Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/9/1979

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Gemäß § 96 Abs. 2 Satz 3 der Geschäftsordnung hat der Präsident des Deutschen Bundestages die Unterrichtungen durch die Bundesregierung a) Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1976" - Drucksache 8/1682 - b) Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 197r- Drucksachen 8/3119, 8/3324 in der vom Innenausschuß beschlossenen Fassung dem Haushaltsausschuß überwiesen. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 17. Oktober bis 6. November 1979 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/3339 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 6. November 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schmitz ({0}), Wimmer ({1}), Frau Dr. Wex, Dr. Waffenschmidt, Dr. Kraske, Dr. Möller, Schmidt ({2}), Frau Karwatzki, Hasinger, Hauser ({3}), Vogt ({4}), Krey. Haase ({5}), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Muller ({6}), Frau Pieser, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Stavenhagen, Carstens ({7}) Besch, Dr. Rose, Dr. Friedmann, Schröder ({8}), Picard, Krampe, Dr. Riedl ({9}), Dr. Becker ({10}), Glos, Mikat, von der Heydt Freiherr von Massenbach betr. Beteiligung des Bundes an der Finanzierung des Neubaus des Klinikums Aachen - Drucksache 8/3290 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3341 verteilt. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 7. November 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Daweke, Rühe, Frau Benedix-Engler, Prangenberg, Dr. Hornhues, Frau Krone-Appuhn, Dr. Müller, Voigt ({11}), Berger ({12}), Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Langguth, Dr. Jenninger, Röhner und der Fraktion der CDU/CSU betr. Wohnraumsituation der Studenten - Drucksache 8/3289 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3342 verteilt. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich mitteilen, daß der Haushaltsausschuß die Genehmigung bekommen hat, auch bei dieser Plenarsitzung die Haushaltsberatungen fortzusetzen. Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Dr. Becker ({13}), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Jenninger, Pfeifer, Franke, Lenzer, Burger, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Frau Dr. Wilms, Dr. Stavenhagen, Gerstein, Hasinger, Engelsberger, Dr. Hubrig, Benz, Dr. Laufs und der Fraktion der CDU/CSU zur Krebsforschung und Krebsbekämpfung in Deutschland - Drucksache 8/2733 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Wird das Wort gewünscht? - Das Wort zur Begründung und in der Aussprache hat Herr Abgeordneter Riesenhuber.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Bundesrepublik Deutschland stirbt heute jeder fünfte Bürger an Krebs. Bei gleichbleibenden Verhältnissen wird voraussichtlich jeder dritte oder vierte Einwohner an Krebs erkranken und nur jeder zehnte die Chance zur Heilung haben. Dies schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 9. Februar 1976 auf eine Große Anfrage zur Krebsbekämpfung. Krebs steht heute neben Herz- und Kreislauferkrankungen an der Spitze der Todesursachen. Bei Herz- und Kreislauferkrankungen besteht die Chance, durch vernünftige Lebensweise das Risiko zu mindern und die Heilungschancen zu erhöhen. Krebs wird häufig zum unausweichlichen Schicksal. Der Deutsche Bundestag hat am 11. Juni 1976 eine Große Anfrage zur Krebsforschung diskutiert und Beschlüsse gefaßt. Die Debatte hat Mängel und Lükken aufgezeigt. Sie hat Fortschritte und Chancen und eindrucksvolle Initiativen belegt: zur Stiftung Deutsche Krebshilfe, zur Gründung von Tumorzentren, zu Initiativen in der Grundlagenforschung. Die Debatte hat Beschlüsse gebracht, von denen ich an zwei erinnern will. Der erste Punkt des Entschließungsantrags betraf die Vorlage eines nationalen Krebsberichts durch die Bundesregierung bis zum 31. Dezember 1978. Der letzte Punkt dieses Entschließungsantrags betraf - hier möchte ich den Wortlaut zitieren; er ist sprachlich nicht schön, aber sachlich zutreffend -„die Errichtung einer institutionalisierten Kooperationsebene für Krebsforschung und Krebsbekämpfung, insbesondere mit dem Ziel der verbesserten Zusammenarbeit von Bund, Ländern und den die Forschung fördernden Institutionen sowie der wis14498 senschaftlichen Fachgesellschaften, und die Erarbeitung von Prioritäten in der Forschung und insbesondere auch in der Krebsbekämpfung". Inzwischen sind drei Jahre vergangen. Die Bundesregierung war nicht imstande, termingerecht bis Ende 1978 den Krebsbericht vorzulegen. Die Bundesregierung war nicht imstande, die institutionalisierte Kooperationsebene von Bund, Ländern und Forschung zu errichten, wie es vorgesehen war. Die Bundesregierung war in nunmehr drei Jahren nicht imstande, dem Auftrag des Deutschen Bundestages über alle Parteien hinweg zu folgen. ({0}) Das ist ein schlechter Umgang mit dem Deutschen Bundestag; aber schlimmer ist: Es ist ein schlechter Umgang mit einem sehr bitteren Problem. Es sind drei ungenügend genutzte Jahre. Wir alle wissen, daß Krebsforschung und Krebsbekämpfung zu den schwierigsten Bereichen medizinischer Forschung überhaupt gehören. Trotz großer Anstrengungen sind weltweit und in Deutschland die Häufigkeits- und Todesraten nicht gesunken. Auch heute noch besteht Unklarheit über die Ursachen von Krebs, auch wenn einige Zusammenhänge - etwa zwischen Rauchen und Lungenkrebs - statistisch weitgehend belegt sind. Regionale Krebsregister gibt es nach wie vor nur in Hamburg und im Saarland. Das vom Bundestag geforderte weitere Krebsregister wurde nicht geschaffen. Ein Krebsatlas wurde vorgelegt. Seine Erfassungsdichte und seine Aussagefähigkeit sind Gegenstand einer kritischen Diskussion. Die epidemiologischen Untersuchungen geben einen verläßlichen Zusammenhang zwischen möglichen Krebsursachen und tatsächlichen Krebsfällen nur ungenügend wieder. Der Verdacht auf krebserregende Substanzen basiert auf dem Tierversuch, abgesehen von spezifischen und wichtigen Einzelfällen, etwa bei spezieller und hoher Belastung am Arbeitsplatz, die mit Intensität untersucht werden. Die Anstrengungen zur Früherkennung sind erheblich gesteigert worden; der Erfolg ist begrenzt geblieben. Die Kliniken arbeiten therapeutisch nach ihrem jeweils besten Wissen. Aber die Zusammenhänge des Wissens aller Kliniken, die Durchschaubarkeit und Einsehbarkeit der Klinikregister, die Vergleichbarkeit der Therapien, ja schon die Vergleichbarkeit der therapierten Krankheitsfälle nach Schwere der Krankheit und nach befallenem Organ sind nicht sichergestellt, so daß aus der Summe der Erfahrungen die bestmögliche Therapie schrittweise, systematisch und differenziert bisher nicht entwickelt werden konnte. Daß das heute möglich ist - auch unter den Bedingungen des Datenschutzes, unter den gegebenen Voraussetzungen der ärztlichen Schweigepflicht, die wir kennen -, ist in der Technik unbestritten, ist beim Datenschutz unbestritten und kürzlich in einem Hearing des Forschungsausschusses bestätigt worden. Gleichzeitig sind die Anstrengungen außerordentlich. Das ist nicht nur an den finanziellen Mitteln abzulesen, die zur Krebsbekämpfung aufgebracht werden, an der Zahl der Beschäftigten oder an den Investitionen in Tumorzentren und Kliniken. Das Maß der Teilnahme und des Engagements von Ärzten und Schwestern am Krankenbett geht oft weit über das hinaus, was durch einen Arbeitsvertrag abgegolten werden kann. Viele von uns, die in ihrer Familie mit der Krankheit Krebs konfrontiert gewesen sind, haben das sicher erfahren. Als Resümee müssen wir heute feststellen, daß das alles nicht den erwarteten Erfolg gebracht hat. Das hat auch die Bundesregierung bestätigt. Das gilt nicht nur für Deutschland, das gilt weltweit. Wir haben heute die Vorgaben unserer Arbeit im Bereich der Krebsbekämpfung zu prüfen, jene Vorgaben, die die Politik geben kann. Zu den Inhalten selbst haben die Institute und die Fachgesellschaften, besonders aber auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft Wichtiges und Gültiges gesagt. Einiges davon haben wir in unseren Antrag aufgenommen. Krebsforschung - und das ist zu einem wesentlichen Teil Grundlagenforschung - braucht ein hohes Maß an Freiheit. Darüber haben wir vor wenigen Wochen im Grundsatz diskutiert. Wir brauchen nicht unbedingt mehr Forschung, aber wir brauchen die beste Forschung, die verfügbar gemacht werden kann. Hier will ich mich nur auf das beziehen, was die Deutsche Forschungsgemeinschaft dazu gesagt hat. Krebsbekämpfung - das ist die bestmögliche Versorgung des Patienten - braucht eine vernünftige und durchgreifende Organisation. Krebsforschung und Krebsbekämpfung brauchen einander in dem ständigen Austausch von Erfahrungen für die konkrete Arbeit. Es hat sich gezeigt, daß die vielfältigen Leistungen einzelner trotz sehr großer Anstrengungen nicht ausreichen, wenn sie nicht hinreichend einbezogen sind in ein umfassendes Konzept. Der Kampf gegen Krebs erfordert die Zusammenarbeit sehr vieler Disziplinen. Das kann durch einen Sachverständigenrat geleistet werden. Die Komplexität des Problems Krebs ist sehr viel größer als die Komplexität der technokratischen Programme, wie sie etwa unter dem Stichwort Apollo-Projekt abgehandelt worden sind. Hier liegen die Aufgaben, und über die Aufgabenstellung sind wir uns auch weitgehend einig. Ober diese Aufgabenstellung bestand auch kein Streit bei den Diskussionen vor drei Jahren. Die Frage ist, was die Bundesregierung aus diesen Aufgabenstellungen gemacht hat, was hier jetzt tatsächlich an Möglichkeiten konkret angesprochen ist. Die Bundesregierung schlägt vor, eine Geschäftsstelle einzurichten, die den für den Schwerpunktbereich einzusetzenden Fachkommissionen zuarbeiten soll. Sie schlägt weiterhin vor, eine große Krebskonferenz über Inhalte und Fortführung des Programms in mehrjährigem Abstand beraten zu lassen. Das sind die beiden Instrumente, die auf der Krebskonferenz am 27. September 1979 vorgeschlagen worden sind. Es bestehen ganz erhebliche Zweifel, ob dieses Konzept auch nur annähernd sachgerecht ist. Der Bundestag hatte eine institutionalisierte Kooperationsebene zwischen Bund, Ländern und der Forschung beschlossen. Ob die große Krebskonferenz das überhaupt sein kann, ist nach den Erfahrungen vom 27. September außerordentlich zweifelhaft. ({1}) Wir hatten knapp vier Stunden verfügbare Arbeitszeit. Wir hatten an die 200 Konferenzteilnehmer. Von diesen vier Stunden entfielen über zwei Stunden auf die Selbstdarstellung einiger Institutionen und Organisationen, die, wie einer der Redner sagte, vom Bundesgesundheitsministerium zu dieser Selbstdarstellung aufgefordert worden waren. Wie eine derart organisierte große Krebskonferenz überhaupt imstande sein soll - noch dazu bei dem vorgesehenen mehrjährigen Abstand von Tagungen -, irgendeinen sinnvollen Beitrag zum Inhalt und zur Kritik des Programms zu leisten, ist schlechterdings nicht zu erkennen. Wie auf diese Weise die sinnvolle Kooperation zwischen Bund, Ländern und Forschungsinstitutionen gewährleistet werden kann, ist überhaupt nicht ersichtlich. Der zweite Vorschlag, den die Bundesregierung zum Organisatorischen vorlegt - ich möchte wiederholen, daß wir unsere Aufgabe nicht darin sehen, die Inhalte im einzelnen zu definieren, sondern daß wir unsere Aufgabe darin sehen, als Politiker den organisatorischen und finanziellen Rahmen vorzugeben -, beinhaltet die Einrichtung einer Geschäftsstelle. Diese Geschäftsstelle wird vor allem - dies ist ihre erste Aufgabe - damit konfrontiert sein, das heillose Durcheinander der Zuständigkeiten zwischen den Ressorts der Bundesregierung in Ordnung zu bringen. Das Papier des Bundesgesundheitsministeriums nennt unverändert nach drei Jahren - wir haben damals darüber gesprochen - als vornehmlich zuständige Bundesressorts - „vornehmlich" zuständig heißt, daß auch noch andere zuständig sind - die folgenden: Arbeit- und Sozialordnung, Forschung und Technologie, Inneres, Bildung und Wissenschaft sowie Jugend, Familie und Gesundheit. Daß bei dieser Fülle von Zuständigkeiten, Teilzuständigkeiten und sich überschneidenden Zuständigkeiten eine vernünftige und gestraffte Koordination nicht in dem Maß möglich ist, wie es zu einer vernünftigen Bearbeitung und einer möglichen Lösung des Problems notwendig ist, liegt auf der Hand. Diese Geschäftsstelle ist ohne Zweifel notwendig. Sie löst jedoch nicht die Probleme der Krebsbekämpfung, sondern allenfalls die Probleme der Arbeitsorganisation der Bundesregierung. Ich möchte gar nicht im einzelnen darüber diskutieren, ob bei dieser Konstruktion die Möglichkeit besteht, die Zusammenarbeit mit den Bundesländern sicherzustellen. Diese haben offensichtliche und weitreichende Kompetenzen und Verantwortlichkeiten sowie ganz handfeste und konkrete Erfahrungen. Der Bundestag hat dies 1976 auch mit Zustimmung aller Fraktionen ausdrücklich anerkannt. In unserem Antrag wird darauf mit der Forderung nach Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zur Vorbereitung eben dieser Zusammenarbeit und dieser Programme hingewiesen. Viel beunruhigender als dieser Faktor, obwohl auch dieser einen guten Erfolg des Programms schon ernsthaft in Frage stellen kann, ist das grundsätzliche Unverständnis für die Arbeit von Wissenschaft und - mehr noch - für die Chance und die Notwendigkeit, die Männer und Frauen für eine umfassende Mitarbeit zu gewinnen, die am Krankenbett, in der Forschung und in der diagnostischen Praxis oder auch in der helfenden Rehabilitation die eigentliche Arbeit zu tragen haben. Wir schlagen vor, die Mitarbeit dieser Männer und Frauen - wir halten das für eine entscheidende Voraussetzung - dadurch zu gewinnen, daß wir in einem Sachverständigenrat der Verantwortlichen und Kundigen ihre Repräsentanten zusammenfassen und in die Arbeit einbeziehen. In unserem Antrag haben wir dargestellt, wie dieser Deutsche Rat zur Krebsbekämpfung aufgebaut sein soll. Wir haben auch begründet, worin wir seine Funktion sehen. Er soll mit einem Minimum an Bürokratie ein Maximum an gemeinsamer Arbeit erreichen. Dies soll aus der Legitimation von Männern und Frauen geschehen, die nicht nur kundig und sachverständig sind, sondern auch ihr Leben in den Dienst einer Sache gestellt haben und sich dadurch besser als andere, denen die Erfüllung administrativer Aufgaben obliegt, legitimiert und verantwortlich gezeigt haben. Es ist selbstverständlich, daß der qualifizierte Sachverstand der Ministerien einbezogen werden muß. Es kann aber - ich wiederhole es - nicht Sache der Politik und auch nicht Sache der Ministerien sein, Inhalte von Forschung vorzugeben. Die Richtlinien der angewandten Forschung und die Schwerpunkte der Grundlagenforschung gewinnen ihre Autorität nicht aus der andersgearteten Autorität einer Bundesregierung. Sie gewinnen Autorität vielmehr daraus, daß umfassender Sachverstand einbezogen wird. Gerade dort, wo die funktionalen Eliten aus den einzelnen Sachbereichen einen, wenn Sie so wollen, demokratischen Prozeß der Meinungsbildung sachgerecht entstehen lassen könnten, behält sich die Bundesregierung die Sachentscheidung für ihre Administration vor. Das ist nicht unser Verständnis von Wissenschaft. Das ist nicht unser Verständnis von einem guten Gesundheitswesen. Das ist auch nicht unser Verständnis von der Teilhabe von Betroffenen an Entscheidungen, und dies ist vor allem nicht sachgerecht. ({2}) - Das war ein Stahlscher Zwischenruf, der für sich selbst spricht. Der Bundesregierung fällt zur Demokratisierung offensichtlich vor allem dann etwas ein, wenn funktionierende Institutionen, die ihr nicht dienstbar sind, in ihrem System verändert werden sollen; die Unternehmen und Universitäten sind hierfür Beispiele. Wenn die Bundesregierung ihre Macht administrieren kann, dann scheint der Beitrag der betroffenen und Kundigen weniger gefragt zu sein. Das Unheil Krebs ist eine der schlimmsten Bedrohungen. ({3}) - Ich rede über Krebs; denn es geht hier wirklich darum, organisatorische Voraussetzungen zu schaffen, die einigermaßen vernünftig funktionieren. ({4}) Die Debatte im Jahre 1976 hat erwiesen, in welchem Maße der Bundestag einheitlich arbeiten könnte. Wir bitten heute um Unterstützung für unser Konzept, das den Sachverstand und das Engagement freisetzen kann, anstatt Bürokratien überzustülpen. Wir bitten um 'Unterstützung für unser Konzept, in dem gültiges Wissen nach einheitlichen Kriterien geordnet wird, so daß Ziele gesetzt werden können. Wir bitten um Unterstützung für unser Konzept, in dem Bund und Länder, Forschung, Ärzte und Kliniken, Männer und Frauen auch aus den sozialen Diensten ihre Erfahrung einbringen können. Niemand kann kurzfristigen Erfolg versprechen; aber wir können einen Beitrag leisten, Leid zu lindern, und dies geschieht. Dies unterscheidet unsere Debatte von vielen Debatten, die wir in dem Hause zu führen haben: Die Erfahrung des Leids ist für jeden von uns grundsätzlicher als irgendeine der spektakulären Wohltaten, die Regierungen vor den Wahlen verteilen können. Das gilt auch für die Erfahrung des Mitleidens. ({5}) Ich beantrage für meine Fraktion die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, mitberatend an den Ausschuß für Technologie. Die Einzelheiten und Inhalte des Konzepts haben wir in dem Antrag dargelegt, und ich hatte sie hier nicht im einzelnen nachzuzeichnen. Wir hoffen zuversichtlich, daß die Arbeit in den Ausschüssen die Bundesregierung zu einem grundsätzlichen Überdenken ihres Konzepts bewegen kann. Die dreijährige Arbeit an diesem Konzept sieht man dem Ergebnis nicht an. Die Aufgabe verdient eine größere Sorgfalt und eine größere Verantwortlichkeit im Umgang mit einem sehr großen Problem. