sie sind als Kanzler gewählt, und Sie haben dem deutschen Volk für Ihr Tun Rechenschaft zu geben.
({6})
Denn genau weiß man ja nicht, was Sie in diesen vertraulichen Zirkeln sagen, was Sie - über das hinaus, was Besucher berichten und schreiben - wirklich denken.
In Ihrer Regierungserklärung am 17. Januar haben Sie im Blick auf die Sowjetunion erklärt:
Insbesondere in schwierigen Zeiten muß unsere Politik durchschaubar sein.
Genau das, Herr Bundeskanzler, war sie in diesen sechs Wochen überhaupt nicht;
({7})
genau da, genau an diesem Punkt sind überall in der Welt Zweifel in Sachen „Position der Deutschen" aufgekommen.
({8})
Daß Sie diese Spekulationen haben sich durchsetzen lassen, hat uns, hat dem Land, wie Sie eben mit Recht sagten, geschadet. In einer Zeit einer schweren Krise erwarten die Bürger der Bundesrepublik Deutschland
({9})
von dem freigewählten Bundeskanzler auch eine Kursbestimmung. Herr Bundeskanzler, Besonnenheit und Klugheit schließen immer auch Mut ein. Beides ist unerläßlich, wenn Klugheit sich durchsetzen will.
({10})
Wir halten diese Debatte auch für wichtig am Vorabend Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten. In Ihrer Regierungserklärung vom Januar haben Sie mit Recht darauf hingewiesen, daß die durch die Besetzung Afghanistans entstandene Lage und ihre möglichen Folgen - ich zitiere wörtlich - „unvermeidbar auch uns' in Europa und uns in Deutschland betreffen".
Ich frage mich nur, Herr Bundeskanzler, wie hat die deutsche Bundesregierung in diesen Wochen, wie haben manche unserer europäischen Freunde und wie haben die Amerikaner auf diese Krise reagiert? Ich brauche hier nicht im einzelnen auf die amerikanischen Maßnahmen einzugehen. Sie sind
bekannt. Es geht mir auch überhaupt nicht darum, jetzt zu untersuchen, ob alle diese Maßnahmen ihre Schwächen und ihre Stärken haben. Betrachten wir die amerikanische Reaktion, die Reaktion des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter im Gesamtzusammenhang, steht eines mit Sicherheit fest: Die Entscheidungen des amerikanischen Präsidenten sind in ihrer Zielsetzung und Willensbekundung klar und unmißverständlich. Aber Herr Bundeskanzler, kann man auch von Ihrer Politik sagen, daß sie klar und unmißverständlich ist?
Die amerikanische Regierung hat ihre Freunde aufgefordert - das sind wir -, sich entsprechend zu verhalten.
({11})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben vor sechs Wochen von diesem Platz aus erklärt: „Dies werden wir tun.'' Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie denn eigentlich getan? Was haben Sie getan, wenn wir gemeinsam heute, fast drei Monate nach der sowjetischen Aggression in Afghanistan Bilanz ziehen? Schon Ihre allererste Reaktion - ich muß es noch einmal in Erinnerung rufen - zeugte doch von Hilflosigkeit und Unsicherheit. Denken Sie doch einmal an Ihre Neujahrserklärung; sie ist noch nicht verklungen. Damals sprachen Sie davon, daß Sie unserem Volk die „Beunruhigung über das Vorgehen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in Asien und Afrika nicht verschweigen" wollten. Sie fanden nicht einmal den Mut, in jenen Tagen klar zu verurteilen, was von aller Welt klar verurteilt wurde.
({12})
Als die Vereinigten Staaten ihre Gegenmaßnahmen auf politischem, wirtschaftlichem und militärischem Sektor bekanntgaben, haben Sie und der Außenminister erklärt, was die Bundesregierung alles nicht nachvollziehen könne, weil eben unterschiedliche Voraussetzungen vorlägen. Sie haben aber bis heute nicht gesagt, was wir Deutsche selbst tun könnten,
({13})
um entsprechend die Amerikaner zu unterstützen. Sie haben es heute wieder nicht gesagt. Sie sind wieder wortreich über das Eigentliche hinweggegangen.
({14})
Es reicht doch nicht aus, Herr Bundeskanzler, zu verkünden, die Bundesrepublik Deutschland werde die amerikanischen Boykottmaßnahmen im Bereich der wirtschaftlichen und technisch-wissenschaftlichen Beziehungen nicht unterlaufen, ohne daß bis zur Stunde überhaupt über eigene Maßnahmen gesprochen wurde.
Am 16. Januar erfolgte Ihre Regierungserklärung. Sie kündigten damals etwas an, und es wird doch wenigstens erlaubt sein, Herr Bundeskanzler, Sie nach einer Frist von sechs Wochen an Ihre eigenen Worte zu erinnern.
({15})
Sie kündigten damals an: ,,... ein sorgfältig überlegendes, ein sorgfältig überlegtes ,crisis management' und ein entsprechendes Verhalten wie die USA, „insbesondere im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft und im Rahmen des COCOM". Ein Beispiel Ihres crisis management haben wir im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft gerade erlebt. Die deutsch-französische Erklärung vom 5. Februar enthält harte Worte an die Adresse der Sowjetunion. Sie bekräftigt die Treue zum Atlantischen Bündnis. Es findet sich darin aber kein Wort über gemeinsam oder getrennt zu treffende Maßnahmen. Solche werden für den späteren Fall angekündigt, für jenen späteren Fall, daß ein „neuer Schlag gleicher Art" erfolge. Herr Bundeskanzler, crisis management hat hier darin bestanden, daß Handeln auf eine Krise von morgen vertagt wird, ohne daß die Krise von heute gemanagt wurde.
({16})
Was die Solidarität mit den USA betrifft, so ist es schon auffällig - und es ist Ihnen doch auch aufgefallen -, daß dieser deutsch-französische Text den Begriff „Solidarität zu den Vereinigten Staaten" nicht enthält. Dann wurde uns mitgeteilt, Herr Bundeskanzler - durch die entsprechenden Fundstellen -, Sie hätten im Anschluß an den deutsch-französischen Gipfel mit Präsident Carter telefoniert. Präsident Carter hat nach seinem eigenen Bekunden aus diesem Gespräch den Eindruck gewonnen, daß Frankreich mit dem Ort, dem Termin und der Zusammensetzung des für den 20. Februar in Bonn geplanten Außenministertreffens einverstanden sei. Wenige Tage später ließ Frankreich das geplante Treffen scheitern. Das war doch eine Demonstration. Es ist schwer verständlich, daß Sie am Samstag, Sonntag, Montag in Paris nicht erfahren haben sollten, was am Mittwoch oder Donnerstag in Paris entschieden werden würde. Was ist denn dann der Sinn einer solchen Besprechung?
({17})
Wenn ich das charakterisieren will, muß ich Ihren Ausdruck herumdrehen und von crisis mismanagement sprechen, Herr Bundeskanzler.
({18})
Was waren denn die Wirkungen Ihrer Politik in dieser Zeit?
Erstens. Es wurde deutlich, daß Konsultation und Abstimmung zwischen den Europäern absolut unzureichend waren.
Zweitens. Der Verdacht eines deutsch-französischen Direktoriums wurde wiederholt.
Drittens. Die Ausklammerung Großbritanniens erweckte den Eindruck einer bewußten politischen Isolierung und entfachte erneut die Diskussion über ein special relationship Londons mit Washington.
Viertens. Das Mißtrauen und die Verärgerung der kleineren europäischen Partner über die deutschfranzösische Achse kam deutlich zum Ausdruck.
Nun werden Sie natürlich dies alles leugnen, Herr Bundeskanzler. Als das Kind halb im Brunnen lag, haben Sie eine fieberhafte Reisetätigkeit begonnen. Sie sind nach London gefahren, Sie sind nach BrüsDr. Kohl
sel gefahren. Aber, meine Damen und Herren, die Stimmen sind doch geblieben. Ihr Gastgeber in Brüssel, der Ministerpräsident Martens, kritisierte, daß „die Stimme Europas in gefährlicher Weise stumm" geblieben sei. Sein Vorgänger Leo Tindemans erklärte, daß der Versuch Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland, eine gemeinsame Handlung zu entwickeln, eine gemeinsame europäische Haltung nicht ersetzen könne. Der luxemburgische Ministerpräsident Pierre Werner und der belgische Außenminister, Ihr Parteifreund Simonet, äußern sich in ähnlicher Weise kritisch. Der englische Außenminister hat sich diesen Äußerungen angeschlossen.
Herr Bundeskanzler, ist das Krisenmanagement, daß Sie es in wenigen Wochen fertiggebracht haben, den Konsens unter den europäischen Ländern in dieser Form durcheinanderzubringen?
({19})
Herr Bundeskanzler, was das Schlimmste ist, was der zentrale Punkt der Auseinandersetzung zwischen uns zunehmend werden wird: Sie haben eine Politik gebilligt, mitgetragen oder geduldet - dies läßt sich heute, jedenfalls von unserem Standpunkt aus, noch nicht beurteilen -,
({20})
die in den Verdacht geriet, uns, die Bundesrepublik Deutschland, in eine Alternativposition zwischen die USA und Frankreich zu bringen - eine Politik des Entweder-Oder an Stelle einer Politik des Sowohl-Als-auch.
Herr Bundeskanzler, Sie zitieren gerne, wenn es Ihnen beliebt, Konrad Adenauer. Lesen Sie nach, was er über diese Schicksalsfrage deutscher Politik gesagt hat. Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie in diesem wichtigsten Teilstück der zukünftigen deutschen Politik Ihrer Aufgabe gerecht werden. Herr Bundeskanzler, solche Politik führt uns in Gefahr, am Ende wiederum dort zu sein, wo wir schon zweimal in diesem Jahrhundert waren: zwischen allen Stühlen. Das muß man Ihnen deutlich mit auf den Weg geben.
({21})
Ich muß mit diesen Beispielen leider fortfahren. Wir begrüßen, daß Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland in der gemeinsamen Erklärung sagten, „daß die europäischen Mächte besondere Verantwortlichkeiten zu übernehmen haben, um zusammen mit ihren Bündnispartnern das grundlegende Gleichgewicht zu gewährleisten". Herr Bundeskanzler, wo bleiben die Maßnahmen? Der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland hat über Wochen hinaus erklärt, daß er keine Notwendigkeit sehe, den deutschen Verteidigungsetat, wie zugesagt, aufzustocken. Andere Mitglieder der Bundesregierung äußerten sich positiv. Heute haben wir - das will ich deutlich herausstellen - zu diesem Punkt eine befriedigende Erklärung von Ihnen erhalten. Ich frage mich nur, Herr Bundeskanzler, warum diese Erklärung erst heute kommt. Warum haben Sie sie nicht schon vor vier oder sechs
Wochen abgegeben? Warum haben Sie erst den Druck der Opposition gebraucht, um hier die richtige Entscheidung treffen zu können?
({22})
Herr Bundeskanzler, wo blieben eigentlich Ihr Wort, Ihr Rat, Ihre Empfehlung an die deutschen Sportler in der Frage des Boykotts der Olympischen Spiele in Moskau? Sie haben vorhin zu rügen beliebt, daß wir uns während Ihrer Rede unterhalten. Ich kann Ihnen Aufklärung geben. Wir haben keine Witze erzählt. Wir haben Ihren Olympiatext studiert und ihn nicht verstehen können. Wenn Sie das als Witz bezeichnen, ist das Ihre Sache, Herr Bundeskanzler.
({23})
Es mag daran liegen, daß ich nur die alte Schulbildung genossen habe; ich kann den Text nicht verstehen. Ich zitiere wörtlich:
Wir gehen davon aus, daß die europäische und die amerikanische Haltung spätestens zu diesem Zeitpunkt
- gemeint ist der Anmeldungstermin Ende Mai in eins zusammengeflossen sein wird.
({24})
In diesem Zusammenhang setze ich hinzu: Ich möchte wegen der Sommerspiele '80 keinem Wunschdenken Vorschub leisten.
Die deutschen Athleten wissen jetzt ganz genau, was der Kanzler denkt.
({25})
Es gehen einem viele Gedanken durch den Kopf, Herr Bundeskanzler. Dunkel ist der Sinn Ihrer Worte. Sie haben jetzt mit Ihrer Anleihe bei Heraklit, daß alles fließt, natürlich eine neue Dimension in Ihre Politik gebracht.
({26})
Herr Bundeskanzler, ist das aber im Sinne Ihrer Schlußzusammenfassung eine unmißverständliche, eine klare Politik, die von der Mehrheit der Deutschen geteilt wird?
Apropos Mehrheit der Deutschen: Herr Bundeskanzler, Sie haben auch beliebt - ich nähere mich jetzt allmählich Ihrer Sprache immer mehr -, auf die Demoskopie hinzuweisen. Verehrter Herr Bundeskanzler, wissen Sie eigentlich, was die Demoskopie in Sachen Olympiaboykott sagt? Da Sie doch sonst flugs der Meinung sind, das zu sagen, was die Demoskopie sagt, bin ich verwundert, daß Sie heute nicht laut den Olympiaboykott gefordert haben, denn zwei Drittel der Bevölkerung treten nachdrücklich für den Olympiaboykott ein.
({27})
Aber das ist nicht unser Thema. Herr Bundeskanzler, in Sachen Boykott geht es nicht um die Frage der Demoskopie. Hier geht es um zwei wichtige grundsätzliche Positionen. Erstens geht es um diese Position: Ist es denkbar, daß wir uns angesichts der Äußerungen und der klaren Position unseres
wichtigsten, unerläßlichen Partners, der Vereinigten Staaten, hier in einer Nische davondrücken wollen, bis die Dinge zusammenfließen? Ungeachtet der Position der Vereinigten Staaten sage ich aber auch dies: Können eigentlich die Deutschen mit ihrer eigenen geschichtlichen Erfahrung im Blick auf das Jahr 1936 dazu schweigen?
Herr Bundeskanzler, Sie haben im Zusammenhang mit dem Kapitel „Entwicklungshilfepolitik", wozu Sie sehr viel Gutes gesagt haben, auf die Konferenz von Islamabad verwiesen. Warum haben Sie nur in diesem Zusammenhang auf die Konferenz von Islamabad verwiesen? Wenn Sie in der islamischen Welt jetzt für uns Stimmung machen wollen, dann müssen Sie sich wie die über 30 Länder, die auf der Konferenz von Islamabad vertreten waren, dem Boykott anschließen. Das wäre eine klare Politik.
Ich sage Ihnen ganz offen, warum Sie sich um eine klare Antwort herumdrücken. Das hat nicht nur außenpolitische Gründe, das hat wenige Monate vor der Wahl auch innenpolitische Gründe. Ich sage das ganz offen.
({28})
- Nein. Entschuldigung, die Jusos können ja nicht schuld sein; die sind ja nur noch unter Ausschluß der Offentlichkeit tätig.
({29})
Ihre Sprache und ihr Denken versteht ja niemand. Sie können ruhig so weitermachen; ich habe keinen Einwand dagegen.
Natürlich gibt es eine heftige Diskussion unter jungen Leuten, natürlich gibt es eine bittere Diskussion unter jungen Athleten, die viele Jahre damit zubrachten, sich auf dieses wichtige Ereignis vorzubereiten, die ein hohes Maß an persönlichen Opfern gebracht haben. Für diese Mitbürger habe ich auch alle Sympathie. Es ist doch verständlich, wenn sie sagen, sie wollten zur Olympiade fahren. Nur, hier muß doch eine Güterabwägung möglich sein. Gerade wenn wir unseren Athleten eine Begründung dafür geben, warum wir nicht gehen werden, werden wir Verständnis finden, jedoch nicht mit Ihrer Formulierung, daß sich die Dinge in einer bestimmten Zeit zusammenfließend fügen würden, wobei Sie dann froh wären, wenn andere die Entscheidung für Sie übernähmen.
({30})
Das Bild, das Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Regierung geboten haben, ist einfach jämmerlich.
({31})
Der Außenminister, der viel mehr Sinn und Verständnis für Demoskopie hat - das ist auch naheliegend - als Sie, Herr Bundeskanzler, war gleich mit am Ball. Der Wirtschaftsminister, der Verteidigungsminister, sogar der Regierungssprecher - ich weiß nicht, ob in diesem Fall dementiert oder nicht - haben sich dafür ausgesprochen. Dagegen kam dann für die SPD-Fraktion der Kollege Karl Liedtke und erklärte den amerikanischen Boykott schlicht für eine „Riesendummheit." Es ist natürlich keine
Werbung für die Solidarität mit den Vereinigten Staaten, wenn der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der stärksten Koalitionsfraktion so spricht.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, schweigen wollen, sollten Sie das auch auf anderen Feldern der Politik tun. Die deutsche und internationale Presse ist bis in die jüngste Zeit hinein voller Beispiele, die zeigen, wie Sie die amerikanische Politik und den amerikanischen Präsidenten kritisieren. Deswegen freue ich mich, daß Sie heute für Präsident Carter so gute Worte gefunden haben. Ich hoffe sehr, daß nicht zuletzt das Vorwahlergebnis in New Hampshire zu Ihrer Erkenntnis beigetragen hat, daß möglicherweise auch Carter in den nächsten Jahren unser wichtigster Partner ist.
({32})
Es geht nicht darum, daß wir Kritik als solche ablehnen. Ich lehne nur eine Kritik ab, die sich im Besserwissen erschöpft, ohne daß derjenige, der sie übt, deutlich macht, daß er die amerikanischen Ziele mit deutschen Maßnahmen in der deutschen Politik zu unterstützen gedenkt.
({33})
Wer sich in Europa über mangelhafte Konsultationen durch die Amerikaner beschwert - und es gibt Grund zu dieser Beschwernis -, sollte gerade in einer Phase internationaler Spannungen darüber nachdenken, wer im westlichen Bündnis die Hauptlast der Verantwortung für unsere Sicherheit trägt - wer weiß das mehr als wir, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland? - und in welchem Maße die Europäer selbst untereinander und gegenüber den USA zu frühzeitiger und ausreichender Information und Konsultation in der Lage sind.
Herr Bundeskanzler, zwei Monate sind vergangen, bis die europäischen Außenminister in Rom auf Vorschlag der englischen Regierung eine erste gemeinsame Antwort auf die sowjetische Aggression in Afghanistan erarbeitet haben. Ist das wirklich crisis management? Vorher, in diesen kritischen Wochen, haben die Europäer mehr übereinander als miteinander gesprochen. Wir verlangen auf gar keinen Fall gegen den Geist Europas eine Uniformität des westlichen Bündnisses im Handeln. Aber die Maßnahmen der jeweiligen Bündnispartner dürfen auch nicht gegenseitig unterlaufen oder durch öffentliche Kritik entwertet werden. Es muß verhindert werden, daß einzelne Mitgliedstaaten in die politische Isolierung geraten und neues Mißtrauen untereinander entstehen kann.
Deshalb verlangen wir eine partnerschaftliche, gleichberechtigte Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zwischen den europäischen Bündnispartnern und innerhalb der Nordatlantischen Gemeinschaft. Meine Damen und Herren, dies setzt aber voraus, daß alle Bündnispartner auf der Grundlage gemeinsamer Überlegungen und gemeinsamer Ziele handeln, daß sie ihre Maßnahmen abstimmen.
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen, so schrieb einer, der Ihnen viel nähersteht als uns, Ihr Kollege Conny Ahlers, in diesen Tagen, befänden sich in einer „Schieflage", sie seien „notleidend". Dr. Kohl
Herr Bundeskanzler, das ist das Ergebnis Ihres crisis management: Schieflage, notleidend.
({34})
Ich weiß, daß Sie jetzt alles tun werden - schon aus Gründen des 5. Oktober -, in Washington das Bild einer vollen Übereinstimmung und Solidarität demonstrieren zu können. Ich wünsche, daß dies nicht nur ein Bild ist, sondern die Wirklichkeit, die Substanz deutscher Politik ist.
Die meisten von uns haben in den letzten Wochen Gelegenheit gehabt, mit wichtigen Besuchern aus den Vereinigten Staaten zu sprechen. Sie alle - ob Kissinger, Schlesinger, Sonnenfeld oder wie immer sie heißen mögen - haben darüber geklagt, daß in den Vereinigten Staaten zunehmend die Meinung umgeht, die Solidarität der Europäer lasse nach.
({35})
- Lassen Sie ihn doch lesen! Jeder stellt sich so dar, wie er es nötig zu haben glaubt.
({36})
- Herr Kollege Wehner, über Ihre Selbstdarstellung brauchen wir in diesem Hause kein Wort zu verlieren.
({37})
Ich glaube, daß viele bei uns in Deutschland und in Europa den tiefgreifenden Wandel in der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, der in den letzten Monaten vonstatten ging, noch nicht begriffen haben, daß sie jenen tiefgreifenden, entschlossenen Wandel in der amerikanischen Außen- und Verteidigungspolitik immer noch nicht ernst genug nehmen. Gott sei Dank, so sollten wir Deutschen sa. gen, ist das Amerika im Februar 1980 durch das weite Tal von Vietnam und Watergate gewandert. Gott sei Dank besinnt sich dieses große Volk wieder auf seine gewaltige wirtschaftliche, militärische und, was das wichtigste ist, auf seine große moralische Kraft.
({38})
- Ich wußte, daß Sie hier dazwischenrufen. Ich habe mir überlegt, ob ich dieses Thema anspreche. Aber Sie, weite Teile in der SPD, haben zu jenem tumben Antiamerikanismus in Deutschland entscheidend beigetragen!
({39})
Der Verstand sagt Ihnen zwar, daß es die Freiheit dieser Bundesrepublik in den vergangenen 30 Jahren ohne den Schutz und den Schirm der Vereinigten Staaten nicht gegeben hätte, aber Ihre politische Ideologie und Ihre Emotion sagt Ihnen, daß Sie aus Ihrem Weltbild heraus antiamerikanisch sein müssen, das man nur aus Ihrer ideologischen Verklemmtheit heraus begreifen kann.
({40})
Ich sage noch einmal: Wir, die CDU/CSU, sind glücklich und mit uns, Herr Bundeskanzler, eine riesige Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland - auch Ihrer Wähler -, daß die Amerikaner jetzt wieder aus ihrer moralischen Kraft heraus in der Lage sind, zunehmend diese Rolle, die ihnen die Geschichte zugeschrieben hat, zu übernehmen. Wir haben keine Häme, wenn sich das eine oder andere dabei nicht so entwickelt, wie wir es uns wünschen, sondern wir wollen alles als gute Freunde tun, damit die Amerikaner Erfolg haben; denn wenn sie Erfolg haben, haben auch wir in der Bundesrepublik Deutschland Erfolg.
({41})
Sollte sich in der amerikanischen Offentlichkeit der Eindruck verstärken, daß Europa selbst jetzt, in dieser Krise, auf Distanz geht, daß Arbeitsteilung, jenes dubiose Wort, so verstanden wird, daß die USA die Lasten der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu tragen haben und wir Europäer das Monopol der Verständigung und Entspannung beanspruchen, dann wären - das weiß jeder, der die amerikanische Geschichte kennt - isolationistische Reaktionen nicht aufzuhalten. Niemand weiß mehr als wir Deutsche, wie sehr wir auf amerikanische Hilfe angewiesen sind. Herr Kollege Brandt, in diesen Tagen frage ich mich immer wieder, wie Sie so reden können, da Sie über Jahrzehnte in Berlin erfahren haben, was amerikanische Hilfe für uns bedeutet.
({42})
Ich habe damit die eine Seite der Bilanz der Regierungspolitik beleuchtet, und zwar die Bilanz der Regierungspolitik gegenüber den USA und innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. In Richtung Osten, in Richtung Sowjetunion tut sich eine zweite Bilanz auf. Es gibt eine Summe von Signalen an die sowjetische Regierung, die nur ein Ziel verfolgt: Trotz der sowjetischen Aggression in Afghanistan, trotz des mehrfachen Nein der Sowjetunion zum NATO-Vorschlag über Abrüstungsverhandlungen im Mittelstreckenbereich, trotz der Verbannung Sacharows, trotz der Absage der Gespräche durch Herrn Honecker, durch den ungarischen und den CSSR-Außenminister, also trotz der Tatsache, daß die Sowjetunion die Entspannungspolitik auf Eis gelegt hat, wird ihr von Teilen der Bundesregierung, von Ihnen, Herr Bundeskanzler, von der Führung der SPD pausenlos zu verstehen gegeben, daß an der bisherigen Politik festgehalten werden solle, als ob nichts geschehen wäre.
Ich will das belegen; denn die Formeln klingen uns täglich in den Ohren. Es gilt, das „Erreichte zu bewahren und fortzuentwickeln", heißt es in Ihrer Januar-Regierungserklärung. Wer stellt es denn in Frage, oder wer verkündet es denn außer der Sowjetunion? Die Sowjetunion, so heißt es, dürfe ihr Gesicht nicht verlieren. Ich frage: Welches Gesicht kann die Sowjetunion jetzt verlieren? Wenn sie sich aus Afghanistan zurückzieht, verliert sie das Ge16180
Sicht des Aggressors, und das wäre für den Frieden der Welt wünschenswert.
({43})
Sie sagten, die Sowjetunion habe die Auswirkungen der Intervention unterschätzt und falsch beurteilt. Ich frage zurück: Hat die sowjetische Führung nicht schlicht eine Güterabwägung über Vor- und Nachteile vorgenommen und ist dabei zu der Auffassung gekommen, daß die Vorteile überwiegen und die Nachteile ertragen werden können? Sie, Herr Bundeskanzler, erklärten wiederholt, das Nein der Sowjetunion zum Angebot der NATO über Abrüstungsverhandlungen im Mittelstreckenbereich sei nicht so ernst gemeint und nicht das letzte Wort. Ich möchte gern einmal wissen, auf welches Urteil sich diese Meinung stützt. Sie haben auch heute davon gesprochen: Die polnischen Kommunisten schlagen eine europäische Abrüstungskonferenz in Warschau vor. Der Herr Bundesaußenminister und seine Partei bringen darauf ein erstes Hurra aus, als ob nicht schon seit Monaten ein französischer Vorschlag auf dem Tisch liegt, dem die WarschauerPakt-Staaten längst hätten zustimmen können. Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, war eigentlich diese Reaktion mit den westlichen Verbündeten abgesprochen?
Der Generalsekretär Breschnew wiederholt stereotyp die Aussage, die Sowjetunion werde ihre Truppen aus Afghanistan abziehen, wenn die Einmischung von außen gegen Regierung und Bevölkerung Afghanistans beendet wird. Sie, Herr Bundeskanzler, bezeichnen diese sowjetische Zumutung, die Ursache und Wirkung völlig auf den Kopf stellt, als Zeichen „beginnenden Nachdenkens" in Moskau.
({44})
Herr Bundeskanzler, Sie glauben doch nicht im Ernst, daß man in Moskau erst jetzt nachzudenken beginnt. Der Herr Bundesaußenminister - das paßt eigentlich gar nicht zu seinen sonstigen Einlassungen - sieht schon „Licht am Ende des Tunnels".
Dies alles wird angesichts eines Vorschlages vorgebracht, der quer durch die Welt in schärfster Form kritisiert wurde, bei dem nur ein altes leninistisches Prinzip - zumindest wurde dieses Prinzip von Lenin wieder aufgenommen - deutlich geworden ist: Nicht der Mörder ist schuld, sondern der Ermordete muß seine Unschuld beweisen.
Meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, Sie haben heute wieder Ihre Zurückhaltung hinsichtlich der Frage der Teilnahme an den Olympischen Spielen deutlich gemacht. Es gehe dabei darum, so sagten Sie, den Russen Gelegenheit zu geben, selbst für Verhältnisse zu sorgen, die allen die Teilnahme ermöglichten; man dürfe sie nicht durch vorschnelle Reaktion aus dem Westen daran hindern. Was Sie, Herr Bundeskanzler, hier praktizieren, ist doch die alte Methode, sich selbst flugs mit fremden Federn zu schmücken und damit eigene Blößen zu verdecken.
Ich will die Rede Breschnews jetzt im einzelnen gar nicht bewerten. Ich gehe davon aus, daß das westliche Bündnis um des Friedens willen jeden Ansatz nutzen wird, um ernsthafte Absichten Moskaus zu prüfen. Aber glaubt denn irgend jemand hier bei uns im Ernst, die Rede Breschnews wäre durch das allzu hörbare Schweigen des deutschen Bundeskanzlers oder durch das Schweigen der Europäer hervorgerufen worden? Nein, Breschnew sah sich zu dieser Rede nur deshalb genötigt, weil der amerikanische Präsident in dieser Sache eine entschiedene Haltung gezeigt hat.
({45})
Dafür haben wir alle Präsident Jimmy Carter in der Tat zu danken. Der Bundeskanzler, so glaube ich, würde dem Atlantischen Bündnis einen wichtigen Dienst leisten, wenn er unseren gemeinsamen Dank in Washington übermitteln würde.
Ich bin sehr damit einverstanden - Sie haben es an unserem Applaus gemerkt, Herr Bundeskanzler -, daß sie in Washington die staatsmännische Leistung des Präsidenten Carter hinsichtlich der Herausforderung im Iran würdigen; das ist voll und ganz unsere Meinung. Aber ich hätte diesen Katalog gern noch etwas erweitert und auch den Dank für die klare und entschiedene Haltung Carters nach der sowjetischen Aggression in Afghanistan mit einbezogen.
({46})
Am 31. Januar schrieben Sie, Herr Bundeskanzler, an Generalsekretär Breschnew einen Brief, der nach allem, was wir darüber draußen lesen konnten, vor allem einen Schwerpunkt enthält: daß man gerade in schwierigen Zeiten miteinander reden müsse, daß wir unsere Politik fortsetzen würden, daß Erreichtes erhalten werden müsse und daß sich die Sowjetunion der Sorgen des Westens nicht verschließen dürfe. Was wird Herr Breschnew darauf wohl antworten? Nicht mehr, als daß es allein beim Westen liegt, daß die Entspannungspolitik fortgesetzt werden kann.
Soweit Ihr Verhalten, Herr Bundeskanzler, und das der Bundesregierung zu würdigen ist, habe ich versucht, dies zu tun. Aber das eigentliche Bild der Bundesrepublik und ihrer Politik wird erst deutlich, wenn man die Politik der SPD-Parteiführung hinzunimmt. Und das ist ja nicht irgend jemand, sondern das ist Ihr Vorgänger im Amt, der Bundeskanzler außer Diensten Willy Brandt, das ist Herbert Wehner, das sind all jene, die eigentlich überhaupt nur dafür gesorgt haben, daß es Sie als Bundeskanzler gibt. Herr Brandt erklärt öffentlich, Herr Bundeskanzler, daß Solidarität mit den USA eine Sache sei, deutsche Interessenvertretung aber eine andere.
({47})
In seinem Verständnis - das ist ja wichtig; es kommt ja darauf an, wer es sagt - kann das doch nur heißen, daß die im deutschen Interesse liegende Entspannungspolitik durch die Solidarität mit den
USA nur belastet werde. „Dies", so sagte er, „ist nicht die Zeit für wohlklingende Treueschwüre".
({48})
- „Wohlklingende"! - „Hohlklingende"? Ja, dann wird das Zitat nur noch schlimmer. Ich bin gern bereit, das zu revidieren. Denn der zweite Satz ist ja der entscheidende. - Sie sagten also:
Dies ist nicht die Zeit für hohlklingende Treueschwüre. Die Amerikaner bestimmen nicht für uns mit.
Natürlich bestimmen die Amerikaner nicht für uns mit. Nur, wenn die Amerikaner nicht zum Teil, zum entscheidenden Teil für uns mitbestimmt hätten, so frage ich Sie, der Sie in wichtigen Zeiten Bürgermeister von Berlin waren: Was wäre dann aus uns geworden?
({49})
Das sind die starken Worte des Vorsitzenden Brandt.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Brandt, das können Sie doch nun wirklich nicht leugnen, das ist mit Händen zu greifen: Welch eine Distanz zu unseren amerikanischen Freunden kommt in dieser Wortwahl, in diesen Formulierungen zum Ausdruck?
({50})
Wie wollen Sie eigentlich einem Mann in der amerikanischen Politik - ob im Senat, ob in der Administration -, der unsere Muttersprache beherrscht, klarmachen, daß dies die Sprache von Freunden ist? Die Distanz - vielleicht die enttäuschte Distanz - ist doch unübersehbar.
Es ist doch auch die Sprache eines Mannes, der zu seiner Zeit - ich sage es noch einmal - als Regierender Bürgermeister von Berlin pausenlos in den westlichen Hauptstädten war, wenn es galt, Unterstützung für Berlin gegen die Pression der Sowjetunion auf Berlin zu mobilisieren.
Damit dies hier klar ist: Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich auch über diesen Fall mit einem geradezu virtuosen Slalomlauf hinweggeschwiegen.
({51})
Wir lehnen eine wie auch immer geartete oder bezeichnete Vermittlerrolle des SPD-Parteivorsitzenden Willy Brandt entschieden ab.
({52})
Sie entspricht weder unserem staatspolitischen noch unserem bündnispolitischen Verständnis.
Man muß es in Erinnerung rufen: Es gehört zum erklärten Instrumentarium kommunistischer Regierungen, Außenpolitik auf zwei Ebenen zu betreiben: der staatlichen Ebene und der Parteiebene. Eine solche Zweigleisigkeit ist für uns Christliche Demokraten undenkbar. Wir haben eine klare Ordnung und einen gewählten Bundeskanzler, der von der Verfassung mit der Richtlinienkompetenz ausgestattet ist, und wir haben einen Außenminister, der für die
Außenpolitik verantwortlich ist. Und wenn schon der Bundeskanzler nicht den Mut hatte, Herrn Brandt beim Namen zu nennen, haben wir doch die große Erwartung, daß heute vielleicht der Bundesaußenminister aus seiner sehr besonderen Situation die nötigen Worte dazu findet.
({53})
Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister, erklären bis zum Überdruß Ihre Gesprächsbereitschaft gegenüber der Sowjetunion und erinnern in dieser Zeit an Ihre Absicht, nach Moskau zu reisen.
({54})
Sie warten doch auf einen Terminvorschlag der Sowjets. Was passiert dann eigentlich? Wäre das nicht eine schallende Ohrfeige, wenn Herr Brandt eine Einladung nach Moskau erhielte und der Bundeskanzler nicht? Was sind das eigentlich für Vorstellungen von Außenpolitik? Das ist crisis management a la Helmut Schmidt.
({55})
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein enger Bündnispartner der USA. Sie ist ein fester Bestandteil der westlichen Allianz, wie Sie, Herr Bundeskanzler, mit unser aller Zustimmung vor sechs Wochen im Bundestag erklärt haben. Wir sind von der sowjetischen Aggression in Afghanistan betroffen wie die USA und die europäischen Partner. Wie sollen wir als Bundesrepublik in einer solchen Ausgangsposition zwischen zwei Supermächten vermitteln können - als Betroffene, als Abhängige, als Mittelmacht?
Es wäre wirklich reizvoll, dem Schauspiel nachzugehen, das die Bundesregierung und Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in dieser Frage in den letzten Tagen aufgeführt haben. Ich will nur so viel sagen: Ich erwarte von dem Betroffenen selber, dem Kollegen Brandt, ein klares Wort. Ich hätte bisher schon erwartet, daß die Bundesregierung die Amerikaner von Peinlichkeiten befreit und Moskau von vornherein jeder Chance beraubt hätte, Unfrieden und Unstimmigkeiten bei uns zu fördern.
({56})
Ich hätte es natürlich auch von Ihnen erwartet, Herr Bundeskanzler. Zu dem Rätselhaften, das in Ihrer Regierungserklärung im Fluß ist, gehört ja auch, daß Sie auf ein Interview im „Spiegel" hinweisen, das, wenn überhaupt, nur als Antwort an Willy Brandt verstanden werden kann. Ich fürchte aber, es fehlt Ihnen bereits heute in der eigenen Partei und Fraktion an jenem Durchdringungsvermögen und jener Durchsetzungskraft, die ein gebotenes klares Wort möglich machen. Das ist die Erfahrung, die wir mit Ihnen gemacht haben.
({57})
Vor dem Hintergrund der Bilanz deutscher und europäischer Außenpolitik nach Afghanistan stellt sich für uns die wesentliche Frage: Wie muß die Wirkung dieser Politik, die ich soeben beschrieben
habe, auf die Sowjetunion sein? Ich will versuchen, es am Beispiel des Besuchs des amerikanischen Außenministers Vance in Bonn zu erläutern. Aus der Sicht Moskaus besucht der Hauptkontrahent USA seinen wichtigsten Verbündeten in Europa, die Bundesrepublik Deutschland, und unterstreicht dies, wie wir wissen, dadurch, daß er zuerst in Bonn Station macht, bevor er nach Rom, Paris und London reist. Die Gespräche finden an dem Tag statt, an dem das amerikanische Ultimatum an die Sowjetunion in Sachen Olympiaboykott abläuft.
Was ist nun - angesichts einer solch einfachen Wiederholung von Tatsachen - das auch für die Sowjetunion sichtbare Ergebnis dieser deutschamerikanischen Gespräche in Bonn? Der Bundeskanzler hält sich in der Olympia-Frage weiterhin bedeckt, ja nicht einmal der Außenminister ist bereit, seine früheren Äußerungen zu wiederholen, er könne sich nicht vorstellen, daß deutsche Sportler in Moskau auftreten, wenn die Amerikaner fehlen. Beide Seiten sprechen von der „Notwendigkeit eines langfristigen Konzepts" als Antwort *auf die sowjetische Aggression, ohne daß ein solches Konzept in Anzeichen deutlich ist und ohne daß unsere, die deutsche Seite zu erkennen gibt, welchen Beitrag wir dazu leisten wollen.
Der Kommentar folgt auf der Stelle. In der Prawda vom 24. Februar, wenige Tage danach, steht zu lesen:
Im Galopp durch Europa hat Vance nicht viel erreicht. Der ursprüngliche Plan der USA, in Bonn die sogenannte atlantische Stärke vor Augen zu führen, hat einen Reinfall erlebt. Bonn erklärt sich in Worten mit den USA solidarisch, gab jedoch nur in einem Punkte nach.
Aus der Sicht der Sowjetunion stellt sich der Westen zweieinhalb Monate nach der Aggression auf Afghanistan so dar:
Erstens. Die Sowjetunion erlebt eine Bundesregierung, die den Eindruck fördert, um ihres Verständnisses von Entspannung willen die Solidarität mit den USA einzuschränken und die Bindungen gegenüber der Führungsmacht zu lockern mit dem Ziel, eine politische Sonderrolle zumindest ins Auge zu fassen.
({58})
Zweitens. Sie erlebt eine Europäische Gemeinschaft und eine westliche Allianz, die, vorsichtig ausgedrückt, unfähig zu sein scheinen, rasch und entschlossen zu reagieren. Ich befürchte, meine Damen und Herren, daß die sowjetische Führung schon heute zu einer für uns sehr gefährlichen Schlußfolgerung gekommen sein könnte: daß der eigentliche Gewinn ihrer Aggression in Afghanistan weniger in der errungenen Option in Richtung Golfregion zu sehen ist als in der Erfahrung, daß das Atlantische Bündnis und vor allem die Europäer in sich uneinig sind.
({59})
Diese Beurteilung ist ja nun wahrlich nicht aus der Luft gegriffen. Die sowjetische Propagandaoffensive der letzten Woche zielt genau auf diesen Riß im westlichen Bündnis.
Ich zitiere wenige Stimmen. „Bundeskanzler Schmidt", so heißt es wörtlich, „hat den undurchdachten und abenteuerlichen Kurs der jetzigen amerikanischen Administration verurteilt und die Bewahrung der Errungenschaften der Entspannung für wichtig erklärt.'' Das ist eine offizielle sowjetische Stimme.
Dann, Herr Kollege Brandt: „Der SPD-Vorsitzende, Willy Brandt, unterstrich die Notwendigkeit einer selbständigen Interessenvertretung westeuropäischer Staaten. ,Carter kann nicht für die Westdeutschen sprechen', erklärte Willy Brandt."
Und Tass - das darf nicht fehlen - lobt die „vernünftige Beurteilung" Egon Bahrs.
({60})
Und eine besonders berüchtigte Stimme aus der DDR: Karl Eduard von Schnitzler wünscht sich, daß die Worte Herbert Wehners - ich zitiere jetzt wörtlich - „in die Gehörgänge gewisser Politiker Westeuropas und Washingtons Eingang finden".
({61})
Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor, daß diese Stimmen so über Sie sprechen. Was ich Ihnen vorhalte, ist, daß Ihre Politik zu jenen Kommentaren Anlaß gab. Das ist das, was wir beklagen.
({62})
Herr Bundeskanzler, müssen Sie, wenn Sie sich in einer ruhigen Stunde Rechenschaft geben, nicht selber zugeben, daß die Politik, die Sie in diesen Wochen mitgetragen haben, die Sowjetunion natürlich ermutigt hat? Mußte die sowjetische Führung nicht den Eindruck gewinnen, daß viele Europäer bereit sind, Afghanistan zu vergessen, wenn die Sowjetunion nur eine irgendwie geartete neue Entspannungsgeste anbietet? Jeder von uns hier im Saal - ich finde, wir brauchen dies nicht immer neu zu wiederholen; wir haben es im Januar lange besprochen - ist natürlich für Entspannung oder, wie der Herr Bundesaußenminister neuerdings formuliert, für realistische Entspannung. Für uns ging es immer um realistische Entspannung. Aber wir können doch nicht so tun, als sei die Welt im Februar 1980 noch die gleiche wie im Februar 1979, - obwohl wir im Blick auf die sowjetische Rüstungspolitik Sie schon damals auf diese Entwicklung hingewiesen haben.
Ich gehe ein Stück weiter. Muß die Sowjetunion aus ihrer Erfahrung und ihrem Denken nicht einfach genügend Zeit verstreichen lassen, um sogar mit neuen westlichen Vorleistungen rechnen zu können, für die sie nur eine Gegenleistung erbringen muß, nämlich ihre Bereitschaft zu neuen Gesprächen?
Herr Bundeskanzler, haben Sie sich unter diesem Gesichtspunkt einmal die Frage vorgelegt, welch hohen Preis wir für das weitere Hinauszögern von Entscheidungen und Gegenmaßnahmen einmal zahlen müssen? Haben Sie - ich sage dies ganz ruhig
und sehr ernst - überlegt, was ein deutscher Olympiaboykott im Mai noch wert ist, - im Vergleich zu dem Verlust an Vertrauen, zu der Verärgerung und Enttäuschung in weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung? Sie wissen doch so gut wie ich - ich sage es noch einmal -, welch eine gewaltige psychologische Veränderung sich glücklicherweise in den Vereinigten Staaten in wenigen Monaten ergeben hat. Unsere Politik ist eine jämmerliche Antwort auf diese neue Tatsache in den Vereinigten Staaten.
({63})
Wir, die CDU/CSU, sind der Auffassung, daß eine solche Politik den deutschen Interessen schadet, daß sie unsere Sicherheit gefährdet, die Sowjetunion ermutigt und damit den Frieden gefährdet.
Ihre Gespräche in Washington, Herr Bundeskanzler, bieten eine Chance, die Chance, die deutschamerikanische Freundschaft neu zu beleben, die westliche Allianz zu stärken - durch Maßnahmen und nicht durch Worte. Ich finde, der Anfang muß hier im Bundestag erfolgen. Deswegen sollten Sie dankbar sein für diese Debatte. Sie sollten dankbar sein, wenn Ihnen die stärkste politische Gruppierung in der Bundesrepublik Deutschland hier in dieser zentralen Frage ihre Unterstützung anbietet.
Wir erwarten von Ihnen erstens eine überzeugende Aussage über das Gesamtkonzept Ihrer Politik, Klarheit über die Ziele, die Sie gemeinsam mit den westlichen Bündnispartnern und vor allem mit den USA verfolgen wollen. Wir erwarten eine unmißverständliche Aussage über den Beitrag, den Sie im Rahmen der Arbeitsteilung im westlichen Bündnis zu leisten. bereit sind.
Ich sprach über die Diskussion zum Olympiaboykott und stelle mit Bedauern fest, daß nach der heutigen Debatte die Diskussion über die Frage der deutschen Haltung verwirrter sein wird als vor der heutigen Debatte.
Zweitens. Wir verlangen eine Aussage über den deutschen Beitrag zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit des westlichen Bündnisses und der Bundeswehr im besonderen und über den deutschen Anteil an steigenden Lasten, die die USA auch für unsere Sicherheit weltweit tragen müssen. Ich hätte schon begrüßt, Herr Bundeskanzler, wenn Sie uns auch ganz offen gesagt hätten, in welch eine Richtung wir etwa in wenigen Wochen beim Nachtragshaushalt Entwicklungen zu erwarten haben. Das, was beispielsweise der Herr Bundesfinanzminister dazu sagt, kann doch sicherlich nicht das letzte Wort der Bundesregierung sein.
Drittens. Wir erwarten und verlangen von Ihnen, Herr Bundeskanzler, daß in Ihren Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten verbindliche Zusagen für die Bereitschaft der Bundesrepublik getroffen werden, auch unsere Außenhandelspolitik in dem von Ihnen immer wieder beschriebenen Ziel zu überprüfen, um die Solidarität mit den USA auch in der Beschränkung des Exports strategisch wichtiger Güter und Waren mit besonderem technischen Know-how unter Beweis zu stellen.
Wir erwarten ein klares Wort - ein Teil dessen, was wir erwarten, dies will ich einräumen, ist heute hier wenigstens andeutungsweise zu hören gewesen, aber es genügt nicht- über den deutschen Beitrag zur politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung im Nahen und Mittleren Osten und in anderen Regionen der Dritten Welt.
Herr Bundeskanzler, jeder weiß, daß in Washington klare Erwartungen auf die Bundesrepublik Deutschland zukommen. Jeder weiß doch, daß wir für unsere Sicherheit und damit für den Frieden in der Welt höhere Lasten tragen müssen, höhere Opfer bringen müssen. Wir alle sprechen seit Wochen von den notwendigen Opfern, die auf uns, auf unsere Mitbürger zukommen. Wir - Franz Josef Strauß und ich - haben Ihnen - im Gespräch und öffentlich - wiederholt unsere Bereitschaft als CDU/CSU erklärt, dabei Mitverantwortung zu übernehmen. Aber, Herr Bundeskanzler, Gemeinsamkeit zwischen Regierung und Opposition kann sich nicht darin erschöpfen, daß wir über die Opfer reden, bereit sind, Opfer zu bringen, während Sie - SPD und FDP - Wahlgeschenke verteilen.
({64})
Nach unserer Verfassung ist es die Aufgabe des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, d. h. auch, uns, den Bürgern dieses Landes, zu sagen, worauf es ankommt und was auf sie zukommt. Herr Bundeskanzler, meine Frage lautet: Wann werden Sie dies endlich tun?
Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse und im Interesse aller Bürger der Bundesrepublik Deutschland, daß Ihre Gespräche mit dem amerikanischen Präsidenten erfolgreich verlaufen. Handeln Sie in diesem Sinne! Wir wünschen Ihnen und damit uns Erfolg.
({65})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kohl, ich will der Versuchung widerstehen, nunmehr einen anderen Zettelkasten zu öffnen und unterschiedliche Erklärungen aus Ihren Reihen vorzutragen, wobei es manchen gelungen ist, mit verschiedenen Erklärungen gleichzeitig an verschiedenen Stellen Ihres politischen Spektrums zu stehen.
({0})
Ich möchte nur auf einen Komplex Ihrer Rede hinweisen, nämlich auf Ihre Kommentierung der deutsch-französischen Begegnung in Paris und der dort verabschiedeten gemeinsamen Deklaration. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist das legitime Recht der Opposition, wirkliche oder vermeintliche Fehler der eigenen Regierung zu kritisieren. Dort, wo diese Kritik aber eine so empfindliche und kostbare Angelegenheit wie die deutsch-französische Freundschaft einbezieht, ist sie ein Schaden
für die außenpolitischen Interessen unseres Landes.
({1})
Diese Deklaration - lesen Sie sie wirklich noch einmal in Ruhe nach - bedeutet im Grunde ein gemeinsames Bekenntnis der beiden sich begegnenden Regierungen zum Atlantischen Bündnis, zur Treue gegenüber diesem Bündnis und seinen Partnern. Ich habe lange suchen müssen, bis ich eine ähnliche Erklärung gefunden habe. Das, meine Damen und Herren, war in der gegenwärtigen Lage ein besonderer Beitrag zur atlantischen Solidarität und nicht das, was hier als kritikwürdig dargestellt worden ist.
({2})
Es ist auch nicht richtig, daß diese Begegnung in Paris von unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft mit Mißtrauen betrachtet worden wäre. Unmittelbar nach unserer Zusammenkunft haben der französische Außenminister und ich im Ministerrat in Brüssel über diese Begegnung berichtet. Wir haben dort die gemeinsame Deklaration erläutert. Meine Damen und Herren, alle Außenminister der Gemeinschaft haben diese Erklärung begrüßt.
Nun muß man den Umgang in dieser Gemeinschaft kennen. Da werden keine Lippendienste geleistet, und da werden nicht diplomatische Höflichkeiten ausgetauscht. Da sagt man, was Sache ist. Der erste, der sagte, was Sache ist, war der von Ihnen als Kritiker in Anspruch genommene britische Außenminister, der sich zu Wort meldete und sagte: Ich möchte namens meines Landes diese Deklaration begrüßen. Daran wollen wir nicht rütteln lassen.
({3})
Meine Damen und Herren, diese Erklärung hat also schon ihre Bedeutung für die Zusammenarbeit, und ziehen wir deshalb bitte diese für die deutsch-französische Verständigung, Freundschaft und Kooperation wichtige Frage nicht in Streitigkeiten hinein, die sich aus der innenpolitischen Lage unseres Landes ergeben.
({4})
Ein zweites Wort will ich zu den Olympischen Spielen sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gehöre nicht zu denen, die in diesem Zusammenhang das Wort „Boykott" verwenden, weil die Frage, ob der Westen diese Spiele boykottiert oder nicht, eine Umkehrung der Verursachung ist. Nicht derjenige boykottiert diese Spiele, der sich verweigert, weil Olympische Spiele nicht Spiele des Friedens sind, sondern derjenige, der dem moralischen Anspruch der Olympischen Spiele durch sein Verhalten die Grundlage entzogen hat.
({5})
Deshalb sollten wir auch in der Wahl der Sprache nicht zu Irrtümern Anlaß geben.
({6})
- Die Position bekommen Sie doch sofort, das sind Sie doch bei mir gewohnt. Was ich jetzt sage, sage ich aus Überzeugung, und auch der Kollege Kohl sollte mir zubilligen - wie auch ich das jedem Kollegen im Hause zubillige -, daß ich meine Auffassung auf Grund meiner eigenen Einsichten und nicht durch den Blick auf die Demoskopie bilde.
({7})
Meine Damen und Herren, nichts trägt zur Verschleierung der wirklichen Notwendigkeiten in der gegenwärtigen Krise mehr bei als eine selbstquälerische Diskussion im Westen, die davon ablenkt, daß - ich wiederhole es - die Ursache für die Gefährdung der Spiele nicht die Amerikaner oder ein anderes westliches Land sind, sondern einzig und allein die Intervention der Sowjetunion in Afghanistan.
({8})
Weil das so ist, hat der Bundeskanzler die Sowjetunion aufgefordert und fordere ich die Sowjetunion auf, daß sie die Voraussetzungen dafür schafft, daß die Mannschaften aus allen Staaten der Welt an den Olympischen Spielen teilnehmen können. Denn jetzt sind nach unserer Überzeugung - auch das hat der Bundeskanzler gesagt - diese Voraussetzungen nicht gegeben.
({9})
Die Möglichkeiten, sie bis dahin herbeizuführen, sehen wir ohne Illusionen.
Nun sage ich Ihnen noch etwas: Weil die Intervention in Afghanistan uns genauso angeht wie die Vereinigten Staaten, ist es auch falsch, sie sozusagen als Anlaß für Solidaritätsgesten gegenüber den Vereinigten Staaten zu nutzen. Wenn wir uns entscheiden, entscheiden wir uns aus eigener Überzeugung und aus eigenen Interessen, die mit denen der Vereinigten Staaten identisch sind.
({10})
Meine Damen und Herren, das Nationale Olympische Komitee der Bundesrepublik Deutschland hat im Gegensatz zu manchen anderen Nationalen Olympischen Komitees eine, wie ich finde, sehr kluge und verantwortungsvolle Erklärung abgegeben. Es hat einerseits seine alleinige Zuständigkeit für die Entscheidung über die Teilnahme zum Ausdruck gebracht. Andererseits hat es gleichzeitig gesagt, es werde bei dieser Entscheidung politische Gesichtspunkte berücksichtigen. So verstehen wir staatsbürgerliche Verantwortung einer unabhängigen Sportorganisation in einer freien Gesellschaft.
({11})
Wenn das NOK seine Entscheidung zu treffen hat, hat es Anspruch auf eine verbindliche Stellungnahme der Bundesregierung, und diese wird ihre Stellungnahme in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Außenpolitik dieses Landes geben, in Wahrnehmung einer Verantwortung, die sie sich von niemandem abnehmen läßt und die sie auch anderen nicht zuweist oder aufdrückt.
Bis dahin werden wir alles tun, um eine übereinstimmende Haltung auch der europäischen Partner herbeizuführen. Was der Bundeskanzler hier über das Zusammenfließen europäischer Haltung und amerikanischer Haltung gesagt hat, ist der Ausdruck unseres Versuchs und unserer Bemühungen, in dieser Frage letztlich die westlichen Positionen zusammenzuführen. Das ist der Gegenstand dessen, worum wir uns jetzt bemühen.
({12})
Meine Damen und Herren, da würde ich die Regierung unterstützen, da würde ich sie nicht nur kritisieren.
Vizepräsident von Weizsäcker: Herr Bundesaußenminister, gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({13})?
Sehr gerne.
Herr Bundesminister, bleiben Sie nach dem, was Sie eben gesagt haben, bei Ihrer öffentlich geäußerten Haltung, daß sich die Bundesregierung nicht vorstellen könne, daß Deutsche an den Olympischen Spielen in Moskau teilnehmen, wenn die Amerikaner dort nicht einziehen?
({0})
Herr Kollege, ich habe das zwar nicht gesagt, aber ich halte diese Auffassung für richtig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1980 ihre" Einschätzungen und Ziele nach der sowjetischen Intervention in Afghanistan sowie auch die Möglichkeiten und Grenzen der deutschen Beiträge zur Überwindung der entstandenen Krise dargelegt. Das damals Gesagte gilt unverändert fort.
Wir hätten uns gewünscht, wenn wir heute in dieser Debatte - vielleicht kommt es noch - Anregungen für ein gemeinsames westliches Konzept auch von der Opposition hätten aufnehmen können.
({0})
Ich will nicht bestreiten, daß in dem Gespräch, das die Regierung mit Vertretern der Opposition hatte, Vorschläge vorgelegt worden sind, von denen Sie wissen, daß sie identisch mit den Vorstellungen der Bundesregierung sind.
Deutsche Vorschläge haben die Unterstützung der Verbündeten und Partner gefunden. Sie sind Bestandteil des sich heute deutlicher als damals im Januar abzeichnenden westlichen Gesamtkonzepts geworden. Ich wiederhole noch einmal: Die deutschfranzösische Deklaration vom 5. Februar 1980 war dafür ein wichtiger Beitrag.
Unsere Vorstellung von der Arbeitsteilung zur Erreichung des gemeinsamen Zieles hat sich im Westen durchgesetzt. Herr Kollege Kohl, schon aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers hätten Sie entnehmen können, daß wir dafür unsere gewichtigen Beiträge erbringen.
Unser Volk hat vom ersten Tage der Krise an keinen Zweifel daran gelassen, daß es den Frieden, der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Wiederaufbau Europas ermöglicht hat, mit allen Mitteln bewahrt wissen will. Es ist sich bewußt, daß auch der Frieden nicht geschenkt wird. Er muß durch eine Politik der Friedenssicherung - und dazu gehört auch unser Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung des Westens = bewahrt werden.
Selten waren sich Deutsche in Ost und West so nahe wie in diesen Wochen der Sorge um den Frieden und der Sorge auch um das in den letzten Jahren für den Zusammenhalt der Nation Erreichte. Das Bewußtsein dieser Gemeinsamkeit, das auch Verantwortung für das Schicksal der ganzen Nation bedeutet, wird auch in Zukunft das Handeln der Bundesregierung bestimmen. Unser Volk will in dieser Zeit der Sorge Besonnenheit. Es will weder Panik noch Scharfmacherei noch Illusionen. Es gilt unverändert als Ziel unserer Politik: Die Entschließung der Vereinten Nationen vom 14. Januar 1980 muß durch Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan erfüllt werden. Die Handlungsfähigkeit des westlichen Verteidigungsbündnisses muß gesichert und ausgebaut werden. Im Interesse des Weltfriedens und angesichts der weltweiten Abhängigkeiten muß durch eine politische Lösung für den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan eine weitere Eskalation verhindert werden. Die Stärkung der Unabhängigkeit und der Selbständigkeit der Staaten der Dritten Welt auch durch Förderung ihrer wirtschaftlichen und politischen Stabilität ist ein Beitrag zur Friedenssicherung und zur Verhinderung neuer Interventionen in anderen Teilen der Dritten Welt. Wir wollen die gemeinsame Rüstungskontrollpolitik des Westens mit unseren Partnern konsequent weiterverfolgen. Und - ich wiederhole es, auch wenn es manchen stören mag - es ist notwendig, das durch die Entspannungspolitik Erreichte zu erhalten und gleichzeitig die Grundlage für weitere Fortschritte zu bewahren.
({1})
Wir handeln dabei in dem Bewußtsein, daß ein Rückfall in den Kalten Krieg kein Volk mehr treffen würde als das deutsche.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sind uns bewußt: Diese Ziele können Europa und Amerika nur gemeinsam erreichen. Schon hier liegt Übereinstimmung der europäischen und der amerikanischen Interessen. Diese gemeinsame Interessenlage ist in der Notwendigkeit des Gleichgewichts begründet.
Dieses Gleichgewicht können Europäer und Amerikaner nur gemeinsam schaffen. Gleichgewicht ist nun einmal Voraussetzung jeder Sicherheitspolitik und damit auch jeder realistischen Entspannungspolitik.
Das westliche Verteidigungsbündnis ist aber mehr als ein Ausdruck gemeinsamer Interessen. Es beruht auf gemeinsamen Wertvorstellungen, und es ist als ein Bündnis westlicher Demokratien in Wahrheit eine Schicksalsgemeinschaft der Freiheit. Wir werden der Bedeutung dieses Bündnisses erst dann voll gerecht, wenn wir es nicht nur als ein machtpolitisches Kalkül zu unserem Nutzen sehen, sondern wenn wir begreifen, was in den letzten Jahrzehnten gemeinsam erreicht, auch durchgestanden wurde - und ich sage: gerade in und um Berlin. Dieses Bündnis ist längst für die Menschen in unserem Lande, in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten auch eine Sache des Herzens geworden. Das wollen wir nicht unterschlagen.
({3})
Meine Damen und Herren, das Bündnis hat damit die Qualität und die Dimension der Militärallianzen der alten Zeit weit hinter sich gelassen. Die Tatsache, daß Gleichgewicht Voraussetzung jeder realistischen Entspannungspolitik ist, widerlegt die These von der Unvereinbarkeit der Entspannungspolitik mit europäisch-amerikanischer Solidarität.
({4})
Es gehört zu der unverzichtbaren Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik, daß wir uns nicht in die Scheinalternative „Entspannung oder Bündnis", „Entspannung oder transatlantische Kooperation" drängen lassen.
({5})
Je früher die Sowjetunion erkennt, daß sie vergeblich auf einen solchen Fehler der Europäer hofft, um so früher wird die Sowjetunion auch in der Lage sein, sich realistisch auf die auch in ihrem Interesse liegenden Möglichkeiten der Entspannung und der Zusammenarbeit in Europa auf der Grundlage der Gleichberechtigung einzustellen.
Wir jedenfalls handeln in unserem ureigenen Interesse, wenn wir durch Wort und Tat alles unternehmen, um jede Fehleinschätzung auf der Seite der Sowjetunion zu vermeiden. Gerade in der gegenwärtigen Lage ist für Unklarheiten kein Platz.
({6})
Deshalb ist das eindeutige und unbezweifelbare Bekenntnis zum westlichen Verteidigungsbündnis eine der unverzichtbaren Voraussetzungen für die Fortsetzung einer realistischen Entspannungspolitik.
Die Geschichte des westlichen Bündnisses und die Geschichte der Europäischen Gemeinschaft zeigen, daß in Bündnis und Gemeinschaft bei allen Problemen, die sich aus der partnerschaftlichen Zusammenarbeit gleichberechtigter und unabhängiger demokratischer Staaten ergeben, in Zeiten der Herausforderung noch immer die Entschlossenheit vorhanden war, diese Herausforderung auch gemeinsam zu bestehen. Nur wenn dieser Wille vorhanden ist und nur wenn er sich durchsetzt, kann der Westen aus solchen Herausforderungen gestärkt hervorgehen, und das nicht nur wirtschaftlich oder militärisch, sondern auch politisch, moralisch und psychologisch. Das muß auch jetzt der Fall sein.
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle, obwohl ein unmittelbarer Zusammenhang mit Afghanistan nicht besteht, auf ein Problem hinweisen, dessen Bedeutung vor dem Hintergrund der Ereignisse in Afghanistan noch größer geworden ist. Ich meine das Problem, das sich aus dem britischen Nettobeitrag für den Haushalt der Europäischen Gemeinschaft ergibt. Die Bundesregierung hat vor dem Europäischen Rat und während des Europäischen Rates von Dublin erhebliche Anstrengungen unternommen, um in dieser Frage eine Regelung herbeizuführen. Sie wird das auch in Zukunft tun. Es ist notwendig, daß jetzt alle Partner der Europäischen Gemeinschaft durch ihr Verhalten die Handlungsfähigkeit Europas unter Beweis stellen. Es ist jetzt eine europäische Antwort und nicht eine Antwort widerstreitender nationaler Interessen erforderlich. Meine Damen und Herren, nun haben wir ja alle Schwesterparteien in den anderen europäischen Staaten, die dort genauso Regierungsverantwortung tragen wie wir hier bzw. in der Opposition sind wie Sie hier. Ich finde, von hier aus sollten wir uns noch einmal auch bei den uns nahestehenden Parteien in den anderen europäischen Staaten bemühen, daß sie erkennen: Der nächste Europäische Rat muß die geschichtliche Bedeutung der Stunde erkennen und eine Regelung dieser schwerwiegenden Frage aus Gründen der Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft herbeiführen.
({7})
Die Erkenntnis, daß die Forderung nach Eifüllung der Resolution der Vereinten Nationen den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan allein ja noch nicht bewirkt, und die Bemühung, eine weitere Eskalation zu vermeiden, standen im Mittelpunkt der Beratungen der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft am 19. Februar 1980 in Rom. Die Forderung nach einem politisch unabhängigen, blockfreien Afghanistan zeigt einen Weg, wie Afghanistan sein Selbstbestimmungsrecht ausüben kann und wie verhindert werden kann, daß das Land zum Spielball von Machtinteressen wird. Sie vermittelt der Sowjetunion die Gewißheit, daß es nicht die Absicht des Westens ist, aus dem Rückzug der sowjetischen Truppen einen Vorteil für den Westen zu Lasten sowjetischer Sicherheitsinteressen zu ziehen. Die Unterstützung des europäischen Vorschlags durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten und durch die amerikanische Regierung bedeutet das konzeptionelle Zusammenwirken von Europäern und Amerikanern auch in dieser Frage. Ich verstehe nicht, wie hier gesagt werden kann, der
Westen habe sich noch immer nicht zur Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes aufraffen können.
({8})
Wenn es das einzige oder - was wahrscheinlicher ist - eines von mehreren Motiven der sowjetischen Intervention gewesen sein sollte, eine Veränderung des Gleichgewichts in der Region zu Lasten der Sowjetunion zu verhindern, so kann diesem Motiv nach dem erklärten Willen der Staaten der Europäischen Gemeinschaft und ihrer amerikanischen Partner durch den von uns geforderten Status für Afghanistan Rechnung getragen werden. Keine anderen Absichten als wir haben die Staaten der Region und die Teilnehmer der islamischen Konferenz von Islamabad. Der Westen will Afghanistan nicht unter seinen Einfluß bringen. Wir wollen keine Stützpunkte in diesem Land. Wir wollen aus Afghanistan auch keine Plattform gegen die Sowjetunion machen. Wir wollen nichts anderes, als daß ein kleines Volk sein Recht auf Selbstbestimmung frei von Einmischung von außen ausüben kann.
({9})
Wir wissen uns darin mit den Staaten der Region und mit der überwiegenden Mehrheit der Staaten der Völkergemeinschaft einig. Die Bereitschaft zur Respektierung und, wenn es gewünscht wird, der verbindlichen Garantietang der territorialen Integrität, der Souveränität, der politischen Unabhängigkeit und der Blockfreiheit Afghanistans dient allen Staaten der Region, auch der Sowjetunion.
Dieser Vorschlag der Europäischen Gemeinschaft bringt über die Forderung nach dem Rückzug hinaus ein dynamisches politisches Element in die internationale Diskussion. Die Berücksichtigung auch sowjetischer Interessen unterstreicht unseren Willen zum Interessenausgleich und zur Vermeidung weiterer und schließlich zum gänzlichen Abbau der Eskalation. Dieser Wille kann aber nur wirksam werden, wenn er eine konstruktive Antwort aus Moskau findet. Deshalb sollte man diesen Vorschlag in der Sowjetunion ernst nehmen. Seine Unterstützung durch Staaten der Dritten Welt, durch Staaten der Blockfreien-Bewegung ist geeignet, sein Gewicht zu erhöhen.
Generalsekretär Breschnew hat sich in seiner Rede am 22. Februar 1980 zu Voraussetzungen für den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan geäußert. Falls es beabsichtigt gewesen sein sollte, mit dieser Rede eine Reaktion auf die Erklärung von Rom zu geben, falls diese Rede glaubhaft signalisieren soll, daß die Sowjetunion ihre Truppen aus Afghanistan zurückziehen will, dann bedarf es jetzt einer Darlegung der Modalitäten für den Rückzug, so wie die Sowjetunion sie sieht. Nur das gibt uns, dem Westen, nur das gibt der Dritten Welt die Möglichkeit, Ziele und materielle Bedeutung der Breschnew-Rede zu beurteilen. Oder um es anders auszudrücken: Jetzt müssen den Worten Taten folgen. Das war der Teil meiner Rede, den Herr Kollege Kohl bei seinem Zitat unterschlagen hat. Jetzt müssen den Worten Taten folgen.
({10})
Unsere Bereitschaft zur ernsthaften Prüfung der Rede und unsere Forderung nach Erläuterung der Vorstellungen der Sowjetunion ist Ausdruck unserer Überzeugung, daß für die Erhaltung des Friedens nichts, aber auch gar nichts und keine Chance verbaut werden darf.
({11})
Ich finde deshalb, daß sich derjenige, der diese Rede beim ersten Hören mit der Qualifikation „zynisch" vom Tisch wischt, fragen lassen muß, was er über die verbale Forderung nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen hinaus denn nun in der Sache tun will, um diesen Rückzug auch herbeizuführen.
({12})
Jetzt geht es darum, daß die bestehenden Kontakte der beiden Großmächte und genauso die Möglichkeiten der Staaten der Europäischen Gemeinschaft genutzt werden.
Die Bundesregierung hat schon in der Debatte am 17. Januar 1980 auf die Bedeutung der Intervention in Afghanistan auch für das Verhältnis der Staaten der Dritten Welt zur Sowjetunion hingewiesen. Wir haben damit auf einen wesentlichen - in der heutigen Rede von Herrn Kollegen Kohl nur am Rande berührten - Aspekt der jetzt entstandenen weltpolitischen Krisensituation verwiesen. Vor dem Hintergrund der sowjetischen Intervention gewinnt die Bewegung der Blockfreien ein zusätzliches Gewicht. Wir sehen in dieser Bewegung ein Element der Stabilität und des Ausgleichs in der Welt. Unsere Politik der Stärkung der Unabhängigkeit dieser Staaten ist auch Politik der Friedenssicherung.
Die Aktivitäten der Sowjetunion und ihrer Verbündeten, auch unter Einsatz militärischer Mittel Vorherrschaft in Afrika und in anderen Teilen der Dritten Welt zu begründen, hat in den Staaten der Dritten Welt, hat unter den Blockfreien das Bewußtsein für die Notwendigkeit wirklicher Blockfreiheit und Unabhängigkeit verstärkt. Vor allem seit der Gipfelkonferenz in Havanna, jetzt verstärkt durch die Ereignisse in Afghanistan, verweigern sich immer mehr Staaten der Dritten Welt der These, die Sowjetunion sei der natürliche Verbündete der Blockfreien.
In diesen Tagen, in denen sich Jugoslawien der Sorge vieler Menschen in der Welt um das Leben von Präsident Tito sicher sein kann, wird hoffentlich vielen bewußt, welche bedeutende Rolle dieser europäische Staatsmann auf der Konferenz in Havanna im Kampf um die Wahrung der Unabhängigkeit der Blockfreien-Bewegung gespielt hat.
({13})
Meine Damen und Herren, er hat dort als der überlebende Gründervater dieser Bewegung verhindern wollen, daß dieser Teil seines Lebenswerks scheitert. Ich hätte mir damals gewünscht, daß man das, was dort in Havanna vor sich gegangen ist, in manchen Lagern differenzierter gesehen hätte. Wir als Europäer verdanken Jugoslawien und seinem Präsidenten, daß die Blockfreien-Bewegung, deren Bedeutung für die Welt mehr und mehr steigen wird, nicht als eine außereuropäische oder gar antieuropäische Idee mißverstanden werden kann, eben weil
ein europäisches Land zu den Begründern und aktiven Mitgliedern dieser Bewegung gehört.
({14})
Meine Damen und Herren, auch in dieser Phase des Klärungsprozesses unter den Blockfreien wäre es ein historischer, d. h. ein nicht wiedergutzumachender Fehler, wollte sich der Westen nun seinerseits als natürlicher Verbündeter empfehlen oder gar blockfreie Staaten für sich als prowestlich reklamieren. Die Abstimmung in den Vereinten Nationen, die nur mit den Stimmen vieler blockfreier Länder, auch solcher, die man manchmal - auch in unserem Lande - schon als „sowjetische Satelliten" abgestempelt hatte, konnte das Ergebnis von 104 Stimmen nur erreichen, weil die Blockfreien-Bewegung so engagiert hinter der Forderung nach der Unabhängigkeit für Afghanistan steht. Aber diese Abstimmung war keine Abstimmung für den Westen, sondern sie war eine Abstimmung für die Selbstbestimmung, für die Blockfreiheit, für die Unabhängigkeit Afghanistans, stellvertretend für alle Staaten der Dritten Welt, die sich von Vorherrschaft bedroht fühlen.
