Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/14/1979

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 10. Dezember 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller ({0}), Franke, Dr. Blüm, Prangenberg, Frau Fischer, Vogt ({1}), Höpfinger, Zink, Link, Stutzer, Dr. Reimers, Ziegler, Schetter, Hasinger, Burger, Dr. Jobst, Sauer ({2}), Röhner, Geisenhofer und der Fraktion der CDU/CSU betr. Arbeitsmarktpolitisches Programm der Bundesregierung für Regionen mit besonderen Beschäftigungsproblemen - Drucksache 8/3426 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3505 verteilt. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 28. November bis 11. Dezember 1979 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/3509 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen. Der Vorsitzende des Ausschusses für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 30. November 1979 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für ein zweites Fünfjahres-Programm ({3}) für die Behandlung ({4}) und Lagerung radioaktiver Abfälle ({5}) - Drucksache 8/2847 Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt II der Tagesordnung auf: Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 ({6}) - Drucksachen 8/3100, 8/3354, 8/3371 bis 8/ 3398 Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung - Drucksache 8/3508 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Windelen.

Heinrich Windelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am Anfang meiner Rede steht ein Wort -des Dankes an alle, die geholfen haben, daß der Bundeshaushalt 1980 schon heute im Parlament verabschiedet werden kann: ({0}) meinen Ausschußkollegen, besonders dem Kollegen Glos, der heute seinen Geburtstag feiert, ({1}) unseren Helfern im Ausschußsekretariat, unseren Helfern aus den Fraktionen, den Mitarbeitern aus den Ministerien - besonders aus dem Finanzministerium - und den Mitarbeitern aus dem Bundesrechnungshof möchte ich hier unseren herzlichen Dank aussprechen. ({2}) Sie alle mußten von September bis November sehr hart arbeiten, manchmal bis an den Rand des Zumutbaren, um die zweite und dritte Lesung des Bundeshaushalts 1980 noch im Jahre 1979 abschließen zu können. Damit wurde erstmalig die Verpflichtung des Art. 110 des Grundgesetzes erfüllt, nach dem der Haushaltsplan vor Beginn des Rechnungsjahres festzustellen ist. Art. 110 des Grundgesetzes sieht aber auch vor, daß ein Haushalt nach Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ist. Diesem Gebot ist auch formal dadurch Rechnung getragen, daß der Unterschied zwischen Einnahmen und Ausgaben durch Darlehen gedeckt wird. Die Defizite der Politik jedoch stehen nicht im Bundeshaushalt, z. B. die Notwendigkeit der Stärkung unserer Familien, die gerechte Würdigung der Rolle unserer Hausfrauen und Mütter, die Sicherstellung der zukünftigen Energiebasis, die Sicherung unserer Freiheit gegen Bedrohung von innen und außen, die Sanierung der Renten und die Tilgung der erdrückenden Schuldenlast. All diese Probleme finden weder im vorliegenden Haushaltsplan noch in der vorliegenden Finanzplanung eine befriedigende Antwort. Sie werden vielmehr einer ungewissen Zukunft überantwortet. ({3}) Auch die sehr intensiven Beratungen im Haushaltsausschuß, Herr Kollege Wehner, konnten daran nichts Wesentliches ändern. Wenn auch brutto 1,8 Milliarden DM an Ausgaben gestrichen werden konnten. blieben wegen zusätzlicher Forderungen, die uns gleichzeitig vorgelegt wurden, davon netto nur 0,8 Milliarden DM an Einsparungen übrig. Der Bundesfinanzminister hat sich auch wieder als zu schwach erwiesen, die Forderungen seiner Ressortkollegen nach zusätzlichen Stellen auf das unbedingt notwendige Maß zurückzuschneiden. ({4}) Zwar konnten die exorbitanten Forderungen der Bundesregierung nach neuen Planstellen und nach Stellenhebungen um fast 40 % zurückgedrängt werden. Die Haushaltspolitiker aller Fraktionen haben sich im Widerstand gegen egoistische Ressortwünsche als stärker erwiesen, als der Bundesfinanzminister, stärker auch als der Bundeskanzler. ({5}) Dennoch kann das Ergebnis keineswegs voll befriedigen. Bei ständig zurückgehender Bevölkerung wächst der öffentliche Dienst trotz aller Kürzungen immer weiter. Die Personalkosten der öffentlichen Hand schlucken inzwischen mehr als ein Drittel der Staatsausgaben. Diese Entwicklung engt unseren Entscheidungsspielraum immer mehr ein. Sie muß gestoppt werden. ({6}) Der Haushalt 1980 ist der letzte vor der Bundestagswahl. Er ist damit zugleich der Schlußstein der SPD /FDP-Bundespolitik der letzten zehn Jahre. Damals, vor zehn Jahren, wurde Willy Brandt als Bundeskanzler gewählt, gerade mit zwei Stimmen mehr, als er zu seiner Wahl brauchte. ({7}) - Herr Kollege Wehner, ich glaube, das ist auch der einzige Punkt, wo Herr Adenauer einen Vergleich mit Herrn Brandt einzugehen brauchte. ({8}) Dies, Herr Wehner, war die Lage damals: die Geldentwertung lag bei Übergabe der Geschäfte unter 2 %, die Zahl der offenen Stellen war viermal so groß wie die der Arbeitslosen. Das Wirtschaftswachstum lag bei 8 %. Die Außenwirtschaftsbilanz war problemlos. Die Einnahmen des Bundes waren höher als die Ausgaben, d. h., Schulden konnten zurückgezahlt werden. Die gesamte Nettoneuverschuldung von 1949 bis 1969 betrug für 20 Jahre zusammengenommen 14,3 Milliarden DM. ({9}) Der letzte Finanzminister von CDU/CSU hieß Franz Josef Strauß. Er war es, der der Regierung von SPD und FDP damals diese wirtschafts- und finanzpolitische Traumkonstellation hinterließ. ({10}) Nur zehn Jahre danach ({11}) - Ich habe mich auf den Finanzminister bezogen. Sie könnten Herrn Schiller einbeziehen; auf Herrn Schiller komme ich gleich noch zu sprechen. ({12}) - Selbstverständlich, der Kanzler ist es, auf den es ankommt. Nur zehn Jahre danach, Herr Wehner, ist dies die Lage heute: Inflationsrate 41/2 %, im letzten Monat 5,7 %, Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt 4 %, Wirtschaftswachtum in diesem Jahr bei 41/2 %; fürs nächste Jahr können wir noch mit 2'/2 bis 3 % rechnen. Die außenwirtschaftliche Leistungsbilanz wird erstmals seit 14 Jahren vermutlich in diesem Jahr ins Defizit geraten. Die Nettoneuverschuldung wird 1979 - wie auch im Jahr 1980 - wieder fast doppelt so hoch sein wie in den 20 Jahren von 1949 bis 1969 zusammengenommen. Der Schuldenstand des Bundes liegt damit 1980 mit 225 Milliarden DM höher als das Haushaltsvolumen dieses Jahres mit 214,5 Milliarden DM. Dies ist die Bilanz dieser Regierung nach zehn Jahren. Von der sogenannten Reform-Mannschaft der SPD von 1969 sind nur noch der damalige Verteidigungsminister, der heutige Bundeskanzler, und Egon Franke übriggeblieben. Die heutige Bundesregierung konzentriert sich vor allem darauf, zu verhindern, daß die vorhandenen, entweder von der Regierung verschuldeten oder von ihr nicht gemeisterten Krisen dem Volk bewußt werden. Dadurch werden dann Fehlleistungen in relative Erfolge umgemünzt. Man muß einmal hinhören, wie sich das täglich so anhört. Da ist die hochschnellende Inflationsrate, aber die ist natürlich nur vorübergehender Natur. Da wird das Rohöl weltweit knapp, aber die Versorgung der Bundesrepublik ist selbstverständlich gesichert. Da gibt es seit Jahren Riesenlöcher in den öffentlichen Kassen, aber diese dienen der Schaffung von Arbeitsplätzen - dennoch gibt es weiter Arbeitslosigkeit. ({13}) Da haben wir die Energiediskussion, aber damit will man sich in erster Linie ein Alibi für die Unterlassungen der Vergangenheit und deren Folgen in der Zukunft verschaffen. Da spricht man von „Sicherheit für die 80er Jahre", doch die ist durch die Schuldenwirtschaft der Regierung inzwischen weitgehend verwirtschaftet. Für den Amtsvorgänger des Herrn Bundeskanzlers wurde es bei einer Inflationsrate von 4 % ernst. 5,7 % wie im letzten Monat sind noch ernster zu nehmen. Diese Inflationsrate ist keineswegs nur ölpreisbedingt. Sie ist wieder hausgemacht, jedenfalls ganz überwiegend. Hierzu die Bundesbank - in ihrem November-Bericht wörtlich nachzulesen -: Auch wenn man berücksichtigt, daß nun die Sekundärwirkungen der Ölpreiserhöhungen allmählich den Endverbraucher erreichen, dürfte die jüngste Beschleunigung des Preisauftriebs zu einem großen Teil hausgemacht sein. ({14}) - Diese Inflationsrate, Herr Kollege Westphal, verschwindet daher auch nicht von selbst, im Gegenteil, sie verstärkt sich eher noch. Die hohen Zinsen, Folge der überhöhten Staatsverschuldung, die inflationär gestiegenen Baupreise, zu einem wesentlichen Teil Folge einer Übernachfrage der öffentlichen Hände, schlagen doch über Mieten erst in Zukunft auf die Verbraucherpreise durch. Vor allem aber: Wir stehen wieder vor einer Lohnrunde. Gerade die konjunkturelle Besserung zeigt, wie sehr die Investitionen von der Lohnentwicklung abhängen und diese ihrerseits natürlich von einer maßvollen und vernünftigen Besteuerung. Aber wenn man in Rechnung stellt, wie scharf gegenwärtig wieder die Lohn- und Einkommensteuerprogression zugreift und auch die Verteuerung des Öls und die Erhöhung der Mehrwertsteuer, wird deutlich, daß es an der Lohnfront schwer werden wird, zu Abschlüssen zu kommen wie z. B. in den beiden letzten Jahren. Die Forderung der IG Metall von bis zu 10,5 % Lohnerhöhung liegt auf dem Tisch. Herr Steinkühler sprach gestern von bis zu 12% in einzelnen Tarifgruppen. Die Chance der Steuerpolitik, die weitere Lohnfindung zu erleichtern, ist von der Bundesregierung vertan. Mit den Worten der Sachverständigen gesagt: Der Staat sieht sich außerstande, das zu tun, was er im Interesse von mehr Steuergerechtigkeit und größeren Leistungsanreizen für richtig hält, nämlich die Lohn- und Einkommensteuer zu senken. ({15}) Zur Arbeitslosigkeit ein Wort des amtierenden Bundeskanzlers von Juli 1972: Er sagte damals, schon 3% Arbeitslosigkeit würden für die Bundesrepublik unerträglich sein. - Wie anders ist doch heute die Wirklichkeit! Von 1974 bis 1978 lag die Arbeitslosenquote deutlich über 4%, 1979 immer noch näher an 4% als an 3 %, und für 1980 wird es kaum viel weniger sein. Alle früheren Kanzler vor Willy Brandt und vor Helmut Schmidt versprachen zwar weniger, aber sie hielten mehr. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Heinrich Windelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, nachdem Sie solche Erinnerungen auf Ihre Weise in Erinnerung bringen, frage ich Sie, ob ich es richtig verstehe, daß Sie damit erfüllen und ausführen, was der - Sie haben eben 1972 zitiert; ich zitiere jetzt etwas von Ende 1974 - von Ihnen heute hier als guter Finanzminister gefeierte Herr Franz Josef Strauß gesagt hat: Wir müssen sie so weit treiben, daß sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen müssen oder den Staatsbankrott erklären müssen oder drastische Steuererhöhungen mit abermals einschneidenden negativen Folgen für die Wirtschaft. Verstehe ich Sie richtig, wenn ich es so ausdeute, daß das, was Sie sagen, ein Stück dazu führen soll? ({0})

Heinrich Windelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wehner, ich verstehe, daß Sie natürlich von Ihrer Negativbilanz ablenken möchten. ({0}) Ich sage noch einmal: Sie haben damals von Franz Josef Strauß eine Traumkonstellation übernehmen können. ({1}) Ich habe Ihnen eben an Hand von Daten, Fakten und Zahlen vorgerechnet, was Sie daraus gemacht haben. Davon lassen wir uns nicht ablenken. ({2}) Unter Berufung auf die hohe Arbeitslosigkeit wurden die Defizite des Staates ins Uferlose gesteigert. Welch ungeheurer konjunkturpolitischer Aufwand wurde in all den Jahren seit 1974 getrieben - und mit welch zweifelhaftem Ergebnis! Elf konjuktur- und arbeitsmarktpolitische Programme, Steuerreformen, steuerliche Entlastungsmaßnahmen, alles zusammen mit einem Aufwand von 70 Milliarden DM, von denen 40 Milliarden DM auf den Bundeshaushalt entfielen - welch ein Aufwand mit welch einem Ergebnis! Wenn ein Umstand für die Wirkungslosigkeit dieser Programme spricht, so ist es die Inflationierung dieser Programme selbst. Das Krebsübel Ihrer Finanzpolitik ist aber Ihre leichtfertige, Ihre verantwortungslose Schuldenwirtschaft, für die Sie die Arbeitslosigkeit als Daueralibi bemühen. ({3}) Dabei hat Ihnen inzwischen auch der Sachverständigenrat folgendes bescheinigt: Für die Rückkehr zu einem dauerhaft hohen Beschäftigungsgrad ist noch eine lange Periode hoher Investitionen nötig, die spannungsfrei zu finanzieren allemal eine starke Reduktion der öffentlichen Defizite erfordert Das heißt doch, der jetzige Schuldenzuwachs fördert im Kern nicht den Abbau der Arbeitslosigkeit, sondern eher die Vermehrung der Arbeitslosigkeit. Mindestens steht er einem Abbau der Arbeitslosigkeit im Wege. ({4}) - Bemühen Sie doch den Sachverständigenrat, Herr Kollege Westphal. Er gibt Ihnen ganz klar Aus15446 kunft. Vielleicht haben Sie Gelegenheit, das noch einmal nachzulesen. ({5}) Seit 1975, dem ersten Jahr der Schuldenexplosion, beherrscht die Forderung nach Konsolidierung der Staatsfinanzen die finanzpolitische Diskussion. Seitdem ist in jeder Haushaltsberatung die Verteidigung des neuen Schuldenbergs mit dem Versprechen der Besserung schon in allernächster Zukunft verbunden worden. Das Ergebnis, meine Damen und Herren, kennen wir. Es liegt vor uns. Der jährliche Schuldenzuwachs allein des Bundes hat sich bei 25 Milliarden DM - mal etwas mehr, mal etwas weniger - eingependelt. Der Schuldenstand der öffentlichen Hand wird Ende nächsten Jahres die kaum vorstellbare Summe von 450 Milliarden DM - vierhundertfünfzigtausend Millionen D-Mark - erreichen, ({6}) wovon dann die Hälfte allein auf den Bund entfällt. Eine erschreckende Entwicklung, die Sie, Herr Kollege Hoppe, zu Recht mit einer tickenden Zeitbombe verglichen haben! Das läßt sich auch nicht durch hinkende internationale Vergleiche aus der Welt schaffen, die neuerdings unter dem Einfluß des Herrn Bundeskanzlers so beliebt geworden sind. Es heißt dann so: „Wir haben in der Verschuldung bisher einen guten Platz im Mittelfeld. Das mag richtig sein, meine Damen und Herren. ({7}) Wir sind aber auch, Herr Kollege Westphal, erst zehn Minuten nach dem Feld zu diesem Lauf gestartet, nämlich als wir im Jahre 1948 mit nahezu null anfingen und die öffentlichen Schulden auf die Bürger abwälzten. ({8}) Wir haben uns inzwischen, in dieser kurzen Zeit, „dank" Ihrer wirksamen Mithilfe schon bis zum Mittelfeld vorgekämpft. Die Geschwindigkeit unserer Neuverschuldung ist es, die uns Sorgen macht. Sie ist zu rasant. Je länger die Konsolidierung der Staatsfinanzen hinausgeschoben wird, je mehr die Gewöhnung an die riesige Dauerverschuldung fortschreitet, desto häufiger werden die Versuche der Verharmlosung, der Verniedlichung dieser tickenden Zeitbombe zu einem harmlosen Problemchen. Das sieht der Sachverständigenrat völlig zu Recht dann auch ganz anders. Er schreibt: Die Konsolidierungsaufgabe hat seit dem vergangenen Jahr nichts an Aktualität eingebüßt, sondern ist sogar größer geworden. Wir stehen allerdings vor dem Zwang, die Konsolidierung zu strecken, d. h. - nach den Worten des Sachverständigenrats - „auf mehrere Jahre zu verteilen", weil nach einer langen Periode der Gewöhnung an das süße Gift einer zu hohen Verschuldung der abrupte Entzug der Droge Dauerverschuldung zu einem konjunkturellen Kollaps führen könnte. Anders ausgedrückt: Diese unverantwortliche Schuldenpolitik der Vergangenheit zwingt heute zu einer Fortsetzung dieser im Grunde falschen Politik. Es gibt viele - dazu gehört auch der Bundesfinanzminister, der es eigentlich besser wissen müßte -, die die riesigen Schuldenzuwächse in der Rezession als völlig unbedenklich bezeichnen. Das mag in gewissem Umfang konjunkturpolitisch berechtigt sein. Auch geldpolitisch mag die Beschaffung der Kredite keine besonderen Schwierigkeiten bereitet haben. Aber auch in der Rezession sind Kredite nicht kostenlos zu bekommen; sie kosten nämlich immer Zinsen. Auch deshalb ist dem Kollegen Hoppe zuzustimmen, wenn er die riesige Dauerverschuldung des Staates mit einer tickenden Zeitbombe vergleicht. ({9}) Der Sachverständigenrat spricht auch die eminente verteilungspolitische Konsequenz an. Die Zinsen, Herr Finanzminister, müssen Sie aus Steuermitteln bezahlen, die alle Steuerzahler, der lohnsteuerzahlende Arbeitnehmer, der umsatzsteuerzahlende Rentner, der vermögensteuerzahlende Millionär, aufbringen müssen. Das bedeutet aber doch nichts anderes als eine Vermögensumverteilung in Höhe der Zinszahlungen. Das sind nächstes Jahr 131/2 Milliarden DM Umverteilung von der steuerzahlenden Allgemeinheit auf die schuldtitelhaltende Minderheit der Gläubiger des Staates. Meine Damen und Herren, würden wir eine solche Politik machen, Sie würden hier die ganze Debatte damit bestreiten, uns eine abgefeimte Politik im Interesse kapitalistischer Ausbeutung nachsagen. ({10}) Solange Sie aber, Herr Finanzminister, diese Politik zu verantworten haben, wird dieses Problemchen unter den Teppich gefegt. ({11}) Ein Glück, daß Ihre Basis Ihnen da noch nicht auf die Sprünge gekommen ist. Der Herr Kollege Grobekker hat die Brisanz dieses Problems erkannt und auch angesprochen. ({12}) - Warum ändern Sie es dann nicht, wenn Sie es sehen? Wir wollen Ihnen gerne dabei helfen. ({13}) Wie hoch die Kosten Ihrer Schuldenpolitik inzwischen für den Staat geworden sind, steigende Kosten für staatliche Leistungen, Kosten auf Grund niedrigerer Steuereinnahmen wegen höherer Belastung der Wirtschaft, ist sicher nicht in Mark und Pfennig zu quantifizieren. Ein Kostenfaktor läßt sich aber genau verfolgen, das sind die Zinsausgaben. Deren Entwicklung ist allerdings erschreckend. Die Zinsen weisen die stärkste Steigerung sämtlicher Haushaltspositionen dieses Bundeshaushalts auf. Allein 1980 werden es gegenüber 1979 20 % bei einer allgemeinen Haushaltssteigerung von 51/2 sein: mehr als in sämtlichen anderen politischen Bereichen Ihres Wirkens, mehr als im Sozialbereich, mehr als bei dem von Ihnen immer wieder in den Vordergrund gestellten Forschungsbereich, mehr als bei der Verteidigung, mehr als bei den Investitionen, ja, selbst mehr als bei der Priorität Entwicklungshilfe, wo sich die Regierung außerordentlicher Anstrengungen rühmt, mehr steigen die Zinsen für die Schulden aus der Vergangenheit. 1980 machen die Zinsausgaben weit mehr als die Hälfte der Neuverschuldung aus. 1983 werden die Zinsen bereits höher sein als die ganze Neuverschuldung. Das konjunkturpolitische Instrument Kreditfinanzierung, dessen Notwendigkeit niemand bestreiten wird, ist dadurch, daß Sie es zu oft, zu hoch und für falsche Maßnahmen eingesetzt haben, als Waffe im Kampf gegen künftige Wirtschaftseinbrüche stumpf geworden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri?

Heinrich Windelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Dieter Spöri (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Windelen, würden Sie mir nicht zugeben, daß, wenn wir Ihren Steuersenkungsplänen für 1980 gefolgt wären, das von Ihnen eben angesprochene Schuldendienstproblem noch größer geworden wäre?