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Etwa 150 000 Menschen sterben in der Bundesrepublik Deutschland jährlich an Krebs. Die Erkrankungshäufigkeit und damit die Wahrscheinlichkeit für jeden einzelnen Bürger, an Krebs zu erkranken, hat zugenommen. Es ist zu befürchten, daß künftig jeder dritte Bundesbürger von Krebs befallen wird und daß bei unveränderten Verhältnissen in den nächsten zehn Jahren bis zu 2 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland an Krebs sterben werden. Diese Ausgangssituation wurde so, wie ich meine zutreffend, in dem Diskussionspapier für ein Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung in der Bundesrepublik beschrieben, das von der Bundesregierung der ersten großen Krebskonferenz am 27. September 1979 vorgelegt wurde. Angesichts dieser Ausgangslage ist es ein lobenswertes Unterfangen, über Möglichkeiten zur Verbesserung der Krebsbekämpfung nachzudenken und darüber zu debattieren. Wir müssen dabei allerdings nicht bei der Stunde Null anfangen, wie es die CDU/CSU in ihrem Antrag zu suggerieren versucht. Die Bundesregierung hat das Ergebnis ihrer Arbeit zwar spät vorgelegt; aber das ist bei den vorgegebenen Schwierigkeiten auf diesem Feld nicht verwunderlich. Auch Sie verkennen nicht die Schwierigkeiten auf diesem Feld; dies kann man Ihrem Antrag und seiner Begründung unschwer entnehmen. Fußend auf dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 23. Juni 1976, der im Zusammenhang mit der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD- und FDP-Fraktion gefaßt wurde, wurde die erste Krebskonferenz einberufen und dieser ein Diskussionspapier vorgelegt. Diese erste große Krebskonferenz kann in Anbetracht der Tatsache, daß fast alle, die um ihre Mitarbeit gebeten wurden, an ihr teilgenommen haben und ihre Mitarbeit für die Zukunft zugesichert haben, als ein erster Erfolg angesehen werden. Es wäre nicht gut, jetzt ein Stoppsignal zu setzen und die vorhandenen positiven Ansätze zu verschütten. ({0}) „Stop and go" verträgt dieses Thema nun wahrlich nicht. ({1}) Nun bitte ich Sie, einmal realistisch zu überdenken, was es bedeuten würde, wenn wir auf Ihren Antrag hier eingehen und sagen würden: Bundesregierung, nun blas' das einmal alles ab, was da zwischenzeitlich in Gang gekommen ist. Welchen Zeitpunkt, zu dem der Deutsche Bundestag über Ihren Antrag definitiv befinden könnte, haben Sie denn im Auge? Dann müßten die von Ihnen anvisierten Verhandlungen mit den Bundesländern beginnen. Und dann müßte all das, was jahrelange Vorbereitungszeit in Anspruch genommen hat - im übrigen beklagen Sie ja diese lange Vorbereitungszeit -, noch einmal von vorn beginnen. Wahrlich kein Beitrag zur Überwindung des Status quo in der Krebsbekämpfung. ({2}) - Eben. All dies wollen Sie noch einmal in den Verfahrensgang bringen. ({3}) So ist doch Ihr Konzept realistischerweise auszudeuten. Die von Ihnen in Ihrem Antrag geforderten Sachpunkte sind alle - aber auch alle! - in dem von mir bereits erwähnten Diskussionspapier, welches die Bundesregierung der Großen Krebskonferenz vorgelegt hat, enthalten. Realistischerweise bündelt sie die Probleme in drei Schwerpunkten: Prävention, Versorgung, einschließlich der so wichtigen Nachsorge, und Forschung und Ausbildung. Zu dem Thema Forschung und Ausbildung will ich hier keine Ausführungen machen, weil wir uns das ein wenig aufgeteilt haben. Aber zu den übrigen Bereichen und zu Ihrem Antrag insgesamt gestatten Sie mir doch noch einige Worte. Ich muß ihn immer wieder ins Verhältnis setzen zu dem, was bereits Gegenstand der Erörterung in den Fachkreisen ist, was in die Große Krebskonferenz eingeführt wurde. Dem Entwurf der Bundesregierung zufolge werden für diese drei von mir genannten Schwerpunkte Fachbereichskommissionen gebildet, die sich aus allen, die ihre Mitarbeit anbieten wollen, zusammensetzen. Organisatorisch werden sie durch eine einzurichtende Geschäftsstelle unterstützt. In Ihrem Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, fordern Sie: Der „Deutsche Rat zur Krebsbekämpfung" hat die Aufgabe, über das Konzept zur Krebsbekämpfung auf Grund definierter Ziele zusammenfassend zu beraten, ... Soeben haben Sie hier gesagt, Forschung vertrage keine Vorgaben. Hier aber fordern Sie quasi diese Vorgabe. Denn wie sonst soll denn die Formulierung definierter„auf Grund verstanden werden? Das kann doch wohl nur als Vorgeben von Zielen verstanden werden. Für uns gibt es nur ein Ziel, und das heißt: optimale Krebsbekämpfung. Teilziele auf dem Weg dorthin sollen die Fachkommissionen selbst erarbeiten. Hier ist also der Ansatz der Bundesregierung wesentlich freiheitlicher als Ihr Ansatz, den Sie hier soeben hochzustilisieren versucht haben, als ob Ihr Antrag hinsichtlich der Forschungs- und Bekämpfungsfreiheit das Nonplusultra sei. In dem Papier der Bundesregierung heißt es: Die Erarbeitung des Programms und seine Durchführung sollen nach dem Willen der Bundesregierung ein Angebot an alle sein, die über Möglichkeiten verfügen, einen Beitrag zur Krebsbekämpfung zu leisten. Es soll ihnen kooperative Arbeit ermöglichen, es soll Partner zusammenführen, aber keine sachfremden Hierarchien schaffen. Ich verstehe nicht, wie Sie auf Grund eines solchen Vorhabens - auch und gerade bei einem so diffizilen Thema - in Diffamierungsstrategien ausweichen können. Ich darf an dieser Stelle ein weiteres Zitat aus dem von der Bundesregierung vorgelegten Diskussionspapier anführen: Es ist deshalb kein nationales Krebsprogramm der Bundesregierung, sondern ein Mosaik aufeinander abgestimmter, sich gegenseitig ergänzender, verstärkender und korrigierender - soweit als nötig pluralistischer - Aktivitäten des Bundes, der Länder und Gemeinden, der Wissenschaft, der Ärzte und Betreuungspersonen, der Träger von Kranken- und Rentenversicherung, der Deutschen Krebshilfe sowie aller anderen, die sich an diesem Programm beteiligen wollen. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang, daß ich all den Organisationen, die sich um das schwierige Thema Krebsbekämpfung mühen, im Namen meiner Fraktion ein herzliches Dankeschön sage, auch ein herzliches Dankeschön für ihre Bereitschaft, diesen kooperativen Weg - zusammen mit den staatlichen Instanzen - zu gehen. ({4}) Krebsbekämpfung ist elementarer Bestandteil einer aktiven Gesundheitspolitik. Der Staat kann sich dieser Aufgabe daher überhaupt nicht entziehen, auch nicht zum Teil. In diesem Zusammenhang zeigen Sie in der Einleitung Ihres Antrags auf, welch riesiges Feld zur Krebsbekämpfung zu zählen ist, z. B. die gesamten Umweltaktivitäten, die Beeinflussungen vom Arbeitsplatz her. Und gegen Schluß Ihres Antrags sagen Sie dann: Die Bundesregierung überträgt dem „Deutschen Rat zur Krebsbekämpfung ” die Verantwortung für die laufenden krebsbezogenen Programme und Vorhaben der Bundesregierung. Meine Damen, meine Herren, die Verantwortung, die der Staat für die Menschen in unserem Lande originär hat, kann er auch nicht aus noch so vielen idealistischen Motiven auf ein anderes Gremium übertragen. Es wäre angesichts der Einleitung dieser Debatte durch Sie, Herr Kollege Riesenhuber, reizvoll, diesen Weg zu gehen, weil man da für die Zukunft dann sagen könnte: Nun, bitte, solche Debatten können hier nicht mehr stattfinden. Aber es wäre kein Beitrag, kein Weg, den wir ernsthaft gehen können. Wir müssen uns hier unserer Verpflichtung bewußt bleiben. Hüten wir uns davor, zu große Hoffnungen zu wecken. Die Enttäuschungen könnten um so größer sein. Hüten wir uns aber auch davor, Angst und Resignation zu verbreiten. Die Angstschwelle bei Krebserkrankungen ist ohnehin zu hoch. Sie verhindert in vielen Fällen eine frühzeitige Behandlung und macht dadurch eine Vielzahl von Heilungschancen zunichte. Auch Gutmeinende sollten dies überlegen. Auch wenn ein Herr Professor Hackethal dies seinerzeit aus guten Motiven heraus getan haben sollte, so mußte er sich allerdings darüber im klaren sein, daß die Problematik, die im Zugang zu den Früherkennungsuntersuchungen liegt, durch seine Bemerkungen nur verstärkt worden ist. Ich persönlich bin Herrn Staatssekretär Wolters dafür dankbar, daß er da von Anfang an dagegengehalten hat. Denn - noch einmal - die Angst vor Krebs ist nicht nur in unserem Lande, sie ist überall so hoch und steht allen Konzepten zu einer Überwindung dieser Krankheit hinderlich im Wege. Lenken wir unser Augenmerk aber auch darauf, daß unkonventionelle Methoden in die Bemühungen, den Krebs zu bezwingen, gleichberechtigt einbezogen werden. Wir hatten das seinerzeit im 7. Deutschen Bundestag bei der Debatte über unsere Anfrage schon in die Beschlußfassung mit einbezogen. Widerstehen wir miteinander der Versuchung, hier ein neues Feld parteipolitischer Auseinandersetzungen zu eröffnen. Dies sind wir den Bürgern in unserem Lande schuldig; denn niemand von uns kann sagen, daß es nur eine Frage so oder so gearteter Organisation wäre und morgen würde der große Wurf gelingen, diese furchtbare Bedrohung der Menschheit zu überwinden. Widerstehen wir daher gemeinsam dieser, wenn auch für manche von Ihnen vielleicht naheliegenden Versuchung, dieses Feld parteipolitisch besetzen zu wollen! Seien wir uns der Aufgabe bewußt, um die es geht, unseren Beitrag zu leisten, Voraussetzungen für eine umfassende Krebsbekämpfung schaffen zu helfen! ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre fast eine Überraschung gewesen, wenn man in einem Antrag, der an der Spitze der Unterschriften den Namen des Herrn Kollegen Riesenhuber trägt, nicht den Vorschlag für eine neue Bürokratie oder Minibürokratie gefunden hätte. ({0}) Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Riesenhuber, daß Sie immer wieder versuchen, ({1}) sich der Verantwortung zur Lösung politischer Probleme dadurch zu entziehen, daß die Einsetzung irgendeiner Art von Minibürokratie gefordert wird. ({2}) - Wir unterhalten uns über Ihren heute vorliegenden Antrag. Mein Vorredner, der Kollege Jaunich, hat festgestellt, daß wir uns der politischen Verantwortung zur Überwindung der Gefährdung der Menschheit durch den Krebs nicht entziehen können, sondern uns dieser Verantwortung stellen müssen. Ich stimme ihm zu. Ich bitte auch sehr herzlich darum, daß wir dieses Thema nicht zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen oder gar zu einem Wahlkampfthema machen. ({3}) Wir haben im Jahre 1976 auf Grund einer Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen hier eine Entschließung verabschiedet. Im Jahr 1978 hat die Bundesregierung ihr Programm zur Förderung von Forschung auf dem Gebiet der Gesundheit vorgelegt, das zu einem großen Teil sich gerade mit der Krebsforschung und Krebsbekämpfung befaßt. ({4}) - Herr Kollege Riesenhuber, wir sind uns doch sicherlich darüber im klaren, daß wir es mit einem politisch schwer zu handhabenden Thema zu tun haben und daß es intensivster Anstrengungen bedarf, um zu wirkungsvollen Ansätzen für Lösungen zu kommen. Wir können nicht erwarten, daß wir dieses Problem hier nun in aller Kürze, in einem Jahr oder in zwei Jahren, zur Zufriedenheit aller lösen können. Sehen wir uns doch die Entwicklung in der Welt an! Im Vergleich dazu meine ich, daß die Bemühungen unserer Mediziner, unserer Forscher und aller derjenigen, die gemeinsam in einer Front bei der Bekämpfung des Krebses stehen, durchaus weltweit vergleichbar sind. Vieles ist auf diesem Gebiet geleistet worden. Wir können nur gemeinsam beklagen, daß nicht noch mehr Fortschritte erzielt worden sind. Aber intensive Bemühungen sind im Gange. Es ist falsch, an den Vorstellungen der Bundesregierung bezüglich der Einrichtungen von Fachkommissionen Kritik zu üben. In diesen Fachkommissionen haben wir doch eine viel breitere Basis. Sehen Sie einmal, wer in diesen Fachkommissionen alles mitarbeiten soll, alles mitarbeiten kann. Das ist eine viel breitere Basis unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung, als Sie es etwa mit einem Deutschen Rat zur Krebsbekämpfung, mit einem Generalsekretär an der Spitze, erreichen können. Aus dem Bereich der Forschung, gerade auch aus dem der medizinischen Forschung und der Krebsforschung, gibt es eine Reihe von Vorschlägen, die diese Bemühungen der Bundesregierung unterstützen. Ich erinnere an das Memorandum der Arbeitsgemeinschaft deutscher Tumorzentren, das im September verabschiedet worden ist. Ich halte es für eine tragbare Grundlage für weitere Arbeiten. Es kommt nur darauf an, daß alle diese Aktivitäten koordiniert werden. Genau das ist das Anliegen der Bundesregierung. Ich glaube, darin sind sich alle Beteiligten einig, angefangen von der Senatskommission für Krebsbekämpfung der Deutschen Forschungsgemeinschaft bis hin zu der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft deutscher Tumorzentren. Die Vorschläge sind beachtenswert. Ich glaube auch sagen zu dürfen, daß die Bundesregierung diese Vorschläge aufgreift. Aber es ist nicht nur eine Frage der Bundesregierung. Hier sind genausogut die Länderregierungen aufgefordert, sich an diesen Bemühungen gemeinsam zu beteiligen. ({5}) Sicherlich ist es auch richtig und notwendig, das ganze Spektrum der Forschungsaufgaben hier einmal zu skizzieren. Insoweit sind wir mit Ihrem AnDr.-Ing. Laermann trag und Ihren Formulierungen durchaus d'accord. Wir liegen auf der gleichen Linie. Es geht nur um die Frage, in welcher Organisationsform die Zusammenführung und Koordinierung der Forschung erfolgen soll. Hier sind die Unterschiede. Ich meine, daß mit einer organisatorischen Lösung allein das Problem der Krebsbekämpfung nicht bewältigt ist. Sicherlich ist es notwendig, die klinische Forschung durch die Ausbildung von Nachwuchskräften nachhaltig zu verbessern. Auch ist es notwendig, zu vergleichenden Bewertungsmaßstäben und -kriterien hinsichtlich der diagnostischen und therapeutischen Verfahren zu kommen. Das kann nicht an einer Stelle allein geschehen. Koordinierung kann und darf nicht bedeuten, daß wir die Forschung lenken. Wir wollen die Mehrfachforschung und die übergreifende Forschung nicht behindern. Solche Entwicklungen müssen an vielen Forschungszentren gleichzeitig durchgeführt werden. Allerdings müssen wir für die vergleichende Bewertung zu standardisierten Bedingungen kommen, die dann zusammengeführt werden. Auch diese Aufgabe muß in Angriff genommen werden. ({6}) - Herr Kollege Gerstein, ich habe mich nur mit dem Teil Ihres Antrags kritisch auseinandergesetzt - und lehne ihn eindeutig ab -, der sich mit der Forderung befaßt, einen Deutschen Rat zur Krebsbekämpfung einzurichten. Ich habe darzustellen versucht, daß das, was allgemein zu der Notwendigkeit der Krebsforschung gesagt worden ist, bezüglich aller Maßnahmen, die auf dem Gebiet der Krebsforschung getan werden müssen, unsere Zustimmung findet. Da sind wir sicherlich einer Meinung. ({7}) - Ich sehe darin keinen Widerspruch; denn ein Deutscher Krebsrat wird nicht in der Lage sein, alle diese Aktivitäten zusammenzufassen, wie groß er auch sein mag. ({8}) Lassen Sie uns doch das Bemühen der vorhandenen Organisationen, zusammenzuarbeiten, unterstützen und diese Bemühungen und diese Ansätze nicht durch eine übergestülpte Organisation wieder zunichte machen. Ich meine, daß der Vorschlag der Bundesregierung, Krebskonferenzen abzuhalten, Beachtung verdient. Überall, wo man Neuland betritt, muß man zunächst Erfahrungen sammeln. Hier kamen eine Reihe von Leuten zusammen, die sich zum erstenmal gesehen haben und die von der Existenz des jeweils anderen wohl nur aus den Medien oder sonstigen Publikationen wußten. Dieses Instrumentarium muß man zunächst einmal in den Griff bekommen. Ich glaube, daß dies ein Forum werden kann, in dem man wirklich zu internationalem Erfahrungsaustausch kommen kann und von dem weitere Kooperationsanreize ausgehen können. Die Fachkommissionen, die eingerichtet werden sollen, stehen allen offen, die mitarbeiten wollen und die über die notwendige Kompetenz verfügen, um an diesen Fragen mitarbeiten zu können. Herr Kollege Riesenhuber, das eröffnet doch die Möglichkeit zur Mitarbeit aller, die sich selbstlos zur Bekämpfung des Krebses einsetzen, all der Männer und Frauen, die fachkompetent sind, so wie Sie es gefordert haben. Warum also diese Kritik? Was soll der Versuch, hier Gegensätze aufzubauen? Ich stimme Ihnen zu, daß in derartige vergleichende Therapiestudien im Bereich der Forschung eine Reihe von Problemen, die nicht unmittelbar zur Krebsforschung gehören, mit einbezogen werden müssen. Das heißt also interdisziplinäres Arbeiten der medizinischen Disziplinen, aber auch andere entsprechender naturwissenschaftlicher Fachbereiche. Ich möchte hier nur ein Beispiel nennen: Datenverarbeitung - Krebsregister -, Berücksichtigung der Belange des Datenschutzes. All dies muß in interdisziplinärer Zusammenarbeit auf breitester Basis erforscht und entwickelt werden. Diese Arbeit kann ein Deutscher Krebsrat mit Sicherheit nicht leisten. ({9}) - Ich meine, daß diese Aufteilung in Fachkommissionen durchaus eine Berechtigung hat, wenn gewährleistet ist, daß diese Fachkommissionen untereinander in Verbindung stehen und ihre Erfahrungen und Erkenntnisse austauschen. ({10}) - Ihr Glaube an die Leistungsfähigkeit einer Minibürokratie überrascht mich doch immer wieder. ({11}) - Herr Kollege Riesenhuber, Sie müßten einmal in Ihrem Antrag nachlesen, welche Aufgaben für diesen Deutschen Rat vorgesehen sind. Wenn es um eine Geschäftsstelle geht, kann man hier doch nur so vorgehen, eine Kompetenz innerhalb der Bundesregierung zu suchen. Man könnte beispielsweise, wie das auch in anderen Bereichen geschehen ist, ein Mitglied der Bundesregierung zum Koordinator auf diesem Gebiet bestellen. Warum sollte diese geschäftsmäßige Koordinierung nicht möglich sein? ({12}) Uns geht es in erster Linie um Sachkompetenzen und um Fragen, die unmittelbar im Zusammenhang mit dem Krebs und mit der Bekämpfung des Krebses stehen. Hier geht es um die Fragen der Grundlagenforschung, der klinischen onkologischen Forschung, der angewandten Forschung, hier geht es um die Fragen der Nachbehandlung, der Dokumentation und der Information und vor allen Dingen - um es zu wiederholen und zu betonen - um Fragen der Erforschung der Ursachen, die zur Entstehung von Krebs führen. Dieses, meine ich, kann eine einzige Organisation nicht leisten. Diese Entwicklungs- und Koordinierungsarbeit muß unter Berücksichtigung der Größe des Aufgabenfeldes und der Schwierigkeit der Probleme, deren Lösung ansteht, auf eine viel breitere Basis gestellt werden. Ich meine, die Fachkommissionen sind hier ein guter Weg. Darüber hinaus darf ich nochmals auf die Vorschläge verweisen, die im Memorandum der Arbeitsgemeinschaft deutscher Tumorzentren enthalten sind. Ich denke, daß diese Vorschläge nicht sehr weit von den Vorstellungen der Bundesregierung entfernt sind und daß dies ein durchaus gangbarer Weg wäre, der wohl eine erfolgversprechende Bekämpfung des Krebses ermöglichen wird. Ich meine, daß es richtig wäre, in solchen überregionalen Tumorzentren alle Aktivitäten zusammenzufassen. Die regionalen Zentren auf der nächsten Ebene sollten die unmittelbaren Kontakte zu den normalen Krankenhäusern und auch zu den niedergelassenen Ärzten unterhalten. Denn schließlich ist dies alles eine Funktionskette, die bei dem niedergelassenen Arzt anfängt, zu dem als erstem der Patient doch geht. Der niedergelassene Arzt muß weitergebildet werden; er muß über die Möglichkeiten zur Krebsbekämpfung informiert sein. Hier wäre sicher eine konsequente Funktionskette: niedergelassener Arzt - regionale Tumorzentren - überregionale Tumorzentren, in denen die Grundlagenforschung einbezogen ist. Wir sollten diesen Vorschlägen eine Chance geben und ihnen alle Unterstützung seitens der Bundesregierung angedeihen lassen. Damit entsprechen wir der Forderung und der Notwendigkeit, gemeinsam zum Kampf gegen die Geißel der Menschheit, den Krebs, anzutreten. Lassen Sie mich noch einmal feststellen, daß die deutschen Forscher und Mediziner im weltweiten Kampf hier eine wichtige Position einnehmen und eine wichtige Rolle spielen und viel Beachtliches geleistet haben. Lassen Sie uns diese Arbeit weiterhin gemeinsam unterstützen. Lassen Sie uns das unser gemeinsames Anliegen sein. Es ist eine politische Aufgabe. Wir müssen uns langfristig und in Kontinuität um die Rahmenbedingungen bemühen, damit Krebsforschung wirkungsvoll betrieben und in praktische Anwendung umgesetzt werden kann und damit die Bundesrepublik ihren angemessenen Beitrag in der Welt leistet, Not und Leid von den Menschen fernzuhalten. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.

