Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen - Stand: 22. Januar 1980 - vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den zweiten Teil der 25. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der WEU vom 3. bis 6. Dezember 1979 in Paris ({0})
zuständig:
Auswärtiger Ausschuß ({1}) Verteidigungsausschuß
Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen beim Vollzug des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 14. April 1978 ({2}) ({3})
zuständig:
Rechtsausschuß ({4}) Innenausschuß
Weißbuch 1979 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr ({5})
zuständig:
Verteidigungsausschuß ({6}) Haushaltsausschuß
Erhebt sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? - Ich stelle fest, daß dies nicht der Fall ist. Es ist so beschlossen.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Bundesminster des Innern hat mit Schreiben vom 23. Januar 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erhard ({7}), Spranger, Dr. Miltner, Broll, Dr. Jentsch ({8}), Dr. Langguth, Berger ({9}), Volmer, Dr. Laufs, Regenspurger und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Durchführung von Disziplinarmaßnahmen gegen aktive DKP- oder NPD-Mitglieder im Bereich der Bundesregierung - Drucksache 8/3526 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3611 verteilt.
Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 16. bis 22. Januar 1980 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/3610 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen.
Die in Drucksache 8/2636 unter Nr. 17 aufgeführte EG-Vorlage
Entwurf einer Richtlinie des Rates über Gesundheitsvorschriften, denen die zur Herstellung von wärmebehandelter Milch bestimmte rohe Milch entsprechen muß
Entwurf einer Richtlinie des Rates über Gesundheitsvorschriften für die Herstellung von wärmebehandelter Milch, die zum unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt ist
wird als Drucksache 8/3612 verteilt.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1980
- Drucksache 8/3456 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({10})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wird zur Einbringung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die erste Lesung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1980 in diesem Haus erfolgt zu einem späten Termin. Eine Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs zum 1. Januar 1980 ist durch Zeitablauf schwierig, wenngleich nicht unmöglich geworden.
Der Gesetzentwurf bietet uns darüber hinaus die Möglichkeit, über Sofortmaßnahmen für steuerliche Entlastung auch zum Beginn dieses Jahres miteinander zu sprechen, und eine Gelegenheit, unsere steuerpolitischen Positionen zu bestimmen. Wenn dabei Wiederholungen aus früheren Diskussionen erforderlich werden, so spricht das für die Beständigkeit derer, die vor Monaten, Herr Westphal, schon dasselbe wie heute gesagt haben. Es ist nicht unbedingt ein Zeichen für steuerpolitische Qualität, wenn man alle vier Wochen das Gegenteil von dem sagt, was man vier Wochen vorher gesagt hat.
({0})
Der Gesetzentwurf ist im Bundesrat - dies muß festgehalten werden - bereits im September 1979 eingebracht worden. Die erste Lesung im Bundesrat hat am 28. September stattgefunden. Bereits am 19. Oktober hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetzentwurf einzubringen. Die Bundesregierung hat sich bis in den Dezember Zeit gelassen, den Gesetzentwurf mit ihrer Stellungnahme dem Bundestag zuzuleiten. Sie hat diese Zeit gebraucht, um eine Stellungnahme von insgesamt sage und schreibe 26 halbspaltigen Zeilen zu fertigen. Offensichtlich ist
es die Verzögerungsabsicht der Bundesregierung, durch dieses Verfahren eine Tarifreform zum 1. Januar 1980 zu erschweren.
Daneben haben die Koalitionsparteien während der Zeit dieser Diskussion zu Ablenkungsmanövern gegriffen, indem sie in Interviews und Presseerklärungen steuerpolitische Programme und Absichten verkündet haben, wobei nicht klar war, ob für 1980 oder für 1981, immer, um am Kern des Problems vorbeizutäuschen. Der Kern des Problems war und ist, daß wir Steuerentlastungen zum Beginn des Jahres 1980 beschließen müssen, um eine unheilvolle Entwicklung zu verhindern, die sonst 1980 stattfindet. Diese Ablenkungsmanöver der Koalitionsparteien erinnern an das alte sozialistische Rezept: Man verspricht das Heil für die Zukunft, um von den Versäumnissen der Gegenwart abzulenken.
({1})
Die Verweigerung einer Steuerentlastung zum 1. Januar 1980 ist ein entscheidender Fehler. Die heimlichen Steuererhöhungen werden sich 1980 auf gut 10 Milliarden DM belaufen. Dabei wird insbesondere die Lohnsteuerbelastung, die von den Arbeitnehmern zu tragen ist, explosionsartig ansteigen.
Nach der amtlichen Steuerschätzung wird bei einer Steigerung der Bruttolohn- und -gehaltssumme um 7,2 % das Lohnsteueraufkommen im Jahr 1980 um 12,8 %, also fast doppelt so stark, steigen. Dies hat ein sprunghaftes Anwachsen des Lohnsteueraufkommens zur Folge. Ich darf Ihnen einmal die Zahlen für die drei Jahre 1978, 1979 und 1980 nennen. Wir hatten 1978 ein Lohnsteueraufkommen von 92 Milliarden DM. Für 1979 hatten wir als Soll ein Lohnsteueraufkommen von 97,5 Milliarden DM. Für 1980 haben wir ein Soll von 110 Milliarden DM Lohnsteuer, die von den Arbeitnehmern in diesem Land zu tragen sind. Meine Damen und Herren, zum Vergleich nenne ich das Lohnsteueraufkommen des Jahres 1969: Es betrug 27 Milliarden DM.
Die Folge davon ist u. a., daß immer mehr Arbeitnehmer mit ihrem Einkommen in den Bereich hineinwachsen, in dem eine progressive Lohnbesteuerung mit 30,8 % und mehr stattfindet. 1976 waren es noch 34 % der Arbeitnehmer, die progressiv besteuert wurden. 1977 waren es 41 %, 1978 46 %, 1979 schon 53 %. 1980 werden 60 % aller Arbeitnehmer in diesem Land progressiv besteuert werden. Die Folge davon ist, daß die Grenzbelastung der Arbeitnehmer, also die Belastung des Mehreinkommens durch Lohnsteigerungen mit Steuern und Sozialabgaben, im Jahr 1980 bei 50 % liegen wird.
Meine Damen und Herren von der Koalition, diese Steuererhöhungen des Jahres 1980 erst 1981 - und dann auch nur teilweise - zurückgeben zu wollen, ist unzureichend und falsch.
Damit wird auch klar, weshalb wir nicht von Steuersenkungen, sondern davon sprechen, daß durch steuerliche Maßnahmen Steuererhöhungen verhindert werden müssen, die sonst stattfinden würden.
({2})
Meine Damen und Herren, die Entscheidung der Koalition ist falsch, insbesondere auch im Hinblick auf die Situation bei den Tarifverhandlungen. Gerade weil maßvolle Lohnabschlüsse im Jahre 1980 besonders wichtig sind, hätten wir die steuerpolitischen Rahmenbedingungen für die jetzigen Tarifverhandlungen verbessern müssen. Wer da immer sagt, Tarifverhandlungen würden durch steuerpolitische Entscheidungen nicht beeinflußt, sollte sich einmal damit auseinandersetzen, daß die österreichische Regierung geplante Steuererhöhungen im Hinblick auf die laufenden Tarifverhandlungen ausgesetzt hat.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Herr Kollege Schäuble, können Sie bestätigen, daß die Mehrheit der Bundesländer entsprechend den angestrebten Steuererleichterungen für 1980 in ihren jeweiligen Länderhaushalten Rückstellungen gemacht und sie als solche auch ausgewiesen haben?
Herr Kollege Kühbacher, das ist doch nicht das Thema. Wir müssen hier unsere steuerpolitischen Entscheidungen treffen.
Ihre Frage bringt mich allerdings auf den nächsten Punkt der Argumentation. Was Sie vorhaben, sogenannte Steuerentlastungen zum Zeitpunkt 1981 zu diskutieren, völlig losgelöst vom Haushaltsplan, ist unverantwortlich.
({0})
Unsere Politik war ja, einen maßvollen Beitrag zur Verhinderung von Steuererhöhungen schon 1980, eingebettet in die Haushaltsberatungen 1980, zu leisten und damit zu verhindern, daß in der Hektik eines Bundestagswahlkampfs möglicherweise Erwartungen geweckt werden, die man hinterher nicht erfüllen kann. Wir haben hierfür ja hervorragende Beispiele aus dem Jahre 1976. Vielmehr muß das, was notwendig ist, in eine verantwortungsbewußte Politik eingebunden werden.
({1})
Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung, 1980 angeblich konsolidieren und 1981 die Steuern senken zu wollen, ist eine doppelte Täuschung und ist sachlich falsch.
({2})
- Es ist eine doppelte Täuschung, weil 1980, Herr Kollege Schäfer, nichts konsolidiert wird. Das müßten selbst Sie inzwischen verstanden haben. Wenn die Schulden ein bißchen weniger zunehmen als im vergangenen Jahr, dann können Sie nicht behaupten, Sie konsolidierten den Haushalt. Konsolidierung des Haushalts wäre Schuldenabbau; die Schulden des Bundes nehmen aber auch im Jahre 1980 zu. Das ist der eine Punkt der Täuschung.
Der zweite Punkt der Täuschung ist es, daß Sie 1981 mit dem, was Sie als Steuerpaket in die Welt gesetzt haben, obwohl es noch gar nicht verabschiedet ist, auch gar nicht die heimlichen SteuererhöDeutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode Dr. Schäuble
hungen zurückgeben. Im Jahre 1980 machen die heimlichen Steuererhöhungen mindestens 10 Milliarden DM aus, und im Jahre 1981 sind es noch einmal mindestens 10 Milliarden DM. Von diesen insgesamt 20 Milliarden DM wollen Sie 1981 allenfalls 13 Milliarden DM in Form von Entlastungsmaßnahmen zurückgeben, d.h. Sie geben einen Teil verspätet zurück. Das können Sie nun wirklich nicht anders als eine Täuschung der Steuerzahler darstellen.
({3})
Diese Politik ist sachlich falsch, weil Sie nicht sagen können: In einem Jahr konsolidieren wir, und im anderen bekämpfen wir heimliche Steuererhöhungen. Beides, die Rückführung der Neuverschuldung und der Abbau der zu hohen Schuldenlast des Bundes und die Bekämpfung heimlicher Steuererhöhungen des Bundes als Folge der Inflation, ist eine Daueraufgabe der Steuer- und Finanzpolitik. Wir müssen beide Aufgaben miteinander kontinuierlich leisten.
({4})
Wir müssen diese Aufgaben harmonisiert und stetig erfüllen. Ihre Politik ist ein Zickzackkurs: Im einen Jahr marschieren Sie in die eine Richtung und im anderen Jahr in die Gegenrichtung. Sie glauben, das sei eine stetige Politik. Mich erinnert das, Herr Westphal, sehr an Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik in der ersten Hälfte der 70er Jahre: Gas geben, fünf Minuten später bremsen, drei Wochen später wieder Gas geben, vier Wochen später wieder bremsen. Wenn Sie in einem Auto mit einem Fahrer sitzen, der so fährt, wird Ihnen schlecht.
({5})
Der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ist Ihre Stop-and-go-Politik, Ihr Zickzackkurs in den 70er Jahren schlecht bekommen.
({6})
Nur mit einer stetigen Finanzpolitik können Sie auf Dauer Vollbeschäftigung und Stabilität sichern. Deswegen gibt es nicht die Alternative, Steuererhöhungen bekämpfen oder konsolidieren, sondern Sie müssen beides, miteinander abgestimmt, machen.
Unser Antrag, der Antrag des Bundesrates, mit einer Steuerentlastung, mit einer Tarifkorrektur, mit einem Volumen von 6,5 Milliarden DM zum 1. Januar 1980 wäre ein maßvoller Schritt, der die notwendige Rückführung der Neuverschuldung im Bundeshaushalt, wenn man das in die Haushaltsberatungen eingebettet hätte, was wir wollten, nicht verhindert hätte.
({7})
Das hätte man miteinander machen können. Nur dies wäre eine verantwortungsbewußte Politik gewesen.
Gerade auch nach den aktuellen weltpolitischen Ereignissen und gerade auch angesichts der möglicherweise notwendig werdenden wirtschaftlichen Opfer, die wir alle in der Bundesrepublik Deutschland werden tragen müssen, ist es um so notwendiger, daß wir die Bekämpfung von Steuererhöhungen und die Konsolidierung des Haushalts miteinander harmonisieren. Es kann wohl nicht angehen, daß notwendig werdende Opfer nur durch höhere Verschuldung, d.h. mehr Inflation, oder durch Steuererhöhungen finanziert werden, sondern wenn notwendige Belastungen auf uns zukommen, dann muß dies auch zu einer Neuorientierung der Prioritäten auf der Ausgabenseite des Haushalts führen.
({8})
Das kann man nur erreichen, wenn man beides miteinander verbindet.
({9})
Die Steuerpolitik der CDU/CSU ist in diesem Sinne 'langfristig angelegt, sie ist ausgewogen und verantwortungsbewußt. Unser Antrag, eine Tarifkorrektur - ich sagte das schon - zum 1. Januar 1980 mit einem Volumen von 6,5 Milliarden DM, wäre ein maßvoller Beitrag zur Vermeidung heimlicher Steuererhöhungen in diesem Jahr 1980. Die Rückführung der Neuverschuldung bliebe daneben gleichwohl notwendig. Außerdem ist der vom Bundesrat vorgelegte Antrag, die Grenzsteuerbelastung bei den mittleren Einkommen der Arbeitnehmer und der Selbständigen zu senken, und zwar durch die Senkung des Proportionalsteuersatzes von 22 auf 21 % und durch die Senkung der Grenzsteuerbelastung bei Einkommen zwischen 16 000 und 60 000 DM jährlich, ein Schritt in die richtige Richtung; denn es muß wohl die Richtung sein, einen leistungsfreundlichen Steuertarif mit durchgehendem Progressionsverlauf zu schaffen. Dieses Ziel können wir nicht in einem Schritt erreichen; wir müssen anstreben, es in einem mittelfristigen Zeitraum zu verwirklichen.
Was Sie für 1981 inzwischen der Offentlichkeit mitgeteilt haben, ist ein Schritt in die falsche Richtung.
({10})
Ich meine die Ausdehnung der Proportionalzone. Barbier hatte recht, als er in der „Süddeutschen Zeitung" - es ist wohl am 20. Dezember 1979 gewesen - geschrieben hat, daß die von Ihnen für eine Tarifkorrektur vorgesehenen 5 bis 6 Milliarden DM für einen leistungsfreundlichen Einkommensteuertarif hinausgeworfenes Geld seien.
({11}) Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen.
Wir müssen die Grenzsteuerbelastung absenken, damit die Leistungsbereitschaft in diesem Lande nicht absinkt. Das Prinzip der Koalition, Einkommen über einem gewissen Sockel möglichst hoch zu besteuern und dann dem Bürger einen Teil über Sozialleistungen und Subventionen wieder zurückzugeben, ist mit der Sozialen Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren. Es entspricht dem sozialistischen Prinzip, daß zwar jeder nach seinen Fähigkeiten zu arbeiten habe, daß ihm Leistungen aber nur nach seinen
ihm vom Staat bemessenen Bedürfnissen zugeteilt werden. Dies ist nicht unsere Steuerpolitik.
Dies, meine Damen und Herren, gilt auch für die Kinderfreibeträge. Die Diffamierung der Kinderfreibeträge mit dem Satz, jedes Kind solle dem Staat gleichviel wert sein
({12})
- diese Demagogie -, verrät das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Progressive Steuerbelastung erfordert eine sorgfältige Ermittlung der Bemessungsgrundlage, der steuerlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen. Kinder mindern diese steuerliche Leistungsfähigkeit.
Im übrigen verrät Ihre Argumentation den sozialistischen Ansatz, daß Eltern vom Staat für Kinder bezahlt werden. Meine Damen und Herren, die Berücksichtigung von Kindern bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens ist nicht ein staatliches Entgelt für Kinder, sondern eine Frage der steuerlichen Gerechtigkeit. Daß Sie diesen Druck spüren, Kinder bei der Ermittlung der steuerlichen Leistungsfähigkeit berücksichtigen zu sollen, zeigt Ihr Vorhaben für 1981, einen Kindergrundfreibetrag einzuführen, obwohl auch das eine Täuschung ist, weil er nicht wirklich bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage berücksichtigt wird.
Daß die Abschaffung der Kinderfreibeträge in der Steuerreform 1975 ein Fehler war, der korrekturbedürftig ist, wird sichtbar, wenn man sich einmal vergegenwärtigt, wie viele Veränderungen inzwischen bei der Berücksichtigung von Kindern am Rande im Steuergesetz notwendig geworden sind: Das reicht von den Ausbildungsfreibeträgen über den Unterhaltsfreibetrag, das begrenzte Realsplitting, die Einführung der Halbteilung bei den sogenannten Kinderadditiven bis zu dem Kindergrundfreibetrag, den Sie 1981 einführen wollen.
({13})
Meine Damen und Herren, Sie werden dieses Thema nicht mehr los werden. Wir geben auch den Abzugsbetrag für Kinderbetreuungskosten nicht mehr auf, es sei denn, Sie wandelten ihn in einen echten Kinderfreibetrag um.
({14})
Wir sagen offen: Da haben wir den Fuß in der Tür. Diesen Fuß nehmen wir nicht mehr heraus.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Vermeidung heimlicher Steuererhöhungen in 1980 ist dringlich. Die Entwicklung, durch die heimlichen Steuererhöhungen in 1980 hervorgerufen, wäre ohne solche Entlastungsmaßnahmen leistungsfeindlich und würde die Familien besonders belasten. Wir müssen die Rahmenbedingungen für die Tarifverhandlungen verbessern. Deswegen sind Sofortmaßnahmen notwendig - und möglich. Wir können, wenn auch mit Schwierigkeiten, sogar noch den Steuertarif zum 1. Januar ändern. Wir können den Weihnachtsfreibetrag einführen. Wir können den Tariffreibetrag ausweiten, oder wir können in Anlehnung an das Stabilitätsgesetz einen Abschlag einführen. Alle diese Sofortmaßnahmen sind möglich. Sie sind notwendig. Wir sollten rasch beraten und rasch entscheiden, damit eine unheilvolle Entwicklung in 1980 vermieden wird.
({15})
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Dr. Spöri das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schäuble, das war so kurz nach dem Frühstück ein braver Husarenritt ({0})
aber relativ mutlos vorgetragen. Wenn ich das, was Sie da gesagt haben, daß wir in diesem Jahr die Entlastung vornehmen sollten, mit dem vergleiche, was zum Beispiel Franz Josef Strauß und sein finanzpolitischer Juniorpartner, Herr Häfele, der hier vorne sitzt, vor Weihnachten vorgetragen haben, dann zeigen sich für mich, was das Entlastungsjahr anlangt, doch leichte Ansätze zur Bewußtseinsspaltung,
({1})
weil Franz Josef Strauß schon längst von der Einsicht ausgegangen ist, daß für eine solche Tarifkorrektur im Jahre 1980 kein haushaltspolitischer Spielraum vorhanden ist.
({2})
- Ich komme gleich noch einmal ausführlich auf diesen Punkt. Herr Häfele, darüber können wir uns dann noch ein bißchen unterhalten. Heute ist nämlich - mehr noch als vor einem halben Jahr - festzuhalten, daß diese Forderung nach Steuerentlastung, nach Tarifkorrektur im Jahre 1980 im Grunde genommen konjunkturpolitisch Gift gewesen wäre - ganz im Gegensatz zu den naiven ökonomischen Positionen, die Herr Schäuble hier soeben vorgetragen hat -, weil nämlich diese Initiative mit Milliarden von D-Mark und den entsprechenden zinssteigernden Folgewirkungen den Kapitalmarkt überlastet hätte.
({3})
Dies wäre, vor allem angesichts der verschärften weltpolitischen Krisensituation und auch vor dem Hintergrund der größeren konjunkturpolitischen Risikofaktoren, für unsere Wirtschaft in diesem Jahr Gift gewesen.
Wir haben, meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik die gute Chance, konjunkturpolitisch und arbeitplatzpolitisch in diesem Jahr relativ ordentlich über die Runden zu kommen. Es ist meine feste Überzeugung: Wenn wir das gemacht hätten, was Herr Schäuble hier soeben an Maßnahmen für dieses Jahr vorgetragen hat, dann hätten wir - zumal das ja zu entsprechenden Zinssteigerungen geführt hätte - diese Chance nicht mehr im selben Umfang.
({4})
Herr Schäuble, es ist insofern nur zu begrüßen, daß mit der Vorlage des Oppositionskatalogs vor Weihnachten, in dem als Entlastungsjahr 1981 genannt wird, inzwischen die Einsicht eingekehrt ist, daß dies 1980 nicht mehr machbar ist. Sie müssen sich ja auch ein bißchen unwohl gefühlt haben - Herr Häfele, Sie auch denn mit Ihrer Forderung nach einer Entlastung im Jahre 1980 sind Sie in der Offentlichkeit im Grunde genommen völlig isoliert dagestanden.
({5})
Sogar der BDI und der Deutsche Industrie- und Handelstag, die Ihnen ansonsten überhaupt nicht feindlich gesonnen sind
({6})
Herr Häfele, darauf komme ich gleich noch zurück -, konnten Sie bei Einhaltung der Gesetze ökonomischer Logik nicht unterstützen. Wahrscheinlich haben Sie sich da ganz schön mulmig gefühlt. Insofern, Herr Schäuble, müßten Sie allen Instanzen - auch der Bundesregierung - dankbar sein, die dazu beigetragen haben, daß es uns möglich ist, diesen Gesetzentwurf heute als alten Hut zu lesen.
({7})
Ich möchte jetzt einmal auf Ihre Darstellung der Belastungen des Durchschnittsbürgers eingehen, die ja sicherlich vorhanden sind. Es ist immer ein schlitzohriger Stil, wie Sie hier die Steuerprogression verzerrt schildern. Sie singen wie die Pirole das Lied von den heimlichen Steuererhöhungen. Aber was ist denn da Wahres dran?
({8})
In diesem Jahr ist es so, daß die Progression nach der Progressionsdämpfung auf Grund des letzten Steuerpakets im Jahre 1979 natürlich wieder ansteigt. In dieser Hinsicht sind alle in diesem Hause gleicher Auffassung; das müssen wir objektiv konstatieren. Es ist aber darüber hinaus so - das verschweigen Sie von der Opposition, und das ist unfair -, daß die Progression trotz dieses Ansteigens beim Durchschnittsarbeitnehmer in diesem Jahr auf Grund des Vorhaltens der letzten Tarifkorrektur immer noch geringer ist als im Jahre 1978, dem Jahr vor unserer letzten Tarifkorrektur. Das kann man nachweisen. Ferner ist es so
({9})
- das hören Sie überhaupt nicht gern -, daß die Lohnsteueraufkommenszuwachsraten in den Zeiten, in denen die CDU die Bundesregierung gestellt hat, ständig höher waren als in dem Zeitraum seit 1969 unter einer sozialliberalen Regierung.
Meine Damen und Herren, zur inhaltlichen Stoßrichtung dieser Tarifkorrektur - Herr Schäuble hat hier zu den Plänen der Union einige Konzeptionsmerkmale vorgetragen -: Man muß sich im Detail darüber unterhalten, wie man einen solchen Tarif „schneidet". Da kann man manchmal unterschiedlicher Auffassung sein; hoffentlich können
wir uns hier einigen. Ich sehe uns da gar nicht so furchtbar weit auseinander wie bei früheren Steuerpaketen. Nur, meine Damen und Herren: Wenn wir hier gemeinsam - auch Herr Schäuble hat das vorhin so dargestellt - feststellen, daß das Problem beim ersten Einstieg der Arbeitnehmer in die Progressionszone liegt, dann müssen wir unser Entlastungspotential, die knappe Entlastungsmasse, konzentrisch dort einsetzen. Vor dem Hintergrund einer knappen Verfügungsmasse im Haushalt - das muß ja jeder zugeben - ist es für mich nicht so furchtbar logisch, wenn die Union von den 8 Milliarden DM, die sie vor Weihnachten für die Tarifkorrektur vorgeschlagen hat, 4 Milliarden DM außerhalb der Progressionsdämpfung einsetzen will. Dies ist in Anbetracht der knapperen haushaltspolitischen Mittel keine effiziente Lösung.
Wir haben uns bei unserer Konzeption von diesem effizienten Einsatz der Mittel leiten lassen. Wir haben ganz gezielt vorgeschlagen, die Progressions-zone um 2 000 bzw. 4 000 DM nach oben zu verschieben und den ersten Einstieg in die Progression zu dämpfen. Das, was Sie vorher hier dazu gesagt haben, das sind haltlose Sprüche, Herr Schäuble. Die Progression, die Grenzbelastung im unteren Einstieg der Progressionszone, liegt nach unserem Vorschlag eindeutig niedriger als in der Vergangenheit beim alten Tarif. Das, was Sie gesagt haben, ist absolut unwahr.
({10})
- Ja, da muß man halt die Schaubilder angucken; da muß man schon die Vorlagen lesen.
({11})
- Ja, man muß sich doch informieren, wenn man hier hereinsitzt, Herr Kollege.
Wenn dann darüber hinaus in dem Bundesratsentwurf - und den lesen wir ja heute morgen, wenigstens formal - die Erkenntnis steht, daß man die Proportionalzone um einen Prozentpunkt senken müsse, und wenn das dann als erster Einstieg in den durchgehenden progressiven Tarif abgefeiert wird, dann muß ich Ihnen sagen: auf diesem Wege, zu diesem langfristigen steuerpolitischen Ziel des progressiven durchgehenden Tarifs können wir Ihnen einfach nicht folgen, und zwar gerade deswegen, Herr Schäuble, weil ich Ihre Argumentation in einem anderen Punkt ernst nehme. Wir würden uns nämlich bei einem durchgehenden progressiven Tarif genau den Ärger, den Sie vorher hier zu Recht für den heutigen Progressionsbereich geschildert haben, in der heutigen Proportionalzone bei den Kleinverdienern auf den Hals laden.
({12})
Dies ist einfach unlogisch. Es ist zwar nicht richtig, was Sie über Tarifpolitik und Steuerpolitik gesagt haben. Aber wenn das Argument logisch wäre - was es nicht ist -, dann müßten Sie den durchgehend progressiven Steuertarif schon deshalb ablehnen, weil er gerade auch zu diesen tarifpolitischen
Problemen im Kleinverdienerbereich führen würde. Das ist einfach widersprüchlich.
Ich komme nun zu den übrigen Steuerentlastungsvorschlägen, die die Opposition vor Weihnachten hier vorgebracht hat. Herr Strauß und Herr Häfele haben sie ja außerhalb des Parlaments vorgetragen.