Heinrich Windelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wir hätten damit auch für Tarifverhandlungen eine neue Ausgangssituation gehabt. ({0}) Unsere Pläne hätten für die Arbeitnehmer eine Entlastung von etwa 3 % gebracht, und dies hätte sich in der gesamtpolitischen Entwicklung und auch in der steuerlichen und Haushaltsentwicklung niedergeschlagen. ({1}) Beim geringsten wirtschaftlichen Rückschlag in einer möglichen Zukunft und dadurch zurückbleibenden Steuereinnahmen werden sich derart riesige Finanzierungslöcher auftun, daß der Staatshaushalt die Konjunktur dann kaum noch zusätzlich abstützen kann. Die Finanzpolitik wird bei künftigen wirtschaftlichen Einbrüchen vor weit größeren Schwierigkeiten stehen als bisher. Überschrift: „Sicherheit für die 80er Jahre". Die chronisch überhöhte Neuverschuldung hat inzwischen ein Problem geschaffen, das man früher vernachlässigen zu können glaubte, nämlich die Tilgung und deren Anschlußfinanzierung, die zusammen mit der Neuverschuldung die Bruttokreditaufnahme ausmacht. Mit jeweils 48 Millionen DM werden die Bruttokreditaufnahmen dieses und des nächsten Jahres den höchsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland erreichen. ({2}) - Herr Kollege Spöri, es ist doch kein Wunder, daß unsere Länder durch Maßnahmen des Bundes, die die Länder gleichzeitig mit belasten, ({3}) in eine ähnliche Entwicklung hineingezogen worden sind. ({4}) Für die Jahre ab 1981 zeichnet sich nochmals ein rapider Anstieg der Tilgungslast ab. Zwar kann man sagen, daß dem Markt durch die Tilgungen ebenso wie durch die Zinszahlungen Mittel zufließen, die dann auch eine Wiederanlage suchen, aber wer sagt uns, wie groß der Anteil der Mittel ist, der von den Empfängern wieder angelegt wird, wer sagt, daß dieser Anteil gerade wieder in Papieren des Bundes angelegt werden wird? Hier kommen in den nächsten Jahren erhebliche neue Gefahren auf uns zu, Belastungen für den Kapitalmarkt, Risiken durch höhere Zinsen, durch Kosten für Wirtschaft und Staat Was ist in der Finanzpolitik noch zu tun? Erstens. Wir müssen den Schuldenzuwachs wieder auf ein vertretbares und erträgliches Maß zurückführen. Ich weiß, daß diese Aufgabe bei der Größenordnung, um die es geht, nicht von heute auf morgen, sondern nur mittelfristig gelöst werden kann. ({5}) - Man muß aber irgendwann damit beginnen, Herr Kollege Westphal! ({6}) Der Abbau der Defizite ist allerdings nur durch eine ehrliche Bestandsaufnahme aller Notwendigkeiten und Verpflichtungen auf der Grundlage einer wirklichkeitsgerechten Finanzplanung möglich. Diese Grundlage ist der jetzt vorgelegte Finanzplan der Bundesregierung nicht Er berücksichtigt z. B. nicht oder nur unzureichend die Zusage gegenüber der NATO, die Verteidigungsausgaben jährlich im Durchschnitt um real 30/0 zu steigern; die Tatsache, daß bei der Bundesbahn bisher noch keine entscheidenden Maßnahmen zur weiteren Rückführung der Defizite getroffen worden sind; die Tatsache, daß die Mittel für den Energiebereich künftig mit Sicherheit weiter steigen werden. Grundlage des Finanzplans ist im übrigen eine aus heutiger Sicht zu günstige Einschätzung der künftigen Wirtschaftsentwicklung, und die von der Bundesregierung selbst für 1981 beschlossene steuerliche Entlastung ist überhaupt noch nicht eingeplant. Oder soll sie vielleicht nach der Wahl nach dem Muster der Rentenversprechungen des Jahres 1976 wieder zurückgenommen werden? ({7}) Zweitens. Zugleich mit dem Abbau der Schuldenzuwächse muß - und das macht die Aufgabe nicht leichter lösbar - der verlorengegangene finanzielle Handlungsspielraum für unabweisbare neue Aufgaben wiederhergestellt werden. Ich denke hierbei an die Daueraufgabe des Abbaus der Belastungen mit direkten Steuern; an die Energiepolitik, die bei einem wirksamen Abbau der Abhängigkeit vom 01 einen riesigen Kapitalbedarf mit sich bringt; an die Politik zur aktiven Friedenssicherung, die ohne eine weitere wesentliche Verstärkung unserer Verteidigungsbereitschaft nicht denkbar ist, und nicht zuletzt auch an die Familienpolitik, wenn auch angesichts der harten finanziellen Wirklichkeiten vieles, was von den Familienpolitikern als notwendig angesehen wird, nicht sofort verwirklicht werden kann, sondern über einen längeren Zeitraum gestreckt werden muß. Für eine dauerhafte Konsolidierung der Staatsfinanzen und für die Bewältigung der Herausforderungen in den 80er Jahren werden auch noch so gute Einzelmaßnahmen nicht ausreichen. Entscheidend ist vielmehr der Wille zur Umkehr, der Wille zur Solidität. Das bedeutet aber, meine Damen und Herren, zugleich die Abkehr von einer Politik, die dem Staat immer mehr Macht gibt und den Bürgern immer weniger Rechte läßt, die die Bürger immer abhängiger macht, statt ihnen mehr Freiheit und mehr Mündigkeit zu geben. ({8}) Dieser Haushalt ist ebenso wenig wie seine Vorgänger seit 1970 ein Beitrag zu einer solchen Politik. Zehn Jahre nach der Übernahme der Verantwortung beschränkt sich die Bundesregierung vor allem auf Reparaturarbeiten an ihrer eigenen Politik. Sie wollte einst das „moderne Deutschland" schaffen. ({9}) Was ist daraus geworden? Sie versprach, so sagte sie, die besseren Männer. Wo sind sie geblieben? ({10}) Alex Möller resignierte schon nach eineinhalb Jahren. Er sagte: „Wir müssen die Reformpolitik überprüfen. Wir hatten zuviel Illusionen. Superminister Schiller warf auch schon nach eineinhalb Jahren das Handtuch. Er wollte keine Politik nach dem Motto verantworten: Nach uns die Sintflut. ({11}) Es folgte Helmut Schmidt, der noch vor zehn Jahren eine Verschuldung von drei Milliarden DM als Zerrüttung der Staatsfinanzen brandmarkte ({12}) und heute zehnmal soviel als Wohltat preist. ({13}) Vom „Modell Deutschland" wird nicht mehr gesprochen. Die Reformen von einst sind Ruinen, und unser Land ist zu einem leistungsfeindlichen Steuer- und Abgabenstaat mit fast 50 % Staatsquote degeneriert. ({14}) Die Löcher im Staatshaushalt werden mit Wechseln auf die Zukunft gestopft, und die kommende Generation wird durch immer höhere Schulden belastet. Der hohe Anspruch von einst, daß Demokratie erst mit Willy Brandt richtig anfange, ({15}) und die bedrückende Realität heute haben große Teile unserer Bevölkerung, besonders der jungen Generation, enttäuscht und in die Resignation oder in das politische Abseits getrieben. Herr Bundeskanzler, nun sind Sie dabei, jenen Enttäuschten in das Abseits zu folgen. ({16}) Wir brauchen eine ehrliche Politik, eine deutliche Wende, eine klare geistige und politische Führung. Nur damit können wir unserem Volk wieder eine Zukunftschance geben. Dieser Haushalt, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ist Ausdruck Ihrer Politik der Verschleierung der Probleme, der Flucht vor den Realitäten in der Gegenwart und der unterlassenen Vorsorge für die Zukunft. Wir lehnen diesen Haushalt ab und beantragen namentliche Abstimmung. ({17})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen am Ende der letzten Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode. Das rechtfertigt eine gewisse Gesamtschau über die vergangenen drei Jahre, und das vierte Jahr soll gleich mit einbezogen werden. Diese Legislaturperiode war von weltweiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekennzeichnet. Diese Schwierigkeiten waren eine Herausforderung für uns alle. Wir sind allerdings dieser Herausforderung, wie wir es soeben auch wieder vom Kollegen Windelen gehört haben, unterschiedlich gerecht geworden. Die hinter uns liegenden Jahre waren finanzpolitisch schwere Jahre, und auch die vor uns liegende Zeit wird nicht leicht zu meistern sein. Dafür sind die Risiken zu groß, die von außen in unser Land hineingetragen werden. ({0}) - Liebe Frau Präsidentin, ich möchte Sie recht herzlich bitten, die Glocke nicht zu benutzen. Durch ihre Unaufmerksamkeit unterstreicht die Opposition nur ihre grundsätzliche Haltung zur finanzpolitischen Verantwortung hier in diesem Staat ({1}) Gegenwärtig ist es sehr schwer -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Moment, Moment! - Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase ({0})?

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Herr Abgeordnete gedenkt nicht, dem Herrn Abgeordneten Haase eine Zwischenfrage zu genehmigen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Und dem Herrn Abgeordneten Riedl?

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dem Herrn Abgeordneten Riedl auch nicht. Wenn Sie nachher zur Sache Zwischenfragen stellen wollen, dann immer sehr gerne. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen und den Redner nicht zu stören. ({0}) - Es tut mir leid, Herr Kollege, ich muß doch einmal die Glocke schwingen. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie herzlich, etwas mehr Ruhe zu bewahren. ({1})

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Haase, ich bin Demokrat. Ich habe jetzt nicht die Absicht, mit dem Bundeskanzler zu diskutieren, ({0}) sondern ich habe als Demokrat die Absicht, mit der Opposition zu diskutieren, weil sich Demokratie letztlich im Zwiegespräch zwischen Opposition und Koalition vollzieht. ({1}) Gegenwärtig ist es sehr schwer, verläßliche Voraussagen über die wirtschaftliche und damit über die soziale Entwicklung in den nächsten Jahren zu treffen. Das Wort von Peter Ustinov „Mit Propheten unterhält man sich am besten drei Jahre später" hat zur Zeit eine besondere Bedeutung. Ein Blick auf die hinter uns liegenden Jahre zeigt uns, daß die Bundesrregierung und die Koalitionsfraktionen bewiesen haben, daß sie .mit den schweren Herausforderungen fertig geworden sind. Was wir in den letzten Jahren gemeistert haben, gibt uns die Gewißheit, daß wir auch mit den vor uns liegenden Problemen fertig werden. Wir bitten deshalb die Bevölkerung weiter um Vertrauen, das sich durch Leistungen und nicht durch billige Polemik rechtfertigt ({2}) In Zeiten der wirtschaftlichen Stagnation oder gar des wirtschaftlichen Rückgangs hat die Haushaltspolitik als Teil der Finanzpolitik einen wesentlichen Beitrag zur Ankurbelung und Stützung der sich im übrigen frei entfaltenden wirtschaftlichen Kräfte zu leisten. In den zurückliegenden Jahren haben wir deshalb bewußt eine antizyklische Finanzpolitik betrieben. Wir haben die Ausgaben erhöht, um die fehlende private Nachfrage durch öffentliche zu ersetzen. Wir haben die Steuern gesenkt, um die Kosten zu vermindern und der Nachfrage ebenfalls Anstöße zu geben. Damit haben wir das volle Instrumentarium der modernen Finanzpolitik zum Wohle der Allgemeinheit eingesetzt ({3}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist zwar teuer, ({4}) aber erfolgreich, sehr verehrter Herr Kollege, wie die gegenwärtige Wirtschaftssituation beweist. Heute können wir ganz nüchtern feststellen: Die Konjunktur läuft wieder gut; die Auftragsbücher vieler Branchen sind wieder gefüllt; der Handel hat sich wieder belebt; die konjunkturelle Arbeitslosigkeit ist weitgehend überwunden. Und: Es hat keine schweren sozialen Einbrüche in unserer Gesellschaft gegeben. ({5}) Dieser letzte Punkt ist für uns Sozialdemokraten besonders wichtig. Wir wissen aus leidvoller Erfahrung, daß ein Staat nur so lange dauerhaft bestehen kann, wie ein gewisser sozialer Grundkonsens in seiner Gesellschaft vorhanden ist. Meine Damen und Herren, diese Lektion sollten wir alle aus der Geschichte von vor 50 Jahren gelernt haben. Eines der traurigsten Kapitel der deutschen Geschichte, das nämlich vor etwa 50 Jahren begann, ist noch aufgeschlagen. Wir brauchen nur darin zu lesen und unsere angemessenen politischen Schlußfolgerungen zu ziehen. ({6}) - Sehr geehrter Herr Kollege Röhner, die Älteren in diesem Hause wissen, wovon ich rede, und sollten es den Jüngeren auch ruhig einmal ab und zu vermitteln, damit nicht nur über die Geschichtslosigkeit unserer Jugend geklagt wird, sondern auch von uns - von uns Politikern! - etwas dafür getan wird, Geschichtsbewußtsein zu vermitteln, ({7}) auch Herr Kollege Röhner, wenn man bei der Vermittlung des Geschichtsbewußtseins auf die eine oder andere gegenwärtig nützliche vordergründige Polemik verzichten muß. Wenn Herr Brüning, der letzte akzeptable Reichskanzlér der Weimarer- Republik, nur ein Zehntel der Schulden aufgenommen hätte, die Herr Hitler am Ende des Zweiten Weltkriegs unserem materiell und moralisch schwer getroffenen Land hinterließ, wäre unserem Volk und vielen anderen Völkern dieser Erde viel Leid erspart worden, ({8}) und sähe unsere Welt heute anders aus, nämlich besser. Herr Kollege Windelen hat von einer Zeitbombe gesprochen, die der Herr Kollege Hoppe in die Debatte eingeführt hat. ({9}) - Herr Kollege Windelen, Sie müssen mir wenigstens die Chance geben, den Nebensatz zu sagen, bevor Sie mit Ihrem Zwischenruf beginnen. Diese Zeitbombe des Herrn Kollegen Hoppe will ich auch gar nicht verniedlichen. Aber die eigentliche Zeitbombe eines Staates besteht darin, daß der soziale Grundkonsens in der Gesellschaft bricht: denn dann fliegt alles auseinander. ({10}) Letztlich ist die Ursache für das Ende der Weimarer Republik doch darin zu sehen, daß die Menschen das Gefühl hatten: Dieser Staat kann uns nicht mehr helfen. Manche werden sich nun fragen, warum denn ausgerechnet der Haushaltsobmann der sozialdemokratischen Fraktion so häufig auf diese Zusammenhänge hinweist. Er macht das ja so oft, daß der Kollege Haase mit Fug und Recht dabei Zeitung lesen kann; ich sage das ja nicht zum erstenmal. ({11}): Ich lese hier keine Zeitung! Ich heiße doch nicht Schmidt!) Das hat eine ganz persönliche Erklärung. Ich bin vor 50 Jahren geboren worden und habe keinen Tag in meiner Kindheit erleben dürfen, der von den schrecklichen Ereignissen unberührt geblieben wäre, die Ende der 20er Jahre, Anfang der 30er Jahre in Deutschland ihren Anfang nahmen und dann bis zum bitteren Ende 1945 hin gelaufen sind. Das macht sensibel für ein ganzes Leben. Ich sage das, weil ich weiß, daß es in allen demokratischen Gruppierungen, die sich noch Empfindsamkeit für die Geschichte bewahrt haben, Personen gibt, die die gleiche Sensibilität in dieser Frage aufbringen. Ich sage ganz ausdrücklich: Solche Persönlichkeiten gibt es natürlich auch in den Reihen der CDU/CSU. Nach dem Grundgesetz hat die Bundesrepublik ein sozialer Staat zu sein. An der Nahtstelle von Ost und West hat die Bundesrepublik eine besonders stabilisierende Funktion innerhalb der westlichen Demokratien zu erfüllen. Dieser Funktion können wir nur gerecht werden, wenn wir die Sorgen und Nöte unserer Bürger ernst nehmen, wenn wir ihnen ein Höchstmaß an Sicherheit in jeder Hinsicht verschaffen, wenn wir ihnen das Gefühl vermitteln, daß unsere Ordnung auch mit den unmittelbar die Menschen berührenden Problemen besser fertig wird als die zur Staatsmacht ausgeartete Ideologie, die 300 km weiter östlich beginnt, wo ja ebenfalls Deutsche wohnen. Wer den sozialen Auftrag des Grundgesetzes nicht jeden Tag in seiner Politik ernst nimmt, gefährdet nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die demokratischen Staaten in Westeuropa und anderswo. Gleichzeitig nimmt er den Menschen in Osteuropa und vor allem den 17 Millionen Deutschen in der DDR eine große Hoffnung, die - ohne daß wir uns überheben wollen - von dem sozialen Modell ausgeht, das in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht und ständig weiterentwickelt wird. Herr Strauß hat diese Sorge um die Menschen einmal mit dem Begriff „Alimentation" zusammengefaßt. Dabei muß man ja noch zufrieden sein, daß er nicht das Wort „Bestechung" benutzt hat; denn so hat er es ja wohl gemeint. Ich glaube, wir können ganz ruhig und gelassen sein, wenn Herr Strauß als Kanzlerkandidat dem Volk die Zusammenhänge zwischen dem sozialen Grundkonsens in unserer Gesellschaft und der Stabilität unserer Ordnung vermitteln wird. Wir werden aber sehr genau darauf achten, daß dabei nicht nur Sprüche geklopft werden, sondern daß ein konkretes Programm entwikkelt und erläutert wird. Wer das nicht kann, kann auch die Bundesrepublik Deutschland in dieser Zeit nicht regieren. ({12}) Ich bin sicher, daß in unserem Volk der Zusammenhang verstanden wird und daß das traurige Kapitel unserer Geschichte, das vor 50 Jahren begann, Einsichten vermittelt hat, die durch keine wortgewaltige Polemik wegzulöschen sind. Unser Volk will Taten und keine Sprüche. ({13}) Wir haben zur Stützung unserer Wirtschaft und damit zur Wahrung unserer gesellschaftlichen Stabilität die Möglichkeiten der antizyklischen Finanzpolitik genutzt und dabei gleichzeitig etwas mehr über ihre Grenzen erfahren, als in den finanzwissenschaftlichen Lehrbüchern steht. Die Haushaltspolitik ist zwar etwas beweglicher als die Steuerpolitik und eignet sich deshalb besser zum Gegensteuern bei wirtschaftlicher Flaute. Aber auch der Haushalt hat eine bestimmte Struktur, die sich nicht beliebig schnell und einfach den wirtschaftlichen Erfordernissen anpassen läßt. Einmal vorgesehene. Ausgaben lassen sich nicht ohne Gefährdung für weitere Bereiche ruckartig bei Änderung der wirtschaftlichen Lage abbauen. Da, Herr Kollege Windelen, gebe ich Ihnen recht. Der Abbau muß vorsichtig geschehen, quasi im Gleitnicht im Sturzflug. Aber mit allem Ernst möchte ich auch sagen, daß er vor allen Dingen konsequent geschehen muß. Es muß darauf geachtet werden, daß die jährliche Neuverschuldung, die im Gleitflug nach unten geht, nicht wieder in den Aufwind neuer Wünsche gerät. ({14}) Die Bundesregierung hat für den Haushalt 1980 auf maßvolle Zurückführung der jährlichen Neuverschuldung gesetzt. Die Koalition hat sie darin unterstützt. Ob die für 1980 vorgesehene Nettokreditaufnahme der gegenwärtigen Lage angepaßt ist oder nicht, ist eine Frage, über die sich streiten läßt. Es gibt einige Persönlichkeiten, die zu mehr Sparsamkeit mahnen. Wir nehmen diese Mahner ernst, auch wenn sie noch vor 18 Monaten andere Voraussagen gemacht haben. - Ich nehme an, daß der Empfang dieser Passage in der Wilhelm-EpsteinStraße in Frankfurt gut ist. Das eigentlich Gefährliche an der Nettokreditaufnahme von über 20 Milliarden DM ist nicht so sehr die Höhe, sondern der Gewöhnungsprozeß. Das aber ist ein psychologisches Problem. Diese Gewöhnung züchtet - das ist meine felsenfeste Auffassung - eine gefährliche Variante des Anspruchsdenkens. Viele Gruppen und Institutionen in unserer Gesellschaft gehen davon aus, daß der Staat alles kann, auch wenn er mal ein paar Schulden machen muß. Was ich mit dieser gefährlichen Variante des Anspruchsdenkens meine, möchte ich an drei Beispielen aus den Beratungen des Haushalts 1980 belegen. Erstes Beispiel. Eine angesehene wissenschaftliche Organisation in unserer Gesellschaft verfügt über 8 000 Stellen. 200 Stellen sind unbesetzt. 90 Stellen hat diese Gesellschaft angefordert, 55 haben wir ihr bewilligt. Die fehlenden 35 Stellen führen nach Auffassung dieser Gesellschaft zum völligen Zusammenbruch der Grundlagenforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Diesen Vorgang will ich nicht weiter kommentieren. Er spricht schon allein von den Zahlen her für sich selbst. Zweites Beispiel. Was ist Kürzung? Wir versauen uns ja u. a. auch unsere Semantik. Da kommen Leute zu mir und sagen: „Herr Abgeordneter, wir können die Kürzung, die Sie vorhaben, nicht hinnehmen. Ich schaue in das dicke Buch, das man so als Hauptbuch bezeichnet, und stelle fest: Da wird gar nicht gekürzt, sondern da werden auf 12 Millionen DM 800000 DM draufgelegt. Ich sage: „Sagen Sie einmal: Warum reden Sie vom Kürzen?" - „Ja, wir haben nicht mit 12,8 Millionen DM gerechnet, sondern mit 13,7 Millionen DM." Ich habe gesagt: „Dann nehmen Sie also als Grundlage Ihrer eigenen Betrachtung Ihre nicht abgestimmten Wünsche und nicht die tatsächlichen Zahlen." ({15}) - Ja, die sollten Ihre Wünsche kürzen; dann kommen sie nämlich wieder auf den richtigen Betrag. ({16}) Oder ein drittes Beispiel: Daß sich eine Persönlichkeit, die im Rahmen der Haushaltsberatung ein Anliegen zu vertreten hatte, das dann nicht durchging, im Bundeshaus öffentlich über die intellektuellen Fähigkeiten von Abgeordneten mokiert, weil man es einfach nicht glauben kann, daß es auch anders geht. Jetzt unterstelle ich einmal - und alle meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß mögen mir das von vornherein verzeihen -, daß die Haushaltspolitiker vom intellektuellen Habitus her es schwer haben, zu neuen Einsichten zu gelangen. Dann liegt es aber immer noch an der Intelligenz der Fordernden, uns von ihren Vorstellungen durch stichhaltige Argumente zu überzeugen. So einfach und so schwierig ist Demokratie. ({17}) Das Parlament ist ja schließlich nicht dazu da, Wünsche zu notieren und zu erfüllen, sondern es setzt aus seiner gesamtpolitischen Verantwortung heraus die Daten des Möglichen. Das muß wieder mal etwas deutlicher werden. ({18}) Aber ich möchte all denen, die im Haushaltsausschuß nicht voll zum Zuge gekommen sind, versichern: es lag nicht an unserer unterentwickelten Einsichtsfähigkeit, sondern an unserer haushaltspolitischen Verantwortung, die wir für das Ganze tragen. Das Engagement vieler Institutionen und Persönlichkeiten in unserem Lande an der Weiterentwicklung wissenschaftlicher, sozialer und politischer Probleme ist ausdrücklich zu begrüßen; aber es sollte nicht in ein Sendungsbewußtsein umschlagen, welches die Frage außer acht läßt, wer denn das alles eigentlich noch bezahlen soll. ({19}) Das Ganze, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann natürlich nur existieren, wenn die Teile zu ihrem Recht kommen; aber die Teile kommen nur zu ihrem Recht, wenn das Ganze stimmt. ({20}) Wer in Zeiten, in denen es auf eine maßvolle Rückführung der Nettokreditaufnahme in erster Linie ankommt, Forderungen in Form und Höhe stellt, die sich nicht erfüllen lassen, beweist damit, daß er keinen Blick für das Ganze hat. Er muß nachdrücklich daran erinnert werden, daß er nicht nur Verantwortung für seinen Teilbereich trägt. Das geschieht am besten, indem man die hohen Erwartungen etwas verkürzt. Am besten wäre es, wer Neues fordert, sollte den Deckungsvorschlag gleich mitliefern. ({21}) Danach ist der Haushaltsausschuß in diesem Jahr verfahren. Damit hat er den maßvollen Konsolidierungskurs der Bundesregierung unterstützt. So hat er rund 2,2 Milliarden DM gekürzt, hat allerdings unabweisbare Mehrausgaben in Höhe von 1,4 Milliarden DM beschlossen, so daß saldiert nur etwas über 800 Millionen DM an tatsächlichen Einsparungen übrigbleiben. Diese Einsparungen und die Einnahmeerhöhungen von 3,1 Milliarden DM, insbesondere bei den Steuern, ermöglichen es, die Nettokreditaufnahme von 28,1 Milliarden DM auf 24,2 Milliarden DM zu senken. Die Arbeit des Haushaltsausschusses hat es also ermöglicht, die bereits erwähnten 1,4 Milliarden DM an zusätzlichen, notwendigen Ausgaben ohne eine weitere Erhöhung der Schuldenaufnahme in den Haushaltsplan einzustellen. An diesem Beispiel wird klar und deutlich, was wir meinen, wenn wir sagen: Wer jetzt spart, schafft dem Bund neuen finanzpolitischen Spielraum, den er vielleicht bald wieder in stärkerem Maße benötigen wird. ({22}) - Aha". Über die Haltung der Opposition zu den Sparvorschlägen der Koalition ist in dieser Debatte schon einiges gesagt worden. Ich möchte deshalb nicht auf Einzelheiten eingehen. Aber eins darf ich sagen - und das hat mich tief betrübt -: Wenn partikuläre oder andere Sonderinteressen von der Kürzung berührt werden sollten, haben Sie mehr als einmal nicht mitgemacht, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion. Das stimmt bedenklich. Ihre eigenen Sparvorschläge beziehen sich überwiegend auf Schätzansätze bei Ausgabetiteln für gesetzliche Leistungen und natürlich auf die globale Minderausgabe. Das waren überwiegend keine Sparvorschläge, sondern bestenfalls war das haushaltspolitische Schminke. Sie wissen ja, wie das mit der Schminke ist: Man erscheint durch sie schöner, aber man wird nicht schöner. Wer sparen will, muß nein sagen können. ({23}) Wer über eine unangemessen hohe globale Minderausgabe das Nein-sagen dem Finanzminister überlassen will, hält sich zwar selbst politischen Ärger vom Leib, aber gleichzeitig gibt er eines der klassischen Rechte des Parlaments - das „Königsrecht", wie es Herr Kohl einmal genannt hat -, nämlich das Budgetrecht, zur Ausübung bei der Regierung ab. Das kann für unsere Demokratie auf die Dauer nur schädlich sein. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat in einem Gutachten, das dankenswerterweise der Vorsitzende des Haushaltsausschusses in Auftrag gegeben hat, diese Auffassung zu meiner großen Genugtuung im wesentlichen bestätigt. Lassen Sie mich einen Satz zur Struktur des Haushalts sagen und dann zu einem speziellen Thema übergehen. Von den rund 214 Milliarden DM des Haushalts werden 115 Milliarden DM als Zuweisungen und Zuschüsse weitergegeben. Das heißt, das sind eigentlich nur durchlaufende Posten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen?

