Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren,
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mit tiefer Erschütterung haben wir die Nachrichten von dem schweren Erdbeben aufgenommen, das Rumänien am 5. März getroffen hat. Erneut ist damit dieses Land, das schon vor sieben Jahren durch riesige Überschwemmungen . verwüstet wurde, von einer Naturkatastrophe heimgesucht worden. Das Erdbeben hat besonders dicht besiedeltes Gebiet und die Hauptstadt Bukarest getroffen, so daß neben großen materiellen Schäden leider auch die Zahl der Opfer erschreckend hoch ist.
Der Deutsche Bundestag spricht der Regierung und der Bevölkerung Rumäniens seine tief empfundene Anteilnahme aus. Den Hinterbliebenen gilt unser Mitgefühl. Dem Präsidenten des rumänischen Parlaments habe ich die Anteilnahme des Deutschen Bundestages telegraphisch übermittelt.
Ich rufe nunmehr zu einer verbundenen Debatte die Punkte 6 a, 6 b und 6 c unserer Tagesordnung auf:
6. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zwanzigsten Rentenanpassung und zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung ({1})
- Drucksache 8/165 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Berichts der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren ({3})
- Drucksache 8/119 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
c) Beratung des Gutachtens des Sozialbeirats zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen von 1976 bis 1990 sowie Empfehlung des Sozialbeirats zur Anpassung der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung
- Drucksache 8/132 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Ferner gehören zu der verbundenen Debatte die Punkte 7 und 8 unserer Tagesordnung:
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung ({6})
- Drucksachen 8/166, 8/ ... Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({7}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes ({8})
- Drucksache 8/167 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({9}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegen drei Gesetzentwürfe der Bundesregierung vor, die hier zu begründen sind: das 20. Rentenanpassungsgesetz, das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz und das 9. Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung. Daneben liegen Ihnen der Rentenanpassungsbericht 1977 und das Gutachten des Sozialbeirats vor.
Die Gesetzentwürfe enthalten:
erstens die zwischen allen Parteien unstrittige Erhöhung der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Kriegsopferversorgung zum 1. Juli 1977 um 9,9 °/o, der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte zum 1. Januar 1978 um 9,9 °/o und der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab 1. Januar 1978 um 7,3 °/o,
zweitens die vorausschauende Verwirklichung von Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzgrundlagen der Rentenversicherung im Rahmen eines ausgewogenen Konsolidierungskonzepts,
drittens die unausweichliche und unverzichtbare Dämpfung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit und Finanzierbarkeit unseres freiheitlichen Gesundheitswesens im Interesse der Bürger zu erhalten und zu sichern.
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Die Gesetzentwürfe stehen in einem engen sachlichen und politischen Zusammenhang. Mit den in den Gesetzentwürfen vorgeschlagenen Konsolidierungsund Kostendämpfungsmaßnahmen begegnet die Bundesregierung den Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Rezession auf die Sozialversicherung und schlägt ein ausgewogenes Konzept zur Dämpfung der Kostenexpansion im Gesundheitswesen vor.
Der Bundesrat hat die Vorlagen der Bundesregierung im ersten Durchgang am 11. März 1977 beraten. Ich begrüße die klare Entscheidung gegen eine Zustimmungsbedürftigkeit der Vorlage zur Rentensicherung, und ich möchte für die zügige Beratung ausdrücklich danken und eine entsprechende Bitte an den Deutschen Bundestag richten. Die Beratung der Vorlagen darf keine Verzögerung erfahren. Der sachliche Zusammenhang der drei Gesetzentwürfe sollte auch bei den Beratungen jederzeit gewahrt bleiben. Es sollte unser aller Anliegen sein, für eine gemeinsame Verabschiedung der Gesetzentwürfe zu sorgen.
Alle drei Gesetzentwürfe haben das Ziel gemeinsam, die Finanzentwicklung zu konsolidieren und unser bewährtes System der sozialen Sicherung finanzierbar zu erhalten. Sowohl in der Renten- als auch in der Krankenversicherung hat es darum zu gehen, die Schere zwischen künftiger Einnahmen-und Ausgabenentwicklung zu schließen.
Es gilt, das Fundament unseres Systems der sozialen Sicherung zu erhalten und zu festigen, nämlich die Solidarität zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern. Dieses Prinzip verträgt keine Einbahnstraße im politischen Denken. Solidarität muß nach beiden Seiten hin gelten: Solidarität der Beitragszahler mit denjenigen, die Sozialleistungen empfangen, aber auch Solidarität der Leistungsempfänger mit denen, die diese Leistungen erarbeiten müssen. Diese Solidarität besteht in unserem Lande, sie hat sich bewährt, und es ist unsere Aufgabe, sie auch weiterhin zu erhalten. Deshalb konnten unsere Entscheidungen nur so und nicht anders sein.
Es mag verständlich sein, wenn Herr Kollege Katzer - dem ich bei dieser Gelegenheit gute Genesung wünschen darf, da in den Zeitungen zu lesen war, daß er erkrankt ist - sein altes Konzept zur Konsolidierung der Rentenfinanzen nach einer Rezession, das auch wir Sozialdemokraten damals mitgetragen haben, nämlich die Erhöhung des Beitragssatzes, erneut vorgeschlagen hat. Auch verstehe ich, daß er erneut einen Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung vorschlägt. Nur, Rezepte haben es so an sich, daß sie nicht unbegrenzt wiederholt werden können, ohne unwirksam zu werden bzw. sogar das Gegenteil zu bewirken. War die damalige Erhöhung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung von 14 auf schrittweise 18 °/o für die Rentenversicherung richtig und für die Beitragszahler akzeptabel, so gilt dies eben nicht mehr über die 18 % hinaus und in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation.
Darüber hinaus wäre es gut und der Sache dienlich, wenn bei allen Vorschlägen die künftige Stabilität des Generationenvertrages mitbedacht würde. Wir werden uns in den nächsten Jahren sehr gründlich mit den Rückwirkungen der demographischen Entwicklung und der Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Hinterbliebenenversorgung auf die Sozialversicherung zu befassen haben. Vor diesen künftigen Notwendigkeiten müssen wir zusätzliche Belastungen der aktiven Generation noch sorgfältiger prüfen, als es ohnehin notwendig ist, und wir müssen sie vermeiden, wenn andere Wege nicht nur möglich, sondern sogar besser sind, weil sie zusätzlich zur Stabilisierung und zu funktionsgerechter Trennung der Risiken in unserem bewährten System der sozialen Sicherheit beitragen.
Es ist zu begrüßen, daß die CDU/CSU-Fraktion - wenn auch in letzter Minute, nachdem der CDU-Parteitag allen Vorankündigungen zum Trotz eine Verabschiedung des von den Sozialausschüssen vorgelegten Rentenpapiers nicht möglich machen konnte - jetzt eigene Beschlüsse zur Konsolidierung der Rentenversicherung und zur Kosteneindämmung in der Krankenversicherung gefaßt hat. Für diese Vorschläge, auch wenn sie vor allem hinsichtlich der Kostendämpfung im Gesundheitswesen leider sehr mager ausgefallen sind, gilt wie für alle anderen, daß sie sorgfältig geprüft werden, aber nur akzeptiert werden können, wenn sie folgende Bedingungen erfüllen: Die soziale Ausgewogenheit der Maßnahmen darf nicht in Frage gestellt werden, das Prinzip der Beitragsgerechtigkeit muß ausgebaut und die Position der Selbstverwaltung gestärkt werden, der finanzielle Gesamtrahmen des Konsolidierungsprogramms darf nicht beeinträchtigt werden.
Die Beschlüsse der CDU/CSU-Fraktion erfüllen diese Bedingungen ebensowenig wie die Stellungnahme der Bundesratsmehrheit. Vielleicht liegt dies mit daran, daß das Gesamtbild der Rentenpolitik der Opposition im Vorfeld der Beratungen mehr als verwirrend war.
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Während Herr Katzer beispielsweise die Erhöhung des Beitragssatzes befürwortete, lehnte die Mittelstandsvereinigung der CDU jede Belastungssteigerung ab, und Herr Blüm schlug sogar zusätzliche
Belastungen für die Rentenversicherung durch Vorverlegung der flexiblen Altersgrenze vor.
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Die vorgestern endlich gefaßten Beschlüsse sind eine Mischung aus verschiedenen Vorschlägen, die sich gegenüber den Äußerungen der Bundesratsmehrheit dadurch auszeichnen, daß die Klassifizierung möglicher Beitragserhöhungen als „Ultima ratio", als „letzte Möglichkeit", übersetzt wird. Vielleicht ist es wirklich die letzte Möglichkeit der CDU-Fraktion, die in diesen Vorschlägen enthalten ist. Das muß ich Ihrer Beurteilung überlassen.
({3})
Aber deutlich geworden ist hier jedenfalls, wie konzeptionslos und wie innerlich zerrissen diese Fraktion, die die Opposition im Deutschen Bundestag stellt, ist.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich sage das, auch wenn Sie protestieren. Ich nehme an, Herr Dregger, Sie haben das gar nicht gelesen.
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- Sie haben es sehr wahrscheinlich nicht gelesen.
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Wenn Sie es sich anschauten, würden Sie mir nicht widersprechen, wenn ich sage, daß die Vorschläge der CDU/CSU im Bundesrat und im Bundestag nicht nur sozial unausgewogen, sondern auch finanziell unsolide und politisch unseriös sind.
({7})
Sie sind finanziell unsolide, weil die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung mit Ihren Vorschlägen nicht gesichert werden und die Lücke zwischen künftigen Einnahmen und Ausgaben nicht geschlossen wird,
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und sie sind politisch unseriös, weil sie Konsolidierung vortäuschen
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und verstecken, daß nach dem Oppositionskonzept eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung unausweichlich wäre. Sie sind aber nicht bereit, dies offen zuzugeben,
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sondern bezeichnen es versteckt als letzte Möglichkeit.
({11})
Herr Abgeordneter Franke, wir befinden uns in einer Regierungserklärung.
({0}) Zwischenfragen sind nicht zulässig.
({1})
Die Koalition hat dagegen ein Konsolidierungsprogramm vorgelegt, das ohne Beitragssatzerhöhungen in der Rentenversicherung auskommt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, auch wenn Sie noch so sehr dagegen protestieren, muß es ja wohl erlaubt sein, Vorschläge der Opposition,
({0})
die einen Tag vor dieser Debatte veröffentlicht worden sind, auch entsprechend zu werten
({1})
und sie als das zu bezeichnen, was sie wirklich sind.
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Die Grenzen der Beitragsbelastung der Versicherten
({3})
- denken Sie darüber nach - haben noch einen zweiten Aspekt. Die Beitragszahler haben ein Recht darauf, daß ihre Gelder so wirtschaftlich wie möglich verwendet werden.
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- Ja, das hoffe ich. Ich hatte gehofft, das würde in Ihren Vorschlägen auch zum Ausdruck kommen.
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Davon findet sich nichts darin.
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Weil die Beitragszahler hierauf ein Recht haben, muß - auch in den Vorschlägen der Opposition, in den Vorschlägen aller ernsthaft an der Konsolidierung der Rentenfinanzen und an der Kosteneindämmung im Gesundheitswesen Interessierten - auch beachtet werden, daß gerade im Gesundheitswesen unzweckmäßige und unwirtschaftliche Strukturen sowie übertriebenes Anspruchsdenken und Einkommensstreben so mancher Beteiligten die Kosten über das ökonomisch vertretbare Maß hinaus haben steigen lassen. Die Folge waren kontinuierlich steigende
Beitragssätze in der Krankenversicherung. Das kann und darf so nicht weitergehen. Die Versicherten haben mit Recht wenig Verständnis dafür, daß sie von Jahr zu Jahr einen höheren Beitrag zur Krankenversicherung zu zahlen haben, weil ihre Gelder unwirtschaftlich verwendet werden oder weil Anbieter im Gesundheitssektor nachhaltig höhere Einkommenssteigerungen für sich beanspruchen, als sie die Versicherten selbst erwarten können.
({7})
Hier war eine Grenze erreicht, und das mußte jede verantwortungsbewußte Regierung zum Handeln zwingen. Wir haben diese Verantwortung ernst genommen und ein Programm vorgelegt, das mittel-und längerfristig zur Kostenstabilisierung führen wird.
Dieses Kostendämpfungsprogramm abzulehnen, ohne gleichwertige Alternativen zu bieten, bedeutet die Kapitulation vor Einzelinteressen zu Lasten der Beitragszahler,
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und das heißt: zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung.
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Wir haben auch hier sicherzustellen, daß die Grundlagen unseres Systems der sozialen Sicherung nicht zerstört werden, und zwar im Interesse aller, selbst im Interesse derjenigen, die heute protestieren und rechtsgültig vereinbarte Leistungen verweigern wollen.
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In meiner Rede in der Debatte zur Regierungserklärung habe ich vor diesem Hause bereits darauf hingewiesen, daß rezessive Wirtschaftsentwicklungen wesentliche Auswirkungen auf die Finanzsituation der Sozialversicherung haben müssen; der Rentenanpassungsbericht weist dies näher aus.
Der Ihnen vorliegende Rentenanpassungsbericht 1977 enthält wieder 15 Modellrechnungen über einen Zeitraum von 15 Jahren. Jeder kann entsprechend seiner eigenen Beurteilung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung die jeweilige Modellvariante seiner eigenen Bewertung zugrunde legen. Es kann aber niemand behaupten, er sei über die Entwicklung der Rentenfinanzen nicht oder nicht ausreichend informiert.
Die Bundesregierung hat ihre Maßnahmen an einer vorsichtigen und abgewogenen Bewertung ausgerichtet. Das Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung in der Rentenversicherung beruht, was die Seite der gesamtwirtschaftlichen Daten anlangt, auf Annahmen, wie sie in der mittelfristigen Projektion der Bundesregierung ausgewiesen sind. Diese Annahmen liegen im übrigen auch allen anderen öffentlichen Haushalten zugrunde, auch - und ich hoffe, das erstaunt die Kollegen von der Opposition nicht ({11})
den Haushalten und mittelfristigen Finanzplanungen der von der CDU und der CSU regierten Bundesländer. Und diese Annahmen stellen sich heute nicht grundsätzlich anders als vor zwei Monaten dar; es gibt also auch keinen sachlichen Grund, von ihnen abzuweichen.
Meine Damen und Herren, die Konsolidierung in der Rentenversicherung hat aber nichts mit der bösartigen Unterstellung zu tun, die Renten seien gefährdet. Die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung ist durch den Generationenvertrag gesichert. Das stimmt heute so wie vor dem 3. Oktober 1976. Worum es geht, ist, daß auch die künftigen Ausgabenzuwächse durch Rentenerhöhungen, durch Leistungen für die Krankenversicherung der Rentner und durch beitragsunabhängige Leistungen so gestaltet werden, daß sie mit den künftigen Einnahmen in Übereinstimmung bleiben. Genau das leistet das Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung. Es sichert die Finanzgrundlagen für die dynamische Rente und gewährleistet, daß die Rentner weiterhin am wirtschaftlichen Wachstum teilhaben, es stärkt das Solidarprinzip in der Rentenversicherung und den Generationenvertrag, und es gestaltet die Finanzgrundlage der Rentenversicherung konjunkturunabhängiger.
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In der Debatte um die Regierungserklärung habe ich bereits die Grundzüge des Konsolidierungsprogramms vorgetragen. Ich darf mich daher heute auf relativ kurze Bemerkungen beschränken.
Erstens. Die Begrenzung der Zahlungen der Rentenversicherung an die Krankenversicherung der Rentner auf 11 °/o - zusammen mit den Beitragszuschüssen an freiwillig Versicherte sind es 11,7 % der Rentenausgaben - bedeutet, daß die Krankenversicherung für die Rentner ungefähr den gleichen Beitrag erhält, wie ihn auch die erwerbstätigen Versicherten aufbringen, den Arbeitgeberanteil eingeschlossen. Das ist keine Verlagerung der Kosten von der Renten- auf die Krankenversicherung, sondern die Wiederherstellung der vom Gesetzgeber 1967 fixierten Finanzierungsregelung. Zugleich ist es eine funktionsgerechte Zuordnung des Krankheitsrisikos. Unser System der Krankenversicherung beruht auf dem Prinzip der solidarischen Absicherung der Krankheit. Daher gibt es in der sozialen Krankenversicherung keine nach der Höhe des Risikos gestaffelten Beitragssätze, sondern den gleichen Beitragssatz für alle Versicherten und alle Rentner.
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Im übrigen: Die Begrenzung der Zahlungen der Rentenversicherung an die Krankenversicherung der Rentner ist auch deshalb sachgerecht, weil in der Krankenversicherung künftig mehr als bisher die Instrumente zur Verfügung stehen werden, um die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen zu bremsen.
Zweitens. Mit der Verpflichtung der Bundesanstalt für Arbeit, für ihre Leistungsempfänger Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen und die
Aufgabe der beruflichen Rehabilitation zu übernehmen, erreichen wir ebenfalls eine funktionsgerechtere Zuordnung von Aufgaben und Finanzierung von Renten- und Arbeitslosenversicherung. In unserem System der sozialen Sicherung hat die Rentenversicherung vor allem die Aufgabe, für das Alter vorzusorgen, während die Arbeitslosenversicherung die Risiken auf dem Arbeitsmarkt abzudecken hat. Mit dieser Ubernahme der Beitragszahlungen für arbeitslos Gewordene wird die Finanzgrundlage der sozialen Rentenversicherung zusätzlich stabilisiert. Das Finanzsystem der Rentenversicherung wird hiermit gewissermaßen wetterfest gemacht. Im übrigen - auf die Rehabilitation bezogen - ist festzuhalten, daß die Bundesanstalt für Arbeit schon heute in vier von fünf Fällen die Rehabilitationsmaßnahme einleitet, und mehr als die Hälfte der Fälle von beruflicher Rehabilitation werden von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert und durchgeführt.
Ich nehme erfreut zur Kenntnis, meine Damen und Herren von der Opposition - und ich sehe es auch als einen ersten Schritt zu einer gemeinsamen Basis in der Sozialpolitik an -, daß auch Sie in Ihrer Stellungnahme dieser Beitragsregelung für Leistungsempfänger der Bundesanstalt für Arbeit zugestimmt haben.
Drittens. Die Wiederherstellung des Rentenanpassungstermins 1. Januar ab der 21. Rentenanpassung ist notwendig, weil sich die 1972 beschlossene halbjährige Vorziehung als definitiv nicht finanzierbar erwiesen hat. Ich freue mich sehr, daß auch diese Einsicht bei der Opposition geteilt wird.
Viertens. Der Vorschlag der Bundesregierung, im Zusammenhang mit der Verschiebung des Anpassungstermins die der Rentenberechnung zugrunde liegende allgemeine Bemessungsgrundlage mit um ein Jahr aktuelleren Veränderungsraten bei Löhnen und Gehältern fortzuschreiben, ist sachgerecht und entspricht dem 1957 in der RVO festgelegten Abstand zwischen dem Anpassungsjahr und dem Dreijahresdurchschnitt, auf dessen Grundlage die Anpassung erfolgt.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf folgendes hinweisen. Die Bundesregierung kann nicht ausschließen, daß es die Entwicklung der Finanzlage in der Rentenversicherung erforderlich machen könnte, die laufenden Renten vorübergehend unterhalb der Entwicklung der Bruttoentgelte anzupassen, jedoch, um hier ähnliches wie 1958 zu verhüten, nicht unterhalb der Entwicklung der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer. Die sorgfältige Prüfung dieser Frage stellt sich jedoch erst beim 21. Rentenanpassungsgesetz. Es trifft zu, daß diese Maßnahmen in den nächsten Jahren zu einem etwas niedrigeren Anpassungssatz führen können als nach dem bisherigen Berechnungsmodus. Die Vorschläge der Opposition aber, einen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner einzuführen, würden trotz der sozialen Staffelung - über deren verwaltungsmäßige Schwierigkeiten in den CDU/CSU-Vorschlägen großzügig hinweggegangen wird - auf die Dauer zu einer sehr viel stärkeren Belastung der Rentner führen - schon ein dreiprozentiger Beitrag
zu dem Doppelten dessen, was in den Regierungsvorschlägen enthalten ist.
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- Das war aus der Stellungnahme nicht zu ersehen, Herr Kollege Urbaniak. Da wurde vorsichtshalber kein Prozentsatz genannt. So genau wird das dort nicht gemacht.
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Wir alle in diesem Hause wissen und haben gemeinsam dafür gesorgt, daß die Renten in den letzten Jahren erheblich stärker gestiegen sind als die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer. Während sich die Renten seit 1969 um mehr als 100 %erhöhten, sind die durchschnittlichen Nettoverdienste der Arbeitnehmer in dieser Zeit um rund 80 % gestiegen. Die Rente eines Durchschnittsverdieners mit 45 Versicherungsjahren betrug 1969 rund 65 % des Nettoverdienstes eines vergleichbaren Aktiven, heute liegt sie bei 71 %. Durch das Konsolidierungsprogramm wird diese Entwicklung keineswegs rückgängig gemacht, vielmehr bleibt das Nettorentenniveau höher als je zuvor in der Rentenversicherung - auch nach Inkrafttreten aller Teile des Konsolidierungsprogramms. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache sieht das Konsolidierungsprogramm sehr anders aus, als es von vielen Kritikern und auch von der Opposition in diesem Hause gern dargestellt wird.
Fünftens. Korrekturen bei einigen Leistungen der Rentenversicherung dienen nicht nur der Ausgabeneinsparung, sondern auch der Stärkung der Grundlagen der Solidargemeinschaft. Das gilt insbesondere für beitragsunabhängige Leistungen bei unzureichenden Beitragszeiten der Versicherten. Hier werden gewisse Privilegien einer Minderheit von Versicherten, die zu Lasten der Mehrheit gehen, beseitigt, und es wird mehr Gerechtigkeit im Leistungssystem der Rentenversicherung erreicht.
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Sechstens. Die Rücklage in der Rentenversicherung von künftig mindestens einer Monatsausgabe muß liquide angelegt werden, um als Schwankungsreserve voll zur Verfügung zu stehen. Die tatsächliche Rücklage wird unter den heutigen Annahmen jedoch wesentlich über der Mindestrücklage bleiben. Außerdem werden die Finanzen der Rentenversicherung durch die Beitragsverpflichtung der Bundesanstalt für Arbeit konjunkturunabhängiger. Die verschiedentlich vorgetragenen Bedenken gegen diese Regelung können darum nicht mehr durchschlagen.
Insgesamt, meine Damen und Herren, ist nochmals festzustellen: Das Konsolidierungsprogramm ist solide und ausgewogen. Es reicht nach dem heutigen Erkenntnisstand über die wirtschaftliche Entwicklung zur Stabilierung der Finanzlage der Rentenversicherung aus. Es liegt im Interesse der Versicherten und im Interesse der Rentner. Alle bisher bekanntgewordenen Gegenvorschläge sind dagegen entweder nicht zureichend für die finanzielle Konsolidierung, oder sie verletzen das Prinzip der Ausgewogenheit; meistens tun sie beides.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, noch kurz auf das Neunte Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung einzugehen, das neben einer Erhöhung der Kriegsopferrenten vom 1. Juli 1977 an um durchschnittlich 9,9 % die Verlegung des Anpassungstermins für künftige Anpassungen wie in der gesetzlichen Rentenversicherung auf den 1. Januar - erstmals 1. Januar 1979 - vorsieht.
Ich darf daran erinnern, daß im Jahre 1973 alle Fraktionen dieses Hauses die Auffassung vertreten haben, daß der enge Verbund von Kriegsopferversorgung und Rentenversicherung auch beim Anpassungstermin wiederhergestellt werden müsse. Wir haben das dann gemeinsam hier getan. Ich erinnere auch die Kriegsopferverbände von dieser Stelle aus daran, wie oft sie damals den untrennbaren Zusammenhang mit der Sozialversicherung betont und seine gesetzliche Absicherung gefordert haben.
Diese Forderungen haben auch heute noch ihre Richtigkeit. Wir jedenfalls halten den engen Verbund zwischen der Dynamisierung in der Kriegsopferversorgung und der Rentenversicherung für unabdingbar. Eine Verselbständigung der Kriegsopferversorgung könnte gelegentlich durchaus zu Lasten der Kriegsopfer selbst gehen.
Hier ist an die gewaltigen Verbesserungen der Kriegsopferrenten seit Einführung der analog zur Rentenversicherung ausgestalteten Dynamisierung im Jahre 1970 zu erinnern. Seither sind die Bestandsrenten um über 117 % und die Witwenrenten sogar um gut 1340/o angestiegen, d. h., sie haben sich in diesen wenigen Jahren, in den sieben Jahren, in denen Walter Arendt in diesem Hause die Sozialpolitik vertreten hat, mehr als verdoppelt.
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Die Verschiebung der Anpassung wie in der Rentenversicherung ist vor diesem Hintergrund auch sozial gerechtfertigt. Auch im Durchschnitt der Jahre 1977 und 1978 werden die Verbesserungen der Kriegsopferleistungen trotz der Verschiebung der übernächsten Anpassung über der Entwicklung der Nettoeinkommen der Arbeitnehmer liegen.
Zusammen mit dem 20. Rentenanpassungsgesetz und dem 9. Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung liegt Ihnen der Gesetzentwurf zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen vor. Auf den sachlichen Zusammenhang zwischen diesen Gesetzentwürfen habe ich eingangs bereits eindringlich hingewiesen.
In der Krankenversicherung haben wir es seit Jahren mit außerordentlich starken Ausgabensteigerungen zu tun. Im Jahre 1970, nach der Entlastung der Krankenversicherung durch die Einführung der Lohnfortzahlung, betrugen die Aufwendungen der Krankenversicherung noch rund 24 Milliarden DM. Bis 1976 haben sich diese Aufwendungen nahezu verdreifacht; sie sind auf rund 68 Milliarden DM gestiegen. Ein Teil - aber eben nur ein Teil - dieses Kostenanstiegs ist auf gewollte gesundheitspolitische Verbesserungen zurückzuführen. Aber der andere Teil geht auf unwirtschaftliche Strukturen und wenig kostenbewußte Verhaltensweisen zurück.
Dieser Ausgabenanstieg mußte durch ständige Beitragserhöhungen gedeckt werden. Von 1970 bis 1976 stieg der durchschnittliche Beitragssatz in der Krankenversicherung von rund 8,2 auf 11,3 °/o. Durch gemeinsame Bemühungen der Bundesregierung und der am Gesundheitssystem beteiligten Gruppen konnte die Kostenexpansion im Jahre 1976 abgeschwächt werden. Das ist auch von dieser Stelle aus ausdrücklich anzuerkennen; ich danke allen Beteiligten für ihren erfolgreichen Einsatz.
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Aber die wesentlichen Ursachen der Kostensteigerungen sind nicht beseitigt, und die künftigen Anforderungen machen erhöhte Anstrengungen notwendig.
Ich nehme aus vielen Stellungnahmen erfreut zur Kenntnis, daß wir in dem Ziel und der Einsicht in die Notwendigkeit der Kostendämpfung im Gesundheitswesen alle übereinstimmen. Es ist ein guter Ansatz zur Gemeinsamkeit, wenn wir alle von der Einsicht ausgehen, daß unser bewährtes Gesundheitssystem nur gesichert werden kann, wenn der Kostenanstieg im gesamtwirtschaftlichen Rahmen gehalten wird.
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- Wenn Sie dagegen sind, Herr Dregger, müssen Sie es sagen.
Von seiten der Opposition wird nunmehr zur Kostendämpfung eine konzertierte Aktion aller Beteiligten unter Einschluß des Staates empfohlen. Deren Ziel solle es sein, gemeinsame Lösungen zu entwickeln, damit jeder Bürger die bestmögliche medizinische Versorgung zu tragbaren Preisen erhalte. Mich erstaunt dieser Vorschlag; denn der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist die Verpflichtung zu einer großen konzertierten Aktion aller am Gesundheitswesen Beteiligten und Verantwortung Tragenden.
