Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich bitte Sie, davon Kenntnis zu nehmen, daß die Fraktion der CDU/CSU bittet, die Sitzung um 30 Minuten zu unterbrechen, und damit einverstanden zu sein.
Es ist eine allgemeine Gepflogenheit im Hause, daß dem Wunsch einer Fraktion, die Sitzung zu unterbrechen, auch stattgegeben wird. Es sind Verhandlungen im Gange, die für die heutige Tagesordnung noch virulent sind.
Ich unterbreche damit die Sitzung und berufe das Haus zur Fortsetzung dieser Sitzung auf 9.30 Uhr ein.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Vor Eintritt in die Tagesordnung: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" - Drucksachen 8/3293, 8/3451, 8/3489 - ergänzt werden. Der Zusatzpunkt soll in Verbindung mit Einzelplan 15 behandelt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir setzen die
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 ({0})
- Drucksachen 8/3100, 8/3354 Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({1})
fort. Ich rufe auf:
Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 8/3381 -
Berichterstatter:
Abgeordneter
Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
- Drucksache 8/3385 -
Berichterstatter:
Abgeordnete
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. Rose
und dazu den Zusatzpunkt, um den die Tagesordnung soeben ergänzt worden ist:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"
- Drucksache 8/3293 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/3489 -
Berichterstatter:
Abgeordneter
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({3})
- Drucksache 8/3451 -Berichterstatter: Abgeordneter Kuhlwein
({4})
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die Debatte zu diesen aufgerufenen Punkten als verbundene Debatte geführt werden soll. Das Haus ist damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache.
15312 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 13. Dezember 1979
Präsident Stücklen
Das Wort hat Herr Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist der gewichtigste Einzelposten im Bundeshaushalt: 48,2 Milliarden DM, von denen allerdings über 99% gesetzlich gebunden sind. Dem Minister verbleibt folglich nur ein geringer politischer Handlungsspielraum; aber noch nicht einmal diesen versteht der Arbeitsminister effizient zu nutzen.
({0})
Zu den Grundregeln politischer Führung in unserem Staat gehört es doch, die Öffentlichkeit über die zentralen Aufgaben und Ziele des eigenen Ressorts rechtzeitig, eindeutig und umfassend zu informieren. Dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung steht im kommenden Jahr ein Betrag von mehr als 4 Millionen DM für diese Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. Wird er diesen Betrag, so ist zu fragen, pflichtgemäß nutzen und die Bevölkerung über die künftige Rentenpolitik der Bundesregierung wahrheitsgemäß informieren?
({1})
Bis heute war das jedenfalls nicht der Fall. Obwohl in den letzten Wochen nahezu täglich Vorschläge, kritische Anregungen und Gutachten zur zukünftigen Gestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung zu lesen und zu hören waren, gibt es immer noch keine richtungweisende Aussage aus dem Ministerium.
({2})
Vielmehr haben wir bis heute nur widersprüchliche und unklare Verlautbarungen von der Bundesregierung gehört.
({3})
Angesichts der offenen Gegensätze zwischen SPD und FDP über die künftige Rentenpolitik erscheint es bei dieser Regierung nicht einmal mehr sicher, ob die anläßlich der zunächst auf drei Jahre befristeten willkürlichen Rentenanpassung gegebene Zusage, nach Ablauf dieses Zeitraums zur Bruttolohnanpassung zurückzukehren, tatsächlich eingehalten wird.
({4})
Auch die Diskussionsvorschläge der sogenannten Wehner-Kommission und die vom SPD-Parteitag beschlossene Vertagung wichtiger Entscheidungen auf das kommende Frühjahr
({5})
bzw. den kommenden Sommer
({6}) - Sie haben es doch verschoben ({7}) - genau das sage ich ({8})
geben den Spekulationen nur weitere Nahrung.
({9})
Die Verunsicherung der Rentner und Versicherten durch die SPD und die FDP bleibt nicht nur, sondern sie wächst ständig.
({10})
- Lesen Sie mal jeden Tag die Zeitungen.
Damit hier kein Mißverständnis aufkommt: Ich halte eine gründliche Diskussion so wesentlicher Grundsatzfragen in den Parteien für legitim und nützlich, allerdings unter der Voraussetzung, daß Arbeitsergebnisse die Regierung nicht binden, sondern als Denkanstöße aufgefaßt werden. Dies entspricht jedenfalls unserem Verfassungsverständnis.
-
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Nein, ich komme sonst mit der Zeit nicht aus.
Politisch bedenklich wird eine solche Diskussion aber dann, wenn sie vor dem Hintergrund unterschiedlicher Aussagen und Dementis im zuständigen Ministerium geführt wird. An sich unverbindliche Parteidiskussionen erhalten dann nämlich eine ganz andere Dimension, wenn sie an die Stelle des fehlenden verbindlichen Rentenkonzepts der Regierung treten.
Ein solches verbindliches Konzept fehlt aber bisher im Hause Ehrenberg. Wie anders sollen wir denn die widersprüchlichen Verlautbarungen des Ministers und seiner Staatssekretärin Frau Fuchs werten? Wir kommen doch gar nicht umhin, angesichts der Situation in diesem Ministerium nicht nur das Vakuum in der politischen Sachaussage zu kritisieren, sondern ebenfalls ein Führungs- und Kompetenzdefizit.
({0})
Vor allem stellt sich doch die Frage, wie die sich abzeichnende Haltung der SPD bei der Bewältigung des Rentenproblems mit der in vielen Bereichen gegensätzlichen Auffassung des kleineren Koalitionspartners FDP überhaupt zu einer effektiven Arbeit im Ministerium führen kann. Nicht nur uns hier im Hause, sondern auch dem Bürger draußen drängt sich der Verdacht auf, daß 1980 das gleiche erbärmliche Spiel mit dem Wähler getrieben werden soll wie schon bei der Wahl,
({1})
eine Neuauflage des Rentenbetrugs von 1976, nach dem Motto: Verharmlosung vor der Wahl als ein „Problemchen", und nach der Wahl das Kanzlereingeständnis, das vermeintliche Problemchen habe zu einer „ernsthaften Beunruhigung und zu einer Belastung des Vertrauens in die sozialliberale Koalition und in die Bundesregierung" geführt.
(Zuruf des Abg. Immer ({2})
Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 13. Dezember 1979 15313
- Sie haben es gerade nötig, das hier noch dazwischenzurufen. Das muß man immer wieder sagen. Ich lese Ihnen gern die Anzeigen aus dem Wahljahr 1976 vor, damit Sie sehen, wie wir belogen und betrogen worden sind!
({3})
Ihr Kollege Hermann Schmidt und Ihre Kollegin Frau Steinhauer haben gesagt: Die Renten sind sicher, es gibt keine Abstriche. Sie müßten ganz ruhig sein!
({4})
Wen kann es - auch bei solchen Zwischenrufen - noch wundern, daß die Verunsicherung der Bevölkerung hinsichtlich der Alterssicherung wächst, das Vertrauen in Staat und Regierung schwindet angesichts der Erfahrungen in den letzten Jahren, angesichts eines zuständigen Ministers, der mit Blick auf Wahltermine ausweichend und hinhaltend taktiert?
({5})
Alterssicherung heißt für jeden Bürger: langfristige Lebensplanung. Sie setzt Stetigkeit, Rechtssicherheit und Vertrauen voraus.
({6})
Aber keine dieser Voraussetzungen wird von der jetzigen Bundesregierung erfüllt.
({7})
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bleiben bei unserer Zusage: Wir halten an dem Grundsatz der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente ohne Wenn und Aber fest.
({8})
Wir lehnen eine Besteuerung der Renten ab. Sie würde verfassungspolitisch bedenklich und sozial ungerecht auf eine Doppelbesteuerung, nämlich heute der Sozialabgaben und morgen der Renten, hinauslaufen. Sie würde als Steuer die Staatskasse, nicht aber die Rentenkasse füllen und damit den politischen Einfluß des Staats auf die Rentenversicherung stärken, deren Selbstverwaltung aber empfindlich schwächen.
({9})
Das eine solche, von uns für schädlich gehaltene Entwicklung offenbar von Teilen der SPD im Hinblick auf das Ziel Nivellierung, Einheitsrenten, Volksversicherung gewünscht wird und aktiv gefördert wird, ist schon lange kein Geheimnis mehr.
Was Manipulationen an der Rentenformel anrichten, lehren uns die Folgen des 21. Rentenanpassungsgesetzes. Die in diesem Gesetz vorgenommene Durchbrechung des in 20 Jahren bewährten Prinzips hat bereits Millionen von Rentnern Nachteile gebracht.
({10})
Angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten um unterdessen 5,7 % binnen Jahresfrist haben die Rentner im Jahre 1979 bereits einen Kaufkraftverlust hinnehmen müssen, da ihre Renten zu Jahresbeginn lediglich um 4,5 % erhöht wurden. 1980 werden die Rentner einen weiteren realen Einkommensverlust hinnehmen müssen, wie das jüngste Sachverständigengutachten über die wirtschaftliche Entwicklung darlegt. Durch diese Zangenbewegung wird die Lohnersatzfunktion der Renten ernsthaft in Frage gestellt. Die Versicherten werden durch die unstete Politik der Regierung und deren Folgen geradezu gezwungen, ihre Alterssicherung zu überdenken und sich um eine langfristige solidere Basis zu bemühen, als sie von der jetzigen SPD /FDP-Regierung erhoffen können, zumal dann, wenn SPD und FDP in diesem empfindlichen Bereich der Rentenversicherung weiter so wirtschaften wie bisher.
({11})
Ein anderer Problembereich. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erhält aus dem Bundeshaushalt für Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik im kommenden Jahr rund 200 Millionen DM und weitere 60 Millionen DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Im Hinblick auf die nach wie vor unbefriedigende Arbeitsmarktsituation, die von nahezu 800 000 registrierten Arbeitslosen gekennzeichnet ist, kann man im Prinzip gegen solche Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik nichts einwenden. Das gilt um so mehr dann, wenn solche Hilfen gezielt den Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt zugute kommen, nämlich den Älteren, den gesundheitlich Beeinträchtigten und den Ungelernten unter den Arbeitslosen.
({12})
Unter diesem Aspekt haben wir gegen das im Frühjahr beschlossene arbeitsmarktpolitische Programm der Bundesregierung für die Regionen mit besonderen Beschäftigungsproblemen keine Einwendungen gehabt. Zwischen den propagandistischen Verheißungen der Bundesregierung in der Öffentlichkeit einerseits und dem Vollzug des Programms andererseits werden aber erhebliche Diskrepanzen offenbar, die zur Kritik Anlaß geben. Statt, wie ursprünglich vom Arbeitsminister versprochen, den Akzent des Programms auf gezielte Hilfen für die Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt zu legen, nämlich auf die ungelernten und die längerfristig Arbeitslosen, wird aus sachwidrigen, d. h. wahltaktischen Erwägungen nunmehr der Löwenanteil der Mittel für allgemeine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgegeben. Hiermit wird einer kurzfristig wirksamen, aber im wesentlichen nur vorübergehenden Entlastung des Arbeitsmarktes speziell im Problembereich Nordrhein-Westfalen, im Ruhrgebiet, der Vorzug vor dauerhaften Problemlösungen gegeben.
Ratgeber für diese nachträgliche massive Verlagerung der Prioritäten kann nicht der Sachverstand von Arbeitsmarktexperten gewesen sein. Hier war offensichtlich die Angst vor einer drohenden Wahlniederlage bei der entscheidenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen maßgebend.
({13})
Die Angst ist anscheinend so groß, daß sogar die schwerwiegenden Beanstandungen des Bundesrechnungshofes aus den Jahren 1977 und 1978 schlichtweg mißachtet werden. Der Bundesrechnungshof hatte u. a. kritisiert, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen überraschend geringe positive Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt erzielten, und daher im Hinblick auf die ungünstige KostenNutzen-Relation - ich zitiere - „die Berichterstattung der Bundesregierung über die Wirkung und den Erfolg der besonderen arbeitsmarktpolitischen Beschäftigungshilfen für unzureichend und zum Teil irreführend" gehalten. Außerdem kritisiert der Bundesrechnungshof, daß erhebliche Mitnahmeeffekte bei den Kommunen im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgelöst wurden.
Das ist auch bei dem Vollzug des hier zur Diskussion stehenden Sonderprogramms zu befürchten, wenn jetzt entgegen der vorgesehenen strikten Plafondierung der für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur vorgesehenen Mittel die Grenze von 150 Millionen DM gesprengt wird. Nunmehr sollen 434 Millionen DM, also rund das Dreifache des ursprünglichen Ansatzes, vorgesehen werden, was erhebliche neue Mitnahmeeffekte befürchten läßt. Das steht im klaren Gegensatz zum arbeitsmarktpolitischen Programm, nach dem ausdrücklich kein Austausch zwischen den Schwerpunkten erfolgen sollte, Herr Kollege Grobecker, in diesem Fall zugunsten des Schwerpunktes III, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur. Damit ist im Haushaltsausschuß für das Programm geworben, damit ist es begründet worden, und kaum hat man ja gesagt, wird diese Linie rigoros verlassen. Man macht ganz etwas anderes, Hauptsache man hat das Geld.
Dies erscheint besonders bedenklich vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Strukturwandels bei den Arbeitsplätzen, der mit einem Verlust von Arbeitsplätzen im privaten Bereich und einer Aufblähung des öffentlichen Sektors einhergeht. Während der Anteil der in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, in der Industrie oder in Handel und Verkehr Beschäftigten seit 1970 ständig zurückgeht, hat beispielweise allein der Anteil der im öffentlichen Dienst Beschäftigten in den Jahren 1970 bis 1978 um 17 % zugenommen.
({14})
Die Verlagerung dieser Prioritäten im Sonderprogramm leistet einer solchen negativen Tendenz Vorschub.
Während man im Rahmen des Sonderprogramms nichts unversucht läßt, Millionenbeträge für arbeitsmarktpolitisch umstrittene Maßnahmen, konzentriert auf das Problemgebiet Ruhrgebiet, auszugeben, widmet die Bundesregierung anderen Gebieten der Arbeitsmarktpolitik leider nicht die gebotene Aufmerksamkeit.
Wie anders ist es zu erklären, daß noch Haushaltsreste aus früheren Programmen zur Arbeitsbeschaffung in Milliardenhöhe bei der Bundesanstalt für Arbeit und im Bundeshaushalt am Jahresende 1979 vorhanden sein werden?
({15})
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung - und damit komme ich zu einem weiteren Problembereich - erhält aus dem Bundeshaushalt für die Durchführung des Zivildienstes nach Vornahme einvernehmlich beschlossener Kürzungen fast 400 Millionen DM. Ungeachtet des vorliegenden Kürzungsantrages der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den ich hier gleich mit begründe, in einer Höhe von 10 Millionen DM wird im übrigen der Ansatz für den Zivildienst im Prinzip von uns mitgetragen; denn die CDU/CSU steht vorbehaltlos zum Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Wir erkennen an, daß junge Männer, die in unserem freiheitlichen Staat von diesem Grundrecht Gebrauch machen, durch Ableistung dieses Zivildienstes vorbildliche Leistungen zum Wohle der Allgemeinheit, vor allem im sozialen Bereich, erbringen.
({16})
Fehlentwicklungen und Mißstände dürfen also nicht den Zivildienstpflichtigen angelastet werden, sondern gehen zu Lasten des zuständigen politisch verantwortlichen Ministers, der auch in diesem Bereich seiner Aufsichtspflicht unzulänglich nachgekommen ist.
({17})
Auch dies stellt - nebenbei - der Bundesrechnungshof in einem Bericht fest.
({18})
- Sie sollten mal den Bericht des Bundesrechnungshofes lesen, Herr Jaunich, dann würden Ihnen die Augen aufgehen. Es kann nicht hingenommen werden, daß Zivildienstpflichtige beispielsweise ohne Aufsicht und Anleitung tätig sind und in einigen Fällen in Bereichen und zu Zeiten eingesetzt werden, für die im Zivildienstgesetz keine Rechtsgrundlage vorhanden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich komme mit der Zeit nicht aus, Herr Präsident.
({0})
Offensichtlich sind Vergütungsvereinbarungen mit den Betreuungsverbänden und Entgelte für die Teilnahme an Einführungslehrgängen sowie Zuschüsse an Beschäftigungsstellen so hoch angesetzt worden, daß sie entweder zur Verschwendung verleiten oder zu unangemessenen finanziellen Vorteilen bei den Begünstigten führen. Die unzureichende Ausnutzung vorhandener Ausbildungskapazitäten, etwa an den Zivildienstschulen des Bundes, steht im Widerspruch zum Gebot der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit bei der Verwendung öffentlicher Mittel.
Zahlreiche Manipulationen, die nur dazu dienen, die Bilanz der Tätigkeit des Bundesbeauftragten für
Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 13. Dezember 1979 15315
den Zivildienst zu frisieren, gehen zu Lasten des Steuerzahlers, der schon eine große Zahl von Potemkinschen Dörfern der Bundesregierung mit zu finanzieren hat.
({1})
Wir geben Ihnen, Herr Minister Ehrenberg, Gelegenheit, einen Wandel zum Besseren eintreten zu lassen. Unser Kürzungsvorschlag stellt hierzu die richtigen Weichen, um den auch vom Bundesrechnungshof festgestellten Fehlentwicklungen künftig einen Riegel vorzuschieben.
({2})
Von dem zuständigen Berichterstatter auch für den Teilbereich Gesundheit im Einzelplan 15 könnten Sie, meine Damen und Herren, noch einige kritische Anmerkungen zu diesem Bereich und zu der Verantwortung von Frau Bundesminister Huber für die Gesundheitspolitik erwarten. Aber ich muß Sie enttäuschen; denn Gesundheitspolitik findet im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit nicht statt.
({3})
Alle gesundheitspolitisch relevanten Initiativen der Bundesregierung der letzten Zeit kamen mehr oder weniger ausschließlich aus dem Arbeitsministerium.
Diese Feststellung möchte ich allerdings nicht als ein Gütesiegel mißverstanden wissen, im Gegenteil! Denn was z. B. als systemerhaltende und kosten- dämpfende Maßnahmen im Bereich der Arzneimittelversorgung, einem wesentlichen Teil unseres - so Herr Ehrenberg - „hervorragenden Gesundheitssystems mit hohem medizinischen Leistungsniveau" von ihm verkauft wurde, wird sich zumindest mittel- und langfristig als gesundheitspolitisch fatale Systemveränderung und als Kostensteigerung in der gesetzlichen Krankenversicherung auswirken.
({4})
Lassen Sie mich dafür aus der Fülle der Beispiele eines herausgreifen. Die ausgabenorientierte Beitragspolitik der gesetzlichen Krankenversicherung soll durch eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik ersetzt werden. Das ist ein eklatanter Systembruch, weil damit auch ein interventionistisches Eingreifen des Staates verbunden ist. Wir alle, auch Sie, Herr Jaunich, sollten aus Erfahrung wissen, daß Interventionen kaum jemals die erhoffte Wirkung haben, vielmehr nur einen Rattenschwanz dirigistischer Eingriffe nach sich ziehen.
Von Systemerhaltung kann - damit beantworte ich wahrscheinlich Ihre Frage - vor allem dann nicht die Rede sein, wenn ein entscheidendes Glied des Systems, nämlich der Patient, von allen Maßnahmen verschont bleibt.
({5})
Schon 1977 hat die Weltgesundheitsorganisation,
die nun wirklich über jeden Verdacht erhaben ist,
sie vernachlässige etwa die Interessen des Kranken, das mangelnde Kostenbewußtsein als wesentliche Ursache der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen herausgestellt.
Aber das Thema „Selbstbeteiligung", meine Damen und Herren gerade von der SPD, ist ja nach Auffassung Ihres Obmanns, Herrn Egert, aus der gesundheitspolitischen Rumpelkammer ans Tageslicht gefördert worden. Mit Selbstbeteiligung, so sagen Sie, sei eine Kostendämpfung im Gesundheitswesen nicht erreichbar. Der zuständige Abteilungsleiter im Ministerium sagt, das wäre sinnlos.
Trotzdem - und das halte ich für richtig - werden wissenschaftliche Untersuchungen gemacht, damit man eine solche Frage wirklich erst einmal beantworten kann. Beantworten kann man sie nur dann, wenn differenzierende Aussagen und Untersuchungsergebnisse vorliegen. Sie fällen Ihr Urteil aber schon vorher.
({6})
Dabei führen Sie praktisch doch eine Selbstbeteiligung des Patienten, aber auf dem Umweg über die sogenannte Negativliste ein, mit der Sie zahlreiche Medikamente aus der Erstattungspflicht herausnehmen wollen.
({7})
- Natürlich!
Die geschilderten Fehlentwicklungen und Versäumnisse, meine Damen und Herren, sind für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Anlaß, den Einzelplan 11 auch in diesem Jahr abzulehnen.
({8})
Diese Ablehnung richtet sich nicht gegen die Grundstrukturen des sogenannten Netzes der sozialen Sicherheit, die von uns geschaffen wurden, und auch nicht gegen wesentliche Verbesserungen, die wir mitgetragen haben. Wir lehnen aber die Politik des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und der Bundesregierung ab, die in zahlreichen Fällen durch Fehlentscheidungen mittel- und langfristige Fehlentwicklungen zu verantworten hat, von denen wir uns ganz entschieden distanzieren.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Grobecker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Wittgenstein, daß Sie den Einzelplan 11 ablehnen, ist natürlich ein verheerender Schlag gegen die Koalition. Nachdem Sie bekundet haben, daß Sie den Einzelplan 11 ablehnen werden, werden wir schwer noch weiterregieren können.
Der Einzelplan 11, meine Damen und Herren, ist das Dokument der Verantwortung der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen gegenüber den Bürgern. Darüber gibt es für uns jedenfalls keinen Zweifel. Alle Biedenkopf sehen und Straußschen Klimmzüge hindern uns nicht daran,
uns nachdrücklich zum Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes zu bekennen.
({0})
Dieser Auftrag findet seine Umsetzung vor allen Dingen im Einzelplan 11.
({1})
Jetzt mache ich eine Bemerkung, bei der wir sicherlich übereinstimmen: 7,7 % Steigerungsrate - 48-Milliarden-DM-Grenze durchbrochen. Dies ist eine Feststellung, die Sie nicht kritisieren und nicht leugnen können. Mir kommt es immer darauf an, hin und wieder mit Herrn Wittgenstein übereinzustimmen. Nur, Herr Wittgenstein, nach dem zu schließen, was Sie zu den Renten gesagt haben, müssen Sie bei der Rede von Herrn Strauß am Dienstag nicht hier gewesen sein oder nicht zugehört haben. Wahrscheinlich haben Sie an Ihrem Manuskript für heute gearbeitet. Jedenfalls hat Herr Strauß gesagt, er wolle die Staatsquote senken. Da wird natürlich nichts aus all dem Schönen, was Sie hier erzählt haben, wie Sie die Rente haben wollen. Wenn man die Staatsquote senkt, wird aus den Blütenträumen, die Sie da in Richtung auf Rente fabriziert haben, natürlich überhaupt nichts. Das muß klar sein: Wenn man die Staatsquote senkt, kann man dort nicht gleichzeitig in die Höhe gehen.
({2})
Was zu diesem Thema hier von der CSU /CDU - auf diese Reihenfolge kommt es ja wohl an ({3})
in der bisherigen Debatte gesagt oder, besser wohl, suggeriert worden ist, ist doch ein kleines bißchen eigenartig. Der Biedenkopf und vor allen Dingen auch der Kollege Blüm - ich weiß nicht so recht, ob das für Sie so eine Art Eintrittskarte gewesen ist, weil Sie sich für das Schattenkabinett qualifizieren wollten, Herr Kollege Blüm - ({4})
- Ich will nur sagen: Nach dem, wie Sie das gesagt haben, hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, Sie hätten Angst, auch einen Ausschlußantrag zu kriegen, ähnlich wie das bei Maria Weber der Fall gewesen ist. Deshalb mußten Sie wohl so reden.
({5}) Ich kann das nicht beurteilen.
({6})
- Meine Zeit ist genauso knapp wie die des Herrn Wittgenstein. Sie haben ja als Starredner am Dienstag etwas mehr Zeit gehabt, als ich heute hier habe.
({7})
- Nein, nein. - Ich will nur sagen, Kollege Blüm: Nehmen Sie es mir nicht krumm,. wenn ich in Zukunft „Herr Blüm" zu Ihnen sage.
({8})
Meine Damen und Herren, im Bundeshaushalt, Einzelplan 11 - und darüber muß man hier im Zusammenhang mit Renten reden -, sind 30 Milliarden DM Zuschüsse für die Rentenversicherung enthalten, davon 1,5 Milliarden DM für die vorzeitige Rückzahlung von Schulden, die der Bund in der Rentenversicherung hat. Nimmt man das zusammen mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz, so steht heute fest - und darüber muß man reden -, daß die Liquidität der Versicherungsanstalten gesichert ist. Das darf bei einer solchen Debatte natürlich nicht untergehen. Unsere gesetzlichen Maßnahmen haben also Erfolg gehabt; davon müssen wir ausgehen. Die Liquidität ist gesichert. Es gibt kein Rentenloch. Im vorigen Jahr war das anders. Da haben wir noch darüber geredet, wie man dieses Loch schließen kann.
Nun gibt es - und deswegen debattieren wir ja hier über die Renten, sonst gäbe es dazu keinen Anlaß - ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach dieses Parlament - Sie wie wir, alle zusammen hier - bis 1984 die Altersversorgung von Mann und Frau gerechter gestalten muß. Das ist der Anlaß der erneuten Debatte. Die Koalition nimmt dieses Urteil nicht nur ernst, sondern ist sehr frühzeitig - man kann sich darüber streiten, ob es richtig ist, das so frühzeitig zu tun - dabei, darüber nachzudenken, wie man denn die Forderung in diesem Verfassungsgerichtsurteil verwirklichen kann. Wir zaubern solche Vorschläge nicht aus dem Hut. Wir haben Kommissionen auf der Parteiebene eingesetzt. Die Bundesregierung hat entsprechende Kommissionen eingesetzt. Wir halten es für richtig, rechtzeitig innerparteilich und auch öffentlich darüber zu debattieren, was für Vorschläge es denn gibt, welche Möglichkeiten bestehen, dieses Verfassungsgerichtsurteil zu verwirklichen. Das dauerte bei der Mentalität, die wir haben, einige Monate, weil wir so etwas durchkneten und nicht einfach bestimmen.
({9})
Wir debattieren darüber, innerparteilich wie außerhalb. Wir kneten das durch und kommen dann zu einem Beschluß. Die Beschlüsse liegen noch nicht vor.
({10})
Wir werden spätestens auf unserem nächsten Parteitag im Frühsommer sagen, wie wir es machen
wollen. Wenn Sie diesen Diskussionsprozeß, der sich bei uns abspielt, zum Anlaß nehmen, hier zu kriteln und zu deuteln, dann ist doch wohl die Frage erlaubt, ob Sie sich schon mit dem Verfassungsgerichtsurteil beschäftigt haben und uns Vorschläge vorlegen können.
({11})
Bei Ihnen fängt das hoffentlich noch an. Ich hoffe sehr, daß Sie sich das überlegen. Ich finde, die Wähler müßten im Wahljahr 1980 von allen drei Seiten dieses Hauses Vorschläge vorliegen haben, damit
sie auswählen können, welches der richtige Weg ist, mehr Gerechtigkeit bei der Altersversorgung von Mann und Frau herzustellen. Das ist doch der Punkt, auf den es ankommt.
({12})
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Krankenversicherung. Zwischendurch hat es ja die Befürchtung gegeben, bei uns wie bei Ihnen, daß neue Eingriffe nötig werden könnten. Die Lage hat sich beruhigt, was die Kostensteigerungsrate angeht. Man kann wohl sagen, das Kostendämpfungsgesetz hat mit seinen Instrumenten dazu beigetragen, die Expansion der Preissteigerungsraten im Gesundheitswesen zu brechen. Wir werden uns über kurz oder lang mit der Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes beschäftigen. Es gibt keinen Zweifel, daß die Effizienz verbessert werden muß. Im Einzelplan 11 sind 875 Millionen DM, 10 Millionen DM mehr als im vorigen Jahr, für diese Novellierung vorhanden.
Zu den Kriegsopfern sagen Sie natürlich nichts, Herr Wittgenstein. Überall da, wo die Dinge in Ordnung sind, brauchen Sie auch keine Bemerkungen zu machen; das ist klar. Es hängt auch an der Zeit. Ich werfe Ihnen das nicht vor. Sie sind in der Opposition; Sie haben das aufzugreifen, von dem Sie meinen, daß es nicht in Ordnung ist.
Bei den Kriegsopfern haben wir inzwischen in diesem Haushalt eine Steigerung auf 12,5 Milliarden DM. In dieser Summe sind bereits die. Kosten aus dem inzwischen in Kraft getretenen Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter enthalten, übrigens nach vielem Fingerhakeln, das wir als Fraktion der SPD mit den zuständigen Ministern gehabt haben. Inzwischen sind auch die Eilzüge, die im Nahverkehr verkehren, in die Regelung einbezogen.
Nun haben Sie sich, Herr Wittgenstein, mit dem Arbeitsmarkt beschäftigt, und zwar in einer Weise, aus der man schließen könnte, auf dem Arbeitsmarkt sei alles chaotisch. Ich teile bestimmte Kritikpunkte und werde darauf noch kommen. Vorweg muß ich aber feststellen, daß die Zahl der Arbeitslosen seit mehreren Monaten unterhalb der Grenze von 800 000 liegt. Nun sagen wir nicht: „Bravo, bravo, das ist ein riesiger Erfolg", sondern wir sagen: „Das sind 800 000 zuviel." Im Jahresdurchschnitt werden wir aber wahrscheinlich, soweit man es heute übersehen kann, 120 000 Arbeitslose weniger haben. Wir sind ein gutes Stück auf dem Weg zur Vollbeschäftigung vorangekommen.
Dennoch sehen wir auch Probleme, an deren Lösung wir arbeiten. Grob gesehen sind es zwei Probleme. Erstens gibt es erhebliche regionale Unterschiede, zu deren Bewältigung ein Programm gemacht worden ist, von dem wir schon erkennen können, daß es erfolgreich sein wird. Das zweite Problem ergibt sich aus der Struktur der Arbeitslosigkeit - es ist schrecklich genug, daß man dieses Wort dafür benutzt -, daß wir nämlich unter den bis jetzt noch verbliebenen Arbeitslosen ungeheuer viele ungelernte und ältere Arbeitnehmer und vor allen Dingen Frauen haben.
Um dem abzuhelfen, sind im letzten Jahr zwei Instrumente bereitgestellt worden. Eines davon ist das Arbeitsmarktprogramm für Regionen mit besonderen Beschäftigungsproblemen. Sie haben eine Kleine Anfrage gestellt, auf die die Antwort noch nicht vorliegt. Ich denke, inzwischen kann nachgewiesen werden, daß dieses Programm in solchen Regionen, wo die Arbeitslosenquote oberhalb von 6 liegt, gezogen hat, und zwar auch deshalb, weil nach meiner Einschätzung dieses Programms die neuen Bedingungen, nämlich jemanden gar nicht erst zu entlassen, nicht erst auf dem Arbeitsmarkt feilzubieten, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, sondern ihn im Betrieb zu lassen und mit Hilfe des Bundes umzuschulen, besonders dazu beitragen, diese Regionen aus ihrer Lage zu befreien.
Der zweite Punkt ist die 5. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz. Auch hier hat - daran gibt es wohl keinen Zweifel - die Arbeitsverwaltung inzwischen das Instrument bekommen, zusammen mit Gewerkschaften, Betriebsräten, Arbeitgebern und Bildungsträgern dafür zu sorgen, daß Angehörige der wie es neuhochdeutsch heißt - Problemgruppen, die jetzt noch arbeitslos sind, durch bessere Ausbildung in den Arbeitsmarkt vermittelt werden können.
({13})
Dennoch, Herr Bundesarbeitsminister, möchte ich eine kritische Anmerkung zu diesem Teil machen, weil ich zwar nicht Herrn Wittgensteins katastrophale Einschätzung dieser Programme teile, aber doch darum bitte, ernst zu nehmen, daß diese Mitnehmereffekte sowohl beim Arbeitsmarktprogramm als auch bei den ABM-Programmen - für den Fall, daß sie vorhanden sind; und es besteht der Verdacht, daß es solche Mitnehmereffekte gibt - uns beschäftigen. Man muß ein bißchen Gehirnschmalz darauf verwenden, zu überlegen, auf welche Weise man das besser steuerbar machen kann.
Was diesen Teil angeht, so möchte ich im übrigen, Herr Wittgenstein, darauf hinweisen, daß es CDU-Arbeitsminister der Länder gibt, die ihren Kommunen empfohlen haben, die ABM-Programme dazu zu benutzen, im kommunalen Bereich eigentlich normal fällig werdende Stellen dafür zu verwenden, daß mit ABM-Programmen ausgeholfen wird.
({14})
Darauf muß man dann natürlich achten; das ist eine beiderseitige Angelegenheit. Ich finde schon, daß wir im Haushaltsausschuß da einen gemeinsamen Auftrag haben.
Lassen Sie mich zu diesem Teil abschließend noch sagen, daß wir mit im Vergleich zum Gesamthaushalt des Einzelplans 11 verhältnismäßig wenig Geld, nämlich mit etwa 9 Millionen DM - wir werden sie im Frühjahr entsperren - eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen haben, im Bereich der Stahlarbeiter das vorgezogene Altersruhegeld zu verbessern,
({15})
15318 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 193. Sitzung. 'Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Grobecker .
und damit einen weiteren Schritt in einem Problemsektor zu tun, um Arbeitslosigkeit zu verhindern und Stahlarbeiter früher in die Rente gehen zu lassen.
Wenn ich noch ein Wort zu dem vorliegenden Antrag sagen darf: Den spürbaren und sichtbaren, weil finanziell nachrechenbaren Ausdruck dieser verbesserten Lage kann man im Einzelplan 11 nachlesen, nämlich bei dem Titel mit der Überweisung an die Bundesanstalt für Arbeit. Ursprünglich waren im Regierungsentwurf 2,3 Milliarden DM für die Bundesanstalt in Nürnberg vorgesehen. Wir haben diesen Titel auf 1,6 Milliarden DM senken können und haben dafür gleichzeitig die als Darlehen vorgesehenen 300 Millionen DM haushaltstechnisch so eingerichtet, daß dieses rückzahlbare Darlehen von 300 Millionen DM, falls das notwendig wird, als Zuschuß verwendet werden kann.
Meine Damen und Herren, Herr Wittgenstein hat sich noch einmal über den Zivildienst ausgelassen. Ich will da nicht nachklappen, sondern nur folgendes sagen. Es ist richtig, daß der Zivildienst in den letzten Jahren jedenfalls bei uns im Haushaltsausschuß häufig ein Problemkind war. Nur muß man auch da, damit es keine Mißverständnisse gibt, nach dem Verursacherprinzip vorgehen. Es ist Sache des Parlaments, endlich ein Gesetz zu verabschieden, das die Zivildienstleistenden in die Lage versetzt, zu wissen, was denn in den nächsten Jahren sein wird oder nicht sein wird.
({16})
Das, was wir in den letzten Jahren gehabt haben, ist „rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln", und das geht so nicht weiter.
Bei 30 000 Zivildienstleistenden, die wir im Haushalt 1980 finanziell abgedeckt haben, stehen 43 000 Plätze zur Verfügung. Das heißt, das Problem ist umgekehrt worden: Wir haben mehr Zivildienstplätze, als wir Zivildienstleistende haben. Deshalb mein Appell an alle Fraktionen, doch noch einmal den Versuch zu machen, ein Gesetz zu verabschieden, damit die Betroffenen wissen, woran sie sind und auf welche Weise sie in Zukunft weiterarbeiten können.
Darf ich abschließend noch ein Wort zum Arbeitsschutz sagen. Angesichts der ständig steigenden Zahl von Frührentnern und Frühinvaliden - allerdings, das muß positiv vermerkt werden, bei gleichzeitigem Rückgang der Zahl der Betriebsunfälle - kommt dieser sozialpolitischen Notwendigkeit - Arbeitsschutz und Humanisierung - nach meiner Einschätzung große Bedeutung zu. Es fehlt nicht an dem Willen, die Arbeitsplätze menschlicher zu machen, sondern es geht darum, vorhandenes Wissen in die betriebliche Praxis umzusetzen, es handhabbar zu machen. Deshalb hat sich die Bundesregierung entschlossen - wir haben entsprechende Mittel in den Haushalt eingestellt, wir werden im Frühjahr über deren Freigabe verhandeln -, ein Bundeszentrum für die Humanisierung des Arbeitslebens einzurichten. Es soll dabei keine neue Bürokratie geben, sondern wir werden die vorhandene Bundesanstalt in Dortmund dazu nutzen. Es geht dabei um die Nutzung der Ergebnisse durch
Praktiker, die Umsetzung in die betriebliche Praxis. Es geht darum, die Arbeitsbedingungen bei zunehmender Rationalisierung menschlicher zu machen.
Alles in allem ist dies ein Haushalt, der, obwohl auch er gekürzt worden ist, die Mittel enthält, die die Bundesregierung braucht, um ihren sozialpolitischen Verpflichtungen und Notwendigkeiten nachkommen zu können.
Opfer für die Haushaltskonsolidierung haben alle Einzelpläne bringen müssen, so auch dieser. Wir werden den Einzelplan 11 annehmen.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose.
Dr. Rose ({0}) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe zum erstenmal die Aufgabe, zum Einzelplan 15 des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit zu sprechen. Spätestens seit Montag dieser Woche weiß ich, daß ich mir damit einiges a ufgehalst habe.
({1})
Da steht im „Handelsblatt" - wörtlich zitiert -, daß mein Vorgänger aus den ihm unwirtlichen Etatverhältnissen des Hauses Huber und in die ordentlicheren Gefilde des Lambsdorff-Ministeriums floh. Das zweite kann ich nicht bestätigen; ich glaube auch nicht, daß es dort ordentlicher zugeht. Aber ich habe eigens den Duden bemüht, um festzustellen, was unwirtlich heißt. Da steht - siehe da -: Unwirtlich ist gleichbedeutend mit nicht einladend oder unfruchtbar.
({2})
Genauso kommen mir der Einzelplan 15 und die dahinterstehende Politik vor. Sie sind in der Tat nicht einladend, und trotz der Bedeutung der Familienpolitik in der heutigen Zeit stellen sie sich auch als höchst unfruchtbar dar. Ich gebe zu: Der Einzelplan schließt mit fast 19 Milliarden DM ab. Er steht damit dem Volumen nach an vierter Stelle aller Einzelpläne und wird - das kann ich von den Rednern der Koalition erwarten - bestimmt wieder als große Leistung angepriesen. Die Koalition sieht überhaupt alles rosarot. Wenn wir der Bundesregierung glauben dürfen, so gehen wir herrlichen Zeiten entgegen. Da hat der Herr Bundesfinanzminister in der Einbringungsrede des Haushalts 1980 ungerührt gesagt, mit diesem Entwurf werde alles besser, schöner, sicherer, solider. Er sehe - so strahlte er die Leute an - die Bürger mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Auch der zuständige Ressortminister und die heute noch antretenden Redner der Koalition werden wieder sagen, daß noch nie so viel getan wurde, noch nie so gezielte und wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen wurden.
({3})
Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Sie entspricht nicht diesem Monumentalgemälde. Rein fiDr. Rose
nanzpolitisch entspricht sie dem nicht, denn solider und sicherer ist auch der Haushalt 1980 nicht. Auch familienpolitisch entspricht das überhaupt nicht der Wirklichkeit, denn die Probleme des Jahres 1978 haben sich 1979 nur verstärkt und werden sich mit den geplanten Bemühungen der Bundesregierung im Jahre 1980 nicht lösen, sondern im Gegenteil ausweiten. Bei der Politik des Hauses Huber ist das auch kein Wunder. Die Frau Minister selbst fällt bei ihren eigenen Genossen zunehmend in Ungnade und ist mehr mit Dementis zum bevorstehenden Rücktritt als mit zukunftsweisender Arbeit beschäftigt.
({4})
Den Bereich Gesundheitspolitik hat man ihr in praxi schon genommen. Mein Kollege Berichterstatter für Gesundheitsfragen, Prinz Botho, hat deshalb auf Ausführungen zu diesem Einzelplan verzichtet. Gesundheitspolitik findet im Ministerium an der Kennedyallee nicht mehr statt.
({5})
Was 1968 unter Frau Strobel großartig eingeführt wurde, fällt heute bei dieser Regierung unter den Hammer.
Aber auch Jugendpolitik ist zum Fremdwort geworden. Der 5. Jugendbericht ist wegen der Versäumnisse der Bundesregierung eine einzige Anklage - Sie brauchen sich den Bericht bloß durchzulesen -, und kein Land ist in Sicht.
Es bliebe also die Familienpolitik. Hier könnte sich die Ministerin verdient machen. Sie könnte ihr ganzes Augenmerk diesem Schwerpunkt der deutschen Politik widmen. Was aber geschieht in Wirklichkeit?
({6})
Rein vom Zahlenansatz her erkennt man schon, daß dem Hause Huber sowohl der kreative Geist und Weitblick als auch das Durchsetzungsvermögen fehlen. Während der Gesamthaushalt um mehr als 5 % ansteigt, fallen für das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit nicht einmal 2 ab. Diese unbedeutende Steigerung kommt auch nicht der Familienpolitik, sondern weitgehend anderen Bereichen zugute, z. B. den Vietnam-Flüchtlingen oder dem einmaligen Heizölkostenzuschuß; darüber brauche ich aber jetzt nichts zu sagen.
Familienpolitisch wird zwar viel geredet, aber weit weniger getan.
({7})
Mich wundert das nicht. Denn wer die Personalpolitik des Hauses kennt, wird gar nichts anderes erwarten. Das Herz des Ministeriums, nämlich die Familienabteilung, wird ausgerechnet jetzt, da die Familienpolitik in aller Munde ist, einem Wechsel in der Leitung unterzogen.
({8})
Ich weiß nicht, warum das so ist. Nachdem sich der
ursprünglich aufgabenfremde ehemalige Persönliche Referent des ehemaligen Bundeskanzlers
Brandt in seine Tätigkeit eingelebt zu haben schien, streicht er schon wieder die Segel. Neu kommt ein Bilderbuchkarrierist, dem die Familienpolitik ebenso vertraut ist wie der Sahara ein Eisberg.
({9})
Es ist ein Skandal, wie dem ehemaligen Persönlichen Referenten eines ehemaligen Staatssekretärs im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder einmal die Sprungleiter nach oben gereicht wird. Kaum zum Regierungsdirektor befördert, wird dieser bisherige Chef des Deutschen Entwicklungsdienstes auf eine A 16-Stelle geschoben und auf die Warteliste zu B 6 gesetzt. Warteliste heißt bekanntlich nicht bloß bei der Lufthansa, daß man bei nächst passender Gelegenheit seinen Sessel auch bekommt. Auf diesem Sessel wird man zum nächsten angestrebten Ziel befördert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Meine Zeit ist leider sehr knapp bemessen, Herr Kollege Westphal.
({0})
Herr Abgeordneter Westphal, einen Moment! Es ist das gute Recht eines Abgeordneten, daß er eine Zwischenfrage nicht zuläßt.
({0})
Gegen Zwischenrufe habe ich überhaupt nichts. Ich habe mich sogar mit meinem Kollegen Mitberichterstatter - ({0})
- Ich beziehe mich überhaupt nicht auf den Entwicklungsdienst, sondern ich beziehe mich auf die Familienabteilung, und da kann ich etwas anderes nicht sehen. Ich habe überhaupt den Eindruck, meine Damen und Herren, daß diese Art von Familienpolitik nicht unbeabsichtigt ist. Der Bundesregierung scheint es nicht mehr um die Stärkung der Kraft der Familien, sondern um eine Neubewertung nach sogenannten modernen Kriterien zu gehen. Danach ist ja auch nicht mehr die intakte Familie, die Familie mit Kindern der Orientierungspunkt, sondern das mehr oder weniger lose Zusammenleben von Erwachsenen. Die Familie wird gar als Hindernis einer neuen Gesellschaftspolitik betrachtet und als Stabilisator der Klassenstruktur diffamiert.
({1})
Meine Damen und Herren, wer - wie Frau Huber kürzlich vor den Sozialistischen Frauen Osterreichs in Wien - nur von der Sorge geplagt ist - ich zitiere wörtlich, was sie da gesagt hat -, „unter dem Vorwand der Kinderfreundlichkeit könnten traditionelle Lebenswege der Frau festgeschrieben wer15320
den", steht natürlich in ständigem Konflikt mit der Tradition Familie.
({2})
Wer in der Erziehung der Kinder eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht und die Eltern für diese Aufgabe als Amateure, als beruflich nicht vorgebildet betrachtet, bringt diesen Eltern natürlich ein grundsätzliches Mißtrauen entgegen. Wer die Rolle der Mutter und der sogenannten Nur-Hausfrau als voremanzipatorisch abwertet,
({3})
wird natürlich nie ein richtiges Verständnis für die wichtige und unverzichtbare Aufgabe einer Erzieherin haben, die noch dazu blutsverwandt ist.
({4})
Meine Damen und Herren, wer all das so betrachtet, wird dem Grundgesetzauftrag des besonderen Schutzes von Ehe und Familie nicht gerecht. Uns geht es - um das deutlich zu sagen - nicht um eine Verurteilung der berufstätigen Frau; im Gegenteil!
({5})
Aber wir halten auch die Tätigkeit als Hausfrau und Mutter für voll emanzipatorisch,
({6})
dies um so mehr, wenn sich diese Frau wegen schon vorhandener Kinder voll um die Familie kümmert oder wenn sie sich zwar nicht als Arbeitnehmerin, aber doch als Mitarbeiterin im eigenen Betrieb oder auf dem Bauernhof mit abrackert. Das ist der Grund, warum wir von der CDU/CSU-Fraktion den Entwurf eines Gesetzes über die Einführung eines Familiengelds eingebracht haben. Insgesamt erwarten wir vom Familiengeld - man könnte es auch Erziehungsgeld nennen, wenn es für die ersten drei Lebensjahre gezahlt wird -, daß die soziale Indikation, d. h. der Schwangerschaftsabbruch aus wirtschaftlicher Not, völlig wegfällt.
Auch hier möchte ich nicht verurteilen. Es geht uns nicht um eine Strafexpedition. Wir wollen ein Sozialprogramm, das die Bejahung des Kindes auch in schwierigen Situationen ermöglicht.
({7})
Es kann uns - und wenn ich sage: uns, meine ich uns alle hier in diesem Hohen Hause, alle Fraktionen - doch nicht gleichgültig sein, daß, wenn die Entwicklung so weitergeht, bis zu 301)/0 eines Geburtenjahrgangs am Erblicken des Lichts der Welt gehindert werden. Hiergegen anzugehen, müßte unser aller selbstverständliche Aufgabe sein.
Warum machen wir uns Gedanken um die Familie? Warum machen wir uns Sorgen um die Kinderzahl? Doch nicht, wie Herr Staatssekretär Zander unlängst andeutete, um Kanonenfutter zu produzieren. Herr Staatssekretär, das ist eine schlimme Entgleisung.
({8})
Sie haben das einmal geschrieben oder in einem solchen Zusammenhang gebracht, als planten wir etwas in dieser Richtung. Allerdings sind wir nicht der Ansicht eines weiteren Mitglieds der Bundesregierung, daß weniger Kinder bessere Chancen für alle bedeuten.
({9})
Da könnte man ja gleich sagen: Gäbe es uns nicht, dann gäbe es keine Probleme mehr.
({10})
- Das ist Ihre logische Konsequenz, die Sie ständig bringen.
Wir machen uns Sorgen, weil mit der Entwicklung der Bevölkerungszahl unser ganzes soziales System steht und fällt. Wir machen uns Sorgen, weil die volkswirtschaftlichen Folgen unvorhersehbar sind. Dazu gehören auch leerstehende Schulen, verfallende Fabriken und unbenutzte Wohnungen. Und wir machen uns Sorgen, weil durch fehlende Kinder das gegenseitige Verständnis der Generationen verlorengeht.
({11})
Die Krise der heutigen Familie wird leider nicht nur in der Bevölkerungsentwicklung sichtbar, sondern auch in der Zunahme der Anzahl verhaltensgestörter Kinder, in der Jugendkriminalität, im Drogenmißbrauch, in der Anfälligkeit für Jugendreligionen und in der zunehmenden Zahl von Kindesmißhandlungen.
Es gäbe für die Bundesregierung unendlich viel zu tun. Was aber macht sie? Sie produziert einen gewaltigen Ausstoß an bedrucktem Papier mit häufig ideologisch verzerrtem Inhalt und betätigt sich in der Verschwendung von Steuergeldern für die eigene Wahlpropaganda.
Da sind in einer bekannten deutschen Wochenzeitung 24 ganzseitige und vier doppelseitige Anzeigen erschienen, die vor Klugheit geradezu strotzen.
({12})
Einmal wird für 28000 DM gefragt: Was essen wir bloß dieses Mal? Das nächstemal wird festgestellt: Frag nicht so dumm! Schließlich verlautet das Ministerium in einer weiteren Anzeige: Was kümmern uns die blöden Leute? Alles in allem eine Anzeigenserie für sage und schreibe 700000 DM. Ich habe sie hier. Die Überschriften sind echt haarsträubend.
({13})
Das tut bestimmt nicht den Familien in der Bundesrepublik gut. Das mag höchstens der Zeitung und umgekehrt wiederum der Regierung gutgetan haben, wenn sie in der entsprechenden Zeitung gut erwähnt wird.
({14})
Lassen Sie mich noch einen Bereich aus dem Ministerium herausgreifen, der auch einen mißglückten Start darstellt. Es ist der Arbeitsstab Frauenpolitik. Die bisherige Arbeit besteht leider nicht in der Arbeit für die Frau, nicht im Heraussuchen der Probleme, die auf die Frauen zukommen, und in der Lösung dieser Probleme. Die bisherige Arbeit besteht in der Verfassung von Flugblättern und Broschüren.
In den „Tagesthemen" des Deutschen Fernsehens vom 29. Juni 1979 wurde die neue Leiterin vorgestellt und von Frau Huber als aktive Gewerkschaftlerin qualifiziert, die sich kein X für ein U vormachen lasse. Das ist die Qualifikation gewesen. Diese Leiterin des Arbeitsstabes Frauenpolitik wollte aber dem Haushaltsausschuß ein U für ein X vormachen und Geld für einen neuen Abschnitt des Klassenkampfes bekommen, dieses Mal für den Kampf zwischen Mann und Frau. Sie wollte den Titel „Wehr dich; du hast Rechte" für 730000 DM als Flugblatt herausgeben, die Frauen dort auffordern, ihre Rechte zu erkennen und diese Rechte auch wahrzunehmen,
({15})
und zwar nicht nur die Rechte am Arbeitsplatz, sondern - das geht aus der Zusammensetzung der Leute, die dort mitgearbeitet haben, hervor - auch die Rechte der Frau in der Familie. Mann gegen Frau in Stellung zu bringen, das ist für mich nicht die richtige Familienpolitik.
({16})
Wohlgemerkt, das ging auch den SPD-Kollegen zu weit. Sie lehnten die zusätzlich begehrten Mittel ab. Der Herr Kollege Mitberichterstatter wird nichts anderes bestätigen können.
Meine Damen und Herren, was bleibt vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zu berichten? Herzlich wenig. Die politische Führung erweist sich als unfähig, die entscheidenden Zukunftsprobleme anzupacken. Mit der politischen Führung meine ich aber nicht bloß die Führung des Hauses, sondern ich meine die Führung des ganzen Kabinetts. Ich meine den Bundeskanzler selber. Er zeigt sich als Gipfelkanzler, als Gipfelstürmer, der auch verantwortlich wäre für die Familienpolitik, die sich in einem Wellental befindet.
({17})
Statt Labsal in Guadeloupe ist ihm die Mühsal in der Familienpolitik natürlich nicht so angenehm. Weil wir diese schlechte Politik nicht mitmachen können, meine Damen und Herren, lehnen wir den Einzelplan 15 ab, und ich bitte Sie, auch so zu verfahren.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Rose hat mit seiner Erstlingsrede einen Stil in dieses Haus eingeführt, den wir bisher nicht kannten.
({0})
Damit anzufangen, einen Beamten, der eingestellt wird, zu beschimpfen, ist in diesem Hause noch nie üblich gewesen.
({1})
Deshalb muß ich zunächst dazu etwas sagen.
Herrn Abteilungsleiter Zahn als Karrieristen zu bezeichnen, ist deshalb anmaßend, weil Herr Zahn als Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes acht Jahre vom Vertrauen aller Fraktionen dieses Hauses getragen war und vorher im Arbeitsministerium Baden-Württemberg seine Pflicht als Beamter zur vollsten Zufriedenheit erfüllt hat. Einen solchen Mann als Karrieristen zu bezeichnen, ist anmaßend und wird zurückgewiesen.
({2})
- Das möchte ich wohl annehmen; denn wenn sich einer mit den Problemen der Entwicklungsländer beschäftigt, dann hat er sich gerade auch mit Familienpolitik beschäftigen müssen; das geht ja wohl nicht anders.
({3})
Ich möchte nun auf den Einzelplan 15 zu sprechen kommen. Der Ansatz beläuft sich auf fast 19 Milliarden DM und hat dadurch eine Steigerung nicht von 2 %, wie Sie gesagt haben, Herr Dr. Rose, sondern von 3,5 % erfahren. Darin ist das Kindergeld mit 17,6 Milliarden DM erneut der größte Posten. Dieser Posten ist gegenüber 1979 nicht nennenswert erhöht worden. Das hängt natürlich auch mit der Kinderzahl zusammen. Man kann nicht einen Etat in Bereichen ausweiten, in denen nicht mehr Geld auszugeben ist. Aber dafür ist der Etat ohne Berücksichtigung des Kindergeldes um fast 60 % gestiegen und allein bei den Zuschüssen für die Familienverbände um 30,8 %. Ich meine, das sind Zahlen, die sich sehen lassen können, weil dahinter auch Politik für die Bürger in unserem Staate deutlich wird.
Es ist gesagt worden, für die Kinder tun wir zuwenig. Auch dazu einige Zahlenangaben.
Wir haben die Maßnahmen zur Förderung der Familie in den letzten zehn Jahren drastisch erhöht. 1969 standen für den Familienlastenausgleich 9,5 Milliarden zur Verfügung; heute sind es - wie schon gesagt - 17,6 Milliarden. Durch die wiederholte Erhöhung des Kindergeldes in den letzten zwei Jahren um allein 4 Milliarden DM beträgt der gesamte Familienlastenausgleich, einschließlich der Steuervorteile durch Ehegattensplitting mittlerweile rund 60 Milliarden DM. Das ist eine Summe, die auch einmal genannt werden muß.
({4})
- Das ist keine ganz unseriöse Rechnung, weil Ehegattensplitting gerade für Familien auch dann einen Vorteil bedeutet, wenn die Frau nicht berufstätig ist. Das muß eindeutig gesagt werden.
({5})
Familienpolitik kommt insgesamt etwa zwei Millionen Familien mit drei und mehr Kindern zugute. Die Leistungen gerade für diese Familien mit den besonderen Problemen sind in den letzten zehn Jahren um 230 % angehoben worden.
({6})
Die Mehrwertsteuer hat ja - und darauf wird mein Kollege sicherlich noch eingehen - Gott sei Dank auch in Familien mit mehreren Kindern nicht mehr die zentrale Bedeutung, die sie früher einmal hatte. Die direkte Besteuerung hat einen viel größeren Einfluß. Das wissen Sie so gut wie ich.
({7})
- Ja, die Zeiten haben sich in der Tat geändert. Der Anteil des Einkommens, der z. B. für Grundbedürfnisse ausgegeben werden muß, ist deutlich geringer geworden, als er noch vor zehn Jahren, vor zwanzig Jahren war. Das wissen Sie auch.
({8})
Das Gerede der Opposition, die Familie mit mehreren Kindern lebe durchweg am Rande der Sozialhilfe, wird durch die Wirklichkeit widerlegt. Der durchschnittliche Lebensstandard der Mehr-Kinder-Familien in Deutschland ist heute höher als in fast allen Ländern der Welt. Selbstverständlich kann und soll das bisher Erreichte noch kein Endpunkt sein. Es sind viele Verbesserungen möglich und nötig, und das Kinder-Haben und das Kind-Sein in Deutschland kann angenehmer und attraktiver sein.
({9})
Es besteht Einigkeit darüber, daß alle Maßnahmen, die der Verbesserung der Lebensbedingungen von Familien und Kindern dienen, wünschenswert sind. Aber auch die Opposition wird doch wohl zugeben, daß es nicht möglich ist, alle zur Zeit diskutierten Vorschläge zu verwirklichen und schon gar nicht alle gleichzeitig und alle sofort. Nicht nur Finanzierungsprobleme, sondern auch mittelbare Wirkungen, etwa bei einem dreijährigen Elternurlaub Ausfall von Arbeitskräften, Schwierigkeiten bei kleinen und mittleren Unternehmen, sind zu bedenken und zu berücksichtigen. Es ist daher zu vermeiden, wenn man eine solide Politik machen will, wegen vordergründiger Effekte - vielleicht noch kurz vor der Wahl - eine Maßnahme durchzupauken, die dann viel Geld kostet und mehr Schwierigkeiten für die Gesamtheit als Hilfe für den einzelnen bringt.
Hüten wir uns auch, wie schon so oft gesagt, aber auch von Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, immer noch nicht endgültig begriffen, vor Maßnahmen, die als Staatsprämien für Kinderreichtum betrachtet werden können.
({10})
Denn erstens werden dadurch unselige Erinnerungen geweckt. Wir Sozialdemokraten respektieren die freie Entscheidung der Eltern, die sich diese auch nicht abkaufen lassen sollten.
({11})
Da befinde ich mich in hervorragender Übereinstimmung mit dem „Bayernkurier", der am 24. März eindeutig festgestellt hat:
Noch viel furchtbarer ist ein Volk, dem man mit staatlichen Geldprämien Kinder aufschwatzen könnte. Wer Kinder unter Kostengesichtspunkten in einem der wohlhabendsten Länder der Welt parlamentarisch kalkuliert, muß doch in der Bevölkerung die Vorstellung erwecken, Kinder seien drückende Hypotheken, für die der Staat die Zinslast zu übernehmen habe.
Das ist doch wohl eindeutig. So der „Bayernkurier" vom 24. März. Gucken Sie es nach. Hier wird auch deutlich, daß die Auffassungen in Ihren Reihen durchaus nicht übereinstimmen.
({12})
- Doch, ich habe insgesamt richtig gelesen, Herr Reddemann.
({13})
Geburtenrückgang und angeblich drohende Gefahr des Aussterbens darf nicht zu einer Kampagne gegen die berufstätige Frau mißbraucht werden.
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion ist ein Antrag, der wählerwirksam zur zweiten Lesung eingebracht wurde, weil die vorgesehenen Leistungen natürlich bei den betroffenen werdenden Müttern auf viel Sympathie stoßen werden. Leider ist er nicht genauso wählerwirksam finanziert. Was sollen denn eigentlich diejenigen Frauen und Männer denken, die unter Umständen von Arbeitslosigkeit bedroht sind, wie es ja der Herr Kollege Carstens gestern durchaus für möglich gehalten hat, wenn sie dann erfahren müssen, daß die CDU/CSU ausgerechnet den größten Teil der Deckung in dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit sucht, wo wir doch wissen, daß der Betrag von 440 Millionen DM notwendig ist, um gegebenenfalls gezielte Hilfen für Arbeitsuchende anbieten zu können, insbesondere auch für die rund 134000 zusätzlichen jugendlichen Arbeitskräfte, die im nächsten Jahr in den Berufsprozeß eingegliedert werden müssen!
Auch die übrigen Einsparungsvorschläge sind nicht realistisch, weil die Ansätze im Haushalt eher zu niedrig als zu hoch eingeschätzt worden sind. Aber auch die Einführung eines Familiengeldes selbst ist nicht unproblematisch.
Einig sind wir uns in dem Bestreben, die Lage der Familie weiter verbessern zu wollen. Denkbar sind Einführung eines steuerlichen Kindergrundfreibetrages, Anhebung des Kindergeldes, Zuschlag zum Kindergeld in der frühkindlichen Lebensphase, Zuschlag zum Kindergeld für Familien mit drei oder mehr Kindern, jeweils mit oder ohne Einkommensgrenze. Auch die Zahlung eines Familiengeldes ist grundsätzlich denkbar. Daneben könnten familienbezogene Verbesserungen im Bereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Maßnahmen zur Verbesserung familiengerechten Wohnens, Verbesserung des Wohnumfeldes, der Verkehrssicherheit sowie Maßnahmen zugunsten von benachteiligten Kindern in Betracht kommen.
({14})
Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten.
Wenn nur das von der CDU/CSU vorgeschlagene Familiengeld gezahlt wird, bleiben eine Menge offener Fragen für alle Familien, in denen keine weiteren Kinder zu erwarten sind. Solange Familien mit Kindern bei der Wohnungssuche diskriminiert werden, wird dies nicht -gerade ermutigend auf junge Leute wirken, die eine Familiengründung erwägen.
({15})
Da hilft auch kein Familiengeld.
({16})
Arbeitszeitregelungen, Versorgung mit Kindergartenplätzen, Einrichtung kleiner Klassen, in denen genügend ausgeruhte Lehrkräfte unterrichten, Sporteinrichtungen, Einrichtungen für die musische Bildung - z. B. Musikschulen - und vieles andere mehr tragen mehr zur Erleichterung der Situation der Familie bei als nur kurze Zeit helfende finanzielle Direktzuweisungen.
({17})
Unter diesen Gesichtspunkten, Herr Burger, müssen Gemeinden und Länder in die Diskussion einbezogen werden. Deshalb, so meine ich, sollten wir in den nächsten Monaten gemeinsam ein Gesamtkonzept entwickeln, das in der Lage ist, den Familien bei der Bewältigung von Schwierigkeiten zu helfen. Dazu gehört dann auch, daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bereit sind mitzuhelfen, das Jugendhilferecht zu verabschieden und wirksam werden zu lassen.
({18})
Lassen Sie mich zum Bundeshaushalt 1980 und zum Einzelplan 15 zurückkehren. Zahlreiche neue Aktivitäten werden finanziell möglich gemacht. Wir stocken das Stiftungsvermögen der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" um 35 Millionen DM auf, um für Contergangeschädigte eine um 13 % höhere Rente zahlen zu können.
({19})
- Gott sei Dank ist das unbestritten. So etwas gibt es Gott sei Dank auch noch. Deshalb war die Rede des Kollegen Rose auch kämpferischer und angriffslustiger, als wir es im Ausschuß miteinander zu besprechen haben.
Wir haben im Bundesjugendplan ein Flüchtlingsprogramm aufgelegt, das helfen soll, junge Menschen in unsere Gesellschaftsform einzugliedern und ihnen Sprachkenntnisse beizubringen.
Wir haben den Heizölkostenzuschuß, der insbesondere Rentnern und Familien zugute kommt, mit 263 Millionen DM neu veranschlagen müssen. Wir haben neu - ab 1. Januar 1980 wirksam - das Unterhaltsvorschußgesetz mit 72 Millionen DM, aus dem diejenigen zunächst aus staatlichen Mitteln eine Hilfe bekommen, die ihre Ansprüche gegen den Ernährer nicht ohne weiteres durchsetzen können.
Wir kümmern uns in besonderer Weise um das Drogenproblem. Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu wollen, weise ich auf folgendes hin: Wir meinen, daß wir die Ursachen der Drogenabhängigkeit weiter bekämpfen müssen. Dazu sind nicht nur Maßnahmen im Bereich der gesundheitlichen Aufklärung, der Therapie und der Rehabilitation nötig, sondern vor allem auch die Bekämpfung der illegalen Einfuhr von Drogen. Hierzu ist eine internationale Zusammenarbeit notwendig. Wir sind bereit, den Suchtstoffonds der Vereinten Nationen im Vergleich zu 1979 stärker zu bedienen. Wir steigern unseren Beitrag von 500000 auf 2 Millionen DM. Dieses Geld wird dazu verwendet, den Anbau von Pflanzen zur Drogengewinnung einzugrenzen, die Farmer aufzuklären, sie auf neue Produktionsmethoden hinzuweisen und dafür notfalls auch die Infrastruktur zu schaffen.
Wir haben einen erheblichen Betrag, nämlich mehr als 80 Millionen DM, vorgesehen, um Verbesserungen auf dem Gebiet der Psychiatrie erwirken zu können. In den Folgejahren sind jährlich 100 Millionen DM für diesen Bereich vorgesehen. Ich meine: Hier sind Verbände und Ministerium gemeinsam aufgefordert, dieses Geld im Interesse der psychisch Kranken anzulegen und gemeinsam zu Taten zu kommen.
({20})
Ich will nun auf den Vorwurf eingehen, daß 30% der eigentlich zu gebärenden Kinder das Licht der Welt nicht erblicken. Nun weiß ich nicht, von welchen Zahlen Sie ausgehen, Herr Dr. Rose. Wenn ich die Zahlen richtig errechnet habe, haben wir im Jahre 1978 rund 570 000 Geburten gehabt. Dagegen sind 1978 nach Angaben der Stellen, die man dafür in Anspruch nehmen kann, einschließlich einer kleinen Dunkelziffer 80 000 bis 90 000 Abtreibungen erfolgt. Das ist weit weniger als 30%, wenn ich auch zugebe, daß es noch viel zu viele sind.
({21})
- Darüber müssen wir streiten. Ich habe offenbar andere Zahlen als Sie.
15324 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 13. Dezember 1979
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Die Familien in der Bundesrepublik sollen wissen, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nimmt die im Grundgesetz festgelegte Pflicht zum Schutz der Familie ernst. Wir nehmen aber auch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ernst. Wir respektieren nicht nur, sondern wir haben eine hohe Achtung vor den Entscheidungen von Mann und Frau sowie der jungen Menschen in der Familie, die getroffen werden, um das Leben in der Familie angemessen zu regeln.
Mütter, ob verheiratet oder nicht, ob im Hause tätig - und dadurch eine auswärtige Tätigkeit .des Mannes oft erst ermöglichend - oder zusätzlich im Beruf tätig - sie alle sollen eine Hilfe erhalten, die den jeweiligen besonderen Bedürfnissen Rechnung trägt. Mütter sollten sich nicht als „Nur-Mütter" oder „Auch-Erwerbstätige" gegeneinander ausspielen lassen,
({22})
sondern ihre Forderungen solidarisch an die Gesellschaft richten. Es wird dann immer noch schwer genug sein, die sachlichen Notwendigkeiten und die finanziellen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen.
Wer der Familie wirklich massiv helfen will, darf dann aber auch nicht Steuerentlastungen in einer Größenordnung von mehr als 16 Milliarden DM fordern, wie es der Herr Ministerpräsident aus Bayern getan hat.
({23})
Das Wort ha t Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beginn der Diskussion heute morgen hat mir wiederum einige Illusionen geraubt. Ich war davon ausgegangen, daß die Berichterstatter zum Haushalt sprechen würden. Wir hatten eigentlich vor, uns zu diesem ausgesprochenen Haushaltsteil nicht zu melden, sondern verstärkt in den Bereich der Grundsatzdiskussion einzusteigen. Das werden meine Kollegen Hansheinrich Schmidt ({0}), Friedrich-Wilhelm Hölscher und Norbert Eimer nachher auch noch tun.
Mir bleibt es vorbehalten, einige Klarstellungen in bezug auf die Punkte vorzunehmen, die zu Beginn dieser Diskussion in Verwirrung stiftender Weise vorgetragen worden sind, und zwar im Zusammenhang mit der Rentenproblematik, die erneut angesprochen worden ist.
Erstens. Freie Demokraten halten, was sie versprechen. Wir haben mit dem Koalitionspartner eine klare, unmißverständliche Übereinkunft im 21. Rentenanpassungsgesetz niedergelegt. Dort ist alles festgelegt, was notwendig ist. Unterschiedliche Auffassungen zwischen den Koalitionspartnern, wie sie Prinz zu Sayn-Wittgenstein darstellen und damit Verwirrung stiften wollte, gibt es nicht.
({1})
Zweitens. Es gibt eine Diskussion über die Regelung der Renten nach 1984. Hier ist die Situation wie folgt. Wir haben mit unseren 32 Thesen, wie wir meinen, ein vernünftiges Konzept vorgelegt. Unser Koalitionspartner hat in Berlin ein Diskussionspapier vorgelegt. Zugegebenermaßen gibt es in diesem Diskussionspapier Positionen, die sich nicht mit unseren decken.
({2})
Richtig ist aber auch, daß beide Papiere in den Zielvorstellungen der Lösung nach 1984 ungewöhnlich viele Gemeinsamkeiten aufweisen.
({3})
Nun gebe ich zu: Unterschiede zu Ihnen bestehen nicht. Aber nicht deswegen, weil Ihre und unsere oder Ihre und die SPD-Vorschläge gleich sind, sondern einfach deswegen, weil von Ihnen überhaupt keine Vorschläge vorliegen.
({4})
Wir möchten uns mit Ihnen gerne auseinandersetzen können. Sie geben uns aber nicht die Chance, uns einmal mit Ihrem Konzept für die Lösung nach 1984 zu befassen, weil Sie es nicht darlegen. Und wenn ich Dienstagabend von dieser Stelle aus gesagt habe, ich empfehle dem Kollegen Blüm, nach Frankfurt zu pilgern .- nicht um dort zu beichten, sondern um Exerzitien abzuleisten -,
({5})
dann muß ich jetzt feststellen, daß das offensichtlich nicht nur für den Kollegen Blüm, sondern auch für einige andere Kollegen zutrifft.
Ich möchte hier noch etwas sagen, was die Redlichkeit dieser Diskussion anbelangt. Es ist gelegentlich für mich ungewöhnlich entäuschend, um nicht zu sagen: ein Beweis für die unredlich strukturierte Diskussion - ich sage Ihnen das in aller Offenheit -, wenn Sie wie eine tibetanische Gebetsmühle wiederholen: „Wir sind für bruttolohnbezogene Anpassung",
({6})
- Sie ({7})
ohne zu erklären, daß, wenn das gemacht würde, Herr Franke, und Ihre Vorschläge zum 21. Rentenanpassungsgesetz realisiert worden wären, wir heute schon Beitragssteigerungen hätten - mit den ganzen Folgen: weniger Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, teure Produkte in unserer Exportwirtschaft. Alle diese Nachteile müssen Sie sehen. Wer wie eine tibetanische Gebetsmühle wiederholt: „Wir sind für bruttolohnbezogene Anpassung", ohne Gegenkonzepte aufzubauen, den verweise ich - und hier wiederhole ich mich auch - auf Nell-Breuning, auf unsere Thesen, auf die vernünftige Position, die wir in dieser Sache haben.
Legen Sie uns Ihre Vorschläge vor. Wir sind sicher bereit, diese sachlich und vernünftig zu prüfen. Wir haben nur die ganz kleine Bitte, unsere VorCronenberg
schläge einer ebenso objektiven Prüfung und Wertung zu unterziehen wie wir die Ihren zu unterziehen uns bereit erklären.
Nun ein letztes, was die Redlichkeit der Diskussion anbelangt: Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe Verständnis, wenn man sich aus politischen Gründen auf eine solche Position einschießt. Aber ich habe relativ wenig Verständnis dafür, daß mir in den privaten Diskussionen - nicht nur dort im Restaurant, auch draußen - immer wieder von einem nicht unerheblichen Teil von Leuten Ihrer Fraktion bestätigt wird, daß dies durchaus Thesen sind, mit denen auseinanderzusetzen sich lohnt. Es gibt sogar Kollegen, die mir bestätigen, daß unsere Vorschläge vernünftig und richtig sind. Wenn mir alle diejenigen, die mir das gesagt haben, hier heute Beifall klatschten, kriegte ich mehr Beifall, Herr Kollege Franke, als meine Fraktion zur Zeit mir zu geben in der Lage ist.
({8})
Deswegen bitte ich um diese Unterstützung und um die redliche Betrachtung dieses Fragenkomplexes. Dann kommen wir in- der Sache ein Stückchen weiter. Nur konsequent ablehnen, nein sagen und fetischistisch bruttolohnbezogene Anpassung zu fordern, ist keine Lösung. Das ist nicht die Basis einer sauberen Auseinandersetzung.
({9})
Meine Damen und Herren, da wir eine ganze Reihe von Kurzdebatten haben, darf ich bitten, dem Redner doch die Chance zu geben, daß er diese Kurzdebatte auch wirklich in seinem Sinn, in seiner Absicht führen kann, und die Zwischenrufe ein bißchen zu reduzieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein kurzes Wort an Herrn Kollegen Grobecker. Ich habe mir überlegt: Sollst du auf diesen billigen Angriff gegen Norbert Blüm antworten? Ich möchte folgendes hier feststellen: Norbert Blüm braucht sich nicht um eine Eintrittskarte in die Führungsgremien der Union zu bemühen. Als Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft hat er diese Eintrittskarte.
({0})
Ein Zweites: Er wird es sicherlich ertragen können, daß Sie ihn in Zukunft mit „Herr" anreden wollen.
({1})
Für uns ist es wichtig, daß unsere Kollegen in den
Betrieben ihn weiterhin als unseren Arbeitnehmerrepräsentanten ansehen und ihn mit „Kollege" anreden.
({2})
Die breite Palette des Arbeitsministeriums zwingt zur Konzentration. Ich möchte von daher in dieser Haushaltsdebatte insbesondere die Arbeitsmarktpolitik ansprechen, die auch bei den Berichterstattern schon eine Rolle gespielt hat. Die Sicherung der Vollbeschäftigung muß eine der wichtigsten politischen Aufgaben einer jeden Bundesregierung sein; denn von der Arbeitsmarktpolitik sind Millionen Menschen existentiell abhängig.
Es ist zwar richtig, daß sich die Arbeitslosenzahlen in den letzten Monaten durch die leichte Konjunktursonne etwas gebessert haben, aber, meine Herren von der Regierungsbank, arbeitsmarktpolitisch Entwarnung zu blasen wäre bestimmt verfrüht.
({3})
Angesichts des neuerlichen Anstiegs der Arbeitslosenquote auf 3,5 % im letzten Monat erscheint es mir wie ein Hohn für die Betroffenen, wenn auf Regierungsseite schon das Wort „Vollbeschäftigung" gebraucht wird. Da wird vom Sockel der Arbeitslosigkeit geredet, von Restarbeitslosigkeit und von Bodensatz. Meine Herren, die Sprache verrät ein bißchen Verachtung.
({4})
Helmut Schmidt sagte 1972 - ich habe das schon einmal hier in die Debatte eingeführt; aber so etwas kann man nicht oft genug sagen -, er würde 2 % Arbeitslosigkeit als eine schwere Fehlentwicklung der Wirtschaft ansehen. An solchen eigenen Zusagen bzw. Versprechungen muß sich die Bundesregierung und muß sich die SPD messen lassen. Früher, als wir die Regierungsverantwortung trugen, haben Sie bei viel geringeren Arbeitlosenzahlen sehr scharf und energisch protestiert.
({5})
Diesen selbst gesetzten Anspruch muß die SPD
heute gegen sich gelten lassen. Gemessen an diesem
Anspruch haben Sie schlicht und einfach versagt.
({6})
Sie haben in der Arbeitsmarktpolitik traurige Rekorde errungen. Seit 20 Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr so viele Arbeitslose wie in der Regierungszeit von SPD und FDP.
({7})
Noch nie mußte so viel Geld für die Bezahlung der Arbeitslosigkeit ausgegeben werden. Eine Million Arbeitslose kosten den Staat jährlich rund 20 Milliarden DM an Steuer- und Beitragsausfällen. Allein im Zeitraum von 1975 bis 1979 mußten für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Kurzarbeitergeld über 45 Milliarden DM ausgegeben werden. Das ist mehr als in 20 Jahren unter CDU-Verantwortung.
({8})
Von diesem Ihrem Versagen sind die Problemgruppen, die schwächsten Glieder des Arbeits15326
Müller ({9})
markts am härtesten betroffen; denn sie zahlen die Zeche, und ihre Zahl wächst trotz leichter genereller Besserung auf dem Arbeitsmarkt weiter.
Noch nie waren so viele Schwerbehinderte arbeitslos. Ober 60 000 sind es zur Zeit. 1970 waren es nur 5100.
Noch nie waren so viele ältere Arbeitnehmer arbeitslos. Ober 123 000 der 55jährigen und älteren Arbeitnehmer waren im September arbeitslos. Noch nie waren so viele Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Einschränkungen arbeitslos wie in diesem Jahr. Nach der letzten Strukturanalyse der Bundesanstalt für Arbeit sind es fast 250 000.
Diese Zahlen zeigen, daß bei den Problemgruppen der negative Trend keineswegs gebrochen ist. Der harte Kern der Arbeitslosigkeit ist noch härter geworden. Die Konjunkturlokomotive hat die Problemgruppen abgekoppelt. Diese Entwicklung ist beängstigend.
Diese Menschen fühlen sich auch zunehmend von der Gesellschaft ausgestoßen. Sie haben diese Menschen in den letzten Jahren weitgehend alleingelassen. Sie haben viel zu wenig dagegen getan, daß die Arbeitslosen in der Gesellschaft als Drückeberger und Faulenzer abgestempelt wurden.
({10})
Sie haben das offensichtlich billigend in Kauf genommen, weil damit Ihr eigenes Versagen in der Arbeitsmarktpolitik auf die Betroffenen abgeschoben wurde.
({11})
Ihre politische Verantwortung für die Vollbeschäftigung in diesem Land werden Sie damit allerdings nicht los. Ich werde den Verdacht nicht los, daß Sie die Opfer Ihrer Politik auch noch zu den Schuldigen machen wollen.
({12})
Mit der 5. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz z. B. wollten Sie die Anpassungslast einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit einseitig den Arbeitslosen zuschieben und damit praktisch glauben machen, man brauche den Arbeitslosen nur Beine zu machen, und das Problem werde sich dann von selbst lösen.
({13})
Sie wollten die Arbeitnehmer von Stufe zu Stufe herabqualifizieren. In Ihren eigenen Reihen hat es darüber Auseinandersetzungen gegeben. Wir haben uns mit den Gewerkschaften dagegen gewandt, weil diese Abstiegsautomatik billig und menschenfeindlich ist.
Sie wollten in der Arbeitslosenversicherung den Zwang zur unbegrenzten Mobilität einführen, die Arbeitnehmer praktisch wie Hasen durch die Wirtschaftslandschaft jagen. Wir haben uns mit den Gewerkschaften dagegen gewandt, weil dies familienfeindlich und inhuman gewesen wäre.
({14})
Ihre Arbeitsmarktpolitik der Vertröstungen und Verharmlosungen hat bei vielen Betroffenen zu ungeahnten physischen und psychischen Schäden geführt, die wir kürzlich in einer Studie zur Lebenssituation der Arbeitslosen und zu den sozialen Folgekosten der Arbeitslosigkeit dargestellt haben. Man muß einfach wissen, daß bei vielen Arbeitslosen die seelischen Belastungen durch die Arbeitslosigkeit viel größer sind als die finanziellen Probleme. Man muß wissen, daß diese seelischen Belastungen durch die Arbeitslosigkeit bei den meisten Betroffenen auch zu körperlichen Krankheiten führen. Wir haben deswegen u. a. in dieser Studie vorgeschlagen, Forschungsaufträge mit dem Ziel zu vergeben, die gesundheitlichen Auswirkungen und gesamtwirtschaftlichen Folgekosten von Arbeitslosigkeit zu untersuchen und transparent zu machen. Die ganze Tragweite dieses Problems ist einfach noch nicht erfaßt. Ich schicke Ihnen, Herr Ehrenberg, diese Studie zu, damit Sie die vorgeschlagenen positiven Anregungen mit aufgreifen und unterstützen können.
Eine verantwortliche Arbeitsmarktpolitik darf sich nicht mit 800 000 Arbeitslosen abfinden. Das wäre Menschenverachtung. Die Arbeitsmarktpolitik muß mit allen Mitteln darauf hinarbeiten, daß jeder, der arbeiten will, dies auch kann. Deshalb müssen die finanziellen Mittel konzentriert für die Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen ausgegeben werden; eine sachfremde Vergeudung darf es nicht geben.
Hier, Herr Kollege Grobecker und vor allen Dingen Herr Minister, ist natürlich ein Wort zum laufenden arbeitsmarktpolitischen Sonderprogramm fällig. Ich rede ja hier nicht wie ein Blinder von der Farbe; Sie werden mir zugeben müssen, daß ich ein bißchen von den Dingen verstehe. Der Bundesminister für Arbeit preist dieses Programm überall als sinnvolle arbeitsmarktpolitische Offensive und als Beispiel einer vorbildlichen Arbeitsmarktpolitik. Der angebliche Erfolg -wird wesentlich damit begründet, daß für 964 Millionen DM Anträge vorliegen. Aber Schein und Wirklichkeit fallen bei diesem Programm weit auseinander. Wer sich vom Schein der Millionenbeträge nicht blenden läßt, muß das Programm in erster Linie daran messen, wie vielen Arbeitslosen es Arbeit und Brot gegeben hat.
Deshalb war es ja auch richtig, für den wichtigsten Schwerpunkt des Programms, die Wiedereingliederung Arbeitsloser, den Löwenanteil der Mittel vorzusehen. Es ist ein schwerer Fehler, wenn für diesen wichtigsten Programmpunkt jetzt nur noch magere 12 % übriggeblieben sind, für 6 456 Teilnehmer 121 Millionen DM; das sind 18 700 DM für den Einzelfall. Dagegen ist bei den Arbeitsmarktmaßnahmen im Bereich der sozialen Dienste der ursprüngliche Ansatz um das Dreifache überschritten. Hier werden für 7 950 Teilnehmer sage und schreibe 438 MilMüller ({15})
lionen DM ausgegeben. Das ist die Riesensumme von 55 100 DM pro Teilnehmer.
({16})
Auch die Mittel für innerbetriebliche Qualifizierungsmaßnahmen wurden um 260 % aufgestockt. Hier werden für 23 566 Teilnehmer 405 Millionen DM oder 17 200 DM pro Teilnehmer ausgegeben.