({15})
Nur in einem solchen Verständnis der Blockfreiheit wird es dem Westen möglich sein, dort, so gemeinsame Interessen und gemeinsame Ziele berührt werden, auch für die Zukunft jenes Maß an Übereinstimmung zu erreichen, das sich in dieser bedeutenden Abstimmung in den Vereinten Nationen am 14. Januar 1980 gezeigt hat.
Wir brauchen diese Übereinstimmung, meine Damen und Herren, wenn eine politische Lösung der Afghanistan-Krise durch Rückzug der sowjetischen Truppen aus diesem Land erreicht werden soll. Wir lassen dabei keinen Zweifel daran, daß für eine solche Entwicklung die Haltung Indiens von entscheidender Bedeutung ist. Das Verhältnis der Staaten dieses großen Subkontinents zueinander erfordert größte Behutsamkeit bei Art und Weise der finanziellen und wirtschaftlichen Hilfe für die Entwicklung Pakistans. Es hat in unserem Lande Forderungen gegeben, Waffen nach Pakistan zu exportieren. Diese Forderungen lehnen wir nicht nur aus Gründen unserer restriktiven Waffenexportpolitik ab, sondern weil wir nicht eine zusätzliche Komplizierung der schwierigen politischen Verhältnisse in diesem Raum herbeiführen wollen.
({16})
Aber wir werden unseren Beitrag leisten, um durch die wirtschaftliche Unterstützung Pakistans zur Stabilität in der Region beizutragen und damit den Bewegungsraum für Indien als ein führendes Land der Blockfreien-Bewegung zu erweitern; einen Bewegungsraum, der unverzichtbar ist, wenn Indien seine politische und moralische Bedeutung für den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan einsetzen will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Handlungsfähigkeit des westlichen Bündnisses findet ihren Ausdruck nicht nur in dieser von mir eben dargelegten gemeinsamen Initiative von Europäern
und Amerikanern für eine politische Lösung der Afghanistan-Frage. Aber ich glaube, daß diese Initiative wichtig genug ist, daß sie in der Aussprache hier gründlicher behandelt werden sollte, als das bei dem .erstén Beitrag der Opposition der Fall war.
Man muß sicher sein, wie breit die Unterstützung für diesen ernst gemeinten Versuch der westlichen Staaten ist, politisch und nicht nur deklamatorisch das Ziel zu erreichen: die Sowjetunion soll ihre Truppen zurückziehen.
Unsere Handlungsfähigkeit muß sich auch bei der Stärkung des. Bündnisses für die Erfüllung seiner Verteidigungsausgaben erweisen. Wir halten daran fest, was wir schon in der Debatte am 17. Januar 1980 gesagt haben: Die Aufgabe der Bundeswehr liegt hier in Mitteleuropa. Dabei haben wir keinen Anlaß, die Bedeutung der Bundeswehr für die gemeinsame Sicherheit der Partner unter den Scheffel zu stellen oder sie geringer darzustellen, als sie ist.
Die Einordnung der Bundeswehr in das Staats- und Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland und die Wehrpflicht bei uns sind die unverzichtbaren Voraussetzungen für dieses Gewicht des deutschen Verteidigungsbeitrags. Die Erfüllung des realen Drei-Prozent-Zieles für 1980 unterstreicht die Entschlossenheit der Bundesregierung, auch in der gegebenen schwierigen finanzpolitischen Situation übernommene Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Verpflichtungen entsprechen den gemeinsamen, aber damit auch unseren eigenen Interessen.
Die Konzentration der Bundesrepublik Deutschland durch ihren eigenen Verteidigungsbeitrag auf Mitteleuropa wird durch unsere Bemühungen um eine finanzielle und wirtschaftliche Gesundung der Türkei und durch unsere Bemühungen um die Stärkung der Verteidigungskraft der Türkei und Griechenland ergänzt.
Da hier die Frage gestellt worden ist, was die Bundesregierung tue, muß ich fragen: Ist es eigentlich nichts, wenn wir diesen wichtigen Partner an der Südflanke der NATO in die Lage versetzen, seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden, damit er durch politische Stabilität ein noch verläßlicherer Partner im Bündnis werden kann? Die ernsthaften Anstrengungen der türkischen Regierung zur Überwindung der schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Lage rechtfertigen unsere erheblichen Bemühungen. Wir erwarten sie auch von anderen Partnern.
Der Grund für unsere Bemühungen liegt nicht nur in der strategischen Lage der Türkei, er findet seine Rechtfertigung auch in der Solidarität aller Bündnispartner mit jedem einzelnen Mitglied. Nur wenn wir die Sorgen und Probleme der Türkei in richtiger Einschätzung der eigenen Interessen auch als eigene Sorgen und Probleme empfinden, werden wir diesem wichtigen und für uns alle bedeutsamen Land die notwendige und die wirksame Hilfe geben können. Das gilt auch für die Verteidigungshilfe.
Wir sollten uns bei der Bewertung der Türkei auch der Tatsache bewußt sein, daß dieses verbündete Land als Teilnehmer der islamischen KonfeBundesminister Genscher
renz von Islamabad der sichtbare Beweis dafür ist, daß die Verfolgung der islamischen Interessen und Ziele und die Zielvorstellungen des westlichen Verteidigungsbündnisses nicht Gegensätze sind, sondern daß man sie miteinander vereinbaren kann.
Die Initiative der Bundesregierung für eine Hilfsaktion für die Türkei ist von dem Ziel und der Vorstellung getragen, daß sie um ihrer Wirksamkeit willen umfassender, qualitativ günstiger und im Gegensatz zu vorausgegangener Unterstützung mittelfristig angelegt sein muß. Wir haben die bei der letzten Aktion übernommenen Verpflichtungen zeitgerecht erfüllt. Wir sind auch bei der Soforthilfe für 1980 dabei, um akute Probleme zu überwinden.
Dient die finanzielle Hilfe der wirtschaftlichen und damit der politischen Stabilität, so ist die Verteidigungshilfe auf die unmittelbare Stärkung der türkischen Armee und, soweit sie für Griechenland bestimmt ist, der griechischen Armee gegen die Bedrohung von außen gerichtet. Die Bundesrepublik Deutschland unterstreicht damit ihren Willen, über die Konzentration ihrer militärischen Anstrengungen über Zentraleuropa hinaus durch Stärkung der Südflanke des Bündnisses einen zusätzlichen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit zu leisten.
Das Konzept der Arbeitsteilung im Bündnis gewinnt damit an Konturen, und zwar durch die sichtbaren Anstrengungen, die die Bundesrepublik Deutschland unternimmt. Das sollte man auch in diesem Hause nicht in Zweifel ziehen. Diese Arbeitsteilung verstehen wir als die Übernahme von aufeinander abgestimmten, auf das gemeinsame Ziel gerichteten Leistungen aller Bündnispartner. Das ist damit das Gegenteil von einer Arbeitsteilung, die als die Trennung von Lasten und Vorteilen mißverstanden wäre.
({17})
Meine Damen und Herren, der Wille, im Rahmen der Gesamtkonzeption zur Erreichung des gemeinsamen Zieles beizutragen, bedeutet eine Stärkung auch des inneren Zusammenhalts und der Überzeugungskraft des Bündnisses. Das werden wir auch in unseren gemeinsamen Bemühungen tun, die Unabhängigkeit blockfreier Staaten zu stärken. Wir haben am 17. Januar 1980 darüber berichtet, daß wir uns mit Nachdruck um den Abschluß des Kooperationsabkommens mit Jugoslawien bemühen. Wir können heute feststellen, daß dieses Abkommen am 25. dieses Monats paraphiert worden ist. Das ist eine wichtige politische Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft in einer schwierigen Lage für Jugoslawien.
({18})
Die Bemühungen um eine verstärkte wirtschaftliche und politische Kooperation mit den Golf-Staaten zur Stärkung der Unabhängigkeit dieser Länder sind im Gange. Der Bundeskanzler hat auf die Bedeutung des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den ASEAN-Staaten hingewiesen. Es wird am 7. März unterzeichnet werden. Es geht auf eine Initiative der Bundesrepublik Deutschland zurück und ist ein Beweis dafür, daß regionale Zusammenschlüsse - unabhängig von der Struktur ihrer Länder - auf der Grundlage der Gleichberechtigung wirksam zusammenarbeiten können. Wir geben damit ein Modell der Zusammenarbeit ohne Vorherrschaft und ohne Einfluß auf Staaten der Dritten Welt.
Das Ziel, die Wiederholung von Interventionen wie in Afghanistan in anderen Teilen der Welt zu verhindern, muß auch durch eine Beseitigung von Konfliktherden verfolgt werden. Vor diesem Hintergrund bedarf der Weg Rhodesiens in die Unabhängigkeit der Unterstützung aller konstruktiven Kräfte in der Welt. Bei allen Schwierigkeiten, von denen dieser Prozeß bis zum heutigen Tage begleitet ist und noch weiter begleitet sein wird, ist es notwendig, die Signalwirkungen zu erkennen, die sich aus einem positiven Verlauf in Rhodesien für die Lösung der Namibia-Frage und auch für die innere Entwicklung in der Republik Südafrika selbst ergeben können. Die Bundesregierung appelliert deshalb an alle, die es angeht, die getroffenen Vereinbarungen konsequent zu beachten und nicht in letzter Minute die Bemühungen zum Scheitern zu bringen, die die britische Regierung mit unserer Unterstützung unternommen hat.
({19})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß in der Konferenz von Islamabad - was leicht übersehen wird - neben der Forderung nach Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan auch auf die Bedeutung einer umfassenden, gerechten und dauerhaften Lösung der Nahost-Frage hingewiesen worden ist. Wir hoffen und erwarten, daß alle am israelisch-arabischen Konflikt Beteiligten erkennen: Die Lösung der Nahost-Frage ist eine wichtige Voraussetzung für die Unabhängigkeit und das Selbstbestimmungsrecht aller Völker der Region. Bei allen noch vorhandenen Gegensätzen: hier sitzen Araber und Israelis in einem Boot.
({20})
Eine Lösung wird nur möglich sein, wenn auch das palästinensische Volk sein Selbstbestimmungsrecht ausüben kann. Schon in der Vergangenheit hat sich der europäisch-arabische Dialog auf die Region stabilisierend ausgewirkt. Gerade in der gegenwärtigen Lage ist seine Aktivierung nach Auffassung der Bundesregierung von großer Bedeutung.
Der Bundeskanzler hat sich hier zur Notwendigkeit der Fortsetzung der Politik der Entspannung geäußert. Ich sage Ihnen: auch abgesagte Besuche nehmen uns nicht die innere Souveränität, weiter dafür zu arbeiten, daß sich Deutsche in Deutschland näherkommen können.
({21})
Wir sind auch in voller Übereinstimmung mit unseren Partnern im westlichen Bündnis - das war ein ganz wichtiges Ergebnis des Besuchs des amerikanischen Außenministers -, daß wir im Bereich der Rüstungskontrolle alle Anstrengungen unternehmen müssen, um hier Fortschritte zu erzielen. Die Verhandlungsvorschläge des westlichen Bünd16190
nisses vom Dezember 1979 liegen auf dem Tisch.
Wir wollen über Mittelstreckenwaffen verhandeln.
({22})
Wir wollen, daß die Folgekonferenz in Madrid stattfindet und daß wir dort über vertrauenbildende Maßnahmen sprechen können. Wann eigentlich soll es dringlicher sein, über vertrauenbildende Maßnahmen zur Verhinderung von Überraschungsaktionen zu sprechen, als nach den Ereignissen, die wir in Afghanistan erlebt haben? Deshalb ist es so wichtig, daß man die Bedeutung des französischen Vorschlags für eine europäische Abrüstungskonferenz erkennt,
({23})
der das Gebiet für die vertrauenbildenden Maßnahmen ausdehnen will auf den ganzen westlichen Teil der Sowjetunion bis zum Ural. Da ist es notwendig, daß wir es vorbereiten.
Herr Kollege Kohl, wenn Sie meinen Kommentar zur Rede von Herrn Gierek hier verkürzt wiedergeben, erfordern es die intellektuelle Redlichkeit und der Umgang miteinander, daß Sie dazusagen, daß es jetzt darum geht - und das habe ich in dieser Erklärung gesagt -, zu prüfen, inwieweit dieser Vorschlag Giereks mit den Elementen des Vorschlags vereinbar ist, den wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und den Vereinigten Staaten verfolgen. Das war die Erklärung, die ich abgegeben habe.
({24})
Wir wissen, was es bedeutet, wenn auf der Folgekonferenz von Madrid eine europäische Abrüstungskonferenz eingesetzt werden soll. Das bedeutet nämlich, daß an dieser Abrüstungskonferenz wie am KSZE-Prozeß die Vereinigten Staaten von Amerika teilnehmen, so daß es auch rüstungskontrollpolitisch nicht zu einer Abkoppelung Europas von den Vereinigten Staaten kommen kann.
({25})
Diese Elemente muß man bei der Abwägung solcher Vorschläge mit herausnehmen - bei aller Skepsis, die jedem Vorschlag gegenüber geboten ist.
Es reicht angesichts der Wirkungen, die die sowjetische Intervention in Afghanistan hervorgerufen hat, nicht aus, das Verhalten der Bundesrepublik Deutschland auf ihre Erklärungen zur Teilnahme an den Olympischen Spielen oder den Zeitpunkt zu verkürzen, für den man sagt, daß man das Drei-Prozent-Ziel erfüllen kann oder nicht.
({26})
Hier ist eine Frage von weltpolitischer Bedeutung. Die tiefgreifenden Auswirkungen auf die ganze Welt sind unbestreitbar. Deshalb ist eine Lösung der Frage nur unter Einbeziehung der Entwicklungen in der ganzen Welt denkbar.
Daher tun wir uns selbst keinen Gefallen und tragen wir nicht zur Lösung der Krise bei, wenn wir nicht die Implikationen auf die Dritte Welt mit im
Auge haben und wenn wir nicht erkennen, daß die Staaten der Dritten Welt mit uns gemeinsame Interessen haben, und diese Interessenparallelität oder -identität nutzen. Der Rückschlag für die Entspannungspolitik, der von der Intervention ausgegangen ist, ist schwerwiegend und wird lang nachwirken. Das ändert nichts und darf nichts ändern an unserem Ziel, weiter für den Abbau von Spannungen und für Rüstungskontrolle zu arbeiten.
({27})
Militärisches Gleichgewicht ist unverzichtbar. Ginge es nach uns, würden wir dieses Gleichgewicht auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstungen haben. Aber wir werden nichts unterlassen, was notwendig ist, um dieses Gleichgewicht in jedem Fall zu garantieren.
Zu den wichtigsten Ergebnissen der Entwicklung nicht nur in den letzten Monaten, sondern in den letzten Jahren, gehört die Bildung eines neuen Bewußtseins in den Vereinigten Staaten. Die amerikanische Nation hat nach den schweren Belastungen, die ihr aus dem Krieg in Vietnam und aus der Watergate-Krise auferlegt worden sind, mit bewundernswerter Disziplin, die Bürger wie die Führung, bisher die nervliche Belastung des Geiseldramas in Teheran ertragen. Aber diese Nation ist sich auch ihrer großen Verantwortung für den Frieden, die Sicherheit und die Unabhängigkeit in der Welt bewußt geworden. Es gibt keinen Zweifel: Sie wird danach handeln - und nicht nur für die nächsten Monate. Es wäre eine grobe Fehleinschätzung, würde man das, was im Augenblick in den Vereinigten Staaten geschieht, als eine Wahlkampfeinlage derer ansehen, die sich zur Wahl stellen.
Die Europäer würden gewiß eine Chance versäumen, wenn sie nicht erkennen, daß dieses wiedererwachte weltpolitische Bewußtsein und der Wille, weltpolitische Verantwortung zu tragen, in den Vereinigten Staaten auch oder vielleicht sogar gerade im Interesse der Europäer ist.
({28})
Wir werden zusammen mit unseren Partnern und Verbündeten die Politik der Friedenssicherung fortsetzen. Die Sowjetunion macht diese Aufgabe durch den Umfang ihres Bedrohungspotentials und durch eine expansive politische Zielsetzung nicht leichter.
({29})
Die Sowjetunion hat auf der anderen Seite auch und nicht unbeachtliche Beiträge zu einer Politik geleistet, die in Europa Spannungen abgebaut hat. Die SALT-Verhandlungen der beiden Großmächte zeigen, daß auch die Sowjetunion angesichts des atomaren Vernichtungspotentials ihre Interessen, aber auch ihre Verantwortung sieht. Wenn der Frieden weltweit bewahrt werden soll, dann darf der OstWest-Gegensatz nicht auf die Dritte Welt übertragen werden. Darüber besteht hier keine Meinungsverschiedenheit.
({30})
Das aber kann der Westen nicht allein bewirken. So unbestreitbar die Sowjetunion wie wir von der Zusammenarbeit zwischen Ost und West profitiert, so unbestreitbar wird diese Zusammenarbeit immer wieder beeinträchtigt, wenn die Sowjetunion jede Möglichkeit einseitiger Vorteilserlangung in der Dritten Welt nutzt.
Die Unteilbarkeit der Entspannungspolitik ist unverzichtbar, soll sie nicht in Frage gestellt werden. Eine Politik, die sich nur dort an die Regeln des friedlichen Zusammenlebens und der Respektierung der Souveränität anderer hält, wo die Risiken für eine Expansion zu hoch sind, zerstört vorhandenes Vertrauen und verhindert künftige Vertrauensbildung. Wir unterstellen der Sowjetunion nicht den Willen zum Krieg mit dem Westen, aber Friedenssicherung erfordert konstruktive und nicht expansive Politik überall in der Welt.
({31})
Je früher die Sowjetunion erkennt, daß eine unabhängige, wirklich blockfreie Dritte Welt nicht nur im Interesse dieser Länder der Dritten Welt liegt, sondern genauso im Interesse der Sowjetunion wie der westlichen Staaten, um so schneller kann die Sowjetunion den Weg freimachen für eine gemeinsame und doch so dringend notwendige Hilfe des Nordens für den notleidenden Süden der Welt.
({32})
Meine Damen und Herren, an Stelle überholter Vorherrschaftspolitik, die der Westen auch im Bewußtsein eigener geschichtlicher Fehler ablehnt, muß der Wille aller Industriestaaten zur Zusammenarbeit mit der Dritten Welt, und zwar zur friedlichen Zusammenarbeit, treten. Es wäre eine schwerwiegende Fehlentscheidung und eine schwerwiegende Fehleinschätzung, wenn die Sowjetunion annehmen würde, der Wille des Westens zu einer politischen Überwindung der Afghanistan-Krise durch Rückzug der sowjetischen Truppen und der fortbestehende Wille auf unserer Seite zur Zusammenarbeit seien ein Zeichen der Schwäche. Nein, das ist ein Ausdruck unseres Willens zur Friedenssicherung. Unsere Entschlossenheit, das für die Verteidigung Notwendige zu tun und andere bei der Bewahrung ihrer Unabhängigkeit nicht im Stich zu lassen, unterstreicht, daß unsere Friedenspolitik frei von Illusionen ist. Nichts wird uns in dieser Politik beirren.
Aber wir wissen: das ganze deutsche Volk - hüben wie drüben - erwartet von uns eine illusionslose Politik der Friedenssicherung. Ich habe versucht, für die Bundesregierung einen Beitrag über Grenzen und Möglichkeiten des deutschen Beitrags zu liefern. Wir erwarten die Vorschläge, die Kritik und, wie ich hoffe, auch die teilweise Zustimmung der Opposition.
({33})
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Freistaates Bayern.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die Rede des Herrn Bundeskanzlers verfolgt und dann die Rede des Herrn Bundesaußenministers zur Kenntnis genommen hat, der konnte über bestimmte Abschnitte hinweg nicht den Eindruck unterdrücken, daß die beiden Herren zwei verschiedenen Regierungen angehören.
({1})
Vor allen Dingen manches, was der Herr Bundesaußenminister über die neue oder wiederhergestellte alte Haltung des Selbstbewußtseins und der Selbstzuversicht in den Vereinigten Staaten gesagt hat, war wohl nicht an die Adresse der Opposition gerichtet, sondern an die Adresse eines nicht kleinen Teiles der größeren Regierungspartei.
({2})
Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, wenn sowohl der Herr Bundeskanzler als auch der Herr Bundesaußenminister eine klare Definition des Begriffes der Entspannungspolitik gäben, damit diese pseudotheologische Anbetung eines mit beliebigem Inhalt gefüllten Begriffes, einer Worthülse endlich einmal aufhört.
({3})
Ich darf es für die beiden Unionsparteien sagen: wir haben immer eine realistische Politik der Entspannung - angesichts der Lage der Bundesrepublik Deutschland, und das noch vermehrt angesichts der Entwicklung der modernen Waffentechnik - für richtig gehalten und betrieben. Hier ist auch keine Zäsur im Jahre 1969 eingetreten. Nur hat man begonnen, metaphysische Vorstellungen mit dem Begriff Entspannungspolitik zu verbinden und dann die Menschheit bei uns in Bürger einzuteilen, die für die Entspannungspolitik sind, und in Bürger, die gegen die Entspannungspolitik sind. Dann hat man in dem gleichen Stile fortgefahren: in solche, die für den Frieden sind, und in solche, die damit nicht für den Frieden sind, in solche, die deshalb eine Sicherheitsgarantie darstellen, und in andere, die ein Sicherheitsrisiko darstellen. Das war eine Vergiftung der deutschen Innenpolitik auf der Grundlage einfach einer politischen Lüge.
({4})
Wer die Zeit der Großen Koalition in Erinnerung hat - einige haben es ja sicher -, der weiß, daß die Sowjetunion in der zweiten Hälfte der 60er Jahre bestimmte Signale ausgesandt hat. Ich bin kein Kremlastrologe, das überlasse ich anderen, aber eines weiß ich mit Sicherheit: daß die Zukunftsvisionen, die seinerzeit Herr Chruschtschow verkündet hat, nie eintreffen. Sie erinnern sich vielleicht, daß er - es muß wohl Ende der 50er oder Anfang der 60er Jahre gewesen sein - von der Überlegenheit des sozialistischen Systems oder des kommunistischen Systems gesprochen hat und daß dieses System die Demokratien - er nannte es natürlich: die Kapitalisten - einholen, überholen werde. Ich habe noch das drastische Wort in den Ohren: „Wir werden euch beerdigen", gerichtet an die Adresse der westlichen Demokratien.
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({5})
In der zweiten Hälfte der 60er Jahre setzte ein Ernüchterungsprozeß ein. Im Kreml herrschte Klarheit - hier handelte es sich ja nicht um leichtfertige Abenteurer oder um versponnene Phantasten, sondern um handfeste Realpolitiker -, daß ohne eine Änderung des Ost-West-Verhältnisses und ohne den Abschluß wirtschaftlicher Kooperationsabkommen die Rückstände der sowjetischen Planwirtschaft, deren Schwächen schon im System liegen, und dazu noch der hohe Anteil des Rüstungshaushaltes am gesamten Sozialprodukt ohne eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Westen auch auf wirtschaftlichem Gebiete nicht verkraftet werden können. Hier liegt der realistische Ansatz der Entspannungspolitik.
Es hat keinen Sinn, zu sagen, man sei für oder gegen die Entspannungspolitik. Man muß wissen, welcher Inhalt in dieser Worthülle steckt und was damit gemeint ist. Natürlich bietet Entspannungspolitik für uns gewisse Vorteile; sie birgt für uns aber auch erhebliche Risiken. Für die andere Seite ist es genauso. Auch die westliche Seite sollte sich bemühen, für das, was sie zur Entspannungspolitik auch zum Wohle der Sowjetunion beiträgt, ihrerseits mehr herauszuholen, als das leider bisher geschehen ist.
({6})
Eine groteske Fehlleistung - ich darf das hier einmal wiederholen; ich habe es schon bei einer früheren Rede gesagt - war doch, daß man schon im Oktober 1969 - noch vor der Wahl eines neuen Bundeskanzlers - in aller Offentlichkeit verkündet hat - ich glaube, es war Staatssekretär Ahlers, der sich dieser Aufgabe unterziehen mußte -, die neue deutsche Regierung gehe von der Existenz zweier deutscher Staaten aus. Damit war eine Vorleistung erbracht, die schon die Weichen auch für die kommenden Verhandlungen eindeutig zu unseren Ungunsten gestellt hatte.
Ich glaube nicht, daß man das auf längere Zeit hätte vermeiden können - da bin ich mit meinem Urteil sehr vorsichtig -, aber wenn man sich zu diesem gravierenden Schritt entschließt, dann hätte es auf dem Hintergrund einer Übereinstimmung aller demokratischen Parteien in unserem Lande und auf dem Hintergrund einer Übereinstimmung der Fraktionen dieses Hohen Hauses geschehen müssen.
({7})
Dann wäre diese Entspannungspolitik von einer breiteren Basis getragen worden, hätte mit mehr Nachdruck betrieben werden können und hätte aller Wahrscheinlichkeit nach auch bessere Resultate erzielt, als das leider der Fall war.
({8})
Denn daß es das Ziel der sowjetischen Politik war, die Existenz zweier deutscher Staaten in der Offentlichkeit zu demonstrieren und dafür eine Anerkennung zu bekommen, war uns ja schon lange bekannt. Aus gutem Grunde hat man diesen Schritt 20 Jahre lang nicht vollzogen. Als man ihn vollzogen hatte,
hat man nichts dafür verlangt und auch nichts dafür bekommen.
({9})
Ich bin kein großer Experte in Verhandlungen mit kommunistischen Staaten, aber eines weiß ich sicher: Was man ihnen schenkt, wird gratis kassiert; dafür erhält man nicht einmal ein Dankeschön, außer daß man unter Umständen in den Ruf kommt, als besonders naiv zu gelten.
({10})
Deshalb darf ich einmal in aller Deutlichkeit herausstellen: Für uns, für die Oppositionsparteien in diesem Hause, ist Entspannungspolitik ein Grundsatz, nach dem wir unsere Politik zu gestalten haben, aber kein Dogma. Für uns ist Entspannungspolitik ein Mittel zum Zweck, aber kein Selbstzweck. Für uns ist Entspannungspolitik auch nicht das Ende des Konflikts, sondern ein Teil des Konflikts.
Der Ost-West-Konflikt, über dessen moralische und politische Hintergründe hier zu reden wohl nicht notwendig ist, hat ja wie eine Medaille zwei Seiten: Die eine Seite heißt Kalter Krieg, die andere Seite heißt Entspannungspolitik. Je nach Opportunität zeigt die Sowjetunion abwechselnd die eine oder die andere Seite dieser Medaille her.
Vielleicht darf man in diesem Zusammenhang Ephraim Kishon, den bekannten israelischen Satiriker, zitieren, der davon sprach, Entspannungspolitik sei eine wunderbare Sache, sie habe viele Vorteile und nur einen kleinen Nachteil. Der Vorteil sei, daß die Militärpotentiale abgebaut werden, daß die Politik des militärischen Denkens in den Hintergrund trete, daß überhaupt die Bedeutung des militärischen Problems mehr und mehr zugunsten eines Konferenzdenkens, zugunsten eines Kooperationsdenkens verschwinde; das Schlechte an der Entspannungspolitik sei, daß das nicht stimmt.
({11})
So Ephraim Kishon.
Der Hauptzweck der Entspannungspolitik - da sollte sich niemand in diesem Hohen Hause einem Zweifel hingeben - war es nicht, die Dinge zu erreichen, die erreicht worden sind und die wir auch mit Anerkennung vermerken - darüber wird ja nicht gestritten -, sondern war der Abbau der Militärpotentiale, der Abbau des militärischen Denkens, der Abbau der Krisenstrategie. Selbstverständlich, jedermann wird aus innerer Überzeugung sagen: lieber reden als schießen, lieber ein Konferenztisch als ein Kriegsschauplatz, lieber miteinander konferieren - auch über strittige Probleme - als sich gegenseitig bedrohen. Ich denke, in diesem Punkt sollten wir einander doch nicht etwa in falschen Fronten gegenüberstehen.
Das eigentliche Ziel der Entspannungspolitik romantischer Art, die auch von solchen vertreten worden ist, die neuerdings glauben, das Wort „realistisch" davorsetzen zu müssen, war der Abbau der Militärpotentiale, war die Erziehung eines Gleichgewichts auf einer niedrigeren Ebene. Das ist eine Forderung, die der Herr Bundesaußenminister völMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({12})
lig zu Recht herausgestellt hat, aber wir können doch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß gerade in den zehn Jahren romantischer Entspannungspolitik die Bedeutung der Militärpotentiale zugenommen hat und besonders das sowjetische Militärpotential sowohl der Quantität als auch der Qualität nach in beschleunigtem Tempo ausgebaut worden ist.
({13})
Das führt mich jetzt nicht zu der Forderung, man sollte die Entspannungspolitik beenden. Nein, man soll unter Entspannungspolitik das verstehen, was man realistischerweise auf Grund geschichtlicher Erfahrungen und der Kenntnis der politischen Konstellationen darunter verstehen kann.
In diesen zehn Jahren sind auch SALT I durchgeführt und SALT II vorbereitet worden. Nun, ich bin von verschiedenen amerikanischen Seiten gefragt worden. Die einen sagten: Äußern Sie sich doch dagegen. Die anderen sagten: Äußern Sie sich doch dafür. Ich bin der Meinung, daß wir uns hier zurückhalten sollten, daß diese ständigen Ratschläge, wie sie auch vom Herrn Bundeskanzler immer wieder dem amerikanischen Präsidenten gegeben werden, unangebracht, lästig, aufdringlich und überflüssig sind.
({14})
Die Amerikaner müssen selbst wissen, ob sie SALT II ratifizieren oder nicht ratifizieren sollen.
Die Logik sagt übrigens folgendes. Wenn etwa die Nichtratifizierung von SALT II eine für die Sowjetunion schädliche Maßnahme wäre, versteht man nicht, warum andererseits SALT II als ausgewogen betrachtet wird. Ich beteilige mich an dieser Arithmetik nicht. Wenn. SALT II ein Mittel der Krisenbewältigung oder. ein Mittel der Krisentechnik ist und wenn das Ja zu SALT II ein Vorteil für die Sowjetunion wäre, wäre das Nein zu SALT II ein Nachteil für die Sowjetunion. Darum ist es am besten, wenn wir Europäer uns an dieser Diskussion nicht beteiligen.
Das Wort „SALT I" habe ich hier aber deshalb in den Mund genommen, weil mit SALT I die Amerikaner der anderen Großmacht die strategische Parität zuerkannt haben. Diese äußert sich aber nicht nur in der Zahl der Sprengkörper, in der Art der Sprengkörper, in ihrem „yield" oder wie man es nennt. Strategische Parität bedeutet für die Sowjetunion vielmehr auch ein weltweites Stützpunktsystem, den Aufbau einer Hochseeflotte und den Aufbau einer weltweit operationsfähigen U-Boot-Flotte, d. h. eines militärischen Potentials, das über den reinen Verteidigungszweck einer kontinentalen Großmacht, auch wenn sie den Charakter einer Supermacht hat, weit hinausgeht.
Man kann auch die Augen nicht davor verschließen, daß die Offensivkomponenten der sowjetischen Streitkräfte in diesen zehn Jahren sowohl quantitativ wie qualitativ erheblich verbessert worden sind. Dies betrifft die Offensivkomponenten der Landstreitkräfte, der Luftstreitkräfte und, wie ich eben besonders hervorgehoben habe, ihrer Seestreitkräfte. Dazu kommt der Ausbau eines weltweiten Stützpunktsystems.
Nun wird viel über den Einmarsch in Afghanistan gesprochen: War er ein Zeichen militärischer Stärke, oder war er ein Zeichen politischer Schwäche? Was steckt dahinter? Von einem Irrtum soll man sich freihalten, nämlich zu glauben, daß es eine unüberlegte, aus dem Augenblick heraus unternommene Aktion war, die von den Initiatoren schon kurz darauf als schwerer Fehler erkannt wurde, weshalb die Initiatoren jetzt sozusagen der Welt nahelegen, ihnen zu helfen, aus diesem Abenteuer herauszukommen.
({15})
Wer das glaubt, sollte tatsächlich lieber am Sandkasten spielen, als sich mit strategischen Problemen zu befassen.
({16})
Auch wenn wir hier mit Informationen spärlich versorgt werden - ich nehme an, der Herr Bundeskanzler und der Herr Außenminister haben bessere Informationen -, so hat sich doch soviel herumgesprochen, daß die Amerikaner die Sowjetunion an die fünfmal vor einem Einmarsch in Afghanistan gewarnt haben. Auch hat sich soviel herumgesprochen, daß der Entschluß zum Einmarsch bereits im Oktober 1979 gefaßt worden ist, allerdings anscheinend damals auch den eigenen Bundesgenossen der Sowjetunion nicht mitgeteilt wurde. Das heißt: hier handelt es sich nicht um eine Spontanaktion nach dem provozierenden Auftreten von islamischen Freischärlern, sonder hier handelt es sich um eine wohlgeplante, mit allem Können eines planenden und organisierenden Generalstabs vorbereitete Großaktion, hinter der auch ein ganz bestimmter strategischer Wille steht.
Wenn wir heute die Forderung stellen, die Sowjetunion solle ihre Truppen aus Afghanistan zurückziehen, dann handelt es sich nicht um die Frage, ob wir der Sowjetunion hier eine Möglichkeit verschaffen, ihre Truppen ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen. Sicherlich ist ein Rückzug der Truppen aus einem besetzten Gebiet für eine Großmacht nicht gerade eine besonders ehrenwerte oder rühmliche oder Lorbeeren garantierende Haltung. Darum geht es hier nicht. Es geht doch um die Frage: Was ist mit diesem Einmarsch in Afghanistan beabsichtigt? Was war beabsichtigt? Was sind die Gründe für den Verbleib der sowjetischen Truppen? Hier sollte man auch die letzte Rede von Breschnew, die Kollege Kohl in einer Rede am Wochenende mit Recht als zynisch gekennzeichnet hat, heranziehen, weil sie hilft, die Zusammenhänge zu erkennen. Was die Sowjetunion als ausländische Provokation bezeichnet, das ist nichts anderes als die Tatsache, daß sich ein sowjethöriges kommunistisches Regime ohne sowjetische Militärhilfe und ohne unmittelbaren Eingriff sowjetischer Truppen in Kabul nicht halten kann.
({17})
Natürlich ist Afghanistan eine strategische Drehscheibe, nicht erst jetzt, nicht erst in unserem Jahr16194
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({18})
hundert, nicht erst seit es Panzer und Flugzeuge mit Düsenantrieb gibt. Wenn man in der afghanischen Geschichte oder in der Geschichte des Mittleren Ostens nachliest, so standen sich hier schon vor 150 Jahren die Interessen des zaristischen Rußlands auf der einen und die Interessen des damaligen englischen Weltreichs im Süden, in Indien, auf der anderen Seite gegenüber. Der Khaiberpaß gehört zu den großen strategischen Pässen in der Welt, die immer eine bedeutende strategische Rolle gespielt haben. Sie können davon überzeugt sein, daß sich in der sowjetischen Führung niemand befindet, der sich über die Bedeutung dieses Landes und auch über die strategische Bedeutung der Beherrschung des Khaiberpasses etwa im unklaren wäre. Das hängt ja auch mit dieser Aktion aufs engste zusammen.
Ich war nur einmal in der Nähe dieses Landes, aber es gibt darüber eine ganze Menge zuverlässiger Literatur und eine Reihe von Berichten unserer Botschafter und unserer Militärattachés von früher.
Meine Damen und Herren, schon in der Zeit der afghanischen Monarchie, als die Sowjetunion ihre Hilfe anbot, eine Straße von der Grenze der Sowjetunion nach Kabul zu bauen und von da weiter nach Pakistan, war die Straße ursprünglich für 35 bis 40 Tonnen ausgelegt. Die Sowjets haben ihre Hilfe für eine Straße mit dieser Tragfähigkeit verweigert und verlangt, daß diese Straße mit einer Kapazität von 65 bis 70 Tonnen ausgebaut wird. Das heißt, auch diese Art der Wirtschaftshilfe, Erschließung und Ausbau der Verkehrswege - das muß Ende der 60er Jahre gewesen sein -, stand damals schon im Zeichen strategischen Denkens, im Zeichen eines unter Umständen damals schon jedenfalls für möglich gehaltenen Einmarsches der sowjetischen Panzer in dieses Land.
Dieser Teil Afghanistans war nie pazifiziert. Die Grenzen dort sind genauso wie in Afrika in der Zeit der Kolonialherrschaften festgelegt worden. Das sind nicht ethnische Grenzen, sondern die Stämme wohnen zu beiden Seiten dieser Grenzen. Darum ist es ein Vorgang, der der Sowjetunion genauso bekannt ist wie den Amerikanern und den Pakistanis: daß, wo es sich nicht um eine gut markierte Grenze handelt, sondern wo es sich um Wald, Gebirge, um sehr wüste und sehr unzugängliche Regionen handelt, die Stämme diesseits und jenseits der Grenze natürlich verkehren. Diese Stämme waren auch immer bewaffnet. Das Recht, dort Waffen zu tragen, gehörte sozusagen zum Stammesrecht. Diese Stämme sind natürlich glühende Patrioten einerseits und leidenschaftliche Moslems auf der anderen Seite. Was die Sowjetunion verlangt, ist nicht etwa der Abzug von fremden Truppen - es gibt dort gar keine fremden Truppen außer den sowjetischen -, sondern die Einstellung der Freischärlertätigkeit dieser - wie die einen sagen - Rebellen oder - wie die anderen sagen - Freiheitskämpfer.
Weil sich die Bewohner des flachen Landes in dieser Region und besonders die des Berglandes, immer gegen jedes kommunistische Regime erhoben haben, stand die Sowjetunion vor der Frage, mit dem Sturze Amins ihr Gesicht zu verlieren und einen großen Rückschlag zu erleiden oder mit dem Sturze
Amins die Ernennung eines zuverlässigeren, in ihrem Sinne brauchbareren Satelliten zu verbinden. Das ging nur auf dem Wege einer großen militärischen Invasion in Stärke von etwa 100 000 Mann.
Hier kommt noch eine Komponente herein, der wir nachgehen sollten. Ich bin durch meine Gespräche in Rumänien darauf aufmerksam gemacht worden. An sich hätte man es sich auch denken können. Die Regime in Kabul von Daud über Taraki und Amin bis zu Karmal jetzt waren alles Regime mit Präsidenten, von denen jeder das Parteibuch der Kommunistischen Partei Afghanistans in der Tasche hatte. Daß sie sich gegenseitig umgebracht haben, stört in diesen Kreisen weniger.
({19})
Wenn nun durch einen Sieg der moslemischen Freiheitskämpfer ein Regime eines kommunistischen Präsidenten in diesem Lande gestürzt würde, bedeutete das auch den Zusammenbruch der marxistisch-leninistischen Geschichtsphilosophie; denn wenn ein Land bereits einmal einen weiter fortgeschrittenen gesellschaftlichen Zustand erreicht hat, der durch ein kommunistisches Regime sozusagen als garantiert angenommen wird, und die moslemischen Freiheitskämpfer dann dieses Regime stürzen und dieses Land auf Verhältnisse „zurückwerfen", die gesellschaftlich-entwicklungsmäßig gesehen, vor diesem Regime gegeben waren, dann wäre das ein Signal in der Dritten Welt, daß der Ablauf der kommunistischen Geschichtsphilosophie nicht stimmt. Hier wäre Afghanistan dann ein ganz gravierendes Beispiel. Das ist eine Überlegung. Ich sage es völlig wertneutral. Ich beabsichtige hier nicht, gegen die Sowjetunion zu polemisieren oder in Tönen der Erbitterung oder gar des Hasses zu sprechen - aber nüchtern analysieren wird man diese Fakten doch wohl dürfen. Das hat nichts mit einer positiven oder negativen Wertung zu tun. Das ist einfach notwendig für die Erkenntnis der Motive, notwendig für die Beurteilung der Lage, notwendig auch, um die Zweckmäßigkeit oder Nichtzweckmäßigkeit von Maßnahmen beurteilen zu können. Ich plädiere nicht für den Verbleib der sowjetischen Truppen in Afghanistan, sondern, genauso wie alle demokratischen Politiker des Westens, für ihren Abzug; aber so einfach, wie man sich das vorstellt, nämlich daß die einfach abziehen könnten und die Welt dann so weiterginge wie bisher, so einfach ist das nicht. Dafür ist diese große Aktion nicht unternommen worden.
Ich komme zu einem weiteren Punkt: Natürlich steht die Rote Armee jetzt 500 km vom Indischen Ozean weg. Ein Teil ihrer Pazifikflotte ist von Wladiwostok in die jetzt wiederhergestellten amerikanischen Marinebasen in Südvietnam verlegt worden. Im Süden der arabischen Halbinsel finden heute beträchtliche militärische Vorgänge statt: Einige Tausend Kubaner, einige Tausend Soldaten der Nationalen Volksarmee, einige Tausend Sowjetrussen in Südjemen. Dort fließt etwas anderes zusammen als zwei Haltungen zur Olympiade. Hier fließen nämlich zwei große Krisenherde zusammen, der Krisenherd Ferner Osten und der Krisenherd Mittlerer Osten und Afrika. Hier ist zu berücksichtigen, daß
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({20})
unsere militärische Sicherheit von unserer wirtschaftlichen Sicherheit nicht getrennt werden kann.
({21})
Sicherlich sind wir durch den Einmarsch der Russen in Afghanistan in unserer militärischen Sicherheit nicht akut bedroht. Das hat auch niemand behauptet. Trotzdem möchte ich für uns hier nochmals festhalten, daß Entspannung geographisch unteilbar sein muß,
({22})
auch wenn der Spannungsgrad in verschiedenen geographischen Regionen verschieden hoch sein mag. Der Spannungsgrad im Mittleren Osten um Iran herum ist natürlich wesentlich höher als der in Europa. Die Problematik der Entspannung ist aber geographisch unteilbar. Deshalb können wir uns den Inhalt des Begriffes „Entspannungspolitik" auch nicht von der anderen Seite vorschreiben lassen. Der Gegenstand der Entspannungspolitik darf nur das sein, was beide Seiten einvernehmlich festgelegt haben. Wir würden sicherlich den höchsten Orden für vorbildliche Entspannungspolitik bekommen, wenn wir z. B. aus der NATO austräten oder wenn wir unseren Grund und unseren Boden amerikanischen Truppen nicht mehr für die Verteidigung Europas zur Verfügung stellten. Das wäre in der Moskauer Propaganda sicherlich ein die Entspannung ungeheuer fördernder Akt. Dann ginge aber natürlich die Rechnung nicht mehr auf, daß Entspannung auch Sicherheit gewährleisten muß.
Dazu kommt natürlich auch, daß Entspannung automatisch aufhört, wenn man einen Prozeß der politisch-psychologischen Selbstneutralisierung mit Abbau der moralischen und materiellen Verteidigungsbereitschaft einführte.
({23})
Hierzu sage ich - und zwar nicht aus Gründen der Rechthaberei - dies: Was die Entspannungspolitik falsch verstandener Art leider angerichtet hat, ist die Zerstörung des Problembewußtseins durch schöngefärbte, rosarot- illusionär malende Darstellung der Zusammenhänge aus den Reihen der Regierungsparteien und der Bundesregierungen der letzten zehn Jahre.
({24})
Wie sehr man sich täuschen kann - dies ist ja kein ehrenrühriger Vorwurf, Herr Bundesaußenminister -, will ich an folgendem verdeutlichen. Der Herr Bundesaußenminister hat im Oktober eine Rede vor einem großen Wirtschaftsverband gehalten. Er sagte:
Die zukünftige Entwicklung wird deshalb auch davon bestimmt sein, daß die Sowjetunion und die anderen osteuropäischen Staaten immer stärker in die weltwirtschaftliche Interdependenz hineingezogen werden. Deshalb werden sich auch die sozialistischen Länder auf lange Sicht der Einsicht nicht verschließen, daß eine auf stabile Verhältnisse gerichtete Entwicklung eher Vorteile bringt als expansive und in ihrer Substanz und Beständigkeit zweifelhafte Zugewinne in der Dritten Welt, die zunehmend noch mit hohen militärischen Kosten und mit politischen Risiken erkauft werden.
Hier haben Sie, Herr Bundesaußenminister, eine Bewertung der sowjetischen Politik vorgenommen, wie Sie sie gerne hätten, aber nicht so, wie sie in Wirklichkeit ist. Dieser sowjetischen Politik liegen nämlich andere Motive als etwa der Wunsch zugrunde, in die weltwirtschaftlichen Interdependenzen möglichst eng verflochten zu werden. Das Hauptmotiv ist vielmehr, möglichst viel machtpolitische Vorteile aus der Entspannung herauszuholen.
In diesem Zusammenhang habe ich noch die Bitte, daß von seiten der Mitglieder der Bundesregierung auch einmal ein Wort gesagt wird, wie sie die zur Zeit in Mittelosteuropa und Südosteuropa ablaufenden militärischen Verlegungen beurteilen. Es gibt darüber noch eine Fülle von echten Erkenntnissen. Es spricht alles dafür, daß die Sowjetunion zumindest die Vorbereitungen dafür trifft, dann, wenn die politische Führung es für richtig hält, in Südosteuropa, im Balkanraum tätig zu werden. Ich behaupte nicht, daß sie diesen Beschluß gefaßt hat. Ich behaupte nicht, daß es so kommen wird. Aber die militärischen Vorbereitungen werden so getroffen, daß eines solche Aktion innerhalb kürzester Zeit unternommen werden kann.
Ich glaube, wir müssen uns deshalb auch von zwei liebgewordenen Vorstellungen weitgehend freimachen. Das eine ist die Vorstellung, daß die Sowjetunion eine solche Aktion bei der Schwerfälligkeit militärischer Planwirtschaft nur nach einer langfristigen, gründlichen Vorbereitung unternehmen kann. Die Erfahrungen in Afghanistan zeigen, daß sie in einer wesentlich kürzeren Zeit Verbände über große Entfernungen hinweg verlegen kann. Eine weitere Vorstellung müssen wir zumindest kritisch überprüfen, nämlich die Vorstellung, daß die Sowjetunion ein militärisches Risiko scheue.
Ich bin nicht der Meinung, daß die Sowjetunion den dritten Weltkrieg will. Ich bin auch nicht der Meinung, daß sie eine Politik treibt, die bewußt darauf angelegt ist, diesen Weltkrieg herbeizuführen. Aber sie scheut angesichts des Versagens des Westens - Stichwort Angola Mitte der 70er Jahre - heute vor Aktionen weniger zurück als noch vor fünf oder zehn Jahren. Sie hat die Frage, ob der Westen reagiert - in dem Fall beschränkt sich das auf die Amerikaner - immer mit großer Behutsamkeit geprüft. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre haben die Führung der Sowjetunion offensichtlich zu der Überzeugung gebracht, daß sie in der Lage ist, Aktionen zu unternehmen, die früher mit größeren Risiken verbunden waren.
Heute glaubt sie, daß diese Risiken in diesem Umfange nicht mehr vorhanden sind.
({25})
Aus dem Grunde ist es ein positives Zeichen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika wieder Tritt gefaßt haben. Ich bitte, auch hier sehr klar zu unterscheiden, ich pflege auch logisch zu denken und im allgemeinen präzise zu formulieren: Wenn ich an den Vereinigten Staaten Kritik geübt habe, dann an
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({26})
gewissen Entscheidungen, Fehlern oder Versäumnissen der Vergangenheit. Das muß der Vergangenheit angehören. Es hat keinen Sinn, sie aufzuzählen. Aber niemand wird der Meinung sein, daß z. B. das Waffenembargo gegen die Türkei und ähnliche Maßnahmen ein besonderer Akt politischer Weitsicht gewesen sind. Worum es heute geht, ist, die Position des amerikanischen Präsidenten zu stärken.
({27})
Ich war schon betroffen, als mir ein hochrangiger Besucher aus den Vereinigten Staaten von Amerika, mit dem ich vor einigen Tagen gesprochen habe - er ist nicht Inhaber eines Regierungsamtes -, sagte, man habe drüben den Eindruck, als ob der Chef der Bundesregierung Herrn Carter gewissermaßen zu einer Karikatur machen wolle. Ich behaupte nicht, daß der Chef der Bundesregierung diese Absicht hat oder daß er es getan hat. Aber in den Vereinigten Staaten ist jedenfalls der Eindruck vorhanden, daß die amerikanisch-deutsche Solidarität mehr eine Beschwörungsformel als tatsächlich beabsichtigte und geübte Politik ist.
Es geht auch nicht darum, etwa das deutsch-französische Kommuniqué zu kritisieren. Die deutschfranzösische Freundschaft ist ohne Zweifel ein festes Element unserer Politik. Ich freue mich darüber, daß diese deutsch-französische Freundschaft jetzt auch von seiten der SPD so betont wird. Es war doch einmal so, Herr Wehner, daß Sie gesagt haben, de Gaulle habe aus Frankreich eine innenpolitische Wüste gemacht. Heute ist man froh, in dieser Wüste als hochangesehener Gast zugelassen zu sein.
({28})
Selbstverständlich bejahen wir die Verurteilung des russischen Einmarsches in Afghanistan und die Aufforderung nach Abzug der Truppen in dem Kommuniqué. Aber was soll es denn heißen - das hat niemand von uns verstanden, und hier, glaube ich, hat es keinen Sinn, Mohrenwäsche treiben zu wollen -, daß die Politik der Entspannung die nächste Aktion, den nächsten sowjetischen Schlag nicht überstehen werde? Das ist doch nicht die Frage. Die Frage ist: Wird die Entspannungspolitik so wie bisher weiter betrieben werden können, wenn die Russen aus Afghanistan nicht abziehen? Das wäre doch die entscheidende Frage gewesen, und um ihre Beantwortung haben Sie sich in dem Kommuniqué wohlweislich herumgedrückt. Verurteilung des Einmarsches - richtig. Aufforderung zum Ausmarsch - richtig. Was aber geschieht mit der Entspannungspolitik, wenn die Aufforderung zum Rückzug aus Afghanistan nicht befolgt wird oder wenn Forderungen gestellt werden, die praktisch unerfüllbar sind, z. B. die Garantie des Westens, daß das von der Sowjetunion eingesetzte Regime tatsächlich an der Regierung bleibt? Wir haben in Afghanistan doch den Fall, daß die Mehrheit des Volkes gegen das ihr aufoktroyierte Regime steht.
({29})
Da wir Demokraten sind, verlangen wir eine Führung mit Zustimmung des Volkes und nicht eine Führung gegen den Widerstand des Volkes.
({30})
Man wird natürlich an Verhältnisse wie in Afghanistan, einem Land, in dem Teile nie pazifiziert waren und bis heute nicht sind, nicht denselben Maßstab anlegen können wie an parlamentarische Demokratien in Europa oder in Nordamerika. Aber eines kann man ohne Übertreibung sagen: Einer der Hauptgründe für den Einmarsch war der Widerstand des afghanischen Volkes gegen die Marionettenregime von Moskaus Gnaden. Um die Blamage des Sturzes dieser Regime zu überspielen, hat man mit militärischer Macht zugegriffen. Deshalb ist der Abzug heute ein so schwieriges Problem; ich habe bereits darüber gesprochen. Es ist wunderbar, wenn man von einer Neutralisierung Afghanistans redet. Aber wer garantiert denn, daß sich das heutige Regime Karmal nach Abzug der sowjetischen Truppen noch halten könnte?
Sicherlich haben die Russen einiges unterschätzt oder falsch eingeschätzt. Sie haben die Schwäche der kommunistischen Partei in Afghanistan nicht richtig eingeschätzt, sie haben den Widerstand der moslemischen Freiheitskämpfer in ihrer ganzen volksverwurzelten Heftigkeit nicht richtig eingeschätzt. Sie haben vielleicht den Truppenbedarf zu niedrig eingeschätzt, denn sie müssen, um das Land wirklich in den Griff zu bekommen, noch erhebliche Truppen nachschieben, mindestens drei Divisionen und Sonderverbände.
Aus diesem Grunde kann ich im Namen der beiden Unionsparteien selbstverständlich jede Unterstützung dafür in Aussicht stellen, der Forderung nach Abzug der sowjetischen Truppen Nachdruck zu geben. Wenn die sowjetischen Truppen abzögen und sich das afghanische Volk sein Regierungssystem, sein Gesellschaftssystem und seine Herr- schaftsform selbst wählen könnte, wie es dort über viele Generationen hinweg der Fall war, dann wäre das eine neue Phase internationaler Politik. Das wäre wirklich der Aufbruch in ein friedliches Zeitalter.
({31})
Aber bevor das nicht stattgefunden hat, sollten wir nicht das Ergebnis schon als eingetreten oder demnächst bevorstehend unterstellen, denn das gibt ein hartes Tauziehen über eine längere Zeit hinweg.
Ich sagte vorhin, daß wirtschaftliche und militärische Sicherheit auf das engste miteinander verbunden sind. Natürlich dient der sowjetische Vormarsch in Afghanistan auch der Einkreisung des Iran zur Hälfte. Niemand weiß doch heute mit Sicherheit, ob es nach der islamischen Revolution nicht noch eine andere Erschütterung in diesem Lande geben wird. Damit sind wir schon unmittelbar im Mittleren Osten, damit sind wir schon unmittelbar in den erdölreichsten Feldern der Welt.
Ich hätte gern von dem Herrn Bundeskanzler oder einem Mitglied der Bundesregierung gehört, wie man sich hier die Zukunft vorstellt. Ich denke daran, daß wir im Jahre 1978 28 Milliarden DM für
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({32})
Rohöl ausgegeben haben; 1979 waren es 47 Milliarden DM. In diesem Jahr werden es bis zu 80 Milliarden DM werden.
Die Vorstellung, die man gelegentlich vom Herrn Bundesfinanzminister hört, daß es sich hier nur um das Problem eines monetären Recyclings handelt, daß man das Geld nur wieder in den Kreislauf einfügen müßte, ist richtig, wenn man die Dinge nur unter dem Gesichtspunkt der Zahlungsbilanz sieht. Aber wesentlich ist schon, wer der Eigentümer des Geldes ist und welche Werte mit diesem Geld erworben werden. Das pflegt beim Geld im allgemeinen so zu sein.
Hier können wir nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß wir einer relativen Verarmung der europäischen Industriewelt entgegengehen, weil wir sowohl für 01 als auch möglicherweise für Rohstoffe wesentlich höhere Preise als bisher werden bezahlen müssen. Das Geld kann auch nicht zwei- oder dreimal verteilt werden, es kann auch nicht durch Lohn- oder Gehaltserhöhungen ausgeglichen werden. Es kann auch kein Ausgleich durch die Preise erfolgen. Hier findet vielmehr eine Wertverschiebung gigantischen Ausmaßes statt. Ich glaube, man sollte sich bei uns darüber im klaren sein, daß wir bis zum Jahre 2000 in der Bundesrepublik bis an die 500 Milliarden DM werden investieren müssen; davon 375 bis 380 Milliarden DM für produktive Zwecke der Energiegewinnung und 120 bis 130 Milliarden DM für Zwecke der Energieerhaltung, der sparsamen Verwendung von Energie, für Wärmedämmung oder die rationellste Ausnutzung der Energie.
Nur kommt hier ein ungeheuer großes Problem auf uns zu. Der Herr Bundeskanzler hat sich heute nur in sibyllinischen Ausführungen ausgedrückt, der Herr Außenminister ist etwas deutlicher geworden. Natürlich hängt die Frage der Ölmengen und der Ölpreise auch mit dem Nahostproblem, mit der Ungelöstheit der arabisch-israelischen Streitfrage zusammen. Nur haben hier, Herr Bundesaußenminister, formelhafte Beschwörungen, die mit monotoner Regelmäßigkeit immer wiederholt werden, natürlich auch keine Aussicht auf einen großen Erfolg. Was heißt denn eine gerechte Lösung, die die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Staaten garantiert und den berechtigten Interessen der Palästinenser Rechnung trägt? Das ist wunderbar, alle sind darin, und das ist eine großartige Formulierung. Aber wie sieht das in der Wirklichkeit aus? Da stoßen sich die Dinge hart im Raum. Ich bin nicht der Meinung, daß man das hier auf der Rednertribüne im einzelnen behandeln kann - das weiß ich auch -, aber es hat keinen Sinn, immer wieder dieselben Formeln, die zum Schluß nur leerer Schall und leerer Rauch sind, zu produzieren. Gibt es denn eine Strategie, mit der man eine Lösung dieser Frage herbeiführen kann? Sonst kommt zu den übrigen Schwierigkeiten in diesem Raum, sowjetischer Einmarsch in Afghanistan, Vorgänge im Iran und die unruhigen Erscheinungen in der arabischen Welt, noch als weiteres belastendes Moment die Ungelöstheit der arabisch-israelischen Frage hinzu.
Ich habe der Illustrierten „Quick" vom 21. Februar dieses Jahres entnommen, daß der Herr Hauptgeschäftsführer der SPD davor warnt, auf die falschen Leute zu setzen und alte, verkrustete, feudale Regime zu stützen. Da soll man sehr vorsichtig sein.
({33})
Wir haben nicht das geringste Interesse daran, daß etwa die Regime, die heute auf der arabischen Halbinsel vorhanden sind - es sind durchweg monarchistische, Sie können auch sagen feudalistische Regime -, wie Saudi-Arabien, Oman, Katar, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate, etwa durch sozial-revolutionäre Regime à la Äthiopien oder Afghanistan zu ersetzen.
({34})
Es geht hier auch. nicht darum - da gebe ich dem Außenminister recht -, diese Entwicklungsländer als prowestlich und proöstlich einzustufen. Das ist gar nicht das Thema. Im übrigen, ob Kuba oder Fidel Castro ein besonders überzeugendes Beispiel für Blockfreiheit ist, stößt bei mir auf gewisse Zweifel, wenn ich die Kunst des Understatements hier üben will. Aber es geht auch nicht darum, zu sagen: Wir wollen sie für den Westen engagieren und damit als Waffe, als Instrument oder als Bundesgenossen gegen den Osten mobilisieren. Der Unterschied liegt aber darin, Herr Außenminister, daß die Sowjetunion in Afrika ihre Bundesgenossen systematisch, selbst wenn sie aus der schwächeren Bewegung kommen, nicht nur durch Export revolutionärer Ideologien, sondern durch massive Waffenexporte, einschließlich großer Verbände, wie Nachrichtenverbände und u. a. Polizeiverbände, unterstützt und damit zur stärksten Bewegung des Landes macht. Es ist nicht nur in Angola, sondern auch anderswo, etwa in Äthiopien, so gewesen. Wir unterstützen die Forderung völlig, daß sich die Großmächte aus den Entwicklungsländern heraushalten sollen. Aber das ist nicht die entscheidende Frage, sondern es ist die Frage, ob diejenigen, die sich im Westen zugehörig fühlen, ohne mit ihm verbündet zu sein, die mit ihm kooperieren wollen, die vielleicht eine etwas liberalere, demokratischere Regierungsform als die anderen haben - man kann von diesen Ländern in wenigen Jahren nicht allzuviel verlangen -, heute Angst haben, Opfer des sowjetischen Machtwillens und ihrer Verbündeten zu werden und vom Westen im Stich gelassen zu werden. Das ist die Hauptproblematik.
({35})
Dasselbe gilt natürlich gerade auch für die Golfstaaten. Niemand denkt daran, etwa die Integrität, Souveränität, Unabhängigkeit der Golfstaaten durch eine westliche militärische Intervention zu gefährden. Aber was passiert denn, wenn revolutionäre Bewegungen von unten her - ich weiß genau, woran ich dabei denke - und militärischer Druck von außen gleichzeitig zu einer neuen Gefahr, zu einem Brandherd oder gar zu einem Explosionsherd führen? Da sind wir auf die Amerikaner angewiesen, weil die Europäer, auch wenn sie alle ihre jetzigen Flotten und Luftstreitkräfte zusammenlegen, nicht annähernd in der Lage sind, hier einem weiteren Ausgreifen der Sowjetmacht etwas Ernsthaftes ent16198
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß ({36}) gegenzusetzen. Ich behaupte nicht, daß deutsche Kriegsschiffe dort unten erscheinen sollen. Das ist eine Frage der Planung der NATO oder was auch immer; das geht mich auch nichts an. Ich bin auch nicht der Meinung, daß etwa deutsche Truppen dort eingesetzt werden sollen.
({37})
Aber man kann auch anderer Meinung sein; ich nehme andere Meinungen nicht übel.
Nur: Wir müssen vor allen Dingen die Lücken auf europäischem Boden füllen, die im Netz der NATO-Verteidigung durch militärische Engagements in anderen Regionen entstehen werden.
({38})
Das betrifft sowohl die U-Boot-Abwehr als auch die Unterstützung der Türkei. Das betrifft sicherlich auch die Schaffung einer europäischen Langstrekken-Lufttransportkapazität, damit unsere europäischen Verbündeten nicht immer darauf angewiesen sind, sich von den Amerikanern Flugzeuge auszuleihen. Vielleicht ist es einmal so, daß die Amerikaner ihre Langstreckenflugzeuge selbst brauchen, und die Europäer haben dann auf diesem Gebiet keine eigene Kapazität.
Das sind Dinge, die die Entspannung nicht gefährden. Ich bin dafür, mit den Sowjets freundlich zu reden und unsere Forderung aufrechtzuerhalten, auch den Wirtschaftsverkehr nach dem Prinzip des „do ut des" zu pflegen, nicht aber Industrieanlagen auf dem Wege kostspieliger, langwieriger Vorfinanzierungen zu liefern. Aber wir dürfen uns nicht in das hineinreden lassen, was wir für unsere Sicherheit für notwendig halten.
({39})
Und hier, Herr Bundeskanzler, sitzen Ihre Gegner nicht in den Reihen der Opposition, auch wenn Sie sich hier immer besonders an Herrn Kohl und den Mitgliedern der Fraktion reiben. Die Gegner einer vernünftigen Entspannungspolitik, die Gegner einer realistischen Sicherheitspolitik sitzen in Ihren eigenen Reihen.
({40})
Hier soll man sich vor zwei Fehlern hüten, einmal davor, den Raketennachrüstungsbeschluß der NATO als eine Provokation für die Sowjetunion zu bezeichnen, auf die sie antworten müsse. Dieser NATO-Beschluß ist doch nichts anderes als eine verspätete Antwort auf das, was sich jenseits des Eisernen Vorhangs, jenseits der Demarkationslinie auf sowjetischem Territorium seit Jahr und Tag im Aufbau befindet, die berühmten SS-20 mit ihren mobilen Verwendungsmöglichkeiten. Ich halte es auch nicht für sinnvoll, daß wir immer nur auf unsere militärischen Schwächen hinweisen und damit der ganzen Welt geradezu mit fast masochistischer Selbstquälerei erzählen, wie schwach wir sind. Die Demokratien sind nicht so schwach, wie man glaubt. Ihr Regierungssystem ist überlegen, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist überlegen. Nur müssen
sie eben zur rechten Zeit die richtigen Prioritäten setzen.
({41})
Ich habe von dieser Stelle aus - Herr Kollege Kohl, Herr Kollege Zimmermann und ich haben es in dem Gespräch im Bundeskanzleramt wiederholt - unsere Bereitschaft erklärt, über die Streckung kostenwirksamer Ausgabenprogramme, über die Streckung von Teilen oder der Gesamtheit unseres Steuerpakets zu reden mit dem Willen, gemeinsame Verantwortung zu tragen, d. h. als Opposition darauf zu verzichten, solche unliebsamen Maßnahmen dann etwa auszuschlachten. Und das ist ja sehr viel. Nur, so geht es natürlich auch nicht, daß Sie, Herr Bundeskanzler, die Wahlgeschenke verteilen und uns die Opfer zumuten.
({42})
- Ja, das darf ich auch hier wiederholen. - So geht es, wie gesagt, natürlich auch nicht. Die Regierung muß führen und hat dann einen Anspruch darauf, daß die Opposition in staatstragender Verantwortung ihr bei diesem Bemühen nicht in den Rücken fällt, sondern sie unterstützt. Dies habe ich hier getan, dies haben wir beim Gespräch im Kanzleramt getan, und dies wiederhole ich auch hier. Dafür verdienen wir weder Spott, Hohn und Anfechtungen noch alle möglichen Rüpelspiele, sondern für diese Haltung verdienen wir Anerkennung und Dank. Das hat diese Opposition in diesem Hause auch verdient.
({43})
Zu einem sind wir allerdings nicht bereit, nämlich dazu, höhere Ausgaben für unsere Sicherheit durch eine abermalige Aufstockung des Schuldenberges zu finanzieren.
({44})
Der Schuldenberg ist ohnehin eine tickende Zeitzünderbombe - ich glaube, Sie, Herr Kollege Hoppe, haben diesen Ausdruck gebraucht -, der Schuldenberg des Bundes, der von 14 Milliarden DM im Jahre 1969 auf mehr als 200 Milliarden DM im Jahre 1979 angewachsen ist, so daß nur noch, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, neue Kredite ausreichen, die Zinsen für frühere Schulden zu zahlen. Dieser Schuldenberg darf nicht nochmals aufgestockt werden. Wenn unserem Volk Opfer für Sicherheit und Freiheit zugemutet werden müssen, dann darf es nicht über das süße Gift des Schuldenmachens geschehen. Dieses süße Gift des Schuldenmachens verschiebt nur die Probleme, belastet die nächste Generation und wird auf die Dauer zu einer Gefährdung für die Stabilität unserer Währung.
({45})
Man braucht sich nur die Gesamtheit der auf uns zukommenden Belastungen anzuschauen. Für die Rohöleinfuhr, und zwar nur für das bisherige Quantum, sind es annähernd 80 Milliarden DM in diesem Jahr statt 47 Milliarden DM wie noch im Vorjahr. Denken Sie auch an die sonstigen Belastungen, die wir zu tragen haben, etwa die Türkei-Hilfe und die Pakistan-Hilfe. Wenn jetzt der VerteidigungshausMinisterpräsident Dr. h. c. Strauß ({46})
halt durch Kreditfinanzierung aufgestockt werden soll, bekommen Sie dafür von der Opposition in diesem Haus keine Unterstützung.
({47})
Wir sind bereit, die Opfer dem Volk zuzumuten, wenn die Regierung sie nennt und wenn die Regierung auf diesem Weg ihrer Führungsfunktion gerecht wird. Leider war es bisher immer umgekehrt.
({48})
Der Herr Bundeskanzler muß jetzt endlich einmal sagen, wie er die Lage in Wirklichkeit beurteilt und was er auf Grund der Lage für notwendig hält. Von selber wird sich das Problem nicht lösen, Herr Bundeskanzler. Sie können nicht darauf warten, daß in der Art „Tischlein deck dich, Eslein streck dich" Hokuspokus eine Lösung vom Himmel kommt, so „Ich wollt, es wäre Nacht oder die Preußen kämen". Nein. Wir sind hier aufgefordert, eine eigene Politik zii machen, eine Politik, die allerdings mit den anderen abgestimmt ist.
Lassen Sie mich etwas zu der Frage der Olympiade am Schluß meiner Ausführungen sagen. Es ist nicht richtig und unser nicht würdig, hier nur von Solidarität mit . den Amerikanern zu reden. Ich halte diesen Ausdruck „Solidarität" für falsch. „Aus Solidarität gehen wir nicht nach Moskau." Nein. Wir müssen eine eigene Lagebeurteilung haben. Wir müssen aus eigenem Ermessen, aus eigenem Antrieb und aus eigener Standfestigkeit sagen, was wir für richtig halten. Denn das mit der Solidarität klingt immer so: Eigentlich ist es ein furchtbarer Unsinn, was die Amerikaner machen; aber leider, leider können wir halt nicht anders; wir müssen halt leider hierbei mitmachen. Das ist bisher Ihre Haltung gewesen, Herr Bundeskanzler.
({49})
Daß wir nicht hingehen können, wenn die Amerikaner fernbleiben, das wissen sowieso alle. Da wollen wir uns doch nicht gegenseitig heuchlerisch anschauen. Wenn die Amerikaner nicht hingehen, können wir gar nicht hingehen. Würden wir trotzdem hingehen, so gäbe das einen psychologischen Bruch, daß wir von transatlantischer Gemeinschaft überhaupt nicht mehr zu reden bräuchten. Aber für ein Nein im Mai kriegen Sie gar nichts mehr, Herr Bundeskanzler.
Am 21. Februar habe ich von Ihnen vernommen: Wir werden unsere Entscheidung im Mai treffen. In einem Zusatz hieß es: Helmut Schmidt will der Sowjetunion noch eine Chance geben.
({50})
Das ist so ähnlich wie die Vermittlerrolle Willy Brandts. Da haben wir heute ja ganz deutliche Worte gehört: daß die Russen und die Amerikaner gar keinen Vermittler brauchen, daß die Bundesrepublik dafür zu klein und zu schwach ist und daß im übrigen die Großmächte selber miteinander reden können und deshalb nicht den Parteivorsitzenden
der SPD benötigen. Das ist aber nicht unser Problem; das ist Ihr Problem.
({51})
Es ist auch falsch, wenn man aus einem Gespräch mit den Großen dieser Welt einige Gesprächsfetzen, in der Ecke gesprochen, daheim für parteipolitische Werbewirkung da oder dort verkauft.
({52})
Wir sagen Unterstützung für eine realistische Entspannungspolitik zu, die die Entspannung nicht als Dogma, sondern als Grundsatz verfolgt, die die Entspannung nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Selbstzweck verfolgt und die weiß, daß auch die Entspannungspolitik ein Teil des Konflikts und nicht das Ende des Konflikts ist. Wir sagen unsere Unterstützung für die Verstärkung unserer militärischen und bündnispolitischen Sicherheit zu. Was hier auf das deutsche Volk mit aller Wahrscheinlichkeit auch in den 80er Jahren an Lasten zukommt, muß von allen demokratischen Kräften in diesem Land und in diesem Haus gemeinsam getragen werden.
Dann werden wir auch wieder Aussicht haben, tatsächlich das Licht im Tunnel zu sehen, Herr Außenminister. Ich glaube, Sie sind da auf eine Funzel hereingefallen,
({53})
als Sie sagten, daß das Licht am Ende des Tunnels sichtbar sei. Da gab es manche, die sich vor ihr Fernglas einen rosa Faden gebunden und dann das Tauwetter, die Schneeschmelze und das Ende des Kalten Krieges gesehen haben. In Wirklichkeit war das nur eine optische Täuschung. In dem Fall ist es eine politische Täuschung gewesen.