Antje Huber (Minister:in)

Politiker ID: 11000968

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Krebs ist eine alte, aber unvermindert große, ja eher wachsende Herausforderung der Menschheit. Wenn 150 000 Bürger, wie Herr Jaunich schon gesagt hat, im Jahr bei uns an Krebs sterben, 200 000 jährlich an Krebs neu erkranken und derzeit 700 000 an Krebs erkrankt sind - wobei wir hier nur die Fälle gezählt haben, die wir kennen -, dann ist der Eindruck unvermeidlich, daß sich hier sehr wenig bewegt. Von der jetzt lebenden Bevölkerung werden, bleibt die Situation unverändert, 12 Millionen Menschen an Krebs sterben. Deshalb richtet sich die Hoffnung aller Bürger, nicht nur bei uns, sondern auch jenseits unserer Grenzen, darauf, daß alle Anstrengungen unternommen werden, dieser schrecklichen Krankheit endlich Herr zu werden, so wie es bei Pest, Cholera, Kindbettfieber, Pokken, Tuberkulose gelungen ist. Seit Claudius von Galen vor 1800 Jahren als erster die Krankheit Krebs beschrieb, hat die medizinische Wissenschaft alles versucht, den Ursachen dieser Krankheit auf die Spur zu kommen. Dabei hat sich sehr viel Wissen über gewebespezifische Veränderungen, Veränderungen der Zellbiologie, Veränderungen der körperlichen Abwehrkräfte, über krebsauslösende und krebsbegünstigende Einflüsse, Substanzen und Faktoren ergeben. Eine an die Wurzeln gehende Therapie, eine zielgenaue Vorsorge zur Verhinderung dieser Krankheit ist aber nicht möglich, solange wir nichts über die eigentliche Ursache von Krebs wissen. Wir können bösartige Neubildungen entfernen, befallene Zellen vernichten. Aber wir können Krebs nicht im eigentlichen Sinn heilen. Wichtig ist - und da stimme ich Herrn Jaunich durchaus zu -, daß wir nicht in Resignation verfallen, sondern trotzdem immer wieder Initiativen und Aktivitäten entwickeln. Der Antrag zur Krebsforschung und Krebsbekämpfung in Deutschland, den Sie gestellt haben, stimmt, das betone ich, im Grundsatz durchaus mit unseren Bemühungen überein, die nach sorgfältiger Vorarbeit zur ersten Großen Krebskonferenz am 27. September 1979 geführt haben. Sie war die konstituierende Sitzung im Rahmen eines Gesamtprogramms Krebsbekämpfung, an dem alle beteiligt sind, die einen unmittelbaren Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten können. Meine Damen und Herren, die große Zustimmung und die erstklassige Beteiligung an dieser Krebskonferenz ermutigen uns und bestätigen unsere Auffassung, daß wir hier einen neuen Anfang gemacht haben, der wohl aussichtsreich ist, denn vertreten waren die Ärzteorganisationen, die wissenschaflichen Fachgesellschaften, die die Forschung fördernden Institutionen, die Sozialleistungsträger, die Deutsche Krebshilfe - um nur einige der wichtigsten Teilnehmer zu nennen. Vertreten waren übrigens auch die drei Fraktionen des Deutschen Bundestages. Alle drei haben in Reden ihre Unterstützung signalisiert. Für die CDU/ CSU hat das der Herr Abgeordnete Riesenhuber getan, der den heute zur Debatte stehenden Antrag an erster Stelle unterschrieben hat. Erstaunlicherweise steht dennoch in dem Antrag, den Sie unterschrieBundesminister Frau Huber ben haben, kein Wort über die Krebskonferenz, über deren Sinn und Zweck und über das, was Sie auf dieser Konferenz gesagt haben. ({0}) - Das ist mir bekannt, aber Sie hätten das sehr wohl nachschieben und mindestens heute in Ihrer Rede anders darstellen können. ({1}) - Also, nun muß ich doch erst einmal hervorheben, daß die Entschließung des Bundestages von den Koalitionsfraktionen kam. Hier dürfen Sie nun nicht so tun, als wären Sie der Initiator gewesen. ({2}) - Ich werde noch darlegen, daß wir das ausgeführt haben. Ihrer heutigen Vorlage entnehme ich jedenfalls, daß die CDU/CSU entgegen ihrer Ankündigung im Deutschland-Union-Dienst vom Januar dieses Jahres, mit der dem Parlament eine Initiative für ein langfristiges Krebsforschungsprogramm empfohlen worden war, jetzt wie die Bundesregierung das Schwergewicht auf die Krebsbekämpfung legen will, ohne daß - das betone ich - die Krebsforschung deshalb geschmälert werden soll. Aber es gibt eben keine übergreifende Rahmenplanung für alle Forschungsbereiche, und dies haben uns insbesondere die Erfahrungen in den USA gelehrt, wo, wie Sie ja wissen, sehr viele Mittel in die Forschung, gerade in die Krebsforschung, investiert werden. Der Ansatz, den wir mit dem Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung verfolgen, d. h. die Zusammenführung des gegebenen Wissens und der vorhandenen Möglichkeiten sowie deren bedarfsgerechte Ergänzung, zielt darauf ab, mit den derzeitigen Mitteln das Bestmögliche zu erreichen. Dies ist, so glaube ich, ein realistisches Ziel. Wir können erwarten, daß durch gemeinsame Bemühungen auf breiter Basis bei konsequenter Nutzung der gegebenen Chancen die derzeitige durchschnittliche Heilungsquote von 30 bis 40 % aller Krebserkrankungen sich wesentlich steigern läßt oder, anders ausgedrückt, daß die zur Zeit jährlich gleichbleibende Zahl von Krebstoten Schritt für Schritt verringert werden kann. Wenn nun in Ihrem Antrag gesagt wird, daß ein Deutscher Rat zur Krebsbekämpfung in einem langfristig angelegten Konzept die Voraussetzungen dafür schaffen soll, die Häufigkeit der Krebserkrankungen zu vermindern und die Heilungschancen zu vergrößern, so ist mir dies eigentlich zu wenig. Wir haben im Grunde genügend Voraussetzungen, um die Situation deutlich zu verbessern, nur nutzen wir sie höchst ungenügend. Wir können diese Voraussetzungen auch noch verbessern, aber wir dürfen deshalb nicht Aktivitäten auf die lange Bank schieben, die jetzt ergriffen werden können. Deshalb steht in unserem Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung nicht die Grundlagenforschung an erster Stelle, deren langfristige finanzielle Förderung - auch in verbesserter Form - natürlich notwendig ist. Im Vordergrund stehen aber bei uns diejenigen Maßnahmen, die unmittelbar und kurzfristig bei der Erkennung gefährdeter Personen und der Behandlung der Betroffenen einen Nutzen versprechen. Vielleicht erscheint Ihnen dies zu wenig wissenschaftlich orientiert, zu pragmatisch. Aber, meine Damen und Herren, wir wollen erreichen, das gehandelt wird. Wir wollen natürlich auch für Kritik offen sein und alternative Ansätze prüfen. Wir haben gehört, es sei bei der Reform des Medizinstudiums unterblieben, die zukünftigen Ärzte in onkologischen Fragestellungen besser auszubilden. Nach Auffassung des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen ist diese Kritik unbegründet. Bei der Straffung der Gegenstandskataloge haben gerade diese Teilbereiche einen besonderen Akzent bekommen. In unserem Programm wird man aber klären müssen, ob denn in der ärztlichen Praxis heute schon alles zur Früherkennung von Krebserkrankungen getan wird, was ohne großen Mehraufwand möglich ist, ob routinemäßig auf Warnzeichen der häufigsten Krebserkrankungen geachtet wird, ob danach gefragt wird. Schon ein solcher Hinweis kann die tatsächliche Situation verbessern. Es ist ja nicht Unwissenheit, sondern häufig eingefahrene Tagesroutine, die dazu führt, daß Patienten im krebsgefährdeten Alter eben nicht auf Warnzeichen abgefragt oder entsprechende einfache Untersuchungen eben nicht durchgeführt werden, so daß letztlich Krebsfrüherkennung auf ein Sonderprogramm beschränkt bleibt. Wir hatten auch den Gedanken geprüft, aber wieder fallengelassen, so etwas wie einen nationalen Krebsrat zu bilden, der nach antikem Vorbild als „Rat der Weisen" fungieren soll. Wir sind deshalb nicht überrascht, wenn jetzt vorgeschlagen wird, einen Deutschen Rat zur Krebsbekämpfung einzurichten, ohne daß allerdings in Ihrer Vorlage klar wird, welche wirkliche Kompetenz er haben soll. Die vorgeschlagene Konstruktion unter einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens mit besonders hohem Ansehen ist der Deutschen Krebshilfe sehr ähnlich. Ich empfände es als schlecht, wenn hier der Anschein erweckt würde, der Bund wollte nunmehr zu dieser in Konkurrenz treten. Abgesehen davon soll hier aber offenbar Verantwortung delegiert werden, die die Exekutive einfach nicht delegieren kann. Statt einen zusätzlichen Apparat zu bilden, wollen wir uns darum bemühen, Experten und wissenschaftliche Kapazitäten in einen direkten Dialog mit denen einzubinden, die ohnehin über die Möglichkeiten der Umsetzung und Realisierung verfügen. Dazu haben wir die Große Krebskonferenz geschaffen. Dabei geht es nicht um eine neue Hierarchie - das habe ich schon bei der ersten Sitzung betont - etwa unter Leitung des Bundes, sondern es geht um die beste Form, das gesteckte Ziel zu erreichen. Ich glaube nicht, daß die Bürger Verständnis dafür hätten, wenn Verantwortung verlagert und nicht von denen wahrgenommen würde, denen sie übertragen worden ist. Es ist doch eine Unterstellung, wenn Sie in der Begründung des Antrages und auch heute morgen hier wieder sagen, daß wir wegen Kompetenzwirrwarrs und Streites in der Bundesregierung in Sachen Krebs nicht weiterkämen. Die Zusammenarbeit ist hervorragend. Selbst wenn man nun einem Krebsrat zuneigte, wären solche Anwürfe aber auch für die von Ihnen angestrebte Bund-Länder-Zusammenarbeit nicht sehr hilfreich. Wichtig ist vielleicht noch, daß es schon ein federführendes Ressort gibt, nämlich den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit und daß der Antrag zumindest in diesem Punkt hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben ist. In vielen Vorstellungen, von denen Sie in Ihrem Antrag sprechen, stimmen wir völlig überein. Insgesamt wird hier aber nach meiner Einschätzung noch zuviel im Vorfeld angesetzt, zuviel gesichtet, geprüft, entwickelt, in Konzeptionen gefaßt, wo es doch schon ganze Kataloge orientierter Zielvorstellungen gibt, die jetzt oder doch in kurzer Zeit wirksam werden, umgesetzt werden könnten. Wenn ich sehe, wie lange es dauert, bis eine neue Instanz wirklich arbeitsfähig wird, eine Bestandsaufnahme echte Resultate zeitigt, dann erscheint es mir schon von daher angebracht, mit den Mitteln, die wir jetzt besitzen, auch mit dem Mut zur Lücke und mit heilsamer Geduld zu beginnen. Möglicherweise wird es uns wie Schuppen von den Augen fallen, wenn wir sehen, mit welch einfachen Mitteln bislang brachliegende oder wenig abgedeckte Bereiche der Krebsbekämpfung nachdrücklich verbessert werden könnten. Wir müssen dazu vielleicht vertraute Pfade verlassen - und das gemeinsam, so hoffe ich - und auch Alternativen bedenken. Das gilt insbesondere für die Früherkennung und für bestimmte Risikogruppen der Bevölkerung, auch für die Vorsorge. Wenn es uns heute selbstverständlich erscheint, daß sich spezielle Dienste um Gesundheit etwa am Arbeitsplatz kümmern oder andere um die Gesundheit der Mitarbeiter z. B. im Lebensmittel- und Gaststättengewerbe, wird man sich fragen, ob diese Dienste nicht auch für die Krebsbekämpfung nutzbar gemacht werden könnten. Hier müssen wir auch Monopolansprüche überdenken. Als wir daran gingen, den Bereich der ärztlichen und neuerdings auch der nichtärztlichen Nachsorge über Modellvorhaben zu verbessern, ist uns überhaupt erst bekanntgeworden, welcher Bedarf hier bisher unbefriedigt geblieben war, wieviel Not besteht und wieviel nicht gelindert werden konnte, obwohl dies ohne unvertretbar hohen Aufwand und auch ohne Systemveränderung hätte möglich sein können. In der Fachwelt ist man sich darüber einig, daß es derzeit eine wirksame Verbesserung der Gesamtsituation nur in dem Maße gibt, in dem es gelingt, möglichst viele Menschen im krebsgefährdeten Alter regelmäßig zur Früherkennungsuntersuchung zu bringen, die Untersuchung natürlich zu verfeinern, zu vereinfachen und in der Treffsicherheit zu erhöhen. Dafür kann man nach heutigem Erkenntnisstand viel tun, insbesondere auch durch anwendungsorientierte Forschung. Es zeigen sich verheißungsvolle Ansätze, über diagnostisch faßbare Risikobefunde doch in das Feld echter Vorsorge einzudringen. Ein gewisser Optimismus, bei konsequenter Nutzung dieser Möglichkeiten die Situation insgesamt schon bald verbessern zu können, ist durchaus berechtigt. Ich sage dies mit einer gewissen Betonung auch deshalb, weil auf diese Weise Krebsangst verringert wird. Herr Jaunich hat ja schon davon gesprochen: Diese Krankheit ist so sehr mit Angst besetzt, daß rationale Ansprachen nicht viel helfen. Die Krebsangst hat in den letzten Jahren nicht absondern zugenommen, wobei nicht auszuschließen ist, daß die Art, wie wissenschaftliche Streitfragen in die Öffentlichkeit getragen werden, dazu beiträgt. Jetzt gilt es aber, positive Erfahrungen zu vermitteln und alle Bürger, die es angeht, wieder ansprechbar zu machen. Was ist das für ein tragischer Widerspruch, wenn die Mehrzahl der Bürger angibt, zu wissen, daß Krebs nur bei frühzeitiger Erkennung heilbar ist, wenn sie aus diesem Wissen nicht die Konsequenzen ziehen und sich dadurch ein erheblicher Teil der Bürger selber gefährdet! Hier gilt es, Lösungen zu finden und positive Erfahrungen aus Gesprächen mit denen, die über solche Erfahrungen verfügen, weiterzutragen. Meine Damen und Herren, über Krebs muß man sprechen können. Auf der Konferenz im September haben, wie ich schon sagte, Vertreter aller drei Bundestagsfraktionen die Bereitschaft erklärt, im Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung mitzuwirken. Ich denke, dies schließt auch die Absicht ein, das Thema Krebs von denkbaren parteipolitischen Verzerrungen freizuhalten und nach Abschluß der Vorarbeiten im Jahre 1980 - trotz Wahljahr - die eigentliche Arbeit zu beginnen. Entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 1. Juli 1976 wird die Bundesregierung zum Ende dieses Jahres in Fortschreibung der Antwort auf die Große Anfrage zur Krebsforschung einen Bericht vorlegen, der die Gesamtsituation darlegt und die Maßnahmenansätze und Initiativen beschreibt, die von der Bundesregierung allein oder gemeinsam mit anderen zur Krebsbekämpfung aufgenommen wurden. Auch er wird in diesem Hause sicherlich diskutiert werden, zumal in ihm über die bloße Fortschreibung hinaus auf Sachpunkte eingegangen wird, die in dem Antrag des Bundestages gestanden haben. Diese Fragen sind geprüft worden, und die Ergebnisse sollen selbstverständlich auch umgesetzt werden. Es geht dabei um die Forschung, den internationalen Verbund, die Einrichtung von Tumorzentren, um weitere Krebsregister bis hin zur Errichtung einer institutionalen Kooperationsebene für Krebsforschung und Krebsbekämpfung. Der Bericht hat sich verzögert. Sie haben das hier heute gesagt, Herr Riesenhuber. Jedoch hat die Bundesregierung, als es sich abzeichnete, daß das Zusammentragen der Fakten, insbesondere bei der Geschäftsstelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die ja damit beauftragt war, länger dauern würde, als wir gedacht hatten, im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit am 6. Dezember 1978 einen ausführlichen Zwischenbericht gegeben. Der gemeinsame Beschluß aller Bundestagsfraktionen vom Juli 1978 ist in großen Teilen mit den Forderungen und Vorstellungen identisch, die heute in dem Antrag hier zur Diskussion stehen. Der Beschluß stellt ebenso wie dieser Antrag auf eine verstärkte Forschungsförderung ab. Der Beschluß verlangt die Prüfung auch unkonventioneller Vorstellungen, die nicht den schulmedizinischen Vorstellungen entsprechen. Auch dies steht in Ihrem Antrag. Die Einrichtung von Krebsregistern findet sich dort ebenso wie die Forderung, geeignete Maßnahmen zu entwickeln, um die Inanspruchnahme der Krebsfrüherkennungsuntersuchung zu steigern. Die internationale Zusammenarbeit wird von beiden Seiten angesprochen, ebenfalls die Verbesserung der Versorgung von Krebskranken in Tumorzentren, wenngleich im letztgenannten Punkt eine Nuancierung eingetreten ist. Beide Vorlagen nennen auch die verbesserte Aus-, Weiter- und Fortbildung. Neu ist in Ihrem Antrag eigentlich nur die Forderung, einen Deutschen Rat zur Krebsbekämpfung einzusetzen. Darauf bin ich schon eingegangen. Ich frage mich, meine Damen und Herren, ob wir jetzt nicht Gefahr laufen, durch Überaktivität die heute schon gegebene Basis, auf der ein Programm zur Krebsbekämpfung aufbauen kann, zu zerreden oder Zeit zu verlieren. Deshalb bin ich in Sorge, daß Ihr Antrag, wenn er in der üblichen Form parlamentarisch behandelt wird, die Entwicklung und Durchführung des auch von Ihnen begrüßten Gesamtprogramms zur Krebsbekämpfung verzögern könnte. Bis das Für und Wider dieser Vorstellung ausdiskutiert ist, bis Anhörungen durchgeführt und Beschlüsse gefaßt sind, bis eine abschließende Beratung erfolgt ist - falls das in dieser Legislaturperiode überhaupt noch möglich ist -, könnte ein Stillstand eintreten, der uns den Vorwurf einbringt, nichts getan zu haben. ({3}) Aus Ihrer Verantwortung heraus versteht die Bundesregierung den gemeinsamen Beschluß dieses Hauses vom Juli 1976 deshalb als Generalauftrag dafür, ein Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung in der vorgesehenen und hier erläuterten Form zu entwickeln, und zwar ohne schuldhaftes Verzögern. Ihre Absichten stimmen mit unserem Programm weitgehend überein. Der Deutsche Bundestag hat im Plenum wie in den Fachausschüssen inhaltliche Einwirkungsmöglichkeiten auf der Basis des Berichts über die Erfüllung der von Ihnen erteilten Aufträge. Alle Fraktionen haben durch ihre Sprecher ihre Mitwirkungsbereitschaft erklärt. Wir sollten deshalb unverzüglich mit dem verstärkten Kampf gegen den Krebs beginnen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker ({0}).