Wir halten diese massive Verlagerung der Schwerpunkte für völlig falsch.
({17})
Die zu allererst und vor sonstigen Aufgaben notwendige Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen wird von dem Programm einfach nicht mehr geleistet. Sinn und Zweck des Programms werden fragwürdig.
Zudem behaupten die Gewerkschaften, daß es bei einer Reihe von Betrieben erhebliche Mitnahmeeffekte gibt. Herr Grobecker hat von den Kommunen gesprochen. Was sagen Sie, Herr Ehrenberg, zu den Berichten in der Gewerkschaftspresse, daß Firmen ihre Mitarbeiter plötzlich kolonnenweise qualifizieren wollen nach dem Motto: Sparen wir die Lohnkosten, der Staat bezahlt sie ja? Ist das in Ihren Augen sinnvolle Arbeitsmarktpolitik, wenn auf der anderen Seite noch 800 000 auf einen Arbeitsplatz warten?
Aber, Herr Grobecker, noch schlimmer ist das, was sich bei den einzelnen Gemeinden, Städten und Kreisen abspielt. Da werden einfach freie Planstellen in von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Arbeitsplätze umgewandelt und so kommunale Haushalte aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung entlastet. Zum Beispiel hat die Stadt Duisburg - das liegt bekanntlich nicht in einem CDU-regierten Land - einerseits immer mehr eigene Stellen abgebaut, andererseits immer mehr Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Anspruch genommen. Kann das Sinn und Zweck einer rationalen Arbeitsmarktpolitik sein?
({18})
Der ÖTV-Vorsitzende hat Sie, Herr Ehrenberg, mit Schreiben vom 12. September auf diesen Mißstand hingewiesen. Herr Bundesarbeitsminister, warum nehmen Sie in der Öffentlichkeit nicht gegen diesen Mißbrauch Stellung? Warum verkaufen Sie in der Offentlichkeit weiter Ihre Erfolgsmeldungen über das Arbeitsmarktprogramm, obwohl Sie es besser wissen?
({19})
Wenn diese Informationen zutreffen, ist es eine Vergeudung und ein Mißbrauch von Arbeitsmarktmitteln.
({20})
Im Zusammenhang mit der Aufstockung des Arbeitsmarktprogramms von 500 auf 940 Millionen DM ist noch interessant, daß die Änderungsanträge unserer Fraktion bei der 5. Novelle zum AFG, die auf eine Ausweitung und Verbesserung der Instrumente einer präventiven Arbeitsmarktpolitik abzielten, von Ihnen, meine Herren von der SPD und der FDP, wegen angeblich fehlender Finanzmittel abgelehnt worden sind, während Sie den Nachtragshaushalt des Bundes mit den nicht benötigten Zuschüssen der Bundesanstalt für Arbeit finanziert haben, gewissermaßen als Manipulationsmasse.
In dem Zusammenhang, Herr Grobecker, hätte ich von Ihnen gerne eine Auskunft darüber, was an Beschlüssen nun stimmt, ob die Bundesanstalt im nächsten Jahr 1,9 oder 1,6 Milliarden DM an Zuschüssen erhält. Das ist sicherlich auch für Nürnberg maßgebend. Wenn ich eine Presseinformation aus Nürnberg richtig gelesen habe, sind dort andere Zahlen eingesetzt worden, als Sie sie heute morgen hier genannt haben.
Wenn wir uns mit der Arbeitslosigkeit nicht abfinden und uns auf die noch kommenden wirtschaftlichen Herausforderungen - ich erinnere nur an den Energie- und Währungssektor - einstellen wollen, dürfen wir in der Arbeitsmarktpolitik keine Mark vergeuden. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht das von uns geschaffene und von Ihnen verschlechterte Arbeitsförderungsgesetz noch mehr zu einem Instrument umfassender und vorbeugender Arbeitsmarktpolitik ausbauen können.
Die halboffene und computerunterstützte Arbeitsvermittlung muß beschleunigt ausgebaut werden.
Das Unterhaltsgeld sollte bei Familien, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich von diesem Geld bestreiten müssen, aufgestockt werden, ebenfalls bei langfristig Arbeitslosen.
Zur Steigerung der Mobilitätsbereitschaft sollten die Höchstbeträge für die Erstattung von Bewerbungskosten, Familienheimfahrten und Einrichtungsbeihilfen verdoppelt werden.
Wir müssen uns überlegen, ob es bei den Problemgruppen nicht sinnvoll wäre, die Lohnkostenzuschüsse zu erhöhen und die mögliche Bezugsdauer zu verlängern.
Wir müssen uns überlegen, ob es zur Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen nicht zweckmäßig wäre, die sogenannte verstärkte Förderung aus Bundesmitteln nach § 96 AFG vorwiegend oder ganz dieser Beschäftigungsart vorzubehalten.
Wir müssen darüber nachdenken, ob es für die Eingliederung älterer Arbeitsloser nicht sinnvoll wäre, auch hier die Lohnkostenzuschüsse zu erhöhen. Zusammen mit den Vorschlägen, die wir in der Studie zur Lebenssituation der Arbeitslosen gemacht haben, ist es eine ganze Reihe von Anregungen. Wir glauben, dies den Betroffenen schuldig zu sein. Ein Abfinden mit der Millionenarbeitslosigkeit darf und wird es für uns nicht geben.
({21})
Im Gegensatz zu einer Politik, die sich mit der Millionenarbeitslosigkeit auf dem Rücken der Betroffenen abfindet, ist nach unserem Grundsatzpro15328
Müller ({22})
gramm Vollbeschäftigung für uns die gesellschaftspolitische Aufgabe Nr. 1.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Müller, Sie können natürlich nicht den miesen Eindruck verwischen, den der Kollege Blüm hier hinterlassen hat.
({0})
Der steht für sich und wird von den Arbeitnehmern in den Betrieben auch begriffen. Der steht und wird bewertet.
({1})
Sie haben hier den Ausstieg aus der Sozialpolitik für sich beschlossen, Kollege Blüm,
({2})
und damit müssen Sie selbst fertig werden.
Kollege Müller, man muß Ihnen schon bescheinigen, daß ganze Passagen Ihrer Ausführungen von Polemik getragen sind. Sie kennen ja wohl die Beratungen um die Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes, wo wir uns sehr bemüht haben, entsprechend den Notwendigkeiten draußen - Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Betriebe - die Entscheidungen zu treffen, um Antworten zu finden, fertig zu werden mit den Schwierigkeiten, die uns aus der weltwirtschaftlichen Lage mit ins Haus gekommen sind. Wir haben eine Novellierung zustande gebracht, die dieses eigentlich hergibt. Ich sage Ihnen sehr offen: Sozialdemokraten und Bundesregierung haben in ihrer Amtszeit, soweit ich das sehe und sehr aufmerksam verfolge, von „Drückebergern" - das sollen Arbeitslose sein; so sollen wir formuliert haben - nie gesprochen. Uns ist schon ein Arbeitsloser zuviel, und wir geben uns mit der Zahl überhaupt nicht ab, sondern bekämpfen mit unseren Maßnahmen die Zahl der Arbeitslosen, die wir haben. Der eine Arbeitslose ist uns zuviel, und ich sage Ihnen voller Überzeugung: Unsere Politik zielt darauf ab, mit dieser Frage fertig zu werden.
Zum zweiten Punkt, der in Ihrer Darstellung eine Rolle spielte: Das soziale Leistungsystem hat gerade arbeitslosen Menschen geholfen, über diese schwierige Situation hinwegzukommen. Wir haben ein Leistungsnetz gezogen, das garantiert, daß keiner durchzufallen braucht. Das ist eine Sozial- und Gesellschaftspolitik, die sich auf diesem Felde sehen lassen kann.
({3})
Man kann nur mit Daten, Fakten und Zahlen antworten. Sie kennen vielleicht nicht die Darstellung der Bundesanstalt für Arbeit. Darum sage ich Ihnen, was dort über die Politik der Bundesregierung und der Sozialdemokraten steht. Wir haben 350 000
Beschäftigte mehr in diesem Jahr. Wir haben offene Stellen in vielen Branchen, für die wir Arbeitskräfte leider nicht zur Verfügung stellen können. Wir haben 1979 mehr als 300 000 arbeitslose Arbeitnehmer weniger, und wir haben bei den Leistungsempfängern noch einmal 200 000 weniger. Wir haben bei den arbeitslosen Jugendlichen 25 % weniger, bei den Kurzarbeitern 60 % weniger und bei den Teilzeitarbeitslosen 20 % weniger. Diese Zahlen sprechen für sich und sind nur durch das Instrumentarium zu erklären, das wir wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch geschaffen haben, um mit diesen Herausforderungen fertig zu werden. Die wirtschaftlichen Auftriebskräfte sind nun in der Weise wirksam, daß sie auf diesem Felde weiter mit dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit noch stärker abzubauen.
({4})
Was unser Ziel ist, sagte ich schon, und ich will es Ihnen noch einmal sagen: Schon ein Arbeitsloser ist den Sozialdemokraten zuviel.
Ein weiterer Punkt, den Sie angesprochen haben und der auch für sich spricht: Durch die regionale Arbeitsmarktpolitik - vor allen Dingen für Nordrhein-Westfalen - verzeichnen wir Gott sei Dank einen überdurchschnittlichen Abbau der Arbeitslosigkeit und die Aufnahme eines Strukturprogramms, das das Ziel hat, vor Arbeitslosigkeit zu bewahren und eine Höherqualifizierung der Arbeitnehmer herbeizuführen. Ich kann die Bundesregierung nur bitten, dieses regionalpolitische Instrument weiterzuführen, damit wir in schwierigen Regionalbereichen die Probleme mit unseren Erfahrungen angehen und die Sicherung der Arbeitsplätze und der Qualifizierung unserer Arbeitnehmer betreiben können. Wir haben also in den Jahren Instrumente geschaffen und damit politische Zielvorstellungen verbunden, die dazu beigetragen haben, die Arbeitslosigkeit im wesentlichen herabzudrücken.
Wenn Sie hier beklagen, daß hinsichtlich der Situation bei den Schwerbehinderten ungünstige Zahlen vorliegen, so kann ich das natürlich auch nur feststellen. Aber man muß auch sagen, wie man mit diesen Problemen fertig werden will. Für mich ist es unverständlich, daß die Arbeitgeber in unserem Lande den Sachverstand dieser Arbeitnehmergruppen - sowohl dieser Gruppe wie aber auch der älteren Arbeitnehmer - für sich so wenig in Anspruch nehmen und sie lieber in die Arbeitslosigkeit abdrängen.
({5})
Daher sage ich, die Arbeitgeber sind aufgefordert, vor allen Dingen die älteren Arbeitnehmer und die Schwerbehinderten in den Arbeitsprozeß einzugliedern, weil es sich dabei in den meisten Fällen um hochqualifizierte und erfahrene Arbeitnehmer handelt, und die darf man nicht in die Arbeitslosigkeit abdrücken.
({6})
Wir kennen auch die Strukturuntersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit, die uns das geradezu verdeutlichen, und wir werden uns bemühen, Überlegungen weiter fortzuentwickeln, die Ausgleichsabgabe und die Pflichtquote zu erhöhen, wenn in Betrieben eine Eigenverpflichtung nicht vorherrscht.
Die Bundesregierung hat auf unsere Initiative eine weitere sehr wichtige Maßnahme ergriffen - dankenswerterweise hat Kollege Grobecker das schon gesagt -: eine vorbeugende Maßnahme für unsere Arbeitnehmer in der Stahlindustrie, damit diese bei den Strukturveränderungen, die auf uns zukommen, nicht ins Bergfreie fallen, sondern durch eine soziale Flankierung in gesicherten sozialen Verhältnissen belassen werden. Dafür haben wir uns besonders zu bedanken.
Kollege Müller, es ist sehr einfach, die Dinge polemisch darzustellen; das bringt uns nicht weiter. Als erfahrener Politiker wissen Sie genausogut, welchen Turbulenzen wir auf den Märkten ausgesetzt sind, die von draußen auf uns einwirken. Daher stelle ich fest:
Erstens. Trotz der angespannten finanziellen Situation hat die soziale Sicherung unserer Bevölkerung nach wie vor für uns erste Priorität.
({7})
Zweitens. Der Haushalt des BMA ist mit 48,3 Milliarden DM seit Jahren der größte Einzelhaushalt, weil wir es mit der sozialen Sicherheit der breiten Schichten in unserer Bevölkerung ernst meinen.
Drittens. Unsere dynamisierte Sozialpolitik steht für uns auch als Sozialstaat, um das Vertrauen der Menschen in den demokratischen Rechtsstaat zu festigen.
Kollege Müller, das wollte ich Ihnen gern noch mitgeben, damit Sie sehen, wie wir an die Bewältigung der Probleme herangehen, nämlich ohne Polemik, sachlich und klar in der Zielsetzung, die Vollbeschäftigung zurückzugewinnen.
({8})
Vizepräsident von Weizsäcker: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte hat zumindest zeitlich eine etwas seltsame Struktur. Ich gestehe offen, daß die FDP-Fraktion davon ausgegangen war, daß in der zeitlichen Aufteilung hier eine Parität zwischen dem Arbeits- und Sozialhaushalt einerseits und dem Etat des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit andererseits bestehen sollte. Aber, Herr Kollege Müller ({0}), Ihr Beitrag gibt mir Gelegenheit, einmal völlig unvorbereitet, spontan - das ist bei Ihrem Beitrag nicht so schwer - auch einiges zur Beschäftigungspolitik zu sagen.
Sie haben versucht, hier den Eindruck zu erwekken, Ihr Beitrag stelle ein Kontrastprogramm zur Beschäftigungspolitik der sozialliberalen Koalition dar.
Ich unterschreibe vieles von dem, was Sie gesagt haben, aber es war zweifellos kein Kontrastprogramm zu uns, sondern Ihr Referat war ein Kontrastprogramm zu den Vorstellungen z. B. Ihrer eigenen Fraktionskollegen Kraus oder Schedl. Denn wir haben nicht gesagt, daß wir die Mobilität so weit treiben wollten, daß sie inhuman sei, sondern der Kollege Schedl - ich sage das wertneutral - hat die Frage aufgeworfen, ob das Problem der Arbeitslosigkeit nicht auch ein Problem der Arbeitswilligkeit sei. Es waren Ihre Fraktionskollegen, die in der Diskussion Fragen in der Richtung gestellt haben,
({1})
ob man hier nicht stärker einschreiten solle, wenn es um den Begriff der Zumutbarkeit gehe.
({2})
Und, Herr Kollege Blüm: Verbieten Sie uns die Diskussion in der Koalition? Übrigens, was die FDP angeht, müssen Sie sich jetzt einmal entscheiden: Sind wir eine Blockpartei,
({3})
die immer nur das tut, was die SPD will, oder sind wir eine eigenständige Partei,
({4})
wie wir uns verstehen? Festzustellen ist jedenfalls: Wenn unsere Gedanken, unsere Vorschläge einmal von denen der SPD abweichen, werden wir von Ihnen immer wieder kritisiert. .
Herr Kollege Blüm, da Sie mich jetzt so ganz verängstigt anstarren: Ihr Rentenprogramm vom Dienstag war ein CDU/CSU-Rentenprogramm, das letzten Endes auch ein Kontrastprogramm zum CDU/ CSU- Rentenprogramm Ihres Kollegen Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein war. Denn er hat gesagt: bruttolohnbezogene Anpassung ohne Wenn und Aber.
({5})
Das Wenn und Aber haben Sie ja, Kollege Blüm - komische Umkehrung der Fronten -, durch Ihren Schwindel mit dem Krankenkassenbeitrag am Dienstag geliefert.
({6})
Aber gut, dazu wollte ich nichts sagen; das ist Ihr Problem. Sie sind eben eine große, umschlingende Volkspartei, die alles an Profilen, Ecken und Kanten verschluckt, was hier und da noch sichtbar ist.
({7})
Je nach Publikum hängen Sie dann die entsprechenden Fahnen - mal etwas rosa und dann wieder etwas schwärzer - heraus, aber ich glaube, der Wäh15330
ler erkennt keine Konturen. Deshalb werden Sie- in der Opposition bleiben.
Ich möchte, Herr Kollege Müller, einiges von dem aufgreifen, was Sie gesagt haben - und dies nicht nur kritisch. Es ist zweifellos richtig, daß wir ein strukturell bedingtes Arbeitslosenproblem haben. Denn die konjunkturell bedingte Arbeitslosigkeit läßt sich - dies zeigen die sinkenden Zahlen gerade in den letzten Monaten - doch relativ einfach lösen. Noch vor zwei Jahren haben Ihre wirtschaftspolitischen Sprecher gesagt, die Industrie investiere nicht, weil sie kein Vertrauen in die sozialliberale Koalition habe. Nachdem sie jetzt - seit einiger Zeit - investiert, hat sie dann zumindest in den letzten Jahren erhebliches Vertrauen zu uns bekommen, und zwar zu Recht. Dies hatte sie aber vorher auch schon.
Aber: Wenn die Arbeitslosigkeit eben stark strukturell bedingt ist, dann müssen wir uns mit den wahren Problemgruppen - nicht mit dem Bodensatz und schon gar nicht im diskriminierenden Sinn - befassen. Herr Kollege Müller, meine Damen und Herren von der Opposition, wir werden uns doch darüber einig sein, daß die Arbeitslosigkeit eines älteren Buchhalters mit fünf Kindern anders zu bewerten ist als die formale Arbeitslosigkeit einer Teilzeitarbeit suchenden Frau, die vorher gar nicht gearbeitet hat. Ich hoffe, daß wir uns in diesem Punkt einig sind; hier muß man auch einmal die Statistik bereinigen. Nur: Wenn Sie die Arbeitslosenstatistik hier so vordergründig darstellen, Herr Kollege Müller,
({8})
dann mag zwar der Eindruck entstehen, als wenn es draußen regnet - es regnet heute vielleicht draußen -, aber in den Herzen der Menschen sieht es gar nicht so schlecht aus. Sie wissen, daß Arbeitslosigkeit ein großes Problem ist, daß aber nicht jeder, der statistisch als Arbeitsloser gemeldet ist, auch wirklich ein Arbeitsloser ist.
({9})
Für die Problemgruppen müssen wir viel tun. Ich hoffe, daß wir uns einig werden, daß wir uns hinsichtlich bestimmter Arbeitsloser, die nur sehr schwer zu integrieren sind - ich denke da z. B. an die längerfristig arbeitslosen Schwerbehinderten -, einmal ohne Vorbehalt und - Herr Kollege Müller, wenn ich Sie darum bitten darf - auch ohne Polemik und Unterstellungen
({10})
über den Kündigungsschutz unterhalten müssen. Denn es gibt Schutzbestimmungen, die im Grunde genommen kein schützendes Dach mehr darstellen für diejenigen, die draußen stehen. Sie wissen selbst, daß uns viele arbeitslose Schwerbehinderte dringend darum bitten, ihnen durch Auflockerung des Kündigungsschutzes wenigstens eine Chance zu geben, einmal wieder mit dem Berufsleben, mit der Arbeit anfangen zu können.
({11})
Ich hoffe, daß wir dies ohne parteipolitische Polemik in einer sachlichen Form diskutieren können.
({12})
Von großer Bedeutung ist - hier sehe ich persönlich das Problem der Zukunft -, wie wir dem durch Einführung neuer Produktionsmethoden immer deutlicher werdenden rasanten technischen Wandel - z. B. EDV-Einstieg in die Verwaltung - nach einem zeitlich sicher wohltuenden Verzögerungseffekt begegnen können. Aber dies können wir nicht, indem wir den Unternehmen etwa über Lohnkostenzuschüsse eine Scheinbeschäftigung ermöglichen. Ich glaube, das kann auch nicht in unserem Sinn sein. Sondern wir müssen - da gebe ich Ihnen recht - einmal überprüfen, ob das Arbeitsförderungsgesetz, aber nicht nur das Arbeitsförderungsgesetz, sondern auch der Bereich der Berufsbildung nicht nur vom Gesetzgeberischen, sondern auch vom Mittelumfang her verbessert werden müssen, um prophylaktisch das Risiko, einen unsicheren Arbeitsplatz zu haben, zu mildern. Hier müssen wir sicher sehr schnell Konsequenzen aus Entwicklungen ziehen, die sich vor zwei Jahren zum Teil noch nicht abzeichneten. Vor zwei Jahren war es eigentlich undenkbar, daß ein individuell erscheinender Brief gar nicht mehr individuell entsteht, sondern unter Verwendung von Mikroprozessoren letzten Endes anonym, maschinell angefertigt wird. Ich hoffe, wir können hier zusammenarbeiten.
Aber eines - das möchte ich abschließend sagen
- sollten wir nicht tun: Wir sollten eine noch so verständliche parteipolitische Auseinandersetzung in der Offentlichkeit oder auch in diesem Hause nicht auf dem Rücken derer austragen, für die Arbeitslosigkeit nicht nur ein materielles Problem, sondern auch das Problem einer kaum zu ertragenden psychischen Belastung ist.
({13})
- Herr Kollege Müller, das werfe ich Ihnen vor. Weil wir wissen, daß gerade die Reaktion z. B. auf diesen eintretenden technischen Wandel nicht allein in das Ermessen und die Kompetenz eines Parlaments und einer Bundesregierung gestellt ist, sollten wir aufhören, hier schwarzweißzumalen, sondern gegenüber allen hierfür Verantwortlichen - und das ist nicht nur die Bundesregierung, das sind nicht nur wir als Parlament, sondern das sind auch die Tarifvertragsparteien - unseren Einfluß geltend machen, daß im Interesse des Abbaus der strukturellen Arbeitslosigkeit auch langfristige Konzepte gefunden werden, die unser Wirtschaftssystem eben nicht als ein System der Reparaturschlosserei erHölscher
scheinen lassen, sondern als ein sozial eingebundenes System, bei dem die gleichen langfristigen Pläne, die wir z. B. im Bereich der Innovationsförderung aufstellen, auch für den sozialen Bereich gelten.
Das sollten wir nach Möglichkeit gemeinsam tun.
({14})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist von den Berichterstattern schon hervorgehoben worden, daß der Einzelplan 11 im Haushaltsjahr 1980 mit mehr als 48 Milliarden DM der größte Einzeletat ist. Wenn man die Sozialausgaben aus den anderen Etats hinzuzählt, vor allem Kindergeld, Vermögensbildung, Wohngeld, umfaßt der Ausgabenanteil mit der Zielrichtung soziale Zwecke rund 76 Milliarden DM oder 35 % des Bundeshaushalts. Das ist ein Dokument des Willens, sozialpolitischen Fortschritt auch unter ökonomisch schwierigen Bedingungen in unserem Land durchzusetzen.
({0})
Es gibt eine lange Reihe von Einzelbeispielen: von der Einführung eines viermonatigen zusätzlichen Mutterschaftsurlaubs über die massive Erhöhung des Kindergelds,
({1})
die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte, in zwei Stufen herabgesetzt, bis zur unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im Nahverkehr. Das ist eine Reihe, die genau dieses Bemühen der Bundesregierung deutlich macht, den sozialen Fortschritt voranzubringen, und die aufzeigt, wie fehlgeleitet die Kritik der Opposition an diesem Bundeshaushalt ist.
({2})
Aber wir müssen unserem Land auch deutlich machen, daß es neben diesem Dokument des sozialen Fortschritts, wie es der Haushaltsentwurf 1980 darstellt, das Kontrastprogramm des Kanzlerkandidaten der Union gibt.
({3})
Herr Strauß hat vor zwei Tagen, auch von die ser Stelle, seine Forderung, die Staatsquote von 46 auf 40 % herabzusetzen, zu einer schrittweisen Forderung, auf ein bis zwei Dekaden verteilt, modifiziert.
({4})
Diese Herabsetzung, auch in ein bis zwei Dekaden, macht alle Ihre Vorschläge aus der Opposition illusorisch, weil sie mit sinkendem Staatsanteil nicht zu finanzieren sind.
({5})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blüm?
Eine Frage des Herrn Blüm jetzt nicht.
({0})
- Diese Art ist in der Art der Rede, die Herr Blüm hier vorgestern gehalten hat.
({1})
- Wenn sie irgend jemandem weh getan hat,
({2})
dann der Reputation des Herrn Blüm. Der hat diese Rede in der Tat weh getan.
({3})
- Ich brauche keine Luft abzulassen.
({4})
Ich hatte vor, mich jetzt mit dem Kanzlerkandidaten der Union auseinanderzusetzen und nicht mit Herrn Blüm, wenn auch der Eifer des Herrn Blüm, dem Kanzlerkandidaten gefällig zu sein, in dieser Frage deutlich wird.
({5})
- Wenn Sie jetzt mit Zwischenrufen aufhören, komme ich zur Sache.
Zur gleichen Zeit, in der der Kanzlerkandidat der Union hier diese schrittweise Reduzierung der Staatsquote als Ziel vorangestellt hat, hat die vom bayerischen Arbeitsminister Pirkl geleitete Kommission den Entwurf eines familienpolitischen Programms, unter anderem Dynamisierung des Kindergeldes, Einführung eines Erziehungsgeldes und in der Rentenversicherung Anrechnung von drei Jahren pro Kind als Verlängerung des Rentenanspruches, vorgelegt. Die CSU-Kommission selbst schätzt dieses Programm auf etwa 10 Milliarden. Das ist sicher unterschätzt; denn allein die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, pro Kind drei Jahre, würde im Jahr rund 7 Milliarden kosten. Das wäre ein halber Prozentpunkt mehr an der Staatsquote, wenn allein dies verwirklicht würde.
Meine Damen und Herren, deutlicher als mit der Forderung des Kanzlerkandidaten, generell die Staatsquote herabzusetzen, und der Forderung seines eigenen Arbeitsministers, sie um mehr als einen halben Prozentpunkt zu erhöhen, läßt sich die Widersprüchlichkeit Ihrer finanziellen und sozialpolitischen Argumentation nicht dokumentieren.
({6})
Genauso, Herr Kollege Müller ({7}), steht es wohl in vollem Widerspruch zu Ihren Ausführungen über den Arbeitsmarkt, wenn Ihre Fraktion gleichzeitig in dieser Debatte einen Kürzungsvorschlag über 440 Millionen DM für den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit vorlegt.
({8})
- Es ist kein Haushalt manipuliert worden,
({9})
sondern es ist lediglich in Übereinstimmung mit der Bundesbank, mit den Instituten, und weit optimistischer als Ihre Schätzungen, meine Herren von der Opposition, für 1979 waren, das Arbeitsmarktergebnis dank unserer guten Politik besser geworden. Dementsprechend blieb der Liquiditätszuschuß übrig und ist für andere vernünftige Zwecke verwendet worden.
({10})
- Selbstverständlich haben wir das getan, weil wir vorsichtig kalkulieren. Selbst bei meinem immer vorhandenen Optimismus - so gut konnten wir zu Beginn des Jahres das Ergebnis auch nicht einschätzen, wie es geworden ist. Sie sollten mit uns zusammen über das gute Ergebnis glücklich sein, daß wir 350000 Beschäftigte mehr haben im Jahre 1979 als vorausgesehen.
({11})
Ich nehme für mich in Anspruch, daß das ein Erfolg unserer nahtlos ineinandergreifenden WirtschaftsFinanz- und Sozialpolitik ist.
({12})
- Die Problemgruppen sind genau das Ziel unserer Arbeitsmarktpolitik. Die ja auch, Herr Kollege Müller - Sie sind ja Mitglied des Verwaltungsrates - von Ihnen angesprochene Dequalifizierungsspirale stand nie in einem Arbeitsförderungsgesetz, weder in der 4. noch in der 5. Novelle; die stand ausschließlich im Runderlaß 230 der Bundesanstalt, war ausschließlich zu verantworten von der Selbstverwaltung dort,
({13})
und mit der 5. Novelle haben wir dies beseitigt, Herr Kollege Müller.
({14})
- Herr Kollege Müller, Sie haben als Mitglied des
Verwaltungsrats selber der auf Grund der 5. Novelle gefaßten Anordnung über die Zumutbarkeit
zugestimmt und den Unsinn aus dem Runderlaß mit dieser Anordnung beseitigt.
({15})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Herr Minister, wer hat den Mitgliedern der Selbstverwaltung aus Ihrem Hause die Weisung gegeben, diesen Runderlaß so und nicht anders einzubringen?
({0})
Verehrter Kollege Müller
({0})
- ich setze mich mit dem Kollegen Müller auseinander, nicht mit dem Herrn Blüm -,
({1})
Sie wissen als Mitglied des Verwaltungsrates ganz genau, daß es Weisungen für Mitglieder der Selbstverwaltung nicht gibt.
({2})
Sie wissen ebenso genau, daß dieser Runderlaß ohne meine Zustimmung erfolgt ist und daß ich daraus sehr schnell die notwendigen personalpolitischen Konsequenzen in meinem Hause gezogen habe
({3})
gegen Ihre Kritik. Der Kollege Müller weiß das ja; ihn brauche ich nicht aufzuklären.
Jedenfalls haben wir mit dieser 5. Novelle genau das getan, was nötig ist, nämlich erstens die Arbeitsmarktpolitik noch stärker als bisher auf die Problemgruppen des Arbeitsmarktes ausgerichtet und zweitens die Arbeitsmarktpolitik mit großem Erfolg regionalisiert, wie er im Ruhrgebiet, in Ostfriesland und selbst in Ostbayern mit Händen zu greifen ist.
({4})
Ich brauche hier in der kurzen Redezeit auf die Einzelheiten nicht einzugehen.
Sie haben zu den Einzelheiten dieses Programms eine Kleine Anfrage eingebracht. Die Antwort darauf ist am 11. Dezember dem Präsidenten dieses Hohen Hauses zugeleitet worden. In wenigen Tagen werden Sie sie in der Drucksache nachlesen können. Es haben sich zwischen den Schwerpunkten VerBundesminister Dr. Ehrenberg
schiebungen ergeben, aber nicht durch Schuld der Arbeitsverwaltung,
({5})
Herr Kollege zu Sayn-Wittgenstein, sondern ausschließlich dadurch, daß nicht genügend Arbeitgeber - trotz dicker Anreize - bereit sind, Schwerbehinderte einzustellen; das ist der Punkt und kein anderer.
({6})
Wir leben in einer freien Wirtschaftsordnung, in der auch die Arbeitsverwaltung nicht in der Lage ist, Schwerbehinderte zuzuweisen, und wir wollen auch keine Wirtschaftsordnung, in der Arbeitnehmer zugewiesen werden können.
({7})
So ist der Tatbestand und nicht anders. Herr Kollege Müller, Sie werden in der Antwort auf die Kleine Anfrage exakt und im Detail die Verteilung der Mittel und die Ausrichtung des Programms nachlesen können. Daß der Programmpunkt Soziale Dienste stärker geworden ist, begrüße ich in der Tat;
({8})
denn mit dieser Ausweitung Soziale Dienste leistet die Arbeitsverwaltung einen wesentlichen familienpolitischen Beitrag. Sie reden über Familienpolitik, und wir machen sie.
({9})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz zu dem wichtigsten Thema der Sozialpolitik kommen. Das ist nach der bedauernswerten Rede des Herrn Blüm von vor zwei Tagen
({10})
hier unverzichtbar. Ich meine das Thema der Rentenkonsolidierung und der Rentenreform 1984. Ich finde es in höchstem Maße bedauerlich, in welchem unverantwortlichen Ton und welch unverantwortlicher Polemik dieses Thema von seiten der Opposition behandelt wird.
Der bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union hat zu Recht von dieser Stelle aus Klarheit in der Rentenpolitik gefordert.
({11})
Die Sozialdemokraten und die Bundesregierung und die Freien Demokraten leisten ihren Beitrag zu dieser Klarheit. Wer das Bemühen der Sozialdemokratischen Partei auf ihrem Parteitag in Berlin, auf dem alle denkbaren Möglichkeiten, dem Verfassungsauftrag, die Gleichberechtigung in der Alterssicherung herzustellen, nachzukommen, gründlich und im Detail durchdiskutiert worden sind, als „Vertagung" oder „Verschleierung" abqualifiziert, hat ein sehr merkwürdiges demokratisches Verständnis.
({12})
Wir haben nach sehr gründlicher Arbeit in der Kornmission diese breite Alternativpalette diskutiert. Sie geht dann an die Kommission zurück, wird im Februar vom Parteivorstand beraten und auf dem nächsten Parteitag rechtzeitig vor der Wahl, damit jeder Bürger sehen. kann, wie die Rentenpolitik der 80er Jahre aussehen wird, verabschiedet werden.
Ich kann nur hoffen, daß die Unionsparteien eine ähnlich klare Aussage rechtzeitig vor der Wahl treffen werden.
({13})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Gerne.
Herr Bundesminister, Sie sprachen eben davon, Sie hätten eine klare Konzeption. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen der Artikel aus der „Bild-Zeitung" vom 1. Dezember
({0})
von Torsten Wolfgramm bekannt ist, dem Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion in diesem Hause, mit der Überschrift „Renten versteuern? Eher platzt die Koalition!"? Können Sie mir sagen, wie Sie von „klarer Rentenpolitik" sprechen können, wenn Sie sich untereinander in der Öffentlichkeit mit einer solchen Tonart begegnen?
({1})
Hier gibt es überhaupt keine Unklarheit. Der Kollege Wolfgramm ist auf Pressemeldungen hereingefallen, daß die SPD die Besteuerung will.
({0})
Das kann ja auch einem Parlamentarischen Geschäftsführer passieren, daß er auf Pressemeldungen hereinfällt.
({1})
- Es hat weder vorn Vorsitzenden der Kommission, Herbert Wehner, noch von der dort vertretenen Staatssekretärin Anke Fuchs noch von mir jemals eine Äußerung pro Besteuerung der Renten gegeben.
({2})
Was wir allerdings getan haben - und dazu halten wir uns für verpflichtet -: Wenn im Frühjahr auf Grund der Klage eines Beamten ein Verfassungsgerichtsurteil darüber zu erwarten ist, ob die
unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen auf der einen Seite und Sozialversicherungsrenten auf der anderen Seite verfassungsmäßig ist, dann ist es wohl unsere Pflicht und Schuldigkeit, über alle Eventualitäten dieses zu erwartenden Urteils nachzudenken. Das haben wir getan, nicht mehr.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Noch eine. Dann möchte ich allerdings zu meiner Rede zurückkehren.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß im „Sozialdemokratischen Pressedienst" von dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen innerhalb der SPD, Herrn Rohde, am 9. November ein Beitrag geleistet wurde, in dem unter der Überschrift „Rentenbesteuerung kritisch behandeln" unter anderem steht „Diese Art der Behandlung schafft Unsicherheit und Verwirrung bei den Betroffenen, hilft in der Sache nicht weiter und stiftet politischen Schaden"?
Würden Sie das gleichfalls so qualifizieren, daß er nicht informiert sei, wie Sie das in bezug auf den Kollegen Wolfgramm getan haben?
({0})
Helmut Rohde hat bei diesem Artikel die durchgesickerte Berichterstattung über die. Wehner-Kommission gemeint und nicht die Arbeit der Kommission.
({0})
- Nun ist es mit Zwischenfragen genug.
Herr Kollege Franke, in der Arbeitsgruppe „Sozialpolitisches Programm" auf unserem Parteitag haben Helmut Rohde und ich die einführenden Referate gehalten, die ganze Zeit dort gesessen und die Fragen beantwortet. Es hat Widersprüche zwischen Herrn Rohde und mir nicht gegeben. Da Sie das Protokoll haben, sind Sie gut informiert. Es erübrigen sich weitere Zwischenfragen. Lassen Sie mich zu meiner Rede zurückkehren.
({1})
Um auch noch einen Zwischenruf des Herrn Blüm zu beantworten:
({2})
Frau Fuchs hat in der Fraktion ausschließlich über die Eventualitäten des Verfassungsgerichtsurteils und in dem Zusammenhang über die Besteuerung gesprochen, und nicht mehr.
({3})
- Da Sie nicht dabei waren, können Sie es auch nicht besser wissen.
Aber dieses Thema ist, glaube ich, viel zu ernst, um es in dieser Form der polemischen Zwischenrufe zu behandeln. Lassen Sie mich daher in aller Kürze etwas zu unseren Zielvorstellungen über die Neuordnung sagen auf der Grundlage der breiten und - im Gegensatz zu den Zwischenrufen hier - sehr sachlichen Diskussion zu diesem Thema auf unserem Parteitag.
Wir wollen erstens dem Auftrag des Verfassungsgerichts gemäß die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Hinterbliebenenversorgung, wobei eine familienbezogene Lebensstandardsicherung oberstes Ziel ist. Wir wollen zweitens die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung in einem vernünftigen, überschaubaren ersten Schritt. Wir wollen drittens den gerechten Ausgleich zwischen den Generationen sichern, indem wir langfristig von einem höheren Rentenniveau aus dafür sorgen, daß sich Renteneinkommen und Arbeitnehmereinkommen in Zukunft miteinander im Gleichschritt bewegen.
In diesem Zusammenhang muß ich, so leid mir das tut, noch einmal auf den Beitrag des Herrn Blüm zurückkommen. Er hat den Versuch unternommen, den Eindruck zu erwecken, als ob wir in der Bundesrepublik Deutschland in einem Armenhaus lebten.
({4})
- Ich sage es Ihnen gleich. Herr Blüm, Sie haben hier vorgestern gesagt - ich darf aus dem Protokoll zitieren -:
Wir haben 500 000 Witwen mit einer Rente unter 250 DM.
({5})
Das ist schlicht falsch. Wir haben nach Auskunft der Sozialversicherungsträger in der Arbeiter-, Angestellten- und knappschaftlichen Rentenversicherung zusammengenommen 208 000 Witwenrenten unter 240 DM ausgezahlt.
({6})
Ich wollte nur auf Ihren Irrtum aufmerksam machen
- wenn es ein Irrtum war.
Wenn so eine Behauptung aufgestellt wird, muß ja wohl im übrigen dazugesagt werden, daß diese Witwenrenten keine Witwenrenten für den Lebensunterhalt sind, sondern Renten, die auf kurze Versicherungszeiten des Mannes zurückgehen. Daß es so kleine Versicherungsrenten gibt, ist in erster Linie Ihr Verschulden bis in die 60er Jahre hinein, meine Damen und Herren von der Opposition;
({7})
denn Sie haben mit Ihrer Gesetzgebung verhindert,
daß Selbständige und Freiberufler ihre Sicherung in
der Sozialversicherung finden konnten. Die Öffnung haben erst wir vorgenommen.
({8})
Erst in der Großen Koalition ist der Tatbestand beseitigt worden, der zu so niedrigen Fraueneinkommen in der Alterssicherung führt. Erst damals ist die Möglichkeit der Rückzahlung von Beiträgen an Verheiratete rückgängig gemacht worden. Erst in der Großen Koalition und nicht vorher ist das geschehen. Wenn es also noch Minirenten in der Rentenversicherung gibt, dann auf Grund Ihrer Versäumnisse in der Rentenpolitik bis 1966.
({9})
An diesem Tatbestand läßt sich nicht herumdeuteln.
({10})
Man kann sich auch an folgendem Tatbestand nicht vorbeimogeln. In Ihrer Regierungszeit, genauer gesagt: von 1957 bis 1966 ist das Nettorentenniveau bei einer Versicherungszeit von 45 Jahren von 66,7 % auf 60,8% gesunken. Und auch 1969 war mit 65,1 % immer noch nicht das Nettorentenniveau von 1957 wieder erreicht. 1978 haben wir ein Nettorentenniveau von 73,5 %, das höchste Nettorentenniveau, das es in der Bundesrepublik je gab.
({11}) Das ist das Ergebnis unserer Politik.
({12})
Meine Damen und Herren, zu dem, was der Herr Blüm uns vorgestern vorgeworfen hat, daß wir die Rentner „abgehängt" hätten, die bruttolohnbezogene Rente „außer Betrieb gesetzt" hätten:
({13})
Ich muß Sie hier daran erinnern, meine Herren von der Opposition: Am 1. Januar 1958 haben Sie Ihre absolute Mehrheit dazu benutzt, eine Rentenanpassung von Null zu verkünden. Es hätten nach der bruttolohnbezogenen Formel 6,1 % sein müssen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0})?
Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfragen mehr. Ich will zum Schluß kommen.
Sie haben damals entsprechend dem Rentenanpassungsgesetz gehandelt, wo es in der Fassung von 1957 hieß:
Die Anpassung hat der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigem Rechnung zu tragen.
Das haben Sie 1958 getan. Und das haben wir vor dem Hintergrund der schwierigen Weltrezession mit dem Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz auch getan. Wir haben nicht eine Anpassung auf Null gesetzt, wie Sie 1958, sondern wir haben drei Anpassungen 1,5- bis 2 %-Punkte unter den Satz festgesetzt, der bei einer bruttolohnbezogenen Anpassung herausgekommen wäre,
({0})
was als eine vorübergehende Maßnahme die Ausgaben und Einnahmen im Rentenbereich wieder ins Gleichgewicht gebracht hat. Wir haben gleichzeitig in dieses Gesetz, dem Sie nicht zugestimmt haben, hineingeschrieben, daß 1982 wieder eine bruttolohnbezogene Anpassung vorgenommen wird.
({1})
Das ist gesetzliche Grundlage, und so wird es geschehen.
({2})
Nach dem, was der Herr Blüm vorgestern hier gesagt hat, als er sich nicht gescheut hat, vor dem Hintergrund dieser auch ihm bekannten Fakten, uns das Stichwort „Rentenbetrug" vorzuwerfen,
({3})
muß ich antworten:
({4})
Wer in Kenntnis dieser Fakten von „Rentenbetrug" spricht, versucht selbst zu betrügen, falsche Tatsachen vorzuspiegeln oder wahre Tatsachen zu entstellen.
({5})
Das, meine Damen und Herren ist der Tatbestand,
({6})
Ich hoffe, daß in Zukunft an diese wichtige Aufgabe der Alterssicherung, zu der die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten ihren Beitrag an Konzeption und Klarheit geleistet haben und leisten werden, auch bei der Opposition endlich mit dem nötigen Ernst und der nötigen Verantwortung herangegangen wird.
({7})
Gestatten Sie mir zum Abschluß, trotz dieser unnötigen Polemik um dieses Thema
({8})
- sehr unnötig durch den Herrn Blüm ausgelöst -, eine Bemerkung, weil ich glaube, daß alle Polemik einzelner nicht von den Gemeinsamkeiten ablenken sollte. Ich habe den Kollegen aus dem Haushaltsausschuß und den Kollegen aus dem für mein Ressort zuständigen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bei der zweiten und dritten Lesung dieses größten Einzelplans des Bundeshaushalts sehr herzlich für die sachliche und zukunftsorientierte Zusammenarbeit zu danken. Ich hätte gern noch ein paar Punkte mehr gehabt, Herr Kollege Grobecker. Aber der Einsicht des Haushaltsausschusses beugt sich auch der Arbeitsminister.
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Burger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben allzu hämisch das Kontrastprogramm der CDU/CSU und unseres Kandidaten Franz Josef Strauß kritisiert. Dieses Programm, Herr Minister, ist von der CDU/CSU gemeinsam ausgearbeitet worden. Es liegt vor. Es ist sozial. Es ist finanzierbar. Wir werden es gemeinsam vertreten und gemeinsam durchsetzen, meine Damen und Herren.
({0})
Die Sozialdemokraten haben dieses Thema auf ihrem Parteitag zunächst einmal vertagt. Die Unsicherheit bleibt, was Sozialdemokraten und Freie Demokraten endgültig beschließen werden.
Die Rede Norbert Blüms, Herr Minister, scheint Ihnen wehgetan zu haben. Warum haben Sie den Ball denn nicht aufgegriffen? Warum sind Sie auf diese Angriffe nicht eingegangen? Was Norbert Blüm gesagt hat, war die Realität. Das können Sie, meine Damen und Herren, nicht mit dem Hinweis auf den Haushalt zudecken.
Herr Ehrenberg, draußen gibt es Unsicherheit. Draußen gibt es Angst vor der Zukunft.
({1})
Die Rentner erhalten in diesem Jahr weniger, als die Preissteigerungen ausmachen, und zwar zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Zum erstenmal ist das bruttolohnbezogene System außer Kraft gesetzt.
({3})
Diese Kürzungen werden sich weiterhin auswirken. Ein Rentner wird in zwei Jahren eine Monatsrente weniger erhalten, und das, was in den nächsten Jahren dazukommt, wird weniger sein, als es vorher war.
({4})
Das sind Tatsachen, meine Damen und. Herren, und diese Tatsachen schaffen draußen Unsicherheit.
Betrachten Sie doch einmal Ihre Bilanz wie ein nüchterner Kaufmann! Unsere Schlußbilanz, Ihre Eröffnungsbilanz aus dem Jahre 1969, war solide.
Die Kassen haben gestimmt. Heute ist das soziale Netz auf das äußerste angespannt. Das gab es in diesem Umfang noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik.
Ich komme noch einmal auf die Witwenrenten zurück. Es gibt 3,9 Millionen Witwenrenten. Zwei Drittel der Witwenrenten in der Arbeiterrentenversicherung liegen unter dem Sozialhilfeniveau. Herr Minister, im 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz sind Sie mit der Heckenschere hindurchgelaufen. Sie haben die kleinen Renten nicht geschont, während wir eine Konzeption hatten, die, wenn sie auch Opfer gefordert hätte, Renten unter 500 DM verschont hätte. Das ist ein großer Unterschied. Das werden wir den Rentnern draußen immer wieder sagen müssen.
({5})
Diese Unsicherheit bleibt. Es ist unvergessen, daß es der Bundeskanzler war, der als erste Amtshandlung nach der von Ihnen gewonnenen Bundestagswahl vorgeschlagen hat, die Renten zu kürzen. Das war seine erste Entscheidung, meine Damen und Herren. Das ist unvergessen, und das hat bei den Rentnern diesen Vertrauensschwund ausgelöst.
Ich möchte nun zur Familienpolitik kommen. Die CDU/CSU hat erreicht, daß Familienpolitik zu einem zentralen Thema geworden ist. Es gibt keine Sicherheit in den 80er Jahren ohne gesunde Familien. Die gerechte Familienpolitik ist deshalb für uns ein Hauptanliegen.
Die moderne Forschung hat bestätigen können, was die christlichen Kirchen über Jahrhunderte hinweg erkannt, beachtet und zu bewahren getrachtet haben, nämlich die einzigartige Bedeutung des Familienlebens für die Entwicklung des Kindes und des jugendlichen Menschen. Diese unersetzbare Bedeutung der Familie wird heute in mancher Hinsicht bestritten. Es wird versucht, das Leben in den Familien in Funktionen zu zerlegen, die Familienmitglieder nur noch als Träger von Rollen anzusehen und zahlreiche Aufgaben auf andere Institutionen zu übertragen. Diese Politik gefährdet die Einheit, die Bedeutung und die Leistungsfähigkeit der Familie. Die politische Verantwortung für diese bedenkliche Entwicklung trägt die Bundesregierung und tragen die sie stützenden Parteien, SPD und FDP.
Wir, die CDU/CSU, fordern eine Familienpolitik, welche die Familie als Institution schützt, die personale Lebensgemeinschaft der Eltern und Kinder stärkt, ihre Rechte achtet und den Freiraum für die Familie fördert.
Es gibt Meinungsunterschiede darüber, was Familie ist und welche Aufgaben sie heute zu erfüllen hat. Es gibt die sozialistische Grundposition, die einen weitgehenden Einfluß des Staates und der Gesellschaft auf die Familie fordert, und es gibt die christlich-freiheitliche, nach der die Familie einen prinzipiellen Vorrang vor Gesellschaft und Staat hat. Wir, die CDU/CSU, treten mit Nachdruck ein für eine rechtlich starke Stellung der Familie, für ihre materielle Absicherung und für eine VerbesseBurger
rung der Beratung und Familienbildung zur Stärkung der Erziehungskraft der Familie.
Trotz ihrer Widerstandsfähigkeit ist die Familie heute in eine Situation geraten, die krisenhafte Züge trägt. Wir haben uns mit ganzer Kraft gegen diese Entwicklung gewandt. Unser Engagement wurde von SPD und FDP jahrelang ignoriert. Bei den Sozialdemokraten blieb leider ein gewisses altes marxistisches Mißtrauen gegenüber der Institution der Familie. Doch die Kritik nimmt zu.
Sehr deutlich wird der 3. Familienbericht. Die Gutachter kommen zu dem Schluß, daß die Familie in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung erschüttert, in ihrer Funktionsfähigkeit geschwächt und in ihren wirtschaftlichen Belangen deklassiert worden sei. Dieser Bericht, meine Damen und Herren, ist eine vernichtende Absage an die Familienpolitik der Bundesregierung. Der Katalog der Forderungen bedeutet eine Umkehrung der offiziellen Familienpolitik. Die Gutachter verlangen eine volle Anerkennung der gesellschaftlichen Leistungen nichterwerbstätiger Mütter; Emanzipation dürfe nicht länger mit Erwerbstätigkeit der Frau gleichgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, das sind schlechte Noten für die Bundesregierung. Familienministerin Huber ist angeschlagen. Kürzlich noch spottete sie über die Opposition, diese wolle sozusagen am vergoldeten Zügel die Frau wieder an den Herd locken, damit sie sich ausschließlich der Familie widme. Dies entspreche, so meint Frau Huber, den alten Rollenbildern vom „Mann im feindlichen Leben" und „der züchtigen Hausfrau, die drinnen waltet".
({6})
Auch Schillers „Glocke" macht diese Argumentation nicht besser. Frau Minister, lassen Sie doch die Frauen getrost selber entscheiden, was sie wollen!
({7})
Zweimal wird die Hausfrau benachteiligt: Sie bekommt kein Mutterschaftsgeld, und auch bei den Kinderbetreuungskosten geht die Hausfrau, die ihre Kinder selber betreut, leer aus.
({8})
- Richtig, auch bei der Rente schlägt sich das nieder, was hier versäumt worden ist.
Diese Gesetze, meine Damen und Herren, schaffen Staatsverdrossenheit. Lautstark meinte Herr Koschnick im Bundesrat, weil die erwerbstätige Mutter jahrelang gearbeitet und zum Produktiveinkommen beigetragen habe, erhalte sie Mutterschaftsgeld. Als ob die Hausfrau und Mutter nicht auch ihren Beitrag zum Sozialprodukt leisten würde!
Familienpolitik muß darauf ausgerichtet sein, Benachteiligungen so weit abzubauen, daß vorhandene Kinderwünsche nicht unterdrückt werden, sondern verwirklicht werden können. Wer fordert denn Staatsprämien, Herr Ewen? Kein Mensch hat sie gefordert. Wer redet denn davon? Was wir wollen, ist ein vernünftiger Familienlastenausgleich.
({9})
Wenn wir über die Kinder sprechen, dürfen wir die Sorgenkinder, die Behinderten, nicht vergessen. Wir verabschieden heute einen Gesetzentwurf für die Contergan-geschädigten Kinder. Diese materielle Sicherung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die berufliche Eingliederung dieser mehrfach behinderten Menschen besonders schwierig ist. Die Sorgen der Eltern dieser Kinder waren sehr groß, die beruflichen Möglichkeiten dieser Schwerstbehinderten - das stellt sich jetzt heraus - sind sehr problematisch. Ich darf ein Beispiel nennen: 21 können ohne fremde Hilfe keine Verkehrsmittel benutzen, 31 % können sich nicht allein an- und auskleiden, 31 % beherrschen das Toilettenproblem nicht; zwar können 91 % mit der Hand schreiben, aber 10% müssen dies mit dem Fuß, mit Hand und Fuß oder mit Hand und Mund tun.
Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, die Integration dieser Kinder ist außerordentlich schwierig. Herr Minister Ehrenberg, der Elternverband hat mir berichtet, daß insbesondere in Kreisen der Wirtschaft die Unternehmer allergrößtes Verständnis gerade für diese Kinder haben und daß ihre Eingliederung dort keine Probleme geschaffen hat, wo sie angenommen werden konnten.
({10})
Die Probleme gehen viel tiefer. Wenn wir diesen schwerstbehinderten Kindern, diesen Jugendlichen helfen wollen, reicht das jetzige Instrumentarium nicht aus, Herr Minister. Wir müssen ganz sorgfältig darüber nachdenken, wie wir es erreichen können, daß diese jungen Menschen, die ebenfalls Glück und Selbstverwirklichung suchen, einen Platz finden. Wir bleiben jedenfalls an der Arbeit und werden uns darum kümmern, wie diese Dinge weitergehen.
({11})
Zu den Schwerpunkten unserer Politik in den 80er Jahren gehört die Verbesserung der wirtschaftlichen Förderung und die Entlastung der Familie. Der von uns heute eingebrachte Gesetzentwurf über die Einführung eines Familiengeldes soll mit Wirkung vom 1. Januar 1980 den Müttern für sechs Monate nach der Geburt eines Kindes monatlich 600 DM geben. Wir wollen damit die seit dem 1. Juli bestehende Ungerechtigkeit gegenüber den Hausfrauen und den selbständig tätigen Müttern beseitigen.
Leistungen und Entlastungen für die Familien haben im Rahmen des von unserem Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß am 12. Dezember der Öffentlichkeit übergebenen Steuerentlastungsprogramms für 1981 eine herausragende Bedeutung erhalten. Das Kindergeld soll in einem Jahresvolumen von etwa 3 Milliarden DM aufgestockt werden. Damit könnten entweder die Kindergeldsätze für das erste und zweite Kind um jeweils 20 Mark oder für die ersten beiden Kinder um je 15 Mark und ab drittem Kind um 30 Mark erhöht werden. Wir werden uns
die Entscheidung nicht leicht machen, für welchen Weg wir uns entscheiden werden.
Unter Beibehaltung des steuerlich absetzbaren Betreuungsbetrages, der ab 1. Januar 1980 wirksam wird, soll ab 1981 ein Steuerfreibetrag von 300 DM je Elternteil und Kind je Jahr vorgeschlagen werden, der die Familien steuerlich in einer Größenordnung von 2,5 Milliarden DM jährlich entlasten soll.
Damit erfahren die Familien Entlastungen in einer Größenordnung von etwa 6,25 Milliarden DM jährlich, die eine echte Verbesserung des Status der Familien darstellen. Diese Verbesserungen sollen ergänzt werden durch Vorschläge zur Verbesserung der Wohnungssituation und der Wohngeldleistungen, durch gezielte sozialpolitische Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens und Konzeptionen zum Ausbau der Familienbildung und der beratenden Hilfen für die Familien.
Meine Damen und Herren, uns kommt es darauf an, deutlich zu machen, daß die wirtschaftliche Absicherung der Familien kurzfristig in Angriff genommen wird. Bei dem vorgeschlagenen Steuerfreibetrag handelt es sich um einen sehr bescheidenen Einstieg, der sozial ausgewogen ist, weil die vorgeschlagenen Kindergelderhöhungen das größte Gewicht haben. Eines muß aber deutlich herausgestellt werden: Die wirtschaftliche Belastung von Familien mit Kindern wird im gegenwärtigen Steuerrecht nicht angemessen berücksichtigt. Es kann nicht länger hingenommen werden, daß Familien mit Kindern steuerlich genauso behandelt werden wie Einkommensbezieher ohne Kinder, obwohl ihre Lebensbedingungen erheblich voneinander abweichen. Dies widerspricht dem Grundsatz der gerechten Besteuerung.
({12})
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß folgendes sagen: Politik für die Familien ist zum zentralen Thema geworden, auch zum zentralen Wahlkampfthema. Dies ist gut so. Die Familien standen zu lange im Schatten. Ich darf Ihnen versichern, gemeinsam werden CDU und CSU mit Franz Josef Strauß auch ausführen, was sie einmütig beschlossen haben, denn die Familie ist die wichtigste Gemeinschaft für die Sicherheit der 80er Jahre.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Burger hat die Auseinandersetzung im Grundsätzlichen gesucht, und ich bin der Meinung, daß ihm auch im Grundsätzlichen geantwortet werden soll.
Herr Kollege Burger, ich zitiere eine Stimme, die sicherlich unverdächtig ist, wenn es um die Fortschritte in der Familienpolitik in den 70er Jahren geht. Ich zitiere die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, die am 12. Dezember 1978 festgestellt hat:
Das jetzt zu Ende gehende Jahr 1978, das 25. im
Leben der Evangelischen Aktionsgemeinschaft
für Familienfragen, hat familienpolitisch mehr Veränderungen und Fortschritte gebracht oder wenigstens eingeleitet
({0})
als je ein Jahr zuvor.
({1})
Und Sie wissen ganz genau, daß das Jahr 1979 ganz entscheidende Verbesserungn für die Familien in unserem Lande gebracht hat.
Herr Kollege Burger, ich wende mich ganz grundsätzlich gegen Ihre Vorwürfe, eine sozialdemokratische Familienpolitik bedeute Zersetzung oder Zerstörung der Familie oder ähnliches. Herr Kollege Burger, nehmen Sie es mir bitte ab: Auch wir Sozialdemokraten kommen aus abendländischen Traditionen, auch bei uns ist die christliche Tradition zu Hause. Schlagen Sie bitte unser Godesberger Programm auf, dann werden Sie dort finden, daß sich in dieser Partei Menschen zusammenfinden, die gemeinsam politische Ziele verfolgen, getragen sei es aus dem Geiste der Bergpredigt, sei es aus dem der klassischen Philosophie, sei es aus dem des Humanismus. Sie werfen uns vor, wir wollten gegen das verstoßen, was über Jahrhunderte und Jahrtausende gewachsen ist. Bitte, Herr Kollege Burger, tun Sie das doch nicht!
({2})
Sehen Sie, ich könnte ja nun auch in Ihren Unterlagen kramen und könnte etwas hervorholen. So respektiere ich z. B., daß Sie in der Drucksache 8/478 die Bundesregierung nach der Entwicklung der Bevölkerung in unserem Lande gefragt haben. Dann aber fragt Ihre Fraktion nach der Nettoreproduktionsrate des deutschen Volkes;
({3})
Herr Kollege Burger, welch ein Geist spricht aus dieser Sprache!
({4}) Unter Nr. 12 dieser Anfrage sagen Sie,
daß die sich zur Zeit abzeichnende Entwicklung der deutschen Bevölkerung Anlaß zu größten Besorgnissen nicht nur im Hinblick auf Wachstum, Beschäftigung und Gewährleistung unseres Systems der sozialen Sicherung, sondern den weiteren Weg der Bundesrepublik Deutschland und die langfristige Wahrnehmung ihrer nationalen und übernationalen Aufgaben gibt.
Herr Kollege Burger, ich frage Sie: Sind denn Kinder nur dazu da, wirtschaftliches Wachstum zu sichern? Das haben Sie nämlich an die erste Stelle gesetzt.
({5})
Oder sind Kinder dazu da, die nationalen Aufgaben langfristig wahrzunehmen? Nein, Herr Kollege Burger, Kinder haben für uns eine ganz andere Aufgabe. Kinder sind entscheidend für das Glück von Familien in unserem Lande.
({6})
Es kommt darauf an, daß sich in unseren Familien Liebe und Geborgenheit entwickeln können, daß die Menschen da ein Zuhause finden. Und da, so meinen wir, kann Politik helfen.
Das ist z. B. auch eine Frage der Wohnverhältnisse. Schauen wir uns doch einmal die schrecklichen Wohnsilos mit 12 und mehr Stockwerken an!
({7})
Wie unmenschlich ist es doch, daß dort Familien mit Kindern wohnen. Da müssen wir ansetzen,
({8})
damit wir Bedingungen entfalten, unter denen Familien leben können.
({9})
- Ich glaube, es gibt in der Bundesrepublik sehr verschieden regierte Bundesländer, und wir alle gemeinsam könnten uns fragen, wer denn in den einzelnen Bundesländern eine solche Wohnungsbaupolitik zu verantworten hat.
({10})
Herr Kollege Burger, nehmen Sie doch bitte, wenn Sie die sozialdemokratischen Positionen abfragen, unsere Papiere zur Hand. Ich habe hier ein Papier, das wir auf dem Berliner Parteitag eingebracht haben. Es trägt den Titel „Grundsatzfragen der Familienpolitik" und enthält Diskussionsvorschläge zu Fragen der Familienpolitik. Dieses Papier wird jetzt in unserer Partei diskutiert und wird auf dem nächsten Parteitag im Jahre 1980 vor den Bundestagswahlen behandelt. Dann werden wir prüfen, welche Vorschläge aus diesem Papier realisierbar sind.
Ich habe Ihnen versprochen, die Auseinandersetzung im Grundsätzlichen zu führen. Deshalb zitiere ich aus dem ersten Teil dieses SPD-Papiers „Grundsatzfragen der Familienpolitik”:
Familie und Ehe sind tragende Formen menschlichen Zusammenlebens. Trotz aller Wandlungen, die sich auch im Bereich der Familie vollzogen haben, sucht der einzelne in der Familie Geborgenheit, Verständnis und verläßliche menschliche Beziehungen. Die SPD bejaht die Ehe und die Familie und sieht in ihnen erstrebenswerte Formen des Zusammenlebens. Besondere Aufmerksamkeit sozialdemokratischer Familienpolitik gilt dem Kind als dem schwächsten Glied der Gesellschaft.
Herr Kollege Burger, wenn Sie sich mit uns Sozialdemokraten auseinandersetzen wollen, dann beziehen Sie sich bitte auf diese Aussagen und erklären nicht, wir wollten die Familie durch andere Funktionen ersetzen! Nichts liegt uns ferner als das.
({11})
Vizepräsident von Weizsäcker: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Herr Kollege Burger, bitte.
Vizepräsident von Weizsäcker: Wollen Sie die Frage des Herrn Abgeordneten Hasinger nicht zulassen?
Herr Kollege Burger, bitte.
({0}) - Ich habe die Wahl.
Herr Kollege Fiebig, ich habe die Materialien „Grundsatzfragen der Familienpolitik der SPD" sorgfältig durchgelesen. Ich habe mir folgenden Satz unterstrichen:
Sozialdemokraten bejahen den Anspruch der Frau und des Mannes auf Selbstverwirklichung in der Familie und im Berufsleben.
Sie fordern im nächsten Satz:
Gleichberechtigung von Mann und Frau erfordert nicht nur Gleichheit vor dem Gesetz, sondern Gleichbehandlung.
Warum, Herr Kollege Fiebig, sind Sie dann gegen das Familiengeld für nichtberufstätige Frauen, während Sie hier die Gleichbehandlung und die Selbstverwirklichung in der Familie fordern?
Vielen Dank für Ihre Frage, Herr Kollege Burger. Ich will Ihnen eine Antwort geben. Sie selbst haben im „Deutschland-Union-Dienst" vom 4. Dezember 1979 geäußert:
Sosehr eine regelmäßige Anpassung des Kindergeldes an die wirtschaftliche Entwicklung erforderlich ist, so notwendig erscheint es, mit allen Möglichkeiten auszuschöpfen, um dem Personenkreis zu helfen, für den Hilfe dringend geboten erscheint.
Nun fragen wir Sozialdemokraten uns, welchem Personenkreis zuerst geholfen werden muß, wo die schwächsten Punkte in der Familienpolitik sind. Wo müssen wir zuallererst einsetzen? Wo müssen wir die zur Verfügung stehenden Geldmittel zuerst einsetzen?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem zu Ende gehenden Jahr 1979, als wir das Gesetz über die Unterhaltsvorschußkassen geschaffen haben. Das war für uns eine Priorität, und ich bin stolz darauf, daß wir das abhaken konnten. Es ließen sich noch viele weitere Punkte finden, wo wir zuerst einsetzen müssen. Ich denke z. B. auch an die vierte Novelle des Bundessozialhilfegesetzes. Sie selber haben von den Schwerst- und Schwerbehinderten gesprochen. Nach diesen Gesichtspunkten geht sozialdemokratische Familienpolitik vor.
({0})
- Herr Kollege Burger, die Uhr läuft, und ich möchte meine Ausführungen fortsetzen.
Daher finde ich es nicht gut, daß es z. B. die „Stimme der Familie, Mitteilungsdienst des Fami15340
lienbundes der Deutschen Katholiken" dieses Unterhaltsvorschußgesetz - Herr Burger, ähnlich argumentieren Sie - kritisiert. Zum Schluß wird gesagt:
Insgesamt gesehen bedeutet das Unterhaltsvorschußgesetz einen weiteren Schritt hin auf den Sozialstaat. Sosehr diese Hilfe für alleinerziehende Eltern im Grundsatz zu begrüßen ist, so darf doch nicht übersehen werden, daß dieses Gesetz Eltern die Sorge für ihre Kinder teilweise und zeitweilig abnimmt und daß es damit weiter die Bereitschaft nährt, den Staat als Ersatzeltern anzusehen.
({1})
So ist es doch wahrhaftig nicht; denn das Unterhaltsvorschußkassengesetz ist für die Menschen da, wo sich der Erzeuger der Kinder in unverantwortlicher Weise abgesetzt hat und die Kinder ihrem Schicksal überläßt.
({2})
Daher kann ich der Stimme der Familie" wahrhaftig nicht zustimmen. Da ist mir eine Stellungnahme wesentlich sympathischer, die die Evangelische Frauenarbeit in Deutschland herausgegeben hat, wo es um die Frage geht, wem und welchen Menschen in unserem Land von der Familienpolitik zuerst geholfen werden muß. Da wird gefordert: „Unterhaltsvorschußkassen des Staates auch für Kinder über sechs Jahre." Wir kennen das in der Politik: Bis jetzt haben wir drei Jahre, und nun kommt gleich die Forderung, das auf sechs Jahre zu erhöhen. Es heißt weiter:
... Anspruch auf einen Platz in Kindertagesstätten, Anhebung des Kindergeldes allgemein und Abschaffung der steuerlichen Benachteiligung für Ein-Eltern-Familien. Der inneren Situation dieser Ein-Eltern-Familie mit ihren speziellen Problemen wurde bisher jedoch zuwenig Beachtung geschenkt. Wie viele Schwierigkeiten, mit denen vor allem alleinerziehende Frauen zu kämpfen haben, machen auch verheirateten Müttern zu schaffen, wenn sie berufstätig sein wollen: fehlende Teilzeitarbeitsplätze beispielsweise, niedrige Löhne, kaum Betreuungsmöglichkeiten für Schulkinder usw.
Herr Kollege Burger, das sind ja die eigentlichen Probleme unserer Familien, wenn nämlich z. B. Vater und Mutter nach einem harten Arbeitstag abends nervös und gestreßt nach Hause kommen, sich eigentlich ihren Kindern widmen müßten, es aber nicht können, weil sie viel zu müde sind.
({3})
Oder nehmen Sie das Lohnsystem in unserer Bundesrepublik: Da hat man doch wohl grundsätzliche Fragen.
({4})
- Ich suche die Auseinandersetzung mit Ihnen im Grundsätzlichen. - Ich war neulich in der Schachtanlage „Heinrich Robert" in meinem Wahlkreis. Wenn ein Bergmann unter Tage mit 1800 DM netto nach Hause geht, dann stimmt da doch etwas nicht. Da müßte in der Politik doch eigentlich angesetzt werden! Die Folge ist natürlich, daß seine Ehefrau
nebenbei arbeiten muß, um das Familieneinkommen aufzubessern. Also müssen wir, meine ich, bei einkommensschwachen Familien in unserem Lande einsetzen und dürfen nicht mit der Gießkanne übers Land gehen
({5})
und denen noch etwas oben draufgeben, die sich sowieso aus eigener Kraft helfen können
({6})
und nicht die Hilfe des Staates nötig haben. Hier, meine ich, müßten wir doch sehr sorgfältig unterscheiden.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Ich meine, der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion müßte auf seine Ausführungen, die er am Dienstag gemacht hat, noch eine Antwort der sozialdemokratischen Fraktion bekommen. Herr Kohl hat davon gesprochen, wir Sozialdemokraten hätten die jungen Menschen in unserem Lande enttäuscht.
({7})
Ich bin ganz gegenteiliger Auffassung. Wenn man fragt: „Wer enttäuscht denn junge Menschen in unserem Lander?, dann denke ich z. B. daran, daß die jungen Menschen in unserem Lande - ein Glück! - sehr kritisch sind und uns Abgeordnete, uns Politiker sehr kritisch sehen und befragen - ich finde das gut so -, daß sie uns fragen, ob wir grundgesetzkonform handeln, ob wir von Grundwerten ausgehen. Ich finde, da müssen wir uns alle miteinander der Kritik der jungen Menschen stellen und versuchen, sie für diese Staatsform Demokratie zu gewinnen. Was sagen denn wohl die jungen Menschen in unserem Lande dazu, wenn z. B. Asylsuchende, die aus der Tschechoslowakei zu uns kommen, an der bayerischen Staatsgrenze zurückgewiesen werden? Da werden doch wohl ihre Hoffnungen und ihre Erwartungen an den demokratischen Rechtsstaat enttäuscht!
({8})
Ein anderes Beispiel: Wie lange schon wird die Frage der Zivildienstleistenden und der Gewissensprüfung hin- und hergeschoben,
({9})
weil Sie sich in Ihrer Fraktion nicht einigen können und keine Position beziehen? Da werden doch junge Menschen enttäuscht, die erleben müssen, daß diese Gewissensprüfung alles andere ist als das!
Jugendpolitik und Familienpolitik haben in der sozialdemokratischen Fraktion allerersten Stellenwert. Wir sind nicht der Meinung, daß es für junge Menschen in diesem Lande keine Entwicklungsmöglichkeiten gebe. Natürlich wissen wir, daß dies schwierig ist, wenn junge Menschen unter einem Leistungsdruck stehen und gefordert werden - am Ausbildungsplatz, in der Schule -, wenn von ihnen erwartet wird, daß sie immer mehr und mehr lernen. Ihnen deutlich zu machen, daß auch wir ErwachseFiebig
nen einem lebenslangen Lernprozeß unterworfen sind, ist nicht immer einfach. Hier den Erwartungen junger Menschen zu begegnen, sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein. Wir sollten nicht so darüber sprechen, wie der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion das getan hat.
Wir Sozialdemokraten werden Ihnen im nächsten Jahr unsere Beschlüsse zur Familienpolitik vorlegen. Ich bin gewiß, daß wir dann - mit der Ausgangslage, die wir auf dem Berliner Parteitag geschaffen haben - bestehen können.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das allgemeine Ziel dieses Haushalts ist auch im Einzelplan 15 sichtbar, nämlich Konsolidierung der Ausgaben. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir größere Steuerentlastungen oder teurere Maßnahmen des Familienlastenausgleichs in diesem Jahr noch nicht vorgenommen. Dies soll in einem umfassenden Konzept im Jahre 1981 geschehen, in dessen Rahmen wir Freien Demokraten u. a. auch die Erhöhung des Erstkindergeldes wünschen. Die Verhandlungen darüber sind noch nicht abgeschlossen. Aber ich möchte an dieser Stelle eines klarstellen: Einkommensgrenzen für Kindergeld halten wir nicht für eine gute Sache. Diese Lösung sieht nur auf den ersten Blick sozial aus.
Ich möchte ganz kurz begründen, warum wir das für schlecht halten. Gesetzt den Fall, wir erhöhen das Kindergeld um 50 DM pro Monat, so macht das im Jahr 600 DM netto aus. Jemand, der knapp unter dieser Einkommensgrenze ist, hat diese 600 DM; jemand, der 1 DM darüber hat, erhält diese 600 DM nicht mehr. Wenn man von einem Grenzsteuersatz von 40 % ausgeht - und das ist sicher nicht sehr viel -, dann muß der, der über dieser Grenze liegt, ca. 1000 DM im Jahr mehr verdienen, um sein altes Nettoeinkommen zu erreichen. Abgesehen vom Bürokratismus bei Einkommensgrenzen wollen wir diese Ungerechtigkeit nicht.
Aber lassen Sie mich zur Debatte über diesen Etat zurückkommen. Wir wurden von Ihren Rednern vor allem am Dienstag immer wieder aufgefordert zu sparen. Franz Josef Strauß tat es mit dem ihm eigenen Charme. Er sprach von denen, die sich in mit Schulden getätigten Wohltaten sonnen wollen.
Nun, wir nehmen diesen Aufruf zum Sparen sehr ernst. Wer zum Sparen auffordert, muß aber auch sagen, wo gespart werden soll. Sie machen mit Ihrer Forderung nach Einführung des Familiengelds das Gegenteil.
Daß auch wir die Berücksichtigung der nichterwerbstätigen Hausfrauen wollen, hat unser Parteivorsitzender Genscher vor kurzem sehr deutlich ausgeführt. Aber daß unser Kinderbetreuungszuschlag etwas anderes als Ihr Familiengeld ist, hat, glaube ich, sehr deutlich Frau Matthäus-Maier dargelegt. Wir wollen eben kein staatlich vorgeschriebenes Rollenbild. Die Frau soll sich bei uns frei entscheiden können. Hier decken sich die Forderungen, die Sie, Herr Burger, vorhin aufgestellt haben, durchaus mit unseren. Nur sieht die Praxis nach Ihrem Gesetz anders aus.
({0})
Wir sind bei diesem Haushalt nicht der Versuchung erlegen, uns in mit Schulden getätigten Wohltaten sonnen zu wollen. Wir machen keine Wahlgeschenke vor dieser Wahl. Der Vorrang in diesem Haushalt liegt eindeutig bei der Konsolidierung.
Ich meine, wer einen Sparappell ernst nehmen und wer mit dem Sparen ernst machen will, muß bei dem Bereich anfangen, den wir selber bearbeiten. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben sehr viele Wünsche zur Familienpolitik. Wir stellen sie zurück, bis eine umfassende Regelung 1981 gewährleistet ist.
Nun haben Sie ja zu Ihrem Antrag zum Familiengeld einen Deckungsvorschlag vorgelegt. Abgesehen davon, daß Siè in vielen einzelnen Punkten kürzen wollen, wo es ohnedies nichts mehr zu kürzen gibt, finde ich einen Punkt besonders interessant. Es ist der Punkt mit dem Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit.
Ich hätte kaum Argumente, wenn Sie sagen würden: Wir wollen das streichen und das Geld einsparen und damit den Haushalt konsolidieren. Aber was würde denn passieren, wenn Sie recht hätten und wir das Geld nicht brauchen würden? Es würde ein Haushaltsrest entstehen, den man für den Schuldenabbau verwenden kann. Aber Sie wollen das, was nach Ihrer Meinung möglicherweise als Haushaltsrest übrigbleibt, gleich wieder ausgeben. Das ist Ihre Art zu sparen. Und das nennen Sie Konsolidierung.
Es gibt noch einige andere rhetorische Tricks, mit denen hier Familienpolitik gemacht werden soll. Hier denke ich z. B. an die Rede Ihres Parteivorsitzenden Helmut Kohl. Herr Kohl zitiert in seinen Reden - und viele andere Ihrer Kollegen tun das auch - immer wieder den Zweiten Familienbericht. Ich gebe ja zu, daß es darin eine Reihe von Aussagen gibt, die man als Beispiel dafür verwenden kann, wie man Familienpolitik nicht sehen soll und was man in der Familienpolitik nicht tun soll. Was ich aber nicht richtig finde und was nicht ganz ehrlich und aufrichtig ist, ist das, was Sie tun. Sie tun so, als sei dies ein Bericht der Bundesregierung. Genau das hat Herr Kohl in seiner Rede am Dienstag wieder gesagt. Dieser Bericht -- das muß ich eindeutig betonen, und das wissen Sie von der Opposition ganz genau - ist der Bericht einer unabhängigen Sachverständigenkommission, vorgelegt von der Bundesregierung auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen und nicht ein Bericht der Bundesregierung. Das wissen Sie ganz genau, meine Damen und Herren von der Opposition, und Sie wärmen diese falsche Behauptung wider besseres Wissen immer wieder auf. Ich kann Ihnen nur empfehlen, lesen Sie mal in der Bibel nach;
Eimer ({1})
darin steht der Satz: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten.
({2})
Es gibt aber noch andere Formulierungen in den Reden der Opposition, und hier will ich wieder Kohl zitieren. Er sprach - auch das wird immer wieder aufgewärmt -von der Formulierung „Objekt elterlicher Fremdbestimmung". Ich frage mich, ob Sie es für nötig halten, aus diesem sicher sehr bösen Satz ein kümmerliches Dasein als Debattenredner zu fristen. Das ist als Aussage für Familienpolitik zu dürftig, zu wenig. Damit kann man keine Familienpolitik machen, sondern nur Angst erzeugen. Ich habe den Eindruck, um die Erzeugung von Angst geht es Ihnen in erster Linie.
({3})
- Ich habe eben schon gesagt, daß auch ich über diesen Satz nicht sehr glücklich bin. Aber wenn das der einzige Punkt ist, an dem Sie sich immer wieder hochhangeln,
({4}) dann finde ich, daß das etwas wenig ist.
({5})
Die Opposition vermint ganze Gebiete politischer Aktivitäten, nicht nur in der Familien- und Sozialpolitik, mit Angst, um Unsicherheit zu ernten. Dabei hoffen Sie, daß sich die Ängstlichen um die Angstmacher scharen. Aus dieser Panikmache kommt ein Großteil der Verunsicherung in der Familie, der sicher da ist.
({6})
Wer hier leichtfertig und vorsätzlich Gefahren für und Angriffe auf die Familie an die Wand malt, der verunsichert die Familie. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen.
Stellen Sie sich einen Wald vor, durch den ein Weg geht; alle Menschen sind unsicher und trauen sich nicht, diesen Weg zu gehen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: die eine Möglichkeit, daß in diesem Wald Räuber sind, und die andere Möglichkeit, daß es eine Gruppe von gewissenlosen Menschen gibt, die das Gerücht verbreiten, in diesem Wald seien Räuber. Für die Verunsicherung der Menschen hat das die gleiche Wirkung. Die Angst ist die gleiche.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Herr Kollege Eimer, kennen Sie eine andere Schriftenreihe als die des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, in der kritischer und fragender über die Familie geschrieben wird, als in dieser Schriftenreihe? Wenn nicht, dann müssen Sie sagen, daß dieses Familienministerium mit viel Geld die Familie ständig verunsichert.
Herr Kollege, Sie wissen genau, daß die Bundesregierung zu den Familienberichten immer sehr kritisch Stellung genommen hat, auch gerade zu dem Zweiten Familienbericht. Das können Sie nicht abstreiten.
({0})
Sie reden immer von der Zerstörung der Familie, und durch Ihre Schwarzmalerei zerstören Sie das, was Sie zu schützen vorgeben.
({1})
Ich frage Sie: Wo zerstören wir denn die Familie? Vielleicht bei der elterlichen Sorge? Das behaupten Sie immer wieder. Da kann ich Ihnen nur den guten Rat geben: Gehen Sie einmal zur Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen! Fragen Sie einmal deren Vorsitzenden, Professor Keil, was er Ihnen über das Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge zu sagen hat! Er macht auch Vorwürfe. Aber er sagt: Wir machen zu wenig, und wir haben uns von Ihnen zu sehr bremsen lassen. Das ist der Vorwurf, der von der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen kommt.
({2})
Ich frage Sie, wo mißachten wir denn das Elternrecht? Da ist mir diese Woche eine Schrift auf den Tisch gekommen - Sie müssen sie auch bekommen haben - von der Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend in der Bundesrepublik. Hieraus möchte ich Ihnen einige Zitate bringen.
Da heißt es zum Beispiel:
Das Gesetz stellt die Förderung der Erziehungsfähigkeit der Familie in den Vordergrund ... Es ist positiv hervorzuheben, daß der Gesetzentwurf die Erziehungsrechte der Eltern im Rahmen des Grundgesetzes voll wahrt. Darüber hinaus ist der Leistungsteil des Entwurfs vom Vorrang der Familienerziehung her konzipiert ... Insgesamt gesehen stellt der Gesetzentwurf die Förderung der Erziehung in der Familie ins Zentrum der Aufgaben der Jugendhilfe. Damit stärkt er die Erziehungsverantwortung der Eltern und unterstreicht gleichzeitig den Vorrang der Familienerziehung vor staatlicher Einflußnahme.
({3})
- Ich werde Ihnen noch weiter vorlesen:
Die EKD hat in ihrer Stellungnahme ausdrücklich betont, daß der Gesetzestext des Entwurfes
keinen Anlaß zur Besorgnis gibt, daß die Erziehungsrechte der Eltern durch das Gesetz eingeengt oder bedroht werden könnten.
({4})
- Wenn Sie die letzten Seiten ansprechen - ({5})
Eimer ({6})
- Lassen Sie mich ausreden. Wenn Sie die letzten Seiten und die letzte Seite ansprechen: Diese Argumentationshilfe kann ein Beispiel dafür sein, wie man gut und sauber argumentiert. Es sind nämlich nicht nur die eigenen Stellungnahmen drin, sondern auch die Stellungnahmen von anderen Verbänden, die Sie angesprochen haben, aber nicht als Meinung dieses Verbandes, sondern als Meinungen, die von anderen Verbänden geliefert werden. Wenn man diese Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend liest, kann man eben nicht mehr behaupten, daß wir die Familien zerstören würden.
Wir nehmen es Ihnen ja gar nicht übel, wenn Sie in diesen Punkten anderer Meinung sind als wir, wenn Sie auf Grund eines anderen Menschenbildes, eines konservativen Menschenbildes
({7})
eben zu anderen Aussagen, zu konservativen Aussagen kommen. Das müssen wir ertragen, und Kritik können wir auch einstecken. Was wir aber nicht ertragen, nicht einstecken, ist dies: wir wollen uns nicht von Ihnen diffamieren lassen.
({8})
Ich meine, meine Damen und Herren, Sie diffamieren hier in Ihren Reden nicht nur die Bundesregierung, nicht nur die Koalition, sondern Sie diffamieren die Politik insgesamt. Das schlägt auf die Glaubwürdigkeit der Politiker und auf die Glaubwürdigkeit der Politik zurück. Das Opfer werden wir alle sein, nicht nur wir, die wir zunächst vielleicht als Ziel gedacht sind.