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Unser Gesetzentwurf schafft den rechtlichen Rahmen für diese konzertierte Aktion, wie es in einem sozialen Rechtsstaat üblich und notwendig ist.
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Die Regierungsvorlage stärkt die Verhandlungsposition der Selbstverwaltung und erweitert die Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten; sie gibt der Selbstverwaltung die erforderlichen Instrumente an die Hand, damit sie ihre Aufgaben in voller Selbstverantwortung erfolgreich erfüllen kann.
Meine Damen und Herren von der Opposition, beide Koalitionsparteien stehen traditionell für freiheitliche Grundsätze und freiheitliche Politik.
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Der Gesetzentwurf zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen steht auf dem Boden dieser freiheitlichen Grundsätze.
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Zu unserem Freiheitsverständnis gehört aber auch, zu verhindern, daß wirtschaftliche Machtpositionen zu Lasten der Mehrheit der Bürger zementiert und ausgenutzt werden können.
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Wir können deshalb auch die Argumentation bestimmter Ärzte- und Zahnärzteverbände nicht teilen, daß die Freiheit beeinträchtigt sei, weil wir den Selbstverwaltungsorganen Instrumente an die Hand geben, die sie in die Lage versetzen, auf eine sparsame und effiziente Verwendung der Geldmittel hinzuwirken. Freiheit ist kein Freibrief für Egoismus, auch nicht für Gruppenegoismus,
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und Freiheit ist nur zu erhalten, wenn sie in Verantwortung eingebunden ist.
Ich bin entschieden der Auffassung, daß die Schaffung gleichgewichtiger Verhandlungspositionen der Verhandlungspartner und die Bereitstellung wirksamer Instrumente für mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen unerläßliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Dämpfung des Kostenanstiegs sind. Dabei muß völlige Klarheit darüber herrschen, daß die Beteiligten selbst die volle Verantwortung für die Kostenentwicklung zu tragen und danach zu handeln haben. Dafür schafft die Regierungsvorlage eine klare gesetzliche Grundlage. Mit ihr gibt sie den Beteiligten Rechte und nimmt sie in die Pflicht verantwortlichen Handelns.
Für die Stärkung der Mitverantwortung der gesellschaftlichen Gruppen auf einer gesicherten gesetzlichen Grundlage gibt es im übrigen parallel auch die seit zehn Jahren praktizierte allgemeine Konzertierte Aktion. Sie hat ihre Verankerung im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz.
Verantwortliches Handeln aller Beteiligten im Gesundheitsbereich duldet keinen Aufschub. Der übermäßige Kostenanstieg muß gedämpft werden, und er muß jetzt gedämpft werden. Jedes Warten würde die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems gefährden oder unvertretbare Belastungen der Versicherten nach sich ziehen.
Unsere Vorlage zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen beruht auf folgenden Grundprinzipien: Das hohe medizinische Versorgungsniveau muß aufrechterhalten und weiter verbessert werden. Der medizinische Fortschritt muß allen Versicherten zugute kommen. Die steigende volkswirtschaftliche Belastung durch den Gesundheitsaufwand muß nachhaltig gebremst werden. Die Struktur des Gesundheitssystems, insbesondere die Fähigkeit zu Kooperation und Koordination, muß verbessert werden. Die Wirtschaftlichkeit des Gesundheitssystems, nämlich kostengünstige Leistungserstellung und bedarfsgerechte Versorgung, muß durchgängige Grundregel werden. Die Einkommensentwicklung der Anbieter von Gesundheitsleistungen muß stärker an der allgemeinen Einkommensentwicklung orientiert werden.
Meine Damen und Herren, diese Ziele können und sollen insbesondere dadurch erreicht werden, daß die Verhandlungsposition aller Beteiligten im Sinne
gleichgewichtiger Partner ausgebaut wird. Die Krankenkassen und ihre Verbände sollen künftig gleichgewichtig verhandeln, um damit die Interessen der Versicherten besser vertreten zu können, d. h. die Interessen der überwältigenden Mehrheit aller Bürger.
({26})
Wer die Regierungsvorlage ablehnt, ohne zugleich konkrete Alternativen auf den Tisch zu legen, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, die Interessen der Mehrheit der Bürger zu vernachlässigen.
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- Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr Vorschlag einer Konzertierten Aktion muß entweder in die Grundlinie der Regierungsvorlage einmünden, oder aber er wird an den massiven Gruppeninteressen scheitern.
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Entweder, meine Damen und Herren, Sie helfen dabei, die Position der Selbstverwaltungsorgane und deren Verhandlungsmandat zu stärken und billigen den Selbstverwaltungsorganen die erforderlichen Instrumente zu, oder Sie gefährden das gemeinsame Ziel der Kostendämpfung im Gesundheitswesen.
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Wir wollen faire und gleichgewichtige Verhandlungspositionen der Beteiligten erreichen, und wir wollen die Kostenexpansion im Gesundheitswesen dämpfen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ich vertraue darauf, daß es die Opposition nicht bei der Bekundung des gemeinsamen Ziels beläßt. Da der Gesetzentwurf die Zustimmung des Bundesrates erfordert, in dem die CDU/CSU-regierten Länder die Mehrheit haben, erscheint mir in der Tat eine konzertierte Aktion erforderlich, und zwar eine konzertierte Aktion der demokratischen Kräfte in diesem Lande, um das zu erreichen, was sozialpolitisch und gesundheitspolitisch zwingend und notwendig ist.
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Es geht darum, unser Gesundheitswesen auch in Zukunft finanzierbar zu erhalten. Das ist im Interesse von Millionen Versicherten die jetzt vordringliche sozialpolitische Aufgabe. Wir wollen folgendes erreichen:
Erstens. Die Krankenhausversorgung soll wirtschaftlicher gestaltet werden. Wir wollen die Krankenhausträger maßvoll an den Investitionskosten beteiligen mit dem Ziel, damit den Anreiz zu mehr Kostenbewußtsein zu schaffen.
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- Dieses Konzept ist stark kritisiert worden, Herr Franke, ich weiß.
Gegenüber alternativen Vorschlägen, die dem Ziel der Kostendämpfung entsprechen, sind wir sehr aufgeschlossen. Aber es muß eine effiziente Alternative sein. Kritik ist leicht, konstruktive Kritik ist schon schwerer und zwingt zu eigenem Bekenntnis. Darauf, meine Damen und Herren von der Opposition, warten wir.
Zur Verbesserung der Krankenhausversorgung schlagen wir insbesondere auch vor, daß Krankenhäuser vorstationäre Diagnostik und nachstationäre Behandlung durchführen können, um eine wirtschaftliche Nutzung vorhandener Einrichtungen ohne zusätzliche Pflegekosten zu ermöglichen. Ferner schlagen wir vor, daß an der ambulanten ärztlichen Versorgung künftig auch Krankenhausfachärzte beteiligt werden können, wenn es die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung erfordert. Wir entsprechen damit im übrigen einer Forderung des Deutschen Ärztetages von 1974. Schließlich schlagen wir vor, daß die belegärztliche Tätigkeit weiter gefördert wird. Außerdem sollen die Krankenkassen ein stärkeres Mitwirkungsrecht bei der Krankenhausbedarfsplanung und mehr Verhandlungsgewicht bei der Vereinbarung der Pflegesätze erhalten. Ziel ist die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in unserem Gesundheitswesen. Auch Alternativvorschläge sollten diesem Ziel genügen.
Zweitens. Die ärztliche Vergütung künftig im Rahmen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung zu halten, ist angesichts der Erfahrungen aus den vergangenen Jahren geboten und sollte eigentlich auch von den betroffenen Gruppen akzeptiert werden können. Im Jahreswirtschaftsbericht werden die allgemeinen volkswirtschaftlichen Kriterien festgelegt. Die Spitzenverbände der Kassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung sollen es nach unseren Vorstellungen sein, die eine bundesweite Empfehlung über die angemessene Erhöhung der ärztlichen Vergütung abgeben. Diese Empfehlung soll dann bei den regionalen Verträgen angemessen berücksichtigt werden.
Diese Regelungen fügen sich nahtlos in das bestehende System der Honorarverhandlungen ein. Sie stellen nur eindeutige gesamtwirtschaftliche Kriterien als Orientierungsgrößen auf. Hier wird nichts Systemfremdes eingeführt. Hier wird das geltende System verbessert und die Praxis des letzten Jahres auf eine gesetzliche Basis gestellt.
Drittens. Es hat sich als notwendig erwiesen, die Bewertung persönlicher Leistungen des Arztes und der Leistungen der Labor- und der Apparatemedizin in ein sinnvolles und leistungsgerechteres Verhältnis zu bringen. Heute verdienen diejenigen Ärzte am meisten, die vorwiegend an Apparaten arbeiten. An der Spitze der ärztlichen Einkommenspyramide stehen die Röntgenärzte mit einem Durchschnittseinkommen, das z. B. fast doppelt so hoch ist wie das der Kinderärzte.
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Eine neue Gebührenordnung, die von Ärzten und Krankenkassen gemeinsam zu entwickeln ist, soll eine leistungsgerechte Honorierung sicherstellen.
Außerdem sollen die kassenärztlichen Vereinigungen künftig stärker darauf hinwirken, daß medizinisch-technische Leistungen kostengünstiger erbracht werden können: von spezialisierten und daher wirtschaftlicher arbeitenden Einrichtungen der niedergelassenen Ärzte. Es werden also auch in Zukunft alle medizinisch erforderlichen technischen und Laboruntersuchungen gemacht, aber sie sollen wirtschaftlicher erbracht werden.
Viertens. An mehr Wirtschaftlichkeit auch bei Arzneimittelverschreibungen führt kein Weg vorbei. Wir setzen dort an, wo die hauptsächlichen Entscheidungen über den Arzneimittelverbrauch fallen, nämlich beim Arzt; denn nur der Arzt, nicht aber der Patient, kann Art und Umfang der erforderlichen Medikamente beurteilen. Vorschläge, die einseitig dem Patienten die Verantwortung für einen wirtschaftlichen Arzneimittelverbrauch übertragen wollen, setzen an der falschen Stelle an, es sei denn, man erwarte vom Patienten eine höhere medizinische Einsicht als vom Arzt.
Die Krankenkassen und die kassenärztlichen Vereinigungen sollen jährlich einen Höchstbetrag für die Gesamtaufwendungen für Arzneimittelverordnungen vereinbaren. Eine Ausgleichsregelung für das Überschreiten dieses Höchstbetrages wird erreichen, daß die Kosten einer eindeutig unwirtschaftlichen Verordnungsweise der Ärzte nicht mehr auf die Beitragszahler abgewälzt werden können.
Diese Regelung ist nicht starr, und sie bedeutet schon gar nicht die Einschränkung der Therapiefreiheit oder der medizinischen Versorgung des einzelnen Patienten. Es wird nicht mehr erwartet, als daß der Arzt bei verschiedenen Präparaten gleicher medizinischer Wirksamkeit dem preisgünstigeren den Vorzug gibt. Das ist möglich, und das ist zumutbar.
Unzumutbar ist es aber, daß Ärzte in nicht wenigen Fällen dazu übergegangen sind, auf Rezeptblättern Wahrheitswidriges über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu verbreiten.
({33})
Das ist ein eklatanter Mißbrauch der Möglichkeiten ärztlicher Praxis in gröbster Form und mit ärztlichen Berufspflichten in keiner Weise vereinbar.
({34})
Wir werden den Ärzten für die erwartete wirtschaftliche Verordnungsweise auch Hilfestellung geben. Eine unabhängige Sachverständigenkommission wird Transparenzlisten als Orientierungshilfen erarbeiten. Damit haben die Ärzte die Möglichkeit, die Preise der Arzneimittel zu vergleichen, um unter den therapeutisch gleichwertigen Arzneimitteln das kostengünstigere - ausschließlich hierum geht es bei dieser Neuregelung - auszuwählen. Mit „Billigmedizin", wie hier propagandistisch behauptet wird, hat das nichts zu tun, wohl aber mit Wirtschaftlichkeit und sparsamer Verordnungsweise. Kein Medikament, mag es auch noch so teuer sein, wird dem Patienten vorenthalten, wenn die Therapie es verlangt.
Der absurde, ja bösartige Vorwurf der „Billigmedizin" scheint mir im übrigen für bestimmte Erscheinungen in unserem Gesundheitswesen symptomatisch zu sein. Zu häufig wird Kostenaufwand mit medizinischer Wirksamkeit verwechselt.
({35})
Dieses Mißverständnis scheint tief, allzu tief, verwurzelt zu sein.
Um es noch einmal klarzustellen: Medizinischer Fortschritt und therapiegerechte Versorgung werden bei uns nicht angetastet. Die Verordnungsfreiheit des Arztes bleibt erhalten. Der Arzt wird jedoch stärker in die gesundheitspolitische Verantwortung genommen, einem überhöhten und zugleich medizinisch nicht vertretbaren Arzneimittelkonsum entgegenzuwirken.
Fünftens. Auch die Versicherten haben ihren Beitrag zur Kostendämpfung zu leisten, und zwar einen sozial tragbaren und zu verantwortenden Beitrag. Einige Leistungen werden auf das medizinisch und sozialpolitisch Notwendige begrenzt. Das gilt z. B. für die Rezeptbeteiligung, für Kuren, für Leistungen zum Zahnersatz, medizinisch nicht erforderliche Arzneimittel sowie für die beitragsfreie Mitversicherung von selbstverdienenden Familienangehörigen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, unsere Kostendämpfungsmaßnahmen setzen breit an, um auch erfolgreich sein zu können. Wir sind aber nach wie vor nicht der Meinung, daß dem finanziell schwächsten Glied in der Kette der am Gesundheitswesen Beteiligten, nämlich dem Patienten, die stärkste Belastung zugemutet werden soll.
({36})
Wir sind vor allem nicht der Auffassung, die Beitragssatzentwicklung dadurch dämpfen zu müssen, daß die Versicherten im Krankheitsfall unmittelbar mit Kosten belastet werden. Unser Ziel ist die Dämpfung der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, nicht die Umbuchung der Kosten.
({37})
Sechstens. Die finanziellen Lasten in der Krankenversicherung sollen künftig gerechter verteilt werden. Ein grundlohnbezogener Belastungsausgleich für die Krankheitskosten der Rentner zwischen den Krankenkassen wird für größere Beitragsgerechtigkeit sorgen. Die je nach Kassenzugehörigkeit unterschiedliche Belastung der Beitragszahler durch den verschieden hohen Anteil der Rentner bei den einzelnen Kassen und Kassenarten wird ausgeglichen. Diese Regelung ist zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit unseres gegliederten Krankenkassensystems unerläßlich.
({38})
Die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze stärkt das Solidarprinzip in der Krankenversicherung. Denn während die niedrigeren Einkommen voll der Beitragspflicht unterliegen, trifft dies für höhere Einkommen nur zu einem Teil zu. Mit der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erweitern wir den Solidarausgleich in unserem Versicherungssystem.
Insgesamt hat die Bundesregierung ein solides und ausgewogenes Programm zur Kostendämpfung vorgelegt. Es ist zugleich ein Angebot an alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte zur Zusammenarbeit. Ich danke von dieser Stelle aus ausdrücklich für die grundsätzliche Unterstützung unseres Kostendämpfungsprogramms durch Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Orts- Betriebs- und Innungskrankenkassen, durch die landwirtschaftlichen Krankenkassen und die Bundesknappschaft.
Ich habe auf der anderen Seite allerdings auch viel Verständnis dafür, daß Kritik und Widerstand kommen, wenn wirtschaftliche Belange von Interessengruppen berührt werden. Kritik, zumal konstruktive Kritik, ist legitim. Behandlungsstreiks und tatsachenverfälschende Propagandakampagnen aber sprengen den Rahmen einer demokratischen Auseinandersetzung in einer pluralistischen Gesellschaft.
({39})
Ich bedaure Vorfälle wie in Niedersachsen, Oldenburg und anderswo auch deshalb, weil sie ein schwerer Verstoß gegen das ärztliche Berufsethos sind und den ärztlichen Beruf selbst diskreditieren. Ich weiß mich darin mit vielen Ärzten und Zahnärzten einig, die von den Handlungsweisen eines Teils ihrer Berufskollegen und den wahrheitswidrigen Verlautbarungen ihrer Standesvertretungen tief betroffen sind,
({40})
Ärzte, die in ihrer überwiegenden Mehrheit übrigens gar nicht daran denken, einen Behandlungsstreik auch nur in Erwägung zu ziehen, weil ihnen das Wohl ihrer Patienten nähersteht als die Anweisungen ihrer Standesvertretungen. Die tägliche Pflichterfüllung dieser Ärzte und der weit über den Achtstundentag hinausgehende Einsatz vieler Ärzte - vor allem der Landärzte - für ihre Patienten werden aber durch verantwortungslose und unwahre Verlautbarungen zahlreicher ärztlicher Standesvertretungen diskreditiert.
({41})
Hier - und nirgendwo sonst - wird das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient belastet.
Meine Damen und Herren, unser Kostendämpfungsprogramm ist vor allem auch ein Angebot an die Opposition zu einem fairen und ernsthaften Ringen um die Verwirklichung des gemeinsamen Ziels der Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Wir müssen damit Ernst machen, und das müssen wir jetzt tun. Ich halte es nicht für verantwortlich, zunächst einmal abzuwarten und zwei Jahre lang über Lösungen nachdenken zu wollen. Das Problem der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen verlangt tatkräftiges Handeln.
Auch aus Ihrem Lager, meine Damen und Herren von der Opposition, sind Analysen zur Kostenentwicklung vorgelegt worden. Aber es reicht nicht, wenn z. B. Herr Geißler feststellt, daß Kosteneinsparungsspielräume in einer Höhe von über 10 Mil1010
liarden DM vorhanden seien. Er muß auch zum politischen Handeln, zum Ausnutzen dieser Möglichkeiten bereit sein.
({42})
Es gab und es gibt Lösungsvorschläge aus Wissenschaft und Praxis.
({43})
- Wir haben sie in unser Programm eingearbeitet, Herr Kollege Franke. Lesen Sie nach.
({44})
Wir brauchen keine Bedenkzeit, wir brauchen Entscheidungen - sonst laufen uns die Gesundheitskosten davon -,
({45})
wir brauchen keinen Aufschub um zwei Jahre mit einer Konzertierten Aktion.
({46})
Was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, anstreben, enthält unser Konsolidierungs programm. Nur auf gesetzlicher Basis werden diese Ziele erreichbar sein. Wir geben den Selbstverwaltungsorganen die Instrumente an die Hand, die sie in die Lage versetzen, dem Problem der Kostenentwicklung Herr zu werden. Unser Kostendämpfungsprogramm heißt nicht „Mehr Staat", sondern „Mehr Verantwortung für mehr Wirtschaftlichkeit aller am Gesundheitswesen Beteiligten".
({47})
Das ist, meine Damen und Herren von der Opposition, ein durch und durch marktwirtschaftliches Konzept, dem Sie sich nicht entziehen dürften, wenn Sie es ein wenig ernst mit der marktwirtschaftlichen Ordnung meinten.
({48})
Wer sich heute zum Ziel der Kostendämpfung bekennt, aber nicht bereit ist, notwendige Maßnahmen zu ergreifen oder sie gar verhindert, der trägt die Verantwortung für den weiteren Kostenanstieg im Gesundheitswesen.
({49})
Er trägt dann selbst dazu bei, daß dieses Gesundheitssystem langfristig gefährdet wird.
Der Gesetzentwurf zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen ist eine Chance für das System unserer Krankenversicherung und für die Eigenverantwortung und Selbstverwaltung der Beteiligten. Er ist ein Vorschlag zum entschlossenen Handeln des Parlaments.
Ich appelliere deshalb abschließend an dieses Haus, das gemeinsame Ziel der Kostendämpfung und seine Bewältigung vor parteipolitische Abgrenzungstaktiken zu stellen. Wir dienen damit dem sozialen Frieden und der Demokratie in unserem Staate. Die Konsolidierung der Rentenversicherung und die Kostendämpfung der Krankenversicherung sind Aufgaben von existentieller gesellschaftlicher und nicht nur von sozialpolitischer Tragweite.
Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung sind ausgewogen, und sie sind einer ernsthaften und unvoreingenommenen Prüfung auch durch die Opposition wert. Darum bitte ich Sie im Interesse der Bürger unseres Landes. Ich bitte dieses Haus um zügige und gründliche Beratung, damit alle drei Gesetzentwürfe zum 1. Juli 1977 in Kraft treten können, so wie es notwendig ist.
({50})
Nach der Begründung der drei dem Hause vorliegenden Gesetzentwürfe durch die Bundesregierung eröffne ich nunmehr die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe Walter Arendt hier unter uns.
({0})
Bei allem, was uns von Walter Arendt trennt, meine Damen und Herren: Wenn man Herrn Ehrenberg hört, kann man nur mit Wehmut an die Auseinandersetzungen mit Walter Arendt zurückdenken.
({1})
Herr Ehrenberg, seit nahezu drei Jahren leugnen Sie die Probleme, deren Lösung Sie heute hier als so ungeheuer dringend bezeichnet haben. Sie haben monatelang auf einem Konzept herumberaten und verlangen von uns, dieses Konzept bzw. dieses umfangreiche Paket in wenigen Wochen durchzupeitschen. Angesichts Ihres letzten Appells leidet da doch, glaube ich, ein bißchen Ihre Glaubwürdigkeit.
Und dann sagen Sie, Herr Ehrenberg, Ihr Konzept sei ausgewogen.
({2})
Ich will mich, bevor ich meine eigenen Formulierungen auch als Zweifel zu dem anmelde, was Sie hier vorgetragen haben, nur einmal mit zwei Äußerungen auseinandersetzen bzw. Ihnen diese hier zur Kenntnis bringen. Das ist einmal die Äußerung des Sozialbeirats, der Ihr Konzept am 25. Februar u. a. mit folgenden Worten begleitet - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Auch sieht der Beirat ein nicht geringes Risiko, daß insbesondere bei ungünstigerer Wirtschaftsentwicklung die jetzt von der Bundesregierung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Zwanzigsten Rentenanpassung und zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung beschlossenen Maßnahmen mittelfristig zur Konsolidierung der Rentenfinanzen noch nicht ausreichen werden, zumal nach seiner Ansicht eine höhere Schwankungsreserve weiterhin eingeplant werden muß.
({3})
Das zu Ihren Äußerungen, die Sie am Anfang gemacht haben.
Aber nun kann man sagen, was stört uns die sachverständige Meinung des Sozialbeirats. Doch da ist zum anderen die Meinung des „Spiegel". Ich darf mir erlauben, Ihnen einmal die Überschrift des „Spiegel" von dieser Woche zu dieser Frage zur Kenntnis zu bringen. Die Überschrift im „Spiegel" lautet: „Rentenversicherung: Auf Dauer gestört?". Dann beginnt der Text:
Ungeachtet amtlicher Verheißungen drohen den Rentenkassen in den kommenden Jahren neue Krisen.
Das an den Anfang gestellt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
SPD und FDP haben durch Nichthandeln die Lage geschaffen, über die wir uns heute unterhalten müssen.
({4})
Die CDU/CSU hat seit Jahren darauf hingewiesen, daß Deckungslücken in der langfristigen Sicherung der Rentenfinanzen auftreten werden. SPD und FDP haben uns der Panikmache geziehen. Sie haben geleugnet, daß Probleme in der von uns aufgezeigten Art überhaupt bestehen. Die FDP hat nach der Sachverständigenanhörung vom 10. März 1976 lediglich zugegeben, daß die Schwierigkeiten in der Rentenversicherung so sind, wie sie die CDU/CSU seit dem 16. Januar 1975 geschildert hat. Aber die FDP hat aus dieser Erkenntnis keine Konsequenzen
I gezogen.
({5})
Seit dieser Zeit haben mein Kollege Katzer und ich im Namen der Fraktion mehrfach auf die sich abzeichnende Entwicklung hingewiesen. Im Namen der CDU/CSU hatten wir angeboten, eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Ja, wir hatten sogar angeboten, daß die Opposition bereit sei, sich an unpopulären Maßnahmen, falls sie notwendig sein sollten, zu beteiligen. Sie, meine Damen und Herren, haben uns damals verhöhnt. Sie haben uns als Panikmacher und als soziale Demonteure beschimpft.
Am 16. Januar 1975 habe ich angeboten, über dieses Problem gemeinsam zu sprechen. Am 27. Februar 1975 habe ich erneut angeboten, über dieses Problem zu sprechen und notfalls auch unangenehme und unpopuläre Konsequenzen mitzutragen. Am 20. März 1975 habe ich desgleichen an die Probleme in der Rentenversicherung erinnert. Sie haben geleugnet, daß diese Probleme da seien. Am 20. Februar 1976 hat der Kollege Katzer an diese Probleme erinnert. Sie haben wiederum geleugnet, daß die Probleme in der Rentenversicherung da seien. Am 8. April 1976 habe ich in einem Dialog mit dem Bundeskanzler an diese Probleme erinnert und dazu aufgefordert, hier gemeinsame Maßnahmen durchzuführen. Sie haben geleugnet, daß diese Probleme bestehen.
({6})
Am 14. Mai 1976 haben wir noch einmal - kurz
vor der Wahl - auf diese Probleme hingewiesen.
Sie haben geleugnet; bis zum 3. Oktober waren das für Sie nur Problemchen.
({7})
Es darf nicht in Vergessenheit geraten, für dern Bundeskanzler waren diese Fragen bis zum 3. Oktober nur Problemchen. Nach der Wahl waren diese Dinge dann das dickste Problem.
Die Ursachen für die finanziellen Schwierigkeiten in der Rentenversicherung liegen in der katastrophalen Arbeitsmarktlage begründet. Seit 1973 haben wir insgesamt ca. 2 Millionen Arbeitsplätze verloren, d. h. 2 Millionen Beitragszahler weniger für die Rentenversicherung. 100 000 Arbeitslose bedeuten nicht nur weniger Beitrag, 100 000 Arbeitslose kosten auch 1 Milliarde DM Arbeitslosenunterstützung, ohne sie in die Lage zu versetzen, ein volkswirtschaftliches Produkt zu erstellen. 200 000 Arbeitslose bedeuten pro Jahr 1 Milliarde DM weniger an Beiträgen für die Rentenversicherung. Die wahre Ursache für die Schwierigkeiten in der Rentenversicherung liegt also in dem Unvermögen dieser Regierung, die Ziele, besser: die Befehle des Stabilitätsgesetzes, nämlich für Vollbeschäftigung, Preisstabilität und Wirtschaftswachstum zu sorgen, zu befolgen. Diese Bundesregierung ist nicht in der Lage, diese Befehle zu erfüllen.
({8})
Nun, nach jahrelangem Leugnen, daß es ein solches Problem überhaupt gibt, legt die Bundesregierung nach wochenlangem Hin und Her ein Programm vor, welches zumindest einen Teil der Koalitionsparteien veranlaßt hat, den Ausdruck „soziale Flickschusterei" zu gebrauchen. An der Substanz dieser Formulierung hat sich überhaupt nichts geändert. Es haben sich vielleicht einige Kommata verschoben, aber die soziale Flickschusterei, wie das von der FDP bezeichnet worden ist, ist in ihrer Grundsubstanz erhalten geblieben und als Regierungsvorlage auf unseren Tisch gelegt worden.
({9})
Das Konzept der Bundesregierung lehnen wir in wesentlichen Teilen ab. Wir sind nach wie vor für die bruttolohnbezogene dynamische Rente.
({10})
Wir wollen an diesem Generationenvertrag festhalten. Aber, meine Damen und Herren, durch die von der Regierung geschaffene Lage haben wir eine Situation, in der wir uns auch überlegen müssen, Maßnahmen mitzuergreifen, die die Sanierung in der Rentenversicherung tragen helfen.
Lassen Sie mich jetzt zu einigen Einzelheiten der von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfe Stellung nehmen. Die CDU/CSU stimmt natürlich der Erhöhung der Renten in der Rentenversicherung und in der Kriegsopferversorgung zum 1. Juli 1977 in Höhe von 9,9 % zu.