({13})
Herr Schäuble hat dezent verschwiegen, was ansonsten da an Operationen gemacht werden soll, z. B. unter dem fulminanten Titel „Stärkung der Investitionskraft der Betriebe". Das muß man sich mal ganz genußreich auf der Zunge zergehen lassen. Man muß mal untersuchen, was da an Investitionsförderung für die armen Kleinbetriebe drin ist: Die Übertragung der Ertragsteuerbilanzwerte bei der Ermittlung der Vermögensteuer, Herr Schäuble, wäre doch in der Praxis im Grunde genommen ein einseitiges 1-Milliarde-Bonbon im Bereich der Vermögensteuer für die ganz großen Unternehmen. Wenn Sie wirklich eine Ahnung hätten, was in Großbetrieben die Investitionsplanung wirklich beeinflußt, dann würden Sie nie behaupten können, daß die Investitionsplanung auf Grund eines solchen 1-Milliarde-Bonbons überhaupt verändert wird. Dies wäre eine ganz lockere Gewinnmitnahme, ein Sondergeschenk, das die abkassieren. Die würden ihre Investitionstätigkeit überhaupt -nicht ändern.
({14})
Das sind völlig weltfremde Vorstellungen, was Investitionsförderung anlangt. Dabei ist ja wiederum mal interessant, daß bei dieser Maßnahme in den sogenannten finanzierungsschwachen Kleinbetrieben überhaupt nichts hängenbleiben würde.
Es ist ja symptomatisch: Wenn die Union - was sie öfters macht - steuerpolitische Vorschläge für die Unternehmen macht, kann man sich ständig darauf verlassen, daß die ganzen mittelstandspolitischen Sprüche in der Praxis überhaupt nicht mehr Gültigkeit haben, sondern daß die Großen dann den Reibach machen. Das ist an diesem Beispiel wieder beweisbar. Das ist ein Paradebeispiel, wie interessenorientiert die Union Wirtschaftspolitik für die großen Unternehmen macht.
({15})
- Ja, ja, dann kommt doch vor und sagt mal was dazu!
({16})
- Ich höre ja gar nichts. Es ist alles bloß schamhaftes Gemurmel.
({17})
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik kann es sich finanzpolitisch nicht leisten, mit wirtschaftspolitisch unnötigen und wettbewerbspolitisch falsch verteilten Steuerbonbons im Jahre 1981 die öffentlichen Haushalte zusätzlich zu belasten. Das im nächsten Jahr wirksame Volumen eines steuer- und familienpolitischen Pakets darf auf keinen Fall über die Obergrenze von 13 Milliarden DM
hinausgehen, die auch mit der Bundesbank und der
Geldpolitik abgestimmt ist. Die Belastungen in Höhe von 17 Milliarden DM aus dem vorgeschlagenen Strauß-Paket sind im Jahre 1981 überhaupt nicht verantwortbar. Diese Belastung würde uns nicht nur von dem Konsolidierungsziel, das wir alle
- auch der Herr Schäuble - betont haben, zu weit entfernen, sondern sie würde uns auch mit Sicherheit den Spielraum für die eventuell notwendigen ausgabenwirksamen Entscheidungen als Folge der jüngsten weltpolitischen Entwicklung unvertretbar einschnüren. Das müssen wir jetzt berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, wir sollten angesichts der aktuellen Situation ein effizientes Steuerpaket für das Jahr 1981 beschließen.
({18})
- Herr Schäuble, wir haben ja daneben noch die für 1980 wirksamen mittelstandspolitisch gezielten Steuererleichterungen für die Unternehmen.
({19})
Sie wissen ja, es handelt sich um Freibetragserhöhungen; ich glaube, Sie erinnern sich noch daran. Deswegen, lieber Herr Schäuble, besteht überhaupt keine Veranlassung - gerade weil wir in diesem Jahr 4 Milliarden DM unternehmensorientierte Erleichterungen aus dem letzten Steuerpaket haben -, im nächsten Jahr ein Konzern-Bonbon à la
Strauß zusätzlich zu spendieren.
({20})
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß 1981 bei den Entlastungen wieder vorrangig die Arbeitnehmer dran sind.
({21})
Dementsprechend sehen auch die Schwerpunkte des mit der FDP vereinbarten steuer- und familienpolitischen Pakets aus: - Herr Häfele, passen Sie jetzt einmal auf; das ist ganz interessant für Sie.
({22})
- Der schwätzt doch dauernd.
({23})
Herr Häfele, Sie als selbsternannter Arbeitnehmervertreter wird das interessieren, was ich jetzt sage: Dementsprechend positiv fiel auch die Reaktion des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus. Das regt Sie als selbsternannter Arbeitnehmervertreter sicher auf.
({24})
- Ich rede dauernd zur Sache.
Ich glaube, Herr Schäuble, daß Sie mit Ihrem Paket nicht die entsprechende Resonanz bei den Arbeitnehmern in diesem Lande finden werden.
({25})
- Aber jetzt einmal ganz versöhnlich. Regen Sie sich ab, Herr Häfele.
({26})
Die Opposition und die Koalition liegen mit ihren engeren steuerpolitischen Vorschlägen relativ eng beieinander, so möchte ich sagen. Im Unterschied zu den Ausgangspositionen vor den letzten Steuerpaketen haben wir wirklich eine bessere Chance auf einen zügigen Kompromiß in den nächsten Monaten. Ausgenommen ist natürlich der familienpolitische Teil, über den hier gestern zu Recht scharf gestritten worden ist. Hierzu hat für unsere Seite der Kollege Rapp einiges Stichhaltiges gesagt.
Lassen Sie mich abschließen mit dem Hinweis, daß wir alle hier im Bundestag - meine Damen und Herren, das müßten Sie und auch die Ländermehrheit im Bundesrat eigentlich beherzigen - in den kommenden Steuerrunden nicht mehr davon ausgehen können, daß wir in Zukunft Kompromißpakete in Vermittlungsrunden in diesem Hause abschließen, die dadurch zustande kommen, daß wir das Volumen ausdehnen, daß wir draufsatteln. Diese Zeit ist endgültig vorbei. Das Draufsatteln ist nicht mehr drin.
({27})
Ich erteile nun der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf des Bundesrates mit zwei Schwerpunkten, nämlich einer Änderung des Steuertarifs für 1980 und einer Einführung von Kinderfreibeträgen für 1981. Ich sage das, damit der nicht ganz so sachkundige Bürger weiß, worüber wir heute sprechen, denn wir beraten heute wieder einmal über ein Teilstück aus einem riesigen steuerpolitischen Durcheinander der Opposition.
Da liegt nicht nur dieser Gesetzentwurf auf dem Tisch. Strauß hat am 12. Dezember ein umfangreiches Programm mit vielen Einzelforderungen vorgelegt. Die CDU/CSU hatte einen Antrag auf Streichung der Nachweispflicht bei Kinderbetreuungskosten vorgelegt, der inhaltlich die Wiedereinführung von Kinderfreibeträgen bedeutete. Dies haben wir bereits gestern nachmittag abgelehnt.
Es gibt viele andere Einzelgesetzentwürfe. Ich erinnere an den zur Familienförderung mit Forderungen nach Erleichterungen bei der Grundsteuer, nach Erleichterungen beim § 7 b, den wir gestern behandelt haben. So können wir das immer weiter zusammenstellen, und das ergibt nun einmal insgesamt einen Steuerwirrwarr der Opposition, durch den man nicht mehr leicht hindurchschauen kann.
Wenn Franz Josef Strauß wirklich der starke Mann wäre, als der er sich draußen hinstellen läßt, müßte es ihm doch nun endlich einmal möglich sein, dieses Durcheinander zu koordinieren und ein geschlossenes, finanzierbares, realistisches Konzept vorzulegen.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Bitte sehr, Herr Kühbacher.
Frau Kollegin, würden Sie mir bestätigen, daß dieser Gesetzentwurf des Bundesrates die Unterstützung desselben hat? Man kann das ja an der Bundesratsbank sehen. Hier werden 13 Milliarden DM Steuererleichterungen gefordert, und niemand bringt den Entwurf ein. Das hat nichts mit dem starken Mann zu tun, sondern müßte als ein billiges „Steuerjaköble" bezeichnet werden.
Ich schließe daraus, daß der Bundesrat und mittlerweile auch große Teile der Opposition wissen, daß das, was sie hier einmal vorgetragen haben, überhaupt nicht mehr realistisch ist. Deswegen erscheinen sie erst gar nicht.
({0})
Mein Kollege Mischnick hat eben ein, wie ich finde, treffendes Bonmot geprägt. Er hat nämlich, als der Kollege Spöri darauf hinwies, Franz Josef Strauß sei eigentlich von dem Dampfer, über den wir heute morgen sprechen, schon wieder herunter, gesagt: Die Vercomputerisierung der Union ist so weit fortgeschritten, daß das Programm auch dann abläuft, wenn man es politisch gar nicht mehr will. Meine Empfehlung an Sie: Ziehen Sie doch, wenn Sie es anders nicht mehr stoppen können, einfach den Stekker heraus.
({1})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäuble? - Bitte.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die beiden für diesen Gesetzentwurf zuständigen Beauftragten des Bundesrates angesichts der kurzen Frist, in der dieser Tagesordnungspunkt auf die Tagesordnung des Bundestages genommen worden ist, verhindert sind und sich für ihr Fernbleiben entschuldigt haben?
Herr Schäuble, Sie wissen ganz genau, daß ich zu denen gehöre, die - auch in der Offentlichkeit - darauf hinweisen, daß nicht jeder Politiker zu jeder Zeit im Parlament alles vertreten kann. Aber wenn ich es richtig sehe, ist heute nicht ein einziger maßgeblicher Vertreter des Bundesrates - und Sie haben ja, wie Sie immer zu Recht betonen, eine ganze Menge davon - anwesend,
({0})
und das finde ich eigentlich nicht so furchtbar gut.
({1})
Meine Damen und Herren, das Durcheinander nimmt ja noch zu.
({2})
- Entschuldigen Sie, dort sitzt der Staatssekretär Böhme für das Bundesfinanzministerium, und im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß wir heute nicht den Gesetzentwurf der Koalition, sondern den des Bundesrates beraten. Deswegen kommt es auf die Anwesenheit von dessen Vertretern an.
({3})
- Ich komme ja gerne zur Sache, aber mir ist eine Zwischenfrage gestellt worden, und ich finde es eigentlich korrekt, daß man darauf antwortet.
({4})
Das Durcheinander nimmt natürlich zu, wenn man berücksichtigt, welche Äußerungen in den letzten Wochen und Monaten von der Opposition gekommen sind. Seit Monaten wird über die hohe Staatsverschuldung Klage geführt; noch in der Debatte über den Bundeshaushalt im Dezember 1979 ist darüber seitens der Opposition beredte Klage geführt worden. Zum anderen haben wir trotzdem gleichzeitig überall Forderungen der Opposition nach Steuererleichterungen, und zum dritten gibt es die unzähligen Einzelforderungen nach Erhöhung der Staatsausgaben. Ich darf daran erinnern, daß Franz Josef Strauß noch Anfang dieser Woche in der „Bild"-Zeitung Forderungen nach Erhöhung des Verteidigungsetats, nach mehr Geld für den Schutzraumbau, für Rohstofflager usw. aufgestellt hat.
Meine Damen und Herren, es ist doch wirklich die Strategie der Opposition, jede Mark gleich dreimal auszugeben. Sie verfahren wie eine Familie, deren Familienkasse durch eine Gehaltserhöhung - lassen Sie mich dieses Beispiel einmal bringen - um, sagen wir, 100 DM aufgebessert wird. Die Mutter sagt: Das Geld bringen wir zur Kasse, um Schulden zu tilgen, denn wir haben das Konto überzogen. Der Vater sagt: Nein, die 100 DM geben wir für einen guten Zweck aus; das hatten wir schon lange vor. Wir wollen also etwas spenden. Das Kind sagt: Eigentlich hattet ihr schon lange vor, mir von diesem Geld etwas zu kaufen. - Jeder Bürger sieht, daß jede dieser drei Forderungen für sich sinnvoll sein mag, daß nun aber einmal alles zusammen nicht geht. Jeder, insbesondere eine vernünftige Familie, sieht das ein - die Opposition leider nicht. Das ist der Vorzug, den Sie dadurch haben, daß Sie Opposition sind und es nicht verwirklichen müssen. Wir hoffen, daß es auch nach der Bundestagswahl dabei bleibt, weil es sonst zu erheblichen Schwierigkeiten in diesem Lande käme. Entweder müßten Sie, wenn Sie die Mehrheit bekämen, Ihre Versprechen brechen, weil nun einmal alle drei Dinge auf einmal nicht gehen, oder aber Sie würden alle drei auf einmal durchführen, und das würde zu einem steuer-
und finanzpolitischen Chaos führen. Ich darf darauf hinweisen, daß Ihnen bereits jetzt 1,2 Milliarden DM fehlen würden. Denn noch im Dezember hat Franz Josef Strauß vorgeschlagen, eigentlich sei es das beste, den Weihnachtsfreibetrag bereits 1979 um weitere 200 DM anzuheben; Kostenpunkt 1,2 Milliarden DM. Ich nehme an, daß er heute für sich ganz froh ist, daß wir das nicht gemacht haben. Diese 1,2 Milliarden DM würden an anderer Stelle, z. B. bei den von ihm am Montag erhobenen Forderungen, fehlen.
Herr Schäuble, Sie sagen, die Koalition täusche die Bürger über ihre Absichten. Sie können uns ja viele Vorwürfe machen, daß wir das eine tun, das Sie nicht wollen, und daß wir das andere lassen, was Sie unbedingt haben möchten. Eines können Sie aber wirklich nicht sagen: daß wir jemanden täuschen. Wir haben seit Monaten klar und deutlich gesagt: Im Jahre 1980 steht der Abbau der Nettoneuverschuldung im Vordergrund.
({5})
Wir haben auch deutlich gesagt, daß das nicht heißen kann, von den vorhandenen Schulden schon alles Mögliche zu tilgen, sondern wir haben klar gesagt, die Zunahme der Verschuldung müsse in Grenzen gehalten werden. Deswegen werden sinnvolle und notwendige steuerliche Erleichterungen erst in den Jahren 1981 und 1982 vorgenommen werden können. Da wir gleichzeitig im Dezember unser Steuer- und Familienentlastungspaket detailliert benannt haben, können Sie uns alles Mögliche vorwerfen, Täuschung aber mit Sicherheit nicht. Der Bürger weiß bei uns, woran er ist und woran er nicht ist.
({6})
In seiner Pressekonferenz am 12. Dezember hat Franz Josef Strauß u. a. folgenden Satz betreffend die Haushaltskonsolidierung im Verhältnis zu Steuererleichterungen gesagt:
Die Haushaltskonsolidierung darf nicht auf dem Rücken des Steuerzahlers betrieben werden.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie sehr ernsthaft: Was soll dies eigentlich heißen? Auf wessen Rücken wird denn Konsolidierung oder Abbau der Nettoneuverschuldung betrieben werden müssen? Wenn wir Einsparungen vornehmen, dann wird dies jeder in diesem Volke bezahlen müssen. Wenn wir Mehrausgaben tätigen, dann wird dies ebenso jeder Bürger in diesem Volke bezahlen müssen. Wenn wir Steuererleichterungen an der einen Stelle vornehmen, werden wir wissen, daß wir an anderer Stelle andere Erleichterungen, die auch sinnvoll sein mögen, nicht vornehmen können. Jeder weiß das. Die Bürger sind wirklich vernünftiger als das, was Sie Ihnen als Opposition zumuten.
({7})
Die Vorstellung, wir als Politiker geben aus oder schaffen an, und irgend jemand im Wolkenkukkucksheim bezahlt es, ist Gott sei Dank tot.
({8})
Alles, was wir kaufen, bezahlen, ausgeben, müssen wir alle gemeinsam bezahlen, die ganze Nation. Da auf irgend jemand anderen zu verweisen ist einfach lächerlich. Ich bin froh, daß die Bürger - dies sieht man gerade jetzt an der internationalen Krise - dies sehr genau wissen.
({9})
Nun ganz kurz zu den einzelnen Forderungen. Sie erheben in Ihrem Gesetzentwurf drei Forderungen zur Tarifkorrektur, nämlich Einbau des Tariffreibetrages in den Grundfreibetrag, zweitens Abflachung der Progression bis zu einem Bereich von 60 000 DM, bei Verheirateten 120 000 DM, und Absenkung des Proportionalsteuersatzes von 22 auf 21 %. Zwei dieser Forderungen werden nicht nur seit langem von der FDP erhoben, sondern sind in den Vorstellungen der Koalition zur Steuerentlastung bereits enthalten.
Der dritten Forderung, nämlich Absenkung des Steuersatzes in der Proportionalzone, können wir uns nicht anschließen, weil dies nach unserer Ansicht zwar wie so vieles eine wünschenswerte Sache wäre, es aber andere Prioritäten gibt. Die entscheidenden Bevölkerungsteile, die sich heute über die Steuerpolitik beklagen, sind zu Recht diejenigen, die in die Progression hineinwachsen, die also von einem ansteigenden Steuersatz ergriffen werden, und nicht die, die sich in der Proportionalzone befinden. Die Koalition schlägt statt dessen eine Ausweitung der Proportionalzone um 2 000 DM vor, um mehr Bürger als bisher zurück in die Proportionalzone, d. h., in den Bereich eines Steuersatzes von 22 % zu holen. Im übrigen hat das auch noch eine deutliche Vereinfachungswirkung.
Sie werfen der Koalition im übrigen vor - ich darf das hier ansprechen, weil insbesondere Herr Finanzminister Gaddum damit die Zeitungen füllt -, wir ließen in unserem Entwurf die Progression in den späteren Jahren ansteigen, d. h., was wir 1981 an Erleichterungen gäben, müßten die Steuerzahler 1982, 1983 durch eine höhere Progression wieder draufzahlen. Ich weise das ganz entschieden als unwahr zurück. Auch der Betreffende, der das verbreitet, weiß, daß das unwahr ist.
({10})
Richtig ist: Wenn Sie die Distanz zwischen dem Ende der Proportionalzone und dem Beginn des Spitzensteuersatzes verkürzen, ohne den Proportionalsteuersatz oder den Spitzensteuersatz zu verändern, muß der Anstieg zwischen diesen beiden Steuersätzen auf kürzere Distanz bewältigt werden, so daß der Anstieg notwendigerweise steiler wird.
({11})
- Sie brauchen nicht zu lachen, Herr Langner. - Erstens trifft das auf sämtliche Entwürfe der Opposition - sei es der Gaddum-Entwurf, sei es der Streibl-Entwurf, sei es der Strauß-Entwurf - exakt genauso zu. Das muß nämlich so sein. Zum zweiten
- das ist viel wichtiger; das sage ich ganz deutlich - wird bei dem Entwurf der Koalition die Grenzsteuerbelastung - das ist die Belastung, die auf eine zusätzlich verdiente Mark erhoben wird - an keiner einzigen Stelle im gesamten Tarif höher sein als vorher. Im Gegenteil: Bis zu einem Bereich von 60 000 DM, bei Verheirateten von 120 000 DM, wird die Grenzsteuerbelastung deutlich sinken. Im Bereich darüber hinaus bleibt sie genauso hoch.
Was noch wichtiger ist: Auch die Durchschnittssteuerbelastung - das ist also das, was man durchschnittlich auf das Verdiente an Steuern zahlt - wird an keiner Stelle höher sein. Im Gegenteil: An jeder einzelnen Stelle des gesamten Tarifs ist die Durchschnittssteuerbelastung geringer als vorher. Das gilt für alle zukünftigen Jahre; nur um das klarzustellen.
Zum Familienlastenausgleich: Sie fordern wiederum - eine alte Forderung von Ihnen - den Kinderfreibetrag. Ich will es kurz machen. 1975 haben Sie die Kinderfreibeträge gemeinsam mit uns abgeschafft, weil uns, wie man so schön sagt, alle Kinder gleich lieb und wert sind, d. h., für die einen Kinder nicht mehr steuerliche Erleichterung gewährt werden soll als für die anderen. Nachdem Sie Ihre Meinung nun .geändert haben, muß ich Sie einfach fragen: Welche ideologischen Veränderungen sind eigentlich in Ihrer Fraktion vorgegangen, die bewirken, daß Sie vier Jahre später exakt das Gegenteil dessen fordern, was Sie 1975 mit uns beschlossen haben? Wo sind denn Ihre Arbeitnehmervertreter, wo sind denn die sozial Denkenden und Handelnden der Opposition, die es nicht einmal mehr wagen, an dieser Stelle Widerspruch zu erheben?
Unabhängig von der Verteilungswirkung ist das System eines generellen Kinderfreibetrags, der progressiv wirkt, finanziell unsinnig; denn es ist wirklich teurer als jede Kindergeld- oder Kindergrundbetragslösung.
({12})
Er muß teurer sein, da er diejenigen finanziell am meisten fördert, die der staatlichen Hilfe bei der Kindererziehung am wenigsten bedürfen. Auch aus diesem Grunde lehnen wir Ihre alte Forderung ab. Ich darf daran erinnern, daß wir gestern nachmittag bereits einen entsprechenden Entwurf Ihrer Fraktion zurückgewiesen haben.
Ein Letztes zum Problem des Familienlastenausgleichs. Nach einer dpa-Meldung - ich kann mich nur darauf beziehen - hat Herr Gaddum gestern gesagt, der vorgesehene Kindergrundfreibetrag sei nach dem Grundgesetz und auch nach dem Bundeskindergeldgesetz unzulässig, da danach der Bund für die Zahlung des Kindergeldes zuständig sei. Hier handele es sich um eine unzulässige Mischfinanzierung, die den Bundesrat kaum passieren werde.
Nach den mir zugetragenen Informationen hat Franz Josef Strauß auf seiner Pressekonferenz im Dezember letzten Jahres durchaus gewisse Sympa15932
thien für die sogenannte Finanzamtslösung erkennen lassen.
({13})
Die Finanzamtslösung beim Kindergeld bedeutet ja gerade, daß die Finanzierung des Familienlastenausgleichs von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam getragen wird.
({14})
- Das ist etwas ganz anderes. Darüber können wir diskutieren. Aber das Argument Mischfinanzierung ist höchst unzutreffend - Herr Häfele, das werden Sie mir zugeben -, wenn man - möglicherweise gemeinsam, was ich hoffe - an die Finanzamtslösung heran will. Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen. Wenn sie die Einführung eines Kinderfreibetrages fordern, ist das exakt Mischfinanzierung; denn wenn Sie steuerliche Entlastungen vorsehen, werden diese von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam bezahlt werden. Oder wenn wir in der Steuerpolitik Sonderabschreibungen zur Finanzierung etwa von energiepolitisch sinnvollen Maßnahmen gemeinsam einführen, ist das Mischfinanzierung, weil daran Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam beteiligt sind.
Wir fordern Sie sehr ernsthaft auf, Herr Häfele: Bitte unterlassen Sie es, auf Kosten einer Gebietskörperschaft, nämlich auf Kosten des Bundes, attraktive Forderungen wie die Erhöhung des Kindergeldes zu stellen, wenn Sie nicht bereit sind, daß sich daran die Länder und Gemeinden finanziell beteiligen.
({15})
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Koalition hat ein klares Konzept. FDP und SPD haben angekündigt, daß sie ihren Gesetzentwurf mit umfangreichen Entlastungen für die Jahre 1981 und 1982 am 20. Februar im Kabinett behandeln werden und unmittelbar danach im Deutschen Bundestag. Wir sind uns sicher, daß wir eine ausreichende Zeit vor der Sommerpause zum Abschluß kommen. Es ist die Stärke dieser Koalition, daß sie sich trotz unterschiedlicher Meinungen zu einem gemeinsamen Konzept durchringt. Man kann über die Einzelforderungen streiten. Nicht alles ist immer das Beste, das ist klar; das haben Kompromisse so an sich. Aber wir meinen, unser Konzept ist klar, es ist seriös, und es ist vernünftig. Deswegen ziehen wir es Ihrem Konzept vor.
({16})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3456 soll nach dem Vorschlag des Ältestenrats zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ich frage das Haus, ob
es damit einverstanden ist. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung beurkundungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksachen 8/3174, 8/3230 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksachen 8/3590, 8/3594 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Bötsch Schmidt ({1})
({2})
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, daß Kurzbeiträge geleistet werden. Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich einmal der Mühe unterziehen, das, was Ihnen heute als Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 8/3590 zur Annahme empfohlen wird, mit dem zu vergleichen, was ursprünglich als Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Problematik in der ersten Lesung zur Beratung anstand, werden Sie sehr schnell feststellen, daß nur noch ungefähr vom gleichen Sachverhalt gesprochen werden kann, d. h., daß nur noch Fragmente des ursprünglichen Entwurfs der Bundesregierung übriggeblieben sind.
Der Herr Bundesjustizminister, der in der ersten Lesung gesprochen hat, wird sich vielleicht daran erinnern, wie er entrüstet war und sich beleidigt gab, als Herr Kollege Erhard zu Recht und nachhaltig kritisierte, daß zwar eine sogenannte Heilungsregelung nach den Urteilen des Bundesgerichtshofs vorgelegt wurde, der Herr Bundesjustizminister sich aber nicht geneigt zeigte, eine für die Zukunft praktikable Regelung gleich mit vorzulegen. Die Qualität der damaligen Vorlage stand eindeutig in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu der Propaganda, mit der sie vom Justizministerium der Offentlichkeit vorgestellt wurde. Ich erinnere an die Presseerklärung des Justizministeriums vom 19. September 1979 mit der Überschrift „Kabinett beendet Rechtsunsicherheit nach BGH-Hauskaufsurteil".
Ich schließe allerdings aus dem damaligen Sachverhalt nicht, daß der Minister auf Grund der Vorahnung, daß der Gesetzentwurf eine völlige Veränderung erfahren würde, den Ausschußberatungen ferngeblieben ist. Er nahm nur für eine Stunde nach einer Herbeirufung an den Beratungen teil. Er zieht es nämlich überhaupt - jedenfalls in dieser Legislaturperiode - vor, auch bei wichtigeren Vorhaben dem Ausschuß nicht die Ehre seiner Anwesenheit zu geben.
({0})
Unvollkommen war die Vorlage, die dem Hohen Hause vorgelegt wurde, vor allen Dingen deshalb, weil trotz gegenteiliger Vorstellung der Justizminister aller Länder in den Vorgesprächen und trotz aller gegenteiliger Bitten der zuständigen Verbände nur eine Heilungsregelung, aber nicht auch eine vernünftige und praktikable Regelung für die Zukunft vorgeschlagen wurde. Noch im Ausschuß haben die Beamten - zunächst jedenfalls - hinhaltenden Widerstand mit den meines Erachtens mehr oder wenigen fadenscheinigen Begründungen geleistet, man wolle jetzt keine schnelle Regelung, die Regelung müsse nicht gleich geschaffen werden, vielleicht werde man in der Zukunft dann doch das eine oder andere ändern.