Dr. Karl Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen! Wir debattieren heute über einen Antrag zu einem der schwierigsten Probleme unserer menschlichen Natur. Der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 3. April dieses Jahres zur Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheiten betrifft eine Erkrankung, die der bekannte Chirurg und Begründer des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg, Professor Bauer, einmal den „Menschheitsfeind Nr. 1" nannte. Sie haben gehört, daß diese Erkrankung heute als zweithäufigste Todesursache in der Bundesrepublik täglich etwa 400 Opfer fordert. Ändert sich die Krebssterblichkeit in den nächsten Jahrzehnten nicht, dann ist anzunehmen - Frau Minister Huber erwähnte es bereits -, daß von den heute lebenden Bundesbürgern etwa 12 Millionen an Krebs sterben werden; die meisten von ihnen - das ist das Entscheidende - vorzeitig. Diese nackten Zahlen sagen nichts aus über die schweren Schicksale, spiegeln nichts wider von Leiden und Schmerz, von Furcht und Verzweiflung, von Hoffnung und Chancen, die den Krebskranken und seine Familie betreffen. Seit Jahrzehnten bemühen sich Forscher und Kliniker um die Ursachen und die Entstehung dieser Erkrankung. Sie ist noch eines der letzten ungelösten Rätsel der Biologie. Die Erfolge sind aber bisher nur sehr begrenzt. Wer sich kritisch Gedanken über die Krebserkrankung, ihren Ablauf und die Therapieerfolge macht, muß feststellen, daß wir, bezogen auf gleiche Stadien der Erkrankung und ausgenommen einige wenige Blutkrebsformen, einige Geschwülste bei Kindern und gewisse Fortschritte beim Unterleibskrebs der Frau, in den letzten 25 Jahren keine wesentlichen Erfolgssteigerungen mehr erzielt haben. ({0}) Über das Zustandekommen von Krebs lassen sich durch Tierversuche nur begrenzt auf den Menschen übertragbare Aussagen machen. Da sich das Experiment am Menschen von selbst verbietet, bleibt den Krebsforschern nur die klinische Beobachtung an Krebskranken selbst. Aussagen über die ursächliche Bedeutung von Faktoren und Faktorenkomplexen können aber nicht am Einzelpatienten, sondern nur an größeren Kollektiven von Erkrankten gewonnen werden. Daher benötigt die Wissenschaft solche Datensammlungen, sogenannte Krebsregister. Die daraus Dr. Becker ({1}) gewonnenen Erkenntnisse sind durch keine anderen Mittel zu ersetzen. In der Bundesrepublik sind wir aber, gemessen am Niveau anderer Länder, in bezug auf die Aussagemöglichkeiten zur Epidemiologie der Krebserkrankungen auf diesem Gebiet noch ein „Entwicklungsland". Schon bei der Krebsdebatte 1976 kam dies zum Ausdruck. Geändert hat sich jedoch seitdem nichts. Im Gegenteil: Die heute in der Bundesrepublik bestehenden drei Krebsregister - in Hamburg, im Saarland und teilweise in Baden-Württemberg - haben zunehmend Schwierigkeiten, die auf datenrechtliche Bestimmungen zurückgeführt werden. Bei der Zusammenstellung des kürzlich veröffentlichten „Krebsatlas" über die auffallend unterschiedliche Verteilung der Krebssterbefälle in der Bundesrepublik haben nur drei von elf statistischen Landesämtern geantwortet, Behörden auf Regierungsbezirks-, Kreis- und Gemeindeebene praktisch gar nicht. Das Verschanzen hinter das Datenschutzgesetz reicht bis in die Regierungebene hinauf, obwohl im medizinischen Bereich die Datensicherung durch die gesetzlich verankerte Schweigepflicht schon seit urdenklichen Zeiten funktioniert. Hier wird Datenschutz geradezu in das Gegenteil verdreht, wenn damit lebensnotwendige Ursachenforschung in der Onkologie abgeblockt wird. ({2}) In der Forschung wurde in den letzten Jahren ein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, möglichst viele Substanzen aufzuspüren, die als mögliche Krebsauslöser, sogenannte Krebsnoxen, in Frage kommen. Hier sind zweifellos große Fortschritte gemacht worden. Über 400 Substanzen wurden als Krebsnoxen identifiziert. Trotzdem konnte das Rätsel der Krebsentstehung dadurch nicht gelöst werden. Vor übertriebenen Erwartungen muß auch weiterhin gewarnt werden. Eine ganze Reihe von Argumenten spricht auch gegen die reine Verursachertheorie bei diesen Krebsnoxen. So ist trotz ständig steigender Zahl von Krebsnoten infolge der zunehmenden Industrialisierung die Krebsgefährdung, bezogen auf gleiche Altersklassen und Jahrgangsstärken, seit mehreren Jahrzehnten konstant geblieben. Ergebnisse aus Japan, den USA und der UdSSR bestätigen das. Nach derselben Theorie müßte bei den mit der Nahrung zugeführten Krebsnoxen aus Konservierungs- und Färbemitteln ein Anstieg der Krebserkrankungen an Speiseröhre, Magen und Gallenblase in Erscheinung treten. Jedoch nehmen diese Krebsarten bei uns an Häufigkeit stark ab. Es ist daher auch zu erwarten, daß eine gesetzlich vorgesehene Eliminierung möglicher krebserzeugender Substanzen aus dem industriellen Bereich nur relativ wenigen Krebsfällen vorbeugen wird. Auch die Ergebnisse der Krebsvorsorgeuntersuchungen lassen erkennen, daß ihre Grenzen nur eng gesteckt sind. Von ca. 70 Krebsarten verursachen sieben etwa 70 % aller Krebserkrankungen. Von diesen sieben können derzeit nur drei für eine schematische Krebsvorsorgeuntersuchung empfohlen werden: die Brustdrüsen-, Unterleibs- und Darmkrebsvorsorge bei der Frau sowie die Darmkrebsvorsorgeuntersuchungen bei dem Mann. Diese Krebsarten decken bei Frauen aber nur 35 % und bei Männern sogar nur 7 % aller möglichen Krebserkrankungen ab. Sicher könnte bei einer Erhöhung der Beteiligung an diesen Krebsfrüherkennungsmaßnahmen eine Besserung erreicht werden, vor allem dahin gehend, daß dann mehr Patienten in frühen Stadien der Erkrankung zur Behandlung kommen. ({3}) Die Angst, Herr Jaunich, spielt sicher eine Rolle, daß zu wenige dorthin gehen, aber wahrscheinlich noch viel mehr das Nicht-daran-Denken. Diese geringe Gesamtzahl der Besserung über diese Maßnahmen, über solche pragmatischen Lösungen schlägt jedoch, Frau Minister, nicht auf die allgemeine Krebsheilungsquote durch. So wurde die Fünfjahresüberlebensrate sämtlicher Krebsarten von 39 % im Zeitraum 1950 bis 1959 nur um 2 % im Zeitraum von 1967 bis 1973 gesteigert. Ein leider nur geringer Erfolg bei enorm großem finanziellem, organisatorischem und medizinischem Auwand. Bei einer nüchternen Analyse müssen wir feststellen, daß die richtunggebende und dann oft auch schicksalbestimmende Entscheidung über die Erkrankung nach wie vor bei dem zuerst konsultierten Arzt fällt Das haben Sie erwähnt, Frau Minister. Das ist wahrscheinlich auch der Einstiegsort, wo wir überhaupt am meisten erreichen können. Dieser Ort ist bei 90 % aller potentiellen und wirklichen Krebskranken der Hausarzt. Hier liegt in der Erkennung und Behandlung das Hauptproblem, weniger in der Anzahl der Tumorzentren, trotz alle Wichtigkeit, die ihnen zukommt Wenn hier an der Peripherie ein gut funktionierendes System der Information und der Kommunikation zwischen niedergelassenen Ärzten und Spezialeinrichtungen, besonders zwischen onkologisch ausgebildeten Ärzten in der Parxis und in der Klinik, errichtet werden kann, dann werden wir zweifellos einen großen Schritt weiterkommen. Hier bestehen aber schon in der Ausbildung zum Arzt noch große Lücken. Mit Multiple-choice-Fragen im Examen ist das nicht zu regeln, Frau Minister. Das ist einfach unmöglich. Auch in der Fortbildung der Ärzte muß diesen der neueste Stand der Diagnose und Therapie, vor allem aber auch der Möglichkeiten in der Nachsorge nähergebracht werden. Gerade auch mit der konsequent und beharrlich von sachkundiger Hand und interdisziplinär durchgeführten Krebsnachsorge kann es gelingen, weitere Verbesserungen der Behandlungsergebnisse bei dieser schlimmen Krankheit zu erzielen. Dies ist aber eine alte Forderung. Schon 1901 hat der Heidelberger Kliniker Vincent von Czerny eine zentralisierte interdisziplinäre Kooperation zur verbesserten Krebsbekämpfung gefordert. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen aus einer Vielzahl von Schwierigkeiten und Problemen um die Krebserkrankung einige dargestellt, Dr. Becker ({4}) um die Notwendigkeit einer breit angelegten Verbesserung in der Krebsforschung und in der Krebsbekämpfung zu begründen. Zu lange Zeit schon ist verstrichen. Zu lange mußten wir auf Initiativen und Anstrengungen warten, die hier an diesem Ort zuletzt vor drei Jahren gefordert wurden. Hier muß ich noch einiges erwähnen, Herr Jaunich. Unser Antrag stammt vom 3. April dieses Jahres. Frau Minister, er ist bis heute, also acht Monate, liegengeblieben und nicht behandelt worden. ({5}) - Ich weiß, was Sie sagen wollen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Karl Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Horst Jaunich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Becker, wollen Sie der Öffentlichkeit dann bitte zumindest erklären, wem Sie es anlasten wollen, daß Ihr Antrag, der zu dem eben von Ihnen genannten Datum gestellt wurde, erst heute vom Plenum behandelt wird.

Dr. Karl Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Niemandem. Er ist bis dato nicht behandelt worden. Er blieb liegen, weil in der Zwischenzeit andere Dinge auf den Marsch gebracht wurden. Es wurde von der Regierung eine Krebskonferenz installiert, die eigentlich erst das Ergebnis des Krebsberichtes hätte sein sollen, der schon im vergangenen Jahr hätte vorgelegt werden müssen, aber nicht vorgelegt wurde. Man hat hier das Pferd anscheinend von hinten aufgezäumt. Der Krebsbericht hätte die Grundlagen für das legen müssen, was wir hier nachher zu erarbeiten haben. Weil eben dieser Bericht nicht vorlag, sind wir mit unserem Konzept angetreten. ({0}) Wir schlagen die Bildung eines Deutschen Rates zur Krebsbekämpfung vor. Dieser Deutsche Rat zur Krebsbekämpfung soll eine Ebene der Zusammenarbeit und des Zusammenwirkens sein, die die vielfältigen Anstrengungen in Praxis, Klinik und Forschung zusammenfaßt und ergänzt. Dieses Gremium soll als überregionale Koordinierungsstelle und auch als unabhängiger Sachverständigenrat in Verbindung mit den Einrichtungen und Organen der Versicherten und der Therapeuten die Voraussetzungen für größere Erfolge in der Erforschung und der Bekämpfung der Erkrankung ermöglichen. Wir sehen in einer solchen Organisation, die von der politischen Ebene nicht inhaltliche Vorgaben, Programm- und Projektfestlegungen erhalten kann und darf, auch die Chance, daß in einem sinnvollen Verbund Einzelinitiativen mit zur Entfaltung kommen können. Die Forschung hatte immer ihre größten Erfolge aus ihrer Spontaneität entwickelt. Planbar waren sie jedenfalls nicht. Darum sollen auch eine bürokratische Gängelung, eine formalistische Erstarrung oder die stärkere Institutionalisierung vorhandener Einrichtungen vermieden werden. Dies erscheint uns eher möglich, wenn Parlament, Regierung und Länder nur einen organisatorischen Rahmen und auch einen finanziellen Rahmen für eine solche Einrichtung schaffen. ({1}) Zuviel Bürokratie, zuviel Richtlinienkompetenz und eventuell noch Kompetenzstreitigkeiten zwischen einzelnen Ressorts behindern eher, als daß sie bei dieser großen Aufgabe weiterhelfen. Mein Kollege Riesenhuber hat auf die Nachteile der Regierungskonzeption bereits hingewiesen, die sich für die Große Krebskonferenz aus den von Bundesressorts vorzubereitenden Arbeitsprogrammen und Arbeitsabläufen ergeben. Dort wird bereits festgelegt, was nachher noch geschehen kann, und es wurde auf die Arbeitsprogrammfestlegung für die Fachkommissionen hingewiesen. Ich teile seine Bedenken und fürchte, daß man sich da Schuhe anzieht, die nicht passen und auch nicht passen können. Es besteht die Gefahr, daß den Sachverständigen gewissermaßen ein Hut mit den Vorgaben übergestülpt wird, die aus den Ministerien kommen. Diesen Hut können und dürfen sie nicht tragen. Wir erwarten und hoffen, so den Menschen in unserem Land, aber auch über die Grenzen hinweg, einen wichtigen und hilfreichen Beitrag bei der Krebsbekämpfung leisten zu können. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Erler.

