Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/23/1977

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich folgendes mitteilen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Punkte ergänzt werden: 1. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP Verwirklichung der KSZE-Schlußakte und Wahrung der Menschenrechte - Drucksache 8/221 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({0}), Auswärtiger Ausschuß, Rechtsausschuß zu Punkt 2 TO , 2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung - Drucksache 8/222 -3. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt - Drucksache 8/223 -- Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Ich stelle fest, daß das Haus damit einverstanden ist. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen. Es liegt Ihnen folgende Liste von Vorlagen - Stand: 15. März 1977 - vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen: Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu den vom Gemischten Parlamentarischen Ausschuß EWG-Türkei am 28. April 1976 in Nizza und am 9. November 1976 in Ankara angenommenen Empfehlungen ({1}) zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({2}), Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Auswirkungen des höheren Energiepreises auf die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaftsländer ({3}) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft ({4}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zur Schifffahrtindustrie der Gemeinschaft ({5}) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und Strafrecht ({6}) zuständig: Rechtsausschuß - Erhebt sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, daß das Haus auch damit einverstanden ist. Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Bundesminister des Innern hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz und dem Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 21. März 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Vogel ({7}), Dr. Häfele, Dr. Sprung, Haase ({8}), Dr. Köhler ({9}), Dr. Zeitel, Frau Pieser, Dr. Waffenschmidt, Dr. Stavenhagen, Dr. Langner, Dr. Althammer, Gerlach ({10}), Spranger, Frau Berger ({11}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Umfang und Folgen der Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes für Staat und Bürger ({12}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/212 verteilt. Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 21. März 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dregger, Vogel ({13}), Spranger, Berger, Schwarz, Gerlach ({14}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Zurruhesetzung politischer Beamter aus dem Bereich der Nachrichtendienste ({15}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/213 verteilt. Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 21. März 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dregger, Vogel ({16}), Spranger, Schwarz, Eyrich und der Fraktion der CDU/CSU betr. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes ({17}) ({18}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/214 verteilt. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 21. März 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Frau Pieser, Kittelmann, Dr. Barzel, Schmidhuber, Dr. Biedenkopf, Wissmann, Wohlrabe, Köhler ({19}) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bundesbeteiligung in Berlin ({20}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/220 verteilt. Ich rufe nun Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksachen 8/206, 8/215 Wir beginnen mit einer dringlichen Frage des Abgeordneten Dr. Kunz ({21}) aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Trifft es zu, daß die Bundesregierung die Absicht hat, wie Bundesminister Frau Schlei am 20. März 1977 der Deutschen Presseagentur gegenüber geäußert hat, Befreiungsbewegungen aus den sogenannten Frontstaaten zu unterstützen, von deren Gebiet aus zum Teil grausame Guerillaüberfälle u. a. auch auf eine schwarze Missionsschule unternommen wurden, und will Bundesminister Frau Schlei bei ihrer Ende der Woche beginnenden Afrikareise entsprechende Zusagen machen? Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Kunz, Frau Bundesminister Schlei wird vom 26. März bis 4. April 1977 die Länder Botswana, Sambia und Kenia besuchen, um mit den dortigen Regierungen entwicklungspolitische Gespräche zu führen. Der Besuch dient auch dazu, zusätzliche Informationen über die Problematik des Konflikts im südlichen Afrika zu erhalten. Die Bundesregierung unterstützt in diesem Konflikt alle Kräfte, die sich um eine friedliche Lösung bemühen. Sie tritt dabei politisch wie überall in der Welt für eine Regierung der Mehrheit ein. Wenn dies Ziel von Befreiungsbewegungen ist, haben diese die volle Unterstützung der Bundesregierung. Eine Unterstützung durch Waffenlieferungen ist und bleibt ausgeschlossen. Die Bundesregierung spricht im Falle von Sambia und Botswana daher auch lieber von „Konfliktrandstaaten" als von „Frontstaaten". Im übrigen verfügen, Herr Kollege Kunz, die Konfliktrandstaaten nicht über eigene Befreiungsbewegungen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kunz ({0}).

Prof. Dr. Max Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß sich diese Staaten ja selbst als „Frontstaaten" bezeichnen und wir das kaum ändern können, möchte ich Sie doch fragen, ob mit der Gewährung dieser Hilfe nicht zwangsläufig eine moralisch-politische Unterstützung von Kräften verbunden ist, die ihre Ziele mit Gewalt erreichen wollen und jede demokratische Legitimation vermissen lassen.

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Kunz, die Probleme im südlicher Afrika - die Anwendung von Gewalt durch alle Seiten - sind so vielfältig, daß es sehr schwerfällt, von uns aus ein abschließendes Urteil zu fällen. Auf alle Fälle will ich noch einmal unterstreichen, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß auch im südlichen Afrika die Mehrheit regieren soll. Das bedeutet ganz konkret: die schwarze Bevölkerungsmehrheit.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kunz.

Prof. Dr. Max Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie sichert sich die Bundesregierung dagegen, daß durch die von ihr gewährte Hilfe die Empfänger diejenigen Mittel ersparen können - zu friedlichen Zwecken, wie sie sagen -, die sie dann den Terrororganisationen für deren mörderisches Treiben zur Verfügung stellen?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Kunz, Sie wissen als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, daß die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik an Warenlieferungen, die vereinbart worden sind, oder an Projekte gebunden ist.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn Sie sich für die Mehrheit, für eine schwarze Regierung im südlichen Afrika einsetzen, wie sichern Sie dann das ebenfalls vorhandene Recht der weißen Bevölkerung im südlichen Afrika - sowohl in Südafrika als auch im sogenannten Namibia - auf Leben und freie demokratische Entwicklung?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Die Bundesregierung hat immer wieder betont, daß das Recht der Mehrheit in Afrika, zu regieren, auch ein Recht der Minderheit, dort zu bleiben, beinhaltet. Auf der anderen Seite wissen wir - das will ich hier ganz offen sagen -, daß die Gewährung der Rechte für die Mehrheit eines Volkes nicht immer schon die Gewährung der individuellen Rechte bedeutet. Aber die Aufrechterhaltung des kolonialen Zustandes bedeutet die Herrschaft eines fremden Volkes über ein anderes Volk, und dies ist immer die Herrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit. Von daher kann es natürlich in einem kolonialen Zustand nie individuelle Rechte geben. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klein.

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, in Südwestafrika wird zur Zeit mit großem Ernst und großen Mühen von allen dort lebenden Völkerschaften darum gerungen, eine faire Lösung -

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter, Sie müssen eine Frage stellen.

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Könnten Sie sich vorstellen, daß es sinnvoll und ermutigend wäre, wenn die Frau Ministerin Südwestafrika in ihre Reiseroute einschlösse?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Frau Bundesminister Schlei fährt in Länder, denen wir Entwicklungshilfe gewähren. Namibia erhält keine Entwicklungshilfe der Bundesrepublik Deutschland. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Weitere Zusatzfragen? - Bitte, Frau Abgeordnete.

Ursula Krone-Appuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001226, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, was halten Sie angesichts der von Ihnen vertretenen Politik gegenüber Südafrika von der heutigen Ankündigung des südafrikanischen Verteidigungsministeriums, daß sie sich notfalls nach anderen Bündnispartnern umsehen wollen?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Ich weiß nicht, welche Bündnispartner Südafrika in dieser Welt finden könnte. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Der Abgeordnete Dr. Schneider bittet um schriftliche Beantwortung der von ihm gestellten Frage 2; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Frage 123 des Abgeordneten Conradi ist vom Fragesteller zurückgezogen worden. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Stahl ({0}) auf: Welche Forschungsschwerpunkte im Bereich der Reaktorsicherheitsforschung werden von der Bundesregierung gefördert, und welche Mittel werden hierfür aufgewandt? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Forschung und Technologie.

Dr. Volker Hauff (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000828

Herr Kollege Stahl, die Aufwendungen für die Reaktorsicherheitsforschung einschließlich der im Haushalt der Kernforschungszentren eingesetzten Mittel werden im Jahre 1977 etwa 120 Millionen DM betragen. Das Schwergewicht liegt auf Untersuchungen für Leichtwasserreaktoren sowie auf allgemeinen Fragestellungen und Problemen für alle Reaktortypen. Die speziellen Probleme bei den fortschrittlichen Reaktorlinien werden noch überwiegend im Rahmen der entsprechenden Entwicklungsprogramme behandelt. Das Forschungsprogramm Reaktorsicherheit konzentriert sich einerseits auf Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur stetigen Erhöhung der Betriebssicherheit von Leichtwasserreaktoren. Auf diese Weise soll das Versagen von Komponenten und Systemen als auslösende Ursache von Störfällen ausgeschlossen oder doch zumindest noch unwahrscheinlicher gemacht werden. Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten zur Verbesserung der Sicherheit von Reaktordruckbehältern und die Entwicklung verbesserter Methoden für die zerstörungsfreie Prüfung von Reaktordrudcbehältern zu nennen. Zum anderen liegt ein Schwerpunkt in der Untersuchung der Feinstruktur des Ablaufs von Störfällen. Im Vordergrund steht dabei der KühlmittelverlustStörfall, aber auch äußere Einwirkungen wie Erdbeben, Flugzeugabsturz und Explosionsauswirkungen werden berücksichtigt. - Diese Untersuchungen schaffen die Voraussetzungen für eine organische Weiterentwicklung der Sicherheitstechnik.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wird Ihr Haus auch Sorge dafür tragen, daß im Bereich der Forschung speziell dem Problem des Berstschutzes große Bedeutung beigemessen wird?

Dr. Volker Hauff (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000828

Herr Kollege Stahl, das von Ihnen angesprochene Problem der Sicherung des Reaktordruckbehälters ist Gegenstand vielfältiger Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Rahmen der Reaktorsicherheitsforschung. Die von Ihnen angesprochene Sicherstellung des Berstschutzes ist ein Aspekt dieser Entwicklungen. Im Gesamtbereich Druckbehältersicherheit wurden in den vergangenen Jahren rund 70 Millionen DM ausgegeben, und bereits seit 1973 laufen acht verschiedene Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit Bezug auf eine Berstsicherung. Die Gesamtaufwendungen in diesem Bereich betragen 7,9 Millionen DM. Die Arbeiten, die zunächst auf einen Reaktor mit 700 MW elektrischer Leistung konzentriert waren, schlossen in begrenztem Umfang auch Untersuchungen der Übertragbarkeit der gefundenen Lösungen auf den heute gängigen 1 300-MW-Reaktor ein. Nach Abschluß der laufenden Vorhaben in diesem Jahr muß unter Berücksichtigung der inzwischen erzielten Fortschritte bei der Verbesserung der Druckbehältersicherheit einerseits und der sich aus letztem Kenntnisstand ergebenden Bilanz der sicherheitstechnischen Vor- und Nachteile der Berstsicherung andererseits geprüft werden, ob ein weiteres Entwicklungsprojekt einer Berstsicherung für eine 1 300-MW-Anlage in Angriff zu nehmen ist. Nach dem gegenwärtigen Stand der Untersuchungen ist ein eindeutiger sicherheitstechnischer Vorteil einer Berstsicherung für eine 1 300-MW-Anlage nicht zu belegen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie ist unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie zuletzt ausgeführt haben, das Urteil von Freiburg zu verstehen?

Dr. Volker Hauff (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000828

Herr Kollege Stahl, ich habe bereits in der vergangenen Fragestunde darauf hingewiesen, daß es nach Meinung der Bundesregierung voreilig und fahrlässig wäre, zu dem Urteil von Wyhl im einzelnen Stellung zu nehmen, bevor die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. In diesem Zusammenhang möchte ich mir aber die Anmerkung erlauben, daß zur Frage der Berstsicherung die Reaktorsicherheitskommission am vergangenen Freitag Stellung genommen und dabei eine Position bezogen hat, die dem entspricht, was ich zu dieser Frage hier vorgetragen habe.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gestellt. Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Verfügung. Präsident Carstens Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Niegel auf: Welche Hilfeleistungen sind in welcher Höhe seit dem Sturz der Regierung Gaetano deutscherseits an Portugal erfolgt bzw. zugesagt oder in Aussicht gestellt, und welches sind die entspredienden Beträge für die Zeit vor diesem Ereignis?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Niegel, in den Jahren 1962 bis 1968 hat Portugal von der Bundesrepublik Deutschland Entwicklungshilfe erhalten. Von 1969 an verstand sich Portugal als Geberland und war als solches auch Mitglied des Entwicklungshilfeausschusses der OECD. Damit entfiel die Basis für die Gewährung weiterer Entwicklungshilfe. Das änderte sich, als nach der Unabhängigkeit der früheren Kolonien und der Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse Portugal 1975 aus dem Entwicklungshilfeausschuß ausschied und dort die Anerkennung als Entwicklungsland beantragte. Im Oktober 1975 wurde diese Anerkennung beschlossen. Seither hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Republik Portugal wieder in die Förderung im Rahmen der Entwicklungshilfe einbezogen. Seit Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse wurde ab 1975 Kapitalhilfe in Höhe von 114,85 Millionen DM zugesagt. Außerdem wurden 25,15 Millionen DM als Zinssubvention für einen Kredit der Europäischen Investitionsbank bereitgestellt. Ferner wurde Technische Hilfe in Höhe von 1,5 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Die von 1962 bis 1968 von der Bundesrepublik Deutschland geleistete Hilfe belief sich auf 175 Millionen DM Kapitalhilfe und 2,9 Millionen DM Technische Hilfe.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Hilfe der Bundesrepublik, soweit Hilfe für Portugal vor April 1974 überhaupt gewährt wurde, auf Portugal beschränkt war und für die überseeischen Provinzen Moçambique, Angola usw. keine Hilfe gewährt wurde?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

In der Tat, Herr Kollege Niegel, ging die Bundesregierung immer davon aus, daß Kolonien keine Entwicklungshilfe der Bundesrepublik erhalten sollten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie den Begriff „Kolonien" verwenden, frage ich: Kann man jetzt nicht z. B. auch die Länder Moçambique und Angola als Kolonien bezeichnen - wenn es auch andere Machthaber sind -, und zwar unter der Diktatur des Marxismus-Kommunismus kubanischer und Moskauer Prägung?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Die früheren portugiesischen Kolonien sind heute unabhängige Staaten. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sick.

Willi Peter Sick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit den Zahlungen an Portugal darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung in diesem Zusammenhang prüft, wie die aus Angola verzogenen oder vertriebenen Deutschen - wie Sie wollen - bezüglich ihrer Vermögensverhältnisse behandelt werden.

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Dies ist keine Aufgabe der Entwicklungshilfe, Herr Kollege.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riedl.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie einen beachtlichen Auslandsreise-Titel haben, möchte ich Sie fragen: Hätten Sie die Liebenswürdigkeit, einmal in die von Ihnen so bezeichneten unabhängigen Staaten zu fahren und sich von der Unabhängigkeit persönlich zu überzeugen?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Riedl, da an diese Staaten im Augenblick Entwidclungshilfe noch nicht in größerem Maße gewährt wird, sehe ich keine Notwendigkeit, aus entwicklungspolitischen Gründen dort hinzureisen. Im übrigen will ich hier wiederholen, was ich vorhin gesagt habe: Natürlich wissen wir, daß in vielen Ländern, in denen heute die Mehrheit regiert, d. h. die schwarze Bevölkerung, nicht immer die Garantie individueller Rechte gegeben ist. Das wissen Sie so gut wie ich.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn. ({0}) - Herr Abgeordneter Sick, ich kann Ihnen nur eine Zusatzfrage geben. Es tut mir leid. - Herr Abgeordneter Graf Huyn, bitte.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, angesichts der offensiven Politik der Sowjetunion gerade in der Dritten Welt und insbesondere in Afrika möchte ich Sie fragen: Meinen Sie nicht, daß es dem Frieden dienen würde, wenn die Bundesregierung erwägen würde, denjenigen Staaten keine Entwicklungshilfe des freien Deutschland zu gewähren, die zugleich Militärhilfe oder militärische Unterstützung von Moskau bekommen?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Huyn, es stellt sich doch die Frage, ob wir die Länder in Afrika, von denen Sie behaupten, sie seien unter dem Einfluß des Ostblocks, ganz dem Ostblock überlassen wollen oder ob nicht die Bundesrepublik dort präsent sein soll. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß das, was die Kollegen der CDU/CSU hier jetzt vorbringen, im Widerspruch zu dem steht, was der entwicklungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Entwicklungshilfe - gerade für den Bereich der afrikanischen Staaten - in der Offentlichkeit laufend darlegt?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Ich kann dem nur zustimmen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Es tut mir leid, aber ich kann die Frage nicht zulassen. Die Bundesregierung kann nicht kommentieren, welche Erklärungen Abgeordnete abgegeben haben. ({0}) Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz ({1}).

Prof. Dr. Max Kunz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001258, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie vorhin festgestellt haben, daß die beiden ehemaligen Kolonien von Portugal, Moçambique und Angola, selbständig sind und die Bundesrepublik Deutschland Entwicklungshilfe gewährt, darf ich Sie fragen: Könnten Sie mir vielleicht Auskunft darüber geben, in welcher Form und in welcher Höhe diesen beiden Staaten von der Bundesrepublik Entwicklungshilfe gewährt wird?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Kunz, es gibt in diesen Staaten bis zur Zeit nur Ansätze im Bereich der kirchlichen Hilfe und der politischen Stiftungen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich lasse noch zwei Zusatzfragen zu. - Frau Abgeordnete von Bothmer, eine Zusatzfrage, bitte schön.

Lenelotte Bothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000237, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es nicht eine Erfahrungstatsache, daß gerade in Ländern, die vielleicht gefährdet sind, kommunistisch zu werden, oder die in einer gewissen Zeitphase stark kommunistisch beeinflußt sind, eine verstärkte Hilfe unsererseits eben diese Gefahr gerade bannt? ({0})

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Frau Kollegin, wir haben bei einer Reihe von Ländern in Afrika - manchmal bei wichtigen Ländern - die Erfahrung und Feststellung gemacht, daß diese Länder, die vorher als pro-kommunistisch bezeichnet worden sind, heute gute Verbündete unserer Seite sind. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmöle.

Hans Werner Schmöle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir nicht zustimmen, daß zur Zeit eine Großoffensive des Kommunismus gerade in den Ländern zu beobachten ist, die Sie gerade nicht von der Hilfe ausgenommen haben, die die Bundesregierung geben will?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Natürlich gibt es diese Offensive der kommunistischen Staaten. Aber ich will auf das verweisen, was ich vorhin gesagt habe: Für uns stellt sich die Frage, ob wir dieser Offensive tatenlos zusehen oder ob wir unsere Präsenz hier nicht aufrecht erhalten sollten. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Niegel auf: Auf Grund welcher Erwägungen kündigt die Bundesregierung erneut an, das kommunistische Vietnam werde deutsche Entwicklungshilfe erhalten, und besteht danach „Friedenspolitik" für die Bundesregierung in der Erstattung der Kosten kommunistischer Agressionen? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Niegel, die Regierung der Republik Vietnam hat den Wunsch zur Zusammenarbeit mit westlichen Industrieländern wiederholt zum Ausdruck gebracht. Unsere EG-Partner haben sich weitgehend zur Zusammenarbeit mit Vietnam einschließlich der Gewährung von zum Teil beträchtlicher Hilfe bereit erklärt. Die bilateralen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Vietnam und der Bundesrepublik Deutschland haben sich nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen am 23. September 1975 in befriedigender Weise entwickelt. Auf Grund dieser Sachlage erwägt die Bundesregierung eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Vietnam, die den Menschen dort unmittelbar zugute kommen soll.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, gelten hier die gleichen Grundsätze, die man auch sonst anwendet, und erwartet die Bundesregierung - wie Sie in Ihrer Antwort auf die Frage von der Frau Kollegin von Bothmer schon zum Ausdruck brachten -, daß Vietnam durch die Entwicklungshilfe eventuell leichter aus dem kommunistischen Block gelöst werden kann?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Man kann davon ausgehen, daß sich die Republik Vietnam durch die Zusammenarbeit mit westlichen Staaten auch eine gewisse Unabhängigkeit verschaffen will.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Bundesregierung hier von sehr naiven Vorstellungen ausgeht und das Weltbild des Kommunismus überhaupt nicht kennt? Welche Kriterien gelten überhaupt für die Vergabe von Entwicklungshilfe? Sollte man nicht zumindest die Menschenrechte - ich erinnere an Helsinki - zugrunde legen? ({0})

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege Niegel, ich nehme nicht an, daß Sie im Ernst erwarten, daß ich auf diese Frage, die keine ist, eine Antwort gebe.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, mit. Bezug auf die Aussagen des Kollegen Niegel darf ich Sie fragen, ob es zutrifft, daß es Presseveröffentlichungen gab, nach denen ein Abgeordneter der Opposition, nachdem er das kommunistische Kuba bereist hatte und in unser Land zurückgekommen war, darüber meditierte, auch diesem Land Entwicklungshilfe zu gewähren.

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Das trifft zu, Herr Kollege Stahl.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Simonis.

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Bundesregierung langsam Gefahr liefe, sich im europäischen und auch außereuropäischen Bereich zu isolieren, wenn sie den von der Gegenseite dieses Hauses empfohlenen Prinzipien bei der Entwicklungshilfepolitik folgen würde?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Frau Kollegin, ich habe schon darauf hingewiesen, daß viele Partner innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Vietnam bereits Hilfe zugesagt haben.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sick.

Willi Peter Sick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da wir uns sicher darin einig sind, daß die Mittel begrenzt sind, frage ich Sie: Sind Sie nicht auch der Meinung, daß es besser wäre, denen zu helfen, die unsere Freunde sind, als denen, die offen erklären, daß sie mit uns nicht zusammenarbeiten wollen?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege, wir gehen bei unserer Entwicklungshilfe davon aus, ob wir den Menschen in diesen Ländern helfen können. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmöle.

Hans Werner Schmöle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß den Menschen in diesen Ländern auch dann geholfen wird, wenn beispielsweise durch die Hilfe der Bundesregierung das kommunistische Regime gefestigt wird?

Alwin Brück (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000276

Herr Kollege, ich habe eben gesagt, daß wir Projekte machen werden, die den Menschen dort unmittelbar zugute kommen werden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Wüster auf: In welcher Form will der Bundeswissenschaftsminister die Vorschriften der Ausbilder-Eignungsverordnung der erhöhten Nachfragesituation nach Ausbildungsplätzen anpassen, damit eine möglichst hohe Ausbildungskapazität für die geburtenstarken Jahrgänge zur Verfügung steht, und soll in diesem Zusammenhang die Frist für den Prüfungsnachweis über den 1. September 1977 hinaus verlängert werden? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft zur Verfügung. Bitte schön.

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Herr Kollege Wüster, der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft beabsichtigt, die Ausbilder-Eignungsverordnung für die gewerbliche Wirtschaft der erhöhten Nachfrage nach Ausbildungsplätzen anzupassen, und zwar so, daß Ausbilder, die bis zum Ablauf des Übergangszeitraums - 1. September 1977 - den förmlichen Nachweis ihrer pädagogischen Qualifikation, die berühmte Ausbildungseignungsprüfung, noch nicht erbracht haben, in Ausnahmefällen von den zuständigen Stellen, den Handwerkskammern oder den Industrie- und Handelskammern, von diesem Nachweis vorläufig befreit werden können. Dadurch soll erreicht werden, daß solche Ausbilder, die diesen förmlichen Nachweis noch nicht erbracht haben, im übrigen aber die Voraussetzungen für die Vermittlung einer ordnungsgemäßen Berufsausbildung bieten, weiter ausbilden dürfen. Wenn diese Ausbilder wegen des Fehlens des förmlichen Nachweises ihre Ausbildertätigkeit einstellen müßten, bestünde natürlich die Gefahr, daß die von ihnen betreuten Ausbildungsplätze nicht wiederbesetzt würden und unter Umständen auch neue Ausbildungsplätze nicht geschaffen werden könnten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wüster.

Kurt Wüster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002573, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist das eine letztmalige Verschiebung des Termines?

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Wir müssen davon ausgehen, Herr Kollege Wüster, daß wir jetzt vor einem zusätzlichen Berg von - wie das in der Fachsprache der Bildungsplaner heißt - Auszubildenden, also von geburtenstarken Jahrgängen stehen. Das wird Anfang der 80er Jahre nicht mehr der Fall sein, so daß dann eine weitere Verschiebung der uneingeschränkten Geltung der AusbilderEignungsverordnung nicht mehr notwendig sein wird. Ich muß in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß auf Grund der Ausbilder-Eignungsverordnung bisher schon rund 200 000 Ausbilder den Nachweis erbracht haben. Es geht also noch um rund 40 000. Es ist also durch diese Verordnung bisher schon eine wirkliche Verbesserung der Ausbildungssituation erzielt worden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob Sie bereit sind, innerhalb der Bundesregierung, insbesondere gegenüber dem Bundesarbeitsminister, darauf hinzuwirken, daß diejenigen Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes geändert werden, die heute eine Ausbildungsverdrossenheit vor allem in der mittelständischen Wirtschaft bewirken?

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Nein, Herr Kollege, davon dürfen Sie unter keinen Umständen ausgehen. Das Jugendarbeitsschutzgesetz ist erst im letzten Jahr von diesem Hause beschlossen worden. Die Behauptung, daß Bestimmungen im Jugendarbeitsschutzgesetz die Ausbildung behindern, ist sicher nicht richtig. Im übrigen kann ich auch diese Verdrossenheit, von der Sie sprechen, nicht sehen. Das Handwerk beispielsweise hat gerade 50 000 bis 70 000 neue Ausbildungsstellen angeboten. Es wird sehr interessant werden, zu beobachten, ob diese Angebote in diesem Jahr auch realisiert werden. Von einer solchen Verdrossenheit kann also ganz offensichtlich keine Rede sein.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Daweke.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Wüster so verstehen, daß die Bundesregierung nunmehr anerkennt, daß die Ausbilder-Eignungsverordnung deshalb, weil sie sehr große theoretische und sehr wenige praktische Kenntnisse voraussetzt, ausbildungshemmend ist?

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Nein, keineswegs. Es geht schlicht und einfach darum, Herr Kollege, daß es beispielsweise im Handel noch eine ganze Reihe von Leuten gibt, die ausbilden und deren Ausfall uns jetzt angesichts der geburtenstarken Jahrgänge große Schwierigkeiten machen würde. Wie ich Herrn Kollegen Wüster schon sagte, wird dies Anfang der 80er Jahre anders sein. Die Ausbildereignungsprüfung ist notwendig. Aber wir wollen uns flexibel und pragmatisch verhalten und uns an die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt anpassen. Werten Sie es also bitte als ein Beispiel für die Flexibilität und den Pragmatismus der Bundesregierung, aber keineswegs dafür, daß diese Ausbilder-Eignungsverordnung falsch gewesen wäre oder aber daß ihre Inhalte falsch gewesen wären.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Steger.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, daß durch die bloße Existenz der Ausbilder-Eignungsverordnung die Qualität der Berufsausbildung in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen ist?

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Herr Kollege Steger, wenn Sie mit Leuten, die von Berufsbildung etwas verstehen, sprechen, werden Sie diese Ansicht und die Beweise für eine solche Ansicht immer wieder finden. Die Qualität der beruflichen Bildung ist in den letzten Jahren seit der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes von 1969 und auch durch die Ausbilder-Eignungsverordnung, die nur eine Folge dieses Gesetzes war, entscheidend verbessert worden. Wir müssen uns jetzt darum kümmern, daß wir genügend Ausbildungsplätze bekommen. Wir dürfen aber nicht die Qualität der Berufsbildung sozusagen streichen oder wieder mindern, um eine größere Zahl von Ausbildungsplätzen zu bekommen. Das wäre die falsche Politik. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Es tut mir leid, Herr Kollege, Sie dürfen nur eine Zusatzfrage stellen. Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Sick.

Willi Peter Sick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, zu der Behauptung, die Berufsausbildung habe sich gebessert: Haben Sie nachprüfbare Maßstäbe, von denen Sie dieses Urteil ableiten?

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Herr Kollege, es gibt erstens eine Fülle von Modellversuchen, die von unserem Hause, zum Teil auch im Verhältnis 50:50 mit den Bundesländern finanziert, durchgeführt wurden. Zweitens gibt es wissenschaftliche Forschungen. Drittens bitte ich Sie wirklich, beispielsweise im Handwerksbereich, aber genauso im Bereich der Industrie mit denen zu sprechen, die nun ausbilden. Dann werden Sie feststellen, daß durch die neuen Ausbildungsordnungen, die für 700 000 Leute geschaffen werden konnten, und durch die Verbesserung der Eignung der Ausbilder in vielen Bereichen wirklich ein neuer Standard der Berufsausbildung erreicht werden konnte. Daß uns das, da es 1,3 Millionen Auszubildende gibt, noch nicht überall gelungen ist und daß noch viele Verbesserungen notwendig sind, ist ganz unbestritten. Aber es hat sich seit 1969 Entscheidendes verbessert.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Möller auf: Teilt die Bundesregierung die in der öffentlichen Diskussion vorgetragene Befürchtung, die weitgehende Zurückdrängung des Deutschunterrichts in der reformierten Oberstufe schaffe, da die große Mehrheit der Schiller nur an den wenig effizienten Grundkursen teilnimmt, einerseits sprachlich mehr oder weniger unbeholfene und damit unmündige junge Bürger, andererseits in Gestalt der an den sogenannten Leistungskursen teilnehmenden Minderheit eine „neue Elite", ein Effekt, den die Reformer zu allerletzt beabsichtigt hatten ({0}), und, wenn ja, welche Folgerungen kann sie daraus ziehen? Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär.

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Herr Kollege Möller, die Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe geht auf einen Beschluß der Kultusminister der Länder zurück, der am 7. Juli 1972 gefaßt worden ist. Die Bundesregierung hat an dieser Vereinbarung nicht mitgewirkt. Die Bundesregierung hat auch keinerlei Kompetenzen auf diesem Gebiet. Sie werden deshalb verstehen, daß ich mich zu Ihrer Frage im einzelnen überhaupt nicht äußern kann, weil bei uns keine Kenntnisse über die Durchführung des Deutschunterrichts an Gymnasien vorliegen. Daß der Deutschunterricht eine besondere und hohe Bedeutung für die Erringung der „Reife" hat, die man mit dem Abitur bekommen soll - ich setze diesen problematischen Begriff in Anführungsstriche -, ist ganz selbstverständlich. Dieser Auffassung sind auch wir. Sehen Sie es mir aber bitte nach, daß ich angesichts der Kompetenz der Länder hier keine langen Ausführungen machen kann.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Möller. Dann rufe ich die Frage 8, die ebenfalls von dem Herrn Abgeordneten Dr. Möller eingebracht worden ist, auf: Hält die Bundesregierung es für richtig, daß die Entscheidung der Schüler für oder gegen das Fach Deutsch als Leistungsfach von einem Einführungskurs abhängig gemacht wird, der in nur drei Wochenstunden die deutsche Sprache in „trockener Begrifflichkeit" und einem Übermaß an Abstraktion vorführt und auf diese Weise eher abschreckend als informierend und werbend wirkt, und sieht die Bundesregierung nicht auch hier negative Folgen einer überwuchernden „Verwissenschaftlichung" des Unterrichts, und wenn ja, kann sie dem im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit den Ländern entgegenwirken? Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Herr Kollege Möller, ich muß Ihnen auf diese Frage unter Hinweis auf die Kompetenzen im Grunde natürlich dasselbe antworten, was ich Ihnen auch soeben schon geantwortet habe. Weil Sie in Ihrer Frage aber von einer „überwuchernden Verwissenschaftlichung" sprechen, möchte ich folgendes sagen. Die gymnasiale Oberstufe muß auch die Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens und wissenschaftlichen Denkens vermitteln, wenn der Schüler am Ende über die Voraussetzungen für ein Studium oder eine entsprechende Berufsausbildung verfügen soll. Ob und inwieweit mit der Durchführung des Kurssystems in der reformierten gymnasialen Oberstufe gerade beim Deutschunterricht, wie Sie sagen, eine unzulässige Verwissenschaftlichung eingetreten ist, entzieht sich wiederum der Kenntnis der Bundesregierung, die dafür nicht zuständig ist. Ich möchte zum Abschluß meiner Antwort mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Satz zitieren, der in der entsprechenden Vereinbarung der Kultusminister steht. Er lautet: Im sprachlich-künstlerischen Aufgabenfeld dient das Fach „Deutsch" vor allem dem Studium der Muttersprache. Es vermittelt unter anderem Einsicht in sprachliche Strukturen und fördert die Fähigkeit zu sprachlicher Differenzierung unter Berücksichtigung der verschiedenen Ebenen sprachlicher Kommunikation, also Umgangssprache, wissenschaftlicher Sprache usw. Wenn dies erreicht wird, was hier zum Ausdruck gebracht wird, dürften die Mißstände, die Sie in den Schulen befürchten, nicht vorkommen - auch nicht in der reformierten Oberstufe.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Möller.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sieht denn die Bundesregierung solche Gefahren der Verwissenschaftlichung des Unterrichts, wie sie jetzt z. B. in Amerika aufgetreten sind, nicht?

Prof. Dr. Peter Glotz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000692

Herr Kollege Möller, ich glaube, man kann nicht davon sprechen, daß die Verwissenschaftlichung grundsätzlich eine Gefahr ist. Es gibt aber natürlich Formen von „Verwissenschaftlichung", die sich darin ausdrücken, daß schon im Unterricht nicht mehr deutsch, sondern sozusagen bildungspolitisch gesprochen wird. Diese Art von Verwissenschaftlichung muß man wirklich kritisieren. Ob es aber nun in der reformierten gymnasialen Oberstufe im Fach „Deutsch" wirklich so ist, wie Sie unterstellen, dies bitte ich Sie herzlich bei den Kultusministern nachzufragen. Wir haben mit unseren eigenen Kompetenzen genug zu tun. Es ist nicht mein Problem, mich in die Kompetenzen der Kultusminister der einzelnen Länder einzumischen. Das würde auch die Kritik dieser Kultusminister herausfordern.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine weitere Zusatzfrage. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministern des Innern. Ich rufe die Frage 9 der Abgeordneten Frau von Bothmer auf: Ist die Einstufung der CISNU durch den Verfassungsschutz als „terroristische Organisation" als zutreffend zu bezeichnen? Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, bitte schön.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Frau Kollegin, vor dem Verwaltungsgericht Köln ist derzeit eine Klage von Mitgliedern der CISNU anhängig, wonach dem Bundesminister des Innern unter anderem die Behauptung untersagt werden soll, bei der CISNU handle es sich um eine terroristische Gruppierung. Der Gegenstand dieses Rechtsstreits deckt sich also weitgehend mit Ihrer Frage. Ich bitte Sie daher sehr um Verständnis, wenn ich mich zur Sache hier und heute nicht öffentlich äußere. Ich werde Sie jedoch zur gegebenen Zeit gern über die gerichtliche Entscheidung unterrichten. s.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.

Lenelotte Bothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000237, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung denn bekannt, daß die CISNU grundsätzlich in einer Weise observiert wird, als seien negative Kundgebungen über das Regime im Iran fast gleichbedeutend mit Schaden für die Bundesrepublik Deutschland, und daß auf diese Weise gewonnene Erkenntnisse sehr schnell in Persien vorliegen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Frau Kollegin, die Bundesregierung achtet darauf, daß unsere Gesetze eingehalten werden. Was zu dieser Organisation zu sagen ist, das haben wir im Verfassungsschutzbericht ausgeführt. Dies ist auch die Grundlage der Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Gerade die Qualifizierung, die sich daraus ergibt, ist jetzt ja Gegenstand eines Rechtsstreites.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.

Lenelotte Bothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000237, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würde im Zuge dieses Rechtsstreites dann auch beachtet werden, daß persische Studenten bei Demonstrationen nicht deswegen Masken tragen, um einem Artikel unserer Verfassung entgegenzuhandeln, sondern deswegen, um sich persönlich vor dem Fotografieren zu schützen, denn auch diese Fotografien liegen, wie man erfährt und weiß, sehr bald in Persien vor?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Frau Kollegin, ich kann hier nur antworten, was die Bundesbehörden und deren Tätigkeit angeht. Ich muß sagen, hier halten sich die Bundesbehörden an den Auftrag, der ihnen gesetzlich vorgeschrieben ist. Daraus ergeben sich keine Befürchtungen, wie sie jetzt von Ihnen dargestellt worden sind.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß es notwendig wäre, um festzustellen, welche Studenten sich in der Bundesrepublik Deutschland möglicherweise terroristisch betätigen könnten, alle Studenten, die aus Iran stammen, vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich kann Ihnen keine zustimmende Äußerung zu dieser Hypothese geben. Ich kann Ihnen nur noch einmal wiederholen, daß die Bundesregierung durch den Verfassungsschutz einen gesetzlichen Auftrag wahrnimmt, und der erstreckt sich auf die Sicherheit, die hier in der Bundesrepublik für unsere Bevölkerung gewährleistet werden muß.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Wir kommen zu Frage 10 der Frau Abgeordneten von Bothmer: Treffen Meldungen zu, wonach Einreiseersuchen persischer Studenten generell mit der Begründung abgewiesen wurden, daß die guten Wirtschaftsbeziehungen zum Iran gerade der letzten Zeit die Aufnahme von eventuellen iranischen Regimegegnern als nicht geraten erscheinen ließen, gleichgültig der Tatsache gegenüber, ob diese Personen etwa im Iran an Leib und Leben gefährdet sind? Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Frau Kollegin, persische Studenten können, sofern sie nicht die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beabsichtigen, grundsätzlich jederzeit sichtvermerkfrei in die Bundesrepublik Deutschland einreisen. Nur wenn ein Ausweisungsgrund im Sinne des § 10 des Ausländergesetzes vorliegt, können sie nach § 18 des Ausländergesetzes bei der Einreise zurückgewiesen werden. Ein solcher Ausweisungsgrund kann unter anderem dann vorliegen, wenn die Anwesenheit eines Ausländers erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen würde. Unter diesem Gesichtspunkt sind einige persische Studenten, die zur Teilnahme am CISNU-Kongreß im Januar dieses Jahres in Frankfurt einreisen wollten, beim Versuch der Einreise aus Drittländern in die Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen worden. Da sie aus Drittländern einzureisen versuchten, war mit ihrer Zurückweisung eine Gefahr für Leib und Leben für sie nicht verbunden. Die von den Betroffenen angestellten Verwaltungsrechtsstreitigkeiten sind noch nicht rechtskräftig entschieden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.

Lenelotte Bothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000237, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß solche Studenten, die von Persien her politisch belastet sind, bei uns grundsätzlich einreisen dürfen? Denn es würde ja sicher nach Ihrer Meinung mit den Grundsätzen unseres Landes nicht übereinstimmen, wenn man aus wirtschaftlichen Rücksichten Menschen, die als politische Flüchtlinge kommen, die Einreise verwehrte.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Frau Kollegin, hier gilt das Asylrecht, das ja auch in der Verfassung verankert ist. Es dürfte in solchen Fällen Platz greifen, die Sie hier genannt haben.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung eigentlich die Tatsache, daß persische Studenten auch hier in der Bundesrepublik bei kritischen Äußerungen stets als Regimegegner des Schahs betrachtet werden, wohingegen der Schah keine Gelegenheit ausläßt, die Demokratie auch dieser Bundesrepublik zu verhöhnen?

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich bin im Zweifel, Herr Abgeordneter, ob ich die Frage zulassen sollte. Ich denke, Sie finden sich damit ab, daß ich die Frage nicht zulasse, Herr Abgeordneter. Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf: Ist die Bundesregierung bereit, die Entsdhädigungsregelung für Fluglärmgeschädigte nach den gleichen Grundsätzen zu gestalten, wie dies für durch Straßenverkehrslärm Geschädigte in § 42 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geregelt und durch eine Verordnung zur Zeit konkretisiert wird? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, die Bundesregierung wird im Rahmen des Immissionsschutzberichtes, der Ende dieses Jahres dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden wird, auch über ihre Erfahrungen mit dem Fluglärmgesetz berichten. Sie wird in diesem Bericht unter. anderem zu der Frage Stellung nehmen, ob das Fluglärmgesetz verbessert werden sollte. Hierbei wird sie auch die zur Durchführung des § 42 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu erlassende Straßenschallschutzverordnung, die zur Zeit von den beteiligten Bundesressorts beraten wird, in die Prüfung mit einbeziehen. Ich bitte um Verständnis, daß ich dieses Prüfungsergebnis heute nicht vorwegnehmen kann.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Fluglärmgeschädigte Ansprüche auf Entschädigung aus Enteignung und Nachbarrecht auf Grund des § 16 des Fluglärmgesetzes geltend machen können, worin es heißt, daß Vorschriften, die weitergehende Entschädigungen gewähren, unberührt bleiben?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, das ist einer der Punkte, die in die Prüfung einbezogen werden, von der ich soeben gesprochen habe.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist mit der in der Antwort auf meine Frage an diesem Ort vom 19. Januar 1977 zugesicherten Überprüfung der Möglichkeit einer praktikableren Grenzziehung zwischen den Schutzzonen nach dem Fluglärmgesetz bereits begonnen worden? Welche Maßnahmen wurden bisher in die Wege geleitet? Falls diese Untersuchung noch nicht eingeleitet wurde: Weshalb ist dies noch nicht geschehen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen worden. Sobald die Ergebnisse vorliegen, werde ich Sie gerne unterrichten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig.

Dr. Ottfried Hennig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000871, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich das zum Anlaß nehmen, Sie für den Straßenverkehrsbereich zu fragen, wann denn die Konkretisierung in Form einer Ausführungsverordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz nun endlich zwischen den Ressorts abschließend beraten sein wird?