({11})
- Ich bedanke mich für den Zwischenruf „sehr
gut" ; schließlich war es Ihre Regierung, die diesen
Termin um ein halbes Jahr verschieben wollte und
erst durch die Proteste der Bürger dieses Landes und die Proteste der Opposition ist dieser Termin wieder ins Gesetz hineingekommen.
({12})
Wir stimmen natürlich ebenfalls der Erhöhung der Renten in der Unfallversicherung um 7,3 % und der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte um 9,9 0/o zum 1. Januar 1978 zu. Durch die - ich wiederhole das noch einmal - von der Bundesregierung bis zum 3. Oktober geleugnete, aber heute zugegebene Lage sind allerdings einschneidende Maßnahmen notwendig geworden. Daher sieht sich die CDU/CSU gezwungen, der Verschiebung der nächsten Anpassung, also der nächsten Rentenerhöhung, auf den 1. Januar 1979 zuzustimmen. Hierdurch wird eine Einnahmeminderung der etwa 10 Millionen Rentner in Höhe von ca. 14 Milliarden DM eintreten. Wir sind uns der Schwere der Verantwortung bewußt. Aber schuld an dieser Verschiebung und der Grundlagen zu dieser Verschiebung ist eindeutig und ausschließlich diese Bundesregierung, die die wirtschaftlichen Daten nicht in den Griff bekommen hat.
({13})
Einverstanden sind wir mit der Lösung, daß die Bundesanstalt für Arbeit für ihre Leistungsempfänger Beiträge an die Rentenversicherung zahlt. Hiermit kann man die Rentenversicherung für diesen Teil ihrer Verpflichtungen von der Arbeitsmarktlage unabhängiger machen. Aber das Konzept, welches die Bundesregierung vorlegt, stützt sich auf Vorausschätzungen, die sie selbst erstellt hat. Wir wissen alle, die Zukunft ist unsicher, und Vorausschätzungen können eintreffen oder auch nicht.
({14})
Wir sollten uns von einer falschen Schätzgläubigkeit freimachen. Die Vorausschätzungen der Bundesregierung beruhen auf Annahmen über die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Das ist nicht unsere Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren.
({15})
Wir lassen uns nicht zu Buchhaltern eines von der Bundesregierung vorgegebenen Zahlenkonzepts machen.
({16})
Dennoch sind wir bereit - und wir haben dies bewiesen -, dort, wo wir die Vorschläge der Bundesregierung ablehnen, zu sagen, wie wir uns dann jeweils die Deckung vorstellen, wobei wir uns auch durch Vorgabe von Zahlen nicht auf finanzpolitische Verschiebebahnhöfe abdrängen lassen. Notwendig ist eine Betrachtungsweise, eine konsolidierte Bilanz, die Renten- und Krankenversicherung zusammenfaßt.
Zu den Zahlen. Wir lehnen die Teilaktualisierung und die Nettoanpassung ab, die nach den Berechnungen der Bundesregierung etwa 6 Milliarden DM im Zeitraum bis 1980 eingespart hätte. Statt dessen schlagen wir einen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner mit Sozialkomponente vor, der im gleichen Zeitraum etwas über 6 Milliarden DM bringt. Das heißt also, unser Vorschlag ist hier besonders großzügig und, was das Defizit angeht, ausgeglichen.
Zweitens lehnen wir das Einfrieren der Kinderzuschüsse, die so nicht zu rechtfertigende Einschränkung der Rehabilitation und die Verlagerung der beruflichen Rehabilitation auf die Bundesanstalt ab.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?
Ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen.
({0})
Die Bundesregierung hat hierfür einen Betrag von zusammen 4,1 Milliarden DM angesetzt. Hinsichtlich der beruflichen Rehabilitation - Verlagerung auf die Bundesanstalt - handelt es sich allerdings nur um eine Finanzverschiebung in Höhe von 1,7 Milliarden DM. Hier haben wir eine Gegenposition in Höhe von 3,5 Milliarden DM vorgeschlagen, nämlich daß der Bund an die Rentenversicherung künftig insoweit Zuschüsse zahlt, wie er an Kindergeld einspart, da die Rentenversicherung aus eigener Kraft Zuschüsse zahlt. Dies ist ein systemgerechter Vorschlag. Bis dahin ist also die Rechnung für die Rentenversicherung ausgeglichen im Vergleich zu Ihren Vorschlägen.
Die Beitragsdynamisierung bei den Zahlungen der Rentenversicherung für kranke Rentner schlagen wir weiterhin vor. Dies erfordert im Zeitraum bis 1980 schätzungsweise 5,5 Milliarden DM Aufwand bei der Rentenversicherung. Hierfür machen wir jetzt keinen gesonderten Deckungsvorschlag, weil ein solcher Betrag im Rahmen des Unsicherheitsspielraums jeder Vorausschätzung liegt. Wir sagen weiter: sollte es gar nicht anders möglich sein, schließen wir als letzte Möglichkeit eine Beitragsanhebung in der Rentenversicherung nicht aus. 5,5 Milliarden DM entsprechen rechnerisch einem Beitragssatz in der Rentenversicherung von 0,3 O/0.
In der konsolidierten Bilanz von Renten- und Krankenversicherung fehlt keine einzige Milliarde, weil ja der Betrag von 5,5 Milliarden DM, den die Rentenversicherung auf der einen Seite mehr zu zahlen hat, auf der anderen Seite als Einnahme bei der Krankenversicherung verbucht wird. Die konsolidierte Bilanz von Renten- und Krankenversicherung ist ausgeglichen; für jeden Teil unseres Alternativkonzepts ist also ein Deckungsvorschlag unterbreitet.
Meine Damen und Herren, zusätzlich - und dies ist nun ein ganz wichtiger Punkt - schlagen wir vor, die Mehrfachrentner systemgerecht und sozial ausgewogen einen Beitrag zur Krankenversicherung entrichten zu lassen, wenn sie die Privilegien der
kostenlosen Krankenversicherung der Rentner in Anspruch nehmen
({1})
und soweit die Mehrfachrenten Lohnersatzfunktion haben.
({2})
Dies bringt im Zeitraum bis 1980 eine Mehreinnahme bei der Krankenversicherung von rund 7,3 Milliarden DM. Dies ist kein bequemer, ist kein populärer Vorschlag, aber finanzpolitisch wirkt er sich so aus,
({3})
daß wir insgesamt die Renten- und Krankenversicherung mit einem Betrag von 7,3 Milliarden DM mehr, als die Bundesregierung vorschlägt, sanieren. Für diesen Betrag von 7,3 Milliarden DM, der im Konzept der Bundesregierung nicht enthalten ist, hat die Bundesregierung also keinen Deckungsvorschlag, und ich frage hier die Bundesregierung, wie sie diese Lücke von 7,3 Milliarden DM bei der Krankenversicherung decken will. Hier fehlt das Alternativkonzept der Bundesregierung; sie setzt lediglich an zu einer gigantischen Finanzmanipulation in Höhe von 31,7 Milliarden DM.
({4})
Ich stelle also fest: Das Programm der Bundesregierung ist um 7,3 Milliarden DM unsolider finanziert als das von uns vorgelegte Konzept. Über diese schlichte Wahrheit können auch regierungsamtliche Nebelwerfer nicht hinwegtäuschen. Bei zusammengefaßter Betrachtung von Renten- und Krankenversicherung - und dies ist die finanzpolitisch einzig richtige Betrachtungsweise - ist unser Konzept bedeutend solider finanziert als das Konzept der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, die Suche nach der richtigen Lösung war bei uns durchaus mühevoll. Ich gestehe ganz freimütig, daß es uns sehr schwer gefallen ist, einen Weg zu finden, der durch Sie verschuldeten Situation dadurch gerecht zu werden, daß ein sozial ausgewogener Beitrag in Form einer Belastung unserer Bürger geleistet wird.
({5})
Das ist uns fürwahr nicht leichtgefallen, meine Damen und Herren. Aber trotzdem unterzieht sich die Opposition dieser unpopulären Aufgabe, auch hier einen Beitrag zu leisten.
({6})
Wir haben im Ansatz versucht, auch über 1980 hinauszudenken. Diese Regierung und die sie tragenden Parteien machen sich das doch allzu leicht. Sie sanieren für den Zeitraum bis 1980.
({7})
Man muß sich fragen, meine Damen und Herren: Wie kommt der Zeitpunkt 1980 eigentlich in die Betrachtungsweise dieser Regierung?
({8})
Sollte man die Vermutung haben dürfen,
({9})
daß der Zeitpunkt bestimmt ist von der nächsten Wahl? Die ist 1980. Meine Damen und Herren, das machen wir nicht mit!
({10})
Wir versuchen also - wir unterziehen uns dieser unangenehmen Aufgabe -, auch über das Jahr 1980 hinauszudenken und im Ansatz - ich betone: im Ansatz - dafür Vorschläge zu machen. Was meine ich mit dem Ansatz über 1980 hinaus? Wir alle wissen, daß ein Verfassungsgerichtsauftrag, die Gleichberechtigung der Frauen in der Rentenversorgung herzustellen, uns zwingt, strukturelle Veränderungen in unserem Rentensystem vorzunehmen. Die Lösungen, die von der Bundesregierung vorgeschlagen werden, verbauen eine solche systemgerechte Veränderung. Darum ist Ihr Vorschlag unsolide, Herr Ehrenberg.
Ich habe noch genau im Gedächtnis, wie der Bundeskanzler in seiner Antwort auf die Rede von Hans Katzer im Januar sagte, daß man, um hier die strukturellen Veränderungen betreiben zu können, darüber nachdenken müsse, wie man die Renten besteuern könne. Das sagte Bundeskanzler Helmut Schmidt als seine Antwort auf Hans Katzer. Wir schlagen das hier nicht vor. Aber sicher ist, daß man den Mut haben muß, Bürger unseres Landes sozial ausgewogen und systemgerecht an der Sanierungslast zu beteiligen. Das ist in dem Vorschlag der Bundesregierung aber überhaupt nicht zu erkennen.
Ich meine hier, meine Damen und Herren - und nun komme ich zu dem Vorschlag -, die Bezieher von Mehrfachalterseinkommen, die, wie ich noch einmal betone, die Krankenversicherung der Rentner in Anspruch nehmen und bei denen die Mehrfacheinkommen Lohnersatzfunktion haben. Man darf hier nicht in Klassen denken: hier 20 Millionen Beitragszahler - ({11})
- Ich weiß, daß Sie, wenn das Wort „Klasse" kommt, ganz besonders nervös reagieren, meine Damen und Herren, an der Spitze natürlich Herr Gansel. Also: hier 20 Millionen Beitragszahler und dort 10 Millionen Rentner. So undifferenziert kann man die Dinge doch nicht betrachten, und 10 Millionen Rentner darf man in ihrer Einkommenssituation doch nicht über einen Kamm scheren.
Wie ist denn die Lage der Rentner? Wo werden die Rentner über einen Kamm geschoren? Bei Ihren Vorstellungen! Da ist es ganz egal, ob ein Rentner eine hohe oder eine niedrige Rente bezieht. Auch der Rentner mit niedrigem Renteneinkommen wird bei Ihnen ganz kräftig zur Ader gelassen. Und das ist unsozial!
({12})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?
Nein, ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen.
({0})
Meine Damen und Herren, Mitarbeiter unserer Partei haben eine Dokumentation über die Lage der Rentner erarbeitet. Ich darf daraus zitieren:
Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland 804 000 Rentnerhaushalte mit 1,8 Millionen Personen, die über ein Nettoeinkommen in Höhe von mehr als dem Dreifachen des Sozialhilfeniveaus verfügen. Das sind z. B. für ein Rentnerehepaar mehr als 2 400 DM netto pro Monat. Auf der anderen Seite gibt es 1,1 Millionen Rentnerhaushalte mit 2,3 Millionen Personen, deren Einkommen sogar noch unter dem Sozialhilfeniveau liegen.
Die Zahlen, die ich hier nenne, gelten für 1974, dürften aber auch die heutigen Größenordnungen, auf die heutigen Verhältnisse fortgeschrieben, richtig wiedergeben. Bei einer Nettorentenbetrachtung, wie sie die Bundesregierung anstellt, bei der eine „Durchschnittsrente" einem Nettodurchschnittsverdienst gegenübergestellt wird, wird genau dieser Gesichtspunkt völlig vernachlässigt, meine Damen und Herren. Bei dieser Durchschnittsbetrachtungsweise wird nämlich der kleine Rentner „reich" und der überdurchschnittlich beziehende Rentner „arm" gerechnet. Bei der Durchschnittsbetrachtung wird das Vergleichseinkommen, das einer kleinen Rente zugrunde liegt, einer „durchschnittlichen" Besteuerung auch dann unterworfen, wenn es tatsächlich keiner oder nur einer geringen Besteuerung unterliegt.
Die Gründe für die differenzierte Einkommensituation der Rentner sind vielschichtig. Erstens fließen die Renteneinkommen aus unterschiedlichen Quellen mit unterschiedlichen Leistungssystemen,
({1})
nicht nur aus der gesetzlichen Rentenversicherung. - Herr Kollege Sund, ich freue mich, daß Sie hier gesagt haben: Sehr wahr! Aber ich vermisse in Ihrem Konzept die Konsequenz aus diesem „Sehr wahr!".
({2})
Unfallrente, Beamtenpension, Versorgung der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes über Zusatzversicherungseinrichtungen, betriebliche Altersversorgung sind quantitativ nicht länger zu vernachlässigen, wenn wir alle Bürger unseres Landes sozial ausgewogen zur Beitragszahlung heranziehen wollen. Wir unterziehen uns der unpopulären Aufgabe, auf diese Dinge hinzuweisen.
({3})
Zweitens. Die Rentenkumulation gibt eine weitere Erklärung für die Tatsache, daß es neben Rentnerhaushalten mit unzureichendem Einkommen auch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Rentnerhaushalten mit hohem Einkommen gibt. Die Anzahl der Mehrfachrentner nimmt zu. So ist der Personenkreis mit überwiegendem Lebensunterhalt durch Rente, der ein zusätzliches Renteneinkommen aus einer zweiten Quelle hat, von 1971 bis 1974 deutlich von 27 auf 31 % angewachsen. Das ist der Beweis dafür, daß wir uns der mühevollen Arbeit unterziehen müssen, uns auch dieser Probleme im Fachgremium, dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, anzunehmen und sie zu untersuchen.
Das Haushaltseinkommen als Summe der Einzeleinkommen aller Haushaltsmitglieder aus Erwerbstätigkeit, Vermögen und Einkommensübertragungen kann Unterschiede bei den personellen Einkommen, wie sie z. B. in den Rentenschichtungen der Rentenanpassungsberichte zum Ausdruck kommen, abschwächen.. Immerhin machte das nicht vom Haushaltungsvorstand bezogene Einkommen in Rentnerhaushalten im Jahre 1974 knapp ein Viertel aus.
Für die Beurteilung der tatsächlichen Situation der Rentner ist schließlich nicht ohne Belang, inwieweit eine oder mehrere Personen von der Rente leben müssen. Nehmen wir den Fall einer Durchschnittsrente! Sie liegt im Jahre 1976 bei 871 bis 917 DM pro Monat. Ein alleinstehender Rentner erhält damit eine als durchaus befriedigend anzusehende Einkommensposition. Ein Rentnerehepaar über 65 Jahre, das außer einer Rente in Höhe der Durchschnittsrente über keine sonstigen Einkünfte verfügt, fällt demgegenüber unter die Sozialhilfeschwelle. Das Gesamteinkommen des Ehepaars einschließlich eines Wohngeldanspruchs in Höhe von monatlich 94 DM liegt um 9 % unter den Bedarfssätzen der Sozialhilfe. Einen solchen Unterschied macht es, ob man das Einkommen auf eine oder auf zwei Personen bezieht.
Bei einer Durchschnittsbetrachtung übersieht man Hunderttausende von Rentnern, die bei einem durchschnittlichen Lebenseinkommen nur über eine Versicherungszeit von weniger als 40 Jahren verfügen oder deren Einkommen geringer als das des Durchschnitts war. So liegt die Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre bei 68 °/o der Versichertenrenten unter 40. Man übersieht aber auch die Situation vieler Witwen, die auf 60 °/o der Versichertenrente ihres verstorbenen Ehemannes verwiesen sind. Hier führt eine Nettoanpassung zu einer riesengroßen sozialen Ungerechtigkeit,
({4})
während Sie diese Regelung noch als große Leistung ausgeben. Das machen wir nicht mit.
({5})
Wenn man allein die Rentenversicherung betrachtet, kann man nicht davon sprechen, daß das Leistungsniveau allgemein überhöht sei. Allein aus einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung kann auch bei relativ langer Versicherungszeit keine Überversorgung erreicht werden. Bei durchschnittlichem Bruttolohn beträgt z. B. der Nettolohn eines Arbeitnehmers mit zwei Kindern im Jahre 1976 rund 1 430 DM. Um ausschließlich mit einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf ein solches Einkommen zu kommen, würde ein Rentner, der in seinem Leben immer ein durchschnittliches Einkommen erzielt hat, insgesamt 66 anrechnungsfähige Versicherungsjahre benötigen. Eine Überversorgung nur aus der Rentenversicherung kann nach unserem System also überhaupt nicht stattfinden.
Um andererseits eine Rente über dem Sozialhilfeniveau zu erhalten, braucht ein alleinstehender Rentner, der nicht auf weitere Einkünfte zurückgreifen kann und als Erwerbstätiger immer ein
Durchschnittseinkommen bezogen hat, heute mehr als 30 Versicherungsjahre.
({6})
Unter denselben Voraussetzungen braucht ein Rentnerehepaar statt 30 Versicherungsjahre, wie der einzelne, jedoch bereits mehr als 47 Versicherungsjahre, um mit der Rente über dem Sozialhilfeniveau zu liegen. Wo gibt es in Ihrem Papier, in Ihren Vorschlägen auch nur einen einzigen Hinweis auf diese Tatsache? Bei Ihnen kommt die unangenehme Konsequenz, wenn es so beschlossen werden würde, auf die Träger der Sozialhilfe zu. Sie schaffen hier wiederum einen gigantischen Verschiebebahnhof.
({7})
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, ich muß noch weiter begründen, weshalb wir Mehrfachrentner heranziehen. Eine Witwe, deren verstorbener Ehemann ein durchschnittliches Einkommen bezog, ist mit einer Witwenrente in Höhe von 60 % der Mannesrente nur dann in der Lage, ihre bisherige Wohnung und damit ihr soziales Umfeld beizubehalten, wenn ihr Mann knapp 54 - 54! - Versicherungsjahre erwerben konnte. Dann hat er entweder mit zehn Jahren angefangen zu arbeiten oder aber er hat bis zum 70. Lebensjahr oder noch länger gearbeitet. Das ist also eine Illusion.
({8})
Tatsächlich ist die Witwenrente vieler Witwen bedeutend niedriger. Ausweislich des Rentenanpassungsberichts 1975 lag die Witwenrente in der Arbeiterrentenversicherung im Juli 1975 z. B. bei durchschnittlich 436,50 DM pro Monat. Rund 67 °/o der Bezieherinnen einer Witwenrente müssen ausschließlich von dieser einen Rente leben. Wenn Sie die Nettoanpassung einführen, geht das in der Relation zu den anderen Einkommensbeziehern noch nach unten. Das ist unsozial.
({9})
Ich sagte eben, daß wir es uns nicht leichtgemacht haben. Wir haben stundenlang, tagelang, wochenlang gerungen, um mit Hilfe unserer Mitarbeiter eine Bestandsaufnahme dieser Daten zu erarbeiten. Wir haben drei oder vier Mitarbeiter in unserer Fraktion, die Bundesregierung dagegen hat ein kriegsstarkes Bataillon an Beamten im Arbeitsministerium. Von wem sind aber diese Daten auf den Tisch gekommen? Von uns und nicht von der Bundesregierung.
({10})
- Von Ihnen, Herr Wehner, und Ihrem Nachbarn, der in Ihrer Fraktion auf diesem Gebiet Experte ist und den ich persönlich sehr schätze - aber er ist mein politischer Gegner -, sind diese Zahlen auch nicht auf den Tisch gekommen. Gegen Sie richtet sich der Vorwurf genauso wie gegen die Bundesregierung. Sie können sich davon nicht freisprechen.
({11})
- Herr Wehner, ich weiß, daß Ihr Nachbar von diesen Dingen viel versteht; deswegen ist er ruhig. Daraus können Sie jetzt den Schluß ziehen, warum er nichts sagt, Sie sich aber zu Wort melden.
({12})
- Ich komme nachher zu Ihnen, Herr Wehner, und lasse Sie dann noch einmal zumindest das lesen, was ich wortwörtlich aufgeschrieben habe.
Auf der anderen Seite gibt es wegen des Zusammentreffens verschiedener Renten und höherem Leistungsniveau durchaus eine große Zahl von Fällen, in denen ein recht ansehnliches Einkommen erzielt wird. Die Treuarbeit - das ist eine Forschungsgesellschaft - hat im Auftrag des Bundesministeriums des Innern ermittelt, daß die Höchstrente bei 46 Versicherungsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung unter den augenblicklichen Bedingungen gerade der Beamtenpension eines Beamten der Besoldungsgruppe A 6 - danach wird z. B. ein Lokomotivführer besoldet - entspricht. Bei 46 Versicherungsjahren - mehr kriegt man in der Regel nicht zustande - erreicht man also auch mit dem Zahlen von Höchst- oder Durchschnittsbeiträgen gerade die Rente in Höhe einer Beamtenpension A 6; das ist die Besoldungsgruppe eines Sekretärs.
Hinzu kommt im öffentlichen Dienst auch eine Mindestversorgung von 65 % der jeweils ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge der Endstufe der Besoldungsgruppe A 3. Dies bedeutet für 1974 eine Mindestversorgung von monatlich 945 DM. Die ist den Beamten gesetzlich garantiert. Im Vergleich dazu betrug die Durchschnittsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 1974 nur 706 DM. Das andere war die Mindestversorgung; dies ist der Durchschnitt. In beiden Fällen bin ich noch nicht auf die Unterschiede in der Krankenversicherung und auf die steuerrechtliche Behandlung dieser Dinge, die dann allerdings zuungunsten des Beamtenpensionärs ausschlagen können, eingegangen.
Unterschiede in den Leistungen der Altersversorgungssysteme sind gewollt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Nein.
({0})
- Aber, meine Damen und Herren, ich brauche Ihnen doch wohl nicht zu beweisen, daß ich auch gern in einen Dialog mit Ihnen eintrete. Aber wenn ich es Urbaniak abschlage, muß ich es auch Gansel abschlagen. Man hat mir geraten, möglichst in der Zeit zu bleiben. Das ist der ausschließliche Grund. Ich habe überhaupt gar keine Hemmungen, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen. Aber ich glaube, wir sollten das bei der ersten Lesung erst einmal so halten. Ich gehöre hier im Hause zu denjenigen, die geradezu von Zwischenfragen leben. Das kann aber hin und wieder auch ein Nachteil für mich sein.
({1})
Herr Gansel, Herr Urbaniak, Sie können durch Ihre Zwischenfragen nicht davon ablenken wollen, daß Sie hier etwa die Fraktionsstärke der FDP erreicht haben; denn mehr Fraktionsmitglieder sind in Ihren Reihen bei diesem wichtigen Thema überhaupt nicht anwesend!
({2})
Meine Damen und Herren, hier wird über ein Volumen - nach Auffassung der Bundesregierung - von 80 Milliarden DM entschieden, und die SPD ist hier im Hause mit knapp 20 oder 25 Personen vertreten. Das zeigt, wie groß das Interesse für diese Fragen bei der SPD ist!
({3})
Die vielen Rentner, die heute morgen zuhören, werden sich merken, wie Ihre Reihen hier besetzt sind und welches Interesse Sie zeigen.
({4})
Unterschiede in den Leistungen der Altersversorgungssysteme sind gewollt; ich wiederhole das. Es gibt aber auch Fälle der Versorgung, deren Ergebnis kaum mehr als gewollt angesehen werden kann. So kann es leicht zu einer Überversorgung kommen, wenn Renten der gesetzlichen Rentenversicherung mit Unfallrenten und/oder einer Versorgungsrente aus der Zusatzversorgung oder einer Betriebsrente zusammentreffen. Der Gesetzgeber hat z. B. die Höchstgrenze für das Zusammentreffen mit einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf 85 °/o des Bruttoeinkommens festgesetzt. Dadurch wollte der Gesetzgeber erreichen, daß dem Rentner 100 % seines Nettoeinkommens belassen werden. Heute liegen die Abgaben für Steuern und Sozialbeiträge bei den aktiv Beschäftigten aber weit über dem Satz von 15 %. Wo ist in Ihren Papieren ein Hinweis auf diese Problematik? Das ist überhaupt nicht zu sehen, meine Damen und Herren.
({5})
Ein nicht beamteter Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes kann auf diese Weise und wegen der steuerlichen und krankenversicherungsrechtlichen Behandlung seiner Bezüge bei einer Kumulation von gesetzlicher Rente, Zusatzversorgung und Unfallrente zusammen sogar 140 °/o seines früheren Nettoarbeitseinkommens beziehen. Das kann man doch nicht als leistungsgerechte und sozial gerechte Verteilung unserer sozialen Risiken bezeichnen. Also müssen wir diese Dinge anpacken. Sie haben den Mut nicht gehabt, das anzupacken.
({6})
Die Unterschiedlichkeit der Leistungssysteme wird nicht zuletzt aus der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Altersbezügen deutlich. Leibrenten, zu denen auch Sozialversicherungsrenten zählen, werden nach § 22 des Einkommensteuergesetzes nur mit dem Ertragsanteil, dem Zinsanteil, der Einkommensteuer unterworfen. Die Pensionen sind dagegen grundsätzlich voll zu versteuern. Das hat zur Folge, daß Sozialrenten heute praktisch steuerfrei sind. Wir plädieren nicht dafür, sie zu besteuern - um das ganz deutlich zu sagen -, ich verweise nur auf diesen Tatbestand bei den verschiedenen Versicherungssystemen.
({7})
So bleibt bei einem verheirateten, über 65 Jahre alten Sozialrentner eine Rente bis zu monatlich 3 383 DM steuerfrei. Bei einem verheirateten Beamtenpensionär sind dagegen monatlich „nur" 1205 DM an Versorgungsbezügen steuerfrei. Ein verheirateter Arbeitnehmer hat monatlich 685 DM steuerfrei. Ich plädiere nicht für die Besteuerung der Renten. Das hat der Bundeskanzler gemacht. Er hat darauf hingewiesen, daß man das ab 1980 machen müsse. Aber man muß doch auf den Tatbestand hinweisen, weil man unser gesamtes Sicherungssystem aus den Angeln hebt, wenn man solche Gesichtspunkte nicht mit in die Debatte einführt.
({8})
Diese Aufzählung der Probleme soll nur andeuten, daß man es sich nicht so leicht und so einfach machen kann wie die Bundesregierung mit ihren Vorschlägen. Sie vermeidet das Ansprechen solcher Themen und schafft damit, wenn das Ge- . setz, das sie vorschlägt, verwirklicht wird, soziale Ungerechtigkeit.
Wir wissen, daß die von uns angesprochenen Dinge eine Reihe weiterer Probleme aufwerfen. Nach unserer Auffassung müssen wir den Mut und die Zeit aufwenden, diese Dinge in Angriff zu nehmen.
Wir haben diese Unterlagen - auch das Ermitteln der Daten -, ich wiederhole das noch einmal, praktisch mit drei Personen erstellt. Das Bundesarbeitsministerium mit seinen - ich will es jetzt weniger militaristisch ausdrücken - Hunderten von Mitarbeitern hat sich an das Aufzeigen dieser Problematik noch nicht herangewagt oder erst seit kurzem herangewagt. Nicht die Mitarbeiter, sondern ausschließlich der Minister trägt dafür die Schuld, daß diese Dinge nicht in Angriff genommen worden sind. Sie gehen den bequemeren Weg. Sie greifen mit Ihrer Verlagerung der Lasten auf die Krankenversicherung dem ohnehin schon durch Steuern und Abgaben arg strapazierten Bürger in die Tasche und ziehen ihm die letzten verfügbaren Groschen heraus und erhöhen damit insgesamt den Staatsanteil. Das ist eine sehr bedenkliche Maßnahme. Es kann sein, daß man das am Ende muß. Aber vorher müssen andere Wege beschritten werden.