Die Frage, wie der Afghanistan-Konflikt beendet wird, wird für die Zukunft Europas und auch für die Zukunft Deutschlands - Deutschlands in seinen zwei Teilen - von entscheidender geschichtlicher Bedeutung sein. Dessen sollten wir uns würdig erweisen.
({54})
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ich Sie mit unserer Geschäftslage vertraut machen. Es wird nicht möglich sein, die Aussprache bis zum Beginn der Mittagspause zu beenden. Daher ist interfraktionell vorgeschlagen worden, daß wir nach einer einstündigen Mittagspause die Aussprache fortsetzen und dafür heute die Fragestunde - in Abweichung von der Geschäftsordnung - ersatzlos ausfallen lassen. Ich frage das Haus, ob gegen diesen Vorschlag, der interfraktionell gemacht worden ist, Widerspruch besteht. - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Die Fragestunde fällt aus. Die noch nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet, sofern die Fragesteller nicht bis heute um 15.30 Uhr gegenüber
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
dem Parlamentssekretariat erklären, daß sie ihre Frage zurückziehen *).
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt eine Reihe von Abgeordneten in diesem Hause - ich gehöre jedenfalls zu ihnen -, die sich immer noch ein bißchen nach dem Sinn dieser Debatte fragen.
({0})
Wir haben gute Erklärungen des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers gehört, und wir bedanken uns dafür.
({1})
Wir hätten dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister auch ohne diese Erklärungen zugetraut, die deutschen Interessen weiterhin ruhig und fest und mit jedem möglichen Erfolg zu vertreten. Aber es war gut, daß wir und die Offentlichkeit jetzt noch einmal gehört haben, worum es geht. Wir haben ein paar interessante Zusatzbetrachtungen des bayerischen Ministerpräsidenten gehört und eine polemisch, wie ich finde, überzogene Rede von Herrn Kohl. Das will ich einmal vorweg sagen; ich habe mich dann auch zur Sache zu äußern.
Niemand hatte und hat ein Recht, so zu tun, als stehe hier etwas zur Debatte, was gar nicht umstritten ist. Das Bündnis steht nicht zur Debatte. Die Freundschaft zu den Vereinigten Staaten steht nicht zur Debatte.
({2})
Ich weiß mich einig mit dem Bundeskanzler, wenn ich sage, daß es gilt und wie sehr es gilt, unsere deutschen Interessen wahrzunehmen in Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft, mit dem Nordatlantischen Bündnis und dabei insbesondere mit den Vereinigten Staaten und mit Frankreich. Dies alles bräuchte nicht umstritten zu sein.
({3})
Welchen Sinn sollte es machen, an unserem Verhältnis zu den USA herumzudeuteln? Welchen Sinn soll der Popanz vom Antiamerikanismus machen, den Herr Kohl in diese Debatte einführen wollte?
({4}) Die Fragen 36 und 37 des Abg. Sieler, 41 und 47 des Abg. Conradi, 44 des Abg. Paterna, 48 und 49 des Abg. Dr. Jahn ({5}), 54 und 55 des Abg. Dr. Stavenhagen, 56 und 57 des Abg. Gerster ({6}), 58 und 59 des Abg. Glos, 60 und 61 des Abg. Haase ({7}), 76 des Abg. Bahner, 96 des Abg. Haase ({8}), 97 und 98 des Abg. Metz, 101 des Abg. Carstens ({9}), 107 und 108 des Abg. Josten, 109 des Abg. Walkhoff, 114 und 115 des Abg. Dr. Voss, 119 des Abg. Dr. Czaja, 121 des Abg. Graf Huyn, 122 des Abg. Engelsberger, 123 und 124 des Abg. Kunz ({10}) sowie 125 und 126 des Abg. Dr. Marx sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die Antworten auf alle übrigen Fragen werden in einem Nachtrag zum Stenographischen Bericht über die 203. Sitzung abgedruckt.
Nach Ihrer
Rede!)
Ich habe gesagt und sage erneut, daß unsere Zuverlässigkeit gefragt ist. Die muß über jeden Zweifel erhaben sein. Da kommt es in der Tat auf Ihre - wie Sie es nun nehmen wohlklingenden oder hohlklingenden Treueschwüre weniger an als auf das, was ich Zuverlässigkeit im Atlantischen Bündnis nenne.
({0})
Es hat keinen Sinn - ich sage es noch einmal -, Dinge in Frage zu stellen, die, was uns angeht, nicht nur Teil der Geschichte der Bundesrepublik sind, von ihrem Beginn an, sondern die seit 1969, ja, zu wesentlichen Teilen seit Ende 1966 unbestreitbarer Inhalt unserer Regierungspolitik sind. Oder Orientierungen anzukratzen, die, Herr Kollege Kohl, für einen früheren Berliner Bürgermeister zum Inhalt seines Lebens geworden sind und Inhalt bleiben, jenen früheren Berliner Bürgermeister, der dann allerdings auch seinen unveränderten Orientierungen zusätzliche Erfahrungen und Einsichten hinzufügen mußte.
({1})
Durch inflationären Umgang mit dem Wort „Solidarität"
({2})
könnte man höchstens den Eindruck aufkommen lassen - anderen gegenüber -, als meine man es damit in Wirklichkeit gar nicht so ernst. Denn sonst bräuchte man sie nicht dauernd zu beschwören. Ich sage Ihnen - und hier bin ich einverstanden mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, der das Thema in einer Randbemerkung anschnitt -: die Amerikaner sind uns heute dankbar, daß wir gegenüber der Türkei nicht einfach dasselbe gemacht haben wie die USA, daß wir unsere Hilfe und unsere Zusammenarbeit nicht reduziert haben. Es gibt also sehr wohl deutliche Beispiele, wo man den eigenen Kopf benutzen muß, weil er zum Nachdenken da ist.
({3})
Herr Kohl hat wie die gesamte Opposition am 17. Januar - das war unsere vorige Debatte - die Solidarität mit den USA in einem entscheidenden Punkt unterlassen. Es gibt auch heute von der Opposition im Deutschen Bundestag kein Wort ihrer Genugtuung über den Willen Präsident Carters, Abrüstung und Rüstungskontrolle weiterzuführen.
({4}) Die - ich wage nicht zu sagen - ({5})
- Nein, jetzt haben Ihre Herren zwei Stunden geredet, Herr Mertes, jetzt möchte auch ich einmal eine halbe Stunde reden, ohne Zwischenfragen.
({6})
Die quasi Freude an der Verschärfung ist offensichtlich. Die Hoffnung auf die Entschärfung der Krise ist gedämpft.
({7})
Ich möchte mal wissen, wer in diesem Hause nicht dafür ist, daß für Afghanistan - es wird schwer genug sein - der Status eines blockfreien Staates gefunden wird - mir kommt es sehr auf die Wortwahl an -, eines unabhängigen und blockfreien Staates, und daß sich die Fremden, also konkret die sowjetischen Truppen, aus jenem unglücklichen Land zurückziehen. Kein vernünftiger Mensch in Deutschland kann dagegen sein, daß alle denkbaren Anstrengungen unternommen werden, um die gefährliche Afghanistan-Krise zu überwinden. Aber die meisten, nein, ich glaube, viele im Hause und viele draußen werden mir auch zustimmen, wenn ich sage, daß wir keine Krise draußen in der Welt lösen und überwinden würden, wenn wir dazu beitrügen, daß ohne zwingende Not zusätzlich eine dann besonders bedrohliche Krise in Europa erzeugt würde.
({8})
Nun greife ich dankbar nicht nur einen Programmpunkt in der Erklärung. des Bundeskanzlers, sondern auch eine ganze Passage - zwei sind es eigentlich, wenn ich genau zugehört habe - aus der Rede des Bundesaußenministers auf. Ich denke, daß es auch nach dem, was ich dazu von der Opposition bisher gehört habe, am wenigsten Meinungsverschiedenheiten darüber zu geben scheint, daß die Bedeutung der Nord-Süd-Beziehungen, der Beziehungen zwischen den Industriestaaten und den Staaten der Dritten Welt, den Entwicklungsländern und den blockfreien Staaten noch zugenommen hat, daß dem Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verstärktes Gewicht zukommt.
Ich habe, wie dem einen oder anderen bekannt ist, zwei Jahre lang in einer unabhängigen internationalen Kommission - mit einem britischen Konservativen, nicht irgendeinem, bis zu einem algerischen Linkssozialisten und bewußt mit einer Mehrheit von Kollegen aus Entwicklungsländern - eine interessante und auch eine ermutigende Erfahrung gemacht, daß es nämlich keine Illusion sein und bleiben muß, daß es für Menschen unterschiedlichen politischen Standorts und aus vielen Teilen der Welt möglich ist, die Lage zu analysieren, die Bedrohungen zu erkennen und zu beschreiben, gemeinsame Interessen herauszuarbeiten und ein Programm zu entwickeln, das vom gemeinsamen Überleben der Menschheit handelt. Wenn es möglich ist, wo etwas über alles sonst Trennende hinweg international anzupacken, weshalb sollte das nicht auch bei uns in Deutschland möglich sein?
({9})
Der Bundesminister des Auswärtigen und andere haben dazu gewichtige Hinweise gegeben. Wir sollten sie aufgreifen und, wie man so sagt, Nägel mit Köpfen machen. Wer glaubt heute noch - natürlich glaubt es auch nicht der bayerische Ministerpräsident Strauß, der jetzt nicht da ist -, er könne über die Ölzufuhr oder die Ölpreise mit militärischen Mitteln entscheiden? Das ist lange vorbei.
({10})
- Ich polemisiere doch jetzt nicht, Herr Kollege Mertes. ({11})
Zeigt nicht die Entwicklung im Iran, daß alle moderne Rüstung nichts nützt, wenn die Rechnung sozial nicht stimmt, meine Damen und Herren,
({12})
und daß wir alle miteinander eine Menge hinzuzulernen haben, wo unser Denken durch westliche materialistisch-mechanistische Entwicklungsbegriffe vorgeprägt ist?
({13})
Nehmen wir hinreichend zur Kenntnis, so frage ich, welche inneren Probleme Afghanistan schütteln und noch schütteln werden? Wieviel Unsicherheit gibt es nicht nur wegen ungelöster sozialer und nationaler Probleme, sondern auch durch aus der Tiefe des Glaubens oder vom Überbau der Ideologien kommende Erschütterungen im Nahen Osten, im südlichen Afrika, in Südostasien und in Zentralamerika! Der Tatsache - das hätte ich dem Herrn bayerischen Ministerpräsidenten gern selbst gesagt -, daß soziale und dort, wo es um Glauben geht, fundamentalistische Entwicklungen im Gange sind, kann man nicht durch den Hinweis gerecht werden: Laßt uns die Regime, wie sie sind, ein bißchen stützen. Ich habe ja gar nichts dagegen gesagt; ich sage nur: Eine westliche Politik, die nicht von der Hand in den Mund leben will, muß das Problem des sozialen Wandels und der zunehmenden Rolle, die nichtökonomische Faktoren spielen, Rechnung tragen.
({14})
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Der Herr bayerische Ministerpräsident hat mich im Hinblick darauf, daß er mit der Beendigung der Debatte um 13 Uhr rechnen mußte, gebeten, seine Abwesenheit ab 13 Uhr bei Ihnen zu entschuldigen.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, alles, womit wir möglichst gesunde Verhältnisse schaffen helfen, ist ein wertvoller und uns besonders gemäßer Beitrag. Ich gehe davon aus, daß dies in den Gesprächen mit Präsident Carter in der nächsten Woche - und dazu sollten wir ja vielleicht noch die eine oder andere Bemerkung machen - eine Rolle spielen wird.
Ich wäre dankbar, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, wenn in den Überlegungen dort und auch sonst im Westen und darüber hinaus an die bisherige Verhandlungstechnik auf dem Gebiet der Nord-Süd-Fragen kritischer herangegangen würde. Aus den Mammutkonferenzen wie in Ma16202
nila oder in New Delhi, wo jetzt wieder eine gescheitert ist, allein kommt nichts mehr heraus.
({0})
Das sind Riesenapparate, die sich selbst befriedigen. Man muß sich vielmehr zu selektiven Gipfelbegegnungen vorarbeiten, die nicht über die Köpfe anderer hinweg entscheiden können, die aber sachliche Entscheidungen vorbereiten können.
({1})
Ich möchte darum bitten, daß sich die Bundesrepublik mit auf diesem Weg bewegt.
Mit gebührendem Respekt habe ich gehört, was der französische Staatspräsident vorgestern abend in seinem Fernsehen - ich glaube, es war „antenne 2" - sagte, als er meinte, sein Land müsse oder werde zur Provinz einer Weltmacht werden, wenn seine - Frankreichs - Politik nicht unabhängig bleibe. Das mag in Paris so gesehen und so gesagt werden. Ich als Abgeordneter dieses Hauses möchte nur hinzufügen dürfen, daß ich uns, die Bundesrepublik Deutschland, bei voller Loyalität im Bündnis, in der NATO, nicht als jemandes anderen Provinz sehe.
({2})
Ich möchte - wie ich hoffe, im Sinne der gemeinsamen deutsch-französischen Erklärung vom 5. Februar, die, was ich nun leider in Abwesenheit von Herrn Strauß sagen muß, von ihm bis an die Grenze des Törichten kritisiert worden ist,
({3})
im Sinne also dieser gemeinsamen Erklärung, die die Regierung uns heute erneut in Erinnerung gerufen hat - meinen, daß wir uns miteinander um die spezifischen europäischen Interessen in der gesamtwestlichen Meinungsbildung kümmern müssen. Wer sonst sollte das denn wohl tun?
({4})
Ich betrachte es als eines der Verdienste der sozialliberalen Koalition, daß sie die europäischen Interessen und die atlantische Zuordnung der Bundesrepublik Deutschland in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht hat. Das war nicht immer so, und das hat dann auch Blasen gezogen. Jetzt würde ich ganz gerne den damaligen Kollegen Finanzminister aus der Großen Koalition ansprechen, denn er hat sich ja selbst auf diese Zeit bezogen: Diese Zuordnung zum Atlantischen Bündnis in Verbindung mit der europäischen Orientierung, die ja ohne das Kernstück „Deutschland/Frankreich" nicht geht, war in der Großen Koalition nicht nur angepeilt, sondern zu einem Teil auch schon mit Inhalt ausgefüllt worden. Der Grund dafür, daß das in der Schlußphase der Großen Koalition nicht trug, weshalb wir dann alle Anstrengungen gemacht haben, einen neuen Start finden zu können, war doch, daß die inhaltlichen Voraussetzungen für jene Gemeinsamkeit leider nicht vorhanden waren, von denen Herr Strauß heute sagt, daß er sie anbietet. Ich möchte das also gern noch einmal auf die Inhalte hin abklopfen.
({5})
Das mit den Konsultationen ist in einer Allianz ein Dauerbrenner. Das kenne ich seit den Zeiten, als Adenauer Kanzler war, und vor allem aus der Zeit, in der Kennedy Präsident war. Dabei braucht man sich nicht allzulange aufzuhalten; das sollte man nicht wichtiger nehmen, als es vom Inhalt her geboten ist.
Ich glaube, der Bundesaußenminister hat einen wichtigen Punkt berührt, als er von der Schärfung des Bewußtseins der Amerikaner für weltpolitische Verantwortung gesprochen hat.
({6})
Es gibt in der Tat manche Anzeichen, die man auch bei einem kurzen Besuch auffangen kann, wenngleich man immer sehr vorsichtig sein muß. New York und Washington sind nicht die Vereinigten Staaten von Amerika, was die Stimmung der breiten Schichten der Bevölkerung angeht. Aber da liegt wohl ein wichtiger Punkt.
Trotzdem füge ich hinzu - das muß man als unabhängiger Abgeordneter des Deutschen Bundestages wohl noch tun können -: Wir würden unsere Rolle mißverstehen, wollten wir alle Wendungen und Windungen eines noch vor uns liegenden amerikanischen Wahlkampfes mit- oder nachvollziehen. Das brauchen wir nicht.
({7})
Meine Erfahrung, auch meine jüngste Erfahrung, sagt, daß man den Freunden drüben auch leicht auf die Nerven geht, wenn man sie über Gebühr mit unserem innenpolitischen Meinungsstreit belastet.
({8})
Herr Kollege Kohl, Sie hatten gemeint, ich sollte mich zu Zeitungsmeldungen äußern. Das will ich gerne tun. Wir reden hier an sich nicht über Zeitungsmeldungen und Spekulationen, sondern über politische Tatsachen und Notwendigkeiten. Da müssen die Kollegen von der Opposition bitte erst einmal zur Kenntnis nehmen, daß ich für eine in der Sache einheitliche Sozialdemokratische Partei und Fraktion spreche.
({9})
Das haben wir bei Ihnen nun nicht gerade feststellen können. Bei Herrn Strauß hörte sich das bei Ceausescu in Bukarest anders an als in Passau bei der bekannten Veranstaltung am Aschermittwoch.
({10})
Bei Herrn Strauß hörte es sich vor Paris anders an
als in Paris. Ich kann noch einige solche Widersprüche und Widersprüchlichkeiten hinzufügen. Wer
das törichte Wort von Vermittlung in die Welt gesetzt hat,
({11})
der kann es jedenfalls objektiv mit mir nicht gutgemeint haben. Streichen Sie dieses Wort und das, was drinsteckt oder drinstecken könnte an Fehleinschätzung oder Wirklichkeitsferne: Was bleibt dann von Ihrer und anderer Polemik übrig? Dann bleibt das von Ihnen nicht bestrittene Recht eines Abgeordneten dieses Bundestages übrig,
({12})
auch wenn er nicht Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei und einer internationalen Vereinigung sozialdemokratischer und demokratisch-sozialistischer Parteien wäre, sein selbstverständliches Recht, sich in der Welt zu unterrichten, wo immer er dies für richtig hält,
({13})
und genau zu wissen, was Sache der Regierung ist und was seine Sache ist. Da brauchen Sie mir keine Lehren zu erteilen. Ich kann mich mit meinen Partnern im Ausland besser sehen lassen als Herr Strauß mit seinen.
({14})
Meine Damen und Herren, das Recht, sich zu informieren, sich zu orientieren, ist doch unbestritten. Sollte man irgendwo um Rat gefragt werden, dann wird man, wenn man kann - es ist ja nicht immer sicher, daß man kann -, einen Rat nicht vorenthalten.
({15})
Wenn man dem Generalsekretär der Vereinten Nationen den Bericht einer unabhängigen internationalen Kommission zu überreichen hat und einige Tage später in einem solchen Zusammenhang auch vom Präsidenten der Vereinigten Staaten empfangen wird, nicht weil man darum nachgesucht hat, sondern weil man darum gebeten wurde, dann ist daran hoffentlich nichts zu beanstanden. Wenn man einem internationalen Zusammenschluß - ich sagte es - sozialdemokratischer Parteien vorsitzt und mit seinen Kollegen vereinbart hat, daß wir alle Möglichkeiten, wie wir Anfang Februar in Wien gesagt haben, für den Dialog nutzen wollen, um zu verhindern, daß etwas endgültig kaputtgeht, dann stehe ich in einer Pflicht. Die wird von Ihnen nicht mitgetragen. Die trage ich vor meinem Gewissen und vor denen, die mich gewählt haben.
({16})
Wenn das aber so ist, dann hört man bei dem, was der erste Mann der westlichen Führungsmacht sagt, besonders gut zu. Er hat ja dann im Anschluß an die nicht durch mich veranlaßten, von mir nicht nur für höchst unglücklich gehaltenen, sondern auch der Sache abträglichen Pressegeschichten vom Weißen Haus aus erklären lassen, daß Brandt und Carter auch aktuelle Probleme, darunter Afghanistan, angesprochen hätten. Die US-Regierung sei für alle Bemühungen offen, die Krise im Sinne eines blockfreien Afghanistans zu lösen. Am Tage darauf sagte der Sprecher des Weißen Hauses, daß man dort selbstverständlich alle gutwilligen Bemühungen verantwortungsbewußter Persönlichkeiten mit dem Ziel, die Spannungen zu mindern, begrüße. Dagegen können Sie auch nichts haben, meine Damen und Herren von der Opposition. Ich maße mir nicht an, an Stelle unserer Regierung zu handeln, wie Sie das manchmal tun. Aber ich werde bis zum letzten Atemzug für den Frieden wirken - unseres Volkes wegen und Europas wegen.
({17})
Meine Damen und Herren, ich wüßte nichts, was dagegen einzuwenden wäre, wenn man sich auch über die Auffassungen der anderen Weltmacht unterrichtet hält oder wenn man sich bemüht, ihren Vertretern zu vermitteln, wie man die Dinge sieht.
Der Bundeskanzler, der nun vor seiner Reise steht, braucht sich wegen des deutschen Beitrages zur NATO nicht tadeln zu lassen. Wir leisten wesentlich mehr, als zunächst einmal in Aussicht genommen war.
({18})
Das hat seine Gründe. Wir sind diesen Weg gegangen. Während unserer Regierungsverantwortung ist dieser Beitrag gewichtiger geworden. Wir haben immer - ich sage das jetzt ohne Seitenhiebe auf andere Partner der Gemeinschaft - zu den Verpflichtungen gestanden, die wir im Bündnis übernommen hatten. Aber ich war auch mit Ihnen einig, Herr Kollege Kohl, als Sie am 17. Dezember 1976 in diesem Hause auf genau dieses Thema bezogen vor einer Primusrolle der Bundesrepublik Deutschland warnten.
({19})
Ich zitiere nach dem Protokoll des Bundestages den Kollegen Kohl aus der Sitzung von Freitag, dem 17. Dezember 1976:
Es ist nicht unser Ziel und kann nicht unsere Politik sein, daß die Bundesrepublik die dann entstehenden Lücken
- Sie können sich an den damaligen Zusammenhang erinnern -auffüllt. Wir können
- Herr Kollege Kohl fügte hinzu -- wie unsere Nachbarstaaten - aus begreiflichen Gründen kein Interesse daran haben, im Bereich der militärischen Rüstung zum Primus Europas zu werden.
Das ist unsere Auffassung.
({20})
Auf ein militärisches Engagement außerhalb des für die NATO festgelegten Rahmens sollten wir uns nicht einlassen. Es ist gut, daß hier bei der Opposition etwas zurechtgerückt worden ist, was, glaube ich, zurechtgerückt werden mußte. Abenteuerliche Pläne über deutsche Soldaten am Persischen Golf kommen hoffentlich nicht wieder auf.
({21})
Die Opposition hat sich hier korrigiert. Das ist gut so. Es gibt ein weiteres Gebiet, wo die Politik der Regierung durch den Ablauf, nicht nur der Tatsachen, sondern auch der Debatte, ihre Bestätigung erfahren hat.
Womit wir andere wirklich entlasten können - das sage ich jetzt noch einmal, meine Damen und Herren -, sind gewichtigere Beiträge zu einer konstruktiven Nord-Süd-Politik, gerade wenn man daran denkt: Was kann der eine, was kann der zweite, was kann der dritte? Womit wir auch helfen können, ist, freilich mit unserem begrenzten Einfluß, daß wir auf das hinwirken, wovon der Bundesaußenminister gesprochen hat, daß die Voraussetzungen für den Status Afghanistans als eines unabhängigen blockfreien Staates geschaffen werden. Dazu gibt es die bekannten Ansätze. Ich füge ausdrücklich den des jugoslawischen Außenministers nach seinem Besuch bei der indischen Ministerpräsidentin hinzu. Ich füge die Erklärung aus dem Weißen Haus und die von Giscard d'Estaing dem französischen Staatspräsidenten, hinzu.
Wir sind uns einig, wenn es darum geht, daß amerikanische Maßnahmen - was man von denen im einzelnen sonst halten mag - in einer Allianz und mit einem so gewichtigen ersten Partner nicht unterlaufen werden.
({22})
Aber es nimmt uns niemand die Last ab, mit darüber nachzudenken, was vernünftig ist. Ich will mir für meine Person und für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sehr gerne den Punkt 8 in der Zusammenfassung der Rede des Bundeskanzlers zu eigen machen: Zur Berechenbarkeit unserer Politik gehört, daß wir geschlossene Verträge und getroffene Abmachungen einhalten.
({23})
Wir sind auch in schwierigen Situationen ein zuverlässiger und berechenbarer Vertragspartner.
Bei Herrn Strauß ist mir nicht ganz klargeworden, was er eigentlich meinte. Wenn die Presse seine Ausführungen zu diesem Thema richtig wiedergegeben hat - Sie gehen ja davon aus, daß Zeitungen immer richtig wiedergeben, was der eine oder andere gesagt hat oder meint, wobei es freilich immer auf den Einzelfall ankommt -, bestünde ein großer Widerspruch zwischen dem, was er in den letzten Tagen gesagt hat, und dem, was heute von ihm zu diesem Thema gesagt worden ist.
Was den Boykott der Olympischen Spiele angeht, so bin ich sehr dafür, es bei dem zu belassen, was die Regierung uns und der deutschen Offentlichkeit und dem deutschen Sport hier gesagt hat. Meine Damen und Herren, die Sie zum Übereifer neigen, wieso sollte sich die deutsche Bundesregierung, was dieses Thema angeht, eigentlich rascher bewegen als das Nationale Olympische Komitee der Vereinigten Staaten von Amerika?
({24})
Ich halte nichts davon, von der Eigenverantwortung des Sports zu reden, nur um sich bei Leuten anschmieren zu wollen. Ich nehme die Damen und Herren ernst, die in den einzelnen Ländern ihre Verantwortung tragen.
({25})
- Natürlich geht es darum. Sie waren ja nicht da. Sie sind eh ein Ignorant in weiter Hinsicht, Herr Kollege. Wenn Sie dagewesen wären, hätten Sie vermutlich auch nicht richtig gespürt, wie sehr dort erneut Leute zögern, weil bei der Eröffnung der Winterspiele für die amerikanische Regierung gesagt worden ist, man könne die Sommerspiele sehr wohl verschieben. Beispiel: Es sind auch 1916, 1940 und 1944 Verschiebungen erfolgt. Ich möchte nicht, daß wir mit dieser Begründung aussteigen. Sonst teile ich die Einschätzung, die die Regierung hier vorgetragen hat, und hoffe, daß sich alles auf einen gemeinsamen Standpunkt hinbewegt.
({26})
Ich bin mit dem einverstanden, was die Regierung zu Fragen der Rüstung und Abrüstung gesagt hat. Herr Bundeskanzler, ich würde gern noch den Ausdruck von der aktiven Vorbereitung der Madrider Konferenz Ende des Jahres aufgreifen, den man nach Ihrem Gespräch mit dem spanischen Ministerpräsidenten vernommen hat. Dies sagt einer, der immer seine großen Zweifel gehabt hat, ob es bei diesem Zeitpunkt bleiben kann und wird. Das ist aber etwas ganz anderes als die aktive inhaltliche Vorbereitung der Dinge, die dort zu behandeln sein werden - jetzt angereichert für eine sicherheitspolitische Nachfolge, angereichert durch einen polnischen Prozedurvorschlag, der einem französischen
gegenübersteht oder mit ihm verbunden werden kann.
Ich komme zum Schluß. Es ist schade, daß ich Herrn Strauß hier nicht noch unter Berufung auf Giscard d'Estaing etwas zur Entspannungspolitik sagen kann. Giscard d'Estaing hat nämlich vorgestern in jener einstündigen Unterhaltung mit einem Journalisten und einer Journalistin nicht nur gesagt, daß er dafür sei, die Entspannungspolitik fortzusetzen, wenn auch die internationale Situation zur Stunde eher gespannt sei. Er sagte auch dies: Die Aufgabe - er meint damit das Aufgeben - der Entspannungspolitik würde einen Teil der europäischen Länder, die unsere Partner in der Suche nach Entspannung sind, in die Hoffnungslosigkeit stürzen. Dann spricht er aus der französischen Interessenlage und sagt: Diese Politik oder die Kooperation für den Frieden, wie er sie nennt - und ich habe nichts dagegen; wer könnte dagegen etwas haben? -, habe es den europäischen Staaten erlaubt, ihre Beziehungen untereinander neu zu gestalten. So habe Frankreich sein Verhältnis zu bestimmten europäischen Staaten wie Polen, Rumänien, Ungarn und selbst der DDR verändert und intensiviert. Sein Land werde diesen Weg der Entspannung weiter verfolgen. - Dann folgt ein Punkt, der sich auf die Sowjetunion bezieht.
Nun lassen Sie mich als einer, der von Nackenschlägen auch auf dem Gebiet, mit dem wir uns jetzt inhaltlich befassen, nicht verschont geblieben ist, einmal folgendes sagen: Ich empfinde es als ein. Glück des zu Ende gegangenen Jahrzehnts, daß bei allem Unglück zwei Staaten auf deutschem Boden ihr Verhältnis zueinander haben verbessern können, ohne französisches oder polnisches Mißtrauen auszulösen.
({27}) Ein geschichtlich gesehen großer Vorgang!
Herr Bundeskanzler, nachdem Ihnen Herr Kohl eh schon Erfolg gewünscht hat und da mir so sehr an der Ausgewogenheit unseres Verhältnisses zu Europa und Amerika liegt, sage ich: Bon voyage and happy return!
({28})
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Debatte wird fortgesetzt. In der Aussprache hat das Wort der Herr Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegenüber dem 17. Januar, an dem wir das Thema Afghanistan und die Folgen hier ausführlich diskutiert haben, sind nur in wenigen Bereichen der erörterten Fakten Veränderungen eingetreten. Heute gilt wie im Januar die von allen Fraktionen gemeinsam vorgenommene Bewertung der sowjetischen Invasion als völkerrechtswidriger Akt, als Schlag gegen das Selbstbestimmungsrecht eines souveränen Staates der Dritten Welt und als eine schwere Belastung des friedlichen Zusammenlebens der Völker.
Es trifft nicht zu, daß, wie der bayerische Ministerpräsident heute morgen hier gesagt hat, wir uns über den Charakter und die langfristige Planung dieser Invasion im unklaren seien. Ich zitiere erneut, was der Bundesaußenminister und ich selbst in der Debatte am -17. Januar zur Bewertung der Zielrichtung dieser Aktion hier im Plenum bereits gesagt haben:
Die Zielrichtung der sowjetischen Intervention in Afghanistan ist eindeutig. Sie ist Ausdruck einer Gesamtstrategie, den Einflußbereich dort auszubauen, wo Stabilität fehlt, wie sie in Europa vorhanden ist, und wo dies ohne größere Risiken möglich erscheint. Sie ist, konkret ausgesprochen, im mittelöstlichen Bereich auch Ausdruck der Gesamtstrategie, zu den warmen Gewässern vorzustoßen und zugleich Einfluß auf die Energiequellen und Rohstoffe der Region zu gewinnen.
Ich denke, das ist wirklich eine präzise Beschreibung. Von daher, glaube ich, sollten wir uns nicht wechselseitig unterstellen, wir seien uns über die Motive und strategischen Zielrichtungen im unklaren.
Heute wie damals gilt die Aufforderung von mehr als 100 Staaten dieser Welt an die Sowjetunion, ihre Truppen sofort und vollständig aus Afghanistan abzuziehen. Heute wie damals gilt, daß die gutwilligen, friedliebenden Staaten dieser Welt, die den Frieden sichern wollen, nach vernünftigen Möglichkeiten suchen, weitere Afghanistans künftig zu verhindern.
Bevor ich mich mit diesen hier bei uns, in der Europäischen Gemeinschaft, in der NATO und in der UNO diskutierten Möglichkeiten auseinandersetze, gilt es aber, eines klarzustellen: Weder die objektiv gegebenen außen- und sicherheitspolitischen Fakten noch Ihr subjektives innenpolitisches - besser: wahltaktisches - Interesse, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, rechtfertigen den von Ihnen hier im Parlament, mehr noch aber draußen im Lande erweckten Eindruck, Sie wüßten, wie man oder wir den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan hätten verhindern können, oder gar, was Sie aus ebenso durchsichtigen wie unzulässigen Motiven dem Bürger einzureden versuchen, die Außen-
und Sicherheitspolitik der Bundesregierung, speziell die von ihr betriebene Entspannungspolitik gegenüber unseren östlichen Nachbarn, hätte diesen aggressiven Akt wenn schon nicht verursacht, so doch mindestens begünstigt.
({0})
Das ist Ihr tatsächliches Anliegen: Sie wollen die von uns betriebene, mit unseren westlichen Partnern stets und in allen Phasen eng abgestimmte Außen-, Sicherheits- und Entspannungspolitik beim
Bürger diskreditieren - eine Entspannungspolitik, die Sie nie innerlich akzeptiert und die Sie in allen Einzelstationen erbittert bekämpft haben. Dabei gibt es zu der von den sozialliberalen Regierungen Brandt/Scheel und jetzt Schmidt/Genscher betriebenen realistischen Entspannungspolitik, die auf der Grundlage ausreichender Verteidigung den Dialog und die Zusammenarbeit auch mit den osteuropäischen Staaten sucht, auch bei Ihnen keine vernünftige Alternative. Das wissen Sie ebenso wie die übergroße Mehrheit unserer Bevölkerung, und daran ändert auch Afghanistan nichts.
Unsere Außen- und Sicherheitspolitik, die den Frieden sichern soll, bedarf stets der Abstimmung, der Gemeinsamkeit und der Solidarität in der Europäischen Gemeinschaft und der NATO. Deshalb haben wir unsere Ostpolitik, die einzelnen Verträge, die Unterschrift unter die Schlußakte der Konferenz in Helsinki, den UNO-Beitritt beider deutschen Staaten, die Zustimmung zum Atomwaffensperrvertrag und unser Vorgehen bei den internationalen Rüstungskontrollverhandlungen stets eng mit unseren westlichen Partnern abgestimmt und mit allen Partnern gemeinsam gehandelt. Sie von der Opposition haben uns von all diesen Schritten abgeraten, Sie haben all diese Schritte in jeder Einzelheit bekämpft. Hätten wir uns nach Ihren Forderungen gerichtet, wären wir auch im Westen sehr schnell isoliert gewesen und hätten unserer Sicherheit genau damit am meisten geschadet. Wir setzen auch weiterhin auf Entspannung und Verteidigung, auf Kooperationsbereitschaft auf sicherer Grundlage. Davon werden Sie uns auch nicht durch Emotionalisierung abbringen können.
Interessanter als viele Ihrer wahltaktisch motivierten Vorwürfe scheint mir die Frage zu sein, wie wir die konkret gegebene außen- und sicherheitspolitische Situation auf der Welt so beeinflussen können, daß vorhandene Krisenpunkte entschärft und das Entstehen neuer Konfliktherde möglichst verhindert werden. Davon haben Sie am 17. Januar und auch heute hier nicht gesprochen. Ich meine, darum müßten wir uns jetzt eigentlich kümmern.
Friedenssicherung ist immer weniger durch einzelne Staaten möglich; sie bedarf immer mehr der internationalen Zusammenarbeit. Für uns Deutsche hier in der Bundesrepublik gelten dabei fünf Voraussetzungen.
Erstens. Wir müssen uns um eine noch engere au-Ben- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft bemühen, d. h. unter Verzicht auf manche nationalen Eigeninteressen minderen Ranges unsere gemeinsamen Hauptanliegen definieren und deren Verwirklichung gemeinsam betreiben.
Zweitens. Die NATO muß ihre Fähigkeit zu planvollem politischen und militärischen Handeln gerade in Belastungssituationen unter Beweis stellen.
Drittens. Erfolgreiche Zusammenarbeit ist in einem Bündnis nur möglich, wenn alle Bündnispartner nicht nur bei der Definition ihrer gemeinsamen Oberziele, etwa „Frieden in Freiheit", sondern auch bei den praktischen Maßnahmen zu deren Durchsetzung Solidarität beweisen. Die Sicherung von Frieden und Freiheit für alle im Bündnis ist nur durch alle im Bündnis möglich. So gesehen steht Bündnissolidarität nicht im Widerspruch zu unseren wichtigsten nationalen Interessen; sie ermöglicht vielmehr erst deren Verwirklichung.
Erlauben Sie mir, daß ich an dieser Stelle meinen Eindruck wiedergebe, daß die Auseinandersetzung über den Begriff der Solidarität hier zum Teil höchst unwirkliche Züge bekommt. Jeder hier im Haus hat sich in der Vergangenheit - man könnte das mit einer Flut von Zitaten belegen - das Recht genommen, kritische Anmerkungen zu diesem oder jenem politischen Handeln dieser oder jener europäischen oder amerikanischen Partnerregierung zu machen. Daraus je nach Bedarf einen Mangel an Solidarität nicht nur mit der so kritisierten Einzelentscheidung, sondern der ganzen Regierung im Bündnis zu machen, erscheint mir nicht ehrlich und geht an der eigentlichen Problematik vorbei.
Viertens. Gemeinsam mit unseren auf die gleichen Ziele verpflichteten Bündnispartnern müssen wir uns um die Wahrung unserer Sicherheit nicht nur durch gemeinsame Verteidigung, sondern auch durch den Versuch einer die Konfrontation eingrenzenden, vielleicht einmal ablösenden Zusammenarbeit über Blockgrenzen hinweg bemühen.
Fünftens. Auf der Weltbühne der Politik, in den Vereinten Nationen, müssen wir die Ziele und Methoden unserer auf die Sicherung von Frieden in Freiheit gerichteten Politik immer wieder verdeutlichen. In der konkreten Lage, in der wir uns jetzt befinden, leiten wir daraus die Notwendigkeit ab, mit ausgewählten, sorgfältig dosierten Maßnahmen zu demonstrieren, daß die Völkergemeinschaft eine Aggression wie die sowjetische in Afghanistan nicht hinnehmen kann und darüber hinaus außen- und sicherheitspolitisch Vorsorge gegen die Wiederholung eines solchen Vorganges treffen muß.
Zu den bewußt begrenzten Sanktionsmaßnahmen gehören die internationale Verurteilung der Sowjetunion durch die 104 Staaten in der UNO, die Einschränkung bestimmter Warenlieferungen, die Überprüfung der Zusammenarbeit und - gegebenenfalls - deren teil- oder zeitweise Beschränkung auf Gebieten, auf denen die Sowjetunion dies als Nachteil empfindet, sowie schließlich der Hinweis darauf, daß die Voraussetzungen für die Abhaltung der Olympischen Spiele in der Sowjetunion nach unserer Auffassung unter den gegenwärtigen Umständen nicht gegeben sind. Wir fordern die Sowjetunion auf, durch Beendigung ihrer Aggression in Afghanistan die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Mannschaften aus allen Staaten an der Sommer-Olympiade teilnehmen können. Es versteht sich nach dem zuvor über die Bündnissolidarität Gesagten von selbst, daß die Staaten der EG und der NATO unseres Erachtens eine gemeinsame Aufforderung an ihre Nationalen Olympischen Komitees richten sollten. Zur Stunde müßte diese Aufforderung lauten: Nehmt um des übergeordneten Ziels - des Friedens in Freiheit - wegen, das wir nur gemeinsam wahren können, nicht an den Spielen in
Moskau teil! Es liegt an der Sowjetunion, rechtzeitig vor dem vom IOC gesetzten Meldetermin doch noch die Voraussetzungen für eine breite Teilnahme zu schaffen.
Mehr aber als den angesprochenen begrenzten Sanktionen - von Ihnen habe ich außer dem Hinweis, man müsse aber viel stärker sanktionieren, keinen konkreten Vorschlag gehört - muß unser Interesse den auf die künftige Friedenssicherung gerichteten Maßnahmen der Außen- und Sicherheitspolitik gelten.
Erstens. Wir Freien Demokraten unterstützen nachdrücklich den Vorschlag der Europäischen Gemeinschaft, Afghanistan nach möglichst schnellem Abzug der Invasionstruppen einen garantiert neutralen Status zu geben, um so seine Unabhängigkeit und Blockfreiheit zu sichern.
Zweitens. Wir begrüßen die vorgesehene intensivere politische und ökonomische Zusammenarbeit zwischen der EG und Jugoslawien sowie der EG und verschiedenen Staaten in der Golf-Region. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit diesen Ländern soll verdeutlichen, welch hohen Rang wir ihrer Blockfreiheit zumessen.
Drittens. Wir erklären darüber hinaus unsere Bereitschaft, auch mit allen anderen Staaten der Region, die ihre Unabhängigkeit wahren wollen, auf allen Gebieten der Politik intensiv und partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Dieses Angebot gilt auch dem Iran, von dem wir erwarten, daß er seinerseits die Voraussetzungen für eine solche Zusammenarbeit schafft. Unser Angebot partnerschaftlicher Zusammenarbeit gilt der Verhinderung fremder Vorherrschaft und nicht der Erringung eigener Vorherrschaft.
Viertens. Für die Staaten der Dritten Welt gilt in besonderem Maße, daß ihre innere Stabilität durch wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt gesichert werden muß; militärische Maßnahmen allein helfen hier ganz bestimmt nicht.
({1})
Hierzu müssen die industrialisierten Staaten durch wirklich intensive - d.h. durch intensivere als jetzt - Entwicklungshilfe ihren Beitrag leisten. Diese Hilfe kann sich nur an der Bedürftigkeit, nicht aber an politischem Wohlverhalten ausrichten.
Fünftens. Die Europäische Gemeinschaft sollte bei anderen, vielleicht bedrohlicheren Konfliktherden ebenfalls im Sinne vorbeugender Politik aktiv werden. So erscheint mir eine rasche Vermittlungsaktion der Europäischen Gemeinschaft im Nahen Osten dringend geboten. Die Europäer könnten mit dem Vertrauen, das sie bei allen am Nahostkonflikt Beteiligten genießen, die jeden Tag dringlicher werdenden unmittelbaren Verhandlungen zwischen Israel, seinen arabischen Nachbarn und den Palästinensern in Gang bringen. Die Stabilität der Region, aber ganz sicher auch der Friede weit darüber hinaus könnten sonst bald wieder in drastischer Weise gefährdet werden. Hier hat der Kanzlerkandidat der Unionsparteien gefragt, ob wir denn außer unseren, wie er sagte, frommen Wünschen irgendwelche Vorstellungen hätten, wie sich dort ein Friedensprozeß abspielen könnte. Ich glaube, niemand in unserem Haus weiß einen anderen Vorschlag als den, daß über die derzeit verhandelnden Partner Israel, Ägypten und Amerika hinaus auch alle anderen am Konflikt Beteiligten einschließlich der Palästinenser an den Verhandlungstisch kommen und miteinander sprechen müssen. Es gibt keine Chance für einen dauerhaften Frieden in der Region, solange dort Teile der vom Konflikt Betroffenen von den Verhandlungen ausgeschlossen sind.
Sechstens. Die NATO muß überprüfen, ob ihre militärstrategische Konzeption, ihre interne Aufgabenverteilung, ihre Strukturen sowie ihre militärische Stärke in allen Bereichen für die Friedenssicherung ausreichend sind. Dieser Überprüfung müssen sich im übrigen alle NATO-Partner stellen. Dabei kann es nach dem heutigen Erkenntnisstand und bei der heute gegebenen sicherheitspolitischen Situation keinen Zweifel geben, daß die NATO insgesamt größere Anstrengungen zur Friedenssicherung unternehmen muß. Dies wird sich für uns in der besonderen Unterstützung der Türkei sowie bei gesteigerten Aufwendungen für die Bundeswehr deutlich machen. Das Ausmaß muß sorgfältig geprüft und je nach Veränderung der sicherheitspolitischen Situation dieser angepaßt werden.
Siebentens. Wir wollen weiterhin versuchen, durch den Dialog mit dem Osten, durch die Zusammenarbeit auf den verschiedensten Gebieten der Politik sowie durch Verhandlungen über Rüstungskontrolle und nach Möglichkeit auch Abrüstung die Notwendigkeit von Steigerungen der Verteidigungsausgaben einzugrenzen und, wenn möglich, zu verringern. Dies setzt aber Verhandlungs- und Kompromißbereitschaft sowie eine vertrauensbildende politische Verhaltensweise auf allen Seiten voraus. Wir unterstreichen unsere Bereitschaft dazu ausdrücklich. Deshalb werden wir uns auf der KSZE-Folgekonferenz in Madrid in diesem Jahr nachdrücklich für mehr vertrauenbildende Maßnahmen einsetzen.
({2})
Deshalb unterstützen wir die Vorschläge Frankreichs und Polens für eine europäische Abrüstungskonferenz vom Atlantik bis zum Ural. Hier ist heute der Eindruck erweckt worden, als hätten wir den polnischen Vorschlag dankbar zur Kenntnis genommen, ohne von dem französischen zu wissen. Jedermann weiß, daß bestimmte Grundelemente diesen beiden Vorschlägen gemeinsam sind und daß sie sich in einigen wichtigen Punkten unterscheiden. Aber der Grundansatz ist gut, und wir sollten ihn unterstützen. Deshalb erhoffen wir ein positives Eingehen des Warschauer Pakts auf unsere Vorschläge für ein erstes Truppenverringerungsabkommen bei den MBFR-Gesprächen in Wien. Deshalb halten wir unser Angebot aufrecht, sofort über eine Begrenzung der Mittelstreckenraketen zu verhandeln.
Die Sowjetunion hätte im übrigen - das muß an dieser Stelle gesagt werden - auf den vom Westen erklärten Verzicht auf die Produktion der Neutro16208
nenwaffe konstruktiv dadurch eingehen sollen, daß sie ihrerseits einen Produktionsstopp bei der SS 20 verkündet hätte. Dann hätte sie einen konstruktiven Anstoß gegeben, so daß wir möglicherweise nicht zu bestimmten Nachrüstungsmaßnahmen gezwungen gewesen wären. Jetzt etwa den Eindruck erwecken zu wollen, die Nachrüstungsbeschlüsse, gekoppelt mit dem Verhandlungsangebot, würden eine wie auch immer geartete Legitimation für das Vorgehen in Afghanistan hergeben, ist sachlich unangemessen und politisch töricht. Deshalb erhoffen wir eine rasche Ratifizierung des SALT-II-Vertrags und den Beginn über Verhandlungen von SALT III, damit die gefährlichste Kategorie von Waffensystemen, die schwersten atomaren Vernichtungswaffen, weiter reduziert werden kann.
Hier ist auch nicht unproblematisch, was der Kollege Strauß gesagt hat: Wir sollten uns doch aus dieser Frage heraushalten. Wenn es die Bündnissolidarität wirklich geben soll, dann muß es doch über die zentralen Fragen dieses Bündnisses eine gemeinsame Willensbildung, Beschlußfassung und auch Umsetzung geben. Und ist denn die Begrenzung der strategischen Rüstung von ihrer Bedeutung her nicht wirklich eine der zentralsten Fragen der Rüstungskontrollpolitik dieses Bündnisses? Ich kann mich also dem Ratschlag nicht anschließen, daß wir das allein den Amerikanern überlassen sollten. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß unsere amerikanischen Partner das von uns erwarten.
Diese Verhandlungsbereitschaft gründet sich auf die Bereitschaft, zum wechselseitigen Nutzen und auf der Grundlage wechselseitiger Sicherheit zu mehr gegenseitiger Sicherheit durch Zusammenarbeit zu kommen. Sie gründet sich aber eben auch auf die feste Entschlossenheit, das zur Verteidigung unserer Freiheit Notwendige zu tun.
Achtens. In den Gebieten, in denen trotz unserer politischen Bemühungen Menschen in großer Zahl in Not geraten, sei es durch Krankheit, Hunger, Krieg oder Vertreibung, werden wir auch weiterhin unserer Verpflichtung zu humanitärer Hilfe gerecht werden. Dies haben wir gegenüber den Hungernden in Kambodscha bewiesen. Es gilt jetzt für die in großer Not lebenden afghanischen Flüchtlinge in Pakistan. Für sie hat die Bundesrepublik Deutschland schon bis heute Hilfen im Wert von 6,65 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Dieser Akt praktischer Solidarität, zu dem auch alle anderen Staaten in der Europäischen Gemeinschaft, der NATO und darüber hinaus aufgerufen sind, wird von uns Freien Demokraten ausdrücklich begrüßt.
Diese Debatte gilt vom Thema her eigentlich außenpolitischen Fragen, mit denen ich mich deshalb bis jetzt auch beschäftigt habe. Sie ist mit einer angesichts der bevorstehenden USA-Reise des Bundeskanzlers unverständlichen Eile von der Opposition für heute beantragt worden, weil sie natürlich auch - ich habe den Eindruck: vor allem - innenpolitische, sprich wahltaktische Überlegungen damit verbindet. Das ist ja legitim. Deshalb erlauben Sie mir aus der Sicht der FDP drei abschließende Bemerkungen zu diesem innenpolitischen Aspekt des Themas, über das wir hier reden.
Erstens. Die Außen- und Sicherheitspolitik ist beim Vorsitzenden der Freien Demokraten, dem Außenminister Genscher, in guten Händen.
({3})
Wir Freien Demokraten haben als einzige Fraktion dieses Hauses alle für unsere Sicherheit wesentlichen Grundsatzentscheidungen von Anfang an mitgetragen,
({4}) zunächst gemeinsam mit der Union
({5})
gegen den Widerstand der Sozialdemokraten, der
dann aufgegeben und von Zustimmung abgelöst
wurde, die West-Integration, Integration ins Bündnis, danach gemeinsam mit den Sozialdemokraten,
gegen den erbitterten Widerstand der Union, die Politik des Dialogs und der Verträge mit dem Osten.
({6})
Wir Freien Demokraten werden deshalb auch weiterhin dafür sorgen, daß Frieden und Sicherheit durch Verteidigung und Entspannung gleichermaßen gewährleistet sind.
Dabei braucht sich im übrigen niemand zu sorgen, daß dem Außenminister durch Nebenaußenminister die Arbeit oder die Zuständigkeit abgenommen wird. Das ist auch nicht der Stil der Zusammenarbeit in dieser Koalition. Die Behauptung der Opposition, es gebe entsprechende Absichten beim Kollegen Brandt, ist ja von allen zuständigen Stellen ausreichend eindeutig als unzutreffend widerlegt worden. Ein bißchen, Herr Dr. Kohl, hatte ich bei Ihrer Kritik an diesem Vorgang im übrigen den Eindruck, daß da auch der Ärger eine Rolle spielt, daß Sie oder irgend jemand sonst aus Ihrer Fraktion für eine solche Vermittlungsaktion - die gar nicht in Frage kommt - nicht einmal in Betracht gezogen werden von einem ernsthaften Betrachter der politischen Szenerie.
({7})
- Nicht einmal darüber entscheiden Sie. Sie entscheiden nicht, wer hier redet. Sie entscheiden ja nicht einmal, wer in Ihrer Fraktion redet, also erst recht nicht, wer von den Freien Demokraten redet.
({8})
Diese Debatte hat im übrigen allen polemischen Attacken der Opposition zum Trotz gezeigt, daß die Haltung der Opposition sich nur in Nuancen von der Haltung der Regierung unterscheidet, jedenfalls soweit es um die jetzt zu ergreifenden politischen Maßnahmen geht.
Zweitens. Wir bitten die Bürger, einmal zu überlegen, ob es sinnvoll ist, in einer Zeit schwieriger außen- und sicherheitspolitischer Herausforderungen,
({9})
die in der nächsten Zeit sicherlich nicht nachlassen werden, politischen Gruppierungen bei Wahlen ihre Stimme zu geben, die bislang nur eine begrenzte Zuständigkeit und Aussagefähigkeit für wenige Gebiete der Innenpolitik, etwa des Umweltschutzes, bewiesen haben. Gleichgültig ob man deren Aussagen auf diesem Gebiet für richtig hält - ich teile die meisten dieser Aussagen nicht -. meine ich, daß jeder Bürger sich ernsthaft fragen sollte, ob er die Entscheidung, wer in diesem Land die Regierung stellt, wie der nächste Bundeskanzler heißt, wie stabil die Mehrheitsverhältnisse für die nächste Regierung sein werden, von einer grünroten Mischung aus Baldur Springmann und Rudolf Bahro abhängig machen lassen will.
({10})
- Nein, ich wende mich an die Bürger, die Entscheidungen zu treffen haben. Das entspricht einem der Diskussionspunkte.
Drittens. Wir bitten die Bürger, zu überlegen, ob angesichts der beschriebenen Probleme, zu deren Lösung eine erfahrene Regierung Schmidt/Genscher ihren berechenbaren Beitrag leistet, ein Mann wie Franz Josef Strauß an die Spitze der Regierung gestellt werden soll, der bislang wenig für ein friedvolles innenpolitisches Klima getan und sich auch außenpolitisch nicht gerade durch Mäßigung und Berechenbarkeit ausgezeichnet hat,
({11}) der überdies - ({12})
- Seien Sie doch nicht so zimperlich! So wie Sie mit uns umgegangen sind, meine ich, sollten Sie mindestens sich sagen lassen, welche Negativseiten wir auch an Ihnen sehen.
({13})
- Herr Kollege Stücklen, ich nehme nicht an, daß es Ihre Aufgabe ist, mir mitzuteilen, wo ich meine Rede zu halten habe.
({14})
Herr Strauß steht überdies an der Spitze einer Parteienmischung, die gegen maßgebliche Entscheidungen - ich habe vorhin dargelegt: gegen nahezu alle maßgeblichen Entscheidungen - des westlichen Bündnisses in den letzten Jahren gestimmt hat und zu allen auch in den letzten Tagen hier diskutierten Fragen fortlaufend widersprüchliche Erklärungen, abenteuerliche Erklärungen abgegeben hat.
({15})
Schließlich: Da hier von angeblicher „NebenAußenpolitik" die Rede war, wäre es ganz interessant, zu wissen, ob die von einem großen deutschen Nachrichtenmagazin am Montag dieser Woche ausführlich beschriebenen außenpolitischen Aktivitäten des Dr. Strauß dort zutreffend dargestellt worden sind.
({16})
- Ich weiß es nicht, ich frage ja nur. - Dies würde uns hier und den Bürgern ihre weitere Meinungsbildung sicher sehr erleichtern.
({17})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Oppositionsreden von heute vormittag erfordern in einigen Punkten doch noch eine Anmerkung.
Zunächst zu Herrn Abgeordneten Kohl. Sie haben von dem Nichtzustandekommen einer beabsichtigt gewesenen Zusammenkunft von vier Außenministern gesprochen und haben die erstaunliche Bemerkung gemacht, das sei wohl in Paris nicht ordentlich besprochen worden. Ich möchte nicht irgend jemanden - weder in der einen noch in der anderen Hauptstadt - in diese Sache hineinziehen, Herr Abgeordneter Kohl. Ich möchte Ihnen aber versichern, daß das sehr wohl und sehr sorgfältig besprochen worden ist, mit mehreren Hauptstädten, und daß das schließliche Nichtzustandekommen jedenfalls in keiner Weise mit irgendeiner Person der deutschen Bundesregierung zu tun hat.
Sie haben dann etwas gesagt, was meiner Meinung nach eine sehr deutliche Zurückweisung verdient. Sie haben zum wiederholten Male einen tumben deutschen Antiamerikanismus suggeriert oder souffliert, den Sie meiner Partei unterstellen.
({0})
- Gut, von „Teilen". Ich habe gemerkt, daß Sie mich nicht eingeschlossen haben. Aber wenn Sie andere einschließen, wird die Zitierweise deswegen nicht anständiger, Herr Kohl.
({1})
Denn es gibt zwei mögliche Nutznießer solcher Bemerkungen. Sie machen sie ja nicht zum erstenmal. Mit dem ersten Nutznießer möchten Sie sicherlich nicht identifiziert werden. Das ist die Sowjetunion, soweit ihre propagandistische Politik sich bemüht, zwischen die Partner des atlantischen Bündnisses auf dieser Seite des Atlantiks und auf der anderen Seite des Atlantiks Keile zu treiben. Damit wollen Sie sicher nicht identifiziert werden. Zum anderen aber gibt es sicherlich auch im Westen Menschen, denen daran liegt, unsere - ich wiederhole mich - auf Geschichte, auf gleichen Grundwerten, auf gleichen Interessen, insbesondere Sicherheitsinteressen, beruhende enge Verbindung zu den Vereinigten Staaten von Amerika zu untergraben. Die deutschen Sozialdemokraten dafür zu benutzen, kann
nach meiner Meinung nur das Motiv haben, daß Sie wünschen, daß solche Änderungen in der amerikanischen Presse abgedruckt und von dort aus dann in der deutschen reaktionären Presse wiederum zitiert werden, damit Sie Munition haben.
({2})
Sie gehen dabei unsauber vor. Wenn Sie z. B. - ich habe Ihr Manuskript vor mit liegen - heute früh gesagt haben, was die Solidarität mit den USA betreffe, so sei es schon auffällig - „und es ist doch auch Ihnen aufgefallen", fügen Sie hinzu -, daß der deutsch-französische Text den Begriff „Solidarität zu den Vereinigten Staaten" nicht enthalte. Herr Abgeordneter Kohl, ich darf Ihnen den Text der deutschfranzösischen Erklärung vorlesen, der Ihnen auch amtlich zur Verfügung steht. Da heißt es:
Es ist den beiden Staaten ein Anliegen, unter diesen Umständen
- diese Umstände sind vorher geschildert: Afghanistan usw. die Treue ihrer beiden Länder zum Atlantischen Bündnis und ihre Entschlossenheit, dessen Verpflichtungen einzuhalten, zu bekräftigen.
Daraus zu machen, hier sei von Solidarität gegenüber Amerika nicht die Rede, ist eine provinzielle Verfälschung.
({3})
Sie haben dann weiter gesagt, Deutschland und Frankreich hätten in wenigen Wochen den europäischen Consensus durcheinandergebracht. Sie haben von der Gefahr eines Direktorats gesprochen. Ich unterstelle Ihnen nicht irgendeine antifranzösische Haltung. Ich bitte Sie aber, sich zu überlegen, ob nicht vielleicht Ihr Kollege Strauß recht haben könnte, der ein bißchen länger im politischen Geschäft ist und der Anfang Februar erklärt hat, er sei der festen Überzeugung, daß Frankreich und Deutschland den festen Kristallationspunkt bilden müssen, durch den und aus dem heraus wieder eine gemeinsame Politik globaler Verantwortung in Gang gesetzt werden kann.
Ich will Sie nicht unbedingt dazu auffordern, sich mit Herrn Strauß auseinanderzusetzen, ich möchte Sie nur bitten, sich zu prüfen, ob nicht etwas Wahres an dem sein könnte, was Herr Strauß sagt, und an dem, was Herr Brandt gesagt hat, der erklärte: Welch eine große Errungenschaft, daß all unsere zunehmende Verbindung z. B. zwischen den beiden deutschen Teilen im Laufe der letzten zehn Jahre ermöglicht werden konnte, ohne daß die Franzosen, ohne daß die Polen deswegen nervös geworden wären und immer nur an eine einzige Sache gedacht hätten, ohne sie vielleicht zu sagen.
({4})
Etwas später in derselben Rede greifen Sie dann nicht nur Bonn und Paris an, sondern außerdem auch noch Rom und London und Luxemburg und Den Haag und Brüssel und Dublin und Kopenhagen und beklagen die gemeinsame Unfähigkeit, zu gemeinsamen außenpolitischen Formulierungen zu kommen. Es ist manchmal schwierig, bei neun Staaten zu gemeinsamen Entschlüssen zu kommen, und es ist manchmal sogar noch schwieriger, sie dann gemeinsam zu formulieren. Das sei freimütig eingeräumt. Falls Sie jemals einer Bundesregierung angehören werden, werden Sie auch noch merken, daß beides schwierig ist. Aber so, wie Sie mit diesen nächsten Nachbarn und Verbündeten umgehen, Herr Kohl, bringen Sie mich immer noch nicht auf die Idee, daß ausgerechnet aus Mainz die Klarheit und die Fähigkeit kommen sollte.
({5})
Im übrigen hat der Außenminister, Kollege Genscher, zu dieser Passage das in der Sache Notwendige schon gesagt.
Sie haben am Schluß Ihrer Rede von der Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen gesprochen. Sie haben dem Bundeskanzler gewünscht, er möge in Washington dazu beitragen. Ich bedanke mich dafür. Ich hätte in dem Zusammenhang auch meinerseits eine Bitte an Sie. Sie können auch ein bißchen dazu beitragen - die Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika sind ja gut, aber nichts ist so gut, sagt mein Freund Brandt immer, daß es nicht noch ein bißchen besser werden könnte -, daß es noch ein bißchen besser wird, wenn Sie auf die dauernde Wiederholung dieses Antiamerikanismus-Vorwurfs verzichten könnten.
Der bayerische Ministerpräsident hat recht, wenn er auf den tiefgreifenden Stimmungsumschwung in der amerikanischen Nation hingewiesen hat. Es ist sicherlich noch ein wenig zu früh, beurteilen zu wollen, wie tief das greift, was es alles einbeziehen wird und ob es anhaltend sein wird.
({6})
Ausgelöst ist es zweifellos durch das Erlebnis der Geiselnahme in Teheran, ausgelöst ist es durch Afghanistan, und ausgelöst ist es durch die Einsicht in die
({7})
Begrenztheit der Macht der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber Ereignissen wie in Afghanistan und in Teheran.
Aber ich will Ihnen sagen: Ich begrüße - ich nehme an, mit Herrn Strauß - diesen Umschwung. Ich habe es für eine Gefahr gehalten, daß allzu lange ein zu großer Teil der amerikanischen Nation nach Watergate und nach Vietnam in Sack und Asche gegangen ist. Ich begrüße diese Revitalisierung.
({8})
- Lieber Kollege Stücklen, der Sie nicht im Hohen Stuhl sitzen, reizen Sie mich nicht zur Antipolemik. Übrigens sitzen Sie ja jetzt auf dem falschen Stuhl; Sie müßten auf einem anderen Stuhl sitzen, in dem anderen Haus, wo Herr Strauß im Augenblick den
Ehrenring des deutschen Handwerks bekommt. Da müßten Sie eigentlich sein.
({9})
Was diesen Umschwung angeht, den ich begrüße, so ist er allein natürlich noch keine Politik. Er ist eine Grundlage dafür, daß Amerika nun eine sich etwas anders akzentuierende Politik betreiben kann, als das etwa zur Zeit von Angola oder zur Zeit von Äthiopien und von anderen ausgreifenden Etablierungen kommunistischer oder sowjetischer Macht oder sowjetischen Einflusses der Fall gewesen ist.
Herr Kohl hat in diesem Zusammenhang gegen das Stichwort der Arbeitsteilung polemisiert. Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie es, Herr Kohl. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß dies nicht , nur eine Begriffshülse oder -hülle ist, wie Herr Strauß vorhin von einem anderen Wort gesagt hat, sondern daß der Begriff so gemeint ist, wie er klingt. Inhalt und Wort stimmen hier überein. „Arbeitsteilung innerhalb des Bündnisses" ist nicht nur ein deutscher Begriff. Sie werden ihn beim amerikanischen Präsidenten so wiederfinden - wir stimmen darin voll überein -, und sie finden in einem anderen Wort die gleiche inhaltliche Vorstellung auch beim französischen Präsidenten wieder.
Ich habe es sehr begrüßt, Herr Abgeordneter Kohl, daß Sie heute morgen, von meinem Kollegen Brandt angezapft, ein Zitat ausdrücklich bestätigt haben, das aus dem Jahre 1976 stammt. Ich habe das sehr begrüßt, ich halte es für ein richtiges Zitat. Ich habe auch Ihre heutige Bestätigung für richtig gehalten; das möchte ich unterstreichen und dies dadurch sozusagen festnageln. Sie waren zitiert worden und haben - auch für heute gültig - bestätigt, daß wir nicht den Willen haben dürfen, im europäischen Teil des Bündnisses ein Primus inter pares zu werden. Ich nehme an, Sie haben das auch militärisch gemeint. Ich halte das - für damals wie für heute - für richtig. Wir dürfen nicht größer werden wollen als unsere europäischen Verbündeten; das gilt auch militärisch. Das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des - wenn ich es einmal so abwandeln darf - psychologischen Gleichgewichts in Europa. Ich stimme dem also ausdrücklich zu.
Nur wäre ich dankbar, wenn in Ihrer eigenen Fraktion dieser Teil einer notwendigen Philosophie der deutschen Rolle in Europa auch konsequent hin- und hergewendet und in die Tiefe gedacht würde. Es hat aber z. B. vor einem guten Jahr einer Ihrer Kollegen in einem Vortrag in Kalifornien öffentlich ausgeführt, notfalls würden wir Deutschen auch allein weitreichende taktische Nuklearwaffen auf unserem Boden installieren wollen.
({10})
Zu einem anderen Zeitpunkt hat derselbe Kollege von der Entsendung deutscher Streitkräfte in den Mittleren Osten gesprochen, und ein anderer Ihrer Kollegen hat sich auf den Persischen Golf bezogen. Ich weiß, das alles ist inzwischen zurückgenommen worden; ich hoffe, unter Ihrem Einfluß, ich vermute,
unter dem Einfluß einer Reihe von klügeren Kollegen der eigenen Fraktion. Ich weiß das. Aber ich bin der Meinung, alle solche Äußerungen sollten in Zukunft gar nicht erst gemacht werden. Wenn sie nicht erst gemacht - und anschließend dementiert - werden, entsteht ein geringerer Schaden für die Stellung Deutschlands im psychologischen Gleichgewicht Europas.
({11})
Ich benutze dies zu einer Fußnote, die nicht zur Sache und nicht zur heutigen Debatte gehört, die aber in den letzten Wochen in den Zeitungen eine Rolle gespielt hat.
Es ist die Übung der Bundesmarine, jedes Jahr einige Schiffe, nicht nur die „Gorch Fock", zu Ausbildungszwecken auf Auslandsreisen zu schicken. So ist seit langer Zeit geplant, daß zwei Zerstörer und zwei Versorgungsschiffe in den Indischen Ozean und noch weiter fahren. Es stand in den Zeitungen, wir erwögen, das rückgängig zu machen. Dies war eine Falschmeldung. Wir erwägen das nicht. Wir nehmen in Kauf, daß es zu diesen Plänen gehört, daß sie auch in die Arabische See gehen. Da werden sie sich aber nicht ewig aufhalten. Sie werden dann weiterfahren.
Genauso war es ein Irrtum, wenn in einigen Zeitungen verbreitet wurde, eine bestimmte Stabsübung der NATO sei auf deutschen Antrag hin verschoben oder aufgehoben worden. Das war ein Vorschlag anderer; wir haben uns ihm aber nicht widersetzt.
Herr Strauß hat im Laufe seiner Rede davon gesprochen, man habe für die Entspannungspolitik nichts bekommen. Das ist ja nun wirklich nicht wahr. Wenn ich allein einmal das Stichwort „Human Rights" aufnehmen und von den Hunderttausenden von Menschen reden darf, denen wir auf Grund dieser Politik die Möglichkeit verschafft haben, in ein demokratisch geordnetes Land zu kommen, wo jeder Mensch seine Grundfreiheiten und seine Grundrechte besitzt, und denen wir damit volle, hundertprozentige „Human Rights" verschafft haben, dann kann man nicht gut sagen, wir hätten nichts bekommen.
({12})
Wenn ich auf die Sicherung Berlins hinweisen darf, kann man wohl auch da nicht gut sagen, wir hätten nichts bekommen. Wenn ich auf die millionenfachen Reisemöglichkeiten hinüber und herüber verweisen darf, kann man wohl nicht gut sagen, wir hätten nichts bekommen.
Herr Strauß ist im übrigen trotz seiner sorgfältig auseinandergelegten Unterscheidung zwischen Worthülle und Begriffsinhalt mit dem Begriff der Entspannung in seiner Rede heute behutsam umgegangen. Ich begrüße das ausdrücklich. Er hat gesagt, sie bringe Vorteile, sie bringe aber auch Risiken. Dann hat er gesagt, das gelte übrigens auch für die östliche Seite. Auch für die bringe es teils Vorteile, teils bringe es Risiken. Er ist behutsam und ausgewogen mit der Sache umgegangen. Ich würde ihn bitten, wenn er ausgewogen erscheinen will, dann
solche Sätze in sich zu unterdrücken wie den, wir hätten dafür nichts bekommen.
({13})
Verzeihen Sie, Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Bundeskanzler, haben Sie nicht bemerkt, daß der Kollege Strauß das Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung bei den Ostverträgen angesprochen hat und daß er darauf hingewiesen hat, daß die Gegenleistungen der anderen Seite
({0})
widerruflicher Natur seien, daß er also nicht gesagt hat, wir hätten gar nichts bekommen?
({1})
Herr Mertes, ich habe ihn gewiß korrekt zitiert, aber ich bleibe bei meiner Antwort: Auch wenn es sich nicht um mehrere hunderttausend Menschen, wenn es sich nur um wenige Menschen gehandelt hätte, denen wir volle Menschenrechte verschafft haben, kann man nicht sagen, es sei eine zu geringe Gegenleistung gewesen. Dies ist nicht vertretbar.
({0})
Es waren aber nicht wenige Menschen, es waren Hunderttausende von Menschen. Dies kann man nicht in Geld gegenrechnen.
({1})
Da zitiere ich einen der großen Männer Ihrer Partei, der vorhin von Herrn Kohl zitiert worden ist. Dr. Adenauer hat hier im Bundestag schon einmal ausgeführt, in solchen Fragen könne Geld keine Rolle spielen.
({2})
Kollege Strauß hat sodann zur strategischen Debatte eine Bemerkung gemacht, die ebenfalls einen Kommentar herausfordert. Er hat die Bundesregierung ermahnt, sie solle doch der amerikanischen Regierung nicht den Ratschlag aufdrängen, SALT II zu ratifizieren. Ich habe aus dem letzten Herbst noch ähnliche Bemerkungen aus dem Munde anderer Oppositionsredner in Erinnerung. Man muß sich aber den Sachverhalt anschauen. Der Sachverhalt ist der, daß der amerikanische Präsident öffentlich in einer großen Rede dargelegt hat, daß er es nach wie vor als im Sicherheitsinteresse der Vereinigten Staaten von Amerika liegend und als im Sicherheitsinteresse der ganzen Welt liegend ansieht, wenn dieser Vertrag ratifiziert wird, und daß er ihn bis zur Ratifizierung so behandeln will, als sei er ratifiziert. Wir drängen also niemandem einen Rat auf, sondern wir unterstreichen die öffentlich erklärte Auffassung der Regierung der mit uns verbündeten Vereinigten Staaten. Wenn Sie von Solidarität reden - beinahe auf jeder Seite Ihres Manuskripts -, dann erbitte ich mir an dieser Stelle eine innere gedankliche Erinnerung an das, was auf all den übrigen Seiten Ihres Manuskripts steht.