Ich habe bereits gesagt, daß die zitierte Schrift ein Beispiel dafür ist, wie man in der Kritik auch anders vorgehen kann. Diese Schrift gibt uns nicht in allen Punkten recht, und das verlange ich auch nicht von einem Verband. Hier ist man z. B. anderer Meinung, was das Verhältnis von freien zu öffentlichen Trägern angeht. Ich sage Ihnen, auch wir wollen kein Übergewicht der öffentlichen Träger. Hier decken sich unsere Meinungen. Wir geben zu, daß andere besser formuliert haben, was wir in diesem Gesetz eigentlich wollen. Wir sind so offen, das anzunehmen. Wir werden hier z. B. die Formulierung des Deuschen Vereins übernehmen. Wir sind z. B. auch der Meinung, daß die Kritik gerechtfertigt ist, wenn es darum geht, das Jugendhilfegesetz nicht in das Sozialgesetzbuch aufzunehmen. Wir Freien Demokraten werden dem Rechnung tragen.
Wir sehen auch die Sorge dieser freien Träger, daß die Forderung nach Fachlichkeit ehrenamtliche Kräfte beeinträchtigen kann. Wir selber sehen diese Gefahr zwar nicht, aber wir wollen durch neue Formulierungen dafür sorgen, daß eine Fehlinterpretation nicht mehr möglich ist.
Ich kann nochmals betonen: Ich möchte Ihnen diese Argumentationshilfe, obwohl sie uns nicht in allen Punkten recht gibt, als ein Beispiel dafür empfehlen, wie man in Sauberkeit, in Klarheit und in Aufrichtigkeit der Darstellung argumentieren kann, als Beispiel dafür, wie man mit anderen Meinungen umgeht, als ein Beispiel, das sich gerade die Opposition zu Herzen nehmen sollte.
({9})
Ich glaube - und das muß ich nochmals betonen -, es würde uns allen helfen, vor allem der Glaubwürdigkeit der Politik und der Politiker. Das haben wir alle - Sie und wir -, glaube ich, bitter notwendig.
({10})
Lassen Sie mich schließen mit ein paar Worten zum Hilfswerk für das behinderte Kind. Dieser Gesetzentwurf wurde hier vor etwa einem Monat in erster Lesung beraten und von allen Fraktionen begrüßt. Meine damalige Hoffnung auf eine zügige Beratung hat sich erfüllt. Wir begrüßen die Aufstokkung um 170 Millionen DM und bitten Sie, dem Gesetz und dem Haushalt zuzustimmen.
({11})
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Merkwürdige an dieser Haushaltsdebatte ist, daß es über lange Strecken hier gar nicht um den Haushalt 1980 ging oder geht. Der Bürger hat ja eigentlich ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Entwicklung gewesen ist, die zu den neuen Zahlen im Haushalt. 1980 geführt hat, wo die Schwerpunkte sind und wie sie finanziert werden.
Aber noch ehe wir hier heute zur Behandlung des Haushalts Jugend, Familie und Gesundheit gekommen sind, hat Herr Strauß eine Pressekonferenz zur künftigen Steuer- und Familienpolitik gemacht
({0})
- die tut mir gar nicht weh; das werden Sie gleich sehen -, um der Offentlichkeit das zu erzählen, was er im Plenum am Dienstag ausgelassen hat. Ich meine, der Zweck des 16,6-Milliarden-Programms - das in Wirklichkeit mindestens 17,5 Milliarden DM kostet, und zwar ohne Familiengeld - war offensichtlich der, unsere sachliche Debatte hier zu verdunkeln und die These zu untermauern, daß die Familie seit Bestehen der sozialliberalen Koalition im Abseits ist.
({1})
Abgesehen von der Frage, welches Risiko solche Summen für einen Staatshaushalt bedeuten, der seine Kredite zurückfahren will, muß man das Strauß-Papier aber richtig lesen, und Herr Burger hat es ja auch hier behandelt. Beim Lesen erkennt man, wem es nützen soll, wem es mehr und wem es weniger nützt.
Am Schluß des Textes sind nämlich vier ganz konkrete Beispiele beigefügt. Danach hat der hier genannte Industriearbeiter mit 3 300 DM Einkommen
durch Steuerersparnis und Kindergeldanhebung 1386 DM jährlich mehr im Portemonnaie,
({2})
ein verheirateter Angesteller mit 4 000 DM Einkommen 1 505 DM mehr und ein Rechtsanwalt mit 80 000 DM Gewinn 1 936 DM mehr.
Die Beispiele sind so gewählt, daß der Unterschied zwischen dem Arbeiter und dem Rechtsanwalt nur 650 DM beträgt, 650 DM, die der Anwalt mehr hat. Aber wenn man ganz genau hinschaut, sieht man, daß der Arbeiter in diesem Beispiel drei Kinder hat, der Angestellte zwei Kinder und der Rechtsanwalt ein Kind. Das muß man in die richtigen Relationen bringen, dann sieht man die wirklichen Unterschiede.
Das Schwergewicht der vom Kanzlerkandidaten der Union geplanten Steuerentlastung liegt zwischen 60 000 DM und 120 000 DM Einkommen und dann beim progressiv wirkenden steuerlichen Kinderfreibetrag.
Bei den Kindergeldanhebungen weiß man nicht so genau, was man will. Einmal lautet die Alternative: nur für das erste und das zweite Kind, dann bezieht man sich wieder deutlicher auf die große Familie.
Herr Strauß hat am Dienstag seine guten Beziehungen gerade zu den ärmeren Bevölkerungskreisen betont.
({3})
Ich persönlich glaube nicht, daß er denen schon erklärt hat, wie der steuerliche Kinderfreibetrag wirkt.
({4})
- Nein, das hat mich nicht gestört; denn ich weiß, daß wir eine Antwort darauf haben, die wir gerade den ärmeren Familien gut vorlegen können.
({5})
Es nehmen sich solche sozial klingenden Floskeln merkwürdig aus, wenn sie gerade an diejenigen adressiert sind, die wirklich etwas für die Familien getan haben, die besonderer staatlicher Hilfe bedürfen. Noch nie hat es einen Haushaltsplan gegeben - auch Herr Fiebig ging schon darauf ein -, in dem alles in allem soviel Leistungen für die Familie verankert waren wie in diesem. Das geschieht nicht nur im Einzelplan 15. Der Einzelplan 15 steigt um 58 %, wenn man das Kindergeld ausklammert. Aber auch beim Kindergeld werden wir noch Erhöhungen bekommen; denn wir wissen jetzt, daß wir beim Kindergeld eine Nachforderung noch für dieses Jahr in Höhe von 70 Millionen DM erhalten werden.
Die kräftigen Kindergelderhöhungen für die Mehrkinderfamilie - 200 DM ab dem 3. Kind - sind noch kein Jahr in Kraft, die Erhöhung des Zweitkindergeldes knapp ein halbes Jahr, ebenso der Mutterschaftsurlaub. Die von Bund und Ländern gemeinsam getragene Unterhaltskasse, aus denen allein erziehenden Eltern mit Kindern unter sechs Jahren geholfen werden soll, tritt erst am 1. Januar 1980 in Kraft. Die Heizölkostenzuschüsse für Familien mit kleinen Einkommen werden in diesem Winter beantragt werden können. Heute stocken wir die Mittel für das Hilfswerk für behinderte Kinder auf.
Im Einzelplan 15 stellen wir auch mehr Mittel bereit, um die Familien der Aussiedler, Zuwanderer, Flüchtlinge zu unterstützen, um deren Kindern die notwendigen Hilfen zu geben.
({6})
Bitte qualifizieren Sie diese wichtigen Hilfen nicht ab, wie Sie das gerade getan haben.
Wir wissen selbst, daß es immer noch eine Menge zu tun gibt, auch nach diesem Haushaltsplan. Aber das, was ich hier vorgetragen habe, sind konkrete Verbesserungen, die gerade angelaufen sind oder in wenigen Tagen in Kraft treten, während wir doch das ganze Jahr über von der Opposition - angefangen von der Dynamisierung und Kapitalisierung des Kindergelds über das Erziehungsgeld und Familiengeld bis zu den Steuerfreibeträgen - immer Neues und Unterschiedliches gehört haben, und zwar in einer Größenordnung zwischen 4 Milliarden DM und 20 Milliarden DM.
({7})
Da halte ich es schon mit dem Kommentator, der gestern in einer Tageszeitung schrieb, man sollte mit Versprechungen vorsichtig sein. Wir, so möchte ich sagen, geben uns jedenfalls ganz große Mühe, ein verkraftbares Steuer- und familienpolitisches Paket für 1981 vorzulegen.
Heute nun, meine Damen und Herren, gilt es, Bilanz zu ziehen. Prüfen wir die hier von den Herren Strauß und Kohl gemachten Vorwürfe, daß es der Familie seit dem letzten Jahrzehnt schlechter gehe!
({8})
Die Familie eines Industriefacharbeiters mit drei Kindern hatte 1969 einen durchschnittlichen Bruttoverdienst von 1 182 DM. Das machte minus Steuern und Sozialabgaben 967,83 DM netto. Dazu kam Kindergeld in Höhe von 75 DM und eventuell Wohngeld, je nach Wohnung, in Höhe von 22 DM. Kein BAföG. Alles zusammen also höchstens 1 064,83 DM netto.
Die gleiche Familie verdient 1979 brutto 2 620 DM, nett o 1 904,35 DM und erhält dazu 350 DM Kindergeld und 12 DM Wohngeld, zusammen 2 266,39 DM.
({9})
Das sind brutto 112 To mehr, real 28,6 % mehr. Und
wenn ein Kind in Ausbildung ist, können heute
224 DM BAföG hinzukommen. Das ist dann ein reales Mehr von 44,2 %.
({10})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stark, Frau Minister?
Vor der Mittagspause möchte noch Frau Kollegin Verhülsdonk von der CDU/CSU- Fraktion reden. Ich bitte daher um Entschuldigung, daß ich keine Zwischenfrage zulasse.
Es ist gar nicht zu übersehen, daß neben der Lohnsteigerung gerade die Kindergelderhöhung nach Ablösung der alten Steuerfreibeträge einen nicht unerheblichen Teil der Gesamtverbesserung für die Familie ausmacht. Das sind Summen, von denen frühere CDU-Minister im Familienressort nicht einmal träumen konnten.
({0})
Wenig ehrlich und überzeugend fand ich in der Rede von Herrn Kohl am Dienstag die Passage, wo er sagte, daß Familienpolitik keine Bevölkerungspolitik sei. Aber genau zwei Zeilen später hat sie damit dann doch wieder etwas zu tun; dann klingen wieder die Renten an. Ich möchte Ihnen sagen, daß sich bei uns die Produktivität zwischen 1960 und 1978 um fast 100 %, genau um 92 %, gesteigert hat. Das heißt, daß die mögliche Höhe der Sozialbeiträge und auch die mögliche Rentenleistung doch nicht allein von der Kopfzahl abhängen. Außerdem wird wohl kein junges Paar moralischen Appellen folgen, die so vordergründig auf spätere Rentenzahler abzielen.
({1})
Herr Kohl hat dann ja auch Herrn Strauß darin zugestimmt - und dem kann man wohl zustimmen -, daß eine ausschließlich materielle Zuwendung keine Wende in der Familienpolitik herbeiführen werde. Aber was fordern Sie? In Ihrem Änderungsantrag auf Drucksache 8/3485 und dem neuen Strauß-Papier geht es um Geldleistungen und nicht um neue Konzepte. Und Herr Biedenkopf hat uns noch nicht einmal gesagt, ob er seine Frühjahrsmeinung geändert hat oder nicht, daß der Staat die Mutter für das Zuhausebleiben eigentlich nicht bezahlen kann.
Zu den mit dem Änderungsantrag verbundenen Einsparvorschlägen brauche ich nicht viel zu sagen, weil sich damit meine Kollegen beschäftigt haben, insbesondere Herr Ehrenberg. Aber auch ich finde, daß am selben Tag in einer Debatte, in der die Arbeitslosigkeit als große Gefahr hervorgehoben wird, nicht gleichzeitig vorgeschlagen werden kann, ausgerechnet aus der Reserve, die die Arbeitslosigkeit abfangen soll, 440 Millionen DM zu streichen. Da spricht man mit zwei Zungen.
({2})
Zur Sache selbst habe ich schon in ausführlicher Debatte Stellung genommen. Wir werden es am 17. Januar 1980 wieder tun, wenn die große familienpolitische Debatte auf der Tagesordnung steht.
Auch wir sind für eine gesunde Familie, wie die Opposition sie gefordert hat. Aber die Geburtenrate ist nun einmal kein Handelsobjekt. Im übrigen läßt sich die Familie nicht leicht bevormunden und irreführen,
({3})
weder durch eine politisch-moralische Offensive in Richtung Bevölkerungspolitik noch durch Zitate aus dem Zweiten Familienbericht. Dazu hat Herr Eimer ja gerade etwas gesagt. Wenn wir diese vom Parlament in Auftrag gegebenen Berichte nicht veröffentlicht hätten, hätten wir uns doch sicher ebenfalls Kritik eingehandelt. Wir dachten, wir müßten auch als Regierung Kritisches ertragen; denn solche Diskussionen helfen weiter, und das wollen wir.
({4})
- Aber ich habe schon siebenmal gesagt, daß das keine Berichte der Bundesregierung sind.
Was im übrigen meine Zeit und die Frage angeht, womit ich mich beschäftigt habe: Das Dementi im Zusammenhang mit dem von Herrn Kroll-Schlüter geforderten Rücktritt hat mich ganze drei Minuten gekostet.
({5})
- Bis auf die Erwiderung, die gerade erschienen ist, hat er mich keine Zeit gekostet.
Aber ich möchte mich bei Herrn Glos bedanken, der in einem sehr fairen Brief an das „Handelsblatt" die wirklichen Gründe aufgeführt hat, warum der Berichterstatterwechsel stattgefunden hat. Herr Glos hat mir eine Kopie dieses Briefes überreicht. Sie können den Brief einsehen. Damit sind die Behauptungen von Herrn Rose heute morgen wohl aus der Welt.
({6})
Die Regierung will der Familie helfen. Das gilt auch für das Sorgerecht und für das Jugendhilferecht. Sie bestreitet nicht, daß es Probleme gibt. Man muß sich bemühen, sie nicht nur mit ungezielten Zuschüssen zu lösen. Ich will z. B. nicht die Tatsache verharmlosen, daß es psychisch Kranke und Drogenabhängige gibt. Aber das ist eben kein typisches Phänomen für arme Familien, oft ist das Gegenteil der Fall.
Wenn also Milliarden ausgegeben werden sollen: Wo bleibt der richtige Denkansatz? Hier erbitten wir noch Ihre Vorschläge; denn wir glauben: Das sind Themen, die wir ruhig gemeinsam angehen sollten. '
({7})
Ein Teil der Jugend ist sicherlich von der Politik enttäuscht, weil Politik heute schwierig und wenig faszinierend ist. Aber Sie können doch wohl nicht
behaupten, daß die gesamte Jugend mit vollen Segeln nun zur CDU übergelaufen ist.
({8})
Unbestreitbar richtig ist, daß wir uns mehr um die Jugend kümmern müssen. Deshalb sind z. B. in meinem Haushalt die Mittel für den Bundesjugendplan 1980 um 14 % aufgestockt worden. Wir wollen nicht, daß unsere Jugend in Schule und Betrieb nur noch erbarmungslosen Konkurrenzkampf erfährt. Wir müssen ihr einen eigenen Spielraum lassen.
({9})
Wir dürfen auch nicht nur Abziehbilder von uns selbst produzieren.
({10})
Der Fünfte Jugendbericht - Herr Rose, den haben Sie vielleicht nicht oder nicht genau gelesen
({11})
- dann haben Sie vielleicht nicht genügend darüber nachgedacht - ist sehr differenziert und kritisch. Aber er muß kritisch sein. Dafür ist er bestellt, und das ist sein Sinn.
Wir wollen auch den Frauen eine Chance geben und uns nicht nur verbal zur Emanzipation bekennen, sondern dazu beitragen, daß die Frauen Familienaufgaben und Beruf besser vereinbaren können. Daran arbeitet der im Sommer in meinem Hause neu eingerichtete Arbeitsstab Frauenpolitik,
({12})
übrigens auch unter Beteiligung einiger Männer. Er ist wie ich der Auffassung, daß Emanzipiertsein kein Merkmal von Erwerbstätigkeit ist, sondern eine Geisteshaltung, die auch der Kindererziehung zugute kommt.
({13})
Herr Burger, Sie sagen: „Lassen Sie doch die Frauen sich selbst entscheiden!" Das ist genau das, was ich über hundertmal hier und anderswo schon gesagt habe. Lassen Sie doch die Frauen sich selbst entscheiden!
({14})
Ich finde es auch nicht fair, daß Herr Rose aus einer kürzlich von mir in Wien gehaltenen Rede, die ausgesprochen kinderfreundlich war,
({15})
hier zusammenhanglos eine Passage zitiert hat.
({16})
Nach meiner Auffassung gibt es keinen Gegensatz zwischen Emanzipation der Frau und der Vermittlung familiärer Geborgenheit. Wir haben kein einseitiges Leitbild. Wir wollen keine Bevorzugung der
berufstätigen Frau, aber wir wollen auch keine Benachteiligung der berufstätigen Frau.
({17})
Wir wollen auch Hilfen für die berufstätige Mutter. Daß das nun eine neue Form von Klassenkampf sein soll, halte ich für eine absurde Idee. Ich bin sehr gespannt, was die Damen der CDU/CSU zu diesem Thema sagen werden.
({18})
Ich habe immer erklärt, daß Familienpolitik nur ein Maßnahmenbündel sein kann, Hilfe für die große Familie, Hilfe für alleinerziehende Eltern, Hilfen für Eltern in schwierigen Lagen, z. B. Eltern mit behinderten Kindern, und Hilfen für alle Eltern, so, wie wir sie in unserem neuen Steuer- und Familienprogramm vorsehen.
({19})
Aber auch die Aufklärung, meine Damen und Herren, ist nötig. Die Anzeigen, die hier kritisiert worden sind, entsprechen genau dem Wortlaut unserer Broschüre „Familie ist jeder für jeden". Diese Broschüre wird so stark bestellt, daß wir den Bestellungen gar nicht nachkommen können.
Ich lese Ihnen einige dieser Besteller vor. Es ist bestellt worden: von der Regierung Oberbayerns für alle Jugendämter,
({20})
vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus für Elternbeiratsvorsitzende,
({21})
von der CSU-Frauen-Union und von der CDU-Frauen-Union für die Bundesebene und alle Landfrauenvereinigungen, vom saarländischen Kultusminister für alle Schulen,
({22})
vom niedersächsischen Kultusminister für alle Jugendämter, vom Ernährungsminister von Schleswig-Holstein für alle Landwirtschaftsschulen
({23})
und vom Kultusminister von Rheinland-Pfalz für drei Bezirksregierungen - allein in diesem einen Land, um Ihnen einmal eine Zahl zu nennen, 203 000 Exemplare. Wir können gar nicht genug nachdrukken.
({24})
Meine Damen und Herren, wir müssen uns aber vor Augen halten, daß unsere Politik über das hinaus, was sie zum Ausgleich aus Gerechtigkeitsgründen an Zuschüssen gibt, auch Mittel für spezielle Aufgaben bereitstellen muß, für Elternbildung und -beratung, für Einrichtungen, auch modellhafte, im Gesundheitsbereich, für eine bessere Therapie z. B. psychisch Kranker und Drogenabhängiger, aber
auch für Aufklärung und Forschung sowie für viele
Institutionen und Verbände, die im Bereich Jugend,
Familie, Altenförderung unersetzliche Arbeit tun.
Herr Kollege Sayn-Wittgenstein hat heute morgen gesagt, er behandle den Abschnitt Gesundheit nicht, weil keine Initiativen aus unserem Hause gekommen seien. Dazu muß ich sagen, daß entsprechend der Arbeitsteilung in der Regierung von uns sehr wohl Initiativen gekommen sind. Ich will nur einige Stichworte nennen. Ich erinnere an die stark besuchte und auch von den Fraktionen des Deutschen Bundestages wahrgenommene Große Krebskonferenz. Ich erinnere an das wichtige Betäubungsmittelgesetz, an das umfassende Chemikaliengesetz, an das Apothekengesetz und an zahlreiche Novellierungen bei den Gesundheitsberufen.
({25})
- Ja, natürlich ist das unser Auftrag.
({26})
- Es ist nicht wichtig, ob hier schon früher einmal jemand eine Idee gehabt hat. Wichtig ist, daß ein Gesetzentwurf auf den Tisch kommt und auch verabschiedet wird.
({27})
Wir beanspruchen gar nicht für alles die Urheberschaft. Ich habe an diesem Pult schon mehrfach gesagt: Wir würden uns freuen, wenn gerade im Bereich von Jugend, Familie und Gesundheit vieles gemeinsam möglich wäre. Das wiederhole ich hier.
({28})
Zum Schluß möchte ich einen kleinen Abschnitt wieder der Familienpolitik widmen, weil diese hier heute das übergeordnete Thema ist
({29})
Ich will mich jetzt auf einen Artikel beziehen, der gerade in der neuesten Zeitschrift des Kinderschutzbundes erschienen ist. Daraus zitiere ich zwei Passagen.
({30})
Das deckt sich mit meinen Vorstellungen. Weil Sie immer meinen, wir seien so einseitig eingefärbt, ist es vielleicht gut, wenn ein Verband einmal Ähnliches sagt wie wir.
({31})
- Ich lese jetzt zum erstenmal in meiner Rede ein Zitat vor; ich denke, das muß mir gestattet sein. Der Kinderschutzbund sagt in dem Artikel:
Wer auf materiellen Wohlstand, auf einen oft sogar luxuriösen Lebensstil, auf die Erzielung eines immer höheren Einkommens zur Finanzierung des ständig wachsenden Lebensstandards fixiert ist, ...
({32})
- Ich lese jetzt aus einem Artikel aus der neuen Zeitschrift des Kinderschutzbundes vor. ({33})
- Er ist nicht der Autor. - Ich fahre fort:
... fixiert ist, für den ist jedes Kind ein „Opfer". Es muß bezweifelt werden, ob jemand deshalb eine positive Einstellung zum Kind findet, wenn der Staat ihm die entstehenden Kosten erstattet, d. h. ihn in die Lage versetzt, seine Konsumbedürfnisse trotz Kind zu befriedigen.
... Solange es sich bei der Diskussion, die um die Vermehrung der Geburtenziffern geführt wird, ums Geld dreht, solange sich der einzelne in seinen Entscheidungen für oder gegen das eigene Kind an der ebenso platten wie verbreiteten Existenzphilosophie der Bundesrepublik - nämlich Wachstum, Wohlstand - orientiert und solange Kinder in der politischen Perspektive zu Objekten „zukunftsorientierter Familienpolitik", zur Sicherung von Produktion, Rentenfinanzierung und Wehrbereitschaft abgewertet werden, so lange kommen wir keinen Schritt weiter.
({34})
Das Ja zum Kind, meine Damen und Herren - das sagen wir mit dem Kinderschutzbund, obwohl wir auch dessen berechtigte Wünsche nicht alle auf einmal erfüllen können -, muß immaterielle Wurzeln haben. Kinder sind unverzichtbarer Teil des menschlichen Lebens.
({35})
Sie sind erlebbares Lebensglück und erlebbarer Lebenssinn.
Der Einzelplan 15 - Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit - ist nur das Spiegelbild unserer gezielten Bemühungen, die Familie und die Jugend ohne Bevormundung immer stärker zu unterstützen, am meisten dort, wo es am meisten not-tut.
Ich bedanke mich bei den Berichterstattern, bei den Mitgliedern des Haushalts- und des Fachausschusses und auch bei meinen eigenen Mitarbeitern und wünsche mir Zustimmung zu meinem Einzelplan.
({36})
Meine Damen und Herren, da wir mit dem Zeitplan stark im Rück15348
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker
stand sind, bitte ich Sie um Verständnis, daß ich jetzt noch die nächste Wortmeldung berücksichtige, bevor wir in die Mittagspause eintreten. Das Wort hat Frau Abgeordnete Verhülsdonk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Minister Huber, seit Jahren tragen Sie hier Leistungs- und Erfolgsbilanzen vor. Wundern Sie sich eigentlich nicht darüber, daß draußen in den Familien die Probleme wachsen, während Sie hier 'immer wieder Erfolge verkünden? Fragen Sie sich nicht manchmal selbst, warum die Familienpolitik in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses getreten ist?
({0})
Diese Tatsache müßte Sie doch langsam einmal erschüttern. Zwischen dem, was Sie in Ihren Reden sagen, und Ihrer Politik kann man keine Übereinstimmung finden.
Es hat sich heute morgen hier erwiesen, daß es tatsächlich grundsätzliche Differenzen in diesem Hause und, so muß man wohl sagen, in der gesamten Gesellschaft über die Frage gibt, was der Familie heute nottut. Ich will mich deshalb hier mit grundsätzlichen Fragen beschäftigen.
Von dem ersten deutschen Bundespräsidenten, Theodor Heuss, stammt der Satz, daß die Familie wohl die letzte noch einigermaßen intakte menschliche Reserve gegen die völlige Verstaatlichung und die reine Verberuflichung des Menschen ist, gegen seine Verameisung, die auch Vereinsamung werden kann.
({1})
- Heuss sagt ja: die letzte noch intakte Reserve. Als wir regierten, war das auch noch so.
({2})
Heute kann niemand mehr daran zweifeln, daß die von Heuss genannten. Gefahren bestehen, gegen die die Familie den Menschen schützen soll. Nichts wird uns vor dem Ameisenstaat bewahren, wenn es uns nicht gelingt, Inseln der Geborgenheit, Inseln der Einübung in das soziale Miteinander zu erhalten. Wie sich in der Geschichte erwiesen hat, gibt es keinen besseren Ort als die intakte Familie für die Vermittlung von Liebe, Vertrauen und Treue - Tugenden, die unsere kalte, bürokratische Massengesellschaft nötiger hat als je zuvor.
({3})
Diese Erkenntnis findet heute in unserer Gesellschaft breite Zustimmung, gerade auch bei den jungen Menschen. Denn sie deckt sich mit den Erfahrungen der Menschen. Wenn Familienpolitik dem Menschen und damit dem Staat und der Gesellschaft dienen soll, muß sie darauf angelegt sein, die Autonomie der Familie und ihren Zusammenhalt zu stärken. Genau das Gegenteil aber ist seit Jahren geschehen.
Herr Kollege Fiebig, Sie haben sich heute morgen hier gewaltig erregt und das alles bestritten. Sie haben bestritten, daß es Verwirrung und Verunsicherung in den Familien in diesem Lande gegeben hat.
Wie können Sie das aufrechterhalten, wenn Sie sich einmal die Gesamtbilanz und die gesellschaftliche Diskussion vor Augen führen?
Ich weiß - wir haben es ja eben wieder von Frau Huber gehört -, man hört und liest in letzter Zeit eine Menge regierungsamtlicher und auch aus dem Lager der SPD kommender Erklärungen zur Familie und ihrer Bedeutung und zur Familienpolitik, die manchmal aus der Feder der Opposition stammen könnten. Besonders Frau Huber übt sich in solchen Äußerungen - jeweils vor dem geeigneten und geneigten Publikum, etwa den Familienverbänden. Das sind wohl die Pflichtübungen zur Sympathiewerbung, die man da machen muß. Die Wahrheit aber ist, daß sich die materielle Situation der Familie nicht verbessert hat, daß die Defizite, vor allem bei den Mehrkinderfamilien und bei den Familien mit behinderten Kindern, ständig größer werden.
({4})
Das hat Ihnen die Sachverständigenkommission im Dritten Familienbericht mit nicht zu übertreffender Deutlichkeit ins Stammbuch geschrieben.
Diese Kommission zieht aus ihrem Befund auch klare Konsequenzen. Sie fordert mit Nachdruck eine neue Zielrichtung der künftigen Familienpolitik. Ich nenne hier nur die beiden markantesten Forderungen: Maßnahmen zur Beeinflussung des generativen Verhaltens unter der Zielsetzung der Erhaltung der Bevölkerungszahl und als einen Lösungsweg zu diesem Ziele Maßnahmen zur höheren Bewertung der Familienhausfrau durch den Staat. Die Bilanz des Dritten Familienberichts macht deutlich, wie es sich jetzt rächt, daß diese Bundesregierung nie ein umfassendes Konzept für die Familienpolitik hatte,
({5})
daß nie versucht wurde, ressortübergreifend die Probleme der Familie anzugehen.
Aber wie sollte sie auch ein Konzept entwickeln! Wenn man hier die Kollegen von der FDP hört, etwa den Kollegen Eimer, wird einem schon sehr deutlich, daß es in dieser Koalition die gleichen Differenzen in diesen Fragen gibt, wie wir sie mit der SPD haben. Und offensichtlich ist auch innerhalb der SPD ein gemeinsames Konzept für die Familie nicht ohne weiteres durchsetzbar. Das zeigt die Tatsache, daß die Wehner-Kommission mehrere Vorschläge vorgelegt hat, unter denen man jetzt erst einmal auswählen soll und über die erst eine Auseinandersetzung stattfinden muß.
({6})
- Liebe Leute, wir machen doch seit Jahren Familienpolitik und kennen seit Jahren die Situation der Familie und wissen, wie sie sich entwickelt hat.
({7})
Da können Sie doch nicht sagen, jetzt machen wir mal vier Vorschläge, und dann diskutieren wir darüber.
({8})
Da kommen Sie mindestens fünf Jahre zu spät, denn so lange sind die Probleme schon bekannt.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Ja, bitte!
Verehrte Kollegin, weil Sie mich hier erwähnen: ({0})
Ist Ihnen nicht klar, daß das, was Sie eine Vorlage, für die ich verantwortlich wäre, genannt haben und nennen, eine Interpretation von denkbaren und vorhandenen Konsequenzen aus der Unvermeidlichkeit großer Sozialversicherungs- und auch familienfördernder Notwendigkeiten ist, die sich aus der Reform 1984 ergeben?
Herr Wehner, Sie bestätigen ja gerade das, was ich gesagt habe. Jetzt fangen Sie an, über Reaktionen auf eine Situation nachzudenken und verschiedene Versionen der Reaktionen vorzulegen, nachdem das Kind schon fast im Brunnen liegt. Das ist doch viel zu spat.
({0})
Es sind ja nicht nur die Probleme der 84er Reform, die Sie da abhandeln; es sind doch auch die Probleme der Hausfrauen in der Familie, die zu lösen sind.
({1})
Kein Wunder, daß bei dieser Sachlage Frau Minister Huber seit Jahren vor sich hinwurstelt
({2})
und, wie jetzt offenbar wurde, auch innerhalb der Bundesregierung mit ihren Vorschlägen ins Abseits geraten ist.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?
Bitte schön.
Frau Kollegin Verhülsdonk, wenn Sie meinen, daß die Vorschläge der SPD, von denen es mehrere auch als Alternativen gibt, zu spät kommen, wo sind denn dann eigentlich die Vorschläge der CDU/CSU einschließlich der Vorschläge zur Finanzierung solcher familienpolitischen Leistungen?
({0})
Sie haben sehr lange regiert, und in der Zeit der Opposition haben wir von Ihnen nichts Brauchbares bekommen.
Herr Kollege Glombig, Sie wissen ganz genau, daß wir schon in der letzten Legislaturperiode gesetzgeberische Schritte vorgeschlagen haben und daß wir diesem Hause sehr deutlich erklärt haben, daß wir für dieses Thema, nämlich das Thema Erziehungsgeld, bereit sind, Prioritäten zu setzen, daß wir bereit sind, auch unangenehme Beschlüsse mitzutragen, damit endlich die Defizite im Bereich der Familienpolitik ausgeräumt werden können.
({0})
Ich möchte in meiner Rede fortfahren. Ich möchte von dem koalitionsinternen Gerangel um die familienpolitische Komponente im Steuerpaket '81 reden. Es hat deutlich gemacht, wie hier die Meinungen auseinandergehen. Frau Huber will mit einer einkommensabhängigen Aufstockung des Kindergeldes den bisher so hochgelobten familienpolitischen Grundsatz „Kind ist gleich Kind" verlassen und damit das Kindergeld aus dem Zusammenhang der familienpolitischen Leistungen herausnehmen.
In der „Stuttgarter Zeitung" konnte man vor dem SPD-Parteitag dazu folgenden Kommentar lesen:
Sicher wird sie in Teilen der SPD auf dem Parteitag Beifall einheimsen. Frau Huber wollte wenigstens SPD-Flagge zeigen, bevor sie untergeht.
Die Hauptverfechter einer einseitigen Frauenpolitik auch im Hinblick auf die Rolle der Frau in der Familie sind vor allem die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Diese haben sich kürzlich in einer Presseerklärung ihres Bundesvorstandes gegen einige Diskussionspunkte, die heute anstehen, gewandt, und zwar erstens gegen eine Reideologisierung der Diskussion um Familie und Kinder. Ich frage: Wer hat denn hier seit Jahren die ideologische Brille auf?
({1})
Zweitens haben sie sich gegen den Versuch gewandt, die unbefriedigende Situation der Kinder der Erwerbstätigkeit von Müttern anzulasten.
Meine Damen und Herren, ich zitiere dazu nur einen Satz aus der Weihnachtsrede von Altbundespräsident Walter Scheel zum Jahr des Kindes. Dort steht zu lesen - und es stimmt, was er sagt -:
Die Gleichberechtigung der Frau ist ein Gebot der Gerechtigkeit und ein Gebot der Verfassung, aber sie spielt sich, das müssen wir auch sehen, zum großen Teil auf dem Rücken unserer Kinder ab.
Das ist doch das Thema, das wir jetzt angehen müssen.
Drittens wenden sich die sozialdemokratischen Frauen gegen die Einführung eines Erziehungsgel15350
des, das, wie sie sagen, der erste Schritt zur Mutter im Staatsdienst wäre.
({2})
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind wir dann, wenn Sozialeinkommen die Menschen automatisch zu Staatsangestellten macht, nicht längst ein Volk im Staatsdienst? Wie wollen Sie denn in bezug auf das Sozialeinkommen „Erziehungsgeld" auf einmal andere Maßstäbe anlegen als in bezug auf andere Sozialeinkommen, etwa Kindergeld?
({3})
Durch das Kindergeld wären die Eltern dann ja auch Angestellte des Staates.
({4})
Viertens wenden sich die sozialdemokratischen Frauen gegen ein wechselseitiges Ausspielen von Hausfrauen und erwerbstätigen Frauen. Ich frage Sie: Wer hat denn die ungerechte einseitige gesetzliche Begünstigung der erwerbstätigen Frauen durch das Mutterschaftsurlaubsgesetz und durch den Kinderfreibetrag hier betrieben?
({5})
Fünftens wenden sich die sozialdemokratischen Frauen gegen eine Verunsicherung der Gesellschaft durch die Aussage, ein Geburtenrückgang würde unser Sozialleistungssystem gefährden. Wer das leugnet, sollte aber ehrlicherweise gleich zugeben, daß er auf die Erhaltung unseres leistungsbezogenen Rentensystems keinen Wert legt und statt dessen von einer staatlich zugeteilten Altersrente träumt, die an die Stelle der auf Lebensleistung bezogenen Rente treten muß, wenn man es hinnimmt, daß künftig immer weniger Beitragszahler für das Rentenaufkommen sorgen müssen.
Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen fragt sodann in diesem Papier ganz naiv: Warum kann nur eine wieder steigende Geburtenrate eine Entwicklung von mehr Lebensqualität darstellen? Ist nicht alle Wahrscheinlichkeit nach das Gegenteil richtiger?
({6})
Ja, meine Damen und Herren, damit sind wir dann auf dem Diskussionsniveau des Bundeskanzlers - sehr richtig, Herr Kollege Schwarz -, der zum Thema „Geburtendefizit" auch nicht mehr zu sagen wußte als das: Wir hätten nächstens bei weniger Bevölkerung mehr Platz auf den Straßen und mehr Parkplätze.
({7})
Wenn wir einmal von den wirtschaftlichen Folgen des Geburtendefizits und von den voraussehbaren Finanzierungsproblemen der Rentenversicherung absehen, muß ich Sie, meine Damen und Herren, doch fragen: Haben Sie sich einmal Gedanken über die sozialen und psychologischen Folgen der doch zwangsweise eintretenden Überalterung unserer Gesellschaft gemacht?
({8})
- Nein, ich habe ja gesagt: Sehen wir davon einmal ab und reden wir von anderen Dingen. Dabei bin ich gerade.
({9})
Ich rede von den sozialen und den psychologischen Folgen, Herr Kollege Fiebig, über die sozialen und emotionalen Defizite bei Einzelkindern und bei kinderlosen Familien. Haben Sie einmal über die Gefahr neuartiger sozialer Konflikte, z. B. über die Verschärfung des Generationskonflikts, nachgedacht? Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie inhuman und egoistisch eine Gesellschaft wird, die Kinder zu haben zunehmend als Last und als sozialen Abstieg erlebt statt als Zuwachs an Lebenssinn für die Eltern und als Hoffnung auf Zukunft?
({10})
Sie reden von dem Glück, das Kinder bereiten sollen; unsere Gesellschaft redet schon lange darüber, daß Kinder eine Last sind. Warum? Weil eben, und zwar durch Ihre Politik, die sozialen Folgen des Kinderhabens bei den Eltern spürbar sind.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fiebig?
Es tut mir leid, Herr Fiebig, wir kommen zu sehr in die Mittagspause hinein; es geht nicht.
Die Unionsparteien sind nicht so töricht, zu glauben, daß allein mit politischen Programmen und materiellen Hilfen für die Familie schlagartig alle Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft behoben werden könnten. Es ist doch aber nicht zu leugnen, daß der Werteverlust, den ja auch der Bundeskanzler beklagt hat, nicht zuletzt durch politische Fehlorientierung in den letzten zehn Jahren rapide vorangetrieben wurde.
({0})
Der Reformgigantismus der Regierung Brandt, die pausenlosen Umverteilungsprozesse, die der Bürger natürlich teuer bezahlen mußte, haben die Zielpunkte des Lebens der Menschen verändert. Einig ist sich die Gesellschaft heute nur noch in dem Willen, mehr Wohlstand erwerben und konsumieren zu können. Dies hat alle Gemeinschaften, auch die Familie, brüchig gemacht; es hat den einzelnen zunehmend isoliert und verunsichert.
An den Aggressionen und Frustrationen, am Alkohol- und Drogenmißbrauch einer wachsenden Zahl von Kindern und Jugendlichen und - in den weniger auffällig verlaufenden Fällen - an Kontaktarmut, Leistungsversagen, Streunertum und asozialem Verhalten sehen wir den Preis, den wir für diese Art von „sozialem Fortschritt" gezahlt haben und dann, wenn Ihre emanzipationsideologischen
Konzepte bedenkenlos weiter fortgeführt werden, weiter zahlen werden.
Leider läßt das eben schon zitierte Papier der Wehner-Kommission zur Familienpolitik wenig Hoffnung darauf, daß sich etwas ändern könnte, wenn man darin unter dem Stichwort „Erziehungsgeld" folgenden Satz liest:
Traditionelle Rollenbilder werden durch das Erziehungsgeld konserviert.
({1})
Diejenigen Mütter, die bisher nicht erwerbstätig waren, werden auch weiterhin vom Arbeitsmarkt ferngehalten.
Deutlicher kann man es doch nicht sagen. Frau Huber redet aber davon, daß Emanzipation eine geistige Qualität sei und nichts mit Erwerbstätigkeit zu tun habe.
({2})
Die Anpassungszwänge, die Sie durch das Mutterschaftsgeld bereits geschaffen haben, sind beachtlich. Solange Sie die falsche Gleichung aufrechterhalten, emanzipiert ist, wer erwerbstätig ist, wird es um die Gleichberechtigung der Hausfrau und Mutter mit der erwerbstätigen Frau - ({3})
- Sie vielleicht nicht; Herr Eimer hat das soeben bestritten. Aber die andere Seite sagt das.
({4})
- Sie handeln danach.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit geht zu Ende. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
({0}) Frau Verhülsdonk ({1}): Ja.
Solange dies so ist, wird es um die Gleichberechtigung von Hausfrau und Mutter einerseits und erwerbstätiger Frau andererseits schlecht bestellt bleiben.
({2})
Es ist weiß Gott nicht einzusehen, wieso eine erwerbstätige Frau, die in einer Schicht 4000 Schrauben anziehen muß, emanzipierter als eine Frau sein soll, die Kinder erzieht
({3})
und dies sozusagen als hauptamtlichen Beruf betreiben möchte.
Nebenamtliche Mütter werden, selbst wenn sie von nebenamtlichen Vätern etwas besser unterstützt werden als heute vielfach üblich, stets abgehetzte Mütter sein, und Abgehetztsein ist nicht die beste Voraussetzung für ein Klima, in dem Menschen leben und gedeihen können.
({4})
Hauptamtlich Mutter sein können, müssen wir aber vielen Frauen, die zum Familieneinkommen beitragen müssen, erst einmal materiell ermöglichen. Mit sechs Monaten Mutterschaftsurlaub ist das nicht getan.
({5})
Das wissen Sie selbst. So bringen Sie jetzt die alte SPD-Idee vom Elternurlaub. Wo bleibt bei diesem Konzept eigentlich die andere Hälfte der Frauen, die ihrer Kinder wegen ihre Berufstätigkeit aufgegeben haben und als Hausfrauen und Mütter wichtige innerfamiliäre Aufgaben wahrnehmen? Das sind doch nicht alles Gattinnen von Generaldirektoren. Das Argument der Wehner-Kommission, daß gerade die nicht erwerbstätigen Frauen - Zitat: „und unter ihnen diejenigen, deren Ehemann ein hohes Einkommen hat, durch das Ehegattensplitting am stärksten begünstigt werden" - zeugt nur von Ihrer Realitätsblindheit und von den tiefsitzenden Neidkomplexen einer gleichmacherischen Gesinnung.
({6})
Frau Abgeordnete, ich muß Sie jetzt bitten, zum Schluß zu kommen. Bitte sprechen Sie noch einen Schlußsatz und hören Sie dann auf!
Ja.
Die Unionsparteien werden unverdrossen dafür eintreten, daß die Rahmenbedingungen, unter denen Familien heute ihren Kinderwunsch erfüllen müssen, wesentlich verbessert werden. Dazu gehört für uns das Erziehungsgeld. Der erste wichtige Schritt dazu ist die Wiedereinbringung des Familiengeldgesetzes.
Zum Schluß möchte ich nur noch eines sagen. Wenn Sie fortfahren, eine total laboristische Gesellschaft mit gesetzlich genau geregelten und sozial abgesicherten Pausen für das Kinderkriegen anzustreben, dann wird hier niemals wieder eine humane, eine kinderfreundliche Gesellschaft entstehen.
({0})
Lassen Sie sich dies kurz vor dem Ende des Jahres des Kindes noch einmal ins Gewissen rufen!
({1})
Wir treten in die Mittagspause ein.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Just nachdem diese familienpolitische Debatte durch den, wie ich meine, hervorragenden Beitrag
({0})
des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit - das wird Ihnen hoffentlich aufgefallen sein ({1})
eine, wenn Sie so wollen, größere Tiefe
({2})
erreicht hatte, die beachtenswert war, hat Frau Verhülsdonk das Niveau dieser Debatte in einer Weise beeinträchtigt, die, wie ich finde - ich muß das ganz offen sagen -, außerordentlich bedauerlich ist.
({3})
Ich erlebe es zum zweiten Mal, meine Damen und Herren - leider ist Frau Verhülsdonk nicht hier; sie kommt sicherlich noch, hoffentlich nicht erst dann, wenn ich mit meiner Rede fertig bin; sie hat ihre Rede hier zwar schon gehalten, aber es wäre ganz gut, wenn sie auch das hören würde, was ich zu sagen habe
({4})
- ich hoffe es sehr, Herr Kollege Franke -,
({5})
daß Frau Verhülsdonk die Fragen der Familienpolitik hier in einer im Grunde genommen recht lieblosen und kalten Weise
({6})
und damit in einer ideologischen Art und Weise abgehandelt hat, die, so meine ich, unsere schärfste Zurückweisung erfahren muß.
({7})
Das erste Mal geschah dies vor einigen Jahren in Zusammenhang mit der Debatte über die Neuordnung des § 218 hier in diesem Hause; ich kann mich an diese Debatte sehr gut erinnern. Ich bedaure es deswegen, weil ich mit Frau Verhülsdonk sonst - vor allem auch in der Regierungskommission über die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung - außerordentlich gut zusammengearbeitet habe und es für mich immer ein Vergnügen ist, mit ihr sachlich zusammenzuarbeiten. Bei solchen Gelegenheiten aber erlebe ich dann, daß sie - ich darf das einmal so nennen - ausflippt.
({8})
Ich habe den Eindruck - ich behaupte ja nicht, daß es so ist -, daß Frau Verhülsdonk bei solchen Gelegenheiten etwas Reaktionäres an den Tag legt, das einer entsprechenden Würdigung bedarf.
({9})
Meine Damen und Herren, die Familienpolitik stand schon immer im Mittelpunkt unserer Politik, im Mittelpunkt der sozialdemokratischen Politik.
Der CDU/CSU allerdings dient die Familienpolitik zu überhaupt nichts anderem lesen Sie das demnächst einmal alles nach - als dem planmäßigen und bewußten Versuch, die Sozialdemokraten zu diffamieren.
({10})
Das ist aber auch alles, fast alles, was Sie in solchen Debatten zur Sache beizutragen haben.
({11})
Es handelt sich also bei Ihnen - nicht bei uns! - nicht um Politik, sondern - im wahrsten Sinne des Wortes - um Ideologie und um Polemik.
({12})
Das war übrigens auch schon zu Kaisers Zeiten so; das ist gar keine neue Erscheinung.
({13})
Schon damals, Herr Kollege, haben die Reaktionäre mit Schlagworten wie Kollektivismus und Verstaatlichung der Familie Ängste vor den Sozialdemokraten geschürt.
({14})
Das ist in jahrzehntelanger Politik nachzulesen, nachzuprüfen. Heute entblödet man sich in der Ideologie der CDU/CSU nicht,
({15})
auf der einen Seite von Verstaatlichung der Familie zu reden, auf der anderen Seite aber ein Familiengeld, d. h. im Grunde genommen ein Familiengehalt zu fordern. Wenn das nicht eine Art von Verstaatlichung der Familie ist, dann gibt es wohl überhaupt keine! Während also Konservative nur Emotionen aufgepeitscht und Ängste geschürt haben, meine Damen und Herren, haben Sozialdemokraten wirklich dafür gesorgt, daß für die Familien etwas getan wurde.
({16})
Dafür zeugt, wie gesagt, die Geschichte der Arbeiterbewegung seit dem 19. Jahrhundert. Ich will so weit nicht zurückgehen. Aber ich will den neuesten Abschnitt der Geschichte doch etwas intensiver beleuchten. Das fängt übrigens mit dem Verbot der Kinderarbeit an
({17})
- nun kann man ja nicht so tun, als hätte man damit überhaupt nichts zu tun gehabt oder nichts zu tun -, dem Acht-Stunden-Tag, dem Mutterschutz, dem Frauenwahlrecht, dem kostenlosen Schulbesuch für alle und geht bis zu den Leistungen der sozialliberalen Koalition wie der Reform des Familienlastenausgleichs. Dazu haben Sie 1965 das einzige überhaupt beigetragen; es ist, wie ich meine, zu Recht in Vergessenheit geraten. Was sonst auf dem Gebiet des Familienlastenausgleichs geleistet wurGlombig
de, ist in den letzten zehn Jahren durch die sozialliberale Koalition geleistet worden.
({18})
Das wollen Sie bei den Menschen draußen vergessen machen, Herr Blüm!
({19}). Ich finde, das ist so ungeheuerlich
({20})
- Eingeführt haben Sie es.
({21})
Eingeführt hat der Deutsche Bundestag den Familienlastenausgleich.
({22})
- Der Anteil der Sozialdemokraten daran ist ja nicht unerheblich. Aber Sie haben nichts zur Weiterentwicklung dieses Familienlastenausgleichs seitdem beigetragen. Gerade das ist der Vorwurf, den Sie uns hier machen. Das ist doch eine Geschichtsklitterung. Das ist doch mit den wahren Verhältnissen nicht in Übereinstimmung zu bringen!
({23})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang -
({24})
Ich bitte doch um Ruhe!
- - an das Wohnraumkündigungsschutzgesetz.
({0})
- Herr Hasinger, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Was soll das? Ich nehme an, daß das, was ich soeben gesagt habe, Sie zutiefst trifft. Wenn das so ist, dann mit Recht. Ich meine, Sie sollten sich das überlegen. Ich sage: Die CDU/CSU reduziert Familienpolitik auf zwei Dinge, nämlich erstens ideologische Polemik und zweitens möglichst viele mit der Gießkanne verteilte individuelle Geldleistungen für die Familie. Das ist das ganze Konzept Ihrer Familienpolitik.
Nun möchte ich doch einmal sagen, daß aus sozialdemokratischer Sicht für die Familienpolitik folgendes vordringlich ist. Vordringlich ist, sich nicht an rückwärtsgewandten und auch für die Vergangenheit nicht wirklich zutreffenden Idealen zu orientieren, sondern die tatsächlichen Probleme, die Entwicklungen und Wandlungen in den Familien zu erkennen und zur Kenntnis zu nehmen. Ich muß nach dieser Diskussion am Vormittag annehmen, daß Sie beides bisher weder zur Kenntnis genommen noch daraus entsprechende Folgerungen gezogen haben.
({1})
Bei den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzusetzen und diese so zu verändern, daß Familien und Kinder bessere Lebensmöglichkeiten haben, davon habe ich - außer Qualm - von Ihnen heute morgen nichts gehört. Sie weisen immer auf das familienpolitische Programm und die familienpolitischen Alternativen der Wehner-Kommission hin. Sie hätten sich damit einmal auseinandersetzen sollen. Nicht in einem einzigen Beitrag ist das geschehen.
Das bedeutet für uns in erster Linie: weitere Reformen der Arbeitswelt - das können Sie da nachlesen -, bessere Verteilung der Einkommen - ist das nichts für die Familien? -, eine Gestaltung der Städte, die mehr den Bedürfnissen der Menschen als Rentabilitätsgesichtspunkten folgt - eine Überlegung, die vor allem Ihnen zu denken geben muß. Damit ist Familienpolitik durchaus ein Teil einer umfassenden Gesellschaftspolitik, so wie die SPD und die Arbeiterbewegung sie mit Recht immer gesehen haben.
Ich darf in diesem Zusammenhang ruhig einmal auch dies sagen, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie uns der Ideologie verdächtigen; aber ich meine, dies ist doch richtig: Kontrolle und Begrenzung wirtschaftlicher Macht im Interesse des arbeitenden Menschen und der Familien ist in der Tat auch weiterhin ein Anliegen, das wir als Sozialdemokraten immer wieder hervorheben müssen. Hierin liegt, meine ich, nach wie vor ein grundsätzlicher Unterschied zur Position der CDU/CSU. Dies sage ich für alle, die glauben, es gebe solche Unterschiede nicht.
({2})
In der eigentlichen Familienpolitik, Herr Kollege Blüm, in der Familienpolitik im engeren Sinn, bedeutet das: keine Gießkannenpolitik, sondern Konzentration auf die Probleme und Problemgruppen, d. h., auf die Einkommens- und Wohnungssituation kinderreicher und einkommensschwacher Familien, auf den Ausbau familienergänzender Erziehungshilfen. Hierbei ist übrigens die Reform der Jugendhilfe von besonderer Bedeutung. Da erwarten wir ja noch Ihren Beitrag. Der Kollege Kuhlwein wird sich dazu nachher noch äußern. Da sind wir sehr gespannt, wie Sie sich zu diesem Reformwerk im Verlauf der Gesetzgebung verhalten werden.
Eine entschiedene Politik für eine tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau in Familie und Beruf muß das Ziel sein; jedenfalls ist das unser Ziel. Ziel ist nicht, Männern und Frauen bestimmte Rollenvorstellungen aufzudrängen, weder traditionelle noch moderne. Wenn Sie für die traditionellen sind, wir sind weder für die traditionellen noch für die modernen. Nicht das Aufdrängen solcher Rollenverteilung, sondern die Ermöglichung freier Rollenwahl im echtesten Sinne des Wortes bedeutet konkret unter den derzeitigen Bedingungen- eine Politik, die nicht die Frauen in die traditionelle Rolle zurücklocken will, sondern ihnen die tatsächliche
15354 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode
Chance für eine gleichberechtigte Teilnahme am Erwerbsleben eröffnet. Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie wollen. Das hat übrigens nichts damit zu tun, daß man die Frauen in den Beruf zwingen will. Wir wollen sie nicht in den Beruf zwingen. Das können Sie uns auch auf Grund des Papiers, das wir der Offentlichkeit vorgelegt haben, nicht unterstellen.
({3})
Das unterscheidet uns, Herr Kollege Blüm, von den Vorstellungen der CDU/CSU, die die Tendenz zur gleichberechtigten Teilnahme der Frau am Erwerbsleben mit Geld stoppen will.
Zu den familienpolitischen Plänen der Union folgendes. Die bekanntgewordenen Schwerpunkte der familienpolitischen Forderungen der Union sind eine maßlose Summierung von Einzelmaßnahmen, die weder finanzierbar sind noch den Familien in geeignetem Maße helfen können, die auf familienpolitische Geldleistungen angewiesen sind. Die Dynamisierung des Kindergeldes - vom Kollegen Burger gefordert; ich habe das irgendwo gelesen - zum jetzigen Zeitpunkt würde die derzeitige problematische Struktur der Kinderleistungen auf weite Sicht festschreiben. Ich meine, daß vor einem solchen Vorschlag im Interesse des Familienlastenausgleichs und seinem Ausbau nur gewarnt werden kann.
({4})
- Lassen Sie mich weiterreden, Herr Kollege Hasinger. Das Thema ist wirklich zu ernst, als daß wir uns weiterhin so anpflaumen sollten, wie das heute vormittag geschehen ist. Sie nehmen mir meine Zeit. Ich möchte jetzt endlich einmal in einem Zusammenhang vortragen.
({5})
- Herr Kollege Hasinger, Sie haben den ganzen Vormittag Zeit genug gehabt, Ihre Vorstellungen zu entwickeln.
Eine Kapitalisierung des Kindergeldes beim Erwerb von Wohneigentum unter der Bedingung der Aufgabe der Erwerbstätigkeit ist eine eindeutig gegen die gleichberechtigte Rollenteilung und die Interessen der erwerbstätigen Frauen und Mütter gerichtete Maßnahme, die vor allem der Bauwirtschaft nutzen wird; sonst aber nicht viel mehr.
Die Einführung eines Erziehungsgeldes für die Dauer von zweieinhalb Jahren ist aus sozialdemokratischer Sicht ebensowenig finanzierbar wie sozialpolitisch vertretbar, wenngleich ich sage, wir werden alle Vorstellungen dieser Art, auch die von Ihnen, gewissenhaft prüfen
({6})
und dann vor der Wahl - das wird uns von Ihnen unterscheiden; da bin ich ganz sicher - allen, die zur Wahl gehen, sagen, wie wir uns die Weiterentwicklung der Familienpolitik vorstellen. Gleichzeitig werden wir ihnen sagen, daß wir in der Familienpolitik in den vergangenen zehn Jahren die Weichen gestellt haben. Damit werden wir für sie erkennbar zum Ausdruck bringen, wohin die Reise mit uns gehen soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Ich habe eben bereits Ihrem sehr geschätzten Kollegen Hasinger keine Zwischenfrage gestatten können, nicht deswegen, weil ich die Frage nicht beantworten will, sondern weil ich das gern in einem Zusammenhang darstellen möchte.
({0})
- Nein, Herr Kollege Franke, was soll das? Das sind doch alles nur Störmanöver. Sie wollen doch gar nicht zur Klärung des Sachverhalts beitragen.
({1})
Das hat sich heute vormittag gezeigt. Sonst wäre ich doch bereit, mit Ihnen zu diskutieren. Das müssen wir bei einer anderen Gelegenheit machen. Wir kennen uns zu sehr. Sie versuchen das immer, wenn ich an diesem Pult stehe.
Allein die rentenrechtliche Anerkennung von drei Jahren Kindererziehung für Kinder, die vor 1984 geboren wurden - Sie sind sich ja noch nicht einig, das habe ich ja heute gelesen; aber immerhin, daß es dort Meinungsverschiedenheiten geben kann, das halte ich für völlig natürlich -, würde über 10 Milliarden DM kosten. Meine Damen und Herren, die können doch nicht aus den Mitteln der Beiträge der Versicherten aufgebracht werden; die können doch nur aus Haushaltsmitteln aufgebracht werden. Die Anerkennung von fünf Jahren Erziehung für Kinder, so wie Sie sie fordern, die nach 1984 geboren werden, ist hierbei noch nicht berücksichtigt; das habe ich jetzt noch völlig außenvor gelassen.
Wie die von der SPD ebenfalls abgelehnte und mit dem Kindergeldgesetz 1975 abgeschaffte steuerliche Freibetragsregelung für Kinder und Elternteile finanziert werden könnte, darauf gibt es keine konkreten Hinweise. Wir haben nur den Hinweis, daß Herr Ministerpräsident Strauß unbedingt zu einem steuerlichen Kinderfreibetrag zurückkehren möchte, der diejenigen, die ein hohes Einkommen haben, besonders begünstigt,
({2})
und denjenigen, die ein geringes Einkommen haben, über diesen Weg überhaupt nichts gibt. Das ist ein Weg, den wir nicht mitmachen können.
({3})
Was gestern im „Handelsblatt" über die Dekkungsvorschläge der Union für das sogenannte Familiengeld gesagt worden ist, hat diese Einschätzung von mir bestätigt. Das sind keine seriösen Dekkungsvorschläge, sondern allgemeine pauschale Redensarten, die nicht den Anforderungen solider Parlamentsarbeit genügen. Übrigens ist das kein einmaliger Vorgang. Wir stellen das immer wieder
fest. Das wiederholt sich hier zum soundsovielten Male. Ganz abgesehen davon stehen die milliardenschweren Forderungen der Union in diametralem Widerspruch zu ihrem fortlaufenden Lamento über den Abbau der Staatsverschuldung, das wir, meine ich, doch in den letzten Tagen hier mit besonderem Nachdruck gehört haben.
Ich möchte nun insbesondere dem Kollegen Blüm und der Kollegin Verhülsdonk, aber auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU- Fraktion ganz kurz - die Lampe hier leuchtet rot auf - an einigen Beispielen sagen, was wir in der Familienpolitik getan haben. Die Reform des Familienlastenausgleichs erreichte 1975 die Abschaffung der ungerechten Kinderfreibeträge und führte das allgemeine Kindergeld ein. War das nichts für die Kinder in unserem Lande?
({4})
Nun können Sie doch das nicht hier abtun und so tun, als hätten ausgerechnet wir nichts geleistet. Wir sind wirklich einen neuen Weg gegangen.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Ende zu kommen.
Ich komme dann auch gleich zum Abschluß wie Frau Verhülsdonk.
Das Kindergeld wurde spürbar erhöht, und zwar für das zweite Kind von 80 auf 100 DM und für das dritte und jedes weitere Kind von 150 auf 200 DM zum 1. Januar 1979. Ich glaube, auch das spricht für sich. Das haben Sie zu keinem Zeitpunkt Ihrer Regierungsbeteiligung fertiggekriegt.
({0})
Die bisherige Mutterschutzfrist wurde zum Mutterschaftsurlaub auf sechs Monate verlängert bei einer monatlichen Zahlung bis zu 750 DM als Lohnersatz. Hierbei geht es um Fragen des Lohnersatzes und nicht um Fragen eines Müttergeldes oder Familiengeldes, das ungeachtet eines Verdienstausfalls gezahlt werden soll. Ich könnte diese Liste noch beliebig verlängern.
Ich meine, daß wir uns mit dieser Bilanz unserer Familienpolitik sehen lassen können. Es wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, daß auch die Bevölkerung den konkreten Maßnahmen der sozialliberalen Koalition - davon bin ich fest überzeugt - mehr traut als dem, was Sie seit Jahren den Menschen draußen versprechen, ohne selbst daran zu denken,
({1})
diese Versprechungen zu verwirklichen oder aber auch nur es zu können. Sie werden nicht in der Lage sein, das, was Sie den Menschen draußen versprechen, zu verwirklichen.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst,
Herr Glombig, darf ich noch einmal auf folgendes hinweisen - das hat auch Frau Verhülsdonk gesagt -: Erstens. Selten ist so viel von so vielen für die Familie an Unterstützung gefordert worden wie in den vergangenen Jahren und wie in diesen Tagen. Wenn alles, wie Sie es dargestellt haben, in Ordnung wäre, würden nicht fast alle gesellschaftlichen Gruppen im Gleichklang und auch wir im Deutschen Bundestag wirksame Hilfen für die Familie fordern - und dies mit Recht -, konzeptionell durchdacht, finanziell abgesichert und im Einklang mit den Familien.
({0})
Zweitens. Wer sich einsetzt für die Unterstützung der Frau in Haushalt, Familie und Erziehung, wendet kein Gießkannenprinzip an, sondern ist sozial gerecht und tritt für die Erfüllung eines seit Jahren bestehenden Nachholbedarfs ein.
({1})
Wenn je die Familie problematisiert worden ist, wie man sagt, wenn je die Familie ideologisch in Wort und Tat vielfältig in Frage gestellt worden ist - Herr Glombig, Sie können sich davon überzeugen -, dann gerade durch das zuständige Ministerium und in einer Art und Weise, die wirklich dazu beigetragen hat, daß die Familien verunsichert werden mußten.
({2})
- Zum Beispiel der Zweite Familienbericht.
({3})
Ich nenne weiter die Aussagen des Ministeriums zum Jugendhilfegesetz, in denen es heißt, daß die Vierzehnjährigen Anträge auf Förderleistungen stellen können, ohne die Eltern darüber zu informieren.
Weiter führe ich an, daß in der Begründung zum Jugendhilfegesetz steht, daß schon bei einem Anpassungskonflikt der junge Mensch aus der Familie herausgenommen werden muß.
({4})
- Das steht wörtlich, ich glaube, auf Seite 156 in der Begründung des Jugendhilfegesetzentwurfs der Bundesregierung.
({5})
- Ich bringe es Ihnen gern schriftlich, Frau Kollegin, heute nachmittag noch.
Gibt es, so möchte ich fragen, aus der Sicht des Bundestags eine Jugendpolitik, die den Namen „Jugendpolitik" verdient? - Wohl kaum.
({6})
Für den Heizölkostenzuschuß wird mehr als doppelt soviel ausgegeben wie für den Bundesjugendplan. Insgesamt werden im Bereich der Jugendpolitik etwas weniger als 400 Millionen DM aufgewandt; zur
Förderung der Jugendarbeit werden 121604 DM verteilt.
Ich sage dies, um einmal die Relationen deutlich zu machen. Ich möchte darauf hinweisen, daß das Ministerium mehr eine Auszahlungsbehörde ist als ein gestaltendes Ministerium. Ober 90 % werden schlichtweg ausgezahlt, und zwar für Kindergeld. Aber es ist ja noch ein kleiner Gestaltungsraum da. Sie haben selbst von 0,3 % gesprochen. Aber auch dieser wird nicht genutzt. Sie drucken dafür buntes Papier, viele Broschüren und viele Anzeigen.
Viele haben bereits darauf hingewiesen, daß diese Schriftenflut und dieses Informationsmaterial, Frau Minister Huber,höchst fragwürdig ist. Ein Beispiel: Heute morgen wurde schon auf die Aktion un- ter der Überschrift „Das kommt in den besten Familien vor" hingewiesen. Da heißt es: „Aus dir wird nie ein richtiger Mann", „Laß mich in Ruh"', „Frag nicht so dumm", „Was auf dem Teller ist, wird gegessen", „Der Achmed kommt mir nicht ins Haus", „Paß ja auf, Jungen wollen immer das eine".
Das hat alles viel Geld gekostet; die Zahlen wurden heute morgen genannt. In solchen Informationsanzeigen in unseren Tageszeitungen werden Fragen angesprochen, die dann in den eigentlichen Broschüren ideologisch-pädagogisch beantwortet werden, aber ohne Herzlichkeit, ohne Raum für Spontaneität, ohne Natürlichkeit. Fast alles wird pädagogisiert und ideologisiert.
Wenn Sie ein Beispiel dafür brauchen: Sogar das Deutsch-Französische Jugendwerk leidet damn-ter. Ich verstehe, daß ein Abteilungsleiter Leiter des Deutsch-Französischen Jugendwerks werden möchte, denn es gibt ein experimentelles Sonderprogramm der Zärtlichkeit. In einem sonderbaren Training soll gezeigt werden,
wie die bestehende Herrschaftsstruktur „Zättlichkeit“ einschränkt. In der Gruppe dagegen soll Zärtlichkeit gelebt werden können. Im Gruppenleben sollen die Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen wie in Beziehung zur Zärtlichkeit, Machtkonflikten ... erfahren werden. Es dürfen nur Teilnehmer teilnehmen, die bereit sind, ihre Gefühle, Emotionen, auch Aggressionen nicht nur für sich zu behalten.
({7})
Ein zweites Beispiel dafür - Sie fragen ja immer nach Beispielen -, wie einseitig diese Vorhaben, Informationen sind - deswegen ist es kein Wunder, Frau Huber, daß auch Ihre Politikberatung einseitig ist -: Da gibt es ein Bundesjugendkuratorium. Es hat eine Terrorstudie verfaßt. Darin heißt es, daß der Terrorismus als das Extremverhalten einer winzigen, isolierten Gruppe junger Menschen angesehen wird, daß es aber andererseits nur eine Form der zahlreichen Variationen des Rückzugs Jugendlicher aus unserer Gesellschaft ist. Es handele sich hier also um ein Symptom für die Krankheit des sozialen, politischen und kulturellen Lebens. Wenn das stimmen würde, Frau Huber, müßten Sie sozusagen gegen die gesamte Gesellschaft zu Felde ziehen.
({8})
Ihre Politikberatung ist einseitig. Es ist sehr traurig, daß Sie, Frau Huber, und Ihr Ministerium ausschließlich unter dieser Perspektive beraten werden. Deswegen gibt es so viele Beispiele dafür, daß einseitig gefördert, beraten und informiert wird.
Wenn das an Beispielen noch nicht genügt, dann ist auf den vierten Jugendbericht hinzuweisen, in dem ein klassenkämpferisches Konzept entwickelt wird, so daß sich der angesehene sozialdemokratische Jugendforscher Jaide der weiteren Mitarbeit verweigern mußte und ein Minderheitenvotum erstellt hat.
({9})
Es ist also kein Wunder, daß diese Bundesregierung infolge dieser Politikberatung und Ihrer eigenen verengten ideologischen Sicht die junge Generation fast ausschließlich aus der Perspektive der unglücklichen und kranken Ränder sieht. Es gibt kranke Bereiche, unglückliche junge Menschen. Es gibt die Drogensucht, es gibt den zunehmenden Alkoholismus.
Übrigens Drogensucht: Ich finde, es ist unverantwortlich, Frau Minister, daß Sie die Drogenszene wiederum verniedlicht haben. Sie haben gesagt, es gebe zwar mehr Drogentote, aber weniger Konsumenten. Haschisch wird sozusagen am laufenden Band verniedlicht, obgleich mittlerweile alle zu der Erkenntnis gelangt sind, daß es sich hierbei um eine äußerst gefährliche Droge handelt. Sie haben nach Lage der Dinge, angesichts der traurigen Bilanz, die ich jetzt politisch nicht bewerten will, überhaupt keinen Anlaß, die Drogenszene auch nur mit irgendeinem Wort oder in einem Halbsatz zu verniedlichen.
({10})
Vielmehr haben wir alle Anlaß, gemeinsam alle Anstrengungen zu unternehmen, um diesem schleichenden Gift zu begegnen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Kroll-Schlüter, könnten wir uns darauf einigen, daß es furchtbar wenig einbringt, die Dunkelziffer bei den Drogenverbrauchern zählen zu wollen - das bringt so wenig ein, wie das bei der Dunkelziffer der Schwangerschaftsabbrüche der Fall ist -, und sollten wir nicht gemeinsam von der Frage, wie hoch die Dunkelziffer ist, und den Meinungsverschiedenheiten darüber übergehen zur Frage, was wir tun müssen?
Wir haben deswegen in jüngster Zeit mehrere Initiativen vorgelegt. Ich bin ebenfalls nicht der Meinung, daß man mit Dunkelziffern operieren sollte. Das habe ich auch nicht
getan. Das ist etwas für Dunkelmänner, aber nichts für die politische Auseinandersetzung.
({0})
Ihre Betrachtung, Frau Huber, die Sie immer anstellen, und auch Ihre praktische Politik, beziehen sich immer auf diese Bereiche der Randgruppen. So wichtig diese Sicht auch ist, so wird dadurch doch sozusagen eine gewisse Faszination der kranken Ränder erzeugt. Die eigentliche Auseinandersetzung über die Jugendhilfe und auch über andere jugendpolitische Themen wird dabei vernachlässigt. Für die lebendige Mitte ist zuwenig gemacht worden und wird zuwenig gemacht. In der Mitte ist zuwenig los. Es gibt zuwenig Phantasie, zuwenig Herausforderung. Ihre Politik der Betrachtung von den kranken Rändern her führt zu einem Bild der jungen Generation, das so aussieht, als wäre die ganze junge Generation krank. Wenn Sie Zeitungen oder Ihre Informationsbroschüre lesen, erscheint es immer so, als wären alle krank. Infolgedessen behandeln Sie den jungen Menschen wie einen Patienten und betreiben eine fehlgeleitete, nicht erfolgversprechende Jugend- und Familienpolitik,
({1})
weil Sie den falschen Ansatz haben, weil Sie die falsche Betrachtung haben und weil Sie die falsche Politikberatung haben. Insofern ist Ihre Politik - Sie müssen es doch auch an der Kritik und der fehlenden Resonanz draußen im Lande spüren - auf dem falschen Wege. Eine jugendpolitische Wende ist notwendig.
({2})
Seit unserer Großen Anfrage zur Drogensituation junger Menschen, zu Jugendkriminalität, Alkoholismus usw. haben wir mehrere Initiativen ergriffen. Wir sind dabei davon ausgegangen, daß das Suchtproblem durch mehrere Faktoren bestimmt wird - vielleicht können wir uns darauf einigen -: materielle Hindernisse, fehlende Erfolgserlebnisse, mangelnde menschliche Kontakte, Konzentration aller Lebensbereiche, zuviel Bürokratie, das Fehlen von Wertvorstellungen.
Ich rufe noch einmal in Erinnerung, was der Bundeskanzler in dieser Woche zur Familie gesagt hat: weil es mal 6 Mrd. Menschen geben könnte, sei sozusagen eine Familienförderung hier nicht mehr notwendig. Wenn das eine Zukunftsperspektive für junge Menschen sein soll, braucht man sich über deren Reaktion nicht zu wundern.
({3})
Es gibt Probleme in Familie und Schule.
({4}) Es gibt auch Konflikte. Es gibt auch Angst.
({5})
Herr Fiebig, zu dem Stichwort Leistungsdruck: Sollten wir uns nicht einmal darauf verständigen, was das eigentlich heißt? Ist es wirklich so, daß zu viel verlangt wird, oder ist es nicht vielmehr so, daß ohne Orientierung, ohne wertgebundene Erziehung, ohne Perspektive so vieles verlangt wird und so viele nicht mehr wissen, wofür eigentlich? Ist es nicht deswegen so, daß es mehr einen psychologischen Druck gibt, weil so viele junge Menschen nicht mehr sagen können, wohin eigentlich die Reise geht? Wenn Sie mit einem jungen Menschen sprechen würden, um ihn zu fragen: „Wohin geht dieses Land, welches Ziel haben wir, welche außenpolitische Zielsetzung haben wir?", er hätte es sehr schwer, darauf eine Antwort zu geben.
({6})
Es ist ein Beweis der Schwäche dieser Bundesre gierung, wenn sie nicht den Mut aufbringt, gegen bestimmte Strömungen, weil es noch nicht modern oder populär ist, anzugehen.
Herr Eimer, wenden Sie sich ganz massiv gegen die Forderung der Jungdemokraten, Haschisch zuzulassen,
({7})
und zwar in einer überzeugenden Weise. Wenden Sie sich dagegen und stellen Sie klar, daß Haschisch mehr ist als eine Einstiegsdroge.
Wichtig ist, finde ich, um in diesem Bereich wirklich Erfolg zu haben, eine klare Analyse, eine Verdeutlichung der unterschiedlichen Positionen. Wichtig ist, Frau Huber, daß Sie sich von Ihrer Politikberatung und den falschen ideologischen Ansätzen lösen. Wichtig ist, daß der Staat bescheidener wird.
({8})
Wichtig ist, daß wir den jungen Menschen und der Familie wieder mehr zutrauen. Wir haben allen Anlaß dazu.
({9})
Der Staat und vor allem diese Bundesregierung wären gut beraten, wenn sie sich selber weniger und den Familien und den jungen Menschen mehr zutrauen würden, damit sie wieder mehr dem Staat vertrauen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kroll-Schlüter, ich hätte hier gern mit Ihnen diskutiert. Aber ich muß sagen, daß Sie das, was Sie in der Vergangenheit geboten haben, auch heute nicht besser haben darstellen können. Es waren überwiegend Sprechblasen, und dort, wo ich versucht habe, Klarheit in Ihre Gedankengänge hineinzubringen, erschienen sie mir höchst widersprüchlich. Oder wie soll man verstehen, daß Sie der Bundesregierung auf der einen Seite vorwerfen, sie kümmere sich zuviel um die kranken Ränder in der Gesellschaft und nicht um das Gros der Jugendlichen, und auf der anderen Seite dem von der Bundesregierung vorgelegten Jugendhilfegesetzentwurf nachsagen, mit ihm
solle auch in die heilen Familien eingegriffen werden?
({0})
Mir scheinen Ihre Sprechblasen eher die Probleme zu vernebeln, als Klarheit und klare Orientierungslinien für einen neuen Ansatz in der Jugendpolitik zu bringen.
({1})
Ich wollte zu dem, was vorher gesagt wurde, Herr Kollege Schwarz, nur zwei Bemerkungen machen. Der bevölkerungspolitische Ansatz Ihrer Familienpolitik, insbesondere des Familiengeldes, ist in den Ausführungen von Frau Verhülsdonk trotz aller Dementis deutlich geworden. Das nehmen wir zur Kenntnis, wenngleich wir es mit einem alten griechischen Philosophen halten, der einmal gesagt hat: Geld kann keine Jungen hecken.
({2})
- Ich glaube, es war Aristoteles. - Das gilt sicherlich nicht nur für die Zinstheorie, sondern natürlich auch für die Familienpolitik, wenn Sie damit Bevölkerungspolitik machen wollen.
In diesem Zusammenhang müßte vielleicht noch etwas Zweites angemerkt werden. Sie versuchen, über Familiengeld Bevölkerungspolitik zu machen. Das ist eigentlich nichts anderes - Herr Kollege Franke hat das hier vor einem Dreivierteljahr auch einmal so genannt - als eine Art indirekte Investitionslenkung - Sie haben damals von Investitionen gesprochen als eine Art Globalsteuerung, wo Sie versuchen wollen, mit Geld
({3})
- das geht über Ihren Verstand, Herr Kollege Hasinger; das habe ich schon lange geahnt - die Bevölkerungsentwicklung zu steuern.
({4})
Meine Damen und Herren, ich wollte versuchen, etwas über die Situation unserer Jugend zu sagen. Herr Kollege Kroll-Schlüter hat sicherlich recht, wenn er sagt: Wir dürfen nicht immer so tun, als sei der größere Teil der Jugendlichen eine Gruppe von Gammlern, Fixern, Sektenjüngern, Alkoholikern oder möglicherweise Politgangstern. Aber über eines sind wir uns wohl einig: daß die Jugend in unserer Gesellschaft Probleme hat, allerdings nicht nur Probleme, die von der Regierung verursacht sind, sondern auch solche, die von einer gesellschaftlichen Entwicklung mit beeinflußt sind, bedingt durch rapiden technologischen Fortschritt, und wo Gesellschaft aus sehr vielen Gruppen, Orientierungen und Verbänden besteht und wo der Staat aus vielen verschiedenen Ebenen besteht. - Frau Kollegin Wex, Sie wissen es hoffentlich, auch wenn Sie so tun, als würde hier die Bartwickelmaschine bei Ihnen arbeiten.
({5})
Die Einflüsse, die auf die Jugend einwirken, kommen von sehr vielen verschiedenen Seiten. Unter den Jugendlichen gibt es einen großen Bereich, der davon im Kern nicht getroffen ist und der es lernt, in diese Gesellschaft ohne besonders große Konflikte hineinzuwachsen.
Dann gibt es eine Gruppe, die ein alternatives Leben in einer neuen jugendlichen Subkultur sucht; das sind manchmal nicht die Schlechtesten. Sie halten uns einen Spiegel vor. Dazu möchte ich ein Zitat aus der Zeitschrift „Jugendwohl" des Caritasverbandes bringen. Der Diplom-Theologe Fritz Boll sagt dort:
Betrachtet man aus dem breit gefächerten Spektrum der alternativen Lebensformen die sogenannte jugendliche Subkultur, dann fällt auf, daß hier Normen und Werte vertreten werden, die den von Ohnmachtsgefühlen und von Sinnverlust geplagten heutigen Menschen nachdenklich stimmen können. Diese Subkultur zeichnet sich dadurch aus, daß sie Alltag ohne zusätzliche Unterdrückung erleben will. Sie plädiert für eine Selbstorganisation der Bedürfnisse. Sie versucht, Solidarität und gegenseitige Hilfe zu realisieren. Sie ist für Dezentralisierung und Vorwegnahme von Herrschaftslosigkeit. Sie schreibt inhaltliche Demokratisierung, Spontaneität, Überschaubarkeit, Befriedigung der verdrängten Bedürfnisse, Autonomie und Kooperation, Kreativität und Phantasie auf ihr Programm.
Meine Damen und Herren, wenn das so ist und Herr Boll recht hat - ich glaube, er hat in vielem recht, was er hier schreibt -, dann sollten wir das, was von dort kommt, als Signal auch für unsere Politik verstehen. Das gilt dann nicht nur für die Jugendpolitik, sondern auch für die Kommunalpolitik, wo Jugendliche mehr Partizipation erwarten dürfen; und das gilt für die Wirtschaftspolitik, wo Jugendliche mehr Dezentralisierung erwarten dürfen; und das gilt für die Technologiepolitik, wo Jugendliche erwarten dürfen, daß wir ihre Forderungen nach Entwicklung und Anwendung sanfter Technologien ernster nehmen als bisher; und das gilt auch für die Bildungspolitik, wo Jugendliche erwarten können, daß die Förderung von Sozialverhalten mindestens so stark honoriert wird wie das Absolvieren klassischer Leistungen.
Ich möchte nun auf das kommen, was der Ministerpräsident von Bayern uns vor zwei Tagen hier vorgetragen hat, als er dem Hohen Hause anvertraute, daß sich die bayerischen Schulkinder in seinem gegliederten Schulsystem so besonders glücklich fühlten. Am selben Tage erschien in der Süddeutschen Zeitung, die ich allen für solche Gelegenheiten zur Lektüre empfehle, ein Alarmbrief von 400 Schülern aus der Pullacher Oberstufe, die wörtlich an den bayerischen Kultusminister geschrieben haben:
Gepriesen wird er, der Abiturdurchschnitt der bayerischen Abiturienten, der sich über die Abiturienten anderer Bundesländer erhebt. Wen wundert's, daß die für Lehrer, Schüler und ElKuhlwein
tern oft gleichermaßen leidensvolle Schulzeit im Rausch der Spitzennoten vergessen wird!
({6})
- Das ist ein Brief, Herr namenloser Kollege, in dem sich die 17- bis 19jährigen Schüler bitter beklagen, daß - -({7})
- Entschuldigen Sie, ich kenne Sie nicht.
({8})
- Herr Präsident, dürfte ich Sie bitten, dafür zu sorgen, daß ich hier reden kann!
({9})
Das ist also ein Brief, in dem sich die 17- bis 19jährigen bitter beklagen, daß im heutigen, vom Leistungsdruck geprägten Schulsystem die Entwicklung zum verantwortungsbewußten, ideenreichen und argumentationsfreudigen Menschen auf der Strecke bleibt. Und das sind bayerische Schüler, die unter Franz Josef Strauß aufwachsen und die segensreiche Tätigkeit des bayerischen Kultusministers erfahren müssen.
({10})
Wenn das richtig ist, ziehe ich die Schlußfolgerung, daß an den bayerischen Schulen offenbar auch Staatsverdrossenheit, Entmutigung und Desinteresse gezüchtet werden. Meine Damen und Herren, ich habe keine Lust - und wir werden das auch den Wählern draußen sagen -, diese bayerischen Spezialitäten in die gesamte Republik exportieren zu lassen.
({11})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Ich habe nur zehn Minuten; ich habe keine Zeit dafür.
Aber möglicherweise sind ja die von ihm bestimmten Grundpositionen Ausfluß seiner Kampagne gegen die von der sozialliberalen Koalition angeblich gestartete kulturrevolutionäre Umwälzung. Wir erinnern uns, daß der bayerische Ministerpräsident vor kurzem auf einem CSU-Kongreß in München die Rückkehr zu den traditionellen Werten unserer bürgerlichen Gesellschaft gefordert hat, Werten wie Wahrhaftigkeit, Gewissenhaftigkeit, Leistung und Disziplin.
({0})
Da frage ich dann, ob die deutsche Jugend sich denn
an der Wahrhaftigkeit von Herrn Zimmermann
orientieren soll, ob die deutsche Jugend sich an der
Gewissenhaftigkeit von Herrn Tandler orientieren soll,
({1})
ob sich die deutsche Jugend an den Leistungen bayerischer Grenzbehörden orientieren soll oder an der Selbstdisziplin von Herrn Strauß.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist gut, daß junge Menschen sehr wohl zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Anspruch und tatsächlichem Verhalten in unserer Gesellschaft unterscheiden können, daß sie ihre eigene Wertordnung sehr viel rigoroser praktizieren, als das leider viele Politiker in Sonntagsreden tun, wenn sie die überlieferten Werte beschreiben und beschwören.
({3})
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
Die Nominierung des CSU-Vorsitzenden zum Kandidaten der Union hat die Distanz zwischen unserer politischen Kultur und der jugendlichen Subkultur eher noch vergrößert.