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, ja.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, können Sie nach Ihrer Kritik an der globalen Minderausgabe erläutern, warum Sie eine globale Minderausgabe im Einzelplan 30 beantragt haben?

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich kann ich das erläutern, sehr geehrter Herr Kollege Stavenhagen. Ich bin mir natürlich völlig darüber im klaren - und das macht die Ehrlichkeit eines Politikers aus -, daß man zwar Grundsätze haben muß, daß man diese Grundsätze in der Politik aber nicht an jedem einzelnen Punkt durchsetzen kann. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten uns alle miteinander darüber verständigen können, an einer ganz bestimmten Stelle zu sparen. Aber Sie wissen ja, wie das ging. ({0}) 115 Milliarden DM sind also praktisch ein durchgehender Posten, der weitergereicht wird. Darin stecken auch die Subventionen. Lassen Sie mich jetzt ein Wort zu den vielgeschmähten Subventionen sagen. Wenn man die Einstellung zu den Subventionen gerecht beurteilen will, muß man auf Mund und Hand zugleich achten. Der Mund spricht sich nämlich gegen Subventionen aus, und die Hand streicht die Subventionsbeträge gelassen ein, und zwar in jeder beliebigen Höhe, möglicherweise kann es sogar noch etwas mehr sein. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist vergleichbar mit der Haltung eines Mannes, der sich mit einer attraktiven Frau ständig amüsiert, um sie anschließend als „loses Mädchen" in aller Offentlichkeit zu diffamieren. So handelt kein Kavalier. Wer nimmt, soll zumindest schweigen und nicht noch kritisieren, daß er nimmt. Meine Fraktion bemüht sich, einen ganz konkreten Vorschlag zum Abbau einiger Subventionen zu erarbeiten. Ich weiß, wie schwer das schon im Rahmen unserer Fraktion ist. Aber wenn dieser Vorschlag vorliegt, dann werden wir ja sehen, wie weit der Weg vom Wort zur Tat bei denen ist, die im Verbalen stark, aber im Handeln schwach sind. Uber die Subventionen für die Kohle ist in dieser Woche schon viel gesagt worden. Wie, meine Damen und Herren, stünden wir heute da, wenn wir unseren Kohlenbergbau hätten verkommen lassen! ({1}) Heute haben wir den modernsten Abbau im Steinkohlentiefbergbau; das ist ein Fachwort, das mir der Kollege Schmidt aufgeschrieben hat, sonst hätte ich es so gar nicht hingebracht. Obwohl wir unsere Kohle unter schwierigsten Bedingungen fördern müssen, ist unser Kohlenbergbau am leistungsfähigsten. Das wäre ohne die Hilfe des Staates nicht möglich gewesen. Das hätten die Marktkräfte, die vielbeschworenen, beim besten Willen nicht geschafft. Das müssen wir sehen. ({2}) Als eines der wohlhabendsten Länder der Erde haben wir auch im Rahmen internationaler Verpflichtungen Hilfe zu bieten. In diesem Bereich werden bereits in der nächsten Zeit erhebliche Risiken auf uns zukommen. Ich erinnere nur an die Finanzsituation innerhalb der EG. Unser finanzelles Engagement in der Europäischen Gemeinschaft wird durch die Erweiterung dieser Gemeinschaft durch drei Mittelmeerstaaten stärker werden müssen. Dennoch wollen wir uns nicht beklagen, weil die europäischen Demokratien durch die solidarische Europäische Gemeinschaft gestärkt werden. Und das ist gut für die internationale Politik. Jedoch darf nicht der finanziell verhängnisvolle Weg fortgesetzt werden, wichtige wirtschaftliche Ressourcen zur Füllung kostspieliger Lager zu verwenden, Lager, die wir nur dann leeren können, wenn wir ca. auf vier Fünftel des Preises verzichten, wie es bei der Butter der Fall ist. In diesem Zusammenhang möchte ich auch unsere Verpflichtungen gegenüber der Dritten Welt erwähnen. Frau Kollegin Simonis hat in ihrem Beitrag dazu schon einiges gesagt, was ich voll unterstreiche. Wenn es Frieden geben soll, müssen Hunger, Not und Elend weitgehend gebannt werden. Bei den armen Völkern darf nicht der Eindruck entstehen, hinter den Friedensbemühungen der Industriestaaten könnte die Absicht stehen, die Verteilung der Güter auf dieser Welt so zu belassen, wie sie gegenwärtig ist. ({3}) Die Spaltung in Satte und Hungrige auf dieser Welt ist ein genauso den Frieden bedrohendes Problem wie die staatliche Spaltung einiger Völker dieser Erde. ({4}) Da wissen wir Deutschen ja, wovon wir reden. Hier werden wir in Zukunft verstärkt Hilfe leisten müssen. Der Bundestag hat mit dem Haushalt 1980 ein Zeichen gesetzt, indem er den Entwicklungshilfeetat um über 100 Millionen DM aufgestockt hat. Die vielfältigen Aufgaben, die ich hier alle gar nicht beschreiben kann, vor denen die Haushaltspolitik in den nächsten Jahren stehen wird, setzt eine strenge Prioritätensetzung voraus. Wir können nicht mehr alles bewerkstelligen, und das möglichst noch in höchster Perfektion. Die Wahrnehmung unserer internationalen Verpflichtungen, Hilfe für die Dritte Welt, eine teure Familienpolitik, perfekte Bekämpfung des Straßenlärms, jedes Jahr neue Stellen im öffentlichen Dienst bei gleichzeitigen Plänen für eine drastische Steuersenkung ({5}) und dem Zwang, die jährliche Neuverschuldung abzubauen, das alles wird nicht bezahlbar sein. ({6}) Wir müssen die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit genau beachten, damit auch morgen noch das politisch Notwendige möglich bleibt. Ich sage das mit allem Ernst, und ich glaube, jeder hat verstanden, daß ich das an alle Seiten dieses Hauses gesagt habe. ({7}) - Ja, Sie müssen sich den Bart schneiden lassen, damit Ihre Worte etwas klarer aus dem Mund kommen. ({8}) Die jährliche Zinszahlungen steigen stark an. Über den negativ zu beurteilenden Umverteilungseffekt, der damit verbunden ist, haben mehrere Redner gesprochen, dankenswerterweise - möchte ich sagen - auch zwei Redner der Opposition, nämlich die Kollegen Schröder und Windelen. Zinsen in Höhe von über 10 Milliarden DM fließen in die Taschen derjenigen, die Geldübrighaben, um es anderen leihen zu können. Das ist für Sozialdemokraten ein Faktum, über das wir sehr ernsthaft nachdenken sollten. Aber so sieht es nun auch nicht aus, wie es, glaube ich, am vorigen Sonntag eine Sonntagszeitung geschrieben hat, die für sich in Anspruch nimmt, daß sie immer dabei ist. Sie war z. B. auch dabei, als ein Baby geboren wurde, und mußte nun feststellen, daß dieses Baby schon bei seiner Geburt 7 000 Mark Staatsschulden abzutragen hat. Es ist ganz schlimm für das arme, kleine Baby, schon 7 000 Mark Schulden zu haben und noch nicht einmal 24 Stunden alt zu sein. ({9}) Das Blatt hat nur vergessen, zu erwähnen, daß dieses Baby in ein Land mit vorzüglicher Infrastruktur, mit einer Gesellschaft, die ein Höchstmaß an Sicherheit bietet, hineingeboren worden ist, mit einer Gesellschaft, die die Voraussetzung für die Wahrnehmung von Lebenschancen bei uns schon zu gut entwickelt ha,t und noch weiter gut entwickeln wird, daß dieses Baby trotz seiner 7 000 Mark Schulden eigentlich zu beglückwünschen ist, daß es in der Bundesrepublik Deutschland und nicht in einem anderen Lande geboren worden ist. ({10}) Das darf man natürlich nicht vergessen, wenn man über den Schuldenstand spricht. Die Redlichkeit gebietet es. ({11}) - Entschuldigen Sie, lieber Herr Kollege, Sie fühlen sich doch auch sehr wohl in der Bundesrepublik Deutschland, oder wollen Sie mit irgendeinem anderen tauschen? Wir tun hier alle so, als ob wir uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht wohlfühlten, als ob wir schon langsam unsere Koffer packten. Wir leben doch in einem guten Land. Dafür haben wir einiges getan. ({12}) Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 in sieben Punkten seine Politik für diese Legislaturperiode zusammengefaßt. Diese Politik dient dem Volke, und unsere Finanzpolitik dient dieser Regierungspolitik. Deshalb fällt es uns leicht - im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Windelen -, diese mit Erfolg in Angriff genommenen Maßnahmen Punkt für Punkt, an Hand einiger Beispiele, zu belegen. Sie Herr Windelen, sprachen davon, daß frühere Kanzler weniger versprochen, aber mehr gehalten haben. ({13}) Lieber Herr Windelen, meine eindringliche Bitte: Gucken Sie sich die Unterlagen genau an. Als Sie das sagten, habe ich daran gedacht: Wenn wir beide uns mal im Wahlkampf wiedertreffen ,sollten, blättere ich Ihnen einiges vor. Aber Sie können das, was ich dann sage - ({14}) - Mache ich doch, Herr Barzel. Die Opposition ist so nervös, daß sie mir immer nicht den Nebensatz gönnt. ({15}) Ich wollte gerade sagen, Herr Barzel: Das kann Herr Windelen im Protokoll nachlesen - Sie natürlich auch. ({16}) Der Kanzler sagte: Erstens. Wir wollen weiter den Frieden sichern .. . ({17}) Das ist unter anderem geschehen durch unsere Zustimmung zur Erweiterung der EG, durch die Einrichtung des Europäischen Währungssystems, durch das Rentenabkommen mit Polen, durch die verschiedenen Verkehrsvereinbarungen und Abkommen mit der DDR, ({18}) durch die jährliche Steigerung der Entwicklungshilfe, durch unseren Beitrag zur nationalen Verteidigung und zur NATO. Das alles zusammen wird von 1977 bis 1980 mehr als 207 Milliarden DM kosten. Der Kanzler sagte weiter: Zweitens. Wir wollen die Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen ... Das haben wir unter anderem getan durch konjunkturstützende und -stimulierende Finanzpolitik, durch eine starke Erhöhung der öffentlichen Kreditaufnahme, durch Einnahmenverzichte in Höhe von rund 50 Milliarden DM, überwiegend durch Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer. Das haben wir auch durch Sonderprogramme mit einem Ausgabenvolumen von mehr als 35 Milliarden DM getan. Das sind summa summarum 85 Milliarden DM. Dadurch hat sich das Investitionsklima ständig verbessert und damit wesentlich dazu beigetragen, die Arbeitslosen wieder in Beschäftigung zu bringen. Der Kanzler sagte: Drittens. Wir wollen den sozialen Frieden und unsere innere Sicherheit bewahren .. . Eine Fülle von Maßnahmen auf dem Gebiete des Rechtswesens sind ergriffen worden, aber auch Maßnahmen wie z. B. die Einrichtung der Unterhaltsvorschußkassen, die auch mit einigen hundert Millionen DM in den Jahren zu Buche schlägt. Der Kanzler sagte: Viertens. Wir wollen die soziale Sicherung gewährleisten .. . Hier ist es unter anderem gelungen, das Netz der sozialen Sicherheit trotz wirtschaftlicher Abschwächung zu gewährleisten und weiter auszubauen. So werden in den Jahren 1977 bis 1980 112 Milliarden DM an die Rentenversicherung, Knappschaft und an die Bundesanstalt für Arbeit geflossen sein. Darüber hinaus haben wir den Mutterschutz erweitert, wovon Sie, meine sehr verehrten Damen und. Herren, nur reden, Wohngeld und Kindergeld erhöht - zusätzliche Kosten dafür für 1979 und 1980: 5,7 Milliarden DM. ({19}) - Wenn Sie etwas Richtiges machen wollen, müssen Sie es auch richtig finanzieren können, und da hapert es bei Ihnen. Fünftens. Wir wollen - so sagte der Kanzler unser gutes Gesundheitswesen wirtschaftlicher machen .. . Die beschlossene Kostendämpfung im Gesundheitswesen zeigte 1977 erste sichtbare Erfolge. ({20}) Die Beitragssätze konnten 1978 stabil gehalten werden. Die jüngsten Kostensteigerungen werden mit Sorgfalt beobachtet. Sechstens. Wir wollen unserer Jugend Türen öffnen und gute Chancen in Bildung und Beruf bieten. Dem haben wir unter anderem Rechnung getragen durch Ausbau und Neubau von Hochschulen - gemeinsam mit den Ländern -, durch Verabschiedung des Hochschulzulassungsgesetzes, durch Neufassung des Graduiertenförderungsgesetzes und durch drei Novellen zum Bundesausbildungsförderungsgesetz. Kosten von 1977 bis 1980: 12 Milliarden DM. Der Kanzler sagte weiter: Siebtens. Wir wollen helfen, unsere Städte, Gemeinden und Landschaften lebenswert zu erhalten ... Das geschah durch stärkere Berücksichtigung des Umweltschutzes beim Bau von Fernstraßen, durch Stadtkernschutzgesetz, Baurechtsvereinfachungsgesetz, Pflanzenschutzgesetz, Gemeindefinanzreformgesetz, Abwasserabgabengesetz. Außerdem haben wir ein Chemikaliengesetz und das Lärmschutzgesetz auf den Weg gebracht. Kosten von 1977 bis 1980: rund 85 Milliarden DM. Nun nehmen Sie sich einen elektronischen Rechner, rechnen Sie das zusammen und setzen Sie es in Beziehung zu den Schulden, die wir in vier Jahren gemacht haben. Dann werden Sie feststellen, daß wir einiges für dieses Volk getan haben. Das Volk weiß das auch. ({21}) Das Volk weiß, daß es mit uns sicher in die 80er Jahre geht. Es weiß, daß die Opposition keine Alternative zu bieten hat, ({22}) es sei denn, sehr geehrter Herr Kollege von Wrangel, daß das Malen mit schwarzer Farbe demnächst zu einer Alternative in der Politik wird. Keine Aussicht! Glauben Sie es mir! ({23}) Ich möchte zum Schluß kommen. Es ist in dieser Debatte guter Brauch, Dank zu sagen. Ich danke vor allen Dingen den Mitarbeitern im Finanzministerium, vom Parlamentarischen Staatssekretär ab bis zum Boten, die uns zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung standen. Ich danke vor allen Dingen den Mitarbeitern des Haushaltsausschusses, aber auch den Mitarbeitern aller Fraktionen, die während dieser Haushaltsberatungen ebenfalls unter einem erheblichen Streß standen. ({24}) - Das steht hier auf dem Zettel, liebe Lilo Berger. Ich kann ja nun nicht allen mit einemmal danken. Ich danke vor allen Dingen auch dem Vorsitzenden, der mit sehr viel Ruhe und Gelassenheit, die ich mitunter bewundert habe, die schwierigen Verhandlungen geführt hat. ({25}) Ich wünsche Ihnen, sehr geehrter Herr Windelen, bei allem, was uns politisch trennt: Bleiben Sie nach wie vor so schön ruhig, denn sonst kommen wir in dem Laden nicht mehr zurecht. ({26}) Dank muß ich vor allen Dingen auch dem Finanzminister aussprechen, der ja von seiner Geburtslandschaft geprägt ist und deshalb über ein starkes Nervenkostüm verfügt. Daß ein Westfale schwach ist, Herr Windelen, habe ich bisher noch nicht erlebt. ({27}) Er verfügt über ein Nervenkostüm, das er in der jetzigen Situation brauchen wird. Wir Sozialdemokraten werden ihm helfen. Wir stehen zu ihm. ({28}) Herr Windelen hat gesagt: Dieser Haushalt ist Ausdruck Ihrer Politik ... Wenn er dort einen Punkt gemacht hätte, würde ich diesen Satz voll und ganz übernehmen. Dieser Haushalt ist Ausdruck unserer sozial verantwortlichen Politik. Deshalb werden wir ihm in namentlicher Abstimmung aus vollster Überzeugung zustimmen. ({29})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn auch ich für meine Fraktion dem Kollegen Windelen noch einmal ausdrücklich danke, dann nicht für seine heutige Rede, sondern für seine untadelige Geschäftsführung als Vorsitzender des Haushaltsausschusses. ({0}) In der heutigen Rede hat sich Herr Kollege Windelen um die traumhafte Finanzvergangenheit des Franz Josef Strauß verdient gemacht. ({1}) Franz Josef Strauß ist in der Tat für viele ein Traum, für sehr viele aber auch ein Alptraum. ({2}) Meine Damen und Herren, der in der dritten Lesung zur Schlußabstimmung vorliegende Haushalt 1980 wird den Aufgaben gerecht, die es in unserem Land und international zu bewältigen gibt. Wir finanzieren diesen Aufwand mit einer maßvollen Steigerungsrate von nur 5,5 % und führen das Finanzierungsdefizit des Bundeshaushalts auf fast 24 Milliarden DM zurück. ({3}) Die Sanierung der Staatsfinanzen hat damit Konturen angenommen. Jedenfalls ist ein erster Schritt getan. ({4}) Die künftige Entwicklung ist aber nicht ohne Risiken. Allerdings wird die Haushaltskonsolidierung 1980 durch Steuerbasteleien nicht mehr in Frage gestellt. Wie immer man den außerparlamentarischen Auftritt des Kanzlerkandidaten der Opposition beurteilen mag, eines ist jedenfalls klargeworden, daß die Opposition ihre für 1980 angekündigten Steuermaßnahmen nicht mehr weiterverfolgt. Gott sei Dank ist sie hier zur Einsicht gekommen. ({5}) Meine Damen und Herren, die Analyse der Schuldenproblematik hat die Opposition - heute auch Herr Kollege Windelen - immer wieder gern bestätigt. Aber sie hat sich eben nicht an der Entschärfung der tickenden Zeitbombe beteiligt, wie es Herr Kollege Biedenkopf in der ersten Lesung noch dringend empfahl. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wollten die Zeitbombe vielmehr zünden. ({6}) Wenn Sie diesen Plänen jetzt abschwören, dann wäre es eigentlich konsequent, daß der Bundesrat seine Steuervorlage zurückzieht. ({7}) Aber vielleicht liegt hierin der Grund, warum Franz Josef Strauß seine steuerpolitischen Verkündigungen nicht als bayerischer Ministerpräsident dem Deutschen Bundestag vorgetragen, sondern sich die Bundespressekonferenz als Forum dafür ausgesucht hat. Franz Josef Strauß möchte eben alle Rollen spielen und all seinen Rollen gerecht werden. Wenn er sich allerdings als Polit-Rastelli versucht, muß er aufpassen, daß dabei nicht allzuviel zu Boden geht. Die nunmehr übereinstimmend für 1981 vorgesehenen steuerpolitischen Maßnahmen werden sich in erster Linie an der durch die Progressionswirkung verursachten Tarifproblematik zu orientieren haben. Für die familienpolitischen Leistungen wird sich der notwendige finanzielle Handlungsspielraum nur dann ergeben, wenn diese wichtige Aufgabe der Gesellschaft nicht nur allseitig beschworen, sondern auch finanziell als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden gelöst wird. Aus Gründen der Vereinfachung wäre es besonders erfreulich, wenn auch bei der Opposition die Bereitschaft bestehen sollte, zur Finanzamtslösung zurückzukehren. Aber wie immer die Lösung der steuerpolitischen Maßnahmen später im einzelnen auch aussehen mag, das jetzt von allen Fraktionen als vordringlich anerkannte Ziel der Haushaltskonsolidierung muß Vorrang behalten. ({8}) Für den Haushalt 1980 liegen die Gefahren eher in der Ölpreiserhöhung. Die Förderländer haben wieder zugeschlagen. Die Wirtschaft wird erneut belastet und der Verbraucher wiederum gebeutelt. Verschärfen kann sich der Problemdruck noch durch eine Zuspitzung der internationalen Lage. Insbesondere im Iran verbinden sich Nationalismus und religiöser Fanatismus zu einer gefährlichen irrationalen Bewegung. Die behutsame Reaktion der Vereinigten Staaten auf das Geiseldrama von Teheran und die helfende Solidarität der Partner in der Europäischen Gemeinschaft und im Bündnis mögen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß man auch im Iran wieder zu den international anerkannten Grundsätzen der Zusammenarbeit zurückfindet. Es liegt jedenfalls im Interesse aller, daß die Spannungen nicht noch weiter eskalieren und auf andere Regionen übergreifen. So wie die Bundesregierung ihren Beitrag zur Überwindung dieser Herausforderung leistet, so bemüht sie sich auf dem internationalen Feld ganz allgemein um Konfliktabbau, ohne dabei die sicherheitspolitischen Erfordernisse außer acht zu lassen. Auch durch die auf Westeuropa und besonders die Bundesrepublik gerichtete Propagandakampagne der Sowjetunion haben wir uns nicht von den Entscheidungen abbringen lassen, die uns der Warschauer Pakt mit seiner Überrüstung aufgezwungen hat. Wir stellen aber ein Verhandlungsangebot zur Abrüstung daneben. Niemand in der Welt kann ernsthaft daran zweifeln, daß die Friedenssicherung der bestimmende Faktor unserer Politik ist. Unsere Außen-, Deutschland- und Sicherheitspolitik ist, für alle erkennbar, in den Dienst der Entspannung gestellt. Diese Politik der Bundesregierung entspricht genau den elementaren Bedürfnissen der Bevölkerung, und das ist das Verlangen nach Frieden und Freiheit. Freiheit der Persönlichkeit und Würde des Menschen dürfen nicht nur für unsere unmittelbare Umgebung zum Orientierungsmaßstab werden. Solange Hunger und Arbeitslosigkeit die Chancen der Menschen in den Entwicklungsländern mindern, haben wir die Verpflichtung, mit Nachdruck an der Beseitigung materieller Not mitzuwirken. Gerade die Bundesrepublik Deutschland muß daran interessiert sein, daß die Entwicklungsländer als weltwirtschaftliche Partner heranwachsen können. Deshalb sprechen sich auch die Sachverständigen für eine konsequente Entwicklungshilfe zugunsten der Länder aus, deren Exportbasis noch sehr schwach ist und die noch wenig Anziehungskraft auf private Kapitalgeber ausüben. Das bestätigt aber genau die Marschrichtung der Freien Demokraten in der Entwicklungshilfe. Die CDU/CSU führt zwar lautstark Klage darüber, daß wir noch so weit von der Erreichung des 0,7 %-Zieles entfernt sind, aber die konkreten Schritte dorthin geht sie nicht mit uns. Den gleichen Widerspruch erlaubt sich die Opposition auch in den Kernfragen der Deutschlandpolitik. Nette Bekenntnisse zur Einheit der Nation oder zur Entspannung im allgemeinen werden unisono dort konterkariert, wo es um handfeste Politik geht, um Verhandlungen und Abmachungen, die der Verständigung zwischen den Staaten in West- und Osteuropa und den Menschen in Deutschland dienen. ({9}) Diese destruktive Form der Deutschlandpolitik hat durch Franz Josef Strauß beim Thema Nationalstiftung einen neuen Höhepunkt bekommen. Nachdem sich Bund und Länder darin einig waren, daß sich die Gründung einer Deutschen Nationalstiftung in Berlin gegenwärtig nicht verwirklichen läßt, fanden sie eine politisch faire Zwischenlösung. Ohne den Plan der Deutschen Nationalstiftung aufzugeben, verständigte man sich zur Förderung bedeutsamer Projekte aus Kunst und Kultur auf eine verfassungskonforme Lösung. Dieser Pakt der Vernunft war dem bayerischen Ministerpräsidenten offensichtlich ein Dorn im Auge. Um erneut seinen Führungsanspruch zu demonstrieren, desavouierte er die Ministerpräsidenten Stoltenberg und Vogel. Leider hat die Union auch diesmal den Querschuß aus Bayern nicht abgewehrt. Ein Stück gerade zurückgewonnener Gemeinsamkeit geht damit wieder verloren. Es ist peinlich und entlarvend, wie die Opposition in der zweiten Lesung mit ihrem Änderungsantrag zur Zweckbestimmung der Förderung bedeutsamer Kulturvorhaben den Kotau vor Franz Josef Strauß vollzog. ({10}) Die Freien Demokraten werden auch weiterhin darum ringen, daß verstärkte Zusammenarbeit, erHoppe weiterte Kontakte und zunehmender Austausch zwischen den Ländern und Menschen in ganz Europa wichtige Stützen für Frieden und Stabilität bleiben. Ich möchte nun noch einige wichtige Einzelthemen der Haushaltspolitik ansprechen. Zunächst eine Bemerkung zu den Personalkosten, die auch der Kollege Windelen hier in seinem Beitrag angesprochen hat. Auf das beachtliche Ergebnis der Beratungen der Personalkommission des Haushaltsausschusses habe ich schon in der zweiten Lesung hingewiesen. In der Tat muß beim Verlangen nach neuen Planstellen stets der Rotstift bereitliegen. Es ist nämlich sehr zweifelhaft, ob die Leistungskraft des öffentlichen Dienstes tatsächlich durch große Stellenvermehrungen gesteigert wird; häufig werden mit ihnen eher Reibungsverluste und Ärgernisse eingebaut. In einem Augenblick, in dem den Staatsfinanzen eine Schlankheitskur verordnet wurde, mußte verhindert werden, daß der öffentliche Dienst Fett ansetzt. Denn der gewaltig zu Buche schlagende Personalaufwand ist sowieso nur noch sehr schwer zu zügeln. Der Personalkostenanteil der öffentlichen Haushalte ist beträchtlich und darf sich nicht wie ein Ölteppich aus einem leckgeschlagenen Tanker weiter ausbreiten. Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir die Pflicht, kritisch und genau zu sein. Das kann wirksam nur bei der Entscheidung über neue Stellen geschehen. Was wir hier durch Lässigkeit oder Gefälligkeit versäumen, ist nicht wiedergutzumachen. ({11}) Letztlich kommt es darauf an, den öffentlichen Dienst so effektiv wie möglich zu halten. Wir müssen verhindern, daß sich bürokratische Enge einnistet und private Dynamik in unserem Lande erstickt wird. Der öffentliche Dienst muß für das erfolgreiche Prinzip der freien Marktwirtschaft aufgeschlossen bleiben. Er muß sich immer der Tatsache bewußt sein, daß er anderer Leute Geld verwaltet. Wir haben die Leistungen des Staates im Vergleich zu denen der Wirtschaft nicht veredelt zu sehen oder gar noch deshalb zu überhöhen, weil es bei der öffentlichen Hand nicht um Rentabilität, sondern allein um die Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger geht. Aus solchen verfehlten Erwägungen könnte die Expansion der öffentlichen Haushalte eine eigene Schubkraft erhalten, die für die Staatsfinanzen absolut unbekömmlich wäre. Schon jetzt nämlich sind die Ausgaben nicht immer nur dort gewachsen, wo der Staat eine Konjunkturbresche schlagen mußte. Vielfach gingen Maß und Ziel verloren. Besonders die öffentliche Bauwirtschaft hat hier eine wenig rühmliche Rolle gespielt. Das zum Musterfall einer grandiosen Fehlplanung avancierte Universitätsklinikum in Aachen ist ein aktuelles Beispiel. ({12}) Aber, meine Damen und Herren, es wäre falsch, einseitig die Exekutive zu kritisieren. ({13}) Monströse Bauten, Herr Schmitz, konnten immer nur dort errichtet werden, wo die Parlamente, die dafür zuständig waren, sie beschlossen hatten. ({14}) Die öffentliche Armut hat sich zwar herumgesprochen, aber niemand will sich danach richten. Wir müssen alle zusammen wieder bescheidener werden und dürfen uns nicht mehr an großen Plänen berauschen. Lassen Sie mich noch ein Wort zur Umweltpolitik sagen. Sie ist eine übergeordnete Aufgabe, die in alle Lebensbereiche eingreift. Verantwortungsvolle Umweltpolitik soll für die künftigen Generationen eine Lebensqualität sichern, die eine solche Bezeichnung auch tatsächlich verdient. Deshalb müssen die wirtschaftlichen Entscheidungen den ökologischen Gegebenheiten gerecht werden. Eine Wirtschaftspolitik im Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft und eine wirksame Umweltpolitik sind für uns Liberale gleichermaßen Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft. Ziel ist die Sicherung der Existenz und die Ausweitung des Entfaltungsrahmens des Menschen. Die Forderung der FDP nach Durchsetzung des Gewässerschutzes in allen Bundesländern orientiert sich an diesem Ziel, und wir zollen der Bundesregierung Anerkennung dafür, daß sie in diesem Jahr für den Gewässerschutz über 800 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat. Die Freien Demokraten werden auch ihre Initiativen zur Verbesserung des Lärmschutzgesetzes, zur Verstärkung des Immissionsschutzes und zur Ausarbeitung eines ersten Bundeschemikaliengesetzes konsequent weiterverfolgen. Für uns bedeutet Umweltpolitik zugleich auch Sicherung der sozialen Stabilität. Eine Haushaltsdebatte muß mehr sein als nur eine Abrechnung mit dem politischen Gegner. Wir haben klare Antworten auf die Fragen zu geben, die die Gegenwart uns aufdrängt. Vor fast zwei Jahren beschrieb der damalige