({3})
Im übrigen unterstreichen wir diese Auffassung des amerikanischen Präsidenten nicht um der vielzitierten Solidarität willen, sondern weil es auch unser verdammtes Interesse ist, daß die strategische Rüstung auf gleicher Ebene eingefangen wird und nicht ein Wettlauf, der das Jahrhundert in Schutt und Asche führen könnte, ausbricht. Unser Interesse ist das,
({4})
übrigens auch das Interesse der Deutschen in der DDR und der Berliner, auch das Interesse der Polen, der Ungarn, der Franzosen, der Engländer, aller Menschen, die gefährdet wären durch die unkalkulierbaren Risiken eines ungebremsten Rüstungswettlaufs bei den nuklearstrategischen Waffen.
({5})
- Ich sage nicht, daß jemand dafür ist. Ich sage doch nur: Die deutsche Bundesregierung hat das Recht und nimmt sich das Recht, nein, sie hat die Pflicht, wenn dies unser gemeinsames Interesse ist, Herr Mertes, dies auch öffentlich hörbar so zu sagen. Das habe ich getan.
({6})
Herr Strauß hat eine Bemerkung an die Adresse meines Kollegen Matthöfer gemacht, er verniedliche den Anstieg der Ölpreise indem er sich auf das Recycling-Problem konzentriert habe. Recycling ist ein Fremdwort, das sich eingebürgert hat. Es geht in Wirklichkeit darum, die enormen Dollar-Überschüsse, die sich bei den Ölexportländern ansammeln, zurückfließen zu lassen in die amerikanische, französische, italienische und deutsche Wirtschaft, wo sie ursprünglich hergekommen sind. Dann hat Herr Strauß dargetan, was alles sonst noch für Probleme mit den „ Ölüberschüssen" verbunden sind. Da hat er völlig recht. Nur unrecht hat er, wenn er meint, daß Matthöfer die anderen Probleme nicht sehe.
Es gibt Probleme, was die Terms of Trade angeht, es gibt Probleme z. B. bei unserer deutschen Leistungsbilanz, es gibt Probleme der Energiepolitik, der Konsequenzen, die auf dem Felde der Energiepolitik gezogen werden müssen. Vor allen Dingen - und das sind die dicksten und drängendsten Probleme -: Es gibt Probleme für die Leistungsbilanzen der unterentwickelten Länder, für die die Energiepreissteigerungen, die Ölpreissteigerungen, das Doppelte dessen ausmachen, was sie pro Jahr an Entwicklungshilfe bekommen.
({7})
Die wenigsten haben das bisher verstanden. Das sind dicke Probleme. Ich will da nicht in die Tiefe steigen.
Was die energiepolitischen Konsequenzen angeht, die wir zu ziehen haben: Eine der Konsequenzen ist, daß die Herren Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler morgen neue Entsorgungsrichtlinien für eine der modernen Energietechniken zu beschließen haben werden. Da gibt es im Freistaat Bayern, was das Thema Zwischenlager angeht, noch einen Nachholbedarf, ähnlich wie in Baden-Württemberg.
({8})
Es kann doch nicht sein, daß sich diese süddeutschen Länder auf Herrn Karry und auf Herrn Börner und auf Herrn Rau und auf Frau Funcke verlassen - kann ja wohl nicht sein.
({9})
Herr Strauß hat in dem Zusammenhang dann die Frage nach einer Strategie für den Persischen Golf aufgeworfen. Dies ist eine der wirklich wichtigen Fragen. Er hat sie selbst nicht beantwortet. Ich kann hier in öffentlicher Sitzung des Parlaments im Augenblick nur sagen, daß es sich bei den Antworten auf diese Frage um ein wichtiges Teilpaket des Gesamtpakets handelt, das wir genannt haben: Gesamtkonzept der westlichen Antwort. Natürlich ist der Golf im Blick.
Ich habe nichts dagegen, daß sich Herr Strauß nicht in der Lage sieht, dazu Vorschläge zu machen. Ich kreide ihm das nicht an. Er hat aber auch ansonsten auf fast keinem einzigen Felde einen eigenen Vorschlag gemacht. Ich hatte das Gefühl, daß sich die Rede, was die Substanz angeht, sehr weitgehend an die Positionen der Bundesregierung anlehnte. Dies war an den Punkten zu erkennen, an denen er Kritik geübt hat. So viele waren das nicht. Es war an der Tatsache zu erkennen, daß eigene Vorschläge nicht gemacht wurden. Er ist in Interviews und öffentlichen Reden etwas freigebiger.
Ich habe ein Interview vor mir liegen, das Herr Strauß am 20. Februar - das ist acht Tage her - in der Sendereihe „Bilanz" im Zweiten Deutschen Fernsehen gegeben hat. Es werden ihm eine Reihe von Fragen gestellt. Die Antworten sind für die Damen und Herren der Opposition wirklich interessant und nachdenkenswert. Ich habe ebenfalls darüber nachgedacht. Er wird gefragt, an welche wirtschaftlichen und welche finanziellen Beiträge er denn angesichts der Afghanistan-Krise, angesichts der Notwendigkeit einer Antwort, denkt. Er sagt: Es handelt sich um ein Bündel von Maßnahmen. Erstens brauchen wir eine sinnvolle Arbeitsteilung in der militärischen Verteidigung. - Herr Kohl, hören Sie gut zu: sinnvolle Arbeitsteilung. Ich kann das nur richtig finden, was Herr Strauß hier sagt. Er weiß übrigens, daß er das nicht erfunden hat. Er lehnt sich an das an, was die Regierung sagt.
Zweitens sagt er: Es geht dabei nicht ohne verstärkte Anstrengungen auf allen Seiten. Auch das ist richtig. Das haben wir gemeinsam im NATO-Rat im Mai 1978 beschlossen. Er lehnt sich an das an, was die Regierung sagt.
Drittens sagt er, er sei nicht der Meinung, daß etwa der Osthandel beendet werden sollte. - Das
ist wahr. Das sagt die Regierung seit eh und je. Ich finde auch dies zutreffend.
Er fährt dann fort, er sei allerdings der Meinung, daß Geben und Nehmen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollten. - Das ist zutreffend. Das ist übrigens bei der deutsch-sowjetischen Handelsbilanz auch tatsächlich der Fall. Er lehnt sich also wiederum an. Ich habe nichts gegen solche Anlehnungen einzuwenden.
In einem weiteren Punkt sagt er: Man muß aber auch wirtschaftlich und militärisch die Türkei wieder instandsetzen. - Das ist wahr. Wir sind seit langer Zeit dabei. Ich freue mich über die Zustimmung des bayerischen Ministerpräsidenten.
Er sagt ferner: Wir müssen auch bereit sein, wirtschaftliche Hilfe für Pakistan, wirtschaftliche Hilfe im weiteren Sinne des Wortes, zu leisten. - Dies ist zutreffend, wie Sie wissen. Wir haben es Ihnen heute noch einmal vorgetragen. Wir haben es Ihnen am 17. Januar schon vorgetragen. Wir sind dabei, dies zu tun. Wenn auch der bayerische Ministerpräsident - wenn auch mit leichter Verzögerung; dieses Interview ist vom 20. Februar - dem zustimmt, so ist dagegen wirklich nichts einzuwenden. Im Gegenteil, wir müssen das begrüßen. Es fällt mir auch gar nicht schwer, das zu begrüßen. Ich finde das alles sehr interessant.
Jetzt kann ich Ihnen noch drei, vier weitere Punkte aus diesem Interview vorlesen, in denen Herr Strauß Regierungspolitik vertritt. In einer seiner Antworten ist z. B. von der besonders engen Verflechtung der arabischen und der europäischen Interessen die Rede. Das ist Ihnen in Regierungserklärungen heute schon zum zweitenmal vorgetragen worden. In einer anderen Antwort von Herrn Strauß heißt es, daß wir nicht Vorturner in Europa sein sollten. Auch richtig.
Dann kommt allerdings eine Antwort, bei der ich mit meinem Indossament etwas zögere. Herr Strauß sagt: Die Amerikaner müssen uns die glaubhafte Garantie geben, daß sie nicht heute eine harte Politik verlangen und morgen vielleicht wieder eine weiche Politik ohne Abstimmung mit den Verbündeten einleiten. - Hier reserviere ich meine Meinung, Herr Strauß.
({10})
Insgesamt waren die analytischen Teile, die der bayerische Ministerpräsident heute morgen vorgetragen hat, wirklich interessant. Sehr weitgehend kann man dazu überhaupt nichts anderes sagen, als daß der Mann recht hat. Er sagt ja auch nichts anderes als das, was wir denken und was wir gesagt haben.
({11})
Dagegen ist nichts einzuwenden. Es besteht also eine weitreichende Übereinstimmung mit den Auf fassungen der Bundesregierung im analytischen Teil. Er hat ja vor vier Wochen beanstandet, daß die Bundesregierung keine Analyse vorgetragen hat.
Das ist aber doch nicht deren Aufgabe. Die Aufgabe der Bundesregierung ist es vielmehr, die Konsequenzen aus der Analyse, nämlich die Politik vorzutragen. Herr Strauß ist immer bei den Analysen, die sind soweit in Ordnung.
({12})
Beiläufig hat er Ihnen - ich nehme an, der Herr Oppositionsführer hat das registriert - „einen beigepult", was die „Solidaritätsorgie" angeht. Das hat Herr Genscher Ihnen ja auch schon vor Augen geführt.
Es gibt dann aber auch Punkte, in denen ich Herrn Strauß widersprechen muß. Es war die Rede davon, daß Entspannungspolitik nur auf der Basis von drei Parteien möglich ist. Eigentlich hätte er sagen müssen: vier Parteien, wenn er in Übereinstimmung mit Sonthofen hätte reden wollen. Aber Sonthofen soll ja heute nicht mehr gelten: Das möchte man ja vergessen machen. Drei Parteien hat er genannt. Große Weltpolitik nur mit drei Parteien? Da muß ich mich einmal stellvertretend ein bißchen an Richard Stücklen wenden, der hier im Plenum die CSU-Interessen hochhält.
({13})
- Die kommen ja auf den Hund. Strauß ist nicht da, Zimmermann ist nicht da, also muß Herr Stücklen herhalten.
({14})
Lieber Kollege Stücklen, große Weltpolitik mit drei Parteien? Ein bißchen billiger geht es ja wohl. Nehmen wir einmal den Fall, daß es in einem Bundesland eine Partei gibt, die die absolute Mehrheit hat. Wollt ihr eigentlich die Feiertagsregelung im Freistaat Bayern wirklich erst dann durchführen, wenn ihr drei Parteien in einer großen Koalition habt? Wäre es nicht vielleicht wünschenswert, daß der bayerische Ministerpräsident nicht ganz so viel im Ausland herumreiste, nicht ganz so viele Wahlkundgebungen außerhalb der Grenzen des Freistaats machte, damit er die Rolle, die er dort in der Feiertagsfrage heute spielt - nämlich so etwas wie ein Moderator zwischen der bayerischen Industrie, dem Handwerk und Mittelstand auf der einen und dem Kardinal und dem Landesbischof auf der anderen Seite zu sein -, durch eine Rolle der Entscheidung ersetzt? Das kann man von einem Ministerpräsidenten wohl verlangen.
({15})
Da soll er uns nicht erzählen, daß zwar einerseits Vorschläge nicht gemacht werden können - hinsichtlich der Analyse bestehe ja im Grunde Übereinstimmung -, aber andererseits eine gemeinsame Politik erst möglich sei, wenn alle drei Parteien die Entspannung gemeinsam trügen. Wir wären nie zur Politik von Gleichgewicht und Entspannung gekommen, wenn wir auf alle drei oder auf alle vier Parteien gewartet hätten.
({16})
Es gab einen wichtigen Punkt, der nicht zum erstenmal vorgebracht wurde. Er ist ein paarmal von Herrn Kohl vorgebracht worden, er ist auch schon zum zweitenmal von Herrn Strauß vorgebracht worden - in verantwortungsbewußter Weise -: Man wolle der Bundesregierung in finanzwirtschaftlichen Dingen doch nicht in den Rücken fallen, allerdings verdiene man für diese Haltung auch Anerkennung und Dank - das wurde ausdrücklich verlangt -; man wolle natürlich nicht derjenige sein, der die Opfer zumute, während der andere die Wahlgeschenke bringe; aber es müßten doch irgendwo Opfer gebracht werden.
Ich will zunächst einen Satz sagen. Es mag so stimmen, daß im Lauf des Jahres, das jetzt angefangen hat, und des nächsten, 1981, auch Opfer gebracht werden müssen. Nur, meine Damen und Herren, Opfer werden nicht um ihrer selbst willen gebracht. Hier findet kein Wettbewerb der Opferwilligen statt, sondern es werden Ziele gesetzt. Und wenn zu ihrer Erreichung Opfer notwendig sind, muß man sich zu ihnen durchringen.
({17})
Opferbereitschaft an sich und abstrakt? Sie haben bisher ja nichts anderes getan, als zu versuchen, die Lücke auszufüllen, die sich aus Ihrem jahrelangen Gerede über das Finanzchaos ergibt, das angeblich eintreten würde. Nun möchten Sie in Form einer gemeinsamen Streichungsaktion nachträglich wenigstens einen Schein von Legitimation für die alten Behauptungen erwerben. Das ist Ihr wirkliches Motiv.
({18})
Der CSU-Vorsitzende hat in einem gestern erschienenen Interview den Vorschlag gemacht, die Steuererleichterungen zu verschieben. Heute sind sie „Wahlgeschenke" genannt worden. Ich weiß nicht, was sonst mit dem Wort hätte bezeichnet werden sollen als die Vorlage für steuerliche und familienpolitische Erleichterungen. Wenn Sie das Wahlgeschenke nennen, sehe ich keinen Grund, keine Möglichkeit für Gemeinsamkeit. Wenn die Gemeinsamkeit ernstgemeint ist, muß man sich ihr auf andere Weise nähern als in solcher Mischung von biedermännischer Anbiederei und von polemischer Gemeinheit in ein und derselben Rede zugleich.
({19})
Es mag so sein, daß auf finanzwirtschaftlichem Gebiet Opfer gebracht werden müssen. Da gibt es sodann ein Feld, das in allererster Linie in Betracht kommt. Ich weise darauf hin, daß alle die zusätzlichen Belastungen, die sich aus der Weltlage ergeben - ob auf dem Felde der Verteidigung, ob auf dem Felde der Militärhilfe für Griechenland und die Türkei, ob auf dem Felde der Wirtschaftshilfe für die Türkei, ob auf dem Felde der Wirtschaftshilfe für Pakistan, ob im Rahmen der „long term defense-programs" des Nordatlantischen Bündnisses -, ausschließlich die Bundeskasse und den Bundeshaushalt treffen. Wenn jemand bereit ist, Opfer zu bringen, dann sind hierin allererster Linie die MinisterBundeskanzler Schmidt
präsidenten der elf Bundesländer bei der Steuerverhandlung über die Umsatzsteuer gefragt.
({20})
Wenn das gemeint sein sollte, nehme ich all meine Polemik sofort zurück und bedaure sie.
({21})
Nur glaube ich, daß Sie dann auch das Wort von den „Wahlgeschenken" mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknehmen müssen; denn eine bessere, der Struktur des Bundesstaates besser angemessene Verteilung der öffentlichen Finanzmasse wird ja selbst in Ihren Augen nicht als „Wahlgeschenk", sondern als eine verfassungspolitische Notwendigkeit aufgefaßt werden müssen.
({22})
Herr Strauß hat übrigens einen ungenannt bleibenden Gesprächspartner, wie er sagte: aus Amerika, zitiert, der mir unterstellt hätte, ich machte aus seinem ersten Mann eine „Karikatur". An dieser Stelle gab es bei der CDU/CSU den Zwischenruf „Hört! Hört!". Es kann natürlich niemand anders gewesen sein - Sie erraten es schon - als der Abgeordnete Jäger ({23}).
({24})
Dies veranlaßt mich, ein Interview zur Kenntnis zu bringen, das am 14. Februar der Ministerpräsident des Freistaats Bayern in dem CDU/CSU-Mitteilungsblatt „Bild"-Zeitung
({25})
zur öffentlichen Kenntnis gebracht hat. Unter der Überschrift „Carter hat manches falsch gemacht" lesen wir hier in der „Bild"-Zeitung vom Donnerstag, dem 14. Februar:
Ich stehe in voller Solidarität zu den USA. Dennoch darf man nicht übersehen: Carter hat häufig Entscheidungen nicht mit den Verbündeten abgesprochen. Das mußte zum Teil geradezu ermutigend für die Sowjetunion wirken. Ich meine die Absage der USA an das militärische Gemeinschaftsprojekt Kampfflugzeug, das Scheitern des gemeinsamen Panzers, das Nein zur Neutronenbombe, den Stopp der Waffenlieferungen an den NATO-Verbündeten Türkei und an Pakistan.
Es werden fünf oder sechs Punkte des Vorwurfs aufgezählt. Ich lese den Rest nicht vor. Man kann darüber debattieren, ob in allen diesen Bemerkungen ein Körnchen Wahrheit steckt.
({26})
- Diese Vergangenheit ist das Jahr 1979, und so lange ist das noch nicht her. Das Interview ist genau 14 Tage alt. Man kann an alledem etwas finden für die Debatte unter uns z. B. im Verteidigungsausschuß oder im Auswärtigen Ausschuß.
({27})
Nur: Ich möchte das Geheul über den angeblichen Antiamerikanismus auf unserer Seite hören, wenn einer von uns so etwas in der „Bild"-Zeitung gesagt hätte, die in einer Auflage von 4 Millionen in Deutschland verbreitet wird!
({28})
Es ist ein unglücklicher Zufall, daß am selben Tag in einem anderen Blatt, nämlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", ein langes Gespräch mit dem CDU-Vorsitzenden abgedruckt wurde. Das ist natürlich ein etwas vornehmeres Blatt; Herr Kohl, Sie haben da vielleicht einen etwas feineren Geschmack als der CSU-Vorsitzende. Die Überschrift lautet: „Kohl: Wir bieten den Amerikanern ein Bild des Jammers.' Wahrscheinlich hat er das Strauß-Interview noch nicht mitgemeint. Das war nämlich am selben Tag.
Darauf Strauß eine Woche später: „Als Regierungschef werde ich ein Verhältnis zu den USA schaffen, das nicht der Interpretation bedarf."
({29})
Das war im „Handelsblatt".
Dann die lange Geschichte mit den Besuchen im Ausland. Ich habe das ja gelesen, was Herr Strauß zu der deutschfranzösischen Erklärung gesagt hat. Da hat er gesagt, sie sei an der Grenze des Törichten.
({30})
Dann war er in Paris und sagte nach dem Gespräch mit Raymond Barre noch in Paris, er und Barre seien in der Beurteilung der interationalen Probleme einer Meinung. Dann sagt er noch in Paris in einem Interview mit der „Rheinischen Post", die französische Haltung sei klar und konsequent;
({31})
weniger klar und konsequent sei die Haltung der Bundesregierung, die dieselbe gemeinsame Erklärung unterschrieben hat.
({32})
Dann kommt er nach Deutschland zurück und sagt einen Tag später in München - er sagt es nicht selbst, sondern er läßt es durch die Bayerische Staatskanzlei sagen -, „der bayerische Ministerpräsident Strauß habe seine in Paris geäußerte Kritik an der gemeinsamen Erklärung nach dem deutschfranzösischen Gipfeltreffen weder abgeschwächt noch zurückgenommen". Dies erklärte die Bayerische Staatskanzlei in München. Es wird also immer berücksichtigt, vor welchem Publikum man gerade spricht. In Bayern ist dann schließlich sogar von „Eitelkeiten im Elysee" die Rede. So kann man wirklich weder mit dem französischen noch mit dem amerikanischen noch mit dem luxemburgischen, so kann man mit keinem Verbündeten, so kann man
auch mit Gegnern nicht umgehen, wenn man selbst für stetig und verläßlich gehalten werden will.
({33})
Nur weil mir der geschätzte Kollege Mertes gegenübersitzt, will ich das noch ein wenig abrunden. Er hat wieder eine Woche später - ich glaube, er kam aus Amerika zurück - etwas gesagt, was ich nicht kritisiere. Ich schicke das vorweg, Herr Mertes; Sie brauchen nicht in Abwehrstellung zu gehen.
({34})
Sie sagten, es sei nun notwendig, die verschiedenen Einzelmaßnahmen der amerikanischen Reaktion auf die durch Afghanistan entstandene Lage, vom Olympiaboykott bis zum Verbot des Technologietransfers, in ein in sich schlüssiges Gesamtkonzept einzuordnen, bei dem die Mittel so gewählt seien, daß sie die damit beabsichtigten Wirkungen auch erreichten. Das ist gut. All die vielen Strauß-Zitate wären überflüssig, wenn es nur das Mertes-Zitat gäbe. Dann wären wir sehr eng beieinander.
({35})
- Ihnen gegenüber ist es ganz fair. Vielleicht ist es gegenüber dem anderen Herrn nicht ganz so fair, der heute morgen saftig genug polemisiert hat. Er muß auch die Antipolemik aushalten.
({36})
- Er hat überhaupt nicht polemisiert? Dann werde ich Ihnen noch einmal vorlesen, was er sagte.
({37})
- Ihr seid ja nervöse Hühner.
({38})
Ihr freut euch den ganzen Morgen, wenn eure Matadore pampig werden, und dann könnt ihr die Antwort nicht aushalten.
({39})
Als der bayerische Ministerpräsident gemeinsam mit Herrn Ceausescu in Bukarest auf Saujagd gewesen ist und dabei auch politische Gespräche geführt hat - das geht bei der Jagd ja besonders gut -, da hat er gesagt: Man darf bei dieser internationalen Lage nicht noch ins Feuer blasen. Ich habe gedacht: Donnerwetter, da spricht ein neuer Strauß. Dann kam er zurück und hat gesagt: Die Entspannungspolitik der Bundesrepublik ist natürlich völlig unrealistisch. Von da ist er nach Passau gegangen, wo es noch ein bißchen härter wurde. Mir liegt heute nachmittag am Herzen, dieses dauernde Hin und Her, je nach Publikum, durchsichtig zu machen.
Ich habe ein bißchen in den Archiven nachgeguckt, wie das bei der. letzten großen internationalen Krise war. Das war diese kritische Zeit, die mit dem Chruschtschow-Ultimatum anfing, einen ersten
Höhepunkt in dem' Mauerbau im August 1961 in Berlin und ihren zweiten und abschließenden Höhepunkt in der Raketenkrise auf Kuba fand. Aus der Zeit unmittelbar nach dem Mauerbau gibt es lange Berichte über eine öffentliche Diskussion, an der Herr Strauß beteiligt war. An einer Stelle, wo über die damalige Krise geredet wurde, sagte er ganz treuherzig er war damals Verteidigungsminister -: Meinen Sie denn, mir macht es etwa Spaß? Ich möchte mit meinen Buben viel lieber in der Schweiz als in Deutschland im Jahr 1961 leben. Das ist nicht zu kritisieren; es spricht ein Mensch, ein Vater, so, wie es ihm ums Herz war.
In derselben Diskussion sagt er dann etwas später:
Berlin muß in erster Linie politisch verteidigt werden. Dazu gehört, daß man in den nächsten Monaten an den Verhandlungstisch geht.
Das war in der damaligen großen Weltkrise, wo er also sagte: Politisch verteidigen, nicht mit militärischen Waffen; man muß an den Verhandlungstisch gehen.
({40})
- Ja, wir haben Afghanistan auch nicht aufgegeben, verehrter Herr Zwischenrufer, wir auch nicht.
({41})
Genausowenig wie Sie damals beim Mauerbau OstBerlin aufgegeben haben. Da waren andere, stärkere Kräfte als Sie und wir.
({42})
Er stand damals in der Verantwortung eines staatlichen Amtes.
Aus diesen damaligen Äußerungen - der Mann war doch damals schon erwachsen, und er ist heute erwachsen; ich glaube nicht, daß er sich wesentlich geändert hat - erkenne ich im Zusammenhang mit der Rede von heute morgen, die ja nahtlos zu diesen alten Zitaten paßt, daß er vor einem Problem steht: Einerseits steht er vor der Notwendigkeit, die alte traditionelle Anhängerschaft, die ihm anhängt, zu befriedigen - dazu gehören nun einmal eine sehr robuste Polemik, Brimborium, bayerischer Defiliermarsch, Beschimpfung des Gegners und alles das -, andererseits steht er offenbar vor der Notwendigkeit oder hat er den Vorsatz gefaßt, in dieser Weltkrise als ein abwägender Staatsmann zu erscheinen.
Es ist nicht leicht, beides gleichzeitig zu erfüllen. Für die erste Aufgabe, für das Thema eins, hat er vielleicht von Fall zu Fall Ihre Unterstützung, Herr Kohl, von Fall zu Fall die Unterstützung von Herrn Dregger, immer die Unterstützung von Herrn Stoiber. Er selber macht's dann eigentlich nur noch aus Versehen oder aber beschränkt auf den „Bayernkurier", weil er hofft, der werde von den „Nordlichtern" nicht gelesen. Für das zweite Thema, nämlich der staatsmännischen Anpassung an das, was diese Regierung tatsächlich tut, hält er solche Reden wie die
von heute morgen, die ich nicht beanstande, wenngleich sie sachlichen Vorschlägen ausgewichen ist.
Sachliche Vorschläge, substantielle Vorschläge hat er nicht gemacht. Wir haben für das Reisegepäck nach Washington nichts mitbekommen.
({43})
- Daß das, was ich sage, Frau Kollegin, etwas reizt, verstehe ich.
({44})
- Ein Bundeskanzler darf durchaus so sprechen. Er hat sich heute morgen eine sehr sachliche Regierungserklärung abgerungen, worauf ihm mit Polemik geantwortet worden ist. Und er darf auch seine persönliche Meinung sagen. Das tut er auch, das wird er sich nicht verbieten lassen, das wird er sich nicht nehmen lassen.
({45})
Ich möchte mich bei dem Kollegen Willy Brandt bedanken, ich möchte mich bei dem Kollegen Möllemann bedanken.
({46})
Das waren die beiden Redner für die beiden Fraktionen der sozial-liberalen Koalition. Sie haben beide
- von der Sache her und auch als Kollegen - unseren Dank verdient. Wenn Sie sich nicht beteiligen wollen, so werden die beiden Kollegen dies leicht verschmerzen.
({47})
Willy Brandt hat leise Zweifel geäußert, ob die Absicht der Durchführung der Madrider Konferenz -- trotz des Willens der beiden Großmächte und aller Beteiligten, trotz des Willens des spanischen Gastgebers, trotz unseres und vieler anderer Staaten Willens - durchzuhalten sei. Ich hoffe, es ist durchzuhalten.
Wenn ich mich hier bei zwei Kollegen aus dem Parlament bedankte, so will ich mich bei meinen eigenen Kollegen aus der Regierung zwar nicht ausdrücklich bedanken. Aber ich denke doch, daß Sie, meine Damen und Herren, gespürt haben, aus welch identischem Verständnis unserer Lage, aus welch identischem Konzept zur Vertretung unserer deutschen Interessen der Außenminister und der Bundeskanzler heute morgen gesprochen haben.
({48})
Es fiel im Laufe der Debatte eine Bemerkung des bayerischen Ministerpräsidenten; sie war durchaus nicht kritisch gemeint, sondern sie war recht gemeint. Er sagte: Die Demokraten sind nicht so schwach, wie man glaubt. Damit hat er bestimmte Leute anreden wollen, die es vielleicht auch in unserem Land gibt, die meinen, die Diktaturen seien stärker.
Ich gebe Herrn Strauß recht. Die Demokratien sind gar nicht schwach. Unsere Demokratie ist sogar sehr stark. Unsere Demokratie stützt sich auf die weit überwiegende Zustimmung von Jungen und Alten, von Rentnern und Arbeitnehmern und Selbständigen und Landwirten, von Managern in Industrie und Bankwelt und von Pfarrern und Rechtsanwälten und Freiberuflichen. Es ist eine sehr starke Demokratie. Die Stärke dieser Demokratie zeigt sich gerade in Zeiten, wo man insgeheim im Bewußtsein kritische Besorgnisse zu verarbeiten hat. Die Stärke unserer Demokratie hat sich für mich in beglückender Weise im Verlauf des Jahres 1977 gezeigt. Und wie ich den Eindruck habe - so kritisch ist es ja jetzt nicht wie zur Zeit der Entführung im Herbst 1977 -, zeigt sich die Stärke der deutschen Demokratie auch jetzt in der Gelassenheit, mit der die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes heute in dieser internationalen Schwierigkeit, in der die ganze Welt steckt, um sich schauen, und in der Gelassenheit, mit der sie darauf vertrauen, daß auch wir in Bonn gelassen und vernünftig bleiben. - Herzlichen Dank.
({49})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu dem komme, was eigentlich Gegenstand unserer heutigen Aussprache ist: zur Regierungspolitik in dieser kritischen Weltlage, will ich ein paar kurze Bemerkungen zu der Art und Weise machen, Herr Bundeskanzler, wie Sie heute mittag hier gesprochen haben.
Ich will nicht auf Ihre Versuche eingehen, mit ziemlich kläglichen Mitteln und vor allem mit rundum, nicht nur intellektuell, unredlichen Mitteln andere tiefenpsychologisch zu analysieren. Herr Bundeskanzler, wenn ich dies mit Ihnen tun wollte: Sie wären ein großartiges Objekt für einen solchen Versuch.
({0})
Aber fernab aller notwendigen parlamentarischen Auseinandersetzung
({1})
- ich glaube nicht, daß die Begriffe „fair" und „unfair" in diesem Zusammenhang überhaupt das richtige Vokabular sind -, ungeachtet, Herr Bundeskanzler, aller parteipolitisch notwendigen Auseinandersetzungen und Dissonanzen und ungeachtet dessen, was Sie glauben, was man im Wahlkampf jetzt sagen muß - da sind wir ja allesamt nicht zimperlich, und weil wir allesamt nicht zimperlich sind, müssen wir allesamt auch einstecken und ertragen können -, ungeachtet all dieser Voraussetzungen bitte ich Sie wirklich sehr herzlich - ich sage dies ganz ruhig -, das, was Sie heute hier so im Detail gesagt haben, noch einmal zu überdenken.
Sie sprachen auch soeben wieder vom Frieden, vom Frieden in der Welt. Aber man kann nicht als
Politiker und schon gar nicht als Politiker, der den verständlichen Wunsch hat, vom Politiker zum Staatsmann hinaufzuwachsen, glauben, daß man dem Frieden nach draußen dienen kann, wenn man den inneren Unfrieden so exemplarisch herbeiredet, wie Sie es tun.
({2})
Herr Bundeskanzler, Sie führen eine verräterische Sprache.
({3})
Ihre Sprache zeigt sich gerade bei jenem Versuch, andere, in diesem Fall heute mittag Franz Josef Strauß, in einer pseudopsychoanalytischen Weise anzugehen. Herr Bundeskanzler, ich kann dazu nur sagen: Die Bilder und die Männer sind doch austauschbar. Es liegt doch nicht an Franz Josef Strauß. Für Sie ist es allein schon unerträglich geworden, daß in einer Demokratie einer als Ihr Herausforderer auftritt. Sie sind doch gar nicht mehr in der Lage, das notwendige harte, aber faire Spiel der politischen Kräfte des Für und Wider zu begreifen. Das ist doch eines der Probleme, die wir mit Ihnen haben.
({4})
Die Laute aus den Kreisen Ihrer Fraktion, die Sie dabei unterstützen, zeigen nur, daß die deutsche Sozialdemokratie längst dabei ist, diesen Staat als ihren Privatbesitz zu betrachten.
Jetzt aber zu den Sachthemen. Herr Bundeskanzler, Sie haben mich - Ihr demonstratives Abwenden zeigt mir nur den tiefenpsychologischen Vorgang, der sich in Ihnen vollzieht - auf mein Zitat vom „tumben Antiamerikanismus' weiter Teile der deutschen Sozialdemokratie angesprochen. Ich habe an diesem Zitat nichts zu verändern oder zurückzunehmen. Ich denke nicht daran. Ich bin gerne bereit, Ihnen mit einer breiten Zitatensammlung von alledem aufzuwarten, was aus den Kreisen Ihrer Partei in den letzten zehn Jahren Ihrer Regierungszeit an Antiamerikanismus in unser Land gebracht wurde.
Herr Bundeskanzler, ich erinnere mich an gemeinsame Begegnungen. Damals waren Sie Bundesverteidigungsminister. Ich war damals Ministerpräsident eines Bundeslandes mit den meisten amerikanischen Stationierungsstreitkräften.
({5})
- Wissen Sie, meine Damen und Herren, das waren gute Zeiten für die Menschen in Rheinland-Pfalz, wie sich bei den Wahlen dort immer deutlich gezeigt hat.
({6})
Damals waren es Sozialdemokraten - ich bringe jetzt Beispiele, die ich sehr persönlich erfahren habe -, waren es Mitglieder des Präsidiums der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die auf dem Höhepunkt des Vietnam-Konfliktes allen antiamerikanischen Unsinn mitgemacht haben, der
überhaupt denkbar ist. Es waren Ihre Repräsentanten, die sich beispielsweise geweigert haben, die Kontakte mit den amerikanischen Streitkräften, die zur Wahrung unserer Freiheit hier sind, fortzusetzen.
({7})
Deswegen, Herr Bundeskanzler, spreche ich nicht von einer theoretischen Betrachtung, ich spreche davon, daß Sie in Ihrer eigenen Partei damals weder den Mut noch die Kraft hatten, sich dieser Strömung entgegenzustellen. Und ich behaupte im Blick auf Ihre Fraktion auch heute, daß die Mitglieder der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages zu einem erheblichen Teil in ihrem Kern nicht anders denken, als sie damals demonstriert haben.
({8})
Nur, Herr Bundeskanzler, in wenigen Monaten ist Bundestagswahl, und es ist in Wahrheit aus Ihrer Sicht, Herr Ehmke, jetzt nicht opportun, zu sagen, was Sie wirklich denken.
({9})
Wer aber die Jahre miterlebt hat und die Formulierungen noch einmal genau nachliest, - ({10})
- Ach Gott, Herr Ehmke, mit Ihnen will ich darüber gar nicht reden; denn Ihre Position in diesen Fragen ist ja längst klar. Sie gehören ja zu jenem Bereich, von dem ich gesprochen habe. Deswegen haben unsere amerikanischen Partner Sie in Washington ja auch so aufgenommen, wie Sie es verdient haben, als Sie dort Ihren Besuch machten.
({11})
Herr Bundeskanzler, für uns in der CDU/CSU war die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten immer die selbstverständliche Grundlage einer Politik der Freiheit und der Sicherheit für die Bundesrepublik Deutschland. Sie war für uns immer die Voraussetzung der Freiheit dieser Bundesrepublik.
({12})
Sie haben mit Recht auf einen Ausspruch von mir aus dem Jahre 1976 hingewiesen, zu dem ich selbstverständlich stehe; das ist ein Kernstück unserer Politik. Wir sind Partner unter anderen und mit anderen in der Allianz. Wir haben niemals den Ehrgeiz gehabt, Primus zu werden.
Nur: gerade weil wir wissen, daß es bei der Last der Geschichte dieses Jahrhunderts den Deutschen nicht gut ansteht und nicht guttun wird, Primus sein zu wollen, wissen wir dennoch auch, daß unsere Partner und Freunde in Europa etwa in dieser kritischen Zeit, wenn es um Solidarität geht, auf uns schauen, daß sie hinschauen: was werden die Deutschen etwa in Sachen Olympiade tun, was werden die Deutschen etwa in Sachen Diskussion im NATO-Bereich, Neutronenwaffe, Nachrüstung tun? Es war doch Ihre Politik, die Politik Ihrer politischen Freunde, die dieses Mißtrauen, das vor der RegieDr. Kohl
rungszeit Brandt/Schmidt nie bestand, plötzlich hervorgerufen hat.
Das zweite mutet mich noch eigentümlicher an. Sie sprechen, Herr Bundeskanzler, die CDU/CSU sehr auf das deutsch-französische Verhältnis an. Meine Damen und Herren, wo waren Sie denn eigentlich, als die deutsch-französische Freundschaft nach dem Kriege begründet wurde?
({13})
- Aber, Herr Kollege Schäfer, wo war denn die sozialdemokratische Fraktion, als es um den Eintritt in den Europarat gegangen ist? Sie haben doch gegen alles gestimmt, was überhaupt auf diesem Wege war.
({14})
Sie schmücken sich heute mit fremden Federn, wenn Sie über die Begründung der deutsch-französischen Freundschaft nach dem Kriege sprechen. Die Namen, die hier stehen, sind Adenauer und Schumann, de Gaulle und Adenauer. Wenn der Herr Bundeskanzler zur Konsultation nach Paris fährt, dann ist es eine Konsultation im Rahmen eines Abkommensmechanismus, der im deutsch-französischen Freundschaftsvertrag begründet ist, den Adenauer und de Gaulle in Reims abgeschlossen haben.
({15})
Da haben Sie, Herr Bundeskanzler, einen weiten Weg machen müssen, bis Sie diese Erkenntnis in Paris erlangt haben.
Jetzt will ich gleich noch etwas hinzufügen. Mich stört es ja gar nicht, wenn ich Sie uns immer wieder auf die „Provinz" ansprechen höre. Denn ich habe den Eindruck, aus der Summe der deutschen Provinzen lebt diese Bundesrepublik Deutschland in einer besonderen Weise. Vielleicht würden Sie besser mehr von der Kulturlandschaft der deutschen Provinzen verstehen und dort behaust sein. Das wäre gut für Ihre Politik und vor allem für Ihre Sprache und für die Art und Weise des Miteinander-Umgehens.
({16})
Nur, Herr Bundeskanzler, in Sachen Frankreich bin ich ganz stolz, daß ich aus der Provinz Pfalz komme, dem Grenzland zu Frankreich. Wir haben in meiner Heimat keinen Nachholbedarf in deutschfranzösischer Freundschaft. Ich komme aus einer Region, die durch 300 Jahre Geschichte mehr als andere Landschaften Deutschlands in schrecklicher Weise die Heimsuchung des deutschfranzösischen Krieges, der deutsch-französischen Erbfeindschaft erlebt haben. Wir sind in dieser Frage ganz und gar immun. In einer Zeit, als Sie längst noch ein Suchender, ich will es freundlich sagen, vielleicht ein Tastender in Sachen deutsch-französischer Freundschaft waren, haben wir unser Herz schon längst über die Grenzbarriere geworfen gehabt.
({17}) Wir haben keinen Nachholbedarf.
Nur: warum weichen Sie eigentlich aus? Ich habe Sie darauf angesprochen, daß es eine möglicherweise für das deutsch-französische Verhältnis und für Europa schädliche Diskussion gebe, eine mögliche Diskussion, und zwar um den Verdacht eines deutsch-französischen Direktoriums.
Sie haben wieder viele Worte gemacht. Sie haben in der Debatte länger gesprochen als jeder andere. Aber zur Sache haben Sie nichts gesagt.
({18})
Es ist doch keine Erfindung der CDU/CSU in diesem Hause oder bösartiger journalistischer Weggenossen in Europa, wenn plötzlich eine Diskussion da ist: Gibt es eine Achse Bonn/Paris - schon allein ein schlechtes Wort -, gibt es ein Direktorium zwischen den beiden?
Nun sagen Sie - und das kann ich schon gar nicht mehr verstehen -, ich hätte unsere Nachbarn in diesem Zusammenhang dadurch beleidigt, daß ich sie aufgezählt habe. Sie waren doch bei unserem Freunde Martens. Sie werden doch sicherlich anläßlich der Vorbereitung Ihrer Reise nach Brüssel wenigstens gelesen haben, was die Belgier, Martens, sein Außenminister Simonet, mein Freund Leo Tindemans und andere, in der Frage des Direktoriums gesagt haben. Sie haben doch gelesen und gehört, was Dries van Agt, der holländische Ministerpräsident, in diesem Zusammenhang warnend erklärt hat. Sie haben doch hoffentlich zur Kenntnis genommen - hier kommt es nicht auf die Größe des Landes an -, was ein so kluger Mann wie der luxemburgische Premierminister Pierre Werner sehr nachdenkenswert an unsere Adresse gesagt hat. Sie wissen, was die Engländer gesagt haben. Wenn plötzlich im Gefolge Ihrer Politik in Europa der Verdacht aufkommt, Sie wollten gemeinsam mit einem anderen einen Sonderstatus begründen, dann ist doch nicht die Opposition schuld, sondern dann ist das eine miserable, eine unverständliche und schädliche Politik, die Sie in diesem Zusammenhang betrieben haben.
({19})
Das haben Sie doch auch in London erfahren. In London konnten Sie doch gerade in den schwierigen EG-Finanzierungsverhandlungen nichts anderes als das hören, was ich soeben in diesem Zusammenhang gesagt habe.
({20})
Herr Bundeskanzler, bleiben wir doch bitte bei diesem Thema, bei dem Grundsatz, um den es geht. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, können es uns nicht leisten, zwischen alle Stühle zu geraten. Es kann nicht heißen: entweder Paris oder Washington, sondern Ziel unserer Politik muß sein, mit den USA und in Freundschaft und Partnerschaft mit der Republik Frankreich. Aber es muß auch heißen - Herr Bundeskanzler, das darf man doch aussprechen -:
In den Fragen der Sicherheit ist für uns die entscheidende Instanz die Partnerschaft und Freundschaft mit den Vereinigten Staaten.
({21})
Nur noch ein Wort zu Ihrem innenpolitischen Exkurs. Ich kann nicht glauben, daß Sie selbst glauben, was Sie hier zum Thema Kernkraft und Entsorgung gesagt haben. Angesichts der Äußerung Ihres Genossen Eppler zur Kernkraft- und Entsorgungsfrage, Herr Bundeskanzler, müssen Sie doch eine Wallfahrt machen, damit Eppler nicht baden-württembergischer Ministerpräsident wird und Lothar Späth es bleibt.
({22})
Stellen Sie sich einmal vor, ein Mann wie Eppler wäre Ministerpräsident des wichtigen Bundeslandes Baden-Württemberg! Ja mit wem wollen Sie denn dann in der Ministerpräsidenten-Konferenz überhaupt über die Energieversorgung der Bundesrepublik reden? Ich fürchte höchstens, daß es Sie dann nicht mehr heimsuchen wird, weil Sie - manche Züge Ihrer Politik deuten in diese Richtung - eine Politik betreiben: nach mir die Sintflut; das muß mein Nachfolger dann möglicherweise bewältigen.
Noch eine zweite Bemerkung zu diesem innenpolitischen Exkurs. Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, wenn wir im Zusammenhang mit dem Angebot von Franz Josef Strauß und mir in dieser ganz konkreten Lage, in der Opfer auf uns zukommen werden - das werden Sie beim besten Willen doch nicht leugnen können; Sie werden es spätestens in Amerika hören -, zu Ihnen, zur Koalition von SPD und FDP, zur Bundesregierung sagen: Wir sind bereit, Staatsleistungen - dazu gehört eben auch die Diskussion um Steuersenkungen - mit auf den Prüfstand zu nehmen, weil die Generalüberschrift unserer Politik „Frieden in Freiheit und Sicherheit" heißen muß und wir ohne Opfer nicht davonkommen, dann antworten Sie, das sei eine - ich zitiere wörtlich - „biedermännische Anbiederei, eine polemische Gemeinheit". Herr Bundeskanzler, das ist die verräterische Sprache, von der ich soeben zu Beginn meiner kurzen Bemerkungen hier gesprochen habe.
({23})
Wer sich in der Auseinandersetzung, auch wenn er noch so parteipolitisch taktiert, nicht die Sensibilität dafür bewahrt hat, daß es Punkte gibt, wo das rein Parteipolitische ein Ende haben muß um des ganzen Landes willen, wer nicht mehr fähig ist, Herr Bundeskanzler, zu erkennen, daß es für die Union nach zehn Jahren Opposition nichts Leichtes ist, wenn die beiden Parteivorsitzenden von CDU und CSU angesichts ihres Anhangs, ihrer Klientel - nennen Sie es, wie Sie wollen - sich hier hinstellen und sagen: Um des Landes willens sind wir durchaus bereit, auch taktische Vorteile im Wahlkampf aufzugeben, weil wir nicht weitere Schulden machen können, sondern weil das, was jetzt geschehen muß, mit Sicherheit aus der Substanz, aus den Einnahmen, finanziert werden muß, wenn dies alles richtig ist, ist dann Ihre Antwort darauf wirklich „biedermännische Anbiederei und polemische Gemeinheit"?
({24})
In einer kritischen Stunde Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler, habe ich es mehr als jeder andere in diesem Hause auf mich genommen, Gemeinsamkeit zu leben, obwohl mir das aus persönlichen und aus anderen Gründen, die allgemein bekannt sind, schwer wurde. Meine Erfahrungen mit Ihnen lehren mich, daß Sie offensichtlich aus Ihrer Struktur heraus gar nicht fähig sind, zu begreifen,
({25})
daß es ungeachtet politischer Auseinandersetzung Punkte geben muß, an denen man sich ein Stück aufeinander zubewegt. Wir sind trotz Ihrer wirklich schlimmen Ausfälle vom heutigen Nachmittag um des Landes willen zu dieser Gemeinsamkeit bereit, aber, Herr Bundeskanzler, ich frage mich, ob Sie das überhaupt begreifen können, ob Sie willens sind, jetzt das Richtige zu tun. Mit diesem Gepäck, in das Sie uns hier heute mittag einen Einblick gaben, nach Washington zu gehen, hat Ihre Reise nicht erleichtert. Ich sage Ihnen dennoch um des Landes willen: viel Erfolg.
({26})
Ich erteile nun dem Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan tief bedauern. Dies ist ein weltweiter Rückschlag für die Friedenspolitik und insofern auch für unsere Politik. Ein weiteres Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung verloren, und was das bedeutet, wissen wir Deutschen sehr gut. Wir müssen uns mit allen Unterdrückten in der Welt solidarisch erklären.
Was aber kann nun getan werden? Der Außenminister stellte diese Frage heute morgen mit den Worten: was in der Sache tun, um nicht nur verbal den Rückzug zu fordern? Darüber haben wir heute vormittag vom Bundeskanzler in 60 Minuten leider nichts gehört, und offensichtlich wußte er auch nicht allzuviel zu sagen, sonst wäre seine zweite Rede heute nachmittag nicht weitgehend eine Presseschau gewesen.
({0})
Die Opposition muß als ihren Hauptredner neuerdings Herrn Strauß aus München einfliegen lassen. Ich schlage vor, daß man bei den Neubauplänen des Bundestages gleich einen Landeplatz mit vorsieht, damit er dann schneller an- und abreisen kann.
({1})
Warum hat nun die Sowjetunion Afghanistan besetzt? Wie viele Prognosen besagen, besitzt die Sowjetunion nur noch für 10 Jahre Erdölvorräte. Die Erschließung der sibirischen Vorkommen ist offensichtlich sehr teuer und wird langwierig sein. Die Sowjetunion will nun wohl ihre strategische Position verbessern, um dann vielleicht über die reichDr. Gruhl
sten Lagerstätten der Welt zumindest mitverfügen zu können. Der saudiarabische Erdölminister Yamani wertet als Hauptmotiv des sowjetischen Angriffs auf Afghanistan eine langfristige Energiestrategie der UdSSR und ihrer Verbündeten, da diese zur Einfuhr von 01 gezwungen sein könnten.
Aber nicht nur die Ereignisse im Vorderen Orient weisen darauf hin, daß der Kampf um die Ressourcen in dieser Welt begonnen hat. Damit stehen wir vor neuen Ursachen für Krisen und Auseinandersetzungen, die auch auf andere Länder und Regionen übergreifen werden, wenn die reichen und mächtigen Länder ihren bisherigen materiellen Verbrauch ständig weiter erhöhen wollen. In dieser Situation empfahl Herr Dregger bereits, an den Einsatz der Bundeswehr zu denken. Der Herr Bundeskanzler hat in mehreren Aussagen bereits angedeutet, daß es zu kriegerischen Verwicklungen z. Baum die Erdölquellen kommen kann.
({2})
Dasselbe wird natürlich auch für mineralische Rohstoffe gelten. Solche kriegerischen Ereignisse würden aber noch weitere Vorräte vernichten. Wie lange würde z. B. das Erdöl reichen, wenn man es sich mit Gewalt holte? Mit Sicherheit nicht länger.
Die Antwort auf diese weltweiten Probleme liegt daher nicht nur auf dem Gebiet der Außen- und der Wehrpolitik, sondern sie liegt auch auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik,
({3})
denn die sogenannte Theorie vom ständigen wirtschaftlichen Wachstum ist es, die uns bereits heute in Krisen und Kriege zu treiben droht. Hier muß eine andere Antwort gefunden werden als die unsinnige Theorie vom ständigen wirtschaftlichen Wachstum. Diese Theorie beherrscht aber noch alle Parteien und alle Regierungen. Darum sagen Sie, meine Damen und Herren, dem Volke leider nicht, wie das weiter funktionieren kann und daß dies vielmehr ein Weg in die Katastrophe ist.
Warum sagen Sie weiter nichts darüber, daß selbst bei Nichtwachstum ein großer Anteil des Bruttosozialprodukts wegen der Steigerung der Preise ins Ausland fließen wird, was man z. B. auch heute in der Zeitung lesen kann?
Auch ohne das wirtschaftliche Wachstum werden höhere Lasten für Frieden und Sicherheit auf uns zukommen, hatte Herr Kohl heute morgen gesagt. Er warf außerdem den jetzigen Koalitionsparteien vor, daß sie Wahlgeschenke verteilten.
({4})
Die CDU/CSU-Fraktion wollte aber doch ihre Steuergeschenke ein Jahr vorziehen, um sich damit bei der Wahl Stimmen zu kaufen.
Wir müssen also bei der Wirtschaftspolitik ansetzen, wenn wir unsere internationale Abhängigkeit vermindern wollen. Gerade hier aber hält die Bundesregierung an ihrem längst überholten Energieprogramm fest, wonach bis zum Jahre 2000 der jährliche Energieverbrauch doppelt so hoch sein soll
wie heute. Sogar der Erdölverbrauch wird in diesem Programm noch als leicht gesteigert veranschlagt, obwohl in der bisherigen Versorgung jederzeit ernste Schwierigkeiten eintreten können und ab 1984 auch aus politischen Gründen allgemein erwartet werden. Der Benzinpreis wird 1990 das Mehrfache vom heutigen betragen, sagen viele Fachleute. Auf der Basis Erdöl werden weitere Milliardenprogramme für Straßenneubauten gemacht. Auf der Basis Benzin wollen Automobilfirmen weitere Milliarden für den Ausbau investieren. Von seiten der Bundesregierung liegen weitere Programme für Strekkenstillegungen bei der Bundesbahn vor, obwohl das die Erdölabhängigkeit vergrößert, weil Omnibusse und Lastwagen mit Benzin betrieben werden müssen. Auch die Ölabhängigkeit der Landwirtschaft wird durch deren derzeitige Produktionsmethoden weiter erhöht.
Jetzt ein Beispiel für die Verschwendungen in der Weltwirtschaft: Von dem anfallenden Erdgas werden jährlich schätzungsweise 215 Milliarden Kubikmeter abgefackelt. Dies ist eine Menge, die 250 Millionen t Erdöl entspricht. Dies geschieht nicht nur im Orient, wo man vielleicht schwerlich Verwendung für das Gas hat - man müßte es woanders hintransportieren -, dies geschieht auch in der Nordsee. Dort werden über den Bohrtürmen täglich 20 Millionen Kubikmeter Erdgas sinnlos verbrannt, obwohl die Verbrauchsländer, Großbritannien, Niederlande, Bundesrepublik ganz in der Nähe liegen. Beide Male heißt es in bezug auf die Erdgasabfackelung, daß die Kosten der Nutzung des Erdgases zu hoch seien. Man könne es aus Kostengründen keiner Verwendung zuführen. Damit sind wir bei einem kritischen Problem der sogenannten Marktwirtschaft. Wenn die heutigen Marktpreise keine Verwendung dieses Gases gestatten, dann ist es dennoch ein ganz leichtfertiges, ja unverantwortliches Verhalten der heutigen Menschheit, diese Rohstoffvorräte einfach zu verbrennen, so daß sie künftige Generationen nicht mehr vorfinden werden.
In diesem Bereich sind die Wirtschaftsminister gefordert, also der Graf Lambsdorff, in dessen Ressort die Entscheidung über neue Maßnahmen fallen müßte. Aber von ihm hört man, daß er selbst diesbezügliche Vorschläge seiner Ministerkollegen ablehne, wie andere Regierungsmitglieder leider auch.
In einem polemischen Artikel im „Merkur" vom 14. Februar fragt dann der Graf Lambsdorff eine neue Partei, die Grünen, was sie denn vorschlagen würden. - Genau das, was er nicht tut, wird da vorgeschlagen: weitere Maßnahmen zur Einsparung von Energie, Förderung neuer Technologien für die Auswertung anderer Ressourcen.
In Baden-Württemberg sagt die jetzige Landesregierung, sie wolle nach der Wahl ihr Atomenergieprogramm weiter ausbauen. Insofern ist sie wenigstens ehrlich und schafft klare Verhältnisse. Aber sie meint auch, daß für Baden-Württemberg das wirtschaftliche Wachstum weitergehen müsse. Wenn diese Meinung in einem Bundesland vertreten wird - und andere Industrieländer der Welt vertreten die gleiche Haltung -, wird es zu keiner
Änderung in bezug auf die Weltpolitik, zu einer Friedenspolitik, kommen können.
Die SPD erlaubt sich dagegen, in Baden-Württemberg einen Wahlkampf in Sachen Atomenergie zu führen, den ein Mann der SPD mit den Worten zusammengefaßt hat: Mit Helmut Schmidt und Erhard Eppler für und gegen die Kernenergie. Die FDP hat bereits zur letzten Landtagswahl am Kaiserstuhl einen betonten Kernenergiegegner als Kandidaten aufgestellt. Da er viele Stimmen bekommen hatte, wurde er als ein Kernenergiegegner diesmal wieder aufgestellt. Daher kann man für die FDP auch nur sagen: Mit Graf Lambsdorff und Erich Schött für und gegen die Kernenergie.
({5})
Diese Politik hat eben dann die weltweiten Folgen, daß bei einer ständigen weiteren Steigerung des Wachstums, die nicht nur weitere Energie, sondern auch weitere Rohstoffzufuhren erfordert und die Abhängigkeit erhöht, auch die Gefahren für den Frieden in der Welt vergrößert werden.
Ich habe, meine Damen und Herren, in einer Redezeit von 15 Minuten leider nicht die Möglichkeit, hier noch viele Beispiele zum Beweis anzuführen. Ich habe auch nicht die Möglichkeit, in diesen fünfzehn Minuten eingehende Ausführungen darüber zu machen, was alles in der Wirtschaftspolitik, in der Technik, in der Finanzpolitik, in der Gesetzgebung geändert werden muß. Wir bleiben aber dabei, daß die jetzige Wirtschaftspolitik aller Industrieländer - im Osten wie im Westen - automatisch zu größeren Spannungen in der Welt führen muß. Wenn gerade die reichen Völker für sich einen immer noch steigenden materiellen Verbrauch fordern, während die Völker der Dritten Welt zum Teil dahinsiechen, kann es keinen Frieden in der Welt geben. Wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklungshilfe nicht einmal die 0,7 % des Bruttosozialprodukts ausgibt, zu denen sie sich bei den Vereinten Nationen verpflichtet hat, sondern nur die knappe Hälfte davon, rund 0,35 %, braucht man sich nicht zu wundern, wenn auch die Länder der Dritten Welt in Zukunft keine friedliche und freundschaftliche Politik treiben werden. Außerdem ist als Grund anzuführen, daß sie genötigt sein werden, ihre Bodenschätze künftig selber zu verarbeiten, gerade auch angesichts ihrer hohen Geburtenzahl.
Somit treibt die jetzige Politik der Industrieländer die weltweiten Schwierigkeiten ins Unermeßliche. Darum ist es nötig, daß sich neue politische Kräfte dieser veränderten Weltlage annehmen. Die Probleme sind unser aller Überlebensprobleme. Es geht hier um die Zukunftsfragen des deutschen Volkes und auch der anderen Völker. Bei Fortsetzung der bisherigen Politik gerade auch im Bereich der Wirtschaft steigt aber die Kriegsgefahr ständig. Es ist sicher falsch, wenn man heute vielfach hört, die Bevölkerung sehe jetzt andere Probleme, z. B. die Kriegsgefahr, und kümmere sich darum um Fragen des Umweltschutzes und der Sicherheit der Kernkraftwerke nicht.
Tatsache ist, daß mit der Kriegsgefahr auch die Gefährlichkeit der Atomkraftwerke in unserem Lande steigt. Dies hat sogar der nordrhein-westfälische Minister Farthmann bereits vor Jahren geäußert, als er Zweifel anmeldete, ob ein mit Atomkraftwerken bestücktes Land überhaupt verteidigungsfähig sei. Dennoch genehmigt er selbst weiterhin solche Werke. In einer gefährdeten Welt muß die Bevölkerung um so mehr gegen die Atomkraftwerke sein, als sich diese Werke auch in konventionellen Konflikten als Bomben ({6}) auswirken können und ganze Landstriche hier in unserem dichtbesiedelten Mitteleuropa menschenleer zu machen drohen bzw. die Evakuierung der Bevölkerung erzwingen. Darum ist es ein Irrtum, daß diese Probleme jetzt weniger Interesse finden. Sie werden im Gegenteil mehr Besorgnisse auslösen. Kernkraftwerke bedingen im übrigen auch eine zentralistische Versorgung der Bevölkerung; allein eine Unterbrechung der Überlandleitungen muß schon zu katastrophalen Ausfällen führen.
Die Probleme sind also global und alle miteinander verbunden. Wir sehen das auch. Niemand weiß das so genau wie die Bürger dieses Landes, die sich jetzt bei den sogenannten Grünen vereinen.
Die von Ihnen angegebene Redezeit ist zu Ende. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen.
Ich bin beim Schluß. Ich hatte nur noch folgende Worte zu sprechen, Herr Präsident: Dies sind die gleichen Bürger, die sich mit uns Sorgen um unser aller Zukunft machen. Für diese, Herr Präsident, meinte ich die fünfzehn Minuten Redezeit in Anspruch nehmen zu dürfen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zum Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über Mindestnormen auf Handelsschiffen
- Drucksache 8/3712 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schäfer ({1}).
Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe diesen Zusatzpunkt der Tagesordnung auf. Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das Wort hat Herr Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Ihnen vorliegenden Drucksache 8/3712 darf ich namens des Vermittlungsausschusses folgendes ausführen.
Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuß wegen Art. 2 des betreffenden Gesetzes angerufen. Der Vermittlungsausschuß hat sich am 23. Januar und
Dr. Schäfer ({0})
27. Februar mit dem Anrufungsbegehren befaßt. Er schlägt vor, in Art. 2 des vom Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurfes Nr. 2 ersatzlos zu streichen. Das sagt nun sehr wenig aus. Deshalb darf ich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was sich dahinter verbirgt.
Die vom Bundestag beschlossene Regelung sah vor, daß der Bundesminister für Verkehr im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern und dem Bundesminister der Finanzen durch Rechtsverordnung Aufgaben, die der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes im Bereich der seewärtigen Begrenzung des Küstenmeeres obliegen, zur Ausübung auf den Bundesgrenzschutz und die Zollverwaltung übertragen kann. Der Bundesrat hat beantragt, dieser Regelung einen Satz anzufügen, wonach der Bundesgrenzschutz und die Zollverwaltung schiffahrtspolizeiliche Vollzugsaufgaben nur sollen wahrnehmen können, soweit Polizeikräfte des Landes nicht erreichbar sind und das Einschreiten zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der Sicherheit oder Leichtigkeit des Schiffsverkehrs oder zur Abwehr einer unmittelbar bestehenden Gefahr erforderlich ist.
Die Erörterung der Frage in den beiden Sitzungen zeigte, daß es sich hier um einen Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern handelt, der nicht unbedingt in diesem Gesetz geregelt werden muß und dessen Nichtregelung im Augenblick keine Lücke entstehen läßt; denn es gilt dann die seitherige Regelung. Nach § 3 Abs. 2 des Seeaufgabengesetzes, der nicht geändert wird, bleibt es also dabei, daß schiffahrtspolizeiliche Exekutivmaßnahmen auf hoher See und im Grenzbereich des Küstenmeeres von der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes und vom Bundesgrenzschutz wahrgenommen werden. Die Länder sind nach der bisherigen Regelung damit einverstanden, daß diese Ordnung fortbesteht und entsprechende Aufgaben auch der Zollverwaltung übertragen werden können.
Das ist der sachliche Inhalt dieser Streichung, die der Vermittlungsausschuß vorschlägt. Ich darf das Haus bitten, dem zuzustimmen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Vorlage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft
- Drucksache 8/3239 -
a) Bericht der Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3717 -
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 8/3673 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Meyer zu Bentrup, Gobrecht
({2})
Wünscht der Herr Berichterstatter Löffler das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann erteile ich das Wort zu einem Kurzbericht dem Herrn Kollegen Dr. Meyer zu Bentrup. Er spricht im Anschluß daran zur Sache.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Berichterstatter möchte ich im Einvernehmen mit dem Kollegen Gobrecht als dem Mitberichterstatter zu dem Ausschußbericht auf Drucksache 8/3673 drei kurze Ergänzungen bzw. Korrekturen vortragen.
Erstens. Auf Seite 3 des Berichts muß der erste Spiegelstrich lauten:
Gewinnabschlag von 25 v. H. für Nebenerwerbsbetriebe, wenn der Betriebsinhaber einer Ganztagsbeschäftigung als Arbeitnehmer nachgeht;
Zweitens. Auf Seite 3 des Berichts muß der dritte Spiegelstrich lauten:
Ersetzung des Abzugs von der Steuerschuld durch einen Freibetrag von 4 000 DM, der unter bestimmten Voraussetzungen bei Ehegatten verdoppelt wird;
Drittens. Auf Seite 16 des Berichts muß der fünfte Spiegelstrich lauten:
Ergänzung des auch von der Ausschußmehrheit beschlossenen allgemeinen land- und forstwirtschaftlichen Freibetrags von 2 000/4 000 DM für Ledige/Verheiratete durch einen zusätzlichen Freibetrag von 4 000 DM, der unter bestimmten Voraussetzungen bei Ehegatten verdoppelt wird, statt durch einen Abzug von der Steuerschuld.
So weit, Herr Präsident, die Bemerkungen als Berichterstatter.
Die Zielsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft lautet: gerechtere Einkommensbesteuerung innerhalb der Land- und Forstwirtschaft und mehr Transparenz der den Land- und Forstwirten zu gewährenden Vergünstigungen; nicht vorrangig Steuermehreinnahmen, sondern mehr Gerechtigkeit, heißt es im Gesetzentwurf. Meine Fraktion begrüßt und unterstützt diese Zielsetzungen.
Aber das Ergebnis der Beratungen in den Ausschüssen sowie der Anhörung von Sachverständigen im Ernährungs- und Finanzausschuß bestätigte unsere Befürchtungen: nicht mehr Steuergerechtigkeit und mehr Transparenz, sondern erhebliche steuerliche Mehrbelastungen; nicht mehr Steuervereinfachung und weniger Bürokratie, sondern bedenkliche Komplizierungen des Steuerrechts und erhebliche Mehrkosten für die Finanzverwaltungen
und die Steuerpflichtigen; nicht ein Mehr an Ausgewogenheit steuerlicher Belastung innerhalb der verschiedenen landwirtschaftlichen Betriebsformen und Betriebsgrößen, sondern eine härtere Besteuerung besonders der kleineren, finanziell weniger leistungsfähigen Betriebe.
Das ist für uns eine unsoziale Steuerpolitik. Deswegen lehnen wir den Entwurf in der vorgelegten Ausschußfassung ab.
({0})
- Warten Sie mit Geduld, Herr Kollege Kühbacher.
Die Bundesregierung war nicht in der Lage, rechnerisch exakt die Mehrbelastungen ihres Gesetzentwurfes zu belegen. Mit einer mehr „Daumen-malpi-Methode" mittels Rechenschieber und globaler Agrarberichtszahlen bezifferte sie die Mehrbelastung auf 300 Millionen DM, obwohl sie zunächst Aufkommensneutralität angekündigt hatte.
({1})
Von den Verbänden mußte sie sich im Hearing sagen lassen, daß die steuerlichen Mehrbelastungen ca. 700 bis 900 Millionen DM ausmachen.
Dazu wurden von den zum Hearing eingeladenen Verbänden und Sachverständigen als Mehrkosten für Aufzeichnungen und Buchführung rund 500 bis 600 Millionen DM genannt. Die Mehrbelastungen des Gesetzentwurfes erreichen damit insgesamt fast drei Viertel der Nettoinvestitionen, die die deutsche Landwirtschaft 1978/79 in Höhe von 2,1 Milliarden DM getätigt hat.
({2})
Von uns vorgenommene Einzelberechnungen haben ergeben, daß die tatsächliche Gewinnerfassung dieses Entwurfs bei kleineren und Nebenerwerbsbetrieben über 100% beträgt. Das gibt es in keinem anderen Wirtschaftsbereich.
Selbst Staatssekretär Gallus mußte laut Pressemitteilung vom 14. Januar 1980 einräumen, daß gerade den Nebenerwerbsbetrieben „aus diesem Gesetzentwurf Nachteile erwachsen".
({3})
Den Kleinen erwachsen Nachteile, obwohl Herr Staatssekretär Böhme vor zwei Jahren, am 4. Januar 1978, im Partei-Pressedienst angekündigt hatte:
Der Abbau der Steuerprivilegien noch in dieser Legislaturperiode für die Großbauern in der Landwirtschaft ist unverzichtbar.
Sehen wir einmal von dem Klassenkampfdenken ab, so müssen wir summa summarum feststellen: Die Kleinen und nicht die Großen werden geschröpft.
({4})
Versteht man unter „Großbauern" Betriebe mit 30 und mehr Hektar, so sind es nach den neuesten Daten des Agrarberichts 1980 etwa 100 000 Betriebe, die über 30 Hektar bewirtschaften. Das sind 12,8 aller Betriebe nach der Agrarstatistik. Die meisten von ihnen sind buchführungspflichtig. Sie sollen aber nach dem Gesetzentwurf durch steuerliche Begünstigungen entlastet werden.
Wie sollen nun jene Betriebe besteuert werden im Grenzbereich zwischen buchführungspflichtigen Landwirten und solchen, die nach Durchschnittssätzen besteuert werden? Gerade diese Betriebe haben zu der Kritik in der Offentlichkeit, aber auch innerhalb der Landwirtschaft geführt, weil sie auf Grund ihrer Leistungskraft, ihrer wachsenden Produktivität durch innere und äußere Betriebsaufstockungen den Wertansätzen des § 13 a des Einkommensteuergesetzes längst entwachsen waren. Diese Wertansätze gelten de facto in ihrer Höhe seit 1967 und haben dazu geführt, daß diese Betriebe im Grenzbereich keine oder kaum nennenswerte Steuern zahlen mußten und sogar in den Genuß staatlicher Transferleistungen gelangten. Wir fragen, wie diese Betriebe besteuert werden sollen?
Die Koalition will eine dritte Gewinnermittlungsstufe für Betriebe mit einem Wirtschaftswert zwischen 25 000 DM und 40 000 DM einführen. Neben den steuerlichen Auswirkungen setzt unsere Kritik zu dem Gesetzentwurf an dieser Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung des § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes ein. Für die Koalition ist diese dritte Stufe die Krücke, an der man sich gemeinsam festhält; denn die Koalition will diese dritte Stufe - neben der pauschalen Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen und Buchführung - nur „wahlweise" einführen, wie sie ausdrücklich sagt. Sie sagt überhaupt nichts zu der Behandlung der Betriebe innerhalb dieser dritten Besteuerungsstufe.
({5})
Das hier vorgesehene Wahlrecht grenzt die Rechte und Pflichten der Betriebe nicht klar ab: Das Wahlrecht wird dazu führen, daß ein großer Teil der Betriebe keine Aufzeichnungen machen wird und sich dann schätzen läßt. Es wird mehr Schätzungslandwirte geben. Wir halten die Schätzung nicht für geeignet, mehr Steuergerechtigkeit und mehr Transparenz in der landwirtschaftlichen Steuerpolitik zu erzielen.
({6})
In der Landwirtschaft fehlen die detaillierten Unterlagen, die zu einer praktikablen Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung Vorraussetzung sind; denn im nicht-landwirtschaftlichen Bereich sind diese Unterlagen im vergleichbaren Bereich deswegen vorhanden, weil das Umsatzsteuerrecht dies verlangt. Das ist für die landwirtschaftlichen Betriebe nicht der Fall.
Damit kommt auf die Finanzbehörden ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand zu, der in keinem vernünftigen Verhältnis zum Steuermehraufkommen
steht. In der Anhörung wurde von den Sachverständigen dargestellt, daß diese dritte Gewinnermittlungsstufe allein 400 neue Finanzbeamte mit einem Kostenfaktor von 32 Millionen DM verursache,
({7})
was in dem Protokoll des Finanzausschusses nachzulesen ist. Das heißt, dieser Gesetzentwurf führt zu einer Ausweitung der Bürokratie.
Viel mehr als der Erhebungsaufwand muß das Verfahren als „rechtsstaatlich höchst problematisch" angesehen werden, wie es Finanzminister Gaddum im Bundesrat nannte. Denn die Verantwortung für die Höhe der Besteuerung wird hier von der Gesetzgebung auf die Ebene der Finanzverwaltung verlagert. Weil sich SPD und FDP nicht auf ein vernünftiges Steuerkonzept einigen konnten, wird mit dieser dritten Besteuerungsstufe, einer politischen Kompromißformel, der Oberinspektor der Finanzverwaltung nun nach subjektiven Vorstellungen die Höhe der zu zahlenden Steuern festzulegen haben. Von Sachverständigen wurde in der Anhörung von einer krassen Normativbesteuerung gesprochen. Auch deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf in der vorgelegten Form ab.
Für uns bedeutet das nicht mehr Gerechtigkeit, nicht mehr Transparenz und auch nicht ein Abbau von steuerlichen Disparitäten. Denn unterschiedliche Schätzungsgrundlagen, von Land zu Land, von Finanzdirektion zu Finanzdirektion und von Finanzamt zu Finanzamt unterschiedlich, werden sicherlich nicht mehr Vergleichbarkeit in die Besteuerung bringen: Vergleichbarkeit der Betriebe innerhalb der Landwirtschaft sowie die mit anderen Steuerbürgern. Es wird Zufallsentscheidungen geben. Und ob dies alles verfassungskonform ist, muß angezweifelt werden. Aber gerade verfassungsrechtliche Gründe sind uns von der Koalition immer als Grund für die Einführung dieser dritten Besteuerungsstufe genannt worden.