Meine Damen und Herren, einige Sätze noch zum Jugendhilfegesetz, weil das von Ihnen ja immer als Schlagstock gegen die angeblich familienzerstörerischen Absichten der sozialliberalen Koalition mißbraucht wird. Wir haben im Ausschuß bisher einigermaßen sachliche Diskussionen darüber führen können.
({0})
und sind uns in dieser Frage auch nähergekommen. Herr Kollege Gerster, Sie sollten sich von Ihren Kollegen einmal informieren lassen, wie der Stand der Beratungen ist.
({1})
Ich will nur eines sagen: Für uns ist die Frage nicht die, ob man die freien Träger, deren Arbeit wir respektieren und anerkennen, insbesondere die großen Wohlfahrtsverbände, vor allem aber auch die Jugendverbände, wie bisher mit starkem Nachdruck in die Arbeit der Jugendhilfe einbeziehen sollte. Das ist für uns nicht der Dollpunkt. Wir wollen darüber auch keinen ideologisch überhöhten Streit führen. Wenn es Ihnen ernst damit ist, das Jugendhilfegesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden, dann will ich hiermit deutlich machen, daß wir in dieser Frage zum Entgegenkommen bereit sind, gerade weil wir das Engagement der Kirchen in der
Jugendhilfe und in der Sozialarbeit schätzen und wie bisher zum Zuge kommen lassen wollen.
({2})
Aber wir wollen gleichzeitig sicherstellen, daß auch die Gruppen, die alternative Jugendhilfe versuchen, Selbsthilfeorganisationen, Bürgerinitiativen, Jugendinitiativen, Elterngruppen, die nicht den großen Organisationen angehören, in der Jugendhilfe mitarbeiten können, weil es, glaube ich, falsch verstandene Subsidiarität wäre - Herr Kollege Blüm, Sie haben vor zwei Tagen hier einige Ausführungen zu dem Begriff gemacht -, wenn man sagte: der Staat darf nicht, Diakonisches Werk, Caritas und Arbeiterwohlfahrt dürfen, aber Bürgerinitiativen und Jugendgruppen dürfen wieder nicht, obwohl gerade sie es sind, die unmittelbar die Interessen der Betroffenen organisieren und die auch heute noch am besten imstande sind, ehrenamtliches Engagement auf die Beine zu bringen.
Ich möchte Sie dringend bitten, diesen Appell auch an die von Ihnen regierten Länder weiterzuleiten und sich vielleicht in Ihrer Fraktion einmal darüber zu unterhalten. Die gesamte Fachwelt und inzwischen auch die beiden großen Kirchen sind mit uns der Meinung, daß das Jugendhilfegesetz, wenn es noch eine Chance haben soll, in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden muß. Wir brauchen dazu, weil es zustimmungsbedürftig ist, die Unterstützung der Union, hoffentlich schon in diesem Hause, zumindest im Bundesrat. Ich möchte Sie dringend bitten, darüber in einen sachlicheren Dialog als bisher mit uns einzutreten. Ich danke für die Zwischenrufe und die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Höpfinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kuhlwein, ich habe den Eindruck, Sie haben den Saal verwechselt. Sie haben hier ein Referat gehalten, daß Sie sonst wahrscheinlich irgendwo bei einer Juso-Veranstaltung halten; Sie haben aber nicht zum Parlament gesprochen.
({0})
Im übrigen darf ich Ihnen sagen, wenn Sie hier fortwährend andere Persönlichkeiten anziehen, Sie sollten sich einmal daran erinnern, daß man nicht so sehr den Splitter im Auge des Nachbarn, sondern den Balken im eigenen Auge sehen sollte.
({1})
Wenn man Ihre Menschenfreundlichkeit sieht und dann hört, wie Sie an die Sachlichkeit der anderen appellieren, dabei aber selbst sehr unsachlich werden, dann kann man nur sagen, Herr Kollege: So geht es wirklich nicht.
({2})
Ich möchte noch zu einigen anderen Vorwürfen in dieser Aussprache Stellung nehmen. Da ist zuerst einmal das Verhalten mehrerer Redner gegenüber unserem Kollegen Blüm. Man merkt, es schlägt ihm Kühle entgegen, abwertende Bemerkungen, aber keiner der politischen Gegner war in der Lage, die Zahlen, die Norbert Blüm auf den Tisch gelegt hat, zu widerlegen.
({3})
Sie fauchen und Sie kochen vor Ärger, nur weil es ein Kollege der CDU/CSU einmal unternommen hat, den Trennungsstrich zwischen SPD und CDU/ CSU aufzuzeigen.
({4})
Es ist immer dasselbe Lied: Sie sind sehr stark im Geben, aber oft mimosenhaft im Nehmen.
({5})
Ich meine, Demokraten sollten eigentlich stärker sein.
({6})
Ich habe die Rede von Norbert Blüm für hervorragend gehalten.
({7})
- Ja, doch!
({8})
Nun zum Herrn Arbeitsminister Dr. Ehrenberg. Herr Minister, Sie haben die Höhe der Renten am Nettoeinkommen gemessen und stolz verkündet, zu 73 % komme die Rente nun bis an die Nettoeinkommen heran. Sie haben natürlich sehr genau gewußt, daß Sie verschweigen, daß die Abzüge eines im Erwerbsleben Stehenden im Jahre 1970 24% betragen haben, während heute, 1978/79, von seinem Bruttoeinkommen 32 % abgezogen werden. Weil also die Belastung der Erwerbstätigen so hoch ist, kommt die Rente mit diesem von Ihnen genannten Prozentsatz an die Nettoeinkommen heran. Das ist also der Grund. Sie nehmen den Erwerbstätigen viel mehr weg.
Ich darf hier noch einmal zum Rentenproblem sagen, das System der sozialen Sicherheit -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgordneten Cronenberg?
Jetzt bitte nicht, Herr Kollege, weil die Zeit sehr kurz bemessen ist; sonst sehr gerne, aber ich möchte auf einige Fragen eingehen. Es ist meines Erachtens auch eine Rückantwort auf die Argumente, die hier vorgetragen wurden.
Ich sage noch einmal: Das System der sozialen Sicherheit wurde von der Union geschaffen. Die Erwerbstätigen und die Rentner hatten Vertrauen zu diesem Rentensystem. Ihre Politik ist es, die dieses Vertrauen erschüttert hat.
({0})
Und warum? Nehmen wir doch nur einmal die Pressemeldungen der letzten Wochen und Monate.
({1})
Da findet ein wochenlanger Streit darüber statt, ob nun eine Beitragserhöhung durchgeführt wird oder nicht, obwohl sie im 21 Rentenanpassungsgesetz schon beschlossen ist. Da wird zwischen FDP und SPD diskutiert: Gibt es nun die Nettorente, oder gibt es ein Zurück zur bruttolohnbezogenen Anpassung? Der Minister Ehrenberg verkündet die Maschinensteuer, die Frau Staatssekretärin Fuchs verkündet, daß die Mittel des Steuersplittings doch eigentlich am besten der Rentenversicherung und nicht den Familien zugeführt werden sollten. Da wird die Rentenversicherung für alle gefordert; da ist wieder von der Sockelrente, von der Grundversorgung, von der Rentenbesteuerung die Rede.
Man braucht sich dann nicht darüber zu wundern, daß eine große Zeitung in der Bundesrepublik Deutschland schreibt: „das Bangen der Rentner". Ich füge hinzu: das Bangen der Versicherten, denn die Folgen all der Entscheidungen, die heute getroffen werden, haben doch jene mitzutragen, die heute sagen: Was wir an Beiträgen zahlen, wissen wir sehr wohl, aber hinter das, was wir einmal an Rente bekommen werden, müssen wir bei dieser Regierung mehrere Fragezeichen setzen. Das ist also die Situation.
({2})
Herr Dr. Ehrenberg und Herr Kollege Ewen haben gesagt, die Rentenversicherung sei nun wieder saniert, die Finanzlage sei jetzt besser. Gut, zählen wir die drei Dinge auf, die dazu geführt haben: einmal die wirtschaftliche Entwicklung und infolgedessen größere Beitragseinnahmen.
({3})
Zweitens ist - und das dürfen wir nicht verkennen - der Abbau der Rücklagen bei den Rentenversicherungsträgern total erfolgt. Wir haben jetzt noch 1,7 Monatsraten als Rücklage. Und das dritte, was nicht vergessen werden darf - sagen wir es doch in aller Offenheit -: Die Rentner selber haben für diese Sanierung herhalten müssen, denn die Rentenanpassungen von 4,5 % im Jahre 1979, von 4 % im Jahre 1980 und von 4% im Jahre 1981 sind doch nichts anderes als ein Weg zur Sanierung der Rentenversicherung. Herr Minister, Sie bringen immer wieder den Vergleich mit 1958. Dieser Vergleich geht einfach an der Wirklichkeit vorbei; es ist ein Vergleich wie das Austauschen von Äpfeln und Birnen.
Sie sagen dann, wir hätten keine Lösungsvorschläge. Hier darf ich an die Stellungnahme erinnern, die unser Arbeitskreisvorsitzender, der Kollege Heinrich Franke, abgegeben hat. Dort wird in zwölf Punkten aufgezeigt, wie die Union sich den Weg in der Rentenversicherung vorstellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum nehmen Sie von diesen Vorschlägen keine Kenntnis?
Ich möchte auch noch einmal an folgendes erinnern. Die CDU/CSU hat den Weg in der Rentensanierung nicht nur aufgezeigt, sie ist diesen Weg auch gegangen.
({4})
Mit der SPD hatten wir doch den Krankenversicherungsbeitrag beschlossen. Sie haben 1969 diesen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner wieder aufgegeben und haben das Geld an die Rentner zurückgezahlt.
({5})
Und warum? Weil Sie den Rentnern nach der Regierungsübernahme 1969 100 DM Weihnachtsgeld versprochen haben. Dann haben Sie das Geld nicht gehabt, und daraufhin haben Sie 50 DM versprochen. Die waren auch nicht da, und dann haben Sie das getan, was man an und für sich nicht tun sollte, Sie haben nämlich das Geld einer Sozialversicherungseinrichtung, eben der Krankenversicherung, genommen und es den Rentnern zurückgegeben. Wir sind also den Weg zur Sanierung der Rentenversicherung sehr wohl gegangen.
Zum Rententhema möchte ich sagen, daß Sie sich darauf verlassen können: Wir werden all unsere Kraft aufwenden,
({6})
damit die 84er Rentenreform in der Regierungsverantwortung der CDU/CSU durchgeführt wird, finanzpolitisch klar, ordnungspolitisch sauber und sozialpolitisch gerecht.
({7})
Dann darf ich mich noch dem Thema „Familie" zuwenden.
({8})
Da wird immer von der materiellen Situation gesprochen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie oft wurde sowohl in den Ausschüssen als auch in Reden und Ansprachen - ob draußen oder hier - gesagt: Erstens muß man sehen, wie die Situation ist, muß sehen, was ist und wie sich die. Situation darstellt. Zweitens kann man nicht nur die finanzielle Seite berücksichtigen, obwohl es, um das sehr deutlich zu sagen, mit schönen Reden allein auch nicht getan ist. Man muß vor allem die Eigenverantwortung des Bürgers wieder ansprechen. Wir reden so viel von der Freiheit und vergessen dabei oft, zu sagen, daß zur Freiheit auch das Gleichmaß an persönlicher Verantwortung gehört. Wenn es irgendwo zum Tragen kommen muß, dann doch im privaten Bereich von Ehe und Familie! Darum ist hier die Eigenverantwortung so stark mit anzusprechen.
Ich komme zweitens zur Familie und Gesellschaft. Wie sieht denn in unserer Gesellschaft das Verhalten gegenüber unseren Familien aus? Wie reagiert man gegenüber Kindern im Haus, in Wohngebieten, im Straßenverkehr? Kinder spüren sehr wohl, ob sie angenommen sind oder ob sie überall weggedrängt werden. Wir, die Verantwortlichen im
politischen Bereich, quer durch alle Fraktionen, haben vor allem an die Medien die Bitte zu richten, das Familienleben positiver darzustellen, und zwar in Presse, Funk und Fernsehen, weil so viele Menschen von diesen Medien abhängen und ihre Meinung bilden. Ich glaube, wenn man auf diesem Wege eine positive Einstellung zur Familie mit vorbereiten kann, dann ist das das Beste, was man mit diesen Einrichtungen gegenüber unseren Familien tun kann.
({9})
Ich komme zum gesetzlichen Schutz. Ich weiß, wie oft Sie Ihre gesetzlichen Reformen der letzten Jahre als positiv herausstellen. Aber Sie sollten sich auch einmal ehrlich fragen, welche Negativwirkungen Ihre Reformen auf die Familie gehabt haben.
({10})
Sie können sagen, das Scheidungsrecht habe sich bewährt. Wahrheit bleibt doch, daß derjenige, der aus dieser Gemeinschaft herauswill, auf jeden Fall herauskommt, weil diese Gemeinschaft durch Zeitablauf gelöst wird.
({11})
Ich komme zur Reform des § 218. Herr Kollege und Fraktionsvorsitzender Wehner, Sie selber sahen sich veranlaßt, im Frühjahr dieses Jahres einen Brief an Ihre Fraktionskollegen zu schreiben, um auf die Zielsetzung dieser Reform des § 218 hinzuweisen, die Sie selber zugrunde gelegt haben. Das heißt: die Reform muß meilenweit selbst an dem vorbeigegangen sein, was Sie wollten.
({12})
Sonst wäre es nicht nötig gewesen, daß Sie Ihre eigenen Leute anschreiben.
Ich sehe, daß das rote Licht aufleuchtet, und möchte hier nicht über meine Zeit hinaus reden.
({13})
Ich komme deshalb zum Schluß. Wenn man das emsige Bemühen der SPD in Sachen Familienpolitik beobachtet, dann kommt man zu dem Schluß: Sie haben entdeckt, daß unter den vielen Schwachpunkten Ihrer Politik die Familienpolitik der schwächste Punkt Ihrer Politik ist.
({14})
- Ja, sicher, weil jetzt etwas kommt. Wenn Sie die Parole ausgeben „Sicherheit für die 80er Jahre",
({15})
dann gleicht diese Parole einem ungedeckten Scheck.
({16})
Darauf würde ich wirklich nichts geben.
Sie können nicht erwarten, daß wir dieser Ihrer Politik oder diesen beiden Haushalten zustimmen.
({17})
Wir sind der Meinung, eine Wende in der Gesamtpolitik ist erforderlich. Die Familien haben eine bessere Politik verdient, eine Familienpolitik, gestaltet von der CDU/CSU.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Kürze werden nicht nur die Familien, sondern alle Wahlberechtigten in der Bundesrepublik zu entscheiden haben,
({0})
wer für die nächsten Jahre Familienpolitik betreiben wird.
({1})
Sie, Herr Kollege Höpfinger, haben soeben gesagt, wir hätten uns zu sehr und zu engagiert mit der Rede des Herrn Kollegen Blüm auseinandergesetzt und wir sollten mehr „nehmen" können. Ich möchte das aufnehmen und möchte das, was Sie gesagt haben, schlicht und einfach hinnehmen; denn es lohnt nicht die Auseinandersetzung.
({2})
Ich will nur an einem Punkt anknüpfen und noch eine Feststellung treffen. Sie haben soeben für das Maß verfehlter Familienpolitik u. a. das Scheidungsrecht ins Spiel gebracht. Ich frage Sie: Wie glaubwürdig wollen Sie eigentlich sein, bleiben oder genommen werden, wenn Sie hier die Scheidungsautomatik des neuen Scheidungsrechtes erwähnen und sagen, die könnten auseinanderlaufen, ohne daß der Staat einen Zwang aufrechterhalte? Wir reden doch wohl die ganze Zeit über intakte Familien. Das alte Scheidungsrecht hat zwar in vielen Fällen Scheidungen unmöglich gemacht, aber es hat nicht bewirken können, daß die Familien intakt geblieben wären.
({3})
Da ist doch Unaufrichtigkeit im Spiel, da sind doch zwei, die gar keine Partner mehr sind, aneinandergekettet worden, und sie haben zum Teil gar nicht mehr miteinander gelebt. Sie waren nur rechtlich noch eine Gemeinschaft. Ist denn das Ihr Ideal, sind das Ihre Zielvorstellungen in der Familienpolitik? Dann kann ich nur sagen: Sie tun mir leid.
({4})
Sie reklamieren - Sie haben das getan, Herr Kroll-Schlüter hat das getan - Eigenverantwortung; wir sollten den Familien mehr zutrauen. Ja, wer traut ihnen denn so wenig zu? Ich habe soeben einmal in das Amtliche Handbuch des Deutschen Bundestages geschaut, Herr Kollege Höpfinger. Sie sind vom Geburtsjahrgang 1925, und ausweislich des Handbuches haben Sie zwei Kinder. Ich kann also wohl davon ausgehen, daß die Kinder in Ihrer Ehe zu einer Zeit gezeugt worden sind, als es familienerJaunich
gänzende Leistungen in diesem Lande so gut wie gar nicht gab, als es für diese Ihre Kinder auch kaum eine greifbare, voraussehbare Zukunft gab. Das, was ich hier jetzt an Ihrem Beispiel aufzäume, gilt wohl für sehr viele Damen und Herren dieses Hauses.
({5})
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe; ich bitte, doch Platz zu nehmen.
Im Gegensatz zu manchem Abgeordneten der Union wollen wir niemandem vorschreiben, wieviel Kinder er zu zeugen und aufzuziehen hat.
({0})
Das sollte wohl doch die freie Entscheidung der Partner sein.
({1})
Insofern trauen wir den Familien in der Tat mehr zu, als Sie das tun; denn wir setzen bei ihnen den freien Willen und die freie Entscheidung voraus. Alle Ihre Diskriminierungsreden zu diesem Thema werden nichts daran ändern.
Eine letzte Feststellung zu Ihren Bemerkungen, Herr Kollege Höpfinger. Sie haben hier offensichtlich als letzter Redner der Unionsparteien innerhalb dieser Debattenrunde gesprochen. Auch Sie haben die Chance versäumt, uns einmal zu sagen, wie denn die Vorstellungen der Union in der Rentenfrage für die Zeit nach 1984 sind. Auch Sie haben hier keinerlei Andeutung gemacht, wohin, in welche Richtung die Reise gehen soll. Sie haben an dem einen und dem anderen herumgemäkelt, aber einen Weg haben Sie hier nicht aufgezeigt.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Sätze zu der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" sagen. Wir wollen im Rahmen dieser Debatte in zweiter und dritter Lesung die Aufstockung ihres Kapitals hier beschließen. Dieser Gesetzentwurf ist in den zuständigen Ausschüssen dankenswerterweise zügig beraten und dem Parlament heute unverändert zur Beschlußfassung zugeleitet worden.
({2})
- Einvernehmlich, natürlich! Nur, von Ihnen habe
ich dazu im Laufe dieser Debatte nichts gehört. ({3})
Der Gesetzentwurf sieht vor, daß Leistungen angehoben und finanziell abgesichert werden. Immer wieder werden wir an die Vorgeschichte dieses Vorfalls erinnert. Dies muß uns Mahnung für unsere politische Arbeit auf den verschiedensten Feldern der Gesundheitspolitik sein. Wir haben unsere Beiträge geleistet in der Hoffnung, daß uns eine solche Katastrophe, die zu einem solchen Handeln zwingt, nicht noch einmal erreichen wird.
Wir sollten uns heute nicht weiter damit aufhalten, daß der Stiftung wegen der verzögerten Zahlungen eines Treuhänders erhebliche Zinsverluste entstanden sind; die Tatsachen sind bekannt. Wir müssen nunmehr unseren Bundesanteil aufstocken, damit die Leistungen an die Begünstigten gesichert bleiben. Die wegen Contergan-Schäden behinderten Mitbürger - es handelt sich ja heute nicht mehr um Kinder, sonder weitgehendst um Erwachsene - erhalten im übrigen auch alle die Leistungen, z. B. nach dem Reha-Angleichungsgesetz und dem Schwerbehindertengesetz, die auch den übrigen Behinderten zustehen. Durch zahlreiche Reformgesetze haben wir seit 1969 auch die Situation aller behinderten Kinder - unabhängig von der Art und unabhängig von der Ursache ihrer Behinderung - wesentlich verbessert. Diesen Weg gilt es fortzusetzen.
Wir werden diesem Gesetzentwurf betreffend die Aufstockung der Mittel für die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" zustimmen.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Ich rufe den Einzelplan 11 auf. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU und ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor.
Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 8 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3494 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/3503 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3485 unter den Ziffern I und II auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11. Wer dem Einzelplan 11 in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 11 ist angenommen.
({0})
Ich rufe wieder den Einzelplan 15 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 8/3474 unter Ziffer 10 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Vizepräsident Wurbs
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Wer dem Einzelplan 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 15 ist angenommen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" - Drucksachen 8/3293, 8/3451, 8/3489 -.
Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort in der dritten Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Es liegen zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit vor.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3451 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3451 unter Ziffer 3, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
- Drucksache 8/3391 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Dübber Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? ({1})
- Der Berichterstatter verzichtet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem wiederholt von den Kollegen der SPD vorgebrachten Argument, wir würden die Beratungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" vorwegnehmen, eine Bemerkung machen.
Auf dem Parteitag der SPD hat der Abgeordnete Reuschenbach an die Abgeordneten Ueberhorst und Schäfer gewandt folgendes gesagt:
Ich finde es wirklich nicht kollegial, wenn bei verschiedenen Gelegenheiten das Ergebnis der Arbeit der Enquete-Kommission durch Formulierungen in Parteitagsanträgen vorweggenommen wird. In dem Umfang, wie das häufig versucht wird, führt das am Ende dazu, daß wir die Arbeit dieser Enquete-Kommission einstellen können.
Sie sehen also: dort hat man sich längst festgelegt, gleichgültig, wie die Enquete-Kommission entscheidet.
Aber nun zum Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie. Dieser Haushalt ist bei den Haushaltsberatungen um 208 Millionen gegenüber dem Regierungsentwurf gekürzt worden.
({0})
Damit haben SPD und FDP in vielen Punkten unserer Kritik im Grunde genommen recht gegeben.
({1})
Einmal war es eine globale Minderausgabe von 120 Millionen DM, weil man den Haushalt für übersetzt hielt. Weiter haben die Koalitionskollegen einer Kürzung um 8 Millionen bei der Humanisierung der Arbeitswelt zugestimmt. Sie konnten nicht widerlegen, daß unter der Regie des Forschungsministers das Programm Humanisierung der Arbeitswelt zum Selbstbedienungsladen für Großunternehmen geworden ist, die sich dort Dinge bezuschussen lassen, die sie ohnehin durchführen würden. Eine lange Liste von abgebrochenen Projekten stellt den Programmverwaltern ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Es geht dort offenbar weniger darum, in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern Bedingungen in der Arbeitswelt zu verbessern, sondern es geht dort um praxisfremde Ideologie.
Eine herbe Niederlage mußte der Bundesforschungsminister bei der Beratung des Titels für Informationstechnologien einstecken; von beantragten 31,5 Millionen DM wurde mehr als die Hälfte gestrichen. Das ging sogar weit über meinen Antrag hinaus, weil die Kollegen der Koalition von diesem Programm überhaupt nicht überzeugt werden konnten.
Der Kollege Dübber hat einen Antrag gestellt, dem der gesamte Haushaltsausschuß zugestimmt hat, nämlich bei der Reaktorsicherheit 5,5 Millionen DM einzusparen. Damit ist auch von der SPD dokumentiert, daß auf dem Felde der Reaktorsicherheit deutsche Ingenieure und Techniker Vorbildliches leisten; es ist gut so, daß das einmal dokumentiert wird.
({2})
Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß die SPD des Landtags in Baden-Württemberg einen Antrag, einen Titel „Haftung für Reaktorunfälle" im Landeshaushalt einzustellen, mit der Begründung abgelehnt hat, dies schüre nur die Angst in der Bevölkerung vor Kernkraftwerken; tatsächlich seien Unfälle aber unwahrscheinlich. Dann verstehe ich
nicht, wie Sie an anderer Stelle ganz anders argumentieren.
Im Bereich Transport und Verkehr kürzte der Haushaltsausschuß 12 Millionen. Ein Projekt - beispielhaft herausgegriffen - ist das „Zukunftsauto", das über drei Jahre mit 110 Millionen DM gefördert werden soll. Ich bin der Meinung, daß Unternehmen, die Autos bauen, sich auch um die Zukunftsprobleme des Automobilbaues zu kümmern haben und nicht Bürokraten des Forschungsministeriums. Wenn man sich dann noch die Bilanzen dieser Unternehmungen anschaut und weiß, wie diese Unternehmungen Anlagen für liquide Mittel suchen, dann wird um so deutlicher, daß sie nicht mit Steuermitteln solche Projekte finanzieren müssen, sondern durchaus selbst dazu in der Lage sind.
({3})
Wenn es aber den Beamten des Forschungsministeriums darum geht, uns das Auto ihrer Vorstellung zu verordnen, dann muß ich sagen, dieses Auto möchte ich lieber nicht fahren.
({4})
Das Konzept „Zukunftsauto" ist kein Ausrutscher dieser Forschungspolitik, sondern es ist Ergebnis der These von der Kurzsichtigkeit des Marktes, die zum Kredo der Forschungspolitik von Herrn Hauff geworden ist.
({5})
Er sagt, daß die Wirtschaft ein charakteristisches Defizit an vorausschauender Technologieentwicklung habe. Die Praxis seiner eigenen Politik aber ist, daß sie keine langfristigen Perspektiven mehr hat. Programme, die in den 50er und 60er Jahren als zukunftsweisend begonnen wurden im Bereich der Kernenergie, im Bereich der Raumfahrt, im Bereich der Luftfahrt, sind heute zu kurzfristigen und kurzatmigen Sammelsurien von Einzelprojekten zusammengeschrumpft. Gutachterfilz, Selbstbedienung und die Trägheit der Etablierten verhindern das Aufkommen neuer und unkonventioneller Lösungen.
({6})
Die Verzettelung der Mittel auf zu viele, zu kleine, zu unbedeutende Projekte führt dazu, daß die Effizienz der Forschungsförderung immer weiter abnimmt. Die Bürokratie gerät in kurzfristigen Erfolgszwang, was dazu führt, daß der Blick für langfristige Konzeptionen verstellt ist. Dies gilt beispielsweise für drei zukunftsweisende Entwicklungslinien der Solarenergie, nämlich der Photovoltaik, der Photochemie und der Photobiologie, wo man bei uns wenig oder nichts tut.
Man muß, wenn man Solarenergie wirklich erforschen will, mit der gleichen Systematik und der gleichen Methodik an die Sache herangehen wie z. B. bei der Kernenergie, damit man auch dort einen Spitzenplatz bekommen kann. In der Solarenergieforschung wird mit der Technik von gestern versucht, die Probleme von morgen zu lösen: Einfachkollektoren bei einer Schwimmbadheizung beispielsweise, Niedertemperaturkollektoren für 10 kw-Kraftwérke in Ägypten und Indien mit einem Wirkungsgrad von 2 %, dadurch Herstellungskosten von 100 000 DM pro Kilowatt installierter Leistung. Damit kann niemand etwas anfangen. Da werden Versuche gemacht, mit dem Solarturmprinzip Großkraftwerke zu bauen, obwohl man heute schon weiß, daß dieser Strom nie wirtschaftlich sein kann. Man muß, wenn man es mit der Solarforschung wirklich ernst meint, an zukunftsweisende und auch risikoreiche Projekte rangehen und nicht hier kurzatmig, nur damit man was vorweisen kann, von der Hand in den Mund leben.
Noch etwas zu dieser These von der Kurzatmigkeit des Marktes. Vielleicht überlegen Sie mit mir auch einmal, wovon eigentlich die zeitliche Tiefe unternehmerischer Entscheidungen abhängt. Ich glaube, daß eine zentrale Abhängigkeit das politische Umfeld darstellt. Unsichere Umstände lenken Risikokapital in Aktivitäten mit schnellem Kapitalumschlag. Langfristige Investitionen haben in einem solchen Klima keine Chance. Welcher Unternehmer wird schon Investitionsanreize in Anspruch nehmen wollen, wenn er für morgen den konfiskatorischen Zugriff des Staates bei Erfolg befürchten muß. Solange die Unsicherheit über den materiellen Inhalt des Eigentums an Produktionsmitteln bestehen bleibt,
({7})
führt auch dies deutlich zu einer Verkürzung des Planungshorizonts von Unternehmen.
Angesichts solcher Überlegungen gerät das Argument derer ins Zwielicht, die immer meinen, daß sie hier Probleme des Marktes beseitigen müßten. Tatsache ist, daß sie diese Probleme überhaupt erst auftürmen.
Meine Damen und Herren, die Forschungspolitik der Bundesregierung umfaßt die Wirtschaft in einer Art Zangengriff. Auf der einen Seite führt die sprunghafte Ausweitung des Etats zu einer Art Abholmentalität der Industrie, wie dies übrigens der Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff genannt hat. Die Firmen suchen weniger nach dem, was der Markt von morgen verlangt, als nach dem, was die Bürokraten heute wünschen. Zehntausende von Unternehmen beschäftigten sich zwar mit Innovation, aber nur einige hundert erhalten Forschungsmittel auf Grund der Kenntnis der Schleichwege zu den staatlichen Töpfen. Andererseits werden technologische Entwicklungen nach Kräften behindert, wenn sie nicht in das Konzept des Forschungsministers passen. Ich finde es schon sehr merkwürdig, daß der Forschungsminister dem Bundeskanzler Vorschläge gemacht hat, wie man Radio Luxemburg im Wege einer Art Großmachtpolitik daran hindern könne,
({8})
hier einen Satelliten zu plazieren, um ein privates Programm auszustatten.
({9})
Im Haushaltsausschuß hat die Koalitionsgruppe
dies unterstützt, indem sie 6 Millionen DM für einen
Fernsehsatelliten gesperrt hat. Dies mutet komisch an angesichts der Formulierung des Bundeskabinetts am 26. September, man solle mit den neuen Medien die aktive Beteiligung des Bürgers am Informationsprozeß erhöhen.
({10})
Am 13. August 1546, meine Damen und Herren, wurde in Paris Etienne Dolet auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er unerlaubt Veröffentlichungen vorgenommen hat, die der herrschenden Lehre zuwiderliefen. Er hatte unter anderem einen Dialog von Plato verlegt. Solche Publikationen waren nach herrschender Meinung geeignet, die unsterblichen Seelen der Zeitgenossen zu verwirren.
Heute nennt man das „Reizüberflutung'. Ausgerechnet hier entdeckt die SPD ihr Herz für die Familie und überlegt, wie sie die Familie vor der Reizüberflutung retten kann. Dies ist komisch angesichts der Tatsache, daß sie diese Probleme in den 25 Jahren des Bestehens des Fernsehens nicht sah, aber jetzt, da die SPD Gefahr läuft, daß das einseitige Monopol durchbrochen wird, bekommt sie plötzlich diese Ängste.
({11})
In elf Großstädten wollte die Bundespost flächenmäßig verkabeln. Dies hat die Bundesregierung abgeschmettert. Sie nimmt damit aus ideologischen Gründen in Kauf, daß wir nach dem Gebiet der Kernenergie auch auf diesem Gebiet ins Hintertreffen geraten.
Dem Forschungsminister fällt zum Energieeinsparen nur die Energieverbrauchsordnung ein. Er schlägt eine Abwärmeabgabe vor, von der selbst Vertreter des Wirtschaftsministeriums befürchten, daß sie verfassungswidrig sei. Die Hochschulen beklagen, daß dort zuviel vom Bund direkt hineinregiert würde, nach dem Motto „Wer zahlt, bestellt auch die Musik".
Ich muß sagen: Es ist eine kaum zu überbietende Kaltschnäuzigkeit, wie Sie den Beschluß des Bundeskabinetts, als Sitz für das Polarforschungsinstitut Bremen zu bestimmen, durchgedrückt haben - gegen den Willen, gegen die Gutachten, gegen die Stellungnahmen aller beteiligten Wissenschaftler. Der Wissenschaftsrat sagt: Für Kiel sprechen die hohe wissenschaftliche Qualität der dort tätigen Wissenschaftler, das große Spektrum direkter Polar-und Meeresforschung und sehr nahe Forschungsaktivitäten sowie das weitere wissenschaftliche Umfeld.
Meine Damen und Herren, wenn man sich an die Fachleute nicht halten will, wenn einem das schnurz ist, dann soll man aber auch nicht die Farce machen, sie um ihre Meinung zu fragen, sondern es gleich in den Hinterzimmern der Partei auskungeln.
({12})
Deswegen haben wir auf Drucksache 8/3499 den Antrag eingebracht, die Titelgruppe 08 in Kap. 30 06 in der Bezeichnung zu ändern in „Alfred-WegenerInstitut für Polarforschung ({13}) in Kiel". Dies ist die Möglichkeit des Haushaltsausschusses, deutlich zu machen, daß wir wünschen und der Meinung sind, daß dieses Institut in Kiel errichtet wird.
({14})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin mit der Redezeit knapp; ich bitte, keine Zwischenfragen zu stellen.
Meine Damen und Herren, die Kritik am Forschungsminister, die in der Vergangenheit immer ein bißchen hinter vorgehaltener Hand vorgetragen wurde, wird in der letzten Zeit lauter vernehmlich. Der Wirtschaftsminister, Graf Lambsdorff, warnte vor einer Abholmentalität und forderte wie wir, daß die indirekte, also auf Breitenwirkung zielende Forschungsförderung einen höheren Stellenwert haben müsse. Der FDP-Kollege Haussmann wies auf die einseitigen Struktureffekte sowie die Benachteiligung des Mittelstands und wirtschaftlich weniger entwickelter Regionen durch die Politik von Herrn Hauff hin.
Er forderte - wie wir - mehr indirekte Forschungsförderung, die den kleinen und Mittelbetrieben besser nütze, die auch gleichmäßiger Innovationsanreize gebe.
({0})
- Sie habe, so Herr Haussmann, auch mehr Breitenwirkung, und insofern steche - das ist der Originalton Haussmann - das Argument der Gießkasse nicht.
Das ist natürlich schön gesagt. Das Problem der FDP ist halt, daß sie unsere Reden hält und mit den anderen abstimmt.
({1})
Beachtlich finde ich, daß auch diejenigen, die im Grunde genommen von der Forschungsförderung profitieren, zunehmend Kritik anmelden: zum einen der Bundesverband der Deutschen Industrie, dann der Bundesverband der Jungen Unternehmer, die beide eine Vernachlässigung der Grundlagenforschung beklagen. Sie beklagen, daß die Gestaltungsfreiheiten der forschenden Wirtschaft stark eingeschränkt werden.
Interessant ist auch, daß der Rechnungshof erneut auf die liederliche Bearbeitung von Verwendungsnachweisen hinweist. Man ist dort mit Verwendungsnachweisen Monate im Rückstand. Dies zeigt, daß eine ordnungsgemäße Kontrolle öffentlich eingesetzter Mittel nicht möglich ist. Das zeigt, daß man über Monate keine Kontrolle darüber hat, was mit dem Geld geschieht.
Damit wird doch deutlich, daß die Bürokratie mit der starken Ausweitung der direkten Forschungsförderung überfordert ist. Es wäre wirklich gut - nachdem ja nicht nur wir, sondern auch andere Parteien das sagen -, wenn man sich im ForschungsmiDr. Stavenhagen
nisterium endlich mehr Gedanken darüber machte, auf welche Weise die indirekte, auf Breitenwirkung gezielte Förderung einen höheren Stellenwert bekommen kann.
({2})
Um es ganz deutlich zu machen und damit keine Mißverständnisse entstehen: Wir meinen nicht ein „Anstatt", sondern wir meinen ein vernünftiges, ausgewogenes Verhältnis. Dieses vernünftige, ausgewogene Verhältnis besteht heute nicht. Die Forschungspolitik der Regierung pervertiert immer mehr zu einer kurzarmigen bürokratischen Kesselflickerei ohne Ziel und Ausblick. Das Klima für Wissenschaft und Forschung in unserem Land wird trotz der Hauff-Milliarden immer schlechter. Fähige Köpfe wandern zunehmend ins Ausland ab. Nicht kreative Geister, sondern kleinkarierte Funktionäre stellen bei uns die Weichen für die Zukunft.
Wir lehnen die Forschungspolitik der Regierung und den Einzelplan 30 ab.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dübber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei kurze Bemerkungen zu meinem Herrn Vorredner. Erstens. Selbstverständlich besteht der Sinn einer Enquete-Kommission darin, offen in die Erörterung der Probleme hineinzugehen, neue Erkenntnisse zu gewinnen und dann zu entscheiden. Dieser Auffassung sind, hoffe ich, alle Mitglieder dieses Hauses gemeinsam. Ich werde an späterer Stelle noch ein weiteres Wort zum Thema Enquete-Kommission sagen.
Zweitens. Ich möchte das, was in bezug auf Kürzungen auf dem Gebiete der Reaktorsicherheit gesagt worden ist, nicht unwidersprochen lassen. Es ist richtig, daß der entsprechende Titel um 5,5 Millionen DM gekürzt worden ist. Aber die Verpflichtungsermächtigungen sind um 75 Millionen DM erhöht worden. Wer vom Haushalt etwas versteht, weiß, daß das Programm damit gestreckt wird. Es ist sehr wohl möglich, in diesen Bereichen weiterzuarbeiten. Wir sind entschieden der Meinung, daß man dort weiter tätig sein soll. Aus der Erhöhung um 75 Millionen DM können Sie eindeutig erkennen, daß hier nicht weniger, sondern mehr getan werden soll.
Drittens. Sie haben sich mit den Sperren auf dem Gebiete der neuen Nachrichtentechnologien, speziell der Satelliten beschäftigt. Ich will gerne zugeben, daß wir absichtlich einige Ansätze gesperrt haben, um sie nämlich später im Haushaltsausschuß erneut beraten zu können. Wir wollen damit die Absicht des Parlaments zum Ausdruck bringen, daß die Probleme der neuen Medien in aller Sorgfalt und Ausführlichkeit behandelt und technischer Wildwuchs rechtzeitig verhindert werden muß,
({0})
der leicht in gesellschaftliche Fehlentwicklungen und mitmenschliche Entfremdung umschlagen kann.
({1})
Ich darf noch ein paar Zitate von Politikern bringen, die Sie doch sicher für unverdächtig halten. Ministerpräsident Albrecht hat in diesen Monaten gesagt, Kabelfernsehen sei eine Sache, die mindestens so groß wie Gorleben sei. Aber er will flink verkabeln lassen. Nur bei Gorleben zögert er; das will er doch lieber erst untersuchen lassen. Ich halte das für einen Widerspruch im Vorgehen.
Ministerpräsident Späth hat vor 14 Tagen im Landtag von Baden-Württemberg gesagt, die neuen technischen Kommunikationseinrichtungen - Satellitenrundfunk, Kabelfernsehen und ähnliches - seien Erfindungen, die bedeutender seien als die Erfindung des Buchdrucks vor 500 Jahren. Ich stimme dem Ministerpräsidenten Späth zu, wenn er mit dieser Begründung ein systematisches und ein stufenweises Vorgehen vorschlägt. Ich muß fragen, warum sich sein Kollege Albrecht in Hannover einer so simplen Logik nicht anszuschließen vermag, sondern zunächst einmal den vorhandenen Norddeutschen Rundfunk in Stücke schlagen will.
In diesen Tagen ist gefragt worden, ob alles, was technisch machbar ist, auch verwirklicht werden soll. Wir wollen das ohne jede Voreingenommenheit von Fall zu Fall entscheiden. Eine solche Prüfung ist, meine ich, schon deswegen notwendig, weil es sich hier um den Einsatz öffentlicher Mittel in erheblichem Umfang handelt. Wenn das alles privat wäre und die Unternehmer diese Anlagen auf eigene Rechnung und eigenes Risiko entwickeln würden, wäre die Situation etwas anders.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Benz?
Herr Dr. Dübber, eine ganz bescheidene Frage: Wer entscheidet nach Ihrer Meinung über die Machbarkeit des Machbaren?
Letzten Endes der Konsument. Ich könnte Ihnen jetzt einen Artikel vom Chefredakteur des „Mannheimer Morgen" vorlesen. Dazu reicht die Zeit aber nicht. Dazu wollte ich gerade kommen. Sie wissen: In Mannheim /Ludwigshafen soll ein Kabel-Pilot-Projekt eingerichtet werden. Das ist zwischen den Ministerpräsidenten Vogel und Späth umstritten. Ich halte das für ganz seriös.
({0})
- Seien Sie bitte nicht böse, aber ich möchte jetzt einmal den Satz zu Ende sagen. Die Zeit ist knapp. Ich habe nicht die 20 Minuten zur Verfügung, die Herr Kollege Stavenhagen hatte.
({1})
- Gut, ich spreche mich auch nicht dagegen aus.
Ich will bloß darauf hinweisen, in welcher Weise jemand, der die größte Zeitung am Platze hat - wenn das gemacht wird, wird davon natürlich auch die Presse tangiert -, das beurteilt. Der Chefredakteur dieser Zeitung, Herr Hans Joachim Deckert schreibt:
Was man aber bei alledem am meisten fürchten sollte, wäre der unkontrollierte Einbruch dieses so unerhört vielfältigen neuen Kommunikationsmittels in unsere nur scheinbar wohlgeordnete Medienwirklichkeit. Kabelfernsehen ist weit mehr als nur eine Veranstaltung von Programmen, es ist das vielseitigste Transportmittel von Gedanken, Offerten, Entschlüssen, Dienstleistungen, Informationen, Buchungen, Übertragungen, das sich denken läßt.
Er warnt davor, in diesem Falle unkontrolliert voranzugehen.
Ich will auch gerne die Stimmen aufnehmen, die fragen, ob man für solche Einrichtungen insgesamt vier Pilot-Projekte braucht, was Mittel in erheblicher Größenordnung erfordert, ob man nicht vielleicht mit zwei auskommen könnte. Ich möchte auch fragen, ob man es so groß auslegen will wie in München, wo an jährliche Kosten bis zu 100 Millionen DM gedacht wird. Da stellt sich doch immer die Frage: Wie kriegt man das einmal wieder weg, wenn das Publikum sich negativ entschieden haben sollte, sich aber an das neue Spielzeug zum beinahe Null-Tarif gewöhnt hat?
Ich komme jetzt auf einige Fragen, die Sie, glaube ich, stellen wollten. Ich darf sie indirekt beantworten. Die beste Prüfung der Akzeptanz ist meines Erachtens die Prüfung über den Geldbeutel; denn spätestens am Ende der Testphase muß gelten: Wer eine Behördenauskunft statt über Telefon über den teureren Bildschirm einholen möchte, der wird dafür zahlen müssen, und zwar kostendeckend. Wer den Eisenbahnfahrplan statt mit dem Telefon über den teureren Bildschirm studieren will, der muß dafür zahlen, und zwar kostendeckend. Wer eine Rentenauskunft von der Versicherungsanstalt statt per Postkarte über den Bildschirm einholen will, der muß dafür ebenfalls - kostendeckend - zahlen. Wer das Warenangebot eines Kaufhauses über den Bildschirm vorgeführt bekommen will, anstatt dort selber hinzugehen, der wird dafür einen marktgerechten Preis zahlen müssen. Ich meine, daß marktgerechte Preise der zuverlässigste Indikator dafür sind, ob solche Dienstleistungen überhaupt gewünscht werden.
Vergessen darf man dabei außerdem nie, daß ein Plus an elektronischer Kommunikation zugleich ein Minus an mitmenschlichen Beziehungen, einschließt.
({2})
Wer sich von der Zwei-Wege-Kommunikation, vom Dialog des Teilnehmers mit der Zentrale über elektronische Medien, große Wunder verspricht, dem möchte ich ein Zitat des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß aus einer Rede vor dem Landtag in
München entgegenhalten, der gesagt hat - ich zitiere -:
Eine Art ständiges Plebiszit durch Telekommunikation mittels Knopfdruck würde das Ende der parlamentarischen Demokratie bedeuten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Dübber, ist Ihnen bekannt, daß der heutige Sprecher der Bundesregierung, Herr Bölling, 1974 als Intendant von Radio Bremen über Nacht, geradezu handstreichartig, als erster in der Bundesrepublik Deutschland das Kabel- und Lokalfernsehen einführen wollte und vom damaligen Postminister, Herrn Ehmke, in letzter Minute gestoppt werden konnte?
({0})
Es ist mir bekannt. Ich bin überzeugt, Herr Metz, daß es in Bremen eine Bürgerschaft gibt, die sich der Dinge schon angenommen hätte.
({0})
Wir wünschen in den neuen Medien keine Programme, die z. B. nur durch Werbung finanziert werden. Uns sind die Vereinigten Staaten und Italien - neuerdings - ein schlechtes Vorbild. Wir meinen auch, daß diese Werbung genau daraufhin untersucht werden muß, welchen Einfluß sie auf die Werbung . der örtlichen Presse, und nicht nur der Presse, sondern auch sonstiger Werbeträger wie Kinos oder Anzeigenblätter, hat.
({1})
Bei all diesen Projekten stellt sich immer heraus, daß die Finanzierung völlig ungeklärt ist. Da finden wir z. B. die Vorstellung, die auch in einigen Ländern vorhanden ist, daß alle Länder zur Finanzierung des Pilotprojekts herangezogen werden sollten. Ich habe mich dazu von hier aus nicht zu äußern; das ist Sache der Länder. Aber, ich glaube, da wird es noch gehörige Schwierigkeiten geben. Daß der Bund dafür nicht herhalten kann, ist aus der verfassungsrechtlichen Situation- heraus völlig klar.
Zum Schluß will ich sagen, daß es in letzter Zeit interessante Stimmen darüber gab, wie man diese Probleme angehen könnte. Dazu gehört z. B. der Beschluß des Hauptausschusses der FDP, der sich zum Thema „neue Medien" besonders in puncto Finanzierung geäußert hat, indem er gesagt hat, es müsse eine Mischfinanzierung aus Grundgebühr, Teilnehmergebühr und begrenzter Werbung sein. Das sind alles Gedanken, denen wir nähertreten können, die man untersuchen sollte.
Ich teile die Meinung des Ministerpräsidenten Späth, der im Landtag vor dem Hauruckverfahren gewarnt und vorgeschlagen hat, in Baden-WürttemDr. Dübber
berg eine Kommission einzusetzen, die in einem Zeitraum von etwa einem Jahr Vorschläge für das Projekt Mannheim /Ludwigshafen machen sollte. Ich meine, der Gedanke, diese Sache unter Experten und Politikern gemeinsam vernünftig anzugehen, sollte nicht auf den südwestdeutschen Bereich beschränkt bleiben, sondern daß solche Vorstellungen auch uns hier leiten sollten, was ja auch dazu geführt hat, daß die SPD-Fraktion zu diesem Thema eine Enquete-Kommission vorgeschlagen hat.
Wir bitten alle Beteiligten in diesem so arg empfindsamen Bereich, wo Dinge entstehen, die später nicht verschwinden, wo aber auch Strukturen zerschlagen werden können, die später nicht wiederhergestellt werden können, vorsichtig vorzugehen. Denken Sie bloß an die Vielfalt der Zeitungstitel, die wir hatten und die durch die Zeitungskonzentration in den 60er Jahren verschwunden sind. Wir können noch so große Anstrengungen machen, wir kriegen das nicht mehr hin. Wir können die Zeitungen, die es gegeben hat, nicht künstlich wiederherstellen. Wir sollten auch in diesem Bereich vorsichtig sein. Wir warnen davor, hier mit dem Kopf durch die- Wand zu gehen. Vielmehr fordern wir alle Beteiligten auf, behutsam, Schritt für Schritt voranzugehen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Stavenhagen, Sie haben der Bundesregierung kleinkarierte Forschungspolitik vorgeworfen. Ich möchte aber auch zu Ihren Ausführungen sagen, daß sie sich von Kleinkariertheit nicht wesentlich unterschieden haben. Außer sehr starken Worten haben Sie zur Sache und zum Problem der Forschungspolitik auch nicht allzuviel gesagt. Sie haben mit Schlagworten um sich geworfen: Selbstbedienungsladen, Gutachterfilz, Trägheit der Etablierten usw. Sie haben Horrorszenarien aufgebaut. Sie haben hier den Exodus der Wissenschaftler beschworen. Tatsache ist doch, daß sogar international höchst anerkannte Wissenschaftler die Möglichkeit suchen, in unserem Land zu forschen, Nobelpreisträger und andere.
({0})
Das sollten Sie dabei bitte berücksichtigen. Im übrigen ist aber, wie ich meine, internationaler Austausch von Wissenschaftlern eine ganz wichtige Sache und sollte unser ernsthaftes Anliegen sein.
Lassen Sie mich versuchen, meine Damen und Herren, auf die Forschungspolitik und den Einzelplan 30 zurückzukommen. Die Bedeutung, welche die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der Wissenschafts-, der Forschungs- und der Technologiepolitik beimessen, ist u. a. - ich betone: nicht ausschließlich - auch aus den Haushaltsansätzen für diese Bereiche abzulesen. Dabei dürfen wir eben nicht nur den Einzelplan 30 sehen, sondern müssen die entsprechenden Ansätze im gesamten Bundeshaushalt berücksichtigen.
So ist für 1980 eine Steigerung von rund 7,5 % auf rund 7,9 Milliarden DM vorgesehen - ohne die Forschung im militärischen Bereich. Das bedeutet eine überproportionale Steigerungsrate gegenüber dem Gesamthaushalt, die trotz der Notwendigkeit der Konsolidierung auch in der mittelfristigen Finanzplanung fortgeschrieben wird.
Mit derzeit rund 2,2 % Anteil der Wissenschafts-
und Forschungsausgaben am Bruttosozialprodukt ist die Bundesrepublik wieder in die vorderste Linie der Wissenschaftsnationen aufgerückt.
({1})
- Das ist verantwortliche Sicherung der Zukunft, meine verehrten Kollegen von der Opposition, eine auf die Zukunft unseres Landes ausgerichtete Politik.
({2})
Unsere politischen Ansätze zur Förderung von Wissenschaft und Forschung sind darauf ausgerichtet, die Lebensbedingungen in unserem Lande und in der Welt zu sichern und fortzuentwickeln. Diese Politik, die diese Bundesregierung, gestützt von den Koalitionsfraktionen, auf diesem Gebiet betreibt, dient der Erhaltung und Stärkung unserer Volkswirtschaft und damit der Erhaltung des hohen Lebensstandards.
Durch Entwicklung und Umsetzung neuer Technologien, der Entwicklung neuer Produktionsverfahren und neuer, intelligenterer Produkte ist der unvermeidbare Strukturwandel zu unterstützen und zu fördern, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu verbessern, um die physischen und psychischen Arbeitsbedingungen, um die geistige, soziale und ökologische Umwelt zu verbessern und zu erhalten, um die Energie- und Rohstoffversorgung zu sichern, die Versorgung mit den Rohstoffen, die nur begrenzt. verfügbar sind. Diese Ressourcen müssen geschont und zum Teil auch substituiert werden. Darauf richten sich viele Forschungsansätze.
Aber diese Politik beschränkt sich eben nicht nur auf Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft. Sie darf sich nicht darauf beschränken, sondern muß auch die Geisteswissenschaften einbeziehen. Sie muß zunehmend stärker auf die begleitende Wirkungsforschung ausgerichtet werden. Folgen und Auswirkungen neuer Entwicklungen in allen Bereichen des Lebens und der Politik sind in interdisziplinärer Kooperation aller Wissenschaftsbereiche zu untersuchen, um nachteilige Folgen vor allem auf ökologischem und sozialem Gebiet, um Risiken aus der Entwicklung und Nutzung neuer Technologien rechtzeitig aufzuzeigen und abzuwehren. Deshalb, meine ich, ist eine stärkere Förderung der sozialwissenschaftlichen Forschung unverzichtbar, ist die Friedens- und Konfliktforschung so wichtig.
Hier möchte ich ausdrücklich noch einmal zutiefst bedauern, daß zwei Bundesländer, Bayern und Niedersachsen, den Vertrag mit der Deutschen Ge15370
sellschaft für Friedens- und Konfliktforschung aufgekündigt haben.
({3})
Das sollte schleunigst rückgängig gemacht werden. Wenn hier Kritik angebracht ist, sollten wir tins gemeinsam darum bemühen, die Kritikpunkte auszuräumen. Aber es geht um die Sache, und die verdient es, fortgesetzt zu werden.
Deshalb ist auch das Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt so enorm wichtig. - Herr Kollege Stavenhagen, ich hoffe, wir sind da im Prinzip einer Meinung. Natürlich verkennen wir nicht die berechtigten Ansätze zur Kritik an der Organisation und an dem Ablauf einzelner Projekte.
({4})
Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden; da stimme ich mit Ihnen überein.
({5})
Wir dürfen aber nicht das Programm insgesamt und seinen Ansatz negativ beurteilen.
Lassen Sie mich im Hinblick auf die begrenzt verfügbare Zeit nur einige, wie mir scheint, wichtige Bereiche aufgreifen.
Ich möchte zunächst etwas zur Grundlagenforschung sagen. In den letzten Tagen ist auf Grund der Beschlüsse des Haushaltsausschusses zu den Personalstellenanforderungen der Forschungsinstitutionen Kritik laut geworden. Es heißt, die Sparbeschlüsse desavouierten die Bekenntnisse des Parlaments zur Bedeutung der Grundlagenforschung. Für meine Fraktion kann ich nochmals ausdrücklich die Wichtigkeit der Grundlagenforschung unterstreichen.
({6})
- Herr Kollege Haase, darf ich Sie vielleicht um einen Moment Geduld bitten, bis ich zu dem Anliegen komme, daß Sie hier offenbar zu Begeisterungsausbrüchen veranlaßt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber bitte, gern.
Herr Kollege, im ersten Satz bejammern und beklagen Sie, daß bei einigen Instituten Stellen eingespart worden sind, und im zweiten Satz erklären Sie sich wieder davon frei. Was wollen Sie denn nun? - Womöglich für die Opposition - so darf ich einmal fragen - den Rotstift und für Sie das Blaulicht? Das ist doch Ihre Doppelstrategie.
Herr Kollege Haase, auch das Zuhören scheint ein Problem zu sein.
({0})
Ich habe nur festgestellt, daß in der Öffentlichkeit Kritik an den Beschlüssen des Haushaltsausschusses laut geworden sei - ich zitiere -:
die Sparbeschlüsse desavouierten die Bekenntnisse des Parlaments zur Bedeutung der Grundlagenforschung.
Und dazu habe ich ausgeführt, daß wir uns eindeutig zur Notwendigkeit der Grundlagenforschung bekennen. Zu den Personalstelleneinsparungen werde ich im Verlauf meiner Ausführungen noch kommen, wenn Sie gestatten, Herr Kollege.
({1})
Es wird wohl von niemandem bezweifelt werden, schon gar nicht von den Koalitionsfraktionen - und hier lassen wir uns auch von der Opposition nichts anhängen, Herr Kollege Haase -, daß eine breit angelegte Grundlagenforschung langfristig die Voraussetzungen für die zukünftigen geistigen und wirtschaftlichen Entwicklungen schaffen muß. Prioritäten lassen sich dabei staatlicherseits, zumindest generell, nicht vorgeben. Ich wiederhole das, was ich dazu an anderer Stelle schon ausgeführt habe. Erfolgskontrollen von außen, von der Regierung oder von uns, vom Parlament, müssen mehr als fraglich erscheinen. Ich bin der Meinung, daß dies von der Wissenschaft selbst in eigener Verantwortung geleistet werden muß, daß dieses aber wiederum die Wissenschaft in einer freien und pluralistischen Gesellschaft mehr als bisher verpflichtet, Verantwortung in diesem Bereich und für ihre Tätigkeit zu übernehmen. Diese Bedeutung der Grundlagenforschung, Herr Kollege Haase, drückt sich nun einmal nicht nur in der Bewilligung von Planstellen für die Max-Planck-Gesellschaft aus.
({2})
Die Grundlagenforschung beschränkt sich auch nicht nur auf die Max-Planck-Gesellschaft - bei uneingeschränkter Anerkennung der hervorragenden wissenschaftlichen Leistung der MPG; ich stehe nicht an, dies hier zu betonen. Aber in vielen anderen Institutionen, an den Hochschulen, in der Industrie und auch in Verbindung mit Projektförderung wird umfangreiche Grundlagenforschung betrieben. Sie ist oft schwer oder überhaupt nicht von der angewandten Forschung zu trennen.
Lassen Sie mich aber zum Problem Personalstellen folgende Feststellung machen: Forschungseinrichtungen sind bezüglich der Entwicklung des Personalbestandes sicher nicht vergleichbar mit denen von Behörden und Verwaltungen. Hier muß in Zukunft mehr nach den unterschiedlichen Aufgaben differenziert werden. In diesem Sinne ist ein gegenüber anderen Bereichen der Administration erheblicher Personalstellenzuwachs im Einzelplan 30 für die Forschungsinstitutionen vorgesehen: 30 Stellen für die Polarforschung.
Hier darf ich einen Hinweis auf den vorliegenden Antrag der Oppositionsfraktionen und die Ausführungen des Herrn Kollegen Stavenhagen einschieben, was die Entscheidung bezüglich des Sitzes des Polarforschungsinstitutes betrifft. Sie haben den Wissenschaftsrat mit seiner Meinung bemüht. Der
Wissenschaftsrat schreibt - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
Der Wissenschaftsrat ist sich bewußt, daß bei der Standortentscheidung, die der Bundesregierung und der beteiligten Landesregierung obliegt, neben wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Kriterien auch andere Gesichtspunkte einzubeziehen sind, zu denen der Wissenschaftsrat keine Stellung nimmt.
Im zuständigen DFG-Landesausschuß für Scientific Commission on Antarctic Research ist auch keine einhellige Meinung über die Standortwahl vorhanden. Es gibt auch einflußreiche und bedeutende Wissenschaftler, die für den Standort Bremen plädiert haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stavenhagen.
Bitte, gerne.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß diese Kompromißformel erst zustande kam, nachdem es im Wissenschaftsrat erheblichen Knatsch von seiten der SPD gab?
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Herr Kollege Stavenhagen, ich stelle fest, Sie haben vorhin davon gesprochen, daß die Bundesregierung die Meinung der Wissenschaftler mißachtet habe und warum man sie überhaupt erst gefragt habe. Jetzt stellen Sie die Dinge doch wohl etwas anders dar und unterstellen nahezu, als ob der Wissenschaftsrat kein autarkes Gremium sei und daß er seine Entscheidungen nicht allein aus der wissenschaftlichen Erkenntnis seiner Mitglieder heraus getroffen habe.
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Ich möchte auf die Personalstellen zurückkommen. 90 Personalstellen für die im Einzelplan 30 erfaßten wissenschaftlichen Institutionen sind vom Haushaltsausschuß neu bewilligt worden, davon allein 55 für die Max-Planck-Gesellschaft. Das sind 20 mehr als im vergangenen Jahr. Sicher, dies ist nur die Hälfte der beantragten Stellen, aber damit ist auch die Max-Planck-Gesellschaft gegenüber allen anderen Instituten mit Bezug auf die Gesamtzahl der dort Beschäftigten überproportional bedacht worden. Ich glaube, dies sollte man hier einmal deutlich sagen. Dies muß auch anerkannt werden.
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Meine verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz einige Worte zum Verhältnis der direkten zur indirekten Forschungsförderung sagen. Wir sind der Meinung, daß die direkte und die indirekte Forschungs- und Entwicklungsförderung keine substituierbaren Alternativen sind, sondern daß sie sich gegenseitig ergänzen müssen. Ich glaube, wir sind uns da in der Beurteilung einig. Wir Liberale befürworten auch die direkte projektgebundene staatliche Finanzierungshilfe und Risikobeteiligung, aber nur in den Fällen, in denen Risiko und Investitionsbedarf so groß sind, daß einzelne Unternehmen sie selbst bei Einbeziehung der generellen Forschungsförderung nicht in Angriff nehmen und auch nicht in Angriff nehmen können. Direkte Forschungs- und Entwicklungsförderung sollte auch da erfolgen, wo politische Gründe ein direktes Eingreifen des Staates erforderlich machen, weil die Ergebnisse als Grundlagen politischer Entscheidungen notwendig sind oder weil weder Wissenschaft noch Wirtschaft von sich aus die Probleme aufgreifen. In der direkten Forschungsförderung sind die Ziele klar zu begrenzen und dabei Schwerpunkte zu setzen. Es ist notwendig, die Forschungsprogramme von Bund und Ländern besser als bisher zu koordinieren und regional ausgewogener zu machen.
Die FDP hält ein ausgewogenes Verhältnis von allgemeiner Innovationsförderung und gezielter Forschungs- und Technologieförderung für notwendig. Erhaltungssubventionen dürfen nicht als Forschungsförderung verkleidet werden, und für uns kann und wird Forschungs- und Entwicklungspolitik kein Instrument staatlicher Investitions- und Strukturlenkung sein und werden. Staatliche Forschungs- und Entwicklungsförderung darf marktwirtschaftliche Mechanismen nicht außer Kraft setzen und die Gestaltungsfreiheit der forschenden Unternehmen nicht behindern.
Das. Verhältnis der direkten zur indirekten Forschungs- und Entwicklungsförderung hat sich in den letzten Jahren wieder deutlich in Richtung auf die indirekte Förderung verschoben. Wir, die FDP, begrüßen das. Ich nenne die Neuregelung der steuerlichen Investitionszulage, die Personalzulage und auch den Abbau bürokratischen Aufwandes.
Im übrigen möchte ich mich zu den Fragen der indirekten Forschungsförderung auf die Ausführungen meines Kollegen Dr. Haussmann beziehen, die ja hier vorhin schon einmal angezogen wurden. Lassen Sie mich dazu nur noch ergänzend sagen: Die Zielvorstellungen der FDP liegen in dieser Richtung. Wir möchten eine weitere Verstärkung der indirekten Forschungs- und Entwicklungsförderung, einen weiteren Abbau des bürokratischen Aufwandes
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und damit gleichzeitig eine Verkürzung der Antrags- und Bewilligungsverfahren. Auch und insbesondere für die mittelständischen Unternehmen, für die ja auch die Bezuschussung der Auftragsforschung und die Innovations- und Technologieberatung - das sollte hier noch einmal herausgestellt werden - ganz entscheidende Hilfen sind, ist eine Entbürokratisierung unerläßlich,
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sollen unsere politischen Ansätze zur Förderung des Mittelstandsbereichs voll greifen.
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Deshalb sollte auch z. B. die industrielle Gemeinschaftsforschung stärker ausgebaut werden, als dies
bisher der Fall gewesen ist. Sie nämlich hat die For15372
schungsfreudigkeit gerade mittelständischer Unternehmen, wie ich meine, entscheidend motiviert..
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur Energieforschung machen. Der Bedeutung dieses Bereichs entsprechend, bilden die Haushaltsansätze für die Energieforschung mit einem Anteil von rund 36 % den größten Ausgabenblock im Einzelplan 30. Ausdrücklich ist zu begrüßen, daß die höchste Steigerungsrate - rund 32 % -, abgesehen vom Programm für Zukunftsinvestitionen, auf den Bereich der nichtnuklearen Energieforschung entfällt. Darin sind die Finanzmittel für Demonstrationsanlagen zur Kohleveredelung noch nicht enthalten. Für die nichtnukleare Energieforschung stehen damit 600 Millionen DM - gegenüber ca. 780 Millionen DM für die nukleare Energieforschung, ohne die institutionelle Förderung der Großforschungseinrichtungen - zur Verfügung. Damit ist das Verhältnis von nichtnuklearer zu nuklearer Energieforschung in den letzten Jahren auf rund 1 : 1,3 gebracht worden. Dieses Verhältnis wird auch in den mittelfristigen Planungen beibehalten.
Diese Entwicklung drückt deutlich den politischen Willen der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen aus. Wir begrüßen diese Umorientierung ausdrücklich. Sie geht mit der Umorientierung der Prioritäten in der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms konform: Rationelle Energieverwendung, Reduzierung von Energieumwandlungsverlusten, Erschließung alternativer, erneuerbarer Energiequellen - auch der Solarenergie, Herr Stavenhagen -, verbesserte Fördertechniken im Bergbau, neue Kraftwerks- und Kohleveredelungstechnologien, das sind die Förderungsschwerpunkte. Damit wird die Bundesregierung dem Gebot und der internationalen Verpflichtung gerecht, den Primärenergiebedarf zu reduzieren, die Abhängigkeit vom 01 abzubauen und dem national verfügbaren Energieträger, der heimischen Kohle, den ihm gebührenden Rang zu sichern, also den Einsatz der Kohle zu wirtschaftlichen Bedingungen auf Dauer zu sichern.
Gleichzeitig wird damit ein wesentlicher Beitrag zur strukturellen Entwicklung an Ruhr und Saar geleistet. Denn die zur Kohlegewinnung und Kohleveredelung entwickelten Anlagen dürften bei dem weltweit anerkannten hohen_ Stand des entsprechenden Know-how gute Exportchancen eröffnen. Wir begrüßen und unterstützen die Absicht der Bundesregierung, nunmehr den beschleunigten Bau von Demonstrationsanlagen zu initiieren.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, zukünftige Entwicklungen werden aus Kostengründen, werden zur Ressourcenschonung, werden zur Reduzierung von Umweltbelastungen auf einen Verbund Kohle-Kernenergie hinauslaufen müssen.
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Deshalb ist auch im Interesse einer kontinuierlichen
Entwicklung eine staatliche Förderung der nuklearen Energieforschung, insbesondere - ich betone dies hier ausdrücklich - in der Hochtemperaturreaktorentwicklung unerläßlich.
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- Herr Kollege Gerstein, ich gehe davon aus - wir haben das in vielen Diskussionen feststellen können -, daß wir auf dieser Schiene gemeinsame Anliegen und gemeinsame Zielvorstellungen haben. Unterschiede bestehen sicherlich in der Art und Weise, wie sich jeder von uns das Erreichen dieses Zieles vorstellt.
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Hinzu kommen die wichtigen Bereiche, z. B. die Sicherheitsforschung. Hier möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß keine Kürzung des Programms, sondern nur eine Verschiebung vorgenommen worden ist, was sich im erhöhten Ansatz der Verpflichtungsermächtigung ausdrückt. Dies wollte ich hier feststellen; denn für uns hat Sicherheitsforschung eine ganz erhebliche Priorität im Bereich der nuklearen Energieforschung. Es geht um die Entwicklung von Brennstoffkreisläufen und die Entsorgung. Gerade nach den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz zur Entsorgung berechtigt dies den vorgesehenen Mittelansatz auch mittelfristig für die nukleare Energierforschung wegen des darin enthaltenen Parallelansatzes der Untersuchung und der Erforschung alternativer Brennstoffkreisläufe, eventuell auch ohne Wiederaufarbeitung.
In dem vorliegenden Haushalt, Einzelplan 30, setzt die Bundesregierung ihre in den vergangenen Jahren eingeleitete Politik, der Forschungs-, Technologie- und Innovationsförderung neue, kräftige Impulse zu geben, fort. Diese Politik wird auch nicht durch die aus haushaltstechnischen Gründen unvermeidbaren Kürzungen der Ansätze beeinträchtigt. Es sind globale Minderausgaben in Höhe von 120 Millionen DM, 88 Millionen DM an sachlich begründeten Kürzungen, die zum größten Teil auf nicht abgerufenen Mitteln im Jahre 1979 beruhen. Diese Kürzungen schränken angesichts der bestehenden Verpflichtungen die Möglichkeiten zu neuen Aktivitäten oder die Ausdehnung laufender Projekte in vertretbarer Weise ein, und die Notwendigkeit zum Abbruch und zur Aufgabe von bereits angelaufenen Projekten ergibt sich nicht. Die globale Minderausgabe sollte den starken Zuwachs im Projektbereich reduzieren. Zukünftige weitere Reduzierungen zugunsten einer stärkeren indirekten Forschungs- und Entwicklungsförderung, eventuell auch zugunsten einer spezifisch indirekten Förderung, sollten ernsthaft erwogen werden. Insgesamt stimmt meine Fraktion dem Einzelplan. 30 in der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu und lehnt die Ergänzungs- und Zusatzanträge der Oppositon ab.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich gern mit einigen ArguBundesminister Dr. Hauff
menten des Kollegen Stavenhagen auseinandersetzen.
Ich beginne mit der Grundlagenforschung. Herr Stavenhagen, Sie haben gesagt, die Grundlagenforschung in der Bundesrepublik werde dort bürokratisch gehemmt, wo sie vom BMFT finanziert werde, und sie sei unzureichend dotiert. Ich halte beides für unzutreffend. Ich möchte in dem Zusammenhang anmerken und Sie daran erinnern, daß es der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, der in dieser Frage mindestens die gleiche Kompetenz wie Sie hat, war,
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der vor wenigen Tagen vor dem Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft die Drittmittelförderung des BMFT für Grundlagenvorhaben an den Hochschulen als hilfreich, schnell und unbürokratisch bezeichnet hat.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Hauff, Bundesminster für Forschung und Technologie: Aber selbstverständlich.
Herr Bundesminister, wissen Sie auch, daß der gleiche Präsident gesagt hat, daß es nicht angehe, daß der Bund mit direkter Mittelvergabe direkt in die Hochschulen hineinregiere?
Das ist nicht ganz zutreffend, aber ich komme auf den Punkt später einmal zurück.
Zunächst komme ich auf die vorliegenden Zahlen zu sprechen. Im Vergleich zu anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft - dies ist ein wichtiger Maßstab - nimmt die Bundesrepublik in der allgemeinen Forschungsförderung, so der Begriff der OECD, unter dem die Grundlagenforschungsbereiche zusammengefaßt sind, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft den ersten Platz ein. Bei uns sind es 43 % der staatlichen, von Bund und Ländern finanzierten Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, die in diesem Bereich lokalisiert sind. Nur wenige Vergleichszahlen: Während es bei uns 43 sind, sind es in Frankreich 24 % und in Großbritannien 20 %. Von einer Unterdotierung der Grundlagenforschung kann deshalb überhaupt keine Rede sein, und deswegen halte ich es auch nicht für redlich, bei diesen Zahlen von einer Vernachlässigung der Grundlagenforschung zu sprechen.
Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Maier-Leibnitz, hat kürzlich festgestellt, die Bereitstellung der sehr erheblichen Mittel für die Förderung der Grundlagenforschung ohne Zweckbindung im einzelnen und in voller Entscheidungsfreiheit der wissenschaftlichen Selbstverwaltung sei ein Ruhmesblatt der Wissenschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Darin hat er alle Parteien eingeschlossen. Ich meine, dieses Erbe verwalten wir gemeinsam, und wir sollten auch gemeinsam dazu beitragen, daß es so bleibt. Ich halte das für gut.
Ihr zweites Argument, Herr Kollege Stavenhagen, bezog sich auf die Solarenergie. Sie haben gesagt, da müsse zukunftsorientierter gearbeitet werden, eine längerfristige Orientierung sei notwendig. Zugleich haben Sie die Projekte kritisiert, die derzeit durchgeführt werden. Ich möchte dazu folgendes sagen: Gerade auf dem Gebiet der Photovoltaik, also der Direktumwandlung von Sonnenenergie in elektrischen Strom, nimmt die Bundesrepublik - mit einem zugegebenermaßen sehr ehrgeizigen, sehr risikoreichen Projekt - derzeit die internationale Spitzenstellung ein. Sie wird den Versuch unternehmen, im Zeitraum von etwas acht Jahren das Preis-Leistungs-Verhältnis für Solarenergiezellen im Verhältnis 1 : 100 zu verbessern. Das ist in der Tat ein sehr ehrgeiziges Ziel, aber wir sind auf diesem Weg schon ein ganz großes Stück vorangekommen. Offensichtlich sind Sie über dieses Projekt nicht informiert; ich will das gerne nachholen.
Wenn Sie sagen, der Sonnenturm beispielsweise -- Sie hätten auch die Sonnenfarm nehmen können; internationale Projekte, die durchgeführt werden, an denen sich übrigens nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch acht Länder der Internationalen Energie-Agentur beteiligen - sei nicht wirtschaftlich, so ist da etwas dran. Aber ich glaube, daß es widersprüchlich ist, zu fordern, man solle sehr, sehr langfristige Orientierungen vornehmen, gleichzeitig aber kurzfristig die Wirtschaftlichkeit erreichen. Das geht nicht; da muß man sich entscheiden. Wir haben uns dafür entschieden - ganz entsprechend der Feststellung von Herrn Laermann =, mit staatlicher Förderung die risikoreichen Bereiche zu erschließen, die kurzfristig eben noch nicht wirtschaftlich sind, die aber dann, wenn technische Durchbrüche gelingen, doch einen ganz erheblichen Beitrag gestatten. Es sind ja nicht nur wir, die auf diesem Gebiet arbeiten. Warum tun dies beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika?
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Also, bitte schön, ein bißchen mehr Ausgewogenheit auch in der Kritik!
Wir gehen in der Forschungs- und Technologiepolitik auf dem Energiesektor von folgenden Grundsätzen aus:
Die Versorgung mit Cl und später mit Gas wird unsicherer und vor allem teurer werden. Die Dritte Welt braucht das 01 als Überlebensvoraussetzung. Neue Energiequellen werden bis zur Jahrtausendwende sicherlich einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leisten können, aber ganz ohne Zweifel nicht in der Lage sein,. die Probleme umfassend zu lösen. Die Kernenergie und deren weitere Nutzung hängen vor allein von der schrittweisen Lösung des Entsorgungsproblems ab. Schnellbrutreaktoren und Hochtemperaturreaktoren werden vor der Jahrtausendwende kaum nennenswerte Beiträge zur Energieversorgung leisten. Sie sind heute noch sehr wichtige, entscheidende Optionen, aber noch keine langfristigen Möglichkeiten. Die Kohle
wird der wichtigste heimische Energieträger der Zukunft werden, der sowohl als Rohstoff als auch zur Strom-, Wärme- und Kraftstoffversorgung Anwendung finden wird, besonders in veredelter Form. Gerade dieser Bereich hat ja in den letzten Jahren mit den höchsten Mittelaufwuchs gehabt.
Die wichtigste Energiequelle wird aber die rationelle Energieverwendung sein, das heißt der Versuch, die gleiche Energiedienstleistung mit weniger Primärenergie zu erreichen. Darauf müssen wir uns konzentrieren; diese Arbeiten müssen wir durchführen. Da können wir keine Politik des Abwartens praktizieren. Das, worauf es zuerst ankommt, ist das Energiesparen; damit gilt es wirklich ernst zu machen. Weiter kommt es auf die Nutzung der Kohle, der Sonne und des Windes an, all dessen, was an regenerierbaren Energiequellen in der Diskussion ist.
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Aber auch die Kernenergie ist in diesem Zusammenhang zu nennen, und zwar mit einer klaren, dreifachen Zielsetzung: glaubwürdige Nichtverbreitungspolitik, Lösung der Entsorgungsfrage, und zwar die praktische Lösung - nicht nur in der Form, daß wir Konzepte vorlegen, sondern wir müssen schrittweise vorankommen: in der Frage des Endlagers, in der Frage der Technik, die zur Konditionierung oder zur Wiederaufarbeitung der BrennStoffe einzusetzen ist -, und Reaktorsicherheit. Herr Kollege Stavenhagen, ich warne dringend vor der Argumentation, die Sie heute vorgetragen ha- ben: daß eine Reduzierung der Reaktorsicherheitsforschung damit begründet wird, daß wir hier schon restlos befriedigende Zustände erreicht haben; dann würde nämlich auch der Umkehrschluß gelten. Vielmehr stehen wir im Kernenergiebereich vor der Notwendigkeit, immer und immer wieder zu fragen, wie wir das Risiko, mit dem die Kernenergie ohne Zweifel verknüpft ist, noch kleiner machen können. Da wird es kein Ende geben, sondern dies werden wir uns immer wieder neu zu fragen und voranzutreiben haben.
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Wir brauchen eine langfristige Orientierung auf die wirklichen Zukunftsprobleme hin, die sich in Wirtschaft und Gesellschaft stellen und die mit Hilfe der Forschungspolitik befriedigend gelöst werden können oder zu deren Lösung die Forschungspolitik mindestens einen wichtigen Beitrag leisten kann. Wir sind der Auffassung, daß die Mittel, die für die industrielle Forschungsförderung bereitgestellt werden können, zu einem überwiegenden Anteil gezielt auf langfristige Forschungsschwerpunkte im Sinn einer Vermeidung bzw. Abmilderung von absehbaren Engpaßsituationen eingesetzt werden sollen.
Ich will gar nicht über den Markt und die Notwendigkeit des Marktes mit Ihnen rechten. Ich glaube, daß wir da gar keinen Streit kriegen würden. Bitte, nennen Sie mir doch die Bereiche, wo wir derzeit fördern, von denen Sie der Meinung sind, sie sollten nicht gefördert werden: bei der künftigen Energie-und Rohstoffversorgung, bei möglichst rationellem und langfristig zuträglichem Umgang mit den Vorräten der Natur, bei der technischen Beherrschung und sozialen Einbettung der Möglichkeiten beispielsweise der modernen Elektronik oder der modernen Informationstechnologie, bei der Weiterentwicklung bestimmter industrieller Schlüsseltechnologien von der Materialforschung über die Biotechnologie, die Luftfahrt, die Meerestechnik bis hin zu ausgewählten Vorhaben der Fertigungstechnik, bei dem Problem des Umweltschutzes und der Umweltgestaltung, bei der Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur einschließlich des Wohnungs- und des Städtebaus und auch bei der Humanisierung des Arbeitslebens und der Verbesserung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Bevölkerung. Dies sind die Zukunftsaufgaben, vor denen wir stehen, die wir lösen müssen und wo wir dann auch fragen müssen: Welches Instrument ist am ehesten geeignet, dieses Problem zu lösen?
Direkte und indirekte Forschungsförderung sind überhaupt kein Gegensatzpaar. Das wurde wirklich eingehend genug nachgewiesen. Wenn Sie der Meinung sind, daß in einem Bereich zuviel geschieht, dann wird Ihre Kritik nur dann glaubwürdig, wenn Sie sie durch entsprechende Hinweise einlösen, welche Art der direkten Forschungsförderung Ihres Erachtens abgebaut werden soll. Wenn Sie dazu konkrete und praktische Vorschläge vorlegen, kommen wir einen erheblichen Schritt in der Diskussion weiter.
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Herr Bundesminister, würden Sie - Dr. Hauff, Bundesminister für Forschung und Technologie: Augenblick! Ich möchte den Gedanken zu Ende vortragen. Ich meine das gar nicht persönlich in bezug auf Sie. Aber wenn ich hier Schreiben - ich will Sie gar nicht zitieren - im Hinblick auf Motorentwicklungen kriege und 16 Zuschriften aus Ihrer Fraktion, sechs Zuschriften aus der SPD-Fraktion und eine Zuschrift aus der FDP-Fraktion bekomme, die alle sagen, bitte fördert, und wenn wichtige Vereinigungen Ihrer Partei dafür plädieren, daß gefördert werden soll, dann paßt das alles nicht ganz zusammen. Meine Bitte ist, daß sie mal in Ihren eigenen Reihen klären, was Sie denn nun tatsächlich wollen, und was nicht.
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Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen?
Dr. Hauff, Bundesminister für Forschung und Technologie. Nein. Ich möchte gern zum Ende kommen.
Ich komme zur Polarforschung.
Herr Kollege Stavenhagen, Sie sagen, hinsichtlich des Standorts des Polarforschungsinstituts sei in Hinterzimmern gekungelt worden. Ich möchte gern,
um dies auf das notwendige Maß der Auseinandersetzung zu reduzieren, präzise und klar sagen, wie der Entscheidungsgang und die Entscheidungskriterien des BMFT waren.
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Wir hatten Bewerbungen von folgenden Standorten: Hamburg, Bremen, Kiel, Münster, Emden und Flensburg. Zu diesen Standorten hat - neben dem Forschungsprogramm - der Wissenschaftsrat Stellung genommen. Er hat zwei dieser Standorte ganz ausgeschieden und gesagt: die kommen nicht in Betracht. Er hat einen Standort mit vielen Fragezeichen versehen; das war Münster. Und er hat drei Standorte für möglich gehalten, nämlich Hamburg, Bremen, Kiel und eventuell auch Münster. Er hat gesagt, aus seiner Sicht sei von den Standorten, die in Frage kommen, Kiel der beste. Er hat den Zusatz verabschiedet, den Herr Kollege Laermann in diesem Zusammenhang schon zitiert hat.
Wir haben als weiteres Kriterium das mitbeachtet, was mit Zustimmung Ihrer Kollegen im Rahmen der Fortschreibung des Rahmenplans für den Hochschulbau 1979 bis 1982 im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft verabschiedet wurde, wo dafür plädiert wird, eine verstärkte Ansiedlung geplanter Forschungsinstitute an den neu gegründeten Hochschulen vorzunehmen. Es war ein einstimmiger Beschluß, mit Ihren Stimmen. Dies ist ein weiteres Kriterium, das bei der Entscheidung zu beachten war.
Dann haben wir uns - Herr Kollege Stavenhagen, es wäre gut, wenn Sie auch das berücksichtigen würden - an die Rahmenvereinbarung zur außeruniversitären Forschungsförderung zu halten. Dort heißt es - nicht auf Betreiben des Bundes, sondern auf Betreiben der Bundesländer - im § 2 wörtlich: „Neben wissenschaftspolitischen Gesichtspunkten ist eine ausgewogene regionale Verteilung zu berücksichtigen." Dies ist die Ausführungsvereinbarung zur Förderung von Forschungseinrichtungen.