Brigitte Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000487, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Industrieländern sind die Mangelkrankheiten völlig, die Infektionskrankheiten weitgehend besiegt. Statt dessen haben wir es mit den sogenannten Zivilisationskrankheiten zu tun: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Rheuma. Diese sogenannten Zivilisationskrankheiten haben alle gemeinsam, daß sie nicht auf einer Einzelursache beruhen, sondern daß sie offensichtlich ganz komplexe Ursachen haben. Deshalb ist die Ursachenforschung um so schwieriger. Somit müssen wir beim Krebs feststellen, daß die internationale Ursachenforschung im Grunde immer noch völlig am Anfang steht. Wir wissen nicht, ob die epidemiologische Ausbreitung des Krebses nur darauf beruht, daß die Leute in den hochentwikkelten Industrieländern jetzt älter werden, wir wissen nicht, wieweit Umweltfaktoren oder auch Arbeitsplatzgefährdungen ein Rolle spielen, und wir wissen nicht, wieweit die sozialen, psychischen und familiären Verhältnisse Einfluß auf Krebserkrankungen haben. Wir haben in all diesen Fragen lediglich völlig vage Forschungsergebnisse. Wir können sagen, daß das durchschnittliche Alter der Krebstodesfälle bei 68 Jahren liegt; wir haben allerdings auch einen negativen Höhepunkt im jugendlichen Alter. Wir haben einige Stoffe identifiziert, die für den Menschen toxisch sind, während wir für andere Stoffe festgestellt haben, daß sie bei Tierversuchen krebserregend sind, wobei wir immer noch nicht feststellen konnten, wieweit sie wirklich auch Menschen gefährden. Wir haben Ergebnisse in der sozi14510 almedizinischen Forschung, daß etwa Frauen aus schwächeren sozialen Schichten häufiger Gebärmutterhalskrebs haben und bei ihnen außerdem mehr Todesfälle zu verzeichnen sind. Das ist wahrscheinlich deshalb so, weil die Frauen aus schwächeren sozialen Schichten weniger als Frauen aus besser gestellten Schichten zu Vorsorgeuntersuchungen gehen. Alle diese wirklich mageren Ergebnisse der bisherigen Ursachenforschung müssen uns dazu bringen, vor allem auch in der Grundlagenforschung weitere große Anstrengungen zu unternehmen, wobei wir uns, glaube ich, völlig einig darin sind, daß wir aus dem Scheitern des großen Plans zur Krebsforschung in den USA lernen müssen und wollen, der wohl hauptsächlich daran gescheitert ist, daß dort versucht wurde, gerade die Grundlagenforschung ganz detailliert vorauszuplanen, was sicherlich zu absolut keinem Ergebnis führen konnte und, wie sich gezeigt hat, auch zu keinem Ergebnis geführt hat. Die Anstrengungen in der Bundesrepublik zur Grundlagenforschung sind, meine ich, beachtlich. Das gilt vor allem für die Leistungen der DFG mit ihren Sonderforschungsbereichen der Leukämie- und Tumorforschung, der Forschung über Methoden zur Krebsfrüherkennung und zur Krebsforschung, wobei schon die Namen dieser Forschungsbereiche darauf hindeuten, daß Grundlagenforschung in diesem Bereich nicht ganz genau gegenüber klinischer und angewandter Forschung abgrenzbar ist. Neben der DFG sind auch die Anstrengungen des Deutschen Krebsforschungszentrums, der Max-PlanckGesellschaft und der Forschung an den Universitäten zu erwähnen. Wir erhoffen uns von dem Überblick der DFG-Senatskommission, der spätesten in drei Monaten vorliegen wird, gerade bei dem nationalen und internationalen Vergleich der Krebsforschung, bei der Zusammenstellung der biologischen und theoretischmedizinischen Forschung, der klinischen Forschung und der begleitenden Sozialforschung bessere Erkenntnisse darüber, wo eventuell auch bei uns noch Schwerpunkte gesetzt werden müßten, die nicht in anderen Nationen oder bei uns abgedeckt sind. Wir meinen allerdings, daß neben dem sicher wichtigen Bereich der Grundlagenforschung, in dem kurzfristig kaum Erfolge zu erwarten sind - ich glaube, das muß man realistisch sehen -, im Moment eine besondere Betonung auf die angewandte Forschung, ganz besonders aber auf die Forschung gelegt werden muß, die dabei hilft, diese Erkenntnisse umzusetzen. Ein beredtes Beispiel sind hier die sicherlich „einsichtigen" Mitglieder unseres Ausschusses. Wenn man sich bei unseren Ausschußsitzungen die rauchgeschwängerte Luft ansieht, und zwar vor dem Hintergrund der Erkenntnis, daß 80% des Lungenkrebses vermeidbar wären, wenn nicht geraucht würde, ({0}) dann muß man sagen - ich weiß nicht, ob es etwas helfen würde -, daß in unserem Ausschuß einmal Verhaltensforschung betrieben und die Frage gestellt werden sollte: Warum rauchen wir denn eigentlich? So ist es im übrigen in der ganzen Bevölkerung. Das heißt, wahrscheinlich könnten sehr viel größere Erfolge erzielt werden, wenn wir im Bereich der angewandten Forschung, im Bereich des Umset-zens der Erkenntnisse, die wir schon längst haben, gröBere Fortschritte machten. ({1}) - Ja, ich weiß. ({2}) - Sie haben völlig recht. ({3}) Das Forschungsprogramm unter Federführung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie setzt, meine ich, völlig richtige Akzente. Neben der Krebsforschung sind dort Herz-KreislaufSystem-Erkrankungen, psychische Krankheiten, rheumatische Krankheiten und der Sonderbereich der Mütter- und Säuglingssterblichkeit ganz besonders hervorgehoben. Es wird versucht, die genannten Krankheiten in die verschiedenen Programme, die dort aufgeführt sind, einzubetten. Krebs etwa spielt im Bereich der Verbesserung der Prävention, bei der Entwicklung und Erprobung von Früherkennungsverfahren, bei der Entwicklung und Validierung von Konzepten für Diagnostik, Therapie - und hier ganz besonders für die vergleichende Therapieforschung -, Rehabilitation und bei der Forschung und Entwicklung zur Verbesserung der Datenlage, der Information und Dokumentation im Gesundheitswesen eine Rolle. Das, was in Zukunft vielleicht noch mehr betont werden müßte, ist die Forschungsorganisation. Dazu bedarf es keiner neuen Forschungsaufträge. Hier liegen die Erkenntnisse schon auf dem Tisch. Bei der Einrichtung von onkologischen Zentren muß jetzt schnell gehandelt werden, damit die Bevölkerung gleichmäßig versorgt werden kann und hier eine echte Chancengleichheit für die Gesamtbevölkerung - auch regional - auf Heilung besteht. Darüber hinaus muß sicherlich auch die Forschung an den Kliniken verbessert werden. Hier sollte mehr Personal zur Verfügung gestellt werden. Vielleicht können an den Kliniken eigene kleine Forschungsstationen eingerichtet werden. Und - das dürfen wir nicht unterschätzen -: Der internationale Austausch unserer Forscher muß endlich auch psychologisch gefördert werden. Hier geht es wahrscheinlich weniger um das Geld als um das Sicherheitsbedürfnis unserer jungen Forscher, das Bedürfnis nach Arbeitsplatzsicherung für den Fall, daß sie aus dem Ausland zurückkommen und hier wieder eingegliedert werden möchten. ({4}) - Das widerspricht in keiner Weise der Lösung der Frau Minister. Unsere Fraktion und auch die Frau Minister befinden sich da in voller Übereinstimmung, auch mit Ihren Vorschlägen, glaube ich. Wir sind uns, meine ich, völlig einig, daß es außerordentlich wichtig ist, nun endlich - die Große Krebskonferenz war das Einstiegssignal dazu - zu einer Koordination der Forschung und der Bekämpfung des Krebses auch bei uns in der Bundesrepublik zu kommen. In diesem Zusammenhang muß ich allerdings eine kleine Bemerkung machen: Hinsichtlich Ihrer in Textziffer 1.4 aufgestellten Forderung, in der wir uns völlig einig sind und die wahrscheinlich auch jeder unterschreiben wird, daß z. B. Erkenntnisse frühzeitig, etwa in Umweltschutzgesetze, umgesetzt werden müssen, sollten Sie sich einmal an die eigene Nase fassen und etwa Bayern und Baden-Württemberg zur Ordnung rufen. Denn der Eiertanz, den die jetzt um das Abwasserabgabengesetz machen, widerspricht solchen Forderungen, die Sie hier in Anträge hineinschreiben. ({5}) Ich hoffe auch, daß Sie mit der Bemerkung - das ist hoffentlich nur eine Mißinterpretation Ihrer Ausführungen, Herr Kollege Becker -, daß Verbote von bestimmten Stoffen am Arbeitsplatz nicht viel bringen würden, nicht Ihre Textziffer 1.4 in Frage stellen wollten. ({6}) - Dann bin ich beruhigt, wenn das nicht schon eine vorbeugende Relativierung war. Wir begrüßen die Große Krebskonferenz, die von der Bundesregierung im September einberufen worden ist, und hoffen, daß sie in ihrem vorgesehenen Dreijahresrhythmus arbeitsfähig sein wird. Wir setzen allerdings mehr Hoffnung als auf diese Krebskonferenz auf die Arbeit der Kommissionen und der sie unterstützenden Geschäftsstelle. Wir glauben, daß damit versucht werden kann, die Strukturfragen zu lösen, die bei den Gesundheitseinrichtungen jetzt vorrangig anstehen. Wir glauben, daß es damit geschafft werden kann, da die Probleme weitgehend identifiziert sind und jetzt die Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt werden müssen. Wir sind allerdings der Meinung, daß dabei eine direkte Beteiligung der Bundesregierung nötig ist. Ein von den Entscheidungsgremien der Bundesregierung abgehobener Rat wäre nach unserer Meinung nicht so nützlich wie einer, der in die Entscheidungsgremien der Regierung wirklich eingebunden ist. Wir begrüßen deshalb das vorgesehene Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung und sind uns mit Ihnen - das ist auch in dieser Debatte deutlich geworden - über den Inhalt völlig einig. Wir meinen allerdings, daß die Organisation anders aussehen müßte. Ich bin aber davon überzeugt, daß wir uns in den Beratungen sowohl im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als auch im Ausschuß für Forschung und Technologie darüber sachlich auseinandersetzen können. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sicherlich ist es verdienstvoll und anzuerkennen, daß die Opposition mit ihrem Antrag heute darauf hingewirkt hat, daß sich der Deutsche Bundestag erneut mit dem Problembereich der Krebsforschung und der Krebsbekämpfung - was ja umfassender ist - in einer Debatte beschäftigt. Ich möchte aber vermeiden, daß der Eindruck entsteht, als habe hier allein die Opposition die Initiative ergriffen, um die Bedeutung dieses Themas in der Öffentlichkeit mit Nachdruck unter Beweis zu stellen. Dies ist ein Anliegen aller Fraktionen. ({0}) Ich darf in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß SPD und FDP im Jahre 1975 eine Große Anfrage betreffend Krebsforschung an die Bundesregierung gerichtet haben und daß wir damit erreichen konnten, daß im Jahre 1976 hier im Hause über drei Stunden in sehr sachlicher und verdienstvoller Weise debattiert werden konnte. Meine Damen und Herren, nicht zuletzt auch der Initiative meiner Fraktion ist es zu verdanken, daß im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, nachdem der nationale Krebsbericht nicht fristgerecht vorgelegt werden konnte, ein Zwischenbericht gegeben wurde. Dies war im Dezember 1978. Lassen Sie mich einen kurzen Abschnitt aus diesem Bericht zitieren. Dort hat Herr Staatssekretär Wolters für die Bundesregierung ausgeführt: Zur Koordinierung der Krebsforschung, und das ist einer der wesentlichen Aufträge des Bundestages gewesen, um überflüssige Doppelarbeit zu vermeiden, haben wir uns darum bemüht, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine Koordinierungsstelle einzurichten, deren vordringliches Ziel es sein soll, ein fortdauerndes Abstimmungsgespräch mit den Institutionen, die Krebsforschung fördern, zu führen. - Also keine staatliche Stelle, sondern eine Stelle, die frei arbeitet, was wir - und sicherlich auch Sie als Opposition - begrüßen - weiter heißt es dort: Die Bundesregierung hat außerdem in ihrem Programm „Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit" die Krebsforschung als einen der vier Schwerpunkte aufgenommen. Die Einzelpunkte reichen von der Prävention über Früherkennungstechniken, diagnostische Standards, therapeutische Leitlinien bis hin zum Bereich der Rehabilitation bzw. Nachsorge. Sie ersehen aus diesen wenigen Zitaten, daß die Bundesregierung den Auftrag des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1976 sehr ernst nimmt und sich darum bemüht, die damals gesteckten Ziele, wenn auch nicht im vollen Maße zu verwirklichen, so aber doch anzugehen und mit Nachdruck weiter zu verfolgen. Wie schwierig es ist, diese Ziele zu erreichen und zu verfolgen, haben wir ja auf der Großen Krebskonferenz erlebt, wo über hundert Organisationen zusammenkamen, die sich mit Krebsbekämpfung befassen. Meine Damen und Herren, ich muß, nachdem das Herr Dr. Becker angesprochen hat, noch einmal auf den von Ihnen vorgeschlagenen Weg der Errichtung eines „Deutschen Rats zur Krebsbekämpfung" zurückkommen. Er erscheint mir bei allem Wohlwollen doch nicht der richtige zu sein, der von Erfolg gekrönt sein könnte. Dieser Vorschlag scheint mir die Gefahr in sich zu bergen, auf die Verwaltung des Problems hinauszulaufen, aber nicht auf seine Lösung. Ich gebe zu, alle Vorschläge, die im Moment diskutiert werden, enthalten die Schwierigkeit, daß zuviel Verwaltung entsteht und daß zu spät Lösungen herauskommen. Aber machen wir uns doch nichts vor! Mit einem gewaltigen Aufwand sind in Amerika Krebsforschung und Krebsbekämpfung eingeleitet worden, aber auch dieses nationale Programm mit erheblichen finanziellen Mitteln hat nicht den Erfolg gebracht, den sich alle Politiker erhofften und erwünschten. ({1}) Die Funktion und Zusammensetzung eines „Deutschen Rates zur Krebsbekämpfung" spricht eine zu beredte Sprache. Wir erleben es doch täglich, daß eine sich aufblähende Verwaltung nur zu oft sich selber bindet und sich von ihren eigentlichen Aufgaben langsam, aber sicher entfernt. Mit der leider für uns typischen Perfektion soll hier ein Gebilde aufgebaut werden, das letztlich nur einige Arbeitsplätze schaffen würde. Dies sind harte Worte. Aber ich habe nun einmal ein großes persönliches Mißtrauen gegen einen Vorsitzenden nebst Generalsekretär und gut ausgerüstetem Sekretariat, wenn dies aus Steuermitteln zu bezahlen ist. Selbst diejenigen, die auf dem Gebiet der Krebsforschung und Krebsbekämpfung keine Experten sind, haben, ohne daß sie sich intensiv bemühen mußten, in den letzten Monaten, ja in den letzten zwei Jahren feststellen können, daß die Bundesregierung seit langem in der Richtung tätig ist, die Sie mit Ihrem Antrag aufzeigen. Deshalb sind wir uns im Ziele absolut einig. Über den Weg werden wir uns im Ausschuß noch einmal unterhalten müssen. In der Großen Krebskonferenz am 27. September hat Frau Bundesminister Huber deutlich darauf hingewiesen, daß sie das Krebsforschungszentrum in Heidelberg ausbauen, also auf bewährten Grundlagen weiterbauen und fortfahren will. Unter der Federführung des Gesundheitsministeriums wird von allen auf diesem Gebiet tätigen Organisationen, klinischen Gesellschaften, Ministerien des Bundes und der Länder ein Gesamtprogramm erarbeitet werden. Deshalb ist es richtig und vernünftig, dort eine zentrale Stelle einzurichten, die alle Aktivitäten in dieser Richtung koordiniert. Sicherlich werden auch dem Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft zusätzliche Dienstleistungen übertragen werden müssen, damit wir bald zu Ergebnissen kommen. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders darauf hinweisen, daß gerade auf dem Gebiet der Krebsforschung die Bundesregierung Zurückhaltung üben muß und sich nur auf eine übergeordnete Koordination beschränken kann. Gerade die Forschung ist ein ureigenes Gebiet der Wissenschaft. Ihre Eigenverantwortlichkeit muß erhalten bleiben. Hier kann und darf es keinen staatlichen Dirigismus geben. Mir erscheint vielmehr - das möchte ich gerade aus der Sicht der FDP sagen - ein anderer Bereich besonders wichtig, auf dem sich sowohl Bundestag als auch Bundesregierung mit wesentlich größerer Aktivität betätigen und auch relativ schnell zu Neuerungen kommen können. Über Krebsforschung und den Bemühungen, diese Krankheit einzudämmen und womöglich ganz zu beseitigen - so wie es gelungen ist, die Tbc weitgehend zurückzudämmen; von einer Beseitigung kann man nicht sprechen -, darf das besondere Gebiet der Nachsorge nicht vergessen werden. Denn auch und gerade diejenigen, die von dieser schlimmen Krankheit befallen sind oder waren, bedürfen unserer besonderen Sorge. Hier herrscht noch ein großer Nachholbedarf, insbesondere - Frau Minister Huber hat es angesprochen - im psychosozialen Bereich. Es besteht auch noch einiges an Nachholbedarf in den Kliniken und in der ambulanten und stationären Rehabilitation. Wir müssen uns auch überlegen, in welcher Form wir Modelle psychosozialer Betreuung mehr als bisher unterstützen, wie Selbsthilfeorganisationen gestärkt werden können, die von den Krebskranken geschaffen worden sind. Auch ist folgendes deutlich geworden. Nach einer Befragung derjenigen Bürger, die Spenden für die Deutsche Krebshilfe gegeben haben, kam heraus, daß über zwei Drittel der Spender wünschen, daß die Mittel überwiegend der Forschung zufließen. Aus dieser Befragung wird deutlich, daß große Teile der Bevölkerung wissen, ({2}) daß wirklich durchgreifende Hilfe nur möglich sein wird, wenn wir über die Ursachenforschung, Grundlagenforschung und die Therapieforschung zu Erfolgen kommen. Aber es macht auch deutlich, daß ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung mit seiner Spendenbereitschaft zum Ausdruck bringt, daß Vorsorgemaßnahmen wie der menschlichen Zuwendung für Personen, die an Krebs erkrankt sind, ebenfalls eine große Bedeutung zukommt - ich möchte sagen 2 : 1. Ein Wort zur Vorsorge: Ich glaube, im Anschluß an den von Herrn Hackethal ausgelösten Methodenstreit in den Krebsvorsorgeuntersuchungen muß der Deutsche Bundestag - oder zumindest die FDP - Wert darauf legen, daß ärztlich-wissenschaftliche Fragen innerhalb der Ärzteschaft gelöst werden, der Gesetzgeber sich dagegen der Zurückhaltung befleißigt. Wir als Gesetzgeber haben vielmehr den Methodenpluralismus und den Wettbewerb der ärztlichen Verfahren zu schützen und zu fördern. Herr Kollege Hasinger, eine Zwischenfrage.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön.

Albrecht Hasinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000823, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Spitzmüller, würden Sie das, was Sie eben im Hinblick auf den Gesetzgeber gesagt haben, auch auf die Bundesregierung angewendet wissen wollen?

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin der Meinung, daß auch die Bundesregierung auf dem Gebiet der Forschung wie auf dem Gebiet eines ärztlich-wissenschaftlichen Methodenstreits zur Zurückhaltung verpflichtet ist. Wir als Gesetzgeber wir die Bundesregierung sollten, wo irgend möglich, in einen ärztlichen Methodenstreit nicht eingreifen. Allerdings muß ich Ihnen sagen, daß es auch abwegige Methoden gibt, die propagiert werden können, denen entgegenzutreten notwendig ist. - Ich will das nicht vertiefen, sonst geht darüber meine Redezeit zu Ende, Herr Kollege Hasinger. Ein Wort zur Nachsorge: Viele Patienten, aber auch Ärzte wissen gar nicht, welche Möglichkeiten der Nachsorge heute schon gegeben sind - in Form von ambulanten, aber insbesondere von stationären Rehabilitationsmaßnahmen der Rentenversicherungsträger nach der Operation, nach Bestrahlungen oder anderen stationären Krankenhausmaßnahmen. Mit jeweils fast 20 000 stationären Rehabilitationsmaßnahmen sind die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin und die Arbeitsgemeinschaft für Krebsbekämpfung der Träger der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung in Nordrhein-Westfalen in Bochum führend. Rund 100 Millionen DM geben allein diese beiden Kostenträger pro Jahr für die Krebsnachsorge zusammen aus. Trotzdem wissen viele Versicherte und auch etliche Ärzte von diesen Möglichkeiten gar nichts. Diese Debatte und das, was der Bundestag in dieser Frage macht, können dazu beitragen, daß dieses Wissen erweitert wird. ({0}) Meine Damen und Herren, der Ausschuß sollte sich vielleicht einmal in der Bundesrepublik, aber auch in der Schweiz und dort insbesondere in St. Gallen umsehen, um festzustellen, wie gut dort Tumorklinik und die ambulant weiter behandelnden Ärzte bereits zusammenarbeiten und etwas Hervorragendes zugunsten des Patienten erbringen. Im Zusammenhang mit der Nachsorge - ich bin oft mit diesen Fragen konfrontiert - sind mir in den letzten Monaten zwei Problemfälle immer deutlicher aufgefallen. Der eine sind die kleinen Angestellten oder Beamten insbesondere der Deutschen Bundespost, denen durch das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz die Möglichkeit genommen wurde, Rehabilitationskuren über die Versicherungsanstalt für Angestellte durchzuführen. Sie wurden auf die Beihilfe verwiesen. Leider war der Postminister bisher immer noch nicht in der Lage, die Beihilfevorschriften für Krebsnachsorge so zu verändern, daß auch mit einem schmalen Budget ausgestattete Witwen eine Kur durchführen können, die nicht in der Lage sind, 1 200 DM oder 1 500 DM als eigenen Beitrag zu zahlen. Hier geht meine Aufforderung an die Bundesregierung, endlich dem Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages nachzukommen und dafür zu sorgen, daß diese Benachteiligung, die damals eingetreten ist, entfällt. Der zweite Problemfall: Viele Mütter von Meinen oder schulpflichtigen Kindern nehmen stationäre Rehabilitationsmaßnahmen nicht an, weil sie nach langem Krankenhausaufenthalt ihr Kind nicht in ein Heim geben oder einer fremden Bezugsperson überlassen wollen. Hier ist meine Bitte an die Rentenversicherungsträger, zu überlegen, ob nicht im Rahmen der „sonstigen Hilfen", die in der Reichsversicherungsordnung vorgesehen sind, etwas Neues geschaffen werden kann. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schluß all den forschenden Medizinern in unserem Lande danken, die sich schon seit Jahren um neue Erkenntnisse und Forschungsergebnisse im Kampf gegen den Krebs bemühen. Lassen Sie mich aber auch all denen danken, die in selbstloser Weise in Selbsthilfeorganisationen oder in den freien Verbänden oder wo immer Hilfe für krebskranke Menschen leisten. Lassen Sie mich einen ganz besonderen Dank an die „Deutsche Krebshilfe" aussprechen, vorab an Frau Dr. Mildred Scheel, die in unerschrockener Weise und in mich am Anfang sehr schockierender Form das Tabu durchbrochen und unmißverständlich nicht von „malignen Tumoren", wie es immer der Fall war, sondern von Krebs sprach, die Krankheit also mutig beim Namen nannte und zum Kampf gegen diese Krankheit antrat und aufrief. ({2}) Heute kann man über Krebs anders als noch vor fünf Jahren offen sprechen. Für uns Parlamentarier muß wohl bei der Weiterberatung des Antrags wie bei der Beratung des noch ausstehenden nationalen Krebsberichts gelten, daß wir nicht im Widerstreit gegeneinander, sondern im Wettstreit miteinander um die besseren Erkenntnisse sinnvoller Kooperation und Koordination sowie im Vorantreiben von neuen oder zu verändernden Maßnahmen, wenn sie als erforderlich und zweckmäßig erkannt werden, zusammenfinden, um so als Parlament noch mehr als bisher unseren Teil zum Kampf gegen den Krebs beizutragen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fiebig.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu keinem Zeitpunkt ist mehr Geld in die Krebsforschung investiert worden als gegenwärtig. Und zu keiner Zeit ist die weltweite Resignation über die Stagnation der Krebsforschung so laut geworden. Es kann sich in der Bundesrepublik also nicht ausschließlich darum handeln, ob man noch mehr Geld für die Krebsforschung zur Verfügung stellt, noch mehr zentralisiert, koordiniert oder plant, sondern darum, wie man mit dem vorhandenen Geld mehr erreicht. Es stehen heute in der Krebsforschung zwei Grundpositionen mit asymmetrischer Machtverteilung gegenüber. Die klassiche Lehre seit Virchow lautet: Krebs ist eine lokale zelluläre Erkrankung. Mit Beseitigung oder Zerstörung der wild gewordenen Zellen durch Stahl, Strahl oder Zellgifte ist das Problem erledigt. Diese Theorie ist eine sogenannte privilegierte Theorie. Jeder Forschungsantrag, der sich auf sie beruft, ist von vornherein ohne weitere Begründung gerechtfertigt Die Gegenposition dazu ist die Theorie, daß der Krebs eine Gesamterkrankung des menschlichen Organismus ist Mit der ausschließlich lokalen Beseitigung einer Krebslokalisation oder einer Krebsart würde es nur zu einer Verschiebung kommen - bei gleichbleibender Gesamt-Krebshäufigkeit. Therapie, so sagen die Vertreter dieser Richtung, müßte vom Gesamtorganismus, ausgehen und die Krebskrankheit als Ganzes bekämpfen. In dieser Front steht die Immuntherapie, die Behandlung mit Phytopharmaka, z. B. Mistelpräparaten. Diese Richtung jedoch ist grundsätzlich unterprivilegiert und hat bei der Eigentümlichkeit der Besetzung der Gutachterausschüsse in der Bundesrepublik keine nennenswerte Chance, öffentlich gefördert zu werden. Es wäre wünschenswert, wenn auch für die zweite von mir genannte Therapierichtung Forschungsmittel zur Verfügung gestellt würden. Auch der Deutsche Bundestag hat im Juni 1976 in einer Entschließung gefordert, die ernsthafte Prüfung auch jener Förderungsanträge vorzunehmen, die auf unkonventionelle Weise versuchen, die wissenschaftlichen Grundlagen zur Bekämpfung des Krebses zu verbessern, und dies alles zu fördern. Die Effizienz der bisherigen Krebstherapie liegt im dunkeln. Die vielen Publikationen über „tumor response" haben keine Aussagekraft, weil aus der Rückbildung einzelner Metastasen kein Schluß auf die Überlebenszeit und Überlebensqualität gezogen werden kann. Wir dürfen vor folgender Situation die Augen nicht verschließen: Die Arbeitsgruppe um Professor Oeser hat nachweisen können, daß sich seit der Jahrhundertwende die relative Alterssterblichkeit an Krebs weltweit nicht geändert hat Zwar werden durch die Früherkennungsmaßnahmen mehr Krebserkrankungen entdeckt, jedoch läßt sich die Auswirkung der Therapie im Sinne einer Senkung der Krebssterblichkeit nach Oeser, Krokowski und anderen nicht belegen. Andererseits muß ich hier feststellen, daß ich auf meine Anfragen bei dem durch Bundesmittel geförderten Deutschen Krebsforschungsinstitut keinerlei Unterlagen bekommen habe, aus denen die Effizienz der konventionellen Krebstherapie auch nur mit einem Minimum an Überzeugungskraft hervorginge. Das bedeutet ganz schlicht nicht mehr und nicht weniger, als daß ein Weitergehen allein auf konventionellen Wegen keine Chance auf Erfolg hat Wir müssen uns die Situation selbst klarmachen und dürfen nicht darauf warten, daß uns Hackethals auf die weißen Flecken auf unserer Landkarte stoßen. Um die Stagnation in der Krebsforschung zu überwinden, sollten die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaftstheorie, wie sie als pluralistisches Konzept von Paul Feyerabend und Helmut Spinner vertreten werden, zum Tragen kommen. Ich zitiere: Theoretischer Pluralismus erhöht die Intensität und die Reichweite kritisch-rationaler Argumentation sowie die Chancen für außerordentlichen, revolutionären Erkenntnisfortschritt. Das pluralistisch angelegte Erkenntnisprogramm empfiehlt, ja verlangt die Einführung neuer Theorien, die den herrschenden Standpunkten widersprechen, und zwar selbst dann, wenn die alten Theorien noch nicht versagt haben oder sonstwie in Schwierigkeiten gekommen sind. In diesem Falle ist es die Aufgabe von Alternativen, die alten Theorien herauszufordern und ihnen möglichst viele Schwierigkeiten erst zu bereiten, d. h. Krisen der alten Theorien zu erzeugen. Das bedeutet für die öffentliche Krebsforschungsförderung, daß man sich dem Monopolanspruch privilegierter Theorien grundsätzlich zu widersetzen und für jedes Konzept mindestens auch eine Gegenposition zu fördern hat Mir ist nicht bekannt, daß - dem ausdrücklichen Wunsch des Deutschen Bundestages vom Juni 1976 entsprechend - ein einziges Krebsforschungsprojekt der besonderen Heilverfahren genehmigt worden wäre. ({0}) Hier besteht ein großer Nachholbedarf. Der schwierigste Punkt liegt in der Besetzung der sogenannten Gutachtergremien, die für die Stabilisierung des Monopols etablierter Theorien sorgen und naturgemäß alles Neue verhindern. Nach der bisherigen Erfahrung kann ein Fortschritt in der Krebsforschung nur mit Hilfe des pluralistischen Wissenschaftskonzepts erwartet werden. Ich zitiere noch einmal Helmut Spinner: Je mehr Ideen, desto besser. Je mehr Ideen ins Spiel kommen und je besser sie sind, desto lebhafter und fruchtbarer kann die pluralistische Theorienkonkurrenz sein. Eine progressive Erkenntnislehre darf also neuen Ideen gegenüber keinerlei Schranken aufrichten, sondern soll vielmehr durch eine pluralistische Methodologie das Aufkommen neuer Ideen erleichtern und ihre Entwicklung zur Reife systematisch fördern. Herr Becker, wenn man sich daraufhin Ihren Antrag anschaut, erhebt sich die Frage: Kommt das alles bei Ihnen vor? Leider nein. Darauf haben Sie in Ihrem Antrag unser Augenmerk nicht gerichtet. Sie sagen im Gegenteil, der von Ihnen geforderte Rat zur Krebsbekämpfung habe die Aufgabe, auf Grund definierter Ziele zusammenfassend zu beraten. Es widerspricht von vornherein jeder Wissenschaftstheorie, Ziele zu definieren und festzulegen. Und im übrigen: Wer soll das denn machen? (Dr. Riesenhuber [CDU/CSU]: Der Rat selbst! - Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/ CSU]: Der Rat wählt seine Ziele selbst Das widerspricht jedem Wissenschaftspluralismus. Da kann ich Ihnen, Herr Kollege Becker, also in keiner Weise folgen. Darf ich zum Schluß kommen und vielleicht noch kurz zum Ausdruck bringen, wie ich mir den Fortgang unserer parlamentarischen Debatte vorstelle. ({1}) Demnächst haben wir im Zusammenhang mit der Vorlage des 3. Krebsberichts durch die Bundesregierung eine ausführliche Debatte über die Krebsbekämpfung. Ich glaube, dann müssen wir dieses gesamte Thema noch ein wenig erweitern und darauf hinweisen, daß wir uns in dieser folgenden zweiten Debatte in dieser Legislaturperiode ganz ausdrücklich auch mit der Lage der Krebspatienten in der Bundesrepublik beschäftigen müssen. Da sind dann einige kritische Fragen zu stellen. Wie steht es mit der Pflege Krebskranker in der Bundesrepublik? Wir sollten die Augen nicht davor verschließen, daß die schwer Krebskranken das Stiefkind unseres Sozialstaats sind. Kein Krankenhaus will die schwer Krebskranken - insbesondere in ihren Endstadien - aufnehmen, und die Angehörigen verzweifeln oft, daß sie für ihre zuweilen entsetzlich leidenden Kranken keine Krankenhauspflege finden. Ich meine, in dieser Richtung müssen wir auch noch weiter debattieren. Wir müssen auch hier für eine Humanisierung sorgen. Ein schwer Krebskranker macht mindestens so viel Pflegearbeit wie ein Intensivpflegepatient. Es bedeutet für das Pflegepersonal eine enorme seelische Belastung, aussichtslos Kranke humanitär zu pflegen. Kein Krankenhaus kann mit dem von den Kassen und auch von verschiedenen Länderbehörden vertretenen Personalschlüssel für Ärzte und Pflegekräfte eine größere Anzahl Krebskranker pflegen. Jedes Krankenhaus kommt in Schwierigkeiten. Entweder läuft ihm das Pflegepersonal wegen Überlastung weg, oder es macht wegen überhöhtem Stellenschlüssel finanzielles Defizit. Es ist eine unhaltbare Situation, daß wir in einem Sozialversicherungssystem, in dem wir Milliarden für Kurlauber ausgeben, die am meisten Hilfsbedürftigen auf der Straße liegen lassen. Bei allen Anstrengungen in der Krebsforschung dürfen wir die rein humanitäre, für die Wissenschaft gar nichts abwerfende und medizinisch-wissenschaftlich vielleicht ganz uninteressante Pflege der Krebskranken nicht vergessen. Es müssen endlich Sonderpflegesätze für Krebskranke durchgesetzt werden, damit hier eine bessere Versorgung der schwer leidenden Krebskranken gewährleistet ist. So stelle ich mir die Zielrichtung unserer nächsten Debatte vor. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 8/2733 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte ({0}), Feinendegen, Straßmeir, Dreyer, Hanz, Frau Hoffmann ({1}), Dr. Jobst, Lemmrich, Milz, Pfeffermann, Sick, Tillmann, Dr. Waffenschmidt, Weber ({2}), Ziegler, Haberl, Stutzer, Dr. Stark ({3}), Gerster ({4}), Erhard ({5}), Sauter ({6}), Bühler ({7}), Rawe, Susset und der Fraktion der CDU/CSU Änderung des Straßenverkehrsrechts und des Strafgesetzbuches - Drucksache 8/3072 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß fair Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({8}) Rechtsausschuß Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist interfraktionell Kurzdebatte vereinbart. Wird das Wort gewünscht? - Separat zur Begründung, oder wird die Begründung in die Kurzdebatte einbezogen? - Also Aussprache und Begründung in einem. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feinendegen.