({8})
Was ist in diesem Zusammenhang von der Kritik an „Schätzungslandwirten" zu halten, die Herr Staatssekretär Böhme in dem erwähnten Pressedienst vom 4. Januar 1978 vorträgt, wenn er wörtlich sagt:
Die Ungerechtigkeit in der Einkommensbesteuerung besteht sowohl im Verhältnis der Landwirte untereinander als auch gegenüber anderen Steuerpflichtigen. Es geht vor allem um die Landwirte, welche buchführungspflichtig sind, aber dieser Pflicht nicht nachkommen, sondern sich schätzen lassen und dadurch einen Steuergewinn absahnen. Eine Fortführung dieser bequemen Praxis, welche vor allem die Großbauern begünstigt, muß verhindert werden.
Wir fragen den Staatssekretär, ob er die Konsequenzen aus seiner Ankündigung von damals, aus
dieser massiven Kritik gezogen hat. Wir bedauern
auch, daß die Koalition aus der Anhörung nicht die Konsequenzen gezogen hat. Insofern, so muß ich feststellen, war die Anhörung umsonst, weil die Koalition keine wesentlichen Änderungen am Gesetzentwurf mehr zugelassen hat.
({9})
Koalitionsabsprachen werden höher bewertet als nüchterne Erkenntnisse von Sachverständigen!
({10})
Wir haben unsere Vorstellungen einer sachgerechten steuerlichen Lösung vorgetragen und sie in Form von Änderungsanträgen in den Ausschüssen zur Abstimmung gestellt. Wir werden sie hier noch einmal vortragen und zur Abstimmung stellen.
Meine Damen und Herren, unsere Konzeption baut auf folgenden Grundsätzen auf: Erstens. Wir gehen von dem Grundsatz aus, daß im Sinne von Steuergerechtigkeit eine ausgewogene Besteuerung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anzustreben ist. Ich benutze das Wort „Gerechtigkeit" sehr vorsichtig, weil ich mich an den Ausspruch von Papst Anaklet erinnere, der einmal einem seiner Kardinäle, der an der irdischen Gerechtigkeit verzweifelte, sagte: „Auf Erden herrscht der Glaube, im Himmel herrscht die Liebe, aber in der Hölle die Gerechtigkeit."
({11})
Ich bin daher mit dem Begriff „Gerechtigkeit" vorsichtig; er ist relativ.
({12})
Im Sinne der Steuergerechtigkeit wollen wir eine verfassungskonforme Lösung, bei der die Höhe der Besteuerung der Landwirte gegenüber den Nichtlandwirten ebenso beachtet wird wie die Besteuerung von Landwirten, die ihren Gewinn pauschal ermitteln, gegenüber denen, die buchführungspflichtig sind.
Zweitens. Wir gehen von dem Grundsatz aus, daß die Steuerpolitik - entsprechend dem Auftrag des Landwirtschaftsgesetzes - ein Mittel der Einkommenspolitik ist. Aus Gründen der agrarpolitischen und gesellschaftspolitischen Zielsetzung soll sie die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft fördern.
Drittens. Wir gehen von dem Grundsatz aus, daß bei der Neuregelung der Einkommensbesteuerung der deutschen Land- und Forstwirtschaft die Wettbewerbsverhältnisse in der Europäischen Gemeinschaft berücksichtigt werden müssen. Das vom Landwirtschaftsminister im März 1978 vorgelegte Ifo-Gutachten zu den europäischen Agrarsteuersystemen kommt zu dem Ergebnis:
Das in der Bundesrepublik Deutschland angewandte Verfahren der landwirtschaftlichen Einkommensbesteuerung fällt im Vergleich zu den Systemen wichtiger Konkurrenzländer auf dem
Gemeinsamen Agrarmarkt nicht aus dem Rahmen...
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich darauf hinweisen, daß Großbritannien, Irland und die Niederlande zur Zeit eine starke Ankurbelung der Agrarproduktion mit Hilfe fiskal- und steuerpolitischer Maßnahmen betreiben. Frankreich bereitet ein neues Orientierungsgesetz mit starken steuerlichen Entlastungselementen mit dem Ziel der Ausweitung der Agrarproduktion vor. Aus diesem Grund sind wir der Auffassung, daß der deutschen Landwirtschaft hier keine wesentlichen Nachteile auf dem Steuersektor erwachsen dürfen.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Ich habe nur eine ganz begrenzte Redezeit, so daß ich eine Zwischenfrage, in der Sie wohl auf Ihr Zitat eingehen wollen, leider nicht zulassen kann.
Viertens. Wir gehen von dem Grundsatz aus, daß Steueraufkommen und Verwaltungsaufwand in einem finanziell vertretbaren Verhältnis zueinander stehen müssen. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, daß wir für die Beibehaltung der pauschalen Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen anstelle der Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung für die Vielzahl der kleineren und kleinsten Betriebe plädieren. Denn nur 50 To aller Betriebe der Land-und Forstwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland sind Vollerwerbsbetriebe.
Fünftens. Wir gehen von dem Grundsatz aus, daß die Investitionsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft als Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum unverzichtbar ist und die kleineren Betriebe im Nebenerwerb und Zuerwerb einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung und Pflege der Natur und Erholungslandschaft leisten.
({0})
Ausgehend von diesen Grundsätzen halten wir an dem System der Zweistufigkeit der Gewinnermittlung und Besteuerung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe fest, nämlich der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen nach § 13 a des Einkommensteuergesetzes für Betriebe bis zu einem Wirtschaftswert von 50 000 DM, d. h. aus agrar- und gesellschaftspolitischen Gründen für die Masse der kleineren und kleinsten Betriebe, und der Gewinnermittlung und Besteuerung nach Buchführung -§ 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - für Betriebe mit einem Wirtschaftswert über 50 000 DM, über 36 000 DM Jahresgewinn oder über 360 000 DM Jahresumsatz.
Wir haben in den Ausschußberatungen nicht nur rechnerisch nachgewiesen, daß das System der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen durchaus als eine realistische Besteuerungsgrundlage geeignet ist. Voraussetzung dafür ist, daß die Wertansätze als Grundlage progressiv gestaltet werden.
Unser Vorschlag ist es, den Faktor „Arbeitsleistung" in der Größenordnung von 6 000 DM bis 15 000 DM mit steigendem Wirtschaftswert der Betriebe in fünf Staffeln progressiv bis zu der Buchführungspflichtgrenze zu erhöhen, um damit die Streuung und Abweichung der pauschaliert ermittelten Gewinne von den tatsächlichen Gewinnen gering zu halten. Ich sage dies hier so technisch, weil der Finanzminister unseren Vorschlag in einer Presseerklärung in Frage gestellt hat.
Die in der Offentlichkeit geübte Kritik galt nicht so sehr dem System als vielmehr der Höhe der Wertansätze. Diese haben zu den bestehenden und auch von uns nicht zu rechtfertigenden Disparitäten und Ungleichgewichten geführt.
Wenn die Bundesregierung verfassungsrechtliche Bedenken zum gegenwärtigen System des § 13 a des Einkommensteuergesetzes vorträgt, dann müssen wir darauf hinweisen, daß auch sie dieses System in ihrem Gesetzentwurf vorschlägt. Darüber hinaus müssen wir sie fragen, warum sie nicht schon viel früher die Wertansätze an die tatsächlichen Gegebenheiten angepaßt hat. Sie hat es zu verantworten, wenn heute die seit 1967 de facto geltenden und zu niedrigen Wertansätze zu den bedenklichen Disparitäten und Ungleichgewichten in der Landwirtschaft geführt haben. Sie hat die Kritik an dem System der Einkommenbesteuerung zu verantworten.
({1})
In seinem Schlußbericht hatte der Finanzausschuß im Dezember 1973 auf die Aktualisierung der Wertansätze hingewiesen. Darin heißt es - ich zitiere aus der Drucksache 7/1389 -:
Die Wertansätze sollen zu einem späteren Zeitpunkt insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer möglichst gleichmäßigen Besteuerung der nicht-buchführenden und der buchführenden Landwirte überprüft und gegebenenfalls angemessen erhöht werden.
Wir halten fest: Die Regierung hat in den letzten zehn Jahren nicht gehandelt. Sie hätte uns diese Diskussion einer ungerechten Besteuerung draußen ersparen können.
({2})
Wir halten unseren Vorschlag einer zweistufigen Gewinnermittlung für geeigneter: Er bringt mehr Rechtssicherheit und Rechtssystematik als die Dreistufenregelung der Regierung mit zwangsläufigen Schätzverfahren. Er bedeutet geringere Verwaltungskosten und weniger Bürokratie. Er ist ein Beitrag zur Steuervereinfachung. Er begünstigt die gesellschaftspolitisch von uns erwünschte breite Eigentumsstreuung.
Aus diesen Gründen halten wir es auch für richtig, wenn bei Sonderkulturen für die Gemischtbetriebe mit Landwirtschaft und Weinbau, mit gärtnerischer, forstlicher oder sonstiger Nutzung an der bisherigen Regelung der pauschalen Gewinnermittlungsart mittels Vergleichswerten bis 4 000 DM festgehalten
wird.
Es ist nicht einzusehen, daß bei der Ermittlung der Gewinne dieser Sonderkulturbetriebe ein erhöhter bürokratischer Verwaltungsaufwand vorgenommen
werden soll, wenn man weiß, daß im Weinbau allein 60 % dieser Betriebe unter 0,5 ha, im Obstbau 75 aller Betriebe unter 1 ha liegen.
Diese insgesamt 140 000 Betriebe im Bundesgebiet sollen nach dem Regierungsentwurf steuerlich veranlagt werden, um dann festzustellen, was wir heute schon wissen, daß für 70 bis 80 % der Betriebe keine steuerliche Zahllast entsteht. Was entsteht, sind Mehrkosten für den Staat und für die Betriebe.
Für die Nebenerwerbsbetriebe schlagen wir vor, einen Abschlag von 25 To bei der Gewinnermittlung vorzunehmen, wenn der Betriebsinhaber einer außerbetrieblichen ganztägigen Beschäftigung als Arbeitnehmer nachgeht. Wir wollen die Nebenerwerbsbetriebe nicht bestrafen, sondern ihren unverzichtbaren Beitrag zur Pflege und Erhaltung einer intakten Landschaft würdigen. Müßten ihre Arbeiten vom Staat wahrgenommen werden, würde ein Vielfaches an staatlichen Kosten und an neuer Bürokratie entstehen.
({3})
Die von uns vorgeschlagenen steuerlichen Freibeträge sollen den Betrieben unbefristet und ohne Berücksichtigung von Gewinngrenzen gewährt werden. Der von der SPD und der FDP vorgesehene sogenannte Steuerabzugsbetrag - § 34 d des Einkommensteuergesetzes - wird als Versuch, ein leistungsfeindliches Element in das Einkommensteuerrecht einzuführen, abgelehnt. In der Anhörung hat Professor Littmann, der Vorsitzende der Sachverständigenkommission zur Begutachtung der Einkommenbesteuerung in der Landwirtschaft, vor dem Einstieg in dieses neue Steuersystem gewarnt. Denn mit Sicherheit werden andere Gruppen mit gleichen Ansprüchen kommen und sie auch durchsetzen wollen.
Es ist bedauerlich, daß es während der Beratung zu keiner einvernehmlichen Verbesserung des Gesetzentwurfes gekommen ist. Der Entwurf ist nur minimal verändert worden. Ich persönlich betrachte es als eine Denaturierung des Parlaments und seiner Ausschüsse, wenn nach strittiger, aber fachkundiger Debatte und auf Grund der Fülle von kritischen Anregungen und Bedenken in einer Anhörung nicht die bessere Lösung Eingang in den Gesetzentwurf findet.
({4})
Hier geht Koalitionsräson vor Parlamentarismus.
({5})
Meine Damen und Herren, es ist auch bedenklich, daß Bundeslandwirtschaftsminister Ertl gegen seine eigenen steuerpolitischen Vorstellungen, gegen seine eigene Konzeption stimmen muß - eine Konzeption, die, wie die FDP früher einmal angekündigt hatte, mit der unsrigen fast identisch war -, nur weil die SPD es so will.
({6})
Meine Damen und Herren, wir wollen eine gesetzliche Neuregelung, aber eine bessere. Deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
({7})
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Gobrecht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Meyer zu Bentrup hat in der ihm eigenen freundlichen, sachlichen und gebildeten Art - ein relativ unbekannter Papst wurde auch mit dazugezogen - viel gesagt, aber im Grunde genommen doch wohl gemeint: Alle sollen Steuern bezahlen, nur die Bauern nicht.
({0})
- Dies habe ich, Herr Kollege Kiechle, nicht zuletzt deswegen gesagt, um Ihr Bild, das Sie von mir haben, das Bild eines Prototyps von Klassenkämpfer, wirklich voll zu erfüllen.
({1})
- Danke schön, daß Sie mir das so freundlich bestätigen!
({2})
- Herr Kollege von der Heydt, wenn Sie sich in zwei Sätzen nur zweimal irren, ist das wenig, würde ich sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf, über den wir hier in zweiter und dritter Lesung zu entscheiden haben, ist kein Allerweltsgesetz, sondern ein Vorhaben, das zentral unsere politischen Vorstellungen von steuerlicher Gerechtigkeit und steuerlich gleichmäßiger Behandlung aller Bürger hinterfragt.
({3})
- Mit dem, was Sie soeben dazwischengerufen haben, hat das überhaupt nichts zu tun; aber Sie haben sich ja noch nie damit beschäftigt, sehr verehrter Herr Kollege Glos.
({4})
An der Behandlung dieses Gesetzes heute hier im Bundestag und demnächst im Bundesrat wird sich ablesen lassen, wie die verantwortlichen Politiker der Parteien konkret, inhaltlich-politisch zur Steuergerechtigkeit innerhalb von Land- und Forstwirtschaft stehen, zur Steuergerechtigkeit zwischen den Landwirten einerseits und allen anderen gesellschaftlichen Gruppen, den Arbeitnehmern, den Gewerbetreibenden, den Freiberuflern, andererseits, wie sie stehen zur Verteilungsgerechtigkeit im Zusammenhang mit den Transferleistungen wie BAföG, Wohngeld usw. in unserer Gesellschaft und schließlich auch zum Abbau von Subventionen, der ja immer wieder gefordert wird.
Ich habe damit nur einige politische Prüfsteine genannt, denen wir uns im Zusammenhang mit diesem Gesetz zu stellen haben, dem Gesetz zur Neuregelung der Einkommenbesteuerung der Landwirtschaft.
Die Bundestagsfraktion der SPD hat die Beratung des Gesetzentwurfs nach diesen Grundsätzen vor; genommen und alle sachdienlichen Vorschläge - ich muß Ihnen da sehr widersprechen, verehrter Herr Vorredner - aus der Sachverständigenanhörung und den Medien in die Prüfung einbezogen. Das beweisen auch die Änderungen, die von der Koalitionsmehrheit im Finanzausschuß gegenüber der Regierungsvorlage vorgenommen worden sind und auf die ich noch zurückkommen will.
Zentraler Ansatz innerhalb dieses Gesetzes ist die Frage, wieweit in der Land- und Forstwirtschaft weiterhin Gewinne nach Durchschnittssätzen ermittelt werden können, ohne den Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung und der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit ad absurdum zu führen, und wieweit die Land- und Forstwirtschaft ihre Gewinne ebenso wie die vergleichbaren Handwerker, Kaufleute, Freiberufler durch Aufzeichnungen oder durch Buchführung ermitteln kann und muß. Wenn eine verfassungskonforme Durchschnittssatzgewinnermittlung erhalten bleiben sollte, war nach unserer Auffassung die Einführung des Dreistufensystems zwingend. Dabei ist davon auszugehen, daß es sowohl verfassungsgerecht, als auch agrarpolitisch und steuerpolitisch und aus Steuervereinfachungsgründen unausweichlich war, die Mehrheit der in der Regel kleinen Landwirte durch die Anwendung der Durchschnittssatzgewinnermittlung von der Buchführung und von der Sammlung der Belege freizustellen. Denn weiterhin werden zwei Drittel der Land- und Forstwirte überhaupt nicht mit Belegsammlung und Aufzeichnungen zu tun haben, was ja sicher ein Beitrag zur Vereinfachung ist.
({5})
Denn die Durchschnittssatzgewinnermittlung mußte auf Betriebe mit niedrigen Gewinnen begrenzt werden, um die Regelung verfassungsrechtlich „wasserdicht" zu machen. Das ist ja das Problem beim geltenden Recht. Oberhalb dieser Gruppe war es gerade auch im Interesse der Land- und Forstwirte selbst logisch und vernünftig, die Betriebe nicht sofort der vollen Buchführungs- und Bilanzierungspflicht zu unterwerfen, sondern die einfache und bewährte Einnahme-Überschuß-Rechnung dazwischenzuschalten. Aus vielen, vielen Besuchen in landwirtschaftlichen Betrieben weiß ich,
({6})
daß die betriebswirtschaftlichen Abrechnungssysteme, die überall geführt werden, bei weitem komplizierter sind und perfekt gehandhabt werden, als es die Einnahme-Überschuß-Rechnung ist. Deswegen verstehe ich schon gar nicht, wie man dagegen immer so polemisieren kann. Ich kann deswegen überhaupt nicht verstehen, daß die Opposition gegen diese dreistufige Lösung ist. Denn nur sie ermöglicht eine verfassungskonforme Beibehaltung der
Durchschnittssatzgewinnermittlung für die zwei Drittel der Land- und Forstwirte, die wir wollen.
({7})
Andererseits - daran ändern auch die Zwischenrufe nichts, verehrter Kollege Kiechle - schafft sie gleitende Übergänge von der Durchschnittssatzgewinnermittlung zu einfachen Aufzeichnungen und von diesen dann zur bilanzierenden Buchführung.
Drittens werden durch diese Neuregelung in einer wesentlich größeren Zahl von Fällen als bisher die tatsächlichen Gewinne und Verluste der Land-und Forstwirte offen ausgewiesen. Daß die Durchschnittssatzgewinnermittlung für diejenigen, die sie zu handhaben haben, nicht etwa einfach ist, da braucht man ja nur in die Handausgabe der Einkommensteuerrichtlinien des Einkommensteuergesetzes zu gucken: Über zwei Seiten sind da erforderlich. Bei der Einnahme-Überschuß-Rechnung mit kleiner Belegsammlung kann kein Mensch von großer Bürokratie reden, der sich nur einmal mit diesen Dingen beschäftigt hat.
({8})
- Es ist etwas ärgerlich, Herr Kollege Diederich, daß man solche Selbstverständlichkeiten hier immer wiederholen muß. Aber ich wundere mich, daß so kenntnisreiche Kollegen das immer wieder so kritisieren, wie es hier geschieht.
Für uns kommt es auf Durchsichtigkeit, auf Transparenz an. Denn das ist die entscheidende Voraussetzung für Steuergerechtigkeit zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Denn erst Durchsichtigkeit macht auch Vergleichbarkeit möglich, und die wollen wir mit diesem Gesetz erreichen.
Bisher ist die steuerliche Hauptsubvention im Bereich der Land- und Forstwirtschaft im ominösen § 13a des Einkommensteuergesetzes versteckt.
({9})
- Versteckt, ja, versteckt. Das ist ominös, weil damit eine Grauzone geschaffen wird, die Gerichte zum Beispiel dazu veranlaßt hat, Vorlagebeschlüsse in Karlsruhe zu machen, weil sie meinen, daß das verfassungswidrig ist. Dann ist das Wort „ominös" für eine solche Vorschrift doch noch sehr hanseatischhöflich, Herr Kollege Kiechle.
({10})
- Den kenne ich auch. Unsere Politik ist natürlich die, daß die Steuerpolitik auch der Land- und Forstwirtschaft zu dienen hat. Wenn Sie gut zuhörten, dann würden Sie dies genau aus meinen Worten entnehmen können.
In diesem § 13a ist versteckt und nicht etwa in offenen gesetzlichen Freibeträgen die Hauptsubvention für die Landwirtschaft ausgewiesen. Sie befindet sich in einer sehr komplizierten Grauzone mit einer absolut ungerechten Gießkannenwirkung, die weder agrarpolitisch noch steuerpolitisch einen Sinn macht, und die - das wissen doch auch Sie Gobrecht
in jedem Dorf böses Blut schafft, weil sie erhebliche Wettbewerbsverzerrungen der Landwirte untereinander zur Folge hat.
({11})
Wir Sozialdemokraten wollen zusammen mit unserem Koalitionspartner und dem überwiegenden Teil der Land- und Forstwirte diese Grauzone erheblich einschränken, zumal auf dem Lande das gegenwärtige System in einem viel größerem Ausmaß, als Opposition und Bauernverband dies wahrhaben wollen, doch längst auch als unsauber und ungerecht qualifiziert wird.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das erklärte Ziel der Neuregelung, die Grauzone einzuengen, bedeutet in Zahlen ausgedrückt, daß die versteckten Steuervergünstigungen von 1450 Millionen DM auf rund 400 Millionen DM verringert werden.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Nein, meine Redezeit ist knapp; ich muß Ihnen diese Frage leider versagen.
({0})
- Nein, Herr Kollege Niegel, ich erinnere Sie an Ihre Zwischenfrage, die Sie während meiner Jungfernrede gestellt haben. Sie war sehr hilfreich. Insofern könnte Ihre Frage hier auch hilfreich sein, aber ich möchte trotzdem meine Rede fortsetzen.
({1})
- Sie wissen ja nicht, wie lang die Frage gewesen wäre. - Gleichzeitig werden die Vergünstigungen durch Steuerfreibeträge und Steuerabzugsbeträge von bisher 270 Millionen DM auf über 1 000 Millionen DM erhöht.
({2})
Unter dem Strich wird sich nach einigen Jahren voraussichtlich ein Mehraufkommen, also ein Subventionsabbau von rund 300 Millionen DM ergeben. Worauf es jedoch ankommt, meine Damen und Herren - das ist gerade auch verfassungsrechtlich wichtig und steuerpolitisch dringend notwendig -, ist die Tatsache, daß der Anteil der versteckten Steuervergünstigungen von 84 % auf 28 % zurückgeht. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Aber gegen diese Tatsache tritt die Opposition natürlich mit rhetorischen Klimmzügen an. Sie will wohl bei den „Grünen" diese Grauzone in aller Schwärze erhalten, weil die Transparenz dadurch beseitig wird. Durchsichtigkeit ist ja nun das Allerwichtigste. Das kommt natürlich bei Ihren Vorschlägen überhaupt nicht zum Zuge.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß wir auf Grund der Sachverständigenanhörung, den Kommentaren in den Medien und der Vorschläge aus verschiedendsten Bereichen Änderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgenommen haben. Das zeigt zudem auch deutlich, daß Sozialdemokraten jederzeit für sachdienliche Vorschläge aufnahmebereit waren.
Wir haben sichergestellt, daß die Buchführungspflicht erst beginnt, wenn das Finanzamt zuvor den Betroffenen rechtzeitig darauf hingewiesen hat, wenn er möglicherweise unbemerkt über bestimmte Grenzen hinweggerutscht ist; wir haben für die kleinsten Betriebe den Wert der Arbeitsleistung zur Vermeidung von Härten gesenkt, wenn der Wirtschaftswert eine bestimmte Größenordnung nicht übersteigt; wir haben hinsichtlich hohen Viehbestandes eine Verbesserung für die kleinen Betriebe eingeführt; wir haben die Grenze für Gewinne aus Sonderkulturen, die 2 000 DM übersteigen und bei denen die Gewinne wegen der außerordentlich unterschiedlichen Verhältnisse gesondert ermittelt werden, auf 3 000 DM erhöht.
Wir haben in diesem Zusammenhang - ich will das nicht im einzelnen ausführen, weil das zuviel Zeit kosten würde - unerwünschte steuerliche Folgen aus Vermögensänderungen - Stichwort: gewillkürtes Betriebsvermögen - durch eine entsprechende gesetzliche Bestimmung verhindert, und wir haben auch sichergestellt, daß der berufsbezogene Freibetrag nicht, wie es die Bundesregierung vorgeschlagen hatte, bei bestimmten Beträgen abgebaut wird, sondern daß er für alle beibehalten wird, und dafür den neuen steuerlichen Abzugsbetrag für Gewinne abgestuft, so daß er für die Großbetriebe nicht in Frage kommt; denn es ist überhaupt nicht einzusehen, daß die großen Betriebe, die heute schon Bücher führen, auch noch einen steuerlichen Abzugsbetrag von 2 000 DM geschenkt bekommen.
({3})
Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, daß meine Fraktion, die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion, von der Bundesregierung erwartet, daß sie dem Bundestag im Abstand von drei Jahren - erstmals am 1. Mai 1983 - zusammen mit dem Agrarbericht einen Bericht darüber vorlegt, ob und gegebenenfalls in welchem Maße die Wertansätze des § 13 a des Einkommensteuergesetzes, also die Durchschnittssatzgewinnermittlung, an die veränderten Verhältnisse angepaßt werden sollten. Diese regelmäßige Überprüfung durch den Gesetzgeber ist nötig, nachdem der Finanzausschuß die von der Bundesregierung erwünschte Ermächtigung, diese Überprüfung durch Rechtsverordnung vorzunehmen, gestrichen hat. Mit einer solchen regelmäßigen Überprüfung und eventuellen Anpassung kann dieses Gesetz nämlich auch dauerhaft verfassungskonform bleiben.
Meine Damen und Herren, die intensive Prüfung aller sachdienlichen Vorschläge zeigt, wie widersinnig Behauptungen sind, wir hätten mit den Landwirten „nichts am Hut". Das Gegenteil ist der Fall.
({4})
Wer - wie bisher CDU/CSU hier und Bundesratsmehrheit drüben - gegen diese Neuregelung der
Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft polemisiert und damit ein verfassungskonformes Gesetz verhindert, leistet in Wirklichkeit den Bauern einen Bärendienst und entzieht sich verantwortlichem Handeln hier im Parlament.
({5})
Ich hoffe deshalb sehr, daß die unsachlichen Angriffe gegen diese Neuregelung aufhören. Sachliche Kritik ist immer erwünscht.
({6})
Insbesondere sollte nicht weiter behauptet werden, die Landwirte würden nun sofort mit 900 Millionen DM oder gar mit 1 500 Millionen DM belastet. Wie Herr Kollege Kohl auf diese Zahl kommt, ist nun total unerfindlich. Er straft damit ja selbst den Bauernverband Lügen.
({7})
- Ja, sie werden, wenn dieses Gesetz in Kraft ist, im Verlauf von mehreren Jahren stärker belastet, nämlich mit maximal 300 Millionen DM. Unter dem Gesichtspunkt des Subventionsabbaus, Herr Kollege Jäger, hätten manche sicher gewünscht, es würde erheblich mehr sein. Aber weil wir eine wettbewerbsfähige, leistungsfähige Landwirtschaft wollen, kam das für uns auf diesem Wege nicht in Frage.
({8})
Außerdem muß ich ganz entschieden widersprechen, wenn behauptet wird, gerade die Kleinen würden hierdurch belastet. Das ist absolut unrichtig.
({9})
Die Kleinen bleiben weiterhin in der Durchschnittssatzgewinnermittlung; das sind zwei Drittel aller Land- und Forstwirte in Deutschland. Die Mehrbelastung wird bei den größeren Betrieben eintreten, wenn sie finanziell leistungsfähig sind, und das sind sie in der Regel.
({10})
- Also die Kleinen sind nun wirklich nicht in erster Linie betroffen, verehrter Herr Kollege Vorredner.
({11})
- Für die Nebenerwerbslandwirte haben wir genausoviel übrig wie für alle anderen gesellschaftlichen Gruppen. Aber wir sind bei allen für gleiche Steuergerechtigkeit und nicht für ein totales Durcheinander auf dem Lande und im Verhältnis von Land und Stadt.
({12}) Lassen Sie mich zusammenfassen.
Erstens. Die Land- und Forstwirte haben es von heute an nochmals schwarz auf weiß, daß wir Sozialdemokraten bereit sind, ihnen offen ausgewiesene steuerliche Vergünstigungen zukommen zu lassen, die weit über vergleichbaren Suventionen für andere Berufsgruppen liegen, um damit den Besonderheiten der Landwirtschaft Rechnung zu tragen, und weil uns Sozialdemokraten an der Erhaltung einer gesunden, wettbewerbs- und damit leistungsfähigen Land- und Forstwirtschaft gelegen ist. Die Landwirte wissen, daß Sozialdemokraten für Steuergerechtigkeit auch auf dem Lande sind; gleiche Steuer für gleiches Einkommen gilt auch dort.
({13})
Herr Kollege Niegel, mit der Verwendung des Wortes „herauspressen" - ich weiß inzwischen, wie das in Ihrem Pressedienst gekommen ist, nämlich durch den sonst sehr sachlichen Kollegen Kreile - sollten Sie nun wirklich aufhören. Das ist absoluter Unsinn, um kein härteres Wort zu verwenden.
({14})
- Aber er versteht es doch nicht; man muß es ihm dreimal erklären.
({15})
Zweitens. Die Handwerker, Kaufleute, Freiberufler können feststellen, daß die Land- und Forstwirte, die - ihnen vergleichbar - wirtschaftlich und finanziell leistungsfähig sind, ebenso korrekt ihre Einkünfte zu ermitteln haben und sich gerecht besteuern lassen müssen.
Drittens. Die Arbeitnehmer mit ihrem gläsernen Portemonnaie werden feststellen, daß ein erheblicher Schritt in die Richtung auf offenen Ausweis von steuerlichen Freibeträgen und Abzugsbeträgen gemacht worden ist, der erst Vergleichbarkeit bei vergleichbaren Sachverhalten herstellt und z. B. die ungerechtfertigte Gewährung von Wohngeld und Leistungen aus dem BAföG und anderen Transferleistungen verhindert.
Viertens. Die Bediensteten der Steuerverwaltungen und in den Finanzämtern erhalten hiermit erneut die Gewißheit, daß der Bundestagsmehrheit an der richtigen steuerlichen Erfassung landwirtschaftlicher Gewinne ebenso gelegen ist wie an der richtigen Erfassung aller anderen Einkünfte.
({16})
Fünftens können sich die Gerichte in ihrer Auffassung bestätigt sehen, daß die Gleichmäßigkeit der Besteuerung für alle Bürger gilt, und das Bundesverfassungsgericht kann die Bedenken gegen das geltende Recht an der Latte des bis heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzes messen.
({17})
Schließlich. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt einen vernünftigen Kompromiß, einen verfassungsGobrecht
konformen Ausgleich zwischen unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Ansätzen dar.
({18})
Der in diesem Gesetzentwurf gefundene Kompromiß in den wesentlichen Punkten ist deshalb zugleich auch die Grenze für die Haltung von uns Sozialdemokraten bei dem weiteren Weg dieses Gesetzes.
({19})
Wir appellieren deshalb an den Bundesrat, auf der Basis dieses Gesetzes eine parlamentarische Entscheidung für die Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft zu ermöglichen und nicht Karlsruhe die Entscheidung zuzuschieben.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Ich bitte auch Sie um Zustimmung.
({20})
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Paintner.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Mit großem Interesse verfolge ich die öffentliche Diskussion über die vorgesehene Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft. Den einen geht der Gesetzentwurf zu weit,
({0})
der heute in der zweiten und dritten Lesung beraten wird.
({1})
- Das sage ich Ihnen schon noch, was wir wollen.
({2})
Die einkommensteuerliche Vorzugsstellung der Landwirte werde, wie diese Kritiker in grober Verallgemeinerung darlegen, viel zuwenig abgebaut, die Landwirte würden mit Samthandschuhen angefaßt. Andere führen lauthals Klage darüber, die ins Auge gefaßte Neuregelung beschere der Landwirtschaft eine viel zu hohe Belastung;
({3})
das könne den Bauern nicht zugemutet werden.
Nun dürfte inzwischen auch bekannt sein, daß ich als praktizierender Landwirt zu den Abgeordneten gehöre, die gerade bei dem neuen Gesetzentwurf für die landwirtschaftliche Besteuerung sehr genau achtgegeben haben, daß die Landwirtschaft auch steuerlich gerecht behandelt wird.
({4})
- Regen Sie sich doch nicht auf, Herr Niegel. Was haben Sie denn?!
({5})
Meine Meinung war immer, in der Sache nichts zu überstürzen, damit eine möglichst gerechte und gute Lösung erzielt werden könne.
({6})
Aber gerade die Zahl der Landwirte, die mich aufforderten - Herr Niegel, da müssen Sie herhören -, die Sache zu beschleunigen, wurde immer größer.
({7})
- Eine ganze Menge. - Es ging sogar so weit, daß mich vor einigen Wochen maßgebliche Herren des Hopfenbauverbandes besuchten und mich baten zu helfen.
({8})
- Das ist sogar das Schlimmste, was dabei passiert ist, daß die nicht aus der FDP, sondern aus Ihrer Partei sind.
({9})
Sie baten mich, zu helfen, daß der Regierungsvorschlag verabschiedet wird.
({10})
Sie sagten mir zu, daß sie auch den Landesgruppenvorsitzenden der CSU Dr. Zimmermann besuchen wollten, um ihm zu erklären, daß dieser Regierungsvorschlag für sie akzeptabel sei.
({11})
- Das können Sie sich ausrechnen, wer das war.
({12})
Wenn ich mir diese Beurteilungen, die zu völlig gegensätzlichen Ergebnissen kommen, vor Augen führe, kann ich nur sagen, hier liegt ein Gesetzentwurf auf dem Tisch, der eine ausgewogene Mittellinie verfolgt. Hier bleibt die Kirche im Dorf.
({13})
- Dafür sorgen wir schon.
Einige Verbandsvertreter und Oppositionspolitiker halten es für opportun, über die vorgesehenen Änderungen mit überaus schrillen Tönen herzuziehen. Bei diesem Lärm besteht aber die große Gefahr, daß für die betroffene Bevölkerung die dringende Notwendigkeit, in diesem Bereich Korrekturen vorzunehmen, gar nicht mehr erkennbar ist. Das ist politisch äußerst bedenklich.
Es ist mir deshalb sehr daran gelegen, hier noch einmal deutlich zu machen, aus welchen Gründen dieses Gesetzesvorhaben unerläßlich ist.
({14})
Die Professoren, die im Auftrage der Bundesregierung die Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, daß eine Änderung des geltenden Rechts dringend erforderlich ist. Dabei stellten sie vor allem die außerordentlich gravierenden einkommensteuerlichen Belastungsunterschiede heraus,
({15})
die innerhalb der Landwirtschaft bestehen. Buchführungspflichtige Betriebe müssen ihre Gewinne im vollen Umfang der Einkommensteuer unterwerfen, während nach Durchschnittssätzen besteuerte Landwirte überhaupt keine oder nur sehr wenig Einkommensteuer zu zahlen haben. Von ihren tatsächlich erzielten Gewinnen werden im Mittel nur etwa 20 % bei der Steuer zugrunde gelegt. Die einkommensteuerliche Vergünstigung ist im allgemeinen um so umfangreicher, je größer die Betriebe sind, die unter § 13 a des Einkommensteuergesetzes fallen.
Diese erheblichen landwirtschaftlichen Belastungsunterschiede verzerren im starken Maße den Wettbewerb der Betriebe untereinander. Sie bringen Spannungen und Unfrieden in unsere landwirtschaftliche Bevölkerung. Zahlreiche buchführungspflichtige Landwirte führen bittere Klage über das geltende Recht. Sie empfinden es wegen seiner Ungerechtigkeit als ständiges Ärgernis.
Zu ähnlichen Beurteilungen gelangt auch das Niedersächsische Finanzgericht, das bekanntlich die Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Vorschriften in Zweifel gezogen und das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angerufen hat. Die Richter sehen in der Begünstigung der nichtbuchführungspflichtigen gegenüber den buchführungspflichtigen Landwirten einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Auch im Vergleich mit den meisten Mitgliedstaaten der EG können die auf Grund der Durchschnittssätze der Einkommensbesteuerung in der Bundesrepublik derzeit erzielten Ergebnisse nicht befriedigen.
Angesichts dieser schwerwiegenden Fakten ist es unumgänglich, auch in der laufenden Legislaturperiode eine Gesetzesänderung in Kraft zu setzen. Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf, der in den Ausschußberatungen des Bundestages in einigen Punkten modifiziert worden ist - zu seinem Vorteil, wie ich gerne gestehe -, ist in erster Linie darauf ausgerichtet, innerhalb der Landwirtschaft die einkommensteuerliche Gerechtigkeit ganz entscheidend zu verbessern. Mehr Steuergerechtigkeit läßt sich aber nur dann herbeiführen, wenn bei denjenigen Betrieben, die bisher überhaupt keine oder nur sehr wenig Einkommensteuer zu zahlen hatten und die gegenüber den Buchführungspflichtigen besonders begünstigt waren, Korrekturen vorgenommen werden. Das geschieht durch Anhebung der Durchschnittssatzgewinne,
durch Einschränkung ihres Anwendungsbereiches bis zu durchschnittlich 20 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, durch maßvolle Ausweitung der Buchführungspflicht bis zu Betrieben ab durchschnittlich 30 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche und durch Einführung einer Gewinnermittlung nach Einnahmenüberschußrechnung für die dazwischenliegenden Betriebsgruppen. Insgesamt bleiben 60 % aller landwirtschaftlichen Betriebe in unserem Lande in der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen.
Um die einkommensteuerliche Mehrbelastung der Landwirtschaft in Grenzen zu halten und ihre Wettbewerbsstellung nicht zu gefährden, enthält der Gesetzentwurf eine Reihe beachtlicher Steuerentlastungen. Sie wissen, daß der bisherige Freibetrag von 1 200 DM bzw. 2 400 DM auf 2 000 DM bzw. 4 000 DM angehoben wurde. Sie wissen, daß ein weiterer Freibetrag nach § 34 als Abzug von der Steuerschuld mit 2 000 DM bis zu 50 000 DM bzw. 100 000 DM Einkommen angehoben worden ist. Hier muß ich mich darüber wundern, daß Herr Meyer zu Bentrup eine Leistungsfeindlichkeit feststellt. Ich möchte mir heute schon wünschen, daß sich sämtliche Landwirte, die dann diesen Freibetrag gerne in Anspruch nehmen, eines Tage bei Ihnen melden, wenn sie ihn nicht bekämen.
({16})
Wenn nun aber der Deutsche Bauernverband die Behauptung in die Welt setzt, die sich Oppositionspolitiker offenbar ungeprüft zu eigen machen, die vorgesehene Neuregelung belaste die Landwirtschaft mit jährlich 900 Millionen DM, dann geht das weit an den Tatsachen vorbei. Nach übereinstimmenden Berechnungen sowohl des Finanzministeriums als auch des Ernährungsministeriums ist für die deutsche Landwirtschaft nach einer Übergangszeit von einigen Jahren eine Mehrbelastung von 250 bis 300 Millionen DM zu erwarten.
({17})
- Herr Niegel, hier kann ich Ihnen nur das eine sagen. Allein dies ist ein Beweis, daß Sie sich alle miteinander selber nicht im klaren sind, was Sie eigentlich meinen:
({18})
Der Bauernverband spricht von 900 Millionen DM, Herr Kohl spricht in Oldenburg auf dem landwirtschaftlichen Kongreß seiner Partei von 1,5 Milliarden DM, und schließlich gibt es noch einige Oppositionspolitiker, die von 800 Millionen DM oder ähnlichen Beträgen reden.
({19})
Ich glaube, hier müßte man mit einem Maß messen,
das in der Bundesrepublik schon einmal gegolten
hat. Wenn Sie mit diesen Zwischenrufen nicht aufPaintner
hören, werde ich Ihnen sagen, was in der deutschen Landwirtschaft heute tatsächlich los ist.
({20})
Mit anderen Worten: Die Landwirtschaft muß Federn lassen.
Ich sage Ihnen nur das eine: Gehen Sie doch hinaus in die deutschen Lande. Schauen Sie sich die Lebensverhältnisse auf dem Lande an. Wir werden in einigen Wochen hier über den Agrarbericht zu sprechen haben. Auch dann, wenn er diesmal ein Ergebnis aufweist, das wir uns zum Teil besser gewünscht hätten, bleibt immer noch ein guter Lebensstandard im ländlichen Bereich festzustellen.
({21})
Mit anderen Worten: Die Landwirtschaft muß zwar Federn lassen
({22})
- gehen Sie hinunter nach Niederbayern und sehen Sie sich die Höfe an -,
({23})
jedoch der weitaus größere Teil der einkommensteuerlichen Subventionen bleibt der Landwirtschaft erhalten.
Wenn ich die verschiedenen Einwendungen der Opposition gegen den Gesetzentwurf richtig beurteile, so liegt das Schwergewicht auf der Ablehnung der dreistufigen Gewinnermittlung. Ich mache kein Hehl daraus, daß auch ich ursprünglich dafür eingetreten bin
({24}) - auch der Minister ({25})
- jawohl, das stimmt -, die Gewinnermittlung nach einem zweistufigen System vorzunehmen.
({26})
Einfachere Handhabung und geringere Kosten waren meine Gründe.
Jetzt bitte ich meinen Kollegen Ignaz Kiechle, gut zuzuhören.
({27})
Neben dem Bundesfinanzminister hat insbesondere der Bundesminister der Justiz gegen ein derartiges Zweiersystem ernste verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Diese waren so schwerwiegend, daß ich mich ihnen nicht verschließen konnte. Der neuralgische Punkt bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen liegt in der erheblichen Streuung der Gewinne der landwirtschaftlichen Betriebe. Fallen Soll- und Ist-Gewinn stark auseinander, so
wird bei Anwendung von Durchschnittssätzen mit zunehmender Betriebsgröße die steuerliche Ungerechtigkeit bedenklicher.
Ich muß Ihr Augenmerk noch einmal auf den Beschluß des Niedersächsischen Finanzgerichts lenken, das wegen der landwirtschaftlichen Einkommensbesteuerung das Bundesverfassungsgericht angerufen hat. Das ist ein Faktum, das bei dem Ziel, das wir anzusteuern haben, nicht ignoriert werden kann. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet sich der Gesetzgeber noch in einer Situation, die es ihm erlaubt, ohne spezielle Vorgaben aus Karlsruhe die neue Regelung frei nach seinen politischen Vorstellungen zu gestalten. Ich bitte die Opposition, das mit zu bedenken. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
({28})
Ich habe ernste Zweifel, ob dieser Freiraum des Gesetzgebers im gleichen Umfang gegeben sein wird, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung fällen muß, ohne daß in Bonn vorher eine verfassungsrechtlich tragfähige Gesetzesänderung zustande gekommen ist. Ich bitte Sie daher zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, den ich für ausgewogen, maßvoll und verfassungsrechtlich nicht anfechtbar halte, auch im Interesse unerer Landwirte um Ihre Zustimmung.
({29})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ihnen zur Entscheidung vorliegende Gesetz hat nicht zum Ziel, ein wesentlich erhöhtes Steueraufkommen zu erzielen. Wir schätzen das Mehraufkommen - Herr Gobrecht hat Ihnen das im einzelnen vorgerechnet - auf höchstens 300 Millionen DM, und zwar erst nach einer Übergangszeit von mehreren Jahren.
Wir können und wollen ein System, das sich in Jahrzehnten entwickelt hat, nicht mit einem Schlag ändern. Wir erkennen ausdrücklich an, daß auch die Steuerpolitik ihren Beitrag zur Sicherung der Lebensgrundlage der Landwirtschaft und zur Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit heute und in Zukunft zu leisten hat. Wir müssen allerdings die großen Ungleichheiten abbauen - da kann ich Herrn Paintner nur zustimmen -, die sich innerhalb der Landwirtschaft in der Einkommensbesteuerung entwickelt haben. Auch Herr Meyer zu Bentrup sprach von bedenklichen Ungleichgewichten und Disparitäten.
Die unterschiedliche steuerliche Behandlung der buchführenden und der nicht buchführenden Landwirte hat im Laufe der Jahre ein Ausmaß angenommen, das auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen das geltende Steuerrecht ausgelöst hat. Das Niedersächsische Finanzgericht z. B. hält die Vorschrift des geltenden § 13 a des Einkommensteuergesetzes mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes für unvereinbar und hat durch Beschluß vom 13. Oktober 1978 das Bundesverfas16234
sungsgericht in Karlsruhe zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit angerufen.
Die Bundesregierung will mit ihrem Entwurf der Neuregelung den bisher geäußerten Einwänden und Bedenken Rechnung tragen und die Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft auch auf eine sichere verfassungsrechtliche Grundlage stellen. Daran hat selbstverständlich auch die Landwirtschaft ein Interesse. Ich glaube, wenn dieses Gesetz im Bundesrat abgelehnt werden sollte, werden die Bauern Sie noch verwünschen. Ich kann Herrn Paintner bei seiner Würdigung der verfassungsrechtlichen Bedenken und der Notwendigkeit dieses Gesetzes nur zustimmen.
Die Vorstellungen, die die CDU/CSU-Fraktion für die Lösung dieses Problems entwickelt hat, müssen wir allerdings - ich sage das mit großem Bedauern - für völlig ungeeignet halten. Sie gehen an allen verfassungsrechtlich und steuerlich gebotenen. Grundsätzen einer Neuregelung der Landwirtschaftsbesteuerung vorbei. Ihre Verwirklichung würde die Belastungsverzerrungen innerhalb der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Berufsgruppen nicht abbauen, sondern weiter verstärken. Nicht weniger, sondern mehr Steuerungerechtigkeit wäre die Folge.
Rund 570 000 Nebenerwerbs- und Kleinbetriebe bleiben weiterhin in der Durchschnittssatzgewinnermittlung.
Was die 140 000 Betriebe anlangt, die künftig Bücher führen sollen, bzw. die rund 130 000 Betriebe, die den Gewinn nach Überschußrechnung ermitteln sollen, so wird es sich in aller Regel wohl um Landwirte handeln, die mit Recht ihre betriebswirtschaftlichen Ergebnisse schon jetzt korrekt ermitteln müssen und dies auch mit Hilfe der Buchführung tun. Von einem angeblich unzumutbaren Mehraufwand kann nicht die Rede sein.
Einer der Kernpunkte der verfassungsrechtlichen Problematik der Landwirtschaftsbesteuerung ist, daß der Anwendungsbereich der Durchschnittssatzgewinnermittlung so eingegrenzt werden muß, daß ihre nun einmal unvermeidliche Streubreite verfassungsrechtlich noch vertretbar ist. Die Bundesregierung glaubt, daß der von ihr und jetzt auch vom Parlament gewählte Ausgangswert von 25 000 DM die obere Grenze des Vertretbaren ist.
Die Bundesregierung hat für eine Mittelgruppe von Betrieben, die aus den dargestellten zwingenden Gründen nicht mehr in der Durchschnittssatzermittlung bleiben können, eine vereinfachte Buchführung in Form der Überschußrechnung vorgeschlagen, so wie sie ja auch für kleine und mittlere Gewerbebetriebe eröffnet ist.
Ich will weitere Einzelheiten des Gesetzentwurfs nicht aufgreifen. Der Finanzausschuß und der mitberatende Agrarausschuß haben eine Reihe nicht unwichtiger Änderungsvorschläge unterbreitet, denen ich ausdrücklich zustimme. Ich bin den Ausschüssen für ihre sachkundige Arbeit und für die soliden Beschlüsse dankbar.
Erlauben Sie mir abschließend einen Ausblick auf das weitere Gesetzgebungsverfahren. Die Opposition hat schon zu Beginn der parlamentarischen Beratungen mit der Ablehnung des Gesetzes im Bundesrat gedroht, wenn die Koalitionsparteien nicht auf ihre Wünsche eingehen. Ich bedaure ausdrücklich diesen unbekümmerten Einsatz der Bundesratsmehrheit als Druckmittel auf die vom deutschen Volk gewählte Mehrheit hier im Bundestag.
({0})
Die Bundesregierung sieht jedenfalls den jetzt zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf als das steuerpolitisch und verfassungsrechtlich gebotene Minimum an. Abstriche in irgendeinem wichtigen Punkt sind nicht mehr möglich.
Ich bitte Sie sehr herzlich um Ihre Zustimmung.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe zunächst Art. 1 Nr. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3708 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen nun über Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Art. 1 Nr. 1 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3708 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Art. 1 Nr. 2 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Art. 1 Nr. 2 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3708 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer Art. 1 Nr. 3 in der Ausschußfassung anzunehmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Art. 1 Nr. 3 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 4 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3708 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der
Vizepräsident Leber
Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3708 unter Ziffer 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Streichung dieser Vorschrift vor. Wer die beantragte Streichung will, muß in der nachfolgenden Abstimmung mit Nein stimmen. Wer Art. 1 Nr. 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Das erste war die Mehrheit. Art. 1 Nr. 5 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe nun Art. 1 Nr. 7 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3708 unter Ziffer 6 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
- Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Art. 1 Nr. 7 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Art. 1 Nr. 7 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3708 unter Ziffer 7 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme?
- Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer Art. 2 Nr. 1 in der Ausschußfassung anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Wer enthält sich der Stimme? - Art. 2 Nr. 1 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe nun Art. 2 Nrn. vor 2 und 2 sowie die Art. 3 und 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten ih die
dritte Beratung
ein. Wird dazu das Wort gewünscht? - Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist.
Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich der Stimme? - Das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
({0})
Wir haben noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3673 unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Entsprechend einer Anregung im Ältestenrat rufe ich nun Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache 8/2136 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({1})
- Drucksache 8/3690 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Waigel Dr. Jens
({2})
Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort?
- Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit benützen, um zunächst dem plötzlich erkrankten Bundeswirtschaftsminister gute Genesung zu wünschen und zu hoffen, daß er bald wieder gesund unter uns weilen kann.
({0})
Wir stehen am Ende langwieriger und schwieriger Beratungen, an deren Ende ein Kompromiß steht, dem die CDU/CSU zustimmt. Die vorliegende Fassung eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen enthält Elemente, die wir nachdrücklich als eine Fortentwicklung des Wettbewerbsrechtes begrüßen, aber auch Regelungen, die wir hinnehmen, um den wichtigen Konsens in diesem Grundgesetz der Wirtschaftsordnung auch künftig zu erhalten. Wissenschaft und Praxis, Wirtschaftsverbände und Organisationen haben den Prozeß der Willensbildung bei der Beratung dieses Gesetzes maßgeblich beeinflußt. Der Wille und die Bereitschaft der politischen Kräfte, trotz unterschiedlicher Einzelstandpunkte zu einer Einigung zu kommen, prägten die Beratung und die interfraktionellen Gespräche.
Unstreitig ist die Notwendigkeit, das Wettbewerbsrecht ständig fortzuentwickeln und veränderten wirtschaftlichen Konstellationen anzugleichen. Darauf hat schon Professor Erhard hingewiesen. Strittig dagegen sind Instrumentarien und Stärke der Eingreifmöglichkeiten.
CDU und CSU haben stets ihren Beitrag zum Ausbau einer funktionierenden Wettbewerbsordnung
erbracht. Ich denke hier nur an das strukturpolitische Aktionsprogramm für kleine und mittlere Unternehmen und frei Berufe vom 17. Februar 1976 mit einem Katalog von Maßnahmen zur Wettbewerbspolitik. Ich erinnere an den Wettbewerbs-Kongreß des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr im Jahre 1977 mit dem Schwerpunkt Leistungswettbewerb. Und ich möchte nicht die Einbringung eines 9. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vergessen. Meine Damen und Herren, wir bedauern es, daß dieser Gesetzentwurf nicht gleichzeitig mit dem Kartellgesetz beraten und verabschiedet werden konnte. Beides hätte zur Fortentwicklung dieses Gesamtbereichs gehört. Wir haben bei dieser Novelle - das wird uns niemand absprechen können - einen konstruktiven Beitrag zur Verbesserung des Wettbewerbsrechts geleistet. Ich darf insbesondere an die Rede von Professor Biedenkopf in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes erinnern.
Geht man von den realistischen Vorstellungen aus, unter denen die CDU/CSU diese Novelle betrachtet hat, so werden folgende neue Regelungen spürbare Verbesserungen der Wettbewerbsverhältnisse herbeiführen.
Erstens. Die Kartellbehörde kann künftig mit Hilfe des neuen § 37 a gegen Wettbewerbsverzerrungen einschreiten, gegen die sie bisher machtlos war. Sie kann die dauerhaften, unbegründeten Vorteile, die große Unternehmen des Handels im Verhältnis zu den kleineren Wettbewerbern in Gestalt von Konzernrabatten, Gesamtumsatzrabatten und sonstigen Sonderrabatten genießen, entweder als Behinderung oder als Mißbrauch von Nachfragemacht abbauen. In dieser Verbesserung des Leistungswettbewerbs sah und sieht die CDU/CSU eine Priorität und einen Schwerpunkt ihrer Bemühungen.
Die im Regierungsentwurf am Anfang enthaltenen Regelungen in § 26 Abs. 2 Satz 3 und § 26 Abs. 3 waren hinsichtlich des horizontalen Bereichs unzureichend. Darauf haben die Wissenschaftler beim öffentlichen Hearing hingewiesen. Es ist unserer konsequenten Haltung zu verdanken, daß es mit diesem § 37a Abs. 3 zu einem Untersagungstatbestand gegenüber unbilligen Behinderungen von kleinen und mittleren Bewerbern gekommen ist.
Die Eckpunkte dieser Regelung stellen eine wirksame und wettbewerbspolitisch vertretbare Erweiterung des Diskriminierungsverbots dar, ohne zu einem allgemeinen Diskriminierungsverbot zu werden. Zu Recht weist der offizielle Bericht des Ausschusses darauf hin, daß sich in den vergangenen Jahren in Handel, Handwerk und Industrie verstärkt Gefahren zeigten, die sich aus wettbewerbsverzerrenden, mißbräuchlichen Verhaltensweisen marktmächtiger Unternehmen ergeben können.
Die Konstruktion dieser Norm als Untersagungstatbestand, die eindeutige Anknüpfung an eine konkrete Machtstellung des behindernden Unternehmens, der damit verbundene Macht- und Marktbezug, die Einfügung einer Marktstrukturklausel wie der Begriff der Unbilligkeit, der ja in der Abwägung der Interessen der betreffenden Unternehmen definiert werden muß, stellen unmißverständlich klar, daß es sich nicht um ein allgemeines Diskriminierungsverbot handelt. Die relative Marktmacht im Sinne dieser Vorschrift bezieht sich auf die überlegene Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern. Diese Marktstellung ist dann gegeben, wenn die überlegene Marktmacht gegenüber einer für den Wettbewerb auf dem betreffenden Markt relevanten Zahl kleiner und mittlerer Wettbewerber besteht und somit eine wesentliche Störungsquelle für das Funktionieren des Wettbewerbs gegeben ist.
Durch die Aufnahme dieser Bestimmung in das GWB und die von uns initiierte Fassung des § 38 Abs. 1 Nr. 4 ist auch die schwierige ,,Roß-und-Reiter"-Problematik bestmöglich gelöst, weil den kleinen und mittleren Unternehmen eine schwierige und kostspielige Prozeßführung dadurch erspart bleibt.
In Übereinstimmung mit der Anregung des Rechtsausschusses und auch den Wünschen betroffener Verbände wird im Bericht festgestellt, daß durch diese Vorschrift keine Erweiterung des kartellgesetzlichen Belieferungs- bzw. Kontrahierungszwangs bewirkt wird.
Ich möchte einen 'zweiten Punkt besonders ansprechen. Es ist das Thema der Anschlußfusion. Der ständige Ausverkauf mittelständischer Unternehmen an Großunternehmen wird künftig dadurch gebremst werden, daß Anschlüsse von Mittelständlern über 50 Millionen unter die Fusionskontrolle geraten. Es bestand sowohl im Bundestag wie beim ersten Durchgang dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat darüber Einigkeit, die Bagatellgrenze in § 24 Abs. 8 Nr. 2 herabzusetzen.
Hier allerdings galt es, dem Zielkonflikt zwischen dem Schutz der im Wettbewerb verbleibenden kleinen und kleineren Unternehmen und den berechtigten Verwertungsinteressen und Sanierungsbedürfnissen der Inhaber gerecht zu werden. Die Grenze von 4 Millionen DM ist eine gerade noch vertretbare Größenordnung, wenngleich sie die Grenze dessen berührt, was eigentlich vom Eigentumsrecht und vom Verwertungsrecht am Betrieb her überhaupt denkbar ist. Aber man muß sich auch von der Zahl der entsprechenden Fälle leiten lassen und kann die Probleme in diesem Bereich nicht übersehen.
Drittens. Die neuen Mißbrauchsdefinitionen des § 22 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen werden an der bisherigen Aufsicht nicht allzuviel ändern. Denn die Rechtsprechung hat hier bereits Wege gewiesen, die nicht verlassen werden sollten. Danach setzt Mißbrauch eine erhebliche Verschlechterung der Wettbewerbs- und Marktstruktur voraus. Darauf hat das Kammergericht bereits in mehreren Entscheidungen hingewiesen. Es wäre auch eine Fehlspekulation, wenn von der neuen Definition des Ausbeutungsmißbrauchs eine intensive Preiskontrolle erwartet würde. Die zwei bisherigen Verfahren des Kartellamts sind nicht am Mißbrauchsbegriff gescheitert, sondern wegen der Feststellung hinreichenden Wettbewerbs und, im anderen Fall, mangels wettbewerblicher Vergleichsmärkte im Ausland, die niedrigere Preise aufgewieDr. Waigel
sen hätten. Ich warne in diesem Bereich vor zu hohen oder falschen Erwartungen. Denn man hat gerade im letzten Sommer, als es um Preiserhöhungen im Benzinbereich ging, gemeint, man könne alle diese Probleme mit einer neuen Kartellrechtsgesetzgebung in den Griff bekommen. Ich warne davor, denn das Instrumentarium des Kartellrechts kann eine aktive Wettbewerbspolitik nicht ersetzen.
({1})
Der § 22 Abs. 4 konkretisiert drei Mißbrauchstatbestände. Die erste Nummer dient dem Schutz des Wettbewerbs vor Behinderungen. Das ist sicher ein besonders wichtiges Anliegen des Kartellrechts. Hierdurch soll aber der im Interesse des Verbrauchers liegende technische und wirtschaftliche Fortschritt nicht beeinträchtigt werden. Deshalb bleibt echter Leistungswettbewerb auch dann zulässig, wenn es zu einer Verstärkung marktbeherrschender Positionen kommt. Sachlich ungerechtfertigt und damit mißbräuchlich kann es andererseits z. B. sein, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen durch vorübergehende Angebotsverbesserungen planmäßig Wettbewerber verdrängt.
Die zweite Nummer gilt dem Ausbeutungswettbewerb. Das Abweichen von Entgelten oder Geschäftsbedingungen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, ist danach mißbräuchlich. Den Schwierigkeiten des Vergleichsmarktkonzepts trägt das Erfordernis der hohen Wahrscheinlichkeit, wie es im Gesetzentwurf vorgesehen ist, Rechnung. Es bringt nämlich zum Ausdruck, daß nur spürbare Abweichungen - so ist es im Bericht vermerkt - mißbräuchlich sind.
Auch die dritte Nummer soll die Bekämpfung des Ausbeutungswettbewerbs effizienter gestalten, und zwar durch eine präzisere Erfassung der unzulässigen Preisspaltung. Dies wird sich vor allem auf die unterschiedlichen Preisstellungen im Inland auswirken. Da die Verhältnisse auf ausländischen Märkten in der Regel mit denen deutscher Märkte nicht vergleichbar sind, ist eine Beeinträchtigung der auf Exportmärkten erforderlichen Flexibilität nicht zu befürchten.
Auch zu diesen drei Tatbeständen möchte ich sagen, daß ein besseres Mittel zur Sicherung wettbewerbsgemäßer Preise als die direkte Preiskontrolle die Offenhaltung der Märkte für neue Unternehmen, für Importe und für Substitutionsprodukte ist, d. h. eine mittelbare Steuerung des Preises durch direkte wettbewerbliche Elemente.
Wir hatten auch die Frage zu beraten, ob der Suspensiveffekt der Beschwerde im Bereich der Sanktionslücke aufgehoben wird. Dagegen wurden erhebliche rechtsstaatliche und verfassungsrechtliche Bedenken im Ausschuß und in der Rechtswissenschaft geäußert. Deswegen wurde auf die sofortige Vollziehbarkeit von Mißbrauchsverfügungen verzichtet und diese beabsichtigte Regelung fallengelassen. Auch die vom Bundesrat in die Diskussion eingebrachte Idee der Verbandsklage fand keine hinreichende Befürwortung.
Alle Fraktionen, die Vertreter der Wissenschaft und die Verbände der Wirtschaft stimmten in der
Zielsetzung überein, den Tendenzen zur Vermachtung mittelständisch strukturierter Märkte zu begegnen. Ungeachtet dieser Einigkeit in der Zielsetzung gab und gibt es ordnungspolitische Bedenken gegen die Konstruktion der Vermutungstatbestände des neuen § 23 a.
Angesichts der Problematik marktübergreifender Zusammenschlüsse bei vertikalen und konglomeratén Fusionen und der damit verbundenen strukturellen Benachteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen stimmte die CDU/CSU diesen Bestimmungen zu, nachdem akzeptable Größenordnungen gefunden waren.
Wirtschaftsausschuß und Rechtsausschuß sind sich darin einig, daß es sich bei den Tatbeständen des § 23 a Abs. 1 um Aufgreiftatbestände und nicht um Vermutungen in zivilrechtlichem Sinne handelt. Auf die Feststellung, die bei der letzten Kartellgesetznovellierung hier bereits getroffen wurde, wollen wir nochmals ausdrücklich hinweisen.
Bei der Konstruktion des Oligopol-Tatbestandes - § 23 a Abs. 2 - bestand die CDU/CSU auf der rechtssytematisch vorzuziehenden und wettbewerbsgerechteren Umwandlung einer Fiktion in einen widerlegbaren Vermutungstatbestand mit entsprechenden Bagatellgrenzen.
Ein wohl für alle Fraktionen sehr schwieriges Thema war der Ausnahmebereich der Versorgungswirtschaft. Unbefriedigend bleibt für die CDU/CSU die Regelung in diesem Ausnahmebereich der Versorgungswirtschaft. Der Regierungsentwurf sah bei der Neuregelung des Ausnahmebereichs der Versorgungswirtschaft nur eine Konkretisierung des Mißbrauchsbegriffs in Form eines Ka- talogs einzelner Mißbrauchsfälle vor. Im Laufe der Beratungen sind nun gewichtige und begründete Vorschläge von den Bundesländern, vor allem von Niedersachsen und Bayern, und seitens des Bundeswirtschaftsministeriums in die Diskussion eingeführt worden. Leider - wir bedauern dies - hat sich der Bundeswirtschaftsminister innerhalb der Koalition sowohl bei der Gestaltung des Durchleitungstatbestandes wie bei der Einbeziehung der Konzessionsverträge in die Befristung nicht durchsetzen können. Es bleibt bei einer sehr behutsamen Einführung von zusätzlichen Wettbewerbselementen in diesem Monopolbereich. Immerhin ist es wenigstens gelungen, durch die Gesetzesberatung die schwierigen Verhandlungen zwischen der Elektritätswirtschaft und der Industrie über die stromwirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Elektrizitätsversorgung und der industriellen Kraftwirtschaft zu beschleunigen und zu einem Abschluß zu bringen.
({2})
Wenn es die Beratung nicht gegeben hätte, fürchte ich, wäre es dort nicht zur Einigung gekommen. Also wenigstens ein indirekter Erfolg auf diesem schwierigen Feld.
({3})
Ein gemeinsamer Entschließungsantrag aller Fraktionen soll dafür sorgen, daß die Frage des
Wettbewerbs in der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft weiter überlegt wird. Dabei soll die Frage eingehend geprüft werden, wie durch Änderungen der kartellgesetzlichen Regelungen der Wettbewerb in der Energieversorgung verstärkt werden kann, ohne die Sicherheit und Preiswürdigkeit der Energieversorgung zu gefährden.
Wir bedauern es, daß der begründeten Forderung der meisten Bundesländer - auch aus dem SPD-Bereich - nach Schaffung eines selbständigen Adhoc-Aufhebungstatbestandes nicht Rechnung getragen wurde. Immerhin ist es durch die Bemühungen der Union wenigstens gelungen, eine Angleichung der Fristen für Alt- und Neuverträge zu erreichen. Wir sind uns insgesamt einig, daß eine kleine Änderung des bisher vorliegenden Gesetzentwurfs erfolgt, nachdem alle Bundesländer dies wünschen. Das ist der Inhalt des Antrags auf Drucksache 8/3706.
Nach den Beratungen, die die Beteiligten ziemlich viel Zeit und Mühe gekostet haben, brauchen wir jetzt endlich Ruhe an der Kartellfront. Wettbewerbspolitik muß als Teil der Ordnungspolitik auf Beständigkeit, also langfristig angelegt sein. Es kann unserer Wettbewerbsordnung nicht förderlich sein, wenn in jeder Legislaturperiode der Versuch angestellt wird, aufkommende Wettbewerbsfragen mit Hilfe des Gesetzgebers zu regeln, ohne eine Lösung durch die Praxis abzuwarten. Die Bedenken, das Kartellrecht werde immer komplizierter und die staatliche Reglementierung des Wirtschaftsgeschehens immer stärker, sind ernst zu nehmen. Eine permanente Novellierung des GWB würde nicht nur zu einer Überforderung des Wrtschaftsausschusses, sondern nur zu mehr Dirigismus führen.
({4})
- Herr Kollege Reuschenbach, das Interesse der meisten Mitglieder des Wirtschaftsausschusses an der Beratung der Kartellnovelle stand am Schluß im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Lautstärke Ihres gegenwärtigen Zwischenrufs, wenn ich das einmal so vermerken darf.
({5})
Der ehemalige Chefpräsident und Vorsitzende des Kartellsenats im Bundesgerichtshof, Dr. Robert Fischer, hat in einem kartellrechtlichen Seminar folgendes festgestellt:
Das GWB ist kein Gesetz mehr, sondern ein Roman. Paragraphen, die sich über drei Buchseiten hinziehen, sind nicht mehr justiziabel, und der aus politischen Kompromissen geborene Inhalt der Vorschriften erschwert die Rechtsanwendung.
Er sagt weiter:
Die Rechtsklärung durch die Gerichte wird durch die laufende Novellierung des GWB überholt.
Auch Professor Säcker hat in der nichtöffentlichen Anhörung zu den Problemen eines Richters bei der anschließenden Rechtsanwendung nach der Novellierung erklärt:
Ein Zeitraum von mindestens sechs bis acht Jahren wäre nötig, um die neu eintretende Rechtsunsicherheit wirklich zu beseitigen.
Es ist daher Zeit, Ruhe an der Kartellfront einkehren zu lassen, damit Praxis und Rechtsprechung diese und die letzte Novellierung des Wettbewerbsgesetzes verkraften können. In ähnlichem Sinne haben sich ja bereits bei der letzten Novellierung der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Dr. Ehrenberg, und seitens der FDP Graf Lambsdorff ausgesprochen.
Natürlich wäre es nun reizvoll, die Entwicklung der internationalen Wettbewerbspolitik, vor allen Dingen im EG-Bereich, aber auch im UNO-Bereich oder auf der UNCTAD-Konferenz darzustellen. Ich will es nur ganz kurz tun. Die deutsche Wettbewerbspolitik kann nicht daran vorbeigehen, wie im Ausland die Probleme der Wettbewerbsaufsicht gelöst werden, weil sich sonst Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Handel nur noch vergrößern. Eine nationale Wettbewerbspolitik muß zwangsläufig in eine Konfliktsituation geraten, wenn zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt die Eingriffsinstrumente verschärft werden, dies aber nicht mit einer Fortentwicklung der internationalen Wettbewerbsordnung einhergeht. Insofern wäre es notwendig, eine europäische Fusionskontrolle in gleicher Weise anzustreben, wie dies für die Kartellaufsicht seit mehr als 20 Jahren gilt.
({6})
Es ist zu bedauern, daß die Bundesregierung die Forderung nach einer europäischen Konzentrationsaufsicht nicht mit dem nötigen Nachdruck vertritt, wie dies das Parlament schon einige Male ausgesprochen hat.
({7})
An welche Grenzen hier überhaupt Wettbewerbspolitik stößt, zeigt auch die Praxis der EG-Kommission. Die verliert sich nämlich in kartellrechtlichen Einzelfallbeurteilungen und schafft sich ein von ihr nicht mehr zu bewältigendes Massenproblem bei den angemeldeten Verträgen.
Nebulos und ungeklärt ist auch die Koordinierung der Wettbewerbspolitik mit den übrigen Gemeinschaftspolitiken. Vielleicht wäre das ein Feld, um das wir uns in der Zukunft verstärkt bemühen sollten.
Völlig vernachlässigt wurde bis jetzt auch die wettbewerbspolitische Gleichbehandlung von privater Wirtschaft und öffentlichen Unternehmen, obwohl auf letztere das Kartellrecht in gleichem Maße anwendbar ist. Auch hier geht es darum, sich in der EG diesem Problem zu widmen.
Eine ähnliche Problematik stellt sich im Rahmen der UN und der UNCTAD bei den dortigen Verhandlungen über eine internationale Wettbewerbskontrolle. Während die nicht marktwirtschaftlich orientierten Staaten - ich denke an die Staatshandelsländer, aber auch an die Entwicklungsländer - für sich selbst eine WettbewerbskonDr. Waigel
trolle ablehnen, sollen sich die Industrieländer rigiden Kontrollen unterwerfen. Auch das kann in dieser Form nicht akzeptiert werden.
Meine Damen und Herren, so wichtig wettbewerbsrechtliche Regelungen sind, entscheidend für das Funktionieren des Wettbewerbs schlechthin ist eine auf die Stärkung des Wettbewerbs ausgerichtete positive Wirtschaftspolitik.
({8})
Entscheidend für die Zukunft kleiner und mittlerer Unternehmen ist eine nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen, insbesondere der finanziellen Rahmenbedingungen. Das Wettbewerbsrecht kann kein Ersatz für eine aktive Mittelstandspolitik sein, sondern hier bedarf es eines Bündels von konkreten Maßnahmen gerade zur Verbesserung der Chancengleichheit für kleine und mittlere Unternehmen.
Ich will das nur ganz kurz darstellen. Es geht um die Entlastung der mittelständischen Wirtschaft, vor allen Dingen im steuerlichen Bereich, um die Verbesserung der Kapitalausstattung der Unternehmen und um den Abbau einseitiger Vorteile für Großbetriebe, z. B. bei Sanierungen, in der Forschungs- und Technologieförderung und in der staatlichen Auftragsvergabepolitik. Diesem Zweck dient insbesondere der weitere Ausbau der indirekten Forschungsförderung.