Nun noch einige Gedanken zu den Kostendämpfungsmaßnahmen, die Sie hier vorgeschlagen haben. Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das unangenehm ist. Ich weiß aus vielen Gewerkschaftsversammlungen als alter Gewerkschaftler, daß das, was ich hier angesprochen habe, Thema Nummer 1 ist. Sie werden jetzt Schwierigkeiten haben. „Warum habt ihr das nicht angefaßt?", werden euch eure Kollegen sagen, „die Schuld habt ihr selber, weil ihr den Mut nicht dazu habt."
({9})
Frau Dr. Neumeister wird gleich noch zu einigen anderen Einzelheiten Stellung nehmen. Der Kostenanstieg im Gesundheitswesen hat sich in den letzten Jahren explosionsartig entwickelt. Es steht außer Zweifel, daß diesem Anstieg Einhalt geboten werden muß. Der Sozialminister von Rheinland-Pfalz, Geißler, hat durch Erstellen eines Krankenversicherungsbudgets 1974 auf diese bedrohliche Entwicklung hingewiesen und gemeinsame Anstrengungen zur Bewältigung dieser Probleme verlangt. Herr Ehrenberg hat eben auf Geißler verwiesen. Ein Landesministerium oder ein Land ist dafür gar nicht zuständig. Aber nachdem Sie jahrelang diese Dinge haben schlüren lassen und dem Aufruf, die Probleme gemeinsam zu bewältigen, gar nicht gefolgt sind, sondern die Probleme geleugnet und uns der Panikmache geziehen haben, haben wir uns gezwungen gesehen, eine Bestandsaufnahme zu machen. Diese Bestandsaufnahme ist selbstverständlich unpopulär, aber wir müssen der Öffentlichkeit diese Dinge vor Augen führen.
({10})
Bei Ihnen war nach dem Erstellen dieses Krankenversicherungsbudgets nur hämische Polemik festzustellen. Nun greift die Bundesregierung in ihren Vorschlägen zu Mitteln, die nach Auffassung vieler Fachleute eine Eindämmung des Kostenanstiegs nicht zuwege bringen. Vielmehr bringt sie die hoffnungsvollen Ansätze zur Eindämmung des Kostenanstiegs mit ihren geplanten Maßnahmen zu Fall. Wir glauben, daß die Selbstverwaltungsorgane der Krankenkassen - in einem Fall sind das nur Gewerkschaftsvertreter, im anderen Fall sind es Arbeitgeber und Gewerkschaftsvertreter jeweils zur Hälfte -, die Selbstverwaltungvertreter der Ärzte, der Krankenhäuser usw. besser in der Lage sind,. Kostenanstieg zu verhindern als die dirigistischen Lösungsvorschläge der Bundesregierung.
({11})
Nachdem durch uns das Bewußtsein in der Öffentlichkeit für diese Dinge gestärkt worden ist und wir darauf hingearbeitet haben, haben wir im letzten Jahr eine Dämpfung des Kostenanstiegs um 50 % zu verzeichnen. Dies wurde in Selbstverwaltung erreicht.
({12})
Mit Ihren dirigistischen Maßnahmen verhindern Sie weiterhin diesen Prozeß.
({13})
Wir bieten an und wir sollten ein Angebot darüber im Rahmen der Verhandlungen nachher machen, die Selbstverwaltungsorgane unter Beweiszwang zu setzen. Wir müssen sie unter Beweiszwang setzen, und sie müssen den Beweis erbringen, daß es so wie 1976 auch weitergeht. Wir glauben, daß die Konzertierte Aktion - von mir aus mit vorgegebenen Daten; wir werden uns im Ausschuß noch darüber unterhalten - und mit einer Berichtspflicht der Bundesregierung zum 30. Juni 1979 den Erfolg der Kostendämpfung besser bewerkstelligen könnte als die Maßnahmen, die Sie hier vorschlagen.
({14})
Wir werden also auch an der unpopulären und unangenehmen Konsequenz nicht vorbeigehen, jetzt schon Daten vorzugeben. Sie werden sich darauf einstellen müssen, daß Sie mit uns darüber reden müssen, so unangenehm Ihnen das auch ist. Ich habe die Hoffnung, daß zumindest ein Teil dieses Hauses - ich meine jetzt nicht die Mitte des Hauses, sondern einen anderen Teil - sich für freiheitliche und liberale Lösungen einsetzen wird, und zwar mit uns gemeinsam.
({15})
Unsere Vorstellungen entsprechen den Normen des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats. Unsere Vorstellungen sind liberal, verglichen mit den dirigistischen Maßnahmen der Bundesregierung. Diesen Vorschlägen der Bundesregierung werden wir so nicht zustimmen.
Wir schlagen weiter vor, eine Reform der Bestimmungen über die Beitragshöchstsätze in der Krankenversicherung vorzunehmen.
Des weiteren plädieren wir für die Beibehaltung der Garantiehaftung des Bundes. Wenn wir hier nämlich ausgabewirksame Gesetze beschließen, stoßen die Ausgaben, die die Krankenversicherungen zu bezahlen haben, an den Deckel der Garantiehaftung. Also sind wir selbst zu Überlegungen aufgefordert, ob wir solche Gesetze verabschieden können. Das Instrument der Garantiehaftung sollten wir auf alle Fälle in diesen Gesetzen lassen.
Eine Alarmfunktion bei weiteren gesetzlichen Beschlüssen bzw. Alarmsignale für den Fall, daß eine bestimmte Beitragshöchstgrenze überschritten ist, sollten vorgesehen werden. Für die freien Träger der Krankenkassen bedeuten die Vorschläge der Bundesregierung praktisch, daß ihre Wettbewerbssituation gegenüber den kommunalen Trägern erheblich verschlechtert ist,
({16})
was zum totalen Ausscheiden aus der Krankenversorgung führen kann. Der Bundesrat wird - ich glaube auf Grund einer Initiative von Ländern, die nicht von der CDU/CSU regiert werden - diese Konzeption, wie Sie sie in § 11 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes vorgesehen haben, nicht mitmachen. Wenn ich richtig informiert bin, hat der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Bundesrats am 2. März 1977 mit 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen diese Ihre Vorstellung, die Sie als ein wunderbares Kosteneindämmungsprogramm hier vorgeschlagen haben, abgelehnt.
({17})
Herr Ehrenberg, Sie wollten uns soeben den Schwarzen Peter für die Kostendämpfung zuschieben. Dafür müssen Sie sich an Hessen und an meinen alten Freund Friedhelm Farthmann wenden; denn er hat das, wenn ich richtig informiert bin, auch mitgemacht. Das sind keine von der CDU/CSU regierten Länder.
({18})
- Mein alter Freund Farthmann. Ich wiederhole das.
Der Kollege Geisenhofer wird zu den Maßnahmen in der Kriegsopferversorgung Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, wir wissen: Unsere Vorschläge sind nicht populär. Wären SPD und FDP unseren Vorschlägen gefolgt, hätten wir schon 1975 mit der Sanierung der Rentenversicherung beginnen können.
({19})
Die Belastung der Bürger hätte sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und wäre daher für sie erträglicher geworden. SPD und FDP - Sie haften mit, meine verehrten Kollegen dort drüben - haben aber bis zum 3. Oktober, bis zum Wahltag, die Existenz der Finanznot in der Rentenversicherung geleugnet. Beim Suchen nach Lösungen haben wir es uns nicht einfach gemacht. Wir sind bereit, an Lösungen mitzuarbeiten und sie mit zu tragen, die ordnungspolitisch sauber sind und die Grundannahmen unseres freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates nicht verletzen. Wir sind nicht wie die SPD,
({20})
deren Sprecher Helmut Schmidt am 30. November 1965 im Deutschen Bundestag sagte:
Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus der Zwickmühle herauszuholen, in die sich selbst hineinmanövriert hat.
Meine Damen und Herren, das verträgt sich nicht mit unserem Staats- und Demokratiebewußtsein. Wir sind bereit, auch an unpopulären Maßnahmen mitzuarbeiten, aber - ich wiederhole dies - - nur an Maßnahmen, die ordnungspolitisch sauber, sozial gerechter, systemgerechter und finanziell solide sind.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Franke hat hier quasi die Frage gestellt, ob das, was er hier mit großem Mut vorgetragen hat - und dazu braucht man schon großen Mut -, nicht ein guter Beitrag zur Diskussion über die Konsolidierung der Rentenfinanzen und die Kostendämpfung an der Krankenversicherung in unserem Lande sei. Ich sage: Das ist ein Beitrag, aber es ist kein guter Beitrag. Ich möchte fragen: Was für ein Beitrag ist das eigentlich?
({0})
- Meine Damen und Herren, ich will versuchen, Ihnen darauf aus meiner Sicht eine Antwort zu geben.
({1})
- Herr Kollege Wehner, wenn dieses Programm überhaupt ein Programm ist, so ist es ein Programm
der Halbheiten, der Halbherzigkeiten und der Halbwahrheiten.
({2})
Daß heute hier ein Mann auf der Bundesratsbank fehlt, den wir sonst bei solchen Gelegenheiten immer gern sehen und der inzwischen die neue Würde eines CDU-Generalsekretärs trägt und sich als Landesminister ja doch einen Namen gemacht hat, ist eigentlich kein gutes Zeichen für dieses sogenannte Programm.
({3})
Meine Damen und Herren, nach großen Ankündigungen kann man doch wirklich sagen - ({4})
- Das werden Sie gleich hören. Herr Kollege Müller, für Sie ist es immer schwierig gewesen, das recht zu verstehen. Ich werde Ihnen dabei helfen. - Ich meine wirklich, daß dieser kreißende Berg, von dem hier immer die Rede gewesen ist und noch die Rede ist, in der Tat nur ein nicht lebensfähiges Mäuschen hervorgebracht hat.
Im übrigen wird nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" so getan, als ob, und den Menschen draußen im Lande wird Sand in die Augen gestreut, nichts anderes.
({5})
Wissen Sie, meine Damen und Herren, unter diesen Umständen von einer Flickschusterei der Koalition zu sprechen ist schon eine ziemliche Unverfrorenheit.
({6})
- Ja, Herr Kohl, ich komme gleich noch zu Ihnen, weil Sie sich immer so sehr freuen. Wenn Sie hier im Plenum sitzen, freuen Sie sich immerweg.
({7})
- Ich finde, das ist ein netter Zug von Ihnen. Ich fühle mich dadurch auch angesprochen. Ich komme gleich noch zu Ihnen.
({8})
- Was meinen Sie, wie das noch losgeht. Das wird Ihnen noch sehr ungenehm werden.
({9})
Dies war tatsächlich eine Flickschusterei. Aber bei uns ist es ein Programm, das einzige, das bisher vorgelegt worden ist. Nun, meine Damen und Herren
- ich wiederhole es -, und daran ist nichts zu anGlombig
dern: Allen Ankündigungen zum Trotz waren CDU/ CSU wegen ihrer inneren Zerrissenheit
({10})
- ja, wegen ihrer inneren Zerrissenheit - nicht in der Lage, ein geschlossenes und quantifizierbares Konzept vorzulegen. Die Arbeitnehmerschaft in der CDU/CSU-Fraktion hat erneut eine empfindliche Schlappe hinnehmen müssen.
({11})
Ich finde, nichts kann deutlicher machen als dieser heutige Tag, daß die Entscheidung der Mehrheit der Wähler am 3. Oktober eine richtige Entscheidung gewesen ist,
({12})
obwohl manche inzwischen wohl auch hier Zweifel gehabt haben mögen.
({13})
An diesem Tage haben Sie uns geholfen, diese Zweifel weitgehend auszuräumen.
({14})
Dies zeigt aber auch, Herr Kollege Kohl,
({15})
Ihre Führungsschwäche und nichts anderes.
({16})
- Ich finde, an dieser Stelle sollten Sie nicht lachen. Das sollten wir uns als „Patrioten im deutschen Vaterland" - und dazu zähle ich mich auch - doch bei einer solchen Gelegenheit sagen dürfen.
({17})
Das einzige, deutlich erkennbare Detail des Oppositionsvorschlags ist neben der Verschiebung des Anpassungstermins die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags für Rentner.
({18}) Mehr ist da nicht.
({19})
Meine Damen und Herren, das bedeutet eine längerfristige und eine höhere Belastung als eine vielleicht vorübergehend vornehmbare Herabsetzung der bruttolohnbezogenen Rentenanpassung auf eine quasi nettolohnbezogene Rentenanpassung,
({20})
die wir jetzt übrigens überhaupt noch gar nicht beschließen wollen, sondern frühestens mit der 21. Rentenanpassung - je nach der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung.
({21})
Das ist der völlig andere, von den Rentnern zur Kenntnis zu nehmende Tatbestand, mit dem wir es hier zu tun haben.
({22})
Man kann mit Sicherheit sagen - und auch das wiederhole ich, meine Damen und Herren -, daß diese Maßnahme zur Konsolidierung der Rentenversicherung und zur Stabilisierung der Beitragssätze in der Krankenversicherung keinesfalls ausreichen wird. Ich komme darauf gleich noch zu sprechen.
Ganz offensichtlich will die CDU/CSU-Fraktion - ich wiederhole das noch einmal - die Last der Konsolidierung allein den Rentnern aufbürden; denn von mehr als einer Belastung der Rentner haben wir in diesem sogenannten Konzept von der Opposition nicht gehört.
({23})
- Doch, was denn sonst noch? Sie müssen doch Ihr Konzept kennen.
({24})
- Ich gebe zu, in dem, was gestern veröffentlicht wurde, ist nicht viel zu erkennen. Das ist der Gipfelpunkt des Konfusen überhaupt.
({25})
- Sie sind doch deswegen, Herr Kohl, in der Pressekonferenz, nachdem Sie das „Konzept" vorgetragen haben, auch gleich wieder verschwunden. Denn Sie wären doch gar nicht in der Lage gewesen, auf die Fragen der Journalisten mit Einzelheiten zu antworten. Das wäre selbst für einen Fachmann schwierig gewesen.
({26})
Aber, Herr Kohl, ich komme jetzt noch einmal auf Sie zurück. Die CDU und CSU verletzen mit dem, was sie hier vorgelegt haben - im direkten Gegensatz zu ihrer so vielgerühmten „Sozialgarantie" -, den Grundsatz der sozialen Ausgewogenheit in eklatanter Weise. Darüber helfen auch die schönen Redensarten von Herrn Franke nicht hinweg.
({27})
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Ihnen sehr nahestehende Zeitung, nämlich die FAZ vom heutigen Tage, zitieren. Da heißt es:
Die Union macht sich in diesen Fragen zum Gefangenen ihrer Vergangenheit.
({28})
Der neue CDU-Generalsekretär Geißler hat Kohl und die Fraktion zu diesem Vorschlagspaket überredet.
({29})
Dabei hat es in der Fraktion merkwürdige Koalitionen gegeben: hier Katzer mit Strauß, dort Geißler mit Wirtschaftsrat und Mittelstand. Diese Koalitionen werden nicht halten. Am Ende wird Kohl allein dastehen.
Das könnte uns eigentlich egal sein, wenn es hier nicht um die Rentner und die Versicherten ginge, Herr Kohl.
({30})
Und nun möchte ich aus einer Pressemitteilung der CDU/CSU Herrn Kohl selbst zitieren. Herr Kohl sagte in seiner Erklärung vor der Presse gestern unter Punkt vier:
Das Konzept der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist „sozial ausgewogen", „systemgerecht" und „finanzpolitisch solide".
({31})
Es kann doch kein Zufall sein, meine Damen und Herren, daß die Worte „sozial ausgewogen", „systemgerecht" und „finanzpolitisch solide" in Anführungsstriche gesetzt worden sind. Da gehören sie nämlich auch hin.
({32})
Herr Kohl, daß die Opposition zur Lösung der Probleme der Sozialversicherung weder bereit noch fähig ist
({33})
- in Ihrem Fall meistens, aber sonst nicht -,
({34})
möchte ich an der Tatsache beweisen, daß sie offensichtlich nicht beabsichtigt - aber vielleicht äußern Sie sich dazu noch einmal -, ihr sogenanntes „Konzept" - wenn ich das jetzt in Anführungsstriche setze, dann hat das seine Berechtigung - in der Form eines Gesetzentwurfs im Bundestag einzubringen. Wenn Sie das täten, dann hätten Sie wirklich Mut. Dann würden wir sehen, wozu Sie nun wirklich stehen. Wir sind da sehr gespannt.
({35})
Ich möchte nun noch etwas zu den 7,3 Milliarden DM sagen. Ich habe hier eine dpa-Meldung von gestern vorliegen. Da heißt es - diese Dinge gehen aus Ihrem sogenannten Konzept gar nicht hervor; das ist die Schwierigkeit; aber das, was die Journalisten gefragt haben und was darauf geantwortet worden ist, ist interessant -:
Auf zahlreiche Fragen nach den technischen Lösungen für den vorgeschlagenen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner erklärten die Sprecher der Fraktion, mit der Heranziehung der Mehrfachrentner werde eine zusätzliche Finanzmasse von 7,3 Milliarden DM erschlossen. Regeln für die Erfassung dieses Personenkreises
- und nun hören Sie einmal genau zu! - sollten im Ausschuß
- also wohl im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung festgelegt werden, nicht von der CDU/CSU.
({36})
Die nach der Alternative der CDU/CSU bis 1980 verbleibende Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung wollten die Sprecher nicht überbewertet sehen,
({37})
- meine Damen und Herren, wir sollten das auch nicht überbewerten, denn es lohnt sich nicht ({38})
weil diese rein rechnerischen Größen sich je nach der wirtschaftlichen Entwicklung und den damit verbundenen Einnahmen der Versicherungsträger sehr rasch ändern können.
Hier muß ich sagen: endlich einmal das menschliche Eingeständnis, daß eine solche Gesetzmäßigkeit nicht nur für die Koalition, sondern auch für die Opposition gelten muß!
({39})
Glauben Sie nicht, wir hätten uns nicht große Mühe gegeben,
({40})
Ihre „Flickschusterei" dem Computer zu überantworten und nachrechnen zu lassen, was das eigentlich alles bedeutet. Wir haben uns große Mühe gegeben, mindestens so große wie Sie selbst, vielleicht noch größere; denn sonst wären Sie nicht zu dem Ergebnis von 7,3 Milliarden DM gekommen. Nun will ich Ihnen sagen: der Computer hat nur Salat ausgespuckt,
({41})
weil er auf Grund dieses Programms nicht zu programmieren war. Das ist keine billige Polemik,
({42}) das zeigt die Unsolidität Ihres Vorschlages.
({43})
Wir haben die Durchrechnung des CDU-Vorschlages wohl unter bestimmten Annahmen vorgenommen; aber ich kann nur sagen, daß nach Aussagen der Fachleute die veröffentlichten Angaben der CDU nicht rechenbar sind, weil sie - und hier wiederhole ich den Ausdruck eines Fachmannes - konfus sind.
Dem ist, wie ich meine, von unserer Seite nichts hinzuzusetzen.
({44})
Meine Damen und Herren, zurück zu dem, worüber zu sprechen sich wirklich lohnt.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt die von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfe zur 20. Rentenanpassung und zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der Rentenversicherung, zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen und zur 9. Anpassung der Geldleistungen der Kriegsopferversorgung.
Bei der Konsolidierung der Renten- und Krankenversicherung, womit sich der Bundestag heute vor allem zu befassen hat, ist und bleibt für die SPD die soziale Ausgewogenheit der Maßnahmen das oberste Gebot. Wir sind davon überzeugt, daß wir das am ehesten erreichen. Rentner, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die von Ihnen so vernachlässigten Anbieter von Gesundheitsleistungen müssen in gleicher Weise nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zur Konsolidierung herangezogen werden. Diesen unverzichtbaren Grundsatz sieht die SPD-Bundestagsfraktion in den vorliegenden Gesetzentwürfen realisiert. Für die Verwirklichung dieses Grundsatzes danken wir der Bundesregierung.
({45})
- Das sollten Sie auch tun, wenn Sie ehrlich sind; aber dazu werden Sie sich nicht durchringen.
({46})
Die Vorschläge der Opposition hingegen, soweit sie in den Beschlüssen der Bundesratsmehrheit und im sogenannten Konzept der CDU/CSU-Fraktion zum Ausdruck gekommen sind, verletzen die soziale Symmetrie in eklatanter Weise. Den Versicherten und vor allem den Rentnern soll ein materielles Opfer abverlangt werden. Die Anbieter von Gesundheitsleistungen wie Ärzte, Zahnärzte, Zahntechniker, Apotheker, pharmazeutische Industrie und die für die Krankenhauskosten Verantwortlichen ohne Ausnahme sollen aber nach dem Willen der CDU und der CSU geschont werden. Überschrift: Kostendämpfungsprogramm der CDU/CSU.
({47})
Diese sollen lediglich zu unverbindlichen Gesprächen eingeladen werden. Wenn Sie von der Selbstverwaltung sprechen, so muß ich sagen, ich glaube, ich verstehe etwas davon, denn ich gehöre ihr seit 1953 ohne Unterbrechung an und weiß auch, wie sie funktioniert. Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren von der Opposition, bedeuten in Wahrheit grünes Licht für eine neue Welle von Kostensteigerungen im Gesundheitswesen. Das ist das Gegenteil von sozialer Ausgewogenheit.
({48})
Das Konsolidierungsprogramm der Koalition für die Rentenversicherung ist für die mittelfristige Perspektive konzipiert. Herr Kollege Franke, jetzt möchte ich auf den Punkt, von dem Sie glaubten, er werde von uns vernachlässigt, einzugehen versuchen. Dieses Konsolidierungsprogramm der Koalition kann und soll nicht die Probleme lösen, die längerfristig mit Sicherheit auf unsere Altersversorgung zukommen werden. Das wäre unmöglich.
({49})
- Ich will gleich versuchen, Ihnen das zu erklären. Es ist schon deshalb notwendig, bei der Konsolidierung behutsam vorzugehen, weil die bevorstehende große Reform der Witwen- und Witwerversorgung
- darum geht es bei dem Urteil des Bundsverfassungsgerichts - weitreichende finanzielle Konsequenzen haben wird. Wer glaubt, daß wir das kostenneutral machen könnten, der irrt. Das ist der Punkt, der uns bewogen hat, hier behutsam vorzugehen.
Die Reform wird ohnehin erfordern, daß die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung erneut bedacht werden. Das ist unvermeidlich. Außerdem beginnt sich unter dem Eindruck der Finanzierungsschwierigkeiten, die alte, aber immer wieder verdrängte Einsicht durchzusetzen, daß es längerfristige strukturelle Probleme der Altersversorgung gibt, die nicht allein unter dem Blickpunkt der gesetzlichen Rentenversicherung gesehen werden dürfen. Insofern stimmen wir im Grundsatz mit Ihnen überein. Es darf nicht länger übersehen werden, daß zahlreiche weitere Institutionen mittelbar oder unmittelbar die Altersversorgung unserer Bevölkerung gewährleisten. Das gilt von der Beamtenversorgung bis hin zur Kriegsopferversorgung, von der Unfallversicherung bis zur Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Das alles ergibt ei
das in seinen Belastungs- und Verteilungswirkungen, in seinen Kumulationen und Lücken nahezu undurchschaubar geworden ist. Wir brauchen also in der Zukunft eine Gesamtreform unseres Systems der sozialen Sicherheit mit dem Ziel größerer Transparenz und Gerechtigkeit in und zwischen den einzelnen Versorgungssystemen.
({50})
Bevor eine Gesamtreform des Systems der sozialen Sicherheit nicht ausreichend diskutiert worden ist, halten war es nicht für sinnvoll, wegen konjunkturell bedingter Finanzierungsprobleme tiefgreifende und aller Erfahrung nach dann auch irreversible Einschnitte im Beitrags- oder Leistungsrecht der Rentenversicherung vorzunehmen. Erst im Rahmen der längerfristigen Perspektiven sollte also z. B. das Für und Wider eines Krankenversicherungsbeitrages der Rentner, den Sie hier mit großem Schwung begründen oder, wenn überhaupt, einer Besteuerung der Renten erörtert werden. Ich sage: wenn überhaupt. Aber ich würde hier nicht so scheinheilig tun; denn Sie haben bei der Debatte über die Regierungserklärung von der Lohnersatzfunktion der Rente gesprochen
({51})
und sind uns dabei die Antwort auf die Frage, was das eigentlich bedeutet, schuldig geblieben.
({52})
Sie sprechen heute nicht mehr von der Selbstverständlichkeit der Lohnersatzfunktion der Rente. Die hat sie immer gehabt. Ich weiß nicht, warum sie jetzt eine andere Funktion haben sollte.
Ich meine, in solche Überlegungen langfristiger Art müssen auch eine Anhebung des Rentenversicherungsbeitrages oder ähnliche Maßnahmen einbezogen werden. Das müssen wir von der Entscheidung abhängig machen, die dann und nicht heute notwendig ist.
Es bleibt bei der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente. Die SPD-Bundestagsfraktion wird die mögliche - ich sage: die mögliche -, noch nicht beschlossene und auch in diesem Gestzespaket nicht zur Beschlußfassung anstehende Abweichung vom herkömmlichen Anpassungsverfahren bei den Rentenerhöhungen in den Jahren 1979 und 1980 mittragen, wenn die wirtschaftliche Entwicklung das erfordert. Das ist aber keine Weichenstellung - und wir lassen uns solche auch von niemandem unterschieben - für eine sogenannte nettolohnbezogene Rentenformel.
({53})
Die möglicherweise verminderten Rentenanpassungssätze in den Jahren 1979 und 1980 werden - ich betone es noch einmal - nur eine vorübergehende Maßnahme zur Überwindung vorübergehender finanzieller Schwierigkeiten sein.
({54})
Die SPD-Bundestagsfraktion beabsichtigt, nach Überwindung der Rezessionsfolgen wieder zur regelgebundenen Bruttoanpassung zurückzukehren. Die Rückkehr zur Bruttoanpassung hat für uns - auch das sage ich hier unumwunden - Priorität vor einer erneuten Aufstockung der Rücklagen.
({55})
Die SPD-Bundestagsfraktion weist entschieden den Vorwurf zurück, die Koalition beabsichtige, die finanziellen Probleme der Rentenversicherung auf die Krankenversicherung abzuwälzen. Die Rentenversicherungsträger haben in den letzten Jahren - und zwar über ihre gesetzliche Verpflichtung hinaus - nur deshalb mehr als 11 % für die Rentnerkrankenversicherung bezahlt, weil die im Krankenversicherungssektor verursachten Kostensteigerungen zumindest teilweise aufgefangen werden mußten.
({56})
Das war der Grund. Die sogenannten Überzahlungen zur Krankenversicherung der Rentner sind also Ausdruck der Kostensteigerung im Gesundheitswesen.
({57})
Nun müssen wir hier doch auch einmal die Gewichte zurechtrücken!
({58})
Die finanziellen Belastungen der Rentenversicherung, die bei Fortsetzung der Überzahlung zur Krankenversicherung der Rentner entstehen würden, betragen rund 40 % der gesamten bis 1980 errechneten Finanzierungslücke in der Rentenversicherung, d. h. runde 32 Milliarden DM. Das, meine Damen und Herren, ist kein Problem der Rentenversicherung, sondern ein Problem der unwirtschaftlichen Strukturen im Gesundheitswesen.
({59})
Deshalb geht es, wenn man hier nicht auch Kostendämpfungsmaßnahmen gesetzlicher Art seine Zustimmung gibt, doch eigentlich gegen die Verantwortung, die auch Sie in diesem Hause tragen müßten.