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Tut mir leid, ich kann die Frage nicht zulassen; sie steht nicht im Zusammenhang mit der gestellten Frage. - Herr Abgeordneter Daweke, bitte schön!

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie sagen, ob Sie bereit sind, diese Verordnung auf solche Flughäfen auszudehnen, die Senkrechtstarter haben?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, darauf kann ich Ihnen aus dem Stand jetzt keine Antwort geben. Aber das Fluglärmgesetz umfaßt doch generell den gesamten Fluglärm, woher er auch kommen mag. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Friedmann auf: Ist die Bundesregierung, falls sie sich nicht zu dieser Gleichbehandlung verstehen könnte, bereit, zumindest anstelle von Auflagen in Schutzzone 2 mit Empfehlungen zu arbeiten? Zur Beantwortung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär das Wort.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Die Bundesregierung hält Empfehlungen nicht für geeignet, um Verbesserungen für die Betroffenen in der Schutzzone 2 der Lärmschutzbereiche an Flugplätzen zu erreichen. Zur Verbesserung der im Fluglärmgesetz getroffenen Regelung ist eine Gesetzesänderung notwendig. Ob und gegebenenfalls welche Verbesserungen getroffen werden sollten, wird die Bundesregierung in dem zu Ihrer ersten Frage erwähnten Bericht über die Erfahrungen mit dem Fluglärmgesetz darlegen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, dafür Sorge zu tragen, daß zumindest der Bodenlärm des militärischen Flugplatzes Söllingen durch Errichten von Erdwällen erträglicher wird?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich bin gern bereit, Ihnen diese Frage schriftlich zu beantworten. Ich möchte aber zu dem Gesamtkomplex der beiden Fragen hinzufügen, daß Sie bitte beachten wollen, daß jedes der beiden Gesetze von unterschiedlichen Systemen der Erfassung und der Entschädigung ausgeht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind vor Gerichten bereits Klagen wegen Erstattung der Kosten für Schallschutzmaßnahmen anhängig? Wenn ja: Ist die Bundesregierung bereit, mir hierüber eine Aufstellung zuzuleiten?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Wenn ich Sie richtig interpretiere, handelt es sich um Schallschutzmaßnahmen aus der Schutzzone 2. Ich bin gern bereit, Ihnen darüber zu berichten, falls es solche Prozesse schon gegeben hat. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Fragen 13 und 14 des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Pensionen der Ruhestandsbeamten und Beamtenwitwen in vielen Fällen, oft bis in den höheren Dienst, nicht ausreichen, um die mit der Unterbringung in einem Alten- oder Altenpflegeheim verbundenen Kosten zu bestreiten, und daß dieser Personenkreis deshalb weitgehend auf die zu Lasten der Gemeinden gehende Sozialhilfe angewiesen ist? Was gedenkt die Bundesregierung - insbesondere unter Berücksichtigung des für das geltende Beamtenrecht maßgeblichen Alimentationsprinzips - zu tun, um den betroffenen Versorgungsempfängern den Weg zum Sozialamt zu ersparen und die ohnehin finanzschwachen Gemeinden zu entlasten?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Versorgungsbezüge nicht immer ausreichen, um die Kosten für die Unterbringung in einem Altenheim abzudecken, und daß die Versorgungsempfänger unter Umständen auf die Inanspruchnahme der Sozialhilfe angewiesen sind. Dagegen führt die Unterbringung in einem Altenheim wegen Pflegebedürftigkeit ebenso wie die in einem Altenpflegeheim nicht zu den genannten Schwierigkeiten. Hier handelt es sich um Krankheitsfälle, so daß nach den Beihilfevorschriften Beihilfen zu den Unterbringungskosten zu gewähren sind. Eine Inanspruchnahme der Sozialhilfe scheidet also in diesen Fällen aus. Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat anläßlich der Beratung des Entwurfs des Beamtenversorgungsgesetzes am 1. April 1976 die Bundesregierung ersucht, „gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche dienstrechtlichen Möglichkeiten bestehen, Versorgungsempfängern, die in einem Altenheim aufgenommen werden müssen und deren Versorgungsbezüge zur Bestreitung der Kosten nicht ausreichen, über die bestehenden Regelungen hinaus zu helfen". Dabei seien auch die Auswirkungen auf andere Personenkreise und Rechtsgebiete zu untersuchen. Die Angelegenheit ist mit den Ländern eingehend, jedoch bisher ohne positives Ergebnis erörtert worden. Die Bundesregierung strebt an, die Angelegenheit im Zusammenhang mit der bevorstehenden Novellierung der Beihilfevorschriften noch im Jahr 1977 möglichst abschließend zu regeln.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.

Johannes Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001554, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Sie also richtig verstanden - das darf ich Sie fragen -, daß Sie dieses Ziel, das Sie vorgetragen haben, wirklich verfolgen? Stimmen Sie mit mir darin überein, daß es an sich eine Fürsorgepflicht des obersten Dienstherrn ist, diese Dinge zu regeln?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, meine Ausführungen sind genauso zu interpretieren.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Riedl auf: Gesetzt den Fall, daß in einer deutschen Großstadt mit einer Einwohnerzahl von rund ein bis eineinhalb Millionen Menschen eine ähnlich schwere Erdbebenkatastrophe erfolgt wie jüngst in Rumänien, Norditalien oder der Volksrepublik China, wären die derzeit verfügbaren und ausgerüsteten Katastrophenschutzorganisationen bei Bund und Ländern in der Lage, die dafür erforderlichen Hilfs- und Schutzmaßnahmen in ausreichendem Maß schnellstmöglich zu leisten? Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege Dr. Riedl, würde man die bei den drei letzten Erdbebenkatastrophen in Norditalien, China und Rumänien entstandenen Schadenslagen auf die Bundesrepublik übertragen, dürfte das von Bund, Ländern und Kommunen vorgehaltene Hilfeleistungspotential insgesamt ausreichen, um durch konzentrierten Einsatz der Notsituation Herr zu werden. Obwohl in dem angenommenen Beispiel einer friedenszeitlichen Katastrophe die Länder nach der grundgesetzlichen Aufgabenverteilung für die Gefahren- und Schadensabwehr zuständig sind, stünden auch das vom Bund für Zwecke des Verteidigungsfalles unterhaltene Katastrophenschutzpersonal von derzeit 135 000 Helfern sowie auf besondere Anforderung ebenso Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zur Verfügung. Auf Grund der Erfahrungen anläßlich der Waldbrandkatastrophe in Niedersachsen im Jahre 1975 sind in der Zwischenzeit die Kommunikationsverfahren und Koordinationsmechanismen so verbessert worden, daß mit einer schnellstmöglichen Heranführung ausreichender Rettungskräfte zum Schadensort gerechnet werden kann.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl auf: Sollte dem nicht so sein, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um für eine ausreichende Ausstattung des Katastrophenschutzes in der Bundesrepublik Deutschland Sorge zu tragen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Der in der Anfrage angesprochene Beitrag der Bundesregierung kann sich lediglich auf den grundgesetzlich vorgegebenen Rahmen beschränken. Hierfür wurden seit 1969 insgesamt 1,1 Milliarden DM aufgebracht. Herr Kollege, ich erspare es mir, die Zahlen im einzelnen darzulegen.; ich bin aber gern bereit, Ihnen das schriftlich zu übermitteln. Trotz dieser Leistungen ist nicht zu bestreiten, daß infolge der schwierigen Haushaltssituation noch nicht alle Bedürfnisse befriedigt werden konnten. Die Bundesregierung wird künftig besondere Anstrengungen unternehmen, um das Hilfeleistungsnetz durch einen rationellen unid schwerpunktmäßigen Einsatz der Mittel so effizient wie möglich zu gestalten. Ein entsprechendes Programm für die 8. Legislaturperiode ist in Vorbereitung.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Riedl.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, diese jetzt nicht genannten Zahlen dem Protokoll beizufügen, und könnten Sie mir bitte sagen, wann mit der Vorlage dieses Programms an die parlamentarischen Gremien zu rechnen sein wird?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Ich bin gern bereit, Ihnen die Zahlen schriftlich zu geben. *) Wann das Programm vorgelegt werden kann, kann ich heute nicht genau sagen; möglicherweise wird der erste Vorentwurf schon in diesem Jahr vorliegen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Jentsch auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Sportminister der UdSSR, Pawlow, auf die Frage der Tageszeitung „DIE WELT", ob bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau Westberliner Sportler in der Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland auftreten können, geantwortet hat: „Die Westberliner Sportler werden nicht abseits stehen", und wie beurteilt die Bundesregierung diese Antwort? Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege Jentsch, der Bundesregierung ist das von Ihnen angesprochene Interview, über das die Tageszeitung „Die Welt„ am 28. Februar 1977 berichtet hat, bekannt. Die Berliner Sportler werden nach Maßgabe der Bestimmungen und Gepflogenheiten des Internationalen Olympischen Komitees IOC entsandt. Danach gehören Berliner Sportler zur Mannschaft des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland. Es bestehen keine Zweifel, daß sich auch das Organisationskomitee der 22. Olympischen Spiele 1980 in Moskau an die Regeln des IOC halten wird. Diese Auffassung wird durch eine Garantieerklärung der Regierung der UdSSR aus dem Jahre 1974 bestätigt, *) Hierzu wurden folgende Angaben zu Protokoll gegeben: Der Ausrüstungssektor partizipiert daran mit rund 240 Millionen DM. Es wurden z. B. 5 530 Fahrzeuge ({0}) im Werte von 83,4 Millionen DM beschafft. Für rund 120 Millonen DM wurden Neubauten errichtet, davon 306 Katastrophenschutz-Zentren, 13 Zentralwerkstätten und 24 THW-Unterkünfte. Außerdem hat der Bund 4 430 Unterkünfte für Helfer angemietet. Zur Zeit befinden sich 8 Katastrophenschutz-Zentren und 17 THW-Unterkünfte im Bau. die die Teilnahme aller Mitglieder des IOC an den 22. Olympischen Spielen 1980 in Moskau betrifft. Hiermit hat die Regierung der UdSSR im Zusammenhang mit der Bewerbung Moskaus um die Olympischen Spiele 1980 die Regeln des IOC anerkannt. Nach einer Mitteilung des NOK hat dies bei der IOC-Sitzung in Montreal anläßlich der Olympischen Spiele 1976 der Präsident des Organisationskomitees der 22. Olympischen Spiele, Herr Novikow, der gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR ist, erneut zum Ausdruck gebracht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jentsch.

Dr. Hans Joachim Jentsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001027, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn Sie den Wortlaut des Interviews genauso interpretieren wie ich, daß nämlich diese klare Zusage darin nicht zu sehen ist, darf ich Sie dann fragen, ob hier eine Tendenz zu sehen sein könnte, zu versuchen, von dieser klaren Vereinbarung, von der Sie sprachen, abzuweichen oder dies zumindest öffentlich in eine Phase der Unsicherheit zu ziehen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, die Bundesregierung hat keinen Anlaß, anzunehmen, daß von den Zusagen, die ich Ihnen soeben vorgelesen habe, irgendwelche Abstriche gemacht werden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Hans Joachim Jentsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001027, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da Ihnen dieses Interview bekannt war, möchte ich fragen, ob irgendwelche Rückfragen stattgefunden haben, um diese doch sehr seltsame - wenn ich mir das zu sagen erlauben darf - Äußerung des sowjetischen Sportministers klarzustellen.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich habe Ihnen dargelegt, auf welcher Grundlage die Beteiligung der Sportler in Moskau zu sehen ist. Daran hat sich nach Auffassung der Bundesregierung durch das Interview nichts geändert.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung den in diesem Jahr bevorstehenden Besuch des sowjetischen Parteichefs Breschnew in der Bundesrepublik dazu nutzen, sich von ihm noch einmal ganz klar und deutlich bestätigen zu lassen, daß es sich so verhält, wie Sie uns vorgetragen haben?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge, die ich Ihnen vorgetragen habe, besteht für Bestätigungen überhaupt kein Anlaß.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Fragen, 18 und 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz auf: Wie vereinbart die Bundesregierung die Feststellungen ihrer Antwort auf meine Fragen Nr. 85 und 86 aus der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 2. März betr. Flugverkehr über dem Kernkraftwerk Biblis mit der Antwort des Bundesverteidigungsministers vom 1. September 1976 auf mein Schreiben vom 9. August 1976? Warum hat die Bundesregierung es unterlassen, mich von den Ergebnissen ihrer Überprüfungen des Flugverkehrs über dem Kernkraftwerk Biblis zu unterrichten, nachdem mir der Bundesverteidigungsminister kurz zuvor die obenstehende Antwort erteilt hatte? Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege Dr. Lenz, in dem von Ihnen zitierten Antwortschreiben hat der Herr Bundesminister der Verteidigung insbesondere darauf hingewiesen, daß Kernkraftwerke als Industrieanlagen hoher Gefahrenklasse in ausreichendem Abstand zu umfliegen bzw. bei Überfliegung die Bestimmung des § 6 der Luftverkehrsordnung über Sicherheitsmindesthöhen - .mindestens 150 m - zu beachten sind. Das gilt auch für Militärmaschinen, obwohl im übrigen für diese kein generelles Überflugverbot existiert. Unbeschadet dessen sollen die Militärflugzeuge im Rahmen der vom Bundesminister der Verteidigung verfügten Anordnung vorgenannte Anlagen möglichst meiden, zumindest aber bei der Planung der Streckenführung von Tiefflügen aussparen. Der Bundesminister des Innern sieht sich durch die inzwischen am Ort vorgenommenen Erhebungen des Bundesministers der Verteidigung jedoch bestätigt, seine Bemühungen fortzusetzen, im Gespräch mit dem Verteidigungsminister eine wirksamere Einschränkung des Tiefflugverkehrs im Bereich des Kernkraftwerks Biblis zu erreichen. Die Antwort auf Ihre zweite Frage: Ich habe Ihnen auf Ihre diesbezügliche Frage in der Fragestunde am 2. März das Ergebnis der Überprüfung des Flugverkehrs über Biblis mitgeteilt. Der Bundesminister der Verteidigung hatte seinen von Ihnen herangezogenen Antwortbrief aus seiner Sicht zunächts als abschließend betrachtet und von weiterer Nachricht abgesehen, bis als Ergebnis der noch laufenden Verhandlungen zwischen den betroffenen Ressorts ein neuer Sachverhalt vermeldet werden kann.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lenz.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie vereinbart die Bundesregierung ihre Feststellung auf meine Frage 85 in der letzten Fragestunde, daß über das Kernkraftwerk selbst 31 Luftfahrzeuge geflogen seien, mit ihrer lapidaren Feststellung in dem von Ihnen zitierten Antwortschreiben: Ihre Annahme, das Kernkraftwerk Biblis werde als Markierungspunkt für Tiefflugnavigationen benutzt, entspricht daher nicht den Gegebenheiten. Ebenso ist Ihre Vermutung gegenstandslos, die Flugzeugführer wichen von einer vorbeiführenden Tiefflugschneise zum Zweck des Anfliegens des Kernkraftwerks ab.? Hat die Bundesregierung dafür Verständnis, daß das Schreiben des Bundesverteidigungsministers als Versuch gewertet werden kann, die Überflüge über das Kernkraftwerk Biblis vor der Bundestagswahl herunterzuspielen?

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Sie haben zwei Zusatzfragen gestellt, Herr Abgeordneter Lenz. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich habe keinesfalls diesen Eindruck, wenn ich auch zugebe, daß die Regeln über Art des Überfliegens, die im einzelnen hier zitiert worden sind, für einen Laien - ich zähle mich in diesem Zusammenhang auch zu den Laien - zunächst schwer zu durchschauen sind. Ich habe Ihnen in den letzten Fragestunden präzise Auskunft gegeben, um welche Art von Überfliegungen es sich handelt. Ich sehe keinen Widerspruch zwischen meiner Äußerung und dem, was der Verteidigungsminister Ihnen generell vorher brieflich mitgeteilt hat.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lenz.

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung denn Verständnis dafür, daß die Erfassung des Flugverkehrs über Biblis in der Zeit unmittelbar nach der Bundestagswahl, nämlich vom 4. bis zum 29. Oktober 1976, ebenfalls als Versuch verstanden werden kann, den Sachverhalt nicht vor, sondern erst nach den Bundestagswahlen aufzuklären?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich vermag beim besten Willen nicht, hier einen Zusammenhang mit der Bundestagswahl herzustellen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lenz. Wollen Sie sie stellen?

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wann wird die Bundesregierung eine Tiefflugsperre im Bereich des Kernkraftwerks Biblis verhängen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich habe soeben ausgeführt, daß wir innerhalb der Bundesregierung in Verhandlungen stehen. Die Zielsetzung, die das Bundesinnenministerium hat, habe ich Ihnen dargelegt. Ich hoffe, daß die Verhandlungen bald zum Abschluß kommen. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens ist vom Fragesteller zurückgezogen, desgleichen seine Frage 21. Ich rufe Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Penner auf: Kann die Bundesregierung darauf hinwirken, daß Änderungen der Abmessungen von Sportstätten durch Sportverbände künftig jeweils nur unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten der Träger des Sportstättenbaus, insbesondere der Städte und Gemeinden, geschehen? Zur Beantwortung der Herr. Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege Penner, die Auswirkungen von Normänderungen hinsichtlich der Verwendung bestehender Anlagen und der Kosten des Sportstättenbaues sowie die Notwendigkeit einer Abstimmung mit den Trägern des Sportstättenbaues wurden von den europäischen Sportministern in den Konferenzen im März 1976 in Bonn und im Februar 1977 in Straßburg eingehend erörtert. Die Minister vereinbarten, ihre nationalen Sportorganisationen auf die Probleme hinzuweisen, die solche Normänderungen insbesondere im finanziellen Bereich aufwerfen, und mit den Sportverbänden über die Verfahren und Möglichkeiten zu sprechen, wie diese finanziellen Auswirkungen möglichst gering gehalten werden können. Der Bundesminister des Innern hat den deutschen Sportorganisationen die Ansichten der europäischen Sportminister zu diesen Problemen dargelegt und einen Meinungsaustausch mit den Sportfachverbänden darüber eingeleitet. Er wird mit diesen im einzelnen die Möglichkeiten erörtern, wie unangemessenen Normänderungen durch die internationalen Fachverbände entgegengewirkt werden kann, und darüber dem Sportausschuß des Deutschen Bundestages den hierzu in seiner Sitzung am 16. März 1977 erbetenen Bericht erstatten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in den letzten Jahren sind Änderungen in den Abmessungen für den Radrennsport und für den Schwimmsport beschlossen worden. Ich frage Sie: Was hat die Bundesregierung getan, um dies zu verhindern, zumal durch solche Änderungen hochmoderne sportliche Anlagen nicht mehr internationalen Maßstäben genügen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, wir müssen unterscheiden zwischen Änderungen, die auf Wettkampfregeln zurückgehen, wie Sie sie soeben genannt haben, und Änderungen, die aus anderen Gründen, etwa im Interesse einer besseren Nutzung der Sportanlage, getroffen worden sind. Ganz generell ist die Bundesregierung der Meinung, daß weitere Belastungen derjenigen, die die finanzielle Last des Baus von Sportanlagen tragen, nicht zumutbar sind. Ich bin gern bereit, zu den von Ihnen genannten Einzelfällen noch einen schriftlichen Bericht zu geben.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht. - Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schirmer.

Friedel Schirmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001973, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie Ihre künftigen Aktivitäten verdeutlichten: Wären Sie auch bereit, darüber hinaus tätig zu werden, um auch andere im sportlichen wie im staatlichen Bereich angesiedelte Organisationen dazu zu bewegen, daß solche unangemessenen Änderungen nicht mehr vorkommen werden?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, das meinte ich soeben, als ich sagte, daß die Bundesregierung solchen Änderungen entgegentreten wird. Im übrigen darf ich noch einmal darauf hinweisen, es ist nicht nur ein Problem der nationalen Sportfachverbände, sondern ein internationales Problem. Wir wirken bereits seit März 1976 darauf hin, daß neue unzumutbare Lasten auch vom internationalen Bereich nicht auf uns zukommen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich rufe Frage 23 des Abgeordneten Dr. Laufs auf: Welche Auswirkungen hat nach Meinung der Bundesregierung das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg bezüglich des Kernkraftwerks Wyhl auf die weitere Genehmigung von Kernkraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, eine abschließende Analyse und Bewertung des am 14. März, 1977 mündlich verkündeten Urteils des Verwaltungsgerichts Freiburg über die erste Teilerrichtungsgenehmigung für das geplante Kernkraftwerk Wyhl ist erst nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe möglich, mit denen nach Angaben des Gerichts in etwa zehn Wochen zu rechnen ist. Die das Bundesministerium des Innern bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben auf dem Gebiete des Atomrechts beratende Reaktorsicherheitskommission hat am .16. März 1977 zu dem vom Gericht für notwendig erachteten Bau einer Berstsicherung ausgeführt, selbstverständlich müsse auch Vorsorge gegen das Bersten des Reaktordruckbehälters getroffen werden. Dieses Sicherheitsziel könne jedoch nicht durch den Bau einer Berstsicherung erreicht werden. Vielmehr werde hier auf anderem Wege, und zwar durch die inzwischen erreichte Qualität des Reaktordruckbehalters sowie die Qualitäts- und Wiederholungsprüfung, eine vom Gericht angenommene Berstmöglichkeit hinreichend ausgeschlossen. Vorbehaltlich einer sorgfältigen Prüfung der schriftlichen Urteilsgründe, Herr Kollege, kann nach vorstehender Situation zur Zeit nur ausgesagt werden, daß hier eine nicht rechtskräftige Entscheidung über einen Einzelfall vorliegt, wobei Zweifel bestehen, ob diese Entscheidung mit den tatsächlichen Gegebenheiten und auch mit der bisherigen Rechtsprechung im Einklang steht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung gegebenenfalls eine Auswirkung dieses Urteils im Hinblick auf Baugenehmigungen für bereits baureife Pläne neuer Kernkraftwerksbauvorhaben, außerdem im Hinblick auf Betriebsgenehmigungen für bereits gebaute und betriebsreife Kernkraftwerke bzw. für den weiteren Betrieb von bereits arbeitenden Kernkraftwerken?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, eine abschließende Antwort ist im Moment nicht möglich. Ich vermag für diesen Zeitpunkt noch keine gravierenden Auswirkungen zu sehen. Ein abschließendes Urteil ist aber erst nach einer Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung möglich.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung im Hinblick auf das Verwaltungsgerichtsurteil von Freiburg die Novellierung des Atomgesetzes betreiben und, falls ja, welche Bewertung des Berstschutzes wird sie dabei zugrunde legen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Es ist nicht auszuschließen, Herr Kollege, daß die Erkenntnisse, die man aus dem im übrigen ja noch nicht rechtskräftigen Urteil ziehen wird, Eingang finden in die geplante fünfte Novellierung des Atomgesetzes. In welcher Form das geschehen wird, kann ich heute beim besten Willen nicht sagen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Steger.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, treffen Berichte zu, daß die Reaktorsicherheitskommission insofern in ihrer Meinung eine Änderung vollzogen hat, als sie bei einem früher in einem Ballungsgebiet zur Diskussion stehenden Kernkraftwerk diesen Berstschutz gefordert hat und daraufhin der Bau dieses Kernkraftwerks unterblieben ist?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, es gab eine Planung eines Kernkraftwerks unmittelbar in einem Werksgelände. Diese Planung ist aber nicht realisiert worden. Dort war in der Tat aus besonderen Gründen ein besonderer Berstschutz in der Planung oder jedenfalls im Gespräch.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, das Urteil von Wyhl wie auch andere Urteile stellen ja die Frage, ob die Problematik, die den Gerichten hier vorliegt, im Rahmen des gegenwärtigen Systems des verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes zureichend bewältigt werden kann. Ich frage die Bundesregierung, ob sie Überlegungen anstellt und ob heute schon etwas darüber gesagt werden kann, in welche Richtung sie gehen, um dieses Problem besser zu bewältigen.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, es ist in der Tat so, daß die Bundesregierung Überlegungen anstellt, um das von Ihnen aufgezeigte Problem wenigstens annähernd zu lösen. Dafür käme - ich habe es eben schon gesagt - die Fünfte Novelle zum Atomgesetz in Betracht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Benz.

Gerold Benz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Entscheidung von Wyhl in die Fortschreibung der Energieplanung der Bundesregierung, die wir in den nächsten Wochen zu erwarten haben, aufgenommen worden, oder sind Sie der Meinung, daß hier Änderungen vorgenommen werden müßten?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, das betrifft letztlich wieder die Antwort auf die Frage nach den Auswirkungen dieses Urteils. Ich kann diese Frage heute nicht abschließend beantworten. Wenn das Urteil rechtskräftig bestätigt würde, ist natürlich nicht auszuschließen, daß sich daraus möglicherweise Weiterungen ergäben. Die Frage eben bezog sich auf die gegenwärtige Situation. Für die gegenwärtige Situation sehe ich keine Notwendigkeit einer Änderung der Genehmigungspolitik.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Wir kommen damit zu Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs: Wie stellt sich die Bundesregierung die Elektrizitätsversorgung revierferner Bundesländer vor, wenn in den nächsten Jahren keinerlei Kernkraftwerke mehr entsprechend dem Wyhler Urteil genehmigt werden?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, die Energieversorgungsunternehmen sind auf Grund des Energiewirtschaftsgesetzes verpflichtet, jederzeit in ihrem Versorgungsgebiet die Stromversorgung sicherzustellen. Hieraus folgt, daß die Energieversorgungsunternehmen über die erforderliche Kraftwerkskapazität verfügen müssen. Da die Errichtung von Kraftwerken auf der Basis von Heizöl und Erdgas nach dem Dritten Verstromungsgesetz einer strikten Genehmigungspflicht unterliegt, kommt neben der Kernenergie im wesentlichen nur noch der Zubau von Steinkohlekraftwerken in Frage. Deshalb wirkt die Bundesregierung schon seit Jahren auf die Versorgungsunternehmen ein, rechtzeitig entsprechende Steinkohlekapazitäten auch in revierfernen Bundesländern zuzubauen, um ihrer Versorgungspflicht nachkommen zu können. Dabei können sich allerdings, Herr Kollege, gerade für revierferne Länder eine Reihe von Schwierigkeiten ergeben, auf die die Bundesregierung in dem von ihr vorgeplanten und heute im Kabinett beratenen Energieprogramm im einzelnen eingehen wird.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, praktikable Grenzwerte der Technischen Anleitung Luft gesetzlich im Bundesimmissionsschutzgesetz zu verankern, um in revierfernen Bundesländern den Bau von Kohle- und Ölkraftwerken hinsichtlich Bauzeit und Standort als Alternative praktisch planbar zu machen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Gerade dies, Herr Kollege, ist eine Frage, die zur Zeit intensiv geprüft wird. Über das Ergebnis kann ich hier noch nicht berichten; es liegt noch nicht vor.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Laufs. Bitte schön.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, befürwortet die Bundesregierung die sofortige Vollziehbarkeit der Baugenehmigungen für Kohlekraftwerke, und befürwortet sie die Erleichterung der nach dem Verstromungsgesetz erforderlichen Genehmigungen für ölgefeuerte Gasturbinenkraftwerke, damit auf diese Weise eine Anfang der 80er Jahre besonders in revierfernen Bundesländern drohende Versorgungslücke geschlossen werden kann?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, das sind Fragen, die sich im Grunde alle nur im Zusammenhang mit dem neuen Energieprogramm beantworten lassen. Die sofortige Vollziehbarkeit darf nach meiner Meinung nicht die Regel werden; sie ist im Verwaltungsrechtsverfahren ein Ausnahmeinstitut.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, die eklatante Ungerechtigkeit zu beseitigen, die darin liegt, daß die Stromverbraucher in den revierfernen Gebieten nicht nur einen höheren Tarif zu zahlen haben, sondern durch eine erhöhte Abgabe des sogenannten Kohlepfennigs die strukturstärkeren Gebiete sogar noch subventionieren?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, das ist eine Frage, die voll in den Kompetenzbereich des Wirtschaftsministers fällt. Ich darf Sie noch einmal auf das Energieprogramm verweisen, das ja in Kürze hier vorliegen wird. Es ist heute von der Bundesregierung im Kabinett abschließend beraten worden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Steger.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß regionale Stromengpässe, die infolge des Wyhl-Urteils möglicherweise auftreten könnten, vermieden worden wären, wenn sich die EVUs in den revierfernen Gebieten nicht so ablehnend gegenüber der Kohleverstromung verhalten hätten, sondern hier mehr einer diversifizierenden Strategie gefolgt wären?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Ich kann nur wiederholen, Herr Kollege, daß die Bundesregierung seit längerem darauf drängt, daß auch Steinkohle eingesetzt wird.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Benennung des Standorts für ein Entsorgungszentrum Gorleben im Zusammenhang mit der hier aufgeworfenen Frage der langfristigen Energieversorgung unseres Landes, wenn der dortige Ministerpräsident nur einen Standort nennt und erklärt, daß er für die Prüfung zwei bis drei Jahre braucht, und die Folge, daß dann, wenn dieser Standort schließlich nicht in Frage kommt, tatsächlich der Versorgungsengpaß nochmals um drei Jahre verlängert werden kann?.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Abgeordneter Stahl, ich kann nur einen entfernten Zusammenhang Ihrer Zusatzfrage mit der ursprünglichen Frage erkennen. Aber ich lasse die Beantwortung durch den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär zu, wenn er dies wünscht.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

In der Tat, Herr Präsident, der Herr Kollege hat einen neuen Komplex angeschnitten, auf den ich im einzelnen nicht vorbereitet bin. Aber es ist so, daß die Sicherung der Entsorgung eng mit der weiteren Entwicklung der Kernenergie zusammenhängt. Daran hat die Bundesregierung keinen Zweifel gelassen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Zu einer letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmöle. .Schmöle ({0}) : Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bisher nicht immer davon ausgegangen, daß es bei der Auswahl für die Entsorgungsanlage um einen gewünschten Platz gehen sollte, daß man also zunächst nicht mehrere Plätze untersuchen sollte?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich bin jetzt nicht in der Lage, auf diese detaillierte Frage im einzelnen einzugehen. Sie beinhaltet einen ganz anderen Komplex. Ehe ich Ihnen etwas sage, was ich nicht vertreten kann, sage ich dazu lieber nichts.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie können die Beantwortung jeder Frage ablehnen. Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf. Präsident Carstens Sind die bestehenden Sicherheitsmaßstäbe für Kernreaktoren einheitlich auf alle Reaktortypen anwendbar, und welche speziellen Sicherheitsprobleme sind mit den fortgeschrittenen Prototypreaktoren Hochtemperaturreaktor und Schnellbrutreaktor verbunden? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, das Atomrecht legt gleich strenge Sicherheitsmaßstäbe an Kernkraftwerke unabhängig vom jeweiligen Reaktortyp an. Sicherheitstechnische Vorschriften dagegen - z. B. die Sicherheitskriterien des BMI, die Leitlinien der Reaktorsicherheitskommission oder die Regeln des kerntechnischen Ausschusses - sind in erster Linie auf die heute in der Bundesrepublik zum Einsatz gelangenden Leiditwasserreaktoren zugeschnitten. Sie werden jedoch hinsichtlich typenunabhängiger Sicherheitseigenschaften oder Sicherheitsvorkehrungen in gleicher Weise in typenspezifischen Dingen sinngemäß auch auf andere Reaktorbaulinien wie den Hochtemperaturreaktor oder den Schnellbrutreaktor angewendet. Die Bundesregierung achtet somit darauf, bei allen Reaktortypen ein gleichmäßig hohes Niveau integraler Sicherheit zu erzielen. Die geringere praktische Betriebserfahrung mit Prototypkraftwerken muß hierbei besonders beachtet und durch entsprechend vorsichtig bemessene Sicherheitszuschläge und -auflagen berücksichtigt werden. Zu den gegenüber den Leichtwasserreaktoren speziellen Sicherheitsaspekten fortgeschrittener Reaktortypen wie Hochtemperatur- und Schnellbrutreaktor hat sich die Bundesregierung, Herr Kollege, in ihrer Antwort vom 16. Juli 1975 auf die Große Anfrage im Deutschen Bundestag eingehend geäußert. Ich darf darauf verweisen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Steger.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es würde natürlich gerade interessieren, welches die Kriterien sind, nach denen die Bundesregierung entscheidet, welches die typenspezifischen und welches die typenunabhängigen Sicherheitsbestimmungen sind. Können Sie darüber Auskunft geben?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, das ist eine technische Einzelfrage. Ich habe Ihnen im groben dargestellt, wie der Entwicklungsstand ist. Ich bin gern bereit, Ihnen diese Kriterien im einzelnen schriftlich darzulegen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Steger.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dafür bedanke ich mich. Dann möchte ich aber fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß es bei dem Bau des Hochtemperaturreaktors, der auch durch die Bundesregierung gefördert wird, Schwierigkeiten mit diesen Sicherheitsüberprüfungen gibt und daß dadurch der Bau des Hochtemperaturreaktors möglicherweise verzögert wird.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Das ist mir bekannt, Herr Kollege. Aber ich bin der Meinung, daß solche Schwierigkeiten im Interesse der Sicherheit hingenommen werden müssen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf: Welche sicherheitstechnischen Probleme wirft die Stillegung einer nuklearen Anlage auf? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Nach Entfernung der Kernbrennstoffe und anderer beweglicher radioaktiver Stoffe, die unter Bedingungen des Normalbetriebs vorgenommen wird, enthält eine außer Betrieb gesetzte Anlage, Herr Kollege, noch kontaminierte und aktivierte Anlagenteile. Im Falle eines Kernkraftwerks sind das insbesondere Druckbehälter, Rohrleitungen und Betonstrukturen. Die Stillegung und die Beseitigung der Anlage können entweder unter sicherer langfristiger Einschließung dieser Anlagenteile an Ort und Stelle oder durch ihre Abtragung und Fortschaffung in ein Lager für radioaktive Abfälle erfolgen. Die Ausführung beider Varianten ist unter Anwendung üblicher sicherheitstechnischer Überwachungs- und Schutzmaßnahmen und bekannter Zerlegungstechniken möglich. Durch die bei der Abtragung in Betracht zu ziehende Strahlenbelastung für das Arbeitspersonal kann jedoch die nach der Strahlenschutzverordnung zugelassene Körperdosis möglicherweise relativ rasch erreicht werden. Dem Einsatz und der Verfügbarkeit erfahrener, geeigneter Arbeitskräfte sind damit Grenzen gesetzt. Zur Verringerung der Strahlenbelastung sind die Entwicklung und Erprobung fernbedienbarer Werkzeuge erforderlich, die unter den räumlichen Bedingungen eines Kernkraftwerks einsetzbar sind. Der Bund fördert hierzu und zu weiteren Problemen - z. B. Dekontamination und Konditionierung abgebauter Anlagenteile - entsprechende Forschungsvorhaben. Die Fünfte Novelle zum Atomgesetz, die zur Zeit vorbereitet wird, soll auch Vorschriften über die beseitigungsfreundliche Planung kerntechnischer Anlagen enthalten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Steger.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in der Lage, zu überprüfen, ob in den Kalkulationen der Energieversorgungsunternehmen, die Kernkraftwerke betreiben, entsprechende Rückstellungen gemacht werden, um diese beträchtlichen Aufwendungen, die Sie skizziert haben, später auch tatsächlich erbringen zu können?.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Dies ist ein Problem, Herr Kollege, das wir bereits kennen und das auch bereits zu Folgerungen der von Ihnen genannten Art geführt hat. Das heißt, wir werden als Gesetz1206 geber nicht zulassen können, daß diese Kosten außer Betracht bleiben. In der Tat werden sie heute schon weitgehend durch die Wirtschaft berücksichtigt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Steger.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie die Folgerungen oder auch die daraus gezogenen Initiativen der- Bundesregierung etwas präzisieren?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich bin gern bereit, das im einzelnen zu tun. Ich bin nicht sicher, ob dies von Anfang an, also vom Beginn des Baus des ersten Kernkraftwerks an, bereits berücksichtigt worden ist. Seit einiger Zeit aber liegt das Problem auf dem Tisch.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gibt es Zahlen, die Auskunft darüber geben, welche Kosten etwa pro installierte Megawattleistung eines Kernkraftwerks beim Abbau entstehen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Ich bin sicher, Herr Kollege, daß es darüber zumindest Schätzungen - mehr kann es ja nicht sein - geben wird. Ich bin gern bereit, sie Ihnen zur Verfügung zu stellen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe nunmehr die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den Standard der Sicherheitsanforderungen an deutsche Kernkraftwerke im internationalen Vergleich? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Die Realisierung, Herr Kollege, eines für die Bundesrepublik Deutschland anzustrebenden hohen Sicherheitsstandards steht in enger Wechselwirkung mit den entsprechenden Aktivitäten im Ausland. Dabei liegt nach Kenntnis der Bundesregierung das erreichte Sicherheitsniveau, unser Sicherheitsniveau nämlich, im internationalen Vergleich mit an der Spitze. In dem für die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen besonders bedeutungsvollen Bereich des Schutzes vor äußeren Einwirkungen wie Flugzeugabsturz oder Druckwellen von chemischen Explosionen kann von einer Führungsrolle der bundesdeutschen Sicherheitsanforderungen gesprochen werden. Die Bundesregierung ist daher bemüht, im internationalen Bereich eine Harmonisierung auf der Basis dieses erreichten Sicherheitsniveaus herbeizuführen und eine Nivellierung unterhalb dieses Standes zu verhindern. Hierzu dient u. a. ein Verwaltungsabkommen zur Bildung einer deutschfranzösischen Kommission für die Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und des Strahlenschutzes sowie ein Zusammenarbeits- und Austauschabkommen mit der amerikanischen Aufsichts-und Genehmigungsbehörde NRC. Darüber hinaus ist beabsichtigt, im Rahmen der EG die internationale Harmonisierung der Standortvorsorge zu intensivieren.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stockleben.

Adolf Stockleben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002255, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da das Gericht in Wyhl den Berstschutz nicht für ausreichend hält, möchte ich Sie fragen: Sind Ihnen Erkenntnisse bekannt, daß andere Länder Modelle, Modellversuche planen, Kernkraftwerke unterirdisch zu konzipieren?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, wenn Sie gestatten, daß ich Ihre zweite Frage jetzt mitbeantworte, könnte ich Ihnen auch auf diese Frage eine Antwort geben.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Das ist offensichtlich der Fall. Ich rufe dann also auch die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf: In welcher Hinsicht hält sie Verbesserungen des deutschen Standards für nötig und möglich?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die erreichten hohen Sicherheitsstandards den weiteren Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie verantwortbar machen. Dennoch ist sie bemüht, das ohnehin - im Vergleich zu anderen Techniken - extrem geringe Restrisiko der Kernkraftwerke weiter zu vermindern. So werden in umfangreichen Arbeiten u. a. die Verbesserungsmöglichkeiten durch eine unterirdische Anlage von Kernkraftwerken untersucht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockleben? Dann eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spöri.

Dr. Dieter Spöri (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für vertretbar, wenn sich deutsche Energieversorgungsunternehmen am Kernkraftwerksbau in Frankreich in unmittelbarer Grenznähe beteiligen und damit deutsche Sicherheitsauflagen unterlaufen, wie das z. B. in Fessenheim geschehen ist?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich kann dazu hier keine Feststellungen treffen, auch nicht im einzelnen über die Sicherheitsanforderungen in Fessenheim, die andere sind als die in der Bundesrepublik Deutschland - das ist richtig -; aber ich vermag Ihnen nicht zuzustimmen, daß die Beteiligung mit der Absicht geschieht, die Sicherheitsanforderungen zu unterlaufen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordneter Stahl? - Bitte schön, Sie haben das Wort.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hinsichtlich eines solchen Falles wie des eben erwähnten möchte ich Sie fragen: Finden mit den Nachbarstaaten Gespräche und Konsultationen statt mit dem Ziel, daß die Sicherheitsauflagen in dem Lande, in dem ein derartiges Kraftwerk an unserer Grenze gebaut wird, auch erhöht werden, um unseren Sicherheitsbestimmungen Rechnung zu tragen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, gerade mit dem Nachbarland Frankreich ist hinsichtlich dieser Fragen in letzter Zeit auf verschiedenen Ebenen eine engere Zusammenarbeit vereinbart worden, u. a. auch bei dem letzten der regelmäßig stattfindenden Treffen der beiden Regierungen, das in Paris stattfand.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Steger.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung im Ausland auch Kernkraftwerke - insbesondere des Typs Schneller Brüter - fördert, die nicht den deutschen Sicherheitsbestimmungen entsprechen, und ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß bei diesen Modellprojekten, an denen sich die Bundesregierung finanziell beteiligt, derartige Sicherheitsstandards eingehalten werden?