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Wir sehen überall einen Zug ins Massenhafte, Riesige. Von den Wohnhäusern, den Schulen, den Universitäten, den Sportplätzen bis zu den Landkreisen wird alles größer. In der Masse aber fühlt sich der Mensch nicht geborgen. Die Grundnormen unserer Verfassung bleiben für den Bürger aber nur dann lebendig, wenn die Entscheidungsprozesse in Politik und Verwaltung für ihn durchschaubar sind und wenn sich die Ergebnisse am menschlichen Maß orientieren. Eine gegenteilige Entwicklung ist in allen Industrienationen zu beobachten, und sie macht sich auch bei uns breit, egal welche Partei in den einzelnen Bundesländern gerade regiert. Auch die oft beschworenen Sachzwänge sind häufig nicht mehr als ein Alibi für ein Anspruchsdenken, das fast schon zum festen Bestandteil unserer gesellschaftlichen Normen geworden ist. Doch bin ich dabei nicht ganz so sicher, ob in unserem Lande nicht bereits ein Prozeß der Besinnung und der Umkehr eingesetzt hat. Die Bereitschaft, Pflichten zu übernehmen, scheint zu wachsen. Es liegt an uns, die Bürger darin zu bestärken und ihre Mitwirkungsrechte und damit die Chancen zum praktischen Engagement auszubauen. Aber auch im Umgang miteinander haben wir uns um den Abbau von Aggressivität und um die Förderung der Toleranz zu bemühen. Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. In unseren Auseinandersetzungen droht das Freund-Feind-Denken immer stärker zu dominieren. Eine Verletzung nicht nur des guten Geschmacks, sondern auch des politischen Gegners wird häufig in Kauf genommen. Da sehe ich die Gefahr, daß der von Jahr zu Jahr unerbittlicher werdende politische Streit auf andere abfärbt und die Unduldsamkeit fördert. Gewiß heißt Politik betreiben auch Gegensätze herausstellen; aber beim harten Ringen um die bestmöglichen Entscheidungen müssen wir unsere politischen Konflikte so austragen, daß die Freiheit des Andersdenkenden respektiert wird. ({0}) Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten glauben, in der Haushaltspolitik unsere Pflicht getan zu haben. Wir können den Haushalt 1980 in der Überzeugung annehmen und ihm zustimmen, auf dem richtigen Kurs zu sein. ({1}) So wie bei der Erfüllung dieser Aufgabe werden wir uns auch in die Pflicht zur fairen politischen Auseinandersetzung nehmen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen, Herr Matthöfer.

Hans Matthöfer (Minister:in)

Politiker ID: 11001439

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser viertägigen Debatte hat die Opposition darauf verzichtet, dem Haushaltsentwurf der sozialliberalen Koalition eigene Vorstellungen gegenüberzustellen. ({0}) Sie hat statt dessen mit vielen Zitaten aus alten Zettelkästen versucht, das Vertrauen in die Solidität und Glaubwürdigkeit unserer Politik zu erschüttern. ({1}) Dieser Versuch ist gescheitert. ({2}) Herr Kollege Windelen, ich halte die Verschuldung nicht für unbedenklich; das wissen Sie. ({3}) - Ich bitte um Verständnis, wir wollen doch die Zeit einhalten. ({4}) Außerdem bitte ich, nachzulesen, was der Sprecher der Opposition nach meiner letzten Rede gesagt hat. ({5}) Er hat sich nämlich darüber beschwert, daß ich meinen Redefluß habe unterbrechen lassen. Diese Beschwerde möchte ich heute nicht aufkommen lassen. ({6}) Herr Kollege Windelen, ich halte, wie gesagt, die Verschuldung durchaus nicht für unbedenklich. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß gerade der Umverteilungsgesichtspunkt außerordentlich bedenklich ist. Gerade wegen dieser stattfindenden Umverteilung und wegen der Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung durch Zinszahlungen bin ich nicht bereit, auch nur eine einzige Mark mehr aufzunehmen, als zur Sicherung der Beschäftigung unbedingt erforderlich ist. ({7}) Aber so wie unser Wirtschaftssystem, ({8}) so wie unser Geldschöpfungs- und Liquiditätsschöpfungsprozeß organisiert sind, gibt es zur Sicherung der Beschäftigung und zur Erhaltung der Arbeitsplätze keine andere Möglichkeit, als Kredite aufzunehmen und sie in die Einkommenskreisläufe zurückzuschleusen. ({9}) Herr Kollege Windelen, so, wie Sie dieses Land beschreiben, beschreiben Sie doch nicht seine Wirklichkeit. Gucken Sie doch heute einmal in die Zeitung; nehmen Sie „Die Welt": „So viel Zuversicht wie schon lange nicht mehr"; dem deutschen Maschinenbau geht's gut; Kapazitäten ausgenutzt; Aufträge sehr gut. ({10}) - Christdemokraten, höret . die Signale der deutschen Industrie! Lesen Sie einmal, was das Institut der deutschen Wirtschaft heute im „Handelsblatt" in einem Bericht veröffentlichen läßt. Mit Zustimmung der Frau Präsidentin werde ich Ihnen, Herr Kollege Windelen, einmal einige Sätze vorlesen, damit Sie wenigsten aus dem „Handelsblatt" von heute etwas über die Wirklichkeit unseres Landes erfahren. Vor dreißig Jahren sei die Bundesrepublik ein zerstörtes Land gewesen, heute seien die Erzeugnisse der deutschen Industrie weltweit begehrt. Wohlgemerkt: dies alles 13 Jahre, nachdem die Sozialdemokraten in die Bundesregierung eingetreten sind - 13 Jahre danach! Nun hören Sie sich einmal das Ergebnis an: Kein Land, abgesehen von den USA, setze im Ausland mehr Waren ab als die Bundesrepublik ... ({11}) Die Bundesrepublik Deutschland sei der Welt größter Exporteur von Erzeugnissen des Maschinenbaus, der Chemie, der Automobil-, Kunststoff-, Möbel- und Textilindustrie ... ({12}) - Hören Sie zu, Herr Kollege Windelen! Gemessen am Bruttosozialprodukt je Einwohner sei die Bundesrepublik, so stellt das IW fest, mit 20 940 DM pro Jahr zum viertreichsten Land hinter der Schweiz, Dänemark und Schweden, - ich füge ein: die - das betrifft die beiden zuletzt genannten Länder - schon länger von Sozialdemokraten regiert werden aber noch vor Norwegen, Belgien und den USA aufgestiegen. Sichtbarer Ausdruck des gestiegenen Lebensstandards der Bevölkerung ({13}) sei die Ausstattung mit Gütern des gehobenen Bedarfs. Von 100 Arbeitnehmerhaushalten besäßen 95 ein Fernsehgerät ..., 91 eine Waschmaschine, .. . ({14}) Das Netz der sozialen Sicherung, das in der Welt als vorbildlich gelte, sei immer fester geworden .. . So das Institut der deutschen Wirtschaft. Weiter: Die durchschnittliche Altersrente nach 45 Versicherungsjahren sei ... auf 1 134 DM ... und zugleich von 64 % auf 75 % des Nettoverdienstes ... gestiegen. ({15}) - Sie wollen die Beschreibung der Realität dieses Landes nicht hören. ({16}) Wenn Sie sie schon nicht erfahren, dann lesen Sie wenigstens heute im „Handelsblatt" die Feststellungen des Instituts der deutschen Wirtschaft. ({17}) - Vielleicht diesen einen Schlußsatz noch, wenn Sie schon nicht zuhören können: ({18}) '72 % der Arbeitnehmer ... - deren Mitbestimmungsrechte das Deutsche Industrieinstitut, wie es früher geheißen hat, als vernünftig bezeichnet ({19}) bezeichnete sich als „sehr" oder „eher glücklich". Dies ist die Realität unseres Landes. ({20}) Daß Sie sie nicht hören wollen und durch Zwischenrufe stören, ist ja Ihr Stil der Debatte. ({21})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger?

Hans Matthöfer (Minister:in)

Politiker ID: 11001439

Nein. Keine Zwischenfrage.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine Zwischenfrage. ({0})

Hans Matthöfer (Minister:in)

Politiker ID: 11001439

Das ist der Stil der Debatte, den Sie pflegen: durch Zwischenfragen den Fluß der Argumentation zu stören ({0}) und durch Riesenlärm zu versuchen, den Redner nicht zu Wort kommen zu lassen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Zurückhaltung und darum, den Redner wirklich reden zu lassen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Wir haben uns doch gegenseitig angehört. Tun Sie das auch gegenüber dem Bundesminister! ({0})

Hans Matthöfer (Minister:in)