Erst die Sachverständigen, die auf Anregung unserer Fraktion zu diesem Punkt gehört wurden, haben den hinhaltenden Widerstand gebrochen und auch die SPD für eine Zukunftsregelung aufgeschlossen gemacht. Der Fairneß halber muß nämlich hier festgestellt werden, daß der Redner der FDP, Herr Kollege Kleinert, in der ersten Lesung schon angedeutet hatte, daß er, wie er sich ausdrückte, eine Regelung für die Zukunft sofort wolle, da die Gefahr sonst doch groß sei, daß dies im Drange der Geschäfte und zum Ende der Legislaturperiode in Vergessenheit geraten könne.
Das Ergebnis, das Ihnen der Rechtsausschuß heute vorlegt, ist ein Beratungskompromiß, der zumindest gut startet, da er in der Überschrift des Gesetzes den Vorschlag der CDU/CSU aufgenommen hat, nämlich „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung beurkundungsrechtlicher Vorschriften".
({1})
Übereinstimmung bestand ja von Anfang an darüber, daß ein Gesetz notwendig sei, um eine Reihe von Verträgen, die nach den bekannten Urteilen des Bundesgerichtshof als nichtig angesehen wurden, nachträglich zu heilen. Ich möchte es mir aus Höflichkeit versagen, den negativ qualifizierenden Kritiken aller möglichen Stellungnahmen zu diesen Urteilen heute noch eine weitere eigene hinzuzufügen. Aber auch die im Ziel unumstrittene Heilungsregelung mußte im Regierungsentwurf im Hinblick auf Verständlichkeit und Klarheit in gemeinsamen Bemühungen des Ausschusses noch wesentlich verbessert werden. Insbesondere war der Ausschuß in Übereinstimmung mit dem Bundesrat der Auffassung, daß nicht nur eine Anfechtbarkeit der Verträge festgelegt werden sollte, sondern eine Unwirksamkeit für solche Fälle statuiert werden müßte, in denen sich Beteiligte nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes zu weitergehenden Leistungen verpflichtet oder auf Rechte verzichtet hatten.
({2})
Ich möchte aber auch hier unmißverständlich betonen, daß die Ausgestaltung der Zukunftsregelung für uns nur einen Kompromiß darstellt. Wir gingen bei unseren Vorschlägen und auch bei unserer Zustimmung von vornherein davon aus, daß eine notarielle Urkunde dreierlei Funktionen zu erfüllen habe, erstens eine Beweisfunktion, zweitens eine Warnfunktion hinsichtlich der Bedeutsamkeit der
Erklärung und drittens eine Belehrungsfunktion, die der Notar mit seinen Worten noch zu unterstreichen hat.
Unsere in der Drucksache 8/3174 für die Änderungen des Beurkundungsgesetzes gewählten Formulierungen entsprechen voll und ganz diesen Anforderungen und haben darüber hinaus den Vorteil, bei der Ergänzung sowohl des § 9 als auch des § 13 verständlich zu sein, und hätten bei Annahme einer Angleichung den Anforderungen der §§ 13 und 14 des Beurkundungsgesetzes entsprochen. Wir halten das, was wir vorschlugen, nach wie vor für weitaus besser und praktikabler als das, was Ihnen heute zur Entscheidung vorliegt.
Wir stimmen aber nicht deshalb den im Ausschuß gefundenen Formulierungen zu, weil wir sie für besser halten, sondern einzig und allein deshalb, um die Unsicherheit zu beenden, in der sich über 100 000 Bürger und ihre Familien befinden, und um für die Zukunft zur Beseitigung der schlimmsten Auswüchse, die sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofes ergeben könnten, eine einigermaßen praktikable Lösung anzubieten.
Die neuen gesetzlichen Bestimmungen begegnen insoweit den infolge der Urteile bestehenden Gefahren, als im Vordergrund nicht das Verlesen, sondern die Belehrung durch den Notar zu stehen hat. Denn juristisch nicht vorgebildete Parteien würden ja sonst spätestens nach einer Stunde des Vorlesens einschlafen, weil das meiste für sie ein Buch mit sieben Siegeln bleiben muß.
Wir gehen im Gegensatz zum Urteil des Bundesgerichtshofs nicht davon aus, daß die Parteien völlig ohne Vorkenntnisse des zu erwerbenden Objekts zum Notar gehen. Zumindest ist es nicht Aufgabe des Gesetzgebers, fir jene, die etwa blind irgendeine Wohnung zur Kapitalanlage kaufen wollen, hier eine allzu große Schutzfunktion zu statuieren. Andere aber werden geschützt. Sie sind - lassen Sie mich das betonen - auch bisher, vor dem Urteil des Bundesgerichtshofs, geschützt gewesen.
({3})
Durch Beifügen von Plänen usw. zu den Akten wird nicht der Schutz größer, sondern werden allenfalls die Akten um ein Vielfaches dicker. Dies zu verhindern, ist auch eine Aufgabe des heutigen Gesetzesvorschlags.
In diesem Sinne bitte ich Sie namens der CDU/ CSU-Fraktion um Zustimmung zu der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses.
({4})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bötsch, eigentlich war ich wild entschlossen, damit zu beginnen, Sie zu loben. Aber nun muß ich sagen: Ein bißchen tun Sie mir schon leid. Diese Regierung und die Koalition müssen eine so hervorragende Po15934
Schmidt ({0})
litik machen, daß Sie so wenige griffige Angriffspunkte haben, daß Sie sogar das Grundbuch als Tummelplatz für Ihre Angriffe aussuchen müssen. Es ist für uns immer wieder erstaunlich: Im Ausschuß kann man sachlich zusammenarbeiten. Aber kaum kommt einer der Sprecher der CDU/CSU hierher ans Rednerpult, meint er, die Faust des Großen Vorsitzenden im Nacken spürend, er müsse hier auch aus völlig ungeeigneten Materien Angriffspunkte auf irgendeine Art und Weise herausquetschen.
({1})
- Er hat nicht recht. Aber er hat den Auftrag, Herr Kollege.
({2})
Aus diesem Grund nehme ich es dem Herrn Kollegen Bötsch auch nicht übel. Ich weiß, daß der persönliche Freiheitsspielraum in Ihrer Fraktion sehr viel geringer als bei uns ist.
({3})
Da wir als Regierungskoalition nicht die Notwendigkeit sehen, in diesem Bereich eine polemische Auseinandersetzung zu führen, komme ich jetzt zum sachlichen Kern dessen, worum es heute geht.
({4})
- Ich habe immer schon den Eindruck gehabt, daß Sie bei Ihrer Neigung zum Bürokratismus das tatsächlich tun würden. Darum ist es gut, daß Sie nicht an der Regierung sind.
Das auslösende Element für die heutige Debatte war eine Einzelfallentscheidung des Bundesgerichtshofs. In der Regel entfalten Einzelfallentscheidungen ihre Wirkung nur für die Zukunft. In diesem Fall war allerdings schwerwiegend, daß diese Entscheidung eine gravierende Auswirkung auf ca. 100000 Verträge hatte. Verträgen, die von allen Vertragsparteien als gültig angesehen wurden, drohte plötzlich eine Gefahr. Skrupellose Verkäufer witterten eine Chance, angesichts der in der Zwischenzeit eingetretenen Steigerungen der Baupreise und Grundstückskosten einen zusätzlichen Profit dadurch herauszuschlagen, daß sie den Kaufpreis zurückzahlen. Andere wollten einen Aufpreis herausquetschen. Wieder andere wollten sich um Gewährleistungsansprüche drücken.
Dies wollte niemand in diesem Haus. Aus diesem Grund waren sich alle darüber einig, daß dies möglichst schnell geändert werden müsse.
Wir waren durch diese Entscheidung in einen Zugzwang geraten. Der Gesetzgeber mußte vor allem deshalb schnell handeln, weil die normalen Wege, beispielsweise Notarhaftung oder der Grundsatz von Treu und Glauben, sehr mühsam, sehr ungewiß und wahrscheinlich nur für einen Teil dieser leidend gewordenen Verträge ein Ausweg gewesen wären.
Das jetzige Gesetz bewirkt, daß erstens alle Verträge, die ohne Änderung durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gültig gewesen wären, gültig bleiben und zweitens Verträge, die unter der Drohung der Ungültigkeit abgeschlossen wurden und über das bisherige Maß hinausgingen, insoweit unwirksam werden.
Das bedeutet - ich will ein Beispiel nennen -, daß, wenn sich jemand unter der Drohung, daß sein Grundstücksgeschäft ungültig gewesen sei, dazu hat zwingen lassen, einen höheren oder einen zusätzlichen Kaufpreis nachträglich zu zahlen oder auf Gewährleistungsansprüche zu verzichten, eine solche Regelung unwirksam wäre.
Daß wir keinen Eingriff in bereits rechtskräftige Entscheidungen vornehmen können, ergibt sich von selbst.
In einem Punkt muß ich dem Kollegen Bötsch widersprechen. Er hat zwar in dem bekannten Versuch, die SPD und FDP ein bißchen auseinanderzudividieren, freundlicherweise den Kollegen Kleinert zitiert, der für eine Regelung für die Zukunft eingetreten war, dabei aber unterschlagen, daß ich bereits in der ersten Lesung ebenfalls gesagt habe, daß es uns darauf ankomme, die Heilung schnell zu erreichen. Wenn wir damit in gleicher Schnelligkeit eine Regelung für die Zukunft verbinden können, dann soll es an uns nicht fehlen. Sie werden alle festgestellt haben, daß wir uns so, wie ich es angekündigt habe, in den Ausschußberatungen tatsächlich verhalten haben.
Wir sind davon ausgegangen, daß es, wenn es eine Neuregelung für die Zukunft geben wird, nicht Sinn dieser Regelung sein kann, den Notaren etwa ihr Geschäft zu erleichtern. Vielmehr wollten wir die Aufklärungsfunktion des Notars nicht nur erhalten, sondern nach Möglichkeit auch noch ausweiten. Auf der anderen Seite sollte der Beurkundungsvorgang - das war ein Anliegen des Kollegen Kleinert, das alle geteilt haben - von überflüssigen und eher ermüdenden als aufklärenden Vorlesungen und ähnlichen Schwierigkeiten bereinigt werden. Dabei sollten - auch das haben wir überlegt - Kosten eingespart werden, und zwar, wie ich meine, überflüssige Kosten.
Unterschiedliche Meinungen, Herr Kollege Bötsch, gab es nur in einem Punkt, nämlich über das Wann und Wie. Aber alle Seiten waren bereit zusammenzuarbeiten. Wenn diese Bereitschaft nicht vorhanden gewesen wäre, wären wir sicher nicht in der Lage gewesen, hier so schnell zu reagieren und in so kurzer Zeit eine vernünftige Lösung vorzulegen.
Vernünftig ist die Regelung meiner Meinung deshalb, weil wir es geschafft haben, für die Zukunft folgendes zu erreichen.
Erstens wird eine bessere Aufklärung der Vertragsparteien stattfinden. Der Notar soll künftig, soweit Urkunden vorhanden sind, den Parteien mitteiSchmidt ({5})
len, daß diese Urkunden eingesehen werden können. Er soll sie auf Verlangen auch versenden.
Zweitens wird es die Möglichkeit geben, auf Karten, Zeichnungen und Abbildungen zu verweisen. Es wird die Möglichkeit geben, auf das Durchsehen der Karten oder auf das Vorlesen zu verzichten, wenn der Inhalt der Urkunde bekannt ist.
Ich meine, damit haben wir insgesamt in einer kurzen Zeit eine vernünftige Lösung gefunden. Ich betone noch einmal: Das war dadurch möglich, daß alle Beteiligten sehr gut zusammengearbeitet haben.
Für die SPD möchte ich den vorliegenden Gesetzentwurf vor allen Dingen deshalb begrüßen, weil er die Unsicherheit für eine sehr hohe Zahl von Betroffenen - man schätzt die Zahl auf ca. 100000 - beseitigt und diese wieder in Frieden schlafen läßt. Sie können davon ausgehen, daß das, was sie in der Meinung, es sei rechtsgültig, abgeschlossen haben, rechtsgültig bleiben wird.
({6})
Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Schmidt hat schon deutlich gemacht, daß wir unter einem Zeitdruck gestanden haben, weil die Entscheidung des Bundesgerichtshofs unter der betroffenen Bevölkerung tatsächlich große Unruhe hervorgerufen hat. Wir wissen die Zahlen nicht genau; wir können sie nur schätzen. Aber eine große Zahl von Verträgen ist in den Verdacht geraten, nicht richtig zu sein und dem geltenden Recht nicht standhalten zu können, obwohl die beteiligten Notare nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon ausgehen mußten, daß an der Gültigkeit dieser Verträge gar keine Zweifel bestehen konnten. Das hat uns zu dieser Gesetzgebung gezwungen.
Von dieser Stelle muß ich einmal mit allem Ernst an die Adresse des zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs sagen: In dieser Form sollten die beiden Organe - noch dazu zu Lasten der Bevölkerung - nicht miteinander umgehen.
({0})
Wenn in dafür vorgesehenen Institutionen, in Seminaren und im Schrifttum Zweifel an einer bisherigen Praxis aufkommen, dann muß diese Diskussion dort geführt werden.
({1})
Niemand schließt die Richter des Bundesgerichtshofs davon aus, sich an einer solchen Diskussion zu beteiligen, insbesondere wenn sie speziell fachkundig sind. Das ist der richtige Ort, um sich innerhalb der in solchen Fällen üblichen Fristen darüber zu unterhalten, ob vielleicht Änderungen zweckmäßig sind. Es ist aber unmöglich, in einer solchen Weise, wie hier geschehen, mit einem Urteil, mit einer bisherigen Rechtsprechung Schluß zu machen und den Betroffenen - der Grundstückskauf ist für die große Zahl der Grundstückskäufer immer noch das
bedeutendste und wichtigste Geschäft ihres Lebens - einfach zu sagen: Wir haben aber Zweifel, ob das Geschäft gültig ist. Deshalb mußte hier korrigiert werden.
Das war im übrigen zum zweiten Mal in einem verhältnismäßig kurzen Zeitabstand in der gleichen Materie notwendig. Wir haben vor einigen Jahren das Problem der Konkursfestigkeit der Vormerkungen gehabt.
Deshalb ist es meine herzliche Bitte, daß wir uns in dem nicht nur wünschenswerten, sondern dringend notwendigen Gespräch zwischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und natürlich in besonderem Maße der Praxis noch mehr als bisher üben, damit uns eine weitere Wiederholung in dieser Art erspart bleibt.
Am Schluß der Beratungen möchte ich noch einige Randbemerkungen zu dem anbringen, was nun vorliegt. Vielleicht hätte man, wenn der von den beiden Vorrednern geschilderte Zeitdruck nicht gewesen wäre, das eine oder andere tatsächlich noch etwas glücklicher und wirklich eindeutig für die Zukunft regeln können. Aber es ist unter den geschilderten Umständen nicht notwendig, das anzumerken. Trotz des aufflackernden Versuchs, hier die Unterschiede deutlich zu machen, ist zum Schluß festzustellen, daß wir alle zusammen in der gegebenen Situation beraten haben, wie wir in der kurzen Zeit das Beste bringen können. Ich meine, das ist im wesentlichen gelungen, und dafür möchte ich allen Beteiligten sehr herzlich danken.
Noch eine grundsätzliche Anmerkung zu der Art, wie Gesetzgebung gemacht wird. Es wird dauernd behauptet, dieses Haus würde das Volk mit zu vielen, zu komplizierten und unübersehbaren Gesetzen überschütten und es darin verstricken. Dies ist natürlich ein Beispiel dafür, wie wir in dem Versuch, der, wie viele der gerade jetzt hier Anwesenden wissen, schon seit längerem gemacht wird, die Gesetze kürzer, begreifbarer zu machen und auf überflüssige Detailregelungen zu verzichten, einen Rückschlag erleiden, der nicht von hier ausgegangen ist. Die Veranlassung für die meisten Gesetze geht nicht von hier aus, sondern das kommt von anderer Seite, die meint, daß dieses und jenes geregelt werden müsse. Besonders schmerzlich ist es, wenn uns der Bundesgerichtshof, statt sich an die Auslegungsregeln klassischer Art zu halten und mit einem Minimum an Gesetzestext ein Maximum an vernünftiger Rechtsprechung zuwege zu bringen, dazu zwingt, hier Detailregelungen zu treffen, um damit widerstreitenden und die Offentlichkeit verunsichernden Urteilen zu begegnen. Das ist sicherlich nicht der Weg, auf dem wir zu einer Umkehr der immer mehr ins Detail ausufernden Gesetzgebung kommen können. Deshalb bitten wir hier alle Beteiligten, das zu überdenken.
({2})
Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehr15936
ten Damen und Herren! Bei der heutigen zweiten und der dann folgenden dritten Lesung des Gesetzes zur Heilung beurkundungsbedürftiger Rechtsgeschäfte und zur Änderung beurkundungsrechtlicher Vorschriften ist bemerkenswert, daß die entsprechende Gesetzesvorlage erst vor fünf Monaten eingebracht wurde. Das bedeutet, daß dieses Gesetz in ganz außerordentlich kurzer Zeit die Ausschüsse passiert hat und heute zur zweiten und dritten Lesung kommt - zum Wohle der Betroffenen, der rechtsuchenden Bürger ebenso wie der Herren an den Amtsgerichten und der Notare. Ich darf dies zum Anlaß nehmen, allen, die daran mitgewirkt haben, sehr herzlich zu danken. Besonders erfreulich war es, daß dieses Gesetz im Rechtsausschuß einstimmung verabschiedet werden konnte und in guter Atmosphäre diskutiert wurde.
Um so erstaunlicher ist es für mich, Herr Kollege Bötsch, daß Sie die Gelegenheit - jedenfalls bei Ihren Eingangsworten - zu, wie ich meine, völlig unnötigen polemischen Untertönen benutzt haben; auch indem Sie die Frage aufgeworfen haben, wann der Bundesminister der Justiz bei diesem Ausschuß erscheinen solle. Ich meine, es gibt zwischen dem Rechtsausschuß - und dazu gehörte auch der Strafrechtssonderausschuß - und dem Bundesminister der Justiz eine wohlverstandene und gute Übung. Der Bundesminister der Justiz hat sich stets im wohlverstandenen Interesse der Diskussionen und Beratungen an diese Übung gehalten und stets den Wünschen des Ausschusses entsprochen.
({0})
Wenn hier eine Änderung gewünscht wird, dann soll es deutlich von Ihrer Fraktion gesagt werden. Sicher ist jedenfalls, daß der Bundesminister der Jul stiz nicht nur stets die Souveränität des Parlaments geachtet hat, sondern daß er diese auch weiter achten wird.
Nun zur Sache: Was, meine sehr verehrten Damen und Herren, war geschehen? Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Februar sowie vom 6. und 27. April 1979 im Zivilrecht und noch dazu im Beurkundungsrecht haben ein Aufsehen erregt wie wohl kaum andere Entscheidungen zuvor. Warum? Weil der Bundesgerichtshof mit diesen Entscheidungen seine Rechtsprechung zum Grundstückskauf - ich darf das wohl sagen - für viele Betroffene radikal änderte.
Während es früher üblich war, daß die Notare bei dem erforderlichen notariellen Kaufvertrag auf vielerlei Urkunden, die wiederkehrten, Bezug genommen haben - dies ist insonderheit der Fall bei dem Kauf von Reihenhäusern - hat nun der Bundesgerichtshof geboten, daß auch diese verlesen werden sollen. Die Folge davon war, daß dadurch eine gewisse Rückwirkung nicht übersehen werden konnte. Die weitere Folge davon war, daß mancherlei Grundstücksverkäufer den Käufern einen Brief zuschickten, in dem zu lesen war, daß der Kaufvertrag ungültig sei, das Eigenheim dennoch gekauft werden könne, aber nur dann, wenn - und dies war eine, wie ich meine, zynische Ausnutzung dieser Rechtsprechung - wegen der Teuerung ein Mehrpreis erlegt werde. Deswegen die berechtigte Empörung in der Öffentlichkeit, und deswegen auch der Wirbel in den Gazetten.
Aus diesem Grunde, meine ich, hat die Bundesregierung, hat der Deutsche Bundestag mit Recht schnell reagiert, weswegen ich noch einmal allen Beteiligten herzlich Dank sage.
Was ist geschehen? Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf, so wie ihn der Rechtsausschuß verabschiedet hat, bringt dreierlei: einmal rückwirkend eine Heilung der vom Bundesgerichtshof als nichtig erkannten Verträge. Zweitens wird festgelegt, daß die danach abgeschlossenen Verträge, die z. B., wie erwähnt, den Käufern einen Mehrpreis brachten, ungültig sind. Und er regelt für die Zukunft, wie es mit der Inbezugnahme von Urkunden aussieht; denn es ist in der Tat nicht einzusehen, warum hier durch unnötigen Formalismus bei der Beurkundung der eigentliche Zweck der Beurkundung in den Hintergrund treten soll, nämlich die Aufmerksamkeit der Beteiligten für das, was in den Urkunden steht, zu schärfen.
({1})
Meine Damen und Herren, gestatten Sie zum Schluß noch ein Wort zu dieser hier aufgetretenen Gesamtsituation. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß sich die Rechtsprechung ändert. Es ist aber ungewöhnlich, wenn Unbeteiligten - wie ein Blitz aus heiterem Himmel - durch eine Änderung der Rechtsprechung Schaden zugefügt wird, noch dazu in einer Sache, in der der Schaden viele Menschen betrifft, die damit ein Lebenswerk setzen wollten, nämlich sich ein Häuschen zu kaufen oder aber ein Haus zu errichten.
({2})
Wenn dies der Fall ist, dann ist es, meine ich, in der Tat ausnahmsweise Aufgabe des Gesetzgebers, Einhalt zu gebieten und rückwirkend Regelungen zu treffen, Regelungen zum Wohl der Betroffenen. Aus diesem Grunde mußte dieses Gesetz die Nachteile, die durch die Rechtsprechung vielen geschehen sind, ausmerzen. Für die Zukunft ist dabei ein Weg gefunden worden, der, wie ich meine, eine vernünftige Interessenabwägung darstellt.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe bitte! - Wer wünscht, sich der Stimme zu enthalten? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Deutscher Bundestau - 8. Wahlperiode -
Vizepräsident Leber
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wünscht jemand, dagegen zu stimmen? - Wünscht jemand, sich der Stimme zu enthalten? - Das ist nicht der Fall. Das Gesetz ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3590 unter Ziffer 2, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. - Das ist der Fall. Es ist so beschlossen. '
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}), Dr. Klein ({1}), Dr. Pinger, Spranger, Biehle, Dr. Bötsch, Gerlach ({2}), Hartmann, Hasinger, KrollSchlüter, Regenspurger, Petersen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes
- Drucksache 8/3291 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({3}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Erhard ({4}), Franke, Spranger, Kroll-Schlüter, Dr. Langguth, Dr. Becker ({5}), Berger ({6}), Biechele, Braun, Broll, Burger, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Gerlach ({7}), Hartmann, Hasinger, Dr. Jentsch ({8}), Geisenhofer, Krey, Dr. Laufs, Dr. Miltner, Frau Dr. Neumeister, Niegel, Regenspurger, Schwarz, Volmer, Wimmer ({9}), Dr. George, Neuhaus, Frau Karw Dr. Jenninger, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Feinendegen, Frau Männle, Röhner, Biehle, Frau Will-Feld und der Fraktion der CDU/CSU Bekämpfung der Rauschmittelsucht
- Drucksache 8/3363 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({10}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts
- Drucksache 8/3551 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({11}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat für diese drei Vorlagen eine verbundene Debatte mit Kurzbeiträgen vereinbart. Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Frau Bundesminister Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Folgt man den Schätzungen der Drogenbeauftragten unserer Länder, so hat sich die Drogensituation in der Bundesrepublik seit Ende 1978 verschärft. Solche Schätzungen sind naturgemäß vage. Die gestiegene Zahl von Todesfällen ist wegen der jetzigen großen Gefahr der Überdosierung kein verläßliches Indiz. Ebenso ist uns nicht bekannt, wieviel die entdeckten Fälle in der Drogenkriminalität wirklich aussagen.
({0})
- Nein, das habe ich auch nicht vor. - Unabhängig davon, ob der sogenannte „harte Kern" der Drogenabhängigen nun 45 000 beträgt - etwas weniger oder mehr -, zeigt uns die Summe unserer Beobachtungen und Erfahrungen, daß wir es hier mit einem sehr ernsten und sehr komplexen Problem sowie mit wachsenden Gefahren zu tun haben.
Beim Drogenhandel handelt es sich um illegale - das heißt auch: steuerfreie - Geschäfte mit Milliarden-Umsätzen und Millionen-Gewinnen. Ein Land wie das unsere - mit harter, voll konvertierbarer Währung, mit den sozialen und psychologischen Gegebenheiten einer Wohlstandsgesellschaft und dieser geographischen Lage - ist für solche Geschäfte ein besonderer Anziehungspunkt. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir damit rechnen, daß wir nicht nur kurzfristig einen schweren Abwehrkampf führen müssen.
Große Organisationseinheiten sind entstanden, an deren Ende irgendwo anscheinend honorige Leute stehen. Aber auch viele kleine Händler beteiligen sich mit kleinen Mengen und auf unkontrollierbaren Wegen am Geschäft. Das Angebot illegaler Drogen übersteigt zur Zeit die Nachfrage und erzeugt fallende Preise bei sehr hoher Reinheit des angebotenen Materials. Rivalisierende Händlerbanden entwickeln immer raffiniertere Absatztechniken, um das Reservoir an potentiell gefährdeten Menschen in unserer Gesellschaft stärker auszuschöpfen.
Die ökonomischen Aspekte fangen natürlich schon in den Anbauländern an. Für viele Bauern, besonders in Mittelost, ist der einfache Anbau der Pflanzen, aus denen Rauschgift gewonnen wird, jahrhundertealte Tradition. Es fehlt auch an Infrastruktur, die die Voraussetzung für eine schnelle Umstrukturierung wäre.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte.
Frau Bundesminister, gedenkt die Bundesregierung ihre zu begrüßende Hilfe für die Türkei, die sie angekündigt hat, in Besprechungen über gerade dieses Problem, das Sie hier erwähnt haben, einzubeziehen?
In dem Programm, über das ich hier heute rede, ist die Einbeziehung gerade des Punktes Rauschmittel in die internationalen Ge15938
spräche mit allen beteiligten Ländern extra vorgesehen.