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Herr Kollege Steger, Sie dürfen nur eine Zusatzfrage stellen. Aber ich habe keine Bedenken dagegen, daß der Herr Staatssekretär beide beantwortet.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, es könnte sich nur, wie Sie selbst ausgeführt haben, um Entwicklungsprojekte handeln, die noch nicht abgeschlossen sind. Selbstverständlich müßten bei einer Realisierung dieser Projekte bei uns die Sicherheitsanforderungen gestellt werden, auf die wir in unserem Lande mit Recht Wert legen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Stahl auf: Wie hat sich die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit in den letzten Jahren entwickelt, und welche Veränderungen hält die Bundesregierung für nötig? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Seit 1973 wird das Atomgesetz einer- grundlegenden Novellierung unterworfen. Eingeleitet wurde die Entwicklung mit der am 1. Oktober 1975 in Kraft getretenen Dritten Novelle zum Atomgesetz. Fortgesetzt wurde die Novellierung insbesondere im Zusammenhang mit der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. März 1975 durch die Vierte Novelle, die am 5. September 1976 in Kraft getreten ist. Schwerpunktmäßig enthält die Vierte Novelle die gesetzlichen Grundlagen für die Realisierung des Konzepts der Bundesregierung für ein integriertes und räumlich konzentriertes Entsorgungssystem für radioaktive Abfälle. Am 13. Oktober 1976 wurde die neue Strahlenschutzverordnung verkündet, die zu einer wesentlichen Verschärfung der bisherigen Strahlenschutzbestimmungen geführt hat. Weitere wichtige Konkretisierungen der gesetzlichen Bestimmungen zur Reaktorsicherheit sind erfolgt. Herr Kollege, ich erspare es mir, sie im einzelnen vorzulesen; ich füge sie dem Protokoll bei. *) Für die Fünfte Novelle zum Atomgesetz sind eine Reihe von Schwerpunkten von Bedeutung, gerade unter dem Gesichtspunkt der Reaktorsicherheit, den Sie angesprochen haben, nämlich Normierung übergreifender Planungsgrundsätze für die Auslegung kerntechnischer Anlagen, Definition des Begriffs „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge", Präzisierung der Voraussetzungen, unter denen nachträgliche Auflagen angeordnet werden können oder die Genehmigung widerrufen werden muß, Verpflichtung zur beseitigungsfreundlichen Planung von kerntechnischen Anlagen, Regelung der Bauartzulassung für Komponenten von kerntechnischen Anlagen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wann ist damit zu rechnen, daß die Fünfte Novelle zum Atomgesetz in diesem Hause beraten wird, und welche Schwerpunkte - außer denen, die Sie soeben dargestellt haben - können in ihr unter Berücksichtigung auch des Berstschutzes noch aufgenommen werden, auf den in letzter Zeit abgehoben wurde?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich rechne damit, daß der Referentenentwurf in diesem Jahr vorliegen wird, daß möglicherweise das Gesetzgebungsverfahren auch schon in diesem Jahre beginnt. Das hängt natürlich auch davon ab, welche Auswirkungen sich aus dem Urteil des Freiburger Verwaltungsgerichts bezüglich Wyhl ergeben. Das kann ich nicht vorhersagen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine weitere Zusatzfrage. - Dann rufe ich die Fragen 30 und 31 des Herrn Abgeordneten Pfeifer auf. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung der Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Dr. Schöfberger auf: Ist die Bundesregierung bereit, in Zukunft Tarifabschlüsse und Einzelarbeitsverträge mit geschlediterspezifisdien Lohndiskriminierungen zu unterlassen? Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. *) Hier handelt es sich um Leitsätze zur Standortbewertung aus der Sicht von Reaktorsicherheit und Strahlenschutz, Sidierheitskriterien für Kernkraftwerke, eine Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen aus chemischen Reaktionen, eine Richtlinie für den Fachkundennachweis von Kernkraftwerkspersonal sowie Leitlinien der Reaktor-Sicherheitskommission.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege Dr. Schöfberger, in den Tarifverträgen, die von der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitgeber abgeschlossen werden, gibt es keine geschlechterspezifischen Lohndiskriminierungen. Der Vergütungsbzw. Lohnanspruch richtet sich nach tariflichen Tätigkeitsmerkmalen, die allein auf die Tätigkeit, nicht aber auf das Geschlecht abstellen. Auch nach Auffassung der vertragsschließenden Gewerkschaften stellt sich hier die Frage einer geschlechterspezifischen Lohndiskriminierung nicht. Entsprechendes gilt für die einzelarbeitsvertraglichen Abreden, soweit im Einzelfall ausnahmsweise zugunsten des Arbeitnehmers von tarifvertraglichen Bezahlungsnormen abgewichen wird.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine Zusatzfrage. - Dann rufe ich die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) auf: Hat die Bundesregierung wegen der Offenbarung und Veröffentlichung geheimer Vorgänge im Zusammenhang mit dem Fall „Traube" strafrechtliche Ermittlungsverfahren veranlaßt? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, einer Anregung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch die Bundesregierung bedurfte es nicht, weil die in diesem Zusammenhang in Betracht kommenden Straftaten Offizialdelikte sind, bei denen die zuständige Strafverfolgungsbehörde nach dem Legalitätsprinzip von Amts wegen tätig werden muß. Nach Mitteilung des Generalstaatsanwalts bei dem Oberlandesgericht Köln hat die Staatsanwaltschaft Bonn aus Gründen des Sachzusammenhangs alle erforderlichen Ermittlungen wegen der Herausgabe und Veröffentlichung von Verschlußsachen im Zusammenhang mit dem Fall Traube übernommen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist bekannt, wer Anzeige erstattet hat? In der Offentlichkeit waren darüber Andeutungen zu hören und zu lesen.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, es handelt sich um ein Offizialdelikt, wie ich schon ausgeführt habe. ({0}) Die Bundesregierung wind die erforderlichen Strafverfolgungsermächtigungen erteilen, sobald ihr die Anfrage der Staatsanwaltschaft Bonn nach den Nummern 212, 209 der von der Justizministerkonferenz beschlossenen Richtlinien; für das Strafverfahren vorliegt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hätte die Bundesregierung dann, wenn nicht von einem bestimmten Zeitpunkt ab die Staatsanwaltschaft nach dem mir bekannten Offizialprinzip die Ermittlungen aufgenommen hätte, von sich aus ein Ermittlungsverfahren wegen der Offenbarung und Veröffentlichung der Vergänge veranlaßt?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, dazu hatte die Bundesregierung gar keinen Anlaß, da die Strafverfolgungsbehörden von sich aus tätig geworden sind.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 127 des Abgeordneten Regenspurger auf: Wird die Bundesregierung die im Zusammenhang mit einer Strafverfolgung wegen der Offenbarung und Veröffentlichung geheimer Vorgänge im Fall „Traube" eventuell notwendigen Ermächtigungen erteilen? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich wiederhole die Antwort, die ich eben dem Kollegen Wittmann gegeben habe. Das war präzise auch die Antwort auf Ihre Frage.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Regenspurger.

Otto Regenspurger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, werden auch die Ermächtigungen zur Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung geheimer Vorgänge gegeben?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Ich habe eben ausgeführt, daß die Ermächtigungen erteilt werden, wenn eine Anfrage erfolgt, wie das in den Richtlinien vorgesehen ist. Dann wird über die Ermächtigung entschieden werden.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Regenspurger.

Otto Regenspurger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie es in Anbetracht der Wichtigkeit dieser Angelegenheit für angemessen, daß bis heute noch keine Ermächtigung erteilt wurde?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich habe eben ausgeführt, daß sich dies nach einem Verfahren vollzieht, das von der Justizministerkonferenz vorgeschrieben ist. Das wird korrekt eingehalten.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 131 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf: Sind nach der vom polnischen Justizminister in den Gesprächen mit dem deutschen Justizminister und nach der in der amtlichen polnischen Presse ({0}) vertretenen Auffassung alle Deutschen, die unter dem Ausreiseprotokoll vom 9. Oktober 1975 in die Bundesrepublik Deutschland kommen, noch polnische Präsident Carstens Staatsangehörige, und wird die Bundesregierung den freiheitlichen Willen dieser Deutschen gegen ihre völkerrechtswidrige Inanspruchnahme durch eine Verwaltungsmacht zum Zeitpunkt der kollektiven Verleihung der polnischen Staatsangehörigkeit schützen? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege Dr. Czaja, die meisten Aussiedler aus Polen, die auf Grund der am 9. Oktober 1975 in Warschau unterzeichneten Vereinbarungen von Helsinki zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen in die Bundesrepublik Deutschland kommen, sind ausweislich ihrer Reisedokumente nicht oder nicht mehr polnische Staatsangehörige. Aussiedler, die von Polen weiterhin als polnische Staatsangehörige angesehen werden, werden in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich als Deutsche behandelt, sofern sie nach deutschem Recht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder die Rechtsstellung als Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes durch Aufnahme erwerben. Es bleibt der freien Entscheidung dieser Personen überlassen, ob sie die polnische Staatsangehörigkeit aufzugeben wünschen. Hierdurch können für die Betroffenen eher Konflikte vermieden werden als durch die von Ihnen angeregte Erörterung von Grundsatzfragen. Im übrigen verweise ich auf meine Antwort auf eine Frage des Kollegen Biehle vom 8. September vergangenen Jahres.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie sagten, daß diese Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich als deutsche Staatsangehörige behandelt werden, frage ich Sie: Kann ich davon ausgehen, daß sie sich nach diesem Prinzip wegen der innerstaatlichen Unwirksamkeit der Verleihung einer fremden Staatsangehörigkeit, die nicht völkerrechtskonform durch die Verwaltungsmacht erfolgte, nicht bei den Ausländerbehörden melden müssen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Dazu besteht gar kein Anlaß. Die Problematik liegt woanders. Ich habe sie Ihnen dargelegt.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da das Bundesverfassungsgericht am 7. Juli 1975 festgestellt hat, daß das Versäumnis der umfassenden Schutzpflicht für Deutsche gegen fremde Staaten - ich zitiere - „... objektiv eine Verfassungsverletzung ist", frage ich die Bundesregierung, ob sie diese Menschen vor der gegen ihren Willen erfolgten In- anspruchnahme durch eine fremde Macht mit allen zulässigen Mitteln schützen und die fremde Macht darauf hinweisen will?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich vermag im Zusammenhang mit Ihrer Frage eine Verfassungsverletzung überhaupt nicht zu sehen. Die genannten Personen haben den vollen Schutz unseres Landes.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich rufe die Frage 149 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher eingeleitet, und welche gedenkt sie noch einzuleiten, damit die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977 verfassungswidrig an die Regierungsparteien SPD und FDP aus Steuermitteln gemachten geldwerten Leistungen zurückerstattet werden? Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich die beiden von Herrn Abgeordneten Dr. Voss eingebrachten Fragen zusammen beantworten könnte.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Dann rufe ich noch die Frage 150 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf: Ist sich die Bundesregierung des Umstands bewußt, daß bei Nichtrückzahlung der verfassungswidrigen Wahlhilfen ein erneuter Organstreit wegen Verletzung von Rechten und Pflichten der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht werden kann?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Die Bundesregierung hat ihre Auffassung zu dem in Ihrer ersten Frage angesprochenen Gegenstand bereits in der vergangenen Woche dargelegt. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, daß Ansprüche, wie Sie sie offenbar voraussetzen, bestehen, Herr Kollege. Die Öffentlichkeitsarbeit dieser Bundesregierung, aller Bundesregierungen und aller Regierungen der Länder hat sich als Staatspraxis auf die Rechtsauffassung gegründet, daß Öffentlichkeitsarbeit, so wie sie bisher betrieben wurde, legitim sei. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 2. März 1977 ausdrücklich hervorgehoben, daß die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit „bisher umstritten" waren und „in dieser Entscheidung erstmals näher präzisiert" worden sind. Im einzelnen nehme ich insoweit Bezug auf die Ausführungen des Chefs des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in der 18. Sitzung dieses Hohen Hauses am 17. März 1977. Herr Kollege, angesichts dieser Beurteilung sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit, Erwägungen über einen neuen Organstreit anzustellen.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voss.

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dennoch bereit, die im öffentlichen Recht gegebene Anspruchsgrundlage der öffentlich-rechtlichen Erstattung und des Regreßanspruches und darüber hinaus auch den öffentlich-rechtlichen Tatbestand der Bereicherung zu prüfen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, ich habe eben schon ausgeführt, daß die Bundesregierung dazu keinen Anlaß sieht.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voss.

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, beabsichtigt denn die Bundesregierung, die Tatbestände, die in dem Sondervotum des Bundesverfassungsrichters Geiger auf Seite 9 erwähnt worden sind und die von einer verdeckten Gewinnausschüttung ausgehen, zu prüfen und die Finanzverwaltung zu beauftragen, diese Tatbestände zur Steuer heranzuziehen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, auch dafür besteht nach der Rechtsauffassung, wie ich sie eben noch einmal interpretiert habe, nach Ansicht der Bundesregierung kein Anlaß.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voss.

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die vom Bundesverfassungsgericht qualifizierten Tatbestände, die ausdrücklich für verfassungwidrig befunden worden sind, nach den Normen unseres geltenden Strafrechts zu qualifizieren?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Herr Kollege, die Bundesregierung und im übrigen auch die Regierungen der Länder werden sehr sorgfältig Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen haben. Es werden aber nicht solche sein wie die, die Sie eben erwähnt haben.

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voss.

Dr. Friedrich Voss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist die Bundesregierung bereit, den Tatbestand der Untreue - subjektiv wie objektiv - zu prüfen?

Gerhart Rudolf Baum (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000111

Dazu sieht die Bundesregierung keinen Anlaß. ({0})

Dr. Karl Carstens (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000321

Ich kann keine weiteren Zusatzfragen zulassen. Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär. Er hat den größten Teil dieser Fragestunde bestritten und dem Parlament über eine Stunde Rede und Antwort gestanden. Meine Damen und Herren, ({0}) ich habe die traurige Pflicht, dem Hause den Tod unseres Kollegen Alex Hösl anzuzeigen, der in den frühen Morgenstunden des 20. März bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Alex Hösl wurde am 9. August 1919 in Nordheim v. d. Rhön geboren, wo er nach Besuch der Schule das Handwerk eines Werkzeugdrehers erlernte. Von 1939 bis 1945 war er Soldat. Danach übernahm er das elterliche Anwesen, da seine drei Brüder im Kriege gefallen waren. Schon 1948 wurde Alex Hösl zum Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Nordheim und im Jahre 1952 zum stellvertretenden Landrat seines Landkreises gewählt. Der Christlich-Sozialen Union gehörte er seit 1951 an. 1961 wurde Alex Hösl Abgeordneter für den Wahlkreis Bad Kissingen im Deutschen Bundestag. Während seiner über 15jährigen Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter widmete er sich neben Fragen der Kommunal-, Verkehrs-, Haushalts- und Forschungspolitik in der Hauptsache der Deutschlandpolitik. Er nahm sich der Sorgen aller Bürger seines Wahlkreises an, besonders auch der Sorgen des „kleinen Mannes". Er war sehr beliebt. Bei der letzten Bundestagswahl erhielt er 70,3 °/o der Stimmen. Als Ordentliches Mitglied des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen, später des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen nahm er leidenschaftlichen Anteil an der Deutschlandpolitik. Er trat mit seiner ganzen Kraft für die deutsche Einheit und für Berlin ein. Neben der Deutschlandpolitik war es die Europapolitik, der sich Alex Hösl widmete. Er gehörte von 1965 bis 1972 als Ordentliches Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates an. Mit Alex Hösl verliert der Deutsche Bundestag einen unermüdlich tätigen Abgeordneten, einen gütigen, jederzeit hilfsbereiten Kollegen, der zwei schöne Eigenschaften besaß, die in dieser Vereinigung in der Politik nicht oft anzutreffen sind: Humor und Bescheidenheit. Er liebte die Geselligkeit und hatte viele gute Freunde in seiner Fraktion, aber auch in den anderen Fraktionen des Bundestages. Ich spreche den Angehörigen von Alex Hösl, insbesondere Frau Hösl und ihren drei Kindern, sowie der Fraktion der CDU/CSU zu ihrem schweren Verlust die herzlichste Anteilnahme des Hauses aus. Der Deutsche Bundestag wird Alex Hösl ein würdiges und dankbares Andenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von den Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung und in Verbindung damit den Zusatzpunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU Vorbereitung einer Dokumentation über die menschenrechtliche Lage in Deutschland und der Deutschen in den kommunistischen Staaten Osteuropas - Drucksache 8/152 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Aussthuß für innerdeutthe Beziehungen ({1}) Auswärtiger Aussaiuß Rechtsausschuß Präsident Carstens Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP Verwirklichung der KSZE-Schlußakte und Wahrung der Menschenrechte - Drucksache 8/221 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({2}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Zur Begründung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und gleichzeitig als erster Redner hat der Abgeordnete Graf Huyn das Wort. ({3})

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU hat den Antrag, der heute vor diesem Hohen Hause behandelt wird, gestellt, erstens weil die Vorbereitung der Belgrader Zusammenkunft über die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unmittelbar bevorsteht, zweitens weil hierbei die Frage der Menschenrechte in Europa im allgemeinen und in Deutschland und für die Deutschen im besonderen ein bestimmendes Moment sein muß, drittens weil es Pflicht der Bundesregierung auch auf dieser Konferenz sein wird, deutlich zu machen, daß sie Verantwortung für Deutschland als Ganzes trägt und am unveräußerlichen Recht auf Selbstbestimmung für Deutschland festhält. Die Fraktion der CDU/CSU beantragt, dem Deutschen Bundestag eine umfassende Dokumentation über die Verwirklichung und über die Verletzung der Grundrechte in Deutschland und gegenüber den Deutschen außerhalb der Grenzen Deutschlands im Geltungsbereich der KSZE-Schlußakte vorzulegen. Diese Dokumentation soll umfassen: erstens den Menschenrechts- und Grundrechtsschutz im Geltungsbereich des Grundgesetzes, zweitens die menschenrechtliche Lage in der DDR, drittens die Menschenrechtsverletzungen an der innerdeutschen Demarkationslinie, viertens die menschenrechtliche Lage der Deutschen in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße, fünftens die menschenrechtliche Lage der Personen deutscher Volkszugehörigkeit in Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und der Sowjetunion. Ich bin erstaunt, daß Prof. Ehmke in einem Gegenantrag, der in diesem Haus eingebracht worden ist, erklärt, daß ein soldier Antrag, wie ihn meine Fraktion gestellt hat, überwiegend propagandistischen Zwecken und dem Mißbrauch der Menschenrechtsfrage diene ({0}) und als eine innenpolitische Waffe benutzt werden solle. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, hier geht es um ein Anliegen, das ein gemeinsames Anliegen dieses Hauses sein sollte. ({1}) Es liegt an Ihnen, ob Sie es zu einer innerparteilichen Angelegenheit machen oder ob Sie bereit sind, für die Menschenrechte einzutreten. ({2}) Gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 über den Grundvertrag ist die Bundesregierung verpflichtet, den Anspruch auf Wiedervereinigung in Freiheit im Innern wachzuhalten und - so lautet es dort wörtlich - nach außen zu vertreten. Sie hat die Pflicht, allen Deutschen Schutz und Fürsorge angedeihen zu lassen, für die Interessen der deutschen Nation zum Schutz der Deutschen einzutreten und jedem einzelnen von ihnen Hilfe zu leisten. Im Rahmen dieser Verpflichtung, die das Bundesverfassungsgericht eigens bekräftigt hat, bewegt sich dieser Antrag. Darüber hinaus fühlen wir von der CDU/CSU uns als christliche Partei besonders verpflichtet, für Recht und Würde der Menschen einzutreten. ({3}) - Sie können ja zeigen, ob Sie bereit sind, dem zu folgen. Ich meine, wir alle in diesem Hohen Hause - auch Sie, die hier Zwischenrufe machen - müssen uns darüber einig sein, Freiheit und Menschenwürde als unverfügbare Güter anzuerkennen, die von staatlicher Gewalt nicht beeinträchtigt sind. ({4}) Gerade dies kennzeichnet ja unseren freiheitlichen deutschen Staat, für den wir alle einzustehen haben. Wir wissen alle, daß zwischen Grundsätzen und den Möglichkeiten ihrer Durchsetzung. oft eine schmerzliche Kluft besteht. Dennoch oder gerade deswegen sind wir alle und ist insbesondere die Bundesregierung aufgerufen, alles in der eigenen Macht Stehende zu tun, um diese Kluft zu schließen oder wenigstens zu überbrücken. Es zeugt von dem gemeinsamen Bewußtsein in der freien Welt für menschliche Würde, daß heute die Forderung nach Gewährung der Menschenrechte für die Unterdrückten im kommunistischen Machtbereich immer deutlicher wird. Wir von der Union jedenfalls werden dieses Thema nicht ruhen lassen. ({5}) Durch die KSZE als eine außerrechtliche zwischenstaatliche Vereinbarung wurde kein neues Völkerrecht gesetzt, obwohl die Sowjetunion vor und nach Abschluß und Unterzeichnung der Schlußakte in ihren Interpretationen immer wieder versucht hat, diese Vereinbarung als Völkerrecht hinzustellen. Die KSZE nimmt auch keinen Friedensvertrag mit Deutschland vorweg. Wohl aber setzt sie eine moralische Verpflichtung gerade zur Durchsetzung der Menschenrechte im kommunistischen Machtbereich. Wir denken dabei nicht nur an Korb III und Prinzip 7 der KSZE-Schlußakte. Wir denken insbesondere an die Verwirklichung der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die ja u. a. von Ost-Berlin, aber auch von Polen und der Tschechoslowakei ratifiziert worden ist. Ich habe vor mir das Gesetzblatt vom 26. Februar 1974 des Staates, der sich als deutsch, demokratisch und Republik bezeichnet. Darin wird die Ratifizierung der Menschenrechtskonvention bekanntgegeben. Hier steht in Art. 12 Abs. 2 - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -: Es steht jedem frei, jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassen. Dieser Satz im Gesetzblatt von Ost-Berlin ist doch ein Hohn für die Menschen in Mitteldeutschland, die täglich die Unmenschlichkeiten dieses Regimes erleiden müssen, die durch Stacheldraht, Mauer und Schießbefehl, an der Ausübung ihrer Menschenrechte gehindert werden. Noch immer gibt es in Mitteldeutschland über 5 000 politische Häftlinge; nicht mitgezählt sind hierbei die Internierten in 30 sogenannten Strafvollzugskommandos und den Arbeitserziehungskommandos, von denen 11 für Männer und 3 für Frauen bekannt sind. Dieser Deutsche Bundestag, dieses frei gewählte deutsche Parlament, ist der richtige Ort, an dem wir uns aus unserer Verantwortung für Deutschland als Ganzes auch mit den politischen Gefangenen in Mitteldeutschland befassen müssen. ({6}) Darum fordere ich die Bundesregierung auf, endlich die Dokumentation über die politische Verfolgung in Mitteldeutschland zu veröffentlichen. Diese Häftlinge werden wegen ihrer Weltanschauung, aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt, verhaftet und verurteilt. Man legt ihnen Tatbestände zur Last, wie z. B, sogenannte Vorbereitung oder Versuch eines angeblich unerlaubten Grenzübertritts, staatsfeindliche Hetze. Dies sind von dem Ostberliner Regime eigens geschaffene menschenrechtswidrige Tatbestände, ({7}) die an sich schon eine Verletzung der Menschenrechte darstellen ({8}) und nur von einem faschistischen Regime, ob dies nun braun oder rot ist, geschaffen werden können. ({9}) In Wirklichkeit müssen viele dieser Verurteilten gerade deswegen leiden, weil sie für die Menschenrechte, wie z. B. für Glaubens- und Gewissensfreiheit, eintreten. Gerade erst seit Inkrafttreten des Grundvertrages und seit Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki sind solche Verurteilungen sprunghaft angestiegen. Wenn jemand etwa wegen Verleitung zum Verlassen der DDR zu Zuchthausstrafen verurteilt werden kann, macht dies deutlich, daß der Schuldige nicht der Verurteilte, sondern derjenige ist, der diesen völker- und rechtswidrigen Tatbestand schafft. ({10}) So wurde durch das am 1. April 1975 in Ost-Berlin in Kraft getretene geänderte Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz neben den drei möglichen Kategorien, der erleichterten, der allgemeinen und der strengen, noch eine vierte hinzugefügt: die verschärfte Vollzugsart, wozu Personen verurteilt werden können, die ein ungesetzliches Verlassen des Herrschaftsbereiches der SED versuchen. Gerade erst vor kurzem hat ein aus der Strafhaft ins Bundesgebiet Abgeschobener berichtet, wie der Strafvollzug drüben heute aussieht: Es heißt hier wörtlich - ich darf zitieren -: Ich heiße Helmut G., bin Ingenieur und 40 Jahre alt. Ich war insgesamt zweimal inhaftiert, das erste Mal wegen angeblicher Spionage, angeblicher staatsfeindlicher Hetze, angeblicher Abwerbung und angeblicher Mitwisserschaft -eines illegalen Waffenbesitzes. Sie waren konstruiert durch eine Denunziation. Maßgebend für meine Verurteilung zu vier Jahren war ausschließlich ein von mir verfaßtes Freiheitsgedicht. 1975 wurde ich wegen eines Fluchtversuchs festgenommen, zu 18 Monaten verurteilt und nach zehn Monaten freigekauft und am 16. Juni 1976 in die Bundesrepublik Deutschland entlassen. Das Zuchthaus Cottbus war im Sommer dieses Jahres mit zirka 500 Gefangenen belegt, darunter 350 bis 400 politische. Von diesen waren 80 O/o im Zusammenhang mit Fluchtversuchen inhaftiert, ebenso Fluchthilfe, die übrigen wegen staatsfeindlicher Hetze und angeblichen Terrors. 25 bis 30 Ärzte waren auch unter den politischen. Mir wurde die ärztliche Untersuchung verweigert, trotz schwerer Kreislaufstörungen. Mit der 14. Eingabe wurde ich schließlich dem Arzt vorgeführt, aber dessen Verordnungen, Arbeitsplatzwechsel und Pharmazeutika, blieben unbeachtet. Ein anderer, wegen staatsfeindlicher Hetze und Widerstand gegen staatliche Maßnahmen vom Juni 1972 bis Oktober 1974 inhaftierter Gefangener berichtet: Ich habe in Cottbus in den verschiedensten Zellen gelegen. Aber zusammenfassend kann ich folgende Tatsachen aussagen: Überall, in allen Bereichen liegen politische Gefangene, von denen in Cottbus über die Hälfte der Gesamtbelegung gestellt wird, gemischt mit Kriminellen aller Schattierungen. Der durchschnittliche Lebensraum für jeden einzelnen Häftling beträgt nach meiner Berechnung und Schätzung im ständig überbelegten Knast Cottbus ca. 1 bis 2 qm, wobei man berücksichtigen muß, daß hiermit die reine Raumfläche gemeint ist, von der noch der Platz für die vierstöckigen Betten, für Hocker und Tische, Toilette und Waschbekken abgerechnet werden muß. Ich wurde in der Zeit von August 1973 bis September 1974 wegen Kleinigkeiten fünfmal mit insgesamt 66 Tagen Arrest bestraft. Im Arrest gibt es pro Tag 200 g Brot und jeden dritten Tag warmes Essen ohne Fleisch, also nur Kartoffeln und Soße, in kleiner Menge. Man bekommt einen dünnen, zerlumpten und schmutzigen Häftlingsanzug, Unterwäsche und eine Decke. Die Arrestzellen sind nur sehr ungenügend oder gar nicht geheizt. Sie befinden sich im Keller und sind demzufolge sehr kalt. Die Pritschen, die spätabends heruntergelassen und sehr frühmorgens wieder hochgelassen werden, bestehen aus schmalen Latten, zwischen denen genauso breite Ritzen sind, durch die es nachts stark zieht. So weit der Bericht. Dazu kommt noch, meine Damen und Herren, die Ausbeutung der Gefangenen durch Zwangsarbeit - Löhne von 7 bis 15 Pfennigen pro Stunde - zugunsten des sowjetzonalen Staatsmonopolkapitalismus. Im Frauengefängnis Hoheneck - gestatten Sie noch eine dritte Bemerkung zu den Haftbedingungen - sind in den sogenannten Großraumzellen, die für 15 Häftlinge bestimmt sind, bis zu 55 Menschen zusammengepfercht. Die hygienischen Verhältnisse sind unmenschlich. Heißes Wasser gibt es nur auf ärztliche Anweisung. Augenleiden, Krätze und andere Krankheiten sind an der Tagesordnung. 20jährige Mädchen haben auf Grund der Unterernährung ihre Zähne verloren. In Cottbus war etwa der Schriftsteller Siegmar Faust 23 Monate lang im Keller einer Strafanstalt im sogenannten Tigerkäfig inhaftiert, einer unbeheizbaren Isolierzelle von 2 mal 3 m, die durch ein Eisengitter nochmals unterteilt ist. Sein Urteil: 4½ Jahre Zuchthaus. Sein angebliches Vergehen: Er hatte für sich und seine Familie zwecks Ausreise aus dem „Arbeiter- und Bauernparadies" formgerecht die Aberkennung der DDR-Staatsbürgerschaft beantragt. Meine Damen und Herren, dies ist nur ein kleiner Einblick in den deutschen Archipel GULag von heute. Am 10. Juni vergangenen Jahres haben 67 Bürger aus Riesa und Niederau eine Petition zur vollen Anerkennung der Menschenrechte eigenhändig und mit voller Namensnennung unterschrieben. Der Erstunterzeichnete Dr. Karl Heinz Nitschke, der bereits dreizehnmal erfolglos die Ausreise aus Mitteldeutschland beantragt hatte, wurde trotz Krankheit als Rädelsführer der sogenannten konspirativen Aktion verhaftet. Ich frage Sie, meine Herren von der Bundesregierung: Was ist mit Dr. Karl-Heinz Nitschke heute? Befindet er sich immer noch in Haft? Erst vor wenigen Tagen - wir haben es alle in der Presse gelesen - sind bei einem Fluchtversuch über die eiskalte Ostsee bei 3 Grad Wassertemperatur und Windstärke 6 ein Vater mit seinen zwei 12- und 14jährigen Töchtern, die sich vergeblich an ihr Kanu geklammert hatten, ertrunken. Aber die SED-Machthaber verhalten sich nicht besser als die Regierungen in Moskau und in anderen Staaten des kommunistischen Machtbereichs. So hat sich in Moskau im vergangenen Jahr die Aktionsgruppe zur Überwachung der Erfüllung der Beschlüsse von Helsinki in der UdSSR gebildet. Der Begründer, Professor Orlow, wurde unmittelbar darauf vom KGB bedroht. Falls seine illegale Gruppe fortfahre, so sagte man ihm, die friedliebenden Absichten der Sowjetunion in Zweifel zu ziehen, würden gerichtliche Schritte unternommen. Meine Damen und Herren, man stelle sich das doch vor: Hier wird eine Gruppe gebildet, die untersuchen soll, ob Herr Breschnew das auch wirklich einhält, was er in Helsinki mit seiner eigenen Unterschrift besiegelt hat. Aber Orlow wurde festgenommen, Alexander Ginsburg wurde verhaftet, und am 16. März, also in der vergangenen Woche, auch Anatol Scharanski. Die Moskauer Helsinki-Gruppe hat bisher eine ganze Reihe von Dokumenten über Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion ausgearbeitet. Die Themen dieser Dokumentation sind uns im einzelnen bekannt. Sie wurden an die westlichen Staaten geleitet. Ich wüßte gerne, ob auch die Bundesregierung diese Dokumente erhalten hat und welche Folgerung sie daraus zieht. Auch in der Ukraine hat sich eine Helsinki-Gruppe gebildet. Auch ihr Leiter, Nikolaj Rudenko, wurde verhaftet wegen illegalen Waffenbesitzes. Die Waffen hatte ihm der KGB selbst geliefert. Dann wurde auch Oleg Tichy wegen angeblichen Besitzes porno-grafischer Schriften verhaftet. Auch auf diesem Gebiet scheint sich der KGB als Lieferant zu betätigen. ({11}) Inzwischen bestehen auch in Litauen und Georgien Helsinki-Gruppen, die für die Menschenrechte eintreten. Ich fordere die Bundesregierung mit allem Nachdruck und in aller Form auf, unter Berufung auf die Menschenrechtskonvention und auf die KSZE auch für die Menschenrechte in der Sowjetunion einzutreten. Auch hier befinden sich unter den Verfolgten Deutsche. Erst Anfang März dieses Jahres, vor wenigen Wochen, wurde aus einer Demonstration von Wolgadeutschen, die sich vor der Basiliuskathedrale in Moskau versammelt hatten und von dort auf den Roten Platz marschierten, zehn Wolgadeutsche aus Tadschikistan und Kasachstan festgenommen. Meine Damen und Herren, auch hier ist es eine Pflicht der Bundesregierung, diesen Deutschen zur Seite zu stehen. ({12}) Sie muß durch unsere Botschaft in Moskau und auf allen ihr verfügbaren Wegen mit ganzer Kraft und in jedem einzelnen Fall intervenieren und nicht erst abwarten, bis mehrere Absagen und mehrere Zurückweisungen von sowjetischer Seite kommen. ({13}) Nicht besser sieht es in der Tschechoslowakei aus. Gemeinsam mit dem internationalen Schachgroßmeister Ludek Packiman, der selbst die Folterungen der Husak-Schergen erlitten hat, habe ich mich am 30. Januar dieses Jahres im Namen der Freien Gesellschaft zur Förderung der Freundschaft mit den Völkern der Tschechoslowakei an die Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen mit der Bitte gewandt, sich durch Unterschrift mit den Verfassern und Bekennern der Charta 77 solidarisch zu erklären. Ich möchte von dieser Stelle aus meinen Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion sehr herzlich danken, die in so großer Zahl diesem Aufruf nachgekommen sind und von sich aus überall im Lande weitere Aktionen gestartet haben. Von den Fraktionen der SPD und der FDP ist leider bisher noch keine Antwort eingegangen. ({14}) Es geht hier, meine sehr verehrten Kollegen, um keine parteipolitische Aktion, ({15}) sondern um eine Aktion von Menschen für Menschen. ({16}) Ich möchte Sie, meine Kollegen von den Koalitionsfraktionen, nochmals sehr herzlich auffordern, sich dieser Haltung anzuschließen. Die Lage in Prag ist seither nicht besser geworden. ({17}) - Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen dazu nur sagen, Ihnen würde es besser anstehen, wenn Sie sich die Haltung zum Vorbild nähmen, die der holländische Außenminister eingenommen hat. ({18}) Jan Patocka ist inzwischen gestorben, nachdem der kranke alte Herr drei Tage hintereinander von der tschechoslowakischen Polizei vernommen worden ist. Nach dem elfstündigen Verhör am dritten Tag brach er zusammen. Und worin bestand sein Verbrechen? Er hatte mit dem niederländischen Außenminister über Menschenrechte gesprochen. Das war der Tatbestand. Wie steht es mit der Ausreisemöglichkeit für jene Deutschen in Böhmen und Mähren, die in das freie Deutschland kommen wollen? Was hat die Bundesregierung hier unternommen? Noch immer verweigert man den Deutschen in der Tschechoslowakei ihre Menschenrechte. Nach dem Verbrechen der Vertreibung folgte die Entnationalisierung. Auch die Deutschen in der Tschechoslowakei haben Anspruch auf die Rechte, die ihnen die tschechoslowakische Verfassung angeblich garantiert ({19}) und die die Charta 77 für alle Bürger des Landes fordert. Auch in den Gebieten östlich der Oder und Neiße und in Polen insgesamt kämpfen die Menschen um ihr Recht. Jacek Kuroń, Mitbegründer des Komitees für die Verteidigung der Arbeiter, hat in seiner Erklärung vor wenigen Wochen, in der französischen Zeitung „Le Monde" veröffentlicht, über Parteichef Gierek erklärt: Ein polnischer Führer, der ich den Wünschen des Volkes widersetzt, ist nichts anderes als ein gewöhnlicher Beauftragter der UdSSR. ({20}) Daß nun vielleicht Deutsche aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße in die Bundesrepublik kommen können, ist ja leider kein Erfolg der KSZE. Hieran muß mit aller Deutlichkeit erinnert werden, meine Damen und Herren. Es war gerade eine der Widersprüchlichkeiten der Politik dieser Bundesregierung, erst die Vereinbarungen von Helsinki als großen Erfolg darzustellen und kurz darauf Milliardenbeträge an Polen zu zahlen, damit Deutsche hierherkommen können, damit also etwas geschehen kann, was nach Helsinki eigentlich selbstverständlich sein sollte. ({21}) Im übrigen möchte ich fragen: Wann beginnt die Bundesregierung, die von ihr versprochenen Gespräche mit der polnischen Regierung zu führen, mit dem Ziel, Menschen- und Gruppenrechte für die im polnischen Machtbereich verbliebenen Deutschen zu sichern? Auch in Ungarn, in Rumänien, in Jugoslawien kämpfen Menschen um die Gewährung ihrer Grundrechte. Insbesondere in Rumänien warten viele deutsche Volkszügehörige auf Familienzusammenführung und - ebenso wie in Mitteldeutschland - auf Heiratsgenehmigungen. Auch hier fordern wir die Bundesregierung auf, mit allem Nachdruck bei den zuständigen Behörden in jedem einzelnen Fall vorstellig zu werden. Jeder Abgeordnete weiß doch, wieviel Anträge, wieviel Briefe, aus denen Not und Sorge sprechen, im Wahlkreis und von überall her auf den Tisch kommen, solche Fragen zu bereinigen. Hier muß aber auch über die religiöse Unterdrückung, über die schweigende Kirche im Osten etwas gesagt werden. In der. Präambel zu Korb III steht der Bereich der Religion, Die Freiheit auf Religionsausübung gehört zu den Menschenrechten. Vergessen wir doch nicht den Pastor Brüsewitz, der mit seiner Selbstverbrennung am 18. August vorigen Jahres in Zeitz ein furchtbares Schlaglicht auf die Glaubensunterdrückung in Mitteldeutschland geworfen hat. Die schweizerische Nationalkommission „Justitia et pax" hat im vergangenen Jahr dankenswerterweise eine Sammlung von Dokumenten und, Berichten über die Situation der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei erstellt. Sie erhellt Einzelheiten des Kirchenkampfes, und sie ist der Bundesregierung zugeleitet worden. Es sollte hier auch einmal denen gedankt werden, meine Damen und Herren - einigen stellvertretend für viele -, die zugunsten der Bekämpfung von Unterdrückten, Verfolgten und Geknechteten arbeiten, so etwa dem Pater Werenfried van Straaten und dem evangelischen Pastor Heinz Matthias, dem Beauftragten der Christlichen Ostkirchen International, und auch dem schweizerischen Forschungsinstitut „Glaube in der Zweiten Welt" für ihre dokumentarische Arbeit. ({22}) Neben katholischen, evangelischen, orthodoxen und ukrainisch-unierten Christen sollen wir nicht zuletzt der Unterdrückung der Juden im kommunistischen Machtbereich gedenken und uns für sie einsetzen. ({23}) Ich appelliere hier auch an die Massenmedien, an Presse, Rundfunk und Fernsehen. Was haben wir nicht jahrelang jeden Tag im Fernsehen über Vietnam gesehen, über die amerikanische Intervention, und warum verschweigt man heute der Offentlichkeit gegenüber den millionenfachen kommunistischen (Mord in Kambodscha! ({24}) John Barron, der Verfasser des ausgezeichneten Buches über den KGB, hat vor kurzem eine erschütternde Dokumentation über Kambodscha vorgelegt. Meine Damen und Herren, es kann hier nicht aller Gruppen und aller Menschen gedacht werden, aber es sollte der Bundesregierung deutlich gesagt werden, daß sie hierfür eintreten soll. Sie ist hier in guter Gesellschaft. Der amerikanische Präsident Carter hat ein weltweites Beispiel gegeben. Erst am 17. März, in der vorigen Woche, erklärte er in den Vereinten Nationen wörtlich: „Kein Staat kann behaupten, die Mißhandlungen seiner Bürger sei nur seine eigene Angelegenheit." Den holländischen Außenminister habe ich bereits erwähnt. Der neue britische Außenminister David Owen von der Labour-Party hat erst vor kurzem erklärt: Die kommunistischen Länder müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Sorge um die Menschenrechte kein taktisches Ablenkungsmanöver ist, sondern ein integraler Bestandteil der Außenpolitik der westlichen Demokratien. ({25}) Der italienische Minister Forlani hat eine sowjetische Einmischung wegen der Biennale in Venedig zurückgewiesen. ({26}) Der israelische Außenminister Allon beschuldigt Moskau der schlimmsten Verfolgungskampagne gegen die Juden seit Stalin. Die schwedische Außenministerin Karin Söder hat auch erklärt, daß sich kein Staat auf die Forderung der Nichteinmischung berufen kann. Und auch der Vorsitzende des amerikanischen Gewerkschaftsbundes AFL/CIO, George Meany, hat Solidarität mit der Charta 77 und Ausschluß der Tschechoslowakei aus den Vereinten Nationen gefordert. - Wo, so frage ich angesichts all dieser Stimmen aus der freien Welt, bleibt hier Ihre Stimme, die Stimme der Bundesregierung und der Koalition? ({27}) Herr Kollege Wehner, Sie haben am 4. März in einer Kolumne geschrieben, es wäre verantwortungslos, den sogenannten Dissidenten mit wortreicher Kraftmeierei beizuspringen und dadurch in Wirklichkeit die Entspannungspolitik zu zerstören. ({28}) Das Gegenteil ist doch richtig! Bukowskij hat mit aller Deutlichkeit erklärt - ebenso wie Amalrik -, daß es den Verfolgten hilft, wenn im Westen Notiz davon genommen wird. Nichts, so sagte Bukowskij, ist für einen Bürgerrechtler schlimmer als das Gefühl, im Stich gelassen zu sein, nichts gibt ihm größere Hoffnung als die Unterstützung der Weltöffentlichkeit. Und Bukowskij hat vor wenigen Tagen auch erklärt: Auf was euer Herr Brandt noch hofft, ist mir unklar; wenn er davon spricht, daß die Politik der Verteidigung der Menschenrechte unverantwortlich sei, so scheint es mir, daß er selbst eine höchst unverantwortliche Politik betreibt. ({29}) Hier, meine Damen und Herren von der SPD, müssen Sie sich entscheiden, ob Ihnen die Solidarität der Demokraten wichtiger ist als die Soldarität- der Sozialisten. ({30}) Hier muß jeder einzelne von Ihnen wissen ({31}), - jawohl, das wird Ihnen jetzt noch viel weniger gefallen -, ob Ihnen Otto Wels, der im Reichstag im März 1933 feierlich für die Grundsätze ({32}) von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit eingetreten ist, nähersteht oder - ({33}) - Ich erinnere Sie ja gerade an Ihre geistigen Väter, Herr Corterier, und es wäre gut, wenn Sie alle sich daran erinnern würden! ({34}) Sie müssen wissen, ob Sie durch Schweigen jene Sozialisten unterstützen wollen, die im Namen von Marx und Lenin jenseits des eisernen Vorhangs die Menschen unterdrücken, weil sie sie angeblich beglücken wollen. Hier ist die Frage „Freiheit oder Sozialismus?" ({35}) jedem einzelnen von Ihnen gestellt, denn wer schweigt, macht sich daran mitschuldig. ({36}) Die objektiven Gesetze der historischen Entwicklung, auf die sich Marxisten so gern berufen, gehen - das zeigt doch gerade die Entwicklung im kommunistischen Machtbereich - eben nicht in Richtung Sozialismus, sondern in Richtung Freiheit. Wer die Menschen versklavt oder sich daran mitschuldig macht, ist ein Reaktionär und nicht jemand, der für den Fortschritt eintritt. ({37}) - Herr Professor Ehmke, es gibt keine Entspannung ohne Gewährung der Menschenrechte! Denn was heißt „Entspannung" ({38}) Nicht durch Bürgerrechtskämpfer und nicht durch unser Eintreten für die Unterdrückten wird die Entspannung gefährdet. Das Gegenteil ist richtig: Wirkliche Entspannung wird es erst dann geben, wenn die Unterdrückung aufhört und die Menschenrechte gewährt werden. Wir alle hier wollen Frieden und gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn im Osten. Dies aber kann dauerhaft nur auf Freiheit, Gerechtigkeit und gesicherte Bürger- und Menschenrechte gegründet werden. Nun heißt es, dies sei eine Einmischung in angeblich innere Angelegenheiten eines anderen Staates. Meine Damen und Herren, dagegen kann der zuletzt protestieren, der durch sogenannte brüderliche Hilfe, sei es in der Tschechoslowakei, sei es in Angola, der Unterdrückung der Menschenrechte dient. Hier am Rande eine Frage an die Bundesregierung: Was gedenkt die Bundesregierung für diejenigen Deutschen zu tun, die durch die kommunistische Aggression in Angola all ihr Hab und Gut verloren haben? Gegen eine angebliche Einmischung in innere Angelegenheiten kann derjenige nicht protestieren, der sich durch Subversion, Infiltration, fünfte Kolonnen und Propaganda in die inneren Angelegenheiten der freien Länder einmischt. Darum ist es auch unabdingbar, daß durch die freiheitlichen Rundfunksendungen der Deutschen Welle, des Deutschlandfunks, von Radio Free Europe und Radio Liberty, von BBC und Voice of America die Fackel der Freiheit weiterhin hochgehalten wird. Meine Damen und Herren, Menschen- und Bürgerrechte haben Vorrang vor innerstaatlichen Rechtssätzen, die in Wirklichkeit Unrecht sind. Es sind nämlich nur die braunen und die roten Faschisten, die sich hiergegen ausgesprochen haben. Ich werde Ihnen ein Beispiel sagen. 1945 war es Hermann Göring, der in Nürnberg gegenüber dem Nürnberger Gerichtshof wörtlich erklärt hat: Man scheint zu vergessen, daß Deutschland ein souveräner Staat war und seine Gesetzgebung nicht der Jurisdiktion des Auslands unterworfen war. Das Statut des Nürnberger Gerichtshofs, der als ein einseitiges Siegertribunal sicher durchaus fragwürdig war, entkräftete aber das Wort Görings und de- finierte die Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen wörtlich folgendermaßen: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen Das Statut fährt ausdrücklich fort: ... und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß in dem sie begangen wurde, oder nicht. ({39}) Meine Damen und Herrn, so steht es wörtlich im Londoner Viermächteabkommen vom 8. August 1945 über den internationalen Militärgerichtshof. Das hat die Sowjetunion mit unterzeichnet. Sie ist Signatarmacht. Sie hat damit dem Grundsatz, daß internationales Menschenrecht vor innerstaatlichem Recht geht, vertraglich ausdrücklich zugestimmt. Nun, meine Damen und Herren, erklärte Generalsekretär Breschnew vorgestern in seiner Rede gegen Carter, daß dies eine Einmischung in „unsere inneren Angelegenheiten" sei. Ich meine, es ist Aufgabe der Bundesregierung, hier klarzumachen, daß Menschenrecht vor innerstaatliches Recht geht. ({40}) Ich fordere die Bundesregierung daher zusammenfassend auf: Erstens. Die Bundesregierung möge mit Nachdruck für die Menschenrechte in Mitteldeutschland und im Osten eintreten. Mir liegt hier übrigens ein Schreiben der bayerischen Staatskanzlei vor, in dem Zweifel geäußert werden, ob die Bundesregierung alles Nötige tut, um den Menschen zu helfen. Es war der bayerische Ministerpräsident, der im Dezember 1975 den Ostberliner Vertreter wegen des damals bekannt gewordenen Zwangsadoptionsfalles der Geschwister Grübel nicht empfangen hat. Ministerpräsident Goppel hat sich zuletzt persönlich an Bundesminister Franke gewandt und ihn gebeten, etwas für die Zusammenführung der Geschwister Grübel zu tun. Ich frage hier - der bayerische Ministerpräsident hat mich hierzu ausdrücklich ermächtigt -: Was ist in diesen und vielen anderen Fällen, Herr Franke, die allein vom bayerischen Ministerpräsidenten vorgetragen worden sind, geschehen? Zweitens. Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre von Bundesminister Genscher dankenswerterweise begonnenen Bemühungen fortzusetzen, einen Menschenrechtsgerichtshof zu errichten. Hierzu sollte allerdings bei den Vereinten Nationen ein formelles Verfahren eingeleitet werden. Drittens. Noch wichtiger als ein Menschenrechtsgerichtshof im weltweiten Rahmen der Vereinten Nationen wäre die Errichtung eines Menschenrechtsgerichtshofs für den KSZE-Bereich. Dies sollte im Anschluß an schweizerische Initiativen in Belgrad gefordert werden. Wir würden gern wissen, ob die Bundesregierung bereit ist, hier eine Initiative zu ergreifen. Viertens. In der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen wie auch im Weltsicherheitsrat sollte die Bundesregierung nicht immer nur für die Menschenrechte in Zimbabwe oder Namibia, wie sie diese Staaten nennt, sondern in erster Linie ihrer Verpflichtung gemäß für die Menschenrechte in Deutschland und Europa eintreten. ({41}) Ich frage Sie: Warum legt die Bundesregierung z. B. nicht einmal eine Selbstschußanlage im Original der Menschenrechtskommission vor, damit deutlich gemacht werden kann, wie in Ost-Berlin Art. 12 Abs. 2 der Menschenrechtscharta praktiziert wird? Fünftens. Die Bundesregierung sollte bei wirtschaftlichen und finanziellen Hilfsmaßnahmen für kommunistische Staaten ihre Leistungen zumindest von der Gewährung der Menschenrechte abhängig machen und nicht blind das Wort Lenins praktizieren, der von dem Strick sprach, den die Kapitalisten den Kommunisten liefern und an dem sie selber aufgehängt werden können. Sechstens. Ich meine, dieses Hohe Haus sollte amerikanischem und belgischem Beispiel folgen, eine interfraktionelle Gruppe zu bilden, die sich ständig mit der Frage der Verwirklichung und Verletzung der Menschenrechte gemäß der Menschenrechtskonvention und der KSZE-Schlußakte von Helsinki befaßt. Wir von der CDU/CSU werden uns jedenfalls hierüber Gedanken machen. Ich möchte anregen, daß dies auch die Koalitionsfraktionen tun. Siebentens. Namens meiner Fraktion beantrage ich, den von uns am 2. März eingebrachten Antrag an die zuständigen Ausschüsse zur Weiterbehandlung zu überweisen. Meine Damen und Herren, unsere Fraktion, die der CDU/CSU, wird das Thema der Menschenrechte nicht ruhen lassen. Die Menschen im Osten, insbesondere aber die Deutschen, sind darauf angewiesen, daß wir uns hier - dieses freigewählte deutsche Parlament, dieses Hohe Haus - mit dieser Frage befassen. Denn wenn wir es nicht tun, wer sonst sollte es denn tun?! ({42}) Wir werden jedenfalls, meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Freiheit nur dann wahren können, wenn wir stets für sie kämpfen und wenn wir auch für diejenigen eintreten, die ihre Freiheit verloren haben. ({43})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort zur Begründung und gleichzeitig auch in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch der Kollege Graf Huyn hat hier erklärt, er spreche zur Begründung - auch in der Aussprache, aber auch zur Begründung. Ich habe daher von ihm erwartet, daß er uns hier mehr zur Begründung seines Antrags, des Antrags seiner Fraktion, und etwas als Stellungnahme zu dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Antrag sagt. Darin ist er sehr kärglich, sehr spärlich geblieben. Statt dessen stellt er, wenn ich richtig gezählt habe, sieben eigene Forderungen auf und erweckt so ein wenig den Eindruck, als spreche er gar nicht für Ihre Fraktion. Vielleicht kommen Begründung und Stellungnahme noch. Aber ich möchte doch gleich zu Beginn klarstellen: Das, war wir hier gehört haben, war ein Sammelsurium von Gemeinplätzen, eine ungeordnete Fallsammlung aus der ganzen Welt, durchsetzt mit Elementen einer Kampf- und Hetzrede gegen die Sozialdemokratie. ({0}) Dies ist ein außerordentlich übler Stil, der dieser Debatte überhaupt nicht bekommen kann und den ich mir deshalb auch nicht vorschreiben lassen möchte. Aber klarstellen möchte ich doch, daß wir das sehr wohl erkennen und würdigen. ({1}) Wir haben uns heute mit zwei Entschließungsanträgen zu befassen, die im Hinblick auf das bevorstehende KSZE-Folgetreffen in Belgrad eingebracht worden sind. In dieser Tatsache kommt - und übrigens ausdrücklich in dem von der Koalition vorgelegten Antrag - die übereinstimmende Auffassung der Fraktionen zum Ausdruck, daß der Deutsche Bundestag die weiteren Beratungen über die KSZE-Schlußakte von Helsinki und ihre Folgen mit seiner Aufmerksamkeit und mit Empfehlungen an die Bundesregierung begleiten soll. Diese grundsätzliche Übereinstimmung wird nicht dadurch gemindert, daß erhebliche Zweifel angebracht sind, ob die Behandlung durch den Bundestag in dieser Form unbedingt jetzt und zu diesem Zeitpunkt erfolgen mußte. Immerhin, die Koalitionsfraktionen haben sich dem Wunsch der CDU/CSU nach der heutigen Beratung trotz entgegenstehenher Gründe des Zeitplans nicht entzogen. Die in diesem Zusammenhang von Oppositionssprechern geäußerten Verdächtigungen, bei denen es wieder einmal nicht unter dem Vorwurf der mangelhaften Vertretung der Interessen der deutschen Nation durch die Bundesregierung abgeht, haben sich als voreilig und haltlos erwiesen. Ich denke, man hat auch bei Ihnen gemerkt, daß über die Terminlage überhaupt keine klare Vorstellung bestand. Die hier geäußerten Verdächtigungen waren ich wiederhole es - voreilig und haltlos wie viele Beschuldigungen gleichen Inhalts zuvor. Was nun den Inhalt der heute vorliegenden Entschließungsanträge anbelangt, so kann von einer Übereinstimmung in diesem Parlament wahrlich nicht die Rede sein. Die CDU/CSU verlangt eine höchst eigenartige Vorbereitung des KSZE-Folgetreffens durch eine umfassende Dokumentation und spart in der Begründung nicht mit Phantasie und juristischem Scharfsinn, um darzulegen, wie umfassend diese Dokumentation sein soll. Immerhin benutzt sie erklärtermaßen die KSZE-Schlußakte als Grundlage ihrer Überlegungen und nimmt Bezug auf das Belgrader Folgetreffen. Daß sie diese Konferenz fördern und ihr zu weiterreichenden Ergebnissen verhelfen wollen, behaupten die Antragsteller in ihrem Entschließungsantrag selbst nicht. Nach Anlage des Vorhabens kann man ohne jede Unterstellung auch nur davon ausgehen, daß genau das Gegenteil beabsichtigt ist. ({2}) Diese Feststellung lenkt die Betrachtung notwendigerweise zurück auf die politischen Auseinandersetzungen, die vor etwa zwei Jahren das Zustandekommen der Schlußakte begleitet haben. Dieselben Parteien, die heute in ihrem Entschließungsantrag an Hand der Schlußakte argumentieren und einzelne Passagen aus ihr als besonders bedeutsam hervorheben, haben uns durch Ihre Fraktion mit Datum vom 25. Juli 1975 einen Entschließungsantrag beschert, der aus dem bündigen Satz bestanden hat: Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Schlußdokumente der KSZE nicht zu unterzeichnen. Worauf - so müssen sich an dieser Stelle die Antragsteller von damals und heute doch fragen lassen - würden Sie denn Ihre anspruchsvollen und weitreichenden Forderungen stützen, wenn damals die Bundesregierung der an sie gerichteten Forderung nachgekommen wäre und die Schlußakte nicht unterzeichnet hätte? ({3}) Oder anders gefragt: Müssen Sie nicht nachgerade den Widersinn eines Verhaltens zugeben, das Sie heute mit den Prinzipien und Erklärungen argumentieren läßt, deren Zustandekommen Sie ja doch mit aller - zum Glück unzureichenden - Kraft zu verhindern trachteten? ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Schmude, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmude, können Sie dem Hause bestätigen, daß die CDU/CSU-Fraktion ihre damalige Haltung ausdrücklich und im einzelnen schriftlich begründet hat? ({0})