Wenn man nun der Frage der regionalen Ausgewogenheit nachgeht, stellt man fest: Nach dieser rechtlich verbindlichen Vorschrift sind wir verpflichtet, dieses Kriterium mitzuberücksichtigen, und dann kommt man zu dem Ergebnis, daß das Land Bremen, wenn man es mit dem Land Schleswig-Holstein vergleicht, um das Zwei- bis Vierfache schlechter gestellt ist, wenn man Bremen /Bremerhaven mit der Stadt Kiel vergleicht, etwa siebenfach schlechter gestellt ist in dem Bereich, so daß, wenn man das Kriterium der Rahmenvereinbarung ernst nimmt, ein klarer Hinweis darauf zu finden ist, wo dieses Institut anzusiedeln ist. Dies waren exakt die Kriterien, die der Wissenschaftsrat angesprochen hat, als er gesagt hat: Die sind mit zu berücksichtigen, und zu denen können wir aus rein wissenschaftspolitischer Sicht nicht Stellung nehmen. Das hat er nicht getan. Für uns war dieses Kriterium mit ausschlaggebend.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte zum Ende kommen.
Nun sagen Sie in der Begründung Ihres Antrags, Herr Kollege Stavenhagen: Der Wissenschaftsrat und alle mit der Frage des Sitzes des Polarinstituts befaßten Experten haben sich für Kiel ausgesprochen. Das ist irreführend und unrichtig.
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Es gibt eine Reihe von Wissenschaftlern, die sehr kompetent zu der Frage Stellung genommen haben, zum Beispiel eine Universität. Ich rede gar nicht von einzelnen Polarforschern, zum Beispiel in Karlsruhe, die für Bremen plädieren, sondern ich rede von einer Universität, und ich darf aus einem Brief des Rektors der Universität Münster zitieren, der zu dem Ergebnis kommt - der letzte Satz -: „So muß aus dieser Sicht der Stadt Bremen der Vorrang vor anderen Standorten gegeben werden." Ich sage nicht, daß die alle recht haben. Ich bitte Sie nur darum, ein bißchen aufrichtiger zu argumentieren, wenn Sie eine Entscheidung der Bundesregierung angreifen.
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Ich muß zum Schluß ein Wort zu dem bösen Ausdruck „Gutachter-Filz" sagen. Das möchte ich verknüpfen mit einem ausdrücklichen Dank an die Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure, die bereit waren, das Bundesministerium für Forschung und Technologie durch sachkundigen Rat im Rahmen der Gutachtertätigkeit in den letzten Jahren zu unterstützen.
({2})
Das ist mit ganz minimalem finanziellen Aufwand getan worden. Diese Leute haben ein anderes Wort verdient als „Gutachter-Filz", zumal da sie zum großen Teil auch ihre Freiheit dafür opfern, um dafür zu sorgen, daß die staatlichen Stellen möglichst sachkompetente Entscheidungen treffen können.
({3})
Wir sind die einzige Institution, die gerade auf dem Gebiet des Gutachterwesens eine volle Transparenz praktiziert und regelmäßig jährlich, sogar mit entsprechender Fortschreibung in den Zwischenzeiträumen, klar- und offenlegt, wer uns auf den einzelnen Gebieten berät und mit seinem sachverständigen Rat zur Seite steht.
Wenn Sie schon so harte Worte gebrauchen - ich tue das normalerweise nicht; wollen wir wirklich in der Art miteinander argumentieren -, dann muß ich fragen, warum Sie beispielsweise einen Antrag zur Aufstockung der Mittel für die Uhrenindustrie um 2 Millionen im Haushaltsausschuß gestellt haben und was das
({4}) mit Ihrer eigenen politischen Arbeit zu tun hat.
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Das ist meines Erachtens nicht der Stil, wie wir miteinander argumentieren sollten, sondern worauf wir
zu achten haben, ist, das kontroverse sachkompe15376
tente Urteil zu respektieren und bei unseren politischen Entscheidungen zu berücksichtigen.
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Herr Kollege Stavenhagen, zum Schluß komme ich noch zu den Medien. Sie sagen, in der Entwicklung auf dem Gebiet der Medien habe der Staat im Grunde genommen nichts zu suchen; es solle den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften überlassen bleiben, was auf dem Gebiet geschieht. Dies mag Ihre Position sein. Aber meine Bitte, ist, daß Sie zusammen mit uns versuchen, Antworten auf die Fragen zu finden, die beispielsweise vor wenigen Tagen der Landesbischof Claß in Stuttgart in der Stiftskirche formuliert hat. Diese Fragen erfordern von uns etwas durchdachtere Antworten, als das in Ihrem Debattenbeitrag angeklungen ist. Der Landesbischof hat dort gesagt - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Die Schöpfung, der Garten Gottes,. wird mehr und mehr zur Wüstenei. Der Lebensraum der Geschöpfe Gottes wird immer enger. Die Frage wird immer bedrängender: Darf der Mensch das technisch Mögliche wie bisher bedenkenlos in die Praxis umsetzen? Mir scheint, daß Christen, die den ersten Glaubensartikel ernst nehmen, dieses klar mit nein zu beantworten haben. Schon seit Jahren wird immer deutlicher, daß der äußeren Wüstenei, die der Mensch anrichtet, die innere, die Verwüstung der eigenen seelischen Landschaft entspricht. Zum Beispiel werden sie doch schon längst öffentlich diskutiert, die Schäden des übermäßigen Fernsehkonsums: Schrumpfen der Gesprächsfähigkeit, Konzentrationsmängel, Isolation, Anpassung an den Massengeschmack. Und nun wird uns heute gesagt, am Kabelfernsehen führe kein Weg vorbei. Dabei kann doch jedermann wissen, daß es, aufs Ganze gesehen, den Mensch mehr Schaden als Nutzen bringen wird. Es stellt sich auch hier die Frage: Muß der Mensch denn alles machen, was er kann? Ich meine, nein, er muß nicht.
So weit der Landesbischof. Ich kann mich mit den Formulierungen im einzelnen nicht identifizieren; aber ich nehme die Äußerung eines solchen Mannes so ernst, daß ich sage, wir müssen mindestens mit der gleichen Ernsthaftigkeit - wir alle miteinander - über die Frage nachdenken und den Streit über die richtige Antwort auch hier im Deutschen Bundestag so ernsthaft und so kontrovers führen, daß wir von denen, die darüber nachdenken draußen im Lande, auch tatsächlich ernst genommen werden.
({7}): Deswegen
wollen Sie Luxemburg die Muskeln zeigen!)
Da haben wir, meine ich, alle miteinander einen gewissen Nachholbedarf gerade im Zusammenhang mit der Diskussion von neuen Medien, die meines Erachtens exemplarisch steht für die Auseinandersetzung mit neuen Technologien und für die Art, wie wir Politiker mit diesen Fragen umgehen, ob wir dort noch die notwendige Sensibilität haben - auch die notwendige Entschlußkraft aufbringen, wenn es
erforderlich ist -, um überhaupt noch von denen gehört zu werden, die mit Sorgen auf die Zukunft blicken, wenn sie an solche Entwicklungen denken.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte jetzt der Versuchung widerstehen, in einer Wadenbeißerei Punkt für Punkt die einzelnen angesprochenen Komplexe hier zu widerlegen, möchte aber feststellen, daß es die Fraktion der CDU/CSU nie an dem nötigen Ernst und an der nötigen Sorgfalt hat fehlen lassen - und das wird auch in der Zukunft so bleiben -, wenn es darum geht, sich sachlich auseinanderzusetzen und alle strittigen Punkte in der angemessenen Form zu behandeln.
Ich möchte diese Haushaltsdebatte aber auch nicht nur als eine Veranstaltung auffassen, wo es nur ums Geld geht; die Haushaltskollegen werden mir das nachsehen. Sie bietet auch die Gelegenheit, sich prinzipiell mit der Politik der Bundesregierung auseinanderzusetzen. Dazu einige Bemerkungen, um quasi auch die ideologischen Grundlagen einer solchen Politik deutlich zu machen.
Die Förderung von Wissenschaft, Forschung und technologischer Entwicklung ist für die kulturelle, geistige und wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes von grundsätzlicher Bedeutung. Wissenschaft, Forschung und neue Technologien gestalten die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidend mit. Sie helfen, die Probleme zu lösen. Deshalb muß Forschungspolitik ein wesentliches Element einer langfristigen und auf die Zukunft gerichteten Gesamtpolitik sein.
Europa steht vor der permanenten Herausforderung, durch verstärkte Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen - das gilt auch für unser Land in besonderer Weise - ein Abgleiten in die Mittelmäßigkeit aufzufangen und abzuwehren. Dabei kann wissenschaftliche und technologische Betätigung heute wie in der Vergangenheit wirkungsvoll dem Wohle des Menschen dienen. Wissenschaftlicher Rückstand dagegen muß schwerwiegende Folgen z. B. für die Beschäftigung haben und das gesamte Gesellschaftssystem in seiner sozialen Ausgewogenheit in Frage stellen. Wir brauchen weiteres Wachstum, um Strukturänderungen zu ertragen und soziale Belastungen abzufangen. Es muß die Frage gestellt werden, ob die Forschungs- und Technologiepolitik dieser Bundesregierung hier dieser Verpflichtung gerecht wird.
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Je mehr Forschung und technologische Entwicklung zum Instrument der Politik gemacht wird, um so größer wird nämlich die Gefahr, daß auch die Bereiche, die nicht auf bestimmte Ziele und Zwecke hin orientiert sind, in einen schematischen und geisttötenden Kontrollmechanismus eingespannt werden. Ausgeklügelte Instrumente sind für die Forschungsförderung entwickelt worden, die aber
leicht das Gegenteil von dem bewirken können, was sie bewirken sollen.
Die Tendenz in der Wissenschaft, sich der Bewertung durch staatliche Bürokratien zu entziehen, hat zugenommen. Mehr Vertrauen statt Reglementierung tut not. Dies bedeutet eine Abkehr von der administrativ-interventionistisch angelegten Forschungs- und Technologiepolitik. Das staatliche Handeln, das sich hier in wohlverstandener Zurückhaltung und auf das Setzen von verläßlichen langfristigen forschungs- und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen beschränken sollte, beeinflußt Forschung und Technologie durchgreifend, dies vor allem kurzfristig in Abhängigkeit von jeweils rasch wechselnden haushalts- und konjunkturpolitischen Zielen. Dies muß vermieden werden. Die Forderungen insbesondere der Sozialdemokraten, Forschungs- und Technologiepolitik stärker am gesellschaftlichen Bedarf, an der gesellschaftlichen Relevanz zu orientieren, qualitatives und selektives Wachstum sowie die Aktivierung von Investitionen auf den „richtigen" Gebieten zu veranlassen und Systemveränderung im Sinne staatlich reglementierter, vorausschauender, aktiver Strukturpolitik zu bewirken, verraten die gefährlichen Ansätze einer antimarktwirtschaftlichen Ideologie. Das mangelnde Vertrauen der SPD und der Bundesregierung in den Markt und die Marktbeteiligten, für sich selber richtig zu erkennen und entscheiden zu können, welches die privaten Bedürfnisse des Bürgers sind und welches die angemessenen Produktionsstrukturen und -prozesse sind und wie sie sich entwickeln sollen, führt zur Bevormundung - zumindest besteht diese Gefahr - durch ins Detail ausgearbeitete Förderprogramme.
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Tiber sie soll der Einstieg in die Lenkung privater Investitionen und damit auch von Produktionsstrukturen durch den Staat geschaffen werden. Mit Steuermitteln wird versucht, zunehmend in die Wirtschaft hineinzuregieren.
Neben den Branchen, die ungeschützt dem Wettbewerb ausgesetzt sind, gibt es jetzt jene Subventionsbranchen, bei denen der Wettbewerb durch staatliche Lenkung reduziert ist und die durch das süße Gift der staatlichen Alimentation ständig von den Bürokratien abhängig werden.
Die von Mißtrauen in die Wirtschaft gekennzeichnete Politik der Bundesregierung erzeugt naturgemäß auch ein Mangel an Vertrauen auf der anderen Seite, vor allem in die Verläßlichkeit der Rahmenbedingungen, die Stetigkeit und die Langfristigkeit der Maßnahmen und grundsätzlich in die staatliche Kontrolle und die Kompetenz der Kontrolleure.
Die Innovationskraft der Industrie hat eine Schlüsselfunktion für den wirtschaftlichen Wohlstand unseres Landes. Wichtig für die Innovationsentscheidungen der Unternehmer sind dabei die Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Situation und die Beurteilung der zukünftigen wirtschaftlichen Erwartungen. Hier kann die Politik ihren Beitrag leisten, indem sie Rahmenbedingungen setzt, die eine Kontinuität und Kalkulierbarkeit der politischen Entwicklung ermöglichen. .
Bei einer Auseinandersetzung mit der Forschungspolitik dieser Bundesregierung muß deshalb in erster Linie geprüft werden, ob diese Voraussetzungen auch erfüllt werden. Die Prüfung z. B. des Bundesforschungsberichts, über den wir uns sicherlich auch hier in diesem Plenum noch auseinandersetzen werden, zeigt, daß sich den klassischen Zielsetzungen, die sich kaum geändert haben, die auch konsensfähig sind, neue hinzugesellt haben, nämlich jetzt die Schonung der Ressourcen und z. B. auch die Abwägung der Chancen und Risiken technologischer Entwicklungen. Das ist eine Thema, das uns am Herzen liegt. Diese Zielsetzungen, meine Damen und Herren, bieten jedoch bei der Umsetzung in die Praxis vielerlei Ansätze für Kritik.
Ein Wort zur Grundlagenforschung. Ich möchte das wegen der Kürze der Zeit nicht ausführen. Ich verweise auf die Debatte, die wir hier am 21. September dieses Jahres geführt haben. Der Kollege Dr. Riesenhuber z. B. hat in seiner Rede damals einige Zahlen genannt, die für sich selbst sprechen. Es zeigt sich, daß seit dem letzten Bericht im Jahre 1975 die Bundesmittel in der Grundlagenforschung nominal kaum gewachsen und real sogar reduziert worden sind.
Ein weiterer Punkt betrifft die Bewertung technologischer Entwicklungen. Hier muß man sagen, daß schon in der 7. Legislaturperiode ein entsprechender Antrag der Unionsfraktionen gescheitert ist, obwohl in zahlreichen Hearings und Gutachten Notwendigkeit und Richtigkeit des Konzepts bewiesen waren. Der neue Antrag unserer Fraktion in der 8. Legislaturperiode hat zwischenzeitlich versucht, die Einwände aufzunehmen. Beim Präsidium des Deutschen Bundestages sollte eine kleine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, die sich mit dieser Problematik befaßt.
In den vergangenen Jahren ist - das muß man sagen - von seiten der SPD- und der FDP-Fraktion kein konstruktiver Beitrag gekommen, sondern es kamen immer nur Einwände. Man hat alle unsere Anträge immer wieder abgeschmettert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Simpfendörfer?
Herr Präsident, nein; wir sind schon sehr knapp mit der Zeit. Nachher hat ja noch jemand die Möglichkeit, sich hier zu Wort zu melden. Das wird noch geschehen.
({0})
Mein Eindruck ist: Hier sollten wir uns schleunigst verständigen. Das, was der Bundesminister zum Teil angesprochen hat, etwa in der Medienpolitik, hat letztlich auch mit der Frage der Technologiefolgenabschätzung zu tun. Es hat letztlich auch damit zu tun, daß man bei der Bevölkerung nur dann eine Zustimmung bekommen kann, wenn man mit den Folgen einer technologischen Entwicklung ins reine kommt. Aber mein Eindruck ist auch, Herr Mi15378
nister: Es darf nicht soweit kommen, daß vor lauter kritischem Hinterfragen letztlich die Entscheidungen ausbleiben.
Meine Damen und Herren, ich möchte unsere Position in der Forschungs- und Technologiepolitik noch einmal ganz klar thesenhaft zusammenfassen. Ich muß das etwas schnell tun, weil sonst die Zeit davonläuft.
Die direkte Forschungsförderung muß im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft und auf der Basis von Subsidiarität die begründete Ausnahme bei volkswirtschaftlich bedeutsamen Großprojekten sein. Indirekte Forschungs- und Entwicklungsförderung sollte die Regel sein. Die Unternehmen sollten im Regelfalle immer in der Lage sein, ihre Investitionen aus eigenen Erträgen, aus eigenen Gewinnen zu finanzieren. Das gilt auch im Bereich der Forschungs- und Entwicklungspolitik. Der Wettbewerb muß erhalten bleiben. Die Forschungs- und Entwicklungspolitik muß mittel- und langfristig angelegt werden. Sie eignet sich nicht für stop and go und für aktuelle Konjunktursteuerung.
Das oberste Prinzip der Forschungs- und Technologiepolitik muß sich ganz einfach im Setzen politischer Rahmenbedingungen erschöpfen. Die Autonomie der dezentralen Entscheidungen in den Unternehmen, in den Forschungseinrichtungen muß respektiert werden.
Diesen Forderungen stehen die Schwachpunkte der Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung gegenüber, die der Kollege Stavenhagen bereits charakterisiert hat. Ich nenne nur die Stichworte Projektfülle, Überbürokratisierung, Bevorzugung von Großunternehmen. Ich darf Sie auch noch einmal auf das hinweisen, was der Kollege Stavenhagen gesagt hat. Wer die Äußerungen des FDP-Kollegen Haussmann in dieser Sache nachlesen will, die unsere Haltung bestätigen, möge das im „Handelsblatt" vom 18. Oktober 1979 tun. Wer zusätzlich noch etwas wissen will, der möge sich an Hand der Rede des Bundeswirtschaftsministers vom 7. Dezember 1979 sachverständig machen. Dort heißt es - ich darf einmal wörtlich zitieren -:
Gezielte Projektforschung mag in manchen Fällen der Großforschung unvermeidbar sein. Übertreibungen führen jedoch sehr schnell dazu, daß die Gelder in den Taschen eines großen Mitnehmers verschwinden, der einer Förderung im allgemeinen am wenigsten bedarf.
Zum Schluß noch einige Bemerkungen.
({1})
- Ich weiß, jetzt kommt der Kalauer vom Dienst, und nur diejenigen, die im Verein der geistigen Tiefflieger Ehrenmitglied sind, klatschen an dieser Stelle. - In den letzten zwei Jahrzehnten - das sollten wir sehr ernst nehmen - hat sich in der Einstellung vieler Menschen zu Wissenschaft und Technik eine dramatische Veränderung vollzogen. Vor 20 Jahren, als z. B. die ersten Satelliten die Erde umkreisten, waren Wissenschaft und Technik die Zukunftshoffnung der Menschheit. Man verstand, daß Wissenschaft und Technik u. a. ihren Beitrag
dazu geleistet hatten, die großen Probleme der Menschheit zu lösen, nämlich den Hunger zu überwinden, die Not in den Industrieländern zu beseitigen. Erst Wissenschaft und Technik haben das ermöglicht.
In der Zwischenzeit ist aber - das wird man in der Debatte zum Einzelplan 30 wohl noch anmerken dürfen - eine beträchtliche Ernüchterung eingetreten, die uns Probleme schafft. Man mißtraut Wissenschaft und Technik und lastet ihnen alle möglichen Mängel an, z. B. bei den Umweltproblemen, oder aber man spricht von der Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Kernwaffen. Damit verbunden ist eine Art Irrationalismus, ein neues Mittelalter. Der Versuch, die Welt und den Menschen mit den Mitteln der Vernunft zu lenken und zu erklären, wird nicht mehr recht ernst genommen. Man verurteilt alles, was groß ist. Man spricht von „small is beautiful", und das in einer Welt mit vier Milliarden Menschen. Die Prediger dieser neuen Religion haben bisher nur vage Vorstellungen entwickelt. Ihr Gott ist z. B. die energiespendende Sonne und ihr Teufel
- ein anderes Beispiel - das Plutonium. Aber seine Gläubigen brauchen Benzin, um zur nächsten Antikernkraftdemonstration zu fahren.
Was sind die Ursachen der mißtrauischen Einstellung zu Wissenschaft und Technik?
({2})
- Ich möchte Ihnen noch ganz andere Dinge sagen. Aber dann wird mich der Präsident wahrscheinlich zur Ordnung rufen. - Man kann nicht darüber hinwegsehen, daß die Ursachen zum großen Teil in der Entwicklung von Wissenschaft und Technik selbst liegen. Gerade in der Kernenergiefrage zeigt sich die Ambivalenz der menschlichen Schöpfungen. Hier kann die technische Entwicklung wie in vielen anderen Bereichen sowohl zum Guten wie zum Bösen eingesetzt werden. Den Zweiflern möchte ich in diesem Zusammenhang ein Zitat des Atomwissenschaftlers Professor Grümm vorlesen. Er hat einmal gesagt - das bestätigt nur, was ich sage -: „Die friedliche Nutzung der Kernenergie hat mit der Atombombe genausoviel und -sowenig zu tun wie die Elektrizität mit dem elektrischen Stuhl.
Eine weitere Ursache für das wachsende Mißtrauen gegen die Wissenschaft liegt aber auch im Verhalten der Wissenschaftler selbst.
({3})
Fachleute sind vielfach nicht imstande, sich mit klaren Worten und in einer verständlichen Sprache auszudrücken.
({4})
- Wer das nicht versteht, der muß, meine ich, irgendwo gefehlt haben. Ich versuche ja schon, mich so auszudrücken, daß selbst Sie es verstehen.
Die Wissenschaftler erzeugen ein Fachchinesisch, das der Offentlichkeit oft unverständlich ist. Es fehlt offensichtlich an einer geeigneten Zahl von Dolmetschern.
Meine Damen und Herren, es ist die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung in dieser Diskussion ihrer Verpflichtung nachgekommen ist.
({5})
- Die Diskussion um den technischen Fortschritt, Herr Kollege Stahl, muß geführt werden. Ich hoffe, auch Sie sind damit einverstanden. Die Diskussion um das Wachstum muß geführt werden. Aber die Bundesregierung hat auch hier eine Führungsaufgabe. Die Bundesregierung hat die Pflicht und Schuldigkeit, nicht alles nur kritisch zu hinterfragen, sondern auch die Chancen der Technik für die Menschheit klarzustellen. Sie hat auch eine Art Leitfunktion. Sie darf nicht nur Wasser in den Wein gießen und alle Optionen offenhalten, sondern sie hat die Aufgabe, Vertrauen zu vermitteln. Bei der immer wieder nötigen Güterabwägung sollte herausgestellt werden, daß ohne technischen Fortschritt die Zukunftsprobleme mit Sicherheit nicht gelöst werden können.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vohrer.
({0})
- Meine Damen und Herren, das ist der vorletzte Redner, soweit die Meldungen vorliegen. Insgesamt, auch für den nächsten Redner, sind 15 Minuten vorgesehen. Wenn Sie mit der nötigen Konzentration und Aufmerksamkeit zuhören, geht das viel schneller über die Bühne. - Darf ich bitten.
({1})
Herr Präsident! Meine verehrten Kollegen! Ich möchte nicht auf die teilweise polemischen Ausführungen meines Kollegen Lenzer eingehen, sondern einige kritische Bemerkungen zu dem Zusammenhang zwischen Energiepolitik und Energieforschung machen, insbesondere zu der Struktur der Energieforschungsausgaben im Einzelplan 30.
Wenn Sie die Regierungspolitik im Energiebereich verfolgen, dann werden Sie bei den Maßnahmen ganz vorne immer finden: Energieeinsparen, rationelle Energieverwendung, Substition von Öl durch Kohle und Kernenergie sowie regenerierbare Energieträger.
Daß Sie von der Opposition kein Verhältnis zum Einsparen haben, hat der Herr Biedenkopf bewiesen, Herr Lenzer; denn er war der Mann, der sich hier an dem Pult über Energieeinsparen lustig machte. Er führte in seinem Beitrag aus:
Es wird außerdem festgestellt ..., die sicherste Energie sei die gesparte Energie.
({0})
Daraufhin steht hier im Protokoll der Vermerk: „Heiterkeit bei der CDU/CSU". Dann merkt . Herr Biedenkopf an:
Mit anderen Worten: Macht das Licht aus, Genossen, dann kann es nicht mehr ausgehen!
({1})
Meine Damen und Herren, wer Energiesparen in
der Weise diskriminiert, der hat überhaupt kein
Verhältnis zu dem Ansatz, der in absehbarer Zeit zumindest als kurzfristige Maßnahme - der wichtigste und ergiebigste sein wird.
({2})
Wir haben aber auch energiepolitische Aussagen der beiden Koalitionsparteien. Die SPD hat in Berlin bei ihren energiepolitischen Grundsätzen und Eckwerten folgenden Maßnahmenkatalog beschlossen: Erstens: Weg vom 01, zweitens: Bessere Nutzung und Einsparung von Energie, drittens: Neue Energiequellen, viertens: Vorrang der heimischen Kohle, fünftens: Weitere Nutzung der Kernenergie nur subsidiär zur Kohle. Darüber hinaus will die SPD die Option „mit oder ohne Kernenergie offenhalten.
Die Bremer Beschlüsse der FDP unterscheiden sich davon nur wenig. Einsparen steht hier an erster Stelle, an zweiter Stelle steht die Verbesserung des Wirkungsgrades der Energie, an dritter Stelle stehen alternative Energien, an vierter Stelle steht die Berücksichtigung der Belange des deutschen Steinkohlebergbaus. Auch wir haben uns die Option offengehalten, im Zweifelsfalle ohne nukleare Energie auszukommen. Insofern kann man es sich auch hier nicht so leicht machen, wie es sich Herr Biedenkopf gemacht hat, indem er über die Option, ohne Kernenergie auskommen zu wollen, witzelte und so tat, als ob das eine Nichtbereitschaft zur Entscheidung wäre. Ganz im Gegenteil: Die Option, ohne Kernenergie auszukommen, bedeutet die Entscheidung, auch alternative Energien jetzt zu fördern.
({3})
Das ist der Punkt, weshalb ich mich kritisch mit dem Forschungshaushalt auseinandersetze; denn dort liegt eine der Schlüsselzahlen, die es kritisch zu durchleuchten gilt: die Relation der Ausgaben für nukleare Forschung zu denen für nichtnukleare Forschung. Diese Zahlen sind Gradmesser, wie ernst es der Bundesregierung mit der Option, möglicherweise auch ohne Kernenergie auszukommen, wirklich ist.
Jene Schlüsselzahlen haben sich im Verlauf der letzten Jahre - ich möchte fast sagen: Jahrzehnte - zugunsten der nichtnuklearen Forschung entwikkelt. Ursprünglich war das Ministerium ja ein Atomministerium. Wir hatten aber schon 1977 drei Viertel der Energieforschung als nukleare und ein Viertel als nichtnukleare Forschung. Der Trend wurde 1978 fortgeschrieben. Da hatten wir nur noch zwei Drittel als nukleare Forschung. 1979 lag die nukleare Forschung erstmalig unter 60%. Mir hätte sehr daran gelegen, daß dieser Trend möglichst linear fortgesetzt worden wäre. In dieser Hinsicht bringt der Haushalt 1980 aber einen Bruch; denn der Prozentsatz der nichtnuklearen Forschung geht von unter 60% jetzt wieder nach oben und erreicht fast
zwei Drittel, obwohl dem Haushaltsausschuß hier das Verdienst zukommt, daß er durch seinen parlamentarischen Einfluß die Struktur der Energieforschungsausgaben noch zugunsten der nichtnuklearen Forschung verbessert hat.
Die Zahlen in der mittelfristigen Finanzplanung weisen nahezu den gleichen Trend auf.
Mir liegt sehr viel daran, hier deutlich zu machen, daß es in diesem Haus auch Kräfte gibt, die die nichtnukleare Forschung stärker gefördert sehen wollen, um damit die Option, langfristig auch ohne Kernenergie auszukommen, nach außen deutlicher zu machen.
({4}) Meine lieben Parteifreunde -
({5})
Meine lieben Kollegen, ich möchte hier eines deutlich machen. Ich stehe zu der sozialliberalen Koalition, und für mich ist der Haushalt eine politisch essentielle Entscheidung für oder gegen diese Regierung. Deshalb werde ich den Haushalt auch nicht ablehnen.
({6})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Vohrer (FDP: Nein.
({0})
Aber ich möchte eines deutlich machen: daß nämlich Parlamentarier an den Stellen, wo sie sich politisch herausgefordert fühlen, dem Minister rechtzeitig sagen sollten, welche Haushaltsstruktur sie langfristig mitverantworten können. Das wollte ich mit meinem Beitrag hier ausdrücken. Ich hoffe, dies wird von den Kollegen auf der Regierungsbank richtig verstanden.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Stockleben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin zwar auch Jahrgang 1933, kann aber nicht so forsch lesen wie Sie, Herr Lenzer. Sie haben in Ihrem Leben als Studienrat andere Erfahrungen gemacht als ich. Aber ich sage Ihnen: Was Sie und Herr Stavenhagen hier als Ideologie hingestellt haben, trifft den Lebensnerv der Arbeiter. Die Unternehmerideologie beginnt dort, wo man sagt: „Humanisierung der Arbeit - ja. Aber sie darf nichts kosten, und zweitens muß sie zur Rationalisierung führen Dann sind Sie alle dabei. Wenn dies aber zu mehr Freiheit und zu sozialen Reformen führen soll, dann blocken Sie gemeinsam mit denjenigen ab, die da erklären, die Mitbestimmung habe auf diesem Felde nichts zu suchen.
({0})
Ich sage Ihnen folgendes ganz deutlich. Neulich las ich einen Artikel in der „Welt". Da hieß es in Ausführungen von Herrn Zimmerer, Mitbestimmung sei die Behauptung, daß man durch die Aussaat von Disteln die Getreideernte erhöhen könne. Das ist die Ideologie, die der Humanisierung der Arbeit in der Strategie völlig entgegensteht. Die Modelle sind schiefgegangen bzw. nicht so erfolgreich gewesen, an denen wir die Arbeitnehmer nicht von Anfang an entsprechend beteiligt haben.
({1})
Ich plädiere dafür, daß nicht nur die Betriebsräte - ({2})
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, auch ich habe nur wenige Minuten zur Verfügung.
({0})
- Dies ist in der Tat so. Wir suchen in der Technologiepolitik, in diesem technologischen Wandel, Herr Stavenhagen, das Gespräch mit allen Beteiligten, mit den Gewerkschaften, mit den Kirchen.
Was wir im Ausschuß mit der Abschätzung der Technologiefolgen auf den Weg gebracht haben, möchte ich hier einmal mit den Worten vortragen, die der Fraktionsvorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion dafür gebraucht hat. Dies wird Leitschnur für unsere Forschungs- und Technologiepolitik sein. Er sagt: „Weder die Fachleute allein, noch die Forscher und Wissenschaftler allein, noch die in der Politik Wirkenden allein sind imstande, die Problème zu lösen, so daß es dem ganzen Volk zugute kommt. Deshalb miteinander reden, aufeinander hören, füreinander Verständnis gewinnen, statt nur oder vorwiegend übereinander zu reden und sich gegeneinander zu versteifen.
({1})
Wenn wir dies nicht leisten, werden wir ähnlich wie bei der Kernenergie einen Stau bekommen, weil sich Arbeitnehmer und ihre Organisationen gegen den raschen technologischen Wandel wehren.
({2})
Das gilt nicht nur für die Industriebetriebe, sondern auch für die Verwaltung angesichts dessen, was im Rahmen der Mikroelektronik an rascher Veränderung der Strukturen auf uns zukommt.
({3})
Deswegen plädiere ich dafür, den Versuch zu unternehmen, die unmittelbar Betroffenen auch an der Forschungspolitik stärker teilhaben zu lassen, sie an
Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode Stockleben
der Entwicklung zu beteiligen, damit sie nicht nur angewiesen werden, dies oder jenes zu tun, sondern den technologischen Wandel in den Betrieben mitvollziehen können. Sonst wird die Entwicklung dazu führen, daß hier wieder Schwellen eingebaut werden. Diejenigen, die den technologischen Wandel nicht packen, werden dann abgeschoben zum Arbeitsamt, mit Sozialplänen, mit vielen Milliarden DM, die die Unternehmen bereitstellen, und der Staat muß dann umgekehrt wieder umschulen und weiterbilden.
Die Steigerung der Mittel im Humanisierungsprogramm um fast 35 Millionen DM ist genau auf diesen Punkt gerichtet. Ich behaupte, daß wir 300 000, 400 000 Arbeitslose haben, die nicht mehr leistungsfähig sind. Es sind keine Schwerbehinderten im Sinne des Schwerbehindertengesetzes, sondern Leistungsgeminderte, die man abgeschoben hat, die dem Leistungsstreß, den Leistungserwartungen nicht mehr standhalten. Dies ist der Punkt, und genau auf ihn zielen wir mit der Erhöhung der Mittel im Programm Humanisierung des Arbeitslebens. Ich bitte alle Kollegen diese Hauses wirklich, diesem Titel mehr Bedeutung beizumessen, insbesondere wenn es darum geht, diese Mittel einzusetzen, um Sozialfolgekosten zu minimieren und damit auch den Sozialetat und um damit die Leistungsfähigkeit des einzelnen für die Dauer zu erhalten.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zum Einzelplan 30 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 14 zu Kap. 3001 Tit. 53101 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag auf Drucksache 8/3499 zu Kap. 3006 Titelgruppe 08 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({0})
Gegenprobe! - Enthaltungen? ({1})
Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
({2})
Wir kommen jetzt zu der Abstimmung über den Einzelplan 30. Wer dem Einzelplan 30 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einzelplan 30 ist in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für
Bildung und Wissenschaft - Drucksache 8/3392 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Stavenhagen
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Benedix-Engler.
Einen Moment bitte, Frau Abgeordnete. - Darf ich bitten, daß die Damen und Herren Abgeordneten, die an den weiteren Beratungen teilnehmen wollen, Platz nehmen und daß die Abgeordneten, die andere Verpflichtungen haben, den Saal verlassen. Dies gilt für beide Seiten des Hauses. Das gilt auch für die Mitte.
Bitte, beginnen Sie, Frau Abgeordnete.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe einfach nicht geglaubt, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, noch einmal auf einer Bildungsdebatte bestehen würden, weil Sie bei der letzten Bildungsdebatte weiß Gott mit leeren Händen dagestanden haben.
({0})
- Aber bitte, Sie können die Auseinandersetzung haben, Herr Wehner.
Ich wende mich gleich den Rednern zu, die sich vor allen Dingen am ersten Tage, an dem wir generell debattiert haben, der Bildungspolitik angenommen haben. Ich beginne mit Herrn Minister Rohde, einem der inzwischen zahlreich gewordenen ehemaligen Minister für Bildung und Wissenschaft. Herr Rohde beklagte geradezu leidenschaftlich und mit Pathos, daß die großen Reformen in der Grauzone zwischen Bund und Ländern steckengeblieben seien. Ich erinnere mich noch, daß Herr Rohde zu Beginn seiner Amtsperiode geradezu verklärt von den Prioritäten der Bildungspolitik, von dem besonderen Stellenwert und dem ersten politischen Rang, den sie hat, sprach. Ich kann Ihnen, Herr Kollege Rohde, jetzt nur sagen, Ihre Bildungsreform ist zunächst in Ihrem Bundeshaushalt steckengeblieben. Ich wüßte nämlich nicht, wo Anspruch in Regierungserklärungen und Wirklichkeit in Haushaltsansätzen stärker auseinanderklaffen als im Bereich des Einzelplans 31. Zwischen dem Schein der großen Reformbeglückung und dem Sein dieses geschrumpften Haushalts einschließlich der Reformtrümmer, über die Sie, meine Damen und Herren der Koalition, ja auch allerorts stolpern, liegt wirklich ein tiefer Graben.
Die wenigen Akzente, die Sie gesetzt haben, sind auch noch falsch gesetzt worden. Ich denke nur an die Modellversuche im Rahmen des Bund-LänderVersuchsprogramms. Dieser ganze Bereich hat sich wirklich zu einer unkontrollierten Grauzone entwickelt.
({1})
Fast alle vom Bund geförderten Modellversuche dienen der Integration, wollen das gegliederte Schulwesen aushöhlen oder überwinden. Die in diesen integrierten Modellschulen unterrichteten Schüler haben Anschlußschwierigkeiten, wenn sie auf eine normale Schule übergehen wollen. Um dies zu umgehen, hat man sich nun o. g. Modellregionen zugewandt und sich diesen Begriff ausgedacht. Dies bedeutet in der Tat, daß in diesen Regionen praktisch keine Alternative mehr vorhanden ist und daß die Eltern dort keinen Einfluß mehr auf die Schuhlaufbahn ihrer Kinder haben.
Das entscheidende Kriterium eines Versuchs, nämlich die Ergebnisoffenheit, ist hier völlig illusorisch, denn die geschaffenen Tatsachen in diesen Modellregionen sind natürlich nicht mehr zu korrigieren. Dies ist eine kalte Methode, falsche bildungspolitische Ansätze auf den Weg zu bringen.
Ich nenne die Doppelqualifizierung, die deshalb nicht sinnvoll ist, weil ich eben nicht auf einem Wege zu zwei Zielen, gleich gut ausgerüstet, gelangen kann. Ich nenne den besonderen Akzent, den Sie bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten deshalb gesetzt haben, weil darin die außerbetrieblichen, die im vorigen Haushalt noch separat genannt wurden, verborgen sind.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Ich habe zu wenig Zeit, nur zehn Minuten; entschuldigen Sie bitte.
Frau Abgeordnete, gilt das für die gesamte Redezeit?
Ja. - Warum haben wir uns immer gegen diese außerbetrieblichen Ausbildungsstätten gewandt? Weil es für die praktische Ausbildung im Betrieb keinen Ersatz gibt und weil die jetzt geförderten Ausbildungsstätten gerade dann fertig sind, meine Damen und Herren, wenn der große Schülerberg abgebaut wird. Dann aber stehen diese Ausbildungsstätten da. Sie stehen da mit pädagogischem Personal, und dieses Pesonal wird natürlich um jeden Preis versuchen, Auszubildende an sich zu ziehen, Auszubildende, die damit der praktischen Ausbildung in der Wirtschaft entzogen werden.
Mir kommt es manchmal so vor, als sollte auf diesem Wege doch noch das Wort von Herrn Professor Blankertz, den Sie ja in Nordrhein-Westfalen mit großem Vertrauen bedacht und mit großen Aufgaben betraut haben, Wirklichkeit werden. Er hat einmal gesagt: Unser Ziel ist es, die duale Ausbildung in Betrieb und Schule langsam auszutrocknen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir aber werden uns im Interesse unserer jungen Leute diese praktische Ausbildung, die in der ganzen Welt ohne Beispiel ist, nicht kaputtmachen lassen.
({1})
Ich wende mich nun noch der in der Auseinandersetzung ja so oft angesprochenen Gesamtschule zu. Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn es um Veränderungen im Schulwesen ginge, die sich auf begrenztem Raum vollziehen und die jederzeit korrigierbar sind, würde ich mit Leidenschaft dafür plädieren, den Kampf gegen die Gesamtschule einzustellen. Aber es geht ja nicht um Veränderungen, sondern um den radikalen Umbruch eines über Generationen gewachsenen und von unendlich viel pädagogischer Erfahrung und wissenschatlichem Einsatz gestalteten Schulsystems.
({2})
Da muß man für seine Einsichten mit Leidenschaft kämpfen.
({3})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie stellen doch die Dinge auf den Kopf, wenn Sie die Beweislast für die bessere Eignung dem gegliederten Schulwesen zuweisen. Nein, die Beweislast muß schon der tragen, der das System verändern will
({4})
und der dafür erhebliche personelle und finanzielle
Mittel beansprucht, nämlich, wie Sie selbst ja in Ihren Ankündigungen propagieren, 40 bis 50 % mehr.
({5})
Der Herr Kollege Mischnick hat am ersten Tage der Debatte die These aufgestellt: Da, wo eine Minderheit ein Gymnasium haben will, muß das zugestanden werden, und wo eine Minderheit die Gesamtschule will, muß dies ebenfalls zugestanden werden.
({6})
Dies sei liberale Schulpolitik. Ich frage Herrn Mischnick: Mit welchem Anspruch tritt die Gesamtschule eigentlich seit 15 Jahren auf? Mit welchem Anspruch verlangt sie den großen personellen und materiellen Einsatz? Doch stets mit dem Angebot, Chancengleichheit dadurch zu gewährleisten, daß ein breites individuelles Angebot mit vielfältigen Kursen und Durchlässigkeit gemacht wird. Deshalb muß diese Schule ja auch eine bestimmte Größe haben; sonst stehen doch die Kurse nur auf dem Papier.
Nun frage ich Herrn Mischnick und Sie, meine Damen und Herren von der FDP und auch von der SPD: Wie soll denn diese Minderheitenschule bei den zurückgehenden Schülerzahlen aussehen? Wenn Sie sie vor Ort anbieten wollen, kann sie doch nur eine Mini-Einheitsschule sein. Wenn Sie sie aber differenziert anbieten wollen, brauchen Sie doch in unseren ländlichen Räumen bei der zurückgehenden Schülerzahl- einen Einzugsbereich von 30 oder 40 oder 50 km.
({7})
Die Schüler wären dann in der Tat gestreßte Schwerarbeiter.
({8})
Meine Damen und Herren, warum sagen Sie den Eltern nicht, daß Gesamtschule heute eben entweder Schule mit langen Schulwegen oder Einheitsschule bedeutet? Warum wollen Sie die Eltern wiederum hinters Licht führen?
({9})
Aber dies ist leider nur ein neues Kapitel unaufrichtiger Argumentation.
Die Tätigkeit der Politiker in dieser Auseinandersetzung um das bessere Schulsystem muß sich doch wohl darauf beschränken, dafür zu sorgen, daß eine ausreichend lange Erprobung mit völliger Ergebnisoffenheit vor sich gehen kann, daß das Experimentieren auf einem begrenzten, überschaubaren Felde erfolgt und daß dann eine Reihe von objektiven Studien über die Erfahrungsberichte der verschiedenen Länder von Pädagogen offen diskutiert werden können. Das sicherzustellen, ist doch wohl die Aufgabe der Politiker.
Ich erinnere noch einmal an die Probleme, die wir zu Beginn der Reformbemühungen ja gemeinsam erkannten. Ich nenne nur stichwortartig: Abbrecher, Durchlässigkeit, Spätentwickler, bildungsferne Schichten, Graben zwischen Schule und Hochschule, zu geringer Bezug der Schule zur Lebens- und Arbeitswirklichheit usw. Es stellte sich doch für uns alle die Frage: Sind dies alles Mängel des gegliederten Systems, die innerhalb des Systems überwunden werden können, oder können sie nur durch Systemumbruch überwunden werden, sprich: durch die integrierte Gesamtschule? Das war doch die redliche Fragestellung. Erst nach einer ruhigen Versuchsphase sollten die Politiker sprechen. Inzwischen haben wir dafür zu sorgen, daß die Ergebnisse nicht manipuliert werden.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben das Wort „Fremdbestimmung" in die Gesetzesberatung eingeführt. Wenn bei irgendeiner Auseinandersetzung das Wort Fremdbestimmung am Platze ist, eine Fremdbestimmung, die man abwehren muß, dann ist das hier in der Bildungspolitik.
({10})
Abwehren müssen wir den Einfluß der Gruppen und Argumente, die gottlob nur mühsam versteckt hinter hehren Motiven ihre eigenen Ziele verfolgen. Ich nehme hier keinen aus: die leidgeprüften Eltern, die für ihr anders begabtes Kind ein billigeres Abitur erhoffen, die Sozialromantiker, die vom Einheitsschnittmuster für alle Menschen träumen, die ehrgeizigen Kommunalpolitiker, die zunächst an ein neues Schulgebäude für ihre eigene Gemeinde denken, die Standespolitiker, die auf Sozialprestige bedacht sind, die Besoldungsstrategen, die Stellenanhebungen und Stellenkegel im Hinterkopf haben, die pädagogischen Theoretiker, die sich dem etwas abgewandelten Spruch von Hegel verbunden fühlen, daß dann, wenn Praxis und Theorie nicht übereinstimmen, die Praxis - sprich hier: der Mensch eben Pech gehabt hat, und schließlich die Gesellschaftsveränderer, die uns über die Schule der Gesellschaft der Gleichen näherbringen wollen. Es ist Aufgabe der Politiker, diese Fremdbestimmung abzuwehren, damit unbeeinflußt davon das für das einzelne Kind, für seine Entfaltungs- und Förderungsmöglichkeiten bessere Schulsystem erkannt werden kann.
({11})
Ich gebe zu, wir haben hier alle gesündigt. Aber Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben das unvergleichlich schwerwiegender und vor allen Dingen ohne Einsicht getan. Die Empfehlungen des Bildungsrates mit den 40 Modellversuchen, das Übereinkommen der Bund-Länder-Bildungsplanungskommission waren eine tragfähige Basis. Aber schon zu Beginn der 70er Jahre verließen Sie diese Linie, und dann machten Sie Kehrtwendung in der Argumentation, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die einem Hören und Sehen vergehen ließ. So erklärten Schulexperten der SPD und Kultusminister im Jahre 1969: Wir fordern die integrierte Gesamtschule als Versuch, Ergebnis offen, wissenschaftlich begleitet. Damit waren wir völlig d'accord. Schon zwei Jahre später hieß es: Wir fordern diese Schule mit dem Ziel der endgültigen Einführung. Damit war die Linie des echten Versuchs aber bereits verlassen; denn dann ging es gar nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Etwa im Jahre 1972 hieß es zum erstenmal, der wissenschaftliche Vergleich sei gar nicht mehr notwendig, weil man Unvergleichbares nicht vergleichen könne. Dann wurden die Vorteile der integrierten Gesamtschule in den Landesparlamenten gepriesen, z. B. die Leistungssteigerung und daß etwa die Hälfte des Jahrgangs das Abitur erreichen kann. Was zeichnet sich inzwischen ab? Die bessere Studierfähigkeit für eine größere Zahl von Schülern ist auf Grund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse wirklich nicht mehr ins Feld zu führen. Durchlässigkeit, längeres Offenhalten des Schul- und Ausbildungsweges wurden versprochen, doch es zeichnete sich ab, daß sich die sogenannte Durchlässigkeit fast ausschließlich ab- und nicht aufwärts vollzieht. Wer im letzten Kurs ist, bleibt in der Regel im letzten Kurs.
Man wollte die soziale Integration schaffen. Es zeichnete sich ab, daß sie nicht stattfindet, weil in integrierten Gesamtschulen dem Langsamen sein Langsamsein und dem anderen sein Anderssein viel schmerzlicher bewußt wird. Man warb mit Erziehung zur Demokratie: die demokratische Schule, Förderung demokratischer Verantwortung. Daß integrierte Gesamtschulen ein Hort demokratischen Verhaltens und demokratischer Tugend sind, worunter wir doch wohl übereinstimmend Toleranz, Fairneß und Humanität verstehen, kann man nun wirklich nicht mehr sagen. Im Gegenteil, auf Grund des vergleichsweise viel höheren Zerstörungsgrades ist dieses Ziel in diesen Schulen ins Gegenteil verkehrt. Ich erinnere nur an die Vorgänge in Frankfurt-Nordweststadt. Sie wissen, daß sich vor etwa zwei Jahren die Eltern, die diese Schule alle befürwortet haben, in der Offentlichkeit an die Ver15384
antwortlichen gewandt und gesagt haben: Wenn ihr uns nicht genausoviel Psychagogen, Pädagogen und Sozialarbeiter gebt, wie ihr uns Lehrer gegeben habt, dann müßt ihr bald das Personal der umliegenden Polizeireviere um 100% aufstocken. Selbst die beschworene Chancengleichheit entpuppt sich ja mehr und mehr als Chance, gleichmäßig wenig zu lernen. Die Antwort eines namhaften Bildungspolitikers darauf heißt: Gut, wenn wir dies alles nicht erreichen können, so sagen wir trotzdem: Die Gesamtschule kommt, weil sie kommen muß. Sie kommt wie das Amen in der Kirche. - Das ist pädagogisch wirklich sehr überzeugend.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht nur in der Argumentation unglaubwürdig geworden zu sein. Sie sind es auch durch die wechselnden Methoden der Überrundung der Betroffenen - vor allen Dingen der Eltern - in den einzelnen Ländern,
({12})
die Ihre vorgegebenen pädagogischen Absichten geradezu ad absurdum führen.
Statt der etwa vier Versuche für jedes Land, die der Bildungsrat empfohlen hat, haben Sie in Hessen gleich etwa 100 nacheinander initiiert. Das nenne ich faktische Überrundung; denn Fakten kann man nicht mehr rückgängig machen. Nach der Methode Hessen die Methode Niedersachsen: ein Schulgesetz mit eingebauter Zwischenstufe als integrierter Orientierungsstufe, mit eingebautem „goldenen Zügel" für Schulbauten in den Kommunen und mit eingebautem Automatismus. Hat nämlich erst eine ausreichende Zahl der Kommunen den Verlockungen des Schulgeldtopfes nicht widerstanden, dann müssen die übrigen automatisch nachziehen. Der Weg von der Orientierungsstufe zur integrierten Gesamtschule, so wollte es das niedersächsische Schulgesetz der damaligen SPD /FDP-Regierung, war dann nur noch eine Frage der Zeit.
Methode Nordrhein-Westfalen: Hier ging man nicht mehr mit der Zwischenstufe Orientierungsstufe vor, hier wollte man die Zwischenform „Kooperative Gesamtschule". Aber der Kredit an Glaubwürdigkeit war hier verspielt. Hier ließen sich die Eltern nicht mehr überrunden. Hier gab es das große Volksbegehren, diesen einmaligen Aufstand der Eltern gegen die wechselnden Tricks einer SPD/ FDP-Regierung. Meine Damen und Herren, wechselnde Argumente, wechselnde Methoden, Überrundungstricks: Wer sich so verhält, kann doch von seiner Sache nicht überzeugt sein.
({13})
Er kann kein glaubwürdiger Partner im Ringen um den besseren Weg für unsere Kinder sein!
({14})
Hier blockiert die Ideologie jede Analyse und jede nüchterne Beurteilung der wissenschaftlichen Ergebnisse.
Als neuen Trick versuchen Sie nun die Ablehnung der Vergleichbarkeit von Abschlüssen im gegliederten und integrierten System in der Hoffnung, dann mit dem Elternwillen operieren zu können. Denn - so lautet die Werbeverlockung -: Gesamtschulen sind in der Regel Ganztagsschulen; Gesamtschulen sind besser ausgestattet; Gesamtschulen führen mehr Schüler auf bequemerem Weg zum Abitur; Abschlußvergleiche darf es nicht geben. Allerdings welche Eltern werden dann noch für ihre Kinder den beschwerlichen Weg im gegliederten System wählen? Aber das wäre wirklich Schulpolitik zu Lasten der Kinder.
({15})
Diese Schülergeneration ist durch Reformschäden gerade genug belastet. Ich meine, wir dürfen nicht zulassen, daß zu diesen Reformschäden jetzt auch noch die Täuschung kommt.
({16})
Denn es gibt nicht nur Inflation als Währungsbetrug, es gibt sie nämlich auch als Bildungsbetrug. Deshalb, meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie doch endlich den Mut zur Wahrheit! Sprechen Sie mit uns offen die Probleme an, um die es bei diesem System geht und die man ja doch nicht abstreiten kann. Die Entscheidung ist wirklich schicksalsschwer genug.
Das letzte Argument, das man jetzt ins Feld führt
- auch in Ihren neuesten Schriften -, lautet, die Gesamtschule sei die Schule ohne Angst. Nun, Ihnen allen sind wohl Berichte von Ärzten, vor allen Dingen von Kinderärzten und Psychologen, bekannt, die uns beweisen, daß es noch nie so viele neurotische und verhaltensgestörte Kinder gegeben hat
({17})
- Moment! - und daß diese Verhaltensstörungen immer besonders groß in den Großsystemen, sprich: in den integrierten Systemen sind. Ich verweise hier nur auf den Hilferuf der renommierten Schule Frankfurt-Nordweststadt, von dem ich soeben gesprochen habe.
Schuld sind sicher die zu hohen Ansprüche mit der These, daß nur der vorwärtskommen kann, der das Abitur hat. Aber wer hat denn das alles vornehmlich propagiert? Die Verwissenschaftlichung in der Schule, die Verwissenschaftlichung in der Lehrerausbildung: Wer hat das vornehmlich vorangetrieben? Unsere Lehrer fallen doch heute in den ersten Unterrichtsstunden manchmal gleichsam vom Himmel der Abstrakta. Die Schüler verstehen diese verwissenschaftlichte Fachsprache nicht, und das Fremde ist eben das Unverständliche, das Ängste erzeugt.
({18})
Die Ängste unserer Kinder erwachsen doch aus der Anonymität. Sie wachsen dort, wo der Lehrer eben nicht mehr Erzieher, Freund und Vertrauter, sondern ein Miniwissenschaftler ist. Die Ängste wachsen durch den objektivierten Unterricht; sie erwachsen aus der Intellektualisierung der Lehrpläne. Aber
das sind doch gerade alles Kriterien integrierter Systeme.
Deshalb: Schulängste abbauen, das heißt Überschaubarkeit schaffen, das heißt eben, daß Kinder nicht frühmorgens auf der Straße stehen müssen, bis der Bus ankommt, und das heißt, daß sie sich bei einem Klassenlehrer wieder zu Hause fühlen und ganz persönlich angenommen wissen. Wer angstfreie Schule schaffen will, muß dem Gleichheitswahn widerstehen. Das aber gelingt, nach bisherigen Ergebnissen zu urteilen, eben besser in einem gegliederten System mit unterschiedlichen Schulstrukturen.
({19})
Ich möchte Sie wirklich herzlich bitten, bei der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans - ({20})
- Jetzt treten Sie bloß nicht die Flucht nach vorn an, wie Sie es in Hamburg getan haben! Flucht ist immer eine Flucht. Ich bitte Sie, haben Sie den Mut, die Reformfehler einzugestehen, sich zu korrigieren und mit uns gemeinsam den Vormarsch zur Vernunft und zur Einsicht anzutreten.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Meinecke ({0}).
({1})
Natürlich, Herr Kollege Probst. So gut kann man gar nicht sein, wie die Dame eben gewesen ist. Es war ein bildungspolitisches Sackhüpfen auf einer konservativen Wiese, wenn Sie so wollen.
({0})
Ich werde erst einmal über das reden, worüber wir eigentlich zu reden haben.
({1})
- Unterbrechen Sie mich möglichst wenig, denn ich habe wenig Zeit, und die möchte ich Ihnen zuliebe gerne einhalten, Herr Kollege Probst.
Zunächst einmal müssen wir ja wissen, worüber wir reden. Wir stehen hier mit leeren Händen da, hat die Frau Kollegin gesagt. Wir reden hier über einen Haushalt mit einem Volumen von 4,124 Milliarden DM. Die Schwerpunkte dieses Haushalts sind die Ausbildungsförderung mit einer geringen, aber immerhin doch ins Gewicht fallenden Steigerung, auch für andere Förderungsmaßnahmen für Studierende, für Graduierten-, Studien- und Promotionsförderung sowie für Studentenwohnraumförderung. Die zweite große Position umfaßt die berufliche Bildung, Geldausgaben für betriebliche und überbetriebliche berufliche Aus- und Fortbildung einschließlich der Ausbilderförderung mit 334 Millionen DM. Dann kommt eine Summe von 850 Millionen DM für den Ausbau der Hochschulen und Universitäten. Ich hätte gedacht, daß hier die Kürzung um 100 Millionen DM, die im Rahmen der parlamentarischen Beratung vorgenommen wurde, bei Ihnen Kritik hervorgerufen hätte. Das ist nicht geschehen.
Ich meine, man kann im kommenden Jahr mit dieser Summe leben und wir können vernünftig verfügen. Aber es wäre im Interesse einer politischen Deutlichkeit und Klarheit gut, wenn der Herr Minister uns nachher mitteilen würde, welche Haushaltsreste im Jahr 1979 unter dem Titel Hochschulausbau nicht abgeflossen sind und ob es daher gerechtfertigt ist, die Summe ein klein wenig niedriger zu veranschlagen. Wir sind doch alle wohl der Auffassung, daß wir auch unter dem Gesetz des Sparens stehen.
Der Entwurf des Haushalts ist im Ausschuß beraten worden. Wir haben geringfügige, aber immerhin ins Gewicht fallende Umschichtungen vorgenommen. Er ist im Ausschuß nicht abgelehnt worden. Ich bin neugierig, ob Sie ihn hier ablehnen werden, entweder weil Ihnen die letzte Rede oder die jetzt kommende Rede des Ministers nicht paßt oder weil Ihnen vielleicht neuerdings auch sein sehr intelligenter Kopf nicht mehr paßt. Das werden wir ja nun gleich erleben.
Immerhin werden wir der Bevölkerung sagen müssen - und wir müssen es auch uns selbst einmal vor Augen führen -: Was geben nun in dieser Bundesrepublik Deutschland Bund, Länder und Gemeinden für das gesamte Bildungssystem einschließlich der Forschung an Hochschulen - außer der technischen Forschung - aus? Das waren im Jahr 1976 57 Milliarden, und es sind im Jahr 1979 69 Milliarden, und es werden wahrscheinlich im Jahr 1980 noch einmal 10 bis 15 Milliarden mehr sein.
Wer im Jahre 1970, als wir hier eine Summe von 27 Milliarden DM zur Verfügung hatten, voraussagte - auch ich habe meine Prügel auf Parteitagen bekommen -, daß wir diese enorme Kraftanstrengung bewältigen, dem wurde nicht geglaubt.
Nun will ich gar nicht verhehlen, daß die finanziellen Hauptanstrengungen natürlich von den Ländern und den Gemeinden aufzubringen sind. Ich weiß, daß einige Bundesländer - Flächenstaaten wie Rheinland-Pfalz und das Saarland - enorme Anstrengungen unternommen haben, um die gesamte Bildungslandschaft bei uns weiterzuentwikkeln.
Aber dieser Haushalt und dieses Ergebnis stehen auch unter dem Gesetz und unter dem Willen der Bundesregierung wie der sie tragenden Fraktionen, den Bildungsgesamtplan zu vollziehen und fortzusetzen.
({2})
Wo wären wir denn 1970/71 ohne diesen Gesamtplan gewesen? Wo würden wir heute stehen? Vielleicht verwenden Sie auch einmal einige Betrachtungen auf dieses Thema.
Dr. Meinecke ({3})
Wenn wir über diesen Plan und über die Möglichkeiten der Fortschreibung reden, dann möchte ich gern auf einen Punkt hinweisen. Ich beginne bei den Äußerungen des Herrn Ministerpräsidenten Vogel aus Rheinland-Pfalz, der in seinen Ausführungen selbst darauf hingedeutet hat:
Der Bildungsgesamtplan von 1973 gehört für mich ausdrücklich zu diesen positiven Ergebnissen. Es hat sich gelohnt, daß wir so um ihn gekämpft haben.
Das ist auch sicher richtig so. Aber er hat einen kleinen Fehler bei der Debatte gemacht. Er hat so getan, als wenn dieser Bildungsgesamtplan ausschließlich Ausdruck des 1969 neu in die Verfassung eingegangenen Art. 91 b des Grundgesetzes ist. Das ist nicht der Fall. Wir haben damals vier neue Instrumente bekommen. Wir haben Art. 91 a bekommen. Wir haben die gemeinsame Planung auf dem Gebiet des Hochschul- und den Ausbau des Hochschul- und Universitätswesens gekommen. Wir haben die Ausbildungsförderung in unsere Obhut genommen. Mit diesen vier Instrumenten haben wir dieses Ziel erreicht. Es ist unvernünftig, heute einen Mosaikstein, ein Element aus diesem Bukett herauszubrechen und dies mit einer Erpressung in der Weise zu verbinden, daß gesagt wird: Ja, wir schreiben weiter fort, aber nur, wenn ihr die Gesamtschule ablehnt und bekennt, daß wir falsche Reformen vorgenommen haben.
({4})
Das halten wir nicht für den richtigen Weg; ich komme nachher noch darauf zu sprechen.
Wir haben heute in den Zeitungen gelesen, daß es neue Erhebungen über diese soziale Situation und über die Art und Weise des Studierens und des Lebens unserer Studenten gibt. Ich bekenne in dem Zusammenhang, daß wir im kommenden Jahr darauf achten müssen - und ich bitte die Regierung sehr, darauf zu achten -, gewisse Elemente dieser veröffentlichten Erhebung zu berücksichtigen. So glaube ich zum Beispiel, daß wir uns mehr um das Studentenwohnheimprogramm kümmern müssen. Es fällt unheimlich schwer, heute in den Großstädten und am Rand der Großstädte Wohnungen zu bekommen. Es ist nicht nötig, daß man ein Drittel des Jahres jobben muß, um die Mieten zu bezahlen.
({5})
Es ist wohl auch bewiesen, daß sich die Studienzeiten an den Hochschulen nicht permanent verlängert haben. Die Studenten sind verdammt vernünftig; sie haben nur ihre Schwierigkeiten.
({6}) Das ist ein gemeinsamer Weg.
Wir stehen vor schwierigen Operationen in der Zukunft. Wir haben auch mit Ihrer Hilfe im Ausschuß ernst um die Lösung der Probleme gerungen, die wir im kommenden Jahrzehnt vor uns haben: das Problem der Kinder unserer ausländischen Wander- oder Gastarbeiter oder wie immer man sie nennen mag, das Problem der zweiten Ausländergeneration, das Problem der Behinderten, das Problem, wie auch die Schule und die weiterführenden Schulen helfen, den Weg nach Europa zu finden. Das reicht dann in die Kategorie des Sprachunterrichts hinein: wie man sich verständigt, daß man vielleicht Unterschiede formuliert zwischen den aktiven Fähigkeiten, eine Sprache zu beherrschen, und dem passiven Verstehen einer weiteren dritten Sprache. Wir werden in den kommenden Jahrzehnten alle auf dem Wege sein, uns hier noch zu bemühen, auch diejenigen, die normalerweise nicht mehr zur Schule gehen.
({7})
- Es geht hier nicht um schlechte und gute Minister, sondern um die Zukunft.
Wenn wir in Betracht ziehen, daß die Schülerzahlen im Bereich der Grund- und Hauptschulen um Hunderttausende zurückgehen und daß in der Sekundarstufe und später auf den Hochschulen eine ungeheure Erhöhung der Zahlen zu verzeichnen ist, werden wir uns mehr um die Innenstruktur unseres Bildungswesens bemühen müssen. Das erfordert ein ernstes Miteinanderarbeiten. Wenn ich dann das Trauerspiel um den Bildungsgesamtplan sehe und vor zwei Tagen die Behauptung des Herrn bayerischen Ministerpräsidenten gehört habe, die bayerische Staatsregierung hätte nichts blockiert, sie hätte überhaupt niemanden blockiert, sondern neuerdings blockierten die Finanzminister,
({8})
dann bitte ich doch den Herrn Minister, dazu Näheres auszuführen. Wenn das so ist, dann müssen wir Bildungspolitiker eine Koalition nicht gegen, aber vielleicht mit den Finanzministern bilden. Es kann ja wohl nicht wahr sein, daß wir nicht erkennen, daß in den inneren Strukturen der Schule noch so viel zu tun ist, daß man nicht mit dem Argument, man benötigte soundso viel tausend Lehrer weniger, die Fortschreibung des Planes verhindert.
({9})
Die Möglichkeit der Lehrer, an den Schulen mit ihren Schülern und Schülerinnen zu sprechen und mit ihnen Kontakt zu pflegen, ist auch ein Mittel, ein Instrument, das, was unter Schulangst verstanden wird, vielleicht zu mindern. Ich habe meinen 17jährigen Sohn gefragt, wohin er denn lieber gegangen wäre, dorthin, wohin er jetzt gehe, oder in die Gesamtschule. Er hat mir gesagt, das sei ihm völlig egal; er möchte ein paar anständige Lehrer haben, mit denen er reden könne, und zwar auch außerhalb der Schulzeit.
({10})
Dies scheint ein Kardinalproblem der neuen Schule zu sein.
({11})
Heute nachmittag hat es eine interessante Aussprache über die Situation unserer jungen Generation überhaupt gegeben. Ich würde ganz gerne darauf abheben, von jungen Generationen zu sprechen.
Dr. Meinecke ({12})
Ich sehe nämlich mit einer großen Besorgnis, wie rasch sich der Zustand einer Generation von Jugendlichen und von Kindern ändert. Ich meine behaupten zu dürfen - das ist auch wissenschaftlich belegt -, daß die Generationsspannen heute nicht mehr als fünf bis acht Jahre betragen. Wir reden hier über die Sechs- bis Vierundzwanzig-, Dreißigjährigen.
Ihr Kollege Remmers hat z. B. unlängst an der Akademie von Loccum in einer nach meiner Meinung vernünftigen Weise dargestellt, welches eigentlich heute der Auftrag der Schule ist. Er hat sehr wohl Elemente wie Erziehung zur Toleranz, zur Mitmenschlichkeit, zum Miteinander-Reden genannt. Ich bejahe dis.
Wir sehen heute, welchen Randgebieten sich die Jugendlichen aus einer allgemeinen Gleichgültigkeit auch gegenüber der Schule zuwenden. Dahin gehören auch die Randerscheinungen, die dankenswerterweise von Herrn Kroll-Schlüter, aber auch von meinen Kollegen heute nachmittag genannt wurden, wie Drogensucht, Fernsehsucht, Spielsucht, Sektensucht und vieles Weitere. Hier werden doch Ersatzlandschaften erobert, die über die Realitäten hinweghelfen sollen. Mit einer gewissen Berechtigung versucht heute auch die Welt der Erwachsenen klarzumachen, daß auch sie in einer Zeit gewisser Lebensängste lebt. Eine Fernsehserie hat unlängst bewiesen, daß auch unsere Erwachsenen das Gefühl haben, in einem Zeitraum der Umwertung aller Werte zu leben.
Herr Kroll-Schlüter hat gesagt, die Jugend müsse wissen, wohin der Weg gehe. Ich sage: Nein, die Jugend muß wissen, wie sie diesen Weg gehen kann und mit welchen Fähigkeiten sie vertraut gemacht werden muß und wie sie diese Wirklichkeit erkennt.
({13})
Angesichts dieser Schwierigkeiten frage ich mich: Mit welcher Überheblichkeit, die teilweise bei Ihnen festzustellen ist, ja, mit welcher bürgerlichen Sicherheit, aber auch mit welcher intellektuellen Aroganz behaupten Sie eigentlich, das dreigliedrige Schulsystem sei das einzige Wahre und dürfe nicht verändert werden?
({14})
Das ist für mich die kardinale Frage. Nun lassen Sie uns doch die richtigen Schwierigkeiten erkennen und sie meistern! Lassen Sie diese beiden Systeme im Angebot nebeneinander leben.
({15})
Das Richtige wird sich schon durchsetzen. Sie können sich darauf verlassen. Die inneren Strukturen sind wichtiger. Hören Sie also auf mit Ihrem Krampf, hören Sie auf mit Ihrem Trauma von der Gesamtschule! Das Teiltrauma bei Ihnen, Frau Benedix, sind doch die sogenannten Modellversuche.
({16})
Sie haben zuviel in den Anzeigenblättern der Zeitungen gelesen. Sie müßten nicht soviel von Modellversuchen reden, sondern von Schulmodellversuchen. Überall in der ganzen Welt werden doch neue Schulformen erprobt. Nun sehen Sie doch endlich in die Vereinigten Staaten. Der kardinale Spruch dieses großen Landes lautet: Unser Reichtum liegt in der Vielfalt. Ich kann dem nichts hinzufügen.
Wir werden dem Haushalt mit Freuden zustimmen und freuen uns auch auf die Rede des von uns geschätzten und unterstützten Ministers.
({17})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zeitablauf ist ein bißchen ins Rutschen gekommen. Ich will mich bemühen, mich kurz zu fassen.
Frau Benedix, wenn wir bei der Haushaltsberatung auch noch eine Runde zur Bildungspolitik machen, bedeutet das nicht, daß wir noch einmal gleiche Reden halten müssen, die schon einmal während einer anderen Debatte gehalten wurden. Auf vieles von dem, was Sie gesagt haben, sind wir damals eingegangen. Insofern erlauben Sie mir, an dieser Stelle einfach darauf zu verweisen. Sie können ja die Reden noch einmal nachlesen.
({0})
Der Etat, der hier zur Verabschiedung steht, spiegelt die fehlende Kompetenz des Bundes wider. Hier wird nicht darüber entschieden, wie viele Lehrer eingestellt werden, über Klassenfrequenzen oder über Stundenausfälle. Das Entscheidende ist, daß der Bildungshaushalt des Bundes auf wenige Brocken beschränkt ist.
Ich möchte nur auf zwei Bereiche kurz eingehen, weil Herr Meinecke einiges zum Etat gesagt hat, was ich nicht wiederholen will. Zunächst einmal ist da der Hochschulbau als ein großer Brocken, der gegenüber dem letzten Jahr und dem Ansatz, wie er von der Bundesregierung vorgesehen war, um 100 Millionen DM abgenommen hat. Nun ist es ja nicht so, daß die Bundesregierung irgendwohin gehen kann und Hochschulen bauen kann, sondern diese Finanzierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, und sie geschieht nach den Plänen der Länder und nach dem, was die Länder wollen. Die Länder selber müssen Komplementärmittel aufbringen und sind selber zum Teil nicht bereit - meistens im Rahmen von Sparmaßnahmen -, dies zu tun. Folglich kann auch der Bund hier nicht tätig werden. Es ist also eine Finanzhilfe des Bundes an die Länder, wenn man so will, ohne daß man im wesentlichen bestimmen kann, ob man hier auf die Höhe Einfluß nimmt oder nicht. Dies liegt in der Hoheit gerade auch der Landesparlamente. Das heißt also: Wenn dieser Haushalt insgesamt eine Kürzung erfahren hat, so bedeutet es nicht eine Abkehr von bildungspolitischen Prioritäten, denn diese werden allein in den Ländern gestaltet und nicht hier.
Ich möchte aber auch noch kurz auf die Bundesausbildungsförderung eingehen. Wir haben in den letzten Tagen die Erhebungen erfahren, die bei den Studenten gemacht wurden. Ich meine, wir sind hier aufgerufen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wie man die ganz ohne Frage schlechter werdende soziale Situation an den Hochschulen verändern kann. Wenn man zum Beispiel weiß, daß 1973 39 % der Studenten in der Förderung waren, 1976 noch 38 % und jetzt 33 %, sollten wir, glaube ich, alle Veranlassung empfinden, hier tätig zu werden, übrigens auch wieder gemeinsam mit den Ländern, denn die geben ja auch hier ihren Teil dazu. Wir können nicht allein darüber entscheiden.
Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wieso es eigentlich nicht gelungen ist, zunehmend Arbeiterkinder auch in die Hochschulen zu bekommen, sondern leider eher eine tendenzielle Abnahme bei den Erst- und Zweitsemestern zu beobachten ist. Dies aber eine Diskussion, die wir wohl bei der nächsten Bundesausbildungsförderungsanpassung führen müssen. Es wäre gut, wenn wir uns dann gemeinsam auf Verbesserungen verständigen würden.
Ich möchte aber noch einige Bemerkungen, Herr Meinecke, auch wenn sie nicht sozusagen direkt zum Etat gehören, zu der Rede von Franz Josef Strauß machen. Diese Rede ist nun einmal innerhalb der Etatberatung gehalten worden. Da gibt es eine ganze Reihe interessanter Gedanken.
Zum einen ist Herr Strauß natürlich total unschuldig an der bildungspolitischen Konfrontation. Er hat natürlich überhaupt nicht seinen Teil dazu beigetragen, daß der Bildungsgesamtplan nun erst einmal leider auf Eis gelegt worden ist. Ich glaube, man muß sich an dieser Stelle leider dann doch wiederholen, was man schon einmal vom gleichen Platz aus gesagt hat. Wenn im Juni, nachdem sich die Kultusminister geeinigt hatten, die Bayerische Staatsregierung einen Beschluß faßt, in dem es heißt: „Die Staatsregierung hat nicht die Absicht, der Einführung der Gesamtschule als Regelschule weder in Bayern noch anderswo zuzustimmen", ist dies die unmittelbare Eröffnung einer Konfrontation, denn wie anders ist dies zu verstehen, wenn die Regierung eines Landes in die Hoheit anderer Bundesländer in derart unerträglicher Weise eingreifen will? Dies ist die Eröffnung von totaler Konfrontation!
({1})
- Das steht genau drin: Wir werden uns gegen die Einführung der Gesamtschule in Bayern und anderswo - ({2})
Bloß, anderswo haben die Bayern überhaupt keinen Einfluß, sondern nur darauf, ob sie die Abschlüsse, die dort erfolgen, auch anerkennen.
({3})
Hier kann man über diese fiese, miese Methode anders kann ich es gar nicht nennen - Unsicherheit säen, indem man Abschlüsse nicht anerkennt, und damit ein System innerhalb der Schulpolitik meiner Meinung nach ad absurdum führen. Dies ist eine ganz schlimme Sache.
Dann gibt es noch einen anderen Zeugen, zum Beispiel Herrn Remmers, der ja Bekannterweise als stellvertretender Vorsitzender der Bund-LänderKommission zurückgetreten ist, weil er die Konfrontation nicht mittragen wollte. Ich zitiere ihn aus seinem Schreiben, das er an seine Kollegen im niedersächsischen Landtag geschrieben hat: Die Sozialdemokraten - so sagt er - versuchten den Verfahrenskompromiß, der nun gefunden sei bei der Anerkennung der Abschlüsse, besonders herauszustellen.
Vertreter unserer eigenen Seite kritisierten mich,
- Remmers daß ich mich auf einen solchen Verfahrenskompromiß überhaupt eingelassen hatte. Die ganze Diskussion darüber belastete die nun beginnenden Verhandlungen. Insbesondere Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedrängten uns immer mehr, auf eine Fortschreibung des Bildungsgesamtplanes überhaupt zu verzichten.
({4})
Sie wandten sich mindestens in dieser Zeit vor der Bundestagswahl gegen jeden Kompromiß, weil Kompromisse immer auch gegen uns ausgelegt werden könnten.
({5})
Wenn sich dann der Ministerpräsident von Bayern hier hinstellt und die Behauptung, er habe seinen Teil dazu beigetragen, Spannung in die deutsche Bildungspolitik zu bringen, als Lüge bezeichnet, kann ich nur sagen: M an kann auch Wahrheit als Lüge bezeichnen.
({6})
- Nein, keineswegs. Ich weiß ja, daß Sie ungern Zitate aus Briefen Ihrer eigenen Parteifreunde hören.
({7})
Ich habe mir das erlaubt. Stimmen diese Zitate, oder stimmen sie nicht? Sie stimmen genau. Darauf wollte ich nur hinweisen. Ich habe das Recht, das hier zu zitieren.
Ich möchte auf einen zweiten Bereich eingehen. Franz Josef Strauß hat ja darüber hinaus einige Ausflüge in die Bildungspolitik gemacht. Zum Beispiel hat er uns versichert, „daß ich" - Strauß - „überhaupt keine Voreingenommenheit für oder gegen ein Schulsystem habe." Nachdem er kurz Luft geholt und noch einmal betont hatte: „Ich bin rein sachbezogen", ließ er uns hören, nur die gegliederte Schule sei schülerfreundlich, elterngerecht und leistungsgünstig. Selbstverständlich lasse alles andere, was die Sozialdemokraten und Liberalen wollten, die
Kinder zu Opfern einer sozialistischen Bildungspolitik und sozialistischer Alleingänge werden. Das ist die Sachbezogenheit dieses Herrn.
Ich gehe nicht davon aus, daß er genug Zeit findet, um sich im Detail mit bildungspolitischen Fragen zu beschäftigen. Wenn sich aber jemand zu einer solchen Frage äußert, kann man, glaube ich, erwarten, daß er sich vorher ein bißchen besser informiert, als das offenbar nach dem geschehen ist, was er hier gesagt hat.
Ich glaube, man muß noch einmal darauf hinweisen - mein Bundesvorsitzender hat das von dieser Stelle aus schon einmal gesagt -, daß in der Tat - ({8})
- Er hat sich mit dieser Frage sehr intensiv beschäftigt, wie Sie sich vorstellen können.
({9})
Ich habe auch nicht gehört, daß jemand von Ihnen ihn zitiert hat, um ihm nachzuweisen, daß das, was er gesagt hat, falsch ist und daß er keine Ahnung hat. Genau das konnte Ihnen auch nicht gelingen.
Die Gesamtschulen sind nicht zuletzt auf das intensive Drängen auch der FDP wissenschaftlich begleitet worden. Dabei sind natürlich Mängel herausgekommen. Wenn man nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß man etwas korrigieren muß, was man selber grundsätzlich für richtig hält, brauchte man es ja nicht wissenschaftlich zu begleiten. Wir haben früher ganz klar gesagt, daß wir aus diesen wissenschaftlichen Begleituntersuchungen Konsequenzen ziehen. Eines aber sollten wir deutlich machen, und damit gehe ich dann über zu dem dritten Punkt, den ich von Franz Josef Strauß zitieren möchte. Die Gesamtschule schöpft nämlich die Begabungsreserven der weniger Begabten in ganz besonderer Weise aus. Ich meine, allein das reicht aus, sich für dieses Schulsystem zu engagieren.
({10})
Selbstverständlich gilt auch für Liberale, daß die Ergebnisse der Untersuchungen sorgfältig ausgewertet werden müssen. Wenn aber z. B. gesagt wird, daß in bestimmten Leistungsbereichen das Optimale nicht herausgeholt worden sei, so ist auch zu berücksichtigen, daß von den betroffenen Wissenschaftlern deutlich gemacht worden ist, daß das nichts mit der Gesamtschule zu tun hat, sondern auch in anderen Bereichen der Fall sein könnte. Wenn das aber so ist, muß man sich darüber Gedanken machen, auf welche Weise die besondere Begabungen von Menschen stärker gefördert werden können, als das heute in beiden Schulsystemen geschieht. Diese stärkere Förderung in der Zukunft besser zu gewährleisten als bisher wird die Aufgabe sein.
Frau Benedix, Sie haben wieder einmal die schönen Klischees benutzt und gesagt, ein integriertes System müsse auch ein großes System ein. Ich kann Ihnen eine ganze Reihe von großen Schulen des herkömmlichen dreigliedrigen Schulsystems nennen. Aber nein, Sie sprechen von Verhaltensstörungen und davon, daß diese im Zusammenhang mit den großen Einheiten aufträten. Und gleich hinterher heißt es: große Einheiten, also integrierte Systeme. Falsch. Es gibt eine ganze Reihe von großen Schuleinheiten im dreigliedrigen Schulsystem, die genauso falsch sind. Sie dürfen, bitte schön, den Kriegsschauplatz nicht dorthin verlegen, sondern müssen ihn dort lassen, wo er ist, Frau Kollegin.
({11})
Meine Damen und Herren, wir hätten gemeisame Ziele gehabt: im Bereich Abbrecher, im Bereich Durchlässigkeit, im Bereich Fremdbestimmung.
({12})
- Richtig, nur, meine Damen und Herren, das Problem des dreigliedrigen Schulsystems liegt nun einmal in der fehlenden Durchlässigkeit. An einem solchen System kann man immer nur ein bißchen verändern, aber leider keine Durchlässigkeit herstellen. Genau das ist das Problem.
Es gibt das Abbrecherproblem. Sie wissen doch ganz genau, wie problematisch für ein Kind es ist, mit zehn Jahren in eine Schulform hineingewiesen worden zu sein, deren Leistungsanforderungen es nicht gerecht werden kann. Für dieses Kind ist es eine grauenvolle erste Erfahrung, gescheitert zu sein im Leben. Wenn man ihm dieses Scheitern in verhältnismäßig frühem Alter abnehmen kann, finde ich, haben wir die verdammte Pflicht, dieses zu tun. Dieses kann man eben auch genau mit einem anderen System machen.
({13})
Meine Damen und Herren, nun zu einem dritten und letzten, aber, wie ich finde, außerordentlich bemerkenswerten Gedankengang von Franz Josef Strauß. Franz Josef Strauß sagte hier:
Das ist doch der Wahn gewesen, daß der Mensch beim Akademiker beginne, daß die gehobene Berufsausbildung nur mit dem Abitur beginnen könne.
Jetzt wird es noch spannender:
Es geht darum, mit Abitur und Universitätsdiplomen die wirklichen Begabungen in unserem Lande, die nicht allzu zahlreiche Schicht der Begabten und Geeigneten, nachhaltig zu fördern.
Meine Damen und Herren: „die nicht zahlreiche Schicht der Begabten und Geeigneten". Ein Kanzlerkandidat bescheinigt den Wählern, daß leider nur ganz wenige von ihnen in den Genuß von Abitur und Universitätsdiplomen kommen können, weil nur so wenige in unserem Lande begabt seien,
({14}) wirkliche Begabungen hätten.
({15})
- Lesen Sie es einmal genau durch. Wenn man es hört, überhört man es vielleicht. Aber Sie sollten es lesen. Dann sind Sie erschrocken, was dabei herausgekommen ist.
Bei einem Menschen, der selber die akademische Ausbildung wahrgenommen hat und, glaube ich, aus dem Hause eines Handwerkers kommt, finde ich es geradezu ungeheuerlich, wenn er sich hier vorne hinstellt und sagt: Das, was ich für mich in Anspruch genommen habe, möchte ich aber einem größeren Teil vorenthalten.
({16})
Frau Abgeordnete Schuchardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Das Problem ist nur, daß meine gelbe Lampe bereits leuchtet.
({0})
Da ich weiß, daß Sie meine Redezeit nicht verlängern werden, muß ich leider meinen Gedanken zu Ende bringen. Es tut mir leid.
Wenn Sie mich so freundlich anschauen, würde ich es sogar tun.
Wenn Sie mir das nicht auf die Redezeit anrechnen, erlaube ich die Frage.
Nein, das rechne ich nicht an.
Herr Abgeordneter Gerster, bitte.
({0})
Frau Kollegin Schuchardt, glauben Sie wirklich, daß für einen DiplomChemiker nach einem langen Studium, der seit fünf Jahren nach einer adäquaten Arbeitsstelle gesucht hat und heute als Taxifahrer sein Einkommen zu verdienen hat, das, was Sie eben hier gesagt haben, eine große Befriedigung sein kann? Glauben Sie nicht, daß es bei der derzeitigen Akademikerschwemme viel notwendiger ist, in den mittleren Berufszweigen eine neue Ausbildungschance zu suchen?
Schauen Sie, Herr Gerster, das Arbeitslosenproblem liegt nicht bei den Überbegabten und nicht bei denen, die mehr Bildung genossen haben, sondern das Arbeitslosenproblem, das wir derzeit haben, liegt eher bei denen, die eine zu geringe Ausbildung genossen haben.