Ich fahre fort. In den Anbauländern bestehen Probleme, die wir nicht kurzfristig, sondern höchstens mittel- und langfristig lösen werden. Die Bundesrepublik teilt das Rauschgiftproblem mit vielen Ländern der Welt, besonders den westlichen Industriestaaten. Bei der letzten europäischen Drogenkonferenz der zehn Staaten der sogenannten PompidouInitiative im November in Stockholm waren alle Kollegen gleichermaßen mit Sorge erfüllt. Kein Staat - darüber sind sich alle einig - kann dieses Problems allein Herr werden, sondern der Erfolg hängt hier stark von der internationalen Zusammenarbeit ab.
Die Bundesregierung hat deshalb bei der jetzigen Fortschreibung des Drogenaktionsprogramms am 16. Januar, an der zehn Ressorts beteiligt waren, den internationalen Bereich im Maßnahmenteil vorangestellt. Sie macht gleichzeitig deutlich, daß nur ein ganzes Maßnahmenbündel Abhilfen verspricht, zusammengesetzt aus verstärkten außen- und entwicklungspolitischen Bemühungen, aus effizienterem Einsatz von Zoll, Polizei und Grenzschutz sowie aus Maßnahmen im Rechtsbereich, wozu auch das heute einzubringende Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts gehört, und aus Bemühungen um mehr Information und mehr Therapie. Es handelt sich dabei, abgesehen von einigen außenpolitischen Aspekten, nicht um neue Maßnahmen, sondern um mehr und noch bessere Maßnahmen.
Die Bundesregierung hat bereits 1970 ein Aktionsprogramm gegen Drogenmißbrauch entwickelt, dem wir es bei aller Schärfe des Problems doch zu verdanken haben, daß das Drogenproblem nicht noch größere Dimensionen angenommen hat. Auf der Basis dieses Programms haben Verbesserungen beim Bundeskriminalamt, bei Zoll und Grenzschutz zur Intensivierung der Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels beigetragen. Über diesen Bereich wird Herr Kollege Baum gleich noch sprechen. Ich möchte hier besonders an unser 1970 in Zusammenarbeit mit den Ländern gestartetes Modell zur Bekämpfung des Drogenmißbrauchs erinnern, das 1977 ein verbessertes psychosoziales Anschlußprogramm erhielt, sowie an umfangreiche Informations- und Aufklärungsmaßnahmen, Informationsschriften, Fernsehspots, Telefonansagetexte für Eltern, für die Bundeswehr usw. Aktivitäten der Hauptstelle gegen Suchtgefahren und andere Träger wurden unterstützt, Arbeitsmaterial wurde entwickelt. 40 Millionen DM flossen in den letzten neun Jahren den Ländern, die dafür zuständig sind, allein für die Modelle zu, die der Beratung, der ambulanten und in beschränktem Umfang auch der stationären und rehabilitativen Betreuung jugendlicher Suchtkranker dienen. In ca. 50 Einrichtungen gibt es jetzt Langzeittherapieplätze. Dazu kommen Einrichtungen der qualifizierten Nachsorge in Wohngemeinschaften - eine allerdings angesichts der Entwicklung zu geringe Zahl, zumal diese Plätze in starkem Maße auch für Alkoholsüchtige und Medikamentenabhängige gebraucht werden.
Für die berufliche Rehabilitation ehemaliger Drogenabhängiger wird Eingliederungshilfe nach dem Arbeitsförderungsgesetz gewährt. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen auch den Schwerbehinderten gleichgestellt werden und die dafür geschaffenen Möglichkeiten nutzen.
Die Bundesregierung hat die BetäubungsmittelVerschreibungsverordnung geändert und Sonderrezepte für Betäubungsmittel eingeführt. Die Zahl der Verschreibungen von Betäubungsmitteln durch Ärzte ging daraufhin seit 1974 um etwa 60 % zurück. Ebenfalls geändert wurde die Apothekenbetriebsordnung, mit der besondere Sicherungsauflagen für bestimmte Arzneispezialitäten festgelegt worden sind. Ein deutlicher Rückgang der Apothekeneinbrüche war zu verzeichnen.
Ich erwähne alle diese bisherigen Bemühungen, um darzutun, daß sich die Bundesregierung - so wie sie das dem Deutschen Bundestag schon früher dargelegt hat, zuletzt Ende vergangenen Jahres - in allen betroffenen Ressorts kontinuierlich mehr für die Bekämpfung des Drogenanbaus, des Drogenhandels und für mehr Therapie eingesetzt hat.
Unter dem Leitgedanken einer noch stärkeren Intensivierung und Bündelung unserer Maßnahmen sieht das fortgeschriebene Programm nunmehr verbesserte internationale Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, insbesondere dem VN-Suchtstoffkontrollfonds, der VN-Suchtstoffkommission, sowie mit der Weltgesundheitsorganisation, der Europäischen Gemeinschaft, dem Europarat und der Nordatlantischen Versammlung vor.
Die Bundesregierung wird dem Sonderfonds der Vereinten Nationen zur Drogenkontrolle künftig 2 Millionen DM jährlich zur Verfügung stellen, d. h. ihn stärker unterstützen. Dazu treten Projekte der Entwicklungshilfe, damit die Umstrukturierung in der Landwirtschaft der Anbauländer ermöglicht und erleichtert wird.
Der repressive Bereich erfährt eine Reihe von Verbesserungen, über die, wie ich schon sagte, Herr Baum gleich berichten wird.
Im gesetzgeberischen Bereich steht der Entwurf zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts im Vordergrund, der gemeinsam mit dem Entwurf der CDU/CSU heute in erster Lesung beraten wird. Die Bundesregierung kommt damit dem Wunsch des Parlaments vom Juli 1976 nach, das bei der Ratifizierung des Internationalen Übereinkommens von 1971 über psychotrope Stoffe ein umfassend novelliertes Betäubungsmittelrecht verlangt hat.
Der vorliegende Entwurf stellt darüber hinaus eine Zusammenfassung und Vereinfachung des gesamten Betäubungsmittelrechts dar. Statt 16 wird es künftig nur noch vier Verordnungen geben. Der Regierungsentwurf ist wesentlich umfassender als der Oppositionsentwurf, der nur den strafrechtlichen Teil ändern will und deshalb nach unserer Meinung unrationell ist.
({0})
- Wenn Sie sagen, daß wir uns verständigen können, so finde ich das sehr gut.
Die Bundesregierung hält die Gesamtnovellierung für dringlich, weil der Kern des Gesetzes aus inzwischen über 50 Jahre alten Vorschriften besteht, die sich als lückenhaft und teilweise widersprüchlich herausgestellt haben und den drei internationalen Suchtstoffübereinkommen nicht mehr entsprechen.
Der verwaltungsrechtliche Teil des Regierungsentwurfs setzt nunmehr die international vereinbarten Vorschriften in deutsches Recht um. Siebzehn psychotrope Stoffe werden neu der Betäubungsmittelkontrolle unterworfen. Davon sind etwa 460 im Handel befindliche therapeutische Präparate berührt, für die die Bundesregierung - um unnötige Komplizierung zu vermeiden - einerseits Erleichterungen in Form von Kontrollausnahmen, andererseits aber Erschwernisse in Form der vollen betäubungsmittelrechtlichen Kontrolle vorsieht.
Mehr als das stehen allerdings im Vordergrund der öffentlichen Diskussion Therapie und Strafe. Im Strafrechtsteil verzichten beide heute hier zur Beratung anstehenden Entwürfe wie das geltende Recht auf eine Differenzierung zwischen „harten" und „weichen" Drogen, d. h., es soll weder eine strafverschärfende Herausstellung einzelner Drogen, wie z. B. Heroin, noch eine Entkriminalisierung oder gar Legalisierung der Cannabis-Produkte wie Marihuana und Haschisch geben.
({1})
- Hier hat die Bundesregierung stets eine klare Position bezogen, Herr Hasinger. Ich war auf der Ministerkonferenz in Stockholm im November letzten Jahres erfreut, daß diese Haltung von allen Ländern einmütig geteilt wird.
Im übrigen kann man im Strafrechtsteil beider Entwürfe drei Hauptziele erkennen: Erstens die Verstärkung des Schutzes Jugendlicher, zweitens die Strafverschärfung gegenüber der schweren Rauschgiftkriminalität, drittens Erleichterungen für bestimmte Tätergruppen, insbesondere die rauschgiftabhängigen kleinen bis mittleren Straftäter.
Zur Verstärkung des Schutzes für Jugendliche bringt der Regierungsentwurf die unseres Erachtens notwendige Ausdehnung des Strafrechtsschutzes in das Vorfeld des Drogenmißbrauchs, hier besonders auf das Vorspiegeln einer betäubungsmittelähnlichen Wirkung bei Ersatzstoffen, wodurch viele bisher in der Praxis nicht greifbare Fälle erfaßt werden können.
Die Einführung eines Straftatbestandes „Verleiten zum Genuß von Betäubungsmitteln", wie der Entwurf der CDU/CSU ihn vorsieht, halten wir für überflüssig, weil sich der Verleitende in diesen Fällen bereits als Anstifter oder Gehilfe beim Erwerb und Besitz von Rauschgift strafbar macht.
({2})
Zum relativ neuen Institut der Führungsaufsicht
müssen wir alle sicher noch Erfahrungen sammeln.
Dies wird im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erneut zu prüfen sein.
Eine neue strafrechtliche Regelung, die sich gegen die Hintermänner des Rauschgifthandels richtet, ist dagegen der im Regierungsentwurf enthaltene Tatbestand der Finanzierung von Rauschgiftdelikten.
Wie die beiden Entwürfe zeigen, sind wir uns über die Notwendigkeiten von Strafverschärfungen einig. Grundsätzlich sollen künftig Verbrechenstatbestände mit einer Höchststrafe von 15 statt bisher 10 Jahren belegt werden. Die unterschiedliche Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände kann ich hier nicht ausführlich behandeln.
Beim Grundtatbestand - § 28 Abs. 1 des Regierungsentwurfs und § 11 Abs. 1 und 2 des Entwurfs der CDU/CSU - halten wir jedoch die bisherige Höchststrafe von 3 Jahren nach den Erfahrungen der Praxis für ausreichend, während der Oppositionsentwurf hier eine Anhebung auf 5 Jahre, bei Fahrlässigkeit auf 3 Jahre vorsieht. Sachgerechter erscheint uns vielmehr, die bisherigen Regeltatbestände der „besonders schweren Fälle" - § 11 Abs. 4 -, auf die der Entwurf der Opposition verzichtet, beizubehalten, wie dies in § 28 Abs. 3 des Regierungsentwurfs geschieht.
Der Regierungsentwurf folgt dem Leitgedanken, die Strafvorschriften gegen Dealer zu verschärfen, dagegen bei den Süchtigen, die nur ihrer eigenen Sucht wegen dealen, Behandlung und Heilung in den Vordergrund zu stellen. Diesem Leitgedanken widerspräche es, den Strafrahmen des Grundtatbestandes, der sich gerade auf die kleinen bis mittleren Fälle bezieht, anzuheben.
Der Vorzug des Regierungsentwurfs liegt vor allem darin, daß die Straftatbestände insgesamt stärker gefächert sind, wodurch sie dem Richter in der Praxis eher die Möglichkeit geben, den unterschiedlichen Täterpersönlichkeiten - mit den beiden Hauptgruppen, nämlich den gewinnsüchtigen, nicht drogenabhängigen Rauschgiftgroßhändlern einerseits und den drogenabhängigen kleinen Tätern andererseits - gerecht zu werden. Das ist das wichtigste Anliegen der Neufassung des Betäubungsmittelrechts.
Damit komme ich zu der unerläßlichen sozialtherapeutischen Komponente, die generell bei neuen strafrechtlichen Regelungen, insbesondere aber wohl im Bereich der Drogen, zu bedenken ist. Strafrechtliche Mittel sind kein Therapie-Ersatz. Darüber sind sich die Experten auf diesem Gebiet einig. So ergab sich die Frage einer Verbesserung der therapeutischen Rehabilitation Drogenabhängiger in einem oder neben einem Betäubungsmittelgesetz.
Die Bundesregierung sieht sich bei der jetzigen Einbringung ihres Entwurfs leider noch nicht in der Lage, diese gesetzgeberisch sehr schwierige und möglicherweise für andere Rechtsbereiche sehr re15940
levante Frage schon mit einer ausformulierter Vorschrift zu beantworten.
({3})
- Die Bundesregierung hat diesen Eindruck nicht erweckt. Wenn er in der Diskussion irgendwo erweckt worden ist, so ist das eigentlich aus dem Thema zu erklären.
Die Bundesregierung wird aber, Herr Hasinger, alle Möglichkeiten prüfen, um eine den besonderen Umständen des Drogenproblems entsprechende, klar abgegrenzte und mit dem allgemeinen Strafrecht zu vereinbarende Lösung zu finden. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens können dann - wie auch früher schon praktiziert - entsprechende Formulierungsvorschläge nachgereicht werden. Das Ziel ist, dem Gericht eine Möglichkeit zu geben, bei drogenabhängigen kleinen Straftätern die freiwillige Therapie an die Stelle der Strafvollstreckung zu setzen und dem, der an seiner Heilung mitwirkt, den Strafmakel zu ersparen. Das und nichts anderes ist mit dem Grundsatz „Therapie statt Strafe" gemeint.
Ich will gar nicht verhehlen, daß es hier noch schwerwiegende Probleme zu lösen gibt. Beschaffungskriminalität als Ganzes zu verharmlosen kann nicht unser Anliegen sein. Jedoch sind, wie unsere bisherige Erfahrung lehrt, die Antworten des Strafrechts ganz sicher unzureichend, und die Suche nach vertretbaren neuen Wegen ist bei der Gefährdung, die Drogensucht für das Leben junger Menschen und auch für das Schicksal ganzer Familien bedeutet, sicher der Mühe wert. Deswegen teile ich nicht die Ansicht z. B. des Justizministers von Baden-Württemberg, der extra für diesen Zweck eine geschlossene Strafanstalt plant und dies für den richtigen Ort der Behandlung hält.
Ein junger drogenabhängiger Strafgefangener hat mir in diesen Tagen einen Brief geschrieben:
Was soll effektiv durch die Haft bei Drogenabhängigen erreicht werden? Buße, Reue? Das Ergebnis ist Haß und Verzweiflung gegen die Menschen, die psychisches Leiden hier noch mit Füßen treten. Warum will man mir noch das bißchen Lebenswillen, das in mir ist, nehmen?
Bei diesem jungen Menschen gibt es eine Motivation zur Therapie. Das ist die einzige Voraussetzung, die Therapie sinnvoll und aussichtsreich macht. Ich teile nicht die Ansicht der Opposition, daß die in § 11 vorgesehene Erhöhung der Höchststrafe auf 5 Jahre gut wäre, weil, wie in der Begründung steht, ein entsprechend langer Strafvollzug unter ärztlicher und psychologischer Betreuung in besonderer Weise geeignet wäre, den straffällig gewordenen Drogenkonsumenten zu resozialisieren. Therapie im Gefängnis ist nicht möglich. Das sagen alle Fachleute. Drogenabhängige sind Kranke. Daher hat die Therapie in geeigneten Einrichtungen Vorrang.
({4})
Wir hören hier oft die sicherlich nicht unberechtigte Frage: Wie erfolgreich ist denn diese Therapie? Nach unseren neuen Erfahrungen ist Therapie heute erfolgreicher als früher, Motivation zur Behandlung vorausgesetzt. Nach dem Überblick der Modelleinrichtungen z. B., die noch drei Monate nach Entlassung mit den Behandelten in Kontakt stehen, kann im Schnitt mit einem 30 %igen Erfolg gerechnet werden. Das ist ein großer Fortschritt, wenn wir bedenken, daß wir vor zehn Jahren an dieser Stelle noch hätten sagen müssen: 1 %.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat in einer Broschüre „Drogenberatung wo?" 700 Anschriften zusammengefaßt: Drogenberatungsstellen, Therapie- und Nachsorgeeinrichtungen. Die Kostenübernahme erfolgt im Einzelfall durch die Kranken- bzw. Rentenversicherungsträger und, besteht keine Versicherung, durch die Sozialhilfe.
Wenn künftig jedoch eine erfolgversprechendere Regelung wirksam werden soll, müssen ganz ohne Zweifel erheblich mehr Plätze zur Langzeittherapie angeboten werden. Auch wenn derzeit längst nicht alle Drogenabhängigen therapiefähig sind, so reicht das bestehende Angebot, trotz regionaler Unterschiede, keineswegs aus.
Die Zuständigkeit für den Therapiebereich liegt bei den Ländern. Die Bundesregierung hat sich inzwischen mit mehreren Modelleinrichtungen engagiert. Sie hat bei der Verabschiedung des fortgeschriebenen Aktionsprogramms den Ländern Gespräche zur Erörterung gemeinsamer Sofortmaßnahmen angeboten.
Die Bundesregierung ist im übrigen in ihrer Gegenäußerung vielen Vorschlägen des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf gefolgt. Die noch bestehenden Divergenzen werden, glaube ich, überbrückbar sein. Angesichts der Not und des Elends Tausender zum Rauschgiftgenua verführter junger Menschen und des bitteren Leids, das damit über viele Familien kommt, sind wir wohl darin einig, daß sich dieses Feld für parteipolitische Profilierung nicht eignet.
({5})
Mehr außenpolitische Bemühungen, mehr Polizeikontrollen, angemessene Strafmaßnahmen, mehr Information, mehr Therapie, alles das ist notwendig. Aber allein mit den drogenspezifischen Maßnahmen - das hat auch die Drogenkonferenz von Nordrhein-Westfalen gezeigt - ist dem Problem nicht beizukommen. Wesentlicher als einzelne Paragraphen ist für uns die Frage, warum so viele junge Menschen - 1979 schätzungsweise 10 mehr als 1978 und immer mehr mit tödlichem Risiko - Rauschgift nehmen. Sind es Probiertaten, dieses Mehr-Erleben-Wollen, -zu dem man verführt wird, oder ist es eine Form von Problemlösung? Die Motive haben sich von der Probiertat wohl mehr zur Problemlösung verschoben. Warum ist dies geschehen? Müssen wir für unseren materiellen Wohlstand auch mit diesem Preis bezahlen? Es macht sich heute viel Aussteigermentalität breit, die die Frage herausfordert, ob bei uns mitmenschliche ZuwenBundesminister Frau Huber
dung zu sehr durch materielle Gratifikationen ersetzt worden ist. In Notzeiten gibt es ja solche Probleme nicht. Wir müssen aber offenbar lernen, mit dem Wohlstand besser umzugehen, d. h. trotz Wohlstand mit uns als Menschen besser umzugehen, uns gegenseitig Realitätssinn, aber auch Hoffnung und Kraft, d. h. Lebenssinn und Solidarität zu geben. Unsere Wissenschaft, unsere Technologie ist großartig, unsere Menschlichkeit offenbar nicht. Drogenkonsum, Alkoholkonsum, die wachsende Zahl von Jugendsekten, vermehrte psychische Störungen zeigen uns das. Staaten und Länder, Bundestag und Bundesrat, Bundesregierung sind angesichts der bedrückenden Drogensituation aufgefordert, die Probleme noch energischer anzupacken. Aber das allein reicht nicht aus. Die Gesellschaft muß Probleme aufarbeiten, für die der Drogenmißbrauch bloß Symptom ist.
Ich möchte das Parlament herzlich bitten, trotz der verhältnismäßig kurzen Zeitspanne, die wir in dieser Legislaturperiode noch zur Verfügung haben, alles zu tun, damit das Gesetz wie vorgesehen am 1. Januar 1981 in Kraft treten kann.
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Wittmann.
Damit Sie eine Vorstellung vom Umfang der Debatte haben: Mir liegen gegenwärtig zehn Wortmeldungen vor.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Huber, ich darf Ihnen namens der Opposition sagen, daß wir zusammen mit allen gutwilligen Kräften - dazu rechne ich selbstverständlich auch die Bundesregierung und die Koalition - darangehen wollen, dieses Problem, soweit es überhaupt mit den Mitteln der Gesetzgebung oder der Verwaltung möglich ist, sehr schnell und in zufriedenstellender Weise zu lösen. Wir müssen rasch Maßnahmen ergreifen, die unseren jungen Menschen helfen; denn Tausende, ja Zehntausende Menschen, vor allem junger Menschen, stehen in der Gefahr einer allmählichen Selbstverstümmelung oder gar eines allmählichen Selbstmords. Die 600 Toten des Jahres 1979 durch Drogenkonsum sind ein alarmierendes, trauriges Zeichen.
Drogenkonsum und Rauschgiftmittelkriminalität haben sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Man rechnet heute damit - soweit man das überhaupt mit Zahlen erfassen kann -, daß etwa 60000 Drogenabhängige unter uns leben. Es stehen aber auch 2 500 Personen in dem Verdacht des kriminellen Rauschgifthandels.
War die Verwendung der Droge anfänglich auf eine gewisse sogenannte Avantgarde der Studentenschaft oder der Intellektuellen beschränkt, so sind nunmehr Gebrauch und Mißbrauch in allen sozialen Schichten anzutreffen. Vor allem wenden sich zunehmend Jugendliche den Drogen zu. Sie konsumieren zuerst Einstiegsdrogen, wie man das nennt - etwa Haschisch, Marihuana, LSD -, um dann zu den härteren Drogen überzugehen, die später zur Selbstverstümmelung oder zum Tode führen. Ich glaube, wir sind aufgerufen, hier einzugreifen.
({0})
Ich bin sehr dankbar, Frau Ministerin, daß Sie von vornherein klargestellt haben, daß es für uns in den Grundtatbeständen keine Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen geben kann;
({1})
denn hier erfolgt der Beginn bei der weichen Droge.
Es ist mir völlig klar, daß diese Volksseuche - so muß man sie nun wohl leider nennen - mit den Mitteln des Strafrechts allein nicht bekämpft werden kann. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß die zu geringen Höchststrafdrohungen in unserem Recht mit dafür ausschlaggebend gewesen sein dürften, daß Deutschland nach den Erkenntnissen des Bundeskriminalamts z. B. im Jahre 1977 für alle Anbauländer wichtigstes Ziel- und Transitland für illegale Rauschgifttransporte gewesen ist. Ich glaube, es ist unsere Pflicht, gerade diesen Markt, diesen Handel auszutrocknen. Deshalb müssen wir auch - lassen Sie mich das ganz klar sagen - für einen Abschreckungseffekt sorgen.
Frau Ministerin, wenn Sie gegen unsere Forderung polemisieren, fünf Jahre Höchststrafe für den Grundtatbestand vorzusehen, dann unterstellen Sie uns bitte nicht, daß wir den armen kleinen Drogenabhängigen, der zufällig einmal straffällig geworden ist, mit der ganzen Schwere des Gesetzes treffen wollen. Das wollen wir nicht. Wir wollen vielmehr nur einen Rahmen setzen für die Fälle, wo es möglich ist, etwas zu tun, korrigierend einzugreifen, und zwar auch im Strafvollzug. Wir wollen also den Gerichten durchaus die Freiheit lassen, im Strafrahmen weit darunter zu bleiben, wenn dies angemessen ist.
Höhere Strafdrohungen im Gesetz geben auch die Möglichkeit, eine präventive Wirkung durch den Strafvollzug für den kriminellen Rauschgifthändler zu erzeugen. Es ist erwiesen, daß gerade hohe Strafen für Drogenhändler dazu führen, daß diese Händler, wenn sie ihre Strafe verbüßt haben, nicht mehr den Markt vorfinden, den sie ehedem hatten. Die bisherigen Strafandrohungen haben leider bewirkt, daß mancher Händler seine Tätigkeit nur etwas verschoben hat und seine Tätigkeit in einem anderen Stadt- oder Gerichtsbezirk wiederaufnehmen konnte, weil er seinen Markt erneut vorfand. Hier ist eine echte sozialpräventive Funktion der Strafe gegeben, nämlich den unverbesserlichen Drogenhändler - ich meine auch hier nicht den kleinen Konsumenten - vom Markt fernzuhalten.
({2})
Wir sind der Auffassung, daß ein bedingter Tötungsvorsatz vorliegt, wenn man Menschen durch solche Drogenverabreichungen in Todesgefahr bringt, was in aller Regel der Fall ist. Wir sind .deshalb der Meinung, daß diese schweren Tatbestände als Verbrechen bestraft werden sollten. Dazu gehört auch die schwere Gesundheitsgefährdung für mehrere Menschen.
({3})
Dr. Wittmann ({4})
Dieses Problem hat der Regierungsentwurf noch nicht deutlich genug angepackt. Frau Ministerin, ich polemisiere nicht gegen Ihren Entwurf, der sicherlich mit vielen Ressorts abgestimmt werden mußte, wobei es gewiß nicht immer Einigkeit gab. Ich biete Ihnen an, daß wir das, was bei uns fehlt, von Ihnen übernehmen, wenn es uns richtig erscheint, aber wir bitten auch darum, das eine oder andere aus dem, was CDU und CSU vorgeschlagen haben, zu bedenken. Dazu gehören in allererster Linie die schwere Gesundheitsgefährdung und das Verleiten. Das Verleiten geschieht nicht nur durch das Finanzieren und Verabreichen, sondern kann auch auf ganz anderem Wege vor sich gehen.
Schließen wir die Lücken, die uns vielleicht eines Tages die Rechtsprechung wieder aufzeigt, indem sie sagt: Hier ist eine Lücke, hier können wir nicht bestrafen. Bestraft werden müssen die Händler und diejenigen Personen, die andere Menschen zum Drogenkonsum verleiten.
({5})
Wir werden mit Ihnen gern auch darüber sprechen, daß die Verherrlichung des Rauschgiftgenusses als Straftatbestand zu übernehmen ist, wie das im Regierungsentwurf enthalten ist. Man soll uns dann nicht entgegenhalten - hier nehme ich die Bundesregierung in Schutz -, wir würden damit die Pressefreiheit einschränken. Nein, meine Damen und Herren, es gibt auch Grenzen, und zwar dort, wo Menschen durch die Lektüre ganz bestimmter sogenannter Reports oder Berichte oder Serien dazu verleitet werden, einmal zu probieren. Das wird dort verherrlicht.
({6})
Viele derjenigen, die in den 60er Jahren den Drogenkonsum verherrlicht haben, sind inzwischen reuig geworden. Aber leider konnte man noch vor einem Jahr in einer Boulevardzeitung einen sogenannten Report lesen, aus dem ich zitieren möchte:
Beim ersten Heroin ist mir fast das Hirn explodiert. Das war ein feeling - unwahrscheinlich. Da gab es keine Probleme mehr, kein Hell und Dunkel und kein Gut und Böse. Es war stark. Wenn du dieses Gefühl einmal gehabt hast, willst du es immer wieder haben.
({7})
- Lieber Herr Kollege Pieroth, wir kennen sie alle. Es gibt keinen in diesem Hause, der sie nicht kennt. Ich möchte mich nicht durch die Nennung von Namen vom Podium her des Verleitens zum Rauschgiftkonsum schuldig machen. Vielleicht liest es dann einer und nimmt dann Rauschgift.