Politiker ID: 11001439

Frau Präsidentin, ich will Ihnen wirklich nicht widersprechen. ({0}) Aber es wäre übertrieben, zu sagen, die Opposition hätte die Argumente der Sozialdemokraten und Liberalen hier in diesen vier Tagen angehört. ({1}) Sondern die ganze Debatte hat sich doch so abgespielt, daß der Redner mit lauten Zwischenrufen gestört wurde ({2}) und daß auf Gegenargumente nicht eingegangen wurde. ({3}) Wir haben mit diesem Haushalt 1980 die Grundlage einer Politik vorgelegt, die unserem Volk auch im nächsten Jahrzehnt Sicherheit, Freiheit, Frieden, Vollbeschäftigung und wirtschaftliche Stabilität bringen wird, soweit dies in dieser unruhigen Welt irgendwie möglich ist. ({4}) Unser Volk hätte eigentlich ein Recht darauf gehabt, anläßlich des Ringens um die Verabschiedung dieses Haushalts von den bestimmenden politischen Kräften dieses Landes zu erfahren, wie Sie den kommenden Herausforderungen gerecht werden wollen, wie Sie die Schwierigkeiten und Risiken bewältigen wollen, wie Sie für unser Volk ({5}) Vorsorge für die 80er Jahre treffen wollen. Das ist alles nicht geschehen. Die sich noch verschärfende Ölkrise, die Arbeitslosigkeit in der ganzen Welt bei wachsenden Risiken für den freien Welthandel, die zunehmenden Spannungen und Unsicherheiten im Mittleren und Fernen Osten, Hunger und Elend in vielen Ländern, die Probleme eines labilen Weltwährungssystems, die unterschiedlichen Erwartungen und Möglichkeiten der Länder in der Europäischen Gemeinschaft und die der Länder vor ihrer Tür - das alles sind schwere Herausforderungen, die unser Land in den 80er Jahren meistern muß. Wir können ihnen nur begegnen, wenn wir den Bund handlungsfähig halten und finanzpolitisch solide ausstatten. Was die Opposition von uns verlangt, seien es Steuersenkungen oder sei es anderes, ({6}) ist mit dieser Notwendigkeit nicht zu vereinbaren. Im Gegenteil. Mit ihren unkoordinierten und unkontrollierten Ausgabewünschen und Forderungen nach gleichzeitigen Einnahmeverzichten gefährdet sie die Handlungsfähigkeit des Staates. Ich darf Ihnen mal nur aus dieser Debatte an Hand einer etwas längeren Liste von Beispielen in Erinnerung rufen, was Sie allein in diesen vier Tagen gefordert haben: Herr Strauß hat seine Forderung erneuert, daß wir auf die Rückzahlung der Entwicklungskostenzuschüsse für den Airbus verzichten sollen. Herr Kollege Wehner, Sie haben die damit verbundenen Ausführungen als ein Entrefilet bezeichnet. Ich habe dabei eher an „entre filous" denken müssen. ({7}) Herr Kohl hat sich auf die verschiedensten Anträge der CDU/CSU bezogen, die Familienpolitik, wie er es nennt, auf gesunde Füße zu stellen: 600 Millionen DM allein im Jahr 1980. Herr Hauser meint, wir müßten 1 Milliarde DM drauflegen, um das 3-%-Ziel der NATO zu erreichen. Herr Schulte fordert, beim Einzelplan 12 450 Millionen DM für den Umweltschutz draufzulegen. Kollege Feinendegen will unsere Pro-Kopf-Aufwendungen für Verkehrssicherheit an schwedischen Verhältnissen messen; Kosten: 150 Millionen. Herr Glos hat seine Forderungen zugunsten von Handwerk, Wirtschaft und Mittelstand vorsorglich so allgemein formuliert, daß man sie nicht quantifizieren kann. Mehr Geld wollen Sie auf jeden Fall, Herr Glos. ({8}) Herr Biedenkopf und Herr Strauß verlangen mehr Aufwendungen für die Vermögensbildung. Herr Gerstein fordert erhebliche Konsequenzen für den Bundeshaushalt aus einer noch offensiveren Politik für die Kohle. Herr Kollege Warnke hätte gern 100 Millionen DM mehr für die regionale Wirtschaftsförderung. Herr Schmitz fordert Zuwachsraten des Agrarhaushalts wie in Frankreich. Das würde mindestens 200 Millionen DM, wahrscheinlich 600 Millionen DM in diesem Jahre kosten, obwohl es unseren Bauern doch wirklich nicht schlecht geht. Die 50 Millionen DM, die er für die Unterglasbetriebe ausgeben will, will ich nur am Rande erwähnen. Ob es die Selbstverständlichkeit ist, mit der die Union die bruttobezogene Anpassung der Renten fordert, obwohl sie doch nicht müde wird, die Rentner zu verunsichern; ob es die Lippenbekenntnisse einiger für den Anteil von 0,7 % in der Entwicklungshilfe sind; ob es die Kritik an dem Abflachen der Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau ist; ob zu geringe Hilfen für die Sanierung der Städte oder die Verminderung des Straßenbaus kritisiert werden; ob es der Versuch der Kultusminister Maier und Herzog ist, die vom CSU-Kanzlerkandidaten verfügte Blockade des Bildungsgesamtplans jetzt den Finanzministern, und zwar allen Finanzministern, anzulasten, weil sie im Hinblick auf die demographische Entwicklung bei der Neueinstellung von Lehrern lieber etwas bedächtiger vorgehen wollen: es gibt keinen Bereich der Politik, in dem Sie nicht mit Forderungen nach mehr Ausgaben auftreten, ({9}) obwohl Sie gleichzeitig nicht solide finanzierbare Steuersenkungen und einen Abbau der Kreditaufnahme fordern. ({10}) Vor wenigen Tagen wurde der 9. Rahmenplan für die Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung beschlossen. Dieser Beschluß ist mit einer einzigen Gegenstimme zustandegekommen, mit der des Bundeslandes Bayern. Die bayerische Landesregierung hat diesen Rahmenplan aber nicht - ({11}) - Lieber Herr Kollege Probst, daß Sie Sehnsucht haben, Nostalgie nach den alten Zeiten von Sonthofen empfinden, kann ich Ihnen nachfühlen. Aber warum soll ich denn hier noch einmal die Zitate vortragen. Die haben doch in der Debatte eine ausreichende Rolle gespielt. Die bayerische Landesregierung hat diesen Rahmenplan nun nicht etwa deshalb abgelehnt, weil sie Subventionsabbau will. Im Gegenteil, die bayerische Landesregierung ist der Meinung, daß der Bund zu wenig für die regionale Wirtschaftsförderung in den Ländern ausgebe. Und was noch bemerkenswerter ist: Das Land Bayern hat zwar anerkannt, daß die Förderung von Forschung und Entwicklung für kleinere und mittlere Unternehmen - wichtiges Element der Politik dieser Bundesregierung erstmals kumulativ mit der Hilfe aus der regionalen Wirtschaftsförderung gegeben werden kann. Zugleich hat sie aber die Ablehnung damit begründet, daß entgegen ihrem Vorstoß keine Sonderförderung für hohe Personalkosten im Forschungs- und Entwicklungsbereich erfolge. Also auch hier die Forderung nach mehr Ausgaben! Die Deckungsvorschläge der Opposition für die Mehrforderungen sind nicht solide. Die Kürzungsvorschläge beschränken sich fast ausschließlich auf Schätzansätze und globale Ansätze. Mit diesen Vorschlägen bekomme ich keine einzige Mark mehr in den Haushalt. Rechtsverpflichtungen müssen doch auf jeden Fall erfüllt werden. Mit unrealistischen Schätzungen kann man keine zusätzlichen Ausgaben finanzieren. Der Haushaltsausschuß hat die Ansätze des Entwurfs bereits unter Berücksichtigung neuer Daten zum Teil erheblich vermindert. Weitere Abstriche an diesen Titeln sind nicht möglich, weil sie unrealistisch wären. Die vorgeschlagene Verminderung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit um fast eine halbe Milliarde DM, setzt eine wesentlich andere Arbeitsmarktlage voraus, als aus heutiger Sicht zu erwarten ist. Zum Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit muß die Bundesanstalt verstärkt alle ihr zur Verfügung stehenden arbeitsmarktpolitischen Instrumente einsetzen, um die Beschäftigungschancen der Arbeitnehmer zu verbessern und die etwa 130 000 zusätzlich ins Erwerbsleben eintretenden Personen beruflich einzugliedern. Dies ist der Widerspruch, den Sie niemandem begreiflich machen können: daß Sie grundsätzlich weniger Staat fordern; daß Sie dem Bürger versprechen, weniger Steuern und Abgaben zahlen zu müssen; daß Sie gleichzeitig aber die Leistungen der sozialliberalen Bundesregierung in der inneren und äußeren Sicherheit, in der Entwicklungshilfe, in der Bildung, im Wohnungsbau, im Verkehrswesen, in der Agrarpolitik und in der regionalen Wirtschaftsförderung als unzulänglich bezeichnen und ein ganzes Füllhorn von Versprechungen ausschütten. Gleichzeitig haben Sie auch in dieser Debatte wieder mit aus dem volkswirtschaftlichen Zusammenhang gerissenen Argumentationen die Kreditfinanzierung des Bundes kritisiert. Wir haben mit unseren Krediten Zukunftsinvestitionen finanziert. Wir haben die Lebensgrundlagen der jetzigen und der künftigen Generationen gesichert und nicht geschmälert; und dabei wird es auch bleiben. Wir haben eine vorausschauende Politik zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen, unseres Wohlstandes, der Arbeitsplätze, vor allen Dingen aber auch zur Sicherung der Zukunftschancen unserer Jugend betrieben. Wir haben für unsere Jugend die Bildungsmöglichkeiten verbessert und mitgeholfen, humane und leistungsfähige Arbeitsplätze zu schaffen. Auch hier darf ich Sie mal auf den Bericht des Industrieinstituts verweisen, wie z. B. die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle zurückgegangen ist oder wie sich in unserer Zeit die Arbeitsbedingungen verbessert haben. Mit Finanzierungshilfen in vielfältiger Form haben wir - zum Teil gemeinsam mit den Ländern - den Unternehmen im Stukturwandel geholfen, Forschung und Entwicklung gefördert, Innovation und Modernisierung vorangebracht und die Anstrengungen zur Energiesicherung und zum Ausbau des Umweltschutzes ständig erhöht. Wenn wir zur Finanzierung eines Teils dieser Zukunftsaufgaben auch Kredite aufgenommen haben, dann haben wir damit die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft erhöht, den Wohlstand unseres Volkes vermehrt und gleichzeitig die Zukunftschancen unseres Landes verbessert. ({12}) Wir sagen dem deutschen Volk, daß die 80er Jahre gewiß nicht leichter werden als das vergangene Jahrzehnt. Es wird nicht leichter sein, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, die Energie- und Rohstoffversorgung zu gewährleisten, den Zusammenhang der Europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten. Was sich z. B. gestern in Straßburg zugetragen hat, zeigt dies ganz anschaulich. Das Europäische Parlament hat den vom Ministerrat aufgestellten Entwurf des Gemeinschaftshaushalts 1980 abgelehnt und die Vorlage eines neuen Entwurfs verlangt. Ich bedaure, daß Parlament und Rat nicht zu einer Einigung kommen konnten; denn in der Zielsetzung, der Eindämmung der Agrarausgaben und der stärkeren Förderung der Strukturausgaben, stimmen beide überein. Unterschiedliche Auffassungen bestehen nur über den einzuschlagenden Weg. Ich bin zuversicherlich, daß 1980 bald eine Einigung über den Haushalt gefunden werden kann. Bis dahin braucht sich niemand zu beunruhigen. Die finanzielle Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft ist nicht gefährdet. Im Rahmen des Nothaushaltsverfahrens wird die Gemeinschaft ihre Leistungen erbringen und ihre Verpflichtungen erfüllen können. Es wird in den 80er Jahren nicht leichter werden, den weltweiten Strukturwandel zu bewältigen, damit die Ansprüche der Dritten Welt auf mehr eigene Arbeitsplätze, auf bessere Absatzmärkte erfüllt werden und wir bei hohem Lohn- und Gehaltsniveau für unsere Erzeugnisse neue Märkte erschließen können. Jeder wird seinen Beitrag leisten müssen. Unsere gemeinsame Aufgabe wäre es, dafür in unserem Volk Verständnis zu wecken, anstatt es mit unerfüllbaren Versprechungen und Träumereien vom schuldenfreien Staat zu verwirren. Die Belastung der Bürger mit Steuern, die am besten in der volkswirtschaftlichen Steuerquote auszudrükken ist, ist heute nicht höher als in den 50er und 60er Jahren. Für das kommende Jahr sind bereits 5 Milliarden DM an Steuersenkungen beschlossene Sache. Meine Damen und Herren, bei allen Gegensätzen in der Sache möchte ich zum Ende der Haushaltsberatungen allen Beteiligten in Regierung und Parlament für ihre Arbeit am Haushaltsentwurf sehr herzlich danken. Ich danke allen Mitgliedern dieses Hauses für ihre Beteiligung an der Beratung des Haushalts 1980, ganz besonders natürlich allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses, und auch Ihnen, Herr Vorsitzender, Herr Kollege Windelen, einen sehr herzlichen Dank für die viele Mühe, die Sie sich gegeben haben. ({13}) - Bitte schön, Herr Kollege Glos.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Glos, bitte.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, weil Sie gerade über die Beratungen des Haushaltsausschusses gesprochen haben, würde ich Sie bitten, hier doch die Aussage Ihres Sprechers Klemm zu dementieren, wonach der Haushaltsausschuß die Erhöhung der PS-Klassen für Minister und Staatssekretär bei ihren Dienstkarossen genehmigt habe. Das hat er nämlich nicht. ({0})

Hans Matthöfer (Minister:in)