Wolfgang Feinendegen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verkehrssicherheitspolitik ist für die CDU/CSU eine Daueraufgabe. Angesichts der noch immer erschreckend großen Zahl von Verkehrsunfällen und Verkehrsdelikten muß immer wieder neu überdacht werden, welche Wirkungen die jeweiligen Maßnahmen der Verkehrserziehung, aber auch das System der Sanktionen auf die Kraftfahrer haben und was zur Verbesserung der Verkehrssicherheit auf unseren Straßen getan werden kann. Nach geltendem Recht besteht die Möglichkeit, auffällig gewordenen Kraftfahrern unter bestimmten Voraussetzungen die Teilnahme am Straßenverkehr zu untersagen, indem Fahrverbote verhängt werden oder die Fahrerlaubnis entzogen wird. Während das Fahrverbot als Nebenstrafe ausgestaltet ist, sieht das Gesetz in der Entziehung der Fahrerlaubnis eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Diese setzt demgemäß kein Verschulden, sondern mangelnde Eignung voraus. Ungeachtet dieser systematischen Eingliederung wirkt jedoch in der Praxis auch die Entziehung der Fahrerlaubnis faktisch wie eine Strafe, obwohl sie eigentlich nur eine Maßregel der Besserung und Sicherung sein sollte. Der vorliegende Antrag der CDU/CSU geht davon aus, daß die derzeitige Praxis des Führerscheinentzuges einerseits und der Verhängung von Fahrverboten andererseits unausgewogen und unbefriedigend ist. Der Führerscheinentzug ist, wie sich in der täglichen Gerichtspraxis herausgestellt hat, eine viel zu wenig flexible Maßnahme, um so effektiv wie möglich den Belangen der Verkehrssicherheit gerecht zu werden. Deshalb will die CDU/CSU mit diesem Antrag erreichen, daß das Instrument des Führerscheinentzugs zugunsten einer erweiterten Anwendung des Instruments des Fahrverbots für Kraftfahrer eingeschränkt wird. Das liegt nach unserer Auffassung im Interesse der Verkehrssicherheit und zugleich auch im Interesse einer gerechteren Behandlung der betroffenen Bürger. Der Führerscheinentzug soll nach geltendem Recht keine Strafe, sondern eine Maßregel zur Besserung des Verkehrssünders und zur Sicherung der anderen Verkehrsteilnehner sein. Die Besserung des Verkehrssünders soll durch Entzug des Führerscheins für eine bestimmte Zeit bewirkt werden. Nach Ablauf dieser Zeit wird unterstellt, er habe sich gebessert und sei dann wieder geeignet, ein Kraftfahrzeug zu steuern. Diese Besserung durch bloßen Zeitablauf erweist sich aber allzuoft als Trugschluß. Die hohen Rückfallquoten beweisen dies leider nachdrücklich. Die beim Führerscheinentzug rechtssystematisch nicht mögliche Anwendung flankierender Maßnahmen der Verkehrserziehung oder der Bewährung entspricht unseres Erachtens nicht mehr den in der täglichen Rechtspraxis gewonnenen Erfahrungen. Ungeachtet der Rechtssystematik wirkt nicht nur der Führerscheinentzug auf den Betroffenen wie eine Strafe, sondern der Führerschein wird auch in der Praxis oft entzogen, um Verkehrsverstöße zu ahnden. Der Verlust des Führerscheins trifft den Kraftfahrer sogar häufig härter als die eigentliche Strafe. ({0}) Er kann dadurch in seiner Erwerbstätigkeit spürbar gehemmt werden oder sogar seinen Beruf verlieren. ({1}) Die gleiche Wirkung tritt natürlich ein, wenn der Führerschein durch die Verwaltungsbehörden gemäß § 4 des Straßenverkehrsgesetzes entzogen wird. Die wesentliche Ursache der hier geschilderten Mißstände liegt darin, daß die Instrumente Führerscheinentzug einerseits und Fahrverbot andererseits in ihrer zeitlichen Ausgestaltung nicht aufeinander abgestimmt sind. Das Fahrverbot ist heute lediglich auf einen bis drei Monate befristet, der Entzug des Führerscheins ist grundsätzlich von sechs Monaten bis zu fünf Jahren auszusprechen. Schon wegen dieser verschiedenen Fristen, insbesondere wegen der engen Begrenzung des Fahrverbots auf drei Monate, werden zwei verschiedene Instrumente in der Praxis oft mit ungerechten Folgen angewendet. Wie bereits festgestellt, kann der Führerscheinentzug verkehrserzieherisch nicht weiter ausgebaut werden. Dagegen könnte ein Fahrverbot so ausgestaltet werden, daß es unter gezielten verkehrserzieherischen Auflagen zur Bewährung ausgesetzt wird. Es könnte z. B. auch nach Fahrzeugarten, Wochentagen oder Tageszeiten differenziert werden. Eine solche Flexibilität würde den heutigen Bedingungen des Straßenverkehrs sowie den heutigen Erkenntnissen der Verkehrserziehung viel eher gerecht werden. Denn die staatliche Gegenmaßnahme auf einen Verkehrsverstoß könnte nach erfolgter sinnvoller Gesetzesänderung auf die Fahreigenschaften und auf die persönliche und die berufliche Situation des Betroffenen ganz gezielt eingehen. Faktische Ungleichbehandlungen von auffällig gewordenen Kraftfahrern könnten dadurch vermieden werden. Es ist ein Unterschied, ob ein Berufskraftfahrer, der seinen Lastkraftwagen jahrelang beanstandungsfrei gefahren hat, einmal nach einer privaten Feier mit 1,3 Promille Alkohol mit seinem privaten Pkw, ohne dabei einen Verkehrsunfall zu verursachen, auffällig geworden ist, oder ob ein Kraftfahrer, der sein Fahrzeug nur für private Zwecke mit geringer jährlicher Kilometerleistung nutzt, auffällig wird. ({2}) Daneben würden aber auch neue Möglichkeiten zur zusätzlichen Verkehrserziehung und damit zur Verbesserung der Verkehrssicherheit eröffnet. Die Einschränkung des Führerscheinentzugs zugunsten einer flexiblen und differenzierten Ausgestaltung des Fahrverbots würde nach Auffassung der CDU/ CSU auch dazu führen, daß der Führerschein konsequenterweise dort entzogen wird, wo der Kraftfahrer zum Führen von Kraftfahrzeugen tatsächlich ungeeignet ist. Die CDU/CSU will mit dem vorliegenden Antrag ihre Politik zur sinnvollen Ausgestaltung des Verkehrsrechts und zur Verbesserung der Verkehrssicherheit im Interesse des Bürgers fortsetzen. ({3})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Topmann.

Günter Topmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002337, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Mit dem Antrag einzelner Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion, dem sich die Fraktion der Antragsteller angeschlossen hat, wird in der verkehrsrechtlichen Szene der Bundesrepublik Deutschland kein Neuland betreten. Der Inhalt Ihres Antrags, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hat bereits, soweit erkennbar, den 15. Verkehrsgerichtstag in Goslar im Jahre 1977 beschäftigt. Ohne daraus eine den Gesetzgeber bindende Schlußfolgerung ziehen zu wollen, sei an dieser Stelle vermerkt, daß sich der Verkehrsgerichtstag nach gründlicher Diskussion einmütig für die Beibehaltung des bestehenden Rechts ausgesprochen und demzufolge gegen die Antragsinhalte der CDU/CSU votiert hat. Wenngleich die bisherige Diskussion um die Frage der Notwendigkeit der Änderung geltenden Rechts in erster Linie von rechtsdogmatischen Argumenten überlagert wurde, sollten wir im Rahmen unserer Aufgabenstellung die Schwerpunkte heute vielleicht etwas anders setzen. Dabei sollte es uns in erster Linie darum gehen, festzustellen, ob die von der CDU/CSU geforderte bessere Ausgestaltung des Rechtsinstituts „Fahrverbot" und der damit verbundene und auch gewollte quantitative Abbau des Rechtsinstituts „Entziehung der Fahrerlaubnis" den Erfordernissen der Sicherheit im Straßenverkehr gerecht werden. Nach den Darlegungen des Kollegen Feinendegen befinden wir uns hier ja wohl in einem Boot, wenn ich das richtig verstanden habe. Zum anderen muß der Frage nachgegangen werden, ob die gewünschte Veränderung im Sinne einer flexibleren Anwendung des Fahrverbots in der Praxis nicht zu unüberbrückbaren Schwierigkeiten bei der Anwendung des neuen Rechts durch die Strafverfolgungsbehörden führt. Vorrangig ist in der Praxis doch wohl - ich glaube, das ist unumstritten - die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Richter im Zuge der Durchführung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens wegen Trunkenheit im Straßenverkehr. Das macht 95 % aller Fälle der Entziehung der Fahrerlaubnis nach bisherigem Recht aus. Wenngleich die Betroffenen - das haben Sie schon anklingen lassen, Herr Feinendegen - eine im Urteil ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis mehr als Nebenstrafe denn als Maßregel der Sicherung und Besserung ansehen ({0}) - ich weiß nicht, ob Sie da schon soviel Erfahrung haben; ({1}) ich habe es auch nicht anders gemeint -, darf nicht verkannt werden, daß der Schutz vor alkoholisierten Kraftfahrern im Straßenverkehr und damit mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer mit dieser Maßnahme erreicht werden soll. Ich verkenne dabei nicht, daß auch durch eine Nebenstrafe, nämlich durch das Fahrverbot, ein solches Ziel verfolgt und sicherlich auch erreicht werden kann. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, daß von einer solchen Nebenstrafe der gleiche Abschreckungseffekt ausgeht wie vom Rechtsinstitut „Entziehung der Fahrerlaubnis". Dabei hat uns in erster Linie die Frage zu interessieren, ob durch eine bessere Ausgestaltung des Fahrverbots die Entziehung der Fahrerlaubnis auf jene Fälle zurückgeführt werden kann, die außerhalb des für das Strafrecht oder für das Ordnungswidrigkeitenrecht beachtlichen Verhaltens allein durch geistige, körperliche oder fahrtechnische Mangel von Personen ausgelöst werden. Der Vorteil einer solchen Veränderung geltenden Rechts läge sicherlich in der klaren Abgrenzung zwischen dem durch vorangegangenes schuldhaftes Handeln verwirkten Recht auf Führen eines Fahrzeuges und der nachgewiesenen Ungeeignetheit auf Grund der von mir genannten und bei Kraftfahrern festgestellten Mängel. Abgesehen von rechtsdogmatischen Bedenken, die gegen eine solche Veränderung sicherlich von vielen Juristen vorgebracht würden, spricht auf der anderen Seite vordergründig einiges für eine solche Umgestaltung. Allerdings müssen wir an dieser Stelle der Frage nachgehen, ob eine derartige Veränderung nicht eine gewollte oder aber ungewollte Aufweichung des generalpräventiven Effekts zum Inhalt hat, nämlich daß das Fahren eines Kraftfahrzeugs unter einem bestimmten Alkoholeinfluß in jedem Fall zum Fahrverbot führt. Hier denken wir in erster Linie an die Aussetzung einer Strafe und damit auch der Nebenstrafe bei Ersttätern. Wenn die Kollegen der CDU/CSU dieses bei der von ihnen beantragten Änderung geltenden Rechts einkalkulieren oder gar durch ihren Antrag eingeführt sehen wollen, dann müssen wir wissen, daß das eindeutig zu Lasten der Sicherheit auf unseren Straßen geht. Es besteht doch wohl kein Zweifel daran, daß dann diejenigen Kraftfahrer, die bisher wegen Fahrens unter Alkoholeinfluß noch nicht auffällig geworden sind, davon ausgehen können, daß ihnen im Falle des ersten - sagen wir - Erwischtwerdens in aller Regel kein Fahrverbot droht. Wir befürchten, daß allein dieser Umstand manche Kraftfahrer eher dazu verführen könnte, sich trotz vorherigen Alkoholgenusses an das Steuer ihres Wagens zu setzen und damit sich und andere erheblich zu gefährden. Bei dem ohnehin hohen Anteil der Alkoholtäter an Verkehrsstraftaten und Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr und der von ihnen ausgehenden Gefahr für alle Verkehrsteilnehmer gibt es meiner Meinung nach keine Veranlassung, das geltende Recht zu Lasten der Sicherheit zu ändern. ({2}) Dies um so weniger, als wir wissen, daß gerade im Bereich der tödlichen Verkehrsunfälle ein erschreckend hoher Prozentsatz, nämlich 17 %, auf die Ursache Trunkenheit am Steuer zurückzuführen ist. Das bedeutet, daß etwa 2 000 tödliche Verkehrsunfälle jährlich auf unseren Straßen zu beklagen sind, die von einem unter Trunkenheit stehenden Fahrzeuglenker verursacht worden sind. Ich glaube, daran müssen wir denken, wenn wir an eine wie auch immer geartete Aufweichung dieses Grundsatzes herangehen wollen. Ein weiterer Punkt, der mit Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, einer Veränderung zugeführt werden soll, ist die Differenzierung des Fahrverbotes nach Fahrzeugarten, Wochentagen, Tageszeiten und im Hinblick auf die private und berufliche Nutzung der Fahrerlaubnis. Lassen Sie mich bei der privaten und beruflichen Nutzung der Fahrerlaubnis beginnen: Es ist sicherlich richtig, daß ein Berufskraftfahrer während der Ausübung seines Berufes in aller Regel weniger in die Versuchung gerät, sein Fahrzeug unter Alkoholeinfluß zu steuern als beispielsweise bei privater Benutzung. Das ist unumstritten. Von daher gesehen könnte man dafür plädieren, ihm unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit die berufliche Nutzung der Fahrerlaubnis durch eine differenzierte Fahrverbotsnebenstrafe zu belassen. ({3}) Doch, meine Damen und Herren von der Opposition, bei den völlig unterschiedlichen Berufsbildern derjenigen, die unter Inanspruchnahme eines Fahrzeuges ihrer Arbeit nachgehen - das bezieht sich sowohl auf die Tageszeiten wie auf die Fahrzeugarten wie auf Wochentage -, dürfte es für die Strafverfolgungsbehörden nahezu unmöglich sein, die erforderlichen Abgrenzungskriterien beweismäßig zu sichern. Auf einen einfachen Nenner gebracht: In der Praxis wird es kaum möglich sein, bei einem differenziert ausgesprochenen Fahrverbot zu verhindern, daß dieses Fahrverbot nicht im privaten Bereich unterlaufen wird. Damit würde sich auch insoweit das von mir eingangs erwähnte Sicherheitsrisiko stellen. Wir meinen, daß Ihr Antrag zwar interessante, bereits auf dem Verkehrsgerichtstag 1977 in Goslar aufgeworfene Denkanstöße enthält, jedoch in seiner jetztigen Zielsetzung aus den von mir genannten Gründen so nicht in Gesetzesform gegossen werden sollte. Die Tatsache, daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, Ihre Vorstellungen nicht über einen Gesetzesänderungsantrag, sondern vielmehr über einen Antrag mit der Bitte an die Bundesregierung um Gesetzesänderung eingebracht haben, laßt ja wohl auch darauf schließen, daß Sie Ihre Überlegungen noch nicht abgeschlossen haben. ({4}) Wir sollten im Verkehrsausschuß und sicherlich auch im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages über das Für und Wider der von Ihnen gemachten Vorschläge diskutieren. ({5})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.