({8})
Ich möchte mir Drohbriefe ersparen, die von solchen
Gazetten immer wieder an uns gerichtet werden,
wenn wir von unserem freien Rederecht im Bundestag Gebrauch machen.
Freilich sind diejenigen die Hauptschuldigen, die unserer vereinsamten oder geistig verarmten Jugend in den 60er Jahren einreden wollten, Drogenkonsum bedeute Fortschritt, bedeute Bewußtseinserweiterung.
Wenn gesagt wird, daß der Drogenkonsum „die Wirklichkeit transparent und die Doppelbödigkeit und Schauspielerei der normalen menschlichen Verhaltensweisen offensichtlich macht", dann zeigt sich doch mit Deutlichkeit, daß in manchen Kreisen eine starke Tendenz vorhanden war oder vielleicht noch ist, den Rauschgiftkonsum zur Veränderung der Gesellschaft zu verwenden. Diese Leute haben schwere moralische Schuld auf sich geladen, obwohl wir sie auch mit unseren neuen Bestimmungen nicht immer im Bereich des Strafrechts fassen können. Ich gebe Ihnen völlig recht, Frau Ministerin, daß wir mit den Mitteln des Strafrechts eine gewisse Mentalität nicht erfassen können - abgesehen davon, daß uns dies unsere freie Rechtsordnung verbieten würde.
Wir würden es begrüßen, wenn es gelänge, die Strafbestimmungen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf haben, etwas übersichtlicher zu gestalten und auf die vielen Verweisungen zu verzichten.
Nun kurz zu dem Schlagwort „Therapie statt Strafe". Frau Ministerin, Sie haben den Kollegen Eyrich sicher mißverstanden, als er hier den Vorschlag machte, besondere Strafanstalten einzurichten. Herr Kollege Eyrich wollte damit zum Ausdruck bringen, daß gerade die Therapie auch während des Strafvollzugs sofort beginnen muß und nicht erst nach dem Strafvollzug folgen sollte. Das war sein Anliegen.
({9})
Ich bin der Meinung, dort, wo Drogenkonsum und Schuld zusammenfallen, muß unser Motto „Therapie u n d Strafe" sein.
Wir müssen schnell handeln. Ich glaube, die Bundesregierung ist durch unseren Gesetzentwurf etwas in ihrer Tätigkeit angetrieben worden, ihren Entwurf voranzubringen und einzubringen. Wir bieten Ihnen an, die Gesetzentwürfe schnell zu beraten. Ich bitte Sie aber auch, dann, wenn sich die Beratung verzögern sollte, mit uns darüber einig zu sein, daß die Teile, die sich schnell verabschieden lassen, schnell verabschiedet werden sollten, denn jeder Tag Zeitverlust kann ein neues Menschenleben im Drogenbereich kosten. Es geht hier also nicht um Prestige, sondern um wirksames Handeln.
({10})
Wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch einmal die Frage stellen, ob es nicht notwendig wäre, entsprechend den gesetzlichen Regelungen in anderen Bereichen ein Gesetz zur Bekämpfung von Suchtkrankheiten mit all den Möglichkeiten der Therapie zu verabschieden. Ob uns das in dem jetzigen Zusammenhang noch gelingt, weiß ich nicht. Ich biete dies seitens der CDU und CSU aber jedenfalls
Dr. Wittmann ({11})
an, damit wir den Menschen - manchmal vielleicht auch gegen ihren Willen - helfen können. Es geht um unsere Jugend und damit um unsere Zukunft. Unserer Jugend wollen wir helfen.
({12})
Als nächstem Redner erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dürr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte beginnt mit einer gewissen Überraschung: Der zu spitzen Formulierungen und handfester Polemik sonst durchaus fähige Herr Dr. Wittmann hat soeben eine völlig unpolemische Rede gehalten. Er hat auf parteipolitische Profilierung so weit wie irgend möglich verzichtet, was dem Ernst des Themas völlig angemessen ist und was meines Erachtens gerade bei Ihrem Temperament, Herr Dr. Wittmann, das wir alle kennen, ein ganz besonderes Lob verdient.
({0})
Obwohl es um die Reform des Betäubungsmittelgesetzes geht, dürfen wir den Blick nicht auf das Thema „Heroin" verengen. Das Thema „Sucht" ist ein weiteres Thema, über das wir noch lange nicht genug nachgedacht haben. Pointiert gesagt: Unsere Gerichte wenden das geltende Strafrecht an, als könne ein Drogensüchtiger ebensoleicht den Erwerb von Heroin unterlassen, wie es uns leichtfällt, keine Ladendiebstähle zu begehen. Dabei sollten zumindest einige von uns wissen, daß und wie Sucht auf die Willensfreiheit einwirkt und sie einschränkt. Oder bin ich der einzige, dessen erster und zweiter Versuch, das Zigarettenrauchen bleibenzulassen, keinen Erfolg hatte?
({1})
Teils verdrängen wir das Problem der Drogensucht, teils werden an unseren Stammtischen, meist nach reichlichem Alkoholgenuß, Sprüche des Inhalts geklopft: Herr, ich danke dir, daß ich nicht so bin wie diese Langhaarigen! Dann bestellt man sich weitere Schnäpse und geht zum nächsten Thema über, anstatt über diese Mentalität nachzudenken. Man hilft nämlich Drogengefährdeten nicht nur mit amtlichen Informationsbroschüren, sondern auch dadurch, daß man das Gespräch mit Ihnen sucht und nicht abreißen läßt. Ehemalige Drogenabhängige müssen sich nach der Therapie in Beruf oder Schule wieder zurechtfinden. Ob das gelingt, hängt nicht nur von staatlichen Maßnahmen, sondern auch davon ab, daß ihnen etwa von Arbeitskollegen wenigstens genauso viel aufmunternde Sympathie und Hilfsbereitschaft wie einem ehemaligen Alkoholsüchtigen entgegengebracht werden.
Gewarnt werden muß vor der Illusion, mit dieser Reform des Betäubungsmittelrechts, insbesondere seiner Strafbestimmungen, werde man das Drogenproblem wohl bald in den Griff bekommen. Man darf von Gesetzen nicht mehr erwarten, als Strafrechtsparagraphen zu leisten in der Lage sind. Erhöhte Höchststrafen für gewissenlose Rauschgifthändler sind nötig, wirken aber nur dann abschreckend,
wenn gleichzeitig durch verbesserte Fahndung die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, daß der Dealer erwischt wird und hinter Schloß und Riegel landet. Bei Abhängigen verfängt der Gesichtspunkt der Abschreckung nicht, aber in gewissem Umfang bei noch nicht Süchtigen, bei Gefährdeten.
Der Süchtige macht sich schon strafbar, wenn er Betäubungsmittel mit eigenem Geld erwirbt. Wenn das ausgegangen ist, zwingt ihn seine Sucht in die Beschaffungskriminalität. Dann wird eben zur Finanzierung des Eigenverbrauchs gedealt, betrogen, gestohlen oder angeschafft. Ob er sich dabei mehr oder weniger strafbar macht, wird vom Süchtigen kaum mehr registriert. Übrigens ist einer, der seinen Eigenverbrauch durch Dealen finanziert, nicht besser als einer, der statt dessen stiehlt, und umgekehrt.
Die CDU/CSU hat außer der Erhöhung der Höchststrafe bei besonders schwerer Rauschgiftkriminalität weitere Strafverschärfungen vorgeschlagen. Dabei ist wohl die Wirksamkeit der Abschrekkung ebenso überschätzt worden wie die Aussicht, daß die Strafvollstreckung einen wirksamen Beitrag zur Resozialisierung Drogenabhängiger leisten könne.
Bei der Beratung in den Ausschüssen müssen wir durch weite Strafrahmen die Möglichkeiten für ein gerechtes Urteil im Einzelfall schaffen. Ein gerechtes Urteil ist zuallererst eines, das soweit wie irgend möglich Chancen für eine Resozialisierung schafft und nicht verbaut. Gerechte Urteile sind nicht solche, die bei gleich Süchtigen und Schuldigen sehr verschieden schwere Strafen aussprechen, nur weil man sie mit unterschiedlich großen Mengen von Betäubungsmitteln erwischt hat.
Resozialisierung ist bei Heroinabhängigen im allgemeinen nur durch stationäre Therapie zu erreichen. Frau Minister Huber hat deshalb von dem Grundsatz „Therapie statt Strafe" gesprochen.
Natürlich sind diese drei Worte kein vollständiges Programm und kein sofort anwendbares Patentrezept. Sie sollen vielmehr bedeuten: Erstens. Resozialisierung des Drogenabhängigen ist fast immer nur durch stationäre Therapie möglich. Zweitens. Diese Therapie hat zur Voraussetzung, daß der Süchtige bereit und gewillt ist mitzuarbeiten. Er muß motiviert sein, mit seiner Sucht fertigwerden zu wollen. Das ist nicht leicht und gelingt selten beim ersten Versuch. Trotzdem ist der Versuch, den Abhängigen zu überzeugen, daß ihm nur eine Therapie helfen kann, immer und überall nötig: in den Drogenberatungsstellen, in der Untersuchungshaft, auch in der Strafhaft, wo es am schwersten ist. Es wäre falsch, die Flügel hängen zu lassen, nur weil der erste Therapieversuch fehlgeschlagen ist. Es ist besser, ein Drogenabhängiger schafft die Therapie beim zweiten, dritten oder vierten Versuch als überhaupt nicht.
Wenn es unsere Aufgabe ist, mehr Drogenabhängige für die Therapie zu motivieren, folgt daraus die Aufforderung an die dafür zuständigen Bundesländer: Schafft mehr Therapieplätze! Die Justiz- und die Gesundheitsminister der Länder haben das
längst gefordert. Die Finanzminister müssen die Mittel für die Sach- und Personalaufwendungen bereitstellen, und die Landesparlamente müssen die Gelder bewilligen, auch wenn das Abstriche bei anderen Haushaltspositionen nötig macht.
Seit einiger Zeit geistert durch die Diskussion der Begriff „Zwangstherapie". Herr Wittmann sagte, den früheren Kollegen Eyrich referierend: „Therapie während des Strafvollzugs". Was ist das? Was soll das sein? Therapie setzt gleichwie Psychotherapie die Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit voraus. Man kann ja schließlich keinen Hund zum Jagen tragen.
Wie ist es aber mit Leuten, die sich nicht therapieren lassen wollen, die partout weiter süchtig bleiben wollen? Für diese gibt es keine Zwangstherapie, nur eine Zwangsverwahrung, aber, bitte, gekoppelt mit dem Versuch, auch bei ihnen die Einsicht in die Notwendigkeit der Therapie zu wecken und außerdem ihre Energie zu wecken, diese Therapie nicht nur anfangen, sondern auch durchstehen zu wollen.
Was ist nun die geeignete Therapie? Oder soll ich besser „Rehabilitation" sagen, um klarzulegen, daß es sich dabei keineswegs um eine rein medizinische Aufgabe handelt? Am Anfang steht die körperliche Entgiftung. Sie dauert wenige Tage. Was danach kommt und viele Monate dauert, ist in erster Linie eine psychologisch-pädagogische Aufgabe. Der Drogenabhängige muß sein Verständnis von sich selbst, sein Verhältnis zu den Mitmenschen, zur Arbeit und zur Gesellschaft ändern.
In der öffentlichen Anhörung, die ich für dringend notwendig halte, müssen uns die Sachverständigen und Praktiker sagen, welche Therapievorschläge es gibt, wie die Therapiemaßnahmen wirken und welche Erfolgsaussichten bestehen: Wie können die Möglichkeiten verbessert werden, Drogenabhängige in Rehabilitationseinrichtungen zu bringen?
Unser Strafrecht und Jugendstrafrecht kennen bereits einige Wège, die in zehn Minuten gar nicht alle aufgezählt und erläutert werden können. Für Drogenabhängige, die mit ihrer Sucht fertigwerden wollen, ist Strafaussetzung zur Bewährung mit Therapieauflage ein geeignetes Mittel. Was aber geschieht, wenn das Urteil Freiheitsstrafe ausspricht, die nach geltendem Recht nur noch unter ganz bestimmten, sehr engen Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden kann, oder wenn das Urteil auf Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren lautet, wo nach geltendem Recht Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr möglich ist?
Die Vorschriften des § 56 des Strafgesetzbuchs müssen überprüft und geändert werden, für Drogensüchtige speziell oder, was ich für besser halte, allgemein.
Wir werden ferner die Bestimmung des § 64 des Strafgesetzbuchs über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu überprüfen haben. Ist der Begriff der Entziehungsanstalt nicht für heutige Verhältnisse zu eng geworden? Sollten nicht auch Drogenrehabilitationszentren der freien Träger, auch wenn sie den Grundsatz der offenen Haustür, den ich für richtig halte, beibehalten, wie Entziehungsanstalten im Sinne des Strafgesetzbuchs behandelt werden?
Es gibt in § 67 eine sinnreiche Bestimmung:
Wird die Unterbringung in einer Anstalt ... neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.
Das heißt: Dann erfolgt zunächst die Entziehung. Ihre Dauer wird. auf die Strafe angerechnet. Das macht es möglich, daß auf die Strafe die Nachsorge und nicht die Justizvollzugsanstalt folgt.
Es ist doch eine Tragödie - das sage ich wegen der Notwendigkeit, mehr Therapieplätze zu schaffen -, wenn man einem Drogenabhängigen, der die Strapazen einer Therapie auf sich nehmen will, sagen muß: Zur Zeit haben wir für dich keinen Therapieplatz, aber im Kittchen ist ein Zimmer für dich frei.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Ende zu kommen.
Wir werden eine Menge von Rechtsvorschriften überprüfen müssen. Wir werden auch die Vorschrift überprüfen müssen, die das Verherrlichen des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln unter Strafe stellt. Niemand will hier eine Zensur aussprechen. Was wir alle wollen, ist ein wirksamer Jugendschutz. Hier müssen wir uns fragen, ob das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften dazu nicht bereits ausreicht.
Die Zahlen der Drogentoten und der Drogenabhängigen sind erschreckend. Die Bevölkerung erwartet, daß der Gesetzgeber das ihm Mögliche tut. Es genügt aber nicht, so schnell wie möglich Flagge zu zeigen. Es gilt, die Geschäftemacher zu bekämpfen und den Abhängigen wirksam zu helfen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir vor kurzem noch von einer besorgniserregenden Entwicklung in der deutschen Drogenszene gesprochen haben, dann müssen wir heute von einer äußerst bedrohlichen und dramatischen Situation sprechen. Das ist, kurz zusammengefaßt, die übereinstimmende Einschätzung aller Fachleute. Das ist die Situation am Jahresanfang 1980: Rund 600 Rauschgifttote im vergangenen Jahr mit absehbar steigender Tendenz für die Zukunft sind ein Signal, das uns letzte Anstrengungen, vor allem aber neue Ideen und neue Wege bei der Rauschgiftbekämpfung abverlangt.
Wir dürfen dabei nicht übersehen, daß in der Vergangenheit in diesem Bereich von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern bereits viel unternommen worden ist und daß auch immer wieder beachtliche Einzelerfolge erzielt worden sind. Ich darf hier insbesondere darauf verweisen, daß der Bundesminister des Innern und seine beiden Vorgänger im polizeilichen Bereich, beim grenzüberschreitenden Verkehr und in vielen anderen Bereichen, beachtliche Erfolge erzielen konnten.
Trotzdem wissen wir, daß der durchschlagende Erfolg versagt geblieben ist.
Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung jetzt ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs verabschiedet hat, das bisherige bewährte Maßnahmen mit neuen zusätzlichen Abwehrmaßnahmen bündelt. Aber gleichzeitig wissen wir auch, daß wir uns nicht der Illusion hingeben dürfen, daß dies alles sofort greift. Gerade in den wichtigsten Punkten ist es ein Langzeitprogramm. Sicherlich wäre es der Zugriff an der Wurzel des Übels, das Verbot illegalen Drogenanbaus auch wirklich durchsetzen zu können. Aber die Länder, in denen der Anbau erfolgt, sind nicht nur die wirtschaftlich ärmsten Landstriche dieser Erde, sondern es sind auch weitgehend jene politischen Krisengebiete, wo oft eine instabile Regierung überhaupt nicht in der Lage ist, das durchzusetzen, wozu sie nach internationalen Vereinbarungen bereits heute gehalten ist.
Wir beraten heute den Gesetzentwurf zur Neuregelung des Betäubungsmittelrechts, zu dessen strafrechtlichem Teil ich sprechen werde. Für uns ist es klar, daß wir mit dem Strafrecht in seinen bisher eingefahrenen Gleisen nicht zu einem Erfolg kommen werden. Die Rückfallquote strafentlassener Drogensüchtiger ist so hoch wie in keinem anderen Bereich. Es ist noch schlimmer: Wir wissen, daß mittlerweile die Strafanstalten zu Brutstätten der Drogenabhängigkeit geworden sind. Wollte man auch nur halbwegs das Einschmuggeln von Rauschgift in Strafanstalten verhindern, so wären wir gehalten, fast all das rückgängig zu machen, was wir in den letzten Jahren beschlossen haben, um eine bessere Resozialisierung Strafgefangener zu erreichen: der Besuch von Verwandten, Freigänger und viele andere Maßnahmen, die sich zur Wiedereingliederung voll und ganz bewährt haben.
Ich meine, wenn wir die Waffe des Strafrechts als einen wesentlichen Beitrag einsetzen, dann müssen wir dieses Instrument gezielter und differenzierter anwenden. Den gewerbsmäßigen Händler und Zulieferer, den Großfinanzier soll die ganze Härte eines verschärften Strafrechts treffen. Aber umgekehrt muß für den drogenabhängigen Täter, der vielleicht auch dealt, aber beschränkt auf geringe Mengen, um seinen eigenen Bedarf zu finanzieren, der Grundsatz gelten: Therapie statt Strafe. Wir sind in diesem Zusammenhang gerade auch dem Bundesinnenminister dafür dankbar, daß er sich über seine polizeiliche Kompetenz und seinen Zuständigkeitsbereich hinaus als verantwortlicher Politiker hier besonders stark für diesen Grundgedanken eingesetzt hat.
Diesen Grundsätzen der Differenzierung entsprechend begrüßen wir es, daß die Höchststrafe für besonders schwere Fälle von 10 auf 15 Jahre angehoben wird, ja wir wollen für die Beratungen bei klarer und enger Abgrenzung nicht einmal von vornherein die Einführung der lebenslangen Freiheitsstrafe ausschließen.
Aber wichtiger als all dies ist es, daß der Versuch, den Grundsatz „Therapie statt Strafe" zu praktizieren, in der Zukunft auch wirksam realisiert wird. Es
kann dabei nicht darum gehen, Gesetzesverstöße in irgendeiner Form zu bagatellisieren.
Für uns ist es auch kein Thema, daß Haschisch etwa legalisiert werden könnte. Bei der Dauerdiskussion zu diesem Thema möchte man den Leuten, die sich daran beteiligen, eigentlich zurufen: Ihr lieben Leute, eure Sorgen möchten wir einmal haben ({0})
angesichts des wirklichen Problembergs, der vor uns liegt.
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- Ich sage dies in alle Richtungen und pflege diese meine Meinung und die Meinung meiner politischen Freunde nirgends geheim zu halten. Diese halten es ebenso.
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Uns geht es darum, daß der Drogenabhängige, der ein Suchtkranker ist, weit stärker als bisher die Chance erhalten soll, sich von seiner Abhängigkeit zu befreien und wieder einen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Nun wissen wir, daß unser geltendes Strafrecht dafür nicht ganz zweckentsprechend zugeschnitten ist. Sicher, wir haben die Strafaussetzung zur Bewährung, verbunden mit der Weisung, sich einer Entziehungskur zu unterziehen. Das bietet Möglichkeiten, von denen bisher bereits in erheblichem Umfange Gebrauch gemacht worden ist, aber es läßt den Betroffenen mit dem Makel einer Vorstrafe behaftet sein. Wir haben zum anderen eine Vorschrift, die diesen Makel nicht beinhaltet, die Verwarnung unter Strafvorbehalt, die aber ihrer materiellen Konstruktion nach viel zu eng gefaßt ist, um hier entsprechende Anwendung finden zu können.
Deswegen werden wir uns überlegen müssen, ob wir nicht, ganz gezielt auf Drogenabhängige, eine neue Bestimmung, die an der Verwarnung unter Strafvorbehalt anknüpft, schaffen sollen, um hier wirklich etwas bewirken zu können.
Damit nicht genug. Es ist ein weiterer Mangel, daß regelmäßig sehr viel Zeit zwischen dem ersten Aufgriff des Täters und seiner späteren Behandlung vergeht. Dies kann nicht richtig sein; denn wichtig ist auch die tatnahe Therapie. Deswegen sollte man prüfen, wie im Rahmen unserer Strafprozeßordnung Möglichkeiten geschaffen werden können, um jenem Drogenabhängigen, der nicht Dealer ist und nur im Besitze von Rauschgift zum eigenen Gebrauch angetroffen wurde, gerecht zu werden.
Wir halten dagegen nichts von der Schaffung eines neuen Tatbestandes, der die Verherrlichung des Rauschgiftmißbrauchs unter Strafe stellt. Das klingt zwar gut, weil plakativ, aber es wird praktische Auswirkungen nicht zeitigen.
Ich gebe zu bedenken, ob es nicht der richtigere Weg ist, im Sinne des Jugendschutzes einmal abzuwarten, was die Bundesprüfstelle für jugendgefähr15946
dende Schriften zu diesem Problem entscheiden wird.
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Wir wissen, daß alle Bemühungen um- bessere Therapie bloßes Papier bleiben werden, wenn es nicht gelingt, eine ausreichende Zahl von Therapieplätzen zu schaffen. Der Herr Bundesminister der Justiz hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es ohne Behandlungsplätze nicht gehen wird, daß diese Behandlungsplätze, in ausreichender Zahl, das Entscheidende sind, weil man in der Praxis sonst - bei allen Gesetzesänderungen, die wir hier vornehmen mögen - zu dem traurigen Grundsatz „Weder Therapie noch Strafe" gelangen würde.
Es ist in der veröffentlichten Meinung des heutigen Tages ein Konflikt zwischen dem Bundesinnenminister und dem Bundesjustizminister hervorgehoben worden. Mir erscheint dieser Konflikt konstruiert. Denn beide wissen, daß wir gesetzliche Änderungen brauchen, um Therapie statt Strafe zu praktizieren, daß dies in die Praxis aber nur dann umgesetzt werden kann, wenn genügend Plätze vorhanden sind. Deswegen verlangen wir, daß man darangeht, diese Plätze zu schaffen. Staatsbürokratisch allein, durch Errichtung vieler neuer, großer Anstalten wird dies nicht gehen. Es geht nur, wenn man Hilfe zur Selbsthilfe praktiziert,
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mit öffentlichen Mitteln die unterstützt, die bereit sind, sich privat und als freie Träger zu engagieren.
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In der Stiftung „Theodor-Heuss-Preis" haben wir unter dem Vorsitz von Frau Staatsminister Dr. Hildegard Hamm-Brücher schon 1972 eine Initiative in München ausgezeichnet und finanziell unterstützt, die sich dieser Aufgabe gewidmet hat. Aus dieser Arbeit weiß ich, mit welchem Erfolg. Heute ist Eile geboten. Mehr Plätze zu schaffen, darf nicht beginnen, wenn die von uns beratene Novelle im Bundesgesetzblatt steht. Der richtige Anfang für diese Maßnahmen ist der kommende Montag.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Drogensituation in unserem Land ist bedrückend. Die Zahlen sind bekannt. 1976 gab es 340 Todesfälle, 1978 430, im vergangenen Jahr 600; im Jahre 1980 rechnet man mit mehr als 700 Personen, die an Heroin sterben werden. Die Zahl der Fixer wird auf 60 000 bis 70 000 geschätzt. Die Arbeitsgemeinschaft der Drogenberatungsstellen beziffert die Konsumenten harter Drogen mit 80 000.
Ich nenne diese Zahlen jetzt nicht, um ein Patentrezept vorzuschlagen, wie man das alles bekämpfen kann. So wichtig konkrete Maßnahmen auch sind:
Wir haben, glaube ich immer noch Anlaß, Fragen zu stellen. Wir haben immer noch Anlaß, zu fragen, ob unsere Informationen hinreichend zuverlässig sind, ob wir genug wissen. Denn wenn wir mehr wüßten, wären unsere Maßnahmen wahrscheinlich auch wirksamer.
Ich will auch einmal darauf hinweisen, daß dann, wenn so ein Problem dramatisch wird, sehr schnell nach dem Staat, nach staatlichen Maßnahmen gerufen wird. Wir wissen, daß das Problem dadurch nicht gelöst wird. Deswegen wäre es wichtig, daß wir uns darauf verständigen: Wir - die Politiker, die Regierenden - können zwar viel tun, aber wichtig ist, daß - Herr Engelhard hat es ausgesprochen - die Selbsthilfegruppen, die freien Träger, dezentral strukturierte Organisationen - familiäre Selbsthilfegruppen nicht zu vergessen - dem Problem mit staatlicher Unterstüzung zu Leibe rücken; denn die können das am besten.
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Ich zweifle manchmal, ob man sich dessen überall klar bewußt ist. Wenn man sich darauf verständigt, haben wir vielleicht auch die Berechtigung, eine Frage an die Bürger unseres Landes zu richten.
Nach einer bayerischen Repräsentativuntersuchung aus dem Jahre 1976 nehmen bereits 6 % der Jugendlichen zwischen zwölf und 24 Jahren regelmäßig Schlaf-, Schmerz- oder Anregungsmittel. Bei den Erwachsenen dürfte diese Zahl wesentlich höher liegen; es gibt 500 000 Medikamentensüchtige. Ich frage, ob die illegale Droge nicht auch eine folgerichtige Ergänzung dieser Entwicklung ist. Ich möchte noch etwas tiefergehend fragen.
In den vergangenen Jahrzehnten ist eine vielfache Steigerung der Zahl der Abhängigen von Alkohol und Medikamenten ohne großes Aufsehen hingenommen worden. Fachleute haben sich dazu geäußert. Wir stellen auch bei Alkohol- und Medikamentenabhängigen eine Verschiebung zu immer jüngeren Jahrgängen fest. So stellt sich die unangenehme Frage: sind diese Süchtigen der Preis, den wir für unsere freiheitliche Gesellschaft - auch „Konsumgesellschaft" genannt - bezahlen müssen? Sind wir dabei, uns mit 50000 jugendlichen Opiatabhängigen in unserer Gesellschaft einzurichten, so wie wir uns teilweise mit den Medikamentensüchtigen eingerichtet haben? Unsere Fragen und unsere Initiativen, unser Antrag dienen auch der Klärung dieser Fragestellung.