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf die Begründung, die ihre besonderen Reize hat, wenn man sie heute nachliest, komme ich noch zurück, Herr Kollege Mertes.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sdimude, sind Sie sich darüber im klaren, daß die internationale Geltung der Menschenrechte nicht allein auf den Beschlüssen der KSZE beruht, wo sie als Prinzipien nur angedeutet sind, sondern auf internationalen Konventionen, Erklärungen und Beschlüssen der Vereinten Nationen beruhen? ({0})

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darüber besteht Übereinstimmung, Herr Kollege Wittmann. Was Sie da sagen, ist nichts Neues. Gleichwohl ist die Geltung und Einhaltung der Menschenrechte in der Schlußakte von Helsinki noch einmal ausdrücklich hervorgehoben worden. Dem, was vorher galt, ist ein weiteres wichtiges Element hinzugefügt worden. ({0}) Aber kommen wir zurück auf das Jahr 1975. Wir erinnern uns noch jener Sondersitzung des Bundestages am 25. Juli 1975, in der wir uns von den Rednern der Opposition anhören mußten, beim Korb III der Schlußakte handele es sich - jetzt wörtlich „um einen Supermarkt von Attrappen". . Die Opposition müsse sich weigern, auch nur insoweit von humanitären Regelungen zu sprechen; was dort stehe, sei weder eindeutig noch verbindlich, es handele sich um Augenwischerei. ({1}) Heute lesen wir zum gleichen Gegenstand in der Begründung des Oppositionsantrages u. a den folgenden Satz: Damit ist die universelle Geltung und Wahrung der Menschenrechte innerhalb der Staaten als Gegenstand zwischenstaatlicher Beziehungen anerkannt worden. Wir nehmen diesen Wandel in der Betrachtung und Bewertung der Schlußakte gern zur Kenntnis, dürfen dann aber doch wohl verlangen, daß die Opposition ihren damaligen Irrtum zugibt. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmude, ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß der UNO-Weltpakt über bürgerliche und politische Rechte mit der vertraglichen Absicherung der Menschenrechte erst nach der Schlußakte von Helsinki in Kraft getreten ist?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist mir natürlich nicht entgangen, Herr Czaja. Ich stelle Ihre Haltung von vor zwei Jahren zur Schlußakte von Helsinki dar und vergleiche sie mit dem, was wir heute erleben müssen. Dieser Gegenüberstellung sollten Sie jetzt nicht ausweichen. ({0}) Der Irrtum wird also nicht zugegeben. Statt dessen müssen wir erleben, daß neue Irrwege beschritten werden sollen. Dieses Vorgehen ist doch nur daraus zu erklären, daß die frühere Absicht, die Übereinstimmung von Helsinki unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern, heute unter veränderten Umständen weiterverfolgt wird. Sonst wäre es doch zum Beispiel gar nicht denkbar, daß ein einzelner Teilbereich aus den in der Schlußakte behandelten Fragen herausgegriffen und zum Gegenstand einer umfangreichen Dokumentation gemacht werden soll. Allein die Logik müßte es doch gebieten, den Gesamtzusammenhang anzusprechen und aufzuzeigen, daß und wie es auf dem in Helsinki und seit Helsinki beschrittenen Weg weitergehen soll. Dazu enthält der Antrag der CDU/CSU nicht den Schatten einer Andeutung, während genau dieses Thema im Entschließungsentwurf der Koalitionsfraktionen angesprochen ist.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte. Jäger ({0}) ({1}) Herr Kollege Schmude, wollen Sie der Oppositionsfraktion das Recht absprechen, eine politische Willensäußerung, wie sie die KSZE-Schlußakte von Helsinki darstellt, die wir seinerzeit als ungenügend und in vielen Punkten ungenügend abgesichert abgelehnt haben, gleichwohl jetzt zum Gegenstand von Anfragen und Entschließungsentwürfen zu machen, weil das, was besteht, auf jeden Fall besser ist als gar nichts? ({2})

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jäger, ich spreche Ihrer Fraktion keinerlei Recht ab, nicht einmal das Recht, den Gegenstand heute hier zu erörtern. Darüber habe ich schon gesprochen. Ich frage nur, ob auch nur ein Funken politischer Vernunft, ein Funken Augenmaß und Logik in diesem Vorgehen ist, das Sie hier praktizieren. ({0}) Wer es wirklich ernst meint mit den Erklärungen von Helsinki, ernst auch mit den in der Schlußakte angesprochenen humanitären Erleichterungen, wer dem vor zwei Jahren gemachten Anfang eine konstruktive und vertiefende Fortsetzung folgen lassen will, dem gibt der Antrag von SPD und FDP heute Gelegenheit, diese Absicht durch seine zustimmende Haltung zu beweisen. Auch die CDU/CSU muß sich heute der mit diesem Antrag aufgeworfenen Frage stellen, ob sie in der Tat die Vereinbarungen von Helsinki ernst nimmt und, wenigstens nachträglich, zu akzeptieren bereit ist oder ob sie einen Teilbereich herausgreifen und damit was immer für Absichten verfolgen will, nur nicht diejenige, den gefundenen Ansatz zu vertiefen und zu erweitern. So viel zeigt die Entstehungsgeschichte des KSZESchlußdokuments wie der voraufgehenden Verträge von Moskau und Warschau, des Grundlagenvertrages und des Viermächteabkommens auch dem Uneinsichtigsten, daß gesonderte Absprachen mit Staaten des Ostblocks über menschliche Erleichterungen zu keinem Zeitpunkt zu erreichen waren. Wann immer Vereinbarungen oder Erklärungen dieser Art erreicht werden konnten, geschah das im engen Zusammenhang mit Fortschritten der Entspannungspolitik, die sich auf andere Bereiche des zwischenstaatlichen Umgangs und der Beziehungen der Staaten zueinander erstreckten. Das gilt. in besonderem Maße und in besonders weitem Umfang für die Erklärungen in der KSZE-Schlußakte. Im Ernst kann die CDU/CSU nicht einmal den Anschein der Glaubwürdigkeit mit dem Vorhaben beanspruchen, nachträglich durch selektive Behandlung und Hervorhebung erreichen zu wollen, was bereits bei der Verabredung der Übereinkunft völlig unmöglich war. Wem an menschlichen Erleichterungen wirklich gelegen ist, wer nicht nur Deklamation und öffentliche Klage bezweckt, der muß schon vom Zustandekommen der Schlußakte her den Zusammenhang aller Prinzipien und Hauptteile der Dokumente akzeptieren und die gleichgewichtige Verwirklichung aller dort geäußerten Absichten betreiben. ({1}) Wer diese Zusammenhänge ignoriert, wie es die CDU/CSU in ihrem Entschließungsentwurf tut, ({2}) reißt die aufeinander abgestimmten Erklärungen auseinander und mindert ihr Gewicht, also auch das Gewicht jener Prinzipien und Absichtserklärungen, auf die er doch angeblich so großen Wert legt. Unter den Gesichtspunkten von Logik, Vernunft und Augenmaß ist das nicht zu erklären. Die Erklärung kann nur lauten, daß Teile der Schlußakte benutzt werden sollen, um die frühere ablehnende Haltung fortzusetzen. Was angeblich bejaht und gefordert wird, soll tatsächlich verneint und beseitigt werden. ({3}) Nicht nur die Entstehungsgeschichte, auch der Wirkungszusammenhang der Elemente der Entspannungspolitik spricht nachhaltig gegen das von CDU und CSU versuchte selektive Vorgehen. Stärkung der Menschenrechte, menschliche Erleichterungen sind doch nicht nur Zufalls- und Nebenprodukte einer Politik, die die Spannungen zwischen den Staaten abbaut und durch geregelte Beziehungen bis hin zur Zusammenarbeit in mannigfachen Bereichen ersetzt. Immer wieder besteht hier auch eine Wechselwirkung, die fast zwangsläufig den Menschen zugute kommt, ihre Rechte stärkt und ihre Entfaltungsmöglichkeiten erweitert. Was sich in dieser Hinsicht in den Ostblockstaaten in den letzten Jahren entwickelt hat, ist ganz offenkundig. Natürlich haben Übereinkünfte über menschliche Erleichterungen, haben Achtung und Wahrung der Menschenrechte - auch abgesehen von den mittelbaren Auswirkungen der Politik der Entspannung und Zusammenarbeit - ihren eigenständigen hohen Rang. Insofern wird auch beim Folgetreffen in Belgrad neben und im Zusammenhang mit der Erörterung und Förderung anderer Vorhaben aus der Schlußakte über Menschenrechte und Erleichterungen zu reden sein. Einer der wertvollen Vorteile der Schlußakte von Helsinki liegt nun einmal darin, daß die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit zum Gegenstand zwischenstaatlicher Beziehungen erklärt wird. Die darin liegende Chance wird die Bundesregierung mit Sicherheit nutzen und dabei gewiß auch nicht davor zurückschrecken, daß andere Staaten uns ihrerseits die ungenügende Wahrung der Menschenrechte in unserem Verantwortungsbereich vorwerfen. Ohne uns solchen Vorhaltungen von vornherein völlig zu verschließen, können wir die Menschenrechtsdiskussion aufnehmen und konstruktiv fortführen. Auch in diesem Punkt mögen die Staaten des Ostblocks, die sich erkennbar auf eine solche Debatte heute schon einstellen, wieder die Erfahrung jenes Sprichworts machen, nach dem man anderen den Pelz nicht waschen kann, ohne ebenfalls naß zu werden. Was hier von der Bundesregierung erwartet werden muß, sind Augenmaß und besonders verantwortungsvolles Vorgehen. Der Zusammenhang mit den anderen Prinzipien und Absichtserklärungen von Helsinki muß gewahrt bleiben. Die Maßstäbe müssen stimmen - bei der Bilanz wie bei der Erörterung weiterhin beabsichtigter Fortschritte. Das alles wäre mit jener Dokumentation, wie sie die CDU/CSU heute fordert, nicht möglich. Denn was dabei herauskäme, müßte nach Absicht und Anlage in jedem Fall von allen anderen Beteiligten als umfangreiche Anklageschrift empfunden werden. Der Abgeordnete Graf Huyn hat ja hier zahlreiche Beispiele dafür gegeben, wie solche Anklagepunkte dann im einzelnen aussehen würden. Wenn ich hier sage, das müßte von allen anderen Beteiligten so empfunden werden, dann tue ich das, weil mit Sicherheit auch die uns befreundeten und verbündeten Staaten nur mit Befremden auf ein Unternehmen reagieren könnten, das die Belgrader Konferenz sehr schnell zu einem Forum für innerdeutsche Auseinandersetzungen und darüber hinaus für Auseinandersetzungen der Bundesrepublik mit allen Ostblockstaaten machen müßte. Hier muß ich wieder darauf verweisen, daß Graf Huyn offenbar den Rahmen Ihres eigenen Antrages noch für viel zu eng hält. Er bringt weitere Beispiele, die nicht nur Deutschland, die nicht nur Deutsche betreffen. Die Unionsparteien haben sich im Jahre 1975 bei der Debatte über die KSZE-Schlußakte in eine einzigartige außenpolitische Isolation begeben, die uns schon damals fragen ließ, mit welchen Ländern als Partnern sie denn eigentlich in diesem Bereich ihre Außenpolitik gemeinsam betreiben wollen. ({4}) Eine Antwort haben wir bis heute nicht erhalten. Statt dessen erleben wir eine den veränderten Umständen angepaßte Neuauflage jener Julitage des Jahres 1975. Aber Sie können ganz sicher sein: Damals ist es Ihnen nicht gelungen, die Bundesregierung ebenfalls in die Isolation hineinzuziehen; dies wird Ihnen auch jetzt nicht gelingen. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Schmude, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmude, ist Ihnen entgangen, daß die Bundesregierung auf dem Wege, den Sie gerade beschreiben, in Gefahr gerät, sich angesichts der neuen Politik des amerikanischen Präsidenten Carter ihrerseits in große Isolation zu begeben?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sehe die Logik der in Ihrer Frage enthaltenen Behauptung nicht. Aber ich komme auch noch auf die besondere Situation der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zu sprechen. Wer Menschenrechte wirklich stärken, wer Menschenrechtsverletzungen verringern will, kann das zuallerletzt mit einem Frontalangriff einer derartigen Dokumentation erreichen. Niemand kann sich doch darüber täuschen, daß die angegriffenen Staaten zu ihrer Verteidigung ebenfalls mit Anklagen antworten werden. Die Entwicklung des Folgetreffens in Belgrad zu einem großen Streit der gegenseitigen Anklagen und der Polemik wäre damit fest programmiert. Zugleich müßte nicht nur jedes Bemühen um Weiterführung der Ansätze von Helsinki scheitern, sondern es bestünde auch die sehr große Gefahr, daß einzelne Staaten zu Teilen oder zu den gesamten Erklärungen von Helsinki auf Distanz gehen, um sich unliebsame Weiterungen zu ersparen. Dies enthielte die Gefahr einer verschärften ideologischen Auseinandersetzung (bis zu dem Stande, der dem Kalten Kriege entspricht. Gerade wir sollten es doch nicht sein, die leichtfertig Anlaß geben zu einer solchen Entwicklung und sie damit verschulden. Das alles ist nun so handgreiflich, daß sich die Frage nach der Ehrlichkeit in den Absichten der Antragsteller aus den Unionsparteien geradezu aufdrängt. Wallen sie wirklich menschliche Erleichterungen und die Stärkung von Menschenrechten, oder geht es ihnen nicht vielmehr darum, die Bundesregierung in eine aussichtslose Position zu bringen und damit zugleich innenpolitische Vorteile zu erzielen? Es ist seit 1969 niemals die Politik der Bundesregierung gewesen, andere Staaten mit lautstarken Anklagen und gar noch vor einer internationalen Öffentlichkeit zum Nachgeben zugunsten einzelner Menschen °der Gruppen zu drängen. Zum großen Vorteil von Millionen Menschen hat die Bundesregierung gar nicht erst versucht, mit der Forderung nach Durchsetzung von Menschenrechten in der DDR und in den kommunistischen Staaten Osteuropas dort bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu erschüttern. Sie ist vielmehr den allein erfolgversprechenden Weg' gegangen, manchmal in auffälliger Weise, noch häufiger ohne jedes öffentliche Aufheben, mit den Regierungen der DDR und anderer osteuropäischer Länder um mehr Menschlichkeit zu ringen. Während Sie solche Fälle, wie sie hier der Graf Huyn vorgetragen hat, 'benutzen, um in aller Offentlichkeit über das Unrecht zu deklamieren und zu reden, hat die Bundesregierung gehandelt. Denn die Information kommt ja daher, daß den Betroffenen inzwischen geholfen werden konnte. ({0}) Wir sagen heute, daß dieser Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat, allein erfolgverspreDr. Schmude chend war. Wir tun das in dem Wissen um die hervorragenden Erfolge, die sich in den letzten Jahren gerade hier in unserem Bereich und für uns eingestellt haben. Da können wir es schlechthin weder verstehen noch akzeptieren, wenn Graf Huyn herkommt und etwa die Übersiedlung aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland hier zwar erwähnt, aber mit Bemerkungen darüber miesmacht, wie dies erreicht worden sei. Wenn Sie einen besseren Weg wissen, dann hatten Sie lange Gelegenheit, ihn zu versuchen, und Sie können ihn uns heute noch vorführen. ({1}) In diesem Zusammenhang sogar noch die Entgleisung zu wagen, zu sagen, hier handele es sich um eine Solidarität zwischen Sozialisten, die doch der Solidarität zwischen den Demokraten weichen müsse, ist eben der Versuch, dieses ernste Thema der Menschenrechte und der menschlichen Erleichterungen zu nichts anderem als zu dem schäbigen Zweck der Verleumdung von Mitgliedern dieses Hauses zu benutzen. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich darf, Herr Präsident, dann als letzte. ({0})

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmude, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß in den Jahren 1956 bis 1969 ohne Zahlungen und ohne Verzicht auf deutsche Rechtssubstanz an-nährend 400 000 Deutsche aus den Oder-Neiße-Gebieten in die Bundesrepublik Deutschland ausgesiedelt worden sind?