Die Bundesregierung sollte sich den letzten Bericht des Kartellamts mehr zu Herzen nehmen, in dem festgestellt wird, daß gerade durch die staatliche Technologieförderung und Auftragsvergabepolitik sowie durch die Sanierungsmaßnahmen des Staates die großen Unternehmen eindeutig bevorzugt werden. Das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium über staatliche Interventionen in einer Marktwirtschaft gibt hierfür genügend Anhaltspunkte.
Es geht weiter um die Erleichterung des Marktzutritts durch ein unkompliziertes Existenzgründungsprogramm, so wie es die CDU/CSU vorgelegt hat, um die Förderung der zwischenbetrieblichen Kooperation und - ein Thema, das uns immer wieder bewegt - um den Abbau des Übermaßes an bürokratischer Reglementierung und Inanspruchnahme der Unternehmen - das ist vor allen Dingen wichtig für die kleinen und mittleren Unternehmen - für unbezahlte Hilfearbeiten für den Staat. Es geht um den Abbau ausbildungshemmender Gesetzesvorschriften für das Handwerk und um die Förderung der betrieblichen Vermögensbildung, die von der Koalition sträflich vernachlässigt wird; sie ist heute noch nicht in der Lage, ein vernünftiges und verabschiedungsreifes Konzept hierfür vorzulegen.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiß, den wir mittragen und dem wir zustimmen. Es handelt sich um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz, dessen abschließende Behandlung nach der Beratung hier im Bundesrat erfolgt. Es entspricht dem selbstverständlichen Respekt vor einem anderen Verfassungsorgan,
wenn niemand hier dieser Entscheidung des Bundesrates vorgreifen kann und will. Der Bundesrat war bisher - mit Ausnahme der ersten Lesung, wo aber ein Teil der Vorschläge, die jetzt zur Debatte stehen, noch gar nicht enthalten waren - nur indirekt an der Willensbildung zu diesem Gesetzgebungsvorhaben beteiligt. Es ist sein souveränes Recht, sich nunmehr aus seiner Sicht eingehend und umfassend mit dieser Novelle abschließend zu befassen. Es wäre unklug und töricht, die Meinungsbildung im Bundesrat durch irgendwelche Äußerungen präjudizieren zu wollen. Wenn ich gefragt werde, ob ich ein solches Vermittlungsbegehren ausschließe, dann kann ich das nicht ausschließen, weil es mir nicht zusteht, darüber zu befinden. Es gibt bei uns keine Doppelstrategie. Wir reden hier nicht anders als in einem anderen Gremium. Das, was ich hier zu dieser Novelle sage, sage ich auch anderswo, in der Partei, in der Fraktion, bei den Wirtschaftsministern und bei den Ministerpräsidenten.
({9})
- Sie können sich darauf verlassen, Herr Kollege Haussmann, denn Doppelstrategie gehört nicht zu unseren Strategien; sie ist bei einem anderen Teil angesiedelt, mit dem Sie im Moment noch stärker als mit uns verbunden sind.
({10})
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt diesem Gesetz zu und erbringt ihren Beitrag zur endgültigen Verabschiedung und zum Inkrafttreten dieser neuen kartellrechtlichen Vorschriften.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, die wichtigsten Punkte in 15 Minuten abzuhandeln, obwohl das schwer werden wird; man könnte über das Kartellgesetz sicherlich stundenlang reden. Es ist mittlerweile - vielleicht auf Grund der vielen Novellierungen - auch eine recht komplizierte Materie geworden. Dennoch haben das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und diese Novelle, die wir heute diskutieren, sicherlich für Zigtausende von Unternehmen, ja vielleicht für Millionen von Verbrauchern eine außerordentliche Bedeutung.
Wir haben jetzt die zweite Novellierung in zwei Legislaturperioden hintereinander hinter uns gebracht. Ich meine, wir sind in der Ausgestaltung unseres Wettbewerbsrechts einen guten Schritt vorangekommen, und wir haben damit, so glaube ich, mit das fortschrittlichste Wettbewerbsrecht in der Europäischen Gemeinschaft, ja, ich gehe sogar so weit und behaupte: im Kreise aller Industrienationen, die eine Wettbewerbsordnung haben. Auf Grund dieser Tatsache liegt es auf der Hand - da stimme ich meinem Kollegen Waigel voll und ganz zu -, daß in der nächsten Legislaturperiode sicherlich nicht erneut eine Novellierung des Kartellrechts anstehen wird, wenn nicht plötzlich außerordentliche Fakten auftreten sollten.
Die Novelle war ursprünglich einmal als Reparaturnovelle geplant, aber es ist keine Reparaturnovelle geblieben, denn wir haben im Wirtschaftsausschuß - das ist gar nicht so selbstverständlich - drei entscheidende Neuerungen hinzugepackt. Erstens haben wir den Mißbrauchsbegriff konkretisiert, um marktbeherrschenden Unternehmen besser auf die Finger klopfen zu könnnen. Zweitens haben wir dafür gesorgt, daß das Kartellamt Behinderungen von kleinen Unternehmen durch marktstarke Unternehmen besser aufgreifen kann. Drittens haben wir tendenziell ein wenig mehr Wettbewerb in die Versorgungswirtschaft, insbesondere in die Energiewirtschaft, eingeführt.
Zunächst möchte ich jedoch einige wenige Bemerkungen zum wichtigsten Punkt dieser Novelle machen, nämlich zur Fusionskontrolle. Ich hatte leider das Gefühl, daß sich Opposition und Koalition hier nur schwer zusammengerauft haben und daß die CDU/CSU mitunter doch zu stark den Wünschen der Großindustrie gefolgt ist. Wir hatten vor allem die Interessen der kleinen und der mittleren Unternehmen im Auge.
({0})
Wichtig für diese kleinen und mittleren Unternehmen war es eben, daß wir dafür sorgen, daß Größtfusionen in Zukunft möglichst unterbunden werden. Wichtig für diese kleinen und mittleren Unternehmen war es, daß wir dafür sorgen, daß Großunternehmen nicht mehr auf mittelständisch strukturierte Märkten vordringen können, und wichtig war es z. B. auch, daß wir das unkontrollierte Aufkaufen von kleineren Unternehmen durch große Konzerne unterbinden.
({1})
Ich sage hier für meine Fraktion ganz ehrlich, daß es offensichtlich war: Eigentlich hätten wir die Fusionskontrolle ein wenig vor dem Marktbeherrschungsbegriff zum Zuge bringen müssen; denn wenn wir erst einmal marktbeherrschende Unternehmen haben, ist das Kind quasi in den Brunnen gefallen, und eigentlich müßte diese Kontrolle, damit wir wettbewerblich strukturierte Märkte erhalten, vorher einsetzen. Die SPD ist bei ihrem alten Grundsatz eben geblieben: Wettbewerb so weit wie möglich, aber dann, wenn es nicht mehr geht, muß eine staatliche Kontrolle herhalten. Diesem Leitgedanken sind wir auch bei dieser vierten Novelle zum Grundgesetz der Wirtschaft treu geblieben.
Im übrigen glaube ich, daß wir uns einmal überlegen müssen, wo denn die Ursachen der Konzentrationsentwicklung wirklich liegen. Wir haben Kartelle jetzt ganz zweifellos in den Griff bekommen, und wir haben eine Möglichkeit geschaffen, Fusionen zu eliminieren. Aber es gibt noch immer eine Fülle von Gesetzesvorhaben, die durchaus konzentrationsfördernd sind, obwohl wir auf diesem Gebiet in der letzten Zeit manches in Bewegung gebracht und manche Regelung geschaffen haben, die den Kleinen zugute kommt, so daß die Konzentration durch globale Gesetzesmaßnahmen nicht mehr so stark vorangetrieben wird. Aber ein wichtiger Punkt ist für mich und meine Fraktion z. B., daß es uns gelingt, die Bemessungsgrundlage für die Rentenversicherungsbeiträge von der Lohn- und Gehaltssumme abzukoppeln und sie an einen Wertschöpfungsbegriff anzukoppeln. Das würde auch die Kleinunternehmen entscheidend entlasten und damit eine wesentliche Ursache der Konzentration beseitigen, wie mir scheint.
Wichtig war für uns - Herr Dr. Waigel, Sie hatten das gesagt - die Konkretisierung des Mißbrauchsbegriffs. Wir sind sehr froh, daß diese Konkretisierung auch von Ihnen - dafür danken wir Ihnen - mitgetragen wurde. Insbesondere ist es wichtig, daß wir endlich einmal den Als-ob-Wettbewerbsbegriff im Gesetz fixiert haben. Dabei ist natürlich der Vergleich mit wettbewerblich strukturierten Märkten ein wichtiger Maßstab, aber nur einer. Hierbei sind insbesondere - so heißt es im Text - die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen, selbstverständlich aber auch andere Verhaltensweisen, das liegt auf der Hand und das geht eigentlich auch aus dem Text hervor.
Ich möchte das Amt ermutigen, nachdem wir diese Novellierung auf diesem Felde vorangetrieben haben, daß es jetzt auch von den neuen Vorschriften wieder Gebrauch macht und versucht, sie anzuwenden, damit wir Erfahrungen sammeln und notfalls eklatanten Mißbrauch in Zukunft besser abstellen können. Für uns ist die sofortige Vollziehbarkeit nicht etwa fallengelassen worden, weil wir rechtspolitische Bedenken hatten, wenigstens nicht sosehr, sondern weil die sofortige Vollziehbarkeit schon jetzt möglich ist. Wenn das Kartellamt zum Kammergericht geht, kann dieses eine sofortige Vollziehbarkeit anordnen. Vor allem deshalb konnten wir auf diese Novellierungsmaßnahme verzichten.
Ich sage hier aber ganz ehrlich, multinationalen Unternehmen können wir auch mit dieser Novellierung nicht besser als bisher auf die Finger klopfen; denn wir müssen einfach die Verrechnungspreise akzeptieren, die den deutschen Töchtern quasi von den Müttern vorgegeben werden.
Ganz wichtig . jedoch ist für mich 'und für meine Partei, daß marktbeherrschende Unternehmen nach den geltenden Bestimmungen des Gesetzes scharf kontrolliert werden. Eine scharfe Kontrolle marktbeherrschender Unternehmen ist deshalb wichtig, weil hier eine verhältnismäßig wichtige Quelle von Preissteigerungen liegt und damit auch eine Quelle für die weiter voranschreitende Konzentration.
Ein Wort noch zu den unverbindlichen Preisempfehlungen. Die Mehrheit des Wirtschaftausschusses hält es noch für verfrüht - so steht es in unserem Bericht -, über die unverbindlichen Preisempfehlungen abschließend zu beraten. Die Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über dieses Institut war notwendig, aber auch eben kein ermutigendes Zeichen für seine Zukunft. Die Händlerpreisempfehlungen - unter der Ladentheke gewissermaßen - tragen eben nicht zur Transparenz für die Verbraucher bei, sie bewirken eher das Gegenteil.
Wichtig war für uns außerdem, daß es uns geglückt ist, die Behinderungen der Marktstarken gegenüber Kleinen ein bißchen in den Griff zu bekommen. Die Spitzenverbände der Wirtschaft sind meines Erachtens ein bißchen zu spät mit Änderungsvorstellungen gekommen. Dem konnten wir einfach nicht folgen, wenn wir im Wirtschaftsausschuß nicht hätten unser Gesicht verlieren wollen.
Noch ein letztes Wort zu den Ausnahmebereichen. Hier ist ein erster Einbruch in geheiligte Privilegien der Energiewirtschaft erzielt. Das ist ganz zweifellos ein Kompromiß zwischen widerstreitenden Interessen. Einerseits waren die unbestreitbaren technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft zu berücksichtigen, andererseits haben Verbraucher und Abnehmer ebenfalls ein Anrecht auf preiswürdige Versorgung, und das heißt, auf technischen Fortschritt und Rationalisierungsentwicklungen. Die Erfahrung zeigt: Die staatliche Kontrolle, die es in diesem Bereich ja gibt, nämlich durch die Wirtschaftminister der Länder, hat im Grunde versagt. Die beste Kontrolle, um Mißbrauch in den Griff zu bekommen, ist noch immer, wie mir scheint, der Wettbewerb.
({2})
Ich hoffe, daß der Vermittlungsausschuß nicht angerufen wird; denn wir' haben die Kompromisse im Hinblick darauf geschlossen, daß wir den Vermittlungsausschuß umgehen wollten. Das Gesetz ist, so wie es ist, festgezurrt. Ich meine, es kann nicht mehr daran herumgerüttelt werden. Insbesondere glaube ich auch, daß der § 103 vielleicht dem Land Niedersachsen nicht so ganz paßt, aber dem Lande Schleswig-Holstein wird er in der Novellierung möglicherweise schon zu weit gehen.
Ich komme zum Schluß. Während bei der großen Novelle 1973 mehr Rücksicht auf die Wünsche der Großwirtschaft genommen wurde und die Innovationsfunktion des Wettbewerbs im Vordergrund stand, hat diesmal - was ich sehr begrüße - wieder die Idee die Oberhand gehabt, daß Wettbewerb eben durchaus auch eine Machtbegrenzungsfunktion hat. Kleine Unternehmen - so hat noch gerade vor kurzem die EG-Kommission festgestellt - sind zum Teil leistungsfähiger und effizienter als große Unternehmen. Deshalb kann man nur sagen: Das Kartellamt soll die Großunternehmen nach dem geltenden Gesetz ruhig scharf kontrollieren, aber es soll gegenüber dem Kleinunternehmen durchaus einmal einige gerade sein lassen und hier nicht so scharf zupacken. Sich gegenüber den Großen scharf zu benehmen ist eben sehr schwer, aber gegenüber den Kleinen ist das keine Heldentat.
({3})
Daß der Wettbewerb keine wirksame Lobby hat - vielleicht mit Ausnahme der Gewerkschaften und der Verbraucherverbände -, wissen wir mittlerweile.
({4})
Leider ist der Einfluß der Verbände in der Wirtschaft - so scheint es mir wenigstens - immer noch viel zu groß; denn die Verbände haben im Grunde kein besonderes Interesse am Wettbewerb,
- bestenfalls am Wettbewerb bei anderen! Jeder sieht ein Problem eben aus seiner Sicht, und die individualistische Betrachtungsweise macht sich offenbar - vielleicht auch auf Grund unserer geltenden Wirtschaftsordnung und der geltenden Prinzipien - immer mehr bemerkbar. Was wir brauchen
- das stammt nun nicht von mir -, ist eben ein starker Staat, der die Wettbewerbspolitik konsequent und rational betreibt, gegen alle individualistischen Interessen.
({5})
Wir sind mit der letzten Novellierung - so meine ich - ein gutes Stück vorangekommen.
Erlauben Sie mir noch, bei dieser Gelegenheit - da ich sehe, daß der Bundeswirtschaftsminister, Graf Lambsdorff, nicht da ist - ihm auf alle Fälle zu sagen, daß er entscheidend mit dazu beigetragen hat, daß diese Novelle zustande gekommen ist. Wir wünschen ihm von dieser Stelle aus gute und schnelle Besserung.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stärkung des Wettbewerbs war immer Credo liberaler Wirtschaftspolitik. Die FDP-Fraktion hat daher diese Novelle, die bestehende Lücken des geltenden Rechtes schließen und aufgetretene Schwächen beseitigen soll, von Anfang an mit großem Nachdruck gefördert. Wir sehen mit großer Befriedigung, daß am Ende dieser langen, aber sachlichen Debatte um eine Verbesserung unseres wettbewerbspolitischen Instrumentariums eine Übereinkunft aller drei Fraktionen steht, die eine klare Entscheidung zugunsten des Wettbewerbs und damit zum Nutzen der Verbraucher erkennen läßt. Wir gehen davon aus, daß auch das Drohen mit einem Vermittlungsverfahren daran nichts ändern wird.
Die Freien Demokraten bedanken sich für die guten Wünsche zum weiteren Genesen unseres Wirtschaftsministers.
Wir hoffen, daß die Abwesenheit des Ausschußvorsitzenden Professor Biedenkopf kein schlechtes Omen für das weitere Verfahren in bezug auf unser Kartellrecht ist.
({0})
- Herr Waigel, das will ich hier ausdrücklich würdigen. Ich hoffe, daß Ihr Wirken und das unseres Ausschußvorsitzenden die Länder von weiteren Verwässerungen dieses wichtigen Gesetzes abhalten werden.
({1})
Wir glauben, das von allen drei Fraktionen erzielte Ergebnis ist um so erfreulicher, als die Verbesserung des Wettbewerbsrechts keineswegs unter sehr günstigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen steht. Es ist doch so, daß eine Änderung des Kartellrechts in wirtschaftlichen Schönwetterperioden allemal leichter zu bewerkstelligen ist. Bei rauhem Wirtschaftsklima sind die Dinge schwieriger. Geringere Wachstumsraten, tiefgehende Änderungen in den Branchenstrukturen, weltweite Anpassungsprobleme infolge der Entwicklungen im Energiebereich, all dies erhöht den Druck auf Vermachtung der Märkte und fördert das Risiko des Protektionismus.
Hinzu kommt oft - leider auch in unserer Diskussion - ein übersteigertes Sicherheitsdenken, das im Wettbewerb häufig nur noch einen Störfaktor sieht, der Investitionen, Arbeitsplätze und die Versorgungssicherheit bedrohe. Mit fortschreitender Unternehmenskonzentration und zunehmenden Strukturproblemen wächst einerseits zwar die Notwendigkeit eines funktionsfähigen Wettbewerbs, um Strukturwandel zu bewältigen; andererseits jedoch vermindern sich die Chancen zur Durchsetzung einer Wettbewerbspolitik, die auf offene Märkte und ausgewogene Wettbewerbsstrukturen ausgerichtet ist.
Bereits bei der ersten Lesung dieses Gesetzes habe ich unterstrichen, daß die Gegner dieser Novelle ihre Argumentation nicht würden durchhalten können. Es ist, glaube ich, legitim, heute daran zu erinnern, daß wir noch bei der ersten Lesung davon ausgehen mußten, daß die CDU-regierten Bundesländer, insbesondere auch mein Land Baden-Württemberg, auf Streichung aller Vermutungstatbestände im Fusionskontrollbereich bestanden haben. Dies war meines Erachtens damals eine wettbewerbspolitische Position, die gerade in einem Land wie Baden-Württemberg, wo der Mittelstand sehr stark vertreten ist, unvorstellbar war.
({2})
Um so wichtiger ist es, daß in einem langen Überzeugungsprozeß der Koalition und der Kollegen Waigel und Biedenkopf diese Bundesländer davon überzeugt werden konnten, daß dieses Kartellgesetz seinen Namen nicht verdienen würde, wenn wir nicht wesentliche Verbesserungen im Fusionskontrollbereich erreichen könnten.
Bei aller Übereinstimmung im Grundsätzlichen haben wir jedoch den Eindruck, daß in Kreisen der Union immer noch eine gewisse Angst vor der eigenen Courage spürbar ist. Herr Waigel hat gestern im „Handelsblatt" erklärt, daß ein Vermittlungsverfahren nicht mehr ausgeschlossen werden könne; dies wäre in der Tat ein gewaltiger Schritt zurück. Herr Waigel versuchte, dies mit weiteren Verbesserungen der Novelle zu begründen. Wir können vor einer weiteren Komplizierung und Verwässerung dieses wichtigen Gesetzes nur warnen. Wir würden dies nicht mitmachen, wenn die CDU/ CSU wiederum ihre alten Bedenken gegen die wichtigen neuen Vermutungstatbestände bei der Fusionskontrolle, wie es angeklungen ist, erneuern
würde. Wir glauben, daß dahinter keinesfalls begründbare ordnungspolitische Bedenken stehen. Vielmehr ist man in Teilen der Union nicht wie bei den Freien Demokraten bereit, den kleinen und mittleren Unternehmen einen angemessenen Spielraum gegenüber der Macht der Großunternehmen zu erkämpfen und zu verteidigen.
({3})
- Das ist der dritte Teil, auf den ich gerne noch zu sprechen komme; ich bleibe im Zusammenhang.
({4})
Aber es war schon mühsam, bei der Anschlußklausel zunächst von 50 Millionen DM auf 20, dann auf 10 und jetzt auf 4 Millionen DM zu kommen.
Wir mußten hier sicher nicht auf Grund eigentumsrechtlicher Bedenken Kompromisse schließen, sondern es war der Wunsch der Großunternehmen, ihre liquiden Mittel in vielen Bereichen anlegen zu können.
({5})
Wir glauben, daß dies mittelständische Märkte auf die Dauer kaputtmacht.
Wir Freien Demokraten geben uns keinesfalls der Illusion hin, man brauche nur mit dem Knüppel der Fusionskontrolle zu drohen, um damit die gesamte Konzentrationsproblematik zu erledigen. Andererseits wäre es wettbewerbspolitisch auch unvertretbar, wenn die Kartellbehörde - wie bisher in der Anschlußklausel - gleichsam in Habachtstellung zusehen müßte, wie Großunternehmen Stück um Stück ganze mittelständische Märkte aufzurollen beginnen, indem sie durch Einsatz ihrer überlegenen Finanz- und Marktmacht diese kleinen, an sich leistungsfähigen und sehr innovativen Unternehmen nach und nach entmutigen und schließlich aufkaufen.
Daher ist es wichtig, daß die sogenannte Anschlußklausel von bisher 50 Millionen DM Umsatz nun auf 4 Millionen DM herabgesetzt wurde. Dem ging ein langes Ringen innerhalb der Parteien und Fraktionen voraus. Es geht hierbei wohlgemerkt, Herr Waigel, nicht um die Errichtung von Schutzzäunen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen, sondern es geht nur um einen Nachteilsausgleich, der dazu beiträgt, den anpassungsfähigen mittleren Unternehmen im Wettbewerb überhaupt noch eine Chance einzuräumen. Dies ist zum einen im Interesse der Verbraucher, da diese Kleinunternehmen ihnen ein breites und flexibles Angebot an Gütern und Dienstleistungen garantieren können. Zum anderen - ich glaube, dies geht viel zu häufig unter - ist dies auch und gerade im Interesse des weitaus größten Teils der Arbeitnehmer in unserem Lande, deren Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes ohne eine Vielzahl von mitteständischen Unternehmen nicht garantiert werden könnte.
Ich weiß - Herr Waigel hat das angesprochen -, daß gerade die Diskussion um die Anschlußklausel viele Emotionen geweckt hat. Dies lag sicher auch
daran, daß die Regelung von Kritikern fälschlicherweise als Fusionsverbot interpretiert worden ist, ein Etikett, das übrigens auch den neuen sogenannten Ressourcenvermutungen in der Fusionskontrolle zu Unrecht angeheftet wurde. In Wirklichkeit handelt es sich hier doch lediglich um Eingriffskriterien für die Fusionskontrolle, die ja nur dann zur Untersagung führen kann, wenn im Einzelfall wirklich marktbeherrschende Positionen entstehen oder weiter verstärkt werden. Die mittelständische Wirtschaft behält also genügend Spielraum bei der Verwertung ihres Firmenvermögens, vor allem auch dann, wenn sie in Zukunft nicht immer nur dem allergrößten Kaufinteressenten den Zuschlag geben will. Wer jedoch den Vermachtungstendenzen auf mittelständischen Märkten entschlossen entgegenwirken will, der kommt eben nicht umhin, bei der Interessenabwägung das wichtige Interesse dessen, der weitermachen will, höher zu bewerten als die finanziellen Belange der anderen, die aufgeben wollen oder müssen.
Ebenso wichtig sind für die Freien Demokraten Verbesserungen im Verfahren der Ministererlaubnis. Wir meinen, daß die jetzt zwingend vorgesehene Anhörung der Monopolkommission und die Streitwertbegrenzung, die die gerichtliche Überprüfung, insbesondere auch von Ministerentscheidungen, erleichtern soll, wichtige Fortschritte sind. Sie tragen neben publizistischer Erweiterung vor allem dazu bei, daß der Stimme des Wettbewerbs im Ministerverfahren mehr Gehör verschafft werden kann.
Ein dritter wichtiger Punkt ist für uns der Bereich des sogenannten Leistungswettbewerbs; denn angesichts des scharfen Wettbewerbs, der insbesondere den Bereich des Handels kennzeichnet, ist es verständlich, daß Verzerrungen des Wettbewerbs, die aus leistungswidrigen Praktiken bestehen, verstärkt diskutiert werden mußten. Bei allem Verständnis für die Bestrebungen, hier zu wettbewerbspolitisch vernünftigen Lösungen zu kommen, ist es verblüffend, festzustellen, daß sich in diesem Bereich vor allem diejenigen durch besonderen Eifer ausgezeichnet haben, die nach einer Ausweitung kartellbehördlicher Dauerkontrollen rufen. Wir lehnen nach wie vor Formen wettbewerblicher Verhaltenskontrollen ab. Vorschläge, die Behinderungen und Diskriminierungen mit einem allgemeinen, vom Erfordernis der Marktmacht losgelösten Verbot begegnen wollen, wie es auf besagtem CSU-Wettbewerbskongreß damals gefordert wurde, würden die fundamentalen Grenzen zwischen wettbewerbswidriger Diskriminierung auf der einen Seite und wettbewerbskonformer Differenzierung auf der anderen Seite nach Auffassung meiner Fraktion verwischen und wären daher wettbewerbspolitisch nicht mehr tolerabel.
Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß bei der schwierigen Gratwanderung zwischen der unerläßlichen wettbewerbsrechtlichen Mißbrauchskontrolle und der Gewährleistung des erforderlichen Freiraums für den Wettbewerb mit der Schaffung des neuen § 37 a Abs. 3 mit Hilfe der Opposition eine Lösung erreicht werden konnte, die die Machtschwelle im sogenannten Horizontalverhältnis zwischen den verschiedenen Handelsformen marktstarker und insbesonderer kleiner und mittlerer Unternehmen absenkt, ohne jedoch den Machtbezug aufzugeben. Damit hat es auch in dieser überaus schwierigen Abwägungsfrage, wo wir auch durch die Wissenschaft sehr gut beraten wurden, keine Abkehr von der bisherigen liberalen Linie des Wettbewerbsrechts gegeben.
Meine Damen und Herren, wenn Konzentration und Marktmacht zurückgedrängt werden sollen, ist es mit einer Verschärfung des Wettbewerbsrechts allein nicht getan. Wir Freien Demokraten haben den Zusammenhang zwischen Wettbewerbsrecht und der Gestaltung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen immer klar betont. Wir haben durch eine große Reihe wichtiger mittelstandspolitischer Maßnahmen die Start- und Behauptungschancen kleiner und mittlerer Unternehmen bedeutend erhöht. Ich möchte hier nur an das Existenzgründungsprogramm erinnern. Ich möchte an eine bedeutende Verstärkung der indirekten Forschungsförderung und an gewerbesteuerliche Erleichterungen erinnern, wo wir leider in vielen Gemeinden durch beide Großparteien in den Gemeinderäten noch nicht die Unterstützung bekommen haben, die notwendig wäre, um diese Steuersenkung an kleine und mittlere Unternehmen weiterzugeben.
Es kann daher keine Rede davon sein, daß wir Machtkonzentration lediglich mit Mitteln des Kartellrechts bekämpfen wollen. Die Vierte Kartellgesetznovelle ist nach Auffassung der FDP-Fraktion eine äußerst notwendige und bedeutsame Investition in die Zukunft unserer Wirtschaftsordnung. Bei allen Änderungen der wettbewerbsrechtlichen Details ist die Beständigkeit auf der bisherigen wettbewerbspolitischen Grundlinie entscheidend. Wir appellieren weiter an die Verantwortlichen in der Opposition, diese gemeinsame Grundlinie im weiteren Verfahren zu verteidigen.
({6})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung der Vierten Kartellgesetznovelle markiert eine weitere bedeutsame Etappe auf dem Wege der Fortentwicklung des Rechts gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Ich begrüße dies angesichts der zentralen Bedeutung des Wettbewerbsrechts für die Sicherung der marktwirtschaftlichen Ordnung um so mehr, als nach den intensiven Beratungen über die notwendige Anpassung des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums volles Einvernehmen zwischen allen drei Fraktionen erzielt werden konnte. Dies entspricht nicht nur der guten Tradition des Deutschen Bundestages, grundlegende ordnungs- und wettbewerbspolitische Gesetze gemeinsam zu tragen. Es ist vielmehr zugleich ein ermutigendes Zeichen dafür, daß sich unsere Wettbewerbsordnung trotz aller Herausforderungen und Anfechtungen auf nationaler und internationaler Ebene auch in
den kommenden Jahren auf das solide Fundament des erreichten Grundkonsenses stützen kann.
Dieser Grundkonsens in der Beurteilung ordnungspolitischer Fragen ist im übrigen einer der entscheidenden Beiträge der Politik zur Stabilität und zum Erfolg unserer Wirtschaftsordnung; denn der Zusammenhang zwischen gemeinsamen Grundüberzeugungen im Bundestag mit der Sicherheit, auf deren Grundlage Wirtschaftspolitik betrieben werden kann, ist ein wichtiger Beitrag. Insofern hat die erneute Bestätigung dieses Grundkonsenses eine Bedeutung, die über die wettbewerbsrechtlichen Einzelheiten dieses Gesetzes hinausgeht.
({0})
Sicherlich war, wie auch schon bei früheren Kartellgesetznovellen, der Weg dieser Novelle alles andere als einfach, bei der Kompliziertheit der Materie sicher verständlich. Es wäre auch verfehlt, über dem jetzt einhelligen Ergebnis die Augen vor den Vorbehalten zu verschließen, die immer noch gegen die Berechtigung und Notwendigkeit der Novelle erhoben werden.
Zweifellos, es gibt keine kartellgesetzlichen Patentrezepte. Hohe Erwartungshorizonte beim Wettbewerbsrecht bedeuten ein besonderes ordnungspolitisches Risiko, weil enttäuschte Erwartungen hier fälschlich mit dem Versagen der wettbewerbsrechtlichen Instrumente gleichgesetzt werden und damit auch die Institution Wettbewerb diskreditiert würde.
Falsche Erwartungen sind sicher Wasser auf die Mühle der Systemkriktiker. Nur, die Bundesregierung hat mit der Novellierung und ihrer Vorlage dazu solche Erwartungshorizonte nicht gesetzt. Sie wäre auch bereit gewesen, bei diesem oder jenem Punkt in Kontinuität zur bisherigen wettbewerbspolitischen Grundlinie noch weiterzugehen, als es die jetzt dem Hause vorliegende Ausschußfassung vorsieht. Eine naive Heilslehre, nach der die Probleme der fortschreitenden Unternehmenskonzentration, des Machtmißbrauchs durch Diskriminierungen oder leistungswidrige Praktiken mit einem einzigen „wettbewerbsrechtlichen Kraftakt" zu lösen wären, haben wir dagegen nie vertreten.
Wir sehen auch sehr gut, Herr Kollege Dr. Waigel, wie sehr unser Instrument im internationalen Bereich der Ergänzung bedarf. Wir bemühen uns intensiv um diese internationale Handhabung des Kartellrechts, aber wir müssen auch sagen, daß die wirtschaftlichen Interessengegensätze, die die internationale Szene beherrschen, bisher zwar viele Gespräche, aber noch keinen entscheidenden Durchbruch gebracht haben. Ich glaube, es wäre falsch, hier Kritik zu üben; aber wir sind uns hinsichtlich der außerordentlichen Bedeutung völlig einig, die das internationale Kartellrecht insbesondere hat, um die Glaubwürdigkeit der wirtschaftlichen Notwendigkeit multinationaler Unternehmen auch international sichtbar zu machen, die dadurch gefährdet ist, daß wir in diesem Bereich keine Transparenz haben.
Graf Lambsdorff hat anläßlich der ersten Lesung dieses Gesetzes deutlich unterstrichen, daß die Qualität der Rahmenbedingungen von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Ich bin völlig einer Meinung mit allen Rednern, die das hier betont haben. Ein funktikonsfähiges Wettbewerbsrecht und die Setzung möglichst wettbewerbsorientierter Rahmendaten auf allen Aktionsfeldern der Wirtschaftspolitik schließen sich nicht aus, sondern sie ergänzen sich und bedingen einander. Wettbewerbspolitische Defizite bei der Gestaltung einzelner Rahmenbedingungen rechtfertigen noch lange keine kartellrechtliche Abstinenz wie umgekehrt die Weiterentwicklung des Kartellrechts nie ein Alibi für nicht hinreichend gelöste wettbewerbspolitische Aufgaben der übrigen Wirtschaftspolitik sein könnte.
Wir haben diesen Gesamtzusammenhang stets gesehen. In der Erkenntnis, daß gerade im Interesse der Verbraucher ein leistungsfähiger Mittelstand unverzichtbar ist und ausgewogene Wettbewerbsstrukturen ohne die Existenz kreativer und flexibler mittelständischer Unternehmen undenkbar sind
({1})
- das gilt auch dafür -, hat sich die Bundesregierung auf vielen Feldern, wie ich meine erfolgreich, darum bemüht, die Positionen und Chancen für kleine und mittlere Unternehmen im Wettbewerb zu verbessern.
Nehmen Sie beispielsweise die steuerpolitischen Maßnahmen, etwa die gewerbesteuerlichen Erleichterungen, die erhöhten Investitionszulagen für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen. Denken Sie an das Existenzgründungsprogramm oder die Einbeziehung der Personalkosten für Forschung und Entwicklung in die Forschungsförderung. Alle diese Maßnahmen haben bewußt eine überdurchschnittliche Entlastung im steuerlichen und im Förderungsbereich für kleine und mittlere Unternehmen gebracht, um damit naturgemäß gegebene Nachteile gegenüber größeren Unternehmen auf diese Art und Weise zu mildern. Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß der bedenklichen Machtkonzentration zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmen lediglich mit den Mitteln des Kartellrechts begegnet werden soll.
An dieser Stelle möchte ich auch nicht versäumen, auf den hohen wettbewerbspolitischen Rang der Förderring leistungssteigender Kooperation mittelständischer Unternehmen zur Sicherung ihrer Marktchancen hinzuweisen. Nach den effizienten Kooperationserleichterungen der Novelle von 1973 bedurfte es hier zwar keiner weiteren gesetzlichen Regelung; um so wichtiger ist es aber, daß die Praxis der Kartellbehörden entsprechend der Zielsetzung des Gesetzgebers die leistungsfördernden Kooperationsformen nicht behindert, sondern im Gegenteil in ihrer Entfaltung unterstützt. Ich gehe davon aus, daß das Bundeskartellamt in absehbarer Zeit zur Orientierung der betroffenen Unternehmen hierzu entsprechende Leitsätze formuliert und veröffentlicht.
({2})
Wer in den letzten Jahren das zunehmende Eindringen von Großunternehmen auf mittelständisch strukturierte Märkte verfolgt hat, wo nicht selten geradezu das Risiko eines Ausverkaufs kleiner, an sich leistungsfähiger und darum unbequemer Konkurrenten durch den zum Teil massiven Einsatz der Markt- und Finanzmacht großer Unternehmen am Horizont auftauchte, der wird kaum bestreiten können, daß ein effizientes wettbewerbsrechtliches Instrumentarium für den Ausgleich größenstrukturbedingter Wettbewerbsnachteile, vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen, und die Sicherung der wettbewerblichen Chancengleichheit aller Wettbewerber, ob groß oder klein, unentbehrlich ist. Hier liegt der wettbewerbspolitische Ansatzpunkt dieser Novelle, die die nach den Erfahrungen aufgetretenen Lücken und Schwächen des geltenden Rechts beseitigen soll, um übermäßigen Konzentrationsprozessen und dem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht auch weiterhin Grenzen setzen zu können.
Es ist sicher kennzeichend, mit welchen Schwierigkeiten wir hinsichtlich dieses fusionskontrollfreien Raums für kleine und mittlere Unternehmen und der Absenkung von 50 Millionen auf 4 Millionen zu kämpfen hatten, die ja zunächst mit dem Argument bekämpft worden ist, hier werde kleinen und mittleren Unternehmen das Verkaufen unmöglich gemacht, hier werde in ihre Eigentumsrechte eingegriffen, während es ja in Wahrheit darum ging, derartige Zusammenschlüsse von kleinen und mittleren Unternehmen mit Großunternehmen nicht zu verbieten, aber sie in Zukunft eben auch der Fusionskontrolle zu unterwerfen, um sicherzustellen, daß nicht unbedingt der Finanzstärkste, der Machtstärkste dann auch als Käufer auftritt.
({3})
All diejenigen, die hier von der Einschränkung der Verkaufsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen gesprochen haben, übersehen, daß in der wirtschaftlichen Praxis zwar der erste, der aus einem interessanten mittelständischen Markt heraus verkauft, einen entsprechend hohen Kaufpreis erzielt, daß aber die Verkaufschancen, die Preischancen der anderen gleichzeitig entsprechend reduziert werden. Insofern, meine ich, haben wir derartigen Bedenken mit Recht nicht etwa Rechnung getragen, sondern uns mit unserer besseren Einsicht in die Zusammenhänge durchgesetzt, wofür ich sehr dankbar bin. Herr Kollege Jens, Sie werden das anerkennen, weil es Verbände gibt, die uns in unseren marktwirtschaftlichen Bemühungen mit Nachdruck unterstützen, auch wenn das wehtut, nämlich die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer, die immer - auch in früheren Zeiten - eine klare wettbewerbspolitische Konzeption an den Tag gelegt hat.
({4})
Für die Wettbewerbspolitik sollte entscheidend sein, daß die vorgesehenen - wie ich meine: ausgewogenen und maßvollen - Verbesserungen von der Verwaltungs- und Rechtspraxis konseqent genutzt werden. Deshalb war die Maximierung kartellbehördlicher Befugnisse aus guten Gründen nicht das
Leitmotiv dieser Kartellgesetznovelle. Die Diskussionen zum Thema „Abkoppelung der Fusionskontrolle vom Machtbezug" haben wohl deutlich gemacht, daß die Untersagungsbefugnisse des Bundeskartellamts - im Interesse des Wettbewerbs selbst - mit Augenmaß abgesteckt werden müssen, wenn die Fusionskontrolle nicht in eine unkalkulierbare und gerichtlich nur schwer überprüfbare Branchenkontrolle abgleiten soll. Wettbewerblich ebensowenig vertretbar wäre es gewesen, der Diskriminierungs- und Behinderungsproblematik mit einem allgemeinen, von der Voraussetzung der Marktmacht losgelösten Verbot zu begegnen.
Wettbewerbspolitik kann von der Natur der Sache herr nicht mehr sein als die ständige Suche nach der „Mittellinie" zwischen der unerläßlichen Sicherung des Freiraums für den Wettbewerb und der notwendigen Kontrolle wirtschaftlicher Machtkonzentration und ihres Mißbrauchs. Ein wichtiges Ergebnis dieser Suche liegt vor Ihnen: ein Novellierungskonzept, das sich, nachdem es bei den in der besten Tradition des Wirtschaftsausschusses geführten Beratungen noch einige Kanten und Ecken verloren, andererseits aber auch Abrundungen erfahren hat, sehen lassen kann.
Ich teile also nicht den Pessimismus derer, die in den vorgesehenen Regelungen vor allem kosmetische Verbesserungen oder bloße Reparaturen sehen wollen. Umgekehrt halte ich auch die Befürchtungen vor zu weitreichenden Eingriffen, insbesondere auch im Bereich der Fusionskontrolle, nicht für gerechtfertigt. Ich denke in diesem Zusammenhang vor allem an die neuen „Ressourcenvermutungen" für die Fusionskontrolle, die zum Teil als verfassungs- und ordnungspolitisch bedenkliche Totalverbote kritisiert und andererseits zugleich zum materiellrechtlichen Nullum herabstilisiert worden sind.
Worum geht es in Wirklichkeit? In den letzten Jahren sind - wie auch die Untersuchungen der Monopolkommission bestätigt haben - bei der Fusionskontrolle von vertikalen und konglomeraten Konzentrationsvorgängen, nicht zuletzt infolge des Fehlens von zweckentsprechenden „Ressourcenvermutungen", deutliche Effizienzdefizite aufgetreten. Dies wiegt um so schwerer, als gerade Großunternehmen diese Lücke genutzt haben, um vor allem auf mittelständische Märkte vorzudringen, sich mit anderen marktbeherrschenden Unternehmen zusammenzutun oder sich auch untereinander mittels Gemeinschaftsunternehmen wettbewerblich eng zu koordinieren. Zunehmende Kopflastigkeit der Marktstrukturen zum Nachteil der kleinen und mittleren Unternehmen ist die Folge.
Die neuen Vermutungen setzen an dieser Stelle an: Sie tragen der Erkenntnis Rechnung, daß die disproportionalen Unternehmensgrößen, die gewöhnlich auch mit überragender Finanzkraft, leichterem Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten und de facto weitgehender Bestandsgarantie verbunden sind, wettbewerblich ähnlich negative, wenn nicht sogar weitergehende Abschreckungs- und Entmutigungswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen entfalten als die bloße Tatsache eines hohen Marktanteils.
Ein weiterer Schwerpunktbereich der Novelle ist die bessere Sicherung des Leistungswettbewerbs. Kleine und mittlere Unternehmen haben allen Unkenrufen zum Trotz auch in schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situationen ihre große Anpassungs- und Wettbewerbsfähigkeit bewiesen. Nichts wäre daher wirtschafts- und wettbewerbspolitisch verhängnisvoller, als den Mittelstand sozusagen unter eine kartellbehördliche Schutzglocke zu stellen und ihn damit der, ständigen Härte- und Bewährungsprobe des Wettbewerbs am Markt zu entziehen. Auf diesen Irrweg wären wir aber nach meiner festen Überzeugung gelangt, wenn die kartellgesetzliche Verhaltenskontrolle auf Grund des Diskriminierungs- und Behinderungsverbots von dem konkreten Machtbezug gelöst worden wäre.
Daß dies alle drei Fraktionen übereinstimmend anerkannt und in dem ordnungspolitisch besonders sensiblen Bereich des Diskriminierungs- und Behinderungsverbots mit der neuen Vorschrift des § 37 a eine den Marktmachtaspekt durchaus berücksichtigende Lösung gefunden haben, bewerte ich besonders positiv.
Die erweiterten Untersagungsbefugnisse der Kartellbehörden gegenüber machtbedingten Praktiken eines systematischen Verdrängungswettbewerbs von marktmächtigen Großunternehmen gegenüber ihren kleineren Konkurrenten fügen sich in den bestehenden Rahmen der kartellrechtlichen Kontrolle von Machtmißbräuchen ein. Zweifellos sind wir hiermit nahe an den ordnungspolitischen Rubikon herangegangen - dessen müssen wir uns bewußt sein und bleiben. Aber dieser Rubikon ist - und das halte ich für das Entscheidende - nicht überschritten worden.
Die Anwendung der neuen Regelungen des § 37 a ebenso wie des § 26 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erfordert ohne Frage das besondere Augenmaß und Fingerspitzengefühl der Kartellbehörden für die Grenzen ihrer Möglichkeiten zur Intervention in das Wettbewerbsgeschehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an das erinnern, was Graf Lambsdorff aus Anlaß der Verabschiedung der 2. Kartellnovelle 1973 hier in diesem Hause als Abgeordneter zum Ausdruck gebracht hat. Wenn man, so sagte er damals, die Wettbewerbsordnung mit dem Revier eines Jägers vergleicht, so meine er, „daß die Aufgabe des Kartellamtes in erster Linie darin besteht, Hege und Pflege zu üben, und daß nicht das Beutemachen an erster Stelle steht".
Ich möchte schließlich meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß es gelungen ist, im Ausnahmebereich der leistungsgebundenen Versorgungswirtschaft, dessen Überprüfung der Deutsche Bundestag bereits im Jahre 1957 - also vor mehr als 20 Jahren - gefordert hatte, nunmehr nach vielen früheren ergebnislosen Anläufen erstmals konkrete - wie ich meine: maßvolle - Änderungen in Richtung auf eine Lockerung des Monopolsystems zu verwirklichen. Ziel der jetzigen Novellierung ist es, alles daranzusetzen, um einer Verkrustung und Zementierung der Versorgungsverhältnisse mit den zwangsläufig daraus folgenden rationalisierungsfeindlichen Wirkungen bereits vorbeugend entgegenzuwirken und damit insgesamt das bestehende System für notwendige Änderungen flexibel zu halten.
Durch die vorgesehenen Neuregelungen werden - unter Vermeidung unvertretbarer Risiken für eine sichere und preisgünstige Versorgung - auch wichtige energiepolitische Anliegen wie. insbesondere eine bessere Nutzung des in der Kraft-WärmeKopplung liegenden Energiepotentials gefördert. Ich meine, die Signalwirkung, die von diesen Bestimmungen über die rechtliche Seite hinausgeht, sollte nicht unterschätzt werden.
Diese Ausführungen zum materiellen Inhalt der vorliegenden Novelle machen wohl hinreichend deutlich, daß es sich hier keineswegs nur um wettbewerbsrechtliche Marginalien handelt.
Gestatten Sie mir, daß ich im Namen des erkrankten Bundeswirtschaftsministers, der, wie Sie wissen, gerade diese Novelle hier gern heute selber vertreten hätte, dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages, seinem Vorsitzenden und den Obleuten ausgesprochen herzlich Dank sage nicht nur für das große Interesse, das in der Sache des Wettbewerbs erneut gezeigt wurde, sondern auch für das erhebliche Engagement, ohne das die zügige Verabschiedung dieser Gesetzesvorlage nicht möglich gewesen wäre. Ich möchte auch die Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums in diesen Dank einschließen. Denn wir alle haben den Eindruck, daß sie ebenfalls einen erheblichen Beitrag geleistet haben.
({5})
Daß sich die erreichten Lösungen auch dort, wo sie Kompromißcharakter tragen, nicht auf der Ebene des kleinsten wettbewerbspolitischen Nenners bewegen, ist, so meine ich, Ausdruck der besonderen Sachlichkeit, mit der die hinter uns liegenden Beratungen geführt worden sind. Ich denke, dies wird auch von all denen anerkannt werden, die sich demnächst im Bundesrat mit diesem Gesetzentwurf zu befassen haben werden.
({6})
Nachdem der Herr Staatssekretär eine gewisse Ausgeglichenheit wiederhergestellt hat, kann ich jetzt, nachdem keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, die Aussprache schließen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 13 - Nr. 14 entfällt - und die Nr. 15 bis 27 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 27 a auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3706 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vor. Wer diesem interfraktionellen Antrag zuzustimmen wünscht den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Vizepräsident Frau Renger
Wer Art. 1 Nr. 27 a in der so beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist so beschlossen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 28 und 29 und die Art. 2 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte im um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so angenommen.
Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Soweit ich sehe, ist dieses Gesetz bei einer Enthaltung angenommen.
Wir haben noch über Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3690 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wird dem widersprochen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Entschließung so angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3690 unter Ziffer 3, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Auch dies erfährt keinen Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 8/3648 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort zur Einbringung hat Herr Bundesminister Matthöfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt mit dem Ihnen vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze insbesondere das Ziel, den Mißbrauch steuerlicher Vorschriften einzudämmen. Durch einen neuen § 15a im Einkommensteuergesetz soll die Möglichkeit, Verluste mit positiven Einkünften zu verrechnen, bei beschränkt haftenden Unternehmern grundsätzlich auf den Haftungsbetrag begrenzt werden. Weitergehende Verluste werde in späteren Jahren nur mit Gewinnen aus der Einkommensquelle verrechnet werden dürfen, aus der die Verluste stammen.
Diese -Regelung schränkt auch die Betätigungsmöglichkeiten sogenannter Verlustzuweisungsgesellschaften ein. Dies ist wirtschaftspolitisch geboten, weil durch diese Gesellschaften Beteiligungen angeboten und gezeichnet werden, bei denen ein volkswirtschaftlicher Nutzen und realistische Gewinnaussichten nicht erkennbar sind.
Hinzu kommt nicht selten eine zu geringe Eigenkapitalquote und eine Aufblähung der Anlaufkosten, um die aus steuerlichen Gründen erwünschten hohen Verlustquoten zu erzielen. Bei einer Branche, die mit Verlusten wirbt und die Verluste produziert, besteht die Gefahr, daß durch falsche steuerpolitische Rahmendaten Milliardenbeträge an privatem Anleihekapital fehlgeleitet werden. Unsere Wirtschaft steht heute zu Beginn der 80er Jahre vor hohen Umstrukturierungsanforderungen. Wir brauchen enorm viel Kapital für volkswirtschaftlich wichtige und sinnvolle Investitionen und können es uns nicht mehr leisten, daß nur steuerliche Verlustquoten und nichts sonst als Investitionsmotiv gelten.
In Zukunft wird der Kommanditist seine Anteile am Verlust der Gesellschaft im Jahr der Entstehung des Verlustes nur bis zur Höhe seines Kapitalkontos mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsquellen ausgleichen können. Der das Kapitalkonto übersteigende und daher nicht ausgleichsfähige Verlust geht dem Kommanditisten jedoch nicht endgültig verloren. Vielmehr kann er mit Gewinnanteilen späterer Jahre verrechnen und dadurch das zu versteuernde Einkommen dieser Jahre mindern. Damit wird erreicht, daß normale Familiengesellschaften mit der vorgesehenen Regelung ohne weiteres werden auskommen können. Bei Gesellschaften, die nachhaltig auf Gewinn angelegt sind, kann ein Vortrag - etwa der Anfangsverluste - sogar vorteilhaft sein.
Die einzige Ausnahme innerhalb des neuen § 15 a des Einkommensteuergesetzes ist im Rahmen des Berlin-Förderungsgesetzes vorgesehen. Diese Ausnahmeregelung, die auf Verluste aus den Abschreibungsvergünstigungen nach dem Berlin-Förderungsgesetz beschränkt ist, ist wegen der besonderen Bedeutung der Berlin-Präferenzen für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins gerechtfertigt. Ausnahmen für andere Bereiche wären nicht vertretbar, weil jede Ausnahmeregelung zu Berufungen führen würde und die Gefahr einer Aushöhlung der gesetzlichen Regelung mit sich brächte.
Die Einschränkung bei der Anerkennung des negativen Kapitalkontos soll für alle neugegründeten Gesellschaften ab sofort gelten. Dagegen wird die Neuregelung auf bereits bestehende Gesellschaften, soweit diese ihren Geschäftsbetrieb nicht ausweiten oder umstellen, erst Anfang 1985 angewendet. Für besondere Bereiche, vor allem die Schiffahrt und den sozialen Wohnungsbau, sind Übergangsregelungen bis Ende 1989 vorgesehen.
Bedeutsam sind auch die weiteren Teile des Gesetzentwurfs. Es geht zunächst darum, daß die Berücksichtigung ausländischer Steuern bei der deutschen Besteuerung erheblich verbessert werden soll. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor,
daß zukünftig statt der Anrechnung ausländischer Steuern auf die deutsche Steuer wahlweise der Abzug der ausländischen Steuer vom Gesamtbetrag der Einkünfte zugelassen wird. Sind z. B. bei der deutschen Besteuerung hohe Betriebsausgaben zu berücksichtigen, so kann das zu einer sehr geringen inländischen Steuerschuld führen. Der „Überhang" der ausländischen Steuer kann in Folge der neuen Regelung künftig berücksichtigt werden.
Der Gesetzentwurf enthält noch einen dritten wichtigen Teil, er betrifft die Körperschaftsteuer. Diese Steuer ist bei der Gewinnausschüttung nur auf die Steuerschuld derjenigen Anteilseigner anzurechnen, deren Dividende im Inland voll besteuert wird. Die nicht zur Anrechnung von Körperschaftsteuer berechtigten Anteilseigner von Kapitalgesellschaften, insbesondere ausländische Muttergesellschaften deutscher Tochtergesellschaften, sind nun in verstärktem Maße dazu übergegangen, sich den in der Anrechnung liegenden Vorteil dadurch zu verschaffen, daß sie ihren Tochtergesellschaften in erhöhtem Maße Fremdmittel zuführen. Das von der Muttergesellschaft zu stellende Eigenkapital wird durch Fremdkapital ersetzt. Der steuerliche Anreiz für eine Fremdfinanzierung liegt für die Gesellschafter darin, daß Erträge aus stiller Beteiligung oder Darlehenszinsen im Gegensatz zu Dividenden als Betriebsausgaben den Gewinn der Gesellschaft mindern. In geeigneten Fällen läßt sich durch ein entsprechendes Feinsteuern erreichen, daß bei der Tochtergesellschaft überhaupt kein Gewinn mehr entsteht. Solche Gestaltungen können deshalb zu erheblichen Steuerausfällen bei uns führen.
Um in diesem Bereich Mißbräuchen entgegenzuwirken, sieht der Gesetzentwurf vor, gewinnabhängige Vergütungen, die einem nicht zur Anrechnung von Körperschaftsteuer berechtigten Anteilseigner für die Überlassung von Fremdkapital gewährt werden, als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln, wobei er sich auf gewinnabhängige Vergütungen beschränkt.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf vorgeschlagen, gegen normale Zinszahlung gewährte Darlehen in die Regelung mit einzubeziehen. Die Bundesregierung hat ihre Überlegungen zu diesem ungewöhnlich schwierigen Fragenkomplex noch nicht abgeschlossen. Sie wird deshalb im Rahmen der Ausschußberatungen zum Vorschlag des Bundesrates Stellung nehmen.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal zum zentralen Punkt dieses Entwurfs zurückkommen. Die neuen Regelungen zum negativen Kapitalkonto werden es unseriösen Abschreibungsfirmen in Zukunft schwermachen, ihrer Kundschaft nicht gerechtfertigte Steuerersparnisse zu vermitteln. Seriöse Anlagegesellschaften, die sich um wirklich wirtschaftlich sinnvolle Projekte bemühen, werden nicht behindert. Wirtschaft und Investoren erhalten für das Kapitalanlagegeschäft eine gesicherte gesetzliche Grundlage, die dem Schutz der Betroffenen und den berechtigten Interessen der steuerzahlenden Bürger dient. Ich bitte den Bundestag um zügige Behandlung.
({0})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreile.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den der Herr Bundesminister der Finanzen soeben zur ersten Lesung begründet hat, ist vom Bundesrat vor etwa mehr als zweieinhalb Jahren verlangt worden. Ich bin der Auffassung, daß sich die Bundesregierung für die Vorlage dieses Gesetzentwurfes reichlich viel Zeit gelassen hat. Es ist zwar einerseits verständlich, wenn man an die schwierige und komplexe Materie denkt, die hier geregelt werden soll; aber andererseits mutet man nun dem Parlament zu, den Gesetzentwurf in der noch verbleibenden kurzen Zeit bis zur Sommerpause abschließend zu beraten - und dies, obwohl der Entwurf um einige weitere Regelungen angereichert wurde, die dem Problem des negativen Kapitalkontos an Schwierigkeiten und an Komplexität in nichts nachstehen.
Gleichwohl muß gesehen werden, daß die Rechtssicherheit für den Steuerbürger, aber auch die drohenden, möglicherweise sogar unterschätzten Steuerausfälle eine rasche Behandlung erfordern. Ich habe es sehr begrüßt, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie soeben die grobe Schätzung in der Regierungsvorlage in Ihren Ausführungen etwas verdeutlicht und damit die Schwere des Problems, insbesondere im Körperschaftsteuerbereich, etwas deutlicher vor Augen geführt haben, als dies in der Drucksache geschehen ist.
Es ist uns allen ein Ärgernis, wenn Investitionen, für die in den Zeitungen geworben wird, nicht mehr daraufhin geprüft werden, ob sie wirtschaftlich vernünftig sind, sondern nur noch danach, wieviel Steuerersparnis sie versprechen. Wer sich aber hierüber ärgert, muß sich auch fragen, warum der Steuerbürger zu solch ärgerlichen Maßnahmen seine Zuflucht sucht, muß fragen, was den Steuerbürger denn ärgert.
Zu dieser Ursachenforschung zwei Gesichtspunkte: Jeder, der einen bestimmten Geldbetrag zur längerfristigen Anlage zur Verfügung hat, muß sich fragen: Wie lege ich diesen Betrag möglichst sicher und möglichst rentabel an? Und bei dieser Überlegung konnte ihn die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien in den letzten zehn Jahren nicht sonderlich dazu ermutigen, sein Geld in den herkömmlichen Anlageformen anzulegen. Noch nie seit der Währungsreform sind die Sparer so geschädigt worden wie seit der Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition.
({0})
Noch nie war die Vermietung von Wohnungen so unattraktiv. Dazu kommt dann die Steuerbelastung, die keine Rücksicht darauf nimmt, daß die Erträge oft kaum ausreichen, um die Inflationsverluste abzudecken.
Aus diesen Überlegungen resultiert dann die Flucht in die Sachwerte, resultiert gleichzeitig die legale Flucht aus der Steuer. Viele SteuersparproDr. Kreile
jekte, die wir für unseriös halten - insoweit stimmen wir alle überein - und volkswirtschaftlich ohne Nutzen sind, bekommen nur deshalb Zulauf, weil sie eben diese beiden Fluchtbewegungen in sich vereinen.
Ob allerdings die vom Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgeschlagene - untechnisch gesagt - Abschaffung des negativen Kapitalkontos oder - besser gesagt - Begrenzung der Verlustverrechnung mit positiven Einkünften auf die Hafteinlagen die richtige Therapie ist, wurde bereits im Vorfeld dieses Gesetzgebungsverfahrens von vielen Seiten bezweifelt. Ob das Verbot der Verrechnung bestimmter Verluste nicht schwarze und weiße Schafe gleichermaßen trifft, wird der Finanzausschuß eingehend zu prüfen haben; widerlegt ist dieser Einwand bisher nämlich nicht.
Wir werden uns auch noch Gedanken darüber zu machen haben, ob nicht das Ganze bezüglich der schwarzen Schafe ein energischer Schlag ins Wasser sein wird, wie bei einem steuerjuristischen Gespräch erst in diesen Tagen ein hoher Finanzrichter erklärt hat, während die weißen Schafe unter dieser Regelung zu leiden haben werden. Die Abschreibungsgesellschaften waren bisher weder durch punktuelle Verlustklauseln, die wir eingeführt haben, noch durch die generelle Verlustklausel noch durch die zahlreichen einschränkenden Maßnahmen der Verwaltung aus dem Steuerersparnismarkt zu vertreiben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß sie auch die neuen Maßnahmen unterlaufen und umgehen werden.
Wenn ich bei der Lektüre des Gesetzentwurfes feststellen muß, mit welchem Wust von Grundsatzregelungen, Einzelbestimmungen, Ausnahmen und Inkrafttretensvorschriften die Bürger nunmehr konfrontiert werden sollen, so frage ich mich, ob der Erfolg diesen Aufwand und diese unerhörte Komplizierung unseres Steuerrechts rechtfertigen wird. Wir sollten uns deswegen fragen und im Finanzausschuß unvoreingenommen noch einmal darüber sprechen, ob wir das gemeinsam angestrebte Ziel nicht auf einfacherem Wege erreichen können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den früheren § 164 a der Abgabenordnung hinweisen, der es verbot, geschäftsmäßig in Angeboten oder Aufforderungen auf die Steuerersparnis hinzuweisen. Ich weiß sehr gut, daß dieser § 164 a sehr restriktiv ausgelegt worden ist, und ich frage mich, ob diese Auslegung richtig gewesen ist. Aber es war wahrscheinlich ein Fehler - den wir im übrigen alle gemeinsam gemacht haben -, daß wir in der neuen Abgabenordnung diese Vorschrift nicht wiederaufgenommen haben.
Für ebenso wichtig wie die Regelungen zur Eindämmung der Abschreibungsgesellschaften halte ich die beiden übrigen größeren Teile des Gesetzentwurfs, nämlich die Verbesserung der Anrechnungsbedingungen für ausländische Steuern und die körperschaftsteuerlichen Regelungen zur Fremdfinanzierung von Kapitalgesellschaften.
Für die jetzt endlich vorgeschlagene Verbesserung der Anrechenbarkeit ausländischer Steuern auf die deutsche Einkommen- und Körperschaftsteuer hat sich die Bundesregierung ebenfalls sehr lange Zeit gelassen. Die vorgeschlagene Regelung wird unserer exportorientierten Wirtschaft die Betätigung im Ausland erleichtern und entschärft gewisse Wettbewerbsnachteile, die bisher dadurch entstehen, daß ausländische Steuern nicht oder nicht in vollem Umfange auf die deutsche Steuer angerechnet werden können. Man könnte sich sicherlich Regelungen vorstellen, die eine noch umfassendere Anrechnung der im Ausland gezahlten Steuern ermöglichen und die auch zum Teil seit langem gefordert werden. Wir verkennen aber nicht, daß die Bundesregierung nach langem Anlauf - immerhin stellt sie zu diesem Punkt schon seit dem Jahre 1974 Überlegungen an - nun endlich einige Verbesserungen vorgeschlagen hat.
In den Ausschüssen wird natürlich auch über die vom Bundesrat geforderte Berechnungsweise in den Fällen zu reden sein, in denen der ausländische Staat die Steuern nach den Einnahmen bemißt, während bei uns die Anrechnung durch die Höhe der Steuer auf die anteiligen Einkünfte begrenzt ist. Weiter wird darüber zu reden sein, ob es eine vergleichbare Anrechnung auch bei der Gewerbesteuer geben soll - eine Ansicht, die ich teile. Außerdem steht noch immer die Frage an, wie durch innerstaatliches Recht die bisherigen Ungereimtheiten beim Technologietransfer in Entwicklungsländer beseitigt werden können - ein Thema, das wir im Finanzausschuß einige Male behandelt, aber bisher noch nicht so ausreichend geklärt haben, daß es zu einer vernünftigen Regelung gekommen wäre.
Der dritte Teil des Gesetzentwurfs berührt den Kern unseres Körperschaftsteuersystems, nämlich das Prinzip der Einmalbesteuerung der in einer Kapitalgesellschaft erwirtschafteten Gewinne und damit unser derzeitiges Vollanrechnungsverfahren bei der Körperschaftsteuer. Ich habe bereits bei der Verabschiedung des Körperschaftsteuerreformgesetzes am 10. Juni 1976 an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß der positive Ausländereffekt des alten Körperschaftsteuerrechts nicht durch einen negativen Ausländereffekt im neuen Gesetz abgelöst werden darf. Ich wiederhole, was ich seinerzeit gesagt habe:
Diese Körperschaftsteuerreform darf keinen Antiausländereffekt haben, keinen isolationistischen Effekt für die deutsche Volkswirtschaft.
In diesem Sinne wurde seinerzeit von uns auch eine Entschließung gefaßt, die die Marschrichtung der Bundesrepublik Deutschland bei der Revision der Doppelbesteuerungsabkommen festlegen sollte.
Diese durch die Körperschaftsteuerreform erforderlich gewordenen Revisionsverhandlungen mit den wichtigsten Partnerstaaten haben sich lange hingezogen, dauern zum Teil auch noch an. Es war deswegen vorherzusehen, daß - wenn das Doppelbesteuerungsabkommen sich als unrealistisch erwies - so manche Möglichkeit gesucht und gefunden werden würde, die körperschaftsteuerliche Belastung, die auch vom ausländischen Anteilseigner nicht angerechnet werden kann, zu vermeiden. Wenn gleichwohl die große Mehrzahl der deut16250
schen Tochtergesellschaften ausländischer Muttergesellschaften von solchen Möglichkeiten noch nicht in dem Ausmaß Gebrauch gemacht haben, daß massive Steuerausfälle eingetreten sind, so liegt dies - nicht allein, aber auch - am Verantwortungsbewußtsein der betreffenden Unternehmen und an ihrem Bestreben, das Verhältnis zum deutschen Fiskus nicht dadurch zu belasten, daß man das Letzte herausholt. Es ist wichtig, daß dies anerkannt wird. Aber im innerstaatlichen Bereich - hierauf hat der Herr Bundesfinanzminister hingewiesen -, wo es auch nichtanrechnungsberechtigte Anteilseigner gibt, hat man sich weit weniger Zurückhaltung auferlegt und, um es im Klartext zu sagen, damit den Sinn des Körperschaftsteuerreformgesetzes unterlaufen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie jetzt bitten, hier unmittelbar Schluß zu machen.
Hier werden wir die Darlehenskonstruktionen, die gewählt worden sind, in den Beratungen des Finanzausschusses eingehend zu prüfen haben.
Wir wollen aber nicht das Vollanrechnungsverfahren, das weitgehend zur Steuerneutralität der einzelnen Unternehmensformen beiträgt, in Frage stellen. Das Vollanrechnungsverfahren hat insbesondere die kleineren Aktionäre begünstigt und entscheidend zu einer breit gestreuten Vermögensbildung auch in Arbeitnehmerhand beigetragen. Dies sollte nicht in Frage gestellt werden.
Danke schön, Herr Abgeordneter.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Spöri. Er bekommt auch eine Minute mehr.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen! Herr Dr. Kreile hat hier zu Recht darauf hingewiesen, daß wir hier ein schwieriges Gesetz zu beraten haben. Wir können das heute sicherlich nicht ausdiskutieren, so kompliziert ist das. Mir ist es wenigstens sehr kompliziert erschienen, als ich das am Wochenende gelesen habe. Wenn das aber wirklich so kompliziert ist, Herr Kollege Kreile, dann finde ich es sehr gut und sehr richtig, daß der Bundesfinanzminister dieses Gesetz in Abstimmung mit den Ländern gründlich vorbereitet hat. An der Gegenäußerung des Bundesrates, die wenig Kritik enthält, z. B. zu § 15 a des Einkommensteuergesetzes, sehen Sie, daß diese Arbeit des Bundesfinanzministers insofern für unsere Arbeit sehr fruchtbar gewesen ist, als wir damit rechnen können, daß auf der Seite des Bundesrates in diesem Punkte sehr wenige Verzögerungen eintreten werden. Für diese gründliche Abstimmung mit den Bundesländern danke ich dem Bundesfinanzminister im Namen meiner Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn wir das anders machten, würden sich die Länder beschweren. Sie würden vielleicht fragen, was das für ein unmögliches Verfahren sei, hopplahopp im Schweinsgalopp so komplizierte Gesetze ohne eingehende Abstimmung mit den Bundesländern hier einzubringen.
Zur Sache selbst, und zwar zum negativen Kapitalkonto: Das steht für uns Sozialdemokraten sicherlich im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfes, und zwar von seiner steuerpolitischen Bedeutung her, obwohl die anderen Punkte auch sehr wichtig sind. Ich glaube, man sollte noch stärker als Sie, Herr Kollege Kreile, darauf hinweisen, daß dieser Gesetzentwurf nicht nur ein Versuch ist, künftig zu verhindern, daß irgendwelche Abschreibungshaie auf dem Kapitalmarkt Milliarden von D-Mark in unseriöse Projekte lenken. Dieser Gesetzentwurf hat für uns auch eine gewisse verteilungspolitische Bedeutung. Mit ihm kann in Zukunft verhindert werden, daß einige wenige privilegierte Einkommensbezieher über das Instrument der Verlustzuweisung ihre Einkommensspitzen kappen und ihre Einkommensteuerzahlung umgehen oder zumindest lange hinauszögern.
({1})
Das ist für uns ein ganz wichtiger gerechtigkeitspolitischer Aspekt im Bereich der Steuerpraxis.
Meine Damen und Herren, es ist aber nicht nur wichtig, daß mit diesem Gesetzentwurf die Steuerprivilegien einiger weniger eingeengt werden, von denen der normale Durchschnittsverdiener nur träumen kann, wenn er seine Lohnsteuer über das Lohnbüro abführt und solche großen Transaktionen im Zusammenhang mit Abschreibungsprojekten gar nicht tätigen kann. Es ist für uns auch, wie der Bundesfinanzminister gerade richtig ausgeführt hat, ein Gebot wirtschaftspolitischer Vernunft, das künftig nicht mehr Milliardenbeträge an Investitionskapital in dubiose Investitionsbereiche wie z. B. in „GeisterHotels" in Spanien oder in Pleite-Projekte der Filmbranche oder etwa in unseriöse Projekte der Erdgassuche oder der Erdölsuche fließen werden. Dies ist für uns deshalb ein wichtiger Punkt, weil durch diese Praxis der Abschreibungsbranche in der Vergangenheit ein sehr empfindlicher Kapitalverlust eingetreten ist. Dieser Verlust an Investitionskapital ist problematisch, weil man dadurch vielleicht an anderer Stelle sinnvolle Arbeitsplätze hätte schaffen können.
Ich möchte eine zentrale Feststellung des Bundesfinanzministers noch etwas ausbauen. Der Bundesfinanzminister hat hier zu Recht gesagt, daß das eigentliche Motiv zu Investitionen auf diesem Abschreibungsmarkt nicht etwa die gewinnträchtige Ausgestaltung der Projekte gewesen ist, sondern vielmehr die steuerlich wirksame Verlustzuweisung. Wenn man davon ausgeht, dann verstehe ich überhaupt nicht, daß nunmehr einige Herren der Abschreibungsbranche mit viel Wehgeschrei dazu übergehen, darüber zu lamentieren, daß der Staat mit diesem Gesetzentwurf die freie Marktinitiative einenge und knebele. Das, was bisher auf dem Markt der Abschreibungsgesellschaften funktioniert hat, war das genaue Gegenteil von freier Marktinitiative,
das genaue Gegenteil von Marktwirtschaft, wie wir sie uns eigentlich ordnungspolitisch vorstellen. Diese Milliarden an Investitionskapital wurden in diesem Bereich nicht etwa durch das attraktive Moment angezogen, daß Gewinne entstehen würden, sondern das Kapital wurde mit dem Versprechen dorthin gelenkt, daß garantiert Verlust produziert würde. Das ist eine Perversion marktwirtschaftlicher Mechanismen.
({2})
Denjenigen, die im Bereich der Abschreibungsbranche immer wieder mit dem Begriff „Marktwirtschaft" auf den Lippen gegen diesen Gesetzentwurf argumentieren, kann man nur entgegenhalten, daß sie im Grunde genommen, wenn sie gestandene Marktwirtschaftler wären, froh sein müßten, daß ein solcher systemfremder Mechanismus aus der Marktwirtschaft endgültig nach Inkrafttreten dieses Gesetzentwurfs verschwinden wird.