({0})
Ich sage Ihnen darüber aber noch ein Weiteres: Ich halte es für geradezu phantastisch, daß Sie ein planwirtschaftliches System im Bereich der Bildung einführen wollen.
({1})
Wenn Sie uns heute weismachen wollen, daß Sie wissen, welche Akademiker- und Bildungsstruktur wir in 5 oder 10 oder 20 Jahren brauchen, machen Sie sich und dem Bürger etwas vor. Eines ist mit Sicherheit in der Vergangenheit bewiesen worden: daß alle Prognosen leider ganz falsch waren.
Wenn Sie denen, die ein Hochschulstudium anstreben, Angst einflößen, indem Sie auf die besondere Gefährdung am Arbeitsmarkt von Akademikern hinweisen, meine Damen und Herren, scheinen Sie sich überhaupt nicht mit der Struktur der Arbeitslosen beschäftigt zu haben.
Wenn jemand ein Hochschulstudium macht, dann bedeutet das für mich nicht, daß er damit den Anspruch erheben kann, eine seinem akademischen Studium entsprechende Anstellung zu finden.
({2})
- Ja, warum eigentlich nicht! Das Entscheidende ist, daß er nicht arbeitslos ist, Herr Gerster.
({3})
- Er braucht nicht Taxifahrer zu sein, er kann auch andere Tätigkeiten ausüben.
({4})
Wenn er aber die Taxifahrerschaft vorzieht, dann, bitte, ist das seine Sache.
Ich möchte noch eines zu den Taxifahrern sagen. Ich weiß gar nicht, warum die Taxifahrer zu einer besonderen Kaste von Menschen gehören sollen, denen Sie ein akademisches Studium vorenthalten wollen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt zum Schluß kommen.
({6})
Herr Abgeordneter Dr. Probst, die rote Lampe brennt, und das schon mit Rabatt.
Es tut mir leid, daß ich die Zwischenfrage nicht zulassen kann.
({0})
Ihr Kollege Rühe und ich waren gemeinsam in der Hamburger Bürgerschaft. Schon damals mußte man mit dem Haushalt ja vernünftig umgehen. Die damalige Koalition entschied sich, nicht so viel für den Hochschulbereich zu tun, wie es die CDU gewollt hatte. Wir bekamen einen schweren Vorwurf, daß wir die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten und nicht gerade diesen Bereich besonders ausbauten. Aber heute stellen Sie und Ihre Kollegen sich hier hin und sagen, Sie hätten das schon immer gesagt. Ganz im Gegenteil, Sie handeln nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Art und Weise ist nicht zu billigen, wenn man sagt, in unserem Land gebe es eine nicht allzu zahlreiche Schicht von wirklichen Begabungen. Wer diese Einstellung hat, vertritt nicht die Meinung vom Kulturstaat, wie sie Liberale haben. Liberale gehen davon aus, daß es die vornehmste Aufgabe eines Kulturstaates ist, jeFrau Schuchardt
dem einzelnen die Möglichkeit zu geben, seine Begabungsreserven so weit wie möglich auszuschöpfen, ganz gleich, welche Funktion er später im Wirtschaftsleben wahrnimmt, ob als Taxifahrer oder als Chemiker.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft weist in seinem Ansatz für das kommende Jahr keinen Zuwachs aus. Wir können das als ein Anzeichen dafür nehmen, daß sich die Aufgaben des Ministeriums allmählich verändern, nicht in ihrem Gewicht, nicht in ihrer Bedeutung, aber ihrer Art nach.
So laufen die Sachinvestitionen in Zukunft langsamer. Ein Beispiel dafür ist der Hochschulbau, bei dem der Haushaltsausschuß schon jetzt eine Kürzung ausgebracht hat. Aber ich muß dazu sagen: Diese Kürzung kommt mir eigentlich zu früh. Es ist zwar richtig, Herr Kollege Meinecke, daß der Abfluß der Mittel in diesem Jahr nicht den Ansatz erreicht. Das liegt u. a. daran, daß der Finanzplanungsrat eine Streckung der öffentlichen Bauausgaben beschlossen hat und die Länder sich entsprechend verhalten. Aber ich rechne damit, daß wir in Zukunft noch zusätzliche Mittel brauchen werden; denn die geburtenstarken Jahrgänge in den Hochschulen stehen uns erst noch bevor.
Die allmähliche Abnahme der Investitionsausgaben - ({0})
- Herr Präsident, ich glaube, da gibt es den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Sie haben nur fünf Minuten angemeldet.
Fünf Minuten?
Das wurde mir gesagt. - Aber Sie möchten eine Frage stellen, Herr Westphal.
Herr Minister, ich wollte nur fragen, ob Sie gleich mir der Meinung sind, daß der Haushaltsausschuß damit kein Signal in eine falsche Richtung geben wollte. Auch wir sind für Ausbau, aber auch für eine Streckung beim Hochschulbau. Wir hatten dafür in diesem Jahr gute Gründe.
Und wie hieß die Frage, Herr Westphal?
({0})
Herr Präsident, wenn ich höre, daß ich nur eine so kurze Zeit bei Ihnen vermerkt habe
Herr Minister, Sie haben überhaupt keine Redezeitbeschränkung. Es ist mir nur mitgeteilt worden, Sie sprächen fünf Minuten. Und für diesen Fall wollte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Zwischenfragen, wenn sie häufig vorkommen, diese Redezeit natürlich verlängern. Aber der Minister hat selbstverständlich keine Beschränkung.
({0})
Schönen Dank, Herr Präsident. - Ich kann Ihnen antworten, Herr Kollege Westphal, daß ich in der Tat davon ausgehe, daß auch der Haushaltsausschuß die Notwendigkeit sieht. Ich sage nur ergänzend: Es wird wieder eine Aufstockung notwendig sein, wenn wir den Anforderungen aus diesem Bereich in den folgenden Jahren gerecht werden wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stavenhagen?
Ja, aber ich darf gleich sagen, daß dies dann die letzte sein sollte, damit ich in der Zeit bleiben kann.
Wie Sie wollen. - Bitte sehr!
Herr Minister, halten Sie die Kürzung um 100 Millionen DM für richtig oder für überhöht?
Ich hatte einen höheren Ansatz ausgebracht, weil ich den für angemessen hielt. Ich glaube, diese Kürzung wird im kommenden Jahr noch zu verkraften sein, aber sie kann nicht den Plafond für die folgenden Jahre bestimmen. Das ist meine Meinung dazu.
({0})
Diese allmähliche Abnahme der Investitionskosten in den 80er Jahren kennzeichnet einen Zug zur Konsolidierung des äußeren Ausbaus des Bildungswesens und zur Konzentration auf den Innenausbau, die Innenarchitektur, wie Herr Kollege Meinecke das genannt hat: Das heißt, wir haben uns verstärkt um eine bessere Qualität in allen Bereichen des Bildungswesens zu bemühen. Dem entspricht ein erhöhter Ansatz für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten - Qualitätssteigerung in der beruflichen Bildung. Dem entspricht ein neuer Ansatz für die Berufsbildung von Benachteiligten, insbesondere von Ausländerkindern. Dem entsprechen die erhöhten Modellversuchsmittel - wiederum mit einem Schwerpunkt bei der Ausländerkinderausbildung -, die erhöhten Mittel für die Sicherung der Grundlagenforschung und auch die erhöhten Mittel für den Ausbildungsaufenthalt im Ausland. Damit
15392 Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode Bundesminister Dr. Schmude
sind zugleich die Aufgaben der Bildungspolitik für die Zukunft in einigen wichtigen Beispielen genannt.
Die Bundesregierung ist in der Bildungspolitik vielfach darauf angewiesen - von Zuständigkeitsgrenzen war die Rede -, Anstöße zu geben, zum Beispiel in der Modellversuchspolitik. Frau Kollegin Benedix-Engler, ich bin ganz im Gegensatz zu Ihnen der Auffassung, daß diese Modellversuche ein bewährtes Instrument der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sind. Ich bin froh, daß ich dieses Instrument in einem guten, ausgebauten Zustand von meinem Vorgänger, Helmut Rohde, übernommen habe.
({1})
Wenn Sie auf Modellregionen verweisen, empfehle ich Ihnen, sich an die Parteifreunde aus Ihren Ländern zu wenden, in denen diese Modellregionen noch praktiziert werden: in Niedersachsen, im Saarland und ih Rheinland-Pfalz. Mir werden Sie nicht verübeln, daß ich über gute Zusammenarbeit bei der Modellversuchspolitik mit den Ländern zufrieden bin, daß ich das gut finde.
Zugleich nimmt die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Mitwirkung an der Bildungsplanung gesamtstaatliche Verantwortung wahr für die Entwicklung des Bildungswesens im ganzen Bundesgebiet. Sie bemüht sich darum, daß bundesweit ein Mindestmaß an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auch im Bildungswesen geschaffen wird, daß Chancengleichheit und Freizügigkeit gewahrt bleiben.
In diesem Sinne hat die Bundesregierung 1978 den Bericht über die Probleme des föderativen Bildungswesens vorgelegt, den sogenannten Strukturbericht. Zu diesem Bericht hat uns Herr Ministerpräsident Goppel am 20. Oktober im Bundesrat gesagt - ich zitiere -:
Die Bundesregierung ist für den formellen Bericht unzuständig, ihr Verfahren zu seiner Erstattung ist verfassungswidrig, und ihre Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes sind es nicht weniger.
Ich freue mich, daß ich vor zwei Tagen hier Herrn Kollegen Barzel mit dem Appell an den Bundeskanzler hören konnte:
Herr Bundeskanzler, Sie stehen doch vor der .Pflicht, dem Verfassungsgebot der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse Rechnung zu tragen.
({2})
Und das war bezogen auf das Bildungssystem und verbunden mit der Aufforderung, Mängel zu beseitigen. Ich hoffe, meine Damen und Herren von der Opposition, daß dies einen Stimmungsumschwung bei Ihnen anzeigt, daß Sie diese Aufgabe der Bundesregierung, wie Herr Barzel es gesagt hat, doch bejahen. Sie haben Gelegenheit, bei der weiteren Behandlung des Berichts im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und dann später auch im Plenum, unsere Forderung auf Abstellung dieser Mängel zu unterstützen.
Ein weiteres Vorhaben, für das sich die Bundesregierung - und das nahezu ohne Haushaltsauswirkungen - einsetzt, ist die Fortschreibung des Bildungsgesamtplans. Hier geht es nicht um Planspiele, nicht um einen neuen Kurswechsel, was immer man darunter versteht, hier geht es darum, daß Bund und Länder gemeinsame Vorstellungen über die Fortentwicklung und den Ausbau des Bildungswesens formulieren, Ziele festlegen, den Bedarf der Schüler, Auszubildenden und Studenten bestimmen. Da geht es z. B. um Ausbildungsplätze für die noch bevorstehenden starken Jahrgänge in der beruflichen Bildung und in der Hochschule, um die wohnortnahe Schulversorgung auch bei zurückgehenden Jahrgängen, um mehr Chancen für Ausländerkinder und andere benachteiligte und Problemgruppen.
Daß über den Mittelbedarf für diese Zwecke Meinungsverschiedenheiten zwischen der Finanz- und der Bildungsseite bestehen, dürfte man als selbstverständlich betrachten. Dies ist immer so, wenn neue Ziele bestimmt werden und wenn ein Bedarf geltend gemacht wird. Diese Meinungsverschiedenheiten werden auszutragen sein. Wir sind auf gutem Wege, das zu tun. Die Stellungnahme der Finanzministerkonferenz liegt vor. Dort behält man sich vor, zum Bildungsgesamtplan und seinen finanziellen Erfordernissen abschließend nach der Fortschreibung Stellung zu nehmen. Zugleich teilt uns der Vorsitzende der Finanzministerkonferenz mit, das Verfahren der Fortschreibung könne seinen Fortgang nehmen, die Anhörung könne stattfinden,
({3})
aber unter Berücksichtigung der Meinung der Finanzminister.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen auch nach der Sitzung, die Anfang der Woche in der Bund-Länder-Kommission stattgefunden hat, nicht mitteilen, daß dieser Anregung gefolgt wird, die ich Ihnen hier vorgetragen habe. Im Gegenteil, die Unionsseite hat erneut die Finanzfrage als Vorwand genutzt, um weiterhin zu verhindern, daß es zu einer Fortschreibung des Bildungsgesamtplans kommt.
({4})
Das ist die konsequente Fortsetzung der Blockade gemeinsamer Bildungspolitik, die wir seit Juni dieses Jahres zu verzeichnen haben.
({5})
Diese Blockade ist nicht sachbedingt, sie ist gezielt aus parteipolitischen Gründen herbeigeführt worden.
Ich habe mit Interesse am Dienstag dieser Woche gehört, daß sich Herr Ministerpräsident Strauß gegen den Vorwurf der Störung der gemeinsamen Bildungsplanung von Bayern aus zur Wehr gesetzt hat. In der Tat, er war es nicht allein. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich Mühe gegeben, ihn bei diesem Vorhaben tatkräftig zu unterstützen. Aber es muß doch erfolglos bleiben, wenn er bestreitet, daß von Bayern aus die Belastung der zukünftigen Bildungspolitik ausgegangen ist, daß sich unter dem
Druck Bayerns eine Änderung der Unionslinie in der Bildungspolitik ergeben hat.
({6})
- Es ist ein erfolgloses Vorhaben, das zu bestreiten. Der in diesem Zusammenhang aufgebrachte Vorwurf der Lüge sollte besser vorsichtig benutzt werden. Er kann sehr leicht auf diejenigen zurückfallen, die ihn nutzen.
({7})
- Ich bringe Ihnen gleich ein paar Tatsachen.
({8})
Mir ist aufgefallen, daß diese von Ihnen noch niemals bestritten worden sind.
({9})
Ihnen tun die Bewertungen weh, aber zu den Tatsachen haben Sie nichts zu sagen.
({10})
- Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann tun Sie es.
Wollen Sie bestreiten, frage ich Sie erstens,
({11})
daß am 18. Juni dieses Jahres nach langer sorgfältiger Vorbereitung
({12})
in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung eine Einigung folgender Art herbeigeführt worden ist:
({13}) .
Toleranz bei der weiteren Einrichtung der Gesamtschulen oder ihrer Fortführung als Modellversuche und Einigung darauf, da man sich gemeinsam um die Sicherung und Anerkennung der Abschlüsse bemüht.
({14})
Als zweites wurde am 18. Juni ebenfalls fest vereinbart, daß der Bildungsgesamtplan noch in diesem Jahr fortgeschrieben werden soll, um mit der Fortschreibung nicht in das Wahljahr 1980 zu kommen, und daß die Anhörung der Betroffenen und ihrer Verbände am 30. Oktober stattfinden sollte. Dies ist gemeinsam von allen dort vertretenen Ministern vereinbart worden, eine gemeinsame Haltung.
Und dann: Wollen Sie bestreiten, daß es in den nächsten Tagen, noch im Juni dieses Jahres, bei der
CDU/CSU, bei Ihnen, zu einer Ablehnung dieses Vorhabens gekommen ist, aber sehr viel deutlicher zu einem Aufruhr in der CSU und zu einem brüsken Widerspruch beim bayerischen Ministerpräsidenten Strauß?
({15})
- Herr Präsident, ich hatte gesagt, ich wollte zwei Fragen zulassen. Jetzt bitte nicht mehr, sonst wird es zu lang.
({16})
Als Beleg will ich Ihnen einige Zitate bringen, damit dieses Ihr Bestreiten endlich einmal ausgeräumt wird. Das erste Zitat ist aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 21. Juni dieses Jahres:
Dem Vernehmen nach griff Strauß zu Beginn das Kultusministerium hart an,
({17})
warf ihm vor, daß nunmehr die Gesamtschule auch in Bayern eingeführt sei
({18})
und nun Anlaß zu einer Sondersitzung des Kabinetts bestehe. Die bayerischen Vertreter in der Bund-Länder-Kommission hätten sich von Sozialliberalen und CDU
- und CDU! überrumpeln lassen. Sie sollten sich künftig vor solchen Sitzungen eingehender mit der Materie befassen und ihn, den Ministerpräsidenten, einschalten.
({19})
Nun zum zweiten Zitat. Sie haben eben widersprochen, als Frau Schuchardt Ihnen das Zitat des bayerischen Ministerpräsidenten mit der Gesamtschule - „weder in Bayern noch sonstwo" - brachte. Ich lese Ihnen das aus der „Welt" vom 21. Juni vor:
Unmißverständlich stellte Strauß klar: "Bayern wird der Einführung der Gesamtschule als Regelschule weder in Bayern noch anderswo zustimmen."
Ein Dementi habe ich nirgend gesehen.
({20})
Und das hat ja wohl sehr schnell gewirkt, denn schon im selben Artikel konnte die „Welt" über den Kultusminister Maier berichten, er habe - auch vor dem 21. Juni - wörtlich erklärt:
Man kann noch nicht davon sprechen, daß ein Kompromiß erzielt wurde.
Und ein Sprecher seines Ministeriums sagte zur „Welt":
Der große Streit steht noch bevor.
({21})
Die Diskussion ist offenbar im Juni so ausgegangen, wie uns die „Süddeutsche Zeitung" am 27. Juni berichtete
({22})
- hören Sie sich das an, das wird Ihnen nicht gefallen, aber es stellt den Sachverhalt klar -: - ({23})
- Das verlängert nur die Debatte.
({24})
Ich zitiere also wörtlich aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 27. Juni:
({25})
Entgegen der von der Staatssekretärin Mathilde Berghofer-Weichner bei der Sitzung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsfragen und der darauffolgenden Zusammenkunft der Kultusminister bekundeten Haltung verweigerte der CSU-Arbeitskreis unmißverständlich seine Zustimmung zu einer Fortschreibung in der gegenwärtig vorliegenden Form.
Das war dann dort in München der Abschluß der Debatte noch im Juni.
({26})
Daraufhin wurde unter Führung Bayerns der Antrag auf eine Sondersitzung dieser Bund-Länder-Kommission gestellt. Anfang Oktober mußte der Anhörungstermin aufgehoben werden und mußte das weitere Verfahren der Fortschreibung gestoppt werden.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen das auch deshalb so ausführlich erklärt, weil hier vor zwei Tagen wieder gesagt worden ist, Hamburg sei schuld,
({27})
der Hamburger Gesetzesbeschluß trage hier Verantwortung.
({28})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wo war denn im Juni von einem Hamburger Gesetzesbeschluß zur Gesamtschule die Rede?
({29})
Wo war das denn absehbar, als Sie sich damals schon darauf festgelegt hatten, den Bildungsgesamtplan so, wie wir ihn im Kreise der Minister vereinbart hatten, nicht zu wollen?
({30})
Entsprechend ging es dann weiter. In der nächsten Sitzung der Bund-Länder-Kommission am 15. Oktober gab es keinerlei Fortschritt und keine Aussicht auf eine Förderung der Arbeiten an der Fortschreibung,
({31})
es gab keinen neuen Anhörungstermin. Aber etwas Neues gab es doch, meine Damen und Herren: Ihr Parteifreund Werner Remmers trat demonstrativ von seinem Amt als stellvertretender Vorsitzender dieser Konferenz zurück.
({32})
Er sagte, er könne den scharfkantigen Konfrontationskurs nicht länger vertreten.
({33})
Sie haben eben schon von Frau Schuchardt gehört, was er dazu im einzelnen ausgeführt hat.
({34})
Nicht ich spreche jetzt, sondern ich zitiere in Ergänzung zu Frau Schuchardt noch einen Satz aus dem Brief von Herrn Remmers:
Man meinte auch,
- bezogen auf Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion diese Zeit vor der Bundestagswahl
({35})
müsse nun einmal die Zeit harter bildungspolitischer Konfrontation sein.
Solche Zitate überführen Sie doch, und Ihre Unruhe und Ihre Zwischenrufe zeigen, daß Sie das sehr wohl merken.
({36})
Ich führe das alles aus, weil wir am Montag dieser Woche, am 10. Dezember, erneut eine Sitzung hatten, wo es wiederum keinen Fortschritt gab, wo die Unionsseite auf Ministerebene wiederum durch
Herrn Maier aus Bayern und Herrn Herzog aus Baden-Württemberg vertreten waren.
({37})
Herr Remmers fehlte, Frau Laurien fehlte, Herr Jochem fehlte; mit anderen Worten: die harte Linie hat sich dort voll durchgesetzt.
Ihr Kanzlerkandidat mag es bedauern, als Urheber dieser Entwicklung namhaft gemacht zu werden; aber der von ihm erzwungenen Entwicklung läßt er freien Lauf. Er muß sich dafür verantwortlich machen lassen und wird sich dem auch nicht durch Bestreiten oder Leugnen, sondern nur durch Einlenken in der Tat entziehen können.
({38})
Überhaupt muß sich der bayerische Ministerpräsident, Ihr Kanzlerkandidat, fragen lassen, was auf diesem Hintergrund von seiner Kanzlerschaft für die gemeinsame Bildungspolitik von Bund und Ländern zu erwarten wäre.
({39})
Würden wir dann Blockade, Uneinigkeit und Streit als Dauerzustand bekommen? Die bisherige Haltung des Freistaats Bayern läßt das befürchten. Denken wir an die von dort erzwungene Auflösung des Bildungsrates! Denken Sie daran, daß Bayern als einziges Land dem in langer Arbeit ausgehandelten Abkommen zur Abstimmung der betrieblichen und schulischen Berufsbildung im vergangenen Jahr nicht zugestimmt und es dadurch zum Scheitern gebracht hat!
({40})
Oder nehmen sie das neueste Beispiel: Wir werden in Kürze - damit rechne ich nach der Haltung des Hauses - die Zwangsexmatrikulation im Hochschulrahmengesetz abschaffen. Bayern hat bereits, auch wieder als einziges Land, erklärt, daß es daran festhalten werde. Für die Schüler, für die Auszubildenden, die Studenten, die Lehrer und die Eltern ist das sicher keine Einladung, die CSU-Position bundesweit zu stärken.
({41})
Ich hätte Ihnen gern vom Abschluß der Arbeiten am Bildungsgesamtplan berichtet. Ich werde mich weiter um diesen Abschluß bemühen. Im Interesse der Betroffenen appelliere ich trotz Ihrer Erregung an Sie: Geben Sie die Blockade gemeinsamer Bildungspolitik endlich auf!
({42})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, daß die Rede, die der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hier gehalten hat, nicht unwidersprochen im Raum stehenbleiben kann.
({0})
Ich bitte Sie deshalb um Verständnis, daß ich einige wenige Bemerkungen dazu machen möchte.
Herr Minister Schmude, Sie haben soeben in Ihrem abschließenden Wort gesagt, Sie wollten sich weiter um die Fortschreibung des Bildungsgesamtplans bemühen und hoffen, daß die Verhandlungen möglichst bald zu einem Abschluß kommen. Wenn Sie weiter solche Reden halten wie soeben, dann werden Sie dieses Ziel nicht erreichen.
({1})
Denn solche Reden tragen nur dazu bei, unnötige Polarisierungen in die Diskussion hineinzubringen, und sie werden z. B. auch dem Beitrag, den die Länder in der letzten Bildungsdebatte hier geleistet haben - das waren alle Länder, ich betone das ausdrücklich -, absolut nicht gerecht.
({2})
Ich wünsche mir, daß Sie vom Stil her etwas mehr kooperativen Föderalismus sichtbar werden lassen.
({3})
Konkret möchte ich hinsichtlich des 18. Juni anfügen: Was am 18. Juni vereinbart wurde, war - das ist hier mehrfach gesagt worden - ein Verfahrenskompromiß
({4})
Die ganzen Schwierigkeiten seither sind u. a. deshalb aufgetreten, weil Sie versucht haben, aus diesem Verfahrenskompromiß einen Kompromiß in der Sache zu machen,
({5})
indem Sie behauptet haben, damit sei der Streit um die Gesamtschule beendet. Ihre erste Einlassung nach dem 18. Juni hat diesen Verfahrenskompromiß von Anfang an negativ belastet. Das ist mit eine Folge auch der Pressekonferenz, die Sie anschließend gegeben haben.
({6})
Der Verfahrenskompromiß bestand darin, daß man festgestellt hat, man sei in der Frage der Gesamtschule unterschiedlicher Meinung, man wolle sich aber darum bemühen, über das Jahr 1981 hinaus zu einer Anerkennung der Gesamtschulabschlüsse in den Versuchsschulen zu kommen, daß aber Voraussetzung dafür die Gleichwertigkeit der Gesamtschulabschlüsse mit den Abschlüssen des gegliederten Schulwesens sei und der Maßstab dafür nur das bestehende gegliederte Schulwesen sein könne. Auf dieser Grundlage wollten die Kultusminister eine Vereinbarung treffen, die diese Vergleichbarkeit herstellt. Herr Minister Schmude, es ist doch nun oft genug gesagt worden, daß dann im Laufe des August - vor allem aus Nordrhein-Westfalen - gesagt wurde: Auf dieser Ebene geht es nicht. Der Maßstab kann nicht das gegliederte Schulwesen sein. Damit ist der Kompromiß, der Verfahrenskompromiß des 18. Juni, aufgekündigt worden, aber nicht etwa von Herrn Strauß oder von sonst jemandem in der Union, sondern in erster Linie von den sozialdemokratisch regierten Ländern.
({7})
Meine Damen und Herren, der Beweis dafür ist dann angetreten worden, als unmittelbar danach das Land Hamburg die integrierte Gesamtschule in einem Alleingang und gegen die Vereinbarung, die etwa im Hamburger Abkommen getroffen worden ist, zu einer Regelschule gemacht hat.
({8})
Dies ist doch eine Belastung der gesamten Verhandlungen über die Fortschreibung des Bildungsgesamtplans gewesen. Hier ist geradezu der Eindruck erweckt worden, als ob man die Konfrontation und nicht die Kooperation wolle.
({9})
Wenn Herr Strauß gesagt hat, daß er der Einführung der Gesamtschule als Regelschule nicht zustimmen werde, so bewegt er sich, meine Damen und Herren, auf dem Boden des von allen Ländern verabschiedeten Hamburger Abkommens.
({10})
Denn danach ist die Gesamtschule keine Regelschule.
({11})
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen: Sie haben sich hier wieder auf den Strukturbericht, den sogenannten Mängelbericht und auf die Notwendigkeit berufen, mehr Einheitlichkeit im Bildungswesen zustande zu bringen, und Sie haben den Kollegen Dr. Barzel mit seiner durchaus zutreffenden Bemerkung an die Adresse der Bundesregierung zitiert. Ja meine Damen und Herren, mehr Einheitlichkeit im Bildungswesen ist in der Tat ein Anliegen, das wir haben. Aber ich darf da noch einmal fragen: Wer hat denn in den letzten Jahren die Alleingänge, die zu den Divergenzen im Bildungswesen geführt haben, unternommen? Das Land Hamburg, das Land Berlin, das Land Bremen haben - gegen alle Abmachungen - die Gesamtschule als eine Regelschule eingeführt. In der Regierungserklärung des Jahres 1976 hat die Bundesregierung erklärt: Das Berufsgrundbildungsjahr hat Vorrang vor der Einführung eines 10. Schuljahres. Das Land Nordrhein-Westfalen hat - gegen alle bestehende Einheitlichkeit - inzwischen das 10. Schuljahr als Pflichtschuljahr an der Hauptschule eingeführt. Man könnte das Beispiel auch auf Berlin
({12})
mit den isolierten Oberstufenzentren ausdehnen. Wenn es in den zurückliegenden Jahren ein Auseinanderentwickeln in der Bildungspolitik unter den Ländern gegeben hat, dann doch in erster Linie deshalb, weil sich die sozialdemokratisch regierten Länder nicht an die vereinbarten Einheitlichkeitsgrundsätze gehalten haben!
({13})
Nun noch eine letzte Bemerkung: Sie haben bedauert, daß es in naher Zukunft nicht zu einer Anhörung über den Bildungsgesamtplan kommt.
({14})
Ich habe schon in der letzten großen bildungspolitischen Debatte hier darauf hingewiesen, daß es ja wohl noch eine große Divergenz zwischen der Ansicht der Finanzminister und der Ansicht der Kultusminister beispielsweise über die Entwicklung der Personalstellen im Lehrerbereich gibt. Was am Beginn dieser Woche in der Offentlichkeit bekannt geworden ist, war Ihnen schon lang bekannt gewesen. Die Zahlen sind übrigens auch hier genannt worden.
Das ist doch nun wirklich ein gravierender Konflikt, wenn auf der einen Seite die Kultusminister sagen: Wir können den Bildungsgesamtplan nur realisieren, wenn wir bis zum Jahr 1985 insgesamt etwa 20 000 Lehrer mehr bekommen, und auf der anderen Seite die Finanzminister sagen: Ihr werdet nicht 20 000 Lehrer mehr bekommen können, sondern wir bestehen darauf, daß der Bildungsgesamtplan auf der Grundlage von 20 000 Lehrern weniger verabschiedet wird. Es ist doch keine seriöse und solide Bildungsplanung, wenn der Versuch gemacht wird, auf dieser Grundlage einen Bildungsgesamtplan zu verabschieden.
({15})
Denn darauf legen wir schon Wert, daß zu einer seriösen und soliden Bildungsplanung auch deren AbPfeifer
Sicherung durch ein solides Bildungsbudget gehört, hinter dem die Finanzminister stehen.
({16})
Es wäre in meinen Augen gegenüber den Lehrerverbänden, gegenüber den Eltern, gegenüber den Schülern, gegenüber allen, die man mit diesem Bildungsgesamtplan und seiner Fortschreibung konfrontieren will, einfach unredlich gewesen, wenn auf der einen Seite Sie und die übrigen Mitglieder der Bund-Länder-Kommission gesagt hätten: Schaut mal her, diese Ziele wollen wir verwirklichenl; obwohl Sie auf der anderen Seite ganz genau wissen, daß die Finanzminister eine drastische Reduzierung der Personalstellen vornehmen wollen. So unredlich kann man eine Anhörung nicht beginnen.
Deswegen ist meine Meinung: Es wäre gut, wenn man sich im Interesse der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans, die wir wünschen - ich wiederhole ausdrücklich: die wir wünschen - auf zwei Dinge konzentrieren würde:
Erstens darauf, daß die Auseinandersetzungen mit den Finanzministern zum Abschluß kommen. Ich erkläre, daß wir in diesem Fall der Meinung sind, daß wir mehr Lehrerstellen in den nächsten fünf Jahren brauchen. Denn wenn man einer weiteren Konzentration des Schulwesens entgegentreten will, wenn man für das berufliche Bildungswesen mehr und bessere Qualität in den Schulen haben will, wenn man mehr Ganztagsangebote auch im gegliederten Schulwesen haben will, dann setzt das natürlich voraus, daß mehr Personalstellen geschaffen werden. Hierüber muß zunächst einmal Einigkeit erzielt werden.
Das zweite: Gleichzeitig sollten die Kultusminister die Arbeiten an der Vereinbarung über die Gleichwertigkeit der Abschlüsse an Gesamtschulen und im gegliederten Schulwesen fortsetzen. Herr Minister, ich habe durchaus die Bitte, daß Sie diese Verhandlungen, die nach der Kultusministerkonferenz in Berlin auf einer vernünftigen Grundlage geführt werden, nicht weiterhin so stören, wie das in meinen Augen heute durch Ihre Rede geschehen ist.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pfeifer, Sie haben sich durch die Rede des Ministers herausgefordert gefühlt, die Fraktionsvereinbarung zu durchbrechen und hier noch einmal Stellung zu nehmen. Das ist Ihr gutes Recht.
Ihre Antwort ist teilweise eben eine Antwort nicht auf Äußerungen unserer Fraktion, sondern auf die Rede des Ministers. Deswegen will ich es mir versagen, hier noch einmal einen längeren inhaltlichen Beitrag zu liefern. Dies behalten wir uns für eine spätere Gelegenheit vor.
Ich will nur unmittelbar auf Ihre Erwiderung namens der Fraktion der SPD - und ich denke, das darf ich auch namens der Koalitionsfraktionen tun - etwas zum Stil sagen. Sie haben den Stil bedauert, den sie als Konfrontation empfinden. Dem halten wir mit großer Gelassenheit entgegen, daß Sie es doch sind, die den Stil bestimmen. Sie haben die Wahl; denn bis in dieses Parlament hinein ist es doch der Stil der Konfrontation, der von der Bundestagskandidatur 1980, von Ihrem Spitzenkandidaten, vom Schauplatz Sonthofen ausgeht. Wenn Sie noch so oft beteuern, daß Sie es ungern hören, so müssen Sie jedenfalls zur Kenntnis nehmen ({0})
- Wenn Sie meinen, daß wir an einem Strauß-Komplex leiden, dann muß ich Ihnen entgegenhalten, daß Sie leider offenbar zu unsensibel sind, einen Strauß-Komplex zu haben.
({1})
Sonst würden Sie zum Beispiel darunter leiden, daß Ihr Spitzenkandidat nicht einmal in der Weise aufgestellt worden ist, wie das in dieser Demokratie üblich war. Denn wo wäre Ihr Kandidat auf einem Kongreß der Delegierten der CDU und der CSU aufgestellt, bundesweit und mit Mehrheit gewählt? Sie haben diesen Kandidaten unserer Republik serviert durch eine Mehrheit, die einzig von Ihrer Bundestagsfraktion ausging. Die Auseinandersetzung um das, was da zu diskutieren ware, haben Sie nie geführt.
({2})
- Meine Damen und Herren Kollegen, wenn Sie durch Zwischenrufe herausfordern, daß man die Debatte verlängert und über die Person Strauß spricht, dann können Sie das haben.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Frau Präsidentin, ich bitte im Interesse der Verkürzung der Debatte um zweierlei: erstens keine Zwischenfrage, zweitens mir die Gelegenheit zu geben, in zwei bis drei Minuten diesen Beitrag zu beenden.
Ja, bitte schön. Fahren Sie fort, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, ich kenne Herrn Strauß besser als die meisten von Ihnen;
({0})
denn ich verfolge seine Art, Politik zu machen, vor Ort in Bayern seit 30 Jahren. Ich weiß ganz genau, was ich sage, wenn ich von dem rede, was an schwierigen Erfahrungen und Belastungen auf diese zweite
deutsche Republik durch diese Kandidatur zukommt.
({1})
Das ist aber jetzt hier nicht mein Thema. Mein Thema ist, Ihnen zu sagen, meine Damen und Herren, daß Sie nicht beides auf einmal haben können. Sie können nicht sagen, daß Sie den Standpunkt der bildungspolitischen Einigung einnehmen, wenn Sie in der praktischen Politik, dort, wo Sie die Mehrheit haben, nämlich im Bundesrat, dort, wo Sie auf die Bildungsplanung Einfluß haben, in der Bund-Länder-Kommission, anders handeln. Da können wir als Koalition von hier aus nicht mal Anhörungen beschleunigen oder beantragen; das wissen Sie sehr genau. Deswegen ist Ihre Doppelstrategie verräterisch.
Ich sage von dieser Stelle aus noch zwei Sätze abschließend.
Erstens: Ihr Spitzenkandidat hat es in der Hand, ab morgen den Einigungskompromiß in der Bildungspolitik in der Bundesrepublik wiederherzustellen, wenn er will.
({2})
Zweitens: Einigung läßt sich nicht erzielen im Sinne eines Diktats nur einer Seite;
({3})
Einigung läßt sich nur erzielen, wenn man kompromißfähig ist, und das sind Sie nicht!
({4})
Als einer, der in 30 Jahren mit großer Aufmerksamkeit CSU-Politik, die für mich nicht gleichbedeutend ist mit bayerischer Politik,
({5})
verfolgt, bitte ich Sie in diesem Haus auch einmal darüber nachzudenken, daß das andere Bayern, das zum Beispiel hier durch einen Abgeordneten aus Bayern spricht, in den Reihen der CDU/CSU des öfteren allzu unbekannt ist.
({6})
Es gibt ein anderes, ein liberaleres, ein demokratischeres Bayern.
({7})
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Zum Einzelplan 31 liegt auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 15 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 31 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einzelplan 31 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um die
Beratung des vom Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) vorgelegten Entwurfs einer Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Drucksache 8/3460 - ergänzt werden.
Ist das Haus damit einverstanden, das auf die Tagesordnung zu setzen? - Meine Damen und Herren, es wird nur Überweisung an den Ausschuß vorgeschlagen.
({1})
- Wollen Sie sich zu Wort melden, Herr Kollege? Es kann sich ja nur um eine kurze Erklärung handeln, nicht wahr?
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße, daß dieses Dokument dem Ausschuß noch einmal überwiesen wird. Ich lese nämlich auf dem Deckblatt folgende Sätze:
Aufgrund der Änderung der Artikel 39 und 45 c des Grundgesetzes stimmt die geltende Geschäftsordnung mit der Verfassung nicht mehr überein.
Meine Damen und Herren, wir beraten eigentlich seit einigen Jahren hier mit einer verfassungswidrigen Geschäftsordnung. Das ist doch ein Punkt, der der Aufklärung bedarf.
Zweitens soll dann - und das finde ich noch erstaunlicher - die Verfassungsmäßigkeit dieses Dokuments dadurch hergestellt werden, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes aus dieser Geschäftsordnung eliminiert werden. Dafür mag es gute Gründe geben, meine Damen und Herren; aber ich glaube, in der Art und Weise, wie es hier steht, kann es nur zu großen Mißverständnissen Anlaß geben. Ich bin deshalb dafür, daß dieses Dokument noch einmal sorgfältig überarbeitet wird, und stimme der Überweisung an den Ausschuß zu.
({0})
Meine Damen und Herren! Es war keine Aussprache vorgesehen. Diese Einlassung wird bei den Beratungen sicherlich beachtet werden.
Vizepräsident Frau Renger
Es wird vorgeschlagen, die Vorlage an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zurückzuüberweisen. Das Haus ist damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksache 8/3388 Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Gärtner
Wünschen die Berichterstatter oder wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Picard.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mit großer Aufmerksamkeit die Debatte, die soeben ablief, verfolgt.
Bevor ich zur Entwicklungspolitik spreche, möchte ich eine Bemerkung machen. Ich empfehle dem Kollegen Lattmann, auch wenn er nicht mehr in den Bundestag zurückkehrt, einmal die Verfassung nachzulesen, welche Möglichkeiten es gibt, einen Bundeskanzler zu wählen. Wir haben jedenfalls unseren Spitzenkandidaten in einem Gremium gewählt, das in der Lage und fähig sein wird, den Bundeskanzler zu wählen, nämlich die Fraktion im Deutschen Bundestag. Bei Ihnen wird der Bundeskanzler von Ihrem Fraktionsvorsitzenden ausgetauscht.
({0})
- Wenn Sie das für demokratischer halten, ist das Ihre Sache.
({1})
Der verspätete Aufruf des Einzelplans 23 hat mir genügend Zeit gegeben, über eine Anregung des Bundeskanzlers in seiner Rede nachzudenken.
({2})
- Ich lasse mir doch von Ihnen nicht vorschreiben, wozu ich reden will. - Er hat nämlich gemeint, meine Damen und Herren, angesichts der Bevölkerungsexplosion - die findet übrigens nicht mehr in dem Maße statt, wie sie immer noch als gegeben angesehen wird; da muß man ein bissel mehr lesen als nur den ersten Bericht des Club of Rome; dann kommt man dahinter, daß die Bevölkerungskurve anders läuft als so, wie sie von vielen noch als Grundlage ihrer Überlegungen unterstellt wird - müsse man doch darüber nachdenken, ob der Bevölkerungsschwund bei uns nicht eine Möglichkeit sei, dem Bevölkerungswachstum, das sich in den Entwicklungsländern vollzieht, entgegenzutreten. Das wäre so ziemlich das Falscheste und Schädlichste,
was wir tun könnten; denn eine schwindende Bevölkerung hat auf Dauer noch nie eine größere Möglichkeit dargestellt, anderen zu helfen, sondern eine abnehmende, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern in jederlei Hinsicht. Unsere Aufgabe ist es ja doch - und das bleibt wahrscheinlich noch lange die Aufgabe der Industrieländer -, den Entwicklungsländern wachsende und bessere Möglichkeiten zu ihrer eigenen Bestimmung und eigenen Entfaltung zu geben.
Das, meine Damen und Herren, ist mir so im Laufe der Debatte eingefallen, die übrigens viel schneller abliefe, wenn Sie sich nicht unablässig mit unserem Spitzenkandidaten beschäftigten. Ich entnehme daraus mit Vergnügen, daß wir doch offenbar den besten Mann aufgestellt haben, den wir haben.
Wir haben uns in den Beratungen des Haushaltsausschusses - und als Mitglied des Haushaltsausschusses will ich hier einige Bemerkungen machen - mit wenigen Problemen im Bereich der Entwicklungshilfe beschäftigt, darunter seit längerem mit der Frage der Aus- und Fortbildung, weil wir der Meinung sind - und ich glaube, darin stimmen wir überein -, daß gerade die Ausbildung und die Fortbildung für Angehörige der Entwicklungsländer so etwas wie eine Schlüsselfunktion zu ihrer eigenständigen Entwicklung darstellen. Deshalb erwarten wir bald eine Stellungnahme der Bundesregierung dazu, wie dem Wunsch des Haushaltsausschusses nach besserer Koordination und höherer Effizienz der beruflichen Aus- und Fortbildung entsprochen werden kann.
Die Bundesregierung hat im September dieses Jahres einen Zwischenbericht vorgelegt, der nach unserem Eindruck eine gute Ausgangsbasis als Analyse der bestehenden Situation und eine gute Grundlage für die Diskussion mit den Beteiligten darstellt. Wir hatten dabei die Hoffnung, daß eine Lösung im Einvernehmen - ich habe das schon im vergangenen Jahr gesagt - mit den Beteiligten gefunden wird; das sind vor allen Dingen die CarlDuisberg-Gesellschaft und die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung.
Es bestand hier Übereinstimmung, daß wir die Chance nutzen sollten, die Reichshauptstadt möglichst vielen Menschen aus der weiten Welt zur Kenntnis zu bringen und die Angehörigen der Entwicklungsländer in die Lage zu versetzen, in Berlin einen wesentlichen Teil dessen, was wir an Bildungs- und Ausbildungsangeboten zur Verfügung stellen können, zu erleben. Wir denken, daß gerade im Hinblick auf den forcierten Ausbau in Berlin Verbesserungen in der Zuordnung der Aufgabenbereiche notwendig seien.
Ich bin nicht der Auffassung, daß alles beim alten bleiben muß. Ich sage jedoch ganz klar, daß nur von der Sache her erforderliche Veränderungen vorgenommen werden sollten. Ich habe den Eindruck, daß nicht immer nur sachliche Gesichtspunkte bei der Frage der Veränderung der Aus- und Fortbildung eine Rolle spielen.
({3})
Wir halten es für dringend geboten - und damit komme ich zu einem Punkt, den wir schon mehrmals diskutiert haben -, im Bereich der Aus- und Fortbildung intensiver mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten, die Erfahrungen und Möglichkeiten der Wirtschaft starker zu nutzen, das Gesamtangebot besser abzustimmen und erheblich auszubauen.
Die deutsche Wirtschaft sieht die Notwendigkeit, nicht nur die Übertragung von Kapital in die Dritte Welt vorzunehmen. Es ist übrigens eine sehr große Frage, über die man vielleicht noch einmal nachdenken muß, ob wir genügend Anreize bieten, Investitionen deutscher Unternehmer in Entwicklungsländer zu ermöglichen oder interessant zu machen, weil es ja vielerlei Gesichtspunkte gibt, nicht nur den der Rendite, sondern auch den der Sicherheit,
({4})
vielleicht auch der Sicherheit der Arbeitsplätze. Dennoch sind wir nach unserer Kenntnis - und die wird vom Ministerium bestätigt - der Auffassung, daß die deutsche Wirtschaft gar nicht abgeneigt ist, sich aus verschiedenen Gründen in Entwicklungsländern zu engagieren, nicht nur der Rendite wegen, sondern weil sie weiß, daß es auf lange Sicht in unser aller Interessen liegt, Partner in dieser Welt zu haben, und dazu dient am besten eine Übertragung des Wissens und Könnens. Dieses Know-how zu übertragen, bedeutet nämlich eine wachsende Zahl an qualifizierten und hochqualifizierten Leuten in den Entwicklungsländern selbst, nicht hier. Ich meine, dieser Gesichtspunkt muß auch berücksichtigt werden.
Schließlich trägt ein erweitertes Ausbildungsangebot auch der Entwicklung am Arbeitsmarkt Rechnung, die eine deutliche Verknappung an Fachkräften in den nächsten Jahren erwarten läßt. Heute zeichnen sich bereits Schwierigkeiten ab, deutsche Arbeitskräfte für Aufgaben in den Ländern der Dritten Welt zu gewinnen.
Ich bin mir klar darüber, daß es auch noch andere Gesichtspunkte gibt und daß es vielleicht so etwas wie einer Klimaveränderung bedarf, um junge Deutsche wieder dazu zu bringen - ich will nicht sagen, aus Abenteuerlust, aber jedenfalls aus einem gewissen Gespür für Herausforderungen und für Forderungen, die wir zu erfüllen haben -, in andere Länder der Welt zu gehen, statt zu Hause zu sitzen und sich nach dem Studium oder nach der Ausbildung die mögliche Pension auszurechnen. Das ist ja die gängige Meinung, daß das so sei. Das ist nicht so. Aber wir haben nicht genügend junge Mitbürger, die bereit sind, in Entwicklungsländer zu gehen.
So meinen wir, daß diese Gesichtspunkte bei der im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit laufenden Überprüfung des Bereichs Aus- und Fortbildung ausreichend zu berücksichtigen sind. Denn einer der Ausgangspunkte war gerade die gemeinsame Überzeugung im Haushaltsausschuß, daß die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu verstärken und die bestehenden Einrichtungen in die Lage zu versetzen seien, sich mit ihren fachlichen und administrativen Kapazitäten auf diese Notwendigkeit einzustellen. Dieses Ziel würde jedoch mit Sicherheit verfehlt, wenn bei den anstehenden Überlegungen und Entscheidungen in diesem Zusammenhang mehr Bürokratisierung die Folge wäre. Ziel muß vielmehr sein - davon sind wir zutiefst überzeugt -, so weit wie möglich und verantwortbar Flexibilität und Eigenverantwortung der jeweiligen Trägereinrichtungen zu stärken.
Wir halten an dem Ziel fest, Berlin zum Mittelpunkt der Aus- und Fortbildung zu machen. Allerdings - ich bleibe dabei; ich habe das im vergangenen Jahr angedeutet und im Haushaltsausschuß darauf hingewiesen - darf das nicht bedeuten, daß wir ein Ungleichgewicht zwischen den zu beteiligenden Organisationen bekommen, wenn wir Berlin im Auge gaben. Ich halte es für der Überlegung wert, ob wir nicht so weit sind, daß wir eine Atempause der Konsolidierung zu machen haben, und erst einmal ein Jahr abwarten müssen, um zu sehen, wie weit wir gekommen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte eine Bemerkung machen, die ich auch zu später Stunde am Dienstagabend bei der Beratung des Einzelplans 05 - Außenministerium - machen konnte. Wir erwarten dringend, daß Entwicklungshilfeministerium und Außenministerium die Aufgaben der humanitären Hilfe miteinander und nicht nebeneinander lösen. Ich will nicht vom Gegeneinander sprechen, das halte ich nicht für möglich. Aber miteinander, und nicht nebeneinander! Das heißt, wir leisten humanitäre Hilfe, die in aller Regel zu einem Zeitpunkt ausläuft, wo die Ursachen des Problems noch nicht beseitigt sind und wo wir mit Sicherheit erwarten können, daß dieselben Probleme des Hungers, des Elends, der Obdachlosigkeit, der totalen Arbeitslosigkeit wieder auftauchen.
Ich meine also, wir müßten im Anschluß an humanitäre Hilfsmaßnahmen sofort mit Entwicklungshilfemaßnahmen einsetzen. Wenn wir das nicht können oder nicht wollen, dann müssen wir unter humanitärer Hilfe etwas anderes verstehen, müssen die Zweckbestimmung ändern und müssen im Einzelplan 05 halt höhere Beträge auswerfen. Wir engagieren uns in der humanitären Hilfe immerhin für das Jahr 1980 mit einem vorgesehenen Betrag von 50 Millionen DM, der vielleicht auf 80 Millionen DM oder 100 Millionen DM steigen wird, je nachdem welche Ereignisse uns im Laufe des Jahres überraschen. Wir können-es nicht zulassen - meine Damen und Herren, das meine ich sehr ernst -, daß wir als ein bedeutendes Land mit einer so großen Aufgabe, die wir notwendigerweise, aber auch mit Engagement wahrnehmen, nämlich Elend in der Welt zu lindern, dazu beitragen, das Elend zwar für ein paar Tage erträglich zu machen, es dann aber doch wieder voll einbrechen zu lassen.
Ich möchte nach Durchsicht der vertraglichen Erläuterungen, die ich hier nicht zum Gegenstand der Diskussion machen will, folgendes sagen. Wir haben ein Schwergewicht der deutschen Entwicklungshilfe, von der Größenordnung her gesehen, in Afrika, dort insbesondere in Schwarzafrika. Wenn ich über die Landkarte schaue und nur Zeitungen lese und nachdenke, sehe, wo Krisenherde in dieser Welt sind, dann läßt sich es sich nicht leugnen, daß in Zentralamerika und im Karibischen Raum ein KriPicard
senherd ist, in dem es, wenn wir nicht sehr rasch und viel stärker und viel gezielter unsere Aufmerksamkeit dorthin wenden, zu Explosionen kommen wird, die uns in unserem eigenen Interesse, aber auch im Interesse der dort lebenden Menschen Sorge machen müssen. Ich halte es für fragwürdig, daß wir sowohl bei der technischen Zusammenarbeit wie bei der finanziellen Zusammenarbeit nur für Schwarzafrika - ohne Nordafrika - dreimal soviel Entwicklungshilfe geben wie im gesamten lateinamerikanischen Raum, also nicht nur in Zentralamerika.
Meine Damen und Herren, es ist zwar richtig, wenn wir sagen, für uns in Europa seien das Mittelmeer und seine Randstaaten von lebenswichtiger Bedeutung. Es wäre aber eine etwas zu enge und etwas zu kleinkarierte Betrachtungsweise, wenn wir nicht in der Lage wären, über den Atlantik hinauszuschauen. Ich meine, wir hätten auch hier eine Aufgabe in der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Wir wissen alle miteinander, daß die Vereinigten Staaten in diesem Bereich, der vor ihrer Haustüre - oder vor ihrer Hintertüre, wie Sie wollen - liegt, weder gern gesehen sind noch - das kann man wohl sagen - immer mit glücklicher Hand operiert haben. Wir sollten uns auch aus dieser Erkenntnis heraus für den freien Westen, für die Industrieländer der westlichen Welt dort etwas stärker engagieren. Wie stellen dazu keinen Antrag. Wir erlauben uns nur diesen Hinweis und sind gespannt darauf, ob das Ministerium eine Akzentverschiebung in seinen von ihm selbst zu leistenden öffentlichen Entwicklungshilfemitteln vornehmen kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte eine Bemerkung machen zur Bedeutung der Schwellenländer. Wir haben im vergangenen Jahr hierzu einen Antrag gestellt. Dieser Antrag ist, soweit ich das aus Papieren des SPD-Parteitages sehen konnte, auch dort debattiert worden, nämlich durch eine Zinsverbilligungsaktion Schwellenländer - ({5})
- Das weiß ich nicht, ob wir - - Wir hatten im vergangenen Frühjahr, Herr Kollege, noch nicht Ihre Papiere vom Parteitag. Vielleicht waren sie schon vorhanden; das ist möglich. Aber ich lese meistens erst einmal meine eigenen Parteipapiere, bevor ich mich für die Ihren interessiere! Nur habe ich festgestellt, daß Sie sich offenbar mit der gleichen Frage beschäftigen. Sich mit der gleichen Frage zu beschäftigen, muß ja nicht verboten sein; es ist unter Umständen sogar ein gutes Zeichen, wenn man im Entwickeln neuer Ideen und Vorstellungen konkurriert.
Ich meine, man sollte trotz aller Bedenken, die Sie ja auch diskutiert haben und die Sie auch kennen und die wir auch diskutiert haben und auch kennen und die bisher die Regierung wohl veranlaßt haben, nicht tätig zu werden, diese Frage noch einmal aufgreifen. Ich glaube, mein Kollege Hoffacker wird sich nachher in seinem Beitrag damit noch eingehender beschäftigen.
Ich will, weil ich das für notwendig halte, das Thema Schuldenerlaß noch einmal aufgreifen, nicht deshalb, weil wir meinen - obwohl es nicht die eleganteste Lösung ist -, daß das einfach mit § 59 Bundeshaushaltsordnung erledigt sei. Ich bin tatsächlich der Auffassung, wir sollten wenigstens einen Vermerk im Haushalt machen. Nur, meine Damen und Herren: Auch die Einzelfallprüfung in diesem Bereich wird uns nicht vor der Schwierigkeit bewahren, weitere Schuldenerlasse vorzunehmen, wenn die Kriterien woanders, wo wir weniger oder gar keinen Einfluß haben, geändert werden. Dann werden wir dasselbe in einer fortlaufenden Bewegung auf uns zukommen sehen.
Meine Damen und Herren, daß sind aus dem Gesichtspunkt eines Mitglieds des Haushaltsausschusses ein paar Bemerkungen, die vielleicht auch bei den Kollegen aus dem Fachausschuß und ansonsten Aufmerksamkeit finden.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Picard! Wir halten es ebenfalls für durchaus sinnvoll und haben bei uns in der Arbeitsgruppe schon des öfteren darüber gesprochen, inwieweit es Möglichkeiten gibt, mit Zinssubventionen zu arbeiten, um den finanziellen Rahmen der Entwicklungspolitik auszuweiten. Diese Überlegungen werden bei uns weiter verfolgt. Wir werden bei Gelegenheit auf diese Anregungen zurückkommen.
({0})
In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch eine Rolle, daß wir bei der Hilfe für Privatinvestitionen, die seit 1979 erstmals im Bundeshaushalt steht - früher war das im ERP-Sondervermögen untergebracht -, versuchen wollen, diesen Bereich vor allen Dingen für mittlere und kleine Unternehmen attraktiv zu machen und aufzuschließen.
({1})
Dabei steht dann die Frage einer Überprüfung der beruflichen Aus- und Fortbildung im Rahmen der Entwicklungspolitik an.
Die Bundesregierung wird zu beiden Bereichen einen Situationsbericht oder einen Sachstandsbericht vorlegen. Danach werden wir sehen, inwieweit die bestehenden Durchführungsinstitutionen dies in der jetzigen Form übernehmen können und sollen oder ob andere Formen gesucht werden müssen, unter Umständen auch andere Abgrenzungen geboten erscheinen. Wichtig ist, daß wir - dies kann ich dem Herrn Kollegen Picard zusagen - dabei ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten vorzugehen haben. Aber wir dürfen uns vorher auch keine Tabus aufbauen, nämlich derart, daß unbedingt und unter allen Umständen alles so bleiben muß, wie es bisher war. Möglicherweise muß dies auch zu einer institutionellen Neuordnung in dem ganzen Bereich führen.
In der Vergangenheit, Herr Kollege Picard, waren wir immer froh darüber, daß es uns gelungen war, im Bereich der öffentlichen Entwicklungshilfe zu einer gewissen Konzentration der Mittel zu kommen. Diese Konzentration ist nun einmal zwangsläufig im Bereich Afrika erfolgt - Sie haben auch einige Gründe dafür genannt -, andererseits aber auch im Bereich der least developed countries. Darin waren wir uns einig.
Bei Lateinamerika ist es so, daß einige Länder zu den Schwellenländern gehören und daß die Privatinvestitionen dort ein ganz anderes Volumen erreichen als das z. B. in Afrika der Fall ist und der Fall sein kann. Hierbei müssen wir auch in Zukunft darauf achten, daß wir den Entwicklungsländern durch Beratung helfen, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, die Privatinvestitionen erst interessant machen. Das halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe, denn ohne alledem geht es nicht.
Ich will jetzt auf den Haushalt zu sprechen kommen. In keinem Einzelplan besteht ein so deutliches Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung und den Erfordernissen, die Ausgaben für einen bestimmten und zunehmend wichtiger werdenden Politikbereich erheblich zu steigern, wie beim Einzelplan des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Denn während der Gesamthaushalt im Volumen um rund 5,5 % steigt - hier also eine maßvolle Konsolidierung sichtbar wird -, steigt der Einzelplan 23 nach den Beratungen im Haushaltsausschuß und nach der Vorlage, die wir hoffentlich so beschließen, um rund 15 %. Er weist damit den höchsten Zuwachs aller Einzelhaushalte des Bundeshaushalts auf.
Es ist in diesem Bereich wichtig, daß wir uns im Zusammenhang mit den Beschlüssen, die hier im Frühjahr 1980 zu fassen sind, nicht den Boden dafür entziehen, den Bereich der öffentlichen Entwicklungshilfe in Zukunft finanziell so bedienen zu können, wie wir uns dies eigentlich vorgenommen haben. Worte wie „drastisch", „stark" und ähnliches mehr hören wir im Zusammenhang mit den Steuersenkungen. In Anbetracht der Bedeutung der NordSüd-Politik sollten auch im Bereich der öffentlichen Entwicklungshilfe die Worte „drastisch", „stark" und „besonders stark" verwendet werden.
({2})
Bundesregierung und Parlament bemühen sich durch eine ganze Reihe von Einzelpolitiken - ich nenne nur einmal das Beispiel Gemeinschaftsaufgabe -, ein zu starkes Gefälle in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und auch umweltpolitscher Hinsicht zwischen den einzelnen Landesteilen der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden. Genau in diese Richtung müssen die Industriestaaten - dazu gehören wir ja - ihren Beitrag zum Abbau des Gefälles zwischen Nord und Süd lenken. Das wird in den nächsten Jahren ein erhebliches Finanzvolumen erforderlich machen. Alle gesellschaftlichen Gruppen - zuletzt auch der Sachverständigenrat - haben uns ja die Empfehlung mit auf den Weg gegeben, die öffentlichen Hilfeleistungen in diesem Bereich erheblich zu verstärken. Dies müssen wir sehen.
Aber ich will dabei auch nicht verschweigen, daß die Koalitionsfraktionen bei den diesjährigen Haushaltsberatungen schon einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan haben. Wir haben gegenüber der Regierungsvorlage trotz der Priorität der Konsolidierung des Bundeshaushalts hier noch zugelegt. Es wäre schön, wenn die Opposition künftig unserem Beispiel folgte und dann im Haushaltsausschuß nicht beantragte, genau in diesem Bereich um rund 200 Millionen DM zu kürzen.
({3})
Dieser Bereich ist für uns alle zu wichtig, als daß wir dies machen könnten.
Mit dem Einzelplan 23 gehen Koalitionsfraktionen und Bundesregierung einen vernünftigen, einen vertretbaren Weg in Richtung auf die Ausweitung der öffentlichen Entwicklungshilfe für die Länder der Dritten Welt. Ich hoffe, dies kann in den nächsten Jahren, wenn wir hier die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, gehalten oder gar ausgeweitet werden.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und 'Herren! Unverkennbar, wie der Kollege Esters es gesagt hat, trägt der Einzelplan 23 die Handschrift des Parlaments. Denn das Parlament hat sich seit einigen Jahren immer wieder die Freiheit herausgenommen, das Budgetrecht sehr ernst zu nehmen und die politischen Schwerpunkte dort zu setzen, wo es sie auch für die Zukunft sieht.
({0})
Wir werden uns in dieser Übung von niemandem übertreffen lassen.
Wenn ich von der Handschrift des Parlaments spreche, muß ich allerdings mit Bedauern hinzufügen, daß die Mitzeichnung durch die Opposition leider fehlt. Dies macht also die sozialliberale Mehrheit in diesem Hause alleine.
({1})
- Das ist das berühmte Verfahren, zu sagen: „Wir würden das ja auch gern machen, aber so, wie ihr das macht, finden wir das nicht gut. Ich halte das für eine Hilfsargumentation, die man eine Zeitlang durchhalten kann, aber die Glaubwürdigkeif wird dadurch international mit Sicherheit nicht wachsen; national ist sie bei Ihnen ja ohnehin häufiger im Eimer.
Ich wollte nur an die Regierung appellieren, mit diesem Ergebnis der Haushaltsberatungen - wenn so beschlossen wird, wie die Vorlage es vorsieht - nicht so umzugehen, als sei es ein Danaer-Geschenk oder als passe ihr das nicht. Man weiß nämlich nicht mehr, welchen Gefallen man dieser Regierung noch tun kann. Auf der einen Seite kriegt man Kritik, wenn man etwas drauflegt, auf der anderen Seite kriegt man auch Kritik, wenn man kürzt. Es ist etwas
schwierig. Ich würde die Regierung bitten, mit dem, was das Parlament ihr gibt, in diesem Falle so umzugehen, wie das Parlament es meint. Auf internationalen Konferenzen, meine ich, sieht man etwas besser aus, wenn man einem international vereinbarten Ziel näherkommt, als wenn man weiter wegbleibt.
({2})
- Wissen Sie, der Kollege Esters hat Ihnen das doch soeben klar gemacht. Ich weiß nicht, ob Sie das mathematisch hinkriegen, Herr Köhler: Wenn Sie die 200 Millionen DM abziehen, ist die Frage, wie weit Sie dann von den 0,7 % weg sind. Da muß man also schon ehrlich bleiben in der ganzen Diskussion.
Mit Sicherheit war es in diesem Jahr eine Überraschung, daß uns ausgerechnet die Sachverständigen bescheinigt haben, daß die Zukunft in der Entwicklungshilfe liegt Die Erkenntnisse der fünf Weisen sind für Sie, die Sie im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Arbeit machen, nicht neu, für viele andere Interessierte auch nicht. Jetzt wissen wir es sozusagen amtlich, wissenschaftlich und unabhängig festgestellt, daß man in diesem Bereich mehr tun sollte. Wir haben das in unserem Arbeitsverfahren hinter uns gebracht. Ich meine, wir sollten diesen Weg in den nächsten Jahren beharrlich weitergehen.
Der Kollege Esters hat zu Recht darauf hingewiesen, daß jemand, der in der aktuellen Steuerdiskussion dramatische und drastische Senkungen will, sich daran gewöhnen muß, daß man auf Grund von Beschlüssen, die auf Parteitagen und in Fraktionen
- wie bei uns - gefallen sind, in Zukunft auch beim Einzelplan 23 zu entsprechenden Formulierungen kommen muß.
({3})
- Herr Matthöfer hat mit Sicherheit aufmerksam zugehört, und er hat ja dafür auch ein gewisses Faible. Sehen Sie mal, Herr Hüsch, Herr Matthöfer ist ja nun wirklich kein Finanzminister ohne Herz. Das müssen Sie zugeben.
({4})
- Der eine trägt sein Herz ein bißchen offener als der andere. Innerlich ist Herr Matthöfer in dieser Frage mit uns sicherlich einer Meinung.
Der Herr Kollege Picard hat von einer regionalen Erweiterung gesprochen. Er hat das Stichwort Lateinamerika in die Diskussion gebracht. Er hat auch von einer möglichen Erweiterung des Finanzrahmens gesprochen. Das sind Anregungen, die man beim nächsten Haushalt mit Sicherheit berücksichtigen sollte. Nur verstehe ich angesichts der gegenwärtigen finanzpolitischen Diskussion nicht ganz die Überlegungen, auch die Volksrepublik China zum Entwicklungsland zu deklarieren. Mit Verlaub gesagt, das wird dann etwas problematisch, wenn man in dieser Form ein Land in eine Kategorie einstuft und dann die Frage prüfen muß: Welches sind die Kriterien für die Qualifizierung als Entwicklungsland? Man muß wirklich fragen, ob man das noch finanzpolitisch in die Reihe bekommt. Die sind ja nicht mit einem Betrag von 10 Millionen oder 40 Millionen DM sozusagen abzuspeisen. Da wird eine Rahmenplanung notwendig, die weit über das hinausgeht, was wir bisher verhandelt haben.
({5})
- Ja, bei der Gemeinschaftsaufgabe liegt das ähnlich.
Ich gehe davon aus, daß wir - auch Sie, Herr Kollege Picard - im Prinzip gemeinsamer Auffassung über die Problematik der technischen Zusammenarbeit, der finanziellen Zusammenarbeit sind. Sie machen eine Ausnahme bei einigen Ländern, wo Sie Ihre Zustimmung verweigern. Der Kollege Todenhöfer macht das ja immer richtig drastisch, wenn er seine Guerilleros und Terroristen in den höchsten Staatsämtern vermutet.
({6})
- Wissen Sie, Herr Dr. Hüsch, Sie müssen sich fragen, was Sie auf dem internationalen Parkett kaputtmachen können.
({7})
Ich weiß gar nicht, welches Gefühl Sie dafür haben, daß Sie beispielsweise einem Staatsmann wie Julius Nyerere von Tansania permanent unterstellen, daß er in diese Kategorie fällt. Dabei haben Sie völlig überhört, was Ihnen der Bundesaußenminister hier vor ein paar Tagen über seine Rolle in der internationalen Politik, die für andere Länder bedeutsam war, gesagt hat.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie die Zwischenfrage?
Herr Picard.
Ich will Ihnen nicht die Zeit wegnehmen, ich wollte nur fragen, Herr Kollege Gärtner, ob Sie es für unbesehen richtig halten, wenn wir Äthiopien im Jahre 1980 einen nicht unbedeutenden Betrag an Entwicklungshilfeleistungen zugestehen.
Herr Kollege Picard, die Frage, wem und welchen Ländern man Entwicklungshilfe gibt, muß doch auch Sie irgendwann zum Nachdenken bringen. Ich muß wirklich noch einmal das Stichwort Somalia nennen. Das Problem Somalia hat hier zu einem Zeitpunkt auf dem Tisch gelegen, als Sie das „Regime" so bezeichnet haben, wie Sie jetzt mit Äthiopien umgehen. Was sich in Somalia abgespielt hat, wäre alles nicht möglich gewesen, wenn wir nicht trotz aller vorhandenen Bedenken weiter diese Entwicklungshilfe gegeben hätten. Sie kommen mit Ländern nicht in einen Dialog, wenn Sie ihnen auf diese Art und Weise begegnen.
({0})
Wenn wir alle der Auffassung sind, daß wir unsere Hilfe nicht im Sinne von Einmischung geben, sondern im Sinne eines Daraufhinwirkens, daß die Länder der Dritten Welt - andere im übrigen auch, da ist niemand ausgeschlossen - eine demokratische Entwicklung nehmen sollen, dann müssen Sie die Möglichkeit haben, im Dialog zu bleiben. Wir dürfen sie nicht draußen lassen, sie nicht sozusagen vorher abqualifizieren und vielleicht dennoch erwarten, daß sie sich demokratisch entwickeln.
({1})
- Herr Kollege Todenhöfer, Sie haben Ihre Meinung. Ich hoffe, daß Sie damit immer in der Minderheit bleiben.
({2})
Nehmen Sie doch wenigstens das ernst, was Sie selbst sagen.
({3})
- Entschuldigung, wenn Sie das, was Sie als Maxime der Politik verstehen, anwenden: Kontakt und auch finanzielle Transaktionen nur mit Ländern, die ihre demokratische Qualifikation sozusagen vor Ihren Augen nachgewiesen haben, - ({4})
- Entschuldigung, wenn Sie das so sagen, bin ich mit Ihnen einverstanden.
({5})
Dann brauche ich auch die Frage von Herrn Todenhöfer nicht zu beantworten.
War das schon ein Hinweis auf die beabsichtigte Frage?
Das war ein Hinweis. Ich glaube, Herr Todenhöfer hat ihn entsprechend verstanden.
({0})
- Herr Todenhöfer, das Sie ein Ausmaß an Zivilcourage haben, weiß ich ja, das kann man jeden Sommer in der Zeitung lesen. Das akzeptiere ich ja auch, finde es auch prima.
({1})
- Herr Todenhöfer, ich finde, man kann mit dieser Politik, die Sie machen, mehr Geschirr kaputtmachen, als unbedingt notwendig ist.
({2})
Wenn es nur Ihr Geschirr wäre, wäre das für uns gar
kein Problem. Nur weiß ich doch, daß auch der Kollege Dr. Hüsch, der neben Ihnen sitzt, häufiger Probleme hat, wenn er sich im Ausland für Sie entschuldigen muß.
({3})
Das ist doch nun wirklich der Punkt!
Ich finde, wir sollten in dieser Debatte nicht vergessen, daß das, was es auf dieser Welt an Möglichkeiten der Veränderung gibt, nicht von uns aus dadurch unnötig belastet werden sollte, daß wir innenpolitische Konfliktfelder, die man ja durchaus haben kann - wir können ja hier über innenpolitische Konfliktfelder diskutieren, gar keine Frage, nur sollten Sie nicht auch noch Ihre innenpolitische Hallstein-Doktrin nach draußen transportieren - ({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hüsch?
Zwar leuchtet die orange Lampe, aber Ihnen, Herr Dr. Hüsch, muß ich eine Frage genehmigen.
Danke sehr, Herr Kollege Gärtner. - Würden Sie bitte, nachdem Sie mich zitiert haben, freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß ich noch nie vor der Notwendigkeit stand, mich für Herrn Kollegen Todenhöfer im Ausland zu entschuldigen?
({0})
Herr Kollege Hüsch, ich hatte Sie, weil wir ja Kandidaten im selben Wahlkreis sind, immer so eingeschätzt, daß Sie wenigstens in der Lage sind, zu erkennen, wann mit Äußerungen, die aus innenpolitischen Gründen gemacht werden, außenpolitisch Schaden angerichtet wird. Von daher habe ich von Ihnen grundsätzlich angenommen, daß Sie sich so verhalten wie ich Sie ' eben zitiert habe.
Lassen Sie uns die Diskussion, die sich in diesem Rahmen jetzt so abgespielt hat, doch nicht weitertreiben.
({0})
- Herr Köhler, es geht jetzt langsam zu Ende, wirklich, ohne Scherz. Es wird jetzt nämlich langsam rot. Ich weiß nicht, ob auch ich bei Ihrer Frage rot werde.
Herr Kollege, die Zeit ist nun tatsächlich abgelaufen.
Dann tut es mir leid, Herr Kollege.
Ich meine, wir sollten diesem Etat gemeinsam zustimmen, weil ich finde, er ist ein wichtiger Schritt auf einem guten Wege. Ich meine auch, daß wir damit innen- und außenpolitisch eine ganz anständige Leistung vollbracht haben. Wenn wir das gemeinsam tragen könnten, wäre das für unsere gemeinsame Sache besser. Ich bitte Sie herzlich darum, wenn auch vielleicht in Teilen vergebens.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hoffacker.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Esters verlangt drastische Worte, der Herr Kollege Gärtner befaßt sich damit, daß hier zu klar gesprochen wird. Das ist ein wirkliches Bild der Verfaßtheit der Regierungskoalition. Der Grad der inneren Beteiligung ist unter Null abgesunken. Hier wird eine lieblose Pflichtübung in Entwicklungspolitik absolviert; ein typisches Spiegelbild dieser Regierungskoalition.
({0})
Meine Damen und Herren, diesem schließt sich der Herr Minister an. In seiner letzten Rede vor dem Symposium der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen am 10. Dezember hat Minister Offergeld sich darüber beklagt, die öffentliche Entwicklungshilfe der westlichen Industrieländer sei von 0,52 % des Bruttosozialprodukts im Jahre 1969 auf 0,35 % im Jahre 1978 vermindert worden. Er hebt hervor, der negative Trend sei im Jahre 1978 in der Bundesrepublik umgekehrt worden.
Herr Minister, das ist schlicht falsch. Denn im Jahre 1975 ist erstmalig und einmalig die Marke von 0,4 % des Bruttosozialprodukts erreicht worden, und dann - in den Jahren bis 1978 - ist sie auf 0,31 % abgesunken. Wenn der Minister in derselben Rede hervorhebt, daß die Bundesregierung die öffentliche Entwicklungshilfe bis 1983 jährlich um 12,5 % erhöhen will, so begrüßen wir diesen Willen. Jedoch täuschen diese Zahlen nicht darüber hinweg, daß das versprochene 0,7-%-Ziel nicht erreicht wird. Mir scheint, daß diese Versprechungen wie in der Vergangenheit leer bleiben und, wie wiederholt geschehen, gebrochen werden.
Wenn man z. B. die Diskussionen der letzten Tage verfolgt, ergibt sich, daß der Herr Bundesfinanzminister die Kompetenz für das BMZ zu verwalten scheint. Denn wie anders sollte ich die Interviewäußerung des Herrn Bundesminsters für wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 9. Dezember verstehen, in der er sagt, die Erreichung des 0,7-%-Zieles habe in allererster Linie der Bundesfinanzminister zu beurteilen? Diese Äußerung zeigt, Herr Offergeld, daß Sie als Minister Ihre Kompetenz für das BMZ bereits in der Garderobe von Herrn Matthöfer abgegeben haben. Wir bedauern das sehr.
Herr Matthöfer hat auch mittlerweile die Katze aus dem Sack gelassen, indem er in der „Zeit" seine Meinung deutlich gemacht hat. Er hat in einem heute erschienenen Interview signalisiert, daß er dann, wenn es zum Schwur kommt, überhaupt nicht daran denkt, sich an die Beschlüsse des SPD-Parteitages zu halten. Das ist natürlich eine bittere Pille, Herr Matthöfer, die Sie auf dem SPD-Parteitag haben hinnehmen müssen, daß Sie so überstimmt worden sind. Wenn ich höre, daß 100 dort gar nicht gewußt hätten, worüber sie abgestimmt haben, dann ist das natürlich noch bitterer und erhellt Ihre Erkenntnis.
Man darf sich überhaupt nicht wundern, wenn die Situation so ist, daß der Herr Offergeld in der Presse als der Stille aus dem Hotzenwald bezeichnet wird -- ich entschuldige mich fast bei den Alemannen, die hier sitzen - und daß er weniger durch Tatendrang und revolutionäre Konzepte auffällt
({1})
und statt dessen hilf- und sprachlos im Abseits steht. Er versucht wegzutauchen, Herr Bindig, statt die Entwicklungspolitik nach oben zu bringen. Seine bewegenden Worte über die Strategie einer gemeinsamen Verantwortung überzeugen doch nicht. Wenn man den Haushalt und die damit verbundenen Versprechungen bewertet, so sieht es sehr schlecht aus.
Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen. Herr Minister Offergeld will die absolute Armut bekämpfen, und auch Herr Holtz plädiert auf dem Parteitag der SPD für eine Konzeption der Entwicklung der ärmsten Länder. Diese Regierung spricht unentwegt von der Strategie der Grundbedürfnisbefriedigung der Menschen in der Dritten und Vierten Welt. Aber was tut sie praktisch? Nehmen wir sie beim Wort ihres eigenen Informationsvermerks aus dem vorvergangenen Monat! Dort wird festgestellt, daß vom gesamten Entwicklungshaushalt nur 25 % - man höre und staune! - aller Mittel auf Förderungsbereiche entfallen, die überwiegend Grundbedürfnisprojekte enthalten.
Wie sieht das aber bei der Vergabe des Geldes praktisch aus? Das sieht praktisch so aus, daß bei der Vergabe von Krediten für 1977, also bis 1978, lediglich in zwei Ländern Kleinkredite bis zu 10 000 DM vergeben worden sind, und diese Zahl, man höre und staune, ergibt in Wahrheit 1 % der Endkredite.
({2})
Im Gegensatz dazu steht das Klotzen von 250000 DM aufwärts. Ich sage immer: Die Sozialdemokraten und Sozialisten können mit dem Geld anderer Leute nicht umgehen, weil sie selbst keins haben. Hier zeigt sich das auch wieder. Eine möglichst große Summe, nämlich 82 % des Gesamtvolumens, wird für Endkredite von 250000 DM und mehr ausgeben.
Das ist das wirkliche Bild, und auf dieser Basis ist der Kampf gegen die absolute Armut eine Farce. Die Beschwörungen und Bekenntnisse des Ministers und der Matadore auf dem SPD-Tag kommen einer lähmenden Gesundbeterei gleich, weil diese Regierung nicht erkannt hat, daß der Kampf gegen die absolute Armut bei der Unterstützung der ärmsten Menschen zu beginnen hat.
({3})
Nimmt es sich nicht blamabel aus, daß bis 1978 nur zwei Länder das Glück hatten, Kleinkredite zu bekommen? Ich frage Sie, Herr Minister: Sind auf der Grundlage dieser Zahlen die Aussichten in der Rahmenplanung falsch? Wieviel Kleinpartner und Kleinstpartner in Landwirtschaft, Handwerk und Kleingewerbe haben Sie wirklich? Wollen sie Ihre Verantwortung auf GTZ und KW abwälzen, wollen Sie selber weiter untertauchen und keine Flagge zeigen? Hängt das schlechte Image der Entwicklungspolitik nicht damit zusammen, daß hier nur geklotzt wird und die wirklich Bedürftigen als entsprechende Partner in den Entwicklungsländern nicht erreicht werden, so daß Sie nicht eine Hilfe am Menschen tun, sondern sich lediglich in einen Planungsfetischismus verlagern, um die Fehler Ihrer Konzeptionslosigkeit nicht aufdecken zu müssen?
({4})
Warum helfen Sie nicht mit Kleinstkrediten? Sagen Sie es, geben Sie es zu: weil Sie diese Menschen überhaupt nicht erreichen. Daß es aber anders geht, zeigen die freien Träger. Warum entwickelt dieses Ministerium nicht mehr Phantasie? Trägt die Bundesregierung nicht Schuld daran, daß die Klagen in der Offentlichkeit über fehlgeleitete Entwicklungsgelder nicht verstummen, weil sie den wirklich Bedürftigen nicht erreicht und ihm nicht geholfen wird?
Im Rahmen der Grundbedürfnisbefriedigung in der Dritten Welt nennt Herr Bundesminister Offergeld nach der Nahrungssorge die Gesundheitsvorsorge. Auch hier erreicht die Politik der Bundesregierung die wirkliche Not der Menschen nicht. Es geht um bessere Gesundheitsdienste und Ausbildung für Krankenschwestern und Pflegerinnen. Es geht um medizinische Krankenversorgung; sie liegt im argen. Es ist bisher nicht gelungen, die traditionelle Medizin in die medizinische Versorgung der Menschen mit einzubringen.
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Sie drücken sich, wenn es darum geht, einheimisches Personal zu finanzieren. Neben Ihnen sitzt ja der Herr Parlamentarische Staatssekretär Brück, der uns in einem sehr blumenreichen Brief hat wissen lassen, daß er nicht in der Lage und nicht bereit ist, eine Hilfe zu geben. Vielmehr versteckt er sich hinter Verklausulierungen und läßt das Ganze im Sande verlaufen.
Meine Damen und Herren, überläßt diese Regierung den Gesundheitsdienst am Menschen nicht einigen Idealisten? Geht sie nicht daran vorbei, ihnen bei dieser Fürsorge zu helfen? Läßt sie sie nicht alleine stehen, und verschanzt sie sich nicht hinter Akten und Planungsvorschriften, ohne die Menschen vor Ort zu erreichen? Und darum geht es: Sie erreichen die Menschen vor Ort nicht. Das Fazit heißt: Diese Regierung zeigt kein Herz für die Menschen der Dritten Welt,
({6})
sondern eine Krämerseele, meine Damen und Herren.
({7})
- Das gefällt Ihnen nicht, Herr Schäfer, das kann ich verstehen. Es ist ja auch bitter, wenn man am Abend noch so etwas hören muß.
Minister Offergeld stellt in seiner Rede vom 10. Dezember fest, daß es zuallererst darum gehe, die Grundbedürfnisse des Menschen in der Dritten Welt nach Nahrung, Gesundheit, Kleidung, Wohnung und Bildung zu befriedigen. Diesem Anspruch wird die Bundesregierung nicht gerecht.
({8})
Vielmehr scheint es mir so zu sein, daß die Politiker der Bundesregierung noch nicht aus der kritischkontroversen Diskussion über das Ziel der Entwicklung herausgefunden haben. Zu sehr steht der ökonomische Wachstumsprozeß im Vordergrund. Die Entwicklung des Menschen, der alles wirtschaftliche Wachstum zu dienen hat, kommt zu kurz. Die Gefahr einer Engführung des Entwicklungsbegriffs ist noch immer nicht überwunden. Entwicklungspolitik aber, die auf Erfolg gerichtet ist, muß den Blick auf den Menschen richten, und zwar auf ihn selbst und das ihm eigene Umfeld. Deshalb, so scheint mir, muß die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in den Vordergrund gerückt werden. Das Ziel der Entwicklungspolitik schließt selbstverständlich die materiellen Bedürfnisse des Menschen ein. Sie wird aber nur Erfolg haben, wenn sie sein kulturelles Eigenleben achtet, die Wachstumsprozesse respektiert und Möglichkeiten zur friedlichen Wahrnehmung politischer Rechte zur Mitgestaltung des menschlichen Zusammenlebens eröffnet.
Durch die Fortschrittsbilder industriell kochentwickelter Länder ist der Abstand zu den Industrienationen bei den unterprivilegierten Menschen und Völkern noch größer geworden. Es ist eine Art Bettlermentalität entstanden oder aber ein von wenigen Funktionären geformtes Anspruchsdenken geprägt worden, das auf Grund ideologischer Einfärbung zu Konflikten führt.
({9})
Die Symbole westlichen Konsums haben in den Ländern der Dritten Welt einen weltweiten Demonstrationseffekt ausgeübt. Wir stellen fest, daß mit der gegenwärtigen Industrieepoche eine menschliche Entwurzelung und Verelendung in den Entwicklungsländern einhergeht.
({10})
Die Bezeichnung unseres Jahrhunderts als „Jahrhundert der Flüchtlinge" deutet auf diesen Gegensatz hin. Meine Damen und Herren, am Beispiel des Iran wird deutlich, daß Entwicklung - primär verstanden als ökonomisches Wachstum, ohne die menschliche Entwicklung einzubeziehen - scheitern muß. Raubbau an den vorhandenen Gütern, poDr. Hoffacker
litisches Zwangssystem und mangelnde Partizipation des Volkes an der Gestaltung des Gemeinwesens rächen sich mit Rückfall in atavistische Staatsvorstellungen.