Darüber hinaus möchten wir konkret auf folgendes aufmerksam machen. Es gibt Lücken in der Bekämpfung der Suchtgefahren. Die größte liegt in der ambulanten Beratung und Therapie. In einer Denkschrift der Caritas ist festgehalten, daß nur 28 % aller Suchtkranken eine stationäre Therapie benötigen, darunter nur knapp die Hälfte eine längerfristige Therapie von durchschnittlich vier Monaten Dauer. Uber zwei Drittel aller Suchtkranken könnten ausschließlich ambulant behandelt werden, wenn es die notwendigen Einrichtungen gäbe: wirksamer, billiger, schneller, zügiger. Von etwa 300 bis 400 Beratungsstellen für Suchtkranke im BundesgeKroll-Schlüter
biet entsprechen nur etwa 100 dem Standard einer Fachambulanz.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?
Herr Kollege Kroll-Schlüter, halten Sie nach dem, was Sie eben vorgetragen haben, den Beschluß der Länderfinanzminister vom 24. Januar dieses Jahres für besonders weise und förderlich, wonach das geplante Bund-Länder-Programm zur besseren Versorgung psychisch Kranker sich ausdrücklich nur noch auf die stationäre Behandlung beziehen soll?
Ich finde Ihre Frage in diesem Zusammenhang schlecht plaziert.
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Ich wollte, wenn ich so sagen darf, ganz emotions-freie Ausführungen machen,
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auch ganz ohne politische Angriffe. Aber wenn Sie schon so gefragt haben, möchte ich darauf hinweisen, daß das Verhalten der Bundesregierung - beim Krankenhausfinanzierungsgesetz - auch dazu führt, daß die Bettenzahl in diesem Bereich leider reduziert werden muß. Insofern haben wir alle keinen Anlaß, das Problem hierhin und dahin zu schieben. Vielmehr müssen wir gemeinsam dafür sorgen, daß die Zahl der Betten nicht auf diese Art und Weise reduziert wird.
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Um nur die jährliche Zuwachsrate von Suchtkranken entsprechend behandeln zu können, benötigt man jedoch rund 600 Fachambulanzen. Diese sind auch deshalb so wichtig, weil nur hier die notwendige Frühhilfe und Prävention geleistet werden kann. Daneben hat sich gezeigt, daß jede Klinikbehandlung nur dann mit einem dauerhaften Erfolg rechnen kann, wenn eine ausreichende ambulante Weiterbehandlung gewährleistet ist,
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die auch die Zusammenarbeit mit den Selbsthilfeorganisationen der Suchtkranken - es gibt viele - einschließt. Die Betriebskosten für Fachambulanzen sind, gemessen an den Krankenhausbehandlungen, gering.
Eine weitere Lücke tut sich bei der Kostenregelung auf. Es gibt kaum noch einen Grund dafür, diese Lücke nicht alsbald zu schließen. Denn die Kostenregelung - die Feststellung, wer die Kosten übernimmt - ist zu kompliziert, zu bürokratisch, sie ist nicht eindeutig genug. Es muß festgestellt werden, ob der Klient kranken- bzw. rentenversichert ist. Dem jeweiligen Versicherungsträger gegenüber muß ein entsprechender Antrag gestellt werden. Der Betreuer muß beachten, welche Einrichtung gerade von diesem Versicherungsträger unterstützt und belegt wird. Wochen gehen ins Land. Der Patient flüchtet wieder in die Drogenszene. Es ist eine ganz konkrete Maßnahme notwendig. Hier muß schnell Abhilfe geschaffen werden.
Ein wirksames Handeln setzt eine breite Anlage voraus. Handlungsschwerpunkte sind nach unserer Meinung sozialpolitische Maßnahmen zur Sicherung der Existenzgrundlage der Gefährdeten - das ist oftmals sehr wichtig für den Erfolg -; bildungspolitische Maßnahmen zur optimalen Förderung des einzelnen und zur bestmöglichen Qualifikation; fürsorgerische Maßnahmen zur Unterstützung jener, die in persönliche Not geraten sind; gesundheitspolitische Maßnahmen unter Absprache mit den Ländern zur Fortschreibung des gemeinsamen Aktionsprogramms, insbesondere zur Sicherstellung eines flächendeckenden Hilfeangebots einschließlich Nachsorge; aufklärende Maßnahmen mit dem Ziel, alle Bevölkerungskreise, insbesondere aber Jugendliche und deren Eltern mit der Problematik des Süchtigenverhaltens bekannt zu machen und - darauf werden meine Freunde im einzelnen noch eingehen - polizeiliche Maßnahmen zur Reduzierung des Suchtmittelangebots für Jugendliche sowie schließlich gesetzliche Maßnahmen.
Ich habe ja schon mehrmals darauf hingewiesen, daß es gar keinen Grund mehr dafür gibt, z. B. die Novellierung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit jetzt nicht endlich dem deutschen Parlament vorzulegen. Es gibt keinen Grund dafür, warum es jahrelang in der Schublade des Familienministeriums gelegen hat. Der Zeitgeist war dagegen - das ist richtig -, aber hier kann man sehen, welche Kraft Politik eigentlich haben müßte; d. h. man muß auch in Zeiten, in denen es nicht so populär ist, das Notwendige rechtzeitig tun. In diesem Falle ist das leider versäumt worden.
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- Ich will aber auch anerkennen - vielleicht wissen Sie das noch gar nicht, weil Sie ja in allen Bereichen so sachkundig sind, Herr Kollege -, daß die freien Verbände mittlerweile mit einem entsprechenden Vorschlag befaßt sind. Vielleicht können wir noch in dieser Legislaturperiode eine Novellierung erreichen.
Das Suchtmittelproblem ist durch viele Faktoren gekennzeichnet: Wohlstand, materielle Hindernisse, fehlende Erfolgserlebnisse, mangelnde menschliche Kontakte, durch die Zentralisierung vieler Lebensbereiche, Orientierungsschwierigkeiten. Die Folge von Angst ist Aggressivität oder Resignation; die Folge davon ist Alkoholismus, Drogensucht, Jugendsekten und Kriminalität. Die Schule, oftmals hier zu einem Spektakulum des Desasters geworden; manchmal ehe- und familienfeindliche Lebensbedingungen und Gesetze gefährden den sozialen Nahraum der Familie. Ich möchte auf das hinweisen, was wir gestern gesagt haben.
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Die Stärkung der Familie, des sozialen Nahraums,
die Förderung auch durch Forderung junger Men15948
schen, die Abkehr von materiellem Denken hin zu menschlicher Solidarität sind geboten und stellen wirksame Maßnahmen im Kampf gegen die Suchtgefahren dar.
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Herr Pastor Fiebig und Kollege, die Haltung, mit der Sie so etwas verfolgen und anhören, entspricht leider der Haltung, die Sie auch in den vergangenen Jahren eingenommen haben. Deswegen stellt sich das Problem z. T. auch heute so.
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- Es wäre besser, Sie hätten die entsprechenden Initiativen der Opposition mit hinreichendem Ernst und Intensität unterstützt.
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Vielleicht wären wir dann ein Stück weitergekommen.
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- Das haben wir beim Jugendhilferecht schon dadurch bewiesen,
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daß wir einen eigenen Entwurf vorgelegt haben, daß wir Alternativanträge gestellt haben und daß wir in der Generalaussprache mehrmals betont haben, wo für uns Kompromisse möglich sind. Wir hätten ja zum Beispiel auch in der ersten Sitzung sofort die zentrale Frage zur Abstimmung stellen können: Sind Sie bereit, mit der gesamten Fachwelt und uns dafür zu sorgen, daß das Jugendhilfegesetz nicht in das Sozialgesetzbuch hineinkommt, wie Sie das wollen? Wir haben darauf verzichtet
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- sofort, Herr Kollege Hasinger -, weil wir einen Kompromiß anstreben wollen. Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb Sie ständig diese Unterstellungen machen.
Bitte, Herr Hasinger.
Herr Kollege Kroll-Schlüter, können Sie bestätigen, daß sich ein Entschließungsantrag unserer Fraktion zur Bekämpfung des Rauschmittel- und Drogenmißbrauchs im zuständigen Ausschuß wegen fehlender Mitarbeit der Koalition seit Jahren hinschleppt?
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Das trifft für diese Legislaturperiode zu, und das trifft für die vergangene Legislaturperiode zu.
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- Wir haben in der vergangenen und in dieser Legislaturperiode mehrmals Große Anfragen zu diesem Thema eingebracht. Wir haben im Ausschuß entsprechende Fragen und Anträge gestellt, und Sie wissen, daß sie in einer der nächsten Ausschußsitzungen wieder zur Diskussion stehen. Ich will das ja gar nicht so lobend erwähnen; nur fordern Sie mich dazu heraus. Ich habe von Ihnen bis dato keine Initiative auf dem Tisch des zuständigen Ausschusses des Deutschen Bundestages gesehen.
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Aber lassen Sie das doch; es gibt ja viel mehr Gemeinsamkeiten bei diesem Problem, als dem Eindruck entspricht, den Sie jetzt durch diese provozierenden Fragen erweckt haben. Es gibt doch - das ist schon deutlich geworden - den Willen zu gemeinsamen Anstrengungen. Der Kollege Wittmann hat das angesprochen. Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie diese Haltung der Kooperation und des Miteinander, die wir mit unseren Vorschlägen unter Beweis stellen, nicht entsprechend honorieren.
Herr Kollege, Sie haben noch eine Minute Redezeit.
Darf ich zum Schluß noch einen Gedanken vortragen: Eine Rehabilitation, die eng gefaßt wird und als Ziel die Drogenabstinenz versteht, wäre zuwenig. Ich finde, wir sollten auch einmal überlegen, ob es nicht im Prozeß der psychischen Neuorientierung ethische Werte, Grundwerte geben muß. Der konkreten Gefahr muß dadurch begegnet werden, daß Therapie und Menschenbild miteinander verbunden werden. Inhalte sollten sowohl Lebensqualität als auch Techniken sein, die das Überleben ermöglichen.
Von Fachleuten wird gesagt, zum Ausgang dieser Dekade habe eine Neubesinnung auf Werte begonnen. Dieser Prozeß sollte fortgesetzt werden, damit Werte auch wieder mit in die Drogentherapie einbezogen werden. Dies ist wichtig, damit - so habe ich es dieser Tage gehört - die Drogenfachleute der 70er Jahre nicht zu den Spezialisten der Ratlosigkeit der 80er Jahre werden. Deswegen muß die Familie in die Therapie einbezogen werden, deswegen muß es in Verbindung mit der Therapie eine wertgebundene Orientierung als Grundlage erfolgreicher Suchtbekämpfung geben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marschall.
Frau Präsident! Werte Damen und Herren! Im Rahmen der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit sind der von der CDU/CSU eingebrachte und der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts wohltuend sachlich dargestellt und kommentiert worden.
Herr Kroll-Schlüter, zu Ihren letzten Bemerkungen: Ich bin davon überzeugt, wenn wir in unserem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit einige Themen mit der gleichen Sachlichkeit wie
heute hätten diskutieren können, wären wir sicherlich weitergekommen. Eines ist wohl festzuhalten: daß jedesmal, wenn von Ihrer Seite das Thema aufgebracht wurde, es auch von allen Fraktionen diskutiert wurde. Ebenso fest steht, daß eine Beratung der Kleinen Anfrage der Fraktionen von SPD und FDP zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität vom 17. Oktober und der Antwort der Bundesregierung bevorsteht.
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Der von der Unionsfraktion vorgelegte Antrag zur Bekämpfung der Rauschmittelsucht auf Drucksache 8/3363 unterstreicht, daß zur Bewältigung dieses vorrangigen Problems eine Fülle von Maßnahmen notwendig erscheint. Die sozialdemokratische Fraktion sieht ebenfalls in der Vielzahl der Aufgabenfelder die entscheidenden Ansatzpunkte für die dringende Verbesserung der Lage unzähliger Rauschmittelabhängiger auch in unserem Lande.
Dies gilt schon für die geographische Kette vom Erzeugerland über die Durchgangsländer bis zum Absatzort von Suchtmitteln. Wir unterstützen voll die Maßnahmen der Bundesregierung, die im Rahmen des fortgeschriebenen Aktionsprogramms von 1970 auf internationaler Ebene durchgeführt werden. Nur wenn es gelingt, z. B. in den Mohnanbauländern des Nahen und Mittleren Ostens wirksame Einschränkungen durchzusetzen, kann der Drogengiftstrom in die Absatzmärkte der Wohlstandsländer entscheidend eingedämmt werden.
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Die entwicklungspolitischen Programme zur landwirtschaftlichen Umstrukturierung der Gebiete mit illegaler Rauschgiftproduktion sind auch deshalb begrüßenswert.
Nur wenn es gelingt, die Maßnahmen von Polizei und Zoll auf internationaler Ebene zu verstärken und wirksam abzustimmen, kann schon in den Transitländern und an den Grenzen unseres Landes den gewissenlosen Händlern der Krankheit und des Todes das Handwerk gelegt werden. Für die erfolgreichen Bemühungen auf diesem Feld, vor allem der Behörden der Transitländer in Südosteuropa, sollte an dieser Stelle auch einmal Dank gesagt werden. Die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden schließt hier an.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 8/ 3347 vom November 1979 - vorhin erwähnt - weist auf eine Vielzahl der Leistungen und auch der eingeleiteten Initiativen hin.
Ihrem eigenen heute vorliegenden Antrag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, ist zu entnehmen, daß die Möglichkeiten des Bundesgesetzgebers beschränkt, die Aufgaben hingegen auf viele Schultern in unserer Gesellschaft verteilt sind. Ich hätte heute von der Opposition gern ein noch offeneres Wort gehört, nämlich, daß angesichts des Elends vieler unserer Mitbürger keine Gesundheitsbehörde, kein Land, keine politische Kraft, keiner sich auf die Brust klopfen und behaupten kann, er hätte stets alle seine Aufgaben gänzlich erfüllt und alle vorhandenen Möglichkeiten voll genutzt.
Die sozialdemokratische Fraktion sieht in einem Ausbau repressiver, d. h. auch gesetzgeberischer Maßnahmen gegen Rauschmittelverbreitung eine Notwendigkeit, keinesfalls aber eine Lösung des Problems. Wir treten entschieden dafür ein, daß die gnadenlosen Geschäftemacher mit dem Unglück der Menschen mit aller Härte des Gesetzes getroffen werden.
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Hier treffen sich die Bemühungen der verschiedenen Seiten des Hauses, wenn es z. B. um die Anhebung der Höchststrafe geht.
Wenn es aber um diejenigen geht, die aus ihrer Drogensucht heraus gegen die Interessen der Gesellschaft handeln, bedarf es anderer Maßstäbe.
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Wenn auch gelten muß, daß Menschen wegen ihrer Sucht nicht abseits der Rechtsordnung leben können, so gilt doch andererseits, daß, wann immer eine Therapie begründet ist und eine Chance auf Heilung besteht, Strafe einer Befreiung von der Sucht nicht im Wege stehen darf.
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Das unterscheidet uns ganz deutlich von den konservativen Aposteln einer Zwangstherapie, die in sich selbst widersinnig und unmenschlich ist. Die Rezepte aus dem bayerischen Justizministerium führen die Betroffenen jedenfalls in eine Sackgasse.
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Herr Wittmann hat vorhin die Vereinbarkeit von Strafvollzug und Drogentherapie betont. Für die kommenden Beratungen wird sicherlich zu diskutieren sein, wie das mit der Tatsache zu vereinbaren ist, daß Drogenabhängige auch in Gefängnissen sehr oft illegalen Zugang zu Drogen erhalten. Man wird sich auch mit folgendem Beschluß auseinandersetzen müssen, den ich hier kurz zitieren darf:
Eine über die körperliche Entgiftung, die ärztliche Hilfe bei Vergiftungs- und Entziehungserscheinungen und die allgemeine anstaltsärztliche Versorgung und Betreuung hinausgehende psychische Behandlung und Rehabilitation kann drogenabhängigen Untersuchungsgefangenen in Justizvollzugsanstalten nicht gewährt werden.
Dies ist ein Beschluß der Konferenz der Justizminister der Bundesländer aus dem Jahre 1978. Es wird ausdrücklich betont, daß für die weitere Behandlung Drogenabhängiger Justizvollzugsanstalten weder geeignet noch bestimmt sind. Damit
wird sich sicherlich auch Herr Wittmann auseinandersetzen müssen.
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- Natürlich, da sind wir einer Meinung.
Neben der im Regierungsentwurf zu § 11 Abs. 5 vorgesehenen erweiterten Möglichkeit, von Strafe abzusehen, werden wir zur Öffnung der therapeutischen Rehabilitation der Drogenabhängigen, die wegen ihrer Sucht mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, im Laufe der Beratungen bemüht sein, gangbare Wege einer Erleichterung der Strafaussetzung zur Bewährung wie auch des Absehens von einer Bestrafung unter bestimmten Voraussetzungen zu suchen. Suchtkranke finden nur mit ihrem eigenen Willen und anderer Menschen Hilfe den Weg zurück. Daran müssen diese Entscheidungen in ihrer Bedeutung für die Therapiewilligen gemessen werden. Das könnte ein wichtiger Schritt zu mehr Humanität in unserem Lande werden.
Daß den Ländern bei der Schaffung von ausreichenden Therapieeinrichtungen verfassungsgemäß eine besondere Verantwortung zuwächst, ist offenkundig. Spürbare finanzielle Opfer der Gesellschaft sind dabei unumgänglich.
Ich habe bereits erwähnt, daß mit repressiven Maßnahmen allein eine Lösung des Problems nicht zu erreichen ist. Wir brauchen weiterhin mehr Aufklärung, mehr vorbeugende Beratung, mehr Hilfe in den gefährdeten Bereichen unserer Gesellschaft, wirksamere Formen der Therapie und sinnvolle Nachsorge, wobei den vorbeugenden Maßnahmen besonderes Gewicht beigemessen werden muß. Selbsthilfegruppen und Elternkreise bedürfen stärkerer Hilfe, diese allerdings möglichst flexibel und unbürokratisch.
Kennzeichnend in diesen Bereichen, wenn es um Erfolg oder Nichterfolg geht, ist nicht ein Mangel an Ideen, Initiativen und Modellen, sondern eher ein Mangel an Durchsetzungsvermögen in gesellschaftlichen Gruppen wie in der Verwaltung. Wir sollten in den Ausschußberatungen die schwachen Stellen des Gesundheitssystems in diesem Bereich feststellen und gemeinsam über Abhilfe beraten. Das betrifft z. B. die Frage der Kostenträgerschaft und der zur Verfügung stehenden therapeutischen Einrichtungen, d. h. auch die unverzügliche Bereitstellung von Therapieplätzen. Jedenfalls ist es nicht gerechtfertigt, gegenüber der Offentlichkeit den Eindruck zu erwecken, mit einem besseren Gesetz oder mit einem umfassenderen Aktionsplan seien die Probleme der Rauschgiftsucht im wesentlichen zu regeln.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen. Die Aufklärung über die Gefahren des Alkohols ist seit einigen Jahren weit verbreitet. Der Gesetzgeber hat zum Schutz der Jugendlichen strenge Vorschriften eingeführt. Dennoch wird immer wieder berichtet, daß sich fast jeder Zehnjährige im nächsten Supermarkt ohne Schwierigkeiten mit Spirituosen versorgen kann. Wer den Zusammenhang des Gebrauchs der Suchtmittel Alkohol und Tabak - mit dem unüberschaubaren Heer ihrer
jährlichen Opfer - und des Einstiegs in die Drogenabhängigkeit sieht, kann sich den Anforderungen an die gesamte Gesellschaft nicht verschließen.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Ende zu kommen.
Das beginnt bei der Frage, woher denn eigentlich die starke Konsumorientierung so vieler Menschen rührt, und führt über die Probleme der Werbung bis zu grundlegenden gesellschaftspolitischen Fragen. Die Bedeutung eines neuen Jugendhilferechts etwa ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen.
Wir sollten in den bevorstehenden Beratungen gemeinsam darauf hinwirken, daß in Zukunft die Hilfe untereinander ein größeres Gewicht gewinnt. Die SPD-Fraktion wird ihren Beitrag zu den Beratungen leisten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Eimer ({0}).
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die vier vorliegenden Gesetzentwürfe zum Betäubungsmittelrecht haben zum Ziel, die entsprechende Zunahme von Rauschmittelgebrauch und Rauschmittelkriminalität einzuengen. Die erschreckenden Hintergründe sind von meinen Vorrednern schon aufgezeigt worden. Ich brauche mich deshalb diesbezüglich nicht weiter zu äußern.
Wir meinen aber, daß Gesetze, Strafen und Verbote nur ein Mittel dazu sind, diese Gefahr einzudämmen. Sie können aber allein nichts ausrichten. Man muß bei der Frage der Suchtmittelbekämpfung dies in einem größeren Zusammenhang sehen. Die FDP hat deshalb in einer Fachkommission unter der Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs Andreas von Schoeler ein umfassendes Programm zur Bekämpfung der Drogensucht und der Drogenkriminalität vorgelegt.
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Dieses umfassende Programm, das nicht nur Strafe, sondern auch Therapie und alle anderen umfassenden Probleme anspricht, wird unser Maßstab für die Beratung in diesem Hause sein.
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Die Angebote der Opposition, die heute seitens des Kollegen Wittmann erfolgten, lassen hoffen, daß der Gesetzentwurf zügig und sachlich beraten wird.
Die rechtlichen Maßnahmen wurden bereits von meinem Kollegen Engelhard besprochen. Sie sind aber nur ein Aspekt unter mehreren. Ich glaube, es gibt insgesamt vier Bereiche, in denen wir Aktivitäten anregen müssen. Die rechtliche Seite, der vorgelegte Entwurf, ist dann vollkommen, wenn nicht das Prinzip „Therapie statt Strafe" stärker eingebaut wird. Diese Therapie statt Strafe ist aber nur dann
Eimer ({2}) .
möglich, wenn wir ein breites Angebot an Therapieplätzen vorlegen. Dieses Angebot liegt zur Zeit noch nicht vor.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Herr Kollege Eimer, würden Sie, damit sich die Diskussion nicht schlagartig verengt, mit mir übereinstimmen, daß auch dann, wenn man - wie ich beispielsweise - das Prinzip „Therapie statt Strafe" bejaht, es daneben Fälle geben kann, in denen Therapie während Strafe stattfindet?
Herr Kollege, ich werde im einzelnen noch auf diesen Punkt eingehen. Ich bin nicht der Meinung, daß man Therapie in einer Strafanstalt gut vornehmen kann. Die Gründe dafür hat unter anderem mein Kollege Engelhard schon aufgezählt. Ich bin jedoch mit Ihnen einig, daß man nicht allen Fällen das Prinzip „Therapie statt Strafe" befolgen kann. Das wurde hier auch schon ausgeführt. Ich denke z. B. an diejenigen Dealer, die aus Gewinnsucht andere Menschen zum Drogenkonsum verführen.
Zur Zeit gibt es auf dem Gebiet der Therapie erhebliche qualitative und quantitative Unterversorgungen. Es gilt, diese Unterversorgung zu beseitigen. Wir wollen uns auch nicht auf ein ganz bestimmtes Therapieangebot festlegen. Wir brauchen ein breites Angebot verschiedener Therapieformen und -möglichkeiten.
Wir meinen, im einzelnen muß folgende getan werden: Die Zahl der Drogenberatungsstellen ist zu erhöhen und ihre personelle Ausstattung ist zu verbessern. Angestrebt wird von uns eine Dichte des Beratungsnetzes von einer Beratungsstelle für 150000 Einwohner. Die Offentlichkeit ist über die Existenz und die Anschriften von Beratungsstellen besser zu informieren. Die freie Trägerschaft der Beratungsstellen ist zu verdeutlichen, damit Eltern und Drogengefährdete bzw. -abhängige die Schwellenangst genommen bekommen, die gegenüber staatlichen Einrichtungen vielfach existiert.
Zur Ergänzung des Beratungsprogramms sind bei den Gesundheitsämtern sozialpsychiatrische Dienste einzurichten. Die ständige Fortbildung des Personals in der Beratung und Gesundheitshilfe ist sicherzustellen. Die ärztlichen Standesorganisationen müssen Beratungsstellen für niedergelassene Ärzte einrichten, damit sich diese hinsichtlich der Drogenprobleme sachkundig machen können.
Auch die stationäre Behandlung muß verbessert werden. Die Zahl der stationären Einrichtungen - ich habe das bereits angeführt - reicht gegenwärtig bei weitem nicht aus, um alle Therapiewilligen aufzunehmen. Ein Wartelistensystem für Drogenabhängige ist unzuträglich.
Die stationären Behandlungseinrichtungen sind deshalb bedarfsgerecht auszubauen. Jeder Drogenabhängige muß die Möglichkeit haben, sofort einen Therapieplatz zu erhalten. Private Initiativen und
Hilfe durch Selbsthilfe müssen einen Vorrang erhalten. Selbsthilfegruppen und andere freie Träger haben in der Regel einen weiteren Aktionsradius als staatliche Einrichtungen. Sie arbeiten unbürokratischer und mobilisieren leichter private Hilfe und Mittel. Die Einrichtungen freier Träger von Selbsthilfegruppen müssen deshalb mit wirksamen öffentlichen Mitteln unterstützt werden.
Die drogenabhängigen Straftäter - damit komme ich noch einmal auf Ihre Frage zurück - sollen möglichst außerhalb des Strafvollzuges behandelt werden. Bei der internen Therapie müssen Drogenabhängige gesondert untergebracht werden. Für eine ausreichende Betreuung durch Psychologen, Sozialarbeiter und Sozialtherapeuten ist zu sorgen. Die enge Kooperation mit externen Einrichtungen der Drogenberatung ist sicherzustellen.
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- Ich sehe keinen Unterschied in dem, was ich gerade ausgeführt habe, und dem, was ich auf Ihre Frage geantwortet habe.
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Aber dies alles ist nur eine Seite der Maßnahmen. Langfristig gilt es, die Ursachen des Drogenkonsums zu untersuchen. Eine Koordinierung mit Forschungsprojekten ist nötig, die sich auch mit anderen Formen des Ausstiegs aus der Gesellschaft befassen. Diese anderen Formen des Ausstiegs sind z. B. das legale Rauschmittel Alkohol, Jugendsekten, Terrorismus, die Verweigerung Jugendlicher und der Rückzug in die Apathie. Die Ursachen dieser Fehlentwicklung sind zu untersuchen und zu beseitigen. Ich sehe hier durchaus einen Zusammenhang mit der Familienpolitik, über die wir gestern diskutiert haben, und eine Verbindung zum Jugendhilferecht, das in unserem Ausschuß beraten wird.
Die Bekämpfung muß aber auch über Verteilung und Angebot geschehen. Ich will mich über die polizeilichen Maßnahmen, die notwendig sind, nicht weiter auslassen, weil die Zeit allmählich knapp wird. Es ist aber wichtig, daß diese Maßnahmen auf internationaler Ebene besser zusammengefaßt werden, daß man besser zusammenarbeitet, und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Fahndung und der Eindämmung des Handels.