({60})
Die SPD-Bundestagsfraktion hält es für sozial tragbar und gerechtfertigt, die Vorziehung des Rentenanpassungstermins auf den 1. Juli wieder rückgängig zu machen. Ich muß das gerade Ihnen nicht im einzelnen erläutern. Es ist aber auch gerechtfertigt, die Verschiebung des Anpassungstermins für die Renten der Kriegsopferversorgung nachzuvollziehen; darauf wird mein Kollege Gansel später noch eingehen. Ich möchte hier nur bereits sagen, daß die Gleichbehandlung von Rentenversicherung und Kriegsopferversorgung hinsichtlich des Umfangs und des Termins der Rentenerhöhungen, die von den Sozialdemokraten in langjährigen politischen Auseinandersetzungen gegen den Widerstand der CDU/CSU erreicht worden ist, aufrechterhalten werden muß.
({61})
Denn das liegt im wohlverstandenen Interesse der Kriegsopfer, und ich bin überzeugt, das werden sie verstehen. Die Abkoppelung der Kriegsopferrenten von der Rentenversicherung würde die dynamische Kriegsopferrente gefährden
({62})
und sie nie wieder in diese Richtung der Dynamik führen können.
({63})
- Wenn Sie da Nachhilfeunterricht brauchen: Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Übrigens ist das eine Logik, die von den Kriegsopferverbänden längst begriffen worden ist.
({64})
Es ist die Absicht der SPD-Fraktion, die Einsparungen, die dadurch im Kriegsopferhaushalt entstehen, zu strukturellen Verbesserungen zu verwenden.
({65})
Wir denken dabei - mit Ihrer Hilfe natürlich, Herr Burger; wir wissen, daß sie da konstruktiv mitarbeiten - insbesondere an einer Reform der Kriegsopferfürsorge, aber auch an Verbesserungen im Bereich des Ausweis- und Vergünstigungswesens und
nicht zuletzt an das noch immer anstehende Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Behinderter im öffentlichen Personenverkehr, das ja vor einigen Jahren durch Initiative des Landes Schleswig-Holstein im Bundesrat bereits im ersten Durchgang gescheitert ist.
({66})
Die SPD-Bundestagsfraktion erwartet, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem 10. Kriegsopferversorgungsanpassungsgesetz entsprechende Initiativen ergreift.
Meine Damen und Herren, nach der heutigen Einschätzung der wirtschaftlichen Situation besteht keine Notwendigkeit, wegen des von der Bundesanstalt für Arbeit zu zahlenden Rentenversicherungsbeitrages den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung anzuheben. Das sage ich auch besonders auf Ihren Beitrag hin, Herr Kollege Franke. Aber da Sie inzwischen hier den Wert oder Unwert von Prognosen oder Prophezeiungen - wie immer Sie das nennen mögen - anerkannt haben, sagen wir auch ganz offen, daß der Arbeitslosenversicherungsbeitrag dann angehoben werden müßte, wenn die wirtschaftliche Entwicklung wider Erwarten ungünstiger verliefe. Ich sage das deshalb, weil wir überhaupt nicht daran denken, uns hier von Ihnen in eine Ecke schieben zu lassen, in die wir nicht gehören,
({67})
soweit es sich hier um Fragen der Glaubwürdigkeit handelt. Deswegen lege ich Wert auf diese Feststellung.
({68})
- Die Glaubwürdigkeit, ja, ja! Sehen Sie sich Ihr sogenanntes Programm an; dann werden Sie darauf eine Antwort bekommen.
({69})
Die Übertragung der Aufgabe der beruflichen Rehabilitation von der Rentenversicherung auf die Bundesanstalt für Arbeit wird von der SPD-Bundestagsfraktion aus grundsätzlichen Erwägungen befürwortet. Wie die Erfahrung gezeigt hat, übernimmt die Arbeitsverwaltung bereits heute weitgehend die praktische Durchführung der beruflichen Rehabilitation, auch wenn formal die Rentenversicherung zuständig ist. Das ergibt sich aus der Ortsnähe der Arbeitsverwaltung und aus der Tatsache, daß allein sie in der Lage ist, die Möglichkeiten der Eingliederung in den Arbeitsmarkt im Einzelfall zu beurteilen.
({70})
- Darüber können wir miteinander reden. Das werden wir sicherlich auch sachlich und vernünftig tun. - Die beabsichtigte Aufgabenverlagerung soll die praktische Durchführung, die rechtliche Zuständigkeit und die Kostenträgerschaft in einer Hand zusammenfassen. Für den einzelnen Rehabilitanden kann das nur von Vorteil sein.
Das Einfrieren des Kinderzuschusses ist für die finanzielle Konsolidierung leider unerläßlich. Diese Entscheidung wird dadurch etwas erleichtert, daß
der Kinderzuschuß im Vergleich zu dem nicht dynamisierten Kindergeld bis heute eine sehr beträchtliche Höhe erreicht hat. Allerdings haben wir Bedenken - das betone ich hier -, das Einfrieren des Kinderzuschusses auf die Vollwaisenrenten durchschlagen zu lassen. Damit wäre die Funktion der Vollversorgung, die die Vollwaisenrente zu erfüllen hat, gefährdet. Wir werden uns dafür einsetzen, daß die Vollwaisenrenten wie bisher auch in Zukunft an die wirtschaftliche Entwicklung voll angepaßt werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Vorschläge der Bundesregierung zur Verbesserung der Beitragsgerechtigkeit in der freiwilligen Versicherung. Wir unterstützen die Absicht, die beitragsunabhängigen Leistungen an strengere Voraussetzungen zu knüpfen und den Mindestbeitrag anzuheben. Wir werden diese Vorschläge jedoch im Einzelfall noch genau prüfen. Manches spricht dafür, sie zu verschärfen. Auf der anderen Seite müssen aber die Belange der Frauen berücksichtigt werden,
({71})
die wegen Kindererziehung an einer Erwerbstätigkeit gehindert waren und deshalb zum Aufbau einer Alterssicherung auf Beiträge auf freiwilliger Basis angewiesen sind.
Das Problem der Beitragsgerechtigkeit in der freiwilligen Versicherung muß aber über die jetzt von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen hinaus geprüft werden.
({72})
- Was heißt hier „schon"? Haben wir es nicht immer so gehabt, daß es Regierungsentwürfe gab und dieses Parlament seine Pflicht erfüllt hat, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Gesellschafts- und Sozialpolitik?
({73})
Das sollte sich ausgerechnet jetzt, bei diesem Gesetzgebungspaket, ändern, meine Damen und Herren? Da würden wir aber unsere Pflichten, wie ich meine, falsch einschätzen. Darauf braucht niemand zu spekulieren.
Es ist nicht zu bestreiten, daß die freiwillige Versicherung eine finanzielle Belastung für das System der dynamischen Rente darstellt, wenn die Beitragszahlung nicht kontinuierlich erfolgt. Es wäre unvertretbar - und in diesem Punkt stimmen wir mit dem DGB überein -, wenn die durch freiwillige Beiträge erworbenen Renten letztlich vor allem von den Pflichtversicherten bezahlt werden müßten, weil keine ausreichende Zahl von freiwilligen Beitragszahlern in der aktiven Generation mehr vorhanden ist. Um einer solchen Gefährdung der Rentenversicherung vorzubeugen, muß die freiwillige Versicherung an strengere Voraussetzungen geknüpft werden, damit die freiwillig Versicherten zur kontinuierlichen und einkommensgerechten Beitragszahlung veranlaßt werden.
Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Möglichkeit einer freiwilligen Aufstockung von Pflichtbeiträgen ist grundsätzlich sinnvoll und wünschenswert. Mit der Aufstockung würden viele Ar1024
beitnehmer eine Möglichkeit zur zusätzlichen Alterssicherung erhalten, wie sie in gleicher Qualität bislang außerhalb des öffentlichen Dienstes noch nicht besteht. Die Aufstockung würde auch die Benachteiligung beseitigen, die darin besteht, daß die Pflichtversicherten im Gegensatz zu den freiwillig Versicherten keinerlei Wahlmöglichkeit bezüglich der Beitragshöhe haben. Allerdings kann die Aufstockung auch ein langfristiges finanzielles Risiko für die Rentenversicherung darstellen. Im Prinzip ist dieses Problem das gleiche wie bei der freiwilligen Versicherung. Es kommt darauf an, daß die freiwillige Zahlung von Aufstockungsbeiträgen so kontinuierlich erfolgt, daß die aufgestockten Rentenansprüche nicht durch allgemeine Beitragssatzsteigerungen oder Leistungskürzungen finanziert werden müssen.
Meine Damen und Herren, die Konsolidierung der Rentenversicherung ohne ein Kostendämpfungsprogramm für die Krankenversicherung wäre ein Torso. Darauf wird mein Kollege Egert später noch besonders eingehen. Die Kostendämpfung im Gesundheitswesen ist aber ohne Änderung der gesetzlichen Grundlagen unmöglich.
({74})
Die Diskussion über die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen ist nun lange und intensiv, wenn auch ohne Ihre Beteiligung, meine Damen und Herren von der Opposition, geführt worden. Jetzt ist die Zeit reif, daß die demokratisch gewählten Verfassungsorgane politische Entscheidungen treffen und sich notfalls - ich weiß, was ich hier sage - auch gegen mächtige Interessengruppen durchsetzen.
({75})
Das ist doch eigentlich der Punkt, den auch Herr Biedenkopf gemeint haben muß; aber er scheint ja nur einseitig die Gewerkschaften angesprochen zu haben. Insofern ist das doch inskonsequent, was Sie in diesem Punkte veranstalten.
Ich finde, meine Damen und Herren, es ist ein Armutszeugnis für die Opposition, wenn ihr nichts anderes einfällt, als zur Fortsetzung der unverbindlichen Diskussion der vergangenen Zeit aufzurufen. Die generell ablehnende Haltung der Opposition zum Kostendämpfungsgesetz hat klar erkennbare taktische Hintergründe.
Erstens sind die gesundheitspolitischen Vorstellungen in den Oppositionsparteien derart gegensätzlich, daß kein Kompromiß in bezug auf ein Kostendämpfungsgesetz gefunden werden kann.
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Zweitens ist die Union offensichtlich daran interessiert, daß die Krankenversicherungsbeiträge weiter steigen, damit sie dies der Regierung und der Koalition anlasten kann.
({77})
- Wissen Sie, das „üble" nehme ich noch hin, aber „Verleumdung" weise ich zurück. Wenn der Präsident es nicht tut, weise ich es zurück.
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Drittens, meine Damen und Herren, möchten CDU und CSU die politischen Auseinandersetzungen um die Kostendämpfung im Gesundheitswesen bis in die zweite Hälfte dieser Legislaturperiode fortsetzen, um sie in die Landtagswahlkämpfe und in den Bundestagswahlkampf 1980 hineinziehen zu können.
({79})
Ich finde, daß auch dieser Hintergrund einmal aufgehellt werden muß, damit jedermann Bescheid weiß, worum es sich wirklich handelt.
({80})
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung für das Aushandeln der Arzt- und Zahnarzthonorare; ich sage: auch der Zahnarzthonorare. Die bundeseinheitliche Empfehlungsvereinbarung ist der geeignete Weg, wie wir wissen, unter Wahrung der Vertragsautonomie der Ärzte, Zahnärzte und Krankenkassen den Anstieg der Arzt- und Zahnarzteinkommen in den Rahmen der allgemeinen Einkommenssteigerungen einzufügen. Dabei wird weder die Qualität der ärztlichen Versorgung für die Versicherten noch der Leistungsanreiz für den einzelnen Arzt in Frage gestellt. Mit der Empfehlungsvereinbarung soll lediglich ein Modell übernommen werden, für dessen Zustandekommen die SPD-Fraktion ja auch ihre Verantwortung trägt, und sie ist darauf eigentlich ganz stolz. Denken wir nur an die Diskussion des vergangenen Jahres!
({81})
Obwohl, wie gesagt, mit der Empfehlungsvereinbarung ein Modell übernommen werden soll, das von den Vertragsparteien in eigener Verantwortung entwickelt worden ist, halten wir seine gesetzliche Verankerung für unverzichtbar.
Der Arzneimittelhöchstbetrag ist eine logische Fortentwicklung des im geltenden Recht verankerten Sicherstellungsauftrages, der die Kassenärztlichen Vereinigungen u. a. auch dazu verpflichtet, den Krankenkassen die wirtschaftliche Versorgung mit Arzneimitteln zu garantieren. Dafür zu sorgen, daß der einzelne Kassenarzt auch tatsächlich wirtschaftlich verordnet, ist eine Aufgabe der Selbstverwaltung der Kassenärzte - auf die Selbstverwaltung sind wir doch alle gemeinsam so stolz; aber doch nicht nur dann, wenn es paßt, auch dann, wenn es kritisch wird -,
({82})
und zwar eine Aufgabe, die notwendigerweise mit dem Sicherstellungsauftrag verbunden ist. Da die Kassenärztlichen Vereinigungen dieser Aufgabe bislang so gut wie gar nicht nachgekommen sind, liegt es in der Logik des Systems, einen finanzielGlombig
len Anreiz - ich sage: einen finanziellen Anreiz - zur Befolgung des Wirtschaftlichkeitsgebotes einzuführen.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist allerdings auch der Auffassung, daß die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelverordnung nicht allein durch den Arzneimittelhöchstbetrag garantiert werden kann. Vielmehr brauchen wir auch Maßnahmen, die dem im einzelnen verordnenden Arzt die notwendige preisliche und therapeutische Übersicht über das Arzneimittelangebot verschafft. Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb bei den Ausschußberatungen die Möglichkeit prüfen, ob den Kassenärzten in verhältnismäßig kurzer Frist eine Positivliste zur Verfügung gestellt werden kann. Eine solche Liste braucht nur einen geringen Teil der Arzneimittelspezialitäten zu umfassen und könnte dennoch die häufigsten Indikationen und den größten Teil der in der täglichen Praxis vorkommenden Verordnungsfälle abdecken.
Die SPD-Bundestagsfraktion bedauert, daß die im Grundsatz völlig richtige Konzeption der Bundesregierung zur Kostendämpfung im Krankenhausbereich von der Bundesratsmehrheit pauschal abgelehnt worden ist. Wir appellieren an die Landesregierungen, die Lösung der brennenden Probleme des Gesundheitswesens nicht im Streit um Kompetenzen scheitern zu lassen.
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- Ich meine alle, ohne Ausnahme. - Die Länder bestimmen praktisch völlig allein über Krankenhauskapazitäten und die Kosten der Krankenhauspflege und sind damit für einen Kostenfaktor verantwortlich, dessen Abdeckung nahezu ein Drittel der Krankenkassenbeiträge erfordert.
({84})
Wenn die Bundesländer nun Kritik am Entwurf der Bundesregierung üben, so müssen sie wenigstens inhaltliche Gegenvorschläge zur Kostendämpfung im Krankenhausbereich machen.
({85})
Andererseits verkennt die SPD-Bundestagsfraktion nicht, daß für viele Krankenhausträger der Eigenanteil an den Investitionskosten kaum zumutbar ist, so daß eine Refinanzierung des Eigenanteils möglich sein muß. Allerdings werden wir sehr sorgfältig prüfen, ob es vertretbar ist, den Eigenanteil auf die Pflegesätze umzulegen und damit die Ausgaben der Krankenkassen zu erhöhen. Einen großen Sinn sehen wir in einer solchen Operation nicht. Wir werden auch alles tun, um die Einwände der Kirchen und der freien gemeinnützigen Einrichtungen zu prüfen.
({86})
Mit dem grundlohnbezogenen Belastungsausgleich wird erstmals eine gerechte und dem Solidaritätsprinzip entsprechende Verteilung der Krankheitskosten der Rentner verwirklicht. Außerdem entspricht es dem Gebot der Gerechtigkeit, daß nur solche Rentner das Recht auf kostenlose
Krankenversicherung haben sollen, die in der Zeit ihres Erwerbslebens langjährig Mitglied einer Krankenkasse waren und dadurch selbst solidarisch zur Finanzierung der Krankheitskosten früherer Rentnergeneration beigetragen haben. Wir werden uns mit den Einzelvorschriften über die Krankenversicherungspflicht und die Krankenversicherungsberechtigung der Rentner noch sehr genau beschäftigen. Dabei kommt es uns darauf an, konsequent zu verhindern, daß Personen, die in jungen Jahren die private Krankenversicherung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgezogen haben, im Alter die Vorzüge der gesetzlichen Krankenversicherung ausnutzen können, ohne selbst zur Solidargemeinschaft beigetragen zu haben.
({87})
Ferner wollen wir verhindern, meine Damen und Herren, daß es zu einer Benachteiligung der Frauen kommt, welche die Vorversicherungszeit in der Krankenversicherung wegen der Erziehung von Kindern nicht erfüllen können.
Meine Damen und Herren, das Kostendämpfungsgesetz und auch das Rentensanierungsgesetz sind der Versuch, die heutigen Institutionen des Gesundheitswesens effektiver und wirtschaftlicher zu gestalten. Diejenigen, die um ihrer finanziellen Interessen oder um der Erhaltung ihrer institutionellen Besitzstände willen das Gesetz zu Fall bringen wollen, müssen wissen, daß sie damit letztlich unserem System der Gesundheitssicherung selbst die Grundlage entziehen,
({88})
und sie hätten die Verantwortung für eine solche Entwicklung.
({89})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir Freien Demokraten - und ich muß sagen: ganz besonders ich - hatten bei der Festlegung des heutigen Beratungsdatums für die erste Lesung der vorliegenden Gesetze die Vorstellung, daß wir alle nunmehr in der Lage sein müßten, einmal einen Schlußstrich unter die Vergangenheitsbewältigungen zu ziehen, einen Schlußstrich zu ziehen auch unter eine in allen Fraktionen und in diesem Hause nicht immer rühmliche Diskussion in den letzten Jahren. Wenn ich dies hier so bewußt sage, so weiß ich, weshalb; denn auch ich war an dieser Diskussion beteiligt.
Wir waren allerdings auch der Auffassung, daß dieser Schlußstrich gleichzeitig der Beginn einer gemeinsamen kooperativen Arbeit zur Konsolidierung der Finanzen der Rentenversicherung und zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen sein könnte. Wir waren dieser Meinung ganz besonders auch deshalb, weil sich in den letzten Tagen, vor allen Dingen gestern - sozusagen in letzter Minute -,
Schmidt ({0})
plötzlich zu zeigen schien, nachdem die Mehrheit des Bundesrats schon einige Zeichen gegeben hatte, als ob nun auch die Opposition aus den Schützengräben der Vergangenheit in dieser Frage herauskäme und zur konstruktiven Mitarbeit bereit wäre. Wir waren ebenfalls der Auffassung, daß auch in der öffentlichen Diskussion der Interessengegensätze durch die Interessenverbände, durch die Inseratenserie usw. mit der Vorlage der drei Gesetzentwürfe und durch die dazu notwendige Beratung der Schlußstrich gezogen sein sollte.
Der bisherige Verlauf der Debatte - insbesondere das, was Sie, Herr Kollege Franke, dazu gesagt haben - läßt mich allerdings noch nicht hoffen, daß die von Ihnen angeblich immer angebotene Zusammenarbeit Wirklichkeit wird. Sie haben das Wort „immer" gebraucht. Aber auf die Frage nach dem Wo und Wie haben Sie nie - bis zum gestrigen Tage - ein Konzept vorgelegt, sondern Sie haben immer nur gesagt: Wir werden zur richtigen Zeit etwas sagen.
Was haben Sie nun gestern vorgelegt, Herr Kollege Franke? Ich weiß auch, wie schwer es für Sie ist, in der Nachfolge, wenn ich das so sagen darf, des verehrten Herrn Kollegen Katzer, dem ich von hier aus recht gute Besserung wünschen möchte, die vielfältigen Interessen in der CDU/CSU unter einen Hut zu bringen, die vielfältigen Interessen in der CDU, Herr Kollege Franke, angefangen vom Ahlener Programm der CDU, das immer noch als eine Grundlage der CDU-Politik gilt, von Herrn Blüm kürzlich wieder im „Vorwärts"
({1})
- nein, nein, im „Vorwärts" nicht, in der „Welt der Arbeit" dargestellt - ({2})
- Herr Kollege Kohl, bei den vielen Zeitungen, in denen unterschiedliche Auffassungen der Opposition zu diesem Thema geschrieben werden, kann man sich einmal in einer Zeitung irren.
({3})
- Darauf werde ich gleich noch kommen. - Also vom Ahlener Programm über die neue soziale Frage des Herrn Geißler bis zu dem, was Sie nunmehr hier in einer Dokumentation vorgelegt haben, ist ein weiter Bogen. Ich bin immer noch nicht ganz in der Lage, darin eine Logik zu erkennen. Gern würde ich heute die Frage noch geklärt bekommen, ob denn nun das, was im Pressedienst der CDU/CSU vom 16. März vorliegt, tatsächlich das Konzept der Opposition ist. Ich würde es in manchen Punkten begrüßen, beispielsweise in der auch von uns, von der Koalition getragenen Überzeugung, daß Beitragserhöhungen überhaupt nur eine Ultima ratio sein dürfen - eine Vorstellung, die ich für die Freien Demokraten seit Jahren, wenn es darum ging, von dieser Stelle aus vertreten habe. Aber wenn ich am 16. März das in Ihrem Pressedienst lese, und wenn ich zwei Tage vorher, am 14. März,
Herr Kollege Kohl, lese, daß Sie im Rahmen eines Gesprächs mit der DAG noch davon ausgegangen sind - ({4})
- Ja, hier steht: Es bestand Übereinstimmung, daß die Dinge in den einzelnen Kassenarten gelöst werden müssen, daß also der Beitrag in der Rentenversicherung angehoben werden müsse.
({5})
- Dies haben Sie gestern durch Ihre klare Entscheidung - ich begrüße diese Entscheidung -, daß die Beiträge der Rentenversicherung an die Krankenversicherung an den Durchschnittsbeitrag der Krankenversicherung zu binden sind, konterkariert.
({6})
Ich begrüße diese Entscheidung. Ich frage mich noch, und bei diesen kritischen Punkten will ich es bewenden lassen - ich könnte noch sehr viel bringen - ({7})
- Soll ich es Ihnen laut vorlesen? Ich kann es Ihnen gern geben.
Aber ich möchte noch fragen, wieweit sich das was Sie gestern vorgelegt und hier vorgetragen haben, mit der Aussage Ihres neuen Fraktionskollegen und Geschäftsführers der Sozialausschüsse, des Kollegen Hasinger, auf einem Kongreß der IG Metall deckt. In der „Westdeutschen Allgemeinen" heißt es dazu - und mehrere andere Zeitungen berichten ebenso -:
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Albrecht Hasinger erklärte seine Bereitschaft, für den Aufbau einer allgemeinen Volksversicherung einzutreten.
Wo ist nun eigentlich Ihr Konzept? Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kohl, wenn Sie mal dafür sorgten - ({8})
- Dann ist also Herr Hasinger nicht maßgebend. Das nehme ich gern zur Kenntnis. Ich begrüße das sogar. Denn das Wort „Volksversicherung" aus Ihrem Munde hätte mich überrascht. Aber wenn ein so bedeutender Mann, Vertreter einer so bedeutenden Gruppe Ihrer Fraktion - ({9})
- Genau, Herr Kollege Wehner: wie es gefällt und wo man spricht. Das war nämlich auf einem Kongreß der IG Metall, wo diese Frage angesprochen wurde. Ein Kollege von uns war dabei, der diese Dinge ebenfalls gehört hat, ein Kollege der SPD war dabei, und die Presse hat es deutlich gebracht. Das ist nicht zu leugnen. Herr Hasinger ist GeSchmidt ({10})
schäftsführer der CDU-Sozialausschüsse. Ich sage das an Ihre Adresse, Herr Kohl, damit Sie für Ordnung in Ihren Reihen sorgen, wenn sie ein gemeinsames Konzept haben.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hasinger?
Im Gegensatz zum Kollegen Franke bin ich dazu gerne bereit.
Herr Kollege Schmidt, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich auf der Angestelltenkonferenz der IG Metall in Böblingen mich dafür ausgesprochen habe, daß die gesetzliche Rentenversicherung durch Einbeziehung weiterer Bevölkerungsgruppen über eine reine Arbeiter- und Angestelltenversicherung hinaus ausgeweitet wird, daß aber diese Bevölkerungsgruppen nur zu gleichen Rechten und Pflichten an dieser Versicherung teilnehmen können, und daß ich mich ausdrücklich gewandt habe gegen eine -
Herr Kollege, Sie können immer nur eine Zwischenfrage stellen. Ich bitte dafür um Verständnis. Lassen Sie den Kollegen zunächst diese Frage beantworten, dann können Sie noch eine weitere stellen.
Herr Kollege Hasinger, ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, stelle aber fest, daß immerhin in drei mir vorliegenden renommierten Zeitungen, der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung", der „Süddeutschen Zeitung" und der „Welt", die gleiche Äußerung steht: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Albrecht Hasinger erklärte seine Bereitschaft, für den Aufbau einer allgemeinen Volksversicherung einzutreten.
({0})
Darunter kann ich allerdings nichts anderes als eine Gesamtversicherung im Gegensatz zu unserem jetzigen Rentenversicherungssystem verstehen. Dies lehnen wir ab.
Herr Kollege Schmidt ({0}), gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Hasinger?
Bitte.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß auf der gleichen Konferenz ein Angehöriger Ihrer Fraktion, der Herr Kollege Hölscher, ein sogenanntes Drei-Stufen-Modell propagiert hat, das eine staatliche Grundversorgung, eine staatliche Grundrente vorsieht, das von mir ausdrücklich abgelehnt worden ist?
({0})
Herr Kollege Hasinger, ich bin nicht nur bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, sondern ich bin Ihnen dafür dankbar, weil der Kollege Hölscher damit eine alte Vorstellung der FDP in Erinnerung gebracht hat, die auch in diesem Hause schon oftmals diskutiert wurde, nämlich wie weit man über eine Sockelrente, eine echte leistungsbezogene Rente und zusätzliche Vermögensbildung die Struktur unserer Altersversorgung besser gestalten könnte.
({0})
Das ist eine Vorstellung, die seit Ende der 50e1 Jahre mit dem Namen unseres Fraktionsvorsitzenden in diesem Hause verbunden ist. An das hat er erinnert, das war nichts Neues aus unserem Munde. Aber den Vorschlag einer Volksversicherung aus dem Munde eines CDU-Vertreters zu hören, war für uns interessant. Das wollte ich zur Kenntnis geben. Herr Kollege Kohl, vielleicht helfen Sie dem Kollegen Franke, noch etwas Ordnung zu machen, damit das Konzept konzentrierter wird und in Ihrer Fraktion klarer zu verstehen ist.
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne folgt der Debatte der Chef-Ombudsmann des Königreiches Schweden, Herr Lundvik,
({0})
der nach einem Besuch in Berlin Informationsgespräche hier in Bonn führt. Es ist mir eine Ehre und Freude, den Herrn Justizbevollmächtigten in diesem Hause begrüßen zu können. Ich darf ihm einen guten Verlauf seiner Gespräche und seiner Reise wünschen und danke ihm für viele Anregungen, die er und seine Vorgänger uns in der Vergangenheit gegeben haben. Herzlich willkommen!
({1})
Ich möchte noch eine zweite Bemerkung zu dem machen, was der Kollege Franke sagte. Es ist lediglich eine kleine Richtigstellung. Herr Kollege Franke, Sie behaupteten, daß die FDP sich erst nach der Sachverständigenanhörung im vorigen Jahr zu diesen Dingen zu Wort gemeldet habe. Damit die Dinge sachgerecht behandelt werden, kann ich Ihnen hier gern zwei Meldungen der FDP überreichen: eine FDK vom 1. De-. zember 1975, als ich zu den damaligen Zahlen des Sozialbeirats mit dem Mehrheits- und Minderheitsvotum und den daraus zu ziehenden Konsequenzen Stellung genommen habe, und eine Rede zum 19. Rentenanpassungsgesetz, die ich am 20. Februar 1976 hier von dieser Stelle aus gehalten habe und in der ich auf Grund der damals bekannten Zahlen des Verbandes der Rentenversicherungsträger hier sehr kritisch über die Zukunftsnotwendigkeiten, Strukturmaßnahmen in der Rentenversicherung vorzunehmen, aus der Sicht der FDP Stellung genommen habe. Ich wollte das nur zur Korrektur anmelden, damit Sie Ihre Zeitskala etwas verbessern können.