Politiker ID: 11001439

Herr Kollege Glos, ich habe mich gerne auf die Zwischenfrage eingelassen, weil sie mir Gelegenheit gibt, Ihnen sehr herzlich zum Geburtstag zu gratulieren. ({0}) Ich werde erstens nachprüfen, ob er es gesagt hat, zweitens, ob es stimmt. Dann schreibe ich Ihnen gern einen Brief. Die Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß haben die Hauptlast der vorbereitenden Arbeit getragen. Mit Fleiß und Ausdauer haben sie es ermöglicht, daß dieser Haushalt, wie geplant, verabschiedet werden kann. Mein Dank gilt nicht zuletzt den Mitarbeitern des Ausschusses und der Fraktionen, vor allen Dingen auch den beteiligten Beamten der Bundesregierung in allen Ressorts, hier insbesondere selbstverständlich auch im Finanzministerium. Die Bundesregierung begrüßt die Bereitschaft des Bundesrates, den Haushalt innerhalb einer verkürzten Frist abschließend zu beraten. Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Dieser Haushalt und der Finanzplan sind eine gute Grundlage für die Politik der sozialliberalen Regierung im kommenden Jahr und im kommenden Jahrzehnt. ({1}) Damit setzt die Bundesregierung ihre auf Wachstum, Beschäftigung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ausgerichtete, den Wohlstand sichernde Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik der letzten Jahre fort. Wir verbessern die Wachstumschancen der Wirtschaft im Strukturwandel, sichern die Arbeitsplätze und verstärken die Bemühungen um den Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit. Das System der sozialen Sicherung, beispielhaft in der Welt, wird weiter gefestigt und gezielt ausgebaut. Es ist gemeinsam mit der vernünftigen Politik der Gewerkschaften Garant für den sozialen Frieden in unserem Land. Der Bundeshaushalt wird unseren zunehmenden internationalen Verpflichtungen gerecht. Wir werden uns weiter um Sicherung des Friedens und um weitere Entspannung bemühen. Wir stehen fest im westlichen Bündnis. Wir erhöhen unseren Beitrag zur Lösung der Probleme in der Dritten Welt. Mit diesem Haushalt stärken und sichern wir die Grundlagen für die Herausforderungen der 80er Jahre. Ich bitte den Deutschen Bundestag, dem Haushalt 1980 auch in dritter Lesung seine Zustimmung zu geben. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung in dritter Beratung. Ich bitte die Damen und Herren, bei den nun folgenden Abstimmungsvorgängen ihre Plätze einzunehmen, damit eine zuverlässige Übersicht über die Abstimmungsergebnisse möglich ist. Zum Einzelplan 09 liegt auf Drucksache 8/3493 ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Dieser Entschließungsantrag soll überwiesen werden. Wer damit einverstanden ist, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Überweisung an den Haushaltsausschuß ist einstimmig beschlossen. Zu Einzelplan 25 liegt auf Drucksache 8/3487 ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Dieser Entschließungsantrag soll ebenfalls dem Präsident Stücklen Haushaltsausschuß überwiesen werden. Wer dafür ist, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Überweisung ist einstimmig beschlossen. Zum Einzelplan 60 liegen auf den Drucksachen 8/3510 und 8/3511 zwei Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vor. Wer den beiden interfraktionellen Entschließungsanträgen zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Zwei Enthaltungen. Die Entschließungsanträge sind damit ohne Gegenstimmen angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung über das Haushaltsgesetz 1980. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich darf fragen, ob alle Mitglieder des Deutschen Bundestages, die ihre Stimme abgeben wollten, sie abgegeben haben. Es folgt noch ein letzter Aufruf. Ich frage zum letztenmal, ob alle Mitglieder des Deutschen Bundestages, die ihre Stimme abgeben wollten, diese Abstimmung auch vollzogen haben. - Ich stelle fest, daß kein weiterer Wunsch auf Verzögerung noch besteht. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses erfolgt die Regierungserklärung. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine Bemerkung. Da ich vermute, daß im Anschluß an die Regierungserklärung noch eine Debattenrunde erfolgt und die Zeit sehr knapp wird, damit Sie noch Ihre Abendtermine erreichen, möchte ich Ihnen bereits jetzt ein recht frohes und gesegnetes Weihnachten und ein glückliches neues Jahr sowie erholsame Tage im Kreise Ihrer Familie wünschen. Kommen Sie im neuen Jahr gesund mit frischem Arbeitswillen und frischer Arbeitskraft zurück! ({0}) Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Haushaltsgesetzes 1980, Drucksache 8/3398, liegt jetzt vor. An der Abstimmung haben sich 478 voll stimmberechtigte Mitglieder des Hauses beteiligt. Ungültig war keine Stimme. Mit Ja haben 249 und mit Nein 229 voll stimmberechtigte Abgeordnete gestimmt. Von den Berliner Abgeordneten wurden 20 Stimmen abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 10 und mit Nein ebenfalls 10 Berliner Abgeordnete gestimmt. Es gab keine Enthaltungen. Ergebnis Abgegebene Stimmen 478 und 20 Berliner Abgeordnete; davon ja: 249 und 10 Berliner Abgeordnete nein : 229 und 10 Berliner Abgeordnete Ja Dr. Ahrens SPD Amling Dr. Apel Adams Arendt Ahlers Augstein Baack Bahr Frau Dr. Balser Dr. Bardens Batz Dr. Bayerl Becker ({1}) Biermann Bindig Dr. Böhme ({2}) Frau von Bothmer Brandt Brandt ({3}) Brück Buchstaller Büchler ({4}) Büchner ({5}) Dr. von Bülow Buschfort Dr. Bußmann Collet Conradi Coppik Dr. Corterier Curdt Frau Dr. Czempiel Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. von Dohnanyi Dürr Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer Frau Eilers ({6}) Dr. Emmerlich Dr. Enders Engholm Frau Erler Esters Ewen Fellermaier Fiebig Dr. Fischer Flämig Frau Dr. Focke Franke ({7}) Friedrich ({8}) Gansel Gerstl ({9}) Gertzen Dr. Geßner Glombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack Haar Haase ({10}) Haehser Hansen Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Henke Heyenn Hoffmann ({11}) Hofmann ({12}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({13}) Jahn ({14}) Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Junker Kirschner Klein ({15}) Konrad Kratz Kretkowski Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lange Lattmann Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Dr. Linde Lutz Mahne Marquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Dr. Meinecke ({16}) Meinike ({17}) Meininghaus Menzel Möhring Müller ({18}) Müller ({19}) Müller ({20}) Müller ({21}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann ({22}) Neumann ({23}) Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo Paterna Pawelczyk Peiter Dr. Penner Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp ({24}) Rappe ({25}) Reuschenbach Rohde Rosenthal Roth Sander Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer ({26}) Dr. Schäfer ({27}) Scheffler Schirmer Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({28}) Schmidt ({29}) Schmidt ({30}) Schmidt ({31}) Schmidt ({32}) Schmidt ({33}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiber Schulte ({34}) Dr. Schwencke ({35}) Dr. Schwenk ({36}) Seefeld Sieler Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Sperling 15464 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 194. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14: Dezember 1979 Präsident Stücklen Stahl ({37}) Dr. Steger Frau Steinhauer Stockleben Stöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. Timm Tönjes Topmann Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak Dr. Vogel ({38}) Vogelsang Voigt ({39}) Walkhoff Waltemathe Walther Dr. Weber ({40}) Weisskirchen ({41}) Wendt Dr. Wernitz Westphal Wiefel Wilhelm Wimmer ({42}) Wischnewski Dr. de With Wittmann ({43}) Wolfram ({44}) Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Diederich ({45}) Dr. Dübber Männing Mattick Frau Schlei Schulze ({46}) Sieglerschmidt FDP Angermeyer Baum Cronenberg Eimer ({47}) Engelhard Ertl Gärtner Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Hölscher Hoffie Jung Kleinert Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Ludewig Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Merker Mischnick Paintner Schäfer ({48}) Schleifenbaum Schmidt ({49}) von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller Dr. Vohrer Dr. Wendig Wolfgramm ({50}) Wurbs Dr. Zumpfort Zywietz Berliner Abgeordneter Hoppe Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. van Aerssen Dr. Aigner Alber Dr. Althammer Dr. Arnold Dr. Barzel Bayha Dr. Becker ({51}) Frau Benedix-Engler Benz Berger ({52}) Berger ({53}) Besch Biechele Dr. Biedenkopf Biehle Blügel Dr. Blüm Böhm ({54}) Dr. Bötsch Braun Breidbach Broll Bühler ({55}) Burger Carstens ({56}) Conrad ({57}) Dr. Czaja Damm Daweke Dr. Dollinger Dreyer Engelsberger Erhard ({58}) Ernesti Erpenbeck Dr. Evers Ey Eymer ({59}) Feinendegen Frau Fischer Franke Dr. Friedmann Dr. Früh Dr. Fuchs Frau Geier Geisenhofer Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({60}) Gerstein Gerster ({61}) Gierenstein Haase ({62}) Haberl Dr. Häfele Dr. Hammans Handlos Hanz Hartmann Hasinger von Hassel Hauser ({63}) Hauser ({64}) Helmrich Dr. Hennig von der Heydt Freiherr von Massenbach Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({65}) Dr. Hornhues Horstmeier Dr. Hubrig Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger ({66}) Dr. Jahn ({67}) Dr. Jahn ({68}) Dr. Jenninger Dr. Jentsch ({69}) Dr. Jobst Josten Frau Karwatzki Kiechle Dr. h. c. Kiesinger Dr. Klein ({70}) Klinker Dr. Köhler ({71}) Dr. Köhler ({72}) Köster Dr. Kohl Kolb Krampe Dr. Kraske Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kunz ({73}) Lagershausen Lampersbach Landré Dr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs Dr. Lenz ({74}) Lenzer Link Lintner Löher Lücker Frau Männle Dr. Marx Dr. Mende Dr. Mertes ({75}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Mikat Dr. Miltner Dr. Möller Dr. Müller Müller ({76}) Dr. Müller-Hermann Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer Picard Pieroth Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer Rawe Reddemann Dr. Reimers Frau Dr. Riede ({77}) Dr. Riedl ({78}) Dr. Riesenhuber Dr. Ritz Röhner Dr. Rose Rühe Russe Sauer ({79}) Sauter ({80}) Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble Schartz ({81}) Schedl Schetter Frau Schleicher Schmidt ({82}) Schmitz ({83}) Schmöle Dr. Schneider Dr. Schröder ({84}) Schröder ({85}) Schröder ({86}) Dr. Schulte ({87}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seiters Sick Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark ({88}) Graf Stauffenberg Dr. Stercken Stommel Stücklen Stutzer Susset de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({89}) Vogt ({90}) Voigt ({91}) Volmer Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Frau Dr. Walz Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Wawrzik Weber ({92}) Weiskirch ({93}) Dr. von Weizsäcker Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({94}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissebach Wissmann Dr. Wittmann ({95}) Dr. Wörner Präsident Stücklen Baron von Wrangel Frau Berger ({96}) Würzbach Dr. Gradl Dr. Wulff Kittelmann Dr. Zeitel Kunz ({97}) Ziegler Luster Dr. Zimmermann Müller ({98}) Zink Frau Pieser Straßmeir Berliner Abgeordnete Amrehn fraktionslos Bahner Dr. Gruhl Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit ist das Haushaltsgesetz 1980 angenommen. ({99}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt III auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der Herbst-Ministerkonferenz der NATO in Brüssel Das Wort zur Abgabe dieser Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Mittwoch dieser Woche sind die Verteidigungs- und die Außenminister des westlichen Bündnisses in Brüssel zusammengekommen. Die Bundesregierung war durch den Bundesminister der Verteidigung, Herrn Kollegen Apel, und mich vertreten. Seit gestern beraten die Außenminister im Rahmen der diesjährigen Herbsttagung. Die Entscheidungen, die in diesen drei Tagen gefällt wurden, sind von großer politischer Tragweite. Ich habe die Sitzung nach Abschluß der substantiellen Beratungen verlassen, um dem Deutschen Bundestag unmittelbar und vor Ende seiner diesjährigen Beratungen berichten zu können. Das Kommuniqué über die Sitzung in Brüssel ist noch nicht veröffentlicht. Ich kann deshalb darauf im einzelnen auch nicht Bezug nehmen. Die Entscheidungen, die in Brüssel zu treffen waren, sind in mehreren Sitzungen des Bundessicherheitsrats, der Bundesregierung, des Deutschen Bundestages und seiner Ausschüsse beraten worden. Ich erinnere u. a. an die Bundestagsdebatten am 8. und 9. März und am 4. Juli 1979, an die gemeinsame Sitzung des Außenpolitischen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 17. Oktober und schließlich an die Aussprache über den Haushalt des Bundeskanzlers am Dienstag dieser Woche, in der ich zuletzt und unmittelbar vor meiner Abreise den Deutschen Bundestag über die Absichten der Bundesregierung unterrichtet habe. Wenn ich die Diskussion in den politischen Parteien, in den Fraktionen des Deutschen Bundestages und in der deutschen Offentlichkeit einbeziehe, so kann gesagt werden, daß in unserem Lande eine nationale Debatte über das Für und Wider und über den Inhalt der jetzt getroffenen Entscheidungen stattgefunden hat. In dieser Diskussion haben die Auffassungen anderer Partnerstaaten des Bündnisses ebenso eine Rolle gespielt wie offizielle und offiziöse Meinungsäußerungen aus den Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, vor allem aus der Sowjet. union. Diese öffentliche Diskussion machte es der Bundesregierung möglich, die von ihr zu treffenden schwerwiegenden Entscheidungen, die sich niemand leichtgemacht hat, immer wieder an allen unterstützenden und an allen ablehnenden Argumenten zu messen und zu prüfen. Diese öffentliche Entscheidungsvorbereitung ist keine Schwäche. Sie ist eine Stärke unserer Demokratie. Verantwortungsvolle Zustimmung wie verantwortungsvolle Kritik waren für die Bundesregierung in gleicher Weise für ihre Meinungsbildung wertvoll. Drohungen von außen wurden mit Bestimmtheit zurückgewiesen. Sie haben ihre Wirkung auf die Bundesregierung verfehlt. Es besteht kein Zweifel, die öffentliche Diskussion ist ein wichtiges Element der Vertrauensbildung, das die westlichen Demokratien in die internationale sicherheitspolitische Diskussion einbringen. Das macht unsere Entscheidungen berechenbar; es sichert alle, die es angeht, vor Überraschungen. Die von außen nicht erkennbaren Entscheidungen, die dem Bau und der Stationierung des sowjetischen Bombers Backfire und der Rakete SS 20 vorausgingen, ließen dieses sicherheitspolitisch wichtige Element vermissen. Die Bundesregierung konnte sich als Ergebnis des Entscheidungsprozesses in allen wesentlichen Fragen der Bündnisentscheidung, und zwar sowohl bei der Nachrüstung wie den Verhandlungsangeboten, auf die Zustimmung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages stützen. Dieser Konsens erhöht das Vertrauen in die deutsche Sicherheitspolitik. Es erleichtert ihre praktische Durchführung. Die Bundesregierung läßt sich von den Grundsätzen des Harmel-Berichts der NATO aus dem Jahre 1967 leiten, der verteidigungspolitische Maßnahmen mit dem Bemühen um Entspannung und Rüstungskontrolle verbindet. Darin sind sich alle Bündnispartner einig. Wir geben das politische Signal, die 80er Jahre zu einem Jahrzehnt der Rüstungskontrolle zu machen. Wir appellieren an die Sowjetunion und an ihre Verbündeten, unsere Absichten ernst zu nehmen und ihren Beitrag zu leisten, damit die Rüstungsspirale gestoppt und schließlich zurückgedreht werden kann. ({0}) Die Völker Europas haben einen Anspruch auf Friedenssicherung und auf wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt durch Rüstungskontrolle und durch Abrüstung. Die Staaten der Dritten Welt haben ein Recht auf die so möglich werdende verstärkte Hilfe durch die Industriestaaten des Westens und des Ostens. Die Tatsache, daß die Staaten der NATO 1977 4,5 % ihres Bruttosozialprodukts, die Staaten des Warschauer Pakts dagegen 11,7 % für Rüstungen ausgaben, zeigt, wo die Rüstungslasten am meisten drücken. Die Tatsache, daß die westlichen Staaten 1978 30 Dollar pro Kopf der Bevölkerung, die Warschauer-Pakt-Staaten dagegen nur 1,6 Dollar pro Kopf an öffentlicher Hilfe für die Entwicklungsländer aufbrachten, ({1}) zeigt, wo hier der größere Nachholbedarf liegt. ({2}) Die Politik des Bündnisses ist darauf gerichtet, unsere Sicherheit durch Gleichgewicht auf einem möglichst geringen Niveau der Rüstungen zu schaffen, Mißtrauen abzubauen, die Rüstungslasten zu vermindern und damit auch zur Entwicklung der Dritten Welt beizutragen. In dieser umfassenden Zielsetzung sind sich alle Bündnispartner einig. Ich komme damit zu den Entscheidungen vom 12. und 14. Dezember 1979 im einzelnen. Die Entscheidung über die Modernisierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Europa, das Angebot, im Rahmen von SALT III über Mittelstrekkenwaffen zu verhandeln, und der amerikanische Entschluß, tausend nukleare Sprengköpfe aus Europa abzuziehen, werden von allen beteiligten Bündnispartnern getragen. Frankreich, das, seiner Stellung im Bündnis entsprechend, an der Entscheidung nicht teilnahm, hat Bedenken gegen diese Entscheidung nicht erhoben. Der von allen beteiligten Staaten gefaßte Beschluß unterstreicht, daß sie sich mit ihren sicherheitspolitischen Zielsetzungen in voller Übereinstimmung miteinander befinden und daß an der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Bündnisses kein Zweifel bestehen kann. Die Modernisierung der Mittelstreckenwaffen ist die angemessene Antwort auf die Beeinträchtigung des Gleichgewichts durch die sowjetische Vorrüstung bei den nuklearen Mittelstreckenwaffen. ({3}) Das Rüstungskontrollangebot will verhindern, daß sowjetische Vorrüstung und westliche Nachrüstung einen neuen Rüstungswettlauf einleiten. ({4}) Ein Aufschub oder eine Änderung des vorgesehenen Beschlusses hätte die Gefahren für das Gleichgewicht erhöht und die Aussichten auf erfolgreiche Verhandlungen gemindert. ({5}) Dänemark hat seinen Vorschlag, die Beschlußfassung um sechs Monate zu vertagen, vorgelegt, aber im Lichte der Diskussion die gemeinsame Entscheidung schließlich mitgetragen. Wir alle kennen die schweren Probleme, die sich für einige Regierungen im Bündnis ergeben. Um so höher ist das konsequente Festhalten an den für notwendig gehaltenen Beschlüssen der Allianz zu bewerten. Dem steht nicht entgegen, daß Belgien und die Niederlande Vorbehalte unterschiedlicher Art und unterschiedlicher zeitlicher Auswirkung hinsichtlich der Entscheidung über die Dislozierung auf ihrem Boden gemacht haben. Wir unterschätzen das Gewicht dieser Vorbehalte nicht; wir nehmen sie sehr ernst. Aber wir sind auch davon überzeugt, daß die übereinstimmende Einschätzung der Sicherheitslage eine Beeinträchtigung der Solidarität des Bündnisses verhindern wird. 108 Abschußvorrichtungen für Pershing II und 464 bodengestützte Marschflugkörper sollen in bestimmten europäischen Bündnisstaaten stationiert werden. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet das: 108 Pershing II und 96 Marschflugkörper. Das Vereinigte Königreich, Italien und die Bundesrepublik Deutschland haben schon jetzt der Dislozierung auf ihrem Boden, zu der es in drei bis vier Jahren kommen wird, zugestimmt. Das politische Ziel der Bundesregierung, unser Land nicht in einen singulären Status zu bringen, ist erreicht. Das ist für den Zusammenhalt des Bündnisses von grundsätzlicher Bedeutung. ({6}) Meine Damen und Herren, selten ist in der Allianz ein Beschluß so gründlich verhandelt worden wie der am 12. Dezember 1979 getroffene. Seine beiden Bestandteile wurden in der bestehenden sogenannten „High Level Group" und in der eigens geschaffenen „Special Group" im einzelnen erarbeitet. Die Regierungen der Mitgliedstaaten hatten die Möglichkeit, diese Arbeiten laufend zu beobachten und zu beeinflussen. Die Bundesregierung hat das genutzt, um ihre Vorstellungen von der festen Verbindung der Mittelstreckenwaffenmodernisierung mit dem Rüstungskontrollangebot durchzusetzen. Wir haben damit ein neues, den Vorstellungen des Harmel-Berichts entsprechendes Element in die Sicherheitspolitik eingebracht. ({7}) Wir alle waren uns in Brüssel der Tatsache bewußt, daß nur die feste atlantische Partnerschaft Sicherheit, Entspannung und Rüstungskontrolle in Europa garantieren kann. Die Entschlossenheit der Europäer, für ihre eigene Sicherheit einzutreten, darf nicht geringer sein als die Bereitschaft der Amerikaner, zur gemeinsamen Sicherheit beizutragen. ({8}) Das Verhandlungsangebot enthält die Aufforderung an die Sowjetunion, mit den USA über die Begrenzung von sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckenraketen zu verhandeln und in solchen Verhandlungen so bald wie möglich auf der Grundlage nachfolgender Grundsätze einzutreten, die wie die zur Bündnisposition gehörenden detaillierten Verhandlungsrichtlinien ein Ergebnis intensiver Konsultationen im Bündnis sind: Erstens. Jede künftige Begrenzung amerikanischer Systeme, die in erster Linie für den Einsatz als TNF bestimmt sind, soll von einer entsprechenden Begrenzung entsprechender sowjetischer Systeme begleitet sein. Zweitens. Über die Begrenzung von amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenwaffen soll Schritt für Schritt bilateral im Rahmen von SALT III verhandelt werden. Drittens. Das unmittelbare Ziel dieser Verhandlungen soll die Vereinbarung von Begrenzungen für amerikanische und sowjetische landgestützte Mittelstreckenraketensysteme sein. Viertens. Jede vereinbarte Begrenzung dieser Systeme muß mit dem Grundsatz der Gleichheit zwischen beiden Seiten vereinbar sein. Die Begrenzungen sollen daher in einer Form vereinbart werden, die de jure Gleichheit sowohl für die Obergrenzen als auch für die daraus resultierenden Rechte festlegt. Fünftens. Jede vereinbarte Begrenzung muß angemessen überprüfbar sein. Die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen, von denen wir hoffen, daß sie bald beginnen mögen, werden die Interessen der Bündnispartner der Amerikaner unmittelbar betreffen. Wir haben uns daher zusammen mit anderen Bündnismitgliedern für die Errichtung eines besonderen Konsultationsgremiums innerhalb der Allianz eingesetzt. Das wird den europäischen Bündnispartnern eine Mitgestaltungsmöglichkeit bei den Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion einräumen. Wir hätten uns gewünscht, daß das SALT II-Abkommen bereits vor der am 12. Dezember 1979 getroffenen Entscheidung im amerikanischen Senat Zustimmung gefunden hätte. ({9}) Wir bleiben davon überzeugt, daß SALT II einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung des Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West darstellt. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, daß dieses Abkommen bald in Kraft treten kann. ({10}) Bei den Mittelstreckenwaffen liegt es jetzt an der Sowjetunion, durch ihr Verhalten einen Rüstungswettlauf zu verhindern. Es gilt, was der Bundeskanzler am 4. Juli 1979 vor dem Deutschen Bundestag erklärte; daß die Nachrüstung um so niederiger sein kann, je größer unsere Fortschritte bei Rüstungskontrolle und Rüstungsabbau ausfallen. Zu diesen Fortschritten wird es aber nur kommen, wenn alle Bündnispartner ohne Einschränkung an allen Bestandteilen des gemeinsamen Beschlusses festhalten. Dazu sind auch in Zukunft Beharrlichkeit und Standfestigkeit erforderlich. Die rüstungskontrollpolitischen . Angebote der Brüsseler Tagung gehen aber über das Verhandlungsangebot für Mittelstreckenwaffen weit hinaus. Das Bündnis hat dem Vorschlag der Bundesregierung für ein Zwischenergebniss bei den Truppenreduzierungsverhandlungen in Wien zugestimmt, um damit diesen Verhandlungen einen neuen Im-. puls zu geben. ({11}) Im vergangenen Jahr war es in Wien als Folge einer ebenfalls von uns angeregten westlichen Initiative zu Annäherungen in zentralen konzeptionellen Fragen gekommen. Es ist aber bisher nicht gelungen, diese prinzipiellen Positionen in greifbare Ergebnisse umzusetzten, weil die östlichen Ausgangsdaten noch immer strittig sind. Eine Einigung über die Ausgangsdaten bleibt nach Auffassung aller Mitgliedsstaaten des Bündnisses unerläßliche Voraussetzung für Truppenverminderung. Der westliche Vorschlag für ein Zwischenergebnis sieht vor, als Grundlage für Reduzierungen der Phase 1 eine Einigung nur über sowjetische und amerikanische Daten zu erzielen. Das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer Einigung über die Gesamtdaten. Wenn ein Zwischenergebnis auf dieser Basis sozusagen im Modellversuch die prinzipielle Lösbarkeit der bisherigen Schwierigkeiten beweist, werden die Aussichten, auch zu einem Gesamtergebnis in Wien zu kommen, erheblich verbessert. Dieses Gesamtergebnis soll in der zweiten Phase erreicht werden. Hier bleibt es das Ziel, auf das sich alle Teilnehmer der Verhandlungen festlegen sollen, beim Personal der Landstreitkräfte eine datenmäßig nachprüfbare übereinstimmende kollektive Gesamthöchststärke zu vereinbaren. Wir begrüßen es, daß auch die Außenminister des Warschauer Pakts dem Kommuniqué vom 5. Dezember 1979 ihr Interesse an den Wiener MBFRVerhandlungen bekundet haben. In der Zurückziehung von sowjetischen Soldaten und Panzern aus der DDR sehen wir einen Schritt zum Abbau des bestehenden Ungleichgewichts. Zusammen mit dem Vorschlag für ein Zwischenergebnis wird ein Paket von begleitenden Maßnahmen vorgeschlagen, die die militärische Stabilität fördern, Vertrauen stärken und die umfassende Überprüfbarkeit eines Truppenreduzierungsabkommens sicherstellen sollen. Die begleitenden Maßnahmen, die vorwiegend auf Vertrauensbildung abzielen, d. h. auf die Ankündigung von Divisionsaktivitäten und die Einladung von Beobachtern dazu, sollen sich nicht nur auf Mitteleuropa erstrecken. Vertrauen ist im Grunde geographisch unteilbar. Dem muß die Weiterentwicklung von Maßnahmen zur Vertrauensbildung und Stabilisierung Rechnung tragen. Solche Maßnahmen sollen deshalb nicht auf den engen Raum der Reduzierungen beschränkt bleiben, sondern zur Vertrauensbildung in ganz Europa einen wesentlichen Teil des europäischen Territoriums der Sowjetunion einbeziehen. Außerdem soll vermieden werden, daß das MBFR- Gebiet zu einer Rüstungskontrollzone mit besonderem Status wird. Auch bei der KSZE-Folgekonferenz in Madrid 1980 werden vertrauensbildende Maßnahmen auf der Tagesordnung stehen. Wir wünschen, daß man sich bei dem Madrider Treffen über das Mandat für eine besondere Konferenz über Fragen der militärischen Aspekte der Sicherheit in Europa einigt. Das Mandat soll an dem französischen Vorschlag für eine Konferenz über Abrüstung in Europa ausgerichtet werden, ein Vorschlag, der von der geographischen Unteilbarkeit der Vertrauensbildung in Europa ausgeht und der für die erste Konferenzphase die Vereinbarung vertrauensbildender Maßnahmen vorsieht. Die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft - das darf ich hier nachtragen - haben durch ihre am 20. November 1979 ausgesprochene Zustimmung zu dem französischen Konferenzvorschlag ihren Willen zum Ausdruck gebracht, auch im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit am sicherheitspolitischen West-Ost-Dialog teilzunehmen. Wir, die Staaten des westlichen Bündnisses, wollen, daß sich das Madrider Treffen mit allen wichtigen Bereichen der Schlußakte von Helsinki befaßt, also auch mit den Menschenrechten, den wichtigen Fragen der wirtschaftlichen Kooperation und den gerade uns Deutschen besonders am Herzen liegenden Fragen der menschlichen Kontakte und der Information. Wir wollen gleichgewichtige Fortschritte in allen Bereichen. Die Bundesregierung wünscht die Abhaltung der Madrider Konferenz auf politischer Ebene. Sie tritt für die zeitweilige Teilnahme der Außenminister an diesem Treffen ein. Naturgemäß hat das Kommuniqué der Warschauer-Pakt-Tagung vom Dezember auch bei den Beratungen des Bündnisses über die Madrider Konferenz eine wichtige Rolle gespielt. Die Bündnispartner des Westens erkannten eine flexiblere Haltung der Warschauer-Pakt-Staaten in wichtigen, das Bündnis gemeinsam interessierenden Fragen. Das gilt namentlich für den Gedanken einer Abrüstungskonferenz in Europa, für die menschlichen Erleichterungen, die deutlich angesprochen wurden, und für die Abhaltungsebene für die Madrider Konferenz. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Sowjetunion und ihre Verbündeten diese flexiblen Positionen in ihre eigenen strategischen Absichten einordnen. Dennoch zeichnet sich - anders als in Belgrad - die Chance für Fortschritte ab. Wie bei der Vorbereitung der Schlußakte von Helsinki wird der Westen auch die Madrider Konferenz gemeinsam und gründlich vorbereiten. Wir werden die Unterstützung der nichtgebundenen Staaten suchen und in Konsultationen mit allen Staaten des Warschauer Pakts, also auch mit der DDR, den Boden für praktische Ergebnisse vorbereiten. Besonders begrüßen möchte ich, daß das Thema der Vertrauensbildung im militärischen Bereich jüngst auch in den Vereinten Nationen seinen Platz gefunden hat. Am 11. Dezember hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die von der Bundesrepublik Deutschland eingeführte und von allen Bündnispartnern unterstützte Resolution über vertrauensbildende Maßnahmen im Konsens angenommen. Wir sehen in diesen Bemühungen ein weiteres Element im Spektrum der aktiven Entspannungspolitik des Westens. Damit wird ein zentrales Anliegen des Bündnisses auch im weltweiten Rahmen der Vereinten Nationen zum Tragen gebracht: Außer den verteidigungs- und sicherheitspolitischen Beschlüssen nahm in Brüssel die Erörterung aktueller Fragen des West-Ost-Verhältnisses einen breiten Raum in der Diskussion ein. Wir haben uns dabei auch diesmal mit der Lage in und um Berlin sowie der Situation in Deutschland beschäftigt. Dieser Themenkomplex war schon am Vorabend der NATO-Ministerratstagung Gegenstand eines intensiven Meinungsaustausches bei dem traditionellen Vierertreffen. In unseren Beratungen wurden auch die äußeren Rahmenbedingungen unserer Sicherheit und in diesem Zusammenhang die Entwicklung in Afrika, im Nahen und im Mittleren Osten erörtert. Die Bemühungen der britischen Regierung um eine friedliche Lösung der RhodesienFrage wurden von allen Bündnispartnern begrüßt und unterstützt. Die nun schon mehr als fünf Wochen andauernde Festhaltung von 50 amerikanischen Botschaftsangehörigen in Teheran unter Mißachtung grundlegender Normen des Völkerrechts und elementarer humanitärer Pflichten hat die 15 im Nordatlantikrat versammelten Außenminister veranlaßt, in einer Erklärung einen dringenden Appell an die iranische Regierung zu richten, die Geiseln sofort freizulassen. ({12}) Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Herbsttagung des Bündnisses in Brüssel mit ihrem eindeutigen Bekenntnis zur Verteidigung, Rüstungskontrolle und Entspannung die reale Chance eröffnet, in den 80er Jahren Fortschritte bei der Rüstungskontrolle und Entspannung zu machen. Wir appellieren an die Staaten des Warschauer Pakts, diese Möglichkeit, aber auch diese Notwendigkeit zu erkennen. Die Lage im Nahen und im Mittleren Osten, die Entwicklung in Teilen Afrikas, die Spannungen in Südostasien und die Probleme der internationalen Energieversorgung machen uns bewußt, welche Ungewißheiten und Gefahren an der Schwelle der 80er Jahre die Menschheit bedrücken. Um so wichtiger ist es, daß Europa, das in der Vergangenheit so viele Kriege führte und von dem so viele Kriege ausgingen, alles tut, um nach 35 Jahren ohne Krieg in Europa den Frieden weiter zu sichern und damit auch zur Stabilität in der Welt beizutragen. Wir sehen die Anknüpfungspunkte, die sich aus der Rede von Generalsekretär Breschnew vom 6. Oktober 1979 und aus der Erklärung der Außenminister des Warschauer Pakts vom 5. Dezember 1979 ergeben. Wir werden mit Geduld und Beharrlichkeit alle gegebenen Verhandlungsmöglichkeiten nutzen. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt und unterstützt die in Brüssel getroffenen Entscheidungen der Atlantischen Allianz. ({0}) Dies gilt nicht nur für die Nachrüstung. Wir bekennen uns mit dem gleichen Nachdruck zu den Vorschlägen für Abrüstung und Rüstungskontrolle. ({1}) Wir fühlen uns durch diese Entscheidung in unserer konsequenten Einstellung bestätigt. Mit diesen Entscheidungen begegnet die Atlantische Allianz erstens der wachsenden politischen und militärischen Bedrohung durch die sowjetische Aufrüstung, die von uns im Westen in keiner Weise provoziert wurde. ({2}) Die Sowjetunion braucht ihre neuen Mittelstreckenwaffen, die Raketen wie die Bomber, weder für ihre eigene Sicherheit noch für ihre Verteidigung. ({3}) Mit diesen Entscheidungen stabilisiert die atlantische Allianz zweitens den Frieden in Europa, indem sie ihre Entschlossenheit unter Beweis stellt, das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen. Ohne dieses Gleichgewicht gibt es keinen Frieden von Dauer. Das muß jeder draußen wissen. ({4}) Drittens eröffnet die Atlantische Allianz mit diesen Entscheidungen die Chance zu erfolgversprechenden Rüstungskontrollverhandlungen. Die CDU/CSU appelliert in aller Eindringlichkeit an die sowjetischen Führer, diesen unseren Willen zur Abrüstung ernst zu nehmen und die ausgestreckte Hand nicht zurückzuweisen. Lassen Sie uns die Chance ergreifen, die darin liegt, die Zukunft der Menschen dieses Kontinents ein Stückchen friedlicher und ein Stückchen sicherer zu machen. ({5}) Meine Damen und Herren, das deutsche Volk - das ganze deutsche Volk - will Frieden und Freiheit, nichts als Frieden und Freiheit und nichts sehnlicher als Frieden und Freiheit. ({6}) Wir Deutschen wollen das nicht nur für unser Volk, wir wollen das mit gleicher Leidenschaft für alle Völker dieser Erde, auch und gerade für das russische Volk, das im letzten Krieg so sehr gelitten hat. Es gibt keine größere Herausforderung, und es gibt keine wichtigere Aufgabe für die Verantwortlichen aller Nationen, als der Menschheit die Geißel eines neuen Krieges zu ersparen. ({7}) Es gibt keinen hier im Deutschen Bundestag, wo immer er sitzen mag, der nicht lieber abrüsten als aufrüsten wollte, der nicht die Gewaltlosigkeit der Gewalt vorziehen würde. ({8}) Der Gewaltverzicht ist mit gutem Grund eines der tragenden politischen und moralischen Fundamente- der Politik aller demokratischen Parteien dieses Parlaments der Bundesrepublik Deutschland. Der Verzicht auf den Angriffskrieg hat bei uns Verfassungsrang. Aber jeder soll und muß auch wissen: Wir Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland lassen uns weder politisch noch militärisch unter Druck setzen. Wir bleiben entschlossen und fähig, die Freiheit unseres Volkes und seine Unabhängigkeit mit aller uns gegebenen Kraft zu schützen. ({9}) Darum bekennen wir uns mit der gleichen Entschiedenheit zu einer starken, abschreckungskräftigen Verteidigung im Rahmen der westlichen Verteidigungsgemeinschaft und ihres Doppelkonzepts der Verteidigung und Entspannung. Die Brüsseler Entscheidungen der NATO sind für uns gleichermaßen ein Signal der Entschlossenheit wie ein Zeichen der Entspannungsbereitschaft. Sie wären ohne die entschiedene Haltung unseres amerikanischen Verbündeten nicht möglich gewesen. Darum gilt unser aufrichtiger Dank dem amerikanischen Präsidenten Carter und dem ganzen amerikanischen Volk für ihre Festigkeit und Opferbereitschaft - bis in diese Tage hinein - dem Bündnis und speziell Europa gegenüber. ({10}) Das ist alles andere als selbstverständlich. Das wiegt um so schwerer, als gerade in diesen Tagen durch die Vorgänge im Iran die Willenskraft und die Nervenstärke des Präsidenten und der Amerikaner weltweit gefordert wird. An dieser Entschlossenheit, meine Damen und Herren, könnten sich manche in Europa ein Beispiel nehmen, die nur so schnell und so gerne an den Amerikanern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit herumkritisieren. ({11}) Nur genügt es nicht, den Dank in großen Worten zum Ausdruck zu bringen. Worte sind wichtig, gelegentlich aber auch wohlfeil. Entscheidend sind die Taten. Der Dank an die Amerikaner kann nach Auffassung der CDU/CSU nur einen Ausdruck finden: den der unbeirrbaren und sichtbaren Solidarität mit unseren amerikanischen Freunden gerade in schwierigen Lagen und nicht nur in sonnigen Zeiten. ({12}) Es gibt für uns Deutsche Freiheit, Sicherheit und - um das zu aktualisieren - Rohstoff- und Ölversorgung nur mit den USA, nicht ohne sie und schon gar nicht gegen sie. ({13}) Darum ist unser Platz an der Seite der Amerikaner. Das war die Grunderkenntnis Adenauerscher Politik. Das war und bleibt die Grunderkenntnis der Politik der CDU/CSU. Das ist unser Maßstab in der Außen- und Sicherheitspolitik. ({14}) Solidarität! Wenn wir davon reden, dann meinen wir nicht nur die finanzielle und nicht nur die militärische, dann meinen wir in erster Linie die politische und die moralische Hilfe. Ganz praktisch heißt das: niemand soll sich damit herausreden, die Amerikaner seien es ja, die diese modernen Waffen gewünscht hätten, nach dem Motto: die sollen sich nur ihre Hände schmutzig machen. Richtig ist: es sind und bleiben amerikanische Waffen in amerikanischer Verfügungsgewalt; aber diese neuen Waffen dienen in erster Linie dem Schutz der Europäer. Das ganze Bündnis - jeder einzelne Staat - trägt die Verantwortung, so wie auch diese Waffen alle Bündnisstaaten schützen. Das verstehen wir unter moralischer Lastenteilung, die ebenso wichtig ist wie die finanzielle Lastenteilung im Bündnis. ({15}) Solidarität aber heißt noch ein anderes. In Brüssel wurde - Herr Außenminister, das wissen Sie, und sicher weiß es auch der Kanzler - die Rede des amerikanischen Verteidigungsministers Brown als die nachdrücklichste Warnung bezeichnet, die je ein amerikanischer Verteidigungsminister vor seinen europäischen Partnern abgegeben hat. Minister Brown hat in einer Offenheit, die jedenfalls bis dato so noch nicht gehört wurde, die Nichteinhaltung der feierlich bekräftigten Verpflichtung zur Steigerung der Verteidigungsaufwendungen durch einige europäische Staaten kritisiert. Diese Kritik galt - darüber gibt es gar keinen Zweifel - auch der Bundesregierung. Es bleibt nach unserer Auffassung ein schwerer politischer Fehler und ein verhängnisvolles Signal in die falsche Richtung, die zugesagte 3 %ige Steigerung nicht eingehalten zu haben. ({16}) Ich sage hier für die CDU/CSU, das darf sich nicht noch einmal wiederholen. Wir sollten die Warnung Harold Browns ernst nehmen. Er sagte, die Amerikaner werden ihre Leistungen für die NATO künftig nach dem Aufwand bemessen, den die Europäer für das Bündnis erbringen. Wir Europäer können uns auf die Amerikaner verlassen, aber nur so lange, wie sich die Amerikaner auf die Europäer verlassen können, meine Damen und Herren. ({17}) Mit der Steigerung der nuklearen Abschrekkungsfähigkeit ist es nicht getan. Die konventionelle Abwehrkraft darf darüber nicht vernachlässigt werden. Wir müssen mit dem langfristigen Verteidigungsprogramm ernst machen. Auch hier werden wir im übrigen in einem, zwei oder drei Jahren nicht nach unseren Worten heute, sondern nach unseren Taten morgen gefragt werden. Nach diesem Wort des leichten, aber ernst zu nehmenden Tadels nun ein Wort auch des Lobes. Wir versagen auch der Bundesregierung unsere Anerkennung nicht, daß sie trotz der bekannten Schwierigkeiten im eigenen Lager festen Kurs in der Nachrüstungsentscheidung gehalten hat. Wir wünschen und hoffen aufrichtig - und ich sage das ohne jede Spur von Polemik -, daß die Meinungsbasis in der SPD auch die kommenden Jahre trägt, gleichgültig, wer auch immer in der Bundesrepublik Deutschland regieren mag. Denn darüber, meine Damen und Herren, sollte sich niemand täuschen: die NATO hat mit dieser Entscheidung eine wichtige Hürde genommen; aber der weitere Weg wird noch schwieriger und mit Hindernissen gepflastert sein. Es ist schon jetzt zu sehen: die Sowjetunion wird nichts unversucht lassen, in den kommenden Jahren den- Beschluß wieder in Frage zu stellen. Jedes Schwanken im westlichen Lager wird sie dazu ermutigen. Darum kommt es jetzt entscheidend darauf an, die Beschlüsse in allen Teilen energisch, klar und unbeirrt in die Tat umzusetzen. Je geschlossener und einiger die NATO bleibt, desto erfolgversprechender werden die Verhandlungen mit der Sowjetunion verlaufen. ({18}) Ich sage noch deutlicher: Jeder, der jetzt gegen diese Beschlüsse anrennt, muß wissen, daß er damit die Abrüstung verhindert. ({19}) Noch eines: Die sowjetischen Führer und auch der Herr Honecker müssen wissen, wir hier in der Bundesrepublik Deutschland lassen uns weder einschüchtern, noch lassen wir uns drohen. Niemand soll hoffen, er könne uns hier in der Bundesrepublik Deutschland auseinanderdividieren. Meine verehrten Damen und Herren, wer erlebt hat, wie in einigen unserer Nachbarstaaten den Regierungen die Meinungsgrundlage in ihrer Bevölkerung förmlich weggerutscht ist, der weiß, daß hier auf uns alle - auf uns alle - eine wahrhaft staatspolitische Aufgabe zukommt, der wir uns stellen müssen, wenn uns nicht das gleiche passieren soll. Wenn irgendwo die Formel der Gemeinsamkeit der Demokraten einen Sinn macht, dann hier, wo der Friede, die Freiheit und die Sicherheit unseres Volkes auf dem Spiele stehen. ({20}) Darum kann die Bundesregierung auch weiterhin auf die nachdrückliche und geschlossene Unterstützung der CDU/CSU zählen, wenn und solange sie festen Kurs hält. Es ist hier weder die Zeit noch der Ort, um zu den Abrüstungsvorstellungen im einzelnen Stellung zu nehmen. Das werden wir sicher im Auswärtigen Ausschuß und im Verteidigungsausschuß tun. Darum nur soviel: Wir von der CDU/CSU wollen Abrüstung mit Sicherheit, d. h. mit dem Ziel der Parität, des gleichen Gewichts der Kräfte auf beiden Seiten. ({21}) Jede SS 20, die die Sowjetunion produziert und stationiert, erschwert die Abrüstung. Darum fordern wir die Sowjetunion von dieser Stelle noch einmal auf, die Produktion und Stationierung ihrer Mittelstreckenraketen und des Backfire-Bombers einzustellen. Hier kann sie ihren Friedenswillen praktisch unter Beweis stellen. ({22}) Ein Zweites: Die CDU/CSU hält vertrauensbildende Maßnahmen zur Verhinderung von Überraschungsangriffen für immer dringender erforderlich. Ein Drittes: Je ausgeglichener die Kräfteverhältnisse auf der strategischen Ebene zwischen den beiden Supermächten werden, desto bedeutsamer wird es, auch in der europäischen Region ausgeglichene Kräfteverhältnisse zu haben. Eine solche Balance ist unmöglich, solange die westlichen Bezirke der Sowjetunion ausgeklammert bleiben. Daher müssen die westlichen Bezirke der Sowjetunion in die Rüstungskontrollverhandlungen einbezogen werden. Auch aus diesem Grunde unterstützen wir von der CDU/CSU - im übrigen von Anfang an - die französische Abrüstungsinitiative. ({23}) Lassen Sie mich noch ein Wort an jene unserer Mitbürger richten, die sich und uns besorgt fragen: Wird hier nicht eine neue Runde des Wettrüstens eröffnet? Sie sollen wissen, daß wir diese Sorge ernst nehmen. Keiner von uns - ich wiederhole: keiner von uns - hat es sich mit dieser Entscheidung leicht gemacht. Niemand aus unseren Reihen hat diese Waffen herbeigewünscht oder sich gar nach ihnen gedrängt. Auch noch jetzt wäre es uns allen lieber, diese Waffen müßten weder produziert noch stationiert werden. Aber keiner von uns kann an der Tatsache vorbei, daß die Sowjetunion seit Jahren diese schrecklichen neuen Waffen produziert und gegen uns in Stellung bringt. Noch während wir hier diskutieren, wird Woche um Woche eine dieser Raketenstellungen in der Sowjetunion gebaut, werden Jahr für Jahr 50 Backfire-Bomber produziert. Nicht wir sind es, nicht wir Deutschen, nicht wir Europäer, nicht wir im Westen, die an der Rüstungsspirale drehen; aber wir wären verantwortungslos, wenn wir tatenlos zusehen würden; denn mit jeder dieser sowjetischen Raketen, mit jedem dieser sowjetischen Bomber wächst die Gefahr für den Frieden und die Sicherheit der Menschen in Europa. ({24}) Eine Erkenntnis, die langsam verlorenzugehen beginnt, die wir wieder aussprechen müssen, die wir in unserem Volk vertreten müssen - wir alle zusammen -, eine Erkenntnis der Geschichte ist doch die, daß militärische Macht, die nicht balanciert wird, eines Tages auch angewandt wird. Nachgiebigkeit und Schwäche, und sei es aus noch so gutgemeinter idealistischer oder pazifistischer Gesinnung, verhindern den Krieg nicht. Sie führen ihn herbei. ({25}) Es gibt doch kaum einen Historiker, der noch bezweifelt, daß der Zweite Weltkrieg hätte verhindert werden können, wenn die Westmächte damals diese Lehren beherzigt hätten. Gleichgewicht dagegen - das zeigen 35 Jahre europäischer Nachkriegsgeschichte - sichert den Frieden. Wir wollen nicht mehr, aber auch nicht weniger als Gleichgewicht. Ein Zweites können, ja müssen wir aus der Geschichte lernen: Abrüstungsverhandlungen haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn keiner dem anderen überlegen ist. Das zeigen doch die laufenden Verhandlungen in Wien, wo wir seit sieben Jahren. am Verhandeln sind, ohne greifbare Ergebnisse, nicht zuletzt weil wir aus der Position des Unterlegenen antreten. Niemand auch soll sich Illusionen darüber machen, wie schwer es werden wird, in den kommenden Verhandlungen mit der Sowjetunion über diese Waffen zu einem Ergebnis zu kommen, Erfolg zu haben. Aber jeder draußen in unserem Volk muß wissen, daß solche Verhandlungen mit Sicherheit von vornherein zum Scheitern verurteilt wären, wenn wir mit leeren Händen und bloßen Reden antreten müßten, während die Sowjetunion ihre militärische Macht von Tag zu Tag weiter steigert. Freilich muß zum militärischen Gleichgewicht der Wille hinzutreten, die politischen Spannungen abzubauen. Der Westen, wir alle in diesem Parlament haben diesen Willen, haben ihn wieder und wieder nicht nur durch Worte, sondern durch Taten und häufig durch einseitige Vorleistungen unter Beweis gestellt. Auch die sowjetischen Führer wissen es. An ihnen liegt es nun, wie es weitergeht und ob abgerüstet werden kann. Wir sind und bleiben dazu bereit. Wir bedrohen niemanden. Aber wir haben das Recht, ja, unseren Bürgern gegenüber die Pflicht, für deren Sicherheit zu sorgen. Es gibt keinen Frieden und schon gar keine Freiheit ohne Sicherheit für unser Volk wie für alle anderen Völker. ({26})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pawelczyk.