In der Entwicklungshilfe kommen in verstärktem Maße Aufgaben auf uns zu. Mein Kollege Engelhard hat das schon angedeutet. Ich denke an das Problem, daß in einigen Anbaugebieten z. B. Opium die einzige Einnahmequelle der Bevölkerung ist. Die Beratung über alternative Anbauprojekte, vor allem aber Hilfen bei der Vermarktung der Erzeugnisse können das Angebot von Drogen bei uns kräftig eindämmen. Die skandinavischen Staaten leisten hier vorbildliche Arbeit. Wir können durch gezielte Entwicklungshilfe Entlastung in der Drogenszene hier bei uns in Deutschland schaffen.
Lassen Sie mich zum Abschluß zusammenfassen. Nur ein Bündel von Maßnahmen kann uns helfen: Maßnahmen im sozialen Bereich, Polizeimaßnah15952
Eimer ({2})
men - national und international -, außenpolitische Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe und natürlich Maßnahmen in dem Bereich, zu dem hier Gesetzentwürfe vorliegen, nämlich im rechtlichen Bereich. Ich muß aber nochmals betonen: Diese rechtlichen Maßnahmen sind nur ein Stein im Mosaik. Strafe allein ist unwirksam. Therapie statt Strafe ist für uns der Hauptansatzpunkt. Die vorliegenden Gesetzentwürfe müssen unserer Meinung nach in dieser Hinsicht noch weiter ausgebaut und verbessert werden.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Baum.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beiträge in dieser Debatte haben bisher sehr deutlich gemacht, daß das Problem „Rauschgift" unser gemeinsames Problem ist, nicht das Problem der Regierung, nicht das Problem der Opposition. Die gemeinsame Arbeit zwischen Bund und Ländern muß auf allen Ebenen verstärkt, die Intensität der Anstrengungen drastisch erhöht werden.
Ich möchte einige wenige Punkte skizzieren. Erstens. Die Situation hat sich durch verschiedene Faktoren dramatisch zugespitzt. Wir sind heute in einer Situation, die mit früheren Situationen nicht vergleichbar ist, bezogen auf die Zahl der Süchtigen und die Zahl der Toten. Das billige Angebot gerade an harten Drogen, die mengenmäßige Überschwemmung des Marktes sind wesentliche Faktoren für die Verschärfung der Situation. Wir müssen sogar mit einem weiteren Ansteigen der Süchtigenzahl wie der Zahl der Toten rechnen. Es wäre gefährlich, wenn wir uns hier Illusionen machten. Für eine Trendwende gibt es überhaupt keine Anzeichen.
Die Situation stellt sich wie folgt dar: eine weitere erhebliche Zunahme der Rauschgiftdelikte auch in den ersten neun Monaten des Jahres 1979, über die uns die Kriminalstatistik vorliegt; Anstieg der Sicherstellungsmengen von Heroin, Rohopium, Kokain, LSD und Cannabis; marktbeherrschende Rolle des Heroins und Cannabisharzes aus dem Nahen und Mittleren Osten; zunehmende Belieferung der Drogenszene in der Bundesrepublik Deutschland mit Cannabisharzen aus Marokko, Marihuana aus Südamerika und präpariertem Opium aus dem Mittleren Osten; ausreichende Verfügbarkeit von Heroin - ich sagte es schon - auf den regionalen und örtlichen Drogenszenen; dominierende Rolle türkischer Straftäter beim Heroinhandel und -schmuggel, beim Zwischenhandel jedoch steigende Aktivitäten von Libanesen, Iranern, Jordaniern, Jugoslawen, Griechen, Italienern und Deutschen und voraussichtlich weiterer Rückgang der Delikte der direkten Beschaffungskriminalität.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Ja, gern.
Herr Bundesinnenminister, wenn Sie hier so pauschal von türkischen Tätern sprechen, würden Sie mir zustimmen, daß sich die große Masse der bei uns lebenden türkischen Mitbürger nicht dazu verleiten läßt, sondern daß dies einige Ausnahmen sind?
Ja. Ich stimme Ihnen gern zu. Dieses Mißverständnis darf auf keinen Fall aufkommen. Ich habe in den Verfassungsschutzberichten auch in anderem Zusammenhang immer darauf hingewiesen, daß es sich nur um eine ganz kleine Minderheit der Gastarbeiter, insbesondere der Türken, handelt, von denen hier die Rede ist.
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Zweitens. Das Rauschgiftproblem war und ist nie ein Problem der Polizei. Sie kann praktisch nur das Rauschgiftangebot eindämmen, also Händlerringe zerschlagen und Dealern das Handwerk legen. Sie kann aber nicht die Nachfrage verringern. Vorbeugung, Therapie und Rehabilitation müssen im Vordergrund stehen. Rauschgiftsucht ist eine Krankheit des einzelnen wie eine Krankheitserscheinung der ganzen Gesellschaft, übrigens nicht nur unserer Gesellschaft, sondern auch anderer Gesellschaften, etwa der amerikanischen. Es sind unsere Kinder, die rauschgiftsüchtig werden. Die Bekämpfung der Rauschgiftsucht ist daher eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Wir müssen die Entwicklungen in der Gesellschaft, die zur Sucht führen, korrigieren. Der Therapiegedanke muß das zentrale Leitmotiv für alle Bereiche der Rauschgiftbekämpfung sein, auch im polizeilichen Bereich, auch im strafrechtlichen Bereich.
Drittens. Der Therapiegedanke muß auch in das Strafrecht Eingang finden. Strafe, die Therapie verhindert, ist schädlich. Der umgekehrte Weg ist richtig. Wir müssen auch das Strafrecht als Hebel benutzen, um die Therapie zu stärken. Gerade die Integration des Therapiegedankens in das Strafrecht ist ein deutliches Signal der Hilfe. Gerade unsere Hilfsangebote müssen wir erheblich ausweiten und verbessern. Wir müssen die Abhängigen stärker motivieren und ermutigen, Hilfen anzunehmen und der Drogenszene den Rücken zu kehren. Dies wird beim Süchtigen in der Regel nicht durch die kompromißlose Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs erreicht. Es kommt vielmehr darauf an, daß sich der Abhängige möglichst sofort, nachdem er aufgegriffen worden ist, in eine geeignete Therapie begeben kann. Ich betone: sofort, nicht erst nach Monaten, in denen er im Rauschgiftmilieu verbleibt.
Die Bundesregierung wird daher im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens auf die Aufnahme einer neuen Vorschrift hinwirken, deren wesentlicher Inhalt sich mit der Kurzformel „Therapie statt Strafe" umschreiben läßt. Der Leitgedanke ist, daß eine Bestrafung des Drogenanhängigen einschließlich des kleinen, seine Sucht finanzierenden Dealers dann nicht erfolgen soll, wenn er sich einer Therapie unterzieht. Von einer solchen Regelung wird - Experten bestätigen dies - ein ganz erheblicher Motivationsdruck auf den Abhängigen ausgehen, eine Therapie anzunehmen. Hinzu kommt, daß sich die RehaBundesminister Baum
bilitationschancen deutlich verbessern, wenn der betreffende Abhängige nicht mit einer Vorstrafe belastet ist.
Wir wissen auch, daß dieser Gedanke nur dann umsetzbar ist, wenn endlich mehr Therapiemöglichkeiten geschaffen werden. Ich bekenne: Mit dieser Vorschrift wollen wir auf alle Verantwortlichen einen entsprechenden Druck ausüben.
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Viertens. Die Bekämpfung des Rauschgiftangebots muß an allen Schnittstellen der Rauschgiftkette ansetzen. Wir müssen die Barrieren gegen den Rauschgiftzufluß in den Anbauländern, in den Transitländern, an unseren Grenzen und schließlich im Inland verstärken. Dies gilt vor allem für den Kampf gegen das Heroin.
Erstes Stichwort: Anbauländer. Der Kampf in den Anbauländern muß fortgesetzt werden. Er ist wegen der politischen Entwicklung in diesen Ländern außerordentlich schwierig geworden. Es sind in erster Linie Länder im Nahen und im Mittleren Osten, die durch Reduzierung und Kontrolle des Mohnanbaus einen entscheidenden Beitrag zur weltweiten Rauschgiftbekämpfung leisten können. Unsere Einwirkungsmöglichkeiten sind hier am geringsten. Die Schwierigkeiten einer wirksamen Begrenzungs-
und Kontrollstrategie sind vielfältig. Die Hilfsprogramme der Vereinten Nationen und Maßnahmen im Rahmen der bilateralen Entwicklungshilfe waren bisher nur in begrenztem Maße erfolgreich.
Trotz aller Probleme werden wir aber die Zusammenarbeit mit den Anbauländern weiter intensivieren müssen. Das Bundeskriminalamt hat die notwendigen Vorbereitungen getroffen, sogenannte Rauschgiftverbindungsbeamte zu nationalen Interpol-Zentralstellen im Nahen und im Mittleren Osten zu entsenden. Auch unsere Forderung nach der Einrichtung eines Interpol-Verbindungsbüros im Goldenen Dreieck, dem zweiten großen Anbaugebiet, steht kurz vor ihrer Erfüllung.
Besondere Bedeutung kommt der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten zu, die auf dem Gebiet der Bekämpfung der Rauschgiftsucht große Erfahrungen haben. Ich möchte mich bei unseren amerikanischen Partnern für die außerordentlich gute Zusammenarbeit bedanken, die wir im Februar mit einem Besuch in Washington noch intensivieren werden.
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Stichwort Transit. Wir wissen, daß der weitaus größte Teil des auf dem deutschen Markt befindlichen Heroins auf der sogenannten Balkanroute per Pkw, per Lkw und per Bahn in unser Land gebracht wird, zum Teil auch mit Flugzeugen. Daraus folgt: Die Grenzen der Transitländer müssen dichter werden. Wir werden die entsprechenden Kontrollen zusammen mit den Transitländern noch weiter verstärken. Wir wollen diesen Ländern auch technische Hilfen zur Verfügung stellen, um die Kontrollen auf der gesamten Strecke zu intensiveren. Zu diesem Zweck haben wir bereits bilaterale Verhandlungen mit einigen Ländern aufgenommen. Andere werden
in Kürze folgen. In einigen Transitländern sind bereits erhebliche Sicherstellungen zu verzeichnen; ich nenne Bulgarien und Jugoslawien.
Wir müssen die Bereitschaft der Transitländer anerkennen und fördern, obwohl sie - auch das muß gesagt werden - von der Sucht und den damit zusammenhängenden Problemen nicht so unmittelbar betroffen sind wie wir. Am guten Willen und an der Bereitschaft zur Kooperation fehlt es bei diesen Ländern nicht; das möchte ich ausdrücklich hervorheben.
Stichwort Bundesgrenze. Die Kontrolle an den Grenzen ist in erster Linie Sache des Zolls. Wir haben hier eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Zoll und dem Grenzschutzeinzeldienst sowie der übrigen Grenzpolizei. Ein Programm zur Intensivierung der Grenzkontrollen im Rauschgiftbereich wird derzeit ausgearbeitet. Die durch den Gesetzentwurf erweiterten Befugnisse des Grenzschutzeinzeldienstes passen sich in diese Neuordnung ein.
Allerdings, meine Damen und Herren, dürfen wir auch von einer Intensivierung der Grenzkontrollen keine Wunder erwarten. Bei mehr als 700 Millionen Grenzübertritten im Jahr sind den Grenzkontrollen natürliche Schranken gesetzt. Eine totale Abschirmung gegen das Einströmen von Rauschgift ist nicht möglich.
Stichwort Inland. Wir haben das zur Rauschgiftbekämpfung im Bundeskriminalamt eingesetzte Personal kontinuierlich verstärkt, im übrigen auch die Zusammenarbeit mit den Ländern; das drückt sich in einer ganzen Reihe von Beschlüssen der letzten Monate, auch der Innenministerkonferenz, aus. Noch in diesem Jahr wird das zur Rauschgiftbekämpfung im Bundeskriminalamt eingesetzte Personal auf ca. 100 Vollzugsbeamte gebracht und damit verdoppelt.
Auch in den Ländern ist das für die Rauschgiftbekämpfung eingesetzte Personal erheblich verstärkt worden. Weitere Verstärkungen sind dort geplant. Das polizeiliche Instrumentarium wird also laufend verbessert. Ich denke hierbei insbesondere an das Informationssystem Rauschgift, den Erkennungsdienst Rauschgift, den Einsatz von V-Personen und von Spürhunden und anderes mehr.
Eine letzte Bemerkung. Meines Erachtens muß deutlicher bewußt werden, daß das Rauschgiftproblem nicht isoliert gesehen werden kann. Es ist im Kern ein Aussteigerphänomen wie die Flucht in destruktive Jugendsekten, in das Rockertum, in die Kriminalität, in den Terrorismus. Zahlreiche Faktoren, die die Flucht in die Droge zumindest begünstigen, produziert unsere Gesellschaft selbst. Wir werden unserer Mitverantwortung nur gerecht, wenn wir uns hinwenden, nicht, wenn wir uns abwenden. Gleichgültigkeit, meine Damen und Herren, wäre die erschreckendste Antwort auf das Rauschgiftproblem.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Spranger.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat Einigkeit darüber erbracht, daß die Rauschgiftsucht in der Bundesrepublik Deutschland eine erschreckende Entwicklung zu verzeichnen hat, daß sie längst kein Randgruppenproblem mehr ist, daß sie von ungeheuer politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und menschlicher Dimension ist. Das läßt uns erwarten, daß angesichts der Situation nun endlich auch wirksame Maßnahmen beschlossen und durchgesetzt werden. Niemand darf sich durch Untätigkeit der Verantwortung gegenüber den Süchtigen und Gefährdeten entziehen, und wir dürfen diesen Personenkreis nicht auf ihre eigene Verantwortung verweisen. Die menschlichen Schicksale, die sich hinter den genannten Zahlen verbergen, die tausendfachen menschlichen Katastrophen, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Angehörigen, erfordern den Einsatz aller Möglichkeiten des Staates, unserer Mitbürger, aller gesellschaftlichen Gruppen und der verschiedenen Organisationen. Ich stimme dem zu - Herr Baum sagte das -, daß dies ein gemeinsames Problem ist. Wir sind auch bereit, dieses gemeinsame Problem trotz der bisherigen Versäumnisse gemeinsam zu lösen. Aber wir sind nicht bereit, auch die Verantwortung für die Versäumnisse mit zu übernehmen.
Wegen der Wahrheit und auch wegen gewisser Zwischenrufe sei es gestattet, daran zu erinnern, daß die CDU/CSU in den vergangenen Jahren wiederholt durch verschiedene Anträge und Anfragen auf dieses Problem hingewiesen hat.
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Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung in der vergangenen Woche mit einem Programm nachgezogen ist.
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Wir halten es für sehr kurzfristig und der Langfristigkeit der Probleme nicht angemessen, daß die FDP gestern, am 24. Januar 1980, ein eigenes Programm vorgelegt hat. Hinsichtlich der Ursächlichkeit der heutigen Situation erinnere ich beispielsweise an ein Interview, das „Der Spiegel" am 14. Januar 1980 gemacht hat, das er mit einer Frage an den Bundesinnenminister und Frau Bundesminister Huber beginnt:
Alle Jahre wieder macht die Bundesregierung große Worte über das Drogenproblem. Frau Huber, Herr Baum, können wir uns gleich darauf einigen, daß jetzt niemand von Ihnen ansetzt, die großartigen Verdienste der Bundesregierung bei der Rauschgiftbekämpfung auszumalen?
Frau Huber und Herr Baum haben das ohne einen Widerspruch akzeptiert. Ich brauche nicht zusätzlich an den Brief Ihres eigenen Finanzministers an den Bundeskanzler vom vergangenen Oktober zu erinnern, wo ausdrücklich von einer Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung gesprochen wurde. Ich sage das nur, damit man aus dieser jahrelangen Entwicklung nun endlich erkennt, wie drängend das
Problem geworden ist und daß wir schnell die notwendigen Schritte unternehmen müssen.
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Dazu sind - auch das ist schon wiederholt angeklungen - tiefgreifende und durchaus auch langfristige innen- und außenpolitische Maßnahmen erforderlich. Wir brauchen eine Gesamtstrategie, die sich auf drei Bereiche erstrecken muß: Es ist einmal der Bereich der Vorsorge und Vorbeugung, der zweite Bereich ist die Erreichbarkeit der Suchtmittel, insbesondere der Bereich Angebot und Nachfrage, und schließlich ist es der Bereich der Therapie und Rehabilitation. Eine Verengung auf die Argumentation „Therapie statt Strafe" halte ich angesichts des Ausmaßes der Problematik für viel zu kleinkariert.
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- Wenn Sie hier gewesen wären, hätten Sie verfolgen können, wer alles diese Alternative hier aufgestellt hat.
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- Ich habe sehr gut zugehört. Auch Sie haben sich mit dem Thema beschäftigt, Herr Eimer.
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Es muß - darin sind wir uns wohl einig; das hat auch Ihr Bundesinnenminister im Gegensatz zu den anderen, die hier verengt gesprochen haben, zum Ausdruck gebracht - hier in diesen Bereichen ein Miteinander und Nebeneinander vieler Maßnahmen geben, und man kann hier nicht nur das eine oder das andere einseitig zum Einsatz bringen.
Zum Strafprozessualen hat bereits Kollege Dr. Wittmann und zu Ziffer 3 mein Kollege Kroll-Schlüter Stellung genommen; Herr Dr. Langguth wird sich dazu ebenfalls noch äußern.
Ich möchte mich auf die Möglichkeiten konzentrieren, die bei der Eindämmung des Angebots von meiner Fraktion gesehen werden, die hier zahlreiche nationale und internationale Maßnahmen vorschlägt. Hierbei sollten wir der wirtschaftspolitischen, der außenpolitischen Dimension des Problems mindestens den gleichen Rang wie innenpolitischen Maßnahmen einräumen. Die Rauschgiftsucht muß schon im Ausland wirksam bekämpft werden, im Inland allein ist sie mit Sicherheit nicht in den Griff zu bekommen.
Eine Zahl: Der amerikanische Rechnungshof hat den Umsatz von Rauschgift allein in den Vereinigten Staaten auf jährlich zwischen 35 und 51 Milliarden DM geschätzt. Auch in der Bundesrepublik Deutschland sind es Milliarden-Beträge, an deren Verteilung viele interessiert sind und viele skrupellose Geschäftemacher beteiligt sind.
Der Anbau von Rauschgiften ist in bestimmten Entwicklungsländern konzentriert. Wir müssen zugestehen, daß es diesen Ländern oft nicht an Durchsetzungswillen, aber an der Fähigkeit zur Durchsetzung entsprechender Kontrollmaßnahmen mangelt.
Wir müssen zugestehen, daß der Anbau der Ursubstanzen bestimmter Rauschgifte mit den sozialen Verhältnissen, der Armut in den dortigen Ländern begründet ist. Leider können viele Entwicklungsländer den sogenannten Opium-Bauern keine attraktive Alternative zu dem relativ günstigen und gesicherten Einkommen aus dem Anbau von Mohn anbieten.
Frau Bundesminister Huber hat die Situation heute vormittag an sich zutreffend analysiert. Wir sollten aber auch die richtigen Konsequenzen daraus ziehen und die Maßnahmen ergreifen, die zur Bekämpfung der Rauschgiftproduktion im Ausland möglich sind. Da bietet sich eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen der Opium-Kommission und der verschiedenen UNO-Organisationen an. Die zuständige UNO-Kommission hat bis zum Haushaltsjahr 1980 von der Bundesregierung lediglich 500 000 DM an Unterstützung bekommen - der Etat ist 1980 auf 2 Millionen DM erhöht worden - und kann insgesamt nur etwa 10 Millionen DM zum Einsatz bringen. Das ist absolut unzulänglich. Die Arbeit dieser Kommission würde wesentlich effizienter sein, wenn mehr Mittel zur Verfügung gestellt würden.
Wir brauchen auch Initiativen, um die Regierungen der Erzeugerländer in den Stand zu versetzen, attraktive Verdienstalternativen für die Mohn- und die Cannabis-Bauern zu schaffen. Ich stimme hier Herrn Marschall ausdrücklich zu, der das dargelegt hat.
Wir sollten auch überlegen, ob wir diesen Regierungen nicht mehr Mittel zum Ankauf der Produktion der Urstoffe für Rauschgifte zur Verfügung stellen sollten; denn der Abbau dieser Produktionen und die Aufarbeitung dieser Produktionen, um zu verhindern, daß sie auf die Märkte kommen, ist die entscheidende Voraussetzung für die Minderung des Rauschgiftangebots bei uns.
Sicherlich ist auch die Zusammenarbeit der europäischen Staaten im Rahmen der sogenannten Pompidou-Initiative zu unterstützen. Wenn die aber zusammensitzen und nur ihre tiefe Besorgnis zum Ausdruck bringen - wie es heute früh erwähnt wurde -, reicht das einfach nicht aus. Hier müssen konkrete Entscheidungen fallen.
Die deutschen Botschaften in den Erzeuger- und Transitländern - das berührt uns unmittelbar - sollten intensiver als bisher über die jeweilige Situation berichten. Es wurde von Drogenbeauftragten gesprochen. Ein anderer Ausdruck dafür wäre: „Drogen-Attaché". Wir haben seit einem Jahr die entsprechenden Forderungen erhoben. Wir hören mit Freude, daß nun Kontaktbeamte eingesetzt werden sollen. Das ist etwas, was die Niederlande und Frankreich beispielsweise in Ostasien seit graumer Zeit mit Erfolg praktizieren. In Gesprächen im Innenausschuß haben wir gehört, daß das Bundeskriminalamt angesichts der angespannten Personallage niemanden entbehren könne. Ich meine, wir müssen dann eben die Möglichkeiten schaffen, damit wir nicht Chancen ausschlagen, die durch die Schaffung solcher Posten und den Einsatz solcher
Kontaktbeamter im Rahmen der Rauschgiftbekämpfung entstünden.
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Innenpolitisch können wir uns ebenfalls nicht auf die Ebene der Therapie zurückziehen. Therapie allein reicht nicht aus, um Rauschgiftsucht im Vorfeld zu bekämpfen. Das müssen wir nüchtern sehen. Wir müssen auch sehen, daß gerade im sicherheitspolitischen Bereich vieles versäumt wurde und daher manches zu tun ist. Es besteht doch nicht der geringste Zweifel, daß die Schmuggler und die Händler, diejenigen, die das Rauschgift in die Bundesrepublik Deutschland einbringen und umsetzen, bei uns ein ungewöhnlich freizügiges Grenz-, Aufenthalts-, Sicherheits- und Ausländerrecht vorfinden. Hier muß das Risiko für diese Leute erhöht werden, damit sie nicht - wie zur Zeit - relativ risikolos riesige Summen auf bekannten Märkten umsetzen können. Das Abfangen der Schmuggler mag zwar schwierig sein. Aber daß hier eine Reihe von Maßnahmen zur besseren Kontrolle auch der „Ameisen-Transporte" auf den Balkan-Routen ergriffen werden können, ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß beispielsweise die im Oktober vergangenen Jahres angekündigte Einrichtung von Informations- und Erkennungsdiensten beim Bundeskriminalamt diesem Zweck dienen soll. Ich frage mich allerdings: Warum ist diese Forderung erst im Oktober 1979 erhoben worden? Nur mit konspirativer Arbeit in bestimmten Bereichen, durch schnelle Aktionen, Schwerpunkteinsätze gegenüber Schmugglern und Händlern sowie durch Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Polizeibeamten, Grenz- und Zollbehörden lassen sich die Bedingungen zu Lasten der Rauschgiftkriminalität verbessern.
Dann noch ein Wort zur Personallage: Der Herr Bundesinnenminister hat zum Ausdruck gebracht, daß man das Bundeskriminalamt ausgebaut habe. Die Situation ist die, daß von mehr als 3 000 Arbeitern, Angestellten und Beamten des Bundeskriminalamts zur Zeit nur etwa 60 Beamte in der Abteilung Rauschgiftbekämpfung eingesetzt werden können. Diese 60 Beamten sind total überlastet. Die Bedingungen, unter denen sie mit den ungeheuren Problemen fertigwerden sollen, sind unwürdig. Hier sind ganz eindeutig Versäumnisse vorhanden. Um so mehr möchte ich an dieser Stelle den dort tätigen Beamten, überhaupt allen zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität Tätigen, die ihre Arbeit unter äußerst schwierigen Bedingungen zu leisten haben, den Dank der Fraktion der CDU/CSU zum Ausdruck bringen
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und ihnen versichern, daß wir ihnen auch zukünftig jegliche Unterstützung zur Verbesserung ihrer Lage zuteil werden lassen.
Was die Frage angeht, ob nun in welcher Weise in unserem Bereich die Überprüfung von Gaststätten, Diskotheken und anderen Einrichtungen verbessert werden kann und inwieweit das Problem der Rauschgiftsucht, des Rauschgiftschmuggels in den Justizvollzugsanstalten gelöst werden kann, so sind von den Innenministern der Länder im Mai ver15956
gangenen Jahres umfassende Vorschläge unterbreitet worden. Wenn man an die hohen Prozentzahlen der rauschgiftsüchtigen Inhaftierten in unseren Strafanstalten denkt und erkennen muß, daß hier die Gefahr besteht, daß nichtabhängige Personen von diesen Leuten „angesteckt" werden, so wird klar, daß es sich sicherlich auch hier um ein ganz wichtiges Problem handelt, das noch zu lösen ist.
Auch wird es notwendig sein, der Polizei im Rahmen des Legalitätsprinzips die Möglichkeit zu geben, bei der Feststellung von Rauschgift bei einem Zwischenverkäufer vom Zugriff abzusehen, um noch an die Hintermänner herankommen zu können - ein sehr diffiziles Problem, wenn man daran denkt, daß hier viele Polizeibeamte im Zwielicht einer unsicheren Rechtslage arbeiten müssen, ohne daß sie sicher sein können, durch die staatlichen Behörden ausreichend abgedeckt zu sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das alles zeigt: Man hätte vor langer Zeit eine Reihe wirksamer Maßnahmen treffen können. Um so dringlicher ist es jetzt, daß auf die von uns und auf die von der Koalition und der Bundesregierung gemachten Vorschläge unverzüglich eingegangen wird. Über die Tätigkeit des Staates hinaus muß aber auch erreicht werden, daß das Wissen, die Verantwortung und die Lösung dieser Probleme auf mehr Schultern verteilt werden, daß die Bekämpfung der Rauschgiftsucht eine allgemeingesellschaftliche Aufgabe wird. Nicht der Staat allein, sondern nur das Zusammenwirken aller verantwortlichen Kräfte wird hier letztlich wirksam helfen können. Jeder soll in seinem Verantwortungsbereich das tun, wozu er in der Lage ist. Die CDU/CSU-Fraktion ist über ihre Vorschläge hinaus zu jeder und vor allem auch zu einer zügigen Zusammenarbeit - hoffentlich auch erfolgreichen Zusammenarbeit - mit der Koalition, mit der Regierung bereit. Wir hoffen, daß damit noch in dieser Legislaturperiode entscheidende Schritte zur wirksamen Bekämpfung der Rauschmittelsucht beschlossen und durchgesetzt werden können.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Langguth.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Fast 600 Mitbürger, vor allem junge Menschen, sind im zurückliegenden Jahr infolge des Genusses von Drogen, vor allem Heroin, gestorben. Die Zahlen - wir haben sie auch heute im Verlaufe der Debatte gehört - sind erschrekkend. Nichts deutet darauf hin, daß diese Zahlen etwa in den nächsten Jahren rückläufig sein könnten, wenn nicht entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.