({0})
Schmidt ({1})
- Herr Kollege Franke, damit komme ich zur dritten Bemerkung; aber dann will ich mich auf die Gesetzentwürfe konzentrieren.
({2})
- Wenn Sie es wollen, können wir noch ein bißchen darüber reden, daß ich nur 30 bis 40 Minuten Redezeit angemeldet habe, während Ihr Sprecher 60 Minuten gesprochen hat, wobei er sich aber nur 10 Minuten mit der Sache und 50 Minuten mit Dingen beschäftigt hat, die mit dem Gesetzentwurf nichts zu tun haben. Das können Sie im Protokoll nachlesen.
({3})
- Herr Kollege Lemmrich, ich will es Ihnen nachher, wenn das Protokoll vorliegt, gern nach Zeilen beweisen. Das ist kein Problem; denn ich habe die ganze Zeit hier gesessen und es an der Uhr verfolgt.
Herr Kollege Franke, ich möchte noch eine Bemerkung an Ihre Adresse machen. Sie haben gesagt: Es wurden keine Konsequenzen gezogen. Gleichzeitig haben Sie gesagt, man hätte 1975 oder 1976 schon etwas tun können. Herr Kollege Franke, wer war es denn, der 1975/76 - ich gebe zu, es gab damals keine Mehrheiten in diesem Hause - hier den Versuch machte, die Probleme zu einem früheren Zeitpunkt einer Lösung zuzuführen? Wer war es denn?
({4})
- Entschuldigen Sie, Sie haben immer gesagt: Wir sind bereit, an der Lösung mitzuarbeiten. Wenn ich in diesem Hause für die FDP dann aber von Verschiebungsnotwendigkeiten, von Aktualisierung sprach, wurde von Ihnen am nächsten Tage immer der Vorwurf erhoben: soziale Demontage durch Herrn Schmidt ({5}) !
({6})
Das kann ich Ihnen in soundsoviel CDU-Dokumentationen nachweisen. Manche Kollegen, die von der Sache etwas verstehen und mit denen wir im Ausschuß zusammensitzen, wissen sehr genau, daß mit dem Herannahen des Wahltages die Dinge auch in Ihren Reihen - und ebenso bei den anderen - im- mer schwieriger wurden. Dies mögen wir heute bedauern. Es sind aber Tatsachen. Deshalb sollten wir nicht versuchen, daraus wieder billigen Honig im Blick auf irgendwelche anderen Urheberwünsche zu saugen.
Meine Damen und Herren, nun aber zu den Vorlagen selbst. Die drei Gesetzentwürfe, die nach langen Beratungen und nicht etwa kurzfristig entstanden - über die Vorbereitungen zur Kostendämpfung haben wir doch alle schon in der letzten Legislaturperiode diskutiert -, bilden für uns Freie Demokraten eine sachliche Grundlage für die notwendige Konsolidierung der Rentenversicherung und die genauso notwendige und zum gleichen Zeitpunkt notwendige Kostendämpfung in der Krankenversicherung. Deshalb möchte ich von dieser Stelle ganz besonders dem Bundesarbeitsminister und seinem Hause danken, daß sie die Vorlagen auf einem harten und dornenreichen Wege, wie ich gern zugeben will, erarbeitet haben. Auf diesem Wege stand, wie ich ebenfalls gern zugebe, auch ich einmal mit meiner Äußerung über die Gefahr der Flickschusterei. Der Weg bis hin zu diesen Gesetzentwürfen war nicht einfach. Er wurde nicht einfacher, nachdem die Diskussion in der Öffentlichkeit immer so unsachlich geführt wurde, wie sie bis in die letzten Tage und bis zu heutigen Inseraten noch geführt wird. Es war nicht leicht, die Gesetzentwürfe in dieser sachlichen Formulierung auf den Tisch des Hauses zu legen und heute hier zur ersten Beratung zu stellen. Dafür, daß dies ermöglicht wurde, möchte ich dem Bundesarbeitsminister und der Bundesregierung danken.
({7})
- Diese Frage brauche ich, glaube ich, nicht jetzt zu beantworten, denn auf das, was sich geändert hat, baue ich meine Ausführungen sowieso auf. Ich orientiere sie an den kritischen Bemerkungen der Öffentlichkeit, wie ich dies meistens zu tun pflege, da ich mir keine Konzepte vorher aufschreibe und meine Angaben nicht von irgend jemandem ausrechnen lasse.
Zwei Grundsätze scheinen uns gewährleistet: die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung in den nächsten Jahren und darüber hinaus ohne Beitragserhöhungen und ohne nivellierende Eingriffe zu garantieren und zu festigen sowie im Gesundheitswesen für einen wirksamen Einsatz der finanziellen Mittel ohne staatlichen Eingriff durch ein in die Selbstverwaltung eingebettetes Instrumentarium Sorge zu tragen.
Die Gesetzentwürfe beinhalten vier für uns besonders wichtige Elemente.
Als erstes nenne ich den ordnungspolitischen Akzent, die Zuordnung der einzelnen Risikofaktoren zu den drei Säulen unserer sozialen Sicherheit
- Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung - durch die gegenseitige Abgrenzung bei den Beitragsleistungen. Dies trifft sowohl für den Durchschnittsbeitrag aus der Rentenversicherung an die Krankenversicherung als auch für den nunmehr vorgesehenen Beitrag der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherung zu. Damit wird dieses System der drei Säulen unseres sozialen Netzes wesentlich gestärkt und stabilisiert und auch von gewissen konjunkturellen Schwankungen unabhängiger.
Zweitens. Wir begrüßen es, daß den jetzigen Vorausberechnungen wesentlich nüchternere volkswirtschaftliche Daten - natürlich aus der Sicht von heute - zugrunde gelegt werden, als das in der Vergangenheit manchmal der Fall war. Wir begrüßen es ganz besonders, daß sich die von den einzelnen für diese Fragen besonders kompetenten Ministerien, Institutionen und Verbänden vorgelegten Daten decken, insbesondere, daß sich die Zahlen des Bundesarbeitsministeriums, des BundeswirtSchmidt ({8})
schaftsministeriums, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der Bundesanstalt für Arbeit und der Bundesbank decken.
Natürlich wissen wir genauso wie Sie, daß nur Vorausschätzungen auf Grund eines heutigen Standes möglich sind. Aber die Tatsache, daß bis 1980 nüchtern von knapp 3 % Arbeitslosen ausgegangen wird - leider ausgegangen werden muß -, daß Lohnzuwachsraten von 7,5 °/o, die real sind, einbezogen worden sind, bildet eine wesentlich solidere Grundlage als manches, was wir in der Vergangenheit erlebt haben.
({9})
- Mit dem Windhauch wäre ich vorsichtig. Aber wenn die Ölscheichs etwas im Schilde führen,
({10})
dann sind wir, leider Gottes, wieder einmal einer neuen Situation ausgesetzt. Aber dann sind wir alle gemeinsam gezwungen, neu über diese Dinge nachzudenken. Mehr tun, als aus der jetzigen Sicht vernünftige realistische Daten für die nächsten vier Jahre zu unterstellen, kann niemand.
({11})
Drittens. Wir begrüßen es ganz besonders, daß der Gesetzentwurf zwar die Möglichkeit einer vorübergehenden Abschmelzung der Rücklagen auf einen Monatsbedarf vorsieht, daß diese aber unter den jetzt gegebenen Voraussetzungen bis 1980 nie unter den Bedarf für 1,9 Monate sinken werden, so daß wir hiermit sogar mehr Manövriermasse haben, als der Gesetzentwurf voraussetzt.
Wir haben Verständnis dafür, daß die notwendige Verschiebung des Anpassungstermins zum 1. Januar 1979 durchgeführt wird, die Sie dankenswerterweise in Rücknahme eines sicher falschen Beschlusses von 1972 mittragen wollen. Wir hoffen, daß auch die Kriegsopfer dafür Verständnis haben werden.
Wir sind allerdings nicht der Meinung, daß es so leicht sein wird - und, Herr Kollege Franke, hier muß ich etwas auf Sie eingehen -, allein mit diesen Überlegungen die Probleme der 80er Jahre zu bewältigen.
Nun wundere ich mich allerdings - und ich bin dem Kollegen Glombig für seine realistische Darstellung dankbar -, wie Sie es fertigbringen, sich hier - sozusagen, damit es draußen alle hören - ganz eindeutig für die bruttolohnbezogene Rente einzusetzen, andererseits dann aber zu sagen: 1980 wird alles schwieriger. Wie werden wir mit den mittel- und langfristigen Problemen fertig? Darüber müssen wir nachdenken.
Dann - und das wissen Sie genauso wie wir alle in diesem Hause - müssen wir auch über die Frage nachdenken - ich habe das schon vor Jahren in diesem Hause getan -, ob man in Zukunft noch mit dem Konzept Brutto - Netto-Rentenanpassung wird arbeiten können, ob es noch möglich ist, den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben in der
Rentenversicherung ohne Mehrbelastung unserer überlasteten Arbeitnehmer und ohne Gefährdung des Generationenvertrages zu erreichen. Wenn man später schon kritischer wird, sollte man sich nicht hierherstellen und am Anfang sagen: Mit uns immer nur die bruttolohnbezogene Rente. Das sollte man sich dann, wenn man mittel- und langfristig zu denken vorgibt, etwas genauer überlegen.
Nun, meine Damen und Herren, einiges zu den Schlagworten in der Öffentlichkeit, einiges zum Kostendämpfungsgesetz, dessen Diskussion besonders mit solchen Schlagworten verbunden ist, und dazu auch gleich die Meinung der FDP: Da geistert immer noch die Auffassung durch den Raum - von Ärzteverbänden, von Ersatzkassen und anderen initiiert -, das ganze Kostendilemma in der Krankenversicherung sei nur deshalb vorhanden, weil die Rentenversicherung saniert werden müßte. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie dem mit Ihren Vorschlägen inzwischen auch entgegengetreten sind. Aber ich möchte von dieser Stelle gerade für uns Freie Demokraten doch noch einmal eindeutig erklären - vielleicht wird das dann auch bei den unsachlichen Kritikern draußen deutlicher -, daß es doch nicht unserem System der Krankenversicherung entsprechen kann, daß ein 64jähriger - ich nehme jetzt einmal den Durchschnittsbeitrag - 11 % seines Einkommens an die Krankenversicherung zahlt, daß aber für einen 65jährigen, weil er Rentner wird, bis zu 17 % gezahlt werden sollen.
({12})
Wer diesen Grundsatz oder diese Meinung vertreten will, muß morgen die Frage stellen: Muß der Familienvater mit vier Kindern, der Diabetiker oder ein anderer mehr zahlen? Entweder haben wir für alle in der Krankenversicherung Versicherten ein Durchschnittsrisiko - dann muß im Rahmen des gegliederten Systems für alle ein durchschnittlicher Beitrag gelten - oder nicht. Aber es kann nicht Risikozuschläge aus Altersgründen geben, wie sie immer wieder sozusagen als Entschuldigung für andere Argumentationen vorgetragen werden. Das muß doch, glaube ich, einmal gesagt werden, weil dann, wie ich meine, auch die Diskussion über manche anderen Fragen der Kostendämpfung etwas leichter und versachlichter wird. Denn wir müssen uns darüber im klaren sein, daß mit dieser Abgrenzung auf den Durchschnittsbeitrag aus der Rentenversicherung eine bisher durch Überzahlung nicht vorhandene, aber in Wirklichkeit bereits seit längerer Zeit bestehende Kostenlücke in der Krankenversicherung entsteht. Von daher wird allerdings auch deutlich, daß das Kostendämpfungsgesetz, wie es hier auf dem Tisch des Hauses liegt, unweigerlich am 1. Juli 1977 mit in Kraft treten muß.
Bei allem Verständnis für konzertierte Aktionen kann ich mich nur dem anschließen und möchte ich das noch etwas vertiefen, was hier schon gesagt wurde. Eine konzertierte Aktion kann mittels dieses Kostendämpfungsgesetzes mit dem Instrumentarium, das wir in der Selbstverwaltung anbieten
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Schmidt ({14})
- ich komme schon noch darauf -, entstehen. Die konzertierte Aktion, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hat und wie sie nun auch von Ihnen übernommen worden ist, ist doch eindeutig ein Verschiebebahnhof, meine Damen und Herren. Ich frage mich, ob Sie nicht manchmal die einzelnen Reden Ihrer Vertreter doch besser nachlesen sollten, ehe Sie etwas Neues beschließen.
Ich habe hier das Protokoll des Bundesrates und die Rede des Kollegen Geißler vorliegen, der leider Gottes auf der Bundesratsbank immer noch fehlt. In seiner Rede weist der Kollege Geißler mit einem gewissen Recht darauf hin, daß er doch schon vor Jahren Zahlen vorgelegt habe - völlig richtig -, daß er vor Jahren Maßnahmen gefordert habe, die notwendig sind. Auch der Kollege Franke hat davon gesprochen, daß die CDU schon Maßnahmen gefordert habe, jedoch nichts getan worden sei. Und nun legt diese Bundesregierung ein in das Selbstverwaltungsprinzip hineingelagertes Instrumentarium vor, bietet sie diese konzertierte Aktion an, worauf Sie antworten: Das brauchen wir gar nicht. In zwei Jahren reden wir wieder darüber. Dann sind sowieso Bundestagswahlen. Das geht alles von alleine.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, so kann man es ebensowenig machen - auch dazu möchte ich etwas sagen - wie mit Inseraten, wie sie leider Gottes - wenngleich nicht von der überwiegenden Mehrheit der Ärzte bestätigt, so aber doch von einigen Funktionären der freien Verbände tagtäglich in die Welt gesetzt - in den letzten Tagen und Wochen - auch noch nach Verabschiedung des Kabinettsentwurfs - auf dem Tisch des Hauses liegen. Ich halte es für ein Armutszeugnis dieser Verbandsvertreter, wenn sie mit Schlagworten wie „Sozialisierung", „Kein Fortschritt", „Einheitsversicherung" und dergleichen hausieren gehen, obwohl sie ganz genau wissen, obwohl sie in Gesprächen mit Ihnen wie mit jedem anderen klar zugeben, daß hier Wege beschritten werden müssen und beschritten werden, die nichts mit Dirigismus, nichts mit Sozialisierung zu tun haben. Hat eine in die Selbstverwaltung gelagerte Empfehlung auf Bundesebene etwas mit Sozialisierung zu tun, oder liegt in der Abwehr dieser Sache, in der Gegenargumentation, da würde jemand gegängelt, wenn sich die Selbstverwaltungsorgane auf Bundesebene gemeinsam auf eine Empfehlung einigten, das Mißtrauen der Verbandsvertreter auf Landesebene gegen die gemeinsame Selbstverwaltung auf Bundesebene, ein Mißtrauen, das wir tagtäglich aus Resolutionen hören? Wir wissen doch sehr genau, daß die dankenswerte Empfehlungsvereinbarung vom vorigen Jahr nicht etwa auf ungeteilten Beifall der Ärzte stieß, wir wissen doch sehr genau, welche Schwierigkeiten die vernünftigen, die sachlichen Vertreter der Ärzteschaft in manchen Kreisen hatten. Ist nicht der Widerstand gegen die nunmehr vorgesehene Verankerung dieser Empfehlungsvereinbarung der Widerstand derer, die so etwas für die Zukunft lieber nicht mehr möchten, obwohl sie jetzt so tun?
({15})
Meine Damen und Herren, ich will nur dieses Stichwort noch aufgreifen: Weshalb soll ein Ausgleich für die Rentnerdichte über die Kassenarten hinweg erfolgen? Dies wird ja insbesondere von den Ersatzkassen im Hinblick auf die Einheitsversicherung als Argument vorgetragen. Es wird doch genau das Gegenteil bewirkt. Wir alle wollen doch die Leistungen der Rentenversicherung an die Krankenversicherung auf den Durchschnittsbeitrag begrenzen. Dann kommt aber auf Grund der Solidarität der Krankenversicherten eine höhere Kostenbelastung auf die Krankenversicherungen zu, eine Kostenbelastung, die insbesondere die höheren Kosten für unsere älteren Mitbürger betrifft. Wenn wir diese spezielle Mehrbelastung durch die Rentnerkosten, die nun einmal in den Kassenarten unterschiedlich sind und von 50 % in einer Ortskrankenkasse im Bayerischen Wald bis zu 10 oder 12 % in einer Ersatzkasse oder Betriebskrankenkasse reichen, zwischen den Kassenarten nicht ausgleichen, dann bekommen Sie allerdings in wenigen Jahren die Forderung anderer Kreise nach einer Einheitsversicherung. Wir wollen dies nicht. Wir wollen das gegliederte System erhalten, und deshalb muß die Rentnerbelastung von der Solidarität aller getragen werden und ein solcher gezielter Ausgleich für die Rentnerdichte erfolgen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen, einfach auch deshalb, weil es die Fortsetzung der Debatte ermöglicht, eine Reihe von Einzelfragen durch Kollegen, vielleicht auch durch mich zu beantworten. Lassen Sie mich zum Schluß drei Bemerkungen machen:
Erstens. Ich stelle noch einmal fest, wir Freien Demokraten sehen die vorliegenden Gesetzentwürfe als eine gute Grundlage für die Konsolidierung der Finanzen der Rentenversicherung und die notwendige Kosteneindämmung im Gesundheitswesen an.
Zweitens. Wir begrüßen die zum Teil seitens der Opposition und auch seitens des Bundesrates gezeigte Bereitschaft zu einer kooperativen Zusammenarbeit im Interesse einer möglichst breiten von Gesamtverantwortung getragenen Zustimmung.
Drittens. Wir erwarten allerdings, daß diese Beratung, die sich mit praktischen Fragen, die sich mit Formulierungsfragen, die sich mit gewissen Anregungen des Bundesrates befassen wird, am Ende eine Verabschiedung in diesem Hause und ein Inkraftsetzen aller drei Gesetze am 1. Juli 1977 ermöglicht.
Wer durch Verzögerungstaktik, durch Abkoppelungsüberlegungen oder dergleichen mehr versuchen sollte, dieses Gesetzespaket auseinanderzureißen, trägt die Verantwortung dafür, wenn es in den nächsten Jahren keine Kostendämpfung im Gesundheitswesen gibt, wenn die Beiträge in der Krankenversicherung auf Grund der Verlagerung aus der Rentenversicherung mit einem Durchschnittsbeitrag - die wir alle wollen - nach dem 1. Juli 1977 sehr stark steigen müssen und nicht etwa durch Kostendämpfung aufgefangen werden können, und er trägt im Endeffekt die Verantwortung dafür, wenn es in dieser Legislaturperiode nicht gelingt, das geglieSchmidt ({16})
derte freiheitliche System unserer sozialen Sicherung in allen Bereichen strukturell und finanziell abzusichern, um zu verhindern, daß in einer späteren Legislaturperiode - das kann sehr bald geschehen - durch die Überbelastung der Arbeitnehmer und durch Überbelastung möglicherweise der Steuerzahler dieses System zusammenbricht.
Diese drei Gesetze gehören zusammen. Wir werden über sie sorgfältig und möglichst zeitgerecht beraten müssen. Am 1. April 1977 müssen sie aber gemeinsam in. Kraft treten.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geisenhofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu Herrn Arbeitsminister Ehrenberg. Herr Arbeitsminister, Sie haben auf Meinungsverschiedenheiten in der Union hingewiesen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß der Rentenbeschluß in der Fraktion fast einstimmig bei 10 Enthaltungen ohne Gegenstimmen gefaßt worden ist.
({0})
Zweitens. Sie haben am allerwenigsten Grund, Herr Arbeitsminister, auf Meinungsverschiedenheiten hinzuweisen. Denn noch nie hat eine Bundesregierung so kopflos, so konzeptlos, so betrügerisch und täuschend gegenüber 11,5 Millionen Rentnern und 2,3 Millionen Kriegsopfern gehandelt wie diese Bundesregierung.
({1})
Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung werden nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion eine systemgerechte Sanierung der Rentenversicherung und die Kostendämpfung im Gesundheitswesen auf die Dauer nicht erreicht werden können. Die in aller Hast und Eile und, ich muß sagen, unter großem Zeitdruck vorgelegten schludrigen Gesetzentwürfe sind unausgegoren und stellen eine systemwidrige Flickschusterei dar.
({2})
Hier bin ich mit dem Kollegen Schmidt ({3}) einer Meinung.
({4})
Die CDU/CSU-Fraktion wird sich in den zuständigen Ausschüssen dafür einsetzen, daß die systemwidrigen Bestimmungen durch systemkonforme ersetzt werden und daß vor allem die einseitige Belastung der 11,5 Millionen Sozialrentner und der 2,3 Millionen Kriegs- und Wehrdienstopfer in irgendeiner Form verhindert werden kann.
Die heutige Rentendebatte, meine Damen und Herren vor allem von der SPD, hat eine merkwürdige
Vorgeschichte. Wir müssen heute über ein gigantisches Finanzierungsproblem in der Rentenversicherung diskutieren, das im Wahlkampf 1976 von der SPD/FDP als „nicht existent" oder als „Problemchen" bezeichnet wurde.
({5})
Weil wir es gewagt haben, dem zu widersprechen, hat man uns der „unchristlichen Panikmache" bezichtigt.
({6})
Heute wird von dieser Bundesregierung nicht mehr bestritten, daß das Defizit in der Rentenversicherung bis zum Jahre 1980 82 Milliarden DM betragen wird, ein ungeheurer, unvorstellbarer Defizitbetrag. Das ist eine bittere Sache, und ich bedaure deswegen das starke Desinteresse der Regierung auf der Regierungsbank. Der Herr Bundeskanzler war nur wenige Minuten anwesend.
({7})
Meine Damen und Herren, es geht hier um ein Problem, das Millionen Rentner, ja, man kann sagen, das das gesamte deutsche Volk betrifft, schicksalhaft betrifft.
({8})
Der Herr Bundeskanzler
({9})
hat das im Wahlkampf wider besseres Wissen geleugnet - nur um die Wahlen zu gewinnen -, was er nach der Wahl in diesem Hohen Hause, nämlich bei seiner Regierungserklärung am 16. Dezember, zugegeben und bestätigt hat. Und ich meine, wer erst das leugnet, was er nach der Wahl zugibt, nimmt es mit der Wahrheit nicht genau.
({10}) und er ist schuldig geworden -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen, Kollege Lutz;
({0}) haben Sie Verständnis,
({1})
meine Zeit ist beschränkt.
Meine Damen und Herren, dadurch sind die Rentner und die Wähler getäuscht und betrogen worden.
({2})
Wer so handelt, muß sich auch den Vorwurf gefallen lassen, daß er sich die Mehrheit hier im Hohen Hause erschlichen hat.
({3})
Wären der Wähler und der Rentner nicht so getäuscht worden, gäbe es diese Bundesregierung nicht,
({4})
und es gäbe sie auch nicht, wenn diese Bundesregierung nicht höchst verfassungswidrig im Wahlkampf Millionen Steuermittel zweckentfremdet hätte.
({5})
Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß der Bundeskanzler nicht da ist, aber ich muß ihn ansprechen. Der Herr Bundeskanzler macht es sich bei seiner Rechtfertigung gegenüber den Rentnern ganz einfach zu leicht. In seiner Regierungserklärung fegt er den Rentnerbetrug, die Unwahrheiten mit einer Handbewegung vom Tisch, indem er erklärt, demokratische Regierungen könnten sich ja irren, könnten Fehler machen. - Ich habe menschlich Verständnis für Irren, aber ich sage: Ständiges Irren ist sozialdemokratisch!
({6})
Diese Regierung - ich sage das mit Nachdruck - hat durch ihr unmögliches Verhalten das Ansehen des Parlaments schwer geschädigt und einen traurigen Beitrag zur Verstärkung der Staatsverdrossenheit in unserem Volke geleistet. Wir von der Union
({7})
stellen mit Nachdruck fest: Mit diesen Machenschaften, mit diesen Unwahrheiten und Methoden, mit der Vorgeschichte der 100 Seiten umfassenden Gesetzentwürfe, die vor uns auf dem Tisch liegen, mit dem Schuldenberg und der Fehlentwicklung hat die CDU/CSU nichts, aber auch gar nichts gemeinsam.
({8})
Wir haben diesen Schuldenberg nicht verursacht, wir haben die Regierung vor diesem falschen Weg gewarnt. Sie ist uns nicht gefolgt. Das ist nun das traurige Werk dieser Regierung, das sie selbst auszubaden hat.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn wir als CDU/ CDU-Fraktion aus unserer Verantwortung heraus bei der Konsolidierung der Sozialversicherung mithelfen, tun wir es deswegen, weil wir verhindern wollen, daß das von der CDU/CSU geschaffene Rentensystem von der SPD umfunktioniert wird.
({10})
Die Ursache der Fehlentwicklung liegt doch nicht im Rentensystem begründet, sondern in einer verfehlten Wirtschafts- und Währungspolitik dieser Regierung.
({11})
- Worum uns die ganze Welt beneidet? Meine Damen und Herren, die Rentenversicherung ist im wilhelminischen Kaiserreich - maßgebend von Christlich-Sozialen - grundgelegt worden
({12})
und ist 1957 unter Adenauer und Anton Storch reformiert worden!
({13})
Was die CDU/CSU geschaffen hat und was sich bewährt hat, werden wir von der Union mit Zähnen und Klauen verteidigen. Nehmen Sie das zur Kenntnis!
({14})
Der Inhalt der vorliegenden Gesetzentwürfe, die wir heute in erster Lesung behandeln, bedeutet wieder ein Stück sozialer Demontage, ja, ich sage: es ist bereits der sozialen Demontage zweiter Akt dieser Regierung. Jetzt werden die Rentner - das ist in den Diskussionen bisher nicht zum Ausdruck gekommen - dreimal belastet und zur Kasse gebeten: einmal durch die Nichtanpassung im nächsten Jahr, das zweite Mal durch die Aktualisierung und Schmälerung der Bemessungsgrundlage und das dritte Mal durch die Umschaltung auf die Nettorente.
({15})
Auch die Kriegsopfer erleiden hier Verluste, und zwar in Höhe von 400 Millionen DM allein durch die Nichtanpassung ihrer Renten.
Da kommt nun der Einwand, daß den Rentnern und Kriegsopfern ja nichts vom Besitzstand der Rente genommen werde. Aber, meine Damen und Herren, der Einwand kann doch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß allein die Nichtanpassung der Renten 1978 die Inflationsrate von 4 bis 5 O/o nicht mehr abdeckt. Dadurch wird ein Besitzstandsverlust eintreten. Ein Rentner mit 1000 DM Rente im Monat erleidet nach den Bestimmungen, die uns vorliegen, einen Anpassungsverlust von 900 bis 1000 DM im Jahr. Er verliert also praktisch eine Monatsrente. Das wird hier einfach so hingenommen.
Ich sprach von der sozialen Demontage zweitem Akt dieser Regierung. Der sozialen Demontage ersten Akt erlebten wir im Haushaltsstrukturgesetz. Da hat man die Kriegsopfer als erste mit 150 Millionen DM zur Kasse gebeten, und das in einer Zeit, wo die Bundesregierung die Propagandamittel für den Wahlkampf um Millionen erhöht hat.
Warum kommt es jetzt zur sozialen Demontage? Warum haben wir überall leere Kassen?
({16})
In der Rentenversicherung, ja, auch im Bundeshaushalt haben wir Milliardendefizite einzuplanen.
({17})
Die Ursache liegt darin, daß die SPD/FDP-Regierung in ihrer Reformeuphorie auch jenen Personen Sozialleistungen hat zukommen lassen, die der Hilfe der Gemeinschaft überhaupt nicht bedurft hätten.
Und jetzt, wo Sie die Sozialleistungen wieder zurücknehmen müssen, haben Sie hierbei eine unglückliche und höchst unsoziale Hand: Sie belasten die Kriegsopfer, die Rentner und die Sozialhilfeempfänger.