Die Bundesregierung muß sich fragen, ob sie nicht in Gefahr ist, iri anderen Krisenherden der Dritten Welt zusätzlichen Konfliktstoff zu schaffen.
({11})
So fordern wir eine Abkehr von der Unterstützung und politischen Anerkennung gewaltanwendender Befreiungsbewegungen.
({12})
Die Politik unter Eppler hat zum Zusammenbruch einer wirksamen Entwicklungshilfe in Moçambique und Angola geführt und den Einfluß freiheitsverneinender, totalitärer Regime ermöglicht oder erweitert.
Was ich in den Beschlüssen des SPD-Parteitages lese, läßt nichts Gutes ahnen. Wenn dort verlangt wird, daß auch die Stiftungen des demokratischen Sozialismus und die Gewerkschaften - z. B. durch Bildung von Kampffonds für Streikende in den Entwicklungsländern ({13})
stärker als bisher mitwirken sollen, dann ist das der falsche Weg einer friedlichen Zukunftssicherung. Es ist die Konfliktstrategie des Kampfes mit Mitteln der Gewalt, der Unheil über die Völker bringen muß. Zu lange schon treiben die Missionare der Sozialistischen Internationale ihr Unwesen in den Ländern der Dritten und Vierten Welt. Es sind häufig dieselben Funktionäre, die in den Industrieländern in feinem Zwirn und weißem Mercedes das Bild einer entwickelten Gesellschaft darzustellen versuchen.
({14})
Der Nadelstreifenanzug wird zum Kampfanzug sozialistischer Umtriebe.
({15})
Bei der Förderung und dem Programm des Ministers vermisse ich ganz deutlich jede Form der Ermutigung zur Integration in die freie Weltwirtschaft. Es fehlt das Engagement des Ministers für eine weltweite Offensive um das Verständnis für die Vorteile der freien Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Die Bundesregierung begeht einen schweren Fehler, wenn sie weiterhin die Förderung der Schwellenländer vernachlässigt.
({16})
China ist neu auf den Plan getreten, Herr Minister. Ich finde es herrlich, daß Sie mal endlich Ihre Gesichtszüge etwas lockern. Als Entwicklungsland ist es deklariert worden. Kein Wort lese ich in den jüngsten Verlautbarungen des Herrn Ministers über eine Chance der Zusammenarbeit. Das ist unbegreiflich. Denn diese Rede des Herrn Ministers von vorgestern befaßt sich mit der Politik von morgen am Beginn der dritten Entwicklungsphase ({17})
und dabei läßt er China aus dem Blick! Er sagt mit keinem Wort etwas dazu.
Dieser Minister will den Abbau statt des Aufbaus. Instrumente des Aufbaus diskutiert er nicht. Er geht ihnen aus dem Weg.
Es wäre noch sehr viel zu sagen.
({18})
Aber in der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich das leider gar nicht mehr alles anbringen. Es wäre noch sehr Wesentliches zur Medienpolitik zu sagen. Denn unter dem Stichwort „Bildung" ist ein wichtiger Teilbereich entwicklungspolitischer Grundbedürfnisstrategie sowie eine übergreifende ordnungspolitische Komponente angesprochen. Aber dazu ebenfalls kein Wort, sondern Black-out, Herr Minister, in Ihrer Rede. Sie haben nicht erkannt, daß die Medienpolitik unverzichtbar zum Gesamtinteresse unserer Bemühungen gehören muß. Wir sehen, daß die Regierung von der unverzichtbaren Antwort auf diese Fragen nicht sehr viel hält. Sie hat nicht verstanden, daß es um den Menschen in den Ländern der Dritten Welt geht. Unsere Fraktion mißt dieser internationalen Medienpolitik einen sehr hohen Stellenwert bei.
({19})
Der Dialog über Aufgaben und Bedeutung der Medien muß vertieft und das Verständnis muß geweckt und vermehrt werden, weil Nachrichten und Meinungen unverzichtbare Bestandteile modernen menschlichen Lebens sind.
({20})
Die Regierung bietet ein Bild, das mit der Wirklichkeit, in der sich Entwicklungspolitik abspielen muß, nicht übereinstimmt.
({21})
Die Bilanz ist deshalb schlecht. Sie ist, verglichen mit den großen Worten des Ministers und dem immer wieder betonten hohen Wert der Entwicklungspolitik, nicht akzeptierbar.
({22})
Der Minister bringt die Entwicklungspolitik nicht nach vorn, sondern arbeitet eifrig daran, sie dem öffentlichen Bewußtsein zu entziehen - mit einem Eifer, wie wir ihn sonst nicht kennen.
Diesen Weg gehen wir nicht mit.
({23})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Holtz.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manche Teile Ihrer Rede, Herr Hoffacker, scheinen die These zu bestätigen:
Die Nominierung des rechtskonservativen Kanzlerkandidaten verpflichtet jeden, auch den Kleinsten, in Ihrer Fraktion.
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Von der ökonomischen Weltkarte müssen die Zonen des Hungers, der Unterernährung, der Verelendung, der Unterentwicklung, der Krankheit und des Analphabetismus verschwinden. Alles hängt davon ab, ob die friedliche Zusammenarbeit nicht neue Bedingungen der Ausbeutung, der ökonomischen und politischen Abhängigkeit bringen wird, die nur eine neue Form des Kolonialismus wären.
Aber es mag ja sein, daß Sie bei „Ausbeutung" wieder an SPD-Papiere denken. Ich kann nur sagen: Ich habe Papst Johannes Paul II. zitiert, und zwar aus seiner Rede, die er vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen gehalten hat.
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Ich halte es für notwendig, daß wir besonders in diesem wichtigen Bereich Nord-Süd das ernst nehmen, was einer der geistigen Führer unserer Zeit zu sagen hat.
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Einige von der Bundesregierung in der Südpolitik gesetzte Wegmarken sind positiv abgesteckt worden. Ich will hinzufügen, daß der Einzelplan 23 einen wichtigen Aktivposten der Politik der Bundesregierung darstellt.
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Ich bedaure auch, daß mein Herr Vorredner glaubte, sich aus der Rede des Ministers Offergeld vom Montag dieser Woche anläßlich des Symposions der Gesellschaft für die Vereinten Nationen nur die negativen Teile herauspicken zu können. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie die positiven Akzente gesehen hätten. Dann hätten Sie endlich Material für eine gute Konzeption, und die Bundesregierung mit Rainer Offergeld wird diese Konzeption mit der Unterstützung des Parlaments auch durchsetzen.
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Dennoch wissen wir, wenn wir uns die letzten Jahre, besonders seit der von mir so genannten „Oktoberrevolution der weltwirtschaftlichen Beziehungen" - ich meine die Erhöhung der Erdölpreise im Jahre 1973 -, anschauen,
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daß durchschlagende Erfolge nicht zu verzeichnen gewesen sind. Deshalb sind,. in Anknüpfung an Herrn Offergeld, neue Überlegungen und auch neue zusätzliche Anstrengungen nötig.
Wenn Welthunger nicht zum Weltkrieg führen soll, dann sind drei Dinge vorrangig nötig: a) Eine Erhöhung und quantitative Verbesserung unserer sogenannten öffentlichen Entwicklungshilfe - und da hoffe ich, daß alle den Parteitagsbeschluß ernst nehmen -;
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b) eine Veränderung der ökonomischen Weltkarte zugunsten der benachteiligten Länder und Bevölkerungsgruppen, und c) Strukturreformen in den Industrie- und in den Entwicklungsländern. Alle drei Dinge sind nötig, um zu einer leistungsfähigen, gerechten und solidarischen Weltwirtschaft zu kommen, so wie es hier auch in einer Bundestagsentschließung gefordert worden ist.
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Ich beschränke mich wegen der Kürze der Zeit nur auf den Teil der öffentlichen Entwicklungshilfe.
Der Parteitag hat mit Mehrheit beschlossen: Erforderlich ist im Bereich der Entwicklungshilfe ein verbindlicher Stufenplan zur Erreichung des 0,7%Zieles bis spätestens 1985. Das ist eine wichtige Empfehlung an uns, das Parlament. Wir sollten alles daran setzen, um dies durchzusetzen.
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Viele von denen, die hier sitzen, haben auf dem entwicklungspolitischen Kongreß der Kirchen solche Stufenpläne an höchster Stelle gefordert, und ich wünsche, daß es möglich wird, dies auch zu realisieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler?
Herr Köhler, so leid es mir tut: nein! Das geht von meiner Redezeit ab.
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Die für den entwicklungspolitischen Haushalt 1980 vorgesehene Steigerung von 15 % bedeutet in der Tat einen begrüßenswerten Schritt, und ich möchte der Mehrheit des Haushaltsausschusses herzlich danken. Aber das Tempo muß weiterhin verschärft werden.
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Eine spürbare Aufstockung - darauf haben die Kollegen Esters und Gärtner bereits hingewiesen - fordert auch erstmalig der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten, das uns vor einem Monat zugegangen ist. Richtig ist, mehr Entwicklungshilfe muß finanziert werden, Herr Finanzminister. Dies ist in Zeiten, in denen die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte eine wichtige Aufgabe in der Finanzpolitik ist, ein schwieriges Problem. Eine Ausdehnung der Verschuldung kommt nicht in Betracht, und einer Erhöhung der Steuerquote stehen erhebliche Widerstände entgegen. Aus diesen Gründen werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, und ich bitte Sie herzlich, sich konstruktiv an der Diskussion zu beteiligen. Das reicht von ZinsDr. Holtz
zuschüssen für Kapitalmarktmittel bis zur Erhebung internationaler Abgaben, wie sie von der von Willy Brandt geleiteten Nord-Süd-Kommission diskutiert und wohl auch in den Bericht mit aufgenommen werden. Mittel, die auf Grund von Abrüstungsvereinbarungen eingespart werden, sollten vor allem für Entwicklungshilfe aufgewandt werden. So steht es auch in einer der Regierungsthesen vom Mai dieses Jahres. Aber darauf können wir natürlich nicht warten. Auch deshalb nicht, weil das Parlament allein hier keinen ausschlaggebenden Einfluß in diesem Bereich hat.
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Deshalb muß man nach anderen Möglichkeiten suchen. Ich meine, daß der Wille des Parlaments wirklich entscheidend ist. Bei den zum Teil großzügigst angekündigten Steuersenkungen müssen wir auf einen Teil zugunsten der Entwicklungshilfe verzichten. Etwas weniger Weihnachtsmann, sage ich an die Adresse der Opposition. Herr Strauß hat gestern ein großes Programm vorgelegt. Das Strauß-Programm ist sozial unausgewogen und entwicklungshilfefeindlich.
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Mindestens ebenso wichtig wie die Erreichung des 0,7-%-Ziels - und dies ist ja kein Ziel an sich - ist das, was man mit dem Geld macht. Bei den entwicklungspolitischen Maßnahmen plädieren wir Sozialdemokraten für einen armutsorientierten und zielgruppenorientierten Ansatz. Zentrales Element dieses Ansatzes ist die Grundbedürfnisorientierung.
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Ich werde gleich auch sagen, was die Bundesregierung tut. Dieses Ziel der Grundbedürfnisorientierung hat den Vorzug, daß es von der Offentlichkeit, besonders auch von der Jugend, verstanden wird. Der Anteil der grundbedürfnisorientierten Förderungsbereiche an der Rahmenplanung der Jahre 1979 und 1980 ist erfreulicherweise weiter gestiegen,
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und zwar bei der technischen Zusammenarbeit auf über 50%
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und bei der finanziellen Zusammenarbeit auf etwa 25 %. Ich habe kein Verständnis dafür, daß sich ein Kollege hier hinstellt und sagt, das sind ja zum Teil nur größere Projekte. Es kommt doch darauf an, meine Damen und Herren, daß den Menschen, daß den Zielgruppen geholfen wird, und das geschieht durch die Politik des Ministers.
({7})
Länder, die diesem Ansatz verpflichtet sind, sollten
besonders gefördert werden. Ich füge hinzu, reaktionäre Cliquen sowie Regierungen, die die politischbürgerlichen Freiheitsrechte wie auch die sozialen, die kulturellen und die wirtschaftlichen Grundrechte der Menschen massiv mit Füßen treten, dürfen von der Bundesregierung nicht gefördert werden.
({8})
Die bundesdeutsche Entwicklungshilfe muß den Mut zur Konzentration aufbringen. Auf Grund der gemeinsamen Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern bieten sich folgende Schwerpunkte an.
Erstens ein energiepolitisches und ökologisches Schwerpunktprogramm, damit Energie- und Umweltkrisen gemeistert werden und die Dritte Welt eine faire Chance auch für ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung erhält. Nach Angaben der Vereinten Nationen stammten 1976 78% des kommerziellen Energieverbrauchs der Entwicklungsländer aus Erdöl und Erdgas. Dagegen wird der Anteil der Kohle auf nur knapp 14 % und der der Wasserkraft auf rund 8% geschätzt. Die Wasserkraft wird z. B. in Afrika nur zu 2 % genutzt. Die Dritte Welt braucht das Erdöl, sagte .Minister Hauff hier etwa gegen 16 Uhr. Aber sie braucht auch andere Energien. Aus diesem Grunde müssen konventionelle und unkonventionelle, besonders regenerierbare Energiequellen verstärkt erschlossen werden. Das Argument derjenigen, die meinen, die Notwendigkeit einer friedlichen Nutzung der Kernenergie bei uns ergebe sich auch aus Rücksicht auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Entwicklungsländer, ist deshalb so nicht stichhaltig.
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Die Bundesregierung - und jetzt komme ich ganz konkret zu ihren Taten, die Sie hier ja verschwiegen haben - will 1980 für Energieprojekte über eine Milliarde Mark bereitstellen. Allein über diesen Bundesetat wird es Zusagen für konventionelle Energievorhaben in Höhe von 680 Millionen DM geben. Diese Zahlen beweisen, daß die Bundesregierung der Versorgung der Entwicklungsländer mit Energie große Priorität einräumt.
({10})
- Bitte lesen!
Im übrigen, sage ich, ist es wichtig, einen ökologischen Generationsvertrag national wie international in Betracht zu ziehen, damit unsere Nachfahren noch einen lebensfähigen und nicht einen ausgeplünderten, ausgelaugten Planeten vorfinden.
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Ökologie muß zur Rahmenbedingung politischen und wirtschaftlichen Handelns werden. Wir dürfen doch nicht nur für uns Politik machen, sondern müssen auch für unsere Kinder und Kindeskinder sorgen.
Zweitens. Ein zweites Schwerpunktprogramm sollte auf die ländliche Entwicklung abzielen, damit die Ernährungskrise abgewandt wird. Der Umfang der Agrarhilfe an der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe stagniert seit einigen Jahren. Ihr Anteil an den Gesamtaufwendungen beträgt etwa 20 %. Ich meine, daß dieser Bereich gestärkt werden sollte.
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Um so unverständlicher, Herr Kollege, ist ein Antrag der CDU/CSU-Opposition im Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, mit dem diese für 1980 eine Kürzung der Mittel für die internationale Agrarforschung durchsetzen wollte. Ganz unverständlich wird es, wenn man bedenkt, daß Sie ein Jahr zuvor einen Erhöhungsantrag gestellt haben. Dies ist WI und Hott, aber kein Ausdruck für eine wirkliche Konzeption in der Entwicklungspolitik.
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Drittens. Ein Schwerpunktprogramm dezentrale Industrialisierung und Mittelstandsförderung, damit die Landflucht eingedämmt und die durch die Auslandsinvestitionen häufig mitverursachten Verkrüppelungen und Deformationen der Wirtschaftsstrukturen in vielen Entwicklungsländern abgebaut werden. Bei der Industrialisierung sind ädaquate, angepaßte Technologien zu bevorzugen, was nicht immer mit arbeitsintensiven Technologien gleichzusetzen ist. In der Regel ist den Entwicklungsländern eine Strategiemischung von sogenannten „sanften" bis hin zu Spitzentechnologien zu empfehlen.
Viertens. Stärkung der Planungskapazität. Ein derartiges Schwerpunktprogramm sollte um so eher möglich sein, als bei uns seit Jahren ein Überangebot an planerischen Berufen aller Art besteht.
({14})
Ein solcher allgemeiner, schwerpunktorientierter Ansatz hat den Nebeneffekt, das abstrakte 0,7-Prozent-Ziel mit Inhalt zu füllen.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat sich auch auf Grund von Anregungen, die aus der SPD-Arbeitsgruppe für Entwicklungspolitik stammen,
({15})
sehr eingehend mit den Möglichkeiten befaßt, das Verfahren der Entwicklungszusammenarbeit zu vereinfachen und zu beschleunigen, es also, kurz gesagt, zu entbürokratisieren.
({16})
Diese Bemühungen erbrachten zwar bislang keine
spektakulären Ergebnisse; das war auch nicht zu erwarten. Es ergab sich aber eine Vielzahl von einzelnen Verbesserungen, die in ihrer Summe doch einen beachtenswerten Fortschritt darstellen. Daran gilt es anzuknüpfen.
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Die Erhöhung der Entwicklungshilfe ist auch mit der Bereitschaft der Entwicklungsländer verknüpft, interne Strukturprobleme zur Diskussion zu stellen und sie gegebenenfalls zu bereinigen. Hilfe von außen kann nur dann vollen Nutzen bringen, wenn die Entwicklungsländer entsprechende eigene Anstrengungen unternehmen.
Jetzt auch ein deutliches Wort zu Angola und Mozambique. Wir Sozialdemokraten sind in der Tat der Auffassung, daß fortschrittliche, reformorientierte Kräfte und Regierungen gefördert werden sollten. Aber ich halte es für eine ungeheuerliche Diffamierung, wenn hier gesagt worden ist, für die Entwicklung in Angola und Mozambique sei ein bestimmter Sozialdemokrat mitverantwortlich. Wer das zu verantworten hat, das sind die faschistischen, kolonialistischen Kräfte gewesen, die von Portugal, von Europa aus diese Länder nicht in die Unabhängigkeit entlassen haben.
({18})
Was will die Opposition? Diese Frage stellen sich viele. Bestehende Strukturen der internationalen Wirtschaftsordnung und des internationalen politischen Systems sollen ihrer Auffassung nach nicht angetastet werden. Die Bemühungen um Schmälerung der Wohlstandslücke zwischen Nord und Süd gelten als Gleichmacherei. Nein, eine solche Politik, könnte sie von Ihnen gemacht werden, würde langfristig den Interessen der Bundesrepublik und auch den Arbeitnehmern in diesem Land schaden.
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Mit diesem Haushalt und mit den Schwerpunktsetzungen werden die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten weiterhin konstruktive Beiträge zum Nord-Süd-Dialog leisten. Sie treten für die Schaffung gerechterer Verhältnisse ein. Ich bitte um Zustimmung zu dem Einzelplan 23.
({20})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vohrer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den deplacierten Angriff des Kollegen Hoffacker auf die sozialdemokratischen Kollegen richtig verstanden habe, dann wollten Sie sagen, Herr Hoffacker, nur wer Geld hat, soll in dieser Haushaltsdebatte mit entscheiden können.
({0})
- Sie können im Protokoll nachlesen, was Sie gesagt haben. Auf jeden Fall sind Ihre Bemerkungen nur so zu verstehen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann wird mir auch klar, weshalb Sie jeden einzelnen Haushalt hier ablehnen, nämlich Haushalte, die sich darum bemühen, zwischen den einzelnen Gruppen in der Bundesrepublik sozial ausgewogen zu sein, die aber auch unsere Solidarität zu den Ländern - wir sind gerade beim Nord-Süd-Verhältnis - zum Ausdruck bringen sollen.
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Herr Hoffacker, ich möchte mich auch mit Ihrem entwicklungspolitischen Kulturbegriff beschäftigen, mit dem wir Liberalen nahezu gar nichts gemein haben. Ich bitte Sie sehr darum, einmal den Artikel der Staatsministerin Hamm-Brücher in der „Zeit" zu lesen, aus dem unsere Auffassung von einer kulturellen Eigenständigkeit ohne ideologische Selektion in Freund-Feind-Gruppen, wie Sie sie vornehmen, deutlich wird.
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- Das liegt dann nicht zuletzt auch an Ihnen, an der polemischen Art, wie Sie Ihre Einwendungen vorgebracht haben. Auf jeden Fall muß es derjenige, der aufmerksam zugehört hat, so verstanden haben.
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Aber ich möchte jetzt über den Etat reden, der mit einem Volumen von fast 5,3 Milliarden DM die höchste Steigerungsrate erfahren hat, und zwar nicht nur um 12,5 %, wie ursprünglich vorgesehen, sondern auf Grund der Arbeit des Haushaltsausschusses letztlich um 14,8 % Ich möchte ganz deutlich sagen, daß die Entwicklungspolitiker für diese Unterstützung des Haushaltsausschusses sehr dankbar sind.
Daß eine Steigerungsrate von fast 15 % auf dem Tisch liegt, ist kein Zufall. Vielmehr gibt es in diesem Hause zwei Parteien, die sich in aller Entschiedenheit für hohe Steigerungsraten in diesem Sektor ausgesprochen haben. Meine Partei hat im Frühjahr 1977 in Frankfurt die Verdoppelung innerhalb von drei Jahren beschlossen und den Wunsch zum Ausdruck gebracht, das 0,7-%-Ziel möglichst in der nächsten Legislaturperiode zu erreichen. Ich habe mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß dié Sozialdemokraten in Berlin nahezu die gleiche Terminierung beschlossen haben, nämlich das 0,7-%-Ziel bis 1985 zu erreichen. Unsere Formulierung heißt: möglichst bis 1984. Ich würde mich freuen, wenn diese gleichgerichtete Zielrichtung auch von den Kollegen der CDU/CSU unterstützt würde, die ja zumindest als Entwicklungspolitiker immer sagen, daß sie dieses Ziel der Bundesregierung mittragen.
Eines muß in dieser Debatte aber auch gesagt werden: Wir haben den Sektor mit der höchsten
Steigerungsrate, und gleichwohl bekennt sich von der Bundesregierung,
({4})
aber auch von der Gesamtheit der Parlamentarier nur ein kleiner Teil offensiv zu diesem Ziel. Wenn ein Haushalt in diesem Maße in seinem Ansatz gesteigert werden kann, ist es eigentlich erstaunlich, daß die Bereitschaft, diese Steigerung gegenüber der Bevölkerung zu vertreten, nicht allzu deutlich erkennbar ist.
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Das führt mich zu der Überzeugung, daß wir den harten und dornigen Weg von 5 Milliarden DM heute bis 10, 12 oder 15 Milliarden DM in den Jahren 1985 bis 1990 mit einer viel konsequenteren Argumentation und mit einem eindeutigen Bekenntnis zu diesem Ziel gehen müssen. Das ist nicht nur die Aufgabe der Entwicklungspolitiker - diejenigen, die bekehrt sind, müssen wir nicht bekehren -, sondern das ist auch die Aufgabe der übrigen Politiker in den einzelnen Parteien, die noch dazu viel Überzeugungskraft in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen erfordert.
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Da das Argument der internationalen Solidarität sicher nur einen kleinen Prozentsatz anspricht, halte ich es für sehr hilfreich, daß wir gewichtige Argumente von den Sachverständigen geliefert bekommen haben. In ihrem Gutachten haben sie in viel stärkerem Maße auf die Interdependenz zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern hingewiesen und den Nachweis geführt, daß die Öffnung unserer Märkte für die Dritte Welt zu unserem Vorteil und nicht zu unserem Nachteil ist. Das ist das erste, was uns gelingen muß: Wir müssen der Bevölkerung die Angst nehmen, daß mehr Entwicklungshilfe den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten könnte.
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Wir müssen hier deutlich machen, daß zwar mit der Öffnung der Märkte in einigen Branchen Arbeitsplatzrisiken erwachsen und auch Arbeitsplatzverluste eintreten werden, daß aber der Saldo aus Arbeitsplatzverlusten und Arbeitsplatzgewinnen durch Entwicklungspolitik, durch eine offene Handelspolitik für uns positiv ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die wir immer wieder betonen müssen.
Ich finde es auch ganz erstaunlich, daß in diesem Jahr bei der Opposition in diesem Zusammenhang ein Thema ganz gefehlt hat, daß der Rückflüsse. Erstmalig zeigt sich hier, daß ein wachsender Prozentsatz der von uns als Kredite in die Dritte Welt gegebenen Mittel in Form von Aufträgen wieder in unsere Wirtschaft zurückfließt. Das waren 1976 nur 53%. Wenn der Bericht der Kreditanstalt für Wiederaufbau zutrifft, waren es 1977 schon 64% und
1978 83%, die in unserem Lande wieder zu Aufträgen geführt haben.
Ich kann mir vorstellen, daß wir uns darum bemühen müssen, für die wenigen Sektoren, in denen durch die Öffnung der Märkte Arbeitsplatzrisiken entstehen, ein Programm zu erstellen, das aus ERP-Mitteln gespeist sein könnte, damit Umstrukturierungen, die im inländischen Produktionssektor vonstatten gehen, einigermaßen abgefedert werden können.
Zwischenzeitlich hat auch das Prognos-Gutachten deutlich gemacht, daß Entwicklungshilfe, offene Märkte sowie wirtschaftliche Wachstumsrate der Industrieländer und der Entwicklungsländer enger verknüpft sind, als wir dies ursprünglich annahmen. Das wirtschaftliche Wachstum in Entwicklungsländern bringt Beschäftigungsimpulse bei uns und umgekehrt. Dieser Zusammenhang -sollte bei den Bevölkerungsgruppen, für die egoistische Motive im Vordergrund stehen, zumindest Nachdenklichkeit hervorrufen.
Lassen Sie mich noch kurz auf das Argument eingehen: Wir haben reichlich Privatinvestitionen und können deshalb mit den öffentlichen Ausgaben für die Entwicklungshilfe etwas zurückhaltender sein. Wir sollten ganz deutlich die Komplementarität der beiden Ansätze sehen. Die öffentliche Entwicklungshilfe geht - auch nach den Ausführungen, die von meinen Vorrednern hier gemacht wurden - schwerpunktmäßig in die ärmsten Länder und dort in die Bereiche Grundbedürfnisse, Bildung, Nahrungsmittel, Gesundheit, soziale Infrastruktur. Vor diesem Hintergrund möchte ich ganz deutlich machen, daß die privaten Investitionen, die in Schwellenländer gehen, die öffentliche Entwicklungshilfe nicht ersetzen können und umgekehrt, sondern daß das zwei Instrumente sind, die beide von Bedeutung sind.
Bei der Opposition hat heute auch dieses düstere Kolossalgemälde von der neuen Weltwirtschaftsordnung und von dem Weltwirtschaftsdirigismus gefehlt, ganz einfach deshalb, weil sich deutlich abzeichnet, daß die beständige Politik im Rohstoffbereich, die von der Bundesregierung praktiziert wird, zwei Klippen umschiffen wird. Sie wird Angebotskartelle im Rohstoffbereich wie z. B. das der OPEC-Länder verhindern und auch nicht dazu führen, daß wir zu dirigistischen Marktordnungen nach dem Beispiel der EG-Agrarmarktordnung kommen. Zwischen diesen beiden Felsen werden wir unseren Kurs weiter halten. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie. auch zur Kenntnis nehmen, daß das KautschuckAbkommen, das jetzt geschlossen wurde, ein Beispiel für eine solche vernünftige Rohstoffpolitik, in die Angebots- und Nachfrageseite einbezogen sind, darstellt und daß Sie auch ein gewisses Verständnis für die dann in diesem Bereich verbesserte, neue Weltwirtschaftsordnung finden.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Ende meiner Ausführungen kommen. Ich sehe in dem Ansatz, den die Bundesregierung vertritt und der auch in der Rede des Bundesministers zur dritten Dekade vor dem Symposium der Vereinten Nationen zum Ausdruck kam, einen vernünftigen und konstruktiven neuen Ansatz, der deutlich macht, daß das Setzen von Schwerpunkten, wie sie vom Kollegen Holtz hier erläutert wurden, unsere Entwicklungspolitik auch in den nächsten Jahren erfolgreich gestalten wird.
Ich kann für die Liberalen dem Haushalt zustimmen. Ich würde mich freuen, wenn die Konzeption, die das BMZ aufgezeigt hat, in die Tat umgesetzt würde.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Offergeld.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Entwicklungspolitik hat sich im vergangenen Jahr viel bewegt. Die öffentliche Anhörung im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Nord-Süd-Verflechtung, der Kongreß der Kirchen zur Entwicklungspolitik, Diskussionen und Beschlüsse von Parteien und Gewerkschaften, die jüngsten Empfehlungen des Sachverständigenrats, all dies hat zu mehr Verständnis für die Entwicklungspolitik in der Bevölkerung beigetragen.
Es gibt auch neue Umfragen, die zeigen, daß immer mehr Bürger davon überzeugt sind, daß Entwicklungspolitik eine notwendige Aufgabe ist. Während 1977 erst 62 % der Bundesbürger für die Entwicklungshilfe eintraten, sind es heute nach neuesten Umfragen 71 %. Nur noch 18 % der Bundesbürger lehnen die Entwicklungshilfe ab; vor zwei Jahren waren es noch 23 %. Interessant ist auch, daß die Zahl der Meinungslosen deutlich zurückgegangen ist, nämlich von 16 auf 11 %.
Das Thema wird auch in der nächsten Zeit Aufmerksamkeit erregen. Wir werden den Bericht der unabhängigen Sachverständigenkommission für internationale Entwicklungsfragen erhalten und die Diskussion in den Vereinten Nationen über die dritte Entwicklungsdekade führen. Das alles bedeutet Unterstützung der Politik der Bundesregierung.
Wir werden im Jahr 1980 für die Entwicklungshilfe mehr als 5 Milliarden DM ausgeben. Das ist eine Steigerung um mehr als 15%! Es ist die höchste Steigerungsrate aller Einzelpläne. Der Finanzplan der Bundesregierung sieht auch für die kommenden Jahre Steigerungsraten für den Einzelplan 23 vor.
Herr Hoffacker hat Krokodilstränen darüber vergossen, daß wir das 0,7-%-Ziel noch nicht erreicht haben. Herr Hoffacker, gestern forderte Herr Strauß rund sechzehn Milliarden D-Mark Steuerermäßigung. Gleichzeitig klagen Ihre Haushaltspolitiker hier über zu hohe Kreditaufnahme. Und da kommen Sie und beklagen, daß wir das 0,7-%-Ziel noch nicht erreicht haben. Wenn Sie eine Narrenkappe aufgeBundesminister Offergeld
setzt hätten, hätte man Sie ernster nehmen können.
({0})
Im übrigen ist es natürlich richtig, Herr Hoffacker - hätten Sie die Zahlen angeguckt, dann hätten .Sie das auch ohne geistige Anstrengung sehen können -, daß wir den Trend umgekehrt haben. 1977 lag der Anteil unserer öffentlichen Hilfe am Bruttosozialprodukt bei 0,27 %. Er lag 1978 auf der Grundlage einer anderen statistischen Methode bei 0,38 %, und er wird 1979 wiederum höher liegen. Wie Sie angesichts dieser Zahlen bestreiten können, daß wir den Trend, den Abfall, den wir über mehrere Jahre hatten, umdrehen konnten, ist mir völlig unverständlich.
({1})
Dann darf ich noch eine Fußnote machen. Wer über die Nichterreichung des 0,7-%-Ziels klagt, sollte darauf hinwirken, daß seine Fraktionskollegen im Haushaltsausschuß nicht noch Kürzungsanträge stellen, wie es in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses geschehen ist.
({2})
Die Bundesregierung hat mehrfach - zuletzt in ihren entwicklungspolitischen Thesen - deutlich gemacht, daß der Kampf gegen die absolute Armut ein ganz wichtiger Schwerpunkt ihrer Entwicklungspolitik ist. Ich kann zu dem, was Herr Hoffacker hier bemerkt, schlicht auf das verweisen, was ihm Herr Holtz geantwortet hat.
({3})
Wir halten die Unterstützung der nichtstaatlichen Organisationen - Kirchen und viele andere - gerade in diesem Bereich für außerordentlich wichtig. Ich will besonders hervorkehren, daß die Haushaltsansätze für die nichtstaatliche Entwicklungshilfe in meinem Etat weit überproportional steigen, nämlich um 18,5 %.
Wachsende Anforderungen verlangen wenigstens geringe Verstärkungen des Personals. Darauf haben die Kollegen Esters und Dr. Vohrer schon in den letzten Haushaltsdebatten hingewiesen. Ich weiß, daß das kein beliebtes Thema ist. Trotzdem, wenn Umfang und Qualität der deutschen Entwicklungspolitik weiter steigen sollen, dann sind auch gewisse personelle Verstärkungen in der Zukunft unumgänglich.
({4})
- Ich werde das doch sagen können, Herr Picard. Es
hat dieses Jahr Verstärkungen gegeben. Ich weise
darauf hin, daß auch gewisse Verstärkungen in den kommenden Jahren notwendig sind, wenn Qualität und Umfang gesteigert werden sollen. Ich sage das ganz leidenschaftslos.
({5})
Entwicklungspolitisch gesehen war 1979 ein ereignisreiches Jahr. Einige Stichworte:
An dem Kongreß der Kirchen über Fragen der Entwicklungspolitik haben sich alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen beteiligt.
({6})
Die Kapitalhilfe an die ärmsten Länder wurde in Zuschüsse umgewandelt. Dadurch wurden bisher nach Prüfung jedes einzelnen Falles - dabei wird es auch in Zukunft bleiben - insgesamt 17 von 26 in Frage kommenden Ländern begünstigt.
Die Bundesregierung hat im Mai 17 entwicklungspolitische Thesen verabschiedet.
Ebenfalls im Mai fand die 5. UNCTAD-Konferenz statt. Ich nenne vor allem den Beschluß zur verstärkten Hilfe für die ärmsten Länder und den Beschluß gegen den Protektionismus.
Schließlich hat es vor wenigen Wochen die Unterzeichnung des zweiten Abkommens von Lome mit einer wichtigen neuen Komponente für mineralische Rohstoffe gegeben.
Wir werden in Kürze den vierten entwicklungspolitischen Bericht vorlegen. Er wird Gelegenheit geben, über diese Themen ausführlicher zu diskutieren.
({7})
Die Bundesregierung sucht weltweite Partnerschaft auch in der Entwicklungspolitik. Wir sind mit fast allen Ländern wirtschaftlich verflochten. Von unserer ökonomischen Kraft erwarten viele Entwicklungsländer Hilfe. Deshalb werden wir auch im kommenden Jahr rund 50 Ländern finanzielle und rund 70 Ländern technische Zusammenarbeit anbieten. Gleichwohl gibt es deutliche Schwerpunkte. Fast die Hälfte aller Mittel der bilateralen Zusammenarbeit fließt in die armen Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen unter 300 Dollar jährlich. 24% der Zusagen in der Finanziellen Zusammenarbeit und 36 % der Zusagen in der Technischen Zusammenarbeit gehen an die ärmsten, also die am wenigsten entwickelten Länder, die sogenannten LLDCs, in denen nur 10 % der Bevölkerung der Entwicklungsländer leben.
Auch regional gibt es klare Schwerpunkte. Rund 50 % der Finanziellen Zusammenarbeit entfallen auf nur zehn Länder. Freiheitliche reformerische Kräfte werden wir in der Zukunft wie auch in der Vergangenheit besonders unterstützen. Die Konflikte des Ost-West-Verhältnisses, Herr Todenhöfer, dürfen nicht schematisch auf die Entwicklungsländer übertragen werden. Man kann die Entwicklungsländer nicht, wie Sie es immer wieder tun, in Freund-FeindKategorien einteilen. Sie tun das in immer wieder neuen Varianten.
Wenn wir Ihren Empfehlungen gefolgt wären, Herr Todenhöfer, hätten wir in Somalia nicht ein Mogadischu, sondern ein Waterloo erlebt. Wenn wir Ihren Empfehlungen gefolgt wären, Herr Todenhöfer, dann hätten wir vor wenigen Monaten noch die Regierung Muzorewa anerkannt. Wir hätten damit die Friedensbemühungen behindert. Wir hätten uns von unseren westlichen Verbündeten isoliert. Wir hätten gegen die Interessen aller schwarzafrikanischen Staaten gehandelt.
({8})
Im übrigen ließen sich noch viele Empfehlungen von Ihnen anfügen, Herr Todenhöfer. Wir werden denen auch in Zukunft nicht folgen, weil sie nachweislich nichts taugen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Herrn Abgeordneten Dr. Köhler?
Ja.
Herr Minister, Sie verbreiten nun als dritter Redner hier die falsche Mogadischu-Legende. Wären Sie bereit, in der Bundestagsdebatte vom 18. Oktober 1977 die Tatsachen nachzulesen und uns zugleich zu sagen, weshalb in den letzten zwei Jahren fünfmal ein Ministerbesuch in Somalia abgesagt wurde?
Ich bin gern bereit, das Thema zu vertiefen, Herr Köhler, wenn Ihnen das angenehm ist. Ich zitiere Herrn Todenhöfer in einer Presseerklärung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 22. April 1977:
Die CDU hat bei den Haushaltsberatungen ... beantragt, kommunistischen Entwicklungsländern künftig keine Entwicklungshilfeleistungen mehr zuzusagen. Im einzelnen handelt es sich um folgende Länder ... sowie Somalia. Ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe vorlesen.
Das ist ein Skandal, daß wir Somalia Entwicklungshilfe geben.
Das war im Mai 1976. Kurz danach in der Etatdebatte:
Aber wir sind in Fällen wie Somalia, wo es sich eindeutig um Vorposten der Sowjetunion handelt, dagegen, weiterhin präsent zu sein.
({0})
Ich kann Ihnen die Zitate ergänzen. Herr Todenhöfer hat sich bis zum Ereignis von Mogadischu stets dagegen gewandt, daß wir mit Somalia entwicklungspolitisch zusammenarbeiten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Todenhöfer?
Ja, gerne. Wollen Sie dementieren, was Sie da gesagt haben?
({0}) Das wäre späte Einsicht.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in allen Stellungnahmen immer darauf hingewiesen haben, daß wir Bedenken gegen Entwicklungshilfe an kommunistische Entwicklungsländer haben, die sich in die sowjetische Globalstrategie einordnen, und daß sich Somalia inzwischen, wie Sie offensichtlich noch nicht gemerkt haben, nicht mehr in die sowjetische Globalstrategie einordnet, und zwar nicht wegen Ihrer Entwicklungshilfe,
({0})
und daß, wenn Sie der Auffassung wären, daß man undifferenziert
({1})
kommunistische Entwicklungsländer unterstützen sollte, Sie dann auch für Entwicklungshilfe an Kuba und Vietnam eintreten müßten?
Herr Todenhöfer, ich kann Ihnen darauf nur antworten: Wenn wir Ihren Rezepten gefolgt wären, wäre es vielleicht so gekommen, daß Somalia sich in die sowjetische Globalstrategie eingeordnet hätte.
({0})
Gerade daß wir mit denen im Gespräch gewesen sind, war ein Mittel, das zu verhindern.
({1})
Es gibt eine ganze Reihe anderer Beispiele. Ich beschränke mich auf Somalia, weil es da besonders drastisch und deutlich ist.
({2})
Von den 30 am wenigsten entwickelten Ländern liegen 21 auf dem afrikanischen Kontinent. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, daß Afrika ein regionaler Schwerpunkt unserer Entwicklungspolitik ist und auch künftig bleiben wird. Afrika erhält knapp 24 % der Mittel aus der Finanziellen und 34 % aus der Technischen Zusammenarbeit. Das südliche Afrika ist mit ganz besonderen Problemen belastet. Apartheid und Rassismus sowie der Kampf dagegen führen zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten und gefährden die Versorgung der Bevölkerung. Die meisten Konfliktrandstaaten haben Flüchtlinge zu versorgen. Deswegen werden wir die Hilfe an sie auch in Zukunft verstärkt weiterführen. Die deutsche Hilfe für die Konfliktrandstaaten ist von 1975 bis 1979 vervierfacht worden. Die Neuzusagen erreichen 1979 - im laufenden Jahr - etwa 170 Millionen DM. Unser umfangreiches Stipendienprogramm für Flüchtlinge aus dem südlichen Afrika werden wir 1980 beträchtlich erweitern.
Eine Fußnote zu der Forderung, die hier von seiten der CDU/CSU erhoben worden ist, die Hilfe für Lateinamerika wesentlich zu verstärken. Auch hier müssen Sie sich entscheiden. Entweder wollen Sie Bekämpfung der absoluten Armut als ersten Schwerpunkt. Dann ist es ganz folgerichtig, daß eben in Afrika, wo die ärmsten Länder liegen, das Schwergewicht unserer Hilfe liegt. Dann können Sie nicht eine wesentliche Verstärkung für Südamerika verlangen, wo viele Schwellenländer liegen. Sie wissen, daß wir eine gewisse Steigerung für Südamerika vorgesehen haben. Aber diese hat angesichts unserer Priorität, die Hilfe auf die Ärmsten zu konzentrieren, eben ihre Grenzen.
Die Welt hat sich in den letzten Jahren verändert. Sie hat sich nicht grundlegend verbessert. Deshalb wird Entwicklungspolitik immer wichtiger werden. Die Menschen der Erde sitzen in einem Boot. Die gegenseitige Abhängigkeit wird von Jahr zu Jahr größer. Sie zwingt alle in Nord und Süd, bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen auch die Vor- und Nachteile der anderen im Auge zu behalten. Es gibt viele Felder gemeinsamer Interessen und damit auch gemeinsame Verantwortung. Ich nenne nur fünf Schwerpunktbereiche: die Energieversorgung, die Rohstoffsicherung, die Sicherung der Welternährung, die Gefahren weltweiter Umweltbelastung, Welthandel und internationale Arbeitsteilung. Dies sind alles Felder gemeinsamen Interesses, die Grundlage für eine gemeinsame Strategie, für eine Strategie der gemeinsamen Verantwortung sein müssen, die wir in der dritten Entwicklungsdekade zu entwickeln haben.
Der Nord-Süd-Dialog darf nicht in eine Sackgasse geraten. Diese Gefahr besteht. Die Bundesregierung wird sich auch künftig mit vernünftigen Vorschlägen für eine bessere Weltinnenpolitik an der internationalen Diskussion beteiligen. Der Haushalt 1980 ist für diese Nord-Süd-Politik eine gute Grundlage.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höffkes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst möchte ich in aller Form die Vorwürfe zurückweisen, die hier gegen den Kollegen Todenhöfer erhoben worden sind.
({0})
Die Vorwürfe waren nicht nur unqualifiziert, sondern auch falsch.
({1})
Ich möchte meinen, daß die zehnmalige Namensnennung in dieser Debatte die Bedeutung des Kollegen Todenhöfer für die Entwicklungspolitik nur positiv unterstrichen hat.
({2})
Meine Damen und Herren, wir werden eines nicht
tun: Wir werden uns auch im Bereich der Entwicklungspolitik nicht in die sowjetische Globalstrategie, insbesondere in Afrika, einspannen lassen.
({3})
Bei unseren Überlegungen in der Union zu einer Hilfe für die Dritte Welt stellen wir drei Punkte heraus.
Erstens. Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, daß Hunger, Krankheit, Seuchen, Analphabetentum und Bevölkerungsexplosion abgebaut werden.
Zweitens. Wir müssen erkennen, daß jede Hilfe für die Dritte Welt nicht nur eine humanitäre Verpflichtung ist, sondern auch in unserem Eigeninteresse liegt.
Drittens. Bei aller Hilfe, die wir in der Dritten Welt leisten, müssen wir auch daran denken, daß wir nur dann Hilfe leisten können, wenn es gelingt, die Bundesrepublik als einen hochentwickelten Industriestaat mit großen Handelsüberschüssen zu erhalten. Nur Reiche sind in der Lage, Armen beizustehen.
Als ein Land, das keinerlei Rohstoffe besitzt, können wir in Zukunft ein nennenswertes Bruttosozialprodukt, das uns zu einer Hilfe an Dritte in Stand setzt, nur dann erzielen, wenn wir an unsere eigene Rohstoffversorgung denken. Über Grundstoff- und Rohstofffragen werden wir Anfang kommenden Jahres in diesem Haus im Zusammenhang mit der verfehlten Afrikapolitik der Bundesregierung diskutieren.
Wenn die SPD weiterhin sogenannte angebliche Eliten glaubt bekämpfen zu müssen und nur Bereitschaft zeigt, Länder mit sogenannten Reformbewegungen und Reformregierungen bevorzugt zu unterstützen - siehe Parteitag -, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn unsere Industrie im Roh- und Grundstoffsektor in naher Zukunft nur noch Zuteilungen nach sowjetisch-kubanischer Bewilligung erhält.
({4})
Die falsche deutsche Politik im südlichen Afrika kann sehr schnell, meine Damen und Herren, unsere Industrie und damit auch unsere Arbeitnehmer vor die gleiche schwer lösbare Problematik stellen, wie wir sie im Energiebereich bereits vor uns haben: nämlich Einschränkungen der Produktion wegen Rohstoffmangels.
({5})
Wenn die Entwicklungspolitiker der SPD auf dem Berliner Parteitag feststellten, der Friede sei durch die Energiekrise bedroht, dann müssen wir dem zustimmen. Die Sicherstellung einer ausreichenden Energieversorgung zu tragbaren Preisen ist heute schon die nationale Existenzfrage Nummer eins.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die Dinge treiben zu lassen: entweder die bewußte Inkaufnahme von Versorgungsengpässen, die dann natürlich verwaltet und bewirtschaftet werden müssen, was gewissen Leuten in der Politik sehr wohl gefallen würde, oder eine konsequente Energiepolitik mit dem Ziel, Vorsorge für ein ausreichendes und bezahlbares
Energieangebot für die Zukunft zu treffen und die gefährliche Importabhängigkeit - insbesondere vom 01 - zu verringern.
({6})
Je weniger Kernenergie in den Industriestaaten erzeugt wird, desto größer wird deren Ölverbrauch sein, desto höher wird der Preis steigen, desto weniger 01 wird aber den Entwicklungsländern zur Verfügung stehen. Dasselbe gilt für Kohle.
({7})
Daher ist es das unmittelbare Interesse der Entwicklungsländer, daß die Industriestaaten ihre Kernkraftkapazitäten rasch erweitern und der Druck auf Ölversorgung und Ölpreise nachläßt, der zu Lasten der Dritten Welt geht. Im Jahre 2000 dürfte die Weltbevölkerung von 4,2 auf 6,4 Milliarden Menschen und mit ihr der Bedarf an Nahrungsmitteln ansteigen, was automatisch auch zu einem höheren Energiebedarf führt. Die jetzt empfohlenen Alternativenergien, Sonne, Wind, geothermische und Gezeitenenergie, müssen zwar entwickelt werden, können aber derzeit nur wenig zur Entlastung beitragen.
Im Hinblick auf die Dritte Welt ist festzustellen, daß die ölimportierenden Entwicklungsländer durch die Steigerung der Preise in für sie unlösbare Situationen gekommen sind. Den wesentlichen Teil ihres Exporterlöses müssen diese Länder für den Einkauf von Rohöl verwenden. 1973 waren es 8% ihrer Exporterlöse, 1978 bereits 20 % und jetzt sind es schon 30 %. Damit ist jede weitere Investitionstätigkeit in diesen Entwicklungsländern von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die ölexportierenden Länder konnten bis heute nicht dazu bewogen werden, einen gespaltenen Preis für ihr Öl einzuführen, nämlich den Billigpreis für Entwicklungsländer und einen Normalpreis für Industrieländer. Öl wird benötigt, um Strom zu erzeugen, um Dieselaggregate anzutreiben, für Wasserpumpen, und es wird als Brenn- und Heizmaterial dringend - nicht substituierbar - benötigt, zumal in weiten Teilen mancher Entwicklungsländer schon heute eine große Bodenerosion feststellbar ist, weil alle vorhandenen Gehölze als Brennholz verheizt wurden und mangels vorhandenen Brennholzes sogar tierische Abfälle als Brennmaterial verwendet werden.
Gerade in den Entwicklungsländern bietet sich an Stelle von 01 keine Ersatzenergie an; denn Erdgas und Kohle sind nur in beschränktem Umfang vorhanden und einsatzfähig, und andere Energien wie Solarenergie, Biogas, Wind- und Gezeitenenergien sind in überschaubaren Zeiträumen in größerem Umfang in den Entwicklungsländern mangels jeglicher technischen Basis noch nicht einsatzfähig.
({8})
Es ist somit eine Tatsache, daß 01 für die Entwicklungsländer unentbehrlich ist und letztendlich für diese Länder nur dadurch freigesetzt werden kann, daß die Industrieländer ihren Erdölverbrauch erheblich einschränken.
Die Industrieländer müßten ihren Verbrauch um 10 % mindern; denn so hoch ist der heute bereits bestehende Bedarf der Entwicklungsländer. Aber auch dieser Bedarf steigt ständig und muß ständig steigen, wenn man die früher von mir aufgezählten Probleme - Unterernährung, Analphabetismus, mangelhaftes Gesundheitswesen und schlechte Infrastruktur - in den Entwicklungsländern beseitigen will. Leider vermißt die Union sowohl in den Aussagen des SPD-Parteitages als auch in den Konzepten der Regierung und des Ministeriums Lösungsvorschläge.
({9})
- Jawohl.
In diesen Tagen der Haushaltsberatungen ist viel über Kernenergie gesprochen und es sind auch immer wieder Zweifel über die Notwendigkeit ihres Einsatzes in der Bundesrepublik lautgeworden. Offenbar haben die Zweifler nicht nur zu kurzfristig an sich selbst und in Utopien gedacht. Not und Elend von Millionen in der Dritten Welt, beruhend auch auf Energiemangel, sind völlig außer Betracht geblieben.
Wenn wir kein 01 einsparen, sind alle Bemühungen um eine Entwicklung und jede Chance für ein Überleben der von Wassermangel und Hungersnot Bedrohten in der Dritten Welt aussichtslos und vergeblich. Ich glaube, aus dieser ganz kurz gerafften Darlegung kann man schon ableiten, in welch fundamentaler Weise Industrie- und Entwicklungsländer voneinander abhängig sind.
Zum Abschluß richte ich noch ein Wort an Sie, Herr Minister Offergeld. Wir haben den Eindruck, daß Sie sich aus der entwicklungspolitischen Diskussion selber ausgeschaltet haben,
({10})
ausgeschaltet deswegen, weil Sie nur sehr selten und dann auch nur für wenige Minuten an den Aussprachen des Ausschusses teilgenommen haben.
({11})
Auch Ihrem Haus haben Sie keine neuen, konstruktiven Wege für Entwicklungspolitik aufgezeigt. Hierdurch trat das ein, was die SPD auf ihrem Parteitag in Berlin so formulierte: „Häufig kam es zu Wachstum ohne Entwicklung." Daran ändert auch nichts die Feststellung in der Tagespresse:
Herr Offergeld
({12})
hielt sich bei der Rede vom 10. Dezember an die in seinem Hause erarbeitete vertrauliche Ideenskizze zur Reform der deutschen Entwicklungspolitik.
({13})
Sind Sie, Herr Minister, der Meinung, daß sich die
Entwicklungspolitik der Zukunft auf der Grundlage
vertraulicher Ideenskizzen gestalten läßt? Wir sind
der Meinung, daß den Zielen deutscher Entwicklungspolitik nur mit partnerschaftlicher Offenheit gedient ist. Auch mit bloßem Auswechseln von Staatssekretären und Abteilungsleitern kann der von Ihnen zu verantwortenden Konzeptionslosigkeit des Ministeriums nicht abgeholfen werden.
({14})
Dies ist auch nicht durch die Forderung der Betriebsgruppe der SPD an Sie, den Personalreferenten und seinen vorgesetzten Unterabteilungsleiter von ihren Posten zu entfernen, zu erreichen.
({15})
Herr Minister, ist es richtig, daß die beiden genannten Herren nicht entschieden genug SPD-Belange in der Personalpolitik Ihres Ministeriums verfolgen würden?
({16})
Auf Ihre Antwort sind wir sehr gespannt. Oder, Herr Minister, glauben Sie, daß eigene Ideen Ihrerseits und Ihres Hauses durch die groß ausgeschriebenen Forschungsvorhaben - 22 an der Zahl - ersetzt werden können?
({17})
Glauben Sie, daß es genügt, wenn irgend jemand Denkhilfe für Politiker leistet, statt daß Politiker selber denken?
({18})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Zum Einzelplan 23 liegt auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 11 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte im um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 23. Wer dem Einzelplan 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das -Handzeichen. - Gegenprobe bitte! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist - wie vorgelegt - angenommen.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
- Drucksache 8/3376 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Riedl ({0})
Löffler
Hoppe
Einzelplan 33 Versorgung
- Drucksache 8/3394 - Berichterstatter: Abgeordneter Metz
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
- Drucksache 8/3396 Berichterstatter:
Abgeordneter Gerster ({1})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist zu den Einzelplänen 06, 33 und 36 verbundene Debatte vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich frage die Herren Berichterstatter, ob einer von ihnen das Wort wünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Damit ist die Aussprache eröffnet.
Das Wort zur Aussprache hat Herr Dr. Riedl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 06 des Bundesministers des Innern, der nach dem Regierungsentwurf Ausgaben in Höhe von 3 583,79 Millionen DM vorsah, weist nun nach den Beratungen im Hauhaltsausschuß einen Ansatz in Höhe von 3 649,632 Millionen DM aus. Das heißt: Die Haushaltsansätze des Einzelplans 06 sind gegenüber der Regierungsvorlage um rund 65,8 Millionen DM erhöht worden. Dennoch liegt dieser Einzelplan erst an 13. Stelle der Einzeletats des Bundes.
({0})
- Bei der politischen Bedeutung, die dem Bundesinnenministerium zukommt, könnte man, Herr Kollege Haase, die ominöse Zahl 13 in der Tat als eine Unglückszahl dieser Bundesregierung ansehen.
Ich möchte an einigen politischen Schwerpunkten darlegen, warum die CDU/CSU-Fraktion diesen Einzelplan ablehnt.
({1})
Der Bundesinnenminister in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland muß der oberste Hüter der inneren Sicherheit sein.
({2})
So schreibt es das Grundgesetz vor. Wer diese Aufgabe - Herr Bundesinnenminister, vielleicht hören Sie einmal ganz genau zu - ohne inneren persönlichen Konflikt, ohne ständigen parteipolitischen Druck, aber mit der Fähigkeit, die für die gesamte Bevölkerung notwendigen Prinzipien und Richtlinien für die Sicherheitspolitik durchzusetzen, erfüllen will, kann dies aus der Position einer Partei der heutigen FDP überhaupt nicht tun.
({3})
Dr. Riedl ({4})
Diese FDP ist nämlich längst keine liberale Partei mehr, wie sie einmal eine liberale Partei nach dem Muster eines Thomas Dehler und eines Theodor Heuss war, sondern sie ist vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitspolitik
({5})
in unserem Land eine Liberalisierungspartei mit zunehmenden sozialistischen Tendenzen geworden.
({6})
Diese FDP kann als die eigentliche Minderheitspartei in unserem Land jenen großen politischen Auftrag, den das Grundgesetz jedem Bundesinnenminister auferlegt, überhaupt nicht erfüllen. Dies ist jedoch auch nicht verwunderlich,
({7})
weil sich die FDP - immer aus der Sicht der Wahlurne - zugegebenermaßen permanent in Existenznöten befindet und deshalb ihre Politik an den Meinungen politischer Randgruppen orientieren muß. Herr Minister Baum, das ist ja nicht negativ. Aber das ist die Hauptursache dafür, daß sie als Bundesinnenminister und Wahrer der inneren Sicherheit in unserem Land ungeeignet sind.
({8})
Die SPD wird schon gewußt haben, warum sie gerade das Innenressort so herausragenden Persönlichkeiten der FDP wie Herrn Maihofer und Ihnen übertragen hat.
({9})
Wenn man die Amtszeit dieses Bundesinnenministers Revue passieren läßt, dann ergibt sich als Fazit nicht etwa ein klares Sicherheitskonzept für dieses Land, sondern ein Konglomerat von permanentem Fehlverhalten in wesentlichen Sicherheitsfragen und - was ich jetzt sage, ist ein ganz schlimmer Punkt in Ihrer Amtsführung - vorsätzlicher und grob fahrlässiger Bekanntgabe amtlich geheimzuhaltender Tatbestände zu Lasten der Sicherheitsorgane
({10})
und einem völligen Fehlen einer zukunftsorientierten Sicherheitsplanung. Sie haben seit der Amtsübernahme von Minister Maihofer Sicherheit nicht aufgebaut, sondern Unsicherheit verbreitet.
({11})
Sie haben mit Bedacht und auch aus opportunistischen Gründen - und ich komme auf diesen Vorfall
in Bayern in der Asylangelegenheit heute noch in
aller Deutlichkeit zurück - die Solidarität mit den Innenministern der Länder schwer belastet.
({12})
Sie sind dabei, die Grundlagen und den Minimalkonsens für die Sicherung des inneren Friedens in unserem Land zu verringern, weil sie in zunehmendem Maß den Sicherheitsorganen die politische Unterstützung versagen, die sie brauchen, um sich erfolgreich gegen Angriffe den Verbrechern und Verfassungsfeinden wehren zu können.
({13})
Die von Ihnen und Ihrem Haus ausgehenden öffentlichen Auseinandersetzungen über die Tätigkeit unserer Sicherheitsbehörden sind beispiellos. Ich will Ihnen einmal die wichtigsten an dieser Stelle bei diesem Etat vorhalten: die unglückseligen Kampagnen im Juli 1978 gegen die seit 1963 vorgeschriebene legale und notwendige Registrierung von Grenzübertritten durch den Bundesgrenzschutz; die im gleichen Monat gegen angebliche Verfassungsschutzaktivitäten an bayerischen Schulen gerichtete Pressekampagne - eine ganz üble Geschichte aus Ihrem Hause -;
({14})
die im November 1978 in die Presse lancierte Überwachung des Postverkehrs mit dem Ostblock durch den Bundesnachrichtendienst - ich bin neugierig, was die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission aus SPD und FDP zu diesen außerordentlich komplizierten Punkten in dieser Debatte noch zu sagen haben -;
({15})
die im März 1979 entfachte breite Diskussion über die Registrierung verdächtiger Bundesbürger mit Sperrvermerk im Personalausweis; die Anklagen gegen den Bundesgrenzschutz wegen des Fotografierens von Pässen Anfang April 1979; die Ende April 1979 gegen die Karteien und Dateien des Bundeskriminalamtes und gegen dessen Zusammenarbeit mit dem Bundesgrenzschutz gerichteten Aktionen und die - das war ein deutliches Beispiel, daß Ihr Staatssekretär es Ihnen auf diesem Gebiet unwahrscheinlich gut nachmachen kann - Anfang Juni 1979 von Herrn Staatssekretär von Schoeler
({16})
gegenüber der „Frankfurter Rundschau" offengelegten Aktivitäten von anerkannten Organisationen unseres Landes gegen Verfassungsfeinde, die Offenlegung der sogenannten Mittel des positiven Verfassungsschutzes, sowie die Offenlegung der notwendigen Arbeit des Verfassungsschutzes in den Betrieben 1979.
Meine Damen und Herren, es gibt keinen Bundesinnenminister in dieser Bundesrepublik Deutschland, der eine so schamlose Kette von selbstverDr. Riedl ({17})
schuldeten Aktionen gegen unsere Sicherheitsbehörden auf seinem Buckel herumtragen muß wie dieser Bundesinnenminister Baum.
({18})
Von jedem Bundesinnenminister müssen die Bürger in unserem Land ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein und Pflichtgefühl erwarten. Der Bundesinnenminister muß eben den Mut haben, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, um das wichtige Gut der Sicherheit unseres Staates zu schützen. Diesen Anforderungen wird der FDP-Mann Gerhart Baum nicht gerecht. Er entwickelt auch keine Konzeptionen, und sein Handeln ist allein von taktischen Gesichtspunkten bestimmt, die darauf hinzielen, ihn in der Presse und bei seinen „Genossen" als Liberalen erscheinen zu lassen.
({19})
Diesem Ziel ordnet er alle anderen politischen Gesichtspunkte unter.
Meine Damen und Herren, ich habe hier einen Ausschnitt aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 10. Dezember 1979, worin über den Parteitag der FDP Nordrhein-Westfalens berichtet wird. Es steht da, daß der Landesparteitag der FDP beschlossen hat, den § 88a des Strafgesetzbuches, der gewaltverherrlichende Schriften unter Strafandrohung stellt, zu streichen. Herr Minister Baum, Sie haben ja an diesem Parteitag teilgenommen. Sie waren sogar so schnell auf der Fahrt zu diesem Parteitag, daß sie, wie ich der Zeitung entnommen habe, bei Rot eine Ampel überfahren haben, um rechtzeitig bei diesem Beschluß dabei zu sein.
({20})
Aber wenn die FDP bei Rot über die Ampeln fährt ({21})
- Das kennen wir ja, Herr Kollege Glos. Aber, Herr Minister, was mich viel mehr interessieren würde: Sind Sie aufgestanden, haben Sie sich zu Wort gemeldet, und haben Sie dort als Bundesinnenminister gesagt, was es bedeutet , wenn der § 88a des Strafgesetzbuches abgeschafft wird? Das bedeutet - ich sage es Ihnen jetzt -, daß man ungestraft Mord, Völkermord, Totschlag, schwere Körperverletzung, Menschenraub, Verschleppung, Kidnapping, Geiselnahme, Raub, räuberische Erpressung sowie Verbrechen und Vergehen wie schwere Brandstiftung und gefährliche Eingriffe z. B. in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr künftig befürworten kann. Das ist die Folge dieses Beschlusses des FDP-Landesparteitages in Nordrhein-Westfalen. Ich kann mir schon vorstellen, mit welch schweigsamer Miene Sie dort gesessen haben; denn wenn Sie dagegen gesprochen hätten, dann hätten Sie mit Sicherheit innerparteilichen Zwist und Hader erfahren, und den können Sie sich nicht leisten. Ich hätte von Ihnen gern gewußt,
wie Ihre Einstellung zu diesem Beschluß der FDP Nordrhein-Westfalens ist.
({22})
Ein besonderes Beispiel der Konzeptionslosigkeit und der presseorientierten Augenauswischerei dieses Bundesinnenministers ist das Asylrecht. Wir haben uns in der Bundesrepublik Deutschland mit Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes ein Grundrecht geschaffen, das außerordentlich viel Segensreiches für viele Menschen, die in unser Land kommen, bringt und gebracht hat. Wir müssen aber auch feststellen, daß wir mit einer solchen Zahl von Asylbewerbern in unserem Lande überschwemmt werden, daß wir uns damit politisch auseinandersetzen müssen. Die Gründe für diesen andauernden Zustrom von Ausländern sind - man kann das, glaube ich, auf diesen Nenner bringen - der hohe Standard unserer Industrialisierung und die damit verbundenen Beschäftigungsmöglichkeiten sowie das für die Ausländer attraktive Sozialhilfesystem in unserer Bundesrepublik Deutschland.
({23})
- Das haben wir ja nie bestritten, Herr Kollege. Das haben wir zu einer Zeit geschaffen, da waren Sie wahrscheinlich noch nicht einmal Mitglied der SPD.
Die Asylanträge haben sich seit, 1973 versechsfacht: 1973 5 289, 1978 bereits 33 136 Asylanträge. Ende November 1979 lagen 34 025 Asylanträge vor. Das ist eine Steigerung gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres um rund 20 %.
Mehr als 90 % aller Asylanträge werden heute als unbegründet zurückgewiesen, weil bei ihnen der Tatbestand der politischen Verfolgung nicht gegeben ist. Trotz dieser eklatant hohen Zahl an unbegründeten Anträgen können die Antragsteller durch Ausnutzung der Instanzenwege einen Aufenthalt in der Bundesrepublik von sechs, sieben, acht und zum Teil sogar mehr Jahren erzwingen.
({24})
Von der Möglichkeit, Rechtsbehelfe einzulegen, haben dabei rund 80% aller abgelehnten Asylbewerber Gebrauch gemacht. Dies führt zu großen, zum Teil sogar katastrophalen Problemen bei unseren Städten und Gemeinden.
Dieses lange Verfahren ist insgesamt auch inhuman. Die Asylbewerber werden nach Jahren der Ungewißheit in ihre Heimat abgeschoben, zu der sie infolge ihrer langjährigen Abwesenheit dann auch die Bindungen verloren haben. Dadurch entsteht ein größeres Elend, als wenn sie bei unbegründetem Antrag schnell zurückgewiesen worden wären.
Die Bundesregierung und vor allem der für das Asylrecht zuständige Bundesinnenminister haben bei der Lösung der Probleme dieser Art bisher leider Gottes kläglich versagt; er hat die Länder und Gemeinden, die das Asylrecht durchführen müssen, im Stich gelassen.
Dr. Riedl ({25})
Wir haben zur Zeit auf dem Gebiet des Asylrechts eine unerträgliche Rechtsunsicherheit. Einerseits räumen die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz, die vom Bundesinnenminister im Jahre 1977 mit Zustimmung des Bundesrates und auch mit Zustimmung der von SPD und FDP regierten Bundesländer verabschiedet worden sind, den Grenz- und Ausländerbehörden einen großen Spielraum bei der Abschiebung von Ausländern ein, die einen unschlüssigen oder rechtsmißbräuchlichen Asylantrag gestellt haben. Hiervon machen alle Bundesländer Gebrauch, weil sie anders der Flut der Wirtschaftsflüchtlinge nicht Herr werden. Auf dieser Grundlage hat beispielsweise Berlin eine große Zahl von Pakistani abgeschoben und tut dies immer noch. Andererseits sind die Beamten an der Grenze und bei den Ausländerbehörden inzwischen total verunsichert. Ihnen wird in der jetzt angezettelten Kampagne plötzlich von verschiedenen Seiten, vor allen Dingen aber aus SPD- und FDP-Mund, die Alleinschuld an der Zurückweisung unechter Asylbewerber gegeben.
Dieser Zustand der Unsicherheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß beendet werden. Er könnte vom Bundesinnenminister und von der Koalition längst beendet sein, wenn sie dem Gesetzentwurf unserer Fraktion vom 16. November 1979 inzwischen eine sachgemäße Beachtung geschenkt hätten.
({26})
Ich darf Ihnen die drei wichtigsten Gesichtspunkte dieses Gesetzentwurfes noch einmal sagen. Es müssen auf rechtsstaatlicher Grundlage die notwendigen Maßnahmen zur Verkürzung des Asylanerkennungsverfahrens getroffen werden. Es müssen die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz aus dem Jahre 1977 festgelegten Befugnisse der Grenz- und Ausländerbehörden auf eine rechtsstaatliche Grundlage gestellt werden, und es müssen die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift enthaltenen Generalklauseln im Interesse der Asylbewerber und zur Erhaltung des Grundrechts auf Asyl klarer gefaßt und präzisiert werden.
Sie halten uns immer so gerne vor, wir hätten keine Alternativen. Hier liegt ein klipp und klar formulierter Gesetzentwurf vor, und Sie drücken sich permanent um diesen Gesetzentwurf herum.
({27})
Aber dafür konzentrieren Sie Ihre Kraft auf einen Fall, der sich kürzlich in der Offentlichkeit in einer Weise abgespielt hat, daß er hier im Deutschen Bundestag noch einmal in aller Deutlichkeit angesprochen werden muß. Meine Damen und Herren, damit wir über eines überhaupt nicht zu reden brauchen: die Abschiebung von zwei tschechoslowakischen Staatsbürgern am 23. November 1978 von Bayern in die Tschechoslowakei war falsch. Das ist von dem Landratsamt Berchtesgadener Land falsch gemacht, falsch angeordnet worden, und dies haben der bayerische Innenminister und der bayerische Ministerpräsident auch immer uneingeschränkt gesagt. Der bayerische Innenminister hat das auch vor dem Rechts- und Verfassungsausschuß des Bayerischen
Landtags den Parlamentariern unzweideutig erklärt.
Aber was danach aus diesem Fall in der Offentlichkeit gemacht worden ist, ist kein Fall mehr, der nur auf dieses fehlerhafte Verhalten des Landratsamtes Berchtesgadener Land zurückzuführen ist, sondern es ist der Fall eines skandalösen, unwürdigen und unkollegialen Verhaltens des Bundesinnenministers, seines Staatssekretärs und seiner Helfershelfer gegenüber dem bayerischen Innenministerium.
({28})
- Die Helfershelfer sind bei der Presse. Herr Ehmke, seien Sie vorsichtig. Ich werde Ihnen gleich sagen, was Herr Baum in diesem Zusammenhang für Helfershelfer hat. Das werden Sie gleich merken.
({29})
Mindestens zwei dem Bundesinnenminister unterstellte Behörden, nämlich die Grenzschutzdirektion in Koblenz und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf, waren von der beabsichtigten Abschiebung der beiden Tschechen unterrichtet.
({30})
Ich möchte jetzt die zeitlichen Fakten des Ablaufs vom 14. Oktober 1978, als das Fernschreiben der Grenzpolizeiinspektion Freilassing herausging, bis zur Fernsehsendung „Pro und Kontra" am 25. Oktober 1979 nicht mehr im einzelnen darlegen, das kennen Sie. Alle diese Fakten und Zeitläufe, die bekannt sind, zeigen ganz deutlich:
Erstens. Der bayerische Innenminister Tandler und sein Staatsekretär Neubauer,
({31})
die Sie, Herr Minister Baum, und Ihr Staatssekretär Schoeler so heftig angegriffen haben, waren zu dem Zeitpunkt, als das Fernschreiben der Grenzpolizeiinspektion Freilassing beim Bayerischen Innenministerium und bei den Ihnen unterstellten Bundesdienststellen einging, noch gar nicht in Ihren Am-tern.
Zweitens. Der Bundesinnenminister Baum hat sich trotz mehrfacher vorheriger Information erst nach über acht Monaten dieses Falls angenommen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als es ihm am günstigsten erschien, diesen Fall für sich und gegen die bayerische Staatsregierung politisch auszuschlachten.
({32})
Drittens. Wenn Bundesinnenminister Baum und die ihm nachgeordneten Dienststellen, das Bundesamt in Zirndorf und die Grenzschutzdirektion in Koblenz, mit der Sorgfalt gearbeitet hätten, wie sie der Innenminister und sein Staatssekretär von den bayerischen Behörden erwartet haben, dann hätte
Dr. Riedl ({33})
diese traurige Ausweisung trotz der Fehler, die eine bayerische Verwaltungsbehörde zugegebenermaßen gemacht hat, gar nicht stattfinden können.
({34})
Herr Kollege Riedl, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Ihre Redezeit ist bald abgelaufen.
Wenn es mir auf die Redezeit angerechnet wird, dann sehr gern, Herr Kollege Engelhard. Aber, Herr Präsident, die Redezeit darf bitte dafür nicht in Anspruch genommen werden.
Ich kann die Redezeit nicht verlängern.
Der Herr Präsident kann die Redezeit nicht verlängern, Herr Kollege Engelhard. Dann tut es mir sehr leid.
({0})
Das als Hort des Asylrechts immer von Ihnen gepriesene Bundesamt in Zirndorf hat keinen Finger für die beiden Tschechen krummgemacht, und es wurde auch dann nicht aktiv, als das Kind bereits in den Brunnen gefallen war.
Aber der schlimmste Punkt ist der vierte Punkt: Das Bundesinnenministerium hat diesen Fall zu einer propagandistischen Hetze gegen die bayerische Staatsregierung benutzt
({1}) .
Herr Kollege Ehmke, jetzt komme ich zu- den Punkten. So stimmen die Unterlagen des „Spiegel" über diesen Fall genau mit den Unterlagen überein, die dem Bundesinnenministerium - und nur dem Bundesinnenministerium - bis dahin vorlagen.
({2})
Und weiter: Genau einen Tag nach der Fernsehsendung „Pro und Kontra" vom 25. Oktober erhielt der bayerische Innenminister Tandler ein vom 24. Oktober datiertes Schreiben des Bundesinnenministers Baum, in dem dieser Tandler persönlich auf den Fall hinwies. Der Fernsehjournalist Schüler allerdings, der in der gleichen Sendung mit Herrn Baum und Herrn Tandler auftrat, kannte bereits den. ganzen Sachverhalt
({3})
und sprach den bayerischen Innenminister Tandler in dieser Sendung darauf an.
({4})
Herr Minister Baum, warum haben Sie nicht den politischen Mannesmut aufgebracht, der der Solidarität unter Demokraten entspricht, daß Sie Herrn Tandler vor der Sendung auf diesen Fall angesprochen und gesagt hätten: Herr Kollege, da kommt dieser und jener Fall?
({5})
Sie haben Herrn Schüler informiert, und Sie haben Herrn Tandler im Regen stehenlassen. Jetzt stehen Sie als ein unkollegialer Bundesinnenminister da, der die Solidarität nicht nur der Landesinnenminister, sondern auch der Demokraten verletzt hat, und das nehmen wir Ihnen übel.
({6})
Ich kann in der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, nur auf diese wenigen Punkte zu sprechen kommen. Ich möchte zum Abschluß all den Beamten und Mitarbeitern unserer Sicherheitsdienste, des Bundeskriminalamts, des Bundesgrenzschutzes und der Polizei, die tagaus und tagein zum Teil unter großer Lebensgefahr für unser Vaterland und für unsere Bevölkerung Dienst leisten, den Dank der CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause für ihre Arbeit aussprechen, die sie trotz einer so miserablen Führung durch einen so miserablen Bundesinnenminister täglich leisten.
({7})
Ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie sich diesem Dank anschließen. .
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt mit großer Freude,
({8})
mit großer Entschiedenheit und mit großer innerer Begeisterung gerade diesen Etat, den Einzelplan 06, ab.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walther.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Sozialdemokrat könnte man fast schon zufrieden sein mit dem, was der Herr Kollege Dr. Riedl vorgetragen hat; denn er ist der einzige Redner der CDU/CSU, der die Sozialdemokraten geschont
({0})
und sich dafür an unserem Koalitionsfreund, Herrn Bundesinnenminister Baum, gerieben hat Aber weil Sie, Herr Kollege Dr. Riedl, das Kohl-Zitat vom Nicht-im-Regen-stehen-Lassen gebraucht haben, will ich Ihnen sagen: Wir werden Herrn Bundesinnenminister Baum auch nicht im Regen stehen lassen in der Hoffnung, Herr Minister Baum, daß Sie mich nicht so behandeln, wie Herr Strauß damals Herrn Kohl behandelt hat
(Broll [CDU/CSU]: Einen so großen Schirm
haben sie auch nicht! - Jäger [Wangen]
[CDU/CSU]: Wenn er ein guter Baum wäre,
würde es ihm nichts ausmachen, im Regen
zu stehen!
- Nun lassen Sie uns doch einmal ernst werden. Herr Jäger, schreien sie doch nicht immer dazwischen. Sie machen das in der Fragestunde so oft Sie haben jetzt einmal Sendepause, wenn ich darum bitten darf.
Um auf die Vorwürfe gegen den Innenminister zurückzukommen: Ich sage Ihnen in allem Ernst, daß das innenpolitische Klima in einem Lande in der Tat zu einem erheblichen Teil davon abhängt, wie der für das Innenressort zuständige Minister sein Amt auffaßt: ob er den Staat als Repressionsinstrument begreift und dem Bürger grundsätzlich mit Mißtrauen begegnet oder als eine Heimstatt, die allen Bürgern das höchstmögliche Maß an Freiräumen bewahrt und insbesondere Minderheiten, vor allem auch kritischen Minderheiten, Raum zur Entfaltung gibt. Ich sage: Je geringer das Maß an Repression, je größer das Maß an geistiger Freiheit, desto größer ist auch die Chance, daß sich in einem solchen Staat möglichst viele, vielleicht sogar alle wohl fühlen.
Es kann im Ernst nicht bezweifelt werden, daß wir uns sei 1945/46 -- ich war damals 16 Jahre alt - in unserem Staat im Detail zwar unsichtbar, aber im ganzen doch deutlich von den Frei- und Freiheitsräumen entfernt haben, die uns jungen Menschen damals diesen neuen demokratischen Staat so faszinierend gemacht haben. Ich will darauf verzichten, eine Reihe von Beispielen zu bringen, die ich mir notiert hatte; denn ich möchte auf den Fall eingehen, den Sie, Herr Kollege Dr. Riedl, des längeren und des breiteren abgehandelt haben.
Wir hatten uns damals nicht vorstellen können, daß Menschen, die vor politischer Verfolgung flüchten, an den Grenzen unseres Staates abgewiesen und an Ihre Verfolger zurücküberstellt werden.
({1})
Das, was Herr Kollege Dr. Riedl im Zusammenhang mit der Abweisung von Flüchtlingen aus der CSSR vorgetragen hat, war nichts anderes als ein großartiger Eiertanz, um zu verschleiern, daß bayerische Behörden, insbesondere der Innenminister, gegen Recht und Verfassung verstoßen haben.
({2})
- Aber Herr Gerlach, Sie sind sonst immer so ein netter Mensch. Nun machen Sie sich doch nicht so unsympathisch.
Ich möchte diesem Innenminister bescheinigen, daß er sich große Mühe gegeben hat, manches wieder geradezurücken und dafür zu sorgen, daß die zugegebenermaßen griffige Formel „im Zweifel für die Freiheit" mehr ist als eine leere Worthülse. Ich jedenfalls und meine Fraktion, Herr Minister, bedanken uns ausdrücklich dafür.
({3})
- Das ist kein Persilschein. Das ist ein guter Innenminister, Herr Kollege. Wir haben gar keinen Grund, dies zu verheimlichen.
({4})
Ich möchte jetzt zu ein paar Schwerpunkten des Haushalts kommen in der Hoffnung, daß Sie sich dabei wieder beruhigen. Der Haushaltsausschuß hat sich nicht in der Lage gesehen, beispielsweise alle Stellen im Bereich der inneren Sicherheit so, wie im Regierungsentwurf vorgesehen, zu bewilligen, weil wir übereinstimmend der Meinung waren, daß eine zu schnelle Erweiterung der Personalkörper nicht unbedingt eine Umsetzung von Quantität in Qualität bedeuten muß. Die Gewerkschaft der Polizei beispielsweise hat nicht zu Unrecht für das Bundeskriminalamt eine Phase der Konsolidierung gefordert. Vom Bundesgrenzschutz hören wir, daß allzu viele Beamte als Auszubildende oder als Ausbilder von ihren eigentlichen Aufgaben abgehalten würden; eine Klage übrigens, die wir gelegentlich auch aus dem Bundeskriminalamt vernehmen. Deshalb meinen wir, daß ein langsamer, aber kontinuierlicher Aufbau auch der Qualität zugute kommen könnte und das Problem des Verwendungs- und Beförderungsstaus, das andernorts entstanden ist, ein bißchen abbiegen könnte.
Da wir eine Reihe von Stellen bewilligen wollen, werden die Sicherheitsorgane in Zukunft von der Zahl her so gut ausgestattet sein wie noch nie zuvor. Ich erkläre für meine Fraktion die Bereitschaft, auch zukünftig an einem kontinuierlichen Ausbau mitzuwirken, der sich an dem Ausbauprogramm innere Sicherheit orientiert.
Auch ich möchte wie der Kollege Dr. Riedl - und hier ist der Anlaß dazu - für meine Fraktion den Angehörigen der Organe der inneren Sicherheit ausdrücklich unseren Dank sagen.
({5})
Insbesondere will ich hier das Bundeskriminalamt nennen, das sich trotz mancher schwieriger Umstände, was Aufbau, Organisationsänderung, aber auch -- hören Sie gut zu - Hindernissen in überzogenem Föderalismus betrifft, einen hervorragenden internationalen Ruf erworben hat. Diesen Ruf möchten wir erhalten wissen.
({6})
- Der Herr Präsident ist ein hervorragender Kriminal-Designer, liebe Frau Kollegin. Dessen Ruf möchte ich hier auch öffentlich nicht unterminiert wissen. Diesen Ruf möchten wir erhalten wissen - ich wiederhole es -; denn die Bedrohungen durch Terrorismus, Rauschgift - was ich für ganz bedrohlich halte - und Wirtschaftskriminalität halten an.
({7})
- Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich für die nächstfolgenden Ausführungen um Ihre freundliche Aufmerksamkeit bitten, weil ich hoffe, daß Sie mir zustimmen werden.
Im Zusammenhang mit der Erörterung der inneren Sicherheit möchte ich einen Hinweis geben, der alle angeht, die sich in dieser Republik politisch wichtig fühlen. Ich und mit mir ein nicht geringer Teil des Haushaltsausschusses halten den Aufwand, den wir in bezug auf das betreiben, was wir Personen- und Objektschutz nennen, für übertrieben.
({8})
Übertrieben ist es sicherlich nicht, wenn ich behaupte, daß für solche Zwecke auf allen Ebenen der öffentlichen Hand im kommenden Jahr mehr als 300 Millionen DM ausgegeben werden. Ich frage mich: Muß es wirklich so sein, daß ein beschützender Sicherheitsbeamter ein Statussymbol ist? Ferner stelle ich die Frage, ob es nicht schrecklich ist, wie wir uns beispielsweise in unserem eigenen Haus verbarrikadiert haben. Da kann ich mir schon vorstellen, daß Regelungen denkbar sind, bei denen weniger mehr wäre.
Dieses Prinzip, daß weniger mehr wäre, läßt sich leider beim Umweltschutz nicht anwenden. Es gibt eine ganze Menge Bedrohungen, denen sich unsere natürliche Umwelt durch Chemikalien, Gifte, Lärm, aber auch durch Gedankenlosigkeit und Wegwerfmentalität gegenübersieht. Deshalb wird die öffentliche Hand, trotz aller Aufwendungen, die auch privat im Rahmen des Verursacherprinzips aufzubringen sind, noch sehr viel Geld aufbringen müssen, um unseren Nachkommen eine Welt zu hinterlassen, in der zu leben es sich lohnt. Ich verstehe diese jungen Menschen in unserem Lande sehr gut, die sich fragen, ob unsere bisherige Art zu leben, überhaupt menschenwürdig und verantwortbar gegenüber kommenden Generationen ist. Deshalb müssen unsere Anstrengungen im Bereich des Umweltschutzes verstärkt, nicht verringert werden.