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Zahlen brauchen wir hier nicht so unvollständig zu diskutieren, wie Sie sie jetzt einführen. Nicht nur die Zahlen sind bekannt. Es ist auch bekannt, wie rückläufig die Entwicklung zum Jahr 1969 hin war, und es ist bekannt, ({0}) was sich seitdem vor allem im innerdeutschen Reiseverkehr an Erleichterungen für die Menschen in Deutschland ergeben hat, und zwar in all jenen Verbindungen, die die Begegnung der Menschen in Deutschland ermöglichen. Hier ist eine Ausweitung erreicht worden, von der man vor diesen Verträgen und Vereinbarungen nur träumen konnte. Von diesen Zahlen reden Sie hier gar nicht, weil sie Ihnen nicht passen. ({1}) Auch ist es gelungen - das hat sogar Graf Huyn hier zugegeben, Herr Sauer -, eine starke Zunahme der Ausreise von Deutschen aus anderen Staaten des Ostblocks zu erreichen. So belastend und bitter immer wieder vorkommende Erschwernisse und Rückschläge sind: es handelt sich um Hindernisse auf einem Weg, auf dem wir in den letzten Jahren eine großes Stück vorangekommen sind. Man mag darüber streiten, und man mag darüber klagen, daß es in mancher Hinsicht nicht schneller geht. Aber niemand kann leugnen, daß für unzählige Menschen Hervorragendes erreicht worden ist - es sei denn, es geht ihm gar nicht um die Menschen, sondern nur um die Abqualifizierung der Bundesregierung um jeden Preis. ({2}) Das ist allerdings ein Eindruck, den man angesichts der pauschalen Angriffe der CDU/CSU auf die Ost-und Entspannungspolitik der Bundesregierung immer wieder haben muß. ({3}) Maßstab einer Politik der menschlichen Erleichterungen und damit der Stärkung der Menschenrechte muß stets der Erfolg für konkrete Menschen sein. Die Art des Vorgehens hat sich auf diesen Erfolg auszurichten. Papierene Prinzipien, so gut sie auch klingen mögen, ersetzen solche Erfolge nicht. Die Politik nach außen, in der versucht wird, von und bei anderen Staaten etwas für die ihrer Gewalt unterworfenen Menschen zu erreichen, darf nicht ausschließlich der innenpolitischen Maxime unterliegen, daß sie sich vor allem dem Bürger und Wähler gut vermitteln läßt. Die Konsequenzen, einer solchen Gestaltung der Außenpolitik werden dann nämlich auf dem Rücken derer ausgetragen, denen man angeblich helfen will. Für die Bundesrepublik Deutschland gibt es, bedingt durch die Teilung Deutschlands und durch andere Folgen des letzten Krieges, nach wie vor viele solcher Menschen, die im besonderem Maß auf eine erfolgreiche Fürsorge, z. B. durch die Ermöglichung von Familienzusammenführungen, seitens der Bundesregierung angewiesen sind. Diese vielen konkreten Schicksale stellen die Bundesregierung bei der Forderung nach menschlichen Erleichterungen vor andersartige Aufgaben - und jetzt komme ich auf die vorhin gestellte Zwischenfrage zurück -, als andere Staaten der westlichen Welt sie für sich sehen können. Nachdrückliches Eintreten in der Offentlichkeit für die Gewährung und Achtung von Menschenrechten in bestimmten kommunistischen Staaten mag solchen westlichen Regierungen vertretbar und angebracht erscheinen, die sich nicht gleichzeitig in der Pflicht wissen müssen, mit eben diesen so kritisierten kommunistischen Staatsführungen über Einzelschicksale zu verhandeln. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland trägt hier besondere Verantwortung, die eine zweckorientierte Gestaltung politischer Äußerungen und Maßnahmen fordert. Jedenfalls die sozialliberalen Bundesregierungen sind dieser Verantwortung mit besonderer Gewissenhaftigkeit gerecht geworden. Die Menschen in Deutschland haben dadurch Vorteile gehabt, für die es in der Welt keinen Vergleich gibt. ({4}) Lassen Sie mich noch einen Gesichtspunkt des Oppositionsantrags hervorheben. Da wird nicht weniger gefordert als eine umfassende und international zu verwendende Dokumentation über die menschenrechtliche Lage der Deutschen und der Personen deutscher Volkszugehörigkeit auch in den osteuropäischen Staaten, insbesondere in Polen. Auf die Verwirklichung kultureller Rechte und die Verwendung der deutschen Sprache wird dabei besonders verwiesen. Was glauben die Verfasser eigentlich, welche Wirkungen und Gefühle solche Forderungen vor dem Hintergrund der Vorgeschichte des zweiten Weltkriegs in den betroffenen Ländern auslösen müssen? ({5}) Niemand wird dort glauben, daß es tatsächlich nur um die Verwirklichung von Menschenrechten geht. Vielmehr wird ganz selbstverständlich der Eindruck aufkommen, daß erneut eine Minderheitenpolitik - eine Politik nicht für Minderheiten, sondern mit Minderheiten - versucht werden soll, eine Politik, die in ihrer früheren Auflage eine der Ursachen für die verhängnisvollen und verheerenden Geschehnisse in diesen Ländern war. ({6}) Ohne verbohrte Uneinsichtigkeit, mit einem Mindestmaß an Geschichtsbewußtsein hätten die für diesen Teil des Antrages Verantwortlichen wenigstens einen derart schwerwiegenden Fehlgriff vermeiden können. ({7}) Ich fasse zusammen: Wir sagen ja zur Stärkung der Menschenrechte, wir sagen ja zur Verwirklichung und Ausweitung der in der Schlußakte von Helsinki in Aussicht genommenen menschlichen Erleichterungen. Diese Zustimmung schließt die Bereitschaft ein, alle Prinzipien und Absichtserklärungen der KSZE-Schlußakte gleichgewichtig zu behandeln und den in Helsinki erfolgreich beschrittenen Weg über konstruktive Gespräche und Verhandlungen bei der bevorstehenden Folgekonferenz in Belgrad fortzusetzen. Diese unsere Absicht kommt in dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Ausdruck, dessen Annahme wir empfehlen. Zugleich sagen wir nein zu dem Versuch, den Zusammenhang der Erklärungen der KSZE-Schlußakte aufzulösen und durch Hervorhebung eines Teils der in Helsinki erzielten Ergebnisse das Gesamtergebnis nachträglich zu gefährden. Wir sagen insbesondere nein zu der im Entschließungsantrag der CDU/CSU formulierten Absicht, an Stelle eines allein auf den Erfolg hin orientierten politischen Eintretens für Menschenrechte und menschliche Erleichterungen eine Politik der bloßen Deklamation und der öffentlichen Anklagen zu betreiben. Diesem Vorhaben hat sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in Übereinstimmung mit der Bundesregierung seit jeher widersetzt. Zum Wohle der betroffenen Menschen wird sie es weiterhin tun. ({8})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen muß Demokraten immer wieder auf den Plan rufen, sie werden sich dafür stets neu engagieren; aber weil es sich dabei um ein so bedeutungsvolles Thema handelt, muß man auch behutsam mit ihm umgehen. Ich möchte deshalb bei meinem Beitrag weder in der Disposition noch in der Methodik dem Beispiel des Kollegen Graf Huyn folgen, Es könnte sich bei dessen Rede um Gedankengut aus der Zeit vor dem Düsseldorfer Parteitag gehandelt haben, vielleicht sind die Ausführungen aber auch bei jenem Teil der Opposition angesiedelt, der auf alle Fragen die schnellen Antworten bereithält. ({0}) Zu einem speziellen Vorwurf muß ich mich hier allerdings äußern. Graf Huyn, Sie haben mit Hinweis auf die deutschstämmigen Demonstranten auf dem Roten Platz in Moskau mehr Aktivität von der Deutschen Botschaft gewünscht. Ich glaube, wir sollten miteinander sehen, daß der geforderten Aktivität deshalb Grenzen gesetzt sind, weil es sich hier um sowjetische Staatsangehörige handelt. ({1}) Wir unterstützen ihre Bemühungen um Ausreise, aber zu diesem Vorwurf habe ich zunächst allgemein darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung dem Problem der Familienzusammenführung in bezug auf alle Ostblockstaaten stets große Bedeutung beigemessen hat. Gerade für den Bereich der Sowjetunion sollten die bekannten Zahlen uns und auch Sie nicht unbeeindruckt lassen; denn - das darf ich jetzt für alle noch einmal rekapitulieren - während 1969 nur 352 Menschen ausreisen durften, waren es im Jahre der Konferenz in Helsinki, nämlich 1975, bereits 5985, und 1976 ist die erfreuliche Zahl von 9704 Ausreisefällen zu registrieren. Das ist, so glaube ich, ein stolzer Erfolg der Politik der Bundesregierung. Es bleibt zu wünschen, daß jene Menschen, die ihre Ausreise betreiben und die jetzt in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt sind, ebenfalls die Familienzusammenführung erreichen können. Die Bundesregierung wird sie dabei ebenso unterstützen, wie sie es in den von mir genannten vielen Fällen bereits mit Erfolg hat tun können. Meine Damen und Herren, es besteht letztlich doch wohl Einigkeit im Deutschen Bundestag über die Zielsetzung, daß die Menschenrechte nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern sie müssen auch durchgesetzt werden. ({2}) Auch uns genügt es nicht, daß Vereinbarungen über Menschenrechte getroffen werden, wie bei dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, oder daß sich Regierungen, wie bei der KSZE-Schlußakte, fiber gemeinsame Absichten einigen, während die Durchsetzung dieser Grundsätze und Prinzipien dann dem Zufall überlassen bleibt. Allerdings muß bei der Debatte, die wir hier heute führen, Klarheit über die Grundlagen einer Menschenrechtsdiskussion bestehen. Die KSZE-Schlußakte enthält im Prinzip 7 zwar die Forderung nach Achtung der Menschenrechte, jedoch keine präzise Definition. Eine nähere Beschreibung, die von allen, auch den Staaten Osteuropas, akzeptiert wird, finden wir im internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966. Dieser Pakt erlaubt jedoch erhebliche Einschränkungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten vor allem zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Gesundheit und Sittlichkeit. Jeder kennt die ideologische Auslegung dieser Begriffe in den sozialistischen Ländern, mit der die Substanz der Menschenrechte dort immer wieder angegriffen wird. Neben Prinzip 7 enthält der Korb III der Schlußakte von Helsinki eine Reihe praktischer Regelungen für die Familienzusammenführung, Familienbesuche, Reisen, Arbeitsbedingungen für Journalisten sowie für die Verbreitung von Informationen. Darin liegt ein ganz erheblicher Fortschritt gegenüber der Vergangenheit. Zum erstenmal überhaupt gibt es ein Dokument, auf das sich Bürger auch in den kommunistisch regierten Staaten gegenüber ihren Regierungen berufen können. Aber wir müssen nüchtern und klar die Grenzen sehen, die auch in Helsinki nicht überschritten wurden. Mit der KSZE hat der westliche Freiheitsbegriff nicht Eingang in die Ideologien der kommunistischen Systeme gefunden. Einer solchen Systemveränderung hätten die Regierungen der kommunistischen Staaten bei der Unterzeichnung der Schlußakte auch sicher nicht zugestimmt. Aber auch wir sollten jetzt nicht so tun, als sei gerade dies dort eben doch geschehen. Nein, meine Damen und Herren, extreme Forderungen werden den gewünschten schnellen Erfolg gerade nicht herbeiführen, sie werden den Menschen in den kommunistischen Staaten so bald nicht jene Freizügigkeit bringen, die wir für sie alle wünschen, sondern sie werden - und genau das erleben wir in diesen Tagen - zu immer mehr Abgrenzung führen. Es ist doch nicht zu übersehen, daß unsere Auffassung von Menschenrechten an die Grundlagen des kommunistischen Systems rührt. Es fragt sich, welchen Nutzen es dann hat, wenn man diese Tatsache hier bei uns nicht zur Kenntnis nehmen will. Wir sollten uns jedenfalls davor hüten, die Möglichkeiten, die uns die Konferenzergebnisse von Helsinki im Ost-West-Dialog verschafft haben, zu überschätzen und dadurch vielleicht gar zu verspielen. Es wäre auch ganz fehlsam, die Ergebnisse der KSZE-Konferenz auf ein Instrumentarium zur Regelung und Lösung speziell der deutschen Probleme zu verengen. Ganz nüchtern müssen wir feststellen, daß die Konferenz von Helsinki keine Handlungsanleitung zur Regelung akuter politischer Probleme beigesteuert hat, so z. B. auch nicht für die Lösung des Zypern-Konflikts. Die KSZE-Schlußakte hat eben, so groß der erzielte Fortschritt auch einzuschätzen ist, kein Völkerrecht geschaffen, auch kein regionales. ({3}) Darüber bestand hier in der Tat einmal Einigkeit. Und es war besonders die Opposition, die gerade auf diese rechtliche Qualifikation immer wieder Wert gelegt hat. ({4}) Meine Damen und Herren, die deutschen Probleme sind nur durch Verhandlungen mit der DDR zu regeln. Entsprechend dem innerdeutschen Sonderverhältnis sind und bleiben Grundlage der Beziehungen in erster Linie die bilateralen Abmachungen, wie dies mit den Erläuterungen zum Briefwechsel zur Familienzusammenführung und den Reiseerleichterungen ja wohl für alle besonders deutlich erkennbar geworden ist. Es entsprach deshalb nicht unseren politischen Vorstellungen, daß die Ergebnisse der Konferenz von Helsinki bereits die Lösung unserer nationalen Probleme bringen würden. ({5}) Diese Feststellung, die für Helsinki gilt, muß notwendigerweise auch für die geplante Konferenz in Belgrad Gültigkeit besitzen. Konferenzen können nicht stellvertretend für uns unsere souveränen nationalen Interessen wahren. Wir sollten daher der Versuchung widerstehen, die Folgekonferenz zu einem Tribunal für deutsche Konflikte zu machen. Wir sollten aber alles daransetzen, um Belgrad in unserem Interesse zu einem Erfolg zu machen, indem wir uns wie in Helsinki und in Genf mit den westlichen Verbündeten über Ziele und Taktik aufs engste abstimmen und eine sachliche Bestandsaufnahme über die jüngsten Entwicklungen und Gefährdungen der Entspannungspolitik anstreben. Meine Damen und Herren, es ist ermutigend, wenn sich der amerikanische Präsident als Vertreter einer Weltmacht zum Anwalt der Menschenrechte macht, die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen an die Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen erinnert und beispielhafte Einzelfälle herausstreicht. Eine geschärfte internationale Diskussion und ein geschärftes internationales Gewissen können für den Schutz der Menschenrechte zu einem Aktivposten werden. Erschöpfen wir uns aber nicht in Deklamationen. Für mehr Menschenrechte muß in mühsamer Kleinarbeit der Boden bereitet werden. Es gilt, dafür in vielen Teilen der Welt erst noch Rechtsposition um Rechtsposition zu erringen. Es wäre erfreulich, wenn uns die heutige Debatte bessere Einsichten für die praktische Politik vermitteln könnte. Der Bundestag ist mit dieser Debatte wahrlich an einem wichtigen Thema der internationalen Politik. Wir werden uns deshalb auch seine Behandlung von niemandem vorschreiben lassen. Wir lassen uns das Recht der freien Meinungsäußerung nicht bestreiten, schon gar nicht von Regierungen, die sich mit dem Vorwurf der Menschenrechtsverletzung konfrontiert sehen. ({6}) Meine Damen und Herren, wir haben nicht die Absicht, uns mit dieser Debatte in innere Angelegenheiten anderer Länder einzumischen; aber wir müssen es uns verbitten, daß sich andere in unsere Angelegenheiten einmischen. Für uns handelt es sich bei der Menschenrechtsdiskussion sehr oft um konkrete Sachverhalte, die uns unmittelbar berühren. Dahinter verbergen sich Einzelschicksale, die Folge der Teilung und des verlorenen Krieges sind. Diese besondere Lage, die die Menschen hüben wie drüben die Folgewirkung spüren läßt, findet sich nirgendwo sonst in Europa. Für uns bleiben die bestehenden Unzulänglichkeiten erlittene und erlebte Wirklichkeit. Was ist nun aber tatsächlich zu tun? Die Bundesregierung muß im Interesse einer Milderung dieser Wirklichkeit daran interessiert sein, die konkreten Probleme in direkten Verhandlungen zu lösen, um getrennte Familien wieder zusammenzubringen und Möglichkeiten für Begegnungen zwischen Deutschen in einem geteilten Land zu schaffen und offenzuhalten. Auf diesem Gebiet ist allen Schwierigkeiten zum Trotz, die wir nicht beschönigen und nicht bestreiten wollen, ganz Erhebliches geleistet worden. 8 Millionen Besuche jährlich in die DDR sind kein Zufallsprodukt oder gar das Ergebnis einseitiger Großzügigkeit von seiten der DDR. ({7}) Nein, meine Damen und Herren, sie sind das Resultat zäher und äußerst schwieriger Verhandlungen. Es ist wider jede Logik, der Bundesregierung den Umstand anzulasten, daß es nicht schnell und nicht großartig genug vorangeht. ({8}) Wir müssen aufhören, das Erreichte geringzuschätzen. Wir sollten alle Kräfte darauf konzentrieren - und dies müßte das Ziel aller Parteien in diesem Hause sein -, das Erreichte im innerdeutschen Verhältnis zu bewahren und Fortschritte zu erzwingen. Resolutionen mögen gelegentlich hilfreich sein; praktische Politik erscheint uns wichtiger. Dazu gehört allerdings auch die Frage an die DDR, ob es wirklich in ihrem Interesse liegen kann, das, was über Jahre beim Aufbau der Beziehungen und in Ausbalancierung beiderseitiger Wünsche und Forderungen erreicht wurde, ernstlich in Frage zu stellen. Ich sage es hier noch einmal ganz deutlich: Die jüngsten Maßnahmen der DDR- Einführung der Straßenbenutzungsgebühr für Ost-Berlin, Zurückweisung von Reisenden in die DDR und Behinderung von Besuchern der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin - rühren für uns an den zentralen Punkt der Normalisierung. Die DDR muß wissen, daß es Grenzen der Belastbarkeit gibt. ({9}) Bei dem bevorstehenden KSZE-Nachfolgetreffen in Belgrad sollte ebenso deutlich klarwerden, daß die praktizierte Ausfüllung der Prinzipien aus der Schlußakte noch mangelhaft ist. Aber Belgrad darf nicht dazu führen, daß diese Schlußakte kaputtgemacht wird. Wir wollen den Ostblockstaaten doch wohl nicht den Vorwand liefern - den manche Kräfte dort offensichtlich suchen - um sich von dieser Schlußakte loszusagen. ({10}) Meine Damen und Herren, es ist inzwischen, wie mir scheint, doch für alle - und auch für die Opposition - offenkundig geworden, wie sehr die Prinzipien von Helsinki die bestehenden Bürgerrechtsbewegungen aktualisiert und virulent gemacht haben und wie sehr die kommunistischen Staaten über diese Entwicklung besorgt zu sein offenbar Anlaß haben. Es mag verständlich sein, daß sie vor dem gewonnenen Selbstbewußtsein ihrer Bürger zurückschrecken und daß sie nur zu gern die Gelegenheit ergreifen würden, Helsinki ungeschehen zu machen. Wir aber haben ein großes Interesse daran, die in Helsinki erarbeitete neue Grundlage der Zusammenarbeit in Europa bestehen zu lassen, damit sich auch die Bürger in den kommunistischen Staaten auf die Prinzipien der Schlußakte von Helsinki berufen können. Es wäre für unser Verständnis ein Rückfall in die Vergangenheit, würde ihnen diese Möglichkeit genommen. Meine Damen und Herren, niemand hegt Illusionen über das Mögliche. Rückschläge müssen einkalkuliert werden. Trotzdem müssen wir immer wieder versuchen, auf diesem Wege der Politik weiter voranzukommen. Die Sicherung des Friedens hat für uns dabei Priorität. Für eine parteipolitische Polemik sind diese Fragen deshalb denkbar ungeeignet. Es mutet in diesem Zusammenhang manchmal ja schon etwas seltsam an, daß ausgerechnet die Opposition, die das Treffen von Helsinki rundweg abgelehnt hat, sich jetzt zum Vorreiter der Entspannungspolitik macht und dringlich die Verwirklichung der Prinzipien der KSZE-Schlußakte fordert. Aber dies mag noch angehen. Ärgerlich wird es allerdings dort, wo den anderen Parteien auch noch unterstellt wird, sich in Fragen der Menschenrechte weniger konsequent und weniger standhaft zu zeigen. ({11}) Ein solcher Prinzipienstreit ist müßig. Ich werde der Opposition deshalb auch nicht das Recht bestreiten, sich auf den Boden der KSZE zu stellen; im Gegenteil, ich bin froh darüber, daß sie es wenigstens jetzt, im nachhinein, tut. Weil es in den Grundfragen der Politik und in der Frage der Menschenrechte und ihrer Verletzungen keine Meinungsverschiedenheiten geben sollte, wäre es gut, wenn auch der Bundestag nicht mit zwei Zungen über dieses Thema redete. Dies ist der Grund dafür, daß sich die Fraktion der Freien Demokraten mit Nachdruck um eine gemeinsame Willensäußerung des Deutschen Bundestages bemüht. Es bleibt zu hoffen, daß es uns gelingt, aus den beiden vorliegenden Anträgen in den AusschußHoppe beratungen ein gemeinsames Bekenntnis zu formulieren. Deshalb bittet auch die Fraktion der Freien Demokraten um die Überweisung der vorliegenden Anträge an die zuständigen Ausschüsse. ({12})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ihre Haltung zur KSZE-Schlußakte und ebenso zum internationalen Schutz der Menschenrechte mehrfach, auch im Bundestag, klar zum Ausdruck gebracht. Sie hat sich insbesondere stets mit Entschiedenheit und Nachdruck für die Achtung der Menschenrechte überall eingesetzt. Für sie ist die Sicherung und Wahrung der Menschenrechte ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Ordnung des Friedens und der weltweiten Zusammenarbeit. Die Bundesregierung betont, daß ihre Politik dem einzelnen Menschen dient, daß diese Politik ihren letzten Sinn und Zweck in der Verwirklichung der Rechte des einzelnen und der Achtung der Würde der Person findet. Und dies sind nicht nur Worte, sondern die Bundesregierung hat z. B. im Bereich der Europäischen Gemeinschaften zusammen mit ihren Partnern 1973 die Achtung der Menschenrechte zu einem der Grundelemente der europäischen Identität, des europäischen Wesens erklärt. Die Grundsätze der Demokratie, die Freiheit der Person und die Herrschaft des Rechts sind die Kriterien der Atlantischen Gemeinschaft, die sich zur Verteidigung eben dieser Werte zusammengeschlossen hat. Sie wissen z. B. auch, daß sich Herr Kollege Genscher in den Vereinten Nationen für die Idee eines internationalen Menschenrechtsgerichtshofs ausgesprochen hat. Einer der Kollegen hat eine Rede zitiert, die Präsident Carter vor wenigen Tagen vor den Vereinten Nationen gehalten hat. Ich beziehe mich auf einen Teil der Menschenrechtspassage in jener Rede, in der Carter sagte: Die Suche nach Frieden und Gerechtigkeit bedeutet auch Respekt vor der menschlichen Würde. Alle Unterzeichner der Charta der Vereinten Nationen haben sich verpflichtet, die menschlichen Grundrechte zu beachten und zu respektieren. Daher kann kein Mitglied der Vereinten Nationen behaupten, die Mißhandlung seiner Bürger sei ausschließlich seine Sache. Auch kann kein Mitglied seine Verpflichtung umgehen, bei Folter und grundlosem Freiheitsentzug irgendwo auf der Welt hierüber zu sprechen. Die Bundesregierung teilt diese Auffassung des amerikanischen Präsidenten. Es ist natürlich, daß uns die Rechte der Deutschen dabei besonders am Herzen liegen. Dabei meine ich, daß man sich den Blick hierfür nicht einengen lassen darf, daß unser Einsatz für das Recht des Menschen nicht nur in der DDR oder in Osteuropa, sondern in allen Teilen der Welt gilt. Folterungen, Massenmord, Vertreibungen, ob z. B. in Kambodscha oder Chile oder im südlichen Afrika, bewegen uns in gleichem Maße. Ich füge hinzu: Es gibt nichts, was wir, sei es von Partnern im Osten, sei es anderswo in der Welt, durch einen Mangel an Würde des Menschen, genauer: durch einen Mangel an Respekt vor der Würde einzelner Menschen, erkaufen dürften. ({0}) Wir würden unsere eigene Würde verlieren, wenn wir uns das Recht nehmen ließen, zum Menschenrecht auf der ganzen Welt unsere Überzeugungen und Urteile auszusprechen. Nun hat die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa dazu geführt, daß die Menschenrechte erstmalig ein wesentlicher Bestandteil des ganzen weltweiten Entspannungsprozesses zwischen West und Ost geworden sind. Insoweit - aber auch in anderer Beziehung - ist die Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki insgesamt gewiß ein bedeutender Einschnitt in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Die „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten", wie es heißt, hat im Prinzip 7 des Prinzipienkatalogs der Schlußakte Eingang gefunden. Es heißt dort: Auf dem Gebiet der Menschenrechte und Grundfreiheiten werden die Teilnehmerstaaten in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte handeln. Sie werden ferner ihre Verpflichtungen erfüllen, wie diese festgelegt sind in den internationalen Erklärungen und Abkommen auf diesem Gebiet, soweit sie an sie gebunden sind, darunter auch in den Internationalen Konventionen über die Menschenrechte. In dem sogenannten Korb III, recte gesagt: in dem Kapitel der Schlußakte über die Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen, haben sodann die Teilnehmerstaaten erneut zahlreiche Verpflichtungen im Bereich der Grundfreiheiten und der Menschenrechte übernommen. Wir haben nicht erwartet und, ich glaube, niemand hat erwartet - wir haben das auch in Helsinki in offizieller Rede ausgesprochen -, daß diese gemeinsame Willenserklärung - das ist ja die Helsinki-Schlußakte - über Nacht Wunder bewirke oder über Nacht die Lage in Europa grundlegend verändern würde, sondern wir haben in Helsinki einen Anfang begrüßt, den es in geduldiger Arbeit weiterzuführen galt und fürderhin weiterzuführen gilt. Wir sind in dieser Vorstellung, in dieser Hoffnung nicht betrogen worden. Helsinki hat eine Entwicklung eingeleitet, die es z. B. bereits einer wesentlich größeren Zahl von Deutschen ermöglicht hat, in die Bundesrepublik, in das Land, dem sie sich durch Abstammung, Familie und Sprache verbunden fühlen und dessen Lebensordnung ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht, auszureisen. Hier ist vorhin durch einen Zwischenfrager auf Zahlen aufmerksam gemacht worden, die über die letzten 20 Jahre gelten. Es wäre gut, wenn sich der Kollege die Zahlen ansähe, wie sie sich seit dem August 1961, seit dem Bau der Mauer dartun, die sicherlich nicht der Außenpolitik sozialliberaler Regierungen angelastet werden kann. ({1}) Im Jahr der Unterzeichnung der Helsinki-Schlußakte, 1975 also, sind im Wege der Zusammenführung 7 040 Menschen aus Polen, im Jahre 1976 29 366 Personen, Deutsche, in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Im Wege der Familienzusammenführung sind im Jahre 1975 aus der Sowjetunion 5 985, im Jahre 1976 9 704 Menschen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, um hier zu bleiben. Ebenso wies die Zusammenführung aus der Tschechoslowakei einen kräftigen Zuwachs auf. Niemals seit dem Mauerbau bis zum Beginn der gemeinsamen Arbeit der auch die gegenwärtige Bundesregierung tragenden Parteien sind Ausreisegenehmigungen in solchem Umfange gegeben worden, sind so viel Menschen zu uns, in unser Land, in ihr Land gekommen und niemals so viele wie im letzten Jahre, dem Jahr nach Helsinki. Wenn ich die Zahlen richtig übersehe, sind allein seit dem Tage der Unterzeichnung der Helsinki-Schlußakte über 60 000 Deutsche aus Ländern östlich unserer Grenzen in unser Land gekommen. ({2}) Das sind konkrete, ganz elementare Hilfen für Menschen, um ihr eigenes Menschenrecht vollständig zu erlangen - in einer unzählbaren Zahl von Einzelfällen. Nun hat sich die CDU/CSU - Herr Kollege Schmude und auch Herr Kollege Hoppe haben darauf hingewiesen - heute auf die Helsinki-Schlußakte berufen. Natürlich hat jeder das Recht, sich darauf zu berufen. Aber ebenso darf man wohl daran erinnern, daß Sie diese Schlußakte nicht gewollt haben. Sie wollten ihr Zustandekommen verhindern. Der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der damalige Oppositionsführer hat in jener Debatte, die Herr Schmude schon zitierte, in der Sie die Bundesregierung auffordern wollten, als einzige Regierung ganz Europas ihre Unterschrift zu verweigern, gefragt, ob denn nicht schon der Name, den diese Konferenz trage, in Wirklichkeit eine Täuschung sei. ({3}) Heute räumen Sie ein, daß die Schlußakte von Helsinki nicht nur eine gute internationale, von 35 Regierungs- und Staatschefs unterschriebene Grundlage ist, auf die man sich berufen kann - Sie berufen sich sogar viele Male darauf -, ({4}) sondern darüber hinaus müßten Sie einräumen, daß das, was soeben über die mehr als 60 000 Deutschen ausgeführt wurde, die seit der Unterschrift in unser Land gekommen sind und hier den vollen Genuß der Menschenrechte haben, die bei uns nach unserem Grundgesetz Grundrechte heißen, durch eine Verweigerung der deutschen Unterschrift unter die gemeinsame Willenserklärung von 35 Staaten in Helsinki ganz gewiß nicht nur nicht erreicht, sondern verhindert worden wäre. ({5}) Wenn man Ihre heutigen Bemerkungen und Zwischenfragen gehört hat, fragt man sich, wohin eigentlich die Opposition in der geschichtlichen Entwicklung zurück möchte. In jener Debatte kurz vor dem Helsinkier Treffen hat für meine Fraktion mein Freund Willy Brandt gesprochen. Er hat in einer Passage seiner Rede, in der es um diesen Punkt, um das Verständnis der geschichtlichen Entwicklung ging, gesagt: So schön ... war der kalte Krieg nicht, daß man ihm nachtrauern müßte. Oder daß man zu ihm zurückkehren sollte, füge ich hinzu. ({6}) Es ist vielleicht auch nicht falsch, wenn man in diesem Zusammenhang auf einen anderen Satz von Willy Brandt aus der damaligen Debatte unmittelbar vor Helsinki hinweist, mit dem er an die historischen Gesamtzusammenhänge und auch an die Tatsache erinnert hat, daß Hybris und Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewalt und Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs ursächlich miteinander verbunden sind. Erst kam das eine, und dann kam das andere. Ich darf also wohl sagen, daß die Bundesregierung, auch ohne daß sie das bisher in großen Schriften ausdrücklich dokumentiert hätte, gerade für die Deutschen Erfolge erzielt hat, wie sie vor dem Jahre 1969, vor Beginn der sozialliberalen Regierungszeit - und ich spreche aus der Erfahrung jemandes, der in den drei Jahren davor einer anderen Koalition angehört und an den Beratungen einer anderen Koalition teilgenommen hat - als unerreichbar gegolten haben. ({7}) Seit 1969 hat unsere Vertragspolitik, insbesondere auch gegenüber der DDR, ja gerade zum erklärten Gegenstand gehabt, bis zur Überwindung der politischen Teilung die menschlichen Folgen dieser Teilung Deutschlands zu mildern. Niemand kann bestreiten, daß die aufeinanderfolgenden Bundesregierungen der sozialliberalen Koalition mit ihrer Politik des Verhandelns, des Kompromisse-Aushandelns die menschliche Lage und auch die menschenrechtliche Lage sehr vieler Deutscher, auch in der DDR, verbessert hat; das nicht allein in zigtausenden Fällen der Ausreise im Rahmen der Familienzusammenführung, sondern auch in den Millionen Fällen des Besuchs. ({8}) Dabei will ich nicht übersehen, daß, abgesehen von den Rentnern, Besuche aus der DDR nach dem Westen nur in dringenden Fällen gemacht werden konnten. Aber die Menschen in der DDR haben dank unserer Verträge die Möglichkeit, in großer Zahl Besucher von hier zu empfangen. Außerdem können sie telefonieren, und das alles geschieht hunderttausend- und millionenfach seit dem Abschluß unserer Verträge. Ich will deutlich sagen: In bezug auf die Menschenrechte und ihre Verwirklichung in anderen Ländern ist die Bundesrepublik Deutschland nicht in unmittelbar vergleichbarer Lage. Sie kann ihre Lage nicht ohne weiteres mit der anderer Länder vergleichen, die eine ähnliche politische und soziale Ordnung oder eine ähnliche Verfassungsordnung wie wir haben. Ich finde, das darf weder übersehen noch verschwiegen werden. Die Besonderheit ergibt sich aus der Situation der Teilung der Nation, einer Teilung, die ja eben auch in den millionenfachen privaten persönlichen Beziehungen bisweilen sehr bitter empfunden wird. Das erlegt allerdings jeder Bundesregierung die besondere Pflicht auf, in jedem Falle alle denkbaren tatsächlichen Folgen ihres Verhaltens im Vorwege mit größter Gewissenhaftigkeit zu prüfen, ehe sie handelt oder ehe sie spricht. Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland kann es sich weniger leisten als andere Regierungen, ihrerseits Rückschläge auszulösen oder daran schuld zu haben, daß Rückschläge ausgelöst werden; ({9}) denn abgesehen von Israel - wenn ich es richtig überschaue - gibt es keinen anderen Staat, der um so viele Menschen seines eigenen Volkes besorgt sein muß, die in anderen Staaten leben, wie die Bundesrepublik Deutschland, und es gibt keine andere Regierung, außer der israelischen - wenn ich es richtig übersehe -, die in ähnlicher Weise besorgt sein muß. Unser Bemühen ist darauf gerichtet und wird darauf gerichtet bleiben, ein politisches Klima zu schaffen, in dem es ermöglicht werden kann, größere Freiheitsräume für die Menschen zu schaffen. Unser Einsatz für die Menschenrechte in Deutschland kann nicht, er darf nicht entarten zu einem forensischen Kampfgetümmel im Bundestag. Auch noch so schwungvolle oder noch so schneidende Rhetorik im Bundestag hat bisher keinem einzigen jungen Mädchen oder jungen Mann aus Leipzig oder Dresden ermöglicht, ({10}) in die Bundesrepublik Deutschland auszureisen und hier ihren Verlobten oder seine Verlobte zu treffen und zu heiraten. Wir ziehen die beharrliche Arbeit vor. Ich gebe zu, daß das weniger glanzvoll ist. Aber ich bitte Sie, nicht abzustreiten, daß nach aller Erfahrung über sieben Jahre, die Sie prüfen können, die Sie miterlebt haben, dies effektiver war als das Reden. Effektiver nämlich ist zähes Arbeiten an der Entwicklung gemeinsamer Interessen und am Ausgleich unterschiedlicher Interessen um der Menschen willen. Bei alledem darf nicht verkannt werden, daß auch die DDR in den letzten Jahren Anstrengungen gemacht hat, Anstrengungen z. B., dem Problem der Familientrennung besser gerecht zu werden. In den Jahren 1975 und 1976 sind so rund 11 000 Personen aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt - eine beachtliche Größenordnung. Daher dürfte sich - wie ich denke - niemand in unserem Staat gestatten, etwa leichtfertig die Mittel aufs Spiel zu setzen und die Wege aufs Spiel zu setzen, die diese Ausreisen ermöglicht haben. Nun stehen allerdings in der Welt von heute nahezu alle Bereiche der internationalen Beziehungen in sehr engem Zusammenhang. Dies ist seit dem zweiten Weltkrieg ein Novum der Weltgeschichte. Dabei bedeutet die Entwicklung der Beziehungen zu vielen, vielen anderen Staaten keineswegs eine Billigung derjenigen Politik oder der Politiken, die die Regierungen jener Staaten auf verschiedenen Bereichen verfolgen, bedeutet auch keine Billigung der Politik anderer Regierungen in anderen Staaten, mit denen wir Beziehungen unterhalten, auf dem Felde der Menschenrechte. Ich habe 'dazu neulich, in amerikanischen Blättern lesend, eine Rede gefunden, die vor mehr als 150 Jahren der damalige amerikanische Außenminister - später wurde er der 6. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika -, John Quincy Adams, gehalten hat. Darin heißt es: Wo immer sich die Standarte der Freiheit und Unabhängigkeit entfaltet hat oder entfalten soll, dort wird auch Amerikas Herz sein, dort werden seine Segnungen und Gebete sein. Aber es geht nicht ins Ausland, um nach Monstern zu suchen, die es vernichten will. Amerika begrüßt - ich nehme an, es heißt im Urtext: welcomes die Freiheit und die Unabhängigkeit für alle. Kämpfer und Verteidiger ist es nur für sich selbst. Sicherlich, dies wurde zu einer Zeit gesagt, in der es kein die Vereinigten Staaten von Amerika einschließendes Bündnis gab. Aber die Staaten, von denen Sie hier gesprochen haben, sind ja in dieses Bündnis auch nicht eingeschlossen. Die Weisheit, die in diesem Zitat beschlossen ist, die moralische Stringenz auf der einen Seite und die außenpolitische Vernunft - vom Willen zum Frieden diktiert - auf der anderen Seite müssen allerdings auch für uns gelten. ({11}) Die bestehenden Beziehungen zu anderen Staaten, die zum Teil wir erst herbeigeführt haben, gewähren uns andererseits die Möglichkeit, die eigenen Auffassungen darzulegen und den Versuch zu unternehmen, auf die Entscheidungen der Regierungen jener Staaten einzuwirken. Wir wissen übrigens aus Erfahrung, daß es durchaus Situationen gibt, in denen Einflußnahmen unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Menschenrechtsbereich größere Wirkungen erzielen als demonstrative Aktionen. ({12}) Es kann sich niemand darüber im unklaren sein, daß der Entspannungsprozeß langsam und schwierig ist. In meiner Rede in Helsinki habe ich damals gesagt, es sei ein Weg, auf dem wir mit Geduld und Beharrlichkeit und ohne uns durch Rückschläge ent1228 mutigen zu lassen, Schritt für Schritt weitergehen müssen. Seither ist der Entspannungsprozeß in der Tat umfassender geworden. Erleichterungen für den einzelnen Menschen sind seit Helsinki wichtiger Bestandteil dieser Entwicklung geworden. Man kann das seit Helsinki auch an öffentlich werdenden Meinungsäußerungen im östlichen Teil Europas ablesen. Das bedeutet dann aber eben auch, daß die Fortschritte in der Verwirklichung von Menschenrechten und die Verwirklichung des Entspannungsprozesses unteilbar, untrennbar miteinander verbunden sind. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Nur wenn wir insgesamt in der Entspannung Fortschritte erzielen, können wir insgesamt die Achtung vor dem Recht des Menschen stärken und vertiefen. Ein Fehlschlag dieses Prozesses insgesamt könnte uns wieder in die Zeiten der totalen Konfrontation zurückversetzen - mit entsprechenden Konsequenzen für selbst begrenzte Einwirkungen auf die Regierungen anderer Staaten und mit entsprechenden Konsequenzen für die Menschen, die in anderen Staaten leben, in Staaten, die doch erst an den uns moralisch geboten erscheinenden Standard der Achtung der Menschenrechte herangeführt werden sollen. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen, daß die Begründung, die die Fraktion der CDU/CSU heute nachmittag gegeben hat, sicherlich etwas eindrucksvoller hätte ausfallen können, wenn statt des Kollegen Graf Huyn vielleicht Freiher von Weizsäcker, vielleicht Herr Dr. Barzel oder vielleicht Herr Dr. Schröder ({13}) ihr Anliegen begründet hätte. Ich sehe, sie alle drei sind bei dieser Debatte nicht anwesend; dies halte ich allerdings für ein Zeichen. ({14}) Es ist auch bemerkenswert, daß einer Ihrer Kollegen in der heutigen Debatte in einer Zwischenfrage gegenüber einem der Redner der Fraktionen, auf die ich mich stütze, z. B. gefragt hat, ob Menschenrechte nicht auf der UNO-Charta beruhten. Ich konnte nicht umhin, mich daran zu erinnern, daß, als die sozialliberale Koalition den Beitritt der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen in diesem Hause zur Abstimmung stellte, weil sie ihn für notwendig hielt, 130 Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion diesem Beitritt ihre Stimme versagten und Dr. Barzel deswegen zurückgetreten ist. ({15}) Gleichwohl haben Sie selbstverständlich, Herr Kollege Marx, genau wie bei der KSZE-Schlußakte das Recht, sich auf die Charta der Vereinten Nationen zu berufen. Sie müssen sich nur entgegenhalten lassen, daß das, worauf Sie sich berufen, in Wirklichkeit für Deutsche zur Berufung nur zur Verfügung steht durch unsere Politik. ({16}) - Wenn ich den Abgeordneten Dr. Kohl den Kopf schütteln sehe, ({17}) dann darf ich vielleicht die Vermutung aussprechen, Herr Abgeordneter Dr. Kohl, daß Sie, wenn Sie gesprochen hätten, wohl gewußt hätten, daß das Eintreten für Menschenrechte dann glaubwürdiger gewesen wäre, wenn man dabei darauf verzichtet hätte, ausgerechnet Otto Wels zum Kronzeugen deutschnationaler Polemik zu machen ({18}) und wenn man darauf verzichtet hätte, in einer Rede über den Gegenstand des Menschenrechtes meine Freunde Brandt und Wehner der Solidarität mit Kommunisten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu bezichtigen. ({19}) Ich muß sagen, ich bin überzeugt, daß der Herr Kollege Kohl - ({20}) - Das hat Graf Huyn sehr wohl gesagt. ({21}) Ich bin dankbar, wenn es aus der Welt geschafft werden könnte, und würde das wirklich begrüßen, wenn Sie es aus der Welt schafften. ({22}) Ich bin im übrigen ganz sicher, wenn der Abgeordnete Kohl hier gesprochen hätte, wäre die Begründung auch insoweit eindrucksvoller gewesen, wenn man durch die Wahl geschichtlicher Beispiele nicht die Erinnerung der Zuhörenden auf die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz gelenkt hätte, die ja doch - - Bitte, wenn hier Wels zitiert wurde, was anderes hat denn der Graf Huyn gemeint als jene Rede im Deutschen Reichstag anläßlich der Abstimmung über das Hitlerische Ermächtigungsgesetz?! ({23}) Da braucht ein Sozialdemokrat keine Sorge zu haben, über solche geschichtlich feststehenden Dinge hier zu debattieren. Aber wenn dann der Sprecher Ihrer Fraktion, Herr Abgeordneter Kohl, von geistigen Ahnen sprach, wer waren denn in jener Reichstagsabstimmung, wo die Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten, die geistigen Ahnen des Grafen Huyn? Das möchte ich dann auch fragen dürfen. ({24}) Ich begrüße, daß alle drei Fraktionen dieses Hauses ({25}) sich beschäftigt haben ({26}) - Ich mache einen Augenblick Pause, damit diese appetitlichen Zwischenrufe auch wirklich ins Protokoll gelangen können. ({27}) Ich begrüße es, daß alle drei Fraktionen des Bundestages sich in der heutigen Debatte mit der Belgrader Folgekonferenz, die dieses Jahr stattfinden wird, im Rahmen der KSZE-Schlußakte, beschäftigt haben. Ich will dazu für die Bundesregierung sagen, daß nach unserer Auffassung in Belgrad durchaus kritisch geprüft werden sollte, was alle beteiligten Staaten seit Helsinki in Verwirklichung der gemeinsamen Absichtserklärung erreicht und was sie bewirkt haben. Aber ich stimme ausdrücklich der Ansicht des Kollegen Hoppe zu: Es kann keinen Sinn haben, aus Belgrad ein Forum für gegenseitige Vorwürfe zu machen und damit den Prozeß abzuschneiden, den wir in Helsinki gerade erst in Gang gebracht haben. Wir werden die kommenden Monate zur Vorbereitung auf Belgrad nutzen. Es gilt, dabei die verschiedenen Anregungen unvoreingenommen zu überprüfen. Generalsekretär Breschnew hat Vorschläge für Konferenzen über verschiedene Fragen gemacht, die in Belgrad eingebracht werden sollen. Z. B. ist das von ihm dabei angesprochene Thema der Energie eine Frage, die nicht nur die Staaten im westlichen Teil Europas, sondern auch die Staaten im Osten vor immer größere Probleme stellt. Andererseits halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß wir westlicherseits Vorschläge unterbreiten. Z. B. sind Probleme des Nord-Süd-Verhältnisses oder die Rohstoff-Fragen doch wohl Themen, die nicht nur die Entwicklungsländer einerseits und nicht nur die westlichen Industrieländer andererseits angehen. Und wer Entwicklungshilfe bloß in der Form der Lieferung von Flugzeugen oder Waffen leisten wollte, der würde ja dem weltweit erhobenen Gebot nicht gerecht werden. Ich denke, wenn in einer solchen Debatte von Menschenrechten geredet wird - ich wiederhole: die Grundrechte unseres Grundgesetzes gehen in vielen Fällen weiter als die internationalen Menschenrechte -, dann soll man auch zu den Menschenrechten in der Bundesrepublik ein Wort sagen dürfen. ({28}) Ich will dabei die Diskussion der letzten Wochen in unserem Land nicht außer acht lassen. ({29}) Diese Diskussion hat sich allerdings zum Teil, beispielsweise in den Medien, etwas sehr weit von der Wirklichkeit entfernt. Man soll nicht so tun, als ob in Bund und Ländern Minister und Beamte diejenigen seien, die Grundrechte gefährden, und nicht die anderen, die mit Bereitschaft zur Geiselnahme, zum Mord und zum Bürgerkrieg die staatliche und die gesellschaftliche Ordnung unseres Landes vernichten wollen. ({30}) Unser demokratischer Rechtsstaat kann ohne Übertreibung als der freiheitlichste Staat bezeichnet werden, den es in der deutschen Geschichte je gegeben hat, und als ein Staat, der heute auch keinen Vergleich mit den traditionellen westlichen Demokratien in diesem Punkt zu scheuen braucht. ({31}) Unser Staat darf sich allerdings nicht selbst in Frage stellen oder in Frage stellen lassen. Wir alle haben daran mitzuwirken, daß die Grundprinzipien unseres Staates und die Grundrechte unserer Verfassung, die einen freien und offenen Meinungs- und Willensbildungsprozeß garantieren, verteidigt werden - wir alle, alle Bürger, die Regierungen, die Parlamentarier, die Richter, die Beamten, die Polizeien, die Verfassungsschutzorgane und die Dienste, die öffentlichen Dienste aller Art. Auch die erklärten Gegner unserer Verfassung können die Grundrechte für sich in Anspruch nehmen. Aber sie müssen sich dann gefallen lassen, daß notfalls auch von den Eingriffsmöglichkeiten der Verfassung kräftig Gebrauch gemacht wird, wenn sie Freiheit und Leben anderer bedrohen. Es hat solche Situationen in der Bundesrepublik im Jahr 1975 mehrmals gegeben: Da wurde ein hoher Richter bei dem Versuch der Geiselnahme in seiner Wohnung erschossen, ein hoher Politiker auf dem Weg in sein Büro entführt, eine unserer Botschaften gestürmt, und zwei Botschaftsangehör rige wurden ermordet. Man kann viele solcher Ereignisse im Zusammenhang mit den Jahren 1975 und 1976 nennen - und sie waren nicht das Werk ignoranter oder autoritärer Minister oder Beamter. In dem Zusammenhang rufe ich in Erinnerung, was ich in einer Regierungserklärung nach dem Terroranschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm hier - wenn ich es recht erinnere - mit allgemeiner Zustimmung erklärt habe: Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muß innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was vom Rechtsstaat erlaubt und was vom Rechtsstaat geboten ist. Ich halte diese Äußerung heute für genauso zutreffend wie damals und wiederhole sie ausdrücklich. Hiermit möchte ich - das will ich allerdings genauso klar sagen - nicht die notwendige Diskussion, die noch fortgehen wird, über die rechtlichen und politischen Aspekte und etwaige gesetzgeberische Folgerungen aus den Vorgängen, insbesondere aus den beiden Abhörvorgängen, die im Augenblick die öffentliche Meinung beschäftigen, abschneiden. Darüber wird vielmehr auch weiterhin im Bundestag sehr sorgfältig gesprochen werden müssen. Dabei kommt es mir darauf an, daß über berechtigte Kritik an einzelnen Maßnahmen - wieweit sie berechtigt ist, wird sich in manchen Fällen erst noch herausstellen müssen - nicht die Grundtatsache aus den Augen verloren wird, daß es allen staatlichen Stellen in Bund und Ländern bei all dem, was sie heute verantworten müssen, um den Schutz des Staates, um den Schutz der Gesellschaft, um den Schutz vieler, vieler Menschen gegen freiheits- und demokratiefeindliche Terroristen ging und weiterhin geht. Dabei will ich kein Mißverständnis aufkommen lassen. Ich bekämpfe die Auffassung, daß der Zweck die Mittel heiligen könne. Die Mittel müssen bei uns immer mit Gesetz und Verfassung in Einklang stehen. Aber für die Diskussion und die Bewertung muß es natürlich wesentlich auf die konkreten Umstände und Motivationen ankommen, die in den konkreten Fällen gegeben waren. Ich will gern einräumen und das wiederholen, was Herr Kollege Maihofer hier im Bundestag schon gesagt hat, daß sich im Fall Traube später herausgestellt hat, daß man gegen einen Unschuldigen vorgegangen ist. Die Bundesregierung hat Herrn Traube deswegen vor dem Bundestage - wenn Sie es so nennen wollen - rehabilitiert. Er hat sich dafür bei mir in einem eindrucksvollen Brief bedankt. Damit sollte die nachträgliche politische Bewertung dieses Vorganges eigentlich abgeschlossen sein. Wir aber sollten, denke ich, in der Menschenrechtsdebatte den Grundkonsens untereinander bekräftigen, daß es auch künftig notwendig ist, unsere Verfassung mit den Mitteln des Rechts zu verteidigen, daß es verantwortungslos wäre, dem latenten oder gar dem akuten Willen zur Gewalt, wie er sich in den Terroraktionen der Baader-MeinhofGruppe bis hin zu Vorgängen wie jüngst, nicht so schwergewichtig, aber schlimm genug, in Grohnde und anderswo gezeigt hat, mit Lässigkeit zu begegnen. ({32}) Wir sollten uns jedenfalls darin einig sein, daß es darauf ankommt, nach sorgfältiger, vielleicht nach leidenschaftlicher Debatte unsere eigene Rechts- und Verfassungsordnung weiter zu verbessern und uns beim Thema Menschenrechte nicht ausschließlich darauf zu beschränken, mit unseren Fingern auf andere zu zeigen. ({33})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben in einer in vielfacher Hinsicht bemerkenswerten Rede davon gesprochen, daß es einen Grundkonsensus in diesem Hause in Sachen Menschenrechte geben müsse. Ich möchte darauf, Herr Bundeskanzler, antworten: Ich selbst und jeder meiner Kollegen in meiner Fraktion hat immer, auch in den sehr schwierigen politischen Auseinandersetzungen, daran geglaubt, daß es in einer Reihe von prinzipiellen Fragen z. B. über das Menschen- und Geschichtsbild, über die Unverletzlichkeit und Würde über die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit jedes einzelnen Menschen in diesem Hause einen Grundkonsensus geben müßte. Denn wenn es ihn nicht gäbe, dann allerdings wäre die Frage, wie es mit der parlamentarischen Demokratie, mit ihrer inneren Ordnung, mit ihrer äußeren werbenden Kraft weitergehen könne, in diesem Hause sofort zu stellen. ({0}) Herr Bundeskanzler, Sie haben aber - ich muß auf einige Bemerkungen eingehen, die Sie hier gemacht haben - meinen Kollegen und Freund Graf Huyn in einer, wie ich glaube, höchst unpassenden, verletzenden und beleidigenden Weise attackiert. Sie haben sich darüber erregt, daß er einen Mann, der für uns alle heute ein wichtiges geschichtliches Beispiel ist, nämlich den damaligen sozialdemokratischen Abgeordneten Wels, zitiert hat. Sie haben, um sich dagegen abzusetzen, den Eindruck erweckt, die, wie Sie sich auszudrücken beliebten, geistigen Ahnen meines Kollegen hätten damals woanders gestanden. Es würde mich sehr verführen, meine Damen und Herren, bei vielen zu fragen, wo eigentlich ihre geistigen Ahnen sind. ({1}) Ich möchte aber auch für das Protokoll dieses Hauses feststellen - Herr Bundeskanzler, ich erwarte, daß Sie daraufhin Ihren Fauxpas wiedergutmachen -, daß der Vater von Graf Huyn im Jahre 1934 den Auswärtigen Dienst wegen eines unauflösbaren Konfliktes mit den Nazis verlassen hat. ({2}) - Meine Damen und Herren, wir könnten natürlich jetzt, da ich den Zuruf höre, in geschichtliche Betrachtungen eintreten. Ich schlage vor, daß wir dies nicht tun. Aber ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, bitten, Ihre Form der bösartigen Abstempelung von Mitgliedern dieses Hauses, die Ihnen keinerlei Anlaß dazu gegeben haben, es sei denn, sie hätten ihre Wahrheit in aller Offenheit hier vorgetragen, endlich sein zu lassen. ({3}) Wie würden Sie denn antworten, der Sie nach langer Zeit hier endlich wieder die Sprache gefunden haben, wenn man Sie fragte: Wer sind eigentlich die geistigen Väter der Stamokap-Leute bei den Jusos? ({4}) Wenn Sie mich persönlich auf meine Reden ansprechen, die ich hier zur UNO oder zur KSZE gehalten habe, dann wäre ich doch für jenes geringe Stück an Gerechtigkeit dankbar, soweit Sie darüber I noch verfügen wollen, daß Sie zuerst nachlesen und dann urteilen und nicht auf Grund falscher Erinnerungen hier kursorisch Andeutungen machen, die falsch sind. ({5}) Herr Bundeskanzler, Sie sagen in dem mehr elegischen Teil Ihrer Darlegungen, schneidende Rhetorik in diesem Saale - ich dachte an Ihre früheren Reden, als ich die Worte „schneidende Rhetorik" hörte ({6}) hätte noch niemanden aus dem Gefängnis gebracht. Sie sagten an einer anderen Stelle, es solle hier nichts aufs Spiel gesetzt werden. Meine Antwort lautet: Diese Fraktion der CDU/CSU hat eine andere Form der Verantwortung, wenn sie über deutschlandpolitische Fragen spricht. Sie will überhaupt nicht irgend etwas aufs Spiel setzen, aber sie will mit dem, was ein freies Parlament auszeichnen muß, Ernst machen: Sie muß über die entscheidenden Fragen der internationalen Politik, über die uns bedrängenden Fragen der deutschen Politik hier offen sprechen können, und sie muß sich natürlich die Möglichkeit erhalten, über Probleme, die vor uns liegen, wie z. B. die Belgrader Folgetreffen, rechtzeitig zu sprechen. Rechtzeitig sollte eine Regierung, die nicht die Hybris der Macht in sich hat, hören, was dieses Haus sagt. Ich habe es hier schon einmal gesagt, Herr Bundeskanzler: Sie sollten begreifen, die Intelligenz einer Regierung mißt sich auch daran, wie sie in internationalen Verhandlungen und Gesprächen den Willen und die Absichten ihrer demokratischen Opposition miteinsetzt. ({7}) Wir haben doch leider während der Verhandlungen in Moskau über die Verträge in den Jahren 1970 und 1971 erlebt, daß es dort Gespräche gegeben hat, wo man zu dem sowjetischen Partner sagte: Wir sind uns in der Sache klar, aber Leute, laßt uns andere Formeln finden, damit wir zu Hause bei der Opposition und beim Bundesverfassungsgericht bestehen können. Ich muß Ihnen sagen, ich habe das nie begriffen. Ich war immer der Meinung, eine demokratische Regierung, die im Ausland in höchst schwierigen Verhandlungen steht, verwendet, was zu Hause ein breiter Teil ihres Volkes, repräsentiert und deutlich gemacht in diesem Hause, vertritt, dafür, um dem Partner gegenüber möglichst viel bei der Wahrung der eigenen Interessen herauszuholen. ({8}) Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat an einer anderen Stelle gesagt: „... wenn andere Kollegen als der Graf Huyn hier begründet hätten." Herr Bundeskanzler, ich finde das hinsichtlich der Vorgänge im Ältestenrat, die Sie ja kennen, nicht besonders fair. Es gibt Kollegen, die für den heutigen Tag ihre Planungen hatten. Wir hatten diese Debatte für Freitag vorgesehen, und diese Fraktion ist auf den heutigen Mittag gegangen, weil Sie selbst, was wir verstehen und begrüßen, und der Bundesaußenminister aus dienstlichen, aus europäischen Gründen am Freitag in Rom sind. Deshalb debattieren wir heute, und deshalb fehlen einige Kollegen. Ziehen Sie aber daraus nicht den falschen Schluß. Was hier vorgetragen worden ist, was in unserem Antrag steht und was in der Begründung formuliert ist, ist die einhellige, in unserer Fraktion nach gründlicher Diskussion abgestimmte Meinung der Christlich Demokratischen und der Christlich Sozialen Union. ({9}) Herr Bundeskanzler, Sie haben - lassen Sie mich das so sagen - in einem weiteren AnflugvonSelbstgerechtigkeit mit dem Finger auf uns gedeutet und gesagt: Wo wäret ihr eigentlich, wenn wir nicht seit sieben Jahren diese Politik gemacht hätten? ({10}) Darf ich einmal fragen: Wo hätten Sie eigentlich Ihre Politik gemacht, wenn nicht zwanzig Jahre Konrad Adenauer und die CDU/CSU sich verantwortlich für die Sicherheit dieses Landes, für die Freiheit dieses Landes, für die europäische Politik, ({11}) für die Bündnispolitik, leider oft gegen Sie und gegen ihrer Freunde Widerstand eingesetzt hätten? ({12}) Wenn von den Menschenrechtspakten die Rede ist, wollen wir auch nicht vergessen, daß wir diese Sache im Jahre 1968 unterschrieben haben. ({13}) Herr Bundeskanzler, an einer anderen Stelle haben Sie gesagt, es gebe Einflußnahmen zugunsten der Menschenrechte unter Ausschlug der Öffentlichkeit. Natürlich ist das so, das wissen wir. Der Herr Kollege Franke weiß, daß er von uns viele Briefe wegen sehr schwieriger Fragen bekommt, wo er seinen Weg nimmt. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Wir wissen: Nahezu alle, die man Dissidenten nennt, die aus den osteuropäischen Ländern oder aus der DDR herüberkommen, sagen und bitten uns, uns laut zu äußern, deutlich und klar unter Verwendung von Namen und Adresse. Man kann das eine unid das andere tun. Ich wünsche Ihnen auf dem, was Sie den stillen, den diplomatischen Weg nennen, viel Erfolg zugunsten der Menschenrechte. ({14}) Was ich aber von Ihnen erwarte, ist, daß Sie nicht unsere Absicht diskreditieren, sondern daß auch Sie denjenigen helfen, die offen und deutlich sagen, was an verletzten Menschenrechten in diesem Lande und auf diesem Kontinent nach unserer Auffassung wiederhergestellt werden muß. ({15}) Abschließend dazu möchte ich noch die eine Bemerkung machen: Menschenrechte sind, seit sie so stark in das öffentliche Bewußtsein eingebrochen sind, nicht mehr der Gegenstand geheimer Diplomatie. Man kann auch dort darüber sprechen - gewiß. Jeder von uns, der Gesprächspartner in Ost1232 europa und eine Möglichkeit hat, ihm die eine oder andere Liste zu geben, tut dies, und er ist froh, wenn das eine oder andere - ich will gar nicht über die Wege sprechen - dann zu einem positiven Ergebnis kommt. Aber ich sage noch einmal: Die eigentliche politische Kunst besteht darin, daß man das eine tut und das andere nicht läßt. ({16}) Graf Huyn hat sich zu unserem Antrag und zu der sehr eingehenden schriftlichen Begründung geäußert. Ich habe den Antrag der Koalition betrachtet. Ich verstehe Ihre Punkte 1 und 2; das liegt ganz in der Art Ihrer Selbstbetrachtung, die Sie bisher immer angestellt haben. Aber ich finde, daß auch die Rede des Bundeskanzlers und die Rede des Kollegen Hoppe und, wenn ich einmal von vielen anderen Dingen absehe, auch manche Bemerkung des Kollegen Schmude - bei ihm muß ich mich vorsichtig ausdrücken - durchahnen lassen, daß auch Sie nicht zufrieden sind mit den Ergebnissen, die bis heute in Sachen Menschenrechte, so wie sie in den politisch-moralischen Absichtserklärungen der KSZE aufgeschrieben sind, erreicht wurden. Sie sagen in Ihrem Punkt 3, daß bei der außenpolitischen Entwicklung und beim Vorgang der Entspannung, der Achtung und der Wahrung der Menschenrechte diesen, also den Menschenrechten, der gebührende Rang zukommen müsse. Wenn man diesen Satz liest, denkt man: Also auch Sie empfinden, die Menschenrechte sind zu kurz gekommen. Aber man findet auch, daß Sie nicht präzise sa- I gen, welchen „ihnen gebührenden Rang" die Menschenrechte eigentlich haben sollen. Ich möchte Ihnen sagen: unserer Auffassung nach den ersten Rang. ({17}) Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat sich in der vergangenen Woche vor seiner Fraktion in ähnlich merkwürdiger Weise wie heute ausgedrückt. ({18}) Er sagte dort, daß die amerikanische Regierung die Entspannungspolitik mit Konsequenz fortsetzen werde; daran hindere sie ihr Eintreten für die Menschenrechte nicht. Ich habe diese beiden Sätze ein paarmal gelesen, und ich muß sagen: Es ist bestürzend, das ganze Mißverständnis dieser Auffassung von Entspannungspolitik dort zu finden. Ich möchte daher noch einmal für uns unser Verständnis von Entspannung in sieben ganz kurzen Punkten vortragen: Erstens. Entspannung heißt, sich bemühen, Spannungsursachen auf beiden Seiten zu mindern. ({19}) Zweitens. Entspannung verdient erst dann ihren Namen, wenn beide Seiten entspannen. Wenn nur der eine Partner entspannt, der andere aber auf seinen Positionen verharrt, entstehen neue Spannungen. ({20}) Ich finde, daß wir diese Situation im Augenblick mit Händen greifen können. ({21}) Drittens. Entspannung ist nicht ein taktischer Winkelzug, Entspannung darf auch nicht als ein Trick verstanden werden, um den Gegner zu schwächen, so daß man ihn hinterher überrumpeln kann. Viertens. Entspannung kann und darf nicht als ein ausschließlich außenpolitischer Vorgang ohne Berücksichtigung der Auswirkung auf die Menschen selbst verstanden werden. ({22}) Fünftens. Herr Bundeskanzler, Sie haben, wenn ich es recht verstanden habe - darüber freue ich mich; es gab keinen Beifall von Ihrer Fraktion -, einen Satz verwendet, der fast genau dem entspricht, den ich hier für meine Freunde sagen wollte, nämlich: Entspannung und Menschenrechte gehören völlig unauflösbar zusammen. ({23}) Wir sind davon überzeugt - das ist der sechste Punkt -, daß es eine dauerhafte Entspannung nicht ohne Bewahrung oder Wiederherstellung der Menschenrechte geben kann. Siebtens. Die Verteidigung der Menschenrechte ihrerseits ist ein wesentlicher Faktor der Entspannungspolitik. So haben wir das immer verstanden, so haben wir es immer gesagt. Und weil mitunter versucht wird, ein Tuch der Diffamierung darüber zu breiten, sind wir froh darüber, daß wir heute die Gelegenheit haben, es hier noch einmal deutlich zu sagen. Nun, vom Kollegen Schmude ist unsere Debatte - eine Sondersitzung - angesprochen worden, die wir hier am 25. Juli 1975 hatten. Ich habe zur Vorbereitung dieser Debatte die beiden damaligen Reden des Herrn Kollegen Genscher noch einmal nachgelesen. ({24}) Er hat dort gesagt: Bei dieser Gelegenheit werden wir mit den anderen Teilnehmerstaaten zu prüfen haben, ob die Konferenzbeschlüsse in der erwünschten Weise - in der erwünschten Weise! - Wirklichkeit geworden sind. Er hat hinzugefügt, man wolle feststellen, ob in Wirklichkeit das politische Klima in Europa beeinflußt worden sei, und er sagte schließlich: Kriterium für die endgültige Bewertung der Konferenz ist und bleibt ... die Durchführung der Beschlüsse. Genau darum geht es uns, meine Damen und Herren! Wir wollen nämlich niemandem erlauben, sich an der Frage vorbeizumogeln, ob er die Flut von Worten und Versprechungen und AbsichtserklärunDr. Marx gen lediglich als eine wohlfeile Propaganda benutzt oder wirklich meint, was er sagt. ({25}) Herr Kollege Ehmke, darf ich nun ein Wort zu Ihnen sagen: Sie haben in einer Erklärung, die, glaube ich, heute erschienen ist, an unsere Adresse eine Bemerkung gemacht und gesagt, Sie hätten den Eindruck, unser Antrag diene vorwiegend propagandistischen Zwecken; und Sie haben dann gesagt, daß es sich hier um einen Mißbrauch handele. In allem Ernst: Das, was Sie da geschrieben haben, können Sie doch selbst nicht glauben. ({26}) Sie wissen doch, Herr Kollege Ehmke, daß diese Fraktion nicht zusammenkommt und nicht um eine solche Sondersitzung bittet - noch dazu, wo das Fernsehen abgeschaltet ist -, um Propaganda zu machen, sondern sie tut dies, Herr Kollege Ehmke, um zu erreichen, daß dieses Haus, daß die Bundesregierung, daß die deutsche Offentlichkeit sich mit einem der wichtigsten Themen unserer Politik überhaupt beschäftigt, nämlich mit dem Schicksal der Menschen. ({27}) Meine Damen und Herren, es ist bei der Konferenz von Helsinki festgelegt worden, daß man die zwingende Notwendigkeit empfinde, sich nach zwei Jahren wieder zu treffen, und daß man dann die Ergebnisse überprüfen werde. Es gibt nun Leute, die uns empfehlen, man solle daraus kein Tribunal machen und solle keine Anklagereden halten. Meine Damen und Herren, bei uns hat niemand den Wunsch, ein Tribunal zu veranstalten, aber wenn man mit jenem Teil der Schlußakte Ernst machen will, kann doch das ganze Unternehmen in Belgrad offenbar nur den Sinn haben, zu überprüfen, was mit dem, was in Helsinki unterschrieben wurde, mittlerweile geschehen ist. Genau dies möchten wir, und wir sind nicht schuld daran, wenn wir aus objektiven Gründen feststellen müssen, daß sich wichtige Partner dieser politisch-moralischen Absichtserklärungen der Erfüllung der dort von ihnen selbst unterschriebenen Verpflichtungen seither entzogen haben. Da der Kollege Brandt jetzt bei uns ist, möchte ich folgendes sagen: Herr Kollege Brandt, ich habe den Eindruck - auch durch eine Rede, die Sie am 1. März, glaube ich, in Kassel gehalten haben, und auf Grund einer Reihe anderer Verlautbarungen, z. B. im Mittagsmagazin des Westdeutschen Rundfunks -, daß Sie sehr bestrebt sind, abzuwiegeln und zu sagen: also bitte nicht mit diesen deutlichen und klaren Fragestellungen und Sätzen, vor allen Dingen nicht mit einer Dokumentation - sie ist ja vorhin von Herrn Schmude fast als eine Aggression bezeichnet worden - nach Belgrad gehen. ({28}) Aus Ihren Sätzen hört man Verlegenheit und Unwillen zugleich heraus, und ich finde, Ihnen sei die Tatsache, daß es manche unter uns gibt, die an den Umstand, daß sich hinter dem Eisernen Vorhang immer mehr Menschen melden, die sich auf die Deklaration für Menschenrechte der Vereinten Nationen, auf die Menschenrechtspakte und auf die KSZE berufen, erinnern, fast peinlich. Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten hat sich eine Art paradoxer Situation ergeben. Wichtige Teile der KSZE-Schlußakte wenden sich - fast könnte man mit Hegel sagen: es ist eine „List der Geschichte" - gegen ihre eigenen Erfinder. Denn jetzt, da sich Zehntausende, ja, Hunderttausende auf die eben genannten Menschenrechtsdeklarationen, die Menschenrechtspakte und die Dokumente von Helsinki berufen, da sie sich ihrer Bürgerrechte selber bewußt geworden sind und sie gegen den totalitären Staat verteidigen, fürchten manche, daß solche Zumutung Ärger schaffe. Andere sagen, dies könne zu Verschärfungen führen, und wieder andere befürchten, dies gefährde die Entspannung. Welch unglaubliche Vorstellung von dem, was Entspannung sei! Wir, die CDU/CSU - ich sage das deshalb auch in Antwort auf Bemerkungen, die vorhin Kollege Schmude gemacht hat -, fühlen gerade in diesen Vorgängen einen wichtigen Teil unserer Politik bestätigt. Wir, meine Damen und Herren, sagen mit Stolz: Wir waren es, die seit vielen Jahren - ich denke z. B. auch an den vorhin von Herrn Schmidt apostrophierten Kollegen Barzel - immer wieder auf die Menschenrechte, ihre Verteidigung, ihre Verwirklichung und Bestätigung als Ziel unseres politischen Willens hingewiesen haben. Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß wir, die CDU/CSU, die Verhandlungsergebnisse, die in Helsinki, wie ich glaube, zu unkritisch gefeiert worden sind, hier als nicht ausreichend bezeichnet haben. Wir hatten auch gute Gründe, z. B. die Mehrdeutigkeit der Texte zu rügen. Es ist doch offenkundig, und jedermann erlebt es jede Woche, wie mehrdeutig sich die Texte, wie damals von uns vorhergesagt, in concreto erweisen. ({29}) Denn wenn sie nicht so mehrdeutig wären, dann müßte man ja wohl nicht diese breiten, in vielen Ländern stattfindenden Debatten am Vorabend des Treffens von Belgrad führen. Was wir damals nach all den Erfahrungen, die wir mit den Ostverträgen und dem innerdeutschen Grundvertrag gemacht hatten, vor uns sahen, war die Gefahr, daß die neuen Abmachungen nicht Frieden stiften, sondern die Quelle neuer Konflikte würden. So ist es ja leider auch gekommen. Die Rede des Generalsekretärs der KPdSU Breschnew vor den sowjetischen Gewerkschaften - Herr Bundeskanzler, Sie haben darauf, wenn ich es recht in Erinnerung habe, soeben nur einen halben Satz verwendet - und die sogenannte ideologische Konferenz in Sofia sowie eine Fülle von im Ton immer schärfer und aggressiver werdenden Anklagen gègen die westlichen Staaten, wobei Inhalt und Begriff von Menschenrechten interessanterweise kräftig verbogen werden, zeigen, wie folgenschwer das unterschiedliche Verständnis von Inhalt und Bedeutung der KSZE - und zwar sage ich jetzt: in fast allen ihren Teilen - in Ost und West ist. Aber - und dies hat wahrscheinlich keiner von uns geahnt und, ich denke, keiner von uns gewollt; denn wenn jemand sagt, er habe es gewollt, wäre dies allerdings ein hochinteressanter dialektischer Vorgang - die neuen Konflikte, die sich zusätzlich zeigen, haben sich in den kommunistischen Staaten selber entzündet. Die Erklärungen der KSZE, so ungenügend sie oft formuliert sind, haben doch dort eine erstaunliche Dynamik in die schon vorhandene Auseinandersetzung zwischen vielen Bürgern und ihrem Staat gebracht. Denn diese Bürger fordern, daß Zusagen eingehalten, Absichten verwirklicht und ihre Menschenrechte abgesichert werden. Da gibt es nun Leute, die uns höhnisch, zynisch oder polemisch fragen, wieso sich eigentlich diese Opposition, der die KSZE-Texte damals nicht genügt hätten, jetzt auf sie berufe. Meine Damen und Herren, in solchen Fragen sehe ich allerdings ein seltsames und beunruhigendes Verständnis von Demokratie, von den Pflichten der parlamentarischen Opposition. Ich möchte hier wiederholen, was wir im Zusammenhang mit anderen Vorgängen offen erklärt haben: Wenn Verträge oder Bindungen anderer Art ohne uns oder gegen uns, ({30}) aber in demokratisch einwandfreier Weise zustande gekommen sind, dann binden sie uns alle als geltendes Recht. Aber, meine Damen und Herren, wir werden uns natürlich nicht davon abhalten lassen, dann dieses Recht, das uns bindet, auch anzuwenden und, Herr Kollege Brandt, über die „strikte Einhaltung und volle Anwendung" aller dieser Verabredungen zu wachen. ({31}) Meine Damen und Herren, wir würden unsere Pflicht vernachlässigen, wenn wir dies nicht täten. Wir wachen, so wie wir es bei den Verträgen tun, auch bei der KSZE über das, was man sich angewöhnt hat, zu nennen: „Geist und Buchstabe". Wir lenken - auch mit dieser Debatte, mit unserem Antrag - die Aufmerksamkeit des ganzen Hauses und die Aufmerksamkeit der deutschen Offentlichkeit auf die von uns allerdings erwartete Tatsache, daß die sowjetisch geführten KSZE-Partner seit der Unterschrift Ende Juli 1975 keineswegs immer und überall das eingehalten haben, was sie dort unterschrieben haben. Meine Damen und Herren, je näher nun die Termine dieses Treffens rücken - der erste ist auf den 15. Juni fixiert; der nächste wird dann wahrscheinlich im Herbst folgen -, desto deutlicher wird, daß es keine stolze Bilanz über die Verwirklichung der Absichtserklärungen vom Sommer 1975 geben wird. Das durch die KSZE-Schlußakte erhoffte und vom Bundesaußenminister damals beschworene verbesserte Klima in Europa ist leider nicht eingetreten. Niemand, meine Damen und Herren, der die Entwicklung in Ost-Mitteleuropa oder in der DDR objektiv verfolgt, wird an dieser ernüchternden Tatsache vorbeigehen können: daß sich an die Stelle vieler Hoffnungen Enttäuschungen gedrängt haben, daß menschliche Erleichterungen, die verlangt wurden, nicht eingetreten sind, sondern daß sogar vielfaches menschliches Leid neu erzeugt worden ist - ich möchte nur in Klammern auf eine der Sendungen in „Kennzeichen D" von gestern abend hinweisen, in der von dem doppelten Selbstmord getrennter junger Leute in Ost-Berlin berichtet wurde -, daß, meine Damen und Herren, die versprochenen zusätzlichen menschlichen Kontakte von der östlichen Seite unterbunden werden und daß von einem freien Austausch - auch dieser Satz stammt aus dieser meiner Fraktion - von Menschen, Ideen, Informationen und Meinungen, den der Westen auf heftiges Drängen auch dieser Opposition in die Schlußakte, in den Korb III gebracht hat, leider keine Rede sein kann. Meine Damen und Herren, im Gegenteil! Man kann sagen, das Klima in Europa ist kälter und frostiger geworden. Woche um Woche steigt die Flut der Nachrichten über neue Unterdrückungen, Verfolgungen und Verhaftungen. Der Außenminister hat in seiner damaligen Rede gesagt, es komme auf die „praktischen Auswirkungen" an; an ihnen werde die Bundesregierung die Konferenzergebnisse messen. Wir erwarten also - ich habe ihn zitiert; das ist auch der Sinn unseres Antrages -, daß dieses Messen der Regierung in einer der deutschen Offentlichkeit zugänglichen, sauberen Dokumentation über Einhaltung und Verletzung von Menschenrechten geschieht. ({32}) Meine Damen und Herren, wenn die Bundesregierung offenbar Anlaß findet, ihre Deutschlandpolitik in diesen Tagen einer Bestandsaufnahme zu unterziehen, so wäre es beim inneren Zusammenhang von Ostverträgen, innerdeutschem Grundvertrag und KSZE-Schlußakte nur folgerichtig, wenn auch deren Verwirklichung in diese Bestandsaufnahme einbezogen werden würde. Das jedenfalls ist unser Vorschlag, unsere Bitte und unsere Forderung an die Bundesregierung. Meine Damen und Herren, wir wenden uns in unserem Antrag vor allen Dingen an die Deutschen und an die Menschen deutscher Volkszugehörigkeit. Natürlich ist das nur ein Aspekt des Ganzen das wissen wir auch. Aber es ist ein besonders wichtiger Aspekt, wichtig deshalb, weil kein anderes Land in Europa gespalten ist, weil hier die Scheidelinie zweier Welten liegt, weil hier eine Grenze durch ein Land und durch ein Volk gezogen worden ist. Wir - Graf Huyn hat vorhin darauf hingewiesen; ich wiederhole es mit meinen Worten - in diesem Parlament haben die politische, moralische und historische Pflicht und Verantwortung, uns vor allem mit den eigenen vielschichtigen und so überaus schwierigen Problemen zu beschäftigen. Wer in aller Welt sollte sich denn um die deutschen Angelegenheiten kümmern, wenn nicht der frei gewählte Deutsche Bundestag? ({33}) Schließlich ist auch der Stoff, der sich für die Deutschen im Zusammenhang mit den Wirkungen der KSZE-Schlußakte bis jetzt ergeben hat, wahrlich umfassend und - ich sage - herausfordernd genug. Es kann doch gar keine Rede davon sein, daß z. B. in der DDR jenes vorhin schon einmal genannte Prinzip 7 des I. Korbes auch nur in einem einzigen Punkte eingehalten worden sei, ein Prinzip, das folgende Überschrift trägt: Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, GewissensReligions- oder Überzeugungsfreiheit Man muß es ganz deutlich sagen: Die Lage der Menschen in Deutschland hat sich seit der Unterzeichnung der Schlußakte leider nicht verbessert. Zahlreiche Vorgänge, vor allem in den letzten Monaten, welche ja selbst die Bundesregierung gezwungen haben, davon zu sprechen, das Verhältnis zwischen beiden Teilen Deutschlands sei jetzt schlechter als seit vielen Jahren, stellen die so förderlich geschilderten Helsinki-Texte wirklich auf den Kopf. Lassen Sie uns einen Augenblick in die DDR hineinblicken. Die Diskriminierung jener dort, die nicht aus einem der SED in ihrer ideologischen Verschrobenheit genehmen Elternhaus kommen, geht nach wie vor weiter. Wenn es irgendwo in Deutschland Berufsverbot gibt - ich verwende jetzt einmal diese propagandistische kommunistische Formel, die ja in diesem Land langsam immer öfter auch auf Transparente und Hauswände geschrieben wird -, dann in der DDR; ({34}) denn dort wurden und werden Hunderttausende junger Menschen z. B. vom Besuch weiterführender Schulen, vom Ablegen des Abiturs, anderer wichtiger Prüfungen oder von der Aufnahme eines Studiums ausgeschlossen, weil sie entweder nicht - wie man dort sagt - proletarischer Herkunft sind oder weil sie nicht geeignet erscheinen, sich ohne Nachdenken allen Wendungen und Windungen der Parteilinie zu unterwerfen. Es gibt drüben viele Tausend Bürger, denen die Entfaltung ihrer Persönlichkeit verwehrt ist, die die Ausübung eines gewollten und geliebten Berufes nicht vornehmen können, die aus ihrer bisherigen Stellung vertrieben werden und die man zwingt, andere Arbeiten, die sie gar nicht wollen, zu verrichten. Drüben werden auch nach wie vor die Kirchen unterdrückt und religiöse Menschen, die sich offen bekennen, an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Auch nach Helsinki, wo Herr Honecker alle die feierlichen Absichtserklärungen unterschrieb, werden die Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung und Meinung - und zwar einer Meinung, die wohlgemerkt nicht in Widerspruch zu den dortigen Gesetzen und der Verfassung steht - verfolgt. Sie werden deswegen benachteiligt, sie werden demütigenden Verhören unterworfen, und schließlich werden viele von ihnen unter bösartigen Beschuldigungen ins Gefängnis gebracht. Es gibt sehr ernst zu nehmende Hinweise darauf, daß die Zahl der politischen Gefangenen in der DDR Ende des vergangenen Jahres bei über 5 000 lag, ({35}) obwohl in eben diesem Jahre 1976 die Bundesrepublik Deutschland etwa 1100 Gefangene herausgekauft hat. Vor den Gerichten drüben, wo oft das schwerwiegende und barbarische Urteil schon vor Beginn des Prozesses feststeht, gibt es kein unparteiisches Verfahren, ebenso wie es drüben keinen humanen Strafvollzug gibt. Man kann sagen, das war von Anfang an so. Meine Antwort lautet: Das sollte sich eigentlich, wenn man Inhalt und Bedeutung der Menschenrechtspakte und dessen, was wir in der KSZE-Schlußakte lesen können, ernst nimmt, mittlerweile zumindest zu einem Stück geändert haben. Meine Damen und Herren, die großen liberalen Freiheiten, die erkämpft zu haben die Völker Europas sich zu ihrem großen Stolz rechneten, die Freiheit der Rede und Versammlung, der Religion und der Koalition, der Information und der Presse, sie bleiben nach wie vor in der DDR ausgeschlossen. Den Menschen dort ist es auch heute um nichts eher möglich als früher, westliche Zeitungen und Zeitschriften zu lesen; ja, nicht einmal die Versandhauskataloge dürfen sie bekommen. Ich denke, daß jeder von uns aus seinem Wahlkreis Hilferufe bekommt, weil Verwandte und Freunde drüben, die Anträge auf Ausreise gestellt haben, vom Staatssicherheitsdienst verhört, oft sogar verhaftet oder fristlos aus ihrem Beschäftigungsverhältnis entlassen worden sind. ({36}) Fast alle diese Menschen, meine Damen und Herren, berufen sich auf den Wortlaut der KSZE-Schlußakte, der drüben veröffentlicht worden ist. Sie können nicht begreifen, daß die Unterschrift ihrer politischen Führung so wenig ernst gemeint war. In den KSZE-Texten heißt es, man gehe von „humanitären Erwägungen" aus, man wolle „wohlwollende Behandlung" von Ausreiseanträgen gewährleisten. Aber, meine Damen und Herren, für mich ist es nach wie vor ein schlimmer Akt der Inhumanität, vor allem bei getrennten Menschen, viele Hoffnungen zu erwecken und diese dann grausam zu zerstören. Graf Huyn hat vorhin an einem einzigen Beispiel auf das, was man in der journalistischen Sprache Zwangsadoptionen nennt, hingewiesen. Meine Damen und Herren, es liegen vielen unter Ihnen die Unterschriften einer Reihe unglücklicher Eltern vor, die seit langen Jahren hier sind und die nicht einmal mehr wissen dürfen, in welche Heime und in welche mysteriösen sogenannten Pflegefamilien ihre Kinder gebracht worden sind. Dies ist wirklich - und wer Kinder hat, wer Elternteil ist, weiß wirklich, was das bedeutet - eine der schlimmsten und quälendsten der Inhumanitäten. ({37}) Herr Kollege Franke, Sie wissen, daß wir Ihnen immer, wenn Sie hier die Besuchszahlen vortrugen, geantwortet haben, daß wir um jeden, der kommen kann, um jeden, der besuchen kann, um jeden, der hinüberfahren kann, uni jedes Gespräch froh sind. Das bleibt auch so. Aber, Herr Kollege Franke, ich fürchte, daß aas, was sich in der letzten Zeit, in den letzten Wochen vor allen Dingen, gezeigt hat, Ihre künftigen Zahlen leider abnehmen lassen wird. Denn diese vielen Zurückweisungen und der Versuch dabei, willkürlich verschiedene Kategorien von Deutschen zu schaffen, die kalt berechnende Art, mit der Familienzusammenkünfte, z. B. jetzt in Leipzig, verhindert werden, in der Gesprächsmöglichkeiten zerstört werden, in der die Pflege enger und freundschaftlicher Bande zwischen einzelnen Menschen unmöglich gemacht wird - ich kann es nicht anders sagen; es ist so - sind die zynische Antwort der SED-Führung auf vielerlei Entgegenkommen, das sie auch von der Bundesregierung erfahren hat. Dies ist eine häßliche Karikatur der Entspannung. Meine Damen und Herren, weil viele hier herumlaufen und sich so sehr rühmen, füge ich hinzu: Auch dies ist eines der Ergebnisse einer seit siebeneinhalb Jahren durchgeführten Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung. ({38}) Auch nach der KSZE sind die Zustände an der Grenze, die mitten durch unser Land gefurcht wurde, nicht besser geworden. Im Gegenteil, die Sperren sind tiefer, breiter, perfekter und heimtückischer geworden. Viele von Ihnen werden gerade einen Bericht bekommen haben: Es gibt jetzt auf einer Länge von 250 km 25 000 automatische Tötungsund Schußanlagen. ({39}) Davon ist der größte Teil nach der KSZE und nach den Verträgen, nach dem Grundvertrag eingerichtet worden. ({40}) Dort gibt es, meine Damen und Herren - sehen Sie sich die hochexplosive und gefährliche Munition an -, nicht runde Stahlkugeln, sondern nur scharfkantige Stahlsplitter. Es ist die Absicht derer, die das konstruiert und die Absicht derer, die befohlen haben, daß das angebracht wird, daß Menschen, die von einem Teil Deutschlands in den anderen wollen, an einen solchen Draht, an eine solche optische Sperre kommen und daß diese Anlagen hochgehen und den Menschen schwerste Verletzungen, wenn nicht den Tod bringen. Dies ist leider auch ein Beitrag zu unserem Thema. Auch dazu hätten wir gern von seiten der Bundesregierung ein aufrichtiges und klares und ablehnendes Wort gehört. ({41}) Meine Damen und Herren, es gibt viele erwünschte wissenschaftliche, kulturelle, journalistische und sportliche Kontakte, die vorbereitet waren, aber nicht zustande kamen, weil man oft im letzten Augenblick die Ein- oder Ausreise verboten hat. Vielleicht werden sich viele von Ihnen erinnern, daß Sie sich auf Gespräche mit Journalisten aus irgendeinem der Oststaaten in den letzten Wochen und Monaten vorbereitet hatten, daß man sich die Zeit dafür freigehalten hat. Dann wartet man - und eine Stunde vor dem Treffen hört man: Sie haben leider kein Ausreisevisum bekommen. Dies alles geschieht nach der KSZE. Vor Jahresfrist hat man erhebliches Aufheben um die Verbesserung der journalistischen Arbeit gemacht. Natürlich ist es angenehmer, wenn Fernsehteams ihre eigenen Apparate nach drüben mitnehmen können. Aber darüber dürfen wir doch nicht vergessen, daß als Strafe für offene Berichterstattung in einem Teil Deutschlands Journalisten ausgewiesen worden sind und daß man versucht hat, auf die Arbeit anderer einzuwirken. Auch in diesem Bereich ist die Bilanz negativ. Wir erlebten in den letzten Wochen Angriffe auf das Viermächteabkommen über Berlin und Versuche, den Besucherverkehr zur Ständigen Vertretung in Ost-Berlin zu drosseln und zu kontrollieren. Wir erleben die immer weitergetriebene Einschmelzung von Ost-Berlin in die DDR. Wir erleben die neuerlich an Zahl ständig wachsenden Zurückweisungen von Einreisewilligen auch dort und die Auferlegung von zusätzlichen Gebühren für Autofahrer - eine wahrhaft mittelalterliche Form von Straßenzoll -, eine permanente Weiterführung der Isolierung der Nadelstiche, der Schikanen und der Verfälschung von Inhalt und Geltungsbereich des Viermächteabkommens über Berlin. ({42}) Das alles spricht eine andere Sprache, als sie die Bundesregierung beim Abschluß der KSZE hier in der letzten Debatte sprach. Obwohl die Konferenzen von Genf und Helsinki - ich greife damit einen Gedanken auf, den wir hier schon einmal vorgetragen haben - natürlich nicht als Deutschlandkonferenzen deklariert waren und wir uns auch weigern würden, sie als solche anzuerkennen, hat man von östlicher Seite trotzdem vor allem Deutschland im Visier gehabt, um - wie wir damals mit vollem Recht sagten - das, was in den Deutschland betreffenden Verträgen ausgesagt ist, multilateral bestätigt zu erhalten. Meine Damen und Herren, wir sind nicht so vermessen, das KSZE-Folgetreffen nur mit der deutschen Frage oder - besser gesagt- mit den deutschen Fragen beschäftigen zu wollen. Ich sage das, weil vorhin jerier unsinnige Verdacht geäußert wurde. Wir wissen - weil wir politische Realisten sind - sehr wohl, daß wir unsere Wünsche und Forderungen in den Gesamtkomplex der Ost-West-Probleme einpassen müssen. Wie könnten wir über unseren eigenen Fragen jene der anderen Länder vergessen - in einer Zeit, in der in den östlichen Nachbarländern der rauhe Atem des kalten Krieges gegen die eigene Bevölkerung wieder umgeht, und zwar stärker als jemals seit Stalins Tod. Wir verstehen sehr gut, daß auch die DDR mit vielfältigen Banden an die Sowjetunion und an die anderen Länder gebunden ist und daß es dort eine sogenannte koordinierte Außenpoltik der Staaten des Warschauer Paktes gibt. Meine Damen und Herren, der Kollege Graf Huyn hat auf die Charta 77, auf die Helsinki-Gruppen in der Sowjetunion hingewiesen. Ich will es wegen Zeitmangels im Augenblick dabei bewenden lassen. Ich möchte allerdings hinzufügen, daß die Vorgänge in Osteuropa nicht mehr ungeschehen gemacht werden können. Ich vermute, daß der Kampf um die Menschenrechte in all diesen Ländern weiter um sich greifen wird. Es geht dabei nicht um Taktik, sondern um Elementares. Es wird auch darauf ankommen, wie sich die westlichen Völker und ihre Führungen in diesem geschichtlichen Augenblick verhalten. Mir scheint, daß manche zu ängstlich sind, dem mutigen und klaren Eintreten des amerikanischen Präsidenten Carter für die Menschenrechte offen zu folgen. ({43}) Wir sollten erkennen, was es für freie Menschen und für freie Völker bedeutet und was es für die Menschen, die nicht in Freiheit leben, bedeutet, daß an der Spitze der ersten westlichen Macht ein Mann steht, der, soweit wir das heute sehen können, politisches Kalkül, Bereitschaft zu Sicherheit und Frieden mit tiefem moralischen Engagement verbindet. Die oftmals kalten Mechanismen der Diplomatie, bei denen oft der einzelne Mensch ganz verdrängt wird, jener Mensch, dessen Freiheit und Wohlfahrt doch alles politische Handeln begründen soll, sie werden durch neue Formen der internationalen Beziehungen verändert. Beziehungen, ich sage das ausdrücklich, in denen das Recht des einzelnen Menschen heilig und der abstrakten Staatsräson übergeordnet ist. Wir haben allen Grund, in diesem Lande eine solche Entwicklung zu begrüßen. Wir stimmen des- halb auch jenen von Carter und dem Russen Amalrik fast in die gleichen Worte gefaßten Feststellungen zu, daß Menschenrechte niemals nur die innere Angelegenheit eines Staates sein können, in die fremde Einmischung verboten wäre. ({44}) Zum Schluß lassen Sie mich auf folgendes hinweisen. Seit Breschnew, Honecker, Gierek und Husak zusammen mit dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und mit anderen Verantwortlichen die Menschenrechtspakte bestätigt, die KSZE-Schlußakte unterzeichnet haben, sind alle Genannten Partner, Verpflichtete in der gleichen Sache. Auch damit ist die Einhaltung der Verträge und Abkommen auf eine höhere Ebene gehoben. Wir, die CDU/CSU, wollen, daß in Belgrad nüchterne Bilanz gemacht wird - Herr Bundeskanzler, bitte, ich sage noch einmal: daß in Belgrad nüchterne Bilanz gemacht wird -, daß man aufrichtig Fazit zieht. Dies muß dann aber auch offen und ohne Versteckspielen, ohne falsche Scham und ohne feiges Wegsehen geschehen. Diejenigen, die eine Überprüfungskonferenz gewollt haben, müssen jetzt selbst überprüfen und überprüfen lassen, ob sie und die KSZE-Schlußakte vor ihrem eigenen Anspruch bestehen. ({45}) - Eine solche Frage nach dem, was ich gesagt habe, verzeihen Sie, ist überhaupt nicht zu begreifen. Sie kann nur mit mangelndem Zuhören oder, verzeihen Sie, mit mangelndem Verständnis erklärt werden. ({46}) Wir - ich sage es ausdrücklich -, die stärkste Opposition in einem europäischen Parlament, lassen uns dabei nicht abdrängen. Wir sagen - noch einmal, Herr Kollege Ehmke - nicht aus Propagandagründen, sondern weil dies unserer politischen Verantwortung entspricht, offen und klar zu all dem unsere Meinung, was unter dem Komplex „Menschenrechte" verstanden wird. Wir gehen davon aus und wir werden den Antrag dafür stellen, daß zu gegebener Zeit dieses Haus sich über den gesamten Komplex der KSZE ausführlich unterhält. Darauf und auf dem, was ich jetzt vorgetragen habe, beharrt meine Fraktion. ({47})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren von der CDU/CSU! Ich muß sagen, daß meine Befürchtungen hinsichtlich der propagandistischen Note Ihres Antrages durch die beiden Reden hier noch bei weitem übertroffen worden sind. ({0}) Wir brauchen doch Ihren Antrag nicht, ({1}) um über die Zustände in Osteuropa zu reden. Die kennen wir sehr gut. Eine der interessantesten Diskussionen über die Ursache dieser Zustände findet im Augenblick - über Bande - zwischen europäischen Sozialisten, europäischen Kommunisten und sowjetischen Kommunisten statt. Wir brauchen Ihren Antrag nicht, um - ({2}) - Doch! Die Opposition brauchen wir schon! Die wünschen wir uns ja noch besser, als sie ist. ({3}) Aber wir brauchen doch diesen Antrag nicht, um daran erinnert zu werden, daß es um Menschenschicksale geht. Denn, Herr Marx: Der Bruch mit der verfehlten Politik der CDU/CSU durch die sozialliberale Koalition war gerade in der Einsicht begründet, daß man mit Ihrer Politik menschliche Schicksale im geteilten Deutschland nicht ändern kann. Das war doch der eigentliche Bruch! ({4}) Für mich fängt die Propaganda damit an, daß Sie so tun, als könnten wir jetzt unter dem Etikett der Menschenrechte zu Ihrer Politik der 50er Jahre zurückkehren, als würde es den Menschen und den Menschenrechten in Europa nützen, wenn wir alle so schneidig reden würden, wie der rechte Flügel der Unionsparteien inzwischen redet. Ich sage Ihnen: Dies halte ich für reine Propaganda. Unsere eigene Erfahrung mit Ihrer fehlgeschlagenen Politik - die Mauer ist gebaut worden, als Sie an der Regierung waren - sprechen dagegen. ({5}) Herr Kollege Marx, ich finde es auch nicht gut. ({6}) - Ich habe nicht gesagt, daß Sie die gebaut hätten, sondern ich habe gesagt: Unter Ihrer Regierungszeit ist sie gebaut worden. Man darf ja wohl noch Tatsachen nennen! ({7}) Herr Kollege Marx, ich finde es auch nicht gut, wenn Sie etwas unerwähnt lassen bei all dem, was Sie von dem aufzählen, was es drüben Schlimmes gibt - wir haben darüber keine verschiedene Meinung, und wir hatten darüber auch noch nie eine verschiedene Meinung. Im übrigen sind, nachdem drüben dieses Regime errichtet worden war, in den Gefängnissen vorwiegend deutsche Sozialdemokraten gesessen und nicht CDU-Leute. ({8}) Darüber brauchen wir wirklich nicht belehrt zu werden. Ich sage nur: Ich halte es für ganz einseitig, Herr Kollege Marx, wenn Sie ({9}) - gleich, Herr Kollege Kohl! - die Schicksale der Menschen, die nun durch millionenfachen Besuch wieder zu ihren Familien kommen können, und der Zehntausende von Menschen, die seit Helsinki zu uns in die Bundesrepublik kommen konnten, in Ihrer Bilanz überhaupt nicht aufzählen. Eine so einseitige Bilanz, wie Sie sie eben gegeben haben, halte ich ebenfalls für Propaganda.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Ehmke, sollte Ihnen entgangen sein, daß in den Jahren nach 1945 über 800 Mitglieder der Christlich-Demokratischen Union in Gefängnissen und Konzentrationslagern der damaligen sowjetischen Besatzungszone umgekommen sind?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Kollege Kohl, das ist mir nicht entgangen. Aber Ihnen ist sicher auch nicht entgangen, daß die eigentliche Auseinandersetzung drüben um die Frage der Zwangsvereinigung der SPD mit den Kommunisten geführt wurde und daß Berlin gerettet wurde, weil wir dort ohne sowjetischen Einfluß diesen Kampf gewinnen konnten. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Ehmke, sind Sie nach dieser eben gemachten Erklärung bereit, Ihre zuvor gemachte Erklärung zurückzunehmen, daß dies nicht eine Sache von CDU-Leuten gewesen sei?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Wieso denn? Lesen Sie doch bitte mal nach, was ich gesagt habe. Sie müssen uns doch nicht belehren, welche Zustände dort drüben gewesen sind! ({0}) - Darauf, was sinnlos ist, komme ich gleich. Ich komme nämlich gleich auf Ihren Parteitag zu sprechen. Ich darf zunächst einmal sagen, daß ich Ihren Antrag in zweierlei Hinsicht für unseriös halte. Es ist wirklich nicht sehr überzeugend, im März einen Antrag zu stellen, daß die Regierungen der Bundesrepublik, der Europäischen Gemeinschaft und des nordatlantischen Bündnisses eine große juristische Expertise erstellen sollen, und zwar so, daß alles bis Juni vorliegt.. Zweitens muß ich Ihnen ganz offen sagen: Der juristische Perfektionismus dieses Antrags steht für mich in starkem Widerspruch zu der deutschnationalen Beengung der Fragestellung. Darauf komme ich noch zurück. In der Frage, Herr Kollege Kohl, was sinnlos und was nicht sinnlos ist, bin ich der Meinung, daß die beiden Reden aus Ihrer Fraktion jedenfalls den einen Vorteil haben, klarzumachen, Herr Kollege Kohl, ({1}) daß das, was Sie da an Liberalisierungsübungen mit ein paar Professoren auf Ihrem Parteitag versucht haben, wirklich nur Nebel war. Die beiden Reden zeigen: Es ist nicht mehr Vernunft in die Deutschland-Politik der Unionsparteien eingekehrt. ({2}) Als Sie damals gegen Helsinki waren, da war die Bundesregierung doch nicht etwa der Meinung, mit Helsinki würden die kommunistischen Parteien des Ostblocks gewissermaßen auf den Boden des Grundgesetzes treten. Das hat ja wohl keiner geglaubt. Der Bundesaußenminister hat damals ausdrücklich darum gebeten, jeder von uns solle das Erreichte allein an dem real Möglichen messen und sich nicht durch das ideal Wünschenswerte den Blick für das heute Mögliche verstellen lassen. Der Bundeskanzler hat in seiner Ansprache vom 30. Juli erklärt, nach einer langen Epoche der Konfrontation könne nicht einfach eine Epoche der Zusammenarbeit kommen. Herr Kollege Marx, ich stimme Ihnen in einem zu - falls der Herr Kollege Barzel Sie einmal zuhören läßt -: ({3}) Die heutige Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß auf dem Wege zu einer besseren europäischen Zusammenarbeit, wie sie in den KSZE-Verhandlungen als Absicht erklärt worden ist, neue Schwierigkeiten aufgetaucht sind. Der in Helsinki in Gang gesetzte Prozeß - über die positiven Folgen hat der Bundeskanzler hier schon berichtet - verlangsamt sich. Übrigens nicht nur wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Welt, sondern, Herr Kollege Kohl, gerade auch wegen der positiven Ergebnisse der Helsinki-Konferenz. Zur Bilanz gehört eben auch, daß die Menschen im Ostblock und in der DDR sich heute mit einer viel größeren Selbstverständlichkeit kritisch äußern, als das vor fünf Jahren auch nur zu denken gewesen wäre. ({4}) Es ist diese Wirkung der Entspannungspolitik, die die Führungen der Ostblockstaaten und besonders diejenige der DDR dazu bringt, nun mit einer gewissen Rückkehr zu einer neuen Abkapselung zu reagieren, ohne daß sie es dabei aber wagen würde, die begonnene Politik einer Öffnung dem Westen gegenüber völlig aufzugeben. Ich bin der Meinung: wie weit dieser Schwenk zu mehr Abkapselung mittel- und langfristig die Linie der Ostblockstaaten beeinflussen wird, wird nicht zuletzt von unserem eigenen Verhalten abhängen. Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls der Meinung, daß unsere Aufgabe, die Aufgabe des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, in dieser Situation darin besteht, durch eine Aktivierung unserer Ostpolitik sowohl auf dem militärischen Gebiet der vertrauensbildenden Maßnahmen und der MBFR als auch auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit - Herr van Well ist im Moment in Moskau - und schließlich auch auf dem Gebiet der Menschenrechte und der humanitären Kooperation den toten Punkt zu überwinden. Ich habe schon in der letzten Debatte darauf aufmerksam gemacht: die KSZE ist kein juristisches Dokument, aus dem man vollstrecken kann. Es wird hartnäckiger und Rückschläge überwindender Politik bedürfen, um vorwärtszukommen. Das gilt auch für die Frage der Menschenrechte. Ich darf auf ,das zurückkommen, was Graf Huyn gesagt und Herr Kohl mich in der Zwischenfrage gefragt hat. Die Sozialdemokraten haben sich zu den Menschenrechten bekannt, und zwar nicht nur die deutschen, sondern die europäischen Sozialisten, solange sie existieren. Sie haben die Diskussion um Menschenrechte in einer jahrzehntelangen Diskussion gerade mit den Kommunisten vertreten und für ihre Überzeugung nicht nur unter den Nationalsozialisten viele Opfer gebracht. Darum, Graf Huyn, ist es unanständig, in einem solchen Zusammenhang wieder einmal Kommunisten und Sozialisten in einen Topf zu werfen und zu sagen, man müßte sich zwischen Demokraten und Sozialisten entscheiden. Das ist unanständig; aber da Sie manchmal selbst eigene Fraktionskollegen unanständig behandelt haben, will ich darüber nichts sagen. ({5}) Ich will aber folgendes sagen: Wenn Sie - dies gilt auch für Herrn Kohl, der vorher über ein Mißverständnis so empört war - in diesem Zusammenhang die Straußsche Formel von „Freiheit oder Sozialismus" bemühen, bestätigt mich das in der Überzeugung, daß diese Formel in einem unguten Maße von dem Ungeist bestimmt ist, an dem die erste deutsche Demokratie zerbrochen ist. ({6}) Die Diskussion zwischen uns geht doch nicht um Menschenrechte, da brauchen wir keine Belehrung entgegenzunehmen, ({7}) sondern wir sind der Meinung, daß wir diese Frage nicht taktisch dem Ziel unterordnen dürfen, die DDR oder osteuropäische Staaten in Belgrad auf die Anklagebank zu setzen. Ich bin der Meinung: Angeklagt haben wir genug. 20 Jahre lang habt Ihr angeklagt. Die Situation wenigstens in gewissem Maße geändert haben erst wir. Ich sage dies nicht als Vorwurf, Herr Mertes, sondern ich sage das, damit auch einmal die CDU die Konsequenzen aus einer gescheiterten Politik zieht, deren Weg wir zu einem großen Teil zusammen gegangen sind. Ich rede doch nicht in Vorwürfen. Ich bin der Meinung, Anklagen sind kein Ersatz für politisches Handeln im Interesse der Menschen und der Menschenrechte. Im übrigen, Herr Mertes, bin ich ja der Meinung, wir sollten immer sehr sorgfältig unterscheiden, was die Regierung sagen kann und wie die Regierung es sagen kann, was die Opposition und wie sie es sagen kann, wie der Staat es sagen kann, wie die Parteien und wie die gesellschaftlichen Gruppen es sagen können. ({8}) Sie müssen nur verstehen, daß wir nach allem, was wir an Auseinandersetzung um die Schlußakte von Helsinki hier im Parlament erlebt haben, etwas mißtrauisch sind, wenn sich nun ausgerechnet die Unionsparteien als die wahren Hüter der Verwirklichung der Beschlüsse von Helsinki aufspielen. Sollten Sie Ihre Haltung korrigieren wollen, Herr Kollege Kohl, dann besteht dazu heute die Möglichkeit, indem Sie unserem Antrag zustimmen. Sie sind uns herzlich willkommen. Das scheint mir jedenfalls klüger zu sein als Ihr eigener Antrag, der, wie gesagt, nun plötzlich im März ganz schnell eine lange Ausarbeitung bis Juni haben will, für die man sehr viel mehr Zeit brauchte. Noch eines: Der Herr Bundeskanzler hat es schon gesagt und Herr Kollege Marx war jedenfalls darin mit ihm einig: es ist natürlich unsere Aufgabe, uns besonders um die Deutschen zu kümmern. Nur, Herr Kollege Marx, hat es dann keinen Zweck zu sagen, es gäbe ja auch noch weltweite Probleme, sondern man muß die deutschen Probleme im Lichte der weltweiten Probleme sehen. ({9}) Mir bleibt unklar, worauf die Unionsparteien ihre Überzeugung stützen, die übrigen Unterzeichner der Schlußakte würden in der Frage der Menschenrechte gerade der Deutschen ihr Hauptanliegen sehen, zumal die brutale Verachtung der Menschenrechte besonders in Osteuropa leider noch lange mit dem deutschen Namen verbunden sein wird. Aber selbst von dieser historischen Perspektive abgesehen: Die nationale Begrenzung Ihrer Fragestellung ist mit dem universellen Charakter der Menschenrechte nur schwer zu vereinbaren; ({10}) auch abgesehen davon, daß mit der Helsinki-Konferenz menschliche Erleichterungen erzielt worden sind, die in viel höherem Maße als irgendeinem anderen Volk gerade unserem Volk zugute gekommen sind. Der Herr Bundeskanzler hat das dargelegt. ({11}) Der universelle Charakter der Menschenrechte macht es vielmehr erforderlich, die Frage der Menschenrechte auch universell zu sehen, wie es z. B. auch die Kirchen in, unserem Lande tun. Sie sind übrigens bis jetzt auf diesem Gebiet die Aktivsten. Eine der dringendsten Fragen - die. in den Augen der Welt für wichtiger gehalten wird als z. B. die Frage der Volksgruppenrechte im Banat - ist die Frage der Menschenrechte auf Nahrung, Kleidung, Wohnung und Bildung von Hunderten von Millionen Menschen in der Dritten Welt. Für einen Analphabeten ist die Pressefreiheit bekanntlich ziemlich belanglos. Die Frage, die wir uns im Zusammenhang mit dieser Debatte stellen müssen, lautet: Haben wir für diese elementaren Menschenrechte in der Dritten Welt genug getan? Ich fürchte, die Antwort wird lauten müssen: Noch nicht. Engagement für die Menschenrechtsbestimmungen von Helsinki setzt unter anderem auch voraus, daß wir z. B. zur Rassendiskriminierungspolitik in Südafrika gerade nicht schweigen, und daß wir die brutale Unterdrückung chilenischer Demokraten, übrigens auch Christdemokraten, durch das faschistische Regime von Pinochet laut und deutlich verurteilen. Herr Kollege Kohl, Sie mögen lachen - ja, Sie lachen immer -, aber nehmen Sie es mir bitte als meine Überzeugung ab: Sie würden heute in dieser Frage glaubwürdiger dastehen, wenn die Unionsparteien zu früherer Zeit die Menschenrechtsverletzungen durch die faschistischen Regime in Spanien, Portugal und Griechenland mit gleicher Entschiedenheit verurteilt hätten. ({12}) Natürlich gibt es hier auch Fragen an uns zusammen. Welche Antworten geben wir denn, Sie und wir, auf die Vorwürfe der anderen Seite, die man nicht einfach abtun sollte, daß es auch in der Bundesrepublik mit der Achtung der Menschenrechte nicht immer zum besten bestellt sei? Der Herr Bundeskanzler hat sich hier schon zu der Frage der Abhörpraktiken geäußert. Sie haben recht, Herr Kollege Marx, und wir sagen es ständig in der Diskussion, es solle bei uns keiner über Berufsverbote schreien, der nicht gleichzeitig die viel weitergehenden Berufsverbote in der DDR verurteilt. Das haben wir- in Beschlüssen festgelegt. Aber obwohl das in den beiden deutschen Staaten so verschieden ist, werden wir uns in qualitativer Hinsicht doch darauf einigen können, daß es nicht unbedingt ein gutes Licht auf uns wirft, daß ein Lokomotivführer, der in der DKP ist, bei uns nicht eine Lokomotive führen darf. Wenn Sie heute über Zahlen politischer Gefangener reden, dann wäre ich dankbar, wenn Sie sich daran erinnerten, welch große Mühe die Sozialdemokraten in der Großen Koalition zusammen mit dem liberalen Flügel der Union, von Herrn Güde geführt, hatte, um gegen den konservativen Flügel 'der Union eine Einschränkung des politischen Strafrechts zu erreichen. Was dazu geführt hat, daß wir heute nicht mehr die Zahlen von politischen Strafgefangenen haben, wie wir sie damals gehabt haben. ({13}) - Dann würde ich vorschlagen, Herr Vogel, daß Sie sich bitte noch einmal ansehen, wie die Diskussion um das politische Strafrecht war und wie in diesem Hause abgestimmt worden ist. ({14}) - Sie waren damals noch nicht in diesem Hause, Herr Kollege Kohl, darum haben Sie das vermutlich schlechter in Erinnerung als ich.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, jetzt nicht. Ich habe nichts dagegen - das steht ja in vielem, was wir mitunterschrieben haben -, wenn man auch über Minderheitenrechte, über Volksgruppenrechte, spricht. Dann sollten wir aber auch über die Rechte ausländischer Arbeitnehmer in diesem Lande sprechen. Wir sollten es uns auf beiden Seiten des Hauses auch nicht so einfach machen, die Infragestellung des Rechts auf Arbeit und der Freiheit von Not und Furcht durch die Arbeitslosigkeit in den Industriestaaten als nicht menschenrechtsrelevant abzutun. Erst wenn man die Menschenrechtsfrage in diesen Rahmen stellt, darf man und muß man - da stimme ich Ihnen durchaus zu - kritische Fragen auch hinsichtlich der Menschenrechte . im geteilten Deutschland, im anderen deutschen Staat, und in den Staaten des Ostblocks stellen. Daß sich an dieser Diskussion heute mehr und mehr Bürger jener Ostblockstaaten beteiligen, ist übrigens nicht allein eine Folge von Helsinki, sondern ist Ausdruck der in jenen Staaten vor sich gehenden gesellschaftlichen Veränderungen. Drüben würde das manchmal vielleicht besser verstanden werden, wenn man sich die Mühe machte, Karl Marx auch einmal auf die Entwicklung der Sowjetunion anzuwenden. ({0}) Daß wir die Diskussion heute anhand von Maßstäben führen können, die von den westlichen und den östlichen Regierungen gemeinsam niedergelegt worden sind, ist ein Erfolg der Entspannungspolitik, die uns und unsere Verbündeten überhaupt erst nach Helsinki geführt hat. Die Diskussion um die Menschenrechte muß in dem Bewußtsein geführt werden - ich halte dies für einen wesentlichen Punkt -, daß hier bestimmte Rechte der Menschen unabhängig vom politischen System als gemeinsamer Maßstab anerkannt worden sind, diese Diskussion also nicht als Subversionsversuch gegenüber dem System mißverstanden werden darf. Wenn ich es recht sehe, verstehen sich so auch die Bürgerrechtsbewegungen in den Ostblockstaaten, in diesem Sinne, z. B. die Charta 77 in der CSSR, zu der wir uns übrigens, Herr Kollege Huyn, sehr ausdrücklich und eingehend geäußert haben. Natürlich besteht auch eine Frage der Interpretation der KSZE. Aber das Problem besteht auch hinsichtlich der Menschenrechtscharta der UNO oder der beiden Menschenrechts-Konventionen, von denen Sie mit Recht gesagt haben, daß die Sowjetunion sie unterschrieben habe. Ich darf hinzufügen, daß die Vereinigten Staaten sie noch nicht unterschrieben haben. ({1}) Der Präsident will sie jetzt erneut dem Senat vorlegen. Der Senat hat bisher Bedenken, zu unterschreiben, weil er meint, die Souveränität der Vereinigten Staaten könnte beeinträchtigt werden. ({2}) Die Diskussion muß so geführt werden - auch die Interpretationsdiskussion, die es bei allen diesen Texten gibt -, daß die Entspannungspolitik, die Helsinki überhaupt erst möglich gemacht hat, gefördert und nicht gefährdet wird. Dazu wird die Bundesregierung in Belgrad konkrete Vorschläge vorlegen. Herr Kollege Marx, wir stimmen darin überein, daß Menschenrechte und Entspannung unteilbar sind. Da Leben eines der wesentlichsten Menschenrechte ist, dient die Entspannung mit ihrer friedensichernden Funktion, mit dem Versuch, einen nuklearen Krieg zu verhindern, einem der höchsten Menschenrechte, das es gibt, nämlich dem Leben der Menschen, der Völker in Europa. ({3}) Die Debatte um die Menschenrechte muß in einer Weise geführt werden, die auch die von der Entspannungspolitik eingeleitete Entwicklung auf dem Gebiet der humanitären Zusammenarbeit trotz der Rückschläge, die wir jetzt erleben, z. B. beim Reise-und Besuchsverkehr oder auch auf dem Gebiete des Informationsaustausches - schauen Sie sich doch einmal an, was z. B. inzwischen auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Literatur an Austausch dazugekommen ist -, weiter fördert. Die Menschenrechtsdebatte darf nicht in Form eines ideologischen Kreuzzuges geführt werden, was nur dazu führen könnte, daß die Entspannungspolitik zu Lasten der Menschen in Osteuropa und im anderen Teil Deutschlands zu ihrem Ende kommt. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Marx?