Alfons Pawelczyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! lierr Kollege Wörner, ich kann vielem von dem, was Sie an grundsätzlichen Bewertungen abgeben, zustimmen. Nur, wenn wir uns den praktischen Vollzug der Politik ansehen, läuft eben oft vieles anders ab, als Sie es vorschlagen. ({0}) - Was heißt denn das, „jetzt geht die Polemik los"? Wir werden hier unsere Position darstellen. Es hat ja gar keinen Zweck, Grundsatzerklärungen abzugeben, die mit der praktischen Politik anschließend nicht in Einklang stehen. ({1}) Damit helfen wir nicht. Wir hören gerne das Bekenntnis zur Rüstungskontrolle. Unser Problem ist doch nicht, daß wir es nicht glauben. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Wir haben das Ziel, auf der Basis einer möglichst geringen Rüstung Stabilität für Europa zu erreichen und damit den Frieden weiter zu stabilisieren. Nur muß ich sagen, daß Ihre praktischen Vorschläge für die Politik oft so sind, daß man mit diesen Vorschlägen das Ziel nicht erreichen kann. Wenn Sie - was wir ausdrücklich unterstützen - die amerikanische Verantwortung, die amerikanische Unterstützung hier unterstreichen, so hat das unsere volle Zustimmung. Wir waren tief erschrokken über eine Bewertung Ihres Kanzlerkandidaten Strauß, der über den amerikanischen Präsidenten äußerte: Er kuscht vor dem roten Zaren. Meine Damen und Herren, wie kann denn Bündnissolidarität so entstehen, und wie kann Bündnissolidarität so weiter wachsen? ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion ({3}) dankt der Bundesregierung ausdrücklich für ihren entscheidenden Beitrag zu einem differenzierten politischen Vorgehen der NATO für den Bereich der Verhandlungen über nukleare Mittelstreckenwaffen. ({4}) Ich denke, das ist der Teil, über den heute zu reden ist, weil er wirklich die Sicherheit für die 80er Jahre entscheidend beeinflußt. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß wesentliche Anregungen aus der Arbeit unserer Fraktion dort mit berücksichtigt werden konnten. Wir haben an keinem Problembereich das ganze Jahr über fortlaufend so intensiv gearbeitet wie an der Problematik der Mittelstreckenwaffen. ({5}) - Herr Mertes, wieso haben wir uns denn das Jahr über fortgesetzt auseinandergesetzt? Sie wissen: Es war unser Fraktionsvorsitzender, der am Anfang des Jahres öffentlich darauf hinwies, daß mit dem Ansatz, den Ihr Kollege Wörner am 12. Januar in Washington formulierte, eben ein so differenziertes Angebot nicht hätte zustande kommen können. ({6}) Wenn man erst zusätzliche Mittelstreckenwaffen fordert - wie Sie damals -, um die Voraussetzung für Verhandlungen zu schaffen, dann ist das exakt der falsche Weg. Wir haben vier Jahre Zeit. Diese vier Jahre müssen ausgenutzt werden, um ein Ziel zu erreichen, das Europa davor bewahrt, zusätzliche Mittelstreckenwaffen aufnehmen zu müssen. ({7}) Wir wissen und wir akzeptieren, daß der Kollege Wörner diese Auffassung jetzt nicht mehr vertritt. Aber wie paßt das mit den vielen Stellungnahmen Ihres Kanzlerkandidaten zusammen? Ihr Kanzlerkandidat hat erneut am 11. Dezember 1979 hier in der Haushaltsdebatte gegen unsere Position polemisiert, z. B. gegen unsere Auffassung: Den Disparitäten bei den nuklearen Mittelstreckenpotentialen muß durch eine Kombination von verteidigungspolitischen und rüstungs({8})politischen Maßnahmen begegnet werden. Das ist die Auffassung unserer Fraktion. Dagegen hat Ihr Kanzlerkandidat polemisiert. Nur hat er dabei übersehen, daß das genau die Konzeption ist, die die NATO für sich beschlossen hat. ({9}) - Nein, das ist die Fortsetzung ihrer außenpolitischen Linie. ({10}) Der NATO-Beschluß setzt einen klaren Verhandlungsrahmen. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um innerhalb weniger Monate an den Verhandlungstisch zu gelangen und Verhandlungen über dieses Thema aufzunehmen. Wir hoffen auch, daß der NATO-Beschluß wesentlich dazu beiträgt, daß das SALT-II-Abkommen möglichst bald ratifiziert wird. Ein ratifiziertes SALT-II-Abkommen und ein ausgewogenes Verhandlungsangebot über nukleare Mittelstreckenwaffen sind auch wesentliche Voraussetzungen, um erstens in Wien endlich zu einem ersten MBFR-Ergebniss zu kommen und zweitens die KSZE-Verhandlungen im Herbst 1980 zu einem guten Ergebnis zu bringen. Wir stimmen dem Herrn Bundesaußenminister ausdrücklich zu, wenn er erklärt: Wir wollen das nächste Jahrzehnt zu einem Jahrzehnt der Rüstungskontrolle machen. Die Bundesregierung hat erheblichen Anteil daran, daß die Abrüstungsinitiativen, die die NATO jetzt vorlegt, in dieser differenzierten Form vorgelegt werden. Wir stimmen ausdrücklich zu. Wir müssen unter diesen sicherheits- und rüstungskontrollpolitischen Rahmenbedingungen für die weitere Stabilisierung Europas sorgen. Nur dann ist Europa in der Lage und bleibt in der Lage, einen aktiven Beitrag zur Stabilisierung anderer Regionen der Welt zu leisten. ({11}) Aus humanitären Gründen, aber auch aus Gründen der eigenen Sicherheit muß diese Aufgabe fortgesetzt werden. Europa muß sich dieser Aufgabe stellen. Der Herr Bundesaußenminister hat dazu Ausführungen gemacht. Wir teilen sie in vollem Umfang. Es ist das erklärte Ziel der Sozialdemokraten, durch Rüstungskontrollverhandlungen die Stationierung zusätzlicher Mittelstreckenwaffen in Westeuropa überflüssig zu machen und das militärische Kräfteverhältnis im nuklearen Bereich, im Bereich der Interkontinentalwaffen und der Mittelstreckenwaffen auf einem niedrigeren Niveau zu stabilisieren. ({12}) Der NATO-Beschluß, der sowohl die verteidigungspolitischen Notwendigkeiten enthält als auch die Möglichkeit, ein rüstungskontrollpolitisches Ziel dahin zu führen, wird von uns ausdrücklich bekräfPawelczyk tigt. Er gibt diese Möglichkeit, die wir als Ziel sehen. Ich möchte für meine Fraktion fünf Forderungen stellen, die nach unserer Auffassung realisiert werden müssen im praktischen Verhandlungsablauf. Erstens. Rüstungskontrollpolitischen Regelungen muß der politische Vorrang gegeben werden. ({13}) Das bedeutet: Da neue nukleare Mittelstreckenwaffen frühestens in vier Jahren zur Verfügung stehen, haben wir ausreichend Zeit, festzustellen, ob in den 80er Jahren auftretende sicherheitspolitische Probleme für das Bündnis durch Herunterrüsten gelöst werden können oder ob wir eine neue Rüstungsentscheidung treffen müssen. Der klar umrissene Verhandlungsvorschlag der NATO trägt dazu bei, daß diese Verhandlungen zügig aufgenommen werden und daß nicht mehr Zeit durch taktische Manöver verloren wird. Wir begrüßen diesen klaren Verhandlungsrahmen, wie er am 12. Dezember verabschiedet wurde, weil er dazu beiträgt, daß taktische Manöver der sowjetischen Regierung keinen Erfolg mehr haben können und daß statt dessen die volle Zeit der vier Jahre für den Verhandlungsversuch genutzt werden kann. Zweitens. Gleichzeitig sind die notwendigen verteidigungspolitischen Optionen festzulegen, damit diese im Falle eines Scheiterns rüstungskontrollpolitischer Bemühungen wirksam werden können. Das bedeutet: Bei negativem Verhandlungsausgang muß die NATO in der Lage sein, Mittelstreckenwaffen in Europa zu stationieren. Aus Gründen unserer Sicherheit müssen also die Vereinigten Staaten den eingeleiteten Entwicklungs- und Produktionsprozeß fortsetzen. Durch diesen Ansatz verhindern wir, daß die europäischen Staaten in den 80er Jahren abhängig werden. Es handelt sich hier also um ein balanciertes, ausgewogenes Vorgehen rüstungskontrollpolitischer Ansätze bei ausreichender Absicherung im verteidigungspolitischen Umfeld. Drittens. Der Gang der Verhandlungen und die zu erwartenden Ergebnisse müssen es den Politikern im eigenen Bündnis jederzeit möglich machen, Beschlüsse zu überprüfen und, wenn nötig, zu revidieren. Es darf also keinen Automatismus geben, nachdem der Beschluß am 12. Dezember getroffen worden ist. ({14}) Das heißt: Wegen der gravierenden Bedeutung der Entscheidung für die 80er Jahre müssen die Verhandlungen fortlaufend, und zwar von Anfang an, von den politischen Gremien begleitet werden. Dazu gehören vor allem natürlich die Fraktionen des Bundestages. Viertens. Wir müssen weiterhin verdeutlichen, daß wir bei einem befriedigenden Ergebnis der Verhandlungen mit der Sowjetunion bereit sind, auf die Einführung zusätzlicher Mittelstreckenwaffen zu verzichten. Das bedeutet für uns: Es muß möglich sein, den Prozeß von der Waffenidee über die Produktion bis hin zur Stationierung durch Verhandlungsergebnisse zu durchbrechen und damit die Stationierung überflüssig zu machen. ({15}) Die Behauptung der Gegner dieses Beschlusses, das sei nicht möglich, ist falsch. Die amerikanischen Entscheidungen, schon produzierte Raketenabwehrsysteme auf Grund politischer Erwägungen zu verschrotten und den mit erheblichem Kostenaufwand entwickelten B-1-Bomber nicht zu bauen, sind Beispiele dafür, daß die Kostenfrage keine Rolle spielen darf, wenn die Stabilisierung des Friedens auch mit politischen Mitteln herbeigeführt werden kann. ({16}) Wir jedenfalls sind entschlossen, die politischen Rahmenbedingungen unserer Sicherheits- und Entspannungspolitik nicht leichtfertig beschädigen zu lassen. Eine Ausweitung der nuklearen Bewaffnung in Europa gefährdet nicht nur die Stabilität hier, sondern kann auch einen Prozeß auslösen, der dazu führt, daß die Zahl der Nuklearwaffenstaaten auf der Welt zunimmt - mit allen Problemen, die sich daraus für den Weltfrieden ergeben. Hierfür tragen auch wir in Europa Verantwortung, daß dieser Prozeß nicht eingeleitet wird. ({17}) Andererseits muß der Sowjetunion aber klargemacht werden - und durch den Dezemberbeschluß ist es jetzt klar -, daß wir im Falle eines unbefriedigenden Verhandlungsverlaufs zur Aufrechterhaltung unserer eigenen Sicherheit und zur Wahrung unserer politischen Unabhängigkeit entschlossen sind, nukleare Mittelstreckenwaffen in Westeuropa zu stationieren. Fünftens. Keine Singularität! - Das ist einer der gravierenden Unterschiede zwischen uns und Ihnen. Das heißt: Eine ausschließliche Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf dem Boden der Bundesrepublik kommt für uns nicht in Betracht. ({18}) Ich erinnere hier nur an die Debatte vom 8. und 9. März, in der sich auch der Herr Bundeskanzler für die Regierung - wir begrüßen das heute noch einmal - eindeutig dazu geäußert hat. Das bedeutet: Im Gegensatz zur Opposition lehnen wir es entschieden ab, der einzige Nichtnuklearwaffenstaat Westeuropas zu sein, der nukleare Mittelstreckenwaffen aufnimmt. Singularität nein! Wir haben uns wirklich das ganze Jahr intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Wir kommen zu dem Ergebnis und bleiben dabei, daß Singularität nicht in Betracht kommt. ({19}) - Den Beitrag der christlich-demokratischen Parteien in den anderen Bündnisstaaten kenne ich doch genauso gut wie Sie. (Zuruf von der CDU/CSU: Das steht doch nicht zur Debatte». - Ich habe ihn ja nicht zur Debatte gestellt, aber Ihr Kollege Damm. Ich gehe darauf gar nicht ein. Nur will ich daran erinnern, daß wir sehr wohl die Begleitung der Entscheidung der Christlichen Demokraten in Holland verfolgt haben. Singularität und Solidarität im Bündnis schließen sich für die Bundesrepublik Deutschland aus. ({20}) Die Solidarität im NATO-Bündnis hat absolute Priorität für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. ({21}) Die Solidarität ist die Grundbedingung unserer Außenpolitik. Nur durch diese Solidarität mit unseren Bündnispartnern, an der Spitze den Vereinigten Staaten, war es möglich, diese Friedens- und Entspannungspolitik zu entwerfen und durchzuführen. Sie hat erhebliche Verbesserungen für Europa gebracht. Sie hat erhebliche Verbesserungen für die deutschen Menschen und für die Menschen in Europa gebracht. Wir wissen, was die Solidarität im Bündnis für uns bedeutet. Wir wissen, was eine nukleare Sonderrolle, ein nukleares Sonderverhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland für das Bündnis an Zerreißproben bedeutet. Wir sind der Auffassung, wir dürfen diesen Weg nicht gehen. Wir destabilisieren damit im Bereich des eigenen Bündnisses. Meine Damen und Herren, ich habe es mir am Anfang versagt, mehr als wenige kurze Anmerkungen zum praktischen Vorgehen der Opposition in der Frage der Mittelstreckenwaffen aufzuführen. Wir wären froh, wenn wir uns nicht nur im Ziel, sondern auch in der praktischen Durchführung dieser Politik ab Verhandlungsbeginn verständigen können. Die verteidigungspolitische Absicherung ist wichtig. Gleichgewichtig daneben muß der genaue intensive Versuch stehen, eine Lösung zu erreichen, die es ermöglicht, auf zusätzliche Nuklearwaffen zu verzichten. Der zeitliche Rahmen der vier Jahre verlangt von uns, wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen, diesen Weg gemeinsam zu gehen und der Sowjetunion klarzumachen, daß wir dazu bereit sind, aber nur dann, wenn sie das Ihre dazu tut. Ich hoffe, wir stimmen hier alle überein. Die Sowjetunion, die im Bereich der nuklearen Mittelstreckenwaffen deutlich überlegen ist, ist aufgerufen, sich so zu verhalten, wie wir es bei den Neutronenwaffen getan haben. Wir haben eine Möglichkeit nicht in Waffen umgesetzt, sondern waren bereit, diese Möglichkeit in einen Verhandlungsprozeß einzuführen. Die Sowjetunion, die eine deutliche Überlegenheit im Mittelstreckenbereich besitzt, ist aufgefordert, den Produktionsprozeß zu stoppen und damit ein ernsthaftes Zeichen dafür zu geben, daß auch sie sich eine Lösung ohne weitere Aufrüstung Europas mit Nuklearwaffen vorstellen kann. ({22}) Wir wünschen und erwarten also, daß sich der Warschauer Pakt von Anfang an mit der gleichen Differenziertheit an diesen Verhandlungen beteiligt. Der Herr Bundesaußenminister hat recht, wenn er sagt: Wir haben durch unser differenziertes Angebot im Bereich der Mittelstreckenwaffen für die Fortsetzung der MBFR-Politik, für die Rahmenbedingungen der KSZE-Folgekonferenz die Hand zum Warschauer Pakt weit ausgestreckt. Es ist am Warschauer Pakt, in der gleichen differenzierten Form auf uns zuzugehen. Dann können die 80er Jahre ein Jahrzehnt der Rüstungskontrollpolitik werden, ein Jahrzehnt, in dem wir uns auf niedrige Militärpotentiale bei gleicher Sicherheit - bei annähernder Parität - verständigen können. ({23})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleichgewicht, politisches und militärisches Gleichgewicht ist heute ein unverzichtbares Element der Friedenspolitik. Ungleichgewichtigkeit macht partnerschaftliche Zusammenarbeit Gleichberechtigter unmöglich. Ungleichgewicht führt zum Diktat des Stärkeren, zur Anpassung des Schwächeren oder doch wenigstens zu Furcht, Mißtrauen und Instabilitäten, die eine erhebliche Erschwernis auf dem Weg zur notwendigen Kooperation bei der Lösung der schwierigen Probleme unserer Zeit sind. Das Streben, den Frieden zu gestalten, muß daher vom ständigen Bemühen um die Stabilisierung des Gleichgewichts begleitet sein. Das militärische Gleichgewicht zwischen NATO und Warschauer Pakt ist vor allem durch das sowjetische Rüsten im Bereich der nuklearen kontinental-strategischen Waffen gefährdet. In den letzten Wochen ist vor allem die Studie eines deutschen Friedensforschungsinstituts diskutiert worden. Sie will beweisen, das Gleichgewicht zwischen Ost und West sei gegeben. Wir haben diese Studie wie auch die sonstigen kritischen Einwände aus unserer Bevölkerung sorgfältig und ernsthaft geprüft, halten aber ihre Ergebnisse für falsch. Die Studie kommt zu der Bewertung, das Gleichgewicht bestehe bereits, vor allem weil sie alle Nuklearwaffen in Europa - sowohl die mit großer als auch die mit mittlerer Reichweite - in einer Kategorie vermischt. Tatsächlich gibt es bei Nuklearwaffen mit Reichweiten zwischen 200 und 1000 km eine ungefähre Parität. Ungleichgewicht herrscht jedoch bei den kontinental-strategischen Waffen, bei Waffen mit Reichweiten von mehr als 1000 km. Die Sowjetunion war hier schon immer überlegen. Die Möglichkeit, diese Überlegenheit mit interkontinental-strategischen Waffen auszugleichen, geht dem Bündnis aber verloren, weil für diese Waffen im SALT-II-Vertrag ein ost-westliches Gleichgewicht festgelegt wurde. Trotz dieser Tatsache haben die Sowjets ihre Überlegenheit bei kontinental-strategischen Waffen durch Einführung vor allem der SS-20-Rakete, aber auch des Backfire-Bombers qualitativ und quantitativ verstärkt. Die SS-20-Rakete ist gegenMöllemann über den bisherigen sowjetischen Raketen wesentlich verbessert worden. Sie ist beweglich und daher kaum von westlichen Waffen zu erfassen. Sie ist sehr viel treffgenauer und macht uns daher verwundbarer. Sie hat eine Reichweite von ungefähr 4 500 km und kann daher jeden Punkt Europas erreichen. Sie besitzt drei Sprengköpfe, und schließlich ist sie nachladbar. Diese Raketen werden in zügigem Tempo produziert und stationiert. Ihre Zahl wird jährlich um 50 erhöht. Das bedeutet einen Zuwachs von 150 Sprengköpfen. ({0}) Die entsprechenden Waffen des Westens aber sind auf ihrem früheren Stand geblieben. Daher veralten diese Waffensysteme, und sie werden zunehmend verwundbar. Worauf es aber besonders ankommt: Das westliche Arsenal verfügt nicht über landgestützte weitreichende Mittelstreckenraketen, die allen anderen Systemen dadurch überlegen sind, daß sie die gegnerische Abwehr am besten zu durchdringen vermögen und so auch die größte Chance haben, ihr Ziel zu erreichen. Hielte diese Entwicklung an, würde die durch SALT II festgelegte Parität im Bereich interkontinentaler Waffen ausgehöhlt, und auch die Fähigkeit des Bündnisses, seine Strategie der Abschreckung wirksam anzuwenden, würde unglaubwürdig werden. Ich will diese Strategie in ihrer Funktionsweise hier nicht im einzelnen beschreiben, sondern nur soviel sagen: Die Bündnisstrategie der NATO will den Frieden durch Abschreckung wahren, indem sie einem potentiellen Angreifer die Möglichkeit der am Ende unberechenbaren Zerstörungskraft nuklearer Waffen vor Augen führt. Im Verteidigungsfall - wenn die Abschreckung versagt hat - will sie jedoch, wenn andere Mittel unwirksam geworden sind, durch vorbedachte Eskalation, d. h. durch den Einsatz von so wenigen Nuklearwaffen wie möglich, einem Angreifer deutlich machen, daß er bei Fortsetzung seines Angriffs untragbare Schäden hinnehmen muß. Auf diese Weise soll ein Angreifer zur Einstellung seiner Kriegshandlungen veranlaßt werden. Niemand kann mehr als wir Deutschen daran interessiert sein, daß dies in einem Verteidigungsfall gelingt. Zur Erfüllung dieser Aufgabe benötigt das Bündnis aber auch im Bereich der nuklearen Mittelstreckensysteme nach Art und Umfang ausreichende Waffen. Ist dies nicht der Fall, besteht die einzige Möglichkeit des Westens darin, mit dem Einsatz interkontinental-strategischer Waffen der schwersten Kategorie zu drohen. Diese Drohung aber ist wenig glaubwürdig, weil ihre Verwirklichung die massivste nukleare Auseinandersetzung mit der Zerstörung beider Seiten bedeuten könnte. Soll die Strategie der Abschreckung auch weiterhin glaubwürdig sein, muß der Westen also das gefährdete Gleichgewicht bei kontinental-strategischen Waffen wieder stabilisieren. Dabei geht es weder um ein Nachrüsten bis hin zur zahlenmäßigen Gleichheit mit dem Osten noch um eine stärkere Betonung der nuklearen Komponente. Die Zahl der nuklearen Sprengköpfe wird sogar vermindert werden können. Es geht einzig darum, ein ausreichendes Potential zu besitzen, um einen möglichen Aggressor mit einem für ihn untragbaren Risiko zu konfrontieren und damit die Friedenssicherung durch Abschreckung auf allen Ebenen glaubwürdig zu gestalten. Diesen Überlegungen trägt das erste Hauptelement des NATO-Beschlusses Rechnung. Ein weiteres Element kommt hinzu und ist mindestens ebenso bedeutend. Das Bündnis der westlichen Staaten bietet dem Warschauer Pakt ausdrücklich an, sofort mit Verhandlungen zu beginnen, um das festgestellte beunruhigende Ungleichgewicht auf dem Verhandlungswege zu beseitigen, ohne daß die Aufstellung neuer Waffensysteme in Zentraleuropa notwendig wird. Dabei gilt, daß die beschlossenen verteidigungspolitischen Maßnahmen um so geringer ausfallen können - konkret: um so weniger umgesetzt werden müssen -, je mehr es gelingt, in den jetzt aufzunehmenden Verhandlungen zu einem für beide Seiten akzeptablen Kräfteverhältnis, Kräftegleichstand auf niedrigerer Ebene, zu gelangen. Dies war also keineswegs nur eine militärische Entscheidung, sondern es war eine politische Entscheidung von hohem Rang. Sie hat gezeigt, daß das Bündnis der westlichen Demokratien die Kraft besitzt, eine für notwendig erachtete Maßnahme mit einer Stimme zu beschließen und ihr die Elemente zu vermitteln, die für Sicherheit und Entspannung gleichermaßen von Bedeutung sind. ({1}) Die Parallelität innerhalb dieses Beschlusses eröffnet die Möglichkeit, in eine neue Dimension der Sicherheitspolitik einzutreten, die von realistischer Rüstungskontrollpolitik gekennzeichnet ist. Der Beschluß der NATO mußte jetzt fallen, ein Hinausschieben wäre unbegründet, ja schädlich, gewesen. Es hätte Fehlurteile über die Handlungsfähigkeit der NATO verursacht. Es hätte den Beginn realistischer Rüstungskontrollverhandlungen hinausgezögert. Wir Freien Demokraten wollen, daß so schnell wie möglich verhandelt wird. Ein Hinauszögern hätte auch keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die Befürworter einer Verschiebung des Beschlusses wollten die Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion auf die Probe stellen, ohne sie mit einem Nachrüstungsbeschluß zu konfrontieren. Der Westen hat der Sowjetunion aber während zweier Jahre vor diesem Beschluß immer wieder seine Besorgnis über ihre Rüstung im Bereich dieser Mittelstreckenraketen deutlich gemacht: so in der Rede des Bundeskanzlers in London, so in vielen Gesprächen mit führenden Vertretern der Sowjetunion, so durch zahlreiche Appelle des Bundesaußenministers. Die Sowjetunion wurde zum Stopp der Produktion und Stationierung ihrer SS-20-Rake15476 ten mehrfach aufgefordert. Sie hat nicht reagiert. Sie hat auch bewiesen, daß sie einseitigen Rüstungsverzicht, wie im Falle des B-1-Bombers oder der Neutronenwaffe, nicht durch entsprechendes Entgegenkommen honoriert. Kurz: Ohne die notwendigen Nachrüstungsmaßnahmen blieben die Rüstungskontrollbemühungen bei sich ständig vergrößerndem sowjetischen Waffenarsenal. ohne Chance. Mancher Bürger wird sich nun fragen, ob es nicht etwas gewagt sei, angesichts der NATO-Entscheidung, über die wir hier sprechen, von einem historischen Beschluß zu reden. Ich möchte belegen, warum dies ein im guten Sinne historischer Beschluß sein kann, weshalb wir mit dieser Debatte ein Parlamentsjahr in der Hoffnung beenden, 1980 möge der Beginn eines Jahrzehnts der Rüstungskontrolle und Abrüstung werden. Auf allen Ebenen der Sicherheitspolitik kann und soll die Zusammenarbeit der Staaten an die Stelle der Konfration unter den Blöcken treten, wenn jeder dem anderen die angemessene Erfüllung seines Sicherheitsbedürfnisses, aber auch ein Mindestmaß an Bereitschaft zur Entspannung, zur Kooperation zugesteht und sich selbst bemüht, für seine eigene Bereitschaft zu diesen Einstellungen tatkräftige Beweise zu schaffen. Dies ist der Grundgedanke dieses Beschlusses: Ein ungleiches Kräfteverhältnis, welches Unsicherheit und Bedrohtheitsgefühle schafft, soll beseitigt werden, wenn irgendmöglich durch Rüstungskontrolle und Abrüstung, wenn nötig durch Verteidigungsmaßnahmen. Die guten Neujahrswünsche für 1980, adressiert auch an unsere östlichen Nachbarn, lauten deshalb: Erstens. Lassen Sie uns alsbald - gleich zum Auftakt eines hoffentlich guten neuen Jahres - die Verhandlungen aufnehmen und die Ursachen der jetzigen Auseinandersetzungen im Geiste der Schlußakte von Helsinki verringern oder gar beseitigen! Unser Wunsch, die nuklearen Verantwortlichkeiten nicht verwischt zu sehen, aber auch das Tempo des gewollten Fortschritts nicht zu beeinträchtigen, bestimmt uns, wenn wir - wie bei den bisherigen Gesprächen über die Begrenzung der strategischen Rüstung - davon ausgehen, daß die USA und die UdSSR als Verhandlungspartner am Tische sitzen. Als Sprecher der NATO werden sich die Vereinigten Staaten dabei um so mehr der ge- schlossenen Unterstützung des gesamten Bündnisses sicher sein dürfen, als sie dessen Mitglieder an der Festlegung des Verhandlungskurses beteiligen. Zweitens. Warten wir mit dem Beginn der Verhandlungen nicht unnötig auf andere Entscheidungen, z. B. auf die Ratifizierung des SALT-II-Vertrages! Wir alle hier sind zuversichtlich und geben der Erwartung Ausdruck, daß der amerikanische Kongreß die Bedeutung dieses Vertrages für den Fortgang der Entspannung angemessen würdigt und ihn alsbald ratifiziert. Drittens. Bemühen wir uns gemeinsam, den Wiener Verhandlungen über einen Truppenabbau hier in Mitteleuropa zum Durchbruch zu verhelfen! Wir Deutschen haben dazu jetzt eine neue Initiative in das Bündnis eingebracht. Diese soll uns dem in Ost und West gemeinsam anerkannten Ziel eines annähernden Kräftegleichstandes näher bringen, eines annähernden Kräftegleichstandes, bei dessen Bemessung wir ehrlich, nicht aber kleinlich vorgehen sollten und der auf beiden Seiten zur spürbaren Verringerung von Truppen und Rüstungen führt. Die Entscheidung Leonid Breschnews, 1000 Panzer und 20 000 Soldaten aus der DDR abzuziehen, auf der einen und unser jetziges Angebot auf der anderen Seite sollten das Klima wechselseitiger Bereitschaft zu weiteren Abrüstungsschritten auch im Herzen Mitteleuropas schaffen. Viertens. In Madrid werden sich im neuen Jahr die Regierungen von 33 europäischen Staaten sowie der USA und Kanadas zu einer weiteren Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa treffen. Es wäre gut, wenn die Außenminister von Ost und West sowie der neutralen Staaten im Geist der Schlußakte von Helsinki dort weitere vertrauensbildende Maßnahmen vereinbaren könnten - Vertrauensbildung nicht nur im Bereich der Sicherheitspolitik, wiewohl es dort am dringlichsten erscheint, dem gegenseitigen Mißtrauen als einer der Ursachen für das Wettrüsten die Grundlage zu entziehen. Hierfür bieten die Vorschläge Frankreichs, der neutralen Staaten, aber auch der Sowjetunion eine ausgezeichnete Grundlage. Der politische Wille zum Fortgang der Entspannung und der Zusammenarbeit über Blockgrenzen hinweg muß auch in diesem Bereich stärker sein können als technische Probleme, Bedenken und Einwände. Vertrauensbildung vollzieht sich - in einem umfassenderen Sinne und mit nachhaltigerer Wirkung -- aber vor allem, wenn wir das Gefühl der Sicherheit wechselseitig verstärken, auch durch ein größeres Maß an Offenheit, durch Darlegung der politischen Zielsetzung und durch die Bereitschaft, die Methoden und Strategien zu deren Erreichung in einem kritischen Dialog zu erörtern. Eine verstärkte Zusammenarbeit auf allen Gebieten der zwischenstaatlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen ist hierfür die beste Voraussetzung. Die Erfüllung der Schlußakte von Helsinki ist für das Verhältnis der Staaten zueinander, aber auch für die Bewertung des Kooperationswillens der Regierungen durch ihre jeweilige Bevölkerung der entscheidende Maßstab. Jetzt muß sich zeigen, ob künftig Sicherheit mehr durch Zusammenarbeit als durch Konfrontation, mehr durch Abrüstung als durch Aufrüstung und Nachrüstung möglich sein wird. Die Welt ächzt in Ost und West unter den gigantischen Rüstungslasten. Die Hungernden in Asien, Afrika und Lateinamerika und die mit ihnen Empfindenden überall verlangen zu Recht, daß die Militärblöcke der reichen industrialisierten Staaten neue Wege zur Gewährleistung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden finden, damit sie, die Hungernden selbst, wenigstens überleben können. ({2}) Auch die Rettung oder Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts auf dieser Welt verlangen, wie wir alle wissen, in der Zukunft die FreiMöllemann Setzung gewaltiger Mittel in anderen Bereichen. SALT, MBFR und KSZE dürfen nicht länger verständnislos oder skeptisch vernommene Kürzel aus der Sprache von Sicherheitsexperten sein. Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, sie zu allgemein anerkannten Etappenzielen auf dem Weg in ein Jahrzehnt der Abrüstung zu machen. Auch wenn Begriffe wie Freiheit und Frieden zwischen den Blöcken und Staaten nicht immer das gleiche meinen - zum Weg des Interessenausgleichs ohne Gewalt gibt es keine vernünftige, keine verantwortbare Alternative. Ich freue mich und bedanke mich dafür, daß wir alle hier in dieser Bewertung wie auch im Urteil über die NATO-Entscheidung übereinstimmen. Diese Gemeinsamkeit ist uns wichtig. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist, so sagte man mir, die letzte Rede, die in diesem Jahrzehnt in einer Debatte des Bundestages hier gehalten wurde. ({4}) - Herr Kollege, ich bin fast sicher, daß das, was ich jetzt sage, von Ihnen geteilt wird: Ich hoffe, daß derjenige, der in zehn Jahren an gleicher Stelle sprechen wird, ({5}) feststellen darf, daß die heute hier geäußerten Wünsche sich nicht als unerfüllbar erwiesen haben. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir sind am Ende der Sitzung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch den 16. Januar 1980, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.