Es gibt jetzt auch sehr Schlaue, die dem Bundesfinanzminister vorgeworfen haben, er würde deswegen einen überflüssigen Gesetzentwurf vorlegen, weil in der jüngsten Vergangenheit derartige windige Abschreibungskonstruktionen nicht mehr in dem Umfange wie in der Vergangenheit angeboten würden. Das ist zwar richtig, aber warum werden diese windigen Angebote nicht mehr im selben Umfang gemacht? Das hängt meiner Ansicht nach wesentlich damit zusammen, daß diese Branche unsere Arbeit hier an diesem Gesetzentwurf ernst nimmt und all die einengenden Wirkungen für diese Branche, die durch den Gesetzentwurf ausgelöst werden können, vorwegnimmt. Ich kann Ihnen aber garantieren: Wenn dieser Gesetzentwurf nicht durchkäme, könnten wir alle zusammen mit großen staunenden Augen schon innerhalb eines Jahres wieder die gleichen Sumpfblüten auf diesem Abschreibungsmarkt bewundern. Deswegen muß dieser Gesetzentwurf zügig beraten werden. Ich weise darauf hin, daß er gründlich vorbereitet ist.
Wir als SPD-Fraktion stimmen neben dem neuen § 15a des Einkommensteuergesetzes auch den übrigen angehängten steuerlichen Verbesserungen voll zu. Ich möchte anfügen, daß wir in den Punkten, die der verehrte Kollege Kreile hier angesprochen hat, sicherlich diskussionsbereit sind, z. B. was den Mißbrauch der Fremdfinanzierung zur Umgehung der Körperschaftsteuer angeht. In den Ausschußberatungen müssen wir allerdings bedenken, daß in diesem Gesetzentwurf viele Punkte stecken, die für uns alle interessant sind, und daß wir dann, wenn wir uns zu perfektionistisch an einem Punkt festhaken, vielleicht nicht mehr in der gebotenen Kürze zu Potte kommen, weil die restliche Legislaturperiode schnell vorbei sein könnte. Diese Gefahr besteht vielleicht. Wir sollten deshalb darauf achten, daß wir hier mit diesem Gesetzentwurf zügig zu Rande kommen.
Ich bin froh, für meine Fraktion sagen zu können, daß entgegen schablonisierten Betrachtungsweisen und negativen Betrachtungsweisen der Interessenabhängigkeit der Politik der Bundesfinanzminister diesen Gesetzentwurf ruhig und unbeirrt vom Lobbyistengeschrei der Steuersparbranche vorbereitet
und vorgelegt hat. Auf Grund der gründlichen Vorbereitung und Abstimmung mit den Bundesländern bin ich sehr hoffnungsfroh, daß dieses Gesetz als positives und konstruktives Beispiel der Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesrat auf dem Felde der Steuerpolitik gelten kann.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schleifenbaum.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der nächsten Woche veranstaltet der Europarat in Straßburg ein internationales Kolloquium zum Thema der Steuerumgehung. Herr Dr. Kreile, dieses Kolloquium wird sich mit dem auseinandersetzen, was Sie als legale Flucht aus der Steuer bezeichnet haben. Dabei handelt es sich um ein europaweites, ja, weltweites Phänomen. Dem Einfallsreichtum des Fiskus, durch immer kompliziertere Gesetze Steuern einzutreiben, steht der Einfallsreichtum der Steuerbürger gegenüber, die an sich verwirkten Steuern mehr oder minder legal zu vermeiden. Da die intellektuellen Gaben unterschiedlich verteilt sind, muß der Fiskus dieser Entwicklung um der Steuergerechtigkeit willen immer wieder gegensteuern. Der Bundesrat selbst hat mit seiner bekannten Mehrheit die Bundesregierung ermahnt, in dieser Richtung initiativ zu werden.
Um diese Problematik handelt es sich auch bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung in Drucksache 8/3648, der sich unter dem schlichten, unverfänglichen Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze" verbirgt. Um was geht es also? Ich komme zunächst auf das im Vorblatt unter Ziffer 1 aufgeführte Problem zu sprechen.
Die nach dem geltenden Steuerrecht zulässige Möglichkeit, Verluste eines Kommanditisten mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten zu verrechnen, ist eine steuersystematisch folgerichtige und vernünftige Regelung. Leider ist das Gesetz in zunehmendem Maße mißbraucht worden. Der normale Anlaß einer wirtschaftlichen Betätigung und Gründung eines Unternehmens ist die Aussicht auf Erzielung von Gewinn.
({0})
Die Kräfte des Marktes entscheiden in der Regel über Erfolg oder Mißerfolg. So ergibt sich auf Dauer eine optimale Produktions- und Handelsstruktur. Kurzfristige Mißerfolge solcher Unternehmen sollten vernünftigerweise mit späteren oder auch zurückliegenden Gewinnen verrechnet werden können.
Anders ist es mit den sogenannten Verlustzuweisungsgesellschaften, die eigens mit dem Zweck gegründet werden, Verluste auf negativen Kapitalkonten zu produzieren, um dadurch Teilhaber mit von der Versteuerung bedrohten anderen Einkünften anzulocken, was ja mit großem Werbeaufwand und großem Erfolg geschieht. Das kann volkswirtschaftlich nicht sinnvoll und förderungswürdig sein.
Die geplante Einführung des § 15 a in das Einkommensteuergesetz halten wir deshalb in der Tendenz des Entwurfs für richtig. Allerdings muß in den Beratungen geprüft und sichergestellt werden, daß die Fremdfinanzierung sogenannter normaler Gesellschaften nicht gefährdet wird.
Zu Ziffer 2. Die vorgesehenen Änderungen des Einkommensteuergesetzes zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung ausländischer Einkünfte stellen eine erhebliche Verbesserung der Rahmenbedingungen der im Ausland tätigen Gesellschaften dar und passen auch in die entwicklungspolitische Landschaft der Förderung von Auslandsinvestitionen. Die Größenordnung der steuerlichen Maßnahmen sollte von der Wirtschaft zur Kenntnis genommen und gewürdigt werden.
({1})
Auch der BDI könnte sich damit seine heute im „Handelsblatt" offenbarten Krokodilstränen über das anstehende Steuerentlastungsgesetz trocknen.
({2})
Zu Ziffer 3 im ausgedruckten Text. Ich hoffe, daß sich mir in den kommenden Beratungen der komplizierte Sachverhalt der beabsichtigten Gesetzesänderungen erschließen wird. Es scheinen hier keine sehr strittigen Sachverhalte vorzuliegen. Es ist mir nicht aufgefallen, daß einer der Kollegen Vorredner auf diesen Punkt überhaupt eingegangen wäre.
Zu Ziffer 4. Herr Dr. Kreile, Sie sind wegen des überschrittenen Zeitlimits nicht dazu gekommen, dazu ausführlich Stellung zu nehmen. So weiß ich nicht, was Sie zu dem sagen, was ich jetzt sage. Die geplante Änderung des § 8 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes richtet sich auf das hehre Ziel, dort, wo durch die Körperschaftsteuerreform die Doppelbesteuerung vermieden werden sollte, die Einmalbesteuerung wenigstens sicherzustellen. Weitgehend unbemerkt und unbeanstandet sind sehr trickreiche Modelle entwickelt worden, die Steuern auf Erträge aus Industriebeteiligungen durch willkürliche - ich möchte sagen: selbstkontrahierte - Gegenposten wie Darlehenszinsen oder Zinsen auf Kaufpreisschulden im Endeffekt auf null zu bringen. Das hat der Gesetzgeber sicher nicht gewollt.
Die Bundesregierung macht nun einen ehrenwerten Anfang, dieses Loch zu stopfen. Der vorliegende Entwurf kann allerdings nur als kleine Lösung bezeichnet werden, indem unter den näher verzeichneten Umständen gewinnabhängige Vergütungen auf Fremdkapital als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt und damit der Versteuerung unterworfen werden. In dem Vorschlag des Bundesrates, auch gewinnunabhängige Forderungen einzubeziehen, liegt erhebliche politische Brisanz, da hiervon die Finanzierungspraktiken von Institutionen betroffen würden, die in den Augen der beiden dicken Parteien - der beiden dicken Parteien - einen sakrosankten Status haben. Diese Diskussion kann allerdings nicht ausgeklammert werden. Es muß erlaubt sein, die Maßstäbe, die solche Institutionen an andere legen, auch an diese selbst zu legen.
({3})
Die Bundesregierung selbst hat eine Prüfung angekündigt, wie diesen Steuerumgehungsversuchen entgegengewirkt werden kann. Ich rege an, in diese Prüfung auch die Anwendungsmöglichkeit des § 42 der Abgabenordnung einzubeziehen. In den kommenden Beratungen wird jedenfalls Courage nötig sein, um das Thema sachgerecht zu behandeln. Vielleicht können noch Anregungen der Steuerfachtagung des Steuerberatervereins Nordrhein-Westfalen einfließen, die dieses Thema am 20. März 1980 behandelt. Auf keinen Fall dürfen wir zu einem Ergebnis kommen, welches die Dämme für weitere Mißbräuche öffnet und damit nicht quantifizierbare Steuerausfälle auslöst.
In diesem Sinne wünsche ich mir, daß die Beratungen vom Verständnis der Ertappten begleitet werden, denn das Ziel der beabsichtigten Steuergesetzänderungen ist mehr Steuergerechtigkeit.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 8/3648 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft sowie zur Mitberatung und Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß vor. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 5 und 6 der Tagesordnung auf:
5. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe
- Drucksache 8/3068 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3720 -
Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
b) Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 8/3694 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Langner Dr. Schöfberger
({2})
6. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen ({3})
- Drucksachen 8/1713, 8/3311 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3719 -
Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
Vizepräsident Frau Renger
b) Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache 8/3695 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Langner Dr. Schöfberger
({6})
Interfraktionell ist eine verbundene Aussprache mit Kurzbeiträgen für jede Fraktion vereinbart. Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Langner. Gleichzeitig eröffne ich die Debatte.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe drei kleine Korrekturen an dem Bericht anzubringen. Auf Seite 6 der Drucksache 8/3694 muß es in § 122 Abs. 2 in der vierten Zeile statt „und" „oder" heißen. Auch in § 124 - das betrifft dieselbe Seite - muß es in Nr. 2 in der dritten Zeile statt „und" „oder" heißen. Dasselbe gilt bei Nr. 3 in der ersten Zeile.
Die heute in zweiter und dritter Lesung zu beratende Prozeßkosten- und Beratungshilfe ist ein gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf wesentlich verbesserter, vereinfachter, veränderter Entwurf. Ich hatte in der ersten Lesung im September vorigen Jahres zur Prozeßkostenhilfe kritische Bemerkungen über zu komplizierte, zu umfängliche und zum Teil unverständliche, auch überflüssige Regelungen gemacht. Damals ist mir von der einen Seite gesagt worden, ich sei sicher nicht in der Arbeiterwohnküche groß geworden. Die andere Seite der Koalition hat dies ein „Herumnölen" an einem doch begrüßenswerten Gesetzentwurf genannt.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bin trotzdem sehr froh darüber, daß beide Koalitionsfraktionen in der Folge in den Ausschußberatungen und vor allen Dingen in der dazu eingesetzten Arbeitsgruppe, der außer mir die Kollegen Schöfberger und Kleinert angehörten, bereit waren, an dem Gesetz so zu arbeiten, daß wir ein wesentlich einfacheres, praktikableres und bürgernäheres Gesetz vorlegen können, das die Betroffenen und die Gesetzesanwender auch verstehen und handhaben können.
Dabei sind wir, was die Beratungshilfe anlangt, wesentlichen Elementen des Konzepts des Unionsentwurfs, der schon seit zwei Jahren vorliegt, gefolgt. Durch diese intensive Beratungstätigkeit in der Arbeitsgruppe und dann folgend im Ausschuß sind folgende Vereinfachungen erzielt worden, die ich wegen der Kürze der Zeit nur beispielhaft nennen kann. Es ist uns gelungen, anstelle der im Regierungsentwurf vorgesehenen Fülle der Paragraphen mit den Paragraphen auszukommen, die die Zivilprozeßordnung heute für das Armenrecht vorsieht. Wir haben Vorschriften gekürzt, wir haben sie sprachlich verständlicher gemacht, wir haben Überflüssiges gestrichen und die Verweisungen beschränkt, besonders etwa auch die Verweisungen auf das Bundessozialhilfegesetz, weil in den kleinen Bibliotheken der Amtsgerichte sicherlich keine Kommentare zum Bundessozialhilfegesetz vorhanden sind.
Das Verfahren sowohl bei der Prozeßkostenhilfe als auch bei der Rechtsberatung für Bürger mit geringem Einkommen ist einfacher gestaltet worden. Wir haben weitere Gänge zu weiteren Behörden vermieden. Man muß also nicht wie heute, wenn man Armenrecht beantragt, zum Sozialamt und zum Finanzamt gehen, um sich Zeugnisse zu holen und erst dann den Antrag beim Gericht zu stellen. Dies wollen wir den betroffenen Bürgern ersparen.
Wir haben die Prozeßkostenhilfe und die außergerichtliche Rechtsberatung aufeinander abgestimmt, um die Beratung vor einem Prozeß und die Vertretung im Prozeß durch Vorschriften, die harmonisiert und aus einem Guß sind, zu regeln. Wir haben es insbesondere auch dem Bürger ermöglicht, sofort seinen Anwalt aufzusuchen, wenn er einen Rechtsrat braucht. Er muß also nicht erst zum Gericht laufen und sich den Berechtigungsschein holen. Er kann dies tun - das wird manchmal sachdienlich sein -, aber er kann auch gleich seinen Anwalt aufsuchen. Dies sind einige der wesentlichen Veränderungen, die wir im Laufe der Beratungen vorgenommen haben und die dazu geführt haben, daß das Gesetz in dieser vereinfachten Form heute vorliegt.
Dabei sind wir behutsam vorgegangen und haben Prozeß- und Beratungsrecht in behutsamer Weise geändert und ergänzt. Ich will noch einmal klar herausstellen, daß wir uns durchaus bewußt waren - dies haben wir auch durch die Selbstbeteiligung bei der Prozeßkostenhilfe und die Schutzgebühr bei der Beratung unterstrichen -, daß Rechtsberatung und gerichtliche Streitentscheidung justitielle Dienstleistungen sind, die Kosten verursachen, Kosten, die deshalb auch von den Parteien und den Bürgern, die diese Leistungen in Anspruch nehmen, aufzubringen sind oder an denen man sich zumindest angemessen zu beteiligen hat. Wir konnten angesichts der heutigen steuerlichen Belastung, insbesondere der Belastung der Lohnsteuerzahler, nicht neuartige Transferleistungen für alle eröffnen. Das ist ganz unmöglich. Wir haben deshalb z. B. auch die Tabelle gekappt.
Aber ebenso klar und unmißverständlich muß herausgestellt werden, daß wir mit diesen neuen und ergänzenden Vorschriften diejenigen, die in Not geraten sind, oder diejenigen, die mit wenig Einkommen auskommen müssen, nicht daran hindern dürfen, ihr Recht zu suchen, wenn dieses im Streit steht.
Wir sind uns bezüglich der Prozeßkostenhilfe über alle Vorschriften einig geworden. Sicherlich mußten wir dabei Kompromisse schließen. Bei der Beratungshilfe gilt dies in zwei Punkten nicht. Deshalb legt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hierzu heute auch noch zwei Änderungsanträge vor.
Zum einen waren wir der Auffassung, daß Rechtsberatung nicht auf einige Gebiete beschränkt werden sollte, wie es der Entwurf jetzt tut, insbesondere nur auf Zivilrecht, Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht. Wir waren vielmehr der Auffassung, daß etwa auch auf dem arbeits- und sozialgerichtlichen Sektor ein Bedürfnis nach Rechtsberatung besteht. Dieses wird nicht etwa dadurch abgedeckt, daß Ge16254
werkschaftsmitglieder Rechtsberatung durch ihre Organisation, durch den Rechtssekretär der Gewerkschaft, erhalten können. Die Nicht-Gewerkschaftsmitglieder können ebenfalls in eine Lage kommen, wo sie Rechtsrat auf dem Gebiet des Arbeitsrechts brauchen. Wir werden deshalb hier einen Änderungsantrag stellen, der eine umfassende Beratung auf allen Rechtsgebieten vorsieht.
Wir sind zweitens der Meinung, daß das Verhältnis von anwaltlicher Rechtsberatung, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, und öffentlichen Rechtsauskunftsstellen in den Stadtstaaten von der Koalition zu eng gesehen wird. Hier hätten wir es lieber gesehen, wenn in Hamburg, Bremen und Berlin anwaltliche Rechtsberatung im Wettbewerb mit öffentlichen Rechtsauskunftsstellen stünden. Dann kann man sehen, was der Bürger letztlich mehr annimmt, was ihm mehr dient. So, wie es die Koalition hier regeln will, daß in Hamburg und Bremen anstelle der anwaltlichen Rechtsberatung nur die öffentliche Rechtsberatung möglich sein soll, halten wir es für nicht sachdienlich, insbesondere wenn zwei Parteien mit Berechtigung da sind, die sich dann durch dieselbe öffentliche Rechtsauskunftsstelle beraten oder vertreten lassen sollen. Deshalb kommt auch hier ein Änderungsantrag der Union.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich kann sagen, daß wir Berichterstatter - auch der Kollege Kleinert - uns in der Vorbereitung der Ausschußberatungen große Mühe bei der Veränderung des Entwurfs gemacht haben, so daß er heute handhabbar von den Betroffenen geworden ist und von den Gesetzesanwendern leichter zu verstehen und besser anzuwenden ist. Ich kann deshalb ankündigen, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Entwürfen in der jetzigen Form zustimmen wird.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schöfberger.
Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn ein Wort zum Verfahren im Rechtsausschuß sagen. Die erste Lesung des letzten Gesetzes, das wir heute hier in einem Paket beraten, war erst am 8. November des vergangenen Jahres. Der Rechtsausschuß hat sich erst seit Anfang Dezember mit dem Gesetzespaket befaßt. Trotz einmonatiger Weihnachtspause sind wir bereits Mitte Februar zu einem befriedigenden, übereinstimmenden Ergebnis gekommen. Der Grund dafür war die eingesetzte Berichterstatterrunde, die sich bewährt hat, so bewährt, daß ich meine, wir sollten bei der kommenden Änderung der Geschäftsordnung vielleich darüber nachdenken, ob Berichterstatterrunden nicht eine Möglichkeit der Verbesserung unseres Arbeitsstils insgesamt sein könnten.
An dieser Stelle möchte ich den beiden anderen Berichterstattern, Herrn Langner und Herrn Kleinert, für die tatkräftige Mitarbeit in dieser Runde danken, sodann vor allem auch Herrn Ministerialdirektor Martin Rudolph, der erkrankt ist und leider heute nicht hier sein kann.
Herr Langner hat bereits betont, daß die Gesetzentwürfe einfacher, übersichtlicher, straffer, lesbarer und damit auch verständlicher geworden sind. Dies kann die politische Bedeutung der beiden Gesetze nur fördern. Es ist ja kein einfacher Eingriff in die Zivilprozeßordnung vorzunehmen.
Beide Gesetze sind Teil des Regierungsprogramms. Sie wollen dem Bürger mit geringem oder unterdurchschnittlichem Einkommen auf seinem Weg zum Recht helfen, und zwar die Prozeßkostenhilfe im Gerichtsverfahren und die Beratungshilfe bei der außergerichtlichen Rechtssuche. Beide Gesetze wollen Kostenbarrieren beseitigen. Sie schaffen damit nicht schlechthin die Chancengleichheit im Rechtsleben, aber sie führen uns ein Stück näher hin zur Chancengleichheit. Sie verknüpfen die Idee des Sozialstaates mit der Idee des Rechtsstaates und entwickeln den überkommenen bürgerlichen Rechtsstaat auf einem wichtigen Teilgebiet zum sozialen Rechtsstaat fort. Das Wilhelminische Armenrecht aus dem Jahre 1877 scheint jetzt endgültig abgelöst zu werden. Es ist auch höchste Zeit; denn dieses Armenrecht ist im sozialen Rechtsstaat zu einem Armutszeugnis geworden. Das bisherige Recht begünstigt praktisch nur einkommenslose Bürger und Bürger mit einem Einkommen unter der Sozialhilfegrenze. In Zukunft reicht die Begünstigung in die unterdurchschnittlichen und durchschnittlichen Einkommensbereiche hinein. Die Berechtigung hängt vom Familienstand, genauer: von der Zahl der Unterhaltsberechtigten und indirekt auch von der Streitwerthöhe ab.
Herr Langner hat bereits betont, daß wir ein sehr einfaches Verfahren vorsehen. Hier wird es Schwierigkeiten im Bundesrat geben. Dem Vernehmen nach sollen einzelne Bundesländer nicht bereit sein, von dem bisher komplizierten und bürgerunfreundlichen Verfahren, vor allem von dem Gang zur kommunalen Behörde zwecks Erlangung des Armutszeugnisses, abzurücken. Wir hoffen, daß dies letzten Endes dennoch gelingen möge; denn ein Umweg zur Behörde ist für den Bürger auf der Rechtssuche ein Gang zuviel.
Das Argument, die Gerichte wären nicht in der Lage, selbst Einkommen und Vermögen zu prüfen, kann wohl nicht stechen. In jedem Unterhaltsprozeß, bei jeder Lohnpfändung müssen die Gerichte heute schon Einkommen und Vermögen der Prozeß- und Vollstreckungsbeteiligten überprüfen. Sie können dies auch, und sie tun das auch mit Erfolg. Es ist deshalb nicht einzusehen, warum sie bei der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe in Zukunft nicht auch Einkommens- und Vermögensverhältnisse einer rechtsuchenden Partei prüfen sollen.
Wir bedauern sehr, daß es bei der Prozeßkostenhilfe nicht gelungen ist, die Gegnerkostenerstattung in das Ratensystem der Prozeßkostenhilfe einzubeziehen. Der rechtsuchende einkommensschwache Bürger steht auch in Zukunft vor dem Problem, im Falle des Prozeßverlustes die Gegnerkosten sofort und in voller Höhe erstatten zu müssen. Dies hat zur Folge, daß etwa bei einem Prozeß zum Streitwert von 100 000 DM das Prozeßkostenrisiko ohne Prozeßkostenhilfe in der ersten und zweiten Instanz
rund 25 000 DM und das Prozeßkostenrisiko mit Prozeßkostenhilfe 13 500 DM, etwa 46 % des ursprünglichen Risikos, beträgt. Ein einkommensschwacher Bürger unterliegt also nach wie vor der Gefahr der Gegnerkostenerstattung und wird dadurch in gewissem Maße von einem Prozeß abgehalten. Manche sagen, dies sei erwünscht, damit einkommensstarke Bürger nicht mit willkürlichen Prozessen überzogen werden.
Bei der Beratungshilfe ging es uns darum, Schwellenangst und Kostenangst abzubauen. Wir sind deshalb vom „Prinzip der einen Tür" ausgegangen und haben gesagt: Welche Stelle auch der Bürger aufsucht, er Ist immer an der richtigen Stelle und wird nicht im Kreis herumverwiesen. Geht er als erstes zum Amtsgericht, wird ihm das Amtsgericht in einer Vielzahl von Fällen gleich helfen können: durch eine einfache Protokollierung, durch eine Antragsaufnahme, durch einen einfachen Rat, z. B. über eingetretene Verjährung, durch eine einfache Verweisung zur zuständigen Behörde. Nach den bisherigen Modellversuchen der Länder ergibt sich, daß in einem Drittel bis zu 40 % der Fälle das Amtsgericht, das heißt der Rechtspfleger, durch eine ganz einfache Aktion oder eine ganz einfache Auskunft wirksam helfen kann. Deswegen ist als erstes der Gang zum Amtsgericht auch nützlich.
Geht aber der Bürger - dies war im Regierungsentwurf nicht so vorgesehen - gleich zum Anwalt, dann ist er auch dort an der richtigen Stelle, und es wird ihm geholfen. Der Anwalt kann dann die Beratungshilfe nachträglich beim Amtsgericht beantragen. Er tut dies allerdings auf sein Risiko. Stellt sich heraus, daß der Bürger nicht unter die Einkommensbedingungen für die Beratungshilfe fällt, dann verbleibt dem Anwalt allein die Schutzgebühr, die der Bürger in Höhe von 20 DM entrichten muß. Der Anwalt handelt also hier auf sein Risiko.
Wir waren auch der Meinung, daß wir den Anwälten keine „Rosinenpickerei" gestatten sollen. Die Anwaltsberufsvereinigungen haben sich sehr um diese Beratungshilfe bemüht, auch um das Anwaltsmodell. Dann sollen sie es haben. Es hat auch seinen guten Grund. Aber wir wollten dann auch vermeiden, daß sie die guten Fälle ins Kröpfchen und die schlechten ins Töpfchen nehmen. Wir sind deshalb auch sehr vorsichtig bei der Frage der Ablehnung einer solchen Beratung gewesen. Wir haben an den prominenten Großstadtanwalt gedacht, der sich mit solchen Sachen vielleicht nicht abgeben möchte. Wir haben gesagt, nur aus ganz wichtigen Gründen, etwa der Gefahr eines Parteienverrats oder der wirklich nachgewiesenen Überlastung der Kanzlei oder des Umstandes, daß sich die Kanzlei überhaupt nicht mit dem gefragten Rechtsgebiet befaßt, kann die Beratung abgelehnt werden.
Zwei Probleme sind offengeblieben.
Das erste ist das Problem der eingerichteten öffentlich-rechtlichen Antragstellen in den Hansestädten. In Hamburg funktionieren sie seit 1921. Wir können doch nicht eingeführte und höchst bürgerfreundlich arbeitende Rechtsberatungsstellen durch unser Anwaltsmodell kaputtmachen. Ja wir brauchen nicht einmal zu ergänzen, was dort in den
Hansestädten funktioniert. Wir haben es deswegen in § 14 allein den Hansestädten überlassen, zu entscheiden, wie sie es halten wollen, und ich nehme an, daß die Entscheidung zugunsten der eingeführten und bewährten öffentlich-rechtlichen Antrags- und Beratungsstellen ausfallen wird.
Das zweite offene Problem, von dem auch Herr Kollege Langner gesprochen hat, war das Problem der Rechtsgebiete, auf denen Beratung stattfindet. Natürlich kann man die Ansicht vertreten - ich habe das zunächst auch getan -, daß man möglichst alle Rechtsgebiete in die Beratung einbeziehen sollte. In der Praxis erweist es sich aber nicht als besonderes Bedürfnis. In Arbeitsgerichtsverfahren gibt es die Prozeßkostenhilfe. Wenn es also gerichtshängig wird, ist das sowieso klar. Da gibt es auch noch die Vertretung durch die Gewerkschaften, die im Arbeitsgerichtsgesetz voll installiert ist. Bei der Beratungshilfe dachten wir, daß das Problem in der großen, überwiegenden Anzahl der Fälle von den Gewerkschaften befriedigend gelöst werden kann. In der bisherigen Praxis der Modellversuche fielenüberhaupt nur 7 % der Rechtsberatungsfälle in das Gebiet des Arbeitsrechts.
Wir haben bei der Prozeßkostenhilfe gleichzeitig die Heilung von Zustellungsmängeln bei Ehescheidungen behandelt und damit dieses Problem gelöst. - Ein paar hundert bis tausend Personen leben in der Bundesrepublik in Bigamie, ohne es zu wissen und zu wollen. Ihr Scheidungsurteil ist Nebenbeteiligten nicht zugestellt worden und versehentlich „scheinrechtskräftig" geworden. Wir haben diese Zustellung jetzt rückwirkend fingiert und auch für die Zukunft solche Vorfälle ausgeschlossen.
Es bleibt nur zu wünschen, daß die beiden Gesetzentwürfe die Hürde im Bundesrat so nehmen, daß sie sehr bald zugunsten der Bürger in Kraft treten können.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn man so gut zusammengearbeitet hat - wie das meine beiden Herren Vorredner schon zutreffend dargestellt haben - bei einem Gesetz, das dann aller Voraussicht nach auch hier entsprechend einhellig verabschiedet werden kann, dann ist es besonders lästig, als Dritter zu sprechen; denn widerstreitende Ansichten noch einmal aufzugreifen ist durchaus angenehm, aber das zu wiederholen, was die Herren Vorredner gesagt haben, wäre ja - noch dazu zu dieser Stunde - nicht im Sinne derer, die hier ausharren.
({0}) Wir bleiben also beim Streitigen.
Ich sehe es nicht ganz so, daß wir aus dem Grunde, weil die Gewerkschaften das so hervorragend machen, gewisse Rechtsbereiche ausgeklammert hätten, sondern ich bin der Meinung, daß man in einer Koalition anständig miteinander umzugehen hat
und daß es nun einmal gewisse Fakten gibt, an denen man in der Gesetzgebung nicht vorbeikommt. Aus diesem Grunde und um auch anderen Kräften, die insbesondere auf seiten unseres Koalitionspartners als sehr wichtig angesehen werden, Möglichkeiten zu lassen, haben wir hier Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit ausgeklammert. Zu so etwas, was man fairerweise so verabredet hat, muß man auch stehen. Das kann man ohne weiteres so sagen. Damit ist es gut.
({1})
Darum haben wir das eben so geregelt, aber nicht etwa, weil ich der Meinung wäre, daß die Herren Rechtsberater der Gewerkschaften nun die idealen Rechtsberater für alle diese Rechtsuchenden wären.
Ich stehe zu meiner beruflich gefestigten Überzeugung, daß die beste Beratung immer von dem dazu ausgebildeten und eingeübten Rechtsanwalt zu erhalten ist. Deshalb bin ich auch dem Bundesjustizminister so sehr dankbar, daß er nach den Erprobungen in den verschiedenen Ländern hier das Modell vorgelegt hat, an dem in der gekennzeichneten Weise weitergearbeitet worden ist. Es stellt nämlich im wesentlichen auf die Beratung durch die Anwälte ab. Ich glaube nicht etwa, daß die Kollegen Rechtsanwälte zusätzliches Einkommen haben sollten oder aus diesem Gesetz erzielen. Vielmehr bin ich der Meinung - das ist das Wichtige in dem Zusammenhang -, Sie werden den besten Rat von demjenigen bekommen, der täglich mit den unterschiedlichsten Problemen beratend umzugehen hat.
Dies bedeutet natürlich zugleich, daß ich auch einen Kompromiß offenlege, den wir hinsichtlich der sogenannten Stadtstaatenklausel geschlossen haben. Wir wären für eine durchgängige Regelung gewesen. Die Begründung, Herr Schöfberger - Sie sind der letzte, der mir so etwas übelnimmt -, daß man schon deshalb nicht daran rühren dürfe, weil seit etwa 1920, also seit sehr langer Zeit, die Dinge in Hamburg so gehandhabt würden, ist bemerkenswert konservativ. Das muß man klar sehen.
({2})
Sie ist deshalb nicht ohne weiteres geeignet, von Ihrer Seite hier eingeführt zu werden. Aber auch da gilt: man soll nicht in die gewachsenen Strukturen hineinwirken wollen, noch dazu wenn zusätzliche politische Komplikationen damit verbunden sind, und wenn man sich überzeugt hat, daß das nicht geht, läßt man es bleiben. Wir haben in dem Entwurf aber dann doch die größtmögliche Gestaltungsfreiheit für die Hansestädte und für Berlin offengelassen. Herr Schöfberger hat das schon hervorgehoben. Dort kann von den gesetzgebenden Körperschaften entschieden werden, wie sie es einrichten möchten. Ich verhehle nicht, daß das insbesondere in Berlin auf einen ausdrücklichen Wunsch unserer politischen Freunde zurückgeht, Gestaltungsfreiheit zu behalten und nicht etwa umgekehrt wieder bei der hier vorgesehenen Stadtstaatenklausel vereinnahmt zu werden.
Was das Experimentierstadium angeht, erinnere ich mich an einen sehr interessanten Vorgang. Den möchte ich den Damen und Herren von der Opposition einmal erzählen. Denn er macht plastisch, warum man hier gelegentlich so einig ist und warum auch einiges entgegen den vorgefaßten Erwartungen läuft. Der seinerzeitige niedersächsische Justizminister Hans Schäfer hatte vor einer Reihe von Jahren in die niedersächsische Landesvertretung eingeladen, um sein neues Beratungsmodell vorzustellen, ein reines Anwaltsmodell. Es war der sozialdemokratische niedersächsische Justizminister. Wir haben uns das alles angehört, die geladenen Gäste, die Damen und Herren des Rechtsausschusses und andere Interessenten. Einer der Ehrengäste war der seinerzeitige Justizminister des Landes Schleswig-Holstein, Herr Schwarz ({3}). Zu meiner großen Verblüffung hat nach der Vorstellung des Anwaltsmodells durch den Sozialdemokraten Schäfer der Ehrengast Justizminister Schwarz das Wort genommen und hat in bewegten Worten dargelegt, daß seiner Ansicht nach die ganze Sache öffentlich geregelt werden müsse und daß die öffentliche Rechtsberatung, von der Kommunalverwaltung eingerichtet und betrieben, an und für sich das Ideal sei. Das hat mich sehr verblüfft. Ich erwähne es in diesem Zusammenhang nur, um zu sagen, wie unbefangen man an die Dinge herangehen kann, wenn man sich von parteipolitischen Vorerwartungen freimacht und was dabei an Unterschiedlichem - vielleicht auch entgegen den Erwartungen des einen oder anderen Mitglieds der Opposition hier im Hause - herauskommen kann.
Ich habe einige Bemerkungen im wesentlichen zu dem gemacht, was streitig war. Ich freue mich darüber, daß das das Allerwenigste war und daß wir im Grunde sehr einig gewesen sind, und zwar in beiden Gesetzgebungsvorhaben. Ich bin sicher, daß wir einen guten Schritt getan haben in Richtung auf einen besseren, gerechteren und gleichmäßigeren Zugang zum Recht für diejenigen, die das besonders gut brauchen können. Ich danke all denen, die sich daran beteiligt haben, sehr herzlich.
({4})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe haben dasselbe Anliegen: Sie sollen den Zugang zum Recht verbessern. Im Bereich des materiellen Rechts ist die Gewährleistung gleicher Rechte für alle Bürger eine pure Selbstverständlichkeit. Für sich genommen nützt das aber dem Bürger recht wenig. Er muß vielmehr auch wissen, wie und wo er seine Rechte wahrnehmen kann, und er muß in der Lage sein, sein Recht notfalls mit der Hilfe der Gerichte durchzusetzen.
({0})
Der Gang zum Rechtsanwalt, die Anrufung des Gerichts dürfen nicht an Anwaltsgebühren oder Gerichtskosten scheitern. Es ist daher ein Gebot des sozialen Rechtsstaates, dem rechtsuchenden Bürger
diese Wege zu ebnen, die ihm erst die Verwirklichung seines Rechts ermöglichen. Mit der Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe werden wir diesem Ziel ein wesentliches Stück nähergerückt sein.
Mein Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt vor allem den Herren Berichterstattern, den Herren Kollegen Langner und Schöfberger, natürlich auch dem Herrn Kollegen Kleinert, die gemeinsam, was schon gesagt wurde, in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe die Grundlagen dafür geschaffen haben, daß beide Entwürfe in den Ausschüssen wirklich zügig beraten und - auch das sei betont - einstimmig beschlossen werden konnten.
Im Laufe der Beratungen ist es auch gelungen, die beiden Regierungsentwürfe sowie den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf - das sei betont - wesentlich zu vereinfachen. Die nunmehr vorgeschlagenen Bestimmungen sind nicht nur kürzer und lesbarer, sie werden - das sei eingeräumt - in der Praxis auch besser zu handhaben sein. Dafür, meine Herren, nochmals meinen herzlichen Dank.
In dem Entwurf eines Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe sind meiner Auffassung nach drei Punkte bedeutsam, auf die noch einmal hingewiesen werden sollte.
Erstens. Wer Prozeßkostenhilfe beansprucht, braucht nicht mehr zunächst ein Zeugnis des Sozialamtes über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzuholen; er kann künftig unmittelbar gegenüber dem Gericht eine Erklärung hierüber abgeben. Damit wird ein doppelter Behördengang, insbesondere der oft als peinlich empfundene Weg zum Sozialamt, erspart.
Zweitens. Das Prüfungsverfahren selbst wird auf ein Mindestmaß beschränkt. Zeugen und Sachverständige werden in diesem Verfahren künftig nicht mehr vernommen; Entscheidungen ergehen grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung. Umfangreiche Beweisaufnahmen werden so erspart. Diese Beschränkung wird auch dazu beitragen, den Hauptprozeß zu beschleunigen.
Drittens. Die Überwachung der Ratenzahlungen ist vereinfacht worden. Die Partei ist nicht mehr verpflichtet, dem Gericht eine Veränderung der für die Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse anzuzeigen. Pannen kann es deswegen hier nicht mehr geben. Das Gericht kann seine Bestimmungen über die Zahlungsverpflichtungen der Partei nicht ändern, wenn sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei nachträglich verbessert haben. Der Verwaltungsaufwand wird hierdurch begrenzt.
Insgesamt tragen die vom Rechtsausschuß beschlossenen Änderungen also nicht nur zu einer Vereinfachung der Verfahren der Gerichte bei, sondern dienen vor allem auch, was ich mit besonderer Freude feststelle, dem Interesse des rechtsuchenden Bürgers im Einzelfall.
Ich möchte noch einige Bemerkungen in Richtung auf den Bundesrat machen. Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, daß er Verbesserungen des geltenden Armenrechts für notwendig hält, wenngleich er mit Kritik an dem Entwurf der Bundesregierung nicht gespart hat. Seiner Empfehlung, den Entwurf grundlegend zu vereinfachen, ist weitgehend, was ich schon ausgeführt habe und dankbar anmerke, Rechnung getragen worden. Ich würde es deshalb sehr begrüßen, wenn der Bundesrat rasch zu einem einheitlichen und zustimmenden Votum kommen könnte, damit dieses dem verbesserten Schutz des rechtsuchenden Bürgers dienende Gesetz zu dem vorgesehenen Zeitpunkt - am 1. Januar 1981 - in Kraft treten kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Beratungshilfe knüpft an eine Entwicklung an, die Ende des letzten Jahrhunderts ihren Anfang nahm, an eine Entwicklung, die aber gesetzlich nicht festgeschrieben wurde, wiewohl sie zu erfreulichen Strukturen geführt hat, die wir in den Stadtstaaten vorfinden.
Mir scheint, daß folgende Punkte bemerkenswert sind.
Erstens. Es gibt einen Anspruch auf kostenlosen oder wesentlich verbilligten Rat in Rechtsfragen.
Zweitens. Dem Rechtsuchenden wird ein unmittelbarer Zugang zu dem Anwalt seiner Wahl eröffnet; er muß also nicht zuvor einen Berechtigungsschein einholen.
Drittens - das scheint mir wichtig zu sein -: Ob jemand zur Inanspruchnahme von Beratungshilfe berechtigt ist, entscheidet abschließend eine staatliche Stelle, da der Rechtsanwalt bejahendenfalls aus öffentlichen Mitteln zu entschädigen ist. Aber es darf hier keine Ungewißheit für denjenigen Rechtsuchenden geben, der unmittelbar den Rechtsanwalt seines Vertrauens aufsucht und dem dieser nach vorläufiger Prüfung Beratungshilfe gewährt. Zwar erteilt der Rechtsanwalt in diesem Falle - sieht man von der geringen Anerkennungsgebühr, die der Rechtsuchende selbst aufbringen muß, ab - die Beratungshilfe auf eigenes Risiko; jedoch sind abweichende Vereinbarungen über die Vergütung - das ist der entscheidende Punkt - ausdrücklich ausgeschlossen.
Ich begrüße diese Lösungen. Die Anwaltschaft wird bei der Anwendung dieses Gesetzes eine ganz erhebliche Verantwortung zu tragen haben.
({1})
Es ist, wie die Regelung über die pauschalierte Entschädigung aus öffentlichen Mitteln zeigt, sicher keine Gesetz, das für die Anwaltschaft geschaffen wurde. Um so mehr muß die Anwaltschaft sich der Tatsache bewußt sein, daß das tatkräftige und effektive Wahrnehmen dieser neuen Aufgabe über die Berechtigung ihrer gesetzlichen Berufsdefinition entscheiden wird: Nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ist der Rechtsanwalt, worauf schon der Herr Kollege Kleinert hingewiesen hat, der beru16258
fene Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.
Ich bin sicher, daß in diesem Hause die Notwendigkeit, einen Schritt voran zu tun, bejaht wird. Der Deutsche Bundestag fügt sich damit in eine Entwicklung ein, die wir in vielen unserer Nachbarländer beobachten und die auch dem Europarat Anlaß gab, den Mitgliedstaaten den Ausbau der Rechtsberatung für wirtschaftlich hilfebedürftige Bürger zu empfehlen.
Ich bitte darum, dem Entwurf so, wie ihn der Rechtsausschuß beraten hat, zu folgen.
({2})
- Ich bitte nur darum.
({3}) Danke schön.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung über die Vorlage unter Punkt 5 der Tagesordnung: Entwurf eines Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe in der Ausschußfassung auf Drucksache 8/3694.
Ich rufe Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften in der Ausschußfassung mit den Korrekturen des Berichterstatters zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Abzustimmen ist nun noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Rechtsausschuß empfiehlt in Drucksache 8/3694 unter Nr. 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung über den Entwurf eines Beratungshilfegesetzes auf Drucksache 8/3695, wie unter Tagesordnungspunkt 6 aufgeführt.
Ich rufe § 1 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 1 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3707 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer § 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - § 2 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe §§ 3 bis 13 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Bestimmungen sind einstimmig angenommen.
Ich rufe § 14 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3707 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer § 14 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. § 14 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe §§ 15 und 16, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Bestimmungen sind damit angenommen.
Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3695 unter Nr. 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 8/3150 Vizepräsident Wurbs
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({0})
- Drucksache 8/3622 Berichterstatter: Abgeordneter Curdt ({1})
Interfraktionell ist ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden.
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Tillmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir Verkehrspolitiker sind es gewohnt, daß wir in diesem Hause immer relativ spät zu Wort kommen.
({0})
Dennoch hoffe ich, daß es die hier noch anwesenden sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen nicht nur tolerieren, sondern vielleicht sogar begrüßen, wenn sich die Verkehrspolitik zu dieser Stunde noch artikuliert, denn immerhin sind von den Vorschriften dieser Novelle zum Straßenverkehrsgesetz, die heute zur Verabschiedung heransteht, tagtäglich Millionen von Autofahrern, Millionen von sonstigen Verkehrsteilnehmern betroffen. Diese Novelle zum Straßenverkehrsgesetz enthält einen ganzen Katalog verkehrspolitischer Maßnahmen, z. B. ein Verbot für Kraftfahrzeuge über 7,5 Tonnen, an Sonn- und Feiertagen und während der Nachtzeit regelmäßig in geschlossenen Ortschaften zu parken. Es geht um Parkvorrechte für Anlieger und Schwerbehinderte. Es geht um die Schaffung verkehrsberuhigter Innenstadtbereiche, um die Möglichkeit der Parkgebührenstaffelung in Innenstadtbereichen, um die Benutzung von Bussonderfahrspuren durch Taxen und auch um die Einbeziehung energiesparender und lärmmindernder Fahrweisen - eine sehr wichtige Angelegenheit - in den Fahrschulunterricht und in die Fahrprüfung. Das sind im Grunde genommen die wichtigsten Neuregelungen dieses Gesetzentwurfes.
Meine Damen und Herren, diese Novelle zum Straßenverkehrsgesetz hat eine lange Vorgeschichte. Meine Fraktion hofft, daß jetzt endlich die Voraussetzungen für ein baldiges Inkrafttreten gegeben sind.
Am Ende der 7. Legislaturperiode, am 1. Juli 1976, ist die Verwirklichung dieses Gesetzentwurfs nach langem Hin und Her gescheitert, weil insbesondere bei den geplanten innerörtlichen Parkverboten während der Nacht und an Sonn- und Feiertagen eine nicht zu überwindende Meinungsverschiedenheit zwischen Bundestag und Bundesrat bestand. Der Bundestag vertrat damals einmütig die Auffassung, daß schon wegen der in vielen Fällen fehlenden baurechtlichen Festsetzungen nur die Gemeinden durch Regelungen in ihren Satzungen, also vor Ort, dieses Parkverbot für Lkw sinnvoll regeln könnten. Wie gesagt, damals waren alle drei Fraktionen dieses Hauses einhellig dieser Meinung.
Wir sind auch heute noch der Auffassung, daß sich inzwischen die Verhältnisse an Ort und Stelle nicht grundlegend geändert haben. Wir halten deshalb eine Regelung dieses Parkverbots im Satzungsrecht der Gemeinden nach wie vor für die zugleich sinnvollste wie auch praktikabelste Lösung - sowohl im Interesse der Bürger, die Anspruch auf Ruhe haben, als auch im Hinblick auf die Schwierigkeiten des Verkehrsgewerbes.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Merker?
Ich bedauere, hier keine Zwischenfrage zulassen zu können, weil es sich hier um eine Kurzdebatte handelt, Herr Präsident. Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege Merker.
Das steht in Ihrem Ermessen.
Die CDU/CSU bedauert, dafür keine Mehrheit in diesem Hause - wie vor vier Jahren - finden zu können.
Die jetzt vorgesehene Regelung wird nach Auffassung meiner Fraktion insbesondere in innerörtlichen Bereichen, in denen keine rechtsgültigen Bebauungspläne existieren, zu Schwierigkeiten führen. Wenn also keine Industrie- und Gewerbegebiete ausgewiesen sind - und das ist besonders in kleineren Gemeinden in ländlichen Gebieten und in seit langem baulich abgeschlossenen innerstädtischen Bereichen eher die Regel als die Ausnahme -, dann ist überhaupt keine Parkmöglichkeit für Lastkraftwagen vorhanden, es sei denn, die Gemeinden schafften entsprechend ausgewiesenen Parkraum. Hier liegt der große Unsicherheitsfaktor der vorgesehenen gesetzlichen Regelung; denn ob und was die Gemeinden an Parkraum schaffen, ist völlig offen.
Im Schriftlichen Bericht des federführenden Verkehrsausschusses wird reichlich unverbindlich auf eine Neufassung des § 46 der StraßenverkehrsOrdnung verwiesen. Die Straßenverkehrsämter sollen demnach ermächtigt werden, von diesem LkwParkverbot Ausnahmen zu machen, wenn entsprechend ausgewiesene Parkplätze oder Industrie- und Gewerbegebiete nicht vorhanden sind.
({0})
- Sehr gut, Herr Kollege Schulte; denn abgesehen davon, daß dies wirklich schon ein bedeutender Beitrag zur weiteren Bürokratisierung ist, erst etwas generell zu verbieten, um es dann durch Ausnahmeregelungen wieder zu gestatten, hält die CDU/CSU diese Absichtserklärung auch für viel zu unverbindlich und viel zu vage.
Meine Fraktion geht davon aus, daß diese Neuf as-sung von § 46 der Straßenverkehrs-Ordnung gleichzeitig mit der Novelle zum Straßenverkehrsgesetz in Kraft tritt und daß die Ausnahmen vom Parkver16260
bot zu gewähren sind, wenn die genannten Voraussetzungen hinsichtlich des Ersatzparkraumes nicht gegeben sind.
Herr Staatssekretär, wir fordern die Bundesregierung auf, dieses zeitliche und sachliche Junktim zu bekräftigen.
({1})
- Wir möchten das von dieser Stelle aus noch einmal bekräftigt bekommen.
Bei aller von der CDU/CSU anerkannten Notwendigkeit, den Lastkraftwagen konsequent in die Verkehrsberuhigung und in den Lärmschutz einzubinden, kann der Gesetzgeber keine Regelung schaffen, die dazu führen würde, daß sich der Lkw praktisch in Luft auflösen müßte, um die gesetzlichen Auflagen erfüllen zu können.
Ein weiterer wichtiger Punkt des vorliegenden Gesetzentwurfes ist die Möglichkeit, in Zukunft die Parkgebühren in innerstädtischen Bereichen zu staffeln. Damit wird der Verkehrspolitik ein von uns bereits seit 1968 gefordertes ordnungspolitisches Instrument an die Hand gegeben, um den knappen innerstädtischen Parkraum dem Verkehrswert entsprechend besser und gleichmäßiger auszulasten und dem „park and ride"-Verkehr nachhaltige Impulse zu geben.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einrichtung verkehrsberuhigter Zonen, die der vorliegende Gesetzentwurf schafft, sind nach unserer Auffassung überfällig. 50 bis 60 % aller innerstädtischen Straßen eignen sich nach neueren Untersuchungen zur Verkehrsberuhigung, weil sie nur relativ geringe Bedeutung für den motorisierten Verkehr haben. Dies ist nach unserer Auffassung eine zentrale Maßnahme der Stadtsanierung, die insbesondere für Kinder und ältere Mitbürger von Bedeutung ist.
Auch die mit diesem Gesetzentwurf eingeräumten Parkvorrechte, insbesondere für Schwerbehinderte einerseits und für Anwohner andererseits, werden von der CDU/CSU begrüßt. Die Parkprobleme von Anwohnern sind insbesondere in den Randgebieten von Fußgängerzonen zu einem gravierenden Problem geworden. Nach unserer Auffassung muß diesem Problem auch in der Zukunft Beachtung geschenkt werden. Eine bloße räumliche Verlagerung von Park- und Verkehrsproblemen, wie sie bisher stattgefunden hat, ist alles andere als befriedigend.
Auf unsere Initiative hin ist es gelungen, in den vorliegenden Gesetzentwurf die Mitbenutzung der Sonderfahrspuren für Omnibusse durch Taxen hineinzubringen. Das Taxi ist Teil des öffentlichen Personennahverkehrs, und es ist nach Auffassung der CDU/CSU nur konsequent, es auch dementsprechend in der verkehrspolitischen Gesetzgebung zu behandeln.
Hinzu kommt das Problem des Haltens von Taxen in zweiter Reihe. Die Aufnahme dieses Vorhabens in den Gesetzentwurf war aus gesetzestechnischen Gründen nicht möglich. Wir begrüßen die Zusage der Regierung, dieses Problem im Rahmen einer Änderung der Straßenverkehrsordnung zu lösen und die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.
Wenn uns auch nicht - damit komme ich zum Abschluß - alle geplanten gesetzlichen Regelungen im vorliegenden Entwurf vollauf zufriedenstellen, so werden wir dem Gesetzentwurf doch zustimmen. Nach unserer Auffassung wird es notwendig sein, die neuen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und ihrer Zweckmäßigkeit in der Praxis sehr sorgfältig zu beobachten. Es ist einiges an Neuland dabei. Erst die Praxis wird zeigen, ob der Gesetzgeber auch alle Wirkungen und Nebenwirkungen bedacht hat. Wir jedenfalls hoffen sehr, daß dies der Fall war.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Curdt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute hier zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf zur Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes bringt einige, wie auch die Bundesregierung bei der Einbringung ihres Entwurfes schon bemerkt hat, wichtige, notwendige Ergänzungen zur bisherigen Gesetzeslage. Das gilt insbesondere für den Ermächtigungskatalog des § 6 dieses Gesetzes, weswegen dieser bei den hinter uns liegenden Beratungen im Ausschuß auch im Mittelpunkt gestanden hat.
Für die SPD-Bundestagsfraktion begrüße ich daher, daß endlich eine ausreichende Rechtsgrundlage geschaffen werden soll, wodurch Parkvorrechte zugunsten von Anwohnern, Blinden und Behinderten in dieser Gesellschaft in der Straßenverkehrsordnung vorgesehen werden können. Gerade Behinderte - wer wüßte dies nicht aus seinem eigenen Erleben - mit außergewöhnlicher Gehbehinderung wie auch Blinde sind darauf angewiesen, Parkmöglichkeiten vor ihrer Wohnung oder auch in der Nähe ihrer Arbeitsstätte zu finden; denn weite Wege - wir wissen dies - sind ihnen nicht zuzumuten. Wie schlimm muß es für sie sein, wenn sie an parkenden oder geparkten Autos ihrer Mitbürger vorbei zu ihrer Wohnung oder zu ihrem Arbeitsplatz kommen müssen. Die bisherigen und oftmaligen Appelle auf freiwillige Einsicht der nicht behinderten Autofahrer sind leider ohne Erfolg geblieben. Die nunmehr gefundene Lösung dieses Problems war darum längst überfällig.
Über die Parkprobleme von Anwohnern in den Straßen unserer Innenstädte brauche ich sicherlich keine näheren Ausführungen zu machen. Der Gesetzgeber mußte etwas tun, um hier zu einer Verbesserung zu kommen. Wir alle kennen den Wettlauf um die begehrten Parkplätze, bei den die Anwohner oft den kürzeren ziehen.
Der Ansicht des Bundesrates, für die Einräumung von Parksonderrechten einen Erprobungszeitraum vorzusehen, hat sich der Verkehrsausschuß des Bundestages nicht angeschlossen. Da außerdem hinreichende Erfahrungen aus anderen Ländern vorliegen - ich sehe, der Kollege Hoffie ist nicht hier;
aber das soll mich nicht hindern, das trotzdem zu sagen -, kann man nur zu dem Schluß kommen, daß jede vorläufige Regelung zu einer unerträglichen Erschwernis der städtebaulichen Entwicklungen geführt hätte. Deswegen sieht dieser Gesetzentwurf auch eine neue Bestimmung vor, die gegen den regelmäßigen Mißbrauch von Straßen und Parkraum in Wohngebieten durch dort abgestellte Lastkraftwagen, deren Anhänger und Busse gerichtet ist.
({0})
Aus eigener leidvoller Erfahrung weiß ich, lieber Kollege Schulte, wie sehr die Lebensqualität und das Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf während einer angemessenen Zeit - das wird von uns wohl nicht bestritten - dadurch beeinträchtigt werden, daß solche schweren Fahrzeuge am frühen Morgen, ja oftmals zur Nachtzeit .gestartet werden und damit der Schlaf der Anwohner ein gewaltsames Ende findet. Das muß sicherlich geändert werden. Hier hat es dem Grunde nach zwischen uns nie Interessenkollisionen gegeben.
({1})
Bei der Diskussion dieses Problems hat immer wieder die Frage eine Rolle gespielt, ob es ein generelles Verbot des Parkens geben solle und ob dabei die Gegebenheiten vor Ort entsprechend gewürdigt werden könnten. Auf der anderen Seite standen Überlegungen und Lösungsvorschläge, die der Diskussion nicht nur wert gewesen wären, sondern den Gemeinden oder den Mittelinstanzen möglicherweise Wege zu eigenen Lösungsmöglichkeiten eröffnet hätten. Ich erkläre dazu für die SPD-Bundestagsfraktion ganz eindeutig, daß wir wegen der Rechtssicherheit, wegen der Rechtseinheitlichkeit, aber insbesondere aus der Interessenlage der Bewohner, der Wohnbevölkerung heraus an dem bundesweit vorgesehen Lkw- und Anhängerparkverbot während der Nacht und Sonderzeiten festhalten werden.
Im Zusammenhang mit § 46 StVO, wonach schon jetzt die Möglichkeit besteht, besondere Tatbestände als Ausnahme zu würdigen, will ich die kundigen Kollegen des Ausschusses daran erinnern, daß es eine Ausschußdrucksache 321 gibt, in der zu diesem Problem eine bestimmte Aussage getroffen ist, nämlich die: Für besondere Einzelfälle besteht die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 46 StVO, um Unzuträglichkeiten zu vermeiden. Diese Vorschrift könnte insoweit auch noch in der im Ausschuß angeregten Form ergänzt werden, d. h. all das, was auch von meinem Vorredner, dem Kollegen Tillmann, als abträglich bezeichnet worden ist, kann durchaus geregelt werden. Allerdings sage ich dazu ganz deutlich: Wir müssen dem Bundesminister für Verkehr die Möglichkeit einräumen - dazu stehen wir -, in die Prüfung dieses Tatbestandes einzutreten. Das ist sicherlich notwendig; denn die örtlichen Gegebenheiten sind von sehr unterschiedlicher Art.
Zur Bekämpfung des sonstigen Verkehrslärms sollen weitergehende Verordnungen als heute vorgesehen erlassen werden können. Auch das ist ein Anliegen, dessen Verwirklichung seit langem im Interesse der Bürger liegt. Dabei geht es unter anderem um verkehrslenkende Maßnahmen zur Beruhigung der Wohnzonen. Insoweit stellt dieses Gesetz, so meinen wir jedenfalls, ebenfalls eine sehr wertvolle Ergänzung des, wie wir gehört haben, in der nächsten Woche zu verabschiedenden Verkehrslärmschutzgesetzes dar.
Nun aber noch einige Sätze zu den Fragen, die nicht ganz unumstritten sind. Das System gestaffelter Parkgebühren ist vor allen Dingen immer wieder von Kommunalpolitikern gefordert worden. Kollegen Tillmann hat schon darauf hingewiesen, daß das ein Vorschlag der Sachverständigenkommission zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden ist. Er stammt immerhin schon aus dem Jahr 1964. Ich glaube, hier handelt es sich um einen über die Grenzen der einzelnen Parteien hinausgehenden Bereich.
Höhere Parkgebühren in den Innenstädten werden zunächst nicht gerade zu einer wesentlichen Entlastung der Zentren vom Autoverkehr führen, aber zumindest - so meinen wir - zu einem schnelleren Wechsel innerhalb der möglichen Höchstparkdauer. Damit könnte eine Nutzung des begrenzten Parkraums in unseren Innenstädten durch eine möglichst große Anzahl von Verkehrsteilnehmern herbeigeführt werden.
Wir wissen, daß der Autofahrer meist empfindlich reagiert, wenn die öffentliche Hand - gleichgültig, um welche Ebene es sich handelt - höhere Gebühren von ihm verlangt.
({2})
- Es gibt auch Länderregierungen, Kollege Sick.
Deswegen meinen wir, daß mit einer Anhebung der Parkgebühren und ihrer Staffelung behutsam und je nach den örtlichen Verhältnissen umgegangen werden muß. Darum begrüße ich auch, daß im Gesetz kein Höchstsatz festgelegt worden ist; bestünde andernfalls doch die Gefahr, daß dieser leicht als ein allgemeiner Richtsatz verstanden wird.
Meine Damen und Herren, seit langer Zeit haben sich die Wertvorstellungen unserer Bürger auch im Bereich der Verkehrspolitik, wie wir feststellen müssen, allmählich gewandelt. Die Sorglosigkeit im Umgang mit Energie, Landschaft und mit unserer Umwelt ist einer verantwortlichen Berücksichtigung ökologischer Probleme gewichen.
({3})
Dies wird auch deutlich bei der veränderten Zielsetzung des Bundesverkehrswegeplans nach dem Motto „Qualität vor Quantität". Ich freue mich jedenfalls, hier heute feststellen zu können, daß auch die Neufassung von Teilen des Straßenverkehrsgesetzes diesem Anspruch standhalten kann.
({4})
Daß wir es mit einem in der Tendenz einmütig und nur in wenigen Einzelfragen unterschiedlich, aber dennoch positiv und von allen Fraktionen dieses Hauses verabschiedeten Gesetz zu tun haben, gibt mir Hoffnung zu der Annahme, daß es in seiner Auswirkung auch von den Betroffenen, nämlich den Bürgern unseres Landes, so beurteilt werden möge.
Für die SPD-Bundestagsfraktion erkläre ich von dieser Stelle aus die uneingeschränkte Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Ich hoffe, daß die Gemeinsamkeit, die wir im Ausschuß bei der Beratung auch strittiger Punkte innerhalb der letzten Wochen letztlich immer wieder erzielen konnten, sich auch bei der Abstimmung über dieses Gesetz wiederholt.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Merker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Städte, Gemeinden und Kreise unseres Landes haben im vergangenen Jahr erklärt, daß sie wichtige Impulse für eine humane Stadtentwicklung von diesem Gesetz erwarten, die das Wohnen in der Stadt wieder attraktiv machen sollen. Ich glaube, daß diese Erwartungen, die die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände an dieses Gesetz geknüpft hat, nicht zu hoch sind.
Die allgemeine politische Zielsetzung dieses Gesetzes ist: 1. Verbesserung der Nacht- und Feiertagsruhe durch eine entsprechende Regelung des Lkw-Parkverbots, 2. Schaffung eines attraktiven Wohnumfelds durch die rechtsverbindliche Kennzeichnung von Fußgängerbereichen und verkehrsberuhigten Wohnzonen, 3. verbesserte Möglichkeiten zur Steuerung des ruhenden Verkehrs durch Parkvorrechte für Anwohner und Behinderte, in citynahen Wohngebieten durch die Neuordnung der Gebühren für Parkuhren, 4. eine umwelt- und energiebewußte Fahrweise durch eine entsprechende Ausbildung in den Fahrschulen.
Am umstrittensten während der Aussprache war sicherlich die Frage, wie der berechtigte Wunsch der Bevölkerung nach einer ungestörten Nacht- und Feiertagsruhe mit einer praxisnahen und akzeptablen Regelung in Übereinstimmung zu bringen ist. Ich wäre auf diesen Punkt hier sicherlich nicht mehr näher eingegangen, wenn nicht der Kollege Tillmann in seinen Ausführungen den falschen Eindruck erweckt hätte, als hätte die CDU während der Ausschußberatungen in dieser Frage eine konsequente Linie verfolgt. Herr Kollege Tillmann, dies ist nicht so.
({0})
Wenn Sie einen Blick in die Protokolle werfen, werden Sie feststellen, daß Sie hier eine unzulässige Darstellung gegeben haben. In der ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuß haben ausgerechnet Sie, Herr Kollege Tillmann, erklärt - und dies steht im Protokoll -, daß an der Regelung, wonach
dieses Problem durch Satzung der Gemeinden zu regeln sei, nicht mehr festzuhalten sei.
({1})
- Entschuldigung, ich habe mich vor der Beratung, die wir heute führen, noch einmal in den Protokollen vergewissert. Sie können davon ausgehen, daß das, was ich Ihnen sage, so im Protokoll steht. Herr Kollege Tillmann hat dies ausdrücklich so erklärt. In der zweiten Beratung haben Sie genau das Gegenteil erklärt.
Wenn wir so Gesetze machen würden - rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln -, dann würde mit diesem Gesetz genau dasselbe wie vor vier Jahren passieren, und wir würden 1985 diese Probleme noch genauso vor uns herschieben, wie wir das jetzt sieben Jahre lang gemacht haben.
({2})
Dann könnten die Leute, die die Brummer vor der Tür stehen haben, auch in Zukunft getrost darauf verzichten, abends ihren Wecker aufzuziehen, weil sie sicher sein können, daß der Brummer vor ihrer Tür sie morgens um halb vier Uhr weckt.
({3})
Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung - lassen Sie mich auch das einmal sagen - hätten wir in dieser Bundesrepublik einen Schilderwald bekommen,
({4})
weil Sie in allen Gemeinden, wo Sie das Parken von Lastwagen verbieten wollten, Schilder hätten aufstellen müssen. Durch die von der FDP vorgeschlagene Regelung, von der wir meinen, daß sie akzeptabel und praxisnah ist, erreichen wir, daß dieses grundsätzlich ausgesprochene Parkverbot nachts und an Sonn- und Feiertagen durch eine Ausnahmeregelung gelockert wird, indem den Straßenverkehrsbehörden die Möglichkeit eröffnet wird, in all den Fällen, in denen in zumutbarer Entfernung kein Parkplatz zur Verfügung steht, eine Sonderregelung zu treffen. Wir sind ganz sicher - Herr Kollege Tillmann, Sie haben das in Ihrer Rede noch einmal angesprochen -, daß die dazu notwendige Änderung des § 46 der Straßenverkehrsordnung gleichzeitig mit diesem Gesetz in Kraft treten wird; denn darauf kommt es Ihnen genauso wie uns an.
Wir meinen, daß dieses Gesetz nach seinem Inkrafttreten viele tausend Bürger in unserem Lande aufatmen läßt, weil es sie vor unzumutbaren Lärmbelästigungen und vor Lastfahrzeugen verschont, die vor allem nachts und am Wochenende auf öffentlichen Straßen, vorzugsweise in Wohngebieten, abgestellt werden.
Lassen Sie mich zu dem zweiten von mir angesprochenen Bereich kommen. Mit der Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes wird die rechtliche Grundlage für die Kennzeichnung von Fußgängerbereichen und verkehrsberuhigten Wohnzonen geschaffen. Mit dieser Gesetzesänderung verschaffen wir dem Wohnbereichsschild, das schon bisher aufgestellt war, endlich die Rechtsgültigkeit.
Für die FDP möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir mit der Schaffung dieser Voraussetzung die Aufforderung verbinden, daß alle Entscheidungsträger, vor allem im kommmunalen Bereich, durch die Schaffung von verkehrsberuhigten Zonen zu einer Humanisierung und Revitalisierung in unseren Städten beitragen.
In den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten ist der Verkehrsteilnehmer Fußgänger und Radfahrer immer mehr zugunsten des Autofahrers zurückgedrängt worden. In den letzten Jahren wurde eine deutliche Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dieser Entwicklung mehr und mehr erkennbar. Es geht darum, daß auch auf den Straßen gleichrangige Lebensbedingungen geschaffen werden. Wir müssen erkennen, daß die Gemeinschaft der Verkehrsteilnehmer nicht nur aus Autofahrern besteht, sondern daß auch Fußgänger und Radfahrer gleichberechtigt am Verkehr teilnehmen können.
({5})
Mehr Sicherheit, mehr Ruhe ist die eine Seite der Verkehrsberuhigung. Die andere heißt: besseres Umfeld, mehr Wohnqualität. Wohnumfeldverbesserung ist zu einem der wichtigsten Instrumente unserer Stadtsanierung geworden. Mit der Verkehrsberuhigung wird versucht, einen Teil der Verkehrsfläche vor unseren Wohnungen für Grün- und Freizeitflächen, Spiel- und Aufenthaltsbereiche zurückzugewinnen. Wir hoffen, daß in Zukunft möglichst viele Kommunalpolitiker, möglichst viele Städte- und Verkehrsplaner die Chancen, die die Einrichtung von verkehrsberuhigten Wohnzonen bietet, ergreifen, um unsere Städte so wieder zu einer humanen Wohnumfeldregeneration zurückzuführen.
Der dritte Punkt betrifft die verbesserten Möglichkeiten zur Steuerung des ruhenden Verkehrs. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß in Städten und Gemeinden die Möglichkeit eröffnet wird, die Gebühren für Parkuhren in unterschiedlicher Höhe festzusetzen. Diese Regelung ist auf starke Bedenken seitens der Automobilverbände gestoßen. Lassen Sie mich deutlich sagen, daß es hier nicht etwa darum geht, neue Geldquellen für die Kommunen zu erschließen. Hier geht es einzig und allein darum, den noch vorhandenen Parkraum in den Innenstädten möglichst optimal zu nutzen. Ein Steuerungsinstrument dabei kann der Preis sein, ein Verfahren übrigens, das z. B. die Flughäfen schon mit großem Erfolg praktizieren, indem sie den Parkraum teurer machen, je dichter er am Terminal liegt. Aber ich möchte auch hier noch einmal darauf hinweisen, daß sich die FDP bei den Beratungen im Ausschuß eindeutig dafür ausgesprochen hat, auch andere Modelle, etwa die Zonenparkscheibe, mit in die weiteren Überlegungen einzubeziehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einige Sätze zu dem vierten von mir angesprochenen Punkt sagen. Die FDP ist der Meinung, daß durch ein energiebewußtes Fahrverhalten eine Menge Benzin einzusparen ist. Sie hat deshalb vorgeschlagen, daß eine umweltschonende und energiesparende Fahrweise in die Fahrprüfung und damit auch in den Fahrschulunterricht eingebracht wird. Damit soll dem Fahranfänger - dies sind jährlich knapp 1 Million - im Zusammenhang mit dem Erwerb des Führerscheins eine energiesparende Fahrweise nahegebracht werden.
({6})
- Die machen wir. Dies ist Teil einer vernünftigen Energiepolitik.
({7})
Es fügt sich nahtlos ein, Herr Kollege Sick, in das, was die Bundesregierung auf dem Gebiet der Energiepolitik permanent macht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Zusammen mit dem in der nächsten Woche zu beratenden Verkehrslärmschutzgesetz ist dieses Gesetz eines der wichtigsten Gesetze aus dem Umweltschutzbereich, weil von ihm, wie ich eingangs sagte, wichtige Impulse für eine Entlastung der Bürger von Lärm und Gestank und Anregungen für eine humane Zukunft in unseren Städten ausgehen werden.
Die FDP stimmt dem Gesetz zu.
({8})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enhaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung den Antrags der Abgeordneten Tillmann, Dr. Schulte ({0}), Weiskirch ({1}), Ernesti, Damm, Dreyer, Sick, Benz, Pfeffermann, Biehle, Dr. Stercken, Voigt ({2}), Würzbach, Frau Krone-Appuhn, Handlos, Gierenstein, Stahlberg, Dr. Jobst, Hanz, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Frau
Vizepräsident Wurbs
Hoffmann ({3}), Straßmeir, Bühler ({4}), Dr. Friedmann, Jäger ({5}), Dr. Fuchs, Weber ({6}), Dr. Hennig, Löher, Dr. Stavenhagen und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
Europäische Flugsicherung
- Drucksache 8/3521 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({7})
Verteidigungsausschuß
Auch hier wurde interfraktionell ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tillmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die seit 1963 bestehende übernationale Einrichtung EUROCONTROL für ein gemeinsames europäisches Flugsicherungssystem ist derzeit in ihren exekutiven Funktionen und in ihrem weiteren Ausbau existenziell gefährdet. Hier spielt sich eines der negativen Kapitel im Bereich der politischen Anstrengungen zur europäischen Integration ab.
Ausgerechnet dort, wo moderne Düsenflugzeuge innerhalb weniger Minuten mehrere Ländergrenzen überfliegen, wo verfügbarer Luftraum besonders eng und dicht beflogen ist, scheint der Drang nationaler Verkehrsbehörden zur Kleinstaaterei ganz besonders zweifelhafte Triumphe zu feiern.
({0})
- Das ist in der Tat so.
Mit ihrem Antrag zur europäischen Flugsicherung will meine Fraktion dieser für die Sicherung des europäischen Luftverkehrs insgesamt gefährlichen Entwicklung entschieden entgegentreten.
Welche Urteile und Empfehlungen können überzeugender sein als die der Fachwelt, d. h. der Luftraumbenutzer selbst? So finden sich in einer Studie der British Airways unter dem Titel „Flugsicherung 2000" Aussagen, die nicht nur die Erhaltung, sondern auch den zügigen Ausbau von EUROCONTROL verlangen, will man den Bedürfnissen der kommenden Jahre in der sicheren und wirtschaftlichen Lenkung des Luftverkehrs in Europa gerecht werden.
({1})
- In der Tat.
Der gleiche Tenor ist in mehrfachen Initiativen europäischer Pilotenverbände enthalten. Von ihnen hat erst kürzlich der niederländische Verband ein unüberhörbares Plädoyer für die Ausweitung der bisher von EUROCONTROL geleisteten Dienste auf dem Gebiet der aktiven Luftverkehrskontrolle gehalten. Es ist in Form einer direkten Aufforderung an die niederländische Regierung gerichtet worden.