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehmke, zum Verständnis: Sie sagten, die Entspannungspolitik solle dazu führen, daß nicht ein nuklearer Krieg ausbräche. Wen sehen Sie eigentlich, der zu einem solchen Krieg in der Lage wäre oder damit drohen würde?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Marx, ich wundere mich über Ihr kurzes Gedächtnis. Wir haben in Zeiten des kalten Krieges gelebt, wo wir mehrfach - in Berlin und Kuba - Angst hatten, ein nuklearer Krieg der Großmächte würde geführt werden und uns vernichten. ({0}) Es spricht nur für die Entspannungspolitik, ({1}) daß dieses Gefährdungsbewußtsein auch bei Ihnen heute eine so geringe Schwelle erreicht hat, daß Sie diese Frage stellen können. ({2}) Im übrigen stimmen wir in dieser Auffassung - und zwar im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben, Graf Huyn - mit dem amerikanischen Präsidenten überein, der uns das neulich, als Herr Brandt und ich in Washington waren, sehr eindringlich dargelegt hat. Der amerikanische Präsident tritt ent1242 schieden für unsere gemeinsame politische Überzeugung in Sachen Menschenrechte ein. Er führt aber gleichzeitig die Politik der Entspannung und der Kooperation mit dem Osten ohne Junktim weiter. Wenn Sie die Rede vor der UNO vollständig zitieren, werden Sie sehen, daß dieses „ohne Junktim" bei ihm eine große Rolle spielt, und wer kann an der Fortsetzung der Entspannungspolitik mehr Interesse haben als unser geteiltes Volk? In Sachen Menschenrechte darf uns nicht verbale Lautstärke leiten, sondern immer nur das, was wir für die Menschen und die Menschenrechte jeweils praktisch erreichen können. Das halte ich für den einzigen zulässigen Maßstab, wenn wir nicht in den verbalen Krieg der 50er Jahre zurückfallen wollen, der nichts gebracht hat. Ich muß hier wiederholen: Die Unionsparteien stehen für mich heute in der Gefahr, unter dem Etikett der Menschenrechte zu der in den 50er Jahren fehlgeschlagenen Politik des Alles-oder-Nichts zurückzukehren. Sie würden damit nicht nur die Fortführung der Entspannungspolitik gefährden, sondern auch, - und zwar ernster als je zuvor, - die von ihnen so oft beschworene Gemeinsamkeit der Demokraten, nämlich unser gemeinsames Eintreten für die Menschenrechte. Sie würden aus dem, was eine Brücke zu einer gemeinsamen Außenpolitik sein könnte, eine Waffe in der innenpolitischen Auseinandersetzung machen. Das kann nicht den Menschen und den Menschenrechten in Europa dienen. Darum, Herr Kohl, habe ich die herzliche Bitte an Sie: Lassen Sie das nicht zu, sondern sorgen Sie dafür - und die Zustimmung zu unserem Antrag wäre ein erster Schritt und ein erstes Zeichen -, daß dieser Bundestag die Frage der Vertretung von Menschenrechten in Gemeinsamkeit annehmen und vorwärtsbringen kann, von Menschenrechten, die keine Partei in diesem Hause allein für sich in Anspruch nehmen darf. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es mir versagen, in dieser späten Stunde auf das einzugehen, was der Herr Abgeordnete Ehmke sagte. ({0}) - Meine Damen und Herren, wenn ich Sie so sitzen sehe, meine ich, für Sie ist es bereits sehr spät geworden! ({1}) Ich will es mir versagen, auf das, was der Abgeordnete Ehmke hier gesagt hat, im einzelnen einzugehen. Nur, Herr Abgeordneter Ehmke, eines ist mir klargeworden, als ich Ihr Vokabular aufmerksam verfolgte. Jeder kann sich einmal versprechen, aber Sie haben selbst bei vielen Zwischenrufen dieses Wort nicht zurückgenommen. Wenn ein Mann, der Bundesjustizminister der Bundesrepublik Deutschland war, von „politischen Strafgefangenen" spricht, ({2}) bezogen auf die Bundesrepublik, zeigt das, daß er zu Recht Ex-Minister geworden ist. ({3}) Herr Bundeskanzler, erlauben Sie mir einige Bemerkungen zu dem, was Sie hier gesagt haben. Ich hätte eigentlich erwartet - und deswegen habe ich mit meiner Wortmeldung auch gezögert -, daß Sie unmittelbar nach den Äußerungen des Kollegen Marx und der Aufklärung, die Sie in bezug auf die Person unseres Kollegen Graf Huyn erfahren haben, hierher ans Pult gegangen wären und sich für Ihr unerträgliches Benehmen entschuldigt hätten. ({4}) Was Sie als Person, als einzelner an Formulierungen zu benutzen belieben, ist Ihre Sache. Es ist nur ganz und gar unerträglich, daß der amtierende Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hier von seinem Abgeordnetensitz aus einen Kollegen, über dessen Lebenslauf er offensichtlich gänzlich uninformiert ist - ich nehme das zu Ihrem Vorteil an -, zunächst einmal mit dem Zwischenruf „Schmierenschauspieler" beleidigt und ihn anschließend in einer ganz und gar unerträglichen Weise persönlich so anspricht, wie Sie es getan haben. ({5}) Da der Vorgang exemplarisch ist, will ich mich hier dazu äußern, und ich hoffe, daß Sie den Mut haben, hierher zu kommen und sich anschließend zu entschuldigen. ({6}) Was hat eigentlich unser Kollege Huyn getan und gesagt? Und wie groß muß eigentlich die geistige Verwirrung bei einigen sein, wenn das, was er getan hat, zu solchen Reaktionen führen kann, wie ich sie gerade beschrieben habe? Der Kollege Huyn hat auf eine wichtige Station der deutschen Geschichte - und zwar mit dem dieser Situation und den handelnden Personen zukommenden Respekt - hingewiesen; er hat auf das großartige Beispiel des damaligen Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Otto Wels, in der Debatte zum Ermächtigungsgesetz hingewiesen. Er hat mit keinem Wort das Andenken dieses Mannes geschmälert; er hat es als ein Beispiel ({7}) für politische Handlungsanleitung in unserer Zeit deutlich gemacht. ({8}) Und er hat Sie auch in dieses Erbe einbezogen, denn Otto Wels war ja Führer der sozialdemokratischen Fraktion. ({9}) - Meine Damen und Herren, wir wollen das heute einmal austragen. ({10}) Ich finde, es steht diesem Hohen Hause wohl an, wenn es sich selbst als „Hohes Haus" bezeichnet, ({11}) daß wir Beispiele hervorragender und mutiger Parlamentarier aus allen politischen Lagern gemeinsam für uns beanspruchen, wenn wir uns zur gemeinsamen deutschen Geschichte bekennen. ({12})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, können Sie sich erstens vorstellen, daß mit dem Hinweis auf die Tradition die Tatsache gemeint war, daß die beiden Parteien der Weimarer Republik, die manwenn überhaupt - als Ihre Vorgängerparteien bezeichnen könnte, nämlich sowohl das Zentrum als auch die Deutschnationalen, für das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben? ({0}) Und die zweite Frage: Würden Sie, wenn Sie nun schon der Meinung sind, wir sollten heute einmal aufräumen, so gut sein, die Gleichstellung von Sozialisten und Kommunisten zurückzunehmen, die Alternative zurückzunehmen, die Herr Huyn ausgesprochen hat, daß man zwischen der Solidarität der Demokraten und der Solidarität der Sozialisten wählen müsse - so hat er das wirklich gesagt -, und würden Sie vielleicht noch einen Beitrag zum inneren Frieden dadurch leisten, daß Sie die Parole „Freiheit oder Sozialismus", die aus rechtsradikalem Ungeist kommt, hier endlich einmal zurücknehmen? ({1})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Probleme unserer gemeinsamen deutschen Geschichte bewältigt man nicht mit dieser Form selbstgerechter Akklamation. ({0}) Ich bin bereit, dieses Gespräch hier und heute und an jedem anderen Tag zu führen. ({1}) Ich gehe noch einmal auf den Ausgangspunkt der Debatte zurück. Die Entlastungsversuche des Herrn Ehmke sind gänzlich entbehrlich. ({2}) Wir haben uns hier mit dem auseinanderzusetzen, was der Bundeskanzler gesagt hat, nicht mit dem, was Herr Ehmke gesagt hat; das ist ohne Belang. ({3}) Der Herr Bundeskanzler hat in einer sehr persönlichen Weise - ich wiederhole das - ({4}) - Sie müssen das schon ertragen. ({5}) - Herr Kollege Brandt, ich finde, Sie sollten zu mir nicht „Drückeberger" sagen. Das sollten Sie überhaupt nicht sagen. Denn Sie sind dazu eigentlich wenig geeignet, mir solche Etikette anzuhängen, ganz und gar nicht geeignet. ({6}) Herr Kollege Brandt, es erstaunt mich, daß Sie in dieser Stunde, wo hier offensichtlich einer steht, der den Versuch macht, dies nicht polemisch anzugehen, ({7}) nicht erkennen, daß eigentlich auch für Sie eine Chance gegeben ist, diese Dinge einmal mit Leidenschaft, aber nicht mit beleidigendem Unterton anzusprechen. ({8}) Sie können mich nicht vom Thema abbringen. Ich habe mich mit dem zu beschäftigen, was der Kanzler, hier gesagt hat. Ich wiederhole: Für mich ist es eine Voraussetzung freiheitlicher Demokratie und eine Voraussetzung, für jeden nur denkbaren moralischen Anspruch überhaupt, vom „Hohen Haus" zu sprechen, daß wir alle das Recht haben, im Blick auf die deutsche Geschichte hervorragende Gestalten des deutschen Parlamentarismus, gleich, welcher Fraktion und welcher Partei, in unsere Debatte einzuführen. ({9}) Meine Damen und Herren, ich kann Sie nur warnen - schlicht und einfach will ich das so sagen -, einen Debattenbeitrag, der Ihnen aus vielleicht verständlichen Gründen nicht behagt, damit abzuqualifizieren, daß Sie in eine Mottenkiste der Geschichte hineingreifen, die hinten und vorne nicht stimmt. Damit sollten Sie aufhören. Herr Abgeordneter Ehmke, Sie sprachen eben von den „Vorläuferparteien". Wenn Sie die geistigen und die Geschichtsströme unserer Geschichte betrachten, stellen Sie fest, daß sich die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union aus nahezu allen politischdemokratischen Strömungen der Weimarer Zeit rekrutieren. Wenn Sie in den Gründungsdokumenten der CDU oder der CSU nachlesen, wer die Gründer damals waren, Herr Ehmke, dann werden Sie Män1244 ner und Frauen aus den wesentlichsten politischen Lagern der Weimarer Zeit finden. ({10}) Sie werden Männer und Frauen finden, die zur Weimarer Zeit noch Kinder waren und überhaupt nicht politisch tätig waren, die aus der äußeren und der inneren Emigration gekommen sind, aus den Zuchthäusern des Dritten Reiches und dann, Herr Abgeordneter Ehmke, aus den Zuchthäusern und Konzentrationslagern auch der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR. ({11}) Wenn dann ein solcher Beitrag kommt - ich komme auf Ihre Fragen noch -, dann halte ich es für ganz und gar unerträglich, daß der Kanzler oder auch Sie oder irgendein anderer eine ihm mißliebige Rede damit abzuschmieren versucht - anders kann man es nicht formulieren -, daß er sagt: Das ist deutschnationale Polemik. Was soll denn „deutschnational" in diesem Zusammenhang eigentlich heißen? Wollen Sie das auf die Person dieses Abgeordneten hin sagen? Dann machen Sie sich wenigstens in etwa die Mühe, sich mit seiner Person, seiner Familie und seiner privaten Geschichte vertraut zu machen. Es ist unerträglich, daß der Regierungschef dieses Landes in einer derartigen Form mit der Persönlichkeit einzelner Mitglieder dieses Hauses umgeht. ({12}) Jetzt, Herr Ehmke, zu Ihrer zweiten Frage. Wenn Sie den Text der Rede des Grafen Huyn nachlesen, werden Sie unschwer erkennen, daß er hier einen deutlichen Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Sozialisten und Kommunisten gemacht hat. ({13}) - Meine Damen und Herren, ich beziehe mich hier nur auf die Reden, die auf Ihrem Juso-Kongreß am vergangenen Wochenende gehalten wurden. ({14}) Es ist jetzt Ihre Sache - das ist das Thema der nächsten Jahre -, mit diesem Thema fertig zu werden. Aber es ist nicht Ihre Privatsache. Denn es ist unser Interesse als Demokraten in der Bundsrepublik Deutschland, daß sich eine der großen Volksparteien wie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands nicht in einer Weise entwickelt, wie dies am vergangenen Samstag bei einem Teil Ihrer Jugendorganisation für viele deutlich geworden ist. ({15}) Aber, meine Damen und Herren, das kann man nicht erreichen, wenn man die Geschichte so billig klittert, wie Sie das tun.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Augenblick noch, Frau Präsidentin. Ich komme gleich darauf zurück. - Ich selbst - das sage ich hier jetzt auch im Nachgang zu manchen Debatten - würde es für ein wichtiges Ziel von uns allen halten, daß es uns gemeinsam gelänge - und bitte, hören Sie jetzt zu, wie ich versuche, das zu formulieren -, die Tradition und die Geschichte unserer Parteien in einer Form zu interpretieren, daß das der Würde dieses Hauses und der Geschichte entspricht ({0}) - hören Sie sich doch erst einmal den zweiten Satz an! Das Problem ist ja, daß Sie zum Teil gar nicht mehr zuhören können -, und wenn wir gemeinsam versuchten - ich weiß, was ich damit sage und meine -, auch den Lebensweg einzelner Persönlichkeiten in allen demokratischen Parteien mit den Irrungen und Wirrungen und den möglichen Läuterungen in die Vorstellung einer gemeinsamen Bewältigung unserer Geschichte einzubringen. ({1}) Dies, Herr Abgeordneter Ehmke, kann man aber nicht tun, wenn man bei jeder nur denkbaren Gelegenheit bei den anderen versucht, Geschichte zu bewältigen, zumal dann nicht, wenn hier wie in meiner Fraktion, viele Jüngere sitzen, an die dieser Vorwurf persönlich sowieso vorbeigehen muß, die aus solchen Familien stammen, daß sie das nur schwer ertragen können. ({2}) - Entschuldigung, ich spreche hier im Augenblick das Problem des Kollegen Sauer an. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie das schon vorher begreifen können. ({3}) Daß dann ein solcher Kollege hier auftritt und einmal aus seinem Herzen heraus das sagt, was er empfinden muß, wenn ihm der Vorwurf deutschnationaler Gesinnung gemacht wird, ist nicht weiter verwunderlich. Wir sind ganz und gar nicht dafür, daß mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Nazibarbarei und mehr als 40 Jahre nach dem Ende des ersten großen demokratischen Versuchs der Republik von Weimar bei einzelnen 'fortdauernd nachgekramt wird, was dort jeweils gesagt und getan wurde. ({4}) Nur, meine Damen und Herren, wer sich dazu bekennt - hier steht einer, der sich dazu bekennt -, muß dann aber auch die Erwartung aussprechen, daß dies in diesem Hause alle tun, nicht aber in der Form, wie dies hier geschieht. ({5}) Meine Damen und Herren, ich habe soeben zu diesem Punkt eine Erklärung abgegeben. Ich würde mir wünschen, daß Ihr Parteivorsitzender, Ihr Fraktionsvorsitzender oder der Kanzler heute hier in gleicher Weise spricht und daß wir diese Dinge einmal beenden können. ({6}) - Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen in der Tat sagen: Dieser Versuch ist sinnlos, wenn Sie nach diesen Ausführungen nichts anderes rufen können als „Ö1 ins Feuer gießen". Begreifen Sie denn überhaupt nicht, worum es mir in diesem Augenblick geht? ({7})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kohl, würden Sie zunächst zur Kenntnis nehmen, daß ich, da wir uns ja lange genug kennen, Ihnen abnehme, daß das, was Sie gesagt haben, ernst gemeint ist? ({0}) - Jetzt kommt meine zweite Frage: Ist es so schwer für Sie, zu verstehen, daß Sie, solange die Frage „Demokratie oder Sozialismus" gegenüber demokratischen Sozialisten - so heißen wir nach unserem Programm - so behandelt wird, wie Sie sie behandeln - das ist dann auch nicht mit einem polemischen Schlenker auf den Hamburger Juso-Kongreß wettzumachen, wenn Sie es wirklich ernst meinen; dafür lassen Sie uns einmal sorgen, Sie haben Probleme in der eigenen Partei, um die Sie sich sorgen können -, ({1}) ist es so schwer für Sie, zu verstehen, daß genau dieses Anliegen nicht erreicht werden kann, wenn immer wieder - nicht nur im Wahlkampf, sondern auch jetzt nach dem Wahlkampf - der wirklich hinterhältige Versuch gemacht wird, demokratische Sozialisten, ({2}) die mehr für die Freiheit in diesem Lande getan haben als andere Kräfte, ins Lager der Unfreiheit zu stellen? ({3})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich antworte auf diese Äußerung - es war ja keine Frage -: Ich denke, wir werden in den vor uns liegenden Wochen und. Monaten genug Zeit haben, uns über diese sehr grundsätzliche Position zu unterhalten. Nur eines kann ich nicht verstehen, Herr Abgeordneter Ehmke: wieso Sie bei dieser Frage so reagieren, daß Sie der Union gegenüber jede nur denkbare Negativetikettierung verwenden, wenn es Ihnen beliebt. Das ist eine grundsätzliche Frage, die klären soll, welche Position Sie hinsichtlich unserer weiteren gesellschaftlichen Entwicklung einnehmen. Sie werden darauf für die SPD zunächst eine Antwort zu geben haben. ({0}) In den Rahmen dieser mehr subkutanen Diffamierung, Herr Ehmke, gehört doch auch die Frage nach der Verurteilung der faschistischen Regime. Ich muß doch nicht als Vorsitzender der CDU Deutschlands jeden Tag und unentwegt sagen, wir sind gegen faschistische Regime. ({1}) Wir sind es. Für uns ist es völlig gleichgültig, ob Terror und brutale Gewalt von Kommunisten oder von Faschisten ausgeübt werden. Für die betroffenen Menschen ist es im Ergebnis das gleiche. ({2}) Ich brauche mich von Ihnen auch nicht nach Chile fragen zu lassen. Wir haben für unsere dortigen Freunde das Menschenmögliche getan. ({3}) Nur, was soll eine solche Frage, die an uns gerichtet ist? Das soll doch beim Hörer und beim Zuschauer den Eindruck erwecken, als gebe es doch noch irgendwo einen braunen- Hintergrund. Ich kañn nur noch einmal dringend an Sie alle appellieren - auch an uns; ich schließe mich nicht aus -, von dem Weg abzugehen, Vergangenheit in dieser Form zu bewältigen. Die Last der deutschen Geschichte, die wir angesichts des geteilten Vaterlandes gerade in dieser Debatte verspüren, ist nicht mit dieser Art sehr persönlicher, parteiischer Schuldzumessung zu bewältigen. Daran glaube ich überhaupt nicht. ({4}) Dazu gehört, Herr Bundeskanzler, ein Zweites. Werner Marx hat zu Beginn seiner Ausführungen - ich fürchte, Sie haben es gar nicht zur Kenntnis genommen - ein sehr kluges Wort gesprochen und Ihnen einen klugen Rat gegeben. ({5}) - Ich glaube, daß Sie ihn nicht zur Kenntnis genommen haben; denn Ihre Äußerung beweist ja, daß Sie gar nicht in der Lage sind, dieser Debatte zu folgen. ({6}) Werner Marx hat Sie auf eine ganz alte, sehr lebenskluge und weise demokratische Spielregel hingewiesen: In einer funktionierenden Demokratie kann die Opposition im Bereich der auswärtigen Politik in einer konkreten Situation unter Umständen Dinge an- und aussprechen, die die im Amt befindliche Regierung so gar nicht formulieren kann - das hat nichts mit der Partei zu tun -, was aber dann für den Ablauf der Geschäfte eine große Hilfe sein kann. Auch bei internationalen Verhandlungen ist es eine wichtige und gute Sache, wenn eine Regierung sagen kann: Ich muß nach Hause gehen in mein Parlament, ich muß aus verfassungsrechtlichen Gründen, aus Gründen 'der Mehrheit auch die Unterstützung der Opposition gewinnen, ich brauche für diese nationale Frage eine breite Basis. ({7}) Das ist doch für einen Staatsmann, Herr Bundeskanzler, eine ungeheure Chance. Das ist doch keine Belastung, sondern das ist eine echte Chance für kluge Politik. ({8}) Das ist das Angebot. Dann sollte man doch nicht über diesen Antrag der Union hier mit solchen billigen Schmähungen hinweggehen. Wir haben Ihnen doch mit diesem Antrag eine Menge Hilfen gegeben, wie Sie etwa auf der Nachfolgekonferenz der KSZE mit Ihren Worten - wir machen Ihnen doch keine Vorschrift, wie Sie es formulieren sollen -, aber mit unseren gemeinsamen Inhalten Menschenrechte überall in der Welt und Menschenrechte in Deutschland vertreten können. ({9}) Ein Letztes: Ich bin schon ganz froh, daß es diese Debatte heute gibt und wir aus diesem guten Grunde dann wenigstens die Gelegenheit hatten, den Herrn Bundeskanzler einmal wieder überhaupt zu politischen Problemen zu hören. ({10}) Sie sind so bemerkenswert schweigsam geworden, Herr Bundeskanzler. Sie haben hier in einzelnen Punkten Ihrer Ausführungen zu dieser KSZE-Debatte übrigens auch eine Menge gesagt, was voll und ganz von uns unterstützt wird. Sie haben heute insbesondere einmal endlich Gelegenheit genommen, vor einer breiteren Offentlichkeit zu der sogenannten Abhöraffäre zu sprechen. Mir schien dennoch - sosehr ich es immer begrüße, wenn ich Sie hier hören darf -: Diese Rede wurde im falschen Saal gehalten. Diese Rede müssen Sie im Fraktionssaal der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands halten. Dort gehört sie hin. ({11}) Sie haben über die Bekämpfung der Banden gesprochen und über die staatliche Verantwortung und über die Notwendigkeit der Verteidigung des freiheitlichen Rechtsstaates, alles Dinge, bei denen Sie mit der vollen Unterstützung von unserer Seite rechnen können. Wir hoffen, daß Sie in Zukunft auch entsprechend handeln werden, trotz mancher Schwierigkeiten der letzten Tage. Sie haben den Namen des Kollegen Maihofer nicht genannt. Aber ich kann mir schon vorstellen, daß sich Herr Maihofer nach mancherlei Wechselbädern in SPD und FDP wieder ganz anders als in den letzten Wochen vorkam, nachdem er nun endlich einen öffentlichen Zuspruch seines Regierungschefs erfahren hat. Nur, das hätten Sie auch dem Abgeordneten Ehmke sagen müssen; ({12}) denn der hat doch heute gerade den Rücktritt des Herrn Maihofer gefordert. Er hat doch nun gerade mit der umgekehrten Begründung wie Sie als Regierungschef den Rücktritt von Herrn Maihofer gefordert. Dabei haben Sie immer gesagt: Die Fraktionen, die mich stützen ... Das mit dem Stützen scheint auch nicht mehr das Alte zu sein, wie es früher war. Meine Damen und Herren, wie immer diese Sache für Sie ausgehen mag, das ist jetzt nicht das Thema. Das wird das Thema für manche Kabarettvorstellung der nächsten Wochen sein. Das sind aber nicht Dinge, die wir hier zu besprechen haben. Von uns bekommen Sie die Unterstützung, in einem ausgewogenen vernünftigen Verhältnis das Grundrecht des einzelnen Bürgers zu verteidigen, so, wie es hier gerade an diesem Pult vor wenigen Tagen Walter Wallmann gesagt hat. Man muß gleichzeitig auch begreifen, daß die Freiheit des einzelnen unrettbar verloren ist, wenn die Freiheit des Ganzen nicht garantiert und verteidigt wird. ({13}) Meine Damen und Herren, insofern hoffe ich, daß aus diesem Halbsatz über die Vorgänge in Niedersachsen am vergangenen Samstag, der dann auch noch, glücklicherweise - man wird schon ganz genügsam -, in Ihre Rede einfloß, etwas mehr an öffentlicher Äußerung wird. Herr Bundeskanzler, die Vorgänge auf diesem Reaktorbauplatz in Niedersachsen sind ohne Beispiel in der Geschichte der Bundesrepublik. ({14}) Das sind bürgerkriegsähnliche Zustände, und ich erwarte, daß dann dort nicht nur der Ministerpräsident Ernst Albrecht steht und seine Pflicht tut. Ich hätte auch erwartet, daß Sie in der Zeit seit Samstag - sonst sind Sie doch auch nicht so zurückhaltend im deutschen Fernsehen - dem Publikum und den Bürgern gesagt hätten, was die Regierung von diesen unglaublichen Vorgängen in Niedersachsen eigentlich hält. ({15}) Ich will zum Schluß kommen. In dieser Debatte, die wir heute in der Sache zu führen haben, geht es nicht darum, daß wir etwa sagen, wie hier eben unterstellt wurde: Menschenrechte, alles oder nichts. Wir sollten doch eigentlich im Bundestag, in dem frei gewählten Parlament der Bundesrepublik Deutschland über diese Frage überhaupt keine Kontroverse haben. Keiner von uns will ein Tribunal in diesem Sommer in Jugoslawien. Wir wollen aber auch kein Festival der Harmonie, bei dem die Konflikte und Differenzen unter den Teppich gekehrt werden. Wir wollen nicht mehr und nicht weniger, als daß über die Realitäten mitten in Europa und über die schlimmen Tatsachen mitten in Deutschland gesprochen wird. Spannungen können nur abgebaut werden, wenn man den Mut hat, auch ihre Ursachen offen und deutlich anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Wir wollen keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer, aber wir glauben, daß wir gerade wegen unserer Geschichte - ohne jeden moralisierenden Anspruch - mehr als andere berufen sind, uns auf Menschenrechte zu besinnen, weil diese Menschenrechte Teil unserer Identität als Volk, Staat und Nation sind. Wir wollen die Hoffnung vieler, daß wir, die wir in Freiheit leben, die Freiheit nutzen, um auch darüber zu sprechen, nicht enttäuschen. Das ist der Sinn dieser Debatte. Mit Propaganda hat dies überhaupt nichts zu tun. Wir sind der Auffassung, daß es darum geht, sich in dem geistigen Wettbewerb zwischen dem System der Freiheit und dem System kommunistischer Unfreiheit eben nicht feige unter den Wettern der Geschichte wegzuducken, sondern sich dieser Auseinandersetzung klug und mit Weitsicht zu stellen. Es ist aber nicht die Klugheit, die wir meinen, wenn wir uns feige vor unserem historischen Auftrag drücken wollen. ({16})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte drei Bemerkungen machen. Zum ersten. Herr Kollege Kohl, es brauchte - neben all dem, was notwendigerweise umstritten bleibt - zwischen uns nicht umstritten zu sein, daß keiner von uns und keine der drei Fraktionen oder vier Parteien in diesem Haus einen Monopolanspruch geltend machen kann, wenn es um freiheitliche deutsche Tradition geht, wenn es um den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft oder den Totalitarismus überhaupt geht. Da werden sich alle auch nachträglich mit großem Respekt vor denen verneigen, die, aus verschiedenen Lagern kommend, häufig in enger Gemeinschaft miteinander ihren schweren Weg gegangen sind. Hierüber sollten wir nun wirklich nicht auch noch streiten müssen. Wogegen wir uns gewendet haben, Herr Kollege Kohl - daran sind Sie leider vorbeigegangen; deshalb mein etwas zugespitzter Zwischenruf vorhin -, ist dies: Hier ist durch den ersten Redner der Union heute nachmittag der Versuch gemacht worden, den damaligen Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten, Otto Wels, mit seiner Rede vom März 1933 gegen die deutschen Sozialdemokraten auszuspielen. Das lassen wir uns nicht gefallen. ({0}) Dies geschieht ja nicht zum erstenmal. Es geschieht nach der Methode: Tote Sozialdemokraten sind gute Sozialdemokraten. ({1}) So war es mit Schumacher, so machen es manche mit Erler, und so wurde es heute mit Wels gemacht. Ich sage Ihnen als Vorsitzender der deutschen Sozialdemokraten und für die Million meiner Genossen im Lande und auch für unsere Anhänger: Dies werden wir uns auch in Zukunft nicht gefallen lassen. Wir werden dagegen energischer auftreten, als es heute geschehen ist. ({2}) Eine zweite Bemerkung, verehrter Herr Kollege Kohl. Keiner von uns, so denke ich, sollte oder, ich gehe noch weiter, darf einen Monopolanspruch geltend machen, wo es um die freiheitlichen Grundlagen unseres Staates geht, so wie sie im Grundgesetz beschrieben sind. Ich denke nicht daran, einen solchen Monopolanspruch zu erheben. Aber wir dürfen doch wohl, ohne uns zu überheben, darauf hinweisen, daß wir diese Bundesrepublik Deutschland mit aufgebaut, Berlin mit gesichert, die Verfassung dieses Staates, das Grundgesetz mit geschaffen, mit getragen haben. Der eine oder andere hat seinen Eid auf diese Verfassung abgelegt. Was soll eigentlich dann das bedeuten, was der erste Redner Ihrer Fraktion gesagt hat? Sie sind ein bißchen leicht darüber hinweggegangen und haben es zum Thema von Seminaren oder Kolloquien kommender Jahre machen wollen. Nein, wenn Sie wollen, dann muß es heute noch etwas deutlicher gemacht werden. Was soll es dann bedeuten, wenn man einen Bundeskanzler als deutschen Sozialdemokraten, der seinen Eid auf die freiheitliche Verfassung dieses Staates geleistet hat - ihn und die, die mit ihm in diesem Staat wirken, ob nun früher in der Opposition, heute in der Regierung -, im Gegensatz zu den freiheitlichen Prinzipien und Verpflichtungen dieser staatlichen Ordnung bringen will? Herr Kollege Kohl und verehrte Kollegen von der Union, hier sage ich nicht nur: das lassen wir uns nicht gefallen, sondern hier sage ich Ihnen in allem Ernst: Wenn Sie auf diesem Wege fortfahren - und ich fürchte, Sie tun es -, dann spalten Sie etwas in unserem Volk, was nicht auch noch kaputtgehen darf, und ich gehe weiter: Sie tun damit etwas, was in extremer Weise europafeindlich ist. ({3}) Denn mit wem wollen Sie Europa bauen, wenn nicht mit den relevanten Kräften der europäischen Demokratie, und wie soll denn das Europa aussehen, das Sie gegen die Sozialdemokraten - gleich demokratischen Sozialisten - bauen wollen? Drittens. Auch kann keiner von uns einen Monopolanspruch geltend machen, wo es um die Menschenrechte geht. Ich sage auch das ausdrücklich für alle von uns. Um so mehr ist zu bedauern, wie sehr durch die Redner der Union dieses Thema heute polemisch, rechthaberisch, parteiegoistisch und damit der Sache nicht angemessen erörtert worden ist. ({4}) Dies war wenig hilfreich. Kollege Kohl, ich beziehe mich jetzt auf die letzten Sätze Ihrer Rede. Könnten wir uns nicht darüber einig sein - nach allem, was hier geredet worden ist -: Das beharrliche und beharrlichste Eintreten für Menschenrechte ist zweifellos kein Ersatz für auswärtige Politik. Es tut mir leid, daß es so ist, aber genau so ist es. Entspannung und das Eintreten für Menschenrechte - oder in umgekehrter Reihenfolge; hier könnte ich mich auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten beziehen, ich tue es nicht - stehen nicht im Gegensatz zueinander. Aber jetzt ist vielleicht der eine oder andere noch da, der sich an die Situation vor zehn Jahren erinnert. Denn genau zehn Jahre sind es her, als wir in der Allianz, im Atlantischen Bündnis - ich war damals Bundesminister des Auswärtigen - diese Fragen in manchem gemeinsamen Zirkel zu erörtern gehabt haben, gerade auf diesem Gebiet auch in freundnachbarlicher Diskussion mit den Freien Demokraten, die damals die Opposition bildeten. Unter der Federführung von Piere Harmel, dem belgischen Außenminister, ist die doppelte Abstützung der westlichen Sicherheitspolitik beschrieben worden. Zunächst ging es um den militärischen Teil. Und nun ist die Entspannung beschrieben worden. Wir haben sie doch nicht erfunden. Wir haben sie doch mit unseren Kollegen im Bündnis erarbeitet! Und wie? Nicht, indem wir einen Wunschkatalog aufgestellt haben, sondern indem wir gesagt haben: Die Ratio der Entspannung bedeutet: Unbeschadet der tiefen Gegensätze zwischen den unterschiedlichen politischen Ordnungen und ohne darauf zu warten, wie die Welt im Jahr 2050 oder 2175 aussehen mag, geht es darum, auch zwischen so grundverschiedenen Mächten und Blöcken, Staaten und Gesellschaften Spannungen abbauende Beziehungen herzustellen - jedenfalls muß der Versuch gemacht werden -, in der Hoffnung, daß dies auch das Leben einzelner Menschen erleichtern könnte. Ich denke, wenn Sie eine lange Zeitspanne, von 1945 bis etwa 1970, nehmen und damit den Abschnitt von 1970 bis Anfang 1977 vergleichen, könnte man schon sagen: Die Erfahrungen seit 1970 sprechen nicht gegen den Versuch, den man, gestützt auf die gemeinsame Konzeption der Allianz, gemacht hat. ({5}) Wir müßten doch Narren sein, wenn wir glaubten, in einem gespaltenen Europa, in einer gespaltenen Welt könnte einfach dadurch, daß man Parolen ausstößt, von heute auf morgen alles besser werden. Nein! Ich fürchte, die Debatte hat für diese einzelnen Menschen nicht viel gebracht. Wir würden jedenfalls denen, die anderswo auf uns warten und auf uns hören, besonders wenig dann helfen, wenn sie den Eindruck bekämen, wir zögen mit einer Fahne durch die Lande, auf der „human rights" - Menschenrechte - steht, während auf der Ebene darunter - und es ist eine darunter -, nämlich der des Ringens um humanitäre Erleichterungen, im Vorfeld sozusagen kaputtgeredet wird, was mühsam auf den Weg gebracht wird. Ich bitte die Mehrheit des Hohen Hauses, sich an dem Kaputtreden nicht zu beteiligen! ({6})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Bemerkungen des Kollegen Brandt möchte ich ausdrücklich Dank sagen. Ich unterstreiche sie in allen drei Punkten. ({0}) Zur Sache, die heute verhandelt wird, müßte ich danach das Wort nicht mehr ergreifen, wenn ich nicht von dem Herrn Abgeordneten Kohl in zwei Punkten ausdrücklich angesprochen worden wäre. Nur deshalb gehe ich nochmals hier herauf. Ich will die Sitzung nicht verlängern. Der eine Punkt war zu dem einen Thema gesprochen, das heute hier verhandelt worden ist, Herr Kohl, nämlich KSZE und Folgekonferenz und Entspannungspolitik allgemein - nicht zum anderen Thema der Menschenrechte. Sie haben gesagt, ich möchte doch bitte den guten Rat des Kollegen Marx annehmen, und haben wiederholt, was Herr Marx schon gesagt hatte. Es ging darum, die Rolle, welche die Opposition in außenpolitischen Sachen spielen könne, zu würdigen und unsererseits in der Außenpolitik einzusetzen. Dies ist ja in vielen Feldern geschehen. Sie wissen, daß wir im Augenblick eigentlich eine andere Sitzung haben sollten, wo es Sauf meine und Ihre gleichzeitige Anregung wiederum geschehen soll. Ihr Rat ist in der Sache richtig. Es gab freilich keinen konkreten Anlaß, der ihn notwendig gemacht hat. Darüber gibt es, wie Beispiele, die Sie kennen, Ihnen und mir und anderen zeigen, keine Meinungsverschiedenheit. Das war der einzige Punkt, in dem Sie zum Thema gesprochen haben, ({1}) und darin gibt es keine Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und mir. Ich sage das auch für Herrn Genscher, der leider abgerufen wurde und den Rest der Debatte nicht mehr selbst verfolgen konnte. Da Sie zu anderen Punkten des Themas nicht gesprochen haben, stelle ich mit gewisser Befriedigung fest, daß die Ausführungen, die ich für die Bundesregierung hier gemacht habe, offensichtlich eine Basis für ein erhebliches Maß an Übereinstimmung darstellen. Ich konstatiere auch, daß Herr Marx dies schon in seiner Intervention quittiert hatte. ({2}) Es bleibt der Punkt, in dem der Abgeordnete Kohl meinte, ich solle mich gegenüber dem Grafen Huyn entschuldigen. Ich habe mir, inzwischen die vorläufigen stenographischen Protokolle der Reden beschaffen können. Ich bin mir nicht ganz darüber im klaren, was eigentlich die Erregung des Abgeordneten Kohl ausgelöst hat. Ich habe in meiner eigenen Rede zwei Stellen gefunden, auf die sie sich beziehen könnte. Ich habe an einer Stelle gesagt: Wenn man darauf verzichtet hätte, in einer Rede über den Gegenstand des Menschenrechtes meine Freunde Brandt und Wehner der Solidarität mit Kommunisten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu bezichtigen ... Ist das die Stelle, die Sie meinen? ({3}) - Der Zwischenruf lautet nach dem vorläufigen Protokoll des Stenographen lediglich: „Pfui-Rufe von der SPD". ({4}) Dann geht es weiter: Ich muß Ihnen sagen, ich bin überzeugt, daß der Herr Kollege Kohl - An dieser Stelle werde ich durch einen Zwischenruf von Ihnen unterbrochen: „Das hat doch kein Mensch gesagt!" Ist dies die Stelle, die Sie meinen? ({5}) - Daß ich „Schmierenschauspieler" gesagt habe? Das ist noch eine freundliche Äußerung gegenüber dem, was Graf Huyn hier wirklich ausgeführt hat. Das muß ich allerdings sagen. ({6}) Es gibt eine ganze Batterie von Zwischenrufen, deren ich mich aus vielen Jahren meiner Zugehörigkeit zum Parlament erinnere, die mit Ordnungsrufen belegt worden sind. Wenn dieser Zwischenruf einen Ordnungsruf wert sein sollte - das wird der Präsident zu entscheiden haben, wenn er das Protokoll gelesen haben wird -, so würde ich das ertragen müssen; aber entschuldigen werde ich mich deswegen ganz gewiß nicht, Herr Abgeordneter Kohl. ({7}) Ich weiß nicht, ob Sie vielleicht nicht noch eine andere Stelle im Protokoll meinen, die ich Ihnen aber auch vorlesen kann. Ich habe an einer späteren Stelle gesagt: Wenn der Sprecher Ihrer Fraktion, Herr Abgeordneter Kohl, von geistigen Ahnen sprach ... Es ist in der Tat so gewesen, daß Graf Huyn das Wort von den geistigen Ahnen in die Debatte eingeführt hat. Ich kann Ihnen das vorlesen. Sein Wort von den geistigen Ahnen hat man ja wohl aufnehmen dürfen. Er hat der Sozialdemokratie vorgeworfen, daß sie ihren geistigen Ahnen, wie Otto Wels, nicht mehr folge - Willy Brandt hat soeben darauf geantwortet. Und darauf habe ich vorhin im Zuge meiner Rede im Anschluß an die „geistigen Ahnen" gesagt: „Wer waren denn in jener Reichstagsabstimmung, in der die Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten" - nur das kann gemeint sein, wenn von Otto Wels die Rede ist - „damals die geistigen Ahnen des Grafen Huyn?" Wenn daraus entnommen werden sollte, ich hätte den persönlichen Lebensweg des Kollegen Huyn gemeint, ({8}) so stelle ich fest: Das habe ich nicht gemeint. Ich habe die geistigen und politischen Ahnen der Unionsparteien schlechthin gemeint. ({9}) Ich bitte, das nicht nur auf Graf Huyn, sondern ich bitte, das auf viele zu beziehen. Ich respektiere, daß Herr Kohl in seiner Intervention soeben mit Recht auf die politischen Vorfahren der heutigen Unionsparteien und ihrer Abgeordneten hingewiesen hat. „Geistige Ahnen" ist keine abwertende Bezeichnung, sie war auch von Graf Huyn zunächst nicht abwertend gemeint. Ich respektiere - das wissen wir auch aus eigener Erkenntnis -, daß es unter Ihren geistigen Ahnen viele gibt, von denen jeder Deutsche seinen Hut abnehmen muß, wenn von ihnen die Rede ist. Aber ich akzeptiere nicht, daß Sie die geistigen Ahnen und die Vorväter der heutigen Sozialdemokratie als die guten, anständigen Sozialdemokraten hinstellen und uns, die wir heute für diese Partei auftreten und dieses Land heute gemeinsam mit den Freien Demokraten regieren, auffordern, uns an dem Bild unserer Väter zu orientieren. Gleichzeitig behaupten Sie, daß wir in Solidarität mit den Sozialisten handelten. Dieses letzte Wort haben Sie nun durch das, was Sie hier gesagt haben, und auch durch das, was Herr Marx gesagt hat, noch schlimmer gemacht, als es bei Graf Huyn gewesen ist. ({10}) Graf Huyn hatte noch Auslegungen offengelassen, was mit seinem Wort „Sozialisten" gemeint sei. Aber die nachfolgende Rede hat doch ganz deutlich gemacht, daß dieses Wort „Sozialisten" in dem gleichen Zusammenhang gemeint war, in dem viele Male andere Ihrer Parteifreunde Kommunisten, Sozialisten, demokratische Sozialisten, Sozialdemokraten mit Fleiß und mit Absicht, mit diffamierender Absicht, mit einem und demselben Etikett bekleben. Wenn Sie sich davon freimachen könnten - es war dazu ein leiser Ansatz bei Ihnen zu spüren -, wenn Sie sich und uns davon befreien könnten, dann würden Sie einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte liefern, die im übrigen notwendigerweise weiterhin hart und deutlich und scharf und notfalls bisweilen auch einmal kantig zwischen uns geführt werden muß. Ich sehe nach alledem keinerlei Anlaß, mich bei Ihnen oder bei dem Grafen Huyn zu entschuldigen. Ich komme jetzt zu Ihrer Schlußbemerkung.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Helmut Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002007