Mit der Zahl der Drogentoten und mit dem Umfang der Rauschgiftsucht nimmt die Bundesrepublik Deutschland eine Spitzenstellung in Europa ein. Niemand von der Regierungsseite - auch nicht Frau Minister Antje Huber in ihrer Rede - hat in dieser Debatte heute die Frage gestellt, wieso eigentlich die Bundesrepublik Deutschland diesen
Spitzenplatz - in diesem Ausmaß - einnimmt. Es kann nicht nur mit der geographischen Lage der Bundesrepublik Deutschland und nicht nur damit begründet werden, daß bei uns aus den verschiedensten Gründen ein besonders guter Absatzmarkt vorhanden sei. Hinzu kommt, daß das Alter der Drogenabhängigen immer weiter sinkt. Denn immer mehr Zwölf- bis Vierzehnjährige kommen mit Drogen in Berührung.
Was die Zahl der Drogenabhängigen angeht, hören wir immer häufiger verschiedene Zahlen. Die einen sagen: Wir haben 40 000 Drogenabhängige. Andere - wie der Chef des Bundeskriminalamtes - sagen: 60 000, und wieder andere sagen: 80000. Ich möchte hier gar nicht fragen, welche Zahl die richtige ist, ob 40 000 oder 80 000. Das Problem ist so schwerwiegend, daß ich froh darüber bin, daß man zumindest in einigen wichtigen Fragen in dieser Debatte Übereinstimmung hat erzielen können. Ich will nicht über die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen, die polizeilichen Maßnahmen sprechen, über die hier schon sehr ausgiebig gesprochen wurde. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, daß, wenn einer erst einmal heroinsüchtig ist, er nach unseren bisherigen Erfahrungen in 95 % der Fälle nicht mehr geheilt werden kann. Das ist das Problem. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein überflutendes Angebot an Heroin. Immer größere Mengen Heroin werden zu immer niedrigeren Preisen angeboten. Eine Ausweitung der Drogenkriminalität wurde auch dadurch bewirkt, daß die sogenannte Szene nicht nur in den Großstädten blieb, sondern eine Verlagerung in den ländlichen Raum hinein eintrat.
Wichtig sind vorbeugende, auch langfristige gesellschaftspolitische Maßnahmen. Ich will einige nennen.
Erstens. Nicht jeder, der einmal im Laufe seines Lebens als Schüler oder Student Haschisch oder Marihuana genommen hat, wird etwa von unserer Seite kriminalisiert. Kollege Wittmann hat darauf bereits hingewiesen. Das Drogennehmen hat jedoch die verschiedenartigsten Gründe. Viele Menschen sind in den Drogenkonsum einfach hineingeschlittert, vielleicht auch aus Abenteuerlust. Andere sind durch eine enorme Realitätsflucht geprägt, durch mangelnde zwischenmenschliche Kontakte; sie haben vielfach Probleme in der eigenen Familie, oder sie haben schlicht Zukunftsangst und sind von daher besonders anfällig für Drogen, die ein neues Lebensgefühl vermitteln sollen.
Zu Recht wird in einem Papier der Bundesregierung vermerkt, daß nach verbreiteter Auffassung von Schulpsychologen und Sozialpädiatern bis zu 25% der Einschulungskinder als „verhaltensauffällig" anzusehen seien, insgesamt 5 % so schwer, daß sie einer Therapie bedürfen. Auch hieraus ergibt sich ein Hinweis auf die anzunehmende Größenordnung der als potentiell gefährdet einzustufenden jungen Menschen.
Zweitens. Steigende Jugendkriminalität, Alkoholismus, Drogenkonsum, Flucht vor der Wirklichkeit in alternative Lebensformen, Jugendsekten, Subkulturen, die steigende Zahl jugendlicher Selbstmörder
und die vielfältigen Formen einer Verweigerung gegenüber der Gesellschaft bis hin zum Terrorismus - ich will das nicht alles in einen Topf werfen, damit das nicht behauptet wird - sind krisenhafte Anzeichen für gesamtgesellschaftliche Fehlentwicklungen, denen wir uns stellen müssen. Deswegen dürfen wir auch das Problem des Drogenkonsums und der Drogenkriminalität nicht isoliert betrachten.
Drittens. Feste Sozialstrukturen, tradierte Wertvorstellungen, gesundes familiäres Milieu, geordnete Lebensverhältnisse und überschaubarer Lebensraum fördern einen notwendigen Identifikationsprozeß innerhalb der jungen Generation, vor allem dann, wenn sich junge Menschen in dem Prozeß des Sich-Herauslösens aus dem Elternhaus befinden.
Viertens. Unter Drogenabhängigkeit verstehe ich jedoch nicht nur die Abhängigkeit beispielsweise von Haschisch, Marihuana, LSD, Kokain oder Heroin. Ich erinnere darüber hinaus an den zwar weit verbreiteten Medikamentenmißbrauch - dies ist vorhin auch bereits in der Debatte geschehen -, an die Abhängigkeit von Nikotin, an die ebenfalls zunehmende Tendenz zum Jugendalkoholismus und sogar zum Kinderalkoholismus. Hier muß sehr deutlich die Frage nach dem Vorbild-Sein der Erwachsenenwelt gestellt werden, denn es besteht ja kein Zweifel, daß mancher, der erlebt, daß seine Eltern ständig zu Beruhigungs-, Schlaf- und sonstigen Mitteln greifen, dann auch Drogen nimmt, nur dann eben andere Drogen. Man kann allerdings nicht generell behaupten, daß legale Drogen, beispielsweise Schlafmittel, die gleiche Gefährlichkeit hätten wie illegale Drogen, beispielsweise Heroin; ich will mit dieser Aussage nicht die Gefährlichkeit gerade der illegalen Drogen reduzieren. Ich glaube auch nicht, daß die Forderung nach Freigabe von Haschisch und Marihuana, wie sie von jungdemokratischer Seite erhoben wurde, etwa ein probates Mittel wäre, um diesem Problem zu begegnen.
Fünftens. Notwendig sind politische Rahmenbedingungen, die ein vernünftiges Familienleben fördern und nicht behindern. Die Entwicklung personaler Eigenständigkeit und Gemeinschaftsfähigkeit, emotionaler Bindungsfähigkeit, von Wert- und Verantwortungsbewußtsein hängt wesentlich von der Erziehung in der Familie ab. Junge Menschen sind auf der Suche nach einer Wertorientierung, die diese vielfach weder in der eigenen Familie noch am Arbeitsplatz noch im Freundeskreis finden. In vielen Familien wird nicht mehr über die Frage nach dem Sinn des Lebens diskutiert, geschweige denn „Sinn" vermittelt.
Auch die religiöse Frage - von vielen verdrängt - wird in der jungen Generation neu gestellt. Nicht anders ist z. B. auch der Zulauf zu Jugendsekten zu erklären.
Sechstens. Nach wie vor ist längst noch nicht alles getan worden, um auf die Gefährlichkeit von Drogen hinzuweisen.
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Wichtig zu sein scheint mir in diesem Zusammenhang verbessertes und vernünftig aufbereitetes
didaktisches Material, das jungen Menschen, aber auch Erziehern und Eltern an die Hand gegeben werden sollte.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch die Feststellung machen, daß teilweise auch Eltern völlig ahnungslos nicht nur hinsichtlich der Gefahren von Drogen generell sind, sondern auch hinsichtlich der Tatsache, daß ihre Kinder teilweise schon jahrelang zu Drogen greifen.
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Lehrer und Erzieher müssen ebenfalls über die Mechanismen der Früherkennung der Drogenabhängigkeit bei Kindern intensiver aufgeklärt und entsprechend geschult werden. Zum Beispiel die Frage eines Vertrauenslehrers für Fragen der Drogenproblematik ist ein Vorschlag, den die CDU/CSU- Bundestagsfraktion mit ihrem Antrag eingebracht hat. Notwendig - auch dies zeigen die Erfahrungen immer wieder - ist eine verstärkte Aufklärung der Ärzte und des medizinischen Personals.
Siebentens. Es heißt immer wieder, jede Drogenkarriere ende - von Ausnahmen abgesehen - entweder im Knast oder auf dem Friedhof. Feststeht, daß der herkömmliche Strafvollzug nicht in der Lage ist, die Situation der Drogenabhängigen, die meist im Rahmen der Suchtmittelbeschaffung wieder kriminell werden, dahin gehend zu verbessern, daß nach dem Strafvollzug eine Abstinenz von Drogen zu erwarten ist.
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- Ich sage auch gleich zu Ihnen etwas, weil Sie hier ja vorhin, verehrter Herr Kollege Dürr, auf die Frage der „Zwangstherapie" in Baden-Württemberg eingegangen sind. Ich will Ihnen dazu kurz sagen, daß es in der Tat Süchtige gibt, die sich in einem Zustand befinden, in dem sie nicht mehr in der Lage sind, frei z. B. darüber zu entscheiden, ob sie Therapie haben wollen oder nicht. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist ein Prinzip, das selbstverständlich auch vom badenwürttembergischen Justizminister Eyrich anerkannt wird. Vielleicht könnten Sie den Justizminister Eyrich einmal fragen, ob er Ihnen die Unterlagen z. B. der amerikanischen Wissenschaftler zuleiten kann, die darauf hingewiesen haben, daß in der Regel nach zwei oder drei oder vier Wochen Zwangstherapie durchaus das Prinzip der Freiwilligkeit Platz greift. Sie wissen ja, daß nach dem bisherigen Unterbringungsgesetz jemand nur so lange in einer entsprechenden Institution sein kann, bis er, wie es heißt, „entgiftet" ist. Und Sie wissen auch, daß „entgiftet" nicht heißt, daß jemand bereits therapeutisch geheilt wäre, sondern die Erfahrungen gehen dahin, daß der Betreffende, sobald er sich wieder frei bewegen kann, sofort an die Drogenbasis zurückkehrt.
Meine Damen und Herren, es müssen durch eine Verstärkung der Anstrengungen - und hier ist auch der Bund, der sich nicht aus der Verantwortung lösen kann, anzusprechen - ausreichende Kapazitäten der Einrichtungen für Entziehungskuren geschaffen werden. Meine Fraktion fordert deshalb in ihrem Antrag, daß für die Behandlung Dro15958
genabhängiger die erforderlichen regionalen Behandlungsketten - Entgiftung, Entwöhnung, Nachsorge - aufgebaut werden.
Selbsthilfegruppen sind stärker als bisher zu unterstützen. Auch sind die Angehörigen von Suchtmittelabhängigen so weit wie möglich in die Nachsorge einzubeziehen. Generell meinen wir, daß alle Initiativen, die von freier und privater Seite kommen, gefördert werden sollen, weil der Ruf nach dem Staat allein hier nicht helfen kann.
Notwendig ist der verstärkte Einsatz ausgebildeter Sozialarbeiter auf der Straße und an Orten, an denen Rauschgift erworben und genossen wird. Nur so kann die Früherkennung Gefährdeter verbessert werden. Die besonderen Entziehungsanstalten für verurteilte Jugendliche und Heranwachsende müssen so ausgestattet werden, daß sie ihre Aufgaben auch wirklich erfüllen können. In diesem Zusammenhang habe ich hier eben bereits die Bemühungen des baden-württembergischen Justizministers Eyrich begrüßt.
Achtens und letztens: Ich sage noch einmal, daß alle staatlichen Maßnahmen, auch alle Drogenberatungsstellen, die ja im Grunde genommen nur ex post, also dann, wenn die Probleme bereits vorhanden sind, arbeiten, dann sinnlos sind, wenn die Bevölkerung nicht mitmacht und wenn die Bekämpfung der Drogenkriminalität insgesamt allein den staatlichen Institutionen und Instanzen überlassen wird. Jeder einzelne Mitbürger ist aufzufordern, aktiv an einer Immunisierung gegen Drogengefahren mitzuwirken. Jeder einzelne muß sich dort, wo er hingestellt ist, in der Schule, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, dann, wenn er feststellt, daß er Drogengefährdete in seinem Umkreis hat, darum bemühen, sich um diese Personen zu kümmern und mit dazu beizutragen, daß sie von einer gefährlichen Sucht herunterkommen. Nur dann, wenn dies geschieht, wenn wirklich ein Mitwirken der gesamten Bevölkerung gegeben ist, werden die entsprechenden Maßnahmen im einzelnen Platz greifen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Vogel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon die Rede der Frau Kollegin Huber hat deutlich gemacht, daß wir es hier mit einem Problem nicht nur von ganz besonderem Ernst, sondern auch von einer menschlichen Tragik zu tun haben, wie sie uns sonst bei unserer Arbeit in dieser Dichte nicht häufig begegnet. Dieser Eindruck ist durch die Diskussion noch verstärkt worden.
Die Kooperation, die sich ja in der Diskussion schon abgezeichnet hat, ist - wie ich meine - gerade auf diesem Gebiet ganz besonders notwendig, und zwar eine Kooperation zwischen den Parteien, aber auch mit den Ländern, mit den Gemeinden und mit allen, die hier einen Beitrag leisten können, auch mit den Verbänden.
Die Chancen für eine Kooperation sind - denke ich - auch deswegen günstig, weil es nach meinem Eindruck gerade auf diesem Gebiet auch ein individuelles Engagement von Kollegen gibt, die das ganze Elend, das ganze Leid und die ganze Not von einzelnen Familien kennen, bei denen ein Sohn oder eine Tochter trotz allem guten Willen seit Jahr und Tag nicht von der Droge loskommt. Ich glaube, dies gibt den Bemühungen einen weiteren starken Antrieb. Ich darf stellvertretend für diese Kollegen nur den Kollegen Dürr nennen.
Das Strafrecht kann zur Überwindung dieser Not nur einen Teilbeitrag leisten. Strafrecht als solches - dies kann nicht oft genug gesagt werden - kann gesellschaftliche Defizite für sich nicht auffüllen. Es kann auch die Auseinandersetzung mit den Ursachen dieser Defizite und die Anstrengungen zu ihrer Überwindung nicht entbehrlich machen.
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Strafrecht, Gerichte, Staatsanwaltschaften, Gefängnisse sind die letzte Linie, an der gesellschaftliche Fehlentwicklungen auftreffen, wenn alle anderen gesellschaftlichen Sicherungen versagt haben.
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Beim Einsatz des Strafrechtes muß deutlich unterschieden werden zwischen den Süchtigen und den Nichtsüchtigen. Bei den Nichtsüchtigen gibt es einmal die Gruppe der skrupellosen menschenverachtenden Kriminellen, deren Schuld für mich in manchen Fällen schwerer wiegt als die des Mörders, der aus einer momentanen Aufwallung zu seinem Verbrechen hingerissen wird, weil hier der Tod von Menschen zur Steigerung von materiellen Erträgen aus Gewinnsucht bewußt in Kauf genommen wird, um ein Leben in Luxus führen zu können. Hier kann nur Härte und auch die Erhöhung des Strafrahmens die Antwort sein.
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Ich bitte aber, auch die Nichtsüchtigen zu sehen, die gefährdet sind. Die Zahlen, die hier genannt worden sind, wären nicht vollständig, wenn nicht zu den 40 000 oder 45 000 Süchtigen die schwer greifbaren Zehntausende gerade von jungen Leuten gerechnet würden, die an der Grenze zur Droge stehen, die aus Neugier, aus allen möglichen Überlegungen vor dem Schritt über die Grenze stehen. Da bitte ich, dem Justizminister den Hinweis zu gestatten, daß zum Bewahren dieser jungen Menschen vieles notwendig ist, aber eben bei der menschlichen Unvollkommenkeit auch die Aufrechterhaltung der Sorge, daß der Schritt zur Droge auch strafrechtliche Verwicklungen, strafrechtliche Konsequenzen haben kann. Ich möchte fast beschwörend sagen: Wir können dies als ein Gegenmotivationsinstrument nur in dem Maße abbauen, in dem andere Motivationen die Aufgabe übernehmen, denn sonst werden wir uns eines Tages fragen, ob nicht 1 000 oder 2 000 oder mehr vor diesem Schritt bewahrt worden wären, wenn auch diese Überlegung eine Rolle gespielt hätte.
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Nun komme ich zum Süchtigen. Beim Süchtigen ist es völlig unbestritten, daß die Heilung vor der Strafe stehen muß, so wie wir den Gedanken der Resozialisierung im übrigen Bereich betonen: Heilung vor Strafe. Aber - und das ist nun in keiner Richtung eine Kritik - dies ist doch nicht neu. Manchmal entsteht der Eindruck, dies sei eine völlig neue Erkenntnis. Tatsache ist, daß schon jetzt die Strafjustiz mehr als die Hälfte aller erkannten Strafen zur Bewährung aussetzt.
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Bei den Kleineren, die bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bekommen, haben wir einen Satz von 80 %. Bei den Jugendlichen ist der Prozentsatz noch höher. Es würde also den Zugang zum Problem eher erschweren, wenn wir diese realen Zahlen nicht auch mit in Betracht ziehen würden.
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Jetzt noch ein Gedanke: Das Problem auf diesem Felde besteht doch nicht darin, daß die Justiz im Einzelfall eine mögliche Heilung verhindert, weil sie Strafen verhängt oder vollstrecken will, obwohl Heilungsmöglichkeiten außerhalb der Anstalt bestehen.
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Ich will ja gar nicht bestreiten, daß auch dies gelegentlich einmal vorkommen kann. Wer die Verhältnisse in unseren Anstalten kennt, der weiß, in der Regel ist es genau umgekehrt. Die Probleme entstehen deswegen, weil es in Fällen dieser Art an Therapiemöglichkeiten, an Heilungsmöglichkeiten, an Therapieketten fehlt und weil die Vollzugsanstalten einmal mehr in der Rolle der Lückenbüßer gedrängt werden.
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Die Vollzugsanstalten und die Gerichte wären doch froh, wenn sie diese schreckliche Belastung los wären. Lesen Sie einmal nach, was Herr Senator Meyer und andere drüben im Bundesrat über die Anstalt in Tegel, über die Anstalt in Frankfurt gesagt haben. Das ist doch kein Versagen der Justiz, die die Leute da hineinzieht, um sich ein Problem aufzuladen, das schrecklich ist, das ja im Grunde so weit geht, daß wir uns verantwortungsbewußt fragen müssen, ob man Nichtsüchtige im Vollzug eines Haftbefehls eigentlich noch in die Nähe einer solchen Anstalt bringen kann.
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Frau Kollegin Huber und Herr Kollege Baum haben mit Recht gesagt - ich muß das unterstreichen -, in diesem Mißverhältnis der Therapiemöglichkeiten und der Therapieplätze liege das Problem. Die Forderung nach raschem Zugang des einmal in Erscheinung getretenen Süchtigen zur Therapie unterstreiche ich hundertprozentig. Aber der wird doch nicht verhindert durch langweilige Ermittlungen der Polizei oder schwieriges Gebaren der Justiz, sondern der Zeitraum wird dadurch diktiert, daß in soundso vielen Fällen der Platz nicht da ist, wo man den jungen Menschen hinschicken kann. Es gibt ja Fälle, in denen Staatsanwälte Revision einlegen, um das Eintreten der Rechtskraft zu verhindern, damit man den Anschluß an den Therapieplatz bekommt. Sie können die Urteile einsehen.
Das vorweg, bejahe ich hundertprozentig, daß wir das Mittel des Strafrechts vernünftigt einsetzen, um den Heilungswillen und die Heilungsbereitschaft auch dadurch günstig zu beeinflussen. Dabei ist es nach meinem Stand der Kenntnis so, daß man auf diesem Weg zwar motivieren kann. Aber wenn der Betreffende nicht freiwillig an der Wiederherstellung seiner Persönlichkeit und seines Willens mitwirkt, ist die Sache von vornherein aussichtslos.
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Zwangsbehandlungen sind sowieso sehr problematisch. Ich erinnere an die Zwangsernährungsdebatte, die ja zum Teil umgekehrte Argumentationslinien aufwies. Aber hier ist es gesichert: Wenn nicht die eigene Motivation des Menschen geweckt wird, ist die Sache verloren. Über den Weg kann man reden. Ich möchte nicht sagen, man sollte sich jetzt schon auf den einen oder anderen festlegen.
Strafaussetzung zur Bewährung - selbstverständlich. Ich habe die Prozentzahlen genannt. Das muß man sich angucken.
Dann der Gedanke: zunächst eine Art bedingte Verurteilung, Absehen von Strafen, ein Verfahren zunächst, hinterher noch ein Verfahren. Das muß man sich auch ansehen.
Mein Gedanke, den ich in die Beratungen einbringen möchte, geht eher dahin, daß wir etwas ausdehnen, was das Recht schon kennt. Wenn jetzt ein Verurteilter in eine Entziehungsanstalt kommt, rangiert die Behandlung vor der Strafvollstreckung. Diese Zeit wird voll auf die Strafe angerechnet. Ich meine, wir sollten einen Weg finden, daß die Therapie zeitlich an die Stelle der Strafvollstreckung tritt und am Ende die Möglichkeit erleichtert wird, den Strafmakel schon vor dem Ablauf der bisherigen Fristen zu beseitigen, sofern die Therapie und die Anstrengung des einzelnen zum Erfolg führen.
Das scheint mir auch deswegen vernünftig, weil ich nicht glaube, wir kommen damit durch, daß dann, wenn der Mann einmal aus der Therapie ausreißt, schon wieder andere Verfahren greifen. Jeder, der damit zu tun hat, weiß, daß der einmalige Rückfall nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Ich meine, man muß auch beim zweimaligen und dreimaligen Rückfall ein Verfahren haben, damit er noch einmal den Anlauf nehmen kann und beim dritten oder vierten Mal über den Berg kommt.
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Dann darf ich an eine Gruppe erinnern, von der für meinen Geschmack heute zu wenig die Rede war. Das kommt vielleicht auch von der Aufgabenstellung her. Der letzte Diskussionsredner hat sie erwähnt. Das sind die - ich möchte sagen - Armen, Unglücklichen, die nicht heilungswillig oder nicht heilungsfähig sind, bei denen alle Anstrengungen zu Mißerfolgen geführt haben. Was geschieht eigentlich mit denen? Wo ist die Antwort auf die Existenz dieser Menschen? Sie unter Wegsehen einfach zugrunde gehen zu lassen, sie in dieser Periode auch wieder Handel treiben zu lassen, weil sie ja
in dieser Zeit gleichfalls ihren Bedarf haben - ich weiß keine perfekte Antwort. Ich sage nur, hier liegt noch ein Problem. Das muß angesprochen werden.
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Ich fasse zusammen und komme zum Schluß. Gesetzesänderungen sind wichtig, sie sind nicht der Schlüssel. Wer meint, die Änderungen im strafrechtlichen Bereich stellten einen Schlüssel dar, der, glaube ich, überschätzt die Möglichkeiten. Der Schlüssel liegt in folgendem: mehr Therapiemöglichkeiten, mehr Therapieketten, flüssigere Übergänge von der Anstalt in die Freiheit und zu den anderen Einrichtungen, bessere Einrichtungen innerhalb und außerhalb und vor allem, so altmodisch das klingen mag, mehr Hilfe und Zuwendung für den Betroffenen und für die Familien, die sich unter Verzicht auf vieles andere um die Heilung eines solchen jungen Menschen kümmern.
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Ich habe nichts Erschütternderes gehört als bei einer solchen Beratungsstelle Berichte, in denen Eltern ihren Weg geschildert haben, mit all diesen Rückschlägen und Verzweiflungen.
Ferner ist - nicht im Gegensatz dazu - die Kostenfrage zu klären. Meine Damen und Herren, was hilft es denn, wenn die Justiz oder der Staatsanwalt die Therapieauflage macht, und dann tritt eine Verzögerung ein, weil endlos hin und her verhandelt wird, wer eigentlich die Kosten trägt?
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Ich möchte dem Ausschuß nur als Frage mit auf den Weg geben: Sollte man nicht das, was die Jugendstrafvollzugskommission für den Jugendstrafvollzug empfiehlt, auch auf dieses Gebiet ausdehnen, daß nämlich dann, wenn der Richter eine Therapieauflage macht, diese Therapieauflage für den Kostenträger ohne weiteres Hin und Her verbindlich ist, daß die richterliche Anordnung das entscheidet?
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Es darf nicht wieder in anderen Bereichen zu Verzögerungen kommen.
Geschieht dies, was ich am Schluß gesagt habe, nicht, wird nur primär das Strafrecht geändert, weil das schneller geht - die Debatte kennen wir ja, hin wie her -, dann erhöht sich nur die Zahl derjenigen, die sich im Ergebnis selbst überlassen bleiben, die nicht mehr in der Anstalt sind - jeder Vollzugsleiter wäre froh, wenn er sie nicht mehr hätte -, die aber noch nicht in der Therapie sind oder gar nicht dort hingelangen, die sich also völlig selbst überlassen bleiben, bei denen Hoffnungen erweckt werden, die wir nicht einlösen können. Es entsteht außerdem bei Gefährdeten der Eindruck, das Risiko sie eigentlich recht gering, denn das Äußerste, was geschehen könne, seien Heilungsversuche nach Maßgabe der vorhandenen Therapieplätze.
Ich lade also ein, in dem guten Geist der heutigen Debatte im Ausschuß zusammenzuarbeiten: die drei Ressorts, die sich überschneidend gegenseitig Vorschläge machen, die drei Fraktionen, die sich überschneidend gegenseitig helfen.
Dann würde etwas herauskommen, was sicher weit hinter dem Optimum zurückbleibt, was aber den Eltern, die hier auch zuhören, wirklich ein Stück Brot und ein Stück Hoffnung gibt.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats zu den Vorlagen auf den Drucksachen 8/3291, 8/3363 und 8/3551 liegen Ihnen vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, auf Mittwoch, den 13. Februar, 12 Uhr ein. Ich möchte gleich darauf aufmerksam machen, daß dies eine Nachmittagssitzung des Plenums ist.
Die Sitzung ist geschlossen.