Am 16. November 1979 schrieb Michael Hill im „Handelsblatt":
Die Unmöglichkeit einer europäischen Flugsicherung wurde von den Vertretern der Bundesregierung geradezu herbeigeredet,
({2})
obwohl Äußerungen in anderen europäischen Ländern, jetzt auch von der neuen konservativen Regierung in Großbritannien, aber inzwischen auch in Holland, eine genau gegenläufige Tendenz aufweisen.
({3})
Die „Deutsche Verkehrszeitung" vom 11. Oktober 1979 schreibt:
Es muß schizophren anmuten, daß BVM-Staatssekretär Ruhnau
- jetzt taucht er auf, Herr Kollege Schulte bemüht ist, dort, wo die zivil-militärische Kooperation gut funktioniert, nämlich bei EUROCONTROL, diese durch eine Nationalisierung der EUROCONTROL-Zentrale Karlsruhe wieder aufzulösen. Auch die Auflösung der EUROCONTROL-Zentrale Maastricht wird in Bonn anvisiert, obgleich den Fachleuten klar ist, daß damit zwangsläufig Katastrophen an den zivilmilitärischen Schnittstellen der Flugsicherung vorprogrammiert werden.
({4})
Diese wahrlich massive Kritik an der Flugsicherungspolitik der Bundesregierung unterstreicht, wie wichtig und notwendig unser Antrag, der dem Bundestag vorliegt, ist.
Die CDU/CSU fordert in vollem Einklang mit den Sachkennern die Bundesregierung auf, ihren verhängnisvollen Kurs in der Politik der europäischen Flugsicherung schleunigst aufzugeben.
({5})
Wir fordern in unserem Antrag zur europäischen Flugsicherung den Fortbestand und weiteren Ausbau der Kompetenzen von EUROCONTROL.
({6})
Soweit die Bundesregierung die Absicht verfolgt, das EUROCONTROL-Flugsicherungszentrum in Maastricht in eine sogenannte Verkehrsflußzentrale ohne eigentliche Kontrollfunktion umzuwandeln, werden wir uns dem energisch widersetzen. Die Rückführung der Flugverkehrskontrolle für Norddeutschland von Maastricht z. B. nach Bremen wäre ein eklatanter realer Rückschritt, ja kaum möglich, da der Aufbau eines tatsächlich vergleichbaren Flugsicherungssystems in der Bundesrepublik Deutschland wenigstens weitere acht bis zehn Jahre in Anspruch nehmen würde. Wie sollte Maastricht im übrigen in Zukunft eine wirksame Verkehrsflußsteuerung, die wir als zusätzliche Aufgabe sehr befürworten, durchführen können, wenn es keine Exekutivgewalt mehr hat? Diese Absichten der BundesTillmann
regierung sind ein bedenklicher Rückschritt und keineswegs ein Fortschritt.
Mit großer Befriedigung nimmt die CDU/CSU zur Kenntnis, daß sich in den Parlamenten Europas der Widerstand gegen den Unsinn der Renationalisierung in der europäischen Flugsicherung zu formieren beginnt. Da der EUROCONTROL-Vertrag ab März 1983 geändert zu werden droht, ist es ja wohl fünf Minuten vor zwölf in dieser Frage. Das Europäische Parlament ließ in zwei Entschließungen an Deutlichkeit für eine europäische Flugsicherung nichts zu wünschen übrig. Auch das niederländische Parlament ist es offenbar leid, sich von der Bundesregierung in dieser Frage den Schwarzen Peter zuschieben zu lassen. Denn es läßt die Bereitschaft erkennen, exekutive Luftverkehrskontrollen im oberen Luftraum auf Maastricht zu übertragen, falls die Bundesregierung ihrerseits bereit ist, an Maastricht festzuhalten, was sicher aber die Sicherung des Status quo in Karlsruhe einschließt.
Die Flugsicherung ist ein viel zu kostbares Gut, als daß hier leichtsinnig experimentiert werden dürfte - hier geht es um Menschenleben -, wie es derzeit bei den Renationalisierungsbestrebungen der Fall ist. Das sollte und müßte auch die Bundesregierung begreifen. Die Bundesrepublik kann es sich jedenfalls im Interesse der Sicherheit ihres eigenen Luftraumes nicht leisten, den mit den bisher vorgenommenen Investitionen erzielten hohen Leistungsstandard der EUROCONTROL-Flugsicherung zu zerstören, selbst wenn die Organisation durch die beklagenswerte Distanzierung einiger Partnerstaaten noch nicht ihren optimalen Stand erreichen kann. Gerade deswegen aber muß EUROCONTROL in seinem jetzigen Umfang mit Exekutivbefugnissen in der Flugverkehrskontrolle als Kristallisationskern einer zukünftigen ganz Europa übergreifenden Flugsicherung erhalten bleiben.
Die CDU/CSU fordert deshalb in ihrem Antrag an erster Stelle, daß der Fortbestand exekutiver Aufgaben der europäischen Flugsicherung umgehend zum Gegenstand von Verhandlungen mit den betroffenen Ländern auf höchster politischer Ebene mit dem Ziel der Erhaltung und des weiteren Ausbaus der jetzt von EUROCONTROL wahrgenommenen Aufgaben gemacht wird.
({7})
Dies scheint uns der erfolgversprechendste Weg zu sein, das undurchsichtige Schwarzer-Peter-Spiel und unzureichende Bemühen nationaler Verkehrsbehörden baldmöglichst zu überwinden. Aus der Natur der Sache heraus müßte es gerade die Flugsicherung sein, die gemeinsam europäisch betrieben wird, nächst der Agrarpolitik selbstverständlich; das versteht sich, Herr Kollege Sauter. Auch in der Flugsicherung im europäischen Luftraum muß sich real erweisen, daß der Europagedanke mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Ibrügger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Tillmann, Ihre Kernaussage - beklagenswerte Distanzierung mancher beteiligter Staaten von EUROCONTROL - trifft sicherlich auch den Kern der Schwierigkeiten, die wir heute zu beklagen haben. Die Überschrift Ihres Antrages „Europäische Flugsicherung" erweckt den Eindruck, als ob es schon eine Einrichtung gäbe, die diesen Namen auch verdient. Leider gibt es sie nicht, denn echte Befugnisse seitens der Bundesrepublik Deutschland, Luxemburgs und Belgiens gibt es bisher nur für den oberen Luftraum. Leider müssen wir heute feststellen, daß Absicht und Wirklichkeit europäischer Flugsicherung weit auseinanderklaffen.
Lassen Sie uns kurz einen Blick auf das Jahr 1960 zurückwerfen, als eine Bundesregierung unter christdemokratischer Führung in der Verantwortung stand. Am 13. Dezember wurde das Abkommen über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt - kurz „EUROCONTROL" genannt - abgeschlossen. Es trat, nachdem es am 15. Dezember 1960 hier in Bonn verkündet worden war, in Kraft. Die Zielvorstellung, die in der Konvention festgelegt worden ist, möchte ich heute als einen mutigen Schritt bezeichnen, weil es ein mutiger Schritt im gemeinsam erkannten Interesse war, nationale Souveränitätsrechte zurückzustellen, um durch die gemeinsame Organisation der Luftverkehrssicherheitsdienste im oberen Luftraum - über 6 000 Meter - ein internationales Kontrollorgan mit echten Weisungsbefugnissen aufzubauen.
Was ist aber daraus geworden? Schon bevor diese Konvention verabschiedet wurde, haben die Engländer erklärt, daß sie eine solche Konvention, eine solche Übertragung von Befugnissen für ihren Luftraum nicht für erforderlich hielten. Die Franzosen haben die Ratifizierung erst vorgenommen, nachdem ihnen von den Teilnehmerstaaten, also auch von der Bundesrepublik Deutschland, zugesichert worden war, daß die englische Haltung auch für den französischen Luftraum Geltung bekommen sollte. Dies gilt heute - leider, sage ich nach wie vor.
Heute verfügt EUROCONTROL über Einrichtungen von einer beachtlichen Qualität. Maastricht und Karlsruhe betreuen den Luftraum der Bundesrepublik Deutschland, den von Belgien und von Luxemburg. Was Holland betrifft, so ist zu beklagen, daß die Maastrichter Zentrale nach wie vor nicht den holländischen oberen Luftraum kontrolliert. Shannon ist gebaut worden, ausgestattet, ausgerüstet worden mit erheblichem Millionenaufwand und steht ungenutzt herum, weil auch die Iren aus sozialen Gesichtspunkten hier Schwierigkeiten sehen und bisher nicht bereit waren - ich sage es hier gleich dazu -, auf diese Einrichtung zurückzugreifen. Wir haben in Brétigny in Frankreich die gemeinsame Forschungsstelle, die nach Auskunft und nach dem Wissen aller Beteiligten gute Arbeit für die europäische Flugsicherung leistet. In Luxemburg haben wir das Institut für Luftverkehrssicherungsdienste und in Brüssel die Zentralstelle für Flugsicherungsstreckengebühren. Eigenartigerweise funktioniert diese Einrichung besonders gut, eine Einrichtung, der nationale Stellen gern die
Souveränität übergeben haben, weil dort nämlich der oberste Gerichtsvollzieher seine Arbeit zu verrichten und bei den Fluggesellschaften die Strekkengebühren einzutreiben hat. Hier funktioniert es offensichtlich sehr gut; hier ist man bereit, Souveränität zu übertragen.
Das Auslaufen der Konvention im Jahre 1983 hat die beteiligten Staaten schon seit einiger Zeit dazu gebracht, sich Vorstellungen darüber zu machen, wie es weiter laufen sollte. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß ich es aus der Rückschau bedauere, daß Überlegungen dazu in allen beteiligten Ländern eigentlich ohne parlamentarische Kontrolle oder Betreuung gelaufen sind.
({0})
Wir stellen dies heute fest, und ich wünsche mir, daß wir hier darauf stärker eingehen können.
Die Beschränkung, die ich im Ansatz schon erwähnt habe - und auch einer christdemokratischen Regierung ist es nicht möglich gewesen, diese Souveränitätsvorbehalte abzubauen, die in Frankreich und in Großbritannien zugunsten des oberen Luftraums vertreten worden waren -, ist also eine Schwierigkeit, die alle Regierungen in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam hatten, gleichgültig, welcher Regierungschef nun führte. Wir müssen heute feststellen, die Ursprungsvorstellungen von der die Ländergrenzen übergreifenden Flugverkehrskontrolle sind durch solche Verhaltensweisen von Staaten belastet worden, die von vornherein die Wirksamkeit dieser Konvention in Frage gestellt haben.
Nun, wir haben auch zu untersuchen, welche Rolle nationale Flugsicherungsbehörden spielen, welche Interessenlagen bestehen, welche Interessenkonflikte und Widerstände in den einzelnen Ländern hinzugekommen sind, so daß wir heute leider über solche Schwierigkeiten reden müssen. Wir müssen uns auch fragen, inwieweit nationale Weigerungen, Befugnisse zu übertragen, dazu geführt haben, daß die Absicht des Jahres 1960 und die Wirklichkeit des Jahres 1980 so weit voneinander entfernt sind. Hier gilt es, neu über Aufgabenveränderung nachzudenken. Verkehrsflußsteuerung haben Sie genannt. Hier bin ich der Bundesregierung dankbar dafür, daß sie überhaupt einen solchen Vorschlag gemacht hat
({1})
- darauf komme ich zu sprechen -; aber auch wir sind uns darüber im klaren, daß eine Verkehrsflußsteuerung ohne Exekutivbefugnisse wohl kaum Wirksamkeit erzielen wird. Aber die Vorschläge, Systemgleichheit der Ausrüstung zu erreichen, sind notwendige Schritte in der europäischen Flugsicherung.
Heute haben wir an der Leistungsfähigkeit deutscher Fluglotsen wie auch der der Eurolotsen nichts zu kritisieren; sie ist über jeden Zweifel erhaben. Dies zeigt auch die Abwicklung des Luftverkehrs im deutschen Luftraum. Von gut ausgebauten deutschen Luftstraßen laufen die Flugwege auf Feldwege in Touristikländern aus. Die gravierenden
Mängel liegen vor allen Dingen in der Flugsicherung in Ost- und Südeuropa mit all den Folgewirkungen des Rückstaus bis in unseren Luftraum.
Der europäische Luftraum verfügt über das dichteste und am vielfältigsten verflochtene Netz internationaler Luftstraßen in der Welt. Dies ist auch eine der zusätzlichen Schwierigkeiten. Wir kommen ja nicht mit den Unterzeichnerländern alleine hin, sondern müssen an die 19 Staaten denken, die 100 internationale Flughäfen betreiben. Ich will, weil die Zeit nicht reicht, nicht im einzelnen schildern, zu welchen Schwierigkeiten das geführt hat, will aber betonen, die Probleme des europäischen Luftraums fordern eine gemeinsame europäische Lösung. Alle Anliegen sind ernst zu nehmen, die des Europäischen Parlaments wie auch die Sorgen der Mitarbeiter von EUROCONTROL oder in den entsprechenden Flugsicherungsstellen.
Nur folgendes verwundert etwas, Herr Kollege Tillmann: der CDU/CSU-Antrag datiert vom 19. Dezember. Am 29. November habe ich als Berichterstatter für die Entschließung des Europäischen Parlaments einen Vorschlag gemacht, den wir auch einstimmig verabschiedet haben, die Bundesregierung aufzufordern, uns über die Felder Flugverkehrsflußsteuerung, Flugverkehrskontrolldienst, Flugberatungsdienst, Flugfernmeldedienst, Flugsicherungstechnischer Dienst im Rahmen der europäischen Flugsicherung zu unterrichten und kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen zu erläutern, die dazu dienen sollen, die Ursprungsidee der grenzüberschreitenden Luftverkehrskontrolle nicht nur zu erhalten, sondern auch zu entwickeln und auszubauen. Wir haben Anlaß zur Hoffnung, weil es auch im niederländischen Parlament gerade in den vergangenen Wochen und Monaten zu Veränderungen gekommen ist. Das ist einmal der Wille, der in Portugal, Spanien und Griechenland erkennbar ist, auf das Know-how von EUROCONTROL zurückzugreifen. Zum anderen ist es die Entschließung des holländischen Parlaments, von Christdemokraten wie von Freunden unserer Partei, die den Willen zur Übertragung nationaler Aufgaben auf Maastricht am 20. November bekräftigt haben und daß ohne Verzögerung neue Verhandlungen begonnen werden sollten.
Für uns gilt es, den Weg abzuklären, in welcher Weise die europäische Flugsicherung wirksam auch unter Beteiligung der Engländer, unter Beteiligung der Franzosen in Gang gesetzt werden kann. Da nutzt es wenig, jetzt im einzelnen auf unserer Ebene abzuklären, wer wo den Schwarzen Peter hat. Das führt uns nicht weiter. Wir sollten uns selbst fragen, was wir in Gesprächen mit Kollegen aus den anderen nationalen Parlamenten und aus dem Europäischen Parlament - da laufen Gespräche - tun können, um auch in den anderen Ländern, in denen Vorbehalte bestehen, diese abzubauen. Das sollte auch aus den nationalen Parlamenten heraus geschehen, wie es jetzt auch in Holland zum Tragen gekommen ist. Das wurde für England von Ihnen angeführt. Da habe ich aber einige Zweifel anzumelden. Ich habe bei meiner Tätigkeit im Europäischen Parlament sehr wohl das Spannungsfeld kennengelernt, im EuIbrügger
ropäischen Parlament dies, im nationalen Parlament das Nationale herauszustellen. Dagegen ist offensichtlich niemand gefeit.
Es gilt diese Gespräche fortzuführen und unter Maßgabe des Berichtes, den wir am 29. November angefordert haben, all das, was Sie jetzt auch im Antrag der CDU/CSU eingebracht haben, zu erörtern. Wir verstehen Ihren Antrag als eine Maßnahme, die sich in diesen Antrag einfügt.
({2})
Wir sollten die Forderungen im Lichte des vorzulegenden Berichtes eindeutig prüfen. Wie sollten die Zusammenarbeit mit den befreundeten Kollegen fortsetzen, um Konzepte für EUROCONTROL zu überprüfen, die aus der Diskussion mit der Bundesregierung auch Schlußfolgerungen für die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in der europäischen Flugsicherung über den Rahmen hinaus erlauben, den EUROCONTROL bisher in der EG gezeigt hat, den wir aber mühsam genug erst noch in die Wirklichkeit werden umsetzen müssen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident. Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Position des Dritten und zuletzt Redenden darf ich - ({0})
- Ja, darf ich es besonders kurz machen. Das fällt mir deswegen sehr leicht, weil ich sowohl den kritischen Anmerkungen des Kollegen Tillmann als auch den Darlegungen des Kollegen Ibrügger über die Realität zustimmen kann.
({1})
Das müssen wir wohl alle sehen.
Ich kann deshalb so freimütig auch für Ihren Antrag sprechen, weil sich die FDP und nicht nur sie allein, sondern auch die europäischen liberalen Demokraten - ich hatte wiederholt die Ehre, für sie im Europäischen Parlament zu diesem Problem Stellung zu nehmen - jahrelang als einsame Rufer und Mahner in Sachen EUROCONTROL bewiesen haben. Wir sind immer wieder für die unity of control eingetreten. Wir waren immer für die weitestgehende zivil-militärische Kooperation in der Flugsicherung. Wir haben auch in der letzten Zeit immer wieder Anläufe genommen - und meine Kollegen im Europäischen Parlament haben dies gerade erst wieder in den letzten Wochen getan -, unablässig auf allen Ebenen dafür zu kämpfen, daß EUROCONTROL nicht zu einer reinen Organisation für Abrechnung der Flugwegekosten, gewisser Arbeitskapazitäten und technischer Angestellten verkümmert. Dafür, meine Damen und Herren, haben wir ja wohl nicht 1,5 Milliarden DM investiert.
Zwar haben wir heute abend hier das Thema „negativer Kapitalsaldo behandelt, aber ich meine, dies wäre in bezug auf EUROCONTROL natürlich eine schlechte Sache.
In dem Hearing in Paris und, wie gesagt, in den Debatten des Europäischen Parlaments - auch in den Ausschußsitzungen - habe ich ja gesagt, daß diese Kosten heute sehr hoch erscheinen, aber in den 90er Jahren noch sehr viel höher würden, denn dann wären ja EUROCONTROL und das, was wir schon geschaffen haben und fortentwickeln wollen, mit Sicherheit notwendig. Darauf haben meine beiden Vorredner ja schon verwiesen.
Um so mehr also ist es zu begrüßen, daß durch den Antrag der Opposition die Frage der Zukunft von EUROCONTROL nun auch von anderen problematisiert wird. Ich wünschte mir, daß, ausgehend von dieser heutigen Debatte, auch die anderen Parlamente, insbesondere natürlich die französische Nationalversammlung, angeregt werden, sich dieses Problems anzunehmen; denn EUROCONTROL kann nun einmal nicht nur national diskutiert und einer Lösung zugeführt werden, sondern dies muß natürlich auf der europäischen Ebene bleiben.
Dankbar registriere ich auch das, was der Kollege Ibrügger hier gesagt hat. Er hat darauf verwiesen, daß im holländischen Parlament in der Zwischenzeit ganz offensichtlich das Verständnis für die Erhaltung von Maastricht und für die Übertragung von nationalen Souveränitätsrechten an Maastricht mehr und mehr Raum gewinnt.
Ich kann hier also den einzelnen Punkten zustimmen und möchte dies wegen der fortgeschrittenen Zeit auch nicht vertiefen. Wir haben ja im Verkehrsausschuß und im Verteidigungsausschuß Gelegenheit, darüber im Detail zu sprechen. Wichtig ist aber, so meine ich, der Hinweis an die Beamten im Verkehrsministerium und insbesondere natürlich an den Verkehrsminister selbst, daß auch die Bemühung um eine Teilnationalisierung den Bruch eines vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetzes bedeutet.
({2})
Wir Parlamentarier aller Fraktionen reagieren natürlich außerordentlich empfindlich, wenn wir, ohne gehört zu werden, vor Tatsachen gestellt werden, die dem zuwiderlaufen, was wir - oder Kollegen vor uns in zurückliegender Zeit - durch einen Beschluß in diesem Haus herbeigeführt haben.
({3})
- Ich glaube schon, daß das bemerkt wird. Ich als Koalitionsabgeordneter habe mir ja hier die Freiheit genommen, auf diesen besonderen Punkt hinzuweisen,
({4})
weil ich als Parlamentarier meine Aufgabe natürlich auch in der Kontrolle der Regierung - auch einer von mir getragenen Regierung - sehe. Dies will ich hier deutlich sagen.
Ich meine, daß wir allen Anlaß haben, darauf zu verweisen, daß wir das technische Know-how von EUROCONTROL, das unbezweifelbar ist und das sogar von den Amerikanern, die ja sehr weit sind, mit Respekt betrachtet wird, einbringen müssen und auf der Basis meinetwegen des amerikanischen Organisationsmodells ein optimales Flugsicherungssystem für die 90er Jahre in Europa aufbauen können. Dehn es besteht überhaupt kein Zweifel an dem, was ich vorhin schon sagte: In dieser Zeit wird es sowieso notwendig sein, es wäre dann nur sehr viel teurer.
Lassen Sie mich aber auch noch eine Bemerkung zu einer Frage machen, die von meinen beiden Vorrednern nicht angesprochen wurde, die aber immer wieder eine Rolle spielt und gerade jetzt in der deutschen Offentlichkeit - natürlich auch durch den Bericht einer Illustrierten - in der Diskussion steht, nämlich zur Frage der hohen Gehälter von Angehörigen europäischer Einrichtungen. Es wäre sehr nützlich, in den Verhandlungen der beiden Ausschüsse vom Ministerium einmal die schon lange geforderte Synopse zu bekommen. Ich habe bereits im Hearing gesagt, daß eine solche Synopse einmal die sozialen Leistungen darlegen sollte, die Probleme der Alterssicherung, den Status von Angestellten und Beamten. Damit würde natürlich für jedermann sehr schnell klar und übersichtlich, wie es mit der Bezahlung aussieht, ob sie auf der europäischen Ebene zu hoch oder auf der nationalen Ebene zu niedrig ist oder ob man sich nicht - und ich meine, das könnte man - aufeinander zubewegen muß, wobei das nicht in jedem Falle bedeuten muß, daß man sich nach oben bewegt. Man kann natürlich unter Anrechnung der Privilegien, die man hat, auch einmal gewisse Abstriche machen. Im übrigen ist das, wie ich glaube, die Tendenz, die derzeit in der Diskussion um die Höhe der europäischen Gehälter erkennbar ist.
Ich meine also - das möchte ich abschließend sagen -, daß wir in diesem Parlament und im Europäischen Parlament mit unserem Entschließungsantrag klargemacht haben, daß wir am Ausbau des europäischen Flugsicherungssystems außerordentlich interessiert sind und dies mit Nachdruck verfolgen werden. Wir wollen nicht - ich gebe diese Erklärung für die freien Demokraten ab - den Rückfall in nationalstaatliche Eigenbrötelei mit der möglichen Folge einer Steinzeittechnik in der Flugsicherung in den nächsten Jahren. Dies wollen wir angesichts der Situation im europäischen Luftraum - ich brauche das hier nicht zu wiederholen, meine Kollegen haben darauf verwiesen - verhindern, und deswegen plädiere ich nachdrücklich für den Erhalt und den Ausbau der EUROCONTROL-Flugüberwachungszentralen in Karlsruhe und Maastricht mit entsprechender Übertragung der Flugsicherungsaufgaben auf diese Einrichtungen.
({5})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Mahne.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn ich zu so später Stunde doch noch in die Debatte eingreifen muß. Der Herr Kollege Tillmann hat hier aber von einem unwürdigen Schwarzer-Peter-Spiel gesprochen. Wenn wir ein solches unwürdiges Schwarzer-Peter-Spiel betreiben wollen, dann ist es sicherlich auch Aufgabe der Bundesregierung, der ein Schwarzer Peter zugeschoben werden soll, selbst zu diesem Zeitpunkt einige Positionen, die hier vertreten wurden, noch einmal zurechtzurücken.
Ich möchte hier noch einmal sehr deutlich sagen, daß die Bundesregierung natürlich sehr daran interessiert ist - ich glaube - sie hat das in der Vergangenheit durch ihre Initiativen, durch ihre Anregungen, die sie in den europäischen Gremien gegeben hat, gezeigt - und daß sie der europäischen Flugsicherung eine verstärkte Bedeutung beimißt. Wir müssen aber genauso klar und deutlich sagen, daß es eine europäische Flugsicherung im Sinne einer supranationalen Flugverkehrskontrolle bisher noch nie gegeben hat. EUROCONTROL hat nie wirklich das Stadium einer europäischen Einrichtung in bezug auf diese zentralen Exekutivfunktionen erreicht.
({0})
Lediglich drei Staaten, Belgien, Luxemburg und die Bundesrepublik - ich glaube, das kann von niemandem bestritten werden -, haben die Flugverkehrskontrolle für einen Teil ihres Luftraumes vertragsgetreu durch EUROCONTROL wahrnehmen lassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tillmann?
Ich bitte sehr um Entschuldigung, Herr Präsident, aber im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit würde ich meinen Gedankengang gerne schnell zu Ende bringen.
Diese Kontrolle erfolgte jedoch von einer Kontrollzentrale aus, die auf dem Boden eines Nachbarstaates errichtet wurde, der sich selber auch in den kommenden Jahren nicht in gleicher Weise verhalten wird.
({0})
Herr Kollege Jung und auch Kerr Kollege Ibrügger haben auf die Situation in Europa hingewiesen. Die Bundesregierung würde es sehr begrüßen, wenn sich die Haltung der Mehrheit der Mitgliedstaaten zur Übertragung von Exekutivfunktionen auf EUROCONTROL in den nächsten Jahren verändern würde. Hier sind die Haltungen der Regierungen von Frankreich, von Großbritannien, der Niederlande und von Irland angesprochen worden, die EUROCONTROL zum Teil ablehnend gegenüberstehen. So ist es ein Grundsatz der französischen Regierung, daß der französische Luftraum nur von französischen Organen kontrolliert wird. Auch in GroßbriParl. Staatssekretär Mahne
tannien ist das ein Grundsatz. Dort stehen vor allem militärische Gesichtspunkte einer Übertragung von Rechten auf EUROCONTROL entgegen. Auf die Niederlande ist in diesem Zusammenhang hingewiesen worden. In Irland haben wir eine ähnliche Situation.
Ich meine auch, daß wir angesichts der seit 1960 grundlegend veränderten Verkehrsverhältnisse im Luftraum die Lösung der europäischen Verkehrsflugsicherungsprobleme nicht mehr in einer nur übernationalen Zusammenfassung der Flugverkehrskontrolle sehen dürfen, sondern diese vielmehr durch eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Systemplanung und -entwicklung und bei der Planung und Steuerung der internationalen Flugverkehrsflüsse herbeigeführt werden muß.
({1})
Die dem heutigen und künftigen Luftverkehr entsprechende Konzeption lautet daher: Vergleichbar leistungsfähige nationale Kontrollzentralen, verbunden durch ein gemeinsames Flugverkehrsmanagement. Von einem verhängnisvollen Rückfall in nationale Lösungen, meine sehr verehrten Kollegen, kann hier sicherlich nicht gesprochen werden.
({2})
Die Politik der Bundesregierung - und das lassen Sie mich zum Schluß hier noch einmal unterstreichen - ist darauf ausgerichtet, die Organisation EUROCONTROL durch Zuweisung zukunftsweisender Aufgaben zu erhalten, sie zu entwickeln und auch auszubauen. Dazu gehört letztlich, nicht überholte und aussichtslose Positionen demonstrativ zu halten, zumal dies flugsicherungsbetrieblich auf die Dauer nachteilig und für den deutschen Steuerzahler erheblich teurer als eine zeitgemäße Neuorientierung wäre.
({3})
Die Bundesregierung setzt sich nachdrücklich für einen Fortbestand von EUROCONTROL und, wie ich eben sagte, für eine Zuweisung zukunftsweisender, für eine Lösung der europäischen Flugsicherungsprobleme tatsächlich notwendiger Aufgaben ein. Der deutsche Vorschlag, im Rahmen von EUROCONTROL ein europäisches System der Planung und Steuerung der Flugverkehrsflüsse zu entwikkeln, wird zur Zeit durch die Gremien von EUROCONTROL beraten. Im Juli dieses Jahres will die Ständige Kommission, die sich aus den verantwortlichen Ministern und Staatssekretären der Mitgliedstaaten zusammensetzt, darüber beschließen.
({4})
Sie sehen, meine Damen und Herren, daß hier viel im Fluß ist, daß es Initiativen der Bundesregierung
gibt, die nach unserer Auffassung den Fortbestand von EUROCONTROL sichern werden.
({5})
Die Bundesregierung wird Ihnen gerne in der angemessenen Zeit den vom Kollegen Ibrügger und vom Ausschuß geforderten Bericht vorlegen, weil wir mit Ihnen der Auffassung sind, daß es notwendig ist, EUROCONTROL als europäische Flugsicherungseinrichtung zu erhalten, sie fortzuentwickeln und ihre Probleme im Parlament zu beraten. Wir werden Sie gerne in hinreichender Weise informieren und gern die Anregungen von seiten der Opposition, von den wir heute wenig aufgenommen haben, in unsere Entscheidungen und in unsere Initiativen gegenüber den anderen europäischen Ländern einbeziehen.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrags auf Drucksache 8/3521 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen
- Drucksache 8/2662 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksache 8/3629 -Berichterstatter:.
Abgeordneter Rapp ({1})
({2})
Auch hier wurde interfraktionell ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart.
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Sauter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
({0})
- Ich bemühe mich, Herr Schäfer.
({1})
- Lassen Sie mich es doch nachweisen!
Sauter ({2})
Die Mehrheit im federführenden Finanzausschuß hat die Novelle zum Kreditwesengesetz - Drucksache 8/2662 - abgelehnt. Wir von der CDU/CSU-Fraktion bedauern diese Entscheidung, dies um so mehr, als noch in der ersten Lesung in diesem Hohen Hause und bei vorausgegangenen interfraktionellen Gesprächen immer wieder Kompromißbereitschaft signalisiert wurde. Es gibt bis heute keinen einzigen überzeugenden Grund für das Votum der Koalition.
Im Ausschußbericht - Herr Kollege Rapp, so steht es dort wörtlich - werden persönliche Gespräche und Stellungnahmen des Bundesverbandes der Raiffeisen- und Volksbanken als Argumente gegen unseren Entwurf vorgetragen. Darin wird gesagt, es handle sich nur um Einzelfälle. Im gleichen Bericht steht, daß zum 1. Januar 1977 noch fast 3000 Kreditinstitute betroffen waren. Diese Argumentation scheint mir nun wirklich auf schwachen Füßen zu stehen.
Unser Gesetzentwurf wurde doch deshalb eingebracht, weil viele Kollegen aus allen Fraktionen von vielen betroffenen Genossenschaften und deren Mitgliedern gebeten wurden, die vom letzten Bundestag unter großem Zeitdruck - das müssen wir doch alle zugeben - verabschiedete Novelle zu ändern. Die weitreichenden Konsequenzen für die kleinen Genossenschaften wurden damals einfach nicht bedacht. Es ehrt doch ein Parlament durchaus, begangene Fehler einzusehen und zu korrigieren. Wir von der CDU/CSU beklagen, daß es nicht einmal bei solchen Problemen zu einem Konsens mit den anderen Fraktionen kommt.
Der Hinweis auf Stellungnahmen des Bundesverbandes der Raiffeisen- und Volksbanken - das muß ich hier sagen - überzeugt schon gar nicht. Ich kann mir leider eine Feststellung hier nicht ersparen. Die Auslassungen der Verbandsspitze zu diesem Problem waren, um es einmal vorsichtig zu formulieren, zwiespältig. Öffentlich wurde erklärt, eine Novellierung des Gesetzes, wie wir sie vorschlagen, sei dringend erwünscht. Das war beispielsweise auch auf den Deutschen Raiffeisentagen zu hören. Es hat dort Appelle an das Parlament gegeben, hier aktiv zu werden. Als wir mit unserer Novelle dann ernst machten, wurde uns geraten, von einer solchen Initiative Abstand zu nehmen. Dieser merkwürdige Gesinnungswandel wurde u. a. mit Stellungnahmen des Bundesaufsichtsamtes begründet, auf die ich nachher noch ganz kurz zu sprechen komme. Es kommt schon einmal vor, daß eine Verbandsspitze nicht immer die Meinung der Betroffenen im Lande wiedergibt. Ich meine aber, das Parlament als Gesetzgeber darf sich hier nicht durch Stellungnahmen von Verbänden in seiner souveränen Entscheidung beeinflussen lassen. Im übrigen, meine Damen und Herren, hätten Sie dann heute während der Beratung des Einkommensteuergesetzes für die Landwirtschaft die wohlabgewogenen Stellungnahmen des Deutschen Bauernverbandes konsequenterweise in ihre Entscheidung mit einbeziehen sollen.
({3})
Im Bericht des federführenden Ausschusses wird als weitere Begründung für die Ablehnung dann auf die EG-Richtlinie verwiesen. Dies ist doch ein Argument, das an den Haaren herbeigezogen wird. Beim ersten Durchgang im Parlament wurde vom Kollegen Rapp selbst vermerkt, daß die EG-Richtlinie rechtlich unklar ist und daß die Abgrenzung zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Geschäftsführern verschwommen bleibt.
Schließlich wird auf die flexible Haltung des Bundesaufsichtsamtes verwiesen. In der Stellungnahme dieses Amtes zur Frage des zweiten hauptamtlichen Geschäftsführers ist unmißverständlich vermerkt, daß bei reinen Kreditgenossenschaften und bei gemischtwirtschaftlichen Genossenschaften, deren Warengeschäft bedeutungslos ist, keine großzügige Handhabung möglich ist. Das heißt im Klartext, daß die Ausnahme des Aufsichtsamtes nur bei Genossenschaften mit gering entwickeltem Bankgeschäft möglich ist. Konkret bedeutet das, wenn wir unsere Strukturen draußen berücksichtigen, daß fast alle hier in Rede stehenden Genossenschaften gezwungen werden, einen zweiten hauptamtlichen Geschäftsführer zu bestellen bzw. unter diesem Druck zu fusionieren. Es handelt sich ja in den meisten Fällen um gemischtwirtschaftliche Genossenschaften.
Mit diesem Gesetz, das im letzten Bundestag in Eile verabschiedet worden ist, wurden Institutionen getroffen, die nicht die Verursacher der Novelle waren und an die damals das Parlament auch gar nicht gedacht hat. Das Problem der Einlagensicherung, Herr Kollege Rapp, stellte sich im Zusammenhang mit den in Rede stehenden Genossenschaften nicht. Wir haben dort ein ausgezeichnetes Sicherungssystem. Soweit ich das zu übersehen vermag, hat es in diesem Bereich noch keine ernsthaften Verluste gegeben.
({4})
Wenn ich. mir die Protokolle jener dritten Beratung noch einmal zu Gemüte führe, stelle ich fest, daß damals auch von den kleinen Genossenschaften überhaupt nicht die Rede gewesen ist. Man hat an sie schlicht und ergreifend nicht hinreichend gedacht.
Aber lassen Sie mich fragen: Was wäre denn eigentlich geschehen, wenn Sie unserem Gesetzentwurf zugestimmt hätten? Der Druck und der Zwang zur Fusion wären dann von den kleinen Genossenschaften genommen worden, sonst gar nichts. Sie hätten jeweils in eigener Souveränität ihren zukünftigen Weg bestimmen können. Wenn die CDU/ CSU-Fraktion bei ihrer Haltung bleibt, dann deshalb, weil wir kein einziges überzeugendes Argument gehört haben, das für die Rücknahme unseres Gesetzentwurfes gesprochen hätte.
Es geht doch letzten Endes - das ist für uns die entscheidende Frage - um die strukturelle Entwicklung in den ländlichen Regionen. In diesem Hohen Hause wurde in dieser und auch in der letzten Legislaturperiode immer wieder auf die bedrohliche Entwicklung in unseren Dörfern und Gemeinden verwiesen. Hier hätten Sie mit uns zusammen ein positives Signal für die ländlichen Gebiete setzen können. Der Verlust selbständiger Banken ist
Sauter ({5})
ein weiterer schwerer Schlag gegen den ländlichen Raum. Alle Bemühungen von Bund und Ländern zur Verbesserung der Struktur bleiben in ihrer Wirkung fragwürdig, wenn es nicht gelingt, die noch vorhandenen Einrichtungen zu stabilisieren und zusätzliche Dienstleistungen und Arbeitsplätze zu schaffen. Ich will nichts dramatisieren, aber mit dem jetzt geltenden Recht wird der Konzentrationsprozeß im ländlichen Raum auch in dem in Rede stehenden Bereich fortgesetzt. Das ehrenamtliche Element verkümmert, dessen sich die Genossenschaften zu Recht immer gerühmt haben. Immer mehr Einrichtungen gehen in die zentralen Orte. Für das Dorf und die kleinen Gemeinden bleiben vorerst - ich betone: vorerst - noch Zahlstellen und Filialen. Dabei wissen wir alle, daß alle Reformen, mit denen der ländliche Raum beglückt worden ist, einen Fehler haben: Sie sind alle zu groß geraten.
Wir bedauern ausdrücklich die Entscheidung der Koalition. Deshalb wird die CDU/CSU-Fraktion gegen die Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses stimmen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Rapp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Generalthema der Reform 1976 zum Kreditwesengesetz war die Verbesserung der Sicherheit der Bankeinlagen. Die Einführung des Vier-Augen-Prinzips, von dem heute die Rede ist, war ein Unterthema dazu. Die Vorschrift besagt, daß jedes Kreditinstitut unbeschadet seiner Größe zwei Geschäftsleiter haben muß, die besonders qualifiziert sein müssen und die im Betrieb präsent zu sein haben, d. h., die nicht nur ehrenamtlich für den Betrieb tätig sein dürfen.
Das damals heftig umstrittene Kreditwesengesetz in der Fassung von 1976 hat sich in einer für das Kreditgewerbe außerordentlich schwierigen Zeit hervorragend bewährt. Das ist heute völlig unbestritten. Und da will nun die Opposition mit ihrem Gesetzentwurf aus der Gesamtheit der Maßnahmen, die wir damals zum besseren Schutz der Bankeinlagen eingeführt haben, ein Element herausbrechen. Das Vier-Augen-Prinzip soll für die kleinen Kreditgenossenschaften nicht mehr verbindlich sein.
Wir lehnen das aus drei Gründen ab. Erstens. Nach einer alten Bankerweisheit ist es so: Wenn mir einer 50 Mark pumpt, bin ich von ihm abhängig; leiht er mir aber eine Million Mark, hängt er von mir ab. Die Million ist hier eine Chiffre. Gemeint ist ein großer Betrag. Bei einer kleinen ländlichen Kreditgenossenschaft kann schon ein verhältnismäßig kleiner Betrag groß sein und Abhängigkeit begründen.
Da sticht auch der Einwand nicht, auf dem Lande kenne man sich gegenseitig, jeder kenne da jeden, da könne nichts passieren. Gerade deshalb, weil immer viel Persönliches mit im Spiel ist, kann die Sache nicht auf zwei Augen beruhen. Gerade deshalb muß kontrollierte Verantwortung die Sache tragen. Gemeint ist ja nicht nur die Sicherheit des Einzelkredits, vielmehr geht es letztlich um die Sicherheit der Einlagen. Und diese kann, wie gesagt, nicht in die Verantwortung eines einzelnen gegeben werden.
Ich habe schon bei der ersten Lesung gesagt, Herr Kollege Sauter, daß man diese Verantwortung auch nicht in den Aufsichtsrat schieben kann. Der Aufsichtsrat ist in der Tat das ehrenamtliche Element. Die Verantwortung der Geschäftsleitung ist eine andere. Deshalb können wir vom Vier-Augen-Prinzip aus Gründen der Sicherheit nicht abgehen. Wie kämen wir dazu, von den Vorkehrungen, die wir zur Verbesserung der Einlagensicherheit getroffen haben, jetzt Abstriche zu machen?
({0})
- Ich komme nachher noch auf das zu sprechen, was wir zwischenzeitlich miteinander beredet haben.
Zweiter Grund: Hinter den mit dem Vier-AugenPrinzip erreichten Standard könnten wir selbst dann nicht mehr zurückkehren, wenn wir das wollten. Die Erste EG-Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit von Kreditinstituten aus dem Jahre 1977 besagt nämlich, daß Kreditinstitute unbeschadet ihrer Größe mindestens zwei Personen beschäftigen müssen, die die Geschäftstätigkeit tatsächlich bestimmen, die die dazu nötige Zuverlässigkeit haben und über entsprechende Erfahrung verfügen.
Will die Opposition, so frage ich, mit diesem ihrem Gesetzentwurf wirklich in Kauf nehmen, daß ausgerechnet wir in der Bundesrepublik hinter den Europastandard zurückgehen?
({1})
Drittens. Soweit das geltende Recht einzelnen Instituten die Änderung ihrer Leitungsstruktur abverlangt, ist das auch insoweit zumutbar, als die Gesetzeslage und die Verwaltungspraxis den betrieblichen Belangen Rechnung tragen. Wenn der Herr Kollege Sauter davon sprach, es sei unsererseits Entgegenkommen angeboten worden, so weise ich darauf hin: Damit war die Verwaltungspraxis durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gemeint.
({2})
Bis zu der Größenordnung einer Bilanzsumme von 30 Millionen DM - das ist schon eine beträchtliche Größenordnung - soll weiterhin die den regionalen Verbandsschulen obliegende Ausbildung der Geschäftsleiter genügen. Die regionalen Verbandsschulen haben dabei einen sehr weiten Gestaltungsspielraum. Es ist doch wohl zumutbar, daß man eine Verbandsschule besucht. Bis zu 10 Millionen DM Bilanzsumme soll einstweilen sogar die Teilzeitbeschäftigung eines Geschäftsleiters als hinreichende Präsenz genügen. Teilzeitbeschäftigung plus Verbandsschule - das reicht da aus.
Wenn Sie vorher von 3 000 Instituten sprachen, die unter Ihre Ausnahmeregelung fallen sollen,
Rapp ({3})
dann bezog sich das auf Ende 1976. Mittlerweile haben sehr viele ihre Verbandsschulzeit abgeleistet. Das Problem ist in der Tat nur noch ein marginales. Es wird immer kleiner werden.
({4})
Das Gesetz leistet sozusagen Nachhilfe zur Selbsthilfe. Zu dieser Selbsthilfe sollten wir die kleinen Institute ermutigen.
({5})
Wenn sich statt dessen einige Kolleginnen und Kollegen von der Opposition da und dort an der Hitze des aufgekommenen Unmuts wärmen, sollten sie sich fragen, ob sie darauf in wenigen Jahren noch gern angesprochen werden wollen.
({6})
Alles dies, meine Damei und Herren, scheint der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken genauso zu sehen. Er ist nie hinter das Begehren einiger weniger Institute getreten, die Ausnahmeregelung zu haben. Im Gegenteil: Er hat für die Ablehnung Ihres Gesetzentwurfs plädiert. Der Verband wird wissen, warum.
Wir können insgesamt kein Interesse daran haben, daß ausgerechnet wir in der Bundesrepublik einen europaweiten Standard verfehlen. So kann es nicht das Interesse des Volksbankenverbandes sein, daß es in der Familie der Kreditgenossenschaften Mitglieder mit einem insoweit minderen Status gibt.
Übrigens hat sich die Gruppe der Kreditgenossenschaften in den letzten Jahren besonders günstig entwickelt und kontunierlich Marktanteile gewonnen. Gerade die kleinen Kreditgenossenschaften haben gut abgeschnitten. Dafür gibt es sicher mehr als nur einen Grund. Ich persönlich könnte mir vorstellen, daß auch die Verbesserung des Einlagenschutzes dazu gehört. Ohne Umschweife kann man aber behaupten, daß die KWG-Novelle 1976 dem genossenschaftlichen Sektor unseres Kreditgewerbes auf keinen Fall geschadet hat. Mit dieser Feststellung behaupte ich nicht, daß es die Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre, überhaupt in diese überaus günstige Rechtsformstruktur unseres Kreditwesens einzugreifen.
Wir lehnen den Gesetzentwurf der Opposition auf Rückgängigmachung des Vier-Augen-Prinzips für kleine Kreditgenossenschaften ab und bringen damit unseren Willen zum Ausdruck, zum Nutzen aller alle Bereiche unseres Kreditwesens auf der Höhe des erreichten Sicherheitsstandards und auf der Höhe des Europastandards zu halten. Wir geben damit zugleich unserer Erwartung und unserer Zuversicht Ausdruck, daß auch die betreffenden kleinen Kreditgenossenschaften schon in wenigen Jahren unsere Beharrlichkeit in dieser Frage im nachhinein als hilfreich werden zu würdigen wissen.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zum Dritten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen ist für mich der klassische Fall verfehlter Oppositionspolitik. So sollte man es meines Erachtens nicht machen. Ich habe nach eingehendem Studium aller Argumente für die Ausnahme vom Vier-Augen-Prinzip bei Genossenschaften, deren Bilanzsumme 20 Millionen DM nicht übersteigt, wirklich keines gefunden, welches einer ernsthaften Prüfung standhält. Um es noch schärfer zu formulieren: Ich habe nur Argumente gefunden, die gegen diesen Entwurf sprechen. Ich will den Sachverhalt in einem Vergleich ausdrükken.
Die CDU hat hier eine Kuh aufs Eis geführt, und die heutige Lesung dokumentiert, daß sie sie nicht davon herunter haben will. Nach allem Anschein versucht sie, damit bei der Landtagswahl in BadenWürttemberg Propaganda zu machen und den dortigen Wähler im ländlichen Bereich damit aufs Glatteis zu führen. Um dem vorzubeugen, möchte ich noch einmal ganz kurz die wichtigsten Argumente gegen den Entwurf zusammenfassen.
Zuvor möchte ich noch eine Bemerkung machen. Verehrter Herr Kollege Sauter, in einem Punkt muß ich Ihnen zustimmen, wenn ich gleich auch nur ablehnende Bemerkungen zu Ihren Ausführungen machen werde. Die Kreisreform und die Gemeindereform haben in Baden-Württemberg, wie Sie sagen, zu zu großen Einheiten auf dem Lande geführt. Da stimme ich Ihnen zu, und ich habe mich dazu gerade auch von meinem Kollegen Spitzmüller informieren lassen. Aber das halten Sie bitte nicht dem Bundestag zugute, sondern das sagen Sie bitte Ihrem Parteifreund Späth im Lande!
({0})
Nun komme ich zu den Argumenten gegen Ihren Entwurf. Erstens. Ende 1982 - das hat auch mein Vorredner gerade gesagt - tritt die erste EG-Richtlinie zur Ausübung der Tätigkeit von Kreditinstituten in Kraft, die auch das Vier-Augen-Prinzip zum Inhalt hat. Der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU könnte also nur bis zum Inkrafttreten dieses EG-Rechts nationales Recht bleiben. Danach würde es gegen die EG-Richtlinie verstoßen. Das ist klar. Ich frage Sie: Ist das saubere Gesetzespolitik, oder wollen Sie, daß wir in Luxemburg wiederum auf der Anklagebank sitzen?
({1})
Zweitens. Der von mir nicht gerade geschätzte Kanzlerkandidat Ihrer Fraktion hat einmal die bedeutende Äußerung gemacht: Stoppt die Gesetzesflut in den Parlamenten!
({2})
Mit Ihrem Gesetzentwurf stehen Sie im Gegensatz
zu dieser erklärten Politik. Wir verkennen nicht, daß
es Probleme bei den Genossenschaften gibt. Sie verschließen aber Ihre Augen davor, daß man zur Lösung der Probleme kein Gesetz braucht, da das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Verhandlungen mit dem Bundesverband Deutscher Volksbanken und Raiffeisenbanken ausdrücklich zugesagt hat, daß es seinen Ermessensspielraum nach § 35 des Kreditwesengesetzes zur Wahrung der strukturellen Besonderheiten des Genossenschaftswesens elastisch handhaben wird. Es wird z. B. minderqualifizierte Personen für eine Übergangszeit als zweite verantwortliche Geschäftsleiter anerkennen und damit von dem ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum in großzügiger Weise Gebrauch machen.
Um zu dokumentieren, daß dies auch von den Verbänden in Ihrem Land anerkannt wird, Herr Sauter, möchte ich mit Genehmigung des Präsidenten an dieser Stelle den Präsidenten des Württembergischen Genossenschaftsverbandes, Herrn Dr. Hohner, zitieren, der anläßlich einer Informationstagung der Volksbanken und des Raiffeisenverbandes in Baden-Württemberg am 1. Februar dieses Jahres in Sindelfingen gesagt hat:
Das Bundesamt für das Kreditwesen bemüht sich um eine vernünftige Übergangsregelung, nachdem der genossenschaftliche Sektor, vor allem hier in Baden-Württemberg, mit einer Vielzahl von Instituten im ländlichen Raum betroffen ist.
Dies sollten auch Sie bitte zur Kenntnis nehmen.
({3})
- Das sagt er!
Drittens. Die CDU/CSU setzt sich mit ihrem Gesetzentwurf in Widerspruch zu den zuständigen Verbänden. Ich darf es nur noch einmal aufzählen: Der Deutsche Raiffeisenverband hält die Initiative der CDU/CSU nicht mehr für zweckmäßig. Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken bat die Fraktion, von ihrer Initiative abzusehen. Schließlich ist gegen den Antrag der CDU/CSU auch noch der Zentralausschuß der agrargewerblichen Wirtschaft. Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Für wen machen Sie das dann? Dieses Verhalten provoziert mich zu einer Überspitzung des soeben von mir gewählten Vergleichs: Sie haben die Kuh nicht nur aufs Eis geführt, sondern Sie haben sie auch gesattelt und reiten darauf. Und Sie bestehen darauf, daß die Kuh auf dem Eis bleibt.
({4})
Viertens. Die Opposition behauptet, daß durch das Vier-Augen-Prinzip ein Konzentrationsprozeß der Genossenschaften im ländlichen Raum gefördert wird. Dies geht am ökonomischen Sachverhalt vorbei, daß sich im Kreditgewerbe allgemein der Wettbewerb verschärft hat und sich überall ein Strukturwandel vollzieht. Sie können diesen Strukturwandel durch dieses Gesetz nicht aufheben. Sie
werden vielmehr erreichen, daß die Genossenschaftsbanken aus dem Wettbewerb ausgeschaltet werden mit dem Ergebnis, daß sie früher oder später auch aus dem Markt gedrängt werden, weil sie nicht gezwungen waren, sich dem Markt anzupassen.
Zwei hauptamtliche Geschäftsführer sind aus dieser Sicht im Interesse der kleinen Kreditgenossenschaften selbst, weil sie dadurch in die Lage versetzt werden, sich den ökonomischen Notwendigkeiten anzupassen. Ihre Argumentation, Herr Sauter, daß man gerade den kleinen Banken durch Sondervorschriften helfen kann, stimmt also nicht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die kleinen Banken können sich auf dem hart umkämpften Kreditmarkt nur dann halten, wenn sie anderen Banken gleichgestellt sind. Wird aber zwischen genossenschaftlichen Banken und anderen Banken unterschieden, wie Ihr CDU/CSU-Gesetzentwurf es will, dann kommt es in der deutschen Kreditwirtschaft zu einer Zweiteilung, nämlich zu einer Aufteilung in ordentliche Banken und in solche Banken mit minderer Bedeutung.
({5})
Vizepräsiden Wurbs: Ich darf um Ruhe auch auf der Regierungsbank bitten.
Ich sehe gerade, daß mein Kollege, Staatssekretär Gallus, intensiv an der Debatte teilnimmt. - Diese Unterteilung der Banken in normale Banken und in Banken mit Sonderstatus kann nicht im Interesse der Kreditwirtschaft sein. Dies erkennt übrigens auch der Württembergische Genossenschaftsverband an - Sie sehen, ich habe intensiv gelesen -, wenn er in seinem Rundschreiben Nr. 2 von 1980 an alle Kreditgenossenschaften ausführt, daß die angeschlossenen Genossenschaften es bei der Realisierung des Vier-Augen-Prinzips als oberstes Ziel sehen sollten - jetzt kommt es -, „auf die Dauer leistungsfähige genossenschaftliche Banken im Verbund zu haben".
Den Gesichtspunkten der Weiterentwicklung ihrer Leistungsfähigkeit, der Entwicklung der Marktanteile und der Ertragslage
- so heißt es in diesem Rundbrief weiter muß dabei ein besonderes Gewicht geschenkt werden.
Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, außer der Bitte, daß Sie diese guten Argumente im Wahlkampf in Baden-Württemberg nicht einfach unter den Teppich kehren.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Die Kuh ist auf dem Eis. Wie kommt sie da herunter? Da Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es nicht machen wollen, wollen wir Ihnen gern behilflich sein. Wir lehnen den Gesetzentwurf ab, und die Kuh hat sozusagen wieder Boden unter den Füßen. Ihr Problem ist es dann nur noch - um bei meinem Vergleich zu bleiben -, möglichst unauffällig von der Kuh herabzusteigen.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ausschuß schlägt auf Drucksache 8/3629 unter Nr. 1 vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2662 abzulehnen. Können wir über die Beschlußempfehlung abstimmen? Oder wird Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir können über die Beschlußempfehlung abstimmen.
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/3629 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/2662 abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Es ist noch über eine weitere Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3629 unter Nr. 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
- Drucksache 8/3353 -a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3718 - Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 8/3659 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Spöri ({2})
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf soll die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern -
Verzeihen Sie, Herr Minister! Entschuldigen Sie bitte! Darf ich um etwas Ruhe da drüben bitten! Das ist ja unerträglich!
Schönen Dank, Herr Präsident!
Der vorliegende Entwurf soll die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern und die
Zahlung von Ergänzungszuweisungen des Bundes an die finanzschwachen Länder für die Jahre 1979 und 1980 regeln.
Die Finanzausstattung der beiden bundesstaatlichen Ebenen hat sich in den letzten Jahren ungleichgewichtig zu Lasten des Bundes entwickelt. Im Jahr 1979 mußte der Bund 13 % seiner Gesamtausgaben durch Kredite finanzieren, während die Länder und Gemeinden durch Kreditfinanzierungsquoten von 7 bzw. 3 % auskamen.
Eine wesentliche Ursache für die Auseinanderentwicklung der Finanzkraft des Bundes und der Länder liegt in der Umstellung des Familienlastenausgleichs im Jahr 1975. Durch die damals von allen politischen Parteien gewollte Einführung eines einheitlichen Kindergelds ging die gesamte Finanzierungslast auf den Bund über. Obwohl diese zusätzlichen Lasten des Bundes über eine Neuverteilung der Umsatzsteuer ausgeglichen werden sollten, wurden die Länder und Gemeinden im Ergebnis erheblich entlastet, während der Bund die Hauptfinanzierungslast tragen mußte. Die 1975 beschlossene Kindergelderhöhung um rund 5 Milliarden DM hat der Bund in vollem Umfang übernehmen müssen. Dies ist auf die Dauer nicht tragbar.
({0})
Da der Familienausgleich nach Meinung aller politischen Parteien auch in Zukunft weiter ausgebaut werden soll, müssen Wege gefunden werden, daß auch die Länder entsprechend ihrer Finanzkraft an den Kosten beteiligt werden.
({1})
Das bestehende Ungleichgewicht in der Finanzausstattung entspricht nicht der Vorschrift des Art. 106 GG, nach der Bund und Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben durch laufende Einnahmen haben. Nach diesem Grundsatz hätte sich ein Anspruch des Bundes auf deutliche Erhöhung seines Umsatzsteueranteils ergeben.
Die Länder waren in den Verhandlungen jedoch nicht bereit, diesen Anspruch des Bundes auch nur teilweise anzuerkennen. So verständlich es ist, daß die Ministerpräsidenten der Länder in erster Linie die finanzpolitischen Interessen ihrer Länder wahrnehmen, so stehen sie doch auch in einer gesamtstaatlichen Verantwortung. Diese Verantwortung wurde in Art. 106 GG verfassungsrechtlich konkretisiert. Es ist deshalb eine staatspolitische Aufgabe, über gegenwärtige Parteien- oder Regierungskonstellationen hinaus die Funktionsfähigkeit des Finanzausgleichssystems zwischen Bund und Ländern für die Zukunft sicherzustellen.
({2})
Aus diesem Grunde wurde auf Initiative des Herrn Bundeskanzlers mit den Ländern vereinbart, eine unabhängige Kommission von Verfassungsrechtswissenschaftlern und Finanzwissenschaftlern einzusetzen, die objektivere Maßstäbe für die Anwendung des Art. 106 des Grundgesetzes und für Verfahren der Umsatzsteuerneuverhandlungen deutlich machen soll.
Da bis zum Abschluß der Arbeiten dieser Kommission weitere Verhandlungen mit den Ländern zunächst aussichtslos waren, andererseits ein gesetzlich ungeregelter Zustand nicht eintreten darf, muß für eine Übergangszeit der Status quo fortgeschrieben werden. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf beschlossen. Befristet auf die Jahre 1979 und 1980, soll es bei dem 1978 geltenden Verhältnis der Beteiligung an der Umsatzsteuer bleiben, wobei Bund und Länder ihre unterschiedlichen Rechtsauffassungen zur Auslegung und Anwendung des Art. 106 aufrechterhalten.
Die Ergänzungszuweisungen des Bundes an die leistungsschwachen Länder in Höhe von insgesamt 1,5 V. H. des Umsatzsteueraufkommens sollen in den Jahren 1979 und 1980 weitergewährt werden. Die leistungsschwachen Länder Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein erhalten dadurch vom Bund 1979 insgesamt 1,3 Milliarden DM und 1980 insgesamt 1,4 Milliarden DM an Ergänzungszuweisungen.
Der materielle Inhalt des Entwurfs ist für den Bund unbefriedigend, weil er das zu L asten des Bundes bestehende Ungleichgewicht in der Finanzausstattung fortschreibt. Diese für den Bund nur schwer verkraftbare Schräglage droht nun vollends unerträglich zu werden.
Die durch die Vorgänge in Afghanistan ausgelöste internationale Krise bringt - darüber sind sich übrigens, wie die heutige Debatte gezeigt hat, alle politischen Kräfte in der Bundesrepublik einig - wachsende finanzielle Belastungen für den Bund mit sich. Dabei geht es nicht nur um zusätzliche Ausgaben für die Europäische Gemeinschaft und neue Verteidigungsanstrengungen, sondern vor allen Dingen auch darum, die innere, d. h. insbesondere die wirtschaftliche Stabilität derjenigen Länder zu stärken, die in ihrer politischen Selbständigkeit gefährdet sind. Diese zusätzlichen internationalen Verpflichtungen müssen entsprechend der verfassungsmäßigen Aufgabenverteilung zunächst allein den Bundeshaushalt belasten.
Angesichts der ohnehin schon hohen Nettokreditaufnahme des Bundes kann es dabei nicht bleiben. Die Bundesregierung hat sich immer auf den Standpunkt gestellt, daß ihre Kreditaufnahme ebenso wie die gesamtstaatliche Kreditaufnahme sich nach den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen richten muß. Die Bundesregierung hat es für unabweisbar gehalten, die öffentliche Nachfrage, das wirtschaftliche Wachstum und damit die Beschäftigung durch zusätzliche kreditfinanzierte Ausgaben zu stärken, und sie hat dabei eine überproportional hohe Last übernommen.
Die konjunkturelle Entwicklung dieses Jahres und erst recht die des nächsten Jahres ist mit gewissen Unsicherheiten behaftet. Aus heutiger Sicht können wir aber eine erneute Erhöhung der Nettokreditaufnahme nicht vorsehen. Dies bedeutet, daß der noch vorhandene finanzpolitische Spielraum des Bundes neuen internationalen Verantwortlichkeiten nicht mehr gerecht werden kann. Einige Länder haben bereits zu erkennen gegeben, daß sie grundsätzlich bereit sind, diese zusätzlichen Lasten mitzutragen.
Der Weg, den die unionsregierten Länder dazu angeboten haben, nämlich eine Verminderung der vorgesehenen Steuererleichterungen, führt allerdings nicht zum Ziel. Die Notwendigkeit einer Korrektur der Steuerprogression, insbesondere für die Arbeitnehmer, wird durch außenpolitische Einflüsse nicht aufgehoben.
Eine Kürzung der Steuersenkung um beispielsweise 100 DM würde den Bund entsprechend dem Bundesanteil an der Einkommensteuer auch nur um 42,50 DM entlasten, die er zur Finanzierung seiner erhöhten internationalen Verpflichtungen und seiner Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Gemeinschaft einsetzen könnte. Die Länder und Gemeinden dagegen würden mit 57,50 DM den größten Gewinn aus der unterlassenen Steuersenkung ziehen, ohne entsprechende zusätzliche Belastungen durch die internationale Entwicklung zu haben. Deshalb muß nach anderen Wegen gesucht werden, die jetzt bevorstehende einseitige Zusatzbelastung des Bundes ohne Erhöhung der Gesamtbelastung der Steuerzahler durch Umschichtung von Einnahmen von den Ländern auf den Bund auszugleichen.
({3})
Ich appelliere deshalb an die Länder, es nicht nur bei der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Übernahme zusätzlicher nationaler und internationaler Verpflichtungen des Bundes zu belassen, sondern sich auch tatsächlich an den auf uns zukommenden unabweisbaren Ausgaben durch Stärkung der Finanzkraft des Bundes zu beteiligen.
({4})
Zu den öffentlichen Bekundungen, den Bund für seine neuen internationalen Verpflichtungen zu entlasten, steht allerdings der von der CDU/CSU eingebrachte Entwurf eines Steuer- und Familienentlastungsgesetzes 1981 in Widerspruch, da er wiederum den Weg geht, dem Bund die Hauptlast der Steuersenkungen aufzubürden. Wie wir heute
dastehen würden, wenn wir dem Vorschlag der CDU/CSU gefolgt wären, schon 1980 die Steuern zu senken, will ich gar nicht näher beschreiben.
({5})
Das von den Unionsparteien im Bundesrat vorgelegte Entlastungspaket ist so strukturiert, daß rund 60 % der finanziellen Belastungen den Bund träfen. Von den rund 17 Milliarden DM an Entlastungen sollen der Bund 10 Milliarden DM und die Länder und Gemeinden nur rund 7 Milliarden DM tragen. Auch hier soll statt der Einführung eines alle Haushaltsebenen gleichmäßig - oder nach den Anteilen - belastenden Kindergrundfreibetrages das Kindergeld, das allein zu Lasten des Bundes geht, erhöht werden. Eine solche den Bund übermäßig belastende Struktur des Steuerpakets gefährdet die von allen politischen Kräften der Bundesrepublik im
Grundsatz angestrebte Entlastung in der Lohn- und Einkommensteuer.
Ich habe den Bundeskanzler gebeten, mit den Ministerpräsidenten baldmöglichst Gespräche aufzunehmen, um einen gesamtstaatlichen finanzpolitischen Kompromiß anzustreben, der es ermöglicht, den internationalen Verantwortlichkeiten der Bundesrepublik gerecht zu werden, die öffentliche Kreditaufnahme im gesamtwirtschaftlich vertretbaren Rahmen zu halten, d. h. nicht mehr Geld aufzunehmen, als zur Sicherung der Beschäftigung unabweisbar erforderlich ist, den Bürgern die Anpassung des Steuertarifs zu geben, weil sie unabweisbar erforderlich ist, und die Lasten der kinderbezogenen Leistungen auf alle Ebenen des Staates gleichmäßig zu verteilen.
In der Erwartung, daß die Länder sich dieser gesamtstaatlichen Verantwortung nicht entziehen wollen, bitte ich den Deutschen Bundestag um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, allerdings in der Hoffnung, daß noch in diesem Jahr zumindest eine Zwischenlösung gefunden werden kann, die der veränderten internationalen Lage Rechnung trägt.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
({0})
- Verzeihung, es wurde vorhin gesagt, es spricht nur der Finanzminister.
({1})
- Gut, selbstverständlich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Verwirrung hier groß ist, das begreife ich schon. Denn wir haben jetzt einen parlamentarisch ungeheuerlichen Vorgang zu verzeichnen. Die CDU taucht weg, benennt keinen Redner für diese Debatte, obwohl seit Tagen, seit Wochen bekannt ist, daß diese Debatte stattfinden soll. Der Beweis dafür: hier sitzen Finanzreferenten aus zwei CDU-geführten Ländern, die bis zum Ende ausharren, weil sie wissen, daß es diese Debatte geben sollte.
Zur Sache selbst weiß die CDU offensichtlich nichts zu sagen. Sie tauchen weg. Ich bezeichne das als Feigheit.
({0})
Ich bezeichne es deshalb als Feigheit, weil zum erstenmal ja wohl deutlich werden muß, daß hier Berichte aus den Ausschüssen kommen, insbesondere aus dem Haushaltsausschuß, wo es normalerweise bei finanzwirksamen Gesetzen heißt: Der Gesetzentwurf ist mit der Haushaltslage vereinbar. Mehrfach heute so eingeführt.
Zu dem Bericht zu diesem Gesetz, das wir jetzt beraten, heißt es - so beschloß der Haushaltsausschuß -: Der Gesetzentwurf wird mit der Haushaltslage für vereinbar erklärt. Weil man nämlich gar nicht anders kann. Dies ist ein ganz wesentlicher Unterschied. Ich hätte gern einmal den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Herrn Windelen, gefragt, wie er denn zu der Institution „Bundeshaushalt" steht und wie er dazu steht, daß die Länderministerpräsidenten der CDU den Bund, diese Bundesregierung im Würgegriff halten wollen. Hier wird weggetaucht. Auch Ihr Möchtegern-Finanzminister Häfele hätte hier einmal Position zur Frage der Steuerverteilung beziehen können. Die Herren tauchen einfach weg, obwohl die Debatte seit gut einer Woche vereinbart ist.
({1})
Ich bitte Sie, Herr Kunz - es tut mir leid, daß Sie hier noch zuhören müssen, daß Sie das ertragen müssen -, dies einmal in Richtung CDU/CSU-Fraktion zu bringen. So kann man im Parlament nicht verfahren: Man kann einfach nicht über Probleme sprechen, weil kein Ansprechpartner da ist.
({2})
- Herr Kollege Reddemann, ich suche bei Ihnen einen Ansprechpartner. Das Problem ist ja, daß Sie hierzu nicht reden. Das Schlimmste, glaube ich, was einem Parlamentarier hier vorgeworfen werden kann, ist Feigheit. Ich bezichtige die verantwortlichen Finanzpolitiker der CDU der Feigheit, da sie sich dieser Diskussion hier und heute nicht stellen.
({3})
- Dies stelle ich so fest.
Es tut mir leid, daß meine Sachargumente nun irgendwo anders, z. B. im Sozialdemokratischen Pressedienst, abgedruckt werden müssen, weil man die Debatte heute leider nicht führen kann. Ich bezeichne dies als einen ungeheuren Vorgang. Dieser Bundestag muß auch einmal über sein Selbstverständnis, über sein Budgetrecht diskutieren, und muß darüber reden, wie es denn mit den Einnahmen aussieht. Man kann nicht ständig über die Neuverschuldung lamentieren, man kann diesen Staat nicht für bankrott erklären, wenn uns die CDU-geführten Länder gleichzeitig erpressen.
({4})
Ich hätte gern sachlich diskutiert, weil man eine Reihe von Argumenten über die Frage der Neuverteilung der Umsatzsteuer kritisch austauschen kann. Aber daß hier im Bundestag Debatten abgewürgt werden, indem man einfach nicht erscheint, ist doch wohl ein abenteuerlicher Vorgang. Ich hoffe, die Presse wird das entsprechend würdigen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Kunz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Sache möchte ich nur saKunz ({0})
gen, daß ich den Ton, den der Herr Bundesfinanzminister gewählt hat, sehr wohl von dem Ihrigen zu unterscheiden weiß. Es ist wahrscheinlich doch jener Unterschied zwischen Verantwortung und nur Dahinreden, wie Sie es eben getan haben.
Ich weise außerdem Ihren unerhörten Vorwurf, daß die CDU-geführten Länder andere erpressen würden, strikt zurück.
Ich habe mich aber gemeldet, weil ich etwas zur Form sagen wollte. Herr Kollege, Ihnen scheint entgangen zu sein, daß kurz vor Ihrer Wortmeldung vereinbart war, daß nur der Bundesfinanzminister das Wort ergreift. Wir konnten uns freilich dann, nachdem Sie den besonderen Wunsch geäußert haben, das Wort zu ergreifen, während zwei andere Fraktionen diesen Wunsch nicht geäußert haben, dem nicht widersetzen. Wir halten uns an das, was mit Beginn der Sitzung um 9 Uhr vereinbart war. Deshalb bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß Ihr Vorwurf völlig ins Leere geht.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Artikel 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({0})
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Die Tagungsordnungspunkte 11 - Errichtung von Sprecherausschüssen für Leitende Angestellte - und 12 - Beschleunigung des Asylverfahrens - sind von der Tagesordnung abgesetzt.
Ich rufe die Punkte 13 bis 20 der Tagesordnung auf:
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte
- Drucksache 8/3691 Überweisungsvorschlag d. Ältestenrates:
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Beherbergung im Reiseverkehr ({1})
- Drucksache 8/3623 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({2})
Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes
- Drucksache 8/3664 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Verteidigungsausschuß ({3})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 10. Mai 1979 zum Europäischen Übereinkommen über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport
- Drucksache 8/3665 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 25. August 1978 zur Durchführung des Abkommens vom 25. Februar 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit in der Fassung des Zusatzabkommens vom 9. September 1975
- Drucksache 8/3655 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Füstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit
- Drucksache 8/3656 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen vom 9. Dezember 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Fürstentum Liechtenstein, der Republik Osterreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Bereich der Sozialen Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 28. März 1979 zur Durchführung dieses Übereinkommens
- Drucksache 8/3657 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Vizepräsident Wurbs
20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 28. Juni 1978 über die Kontrolle des Erwerbs und Besitzes von Schußwaffen durch Einzelpersonen
- Drucksache 8/3660 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({4}) Ausschuß für Wirtschaft
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/3691, 8/3623, 8/3664, 8/3665, 8/3655, 8/3656, 8/3657 und 8/3660 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({5}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung über die Schwierigkeiten beim grenzüberschreitenden Personen- und Güterkraftverkehr an den Binnengrenzen der Gemeinschaft
- Drucksachen 8/2944, 8/3654 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch anderweitig nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Auschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3654 unter Ziffer 1, die Entschließung des Europäischen Parlaments auf Drucksache 8/2944 zustimmend zur Kenntnis zu nehmen, und unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. März 1980, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.