Ich habe z. B. überhaupt kein Verständnis dafür, daß es einige Länder gibt, die das Abwasserabgabengesetz wieder beseitigen wollen. Dies hielte ich für ein Ding aus dem Tollhaus, meine Damen und Herren,
({9})
nachdem wir darangegangen sind, beispielsweise den Rhein mit seinen Nebenflüssen im Zuge sehr aufwendiger Programme wieder sauberzubekommen, damit das Wasser eines Tages wieder Trinkwasserqualität bekommt
({10})
- Verehrter Herr Kollege, wenn es nach den Ländern, die von der Union regiert werden, die das Abwasserabgabengesetz wieder beseitigen wollen, ginge, dann, fürchte ich, am Sankt-Nimmerleins-Tag.
({11})
Daß die Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes immer noch nicht sehr viel weitergekommen ist, bedeutet auch kein Ruhmesblatt für die deutsche Politik. Im Bundeshaushalt haben wir 1,8 Milliarden DM einschließlich ERP-Wirtschaftsplan zur Verfügung. Wir versuchen also, mit diesem Haushalt eine Menge für die Erreichung unserer Ziele zu tun. Es ist ein enormer Betrag, der, nebenbei gesagt, auch Arbeitsplätze sichern hilft.
Ich will etwas zu den Ansätzen sagen, die wir im Einzelplan des Innenministers für die Reaktorsicherheit eingestellt haben. Ob man Kernkraftwerke mag oder nicht, sie sind nun einmal vorhanden; das wird niemand bestreiten können. Deshalb muß ihre Sicherheit - vor allem in Auswertung der Ereignisse von Brunsbüttel, was wir nicht vergessen wollen, und Harrisburg - verbessert werden.
Ich stimme Ihnen, Herr Staatssekretär Hartkopf, zu. Sie haben einmal gesagt, in der Frage der Sicherheit dürfe es keinen Rabatt geben. Aber ich hoffe, daß die Konsequenz, die Sie für sich daraus gezogen haben, nämlich daß die Staatshaftung im Atomgesetz fallen müsse, bald in regierungsamtliche Aktivitäten umgesetzt wird.
Ob der von den Regierungschefs von Bund und Ländern verabredete sogenannte parallele Entsorgungsansatz gangbar ist, muß sich erst noch erweisen. Dabei wird es interessant sein, zu hören, ob eines der unionsregierten Länder, beispielsweise der Freistaat Bayern, bereit ist, ein Zwischenlager aufzunehmen. Da hören wir aus Bayern bisher nur Sankt-Florians-Melodien. Vom Haushalt her, meine Damen und Herren, schaffen wir jedenfalls die Möglichkeit, auf beiden Feldern voranzukommen.
Nun möchte ich gern noch ein paar Bemerkungen zum Haushaltsplan der Zivilverteidigung und des Katastrophenschutzes machen. Es ist zwar richtig, daß im Jahre 1980 dieser Haushalt nicht mehr so stark steigen soll wie in den beiden vergangenen Jahren. Aber gegenüber 1977 stehen dort immerhin 188 Millionen DM mehr, das sind fast 35%. Kaum einen Politikbereich haben wir in diesem Jahr mit einer solchen Steigerungsrate versehen wie diesen.
({12})
- Wenn Sie sagen, wir seien bei Null angefangen, dann muß ich sagen: Null ist das, was Ihre Regierungen, die CDU/CSU-geführten Regierungen, in den Haushalt eingesetzt haben.
({13})
Das ist also ein Eigentor, Herr Kollege, das Sie da gerade geschossen haben.
({14})
- Ach Gott, Herr Gerster. Ich hoffe, Sie werden einen guten Landeslistenplatz bekommen, damit wir Sie im nächsten Bundestag wiedersehen; denn den Wahlkreis kriegen Sie mit solchen Zwischenrufen bestimmt nicht.
({15})
Das macht deutlich, daß wir der Zivilverteidigung einen hohen Stellenwert beimessen. Mit den Ansätzen des Jahres 1980 kann der öffentliche und private Schutzraumbau verstärkt fortgesetzt werden, die Beschaffung neuer und der Ersatz alter Katastrophenschutzfahrzeuge zügig vorangetrieben und das Programm für den Neubau der THW-Unterkünfte ausgeweitet und die Rettungshubschrauberstaffel weiter vervollkommnet werden. Das ist eine ganze Menge.
Wem das alles zu wenig ist, der möge bedenken, daß wir nicht immer nur von Haushaltskonsolidierung, Rückführung von Schulden, und was Sie in diesen Tagen sonst noch für Schauergemälde an die Wand gemalt haben, reden darf, sondern daß man auch danach handeln muß. Ich kann mich kaum er15424
innern, daß die Opposition in all den Beratungen des Haushaltsausschusses in diesen vielen Wochen einen einzigen vernünftigen Kürzungsvorschlag gemacht hat.
({16})
Aber am laufenden Band mußten wir Erhöhungsanträge von Ihnen ablehnen. Wären wir Ihnen gefolgt, wären die Schulden höher geworden. Frau Kollegin Berger, Sie waren ja meistens dabei, Sie wissen das doch.
({17})
- Die Internationale Bauausstellung ist auch eine hervorragende Sache. Wir haben ja gemeinsam dazu beigetragen, daß daraus etwas Vernünftiges wird.
Herr Kollege Gerster schreibt hier schon eifrig mit. Ich habe gehört, er will nachher dazu noch reden. Ich kann Sie deshalb nur einladen: Bleiben Sie alle so lange, bis Herr Kollege Gerster gesprochen hat. Denn er wird hier ein ganzes Gruselkabinett zeichnen. Es wird eine Horrorstunde werden. Wir werden alle sehr viel Freude an dem haben, was Herr Kollege Gerster nachher vorträgt.
({18})
Wir kennen das ja alles schon. Wir kennen es schon, was Herr Kollege Gerster sagen wird. Es ist die alte Schallplatte, die er jedes Jahr auflegt. Deswegen werden wir uns darauf beschränken, das, was ich hier gesagt habe, sachlich darzustellen. Herr Kollege Gerster, dafür ist gleich der Ring frei. Dann können Sie sich austoben, wie Sie wollen. Und dann werden wir einmal sehen, was Ihnen der Minister darauf zu antworten weiß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dem Ziel der Haushaltskonsolidierung haben auch unsere Bemühungen im Ausschuß gedient,
({19})
die gewünschten Personalausgaben auf ein finanziell vertretbares Maß zurückzuschrauben. - Kollege Gerster, ich weiß nicht, ob Sie das gehört haben: Der Kollege Glos hat gesagt, wenn Sie kämen, käme die C-Klasse der Bundesliga hier hoch.
Wir haben also versucht, im Rahmen der Konsolidierungsbemühungen die gewünschten Personalzuwächse auf ein finanziell vertretbares Maß zurückzuschrauben. Das Innenministerium - das geben wir gern zu - hat bei dieser Aktion eine ganze Menge Haare lassen müssen. Es hat sich auch nicht gefreut, aber Einsicht in die finanziellen Notwendigkeiten gezeigt. Aber - ich sage das ein bißchen leise - ob die bekanntgewordenen Vorstellungen zur Verbesserung der Besoldungsstruktur solchen Notwendigkeiten immer Rechnung tragen, will ich für heute einmal dahingestellt sein lassen.
Eine Bemerkung zu dem Änderungsantrag, den Sie im Hinblick auf die Nationalstiftung hier vorgelegt haben, will ich kurz anfügen. Dies ist der übliche Propagandaantrag, den Sie jedes Jahr hier vorlegen. Wir nehmen ihn nicht ernst. Ich sage nur soviel: Wir sind fest entschlossen, dem Bund grünes Licht zu geben für die Ingangsetzung der Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Nationalstiftung geplant sind, wenn nicht sehr bald das seit einiger Zeit avisierte Úbereinkommen zwischen Bund und Ländern in dieser Frage zustande kommt. Wir können es uns nicht leisten, die lebenden Künstler noch länger auf das warten zu lassen, was wir ihnen seit Jahren versprochen haben.
Um auf Ihren Beitrag zurückzukommen, Herr Kollege Dr. Riedl: Dieser Bundesinnenminister hat unser volles Vertrauen.
({20})
Er vertritt eine Politik, die wir Sozialdemokraten gut mitvertreten können. Wir unterstützen den Minister, wir unterstützen seine Politik. Wir tun dies, indem wir seinem Haushalt zustimmen.
({21})
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Gärtner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was der Kollege Riedl hier eben vorgeführt hat, war, harmlos ausgedrückt, eine mittlere Pöbelei.
({0})
Man kann zwar versuchen, sich auf diese Art und Weise über Politik zu verständigen, Herr Kollege Riedl, aber es geht wirklich zu weit, sich hier hinzustellen und über die Liberalen in dieser Form herzuziehen.
({1})
- Das ist nun wirklich eine Täuschung, der Sie aufgesessen sind. Verfolgen Sie doch gelegentlich einmal die Rede Ihres Kanzlerkandidaten, die dieser hier im Bundestag am Dienstag gehalten hat! Da hat er zu meinem Erstaunen die Liberalen ausdrücklich gelobt.
({2})
Man muß immer vorsichtig sein, wenn man Liberale lobt. In diesem Fall kann ich nur sagen, lieber Kollege Riedl: Lassen Sie das in dieser Form nicht noch einmal zu! Ich gebe zwar zu, daß man zu später Stunde einmal die Beherrschung verlieren kann, aber in dieser Form geht das nicht.
({3})
Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode Gärtner
Lassen Sie mich nun nach dem Vortrag des Kollegen Riedl auf einige Schwerpunkte des Etats des Innenministers zu sprechen kommen.
({4})
- Das bin ich. Deshalb tut es mir besonders weh, heute erlebt zu haben, daß ausgerechnet Sie, den ich bisher auch in diese Kategorie einzurechnen versucht habe, gezeigt haben, daß offenbar das Gegenteil der Fall ist.
({5})
- Herr Kollege Haase, wir beklagen uns häufig, daß nicht fiber den Haushalt geredet wird, sondern über alles mögliche. Ich will jetzt einmal den ernsthaften Versuch wagen, über das zu sprechen, was im Haushalt steht.
Dieses Ressort ist für den Umweltschutz verantwortlich, und ich finde, es macht seine Arbeit gut. Ich will nicht sagen, daß es nicht zuletzt wegen dieser erfolgreichen Arbeit auf dem Gebiete des Umweltschutzes einige Bürgerinitiativen in diesem Lande gibt, die mit dem Aufkleber „Baum ab - Nein danke!" durch die Gegend laufen.
({6})
Die 14%ige Steigerung der Mittel für den Umweltschutz in diesem Ressort zeigt deutlich, daß die Bundesregierung nicht nur über den Umweltschutz redet, sondern auch die entsprechenden finanzpolitischen Operationen betreibt. Man muß insbesondere feststellen, daß diese Regierung, seit sie angetreten ist, ein überzeugendes umweltpolitisches Programm erstens aufgelegt hat und zweitens auch umsetzt. Vor allem aber müssen wir feststellen, daß Umweltschutz und Okonomie kein Gegensatzpaar sind, sondern im Grunde einander bedingende Begriffe sind. Ökonomie ohne Umweltschutz ist nicht denkbar, Umweltschutz ohne Okonomie natürlich ebenfalls nicht. Die Sicherung von vielen tausend Arbeitsplätzen durch Umweltschutzinvestitionen zeigt deutlich, daß Umweltschutz nicht Arbeitsplätze vernichtet, sondern sogar neue qualitativ bessere Arbeitsplätze schafft. Man muß auch sehen, daß das, was wir in den letzten Jahren gemacht haben, mit dazu beigetragen hat, daß wir gegenüber unseren europäischen Partnern, die in vielen Fällen, was Umweltschutz angeht, weit hinter uns zurück sind, Wettbewerbsvorteile haben.
({7})
Das ist z. B. eine ganz ernsthafte Frage, vor der andere Länder stehen, etwa beim Benzin-Blei-Gesetz. Wer das zu der Zeit nicht gemacht hat, als wir das hier gemacht haben, wird das heute auf sehr viel höherem Niveau nachvollziehen müssen.
Herr Kollege Gärtner, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Gärtner, darf ich denn mal fragen - gerade im Zusammenhang mit Ihrem Loblied auf den Umweltschutz -, was Ihr verehrter Parlamentarischer Staatssekretär getan hat, und zwar als Ortsvorsteher oder Kreisvorsteher - ich weiß nicht, wie es bei Ihnen in der Partei heißt - von Frankfurt am Main, um diesen fürchterlichen Umweltskandal, von dem Ihre Parteifreunde wußten, zu verhindern, ihn zu reduzieren, ihn aufzuhalten? Könnten Sie ihn vielleicht einmal fragen, oder können Sie uns Auskunft geben?
({0})
Herr Kollege Haase, ich kenne bisher nur das, was in der Zeitung gestanden hat. Ich kann Ihnen nur sagen: es ist ein merkwürdiges Unterfangen, das Verursacherprinzip auf diese Weise zu unterlaufen. Nach meinem gegenwärtigen Informationsstand sind die Farbwerke Hoechst dafür verantwortlich. Ich habe selbst in meinem Wahlkreis einen Fall, wo eine berühmte Firma, die in Dormagen ansässig ist, längere Zeit Grundwasserverseuchung betrieben hat. Sie hat es erst dann zugegeben, als sie öffentlich darauf angesprochen worden ist.
({0}) - Ja, von mir.
Ich kann Ihre Frage nach diesem Fall in Hessen nicht konkret beantworten, Herr Haase. Ich gehe davon aus, daß der Bundesminister oder der Parlamentarische Staatssekretär antworten können.
({1})
Herr Kollege, - Gärtner ({0}): Nein, es tut mir leid. Wir haben so kurze Redezeiten vereinbart, daß allein Ihr Vortrag mir einen Großteil meiner Redezeit - ({1})
- Nein. Es ist zwar unter Hessen möglich, alle möglichen Geschäfte zu machen, aber im Augenblick hat ein anderer Hesse das Präsidium in der Hand.
({2})
Nicht alle, sondern ganz bestimmte.
({0})
Diese beiden Fälle, auch der, den ich aus meinem Wahlkreis genannt habe, sind ein bitterer Beweis dafür, daß wir in einer Situation stehen, wo es Industrieunternehmen gibt, die immer noch eine Mentalität wie ein mittlerer Fleischerhund haben, die sich eine Produktionsweise erlauben, die Grundwasserverseuchung sozusagen zum Constituens ihrer Produktionsanlagen machen. Ich meine, wir müssen uns beim Chemikaliengesetz, wenn es den Bundestag durchläuft, sehr viel Mühe geben, daß solche Fälle ausgeschlossen werden, d. h., wir müssen uns sehr viel Mühe geben, die Probleme, die sich aus den Produktionsweisen ergeben, die in unserem Lande im Augenblick gang und gäbe sind, aufzuarbeiten. Wir müssen klarmachen, daß hier
nicht an irgendeiner Stelle ein Schlußstrich gezogen wird und nur neue Chemikalien und neue Produktionsverfahren überprüft werden. Wie kann man in diesem Hause mit gutem Gewissen eine Therapie beschließen, solange man nicht weiß, was eigentlich noch an Problemen unter der Erde verborgen ist.
Der Kollege Riedl hat sich als zweiten Schwerpunkt den Bereich der inneren Sicherheit ausgesucht. - Er ist im Augenblick, wenn ich das richtig sehe, auf der Flucht, jedenfalls nicht hier im Raum.
({0})
- Ich muß sagen, nach meinen Eingangsworten hatte ich den Erich Riedl etwas widerstandsfähiger in Erinnerung. Nichtsdestoweniger kann in diesen Bereichen noch einiges nachgeschoben werden. Ich fand es höchst bedauerlich, daß der Kollege Riedl den eigentlichen Skandal darin entdeckt hat, daß das Ganze öffentlich gemacht worden ist.
({1})
- Kollege Hartmann, nicht wie es öffentlich gemacht worden ist. Wenn ein Skandal auf diese Art und Weise passiert ist, muß man den Fehler frühzeitig zugeben, und nicht erst nach einem monatelangen Hickhack in der Offentlichkeit. Heute erfahren wir von dem Kollegen Riedl, daß auch in Bayern einmal Fehler gemacht worden sind.
({2})
- Herr Tandler hat lange gebraucht,
({3})
bis er zugegeben hat, daß es dort eine politische Verantwortung gibt.
({4})
Ich meine, es muß doch möglich sein, darüber zu diskutieren. Da gibt es doch Unterschiede, und es muß einem doch wirklich zu denken geben, daß der Fehler, der unten begangen worden ist, in diesem Falle besonders bedeutsam und schwerwiegend ist, weil dort eben Leute zurückgeschickt worden sind.
({5})
- Ich verstehe die Aufregung, weil ausgerechnet die Fraktion, die hier sozusagen immer die Menschenrechtsdiskussion für sich privilegiert, in dieser Frage entscheidend versagt hat.
({6})
Herr Kollege Gärtner, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Ihre Redezeit ist bald abgelaufen.
Nein, ich habe nur noch eine Minute und wollte gerne noch einen Punkt ansprechen, der vielleicht den Kollegen Riedl freuen kann.
Ich meine, wir haben im Bereich der inneren Sicherheit diesem Innenminister nicht zu unterstellen, daß er die Freiheit, die wir in der Bundesrepublik Deutschland errungen haben, aufs Spiel setzt. Im Gegenteil, er ist Garant der Freiheit, er ist Garant der Liberalität in diesem Lande. Er hat nicht umsonst unsere Unterstützung.
({0})
Ich muß Ihnen auch klar sagen, daß ich es nicht für einen Fehler halte, wenn man auf Parteitagen und in Parlamenten gesetzestechnische Fehler, die man früher gemacht hat, wieder korrigiert. Es muß auch in der Politik möglich sein, daß man lernt. Und wenn man ein Gesetz verabschiedet hat, über dessen Wirksamkeit man nachher anderer Auffassung ist, muß es eben möglich sein - auch bei dem § 88a, auch beim Kontaktsperregesetz -, das zu ändern.
({1})
Ich möchte einen dritten Bereich noch ganz kurz ansprechen, den Bereich des Sports. Er hat eine gewisse Aktualität dadurch gefunden, daß einige Mitgliedsverbände des Deutschen Sportbundes es für richtig gehalten haben, die Diskussion über das Thema „Werbung am Mann" dadurch zu unterbinden, daß sie die Versammlung des Deutschen Sportbundes verlassen haben. Ich kann nur sagen, daß dies kein richtiges Verfahren ist. Wer dieses Thema ernsthaft diskutieren will, muß das auch dann tun, wenn es unbequem ist, und darf nicht - wie der Deutsche Handballbund - hingehen und sozusagen im Vorfeld der Olympischen Spiele verkünden: Ich verzichte darauf, daß ich Probleme habe, und werde deshalb die Versammlung sprengen.
({2})
Ich warne alle diejenigen, die sich „selbständige, finanziell unabhängige Organisationen" nennen. Sie sollten beim Zugriff auf den Steuertopf entsprechend darauf hingewiesen werden, daß derjenige, der sich finanziell so unabhängig fühlt, auf die Steuergelder anderer nicht angewiesen ist.
({3})
Als nächster hat der Abgeordnete Gerster das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht hier um die Einzelpläne 06 und 36 und um die Politik des Bundesinnenministers Baum. Es geht hier nicht um den Kollegen Erich Riedl. Deshalb habe ich zwar Verständnis für den Entlastungsangriff des Kollegen Gärtner auf den Kollegen Riedl, muß aber sagen, daß dieser Angriff das folgende Faktum nicht aus der Welt schafft: Was wir dem Bundesinnenminister
Gerster ({0})
vorwerfen, ist, daß er versucht, ein Doppelspiel zu spielen und eine Doppelrolle auszufüllen.
({1})
Auf der einen Seite ist er Dienstherr der Sicherheitsbehörden. Er hat Beamte der Sicherheitsbehörden gegen oft unqualifizierte und tendenziöse Angriffe zu verteidigen. Er hat sich nicht unkritisch vor sie zu stellen, aber er hat sie zumindest loyal zu schützen. Die Beamten können Loyalität erwarten.
({2})
Diese Rolle kann er nicht spielen, weil er sich auf der anderen Seite zugleich als Vorsänger der Linksliberalen fühlt, die in der Existenz eines Polizisten bereits die Manifestation des Polizeistaates sehen.
({3})
Wir verlangen weiß Gott nicht - was hier vorhin behauptet worden ist -, daß der Bundesinnenminister dem Bürger - und zwar, wie es hier in unterstellender Weise gesagt wurde, jedem Bürger - mit Mißtrauen zu begegnen hätte. Was wir verlangen, ist zunächst einmal, daß der Bundesinnenminister nicht jedem seiner Beamten Mißtrauen entgegenbringt, sondern versucht, wirklich neutral zu entscheiden, und daß er in Fällen unbegründeter Angriffe seine Beamten entsprechend verteidigt. Dies kann er offenbar nicht.
({4})
Dies kann er nicht, weil er glaubt, in seiner Partei die linksliberale Vorreiterrolle spielen zu müssen
({5})
und bei denjenigen, die in unqualifizierter Weise Beamte angreifen, mit der Fahne vorweg marschieren zu müssen.
Nicht unkritisches Verhalten zu den Beamten, Herr Minister, erwarten wir, sondern ein faires Verhalten, das Sie offenbar nicht aufbringen können, weil Sie in einem Loyalitätskonflikt stehen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht um den Einzelplan 36, um die zivile Verteidigung. Es wird immer wieder so schön gesagt, daß oberstes Ziel der Bundesrepublik Deutschland die Sicherung des Friedens in Freiheit ist. Voraussetzung für Frieden und Freiheit sind jedoch die Verteidigungsbereitschaft und die Verteidigungsfähigkeit. Diese setzen den Schutz der Zivilbevölkerung voraus, weshalb die zivile Verteidigung erste Priorität genießen muß.
Diesem Stellenwert wird jedoch seit Jahren zunehmend der Bundeshaushalt nicht gerecht. Während im Bereich der Verteidigungsausgaben die Ausgaben in der Tat wachsen müssen, stagnieren die Ausgaben im Bereich der zivilen Verteidigung, wobei der Gegenvorhalt, daß wir im letzten Jahr ein Sonderprogramm beschlossen haben, nicht zieht. Es ist richtig, wir haben für einen Teilbereich ein Sonderprogramm für vier Jahre beschlossen, das aber eben nur in diesem Teilbereich etwas mildert, aber das Gesamtproblem nicht löst.
Ganze 12,20 DM pro Bürger und Jahr oder 0,3% des Bundeshaushaltes sollen für die zivile Verteidigung aufgewendet werden. Ich darf hier feststellen, daß das, was tatsächlich als kleine Erhöhung - ich komme noch darauf zu sprechen - stattfindet, allenfalls für laufende Kosten und Inflationszunahmen herhalten kann; daß aber letzten Endes keinerlei qualitative Verbesserungen, von diesem einen Sonderprogramm abgesehen, in der zivilen Verteidigung möglich sind.
Ich will es mir hier ersparen, die Probleme im einzelnen darzustellen. Feststellen muß man aber, daß der Schutz der Zivilbevölkerung nicht sichergestellt ist. So sind bei uns, um nur drei Beispiele zu nennen, in einem Ernstfall nur etwa 3% der Zivilbevölkerung durch Schutzräume gesichert. In anderen Staaten geht der Versorgungsgrad bis zu 80 %. Der Warndienst ist für ein Viertel der Bevölkerung überhaupt nicht ausgebaut. Dem Technischen Hilfswerk fehlt es an einer Mindestausstattung für Dienstkleidung, für Ausrüstungsgegenstände und für Unterkünfte.
Der Bundesinnenminister hat am 24. Oktober - nur als Beispiel - einen Brief an die nachgeordneten Dienststellen geschrieben, worin steht, daß zukünftig nicht einmal mehr auch nur eine Unterkunft angemietet werden kann, weil die finanziellen Mittel nicht ausreichen. Nach wie vor gibt es Probleme beim Fahrzeugbestand. Hilfskrankenhäuser haben Seltenheitswert und sind, soweit überhaupt vorhanden, in der Regel funktionsuntüchtig.
Mit anderen Worten, die zivile Verteidigung befindet sich in weiten Teilen in einem trostlosen Zustand. Sie erfüllt heute mehr eine Alibi- denn eine Schutzfunktion.
({7})
- Katastrophenschutz wird so, Kollege Walther, zur eigentlichen Katastrophe.
({8})
Meine Damen, meine Herren, wir müssen dem Bundesinnenminister vorwerfen, daß er draußen anders redet, als er tatsächlich handelt. So hat er noch am 2. Oktober beim Besuch des Bundesamtes für Zivilschutz die oberste Priorität, die ganz entscheidende Bedeutung der Zivilverteidigung herausgehoben,
({9})
mit sehr markigen Worten dieses im einzelnen unterstrichen.
Er hat in einem Schreiben - auch das nur als Beispiel - an den Bundessprecher des THW am 7. August, als er also seinen Haushalt bereits vorgelegt hatte, gesagt:
Ich bin mir darüber im klaren, daß nunmehr alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um dem THW zu helfen. Dies gilt vor allem für die Beschaffung persönlicher Ausrüstungsgegenstände, für Gebäude ...
Gerster ({10})
Ich kann das im einzelnen hier nicht zitieren. Dann fährt er fort:
Ich bin bemüht, im weiteren Verlauf der Haushaltsberatungen eine deutliche Aufstockung dieses Titels
- gemeint ist hier für das THW zu erreichen, um z. B. die Baumaßnahmen
({11})
die dringend notwendig sind, durchführen zu können.
Dies sind die Reden, die der Bundesinnenminister außerhalb der Etatberatungen führt, und zwar nicht zum ersten Male. So hat er bereits nach seinem Amtsantritt 1978 Mordsanstrengungen angekündigt für die zivile Verteidigung. Sein erster Haushaltsentwurf sah dann für 1979 statt einer Erhöhung eine Kürzung um 0,7 % vor. Das Parlament war es, der Haushaltsausschuß
({12})
und der Innenausschuß, das statt dessen eine Erhöhung von 11,5 % durchgesetzt hat
({13})
gegen - wenn Sie so wollen - den Innenminister, dessen Unterstützung wir dabei nicht verspürt haben.
({14})
Im Mai 1979 wiederum die Zusage, er werde für 1980 eine Erhöhung der Mittelansätze anstreben, sich massiv dafür einsetzen. Sein zweiter Haushaltsentwurf brachte zwar eine Steigerung von 0,6 %, aber bei der allgemeinen Preissteigerungsrate eben wiederum eine relative Kürzung der Haushaltsmittel, wiederum eine negative Priorität für die zivile Verteidigung.
({15})
- Ja, so wie sich immer wieder dieses Bäumchenwechsel-dich-Spiel des Bundesinnenministers wiederholt! Im Frühjahr und Sommer, wenn keine Haushaltsberatung ansteht, rennt er draußen bei den Katastrophenschützern von Ort zu Ort: große Ankündigungen, große Versprechungen, große Worte, ein großer Mann. Wenn es dann im Herbst in die Haushaltsberatungen geht, steht er da und muß Kürzungen seines Haushaltes hinnehmen. Ich frage mich: Gibt er nur vor, die zivile Verteidigung ausbauen zu wollen, und verfolgt ganz andere Absichten, oder aber ist er so schwach, daß er sich im Kabinett nicht durchsetzen kann? Im einen Fall wäre er unwahrhaftig, im anderen wäre er unfähig. In jedem Fall wäre es ein Erfolg für die Zivilverteidigung, wenn sie von diesem Mann befreit würde.
({16})
Denn, meine Damen und Herren, er erscheint im Frühjahr als grüner Baum, offenbar auf der Jagd nach Wählern, und dann, wenn der Baum Früchte tragen soll, trägt er in der Tat Früchte, es sind aber faule Äpfel und Birnen.
({17})
Die Frucht ist faul. Es heißt so schön: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." An den Früchten des Herrn Baum und der zivilen Verteidigung ist dies, Herr Minister, in der Tat zu erkennen.
({18})
- Ich verstehe, daß Sie so schreien. Ich verstehe das sehr gut. Immer dann, wenn man Schwächen aufdeckt, pflegt sich ja die Stimmlage der Zwischenrufer zu erhöhen. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Ich gestehe das durchaus zu.
Meine Damen, meine Herren, in der Zivilverteidigung müssen erhebliche Anstrengungen unternommen werden. Hier hat die Union vor allem für das THW in diesem Jahr erhebliche Erhöhungen für Neubauten und für Dienstbekleidung durchgesetzt. Weitere Erhöhungsanträge wurden leider von der Koalition abgelehnt, obwohl am selben Nachmittag im Haushaltsausschuß Kürzungsanträge der Opposition gestellt wurden, allein beim Bundespresse- und Informationsamt in Höhe von rund 6 Millionen DM,
({19})
in der gesamten Öffentlichkeitsarbeit in Höhe von 13 Millionen DM. Ich frage Sie: Wo wären die Mittel besser angebracht gewesen, beim Technischen Hilfswerk oder aber bei der Eigenpropaganda? Wir haben uns für das Technische Hilfswerk entschieden, Sie haben sich für die Propagandamittel im Wahljahr entschieden.
({20})
Herr Abgerordneter, bitte kommen Sie zum Ende.
Gerade die Erhöhungen für das THW in diesem Jahr haben gezeigt, daß man auch ohne eine Ausweitung des Haushalts gezielt Verbesserungen durchführen kann.
({0})
Das ist auch in Zukunft möglich. Ich erinnere an unseren Antrag zur Gesamtverteidigung -
Darf ich Sie bitten, zu Ende zu kommen, Herr Kollege Gerster. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident! Ich bin beim letzten Satz. Ich erinnere an unseren Antrag zur Gesamtverteidigung. Da ist eine Fülle von Möglichkeiten gegeben. Da die Regierung bisher nicht nur passiv ist, sondern auch weitere Rückgänge der Zivilverteidigung hinnimmt, lehnen wir diese Politik, die Politik dieses Innenministers und
Gerster ({0})
damit den Einzelplan 36 ab. - Ich bedanke mich besonders für die Nachsicht beim Herrn Präsidenten.
({1})
Als nächster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Nöbel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man Sie hört, Herr Kollege Gerster, hat man den Eindruck: die Mehrheit der Kollegen ist heute abend nicht hier, weil sie unterwegs sind, einen Bunker zu suchen.
({0})
Diese Horrorshow, die Sie hier - wie immer - abgezogen haben, bringt uns doch nicht weiter.
Erstens. Eines ist sicher: Die Opposition hat im. Haushaltsausschuß - Sie sind der Berichterstatter - nur ganz wenige Erhöhungsanträge gestellt.
Zweitens - darauf hat Kollege Walther hingewiesen - haben Sie keine Deckungsvorschläge gemacht.
({1})
Dann reden Sie hier vom Stellenwert des Einzelplans 36. Das Aus des Katastrophenschutzes ist 1965/66 durch das Haushaltsstrukturgesetz hervorgerufen worden. Das ist der dritte Punkt. Wir haben uns also gemeinsam etwas vorzuwerfen, wenn wir hier über zivile Verteidigung reden. Ich will kurz die Stationen aufzählen: 1968 wurde von der Großen Koalition ein erweitertes Gesetz über den Katastrophenschutz geschaffen; 1977 wurden wieder 552 Millionen DM in den Einzelplan eingesetzt. Aber 1977 war die Ländergesetzgebung auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes, die wir ja nicht verschweigen und vergessen dürfen, gleich null. Da ging es nun auch nicht weiter. Ich will Ihnen sagen: Gehen Sie einmal nach Mainz und gucken Sie einmal in das dortige Landeskrankenhausgesetz. Darin steht bis heute nichts über den Katastrophenfall. Jetzt werden Sie sagen: Da fehlt noch das Gesundheitssicherstellungsgesetz.
({2})
Da haben Sie recht. Aber lassen Sie uns doch sachlich miteinander umgehen.
({3})
- Herr Kollege Miltner, statt dessen steht dann in solchen Katastrophenschutzgesetzen in den Ländern bürokratisch folgendes - ich zitiere -:
Eine Katastrophe liegt nicht vor, wenn das Ereignis von der örtlichen Polizei- oder Ordnungsbehörde wirksam beseitigt werden kann.
Hier haben Bund und Länder gemeinsam noch vieles anzupacken und nachzuholen. Was wir 1978 und für die vier folgenden Jahre gemacht haben,
({4})
ist das Sonderprogramm, auf das Sie hingewiesen haben, in Höhe von 400 Millionen DM.
({5})
- 400 Millionen DM. - Wenn Sie jetzt auf den Haushalt 1980 zu sprechen kommen, dann kann ich Sie - Sie wissen das ganz genau - auf die Umschichtungen hinweisen, die bewirkt haben, daß hier eine Schwerpunktförderung forciert worden ist. Wenn unsere Kollegen im Haushaltsausschuß nach der großen Aufstockung des letzten Jahres ein Mehr von 15 Millionen DM für den erweiterten Katastrophenschutz durchsetzen konnten, für den Schutzraumbau plus 16,5 Millionen DM, für das Technische Hilfswerk plus 3 Millionen DM und die Anschaffung von zwei Hubschraubern im Rettungsdienst für das Jahr 1980 zu verzeichnen ist, so sind das Erfolge, die wir vorweisen können. Die brauchen wir hier nicht zerreden zu lassen.
({6})
Jetzt nenne ich ein Beispiel, das Technische Hilfswerk, wo Sie den Innenminister angegriffen haben. Dazu kann ich Ihnen sagen:- Zur Zeit liegen baureife Haushaltsunterlagen für 18 Objekte vor. Die hierfür erforderlichen Ausgaben sind zum Teil durch die bis 1979 veranschlagten Mittel bereits abgewickelt oder abgedeckt, so daß noch rund 13,7 Millionen DM für die Durchführung dieser Vorhaben in den Jahren ab 1980 erforderlich sind. Für das Jahr 1981 stehen der Regierung Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 15 Millionen DM, für das Jahr 1982 in Höhe von 6 Millionen DM zur Verfügung. Das heißt - ich will dies an dem Einzelbeispiel Technisches Hilfswerk klarmachen -: für das Jahr 1981 können Bauvorhaben in Höhe von weiteren rund 10 Millionen DM, für die überhaupt noch keine Haushaltsunterlage, also noch kein Antrag vorliegt, in die Planung aufgenommen werden.
({7})
Das sind in Anbetracht der zeitlichen Abfolge des Mittelabflusses, also der Baransätze, mindestens rund 20 neue Bauvorhaben. Daß hier und da noch einiges im argen liegt,. wissen wir, aber was hier an Fortschritten in den letzten beiden Jahren und auf die Zukunft bezogen von dieser Koalition gerade in diesem Einzelplan geleistet worden ist,
({8})
das können auch Sie nicht bestreiten.
({9})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich daran gewöhnt, Herr Kollege Riedl, Ihre Angriffe - ich erlebe sie jetzt schon etwa sieben oder acht Jahre in diesem Hause - mit Gelassenheit aufzunehmen, erst in bezug auf meine Amtsvorgänger und jetzt in bezug auf mich selbst.
({0})
- Oh, ich werde Ihnen den Beweis dafür liefern. - Sie haben mir ein Sündenregister vorgehalten, das mühelos zu widerlegen ist, Herr Kollege Riedl. Ich will nur vier Punkte herausgreifen.
({1})
Erstens. Sie sagen, es sei eine Kampagne betrieben worden gegen die legale und notwendige Registrierung von Grenzübertritten durch den Bundesgrenzschutz. Falsch! Die Wahrheit ist, daß wir im Rahmen der Amtshilfeprüfung genau klären, welche Amtshilfe die Grenze dem Nachrichtendienst zu gewähren hat. Das ist ein wichtiges, notwendiges Prüfungsthema. Sechs Professoren haben sich dazu geäußert und uns klargemacht, daß hier eine Änderung der sogenannten Grenzanweisung notwendig ist. Das ist keine Kampagne, sondern der Versuch, die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden in einen klaren rechtlichen Rahmen zu stellen.
({2})
Zweitens. Sie haben gesagt, ich hätte im März 1979 eine Diskussion über die Registrierung verdächtiger Bundesbürger mit Sperrvermerk im Personalausweis angezettelt. Das ist falsch, Herr Kollege Riedl. Alle Fraktionen dieses Hauses haben Zweifel bekommen, ob der Sperrvermerk im Personalausweis sich mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbaren läßt. Alle Fraktionen sind bei der Beratung des entsprechenden Gesetzes der Meinung gewesen, ihn abzuschaffen, und die Innenminister von SPD, CDU und FDP auch.
({3})
Drittens. Sie sagen, ich hätte den Bundesgrenzschutz wegen des Fotografierens von Pässen angegriffen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe zu Ostern dieses Jahres klipp und klar erklärt, daß das Fotografieren von Pässen unter diesen Konditionen, nämlich der Verhinderung personenbezogener Auswertung Rechtens ist, und ich habe mich klar und deutlich gegen den Bundesbeauftragten für den Datenschutz gewandt, der gesagt hat, dies sei rechtswidrig.
({4})
Der vierte Punkt. Sie haben gesagt, ich hätte eine Kampagne gegen die Karteien und Dateien des Bundeskriminalamts und gegen dessen Zusammenarbeit mit dem Bundesgrenzschutz geführt.
Auch das ist falsch. Ich habe diesem Parlament auf dessen Wunsch hin einen Dateienbericht vorgelegt, in dem Bemühen, bereichsspezifischen Datenschutz sicherzustellen, d. h. den Schutz personenbezogener Daten auch im Sicherheitsbereich durchzusetzen. Das ist die Wahrheit.
({5})
Einige Bemerkungen noch zu dem Fall Tandler. Ich möchte das so nennen, Herr Riedl, nachdem Sie ihn hier eingeführt haben.
({6})
- Offenbar trifft Sie das stark, Herr Kollege Riedl. Ich hätte dieses Thema hier nicht mehr eingeführt.
({7})
Ich halte nichts davon, meine Kollegen, daß wir ein Schwarze-Peter-Spiel hier aufführen.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hartmann?
Ja, selbstverständlich.
Herr Minister, ich weiß nicht, ob Sie Humanist sind. Aber würden Sie die Freundlichkeit haben, mir zu gestatten, daß ich den Satz auf Sie münze, mit dem Marcus Tullius Cicero vor dem römischen Senat seine berühmte erste Catilinarische Rede eröffnet hat:
Herr Kollege, sie müssen eine Frage stellen!
„Quousque tandem, Catilina, abutere patientia nostra?" Für Sie übersetzt: Wie lange wollen Sie, Herr Minister, uns und die deutsche Offentlichkeit noch damit langweilen, daß Sie andauernd auf Ihrem bayerischen Innenministerkollegen Tandler herumklopfen und herumhakken?
Herr Kollege, ich werde nie nachlassen und werde Ihre Geduld immer dann strapazieren, wenn es um Grundrechtsverletzungen geht. Das versichere ich Ihnen allerdings.
({0})
- Nun lassen Sie mich bitte mal ausreden, Herr Kollege Riedl. Ich möchte jetzt keine Zwischenfragen beantworten.
Der Herr Minister möchte keine Zwischenfragen mehr zulassen.
Zu diesem
Thema möchte ich erstmal sagen, was ich zu sagen
habe. Dann können Sie gerne fragen, Herr Riedl. ({0})
Wenn ich die Absicht gehabt hätte, das zu publizieren - ich habe es Ihnen schon im Innenausschuß, Herr Kollege Spranger, gesagt -, hätte ich viele Monate dafür Zeit gehabt.
({1})
Ich habe durch meine Behörden die Bayern gemahnt. Ich habe auch die Richtlinien, die in Bayern verabschiedet worden sind, angemahnt. Ich habe mich ganz korrekt verhalten.
({2})
Ich habe vor einigen Tagen gesagt, wir sollten diese Diskussion der gegenseitigen Schuldvorwürfe beenden. Nach dieser meiner Erklärung, Herr Riedl, hat Herr Tandler erneut einen Schuldvorwurf erhoben. Ich stelle mich jetzt vor meine Beamten,
({3})
Herr Kollege Riedl, und sage Ihnen im Interesse der Beamten in der Grenzschutzdirektion und in Zirndorf: Der Bund trägt keine Verantwortung, auch diese Beamten tragen keine Verantwortung;
({4})
denn sie haben nicht gewußt - das steht unbezweifelbar fest -, daß zwei Tschechen gegen ihren Willen in die Tschechoslowakei zurückgeschickt werden sollten.
({5})
Wir sollten die Diskussion jetzt versachlichen, meine Damen und Herren.
({6})
Meine Damen und Herren, können wir nicht den Versuch machen, im Zuge der Versachlichung der Diskussion wenigstens etwas ruhiger miteinander umzugehen?
({0})
Wir sollten jetzt versuchen
({0}) - diesen Appell habe ich schon an anderer Stelle an die Opposition gerichtet -,
({1})
gemeinsam zu überlegen, wie wir das Asylrecht in liberalem Geiste praktizieren, wie wir das Verfahren beschleunigen, ohne das Grundrecht auf Asyl zu verletzen.
Natürlich hat der Kollege Riedl recht, wenn er auf die große Zahl der Asylanten und auf die Lasten, die Gemeinden und Länder zu tragen haben, hinweist.
({2})
Die Zahl der Asylanten ist im letzten Jahr außerordentlich in die Höhe gegangen. Dieser Anstieg ist in diesem Jahr nicht zu verzeichnen, aber er pendelt sich auf dem Niveau des Vorjahres ein, wenn man die vietnamesischen Flüchtlinge abzieht, die in den Zahlen vorhanden sind.
Es ist keinesfalls so, daß alle Asylfälle sehr klar zu beurteilen sind. Nur 25 % werden von den Gerichten als offensichtlich unbegründet betrachtet. Die anderen gehen alle in dieses von uns vorgesehene Verfahren.
Ich möchte zu den bayerischen Versuchen, das Asylrecht zu ändern, hier klar erklären: Ich halte an dem Verfassungsartikel 16 fest. Dies ist ein Grundrecht, das die Verfassungsväter wegen der bitteren Erfahrungen der Nazizeit aufgenommen haben. Ich möchte an diesem Verfassungsartikel festhalten, auch wenn er uns Lasten bringt, und ich werde mich gegen jeden Versuch wehren, dieses Asylrecht gesetzlich auszuhöhlen oder aufzuweichen.
({3})
Die Entscheidungen dürfen nicht an die Grenze verlagert werden, sondern diese Entscheidungen gehören in das ordentliche Asylverfahren, wie wir es gesetzlich vorgesehen haben, und sie gehören in die Zone des Art. 19, d. h., sie müssen gerichtlich nachprüfbar sein.
({4}) So sieht es unsere Verfassung.
Das Thema innere Sicherheit, meine Damen und Herren, bleibt intensiv in der innenpolitischen Diskussion. Dies haben nicht zuletzt die Debatten im Plenum wie die Beratungen im Innenausschuß gezeigt. Jenseits aller Meinungsverschiedenheiten und politischen Auseinandersetzungen möchte ich in einer grundsätzlichen Bemerkung hervorheben: unser freiheitlicher Rechtsstaat hat sich bisher allen Angriffen gegenüber als stabil und abwehrfähig erwiesen,
({5})
und ich bin sicher, er wird es auch in Zukunft sein.
({6})
Dieses demokratische Selbstbewußtsein, das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat sind die
eigentlichen Grundlagen unserer freiheitlichen
Ordnung, nicht die Gesetze, sondern das Vertrauen der Bürger in diese freiheitliche Gesellschaft.
({7})
Weimar hatte viele gute Gesetze, aber Weimar ist dennoch zugrunde gegangen, weil dieses Vertrauen nicht vorhanden war.
({8})
Liberale Innenpolitik hat den Nachweis erbracht, daß sich Sicherheit und Freiheit nicht gegenseitig ausschließen. Sicherheit in Freiheit ist möglich, aber ohne Freiheit gibt es keine Sicherheit. Den Bedrohungen der Freiheit mit rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen, meine Damen und Herren, das ist die beste Verteidigung der Freiheit.
Die Lage der inneren Sicherheit bietet bei nüchterner Betrachtung keinerlei Anlaß für eine Dramatisierung, auch wenn manche Bedrohungen andauern. Aus der vom Bundeskriminalamt erstellten Kriminalstatistik für das Jahr 1978 ergibt sich sogar, daß der Anstieg der Gesamtkriminalität erheblich gebremst werden konnte. 1978 registrierten wir mit 2,8 % die geringste Steigerungsrate der letzten fünf Jahre. Die Abschwächungstendenz hat sich auch 1979 fortgesetzt. Dies gilt für allem für so wesentliche Kriminalitätsbereiche wie z. B. die Straftaten gegen das Leben.
Der Überfall auf die Volksbank in Zürich unterstreicht die nach wie vor bestehende Gefährlichkeit terroristischer Gewalttäter.
({9})
- Es haben sich auch die Befürchtungen bestätigt, Herr Kollege, daß die in Jugoslawien freigelassenen Personen erneut Gewalttaten verüben werden. Wir müssen jetzt fest davon ausgehen, daß sie nach Europa zurückgekehrt sind.
({10})
Die Lage in Zürich ist ein Indiz dafür, daß auch weiterhin Gewalttaten geplant und vorbereitet werden. Den Schweizer Behörden, an der Spitze Bundesrat Furgler, möchte ich auch von dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit ausdrücklich danken.
({11})
Ohne eine europäische, internationale Zusammenarbeit, wie wir sie in verschiedenen Formen praktizieren, ist die Bekämpfung dieser Kriminalität überhaupt nicht möglich.
Es gibt keine Anzeichen dafür, daß der harte Kern der Terroristen bereit ist, aufzugeben. Es besteht daher kein Anlaß, die Situation zu verharmlosen. Aber der Fahndungsdruck konnte . durch systematische und beharrliche Tätigkeit der Polizei von Bund und Ländern verstärkt werden. Ich möchte der Polizei, an der Spitze dem Präsidenten des BKA, von dieser Stelle aus danken,
({12})
ebenso wie Präsident Meier und den Verfassungsschutzbehörden unser Dank gebührt, die bedeutende Erfolge auf dem Gebiet der Spionagebekämpfung in diesem Jahr zu verzeichnen haben. Es gab insgesamt eine Reihe wichtiger Fahndungserfolge. Darüber hinaus wurden die Vorbereitungen für weitere Verbrechen und die Logistik erheblich gestört. Die Entdeckung einer Reihe von konspirativen Wohnungen belegt dies.
Die Situation derer, die im Terrorismus verstrickt waren, ohne zum harten Kern zu gehören, gibt uns Anlaß zu der Hoffnung, daß die Signale, die wir gegeben haben, dort aufmerksam beobachtet werden. Die Selbstgestellungen von Peter Görlich und Susanne Herlinghausen, die Rückkehr von Astrid Proll und Christina Berster vermindern sicher nicht die Gefahren, die von den noch aktiven Terroristen ausgehen. Aber sie können eine Signalwirkung für die jungen Menschen haben, die am Rande terroristischer
Verstrickung leben, den Rückweg anzustreben.
({13})
Sie können ein Zeichen für die sein, die möglicherweise auf dem Sprungbrett stehen, in den Untergrund zu gehen.
Lassen Sie mich ein Wort zu einem anderen Kriminalitätsbereich sagen, zur Rauschgiftkriminalität. Das Anwachsen der Todesfälle durch Rauschgiftmißbrauch ist alarmierend. Bis zum 27. November waren es 542 Todesfälle gegenüber 430 im ganzen Jahr 1978. Die festgestellten Rauschgiftdelikte im Jahre 1978 stiegen um 9,7%, die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen um 11,4%.
Ich meine, die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität muß den gleichen Stellenwert haben wie die Bekämpfung des Terrorismus. Die wirksame Bekämpfung des Drogenangebots ist aber nur in internationaler Zusammenarbeit mit den HerkunftsTransit- und den gleichermaßen vom Rauschgiftmißbrauch betroffenen Staaten wie den USA möglich. Die Zusammenarbeit mit diesen Ländern konnte verbessert werden.
({14})
- Ja, ich weiß, und 'ich habe das abgelehnt, Herr Kollege Jäger.
({15})
Wenn wir nicht gemeinsam unsere Anstrengungen verstärken, wird auf die Dauer kein Staat dieser Seuche entgehen. Von diesem Bewußtsein gingen auch die Innenminister der Europäischen Gemeinschaft auf ihrer letzten Sitzung aus.
Neben der Verstärkung der Kontrollen an den Grenzen durch Zoll- und Grenzschutzeinzeldienst ist es Aufgabe des Bundeskriminalamts, den international organisierten Handel zu treffen. Zentrale Aufgabe der Länderpolizeien ist die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität im Inland. Einen Beitrag zur Bekämpfung dieses Übels wird der vom Bundeskabinett im Oktober verabschiedete Regierungsentwurf zur Neuordnung des BetäubungsmitBundesminister Baum
telrechts leisten; denn mit dem neuen Gesetzentwurf wird die Doppelstrategie - verschärfte Maßnahmen gegenüber dem organisierten Verbrechen, Milderung und Straflosigkeit gegenüber dem Konsumenten - weiter ausgebaut. Ich sage ganz klar und deutlich: Für mich wäre ein Drogengesetz, das nur Strafverschärfung vorsieht, nicht akzeptabel. Strafe, die Therapie verhindert, ist schädlich.
({16})
Wir müssen das Strafrecht nutzen, um die Therapie zu stärken. Therapie statt Strafe muß die Forderung lauten.
({17})
Wir müssen dafür sorgen, daß von Bestrafung abgesehen werden kann, wenn eine therapeutische Behandlung vorgenommen wird. Ich sage ganz hart: Wir wollen mit einer solchen Vorschrift und entsprechenden Anordnungen der Richter Druck auf die Länder und Gemeinden ausüben, endlich mehr Therapieplätze zu schaffen.
({18})
Die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität darf nicht der Polizei und der Justiz allein überlassen werden. Die Erfolge der Polizei halten sich wegen der großen Schwierigkeiten bei der Bekämpfung ohnehin in Grenzen. Die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Wir sollten uns nicht abwenden, wenn sich Menschen selbst zerstören. Wir sollten den Ursachen nachgehen.
({19})
Ich möchte noch ein Wort zum Ausbauprogramm innere Sicherheit sagen. Das war bei den Haushaltsberatungen ein besonderes Thema. Ich möchte dazu bemerken, daß gewisse Streckungen im zeitlichen Ablauf auch von mir hingenommen werden können. Allerdings muß grundsätzlich klar sein, daß es sich hierbei nicht um echte Kürzungen handelt. Die weiteren Planungen der Behörden dürfen nicht von Unsicherheitsfaktoren belastet werden. Es muß vor allem sichergestellt werden, daß der Bundesrechnungshof seine Prüfung im BKA so schnell durchführt, daß die Ergebnisse für den Haushalt 1981 verwertet werden können.
Was die Schutz- und Begleitdienste angeht, Herr Kollege Walther, so sind wir dabei, eine Modifizierung vorzunehmen, die auch vom Haushaltsausschuß, dem wir sie schon vorgetragen haben, begrüßt worden ist. Sie sollen nach kriminalfachlicher Beurteilung den bisherigen Sicherheitsstandard mindestens halten bei, wie ich hoffe, gleichzeitiger erheblicher Verringerung des Kostenaufwands.
({20})
Noch einige Worte zum Datenschutz, der mir in den nächsten Monaten in der Arbeit der Gesetzgebung sehr wichtig zu sein scheint. Das Bundesdatenschutzgesetz war ein Beginn. Immerhin haben wir mit mehr an Datenschutz verwirklicht, mehr an praktischen Dingen zur Verbesserung des Datenschutzes machen können, als manche Kritiker wahr haben wollen.
({21})
Hierin stimme ich dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu, der dieses so gescholtene Gesetz, Herr Kollege Schäfer, an dessen Zustandekommen Sie wesentlichen Anteil hatten, in Schutz genommen hat. Es hat uns wirklich den Einstieg in den Datenschutz in diesem Lande ermöglicht.
Ich begrüße, daß alle drei Fraktionen ihre Absicht bekundet haben, Verbesserungen am Bundesdatenschutzgesetz vorzunehmen und den Datenschutz weiterzuentwickeln. Die Fortentwicklung des Datenschutzes ist bereits in vollem Gange. Wir entwikkeln im Bereich der Verwaltung allgemeine Kriterien für die Erhebung, Speicherung, Übermittlung und Löschung von personenbezogenen Daten und Dateien im Sicherheitsbereich. Wir haben jetzt Löschungsfristen für die im Sicherheitsbereich gespeicherten Daten festgesetzt, auch im Verfassungsschutz. Nicht etwa im Alleingang, meine Damen und Herren von der Opposition, sondern im Einvernehmen von Bund und Ländern. Alle Länder waren beteiligt. Die Speicherungsvoraussetzungen werden verschärft. Das Ziel heißt nach wie vor: effektive Sicherheit in klaren rechtlichen Grenzen.
Diesem Ziel dient auch die Reform der Amtshilfe zwischen Nachrichtendiensten und Polizei. Ich habe das eben schon erwähnt. Die Amtshilfediskussion ist zum großen Teil eine Diskussion über die Grenzen der Informationshilfe und damit Datenschutzdiskussion. Extensive Amtshilfe kann alle Datenschutzregelungen einfach überspielen.
Die Beamten im Sicherheitsbereich, wo immer sie tätig sind, haben einen Anspruch darauf, daß ihnen ein klarer rechtlicher Rahmen vorgegeben wird. Hierzu werden wir im Frühjahr Vorschläge vorlegen, sobald die Auswertung der eingeholten Gutachten über die Amtshilfegrenzen zwischen Bundesgrenzschutz und den Nachrichtendiensten abgeschlossen ist.
Die rechtliche Präzisierung der Amtshilfegrenzen und die Amtshilfediskussion, meine Damen und Herren, werden dazu beitragen, daß der Konsens über diesen sensiblen Bereich verbreitert wird. Man wird in Zukunft weniger darüber streiten können, ob in einem bestimmten Fall - und solche Fälle werden immer wieder hochgespielt - die Amtshilfegrenzen beachtet worden sind oder nicht.
Damit wird aber auch das Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden gestärkt. Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Es ist das Ziel meiner Tätigkeit, nicht das Vertrauen abzubauen, sondern das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zu stärken, indem wir kritische Fragen aus der öffentlichen Meinung aufnehmen und zu einer Klärung bringen.
({22})
Das heißt, meine Damen und Herren: Ich wende
mich entschieden gegen das Gerede, wir würden die
Sicherheitsbehörden verunsichern. Dies ist nicht der Fall. Ich habe mich in allen Fällen, in denen die Sicherheitsbehörden zu Unrecht angegriffen oder verunglimpft worden sind, vor diese Behörden gestellt, und ich werde das auch in Zukunft tun.
({23})
- Nur bin ich der Meinung, Herr Kollege: In einem Rechtsstaat muß auch Kritik ertragen werden können, auch von Beamten muß Kritik ertragen werden können, auch von Beamten der Sicherheitsbehörden.
({24})
Ich stimme hier dem Bundeskanzler, der das im Bundesamt für Verfassungsschutz gesagt hat, ausdrücklich zu.
Gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz sind Maßnahmen zur Aufhebung des unmittelbaren Zugangs zum Informationssystem des jeweiligen anderen Amtes eingeleitet worden.
({25})
Der Entwurf des Melderechtsrahmengesetzes zeigt, daß eine Verbesserung des bisher landesrechtlich zersplitterten Melderechts bei gleichzeitiger Beachtung der Erfordernisse des Datenschutzes durchaus erreichbar ist. Wir werden in Kürze die Beratungen über dieses Gesetz führen.
Noch einige Bemerkungen zur zivilen Verteidigung, Herr Kollege Gerster: Jeder von uns weiß, daß der Zivilschutz ohne Bereitstellung erheblicher Haushaltsmittel nicht wirksam ausgebaut werden kann. Ich muß hier erneut betonen, daß es keinen Zweck hat, finanzielle Forderungen zu erheben, die nicht realisierbar sind.
({26})
- Herr Kollege Gerster, ich muß Ihnen sagen: Unerfüllbare Forderungen, die die Kräfte des Haushalts, den auch Sie nach der Ankündigung von Herrn Strauß in der gestrigen Pressekonferenz konsolidieren möchten, übersteigen, sind keine Politik.
({27})
Sie können hier nicht ein düsteres Gemälde aufzeigen, ohne gleichzeitig realisierbare - ich betone: realisierbare - Deckungsvorschläge zu machen.
({28})
Herr Kollege Gerster, der Herr Bundesminister will keine Fragen mehr beantworten.
({0})
Nein. Ich lasse Ihre Frage zu, Herr Kollege.
Bitte sehr. Ich dachte, Sie hätten vorhin gesagt, Sie wollten keine Fragen mehr beantworten.
Nur in diesem anderen Komplex.
Ich bedanke mich und nehme diesen einen Zwischenruf zurück.
Herr Minister, ist Ihnen tatsächlich entgangen, daß die Erhöhungsanträge, die wir gestellt haben, etwa mit der Annahme unserer Kürzungsanträge im Zusammenhang mit dem Bundespresse- und Informationsamt, die wir am gleichen Nachmittag gestellt haben, zu decken gewesen wären?
({0})
Herr Kollege Gerster, Sie konnten nicht im Ernst annehmen, daß diese Anträge, die in das Konzept, das wir vorgelegt haben, überhaupt nicht passen, angenommen würden. Die Linie, die wir aufgezeigt haben, geht in eine ganz andere Richtung. Ich glaube also nicht, daß Sie ernsthaft angenommen haben, daß diese Anträge angenommen würden.
({0})
Ich möchte - im Gegenteil - ganz klar ablehnen, nicht erfüllbare Erwartungen bei den vielen freiwilligen Helfern zu wecken, die bei ihnen nur zu schweren Enttäuschungen führen müssen. Wie die Lage in den einzelnen Bereichen des Zivilschutzes ist, habe ich ohne jede Beschönigung ganz detailliert in einem Bericht niedergelegt, Herr Gerster, den ich dem Parlament vorgelegt habe. Diesem Bericht können Sie aber auch die Verbesserungen entnehmen, auf die der Kollege Nöbel schon eingegangen ist, die wir in die Wege geleitet haben.
Dies setzt voraus, daß sowohl das Potential des Katastrophenschutzes als auch die finanziellen Belastungen, die damit verbunden sind, voll transparent gemacht werden. Jetzt muß ganz deutlich werden, wieviel Einheiten mit wieviel Helfern und mit welcher Ausstattung vorgehalten werden und welche finanziellen Mittel dazu zur Verfügung stehen.
Diese umfangreichen Arbeiten sind in meinem Hause so weit gediehen, Herr Kollege Gerster, daß jetzt mit dem Bundesfinanzminister darüber gesprochen werden kann. Zum erstenmal haben wir eine Gesamtkostenberechnung für den vom Bund zu finanzierenden Verstärkungsteil des erweiterten Katastrophenschutzes bis zum Jahre 1987 vorgelegt. Daraus ergibt sich, daß die Konsolidierung des derzeitigen Bestandes finanziell in einem überschaubaren Zeitraum möglich ist.
Ich möchte noch zwei kurze Bemerkungen machen.
Die zur Bearbeitung der BAföG-Darlehen im Bundesverwaltungsamt von der Bundesregierung beantragten Stellen wurden leider nicht bewilligt. Ich bedaure diese Entscheidung. Das Gesetz legt uns die Verpflichtung zur Einziehung der Darlehen auf.
Wir werden jetzt prüfen, welche Folgen dies im einzelnen für die Erledigung des gesetzlichen Auftrags hat.
Ein weiteres Wort zur Nationalstiftung, Herr Kollege Walther. Ich begrüße, daß im Haushaltsplan sowohl das ursprüngliche Ziel noch sichtbar ist, daß aber darüber hinaus der tatsächlichen Situation Rechnung getragen wird. Ich werde den Entspannungsantrag weiter verfolgen. Eine sinnvolle Lösung liegt sicher in der Verwaltungsvereinbarung, wie sie der Bundeskanzler den Ministerpräsidenten vorgeschlagen hat. Die Länder sind jetzt am Zuge; die Länder müssen sich erklären.
Mit dem Antrag, meine Damen und Herren von der Opposition, den Sie vorgelegt haben, erweisen Sie Berlin keinen Dienst.
({1})
Die Bundesregierung braucht sich nicht vorwerfen zu lassen und läßt sich nichts vorwerfen, daß sie Berlin vernachlässigt, vor allem auch auf dem kulturellen Gebiet. Wir werden deshalb Ihren Antrag ablehnen.
({2})
Ich möchte mich abschließend bei allen bedanken, die sich um diesen schwierigen Haushalt des Bundesinnenministeriums Mühe gemacht haben. Ich bedanke mich vor allen Dingen bei den Berichterstattern, aber auch bei den Fraktionen, die mir heute ihr Vertrauen ausgesprochen haben.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Riedl und Gerster haben vorhin zutreffend die schwerwiegenden Fehlentscheidungen, die Bundesinnenminister Baum zu verantworten hat, dargelegt. Der Herr Bundesinnenminister hat mit einer Reihe von Verdrehungen und Unterstellungen darauf geantwortet, die eine kurze Erwiderung erforderlich machen.
({0})
Diese Verdrehungen und Unterstellungen sind kennzeichnend und typisch für die Enthüllungspolitik, mit der dieser Minister zielstrebig die Funktionsfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden zunehmend beeinträchtigt hat.
({1})
Herr Bundesminister, nächste Woche findet eine Konferenz der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland statt. Hier sollen für schwerwiegende politische Entscheidungen Gemeinsamkeiten gefunden werden. Ich meine, Reden, wie Sie sie heute gehalten haben, fördern solche Gemeinsamkeiten nicht, sondern schädigen sie.
({2})
Bei einer solchen, seit Monaten betriebenen Politik,
vor allem gegen CDU- und CSU-Kollegen in den unterschiedlichen Ländern, brauchen Sie sich nicht zu
wundern, wenn die Innenminister der Länder die Zusammenarbeit mit Ihnen zunehmend aufkündigen.
Ich erinnere hier nur an die Interviews von Herrn Fröhlich, des Innensenators in Bremen und des FDP- Ministers in Hessen, Herrn Gries, die sich angesichts der Auseinandersetzungen im Mai dieses Jahres über die Veröffentlichungen der Dateien und Ihre Angriffe in entsprechenden Zeitungsinterviews gegen diese Dateien beim Bundeskriminalamt von Ihnen distanziert haben. Die entsprechenden Interviews haben wir Ihnen ja im Ausschuß vorgehalten.
({3})
Ich möchte nun zu dem kommen, was Sie als „Fall Tandler" bezeichnet haben. Ich halte diese Bezeichnung für eine Ungeheuerlichkeit.
({4})
Ich halte es für eine unerträgliche Heuchelei, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: wir wollen nicht den Schwarzen Peter hin und her schieben, wo Sie vorher versucht haben, dem Herrn Tandler die Schuld zuzuschieben, obwohl Sie an dieser Sache im gleichen Maße beteiligt waren.
({5})
Ich will Ihnen nicht noch einmal im einzelnen das darlegen, was Herr Riedl schon gesagt hat. Er hat das Fazit gezogen. Wir von der CSU haben die im Bereich der bayerischen Behörden begangenen Fehler eingeräumt - nicht nur wir hier, sondern vorher auch der Ministerpräsident und der Innenminister. Was wir bis heute vermissen, ist das Zugeständnis, daß auch Sie von dieser Affäre rechtzeitig wußten, daß vor allem Ihr Staatssekretär seit Dezember 1978 über die Abschiebung in die CSSR und über den Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars informiert war
({6})
und bis zum 30. Juli 1979 gebraucht hat, bevor ein Brief vom BMI nach München gegangen ist. Das ist doch ein Skandal sondergleichen!
({7})
Das zeigt, Herr Konrad, daß es angemessen wäre, wenn diese Herren endlich zu diesen zwei Fakten Stellung nähmen und sagten: Jawohl, auch in unserem Bereich sind Fehler passiert.
({8})
Und dann sage ich Ihnen noch eines. Wer ist denn eigentlich für den Zustand des Asylrechts, der ganz offensichtlich die Beamten überfordert, verantwortlich?
({9})
Das sind doch die, die jahrelang die notwendige Verbesserung und Beschleunigung auf dem Gebiet des Asylrechts verhindert haben.
({10})
Erst als wir letztes Jahr dann auf Grund der katastrophalen Entwicklung unseren Gesetzentwurf eingebracht haben, haben Sie sich auf diesen laufenden Zug aufgeschwungen und haben das Gesetz, soweit dies möglich war, noch kastriert mit der Konsequenz, daß wir im Grunde unsere Befürchtungen nun bestätigt sehen, daß das ungenügende Verbesserungen waren. Doch Sie handeln bis heute nicht.
Und dann noch eines: Als wir hier im Deutschen Bundestag Ihre Mitverantwortung auf Grund der erwähnten Schreiben und der Information der zuständigen Bundesbehörden aufgedeckt hatten, war ein erstaunliches Phänomen feststellbar. Binnen 48 Stunden war diese Affäre aus den - vor allem linken - Massenmedien verschwunden. Man hat die Kampagne eingestellt, weil man gemerkt hat: hier hat man selber Dreck am Stecken. Das bestätigt die Behauptung des Kollegen Riedl, daß hier eben zielstrebig eine Enthüllungskampagne inszeniert wurde, die leider in die Hose ging, weil Sie an der Angelegenheit beteiligt waren. Sie haben hier auf dem Podium gestanden, und das schlechte Gewissen war Ihnen anzumerken.
({11})
Sie haben hier Ihre .Methoden deutlich gemacht, Methoden, die ich als mies und schäbig empfinde. Ich meine, es wäre angebracht, daß Sie sich, wenn wir die Behauptung nicht umdrehen und vom „Fall Baum" sprechen müssen, von diesem Podium aus noch gegenüber Herrn Tandler entschuldigen. Das wäre eine angemessene Reaktion nach Ihrer Aussage.
({12})
Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen, die sehr wichtig sind.
Sie behaupten, Sie hätten die Kampagne gegen den BGS weder gefördert noch irgendwie mitinszeniert. Ich kann Ihnen nur empfehlen, Ihre Interviews im „Stern" nachzulesen, wo Sie sich hingestellt und gesagt haben: „Da sind rechtswidrige Praktiken", und wörtlich: „Ich werde das stoppen." Sie waren doch derjenige, der dem „Stern" das Material geliefert hat, damit dieser mit solchen Gerüchten durchs Land zieht. Und Sie stellen sich noch als der große Freiheitskämpfer hin und sagen: „Ich werde das stoppen!"
({13})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Spranger?
Herr Kollege Spranger, sind Sie mit mir der Meinung, daß Bundesinnenminister Baum in allen vier Fällen, in denen er sich hier zu entschuldigen versuchte, über das tatsächliche Geschehen - daß er selbst nämlich die Presse über die einzelnen Kampagnen auf dem Weg über sein Haus informiert hat - hier falsche Aussagen gemacht hat?
({0})
Nach den bisherigen Feststellungen muß man auf jeden Fall davon ausgehen.
Und die zweite Anmerkung: Sie haben behauptet, Sie hätten über die Entwicklung im Dateienbereich damals im Mai schützend Ihre Hand gehalten und bestritten, daß beim BKA rechtswidrige Praktiken stattgefunden haben. Nicht nur Ihre Interviews, sondern auch die Diskussion im Innenausschuß haben ja klipp und klar ergeben, daß Herr Herold nahe daran war, wegen der von Ihnen inszenierten Dinge den Hut zu nehmen und den Laden hinzuschmeißen. Es bedurfte ja Ihres massiven Einsatzes, damit dieser Eklat ausblieb. Wir haben doch die Diskussion im Innenausschuß erlebt, wo sich Herr Bull und Herr Herold in die Haare bekamen und Sie angesichts Ihrer vorangegangenen Verhaltensweisen nicht mehr den Mumm hatten, zwischen beiden Position zu beziehen. Wir haben heute noch die Wahl: Hat jetzt Herr Bull mit seinen Behauptungen recht, oder hat Herr Herrold recht, der gesagt hat, alles sei Rechtens. Sie haben hier bis heute nicht Stellung bezogen, einfach weil Sie diese Enthüllungskampagnen inszeniert haben. Ich muß sagen, angesichts dessen habe ich die Heuchelei, mit der Sie hier mit Leerformeln gearbeitet haben, als unerträglich empfunden. Sie haben unsere Behauptungen, daß Ihre Politik ein Sicherheitsrisiko für unser Land darstelle, erneut bestätigt.
({0})
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Dr. Wernitz das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu später Stunde eine solche Rede hören zu müssen, tut weh.
({0})
Herr Spranger, Sie haben hier Vokabeln gebraucht, die im Grunde genommen das Vokabular des „Bayernkurier" sind, die aber nicht in diesem Saale gebraucht werden sollten.
({1})
Ich bedauere dies. Man kann die Probleme, all die ernsten Fragen, um die es hier ohne Zweifel geht, nicht in diesem Stil miteinander diskutieren.
({2})
Herr Spranger, lassen Sie mich dies auch in aller Klarheit sagen: Die Verbalinjurien und die tendenDr. Wernitz
ziellen Beleidigungen gegen den Bundesinnenminister weisen wir entschieden zurück.
({3})
- Ich komme jetzt sofort zum Fall Tandler.
Meine Damen und Herren, in einem zeigte sich heute insofern ein Fortschritt, als im Gegensatz zu Erklärungen der Vertreter der bayerischen Staatsregierung hier immerhin von Herrn Spranger gesagt wurde, es gehe darum, daß man auch in Bonn darüber nachdenke, was in Zukunft getan werden müsse, und man müsse hier über eine gewisse Mitverantwortung diskutieren. Ich empfinde das deshalb als Fortschritt, weil das in den Anfängen von bayerischer Seite, von CSU-Seite anders dargestellt, anders in die Debatte gebracht wurde.
({4})
Ich empfehle jedem, sich die Erklärung der bayerischen Staatskanzlei anzusehen, worin sehr starke Worte gegen Bonn, gegen den Bundesinnenminister, gegen die Bundesregierung gebraucht wurden,
({5})
und zwar in einem Ton, der Sie, Herr Spranger, und Ihre Freunde eigentlich dann ins Unrecht setzt, wenn Sie an dieses Pult treten und von anderen verlangen, man solle im Interesse der Gemeinsamkeit nicht so reden, wie das heute angeblich von Herrn Baum und von anderen geschehen sei. So geht es nicht, so kann man das nicht machen.
Ich frage mich bis zum heutigen Tage, warum der Herr Tandler, warum die bayerische Staatsregierung nicht den Mut hat, die politische Verantwortung für die Abschiebung der beiden CSSR-Asylbewerber zu übernehmen.
({6})
Ich bestreite überhaupt nicht - das sollten wir zu später Stunde ernsthaft miteinander bedenken -, daß wir uns Gedanken machen müssen, was auf dem Gebiete des Asylrechts vielleicht noch im einzelnen an Regelungen erfolgen kann und erfolgen muß. Das betrifft nicht den Kern des Asylrechts. Ich will das nachher noch einmal deutlich sagen. Es ist ohne Zweifel richtig, daß man sich auch in der IMK darüber wird unterhalten müssen.
Aber, meine Damen und Herren, eines sollte und müßte bei uns in allen Fraktionen unstrittig sein: daß wir vor der jüngsten Geschichte eine hohe Verantwortung haben, den Kern des Asylrechts in diesem Staat unangetastet zu lassen, und daß Sie mit Ihrem Gesetzentwurf insofern einen gefährlichen Weg beschreiten, als Sie, wenn Sie tendenziell die Entscheidungen an die Grenze verlagern, nicht nur dem kleinen Beamten dort eine unerträgliche Last aufbürden, sondern damit auch an die Grenze dessen kommen, was verfassungsrechtlich noch vertretbar ist, oder über diese Grenze hinausgehen. Das ist das Problem!
({7}) Dieser Frage müssen Sie sich stellen, und deshalb kann ich Ihnen nur empfehlen, diesen Ihren Gesetzentwurf, jedenfalls was diesen Part in ihm angeht, schleunigst zurückzuziehen,
({8})
weil dies in rechtsstaatlicher und verfassungsrechtlicher Hinsicht eine ungute Regelung ist.
Meine Damen und Herren, Sie haben sehr empfindlich reagiert, als hier vom „Fall Tandler" gesprochen worden ist.
({9})
Ich unterstreiche noch einmal, daß wir nur dann weiterkommen, wenn von den bayerischen Behörden nicht der untaugliche Versuch gemacht wird, hier mit fragwürdigen Methoden eine Mitverantwortung der Bundesregierung zu konstruieren. Das geht nicht!
({10})
Das hat die Sitzung des Innenausschusses auch ergeben.
Ich möchte hier eine Frage anschließen, nämlich die Frage - und die habe ich vom Ausschuß her auch in einem Brief an den Bundesinnenminister gerichtet -: Sind die Sonderregelungen, die in Bayern praktiziert werden, die von Ihrem Hause aus frühzeitig moniert worden sind, die in einigen Punkten also von Ihnen kritisiert worden sind, inzwischen auf das Niveau der Vereinbarung der Innenminister gebracht worden,
({11})
und haben Sie eine Reaktion von seiten des bayerischen Staatsministeriums des Innern? Nach meinem bisherigen Wissensstand ist dies nicht der Fall, aber das muß geklärt werden, weil es unerträglich ist, wenn in einem Bundesland Regelungen praktiziert werden, die von der Norm in den anderen Bundesländern abweichen. Dies können wir seitens des Bundes nicht hinnehmen.
({12})
Von daher kann man, wenn man alles zusammennimmt, eben nicht von einem „Fall Baum" sprechen.
({13}) Dies ist geradezu absurd.
({14})
Es geht natürlich auch darum, daß wir ein sorgsames Auge darauf haben - dazu sind wir vom Bund her verpflichtet -, daß die rechtsstaatliche Praxis auf diesem Gebiet bundesweit eingehalten wird. Das
15438 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode
ist ganz klar, dazu bekennen wir uns unzweideutig und mit allem Nachdruck.
({15})
Aber man sollte, wenn man sich mit dem sogenannten Scheinasylantentum beschäftigt, eines auch sehen: daß wir erst vor wenigen Jahren das Asylverfahren geändert haben
({16})
und daß wir das Bemühen, hier durch Dezentralisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu einer Beschleunigung zu kommen, hinausschieben mußten, weil alle Länder der Meinung waren, hier brauche man noch mehr Zeit. Es gehört auch zur Redlichkeit der Diskussion miteinander, Herr Spranger, daß man das jetzt nicht unter den Tisch fallen läßt.
Meine Damen und Herren, mir kam es hier darauf an, noch einmal klarzumachen, wo die politische Verantwortung liegt. Sie liegt im Land Bayern, sie liegt im Freistaat Bayern,
({17})
bei der Staatsregierung, bei Herrn Tandler. Dabei bleibt es.
({18})
Dem muß man sich stellen. Von diesem Wege führt kein Schritt ab, und das werden Sie eben noch lernen müssen, wenn nicht heute, dann morgen.
({19})
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Wendig das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß wir - noch dazu zu dieser späten Stunde - über diese Gegenstände in der Form, wie sie von der Opposition gewählt worden ist, diskutieren müssen. Ich möchte ganz ausdrücklich sagen, im Grunde genommen wiederholen wir zu einem Teil eine Diskussion, die ich schon im Juni dieses Jahres für abgeschlossen hielt, als es nämlich um den Mißtrauensantrag - ich nenne ihn so - der CDU/CSU gegen den Bundesinnenminister ging.
Der Herr Kollege Riedl hat vorhin von dem „Doppelspiel" des Innenministers gesprochen. Ich glaube, es sollte allen klar sein, daß dieser Bundesinnenminister wie jeder Bundesinnenminister eine Doppelfunktion hat, nämlich einmal als Hüter der Verfassung und der Freiheit des Bürgers tätig zu werden und auf der anderen Seite die innere Sicherheit unseres Landes sicherzustellen und beides zur Dekkung zu bringen.
({0})
Dies ist oft und insbesondere dann ein sehr schwieriger Prozeß, wenn sich durch moderne Technologien - nehmen wir den Datenschutz, nehmen wir die Probleme der Amtshilfe, die hier alle auf dem Tisch gelegen haben - neue Fragen stellen, die beantwortet werden müssen. Dieser Bundesinnenminister hat es übernommen, diese Fragen neu zu stellen und zu beantworten.
({1})
Wir sind noch nicht am Ende; auch diese Maßnahmen sind noch nicht zu Ende durchgeführt.
({2})
Wir alle sollten davon überzeugt sein - jedenfalls ist meine Fraktion dieser Überzeugung -, daß der Bundesinnenminister in seiner bisherigen Arbeit die Aufgabe, diese beiden Teile seiner Funktion soweit wie möglich zur Deckung zu bringen, in einem sehr hohen Maße erfüllt hat. Dafür danken wir ihm.
({3})
Nun komme ich zu einem anderen Punkt. Sie reagieren schon sehr sensibel, wenn man „Fall Tandler" sagt.
({4})
Ich will es etwas anders sagen, falls Sie das im Augenblick beruhigt: der Fall der Verletzung des Asylrechts und der Verfassung im Lande Bayern.
({5})
Das ist es nämlich auch. Wer hat denn dieses Problem hier in die Debatte eingeführt? Das war doch nicht der Bundesminister des Innern, sondern das war Herr Riedl, und das geschah in einer Art und Weise, die dem Gegenstand im Grunde genommen nicht angemessen war.
Wir haben das im Innenausschuß besprochen, und ich kann hier nur drei Positionen noch einmal in Ihre Erinnerung zurückrufen - das gilt vor allem für die Kollegen, die dabei waren -, die wohl nicht bestritten werden können.
Erstens. Die bayerische Landesregierung hat zwar sehr bald gesagt, dies war politisch falsch, sie hat aber immer noch sehr lange die Auffassung vertreten: rechtlich zulässig war es wohl. Ich habe bis heute, von einigen Erklärungen abgesehen, noch keine überzeugende Darstellung darüber gefunden, wie sie es heute rechtlich ansieht.
Ich komme zum zweiten Punkt. Es gibt im Lande Bayern Richtlinien - ich glaube, vom 17. März 1978 -, die im Grunde genommen ein solches Verfahren, das neben der Verfassung und neben dem Asylrecht liegt, vorgeschrieben haben. Ich weiß bis heute nicht, ob diese Richtlinien vom 17. März 1978 aufgehoben worden sind.
Der dritte Punkt: In der Beratung des Innenausschusses war deutlich, daß sich die Bundesbehörden - sprich: Zirndorf, Koblenz - nicht darüber im klaren sein mußten, unabhängig von ihrer Verantwortung, die sie als Behörde tragen, daß hier eine Abschiebung tschechischer Bürger in die Tschechoslowakei stattfand.
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Ich hatte gehofft, daß wir diesen Punkt nicht noch einmal in dieser Schärfe diskutieren müßten. Ich
selbst habe - wenn Sie wollen, können Sie es bitte nachlesen - in einer Presseerklärung gesagt, wobei ich dachte, daß wir das damit abschließen könnten: Alle Stellen - damit habe ich alle Länder und, wenn Sie so wollen, auch den Bund gemeint - müssen sich auf Grund der Vorkommnisse in Bayern noch einmal sehr sorgfältig überlegen, ob das überall wirklich richtig läuft. Das habe ich gesagt; aber man sollte in diesem Fall nicht immer wieder dem Bund die Schuld zuschieben. So, wie Sie es hier getan haben, geht es nicht; denn wir können nicht daran zweifeln - damit möchte ich mich dem anschließen, was Herr Wernitz gesagt hat -: Für diesen Fall, der heute noch einmal zur Sprache gekommen ist, liegt die Verantwortung in Bayern, da bleibt sie, und da bekommen Sie sie auch nicht weg.
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Herr Kollege Riedl, eines darf ich Ihnen zu der Art und Weise, in der Sie die Sache vorgetragen haben, sagen: Wenn dies ein Fußballspiel gewesen wäre, dann hätte Ihnen der Schiedsrichter bei einem solchen Vorgehen die rote Karte gezeigt.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu den Einzelplänen 06, 33 und 36.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen.
Wir müssen zunächst über den Einzelplan 06 abstimmen. Zum Einzelplan 06 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag auf Drucksache 8/ 3474 unter Ziffer 3 zu Kap. 06 01 Tit. 531 01 auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3507 zu Kap. 06 02 Tit. 681 71 auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 06. Wer dem Einzelplan 06 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Einzelplan 06 ist mit großer Mehrheit angenommen.
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Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 33. Wer dem Einzelplan 33 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 33 ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 36. Wer dem Einzelplan 36 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 36 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksache 8/3371-Berichterstatter: Abgeordneter Ewen
Ich frage den Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Der Berichterstatter wünscht das Wort nicht.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 01 in der Ausschußfassung zuzustimmen. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 01 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02 Deutscher Bundestag
- Drucksache 8/3372 - Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 02 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei drei Stimmenthaltungen ist der Einzelplan 02 angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03 Bundesrat
- Drucksache 8/3373 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Friedmann
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 03 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Einzelplan 03 ist bei zwei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 8/3386 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Friedmann
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 19 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Einzelplan 19 ist bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen.
Haushaltsgesetz 1980
- Drucksachen 8/3398, 8/3457 -Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler Hoppe
Ich frage die Berichterstatter: Wünschen Sie das Wort? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Dann kommem wir zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Lesung über das Haushaltsgesetz 1980. Ich rufe zunächst die §§ 1 bis 3 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 4 auf. In der Drucksache 8/3398 ist in Abs. 6 Satz 1 der Ausschußfassung auf Grund eines Druckfehlers folgende Berichtigung vorzunehmen: In der Zeile 4 muß es statt „527 bis 539" richtig lauten: „527 und 539". Wer mit dem § 4 in der Ausschußfassung mit der soeben vorgetragenen Berichtigung einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? § 4 ist mit dieser Berichtigung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 5 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 8/3488 ein Änderungsantrag der CDU /CSU-Fraktion vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Wird das Wort zur Sache gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3488 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem § 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die §§ 6 bis 34, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Mit Mehrheit angenommen.
Damit ist das Haushaltsgesetz 1980 in zweiter Beratung beschlossen.
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Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.