Hans A. Engelhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000472, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag bedarf der genauen Durchleuchtung und der detaillierten Beratung in den Ausschüssen, wobei ich allerdings der Meinung bin, daß die Federführung von der Sache her dem Rechtsausschuß zustünde, ohne daß ich durch diese Vorbemerkung einem unsachgemäßen Kompetenzgerangel Vorschub leisten will. Die genaue Durchleuchtung und die detaillierte Beratung sind deswegen notwendig, weil dieser Antrag auf den ersten Blick etwas Bestechendes hat. Seine erste Lektüre löst beim Leser heftiges Kopfnicken, also Bejahung aus; denn der Antrag ist bürgerfreundlich sowie justiz- und behördenkritisch und stellt gewissermaßen den Versuch einer rundum gelungenen Quadratur des Verkehrskarussells in unserem Lande dar. Doch nur, wenn man zuverlässige statistische Angaben und eine genügende Menge von Rechtstatsachen zur Verfügung hat, bekommt man brauchbare Antworten auf eine ganze Reihe von Fragen, von denen ich hier nur einige ansprechen möchte: Ist es wirklich richtig, daß die Gerichte das Instrument der Entziehung der Fahrerlaubnis so unsachgemäß anwenden? Wird also z. B. die Fahrerlaubnis von den Gerichten häufig auch dann entzogen, wenn nach ihrer Überzeugung gar nicht feststeht, daß sich die Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erwiesen haben? Wir werden weiter eine Antwort auf die Frage finden müssen, ob es wirklich systemfremd ist, wenn in der Praxis die Entziehung der Fahrerlaubnis den Betroffenen nicht selten härter trifft als die vom Gericht verhängte Strafe. Ist es nicht auch - ohne unzulässige Vergleiche ziehen zu wollen - bei anderen Maßregeln mit dem Ziel der Besserung und Sicherung ebenso, daß in erster Linie sie und nicht so sehr die vom Gericht verhängte Strafe das vom Täter gefürchtete Instrument sind? In dem Antrag wird der Begriff „Denkzettel" gebraucht. Steckt in diesem Begriff der Gedanke der „Rache" der Gerichte, also die Absicht, durch eine Maßregel der Sicherung und Besserung schließlich das zu erreichen, was mit strafrechtlichen Mitteln möglicherweise nicht in gleichem Maße bewirkt werden kann? Oder ist es nicht so, daß der Begriff „Denkzettel" streng nach dem Wortlaut einen Zettel bezeichnet - wenn man in diesem Zusammenhang einmal das Urteil eines Gerichtes in unserem Lande als Zettel" bezeichnen will -, der den Betroffenen zum Nachdenken anhalten soll, so daß er vielleicht überhaupt erstmals zum Denken kommt? Wenn man der Meinung ist, daß das Fahrverbot ausgeweitet werden sollte, dann muß man auch die folgende Frage beantworten: Ist es unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Verwaltungsaufwandes empfehlenswert und gemessen an der Überprüfungspraxis überhaupt möglich, so stark zu differenzieren, wie dies der Antrag vorschlägt, ({0}) nämlich nach Wochentagen und Tageszeiten? Über all das werden wir uns auch im Zusammenhang mit der Frage unterhalten müssen, was ist, wenn jemand zu der für ihn festgesetzten Zeit seine Fahrt mit dem Kraftfahrzeug noch nicht beendet hat und sich - das wird nicht selten gegeben sein - zur Begründung dieser Tatsache auf höhere Gewalt berufen wird, nämlich daß er gehindert war, seine Fahrt zum festgesetzten Zeitpunkt abzuschließen. (Zurufe von der CDU/CSU: Hier ist Beruf oder private Nutzung gemeint! Ich möchte zum Schluß zustimmend etwas Freundliches sagen: Wir werden uns in der Tat fragen müssen, was eigentlich dagegen spricht, das Fahrverbot zeitlich etwas stärker auszudehnen und damit in seinem Anwendungsbereich zu erweitern. Ich kann mir vorstellen, daß wir durchaus zu einem Ergebnis kommen können, das - anders als das im Antrag angestrebte Ziel - dann nicht nur scheinbar, sondern wirklich bürgerfreundlich ist in einer Gemeinschaft, die nicht nur aus Kraftfahrern, sondern auch aus Straßenverkehrsopfern besteht. ({1})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With.

Dr. Hans With (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002536

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem Antrag der Opposition einige wenige Ausführungen zu den Punkten machen, die, wie mir scheint, die drei Hauptpunkte sind. Die Verkehrssicherheit soll dadurch gehoben werden, daß die bestehenden Gesetze flexibler ausgestaltet werden. Hier geht es erstens um das Fahrverbot im Sinne einer Ausdehnung auf Kosten der Begrenzung der Entziehung der Fahrerlaubnis, zweitens um eine flexiblere Ausgestaltung der Entziehung der Fahrerlaubnis und drittens um die irgendwie geartete Einführung einer Bewährung. Hinsichtlich des ersten Punktes, der Ausdehnung des Fahrverbotes gibt es zwei Bedenken. Das Fahrverbot ist, wie Sie richtig bemerkt haben, eine Nebenstrafe und damit an die Schuldfähigkeit geknüpft. Hier taucht die Frage auf, was wir mit den Schuldunfähigen machen. Weiter stellt sich die Frage, was wir mit der vorläufigen Entziehung machen, wenn wir das Fahrverbot ausdehnen. Hier können wir wegen der Unschuldsvermutung mit Art. 6 Abs. 2 der Menschenrechtskonvention in Schwierigkeiten geraten. Diese Punkte sind bedenkenswert; ich sage noch nichts Endgültiges. Zweitens. Hinsichtlich der Einschränkung der Entziehung der Fahrerlaubnis ist zu berücksichtigen, daß es immer Schwierigkeiten mit der Behandlung der Berufskraftfahrer gegeben hat, die ihren Lkw 20 Jahre lang über Millionen von Kilometern auf unseren Straßen unfallfrei gefahren haben und dann bei einer Privatfahrt mit ihrem Pkw aus Anlaß einer Feier aufgefallen sind. Für diese Fälle gibt es schon nach geltendem Recht gemäß § 69a Abs. 2 StGB die Möglichkeit, bestimmte Fahrzeuge von der Sperre auszunehmen. Nur meine ich - das sage ich hier ganz deutlich -, daß davon zu wenig Gebrauch gemacht wird. ({0}) Gleichwohl ist der Ansatz überlegenswert, ob wir dies nicht ausdehnen und differenzierter ausgestalten können, damit deutlich wird, wie hier der ursprüngliche Wille des Gesetzgebers aussah. Drittens komme ich zur Einführung einer irgendwie gearteten Bewährung. Hier habe ich - ich spreche für das federführende Ressort und möchte das mit aller Deutlichkeit sagen - größte Bedenken. Es ist nicht nur so, was hier schon angesprochen worden ist, daß der Eindruck entstehen könnte, daß man sich den Suff einmal schon leisten könne und erst beim zweiten Mal stoppen müsse. Auch die bestehende Statistik widerspricht ganz entschieden der Einführung einer Bewährung. Wenn es eine abschreckende Waffe gibt, dann ist das wohl - ich sage das jetzt ganz allgemein - die Wegnahme des Führerscheins. Gestatten Sie mir, daß ich hier die mir sehr wesentlich erscheinenden Zahlen nenne: Nach der polizeilichen Unfallstatistik sind 1966 51 699 unter Alkoholeinfluß stehenden Personen Ursache von Verkehrsunfällen gewesen; 1972 waren es 58 476. Das ist eine Zunahme um rund 7 000. 1973 aber ist diese Zahl von rund 58 000 auf 50 163 gesunken; sie hat sich also um rund 8 000 verringert. Warum? Ich meine, in erster Linie deswegen, weil - ich darf es so vereinfachend nennen - das 0,8-Promille-Gesetz vom 20. Juli von uns am 26. Juli 1973 in Kraft gesetzt worden ist. Damit es ganz deutlich wird, verlese ich auch noch die Monatszahlen des Jahres 1973. Im Juli waren noch 4 292, im August dagegen nur mehr 3 271 Personen in diesem Zusammenhang zu verzeichnen; das hat sich bis Dezember auch nicht geändert. Diese in den verschärften, die Wegnahme des Führerscheins regelnden Vorschriften liegende Abschreckung blieb von 1973 bis 1978 erhalten. Ich sagte, daß die Zahlen von rund 51 000 im Jahre 1966 auf rund 58000 im Jahre 1972 gestiegen und von 1972 auf 1973 um rund 8 000, nämlich auf etwa 50 000, gefallen sind. Und 1978 - inzwischen gibt es ja sehr viel mehr zugelassene Kraftfahrzeuge und eine sehr viel größere Kilometerleistung - sind es auch nur 50031 Personen, die einen Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluß verursacht haben. Ich wiederhole: Wenn also im Strafgesetzbuch in diesem Zusammenhang etwas abschreckend ist, dann ist es - vereinfachend gesprochen - mit Sicherheit die Wegnahme des Führerscheins. Aus diesem Grunde, so meine ich, sprechen erhebliche Bedenken gegen die Einführung einer irgendwie gearteten Bewährung in bezug auf den Führerschein. ({1})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 8/3072 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen sowie zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte ({0}), Feinendegen, Straßmeir, Dr. Jobst, Dreyer, Hanz, Frau Hoffmann ({1}), Lemmrich, Milz, Pfeffermann, Sick, Tillmann, Dr. Waffenschmidt, Weber ({2}), Ziegler, Dr. Stark ({3}), Sauter ({4}), Kiechle, Susset, Erhard ({5}), Bühler ({6}), Rawe, Röhner, Stutzer und der Fraktion der CDU/ CSU Medizinisch-psychologische Untersuchung zur Überprüfung der Fahreignung von Kraftfahrern - Drucksache 8/3084 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr und fair das Post- und Fernmeldewesen ({7}) Ausschuß für Jugend Familie und Gesundheit Vizepräsident Dr. von Weizsäcker Interfraktionell ist Aussprache mit je einem Kurzbeitrag der Fraktionen vereinbart. Um das Wort hat der Herr Abgeordnete Straßmeir gebeten. Herr Abgeordneter, ich darf davon ausgehen, daß Sie den Antrag im Rahmen der Aussprache begründen? - Dann eröffne ich die Aussprache. Sie haben das Wort

Günter Straßmeir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der hier zur Debatte stehende Antrag der CDU/CSU-Fraktion hat in den vergangenen Monaten eine öffentliche Diskussion ausgelöst, die selbst uns als Initiatoren überrascht hat. Worum geht es? 120000 Fahrschüler und Kraftfahrer müssen sich derzeit jährlich auf Anordnung der Straßenverkehrsbehörden bei den TÜVs einer sogenannten medizinisch-psychologischen Untersuchung, auch MPU-Tests genannt, unterziehen. Bürger mit körperlichen Gebrechen und Mängeln, die die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen könnten, Fahrprüfungsversager, angehende Fahrlehrer, Taxi- und Omnibusfahrer, 18-Punkte-Sünder, Alkoholsünder so unterschiedlich ist der betroffene Personenkreis. Sinn und Zweck der MPU-Tests ist die Beurteilung der Fahrtauglichkeit. Es geht also um Sein oder Nichtsein als Kraftfahrer. Das ist in unserer mobilen Gesellschaft allerhand, und für manchen ist es auch eine Frage der beruflichen Existenz. ({0}) Um so wichtiger ist es nach Auffassung der CDU/ CSU, daß dieses für die Verkehrssicherheit im Grundsatz notwendige Instrument viel mehr kritisch auf seine Mängel durchleuchtet wird; das ist in der Vergangenheit viel zuwenig geschehen, so daß dieses Problem um so vordringlicher geworden ist Zunächst ist festzustellen, daß die Straßenverkehrsbehörden immer mehr dazu übergehen, den MPU-Test als Ersatzinstrument für ihre eigene Entscheidung einzusetzen. Gerade die Gutachterstellen bei den TÜVs sind über diese Entwicklung besorgt; sie möchten nämlich gerade nicht im Lichte von Richtern erscheinen, weil das die Vertrauensbasis zwischen ihnen und den Verkehrsteilnehmern zerstört In der heutigen Praxis ist der MPU-Test vielfach auch ein Vehikel, um Verkehrsverstöße zu ahnden. Die Kosten für dieses Verfahren muß allemal der betroffene Kraftfahrer selbst aufbringen. Sie betragen annähernd 300 DM. Bereits seit Februar 1979 liegt ein Antrag vor, diese Gebühren um 65% anzuheben. Hier ist eine Entscheidung der Verkehrspolitik notwendig, die diesem Trend entgegenwirkt und vor allen Dingen das Kostenrisiko etwas sinnvoller regelt. Ein weiterer Punkt des CDU/CSU-Antrags betrifft das Untersuchungsverfahren selbst, das den Kraftfahrer beim MPU-Test erwartet Dieses Verfahren ist heute von TÜV zu TÜV unterschiedlich und hat damit eher den Charakter eines Lotteriespiels. Bundeseinheitliche Richtlinien und Testmethoden gibt es nicht Dies muß nach unserer Auffassung schleunigst geändert werden. Unverständlich ist uns auch, daß häufig sowohl der medizinische als auch der psychologische Test zu durchlaufen sind, auch wenn zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit eine medizinische Untersuchung oder gar nur das Gutachten eines Arztes ganz offenkundig ausreichen würden. Ein ganz besonderes Ärgernis für die CDU/CSU - und ich nehme an, für uns alle - sind die von den meisten TÜVs verwendeten Fragebögen, die weit und teilweise in geradezu skandalöser Weise in die Intimsphäre eindringen. Ich darf Ihnen hier mal als Beispiel ein paar Dinge aufzählen, die mir die Zeitschrift „Auto, Motor und Sport" an die Hand gegeben hat. Da heißt es: Mit „richtig", „falsch", „unentscheidbar", „stimmt", „stimmt nicht" muß der Proband - das ist der zu Untersuchende - solche Sätze beantworten: „Ich gehe lieber in den Zirkus als zu einem Boxkampf." ({1}) - Das kann ich Ihnen sagen. Beides kann Abscheu hervorrufen oder beides Liebhaber finden. Aber das Intime kommt noch: „Prügel haben noch keinem Kind geschadet" ({2}) Passen Sie auf - jetzt kommen Sie -: „Ich träume oft von Dingen, die man am besten für sich behält", „Ab und zu lache ich über einen unanständigen Witz", „Ich sage nicht immer die Wahrheit", „Ich habe häufiger Blähungen", ({3}) „Ich kann nicht jeden leiden, den ich kenne". ({4}) Meine Damen und Herren, das sind nur Beispiele dafür, was hier ernsthaft als medizinisch-psychologischer Test angeboten wird. ({5}) Selbst wenn solche Fragen Hinweise auf die Persönlichkeitsstruktur geben könnten, müssen wir dies - ich glaube übereinstimmend - als Politiker ablehnen. Es gibt übrigens eine Reihe von Technischen Überwachungsvereinen - immerhin drei von elf -, die bereits heute diese Fragebögen entschieden ablehnen. Andere Überwachungsvereine verteidigen solche Fragen und Fragebögen mit dem Hinweis darauf, der Laie verkenne den Zweck solcher Untersuchungen, mit denen gerade die Persönlichkeit sogenannter Probanden ergründet werden solle. Diese unterschiedliche Beurteilung ist auch zugleich ein Indiz dafür, daß es im Kreise der Experten selbst Unsicherheiten gibt Für uns in der CDU/CSU ist allerdings klar, daß diese Fragebögen verschwinden müssen. ({6}) Es gibt ja heute nicht einmal eine spezielle Vorschrift oder Regelung, die sicherstellt, daß angesichts solcher Fragestellungen die Persönlichkeitsrechte des Bürgers beim TÜV selbst oder bei der Weitergabe der Ergebnisse an die StraßenverkehrsStraßmeir behörde gewahrt werden. Bedenklich ist für uns auch, daß aus den Gutachten bei den MPU-Tests die Erkenntnismethoden der Gutachter oft nicht hervorgehen, so daß eine spätere Nachprüfung praktisch nicht möglich ist. Auch gibt es keine vorherige generelle Unterrichtung des betroffenen Bürgers über die Art, Aufgaben und Auswertungskriterien des Tests. Kein Wunder, wenn dieser Test im Volksmund den Namen „Idiotentest" erhalten hat. ({7}) Es liegt im Interesse aller Beteiligten und Betroffenen wie auch im Interesse der Sache, dies durch vernünftige Fahrtauglichkeitsuntersuchungen zu ändern. Das ist das Ziel des CDU/CSU-Antrages. Wir alle sind gefordert. Jeder von uns könnte einmal dazu ausersehen sein, Bauklötzchen aufeinanderzustellen. ({8})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paterna.