Im Augenblick nicht. Ich will wirklich in zwei Minuten zum Schluß kommen. Sie haben gemeint, der Bundeskanzler habe sich zu Erklärungen und Debatten, in denen mein Kol1250 lege Maihofer beteiligt war, bisher nicht geäußert, er habe zu Grohnde nichts gesagt. Nur damit es nicht falsch im Bundestagsprotokoll stehen bleibt, darf ich Ihnen sagen, daß ein Brief, den ich schon vor beinahe vierzehn Tagen dem Kollegen Maihofer geschrieben habe, öffentlich geworden ist. Zweitens - das ist viel wichtiger - hat Kollege Maihofer in der letzten Woche hier eine Erklärung abgegeben, und zwar nicht nur im Namen der ganzen Bundesregierung, sondern es war eine Erklärung, die lange unter meinem Vorsitz von der ganzen Bundesregierung beraten worden war. Er hat nicht nur für die ganze Regierung, sondern auch für mich gesprochen. Was die Behauptung angeht, ich hätte mich zu Grohnde nicht geäußert: Ich habe mich dazu heute mittag geäußert. Aber die ewige Wiederholung, Herr Kohl, macht die Sache auch nicht anders. Sie wollten gern den Eindruck erwecken, der Bundeskanzler drücke sich darum, zu brennenden Fragen des Tages Stellung zu nehmen. ({0}) Diesen Eindruck, den Sie erwecken wollten, muß ich nun allerdings zerstören. Ob es Grohnde oder ob es vorher Brokdorf war - ich habe mich dazu geäußert. ({1}) - Ich will Ihnen einmal etwas sagen. Wenn Sie wirklich meinen, ich sollte mich als Regierungschef zu jeder Äußerung eines einzelnen Mannes äußern, dann äußern Sie sich endlich einmal zu Ihrem Kollegen Gruhl und zu anderen. ({2}) Ich bin nicht der Meinung, daß es Ihre Aufgabe wäre, sich dazu zu äußern. Es ist auch nicht die Aufgabe des Bundeskanzlers, sich zu einzelnen Passagen junger, noch aufstrebender Politiker im Bundestag zu äußern. Ich will aber jetzt nicht dauernd vom. Thema abgelenkt werden. Der Bundeskanzler hat sich zu Brokdorf geäußert, und zwar am 4. Februar; er hat sich erneut gemeinsam mit den Ministerpräsidenten am 11. Februar zum Einsatz von Gewalt bei Demonstrationen geäußert. Ich habe mich erneut am 17. Februar in einer Ansprache vor beiden deutschen Fernsehanstalten dazu geäußert. Ich habe die Absicht - Sie wissen es, weil es Ihnen schriftlich vorliegt -, mich gemeinsam mit Ihnen heute nachmittag in einer anderen Sitzung erneut dazu zu äußern. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Fülle der öffentlichen Äußerungen alleine, selbst wenn noch zwei oder drei dazukämen, wird den Hang zur Gewalttat bei einigen jungen Menschen in Deutschland nicht mindern. Was allein diesen Hang mindern kann, ist das, was ich vorhin in meiner Rede auszudrücken versuchte: das gemeinsame, geschlossene Eintreten für die Verteidigung des Rechtes. In Grohnde waren genau wie in Brokdorf Beamte des Bundesgrenzschutzes auf Anforderung des Landes und mit unserer Zustimmung eingesetzt. An Ort und Stelle, genau wie in Brokdorf, muß der dortige für die Polizei Verantwortliche die Verfügungen und Dispositionen treffen. Wenn Sie nun unbedingt wollen, daß alle Zeugnisse aufgeführt werden, könnte ich Sie auch auf eine sehr klare Stellungnahme der sozialdemokratischen Landtagsfraktion im Niedersächsischen Landtag nach den Ereignissen in Grohnde verweisen. Ich verstehe sehr gut, Herr Kohl, nachdem Sie zu den außenpolitischen Themen, die heute verhandelt wurden, selbst nichts beitragen wollten, daß Sie diese Debatte umfunktionieren und auf Nebenkriegsschauplätze ablenken wollten. ({3}) Sie werden aber auch in Zukunft mit solchen Umfunktionierungsversuchen und auch mit solchen - ich will die Ausdrücke nicht erneut benutzen - Reden, wie Ihr erster Redner sie heute gehalten hat, diese Bundesregierung weder in der Außenpolitik noch in der Innenpolitik von dem Wege abbringen, der ihr durch ihre Pflicht vorgezeichnet ist. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und meine Herren! Da auch ich, Herr Bundeskanzler, nicht gerne habe, daß sich im Protokoll ein falscher Eindruck niederschlägt: Ich hatte nicht die Absicht, in diese Debatte einzugreifen, aber Sie hatten die Freundlichkeit, vor einigen Stunden von dieser Stelle meine Abwesenheit zu rügen. Das konnte den Eindruck erwecken, als sei ich bei dieser wichtigen Debatte in irgendwelchen unwichtigen Dingen außerhalb des Hauses. Ich möchte Ihnen ausdrücklich sagen - ich rufe als Zeugen einige Kollegen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion an -: Wir hatten eine hervorragende Sitzung des Wirtschaftsausschusses in Berlin, Herr Kollege Brandt. Es ging darum, ein paar Aufräumungsarbeiten in bezug auf den törichten Satz, Berlin sei eine Stadt wie andere auch, durchzuführen und 'Berlin wieder zu einer nationalen Aufgabe zu machen. ({0}) Ich bin um 17 Uhr zusammen mit anderen Kollegen in Bonn gelandet, bin um 17.30 Uhr während der Rede des Kollegen Ehmke in den Saal gekommen und darauf angesprochen worden. Ich glaube, entschuldigt bin ich damit. Aber dies war ja wohl nicht die Hauptabsicht, Herr Bundeskanzler. Sie wollten so ein bißchen einen Keil treiben. Ich kann nach den Ereignissen, die Sie am Sonntag so und so erlebt haben, verstehen, daß Sie den Keil gerne woanders sähen. Tun Sie dies bitte nicht im Zusammenhang mit dieser Debatte und mit diesem Antrag. Ich möchte ausdrücklich erklären, daß hierfür kein Platz ist. Ich bin für diesen Antrag, ich stimme ihm nicht nur zu, sondern werde auch sagen, warum ich dies tue, damit sich hier nichts festsetzen kann. Verehrte Damen und Herren, wenn man sich diesen Antrag ansieht und ihn mit dem Antrag der Sozialdemokraten vergleicht, zu dem Herr Ehmke uns auch noch freundlichst einlud, ihm zuzustimmen, so möchte ich Ihnen folgendes sagen: Ich glaube, in eine solche Debatte über Menschenrechte gehört - und darum sehe ich diese Seite des Hauses wie die unsere an auch die soziale Komponente. Wir meinen doch alle, wenn wir von Menschenrechten sprechen - und das ist doch der Beitrag zur Debatte, den wir in Deutschland gerade angesichts der deutschen Wirklichkeit leisten können und müssen -, daß Verfassungspapiere überhaupt nichts nützen. Die hat man in der DDR auch. Es nützt nur eine Verfassungswirklichkeit, und die muß von sozialer Gerechtigkeit getragen sein, denn Menschenrechte sind für uns durch soziale Gerechtigkeit verwirklichte Freiheit. Dies ist die Politik, die hier zur Debatte steht. Wir haben den Herrn Bundeskanzler eben gehört, und ich will nicht wiederholen, was ich ihm am 17. Dezember sagte, aber dies war fühllos angesichts der Probleme, angesichts dessen, daß drüben Kommunisten sagen: „Wir fühlen uns wie Fremde im eigenen Hause." In der Debatte, soweit die Koalition sie betrieben hat, war davon nichts zu spüren, und die soziale Dimension der Menschenrechte fehlt in Ihrem Antrag. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen, Herr Ehmke. Warum dieser unser Antrag? Herr Kollege Ehmke, Sie haben eine neue Ausrede gefunden, ihm nicht zuzustimmen. Ich kam gerade in den Saal, als Sie sagten, die Zeit reiche nicht, ihn fristgerecht auszufüllen. Herr Ehmke, wissen Sie eigentlich - und das hat ein früherer gesamtdeutscher Minister gehört, und da ist noch einer und da ein amtierender innerdeutscher Minister -, daß das für eine amtierende Regierung ' die größte Backpfeife ist? Eine amtierende Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist doch der Sachwalter aller Deutschen. Wenn sie die Menschenrechtsverletzungen in Deutschland nicht jederzeit à jour hat, abrufbereit in den Akten hat, dann hat sie ihre Pflicht verletzt, Herr Kollege Ehmke. Das muß man Ihnen sagen. ({1}) Wenn Sie sich dann die Mühe machen, sich einmal die Entstehungsgeschichte unseres Antrags anzusehen, werden Sie folgendes feststellen. Es gab Erklärungen von Herrn Wehner, man dürfe Belgrad nicht „zum Tribunal" machen; Herr Ehmke sagte: „keine Anklage". Gut, über Vokabeln kann man immer streiten. Aber in dem Konferenzdokument steht doch „Die Konferenz in Belgrad soll Rechenschaft geben über die Durchführung der Verabredungen". ({2}) Da muß man doch davon sprechen, sonst braucht man doch gar nicht hinzufahren! ({3}) Verehrte Damen und Herren von der SPD und von der FDP: Auf dieses Dokument berufen sich jetzt - das haben wir hier doch debattiert - Menschen in Ost-Berlin, Menschen in der DDR, Menschen überall in Mittel- und Osteuropa. Die berufen sich auf dieses Dokument. Sie sind mutig. Sie gehen durch die Vordertür zu den Behörden. Sollen wir hinter denen zurückstehen, indem wir aus irgendeiner Bequemlichkeit diese Fragen in Belgrad nicht anschneiden? Das können Sie doch von uns nicht verlangen, meine Damen und meine Herren! ({4}) - Hören Sie zu, Herr Kollege. Ich glaube, wir sind uns beide darüber einig, daß die Kommunisten und die Marxisten hier eine völlig klare Trennung haben, und das geht auf die Entspannung, Herr Ehmke. Koexistenz der Staaten: soweit erforderlich, ja; Koexistenz der Ideologien: nein; keine Entspannung in der Ideologie - das sagen die Kommunisten. Die wollen siegen, für ihre Ideologie. - Verehrter Herr Ehmke, wir auch! Und unser Ziel heißt: Menschenrechte und Freiheit, und das setzen wir gegen den anderen Anspruch. ({5}) - Wenn Sie sagen, ich brauche Ihnen das nicht zu sagen, verehrter Herr Kollege Ehmke: Wenn Sie das hier ausgesprochen hätten, wäre dies sicherlich sehr viel leichter für die Debatte. ({6}) - Ich spreche ja nur zu den Sachen, die ich gehört habe; die haben mir genügt, Herr Ehmke. Nun habe ich das Papier in die Hand genommen, dem zuzustimmen Sie uns einluden. Unter der Überschrift „Der Bundestag wolle beschließen" beantragen SPD und FDP folgendes. Unter Punkt 1 kommt ein Hinweis auf die Vergangenheit; das muß man verstehen. ({7}) Unter Punkt 2 wird beantragt, der Bundestag wolle beschließen, „die Prinzipien der zwischenstaatlichen Beziehungen, die vertrauenbildenden Maßnahmen, die Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die humanitären Erleichterungen, die in der KSZE-Schlußakte niedergelegt wurden, müssen in gleicher Weise verwirklicht und weiterentwickelt werden". Punkt 3 lautet: „dabei muß der Achtung und Wahrung der Menschenrechte der ihnen gebührende Rang zukommen". Stellen wir uns einmal vor, wir wären in einer anderen Situation, daß man tatsächlich - was ich ja begrüßen würde - sich vor solchen Dingen zusammensetzte Da können Sie doch niemals mit einem Christlich Demokraten oder einem-ChristlichSozialen rechnen, der nicht unter Ziffer 1 die Men1252 schenrechte aufgeführt haben will, nicht „dabei ... der ... gebührende Rang". Dies ist vielmehr die Ziffer 1 jeder Politik und auch die Ziffer 1 des Grundgesetzes. So können Sie das mit uns nicht machen. ({8}) Verehrte Damen und Herren, ich bin gebeten, auch ein paar Worte zum folgenden Thema zu sagen. ({9}) - Harmel? ({10}) - Aber, verehrter Herr Kollege Brandt, ich finde das interessant, was Sie sagen. Sollten wir nicht, wenn das eine Ratio hat, was ich hier sage und was meine Freunde beantragen, auch in den Papieren, die wir hier vorlegen, zum Ausdruck bringen, was wir meinen? Sehen Sie, Herr Kollege Ehmke, das ist eine lange Geschichte. ({11}) - Eine Sekunde, Herr Brandt. Sie sagen immer, Herr Ehmke: „Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern!". Aber das, worauf es ankommt - und wir sind die eine Hälfte dieses Hauses -, das steht da nie drin. Das müssen wir uns von Ihnen herausinterpretieren lassen, das müssen wir uns von Ihnen durch Verbalismus hineinbringen lassen. Das kann man doch nicht machen! Schreiben Sie es doch nach vorne, es wird Ihnen doch dann abgenommen! Es würde Ihnen viel mehr in der Welt abgenommen, Herr Kollege Brandt, wenn Sie auch in Ihrer neuen vielfältigen internationalen Eigenschaft diese soziale Komponente, diese Komponente der Gefühle und dies alles hier mit hereingebracht und nach vorne gebracht hätten und nicht gesagt hätten: „dabei muß" und „in angemessener Weise". Wir haben zu oft die Umkehrung von Hauptsätzen in verschachtelte Nebensätze durch diese Seite des Hauses erlebt, als daß wir darauf noch hereinfielen. ({12}) Nun zu den drei Punkten des Kollegen Brandt. Herr Kollege Brandt, wir haben hier einmal darüber debattiert - ich glaube, im Dezember oder im Mai vergangenen Jahres -, wie und warum es zu dieser Parole gekommen ist, die Herr Ehmke in einer Weise tituliert hat, wie ich es hier nicht wiederholen will. Sie können doch nicht leugnen, daß Sie über lange Strecken - z. B. durch die Art, wie Herr Ehmke die letzte Zwischenfrage stellte, wieder - den Monopolanspruch für Demokratie, daß Sie lange Zeit, Herr früherer Bundeskanzler, den Monopolanspruch für Frieden erhoben haben ({13}) und daß Sie bis heute den Monopolanspruch in bezug auf das Wort „sozial" erheben. Und dann regen Sie sich auf, wenn wir mal sagen: Nun wollen wir hier doch einmal grundsätzlich debattieren! Das, was ich jetzt sage, sage ich für mich, und ich glaube, daß das in diesen Reihen mancher hören wird. Mir wäre z. B. wohler, wenn nach dem Sonntag - das war ja für Sie wohl auch nicht ganz angenehm, was da bei den Jusos passiert ist - Ihre erste Reaktion nicht nur disziplinär, sondern argumentativ und politisch gewesen wäre. Dies hätte mir z. B. sehr viel besser gefallen. ({14}) Herr Kollege Brandt, das zweite: Es bestreitet niemand - von unserer Seite des Hauses - den Anteil der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an der Geschichte der Demokratie, nicht in bezug auf früher und bestimmt nicht in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland. Das hat hier niemand bestritten; infolgedessen bedurfte es auch nicht dieser Aufregung. ({15}) - Nein, wirklich nicht! Das ist doch dann weg. Wenn Sie „das Volk spalten" sagen, so wissen Sie - auch aus einem anderen Zusammenhang -, es gibt einen Punkt, der mich immer noch beschwert; das ist Ihr Satz von 1969, jetzt fange die Demokratie erst richtig an. 20 Jahre haben wir aufgebaut, davon ein Stück zusammen, nicht nur in Berlin, sondern auch hier, und dann fing plötzlich die Demokratie erst an. Dies sind Dinge, die spalten - wie die Monopolansprüche, die von Ihrer Seite erhoben worden sind. ({16}) - Bitte? ({17}) - Herr Kollege Brandt, ich weiß genau, ({18}) daß Sie gesagt haben: Demokratie fängt jetzt erst richtig an. ({19}) - Nun, wir haben so viele Gelegenheiten, die Zettelkästen auszutauschen; ich finde es doch sehr gut, wenn der Kollege Brandt das jetzt so sagt. ({20}) - Es ist doch vielfach gedruckt, in Millionenauflage in der Regierungserklärung: Demokratie fängt jetzt erst richtig an. ({21}) Das ist der Satz, den Sie gesagt haben. ({22}) - Das sei dummes Zeug? Das müssen Sie dann dem Bundeskanzler außer Dienst Willy Brandt sagen! Dr. Barzel Meine Damen und Herren, ich wollte gern zu dem letzten Punkt des Bundeskanzlers noch ein Wort sagen. Er hat sich gegen den Vorwurf des Kollegen. Kohl verwahrt, der in der Bemerkung lag, der Kanzler solle sich zu vielen politischen Fragen äußern. - Herr Bundeskanzler, dies ist in der Tat ein fundamentaler Vorwurf. Man fragt sich weithin in der Bundesrepublik Deutschland - nicht nur in diesem Hause -, ob es Sie noch gibt, was Sie machen, - außer Besucher zu empfangen und zu administrieren. Wir müssen doch fragen: Wenn Sie sich jetzt die Energiesituation anschauen, z. B. in Brokdorf, dann, verehrte Damen und Herren, geht uns das alle an: da ist doch hinter diesen Fragen etwas entstanden, eine Frage - so würde es Röpke nennen - „jenseits von Angebot und Nachfrage". Wo ist denn der Beitrag der Politik der Bundesregierung zu diesen Fragen? Wo ist die geistige Führung? Warum Energie? Wozu Fortschritt? Wofür brauchen wir dies alles? Davon hören wir doch kein Stück von Ihnen! ({23}) Es wäre sicherlich gut, wenn der staatspolitische Bezug der Energiedebatte von dieser Regierung deutlich gemacht würde. Der Innenminister sieht mich gerade an; wem kann denn wohl sein bei dem Gedanken an eine Energielücke, die dann den Staat - wer immer regiert - dazu zwingen würde, Energie zuzuteilen? Dann hätten wir zwar noch Menschenrechte auf dem Papier, aber dies wäre ein omnipotenter Staat. Von diesen Dingen muß man doch sprechen, und alles dies ist, wie ich glaube, die Pflicht des Bundeskanzlers. Und es ist die Pflicht des Führers der Opposition, ihn daran zu erinnern. ({24})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Ich hatte Herrn Kollegen Barzel eine Zwischenfrage stellen wollen, kam aber nicht mehr dazu. Sie haben hier gesagt, ich hätte in. meiner Regierungserklärung vom Oktober 1969 gesagt - und dies habe Sie damals und seitdem beschwert -, die Demokratie fange erst richtig an. Ich habe den Text dessen vor mir, was ja auch jeder im Protokoll des Deutschen Bundestages nachlesen kann. Damals habe ich auf die Polemik geantwortet, was wohl jetzt bei den Sozis und den Freien Demokraten mit der Demokratie passieren würde, und meine Antwort war: Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an. Und: Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden im Innern und nach außen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Barzel, das, was Sie zur Sache gesagt haben, wird natürlich im Detail auch im Ausschuß zu behandeln sein. Nur, Herr Kollege Barzel, wir sollten hier, wenn etwas in dem einen Antrag an dieser und in einem anderen Antrag an jener Stelle steht, nicht den Eindruck erwecken, als ob damit in der Sache ein Unterschied der Meinungen bestünde. Dagegen möchte ich mich mit aller Deutlichkeit verwahren. Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, die vielen Themen, die hier behandelt worden sind, die wir zum Teil in der Deutschlanddebatte neu zu beraten haben, noch einmal aufzunehmen. Aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte hier doch eines aufgreifen. Ich schicke voraus, daß ich hoffe, daß es niemand, ganz gleich, auf welcher Seite, nun wieder als Belehrung versteht: Wenn das, was hier heute wieder einmal an Vergangenheitsbewältigung versucht worden ist, in der Form, wie wir es schon öfter erlebt haben, weitergeht, werden wir es nicht schaffen, das, was an gemeinsamer Vergangenheitsbewältigung notwendig ist, auch zu erreichen; dann würde es immer nur ein gegenseitiges persönliches Verunglimpfen sein. Ich 'habe hier sehr wohl herausgehört, was an Angebot dargelegt worden ist. Ich kann nur herzlich bitten, daß die Diskussion um die Menschenrechte für alle Kollegen dieses Hauses auch eine Lehre ist, die Menschlichkeit im Umgang miteinander nicht zu kurz kommen zu lassen. Das gilt für alle Seiten in diesem Haus. ({0}) Wenn diese Lehre gezogen wird, dann hat dieser Teil unserer Diskussion einen Sinn gehabt. Mehr will ich heute nicht dazu sagen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Es ist Überweisung der Anträge an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen sowie an den Rechtsausschuß zur Mitberatung beantragt worden. Wer diesem Überweisungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Wir sind somit am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe das Haus auf morgen, Donnerstag, den 24. März 1977, um 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.