({18})
Sie sind doch einmal angetreten, den sozial Schwächsten zu helfen, meine Damen und Herren von der SPD. Aber jetzt schädigen Sie die sozial Schwächsten am stärksten.
Das hat jedoch alles seine Vorgeschichte. Ich werde nie die Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt vergessen, die er 1969 bei seinem Regierungsantritt gehalten hat. Er sagte sinngemäß: Wir sind die Regierung der sozialen Reformen; wir bringen mehr Gerechtigkeit in die deutschen Lande. Die Frage war nur noch: Sollte jeden Tag oder jede Woche eine Reform durchgeführt werden?
({19})
Kein Wunder, daß der Arbeitsminister Arendt, angesteckt von der Spendierfreudigkeit seines Kanzlers, ebenfalls nicht hintanstehen wollte. So sagte er den Rentnern vor einer Wahl zu Weihnachten einen Betrag von 50 DM zu. Nach der Wahl gab es dann nichts mehr.
Meine Damen und Herren, mit Recht sagte Franz Josef Strauß in der Beantwortung der Regierungserklärung des ehemaligen Bundeskanzlers Brandt folgendes:
Herr Bundeskanzler, wir ziehen Bilanz.
({20})
Sie übernehmen eine gesunde Wirtschaft und Währung. Wir haben keine Arbeitslosen.
({21})
Sie übernehmen einen ausgeglichenen Bundeshaushalt. Wir haben keine Schulden. Ja, wir haben sogar einen Überschuß im Haushalt. Die Inflationsrate beträgt 1,5 %.
({22}) Sie ist uns zu hoch.
Meine Damen und Herren, heute, sieben Jahre danach, haben wir einen defizitären Bundeshaushalt. Wir haben im Lande Zehntausende von Konkursen, eine Inflationsrate von 4 % und 1,2 Millionen Arbeitslose sowie eine Krise in der Rentenversicherung.
({23})
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß diese SPD/FDP-Regierung in den letzten sieben Jahren von der Substanz gelebt hat, die die Stabilitätspolitik der CDU/CSU geschaffen hat, und diese Substanz von Jahr zu Jahr verbraucht hat. Jetzt ist sie aufgebraucht. Jetzt flieht man in die Schuldenmacherei.
({24})
Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Reformeuphorie und eine verfehlte Wirtschafts-und Währungspolitik sind die Ursachen der leeren Kassen. Meine Damen und Herren von der SPD, vor allem Sie möchte ich jetzt ansprechen: Nicht die Ö1scheichs sind schuld, nicht die Weltwirtschaftskrise, die Sie immer gern zitieren, sondern Sie selbst haben das verschuldet und verursacht.
({25})
Sie haben es vor allem verursacht durch die Verteufelung der Unternehmer und des Mittelstandes als Ausbeuter und Lohngeier, vor allem aber durch die Forderungen der SPD-Linken auf Sozialisierung der Wirtschaft. Viele Unternehmer sagen: was sollen wir noch investieren, wenn die Linken zur Macht kommen und uns wieder alles wegsozialisieren. Das Vertrauen in diese Regierung ist völlig zerstört.
({26})
Warum sind denn die Renten in die Krise gekommen? Vor allem, weil die SPD den Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik ignoriert hat, weil man mehr ausgegeben hat, als man über die Wirtschaftspolitik eingenommen hat.
({27})
Herr Kollege Geisenhofer, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie stärker den Bezug zur ersten Lesung der Gesetzentwürfe herstellten.
({0})
Ich komme auch darauf zu sprechen. Aber da muß die Ursache der schwierigen Lage, in der wir uns jetzt befinden, vorausgeschickt werden.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bedaure jeden Arbeitsminister dieser Regierung, weil er der Gefangene einer falschen Politik ist, vor leeren Kassen steht und nichts mehr über die Sozialpolitik zu verteilen hat. Ohne Belebung der Wirtschaft und ohne Abbau der Arbeitslosenzahl von 1,2 Millionen hängen unsere Rentensanierungspläne, die uns heute vorliegen, völlig in der Luft.
Zu einer weitsichtigen, verantwortlichen Rentenpolitik gehört auch eine gute Familienpolitik; gerade die Familienpolitik hat diese Regierung sträflich vernachlässigt.
({1})
Die statistischen Vorausrechnungen beweisen: Deutschland wird zum sterbenden Volk. Und es erhebt sich die Frage: Wer soll im Jahre 2000 unsere Renten erarbeiten, und wer soll sie zahlen? Das ist eine ganz ernste Frage. Unsere Rentenversicherung, meine Damen und Herren, kann nur existieren und funktionieren, wenn wir Familien mit mehreren Kindern haben, die Nachfolger in den Arbeitsprozeß bringen, die an die Stelle der ausscheidenden Arbeitnehmer und Beitragszahler in der Rentenversicherung treten.
Zu den vorliegenden Gesetzentwürfen möchte ich nun mit Schwerpunkt Stellung nehmen. Wir von der CDU/CSU halten an der Rentenanpassung zum 1. Juli 1977 in Höhe von 9,9 % fest, weil das das Unionssystem ist, und weil wir eine Rentengarantie gegeben haben, die wir nicht wie Sie von der SPD gebrochen haben.
Ebenso unbestritten ist bei uns die Erhöhung der Kriegsopferrenten nach dem Neunten Anpassungsgesetz um 9,9 °/a, die landwirtschaftliche Altershilfe und die Unfallversicherungsrente. Der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Aussetzung der Rentenanpassung im Jahre 1978 stimmen wir - mit Einschränkungen im Kriegsopferbereich - schweren Herzens zu. Aber wir betonen noch einmal, daß diese bittere Maßnahme allein von der SPD/FDP-Regierung verursacht worden ist.
Was die Kriegs- und Wehrdienstopfer betrifft, so verlieren diese allein im nächsten Jahr 400 Millionen DM. Mit Recht fragen die Kriegsopfer: Was haben unsere Renten mit der Lage der gesetzlichen Rentenversicherung zu tun? Die Kriegsopferrenten werden doch aus dem Bundeshaushalt finanziert und nicht durch Beiträge in die Rentenversicherung. Sollen wir Kriegsopfer den Bundeshaushalt sanieren? - Die CDU/CSU vertritt die Auffassung, daß die von der Bundesregierung geplanten Einsparungen im Bundeshaushalt nicht durch die defizitäre Finanzlage der Rentenversicherung bedingt sind. Daher soll und muß im Ausschuß geprüft werden, ob eine stufenweise Verschiebung des Anpassungstermins möglich ist.
Wir von der Union - wir haben das wiederholt betont - halten an der bruttolohnbezogenen Rente fest und sehen keinen Grund, den Dynamisierungsparagraphen des Bundesversorgungsgesetzes, § 56, zu ändern.
({2})
In jedem Fall müssen die eingesparten Mittel den Kriegs- und Wehrdienstopfern im Zuge struktureller Verbesserungen und beim Härteausgleich wieder zur Verfügung gestellt werden. Diese Mittel dürfen nicht allein, Kollege Glombig, der Kriegsopferfürsorge zufließen; das wäre für uns viel zu wenig. Dafür wird sich die CDU/CSU-Fraktion mit Nachdruck einsetzen.
Die Kriegs- und Wehrdienstopfer sind wirklich die Stiefkinder dieser Regierung. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung kein Wort für die Kriegsopfer übriggehabt.
({3})
Die Kriegsopfer wurden von dieser Regierung dreimal zur Kasse gebeten. Herr Wehner, Sie müssen sich das anhören - ({4})
Nein, Sie müssen sich das anhören, weil Sie die Kriegsopfer dreimal zur Kasse gebeten haben.
({5})
- Herr Wehner, Sie können mir nicht widersprechen, wenn ich sage: Das erste Mal sind die Kriegsopfer durch diese Regierung 1974 durch die verspätete Anpassung ihrer Renten nach dem Stufenplan zur Kasse gebeten worden; das zweite Mal durch das Haushaltsstrukturgesetz, als sie 150 Millionen DM verloren haben; und zum drittenmal jetzt durch die Nichtanpassung ihrer Renten im nächsten Jahr.
({6})
Herr Wehner, es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die SPD/FDP-Koalition den Kriegsopfern die Millionen weggenommen hat,
({7})
die zu Zeiten einer CDU/CSU-Regierung den Kriegsopfern gegeben worden sind. Das ist die Tatsache.
({8})
Weil hier soziale Demontage betrieben wurde, hat der VdK Deutschland in Bad Godesberg und in Bonn wiederholt demonstriert. In keinem anderen Land Europas - das merken Sie sich gut, Herr Wehner - wurden die Kriegsopferrenten gekürzt. Ausgerechnet in Deutschland werden die Kriegsopfer zur Kasse gebeten,
({9})
wo wir doch, wie der Herr Bundeskanzler immer wieder erklärt, gegenüber den anderen europäischen Ländern so gut dastehen. Ausgerechnet in Deutschland kürzt man die Kriegsopferrenten!
({10})
Die Absicht der Bundesregierung, die Bemessungsgrundlage in der Rentenversicherung zu manipulieren, indem sie das lohnträchtige Jahr 1974 unterschlägt, lehnen wir als systemwidrig ebenso ab wie die beabsichtigte Umstellung im 21. Rentenanpassungsgesetz der Altrenten von der bruttolohnbezogenen Rente auf die Nettorente. Diese Absicht ist ein Freibrief zur Manipulation. Das ist wieder eine
Vernebelungsaktion gegenüber den Rentnern; denn die Rentner verstehen nicht, was Umschaltung von Brutto- auf Nettorente ist. Das ist die Fortsetzung des Rentnerbetruges mit anderen Mitteln.
({11})
Meine Damen und Herren, ich muß das in erster Lesung sagen - ({12})
- Herr Wehner, ich muß hier Klarheit, schaffen, weil Sie soviel vernebeln. Daher muß das Problem ernsthaft angesprochen werden.
({13})
Die Schmälerung der Bemessungsgrundlage und die Umschaltung auf die Nettorente sind das Ende der unter Adenauer und Storch von der CDU/CSU-Fraktion 1957 eingeführten bruttolohnbezogenen dynamischen Rente.
({14})
Geschädigt werden vor allem die Kleinrentner. Sie werden zur Sozialhilfe abgedrängt.
({15})
Das mit der Rentenreform 1957 von der Union angestrebte Ziel war es, die Rentner von der Ebene der Fürsorgeempfänger zu der der Lohnempfänger hinzuführen. Das ist der CDU/CSU auch weitestgehend geglückt. Während Ihrer Regierungszeit wird der umgekehrte Weg gegangen.
({16})
Millionen Rentner werden wieder zur Sozialhilfe abgedrängt.
({17})
Meine Damen und Herren, es ist auch Zeit, diese Regierung endlich daran zu erinnern, daß die Rente kein Geschenk der Bundesregierung ist, sondern daß sie durch Beitragsleistungen einzeln erworben wurde und daß ein Rechtsanspruch auf sie besteht.
({18})
In den Rentnertaschen ist doch kein Pfennig mehr als der Gegenwert dessen, was sich der Arbeiter und spätere Rentner in einem vierzigjährigen Arbeitsleben mühevoll an Beiträgen am Munde abgespart hat.
({19})
Es gibt auch kein Rentenwunder, wenn man weiß, daß die Durchschnittsrente nach 40 Jahren Arbeits- und Beitragszeit in der Rentenversicherung nur 900 DM beträgt. Ich frage Sie, wie in den Großstädten ein Rentner bei diesen Unkosten - Miete,
Lebensunterhalt usw. - mit 900 DM überhaupt noch leben soll.
({20})
Noch nie, bei keiner Regierung - Herr Wehner, nehmen Sie das zur Kenntnis -, ist die Schere zwischen Klein- und Großrenten und der Überversorgung so zum Nachteil der kleinen Rentner auseinandergegangen.
({21})
Ich weise auch ernst darauf hin: Wer einmal „brutto", dann wieder „netto" sagt, also einmal so und dann wieder anders, der muß wissen, daß er mit dem Vertrauen der Rentner und mit dem Vertrauen der alten Leute spielt. Das können wir uns doch nicht leisten!
({22})
Wenn wir die Nettorente ablehnen, müssen wir auch sagen, welche Deckung wir dem entgegenstellen.
({23})
Die CDU/CSU sieht in der Einführung eines sozial gerechten Krankenversicherungsbeitrags der Rentner mit einer Befreiungsgrenze für Kleinrentner eine systemgerechte und bessere Lösung als in der Einführung der systemzerstörenden Nettorente, welche gerade die kleinen Rentner am meisten schädigt.
Durch die Beibehaltung der bruttolohnbezogenen Rente und die Schaffung einer Freigrenze beim Krankenversicherungsbeitrag der Rentner stärken wir die Position der Kleinrentner. Wir vertreten die Auffassung, daß die Rentner mit Renten außerhalb der Befreiungsgrenze für einen Krankenversicherungsbeitrag Verständnis haben, wenn sie wissen, daß dadurch ihre Krankenversicherung krisenfester gemacht werden kann.
Die von der Bundesregierung beabsichtigte Reduzierung der Dreimonatsrücklage auf eine Monatsrücklage wird von uns nur als letzte und vorübergehende Maßnahme akzeptiert. Wir wollen nicht, daß die Finanzierung der Rentenanpassung in die Abhängigkeit des Bundeshaushalts und des Finanzministers gerät. Daher sagen wir: Wiederaufstockung, sobald das finanziell möglich ist.
Die Einfrierung des Kinderzuschusses wird von uns als höchst familienfeindlich abgelehnt.
Die Übertragung der berufsfördernden Maßnahmen und der Maßnahmen zur Rehabilitation auf die Bundesanstalt halten wir für falsch. Wir von der CDU/CSU haben doch - Herr Wehner, das sollten Sie sich in Ihrer Fraktion noch einmal vergegenwärtigen - Ihrem Rehabilitationsangleichungsgesetz zugestimmt. Das, was jetzt hier gemacht wird, widerspricht dem Rehabilitationsangleichungsgesetz.
({24})
Das Prinzip: „medizinische, berufliche und soziale
Rehabilitation in einer Hand" muß auch in Zukunft
gewahrt bleiben, ebenso wie der bewährte Grundsatz „Rehabilitation geht vor Rente".
({25})
Die vorgesehene Kürzung der Ausgaben der Rentenversicherung für die Krankenversicherung der Rentner von bisher 17 % auf 11 % und die gleichzeitige Anhebung der Beitragsgrenze in der Krankenversicherung von 2 098 DM auf 2 550 DM finden keine Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion. Letzteres hat zur Folge, daß die Arbeitnehmer durch überhöhte Beiträge auf Umwegen zur Sanierung der Rentenversicherung herangezogen werden und zum Teil doppelt belastet werden.
Meine Damen und Herren, durch die Festschreibung der Zahlung der Rentenversicherung an die Krankenversicherung der Rentner handelt die Regierung wieder systemwidrig. Man löst die Probleme nicht, sondern man verschiebt sie. Erst hat man die Rentenversicherung geplündert, und jetzt geht man an die Kassen der Krankenversicherung.
({26})
Es sollte eine Lösung angestrebt werden, die hohen Alterseinkünfte mit Lohnersatzfunktion mit Beiträgen für die Rentnerkrankenversicherung zu belegen. Kriegsopfer oder Arbeiter, die nach 40jähriger Arbeitszeit nur von ihren eigenen Renten leben müssen, fallen nicht darunter. Es geht um das Problem der hohen Mehrfachrenten und der zunehmenden Überversorgung, das einmal in Angriff genommen und gelöst werden muß.
Zum Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz noch ganz kurz! Wir vertreten die Auffassung, daß die Kostenexplosion im Gesundheitswesen ihre Ursache vor allem darin hat, daß die Bundesregierung seit Jahren die Probleme verniedlicht und nicht den politischen Mut gefunden hat, die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig einzuleiten.
({27})
Dem Gesetzentwurf liegt die verschleierte Absicht zugrunde, sozialistische Lebensformen in unserem Lande einzuführen.
({28})
- Ja, das ist das Kind mit dem Namen genannt. Ich weiß, daß Sie das nicht hören wollen.
({29})
Die CDU/CSU-Fraktion wendet sich entschieden gegen die Bestimmungen des Finanzausgleichs der Krankenkassen untereinander, weil das nach unserer Auffassung eine kalte Sozialisierung bedeutet.
({30})
Wir wenden uns gegen die Einführung von Ambulatorien, gegen die Beschränkung der Arzneimittelverordnung, da diese eine Zwei-Klassen-Medizin bedeuten würde. Wieder kommt der Ruf hoch: Weil ich arm bin, muß ich eher sterben. So ähnlich, wie
wir das ja immer wieder gerade von der SPD gehört haben.
({31})
Herr Abgeordneter, ich rüge den Ausdruck.
({0})
Die CDU/CSU wendet sich gegen die 10 % ige Investitionsauflage bei privaten und freien Krankenhausträgern, weil das das Ende der freien privaten Träger bedeuten würde.
({0})
Die CDU/CSU fordert die Berücksichtigung der Sozialstationen in einem solchen Gesetz.
Erstmalig hat die Krankenversicherung im Jahr 1976 wieder einen Überschuß von 1 Milliarde DM dank der Selbstverwaltung. Ich glaube, wir sollten der Selbstverwaltung Dank und Anerkennung sagen und nicht ihre Arbeit erschweren, wie das die Bundesregierung macht.
({1})
Bevor man solche gravierenden Eingriffe in unser Gesundheitswesen vornimmt, sollte man wirklich, wie. die Bundesratsvorschläge dies beinhalten, einer freiheitlichen Lösung den Vorzug geben.
({2})
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Der große Vorwurf, den wir Ihnen von ,der SPD/FDP machen, besteht darin,
({3})
daß Sie trotz Kenntnis des gigantischen Schuldenberges die Lösung des Finanzproblems in der Rentenversicherung zwei Jahre verschleppt haben. Jetzt müssen die umfangreichen Gesetzesbestimmungen in drei Monaten bis Anfang Mai durchgepeitscht werden, und der 82-Milliarden-DM-Fehlbetrag muß in drei Jahren herbeigeschafft werden. Dadurch müssen die Maßnahmen natürlich härter ausfallen, als sie hätten ausfallen können, wenn Sie rechtzeitig diese Schwierigkeiten in den Griff genommen hätten. Die Regierung setzt die Opposition unter einen unerträglichen Zeitdruck. Wir fürchten, daß das überstürzte Verfahren wieder ein schludriges Gesetz fabrizieren wird, das selbst von Spezialisten nicht mehr verstanden wird.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dem sprechen, was auf der Tagesordnung steht, nämlich zum Entwurf eines
) Neunten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes. Aber erlauben Sie mir, daß ich nach den Ausführungen des Kollegen - es fällt mir schwer, Kollege zu sagen - Geisenhofer ein paar Bemerkungen mache.
({0})
- Meine Damen und Herren, was soll die Aufregung? Ich bin der Auffassung, daß wir hier im Bundestag nicht anders reden sollten als in Versammlungen, im Wahlkampf und, wie man so schön sagt, draußen im Lande.
({1})
Aber wenn das so verstanden wird, wie es der Kollege Geisenhofer hier vorexerziert hat, wenn eine solche Übereinstimmung zwischen Wahlkampfreden und parlamentarischen Reden besteht, dann kommt dabei nur der schlagende Beweis für die Unsachlichkeit Ihres Wahlkampfes heraus:
({2})
Diffamierung, Beleidigung, Unterstellung, Verfälschung statt Argumente.
({3})
Lassen Sie mich ein paar Fakten sagen. Der Kollege Geisenhofer hat davon gesprochen, daß durch diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung die Kriegsopfer Verluste in Höhe von 400 Millionen DM erleiden würden. Bei den Zuhörern und Zuschauern muß der Eindruck entstehen: Jetzt wird von unseren Kriegsopferrenten etwas abgestrichen.
({4})
Wie ist die Realität? Die Realität ist, daß durch diesen Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, die Leistungen für unsere Kriegsopfer zum 1. Juli um 9,9 °/o angehoben werden sollen.
({5})
Das bedeutet, daß wir 1977 412 Millionen DM mehr ausgeben werden als 1976, und das bedeutet, daß wir 1977 die Leistungen für Kriegsopfer im Zusammenhang mit anderen Veränderungen insgesamt um 650 Millionen DM auf 10,8 Milliarden DM steigern werden. Das ist die Realität, und alles andere ist falsch.
({6})
Nun muß ich allerdings sagen: Im Grunde genommen sind solche Zahlen, solche Veränderungen und Verbesserungen - ich sage das eher selbstkritisch über den Stil unserer Arbeit als Parlamentarier unabhängig davon, ob das im Bund oder im Land ist - kein Grund, Regierung und Parlament besonders zuzujubeln; denn wir lösen mit diesen Anpassungen und Verbesserungen Verpflichtungen ein, die wir uns gesetzlich auferlegt haben. Wir erfüllen die Konsequenzen aus der Dynamisierung der Kriegsopferrenten und der gleichzeitigen Anpassung mit
den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, und wir erfüllen eine soziale und moralische Verpflichtung. Ich finde es nicht gut, wenn, wie das immer wieder geschieht, solche eigentlich selbstverständlichen Leistungen als ein Verdienst einzelner Parteien, Fraktionen, Abgeordneter besonders gefeiert werden.
Aber so selbstverständlich ist das doch alles nicht. Weil der Kollege Geisenhofer weit ausgeholt hat, gestatten Sie mir einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung; denn wir stellen immer wieder fest: in der Sozialpolitik ist nichts selbstverständlich, alles muß erkämpft und bezahlt werden. Wir unterscheiden uns im Engagement für einzelne Gruppen, und wir unterscheiden uns, so meine ich, auch in der Glaubwürdigkeit. Das wird der kurze Rückblick zeigen.
({7})
Als die sozialliberale Koalition 1969 die Regierungsverantwortung übernahm, wurde ihr gerade in der Kriegsopferversorgung eine schwere Hypothek aufgebürdet; denn seit drei Jahren, seit 1966, waren die Renten nicht mehr erhöht worden. Das war eine Auswirkung der von der CDU/CSU verschuldeten Wirtschaftskrise. Sie erinnern sich an die Regierungserklärung Kiesingers, an das, was Ihr Parteifreund, Kollege, Kanzler damals hier als Bankrotterklärung vor dem Bundestag feststellen mußte. Auf Grund dieser verschuldeten Wirtschafts- und Finanzmisere des Bundes gab es noch manche Ungerechtigkeit in der Kriegsopferversorgung, z. B. in der Witwenversorgung.
Bundeskanzler Willy Brandt kündigte in seiner ersten Regierungserklärung die Anhebung und Dynamisierung der laufenden Renten sowie weitere strukturelle Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung an. Damit wurde eine neue Ara in der Versorgung der Kriegsopfer und Hinterbliebenen eingeleitet.
({8})
Mit dem 1. Januar 1970 - drei Monate nach Amtsantritt der Bundesregierung - wurden damals die Renten rückwirkend für die Beschädigten um 16 % und die Renten für die Witwen um 20 % erhöht. Am 1. Januar 1971 wurde dann endlich die regelmäßige Dynamisierung der Kriegsopferleistungen eingeführt. Das war das Werk der sozialliberalen Koalition. Sie hatten das 20 Jahre lang nicht fertiggebracht. Sie hatten nichts dagegen getan, daß die Kriegsopfer auf Krücken nach Bonn kommen mußten, um hier vor diesem Hause zu protestieren.
({9})
Wir haben mit unserer Entscheidung damals langfristige finanzielle Verantwortung auf uns genommen. Wir tragen diese Verantwortung.
Wie war denn damals die Haltung der CDU/CSU, die ein Schlaglicht auf die Glaubwürdigkeit Ihrer Ausführungen von heute wirft? Sie hatten sich bis zum letzten Augenblick gegen eine Dynamisierung der Kriegsopferrenten gesträubt. In Ihrem sozial- politischen Regierungsprogramm für die damalige Legislaturperiode hatten Sie lediglich eine zweijäh1038
rige Berichtspflicht der Bundesregierung über die
Möglichkeit einer Anpassung der Renten gefordert.
({10})
Stellen Sie sich einmal vor, wie Sie, wenn wir diesen Ihren Vorschlag aufnähmen, reagieren würden, ja, reagieren müßten, wenn Sie eine Opposition wären.
({11})
Nachdem Sie dieses Programm dann nicht verwirklichen konnten, haben Sie eine einjährige Berichtspflicht vorgeschlagen. An diesen Berichten wollten Sie festhalten.
Wir haben dagegen einen Rechtsanspruch geschaffen. Er hat dazu geführt, daß die Kriegsopferrenten in siebeneinhalb Jahren sozialliberaler Regierung neunmal angepaßt worden sind. Er hat dazu geführt, daß von 1969 bis 1977 die Kriegsopferrenten für die Beschädigten um 117,5 °/o und diejenigen für die Witwen um 134,5 °/o gestiegen sind. Jetzt kommen noch einmal 9,9 °/o hinzu. Das scheint Sie aber nicht zu interessieren, wie ich Ihrer Unruhe entnehme. Es ist ganz sinnvoll, dies zu erwähnen, denn wir mußten gestern erst im Ausschuß feststellen, daß einer Ihrer Kollegen überhaupt nicht wußte, daß die Kriegsopferrenten zum 1. Juli wieder erhöht werden sollen.
({12})
Dieser Kollege ging davon aus, daß diese Renten zwei Jahre nicht erhöht würden. Bringen Sie sich doch erst einmal auf den Stand der Tatsachen, damit Sie mit etwas mehr moralischer Berechtigung die Empörten spielen können.
({13})
In diesen sieben Jahren sind die Renten um 103,5 °/o gestiegen, während sich die Nettoentgelte der Arbeitnehmer nur um zwischen 70 und 90 °/o erhöht haben.
({14})
Sind diese Kriegsopfer „Stiefkinder der sozialliberalen Koalition"? Die Gruppe in unserem Staat, für die wir die stärksten finanziellen Sonderleistungen erbracht haben, nennen Sie „Stiefkinder"? Sie werden die Aufregung auf unserer Seite verstehen, wenn Sie daran denken, wie sich sozialdemokratische Sozialpolitiker - wie der Kollege Pohle, wie der Kollege Bazille, wie der Kollege Höhmann, die alle selber Kriegsbeschädigte waren, wie Eugen Glombig oder auch unser Fraktionsvorsitzender - gerade für diese Gruppe eingesetzt haben. Herr Burger, Sie hören etwas nachdenklich zu. Sie wissen, daß dieses Engagement für diejenigen, denen ein furchtbarer Krieg und Verfolgung besondere Opfer abverlangt haben, unseren Kollegen und auch manchem Ihrer Kollegen
am Herzen gelegen hat. Aber Sie wissen auch, daß die Sozialpolitiker in den Unionsparteien immer nur dann Konjunktur hatten, wenn sie sich auf eine starke Sozialdemokratie stützen konnten. Das war übrigens schon so bei der Einführung der dynamischen bruttolohnbezogenen Rente im Jahre 1957. Wir haben in den Ausschußberatungen für ihre Einführung gesorgt.
({15})
- Das ist Ihr gutes Recht, Herr Burger. Wenn es sachlich ist, dient das auch dem Weiterkommen auf diesem Gebiet, wie ich überhaupt meine, wir täten gut daran, auf Perspektive sachlich miteinander zu diskutieren.
Herr Franke hat einiges angesprochen. Ich glaube, daß es durchaus in dem Bereich der Sicherung der Altersversorgung Möglichkeiten gibt, miteinander sachlich ins Gespräch zu kommen. Nur, es hat dann keinen Zweck, wenn Unfehlbarkeit und Glaubwürdigkeit so für sich gepachtet werden, wie es Herr Franke gemacht hat.
({16})
Es hat nämlich keinen Zweck, sich hier über sogenannte Privilegien im öffentlichen Dienst aufzuregen. Das wäre ein schöner Beitrag für eine Debatte, wenn es um das Dienstrecht für den öffentlichen Dienst ginge, Herr Franke. Es hat dann auch keinen Zweck, z. B. Herrn Geißler als Kronzeugen zu zitieren, der nur deshalb noch als Sozialminister tätig ist, obwohl er inzwischen Generalsekretär ist, weil er noch die Pensionsberechtigung als Minister erwerben muß. Er hätte ja zurücktreten können.