Peter Paterna (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion stimmt der Überweisung des Antrags 8/3084 zur Beratung im Verkehrsausschuß zu. Am Anfang dieser Beratungen einige Hinweise, soweit dies in dem vorgesehenen zeitlichen Rahmen von zehn Minuten möglich ist. Dabei will ich auf die Ausführungen des Kollegen Straßmeir eingehen, soweit es notwendig ist. Die Bewertung in der Antragsbegründung - ich zitiere - „Die bisherige Praxis hat eine ganze Reihe schwerwiegender Mängel erkennbar werden lassen" sollte nach unserer Auffassung nicht am Anfang der Beratung als Behauptung, sondern gegebenenfalls am Ende als Erkenntnis stehen. Wir sind zu vorurteilsfreier Prüfung bereit, aber schon heute überzeugt, daß die Materie zu kompliziert ist, um ihr mit pauschalen Vorurteilen beizukommen. Vorweg noch eines. Nach geltendem Recht sind sowohl Weisungen an die Behörden über die Zuweisung zur MPU als auch die Überwachung der Untersuchungsstellen Sache der Länder. Nur damit die Adresse gleich klar ist. Nun zu den Punkten im einzelnen. Erstens: Der Forderung nach einem bundeseinheitlichen Verfahren wird zugestimmt, soweit damit die Festlegung gemeint ist, unter welchen Voraussetzungen welche Untersuchungskonzepte anzuwenden sind. Zweitens: Das gleiche gilt für die zweite Forderung, wenn bundeseinheitlich aufgelistet werden soll - Sie sehen, ich mache da gleich ein paar Bedingungen, weil nämlich der Sinn Ihrer Antragspunkte nicht immer ganz klar ist -, in welchen Fällen welche Erkenntnisquellen benutzt werden sollen. Die MPU sollte in der Tat nicht - da stimme ich mit dem Kollegen Straßmeir ausdrücklich überein - als Alibi für Verwaltungsbehörden herhalten, die auch auf Grund anderer Tatsachen entscheiden könnten. Drittens: Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit versteht sich von selbst und ist im Grunde durch die einschlägigen Richtlinien des Bundes und der Länder hinreichend klar festgelegt. ({0}) - Ja, die Praxis, Herr Kollege, da müssen Sie sich mal wieder an die Länder wenden und das nicht hier diskutieren. ({1}) Punkt 4 will ich mal überspringen, auf den komme ich noch. ({2}) - Da will ich Ihnen mal folgendes sagen, Herr Kollege, wenn Sie sich schon so erregen. Es gibt - das hat Herr Kollege Straßmeir gesagt - etwa 120 000 Fälle von MPUs in der Bundesrepublik. Nun gucken Sie sich mal die Praxis in Bayern an. Das sind ungefähr 36 000 Fälle, also eine überproportional hohe Zahl. ({3}) Putzigerweise aber ist der Anteil derjenigen, ({4}) die wegen Alkoholauffälligkeit der MPU zugeführt werden, in Bayern extrem niedrig. In der Bundesrepublik sind es etwa 50 %, in Bayern sind es etwa 10%. Das wirft ein sehr bezeichnendes Licht auf die Verfolgungsintensität der bayerischen Polizei. Vielleicht könnten wir das auch einmal gelegentlich unter Verkehrssicherheitsaspekten diskutieren. Nur: wenn Sie hier meinen, Sie könnten sich so erregen, will ich Ihnen das mal ins Stammbuch schreiben. ({5}) Punkt 5 versteht sich von selbst und ist durch die bundeseinheitlichen Richtlinien und Ländererlasse ({6}) unter dem Stichwort „Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit" längst abgedeckt. - Wenn Sie sich wieder abgeregt haben, kann auch ich wieder etwas ruhiger reden. Punkt 6 versteht sich im Grundsatz für uns auch von selbst. Hier ist aber in der Tat - das ist zuzugeben - die Praxis einzelner Bundesländer zu überprüfen. Punkt 7 ist vom Sinngehalt her nicht ganz klar, ({7}) falls die übrigen Forderungen erfüllt werden. Generell sollte u. a. auch geprüft werden, ob die Gebührensätze nicht nach Untersuchungsgruppen gestaffelt werden können. Schließlich ist es ein Unterschied, ob sich jemand wegen erheblicher Hör- oder Sehmängel einer besonderen Untersuchung unterziehen muß oder wegen mehrfachen Auffallens durch Trunkenheit am Steuer. Punkt 8 - Sie sehen, ein Angebot meiner Verträglichkeit - ist uneingeschränkt zuzustimmen. ({8}) Bis hierhin stelle ich in der Tendenz also weitestgehende Übereinstimmung fest. Allerdings bleibt die Frage, was der CDU/CSU-Antrag dann soll. Die einschlägigen Verordnungen und Richtlinien will er offenbar nicht ändern, jedenfalls wird das nicht beantragt. Er zielt also nicht auf bundesrechtlichen Rahmen, sondern allenfalls auf ausufernde Praxis in einzelnen Ländern und nachgeordneten Verwaltungsbehörden. Da wäre es meines Erachtens nützlich gewesen, Roß und Reiter zu nennen, um nicht den Sack - sprich: die Bundesregierung - zu prügeln, wenn man den Esel - sprich: einzelne Bundesländer, ({9}) möglicherweise - ich formuliere das einmal ganz vorsichtig - auch CDU/CSU-geführte - meint. ({10}) Wenn Sie als Opposition die Länder nicht für regelungskompetent halten, dann sagen Sie das auch deutlich, wo Sie doch sonst mit Fleiß die Bundeskompetenz bestreiten, wenn es Ihnen in den Kram paßt. ({11}) Nun zu der bisher ausgesparten Forderung unter Ziffer 4: Dazu ist von uns aus zunächst zu fragen, was die Opposition eigentlich will. ({12}) - Im Rahmen einer Kurzdebatte, Herr Kollege Lenz, keine Zwischenfragen, bitte. ({13}) Nimmt man den Antrag wörtlich, soll das schriftliche durch ein mündliches Verfahren ersetzt werden. Darüber läßt sich reden. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß dadurch die Kritik an zu intimen Fragen nicht gegenstandslos wird, die Probleme des Datenschutzes eher größer und die Verfahren langwieriger und teurer werden. Wieso schließlich die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit - das ist in der Tat ein wichtiger Punkt - für die Betroffenen und die Verwaltungsgerichte durch ein ausschließlich mündliches Verfahren gesteigert wird, bleibt einstweilen das Geheimnis der Opposition. Herr Straßmeir, zu dem „Idiotentest" will ich Ihnen mal eines sagen: Diese schriftlichen Verfahren werden u. a. von bundesweit bekannten Unternehmensberatungsfirmen zur Auswahl von Topmanagern in der Industrie verwendet - genau die gleichen. Da wäre ich mit dem Begriff „Idiotentest" dann doch ein bißchen vorsichtiger - dies nur mal so nebenbei. Das ist so, glauben Sie mir das. ({14}) - Nein. Liest man die Presse zu diesem publikumswirksamen Lieblingskind des Kollegen Schulte - weil Sie mich-gerade ansprechen -, scheint es darum zu gehen - das ist jedenfalls mein Eindruck; das geht nicht aus dem Antrag hervor, aber aus der Presse -, daß die Untersuchung von verkehrsrelevanten Persönlichkeitsmerkmalen generell abgeschafft werden solle. Nun Stelle ich mit Befriedigung fest - der Kollege Straßmeir hat das hier ganz klargemacht -, daß er das für ein im Grundsatz notwendiges Instrument hält. Wenn es darum geht, die sehr unterschiedlichen Fallgruppen, die Sie hier schon aufgezählt haben und die ich deshalb nicht zu wiederholen brauche, einmal daraufhin zu überprüfen, ob nicht in der einen oder anderen Fallgruppe beispielsweise ein fachärztliches Gutachten genüge, haben wir da durchaus die gleiche Wellenlänge. Allerdings muß die Frage erlaubt sein, ob dies ein Punkt ist, mit dem sich der Bundestag beschäftigen muß, oder ob man das nicht anderen Gremien überlassen könnte. Eines jedenfalls - darauf lege ich Wert - ist hier festzuhalten: Wer mehrfach betrunken Auto gefahren ist, wird zwar nicht ausgeforscht, warum er trinkt - das ist seine Privatsache -, aber warum er sich dann noch ans Steuer setzt; denn dies ist nicht seine Privatsache. Ein Kraftfahrzeug kann schließlich zu einer lebensgefährlichen Waffe werden. 14 662 Tote und 508 600 Verletzte in der Bundesrepublik im Jahre 1978 sind zu viel. Ich hoffe, daß wir uns darüber einig sind. Schließlich geht es in dieser Debatte um ein Instrument der Gefahrenabwehr. Unsere Aufgabe ist - darin sollten wir uns einig sein -, solche Opfer soweit wie möglich zu vermeiden. ({15}) Wenn Sie wollen, daß Täter, die mehrfach mit Alkohol am Steuer aufgefallen sind, ohne weitere Prüfung auf Lebenszeit den Führerschein entzogen bekommen sollen, dann sagen Sie es. Man muß sich einmal überlegen, was passiert, wenn dieses Instrument der medizinisch-psychologischen Untersuchung abgeschafft wird oder mit einem ganz strikten Katalog versehen wird. ({16}) - Den Antrag habe ich sehr gründlich gelesen; seien Sie ganz sicher. ({17}) - Wenn das nicht verständlich ist, gibt es natürlich zwei Möglichkeiten. Entweder Sie wollen mir unterstellen, daß auch ich den Test mal machen muß, weil ich nicht intelligent genug bin, das zu begreifen, was Sie zu Papier gebracht haben. Es wäre natürlich auch denbar, daß der Antrag nicht in der wünschenswerten Klarheit abgefaßt ist ({18}) - Darüber können wir dann ja noch reden. - Ach, wissen Sie, das ist bei Ihnen nicht unwahrscheinlich, sondern die Regel. Ich fasse zusammen. Was die Opposition mit dem vorgelegten Antrag bezweckt, bleibt trotz der aufgelisteten acht Punkte unklar. Will sie unterschwellig der Bundesregierung Versäumnisse anlasten, so ist dies eindeutig als unberechtigt zurückzuweisen. ({19}) Will sie den Bürgern weismachen, es habe ihrer Initiative bedurft, um auf ein diskussionsbedürftiges Thema aufmerksam zu machen, dann handeln Sie gegen besseres Wissen. Denn es kann der Opposition nicht verborgen geblieben sein, daß seit etwa einem Jahr vom Verkehrsministerium intensive Gespräche mit den technischen Überwachungsvereinen, den Ländern und der verkehrspsychologischen Wissenschaft geführt werden. Diesen Gesprächen trauen Sie offenbar nicht. Hier halten Sie ein Eingreifen des Bundestages für notwendig. Okay. Wenn Sie also wollen, daß diese außerordentlich schwierige Materie von uns Parlamentariern mit dem notwendigen Ernst beraten wird, haben Sie unsere Bereitschaft. Für billige Show-Effekte sind wir dabei selbstverständlich nicht zu haben. ({20})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als 100 000 Bürger, ältere und junge, müssen in Deutschland in jedem Jahr zum Idiotentest. 11 technische Überwachungsvereine leisten auf Veranlassung staatlicher Stellen seit 1952 diese medizinisch-psychologischen Eignungsuntersuchungen, von denen der TÜV selber sagt, ihm sei die damit verbundene Problematik nicht fremd. 100 000 Deutsche werden auf Veranlassung staatlicher Stellen von den Seelenschlossern des TÜV jährlich völlig demontiert wie ein altes Auto. Den Einwand, die gestellten Fragen würden teilweise den Persönlichkeitsbereich verletzen, kontert der TÜV mit dem Hinweis, daß die indiskreten Fragen gerade die Persönlichkeit des Probanden ergründen sollen. Greifen wir bei unserer Kritik nicht den TÜV an; der tat nach alter deutscher Sitte nur seine Pflicht Erfinder des Idiotentests sind unsere Behörden, deren menschenverachtender Unsinn von unseren Politikern abgesegnet worden ist Aber was schert es meinen Bundestagsabgeordneten, wenn ich Probleme habe. Ich sagte es schon einmal an dieser Stelle: unsere Politiker und Abgeordneten wissen alles über die Vorschulprobleme in Neukaledonien-Süd, - nicht alles auch in der Bundesrepublik, wie man gestern gesehen hat; das sage ich hinzu aber nicht, daß ihren Wählern daheim das Leben als freie Staatsbürger schwergemacht wird. Da werden Bürger, nur weil sie 5,- DM für verbotenes Parken nicht gezahlt haben, morgens von der Polizei geweckt und eingelocht. Meinen Sie, das interessiere einen Abgeordneten? Da soll das Flensburger Punkteregister neu geordnet werden, aber eine Verschlechterung für den Autofahrer kommt heraus. Wo bleibt da die Intervention. eines Abgeordneten? Da bekommen nach einem Idiotentest Autofahrer ihren Führerschein zurück, aber er trägt den Säuferbalken. Protestiert ein Abgeordneter gegen diese Diskrimierung? Machen wir uns nichts vor, die Politiker schützen uns nicht vor der wuchernden Bürokratie und der plagenden Behördenwillkür. Aber dann sollen sie sich auch nicht beklagen, daß der Bürger Staatsverdrossenheit zeigt. Endlich will ein Politiker mit den Methoden des Eignungstests aufräumen, der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in Bonn, Dr. Dieter Schulte. Wir werden ihm dabei helfen. ({0}) „Wir", das sind die Redakteure von „Auto-MotorSport", und das, was ich soeben - ich hoffe, mit nachträglicher Genehmigung des Herrn Präsidenten - insgesamt vorgetragen habe, war ein Leitartikel, war ein Kommentar von Ferdinand Simoneit, Chefredakteur von ,Auto-Motor-Sport", so dargestellt im Editorial der Ausgabe Nr. 22 von 1979. Es fehlt eigentlich nur noch der Ratschlag, die Bundestagsabgeordneten selbst sollten sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen, mit der Folge des naheliegenden Ergebnisses: Zum Führen des Titels „MdB" ungeeignet; Entzug des Mandats. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was „Auto-Motor-Sport" veranlaßt hat, eine derartige Vollgasfahrt in Richtung auf Bonner Politiker zu starten. Eines aber ist nach meiner Überzeugung sicher: Es handelt sich um eine geradezu abenteuerliche politische Geisterfahrt. ({1}) Ich will hier gar nicht verschweigen, daß ich es durchaus begrüße, wenn nun auch eine von mir im übrigen und bisher sehr geschätzte Fachzeitschrift zunehmend die Politik endeckt. Was aber mich und was politisch Verantwortliche nicht nur im Verkehrsbereich beunruhigen muß, ist, wie schnell man offensichtlich auch als ein so hervorragender Journalist, wie Simoneit das ist, in politisches Aquaplaning geraten kann, wenn man es sich am Ende genauso einfach macht wie auch hier die Opposition, indem man überaus populäre Themen - für alle ja seit Jahren ein bekanntes Ärgernis - aufgreift, ohne die tatsächlichen Bedingungen, Gegebenheiten und Fakten ausreichend einzubeziehen und anzuerkennen, bevor eine in Detailfragen der Verkehrspolitik nun eher ahnungslose Öffentlichkeit nur weiter verunsichert und emotional bereichtert wird. Denn demjenigen, der die verkehrspolitische Diskussion auch nur halbwegs und am Rande verfolgt hat, kann überhaupt nicht entgangen sein, daß Verkehrspolitiker aller Fraktionen es waren, die, um nur zwei Bespiele herauszugreifen, als Bundestagsabgeordnete heftig für die Beseitigung des sogenannten Säuferbalkens ebenso erfolgreich wie für eine Verbesserung des Flensburger Punkteregistersystems gestritten haben. Daran sind ja wir alle zur Zeit gemeinsam beteiligt. Ich will hier gar nicht für andere sprechen; das steht mir nicht zu. Was aber in diesen beiden Punkten eigene Initiativen betrifft, so ist das, glaube ich, hinreichend bekannt, und es ist schade, daß es den Fachzeitschriften nicht bekanntgeworden ist, obwohl es in allen anderen Zeitungen jeweils steht. Schon insofern begrüßen wir es natürlich, daß wir hier diese Diskussion zu diesem Thema führen können. Die erste Feststellung zu diesem Thema lautet aus der Sicht der Freien Demokraten: Nicht der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in Bonn - es tut mir leid, Herr Dr. Schulte - räumt mit den Methoden des Eignungstests auf, sondern das Bundesverkehrsministerium selbst, soweit es das kann, denn das Ministerium war es ja, das bereits im vergangenen Jahr die Initiative ergriffen hat, Länder und TÜV-Vertreter, Wissenschaftler, Bundesanstalt für das Straßenwesen und Beirat für Verkehrsmedizin zusammenzuholen und die nun zehn Jahre alten Richtlinien endlich zu durchforsten und zu überprüfen, und das, obwohl, wie wir schon gehört haben, die originäre Zuständigkeit für dieses Problem im Bereich der Länder und eben nicht im Bereich der Bundesregierung liegt, so daß die Bundesregierung im Gegensatz zu den Ländern lediglich koordinieren, aber nicht direkt handeln kann. Dasselbe gilt - um noch einmal etwas an die Adresse auch von Herrn Simoneit zu sagen - natürlich auch im Hinblick auf die Zuständigkeiten und Möglichkeiten der Abgeordneten im Verhältnis von Bund und Ländern. So war es auch nicht der Bund, sondern es waren die Länder, die von einer ursprünglich vernünftigen gemeinsamen Praxis in dieser Frage abgewichen sind, und es ist auch kein Geheimnis, meine Damen und Herren, daß Bayern damit angefangen hat, ({2}) den Bogen so zu gestalten, daß diese Fragen, die wir alle gemeinsam bedauern, dort hineingekommen sind. Daß sie jetzt die ersten sind, die das wieder abschaffen, liegt daran, daß der Zeitraum, in dem sie Erfahrungen gewonnen haben, hoffentlich ausgereicht hat, um das halbwegs rechtzeitig zu erkennen. ({3}) Nun noch eine Tatsache bei der Entstehung des Ganzen, die die Opposition in dieser Debatte bisher tunlich zu verschweigen wünscht: Da wurden Fragebogen eingeführt und Fragen eingearbeitet, die in einem nun wirklich unerträglichen Maße die Intimsphäre und den Persönlichkeitsbereich berühren. Um es noch einmal zu sagen: Die TÜVs hüten hier ihre Unabhängigkeit sehr sorgfältig, aber die Aufsicht über diese Methoden hat nicht die Bundesregierung und haben nicht die Bundestagsabgeordneten, die Aufsicht haben die Länder, und bei ihnen ist also mit der entsprechenden Kritik anzusetzen. Aber Erfolge sind zu verzeichnen. Der TÜV in der Pfalz, in Bayern und im Rheinland verzichtet inzwischen überhaupt auf Fragebogen, und auch der hessische Minister für Wirtschaft und Technik, mein Parteifreund Heinz-Herbert Karry, hat gerade kürzlich in einer Fragestunde des Hessischen Landtages erklärt, er werde anordnen, daß ab sofort keine schriftlichen Fragebogen mehr verwendet werden. Er geht noch einen Schritt weiter. Er sagt: „Wir werden die diskriminierenden Fragen auch aus dem mündlichen Verfahren herausnehmen.' Darauf kommt es doch an, meine Damen und Herren. ({4}) Es hat doch gar keinen Sinn, Herr Kollege Straßmeir, daß wir sagen, wir wollen die Fragebögen abschaffen, denn sie sind eine schlimme Sache, aber dann ersetzen wir die durch ein mündliches Verfahren. Das Ergebnis ist am Ende das gleiche, wie es z. B. beim Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer sein kann: Derjenige, der sich besser artikulieren und maskieren kann, wird die Chance haben, dort locker durchzukommen. Der Rest, der auf Grund seiner Fähigkeiten und Vorbildung dies nicht kann, wird dabei Schwierigkeiten haben. ({5}) - Ich weiß, Herr Kollege Pfeffermann. Wir kennen uns aus dem Wahlkampf, aus dem Wahlkreis so gut, daß ich unterstelle: Auch Sie hätten bei einer solchen mündlichen Überprüfung die allergrößten Schwierigkeiten, nicht nur bei der schriftlichen. ({6}) Herr Kollege Straßmeir, ich möchte von daher davor warnen, ganz undifferenziert zu sagen - das ist der Hauptpunkt Ihres Antrages -: „Wir schaffen das schriftliche Verfahren ab und ersetzen es durch ein mündliches", wenn nicht gleichzeitig gewährleistet ist, daß erstens diskrimierende Fragen, an die menschliche Würde heranreichende Fragen, wie sie hier vorhin beispielhaft aufgezählt wurden, auch aus einem mündlichen Verfahren herauskommen, und daß wir also alle auch die Vereinheitlichung wollen. ({7}) - Das ist mir klar. Sie sagen nur nicht dazu, was Sie an die Stelle des schriftlichen Verfahrens setzen wollen. ({8}) Meine Damen und Herren, es gibt also genügend Fragen, damit wir uns im Ausschuß sehr detailliert über Ihre Forderungen unterhalten können. Einem Großteil stimmen nicht nur wir, sondern stimmt auch die Bundesregierung seit langem zu, wie sie mehrfach publiziert hat. ({9}) In der entscheidenden Frage aber, wie wir zu einer Vereinheitlichung der Methoden und der Systeme bei den Fragen kommen, wäre ich dankbar, wenn sich die Opposition mit uns dahin verständigen könnte, daß wir den Adressaten, nämlich die Bundesländer, während unserer Ausschußberatungen nachdrücklich in die Verantwortung nehmen. Ich wiederhole noch einmal: Die Verantwortung für das, was da geschieht, hat nicht die Bundesregierung, sondern haben die Länder. Wir koordinieren nur. Meine Damen und Herren, ich hoffe für Sie alle, weil es der letzte Debattenbeitrag heute ist, wir können uns auf ein schönes und erholsames, vielleicht auch einmal politikfreies Wochenende koordinieren. ({10})

Dr. Richard Weizsäcker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002466

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag auf Drucksache 8/3084 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden; dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. November 1979, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.