({17})
Er wird doch gebraucht in Ihrer Partei. Sie brauchen doch einen Generalsekretär. Und als Sozialminister des Landes Rheinland-Pfalz ist er sowieso nicht hier, um seine Position zu vertreten.
({18})
Herr Abgeordneter Gansel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Bitte, Herr Burger.
Herr Kollege Gansel, ich möchte einen Satz voranstellen: Es wird nicht möglich sein, jetzt in dieser Frage das zu widerlegen, was Sie eben gesagt haben. Darf ich Sie aber fragen, ob Sie begreifen können, daß ich deshalb erregt bin, weil Sie die Folgen eines furchtbaren Zusammenbruchs nach dem zweiten Weltkrieg mit einer Zerstörung - mit kargen Kassen in den 50er Jahren; wir haben 121/2 Milliarden DM im ersten Jahr angetroffen - der CDU in die Schuhe schieben wollen, als ob sie damals den Kriegsopfern nicht mehr Rente hätte geben wollen, obwohl sie objektiv nicht mehr geben konnte?
({0})
Herr Burger, gucken Sie sich die Belastungen an, die etwa die Wirtschaft oder auch die aktiven Arbeitnehmer in den Jahren - ich sage einmal - bei Einführung der Bundeswehr übernommen haben. Ich stelle bewußt den Zusammenhang her, weil ich glaube, daß sich in Ihrer Fraktion, in Ihrer Partei Politiker oft mehr darum gekümmert haben, das wieder auf die Beine zu bringen, das mit Ursache für dieses schreckliche Leid gewesen ist, als dieses schreckliche Leid selber zu heilen. Deshalb habe ich diesen Zeitpunkt gewählt.
({0})
- Sie sind intelligent genug, um darüber nachzudenken.
Wenn Sie sich anschauen, welche Belastungen Arbeitnehmern und Wirtschaft in diesen Jahren Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre abverlangt wurden, dann werden Sie feststellen, daß die Belastungen heute höher sind.
Aber wir bekennen uns auch dazu, weil wir in der Sozialpolitik auf die Dauer nur das ausgeben können, was wir einnehmen. Es geht nur, wenn alle in diesem Staate ihren Beitrag leisten. Deshalb haben wir Arbeitnehmer und Wirtschaft stärker in die Solidarität für die Schwachen, für die Kranken und für die Alten genommen, für diejenigen, die finanzielle Hilfe benötigen.
({1})
Dazu bekennen wir uns, und dafür müssen wir auch manche bittere finanzielle Konsequenz tragen.
Herr Abgeordneter Gansel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?
Ich bitte um Entschuldigung, ich habe nur eine bestimmte Redezeit, und ich glaube, es wird schwierig werden, zum Ende zu kommen. Entschuldigung, Herr Vogel.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung der Kriegsopferrenten, die ich geschildert habe, hat auch dazu geführt, daß es manchen Wildwuchs gegeben hat. Ich denke daran, daß etwa bei der Witwenbeihilfe die Bedürftigkeitsgrenze vor eineinhalb Jahren bei 2 700 DM monatlich gelegen hat. Stellen Sie sich das einmal vor. Das wagt man in einer Rentnerversammlung überhaupt nicht zu sagen, daß Sie, als wir das Haushaltsstrukturgesetz benutzt haben, um das zu korrigieren, tagelang ein Spektakel aufgeführt haben für eine Gruppe von Personen mit Alterseinkommen von 2 700 DM, einem Einkommen, das eigentlich nur noch die Hinterbliebenen von Abgeordneten und Ministern erreichen können.
({0})
Vielleicht spielte da auch manches Eigeninteresse
eine Rolle. Auch das muß gesagt werden, wenn Sie
in dieser Art über das Haushaltsstrukturgesetz herfallen, Herr Geisenhofer.
({1})
Nun, was wird hier von der Opposition so heftig attackiert? Es ist die Gleichzeitigkeit der Anpassung von Kriegsopferrenten und Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir haben die Dynamisierung und den zeitlichen Gleichklang stufenweise eingeführt. Das bedeutet auch - das ist eine unvermeidbare Konsequenz -, daß die Anpassung, wie bei den Rentnern, ausgesetzt bzw. hinausgeschoben wird.
({2})
Das ist inzwischen bekannt. Sie sollten es nur nicht dazu benutzen, den Betroffenen einzureden, sie würden weniger bekommen als vorher. Dies ist falsch.
({3})
- Herr Kollege Burger, Sie haben damals im Bundestag diesen Zusammenhang selber gefordert. Sie haben hier erklärt - ich darf zitieren -:
Es wäre mit den Grundsätzen eines sozialen Rechtsstaats nicht vereinbar, wenn nicht auch für die Kriegsopfer die Leistungsverbesserungen zum gleichen Zeitpunkt einträten. Die Übernahme der Rentendynamisierung aus der gegesetzlichen Rentenversicherung in die Kriegsopferversorgung ab Januar 1970 beinhaltet ja nicht nur ein mathematisches System, sondern meint vor allen Dingen Zweck und Ziel einer fortschrittlichen Regelung. Wir fordern deshalb
- so der Abgeordnete Burger ({4})
eine nicht nur wertgleiche, sondern auch zeitgleiche Anpassung der Versorgungsrenten.
Dies, meine Damen und Herren, geschieht.
Nun haben wir Sozialpolitiker in der Koalition natürlich auch erkannt, daß die dadurch entstehenden Einsparungen unseren Bewegungsraum für Strukturverbesserungen im Kriegsopferrecht erweitern. Lassen Sie mich dazu feststellen: Wir werden dieses Geld nicht verfrühstücken nach dem Motto „Es muß irgendwo untergebracht werden" ; denn überall in der Sozialpolitik muß jede Mark abgewogen werden. Die Mark, die man dem einen gibt, kann man nicht auch dem anderen geben. Aber: Es sind in der Kriegsopferversorgung noch Strukturverbesserungen notwendig. Die Grenzen des Sozialstaats sind nicht erreicht, meine Damen und Herren. Wir werden deshalb die Vorschläge aus Verbänden und aus dem Anhörverfahren, das wir in der nächsten Woche durchführen, sorgfältig prüfen und dann Zeit für eine gründliche Diskussion haben.
Dazu nur ein paar Vorschläge: Man sollte die freiwerdenden Mittel benutzen, um Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten in der Kriegsopferfürsorge - Stichwort: „Kriegereltern" - zu beseitigen. Wir sollten die Entwicklung berücksichtigen, daß aus
historischen Gründen Kriegsopferleistungen immer stärker Alterseinkommen werden, ohne daß wir den Charakter des Bundesversorgungsgesetzes als ein Modell für soziale Entschädigung dabei verändern. Aber wir sollten begreifen, daß es besonders wichtig ist, durch Bestandsschutz plus Koppelung an die Einkommensentwicklung noch mehr Sicherheit und Vertrauen zu garantieren.
({5})
Wir werden das Ausweis- und Vergünstigungswesen verbessern können. Aber bei allen diesen Vorschlägen sollten wir vor allen Dingen darauf achten, auch einen Beitrag zur Entbürokratisierung zu leisten. Wir sollten, auch auf die Gefahr hin, im Einzelfall vielleicht ein klein bißchen ungerechter zu sein, versuchen, das alles übersichtlicher, unbürokratischer, verständlicher zu machen. Das sollte uns manche Mark wert sein.
Wir werden schließlich für Verbesserungen im Bereich der orthopädischen Versorgung sorgen müssen. Ich meine, es ist ein Unding, daß wir ansetzen, den Weltraum mit einer ganz neuen Technologie zu erobern, aber noch nicht genügend überlegt haben, wie wir diese Technologie auch denjenigen dienstbar machen können, die auf dieser Erde etwas mehr körperlichen und geistigen Bewegungsraum brauchen. Wenn wir aus finanziellen Gründen auch nie auf dem letzten Stand der Technologie sein können, so müssen wir doch dafür sorgen, daß diese Technologie den Menschen hier auf der Erde dienstbar gemacht werden kann, den Behinderten zuerst! Schließlich wollen wir das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personennahverkehr verabschieden. Wir gehen davon aus, daß es die Bundesregierung wieder einbringen wird, obwohl ihr der Bundesrat dabei bisher viele Schwierigkeiten gemacht hat. Anderenfalls sollten die Koalitionsfraktionen im Interesse der Schwerbehinderten und damit vieler Kriegsopfer aktiv werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß eine vielleicht persönliche Bemerkung ma. chen. Ich glaube, es ist heute das erstemal, daß jemand im Bundestag über die Kriegsopferversorgung gesprochen hat, der die Zeit des gräßlichen Krieges und der Verfolgung selbst nicht bewußt miterlebt hat. Das ist der Generationswechsel in der Politik, überhaupt in unserer Gesellschaft: Bald werden hier die ersten dazu sprechen, die den Krieg überhaupt nicht mehr miterlebt haben. Das ist eine Gelegenheit, klarzustellen, daß es für uns eine bleibende soziale und vor allen Dingen moralische Verpflichtung ist, weiter zu sorgen, Verantwortung zu tragen, Lasten zu übernehmen für diese - ich sage jetzt bewußt - „Kinder unserer Gesellschaft" ; es bezieht sich auf das häßliche Wort „Stiefkinder", Herr Geisenhofer.
({6})
Wir wollen diese Verpflichtung; unsere junge Generation wird sich in ihr bewähren, und es wäre
gut, wenn wir das miteinander machen könnten und
nicht gegeneinander, nicht nur über die Generationen, sondern vielleicht auch über die Fraktionen, über die Parteien hinweg.
({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich für die weitere Debatte noch etwas sagen. Sie wissen, daß die deutschen Kriegsopfer ungeachtet der sachlichen Auseinandersetzungen immer großen Wert darauf gelegt haben, daß sich das Haus in den Grundfragen der Kriegsopferversorgung seiner Gemeinsamkeit bewußt bleibt. Ich möchte das als Wunsch für die Fortführung der Debatte äußern.
Wir unterbrechen die Sitzung bis 14 Uhr und fahren dann mit der Fragestunde fort.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe auf:
Fragestunde
- Drucksache 8/168 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Frage 142 des Abgeordneten Nordlohne:
Bedeutet die Einlassung des Bundeskanzlers vor dem Landgericht Traunstein, er sei, als er einer gegen ihn gerichteten einstweiligen Verfügung zuwiderhandelte, „einem nicht zu übersehenden Streß ausgesetzt" ({0}) gewesen, daß die Fähigkeit des Bundeskanzlers, Recht und Unrecht zu unterscheiden, in Streßsituationen stark abnimmt, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, einem solchen gefährlichen Effekt durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken?
Herr Präsident! Herr Kollege, bei Ihrer Frage gehen Sie ganz offensichtlich von der unzutreffenden Darstellung aus, für die nach der Meldung in der „Süddeutschen Zeitung" vom 8. März 1977 offensichtlich - so nehme ich an - die CSU-Landesleitung verantwortlich sein dürfte. Darf ich daher richtigstellen, indem ich Ihnen mitteile, was der Anwalt des Herrn Bundeskanzlers in seinem Schriftsatz lediglich vorgetragen hat. Ich zitiere wörtlich:
Der Antragsgegner gesteht ein, daß ihm insoweit ein Versprecher unterlaufen ist, den er bedauert. Aus dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen des Antragsgegners wird klar, daß der Antragsgegner gegen das Gebot des Gerichts nicht bewußt, sondern nach bereits mehrstündiger Diskussion versehentlich verstoßen hat.
({0})
Festzuhalten ist insoweit, daß dem Antragsgegner hier ein Lapsus linguae unterlaufen ist.
({1})
der die Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht rechtfertigt.
So wörtlich das Zitat der Ausführungen des Anwalts des Bundeskanzlers. Ich hoffe, daß das zur Aufklärung beiträgt.
({2})
Eine Zwischenfrage, Herr Nordlohne.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, warum die bereits am 9. März erschienenen Pressemeldungen - es gab auch eine dpa-Meldung - seitens des Herrn Bundeskanzlers oder seitens der Bundesregierung bis zum heutigen Tage nicht dementiert worden sind.
Wir sind Ihnen besonders dankbar, verehrter Herrr Kollege, daß Sie uns auf diese Art und Weise die Möglichkeit gegeben haben, das hier im Hause klarzustellen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie vorhin in Ihrer Antwort dargelegt haben, wie sich der Herr Bundeskanzler im Wahlkampf eingelassen hat, möchte ich Sie fragen: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß auf Grund der Gesamtaussagen im Wahlkampf ein Wahlergebnis zustande gekommen ist, das im Grunde genommen heute anders zu beurteilen ist, als es am 3. Oktober zu sehen war?
Ich weiß nicht, welcher Anlaß dafür gegeben sein sollte, das Wahlergebnis heute anders zu beurteilen, als es am Wahltag selbst geschehen ist.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riedl.
Herr Staatsminister, wäre es angesichts des von Ihnen jetzt dargestellten Sachverhalts nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit gewesen, daß sich der Herr Bundeskanzler bei dem betreffenden Kollegen entschuldigt hätte?
Ich glaube, Sie müssen von der Voraussetzung ausgehen, daß der Rechtsstreit noch nicht zu Ende ist. Wenn ich richtig informiert bin, ist der betroffene Kollege daran interessiert, daß es so ist. Deshalb ist eine solche Situation gar nicht gegeben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Möller.
Herr Staatsminister, müssen die Bürger der Bundesrepublik künftig auch außerhalb des Wahlkampfes häufiger mit solchen Versprechern des Bundeskanzlers rechnen?
({0})
Sie sollten von der Voraussetzung ausgehen, daß zumindest i c h wenige Politiker in der Bundesrepublik kenne, die für sich in Anspruch nehmen könnten, ihnen sei in Wahlkämpfen noch niemals ein Versprecher unterlaufen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Waigel.
Herr Staatsminister, sind Sie in der Lage, die Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers als im Einklang mit dem achten Gebot stehend zu bezeichnen?
Ich gehe von der Voraussetzung aus, daß das, was der Bundeskanzler sagt, immer mit dem achten Gebot in Übereinstimmung bleibt.
({0})
Herr Staatsminister, ist die Antwort abgeschlossen?
Ja, sie ist abgeschlossen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatsminister, würden Sie in Ihre letzte Äußerung auch die vor der Wahl gemachten Behauptungen und Angaben des Herrn Bundeskanzlers über die Situation der Rentenversicherung einbeziehen?
Ich glaube, daß das, was der Bundeskanzler vor der Wahl über die Renten gesagt hat, in der Tat durchgeführt wird. Der 1. Juli 1977 ist das Datum für die Anhebung der Renten, das der Bundeskanzler auch genannt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, sind ähnliche Zuwiderhandlungen des Bundeskanzlers in Streßsituationen auch anderweitig erkennbar oder bereits festgestellt worden?
Der Bundeskanzler ist ein Mann, der Streßsituationen in außerordentlich guter Form durchstehen kann.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 143 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welches waren die Gründe dafür, daß am 4. März 1977 der russische Bürgerrechtler Andrej Amalrik weder vom Bundeskanzler selbst nodi vom Staatsminister Wischnewski in seinem Amtssitz, dem Bundeskanzleramt, empfangen worden ist, sondern nur im Politischen Club der Friedrich-Ebert-Stiftung e. V. in Bonn die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Herrn Wischnewski erhalten hat, und in welcher Eigenschaft hat Herr Wischnewski das Gespräch geführt?
Kollege Dr. Hupka, ich darf Ihre Frage mit drei Bemerkungen beantworten.
Erstens. Der Herr Bundeskanzler sah sich im Hinblick auf seine anderweitige Inanspruchnahme nicht in der Lage, dem von Herrn Amalrik geäußerten Wunsch nach einem Gespräch zu entsprechen.
Zweitens. Ich habe Herrn Amalrik im Politischen Club der Friedrich-Ebert-Stiftung empfangen, da es sich um ein inoffizielles Gespräch mit einer Privatperson handelte, für das der Politische Club als ganz besonders geeigneter Ort erschien. Im übrigen habe ich das dort seit vielen Jahren gemacht, und der eine oder andere hier im Raum kennt diesen Club und wird mir zugeben müssen, daß er für solche Gespräche besonders geeignet ist.
Drittens. Herrn Amalrik war bekannt, daß sein Gesprächspartner das Amt des Staatsministers beim Bundeskanzler bekleidet. Eine besondere Feststellung, in welcher Eigenschaft ich das Gespräch führte, ist nicht getroffen worden und war schon angesichts des inoffiziellen Charakters des Gesprächs nicht erforderlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Wie erklärt es sich die Bundesregierung dann, daß der amerikanische Präsident oder der Vizepräsident einen derartigen „inoffiziellen Besucher" im Weißen Haus empfängt?
Vielleicht verfügt er nicht über ein so hervorragendes Clubgebäude, wie es in diesem Fall bei der Ebert-Stiftung vorhanden ist.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Ich halte das zwar für eine Bemerkung, die der Sache nicht angemessen ist,
({0})
aber das muß Ihre Angelegenheit sein.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie sich die Bemerkung die - auch auf Grund des Verhaltens der Bundesregierung - Herrn Amalrik gegenüber gestern Herr Bukowskij gemacht hat, daß er sich nicht erklären kann, warum diese Bundesregierung in ihrem Verhältnis zu Bürgerrechtlern, soweit sie jetzt hier in Freiheit leben, so zurückhaltend ist?
Ich kenne diese Bemerkung von Herrn Bukowskij nicht. Ich bin gern bereit, sie nachzulesen und Ihnen anschließend eine Antwort zu geben.
Eines steht jedenfalls fest: Ich habe mit Herrn Amalrik über viele Fragen - u. a. auch über die Deutsche Welle; zu dieser Frage hat er sich ja auch öffentlich geäußert - ein sehr ausführliches Gespräch geführt und habe den Bundeskanzler darüber informiert.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, bedeutet Ihre Antwort an den Kollegen Hupka, daß die zeitliche Belastung und die Dispositionen des Bundeskanzlers um so viel stärker sind als die des amerikanischen Präsidenten, daß er im Gegensatz zu diesem keine Zeit findet, einen hervorragenden Vertreter der Bürgerrechtsbewegung zu empfangen?
({0})
An dem Termin, der von Herrn Amalrik dafür vorgeschlagen wurde, hat der Bundeskanzler seit langer Zeit vorbereitete wichtige Aufgaben im Interesse der Bundesrepublik wahrgenommen und hat deshalb mich gebeten, dieses Gespräch zu führen und ihn zu informieren. Dies ist ausreichend geschehen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, können Sie meinen Eindruck teilen, daß von der Opposition offensichtlich mit vorgeschobenen Argumenten Menschenrechte gegen Entspannungspolitik ausgespielt werden sollen,
({0})
obwohl doch jeder weiß, daß Entspannungspolitik überhaupt erst die Bedingung der Möglichkeit für Menschenrechte ist?
({1})
Ich teile Ihre Auffassung, daß die Entspannungspolitik die Möglichkeit gibt, mehr für die Menschenrechte überall in der Welt zu tun.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 144 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Wie wertet die Bundesregierung die sowjetische Belobigung des Bundeskanzlers für dessen Weigerung, den russischen Bürgerrechtler Amalrik zu einem Gespräch zu empfangen, und warum fand das Gespräch, das Staatsminister Wischnewski mit Amalrik führte, nicht im Bundeskanzleramt, sondern in einem Gebäude der SPD statt?
Wenn Sie von sowjetischer Belobigung wegen des Verzichts auf ein Gespräch mit Herrn Amalrik sprechen, so kann es sich hier nur um die Auffassung eines sowjetischen Rundfunkkommentators handeln, der sich positiv dazu äUßerte, daß der französische Präsident Giscard d'Estaing und der Bundeskanzler Herrn Amalrik nicht empfangen hätten. Weitere Äußerungen dieser Art aus sowjetischer Quelle sind der Bundesregierung jedenfalls nicht bekannt geworden.
Die Bundesregierung pflegt zu unmaßgeblichen Ausführungen ausländischer Rundfunkkommentatoren nicht Stellung zu nehmen. Sie sieht auch in diesem Fall keinen Anlaß, davon abzuweichen.
Der zweite Teil dieser Frage ist durch meine auf die Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka gegebenen Antworten bereits beantwortet.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, können Sie dem Haus sagen, daß Überlegungen zu dem Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion keinerlei Einfluß auf die Absage des Herrn Bundeskanzlers gehabt haben, Herrn Amalrik zu empfangen?
Der Herr Bundeskanzler hat Herrn Amalrik keine Absage erteilt, sondern den Staatsminister beim Bundeskanzler, der ihn nach dem entsprechenden Gesetz zu unterstützen hat, gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen. Im übrigen gehe ich von der Voraussetzung aus, daß alle in diesem Hause daran interessiert sein sollten, daß es zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion gute Beziehungen gibt.
({0})
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, heißt der letzte Satz, daß solche Überlegungen, die das Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetunion betreffen, doch einen Einfluß darauf ausüben, ob sich der Herr Bundeskanzler dazu entschließen kann, einen Bürgerrechtler aus der Sowjetunion zu empfangen oder nicht?
Ich habe ausdrücklich gesagt, auf welche Art und Weise es zu diesem Gespräch gekommen ist.
Im übrigen wundere ich mich ein bißchen, daß Sie sich darüber sehr viel mehr Sorgen machen als Herr Amalrik selbst. Er war mit der Lösung in jeder Weise einverstanden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin gesagt, daß die Menschenrechte überhaupt auf Grund der Entspannungspolitik zum Zuge gekommen sind. Würden Sie es für mit den Menschenrechten vereinbar halten, wenn Bürgerrechtler entweder ausgewiesen oder in der Sowjetunion verhaftet werden?
Herr Kollege Dr. Hupka, bedauerlicherweise gibt es in vielen Ländern der Welt harte Verstöße gegen die Menschenrechte. Aber, ich möchte sagen, die Entspannungspolitik hat z. B. dazu beigetragen, daß seit der Unterzeichnung der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bis zum Beginn dieses Jahres mehr als 80 000 Menschen aus den Ostblockstaaten in die Bundesrepublik Deutschland haben einreisen können. Ich finde, dies ist ein hervorragendes Ergebnis.
({0})
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin gesagt, daß der Bundeskanzler zu dem von Herrn Amalrik gewünschten Termin keine Zeit für dieses Gespräch gehabt habe. Hat der Herr Bundeskanzler Herrn Amalrik Ausweichtermine angeboten, um ihn persönlich zu empfangen?
Ich kann Ihnen sagen, daß das gar nicht so ganz einfach gewesen ist. Herr Amalrik ist ein sehr beschäftigter Mann. Und sogar auch bei mir hat es einige Zeit gedauert, bis ein Zeitpunkt gefunden werden konnte, der für beide passend war.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatsminister, kennzeichnet die Tatsache, daß der amerikanische Präsident einen solchen Empfang persönlich wahrgenommen hat, während es der deutsche Bundeskanzler nicht tat, die unterschiedliche Bedeutung, die beide Regierungen dem Problem der Menschenrechte in der Sowjetunion beimessen?
Ich glaube, Sie können niemals die Entscheidung, ob man einen Termin selbst wahrnimmt oder einen Vertrauten bittet, ihn wahrzunehmen, als Maßstab für die Menschenrechte nehmen. So kann man Menschenrechte nicht messen, wie Sie das glauben.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin angeführt, daß Sie auf Grund einer Politik Menschenrechte einfordern können. Ich frage Sie, ob es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist, daß die Bundesrepublik Deutschland berechtigt ist, von den Vertragspartnern der Menschenrechtskonvention und des Weltpaktes für bürgerliche und politische Rechte diese Rechte einzufordern, auch wenn das irgendwelchen Kollegen von der SPD nicht gefällt.
({0})
Der Bundesregierung ist die Rechtslage sehr wohl bekannt. Sie nimmt diese Rechte im Interesse von betroffenen Menschen dort in Anspruch, wo sie zum Erfolg führen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
({0})
- Herr Abgeordneter Gansel hat zu einer Zusatzfrage das Wort.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident, daß Sie mir Gehör verschaffen.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie sich den Umstand, daß die Opposition von der Bundesregierung Gespräche mit Bürgerrechtlern verlangt, die sich zum Teil nach wie vor als kritische Kommunisten verstehen, obwohl diese Leute unter Zugrundelegung der Auffassung der Opposition über die Beschäftigung im öffentlichen Dienst keine Chance hätten, in einem CDU-regierten Land als Dozenten einer Volkshochschule tätig zu sein?
({0})
Ich bin bereit, über diese Frage nachzudenken. Aber ich gehe davon aus, daß ich meinen Platz hier nicht dazu benutzen sollte, kritische Bemerkungen über die Opposition zu machen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatsminister, zurückkommend auf die Frage meines Kollegen Jäger ({0}), möchte ich Sie fragen: Hat der Bundeskanzler wenigstens den Versuch gemacht, einen für beide Teile annehmbaren Termin zu vereinbaren?
Ich sage Ihnen noch einmal: Ich verstehe Ihre Fragen überhaupt nicht. Derjenige, der um einen Termin gebeten hat, ist mit
der gefundenen Lösung voll zufrieden gewesen. Das hat er auch der Öffentlichkeit mitgeteilt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Nordlohne.
Herr Staatsminister, ist Ihren vorhin gegebenen Antworten zu entnehmen, daß der Herr Bundeskanzler zu einem anderen Zeitpunkt an einem Gespräch mit Herrn Amalrik interessiert ist?
Ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler jetzt über alles informiert ist, was Herr Amalrik gesagt hat. Ich sehe keinen Grund dafür, daß ein weiteres Gespräch stattfindet. Der Bundeskanzler ist ausführlich informiert. Ich hoffe, das Sie das beruhigt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedmann.
Herr Staatsminister, würden Sie mir bestätigen, daß die Opposition nie verlangt hat, Herrn Amalrik im deutschen öffentlichen Dienst zu beschäftigen?
Mir ist nicht bekannt, ob die Opposition etwas Derartiges verlangt hat oder verlangen wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob der Führer der Opposition oder einer Landesregierung verhaftete und ausgewiesene Bürgerrechtler aus Chile je empfangen hat, etwa dann, wenn ein solcher, wie z. B. in Baden-Württemberg, hier nicht beschäftigt worden ist?
({0})
Da ich mich mit dieser Frage sehr intensiv beschäftigt habe, weiß ich genau, daß die Bundesregierung in mehr als einem Land der Bundesrepublik Schwierigkeiten gehabt hat, entlassene politische Häftlinge unterzubringen.
({0})
Zu einer letzten Zusatzfrage zu dieser Frage erteile ich dem Abgeordneten Graf Huyn das Wort.
Herr Staatsminister, wären Sie, nachdem Sie ein ausführliches Gespräch mit Herrn Amalrik geführt haben - auch ich hatte Gelegenheit, ein mehrstündiges Gespräch mit ihm zu führen - und deswegen wohl einen in vielem übereinstimmenden Eindruck von ihm gewonnen
haben werden, bereit, Herrn Kollegen Gansel darüber zu informieren, daß Herr Amalrik ganz sicher kein Bürgerrechtler ist, der sich zu einem wie immer gearteten Kommunismus bekennt, sondern daß er sich bekennt zu den Grundsätzen der Freiheit?
({0})
Während des Gesprächs, das ich mit Herrn Amalrik geführt habe, hat er sich mindestens dreimal auf den - ich zitiere wörtlich - großen Lenin berufen. Das nur zu Ihrer Information.
({0})
Ich rufe die Fragen 145 und 146 des Abgeordneten Franke auf. Die Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 147 des Abgeordneten Spranger auf:
Warum enthält die vom Presse- und Informationsamt herausgegebene Dokumentation zur Entspannungspolitik der Bundesregierung" nicht unter der Rubrik „Verträge, Abkommen und Vereinbarungen" die Resolution des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972, statt sie lediglich im Anhang zu verzeichnen, und warum fehlen die zu den Verträgen ergangenen Urteile des Bundesverfassungsgerichts, ohne die die Verträge -insbesondere dem normalen Bürger - gar nicht verständlich sind?
Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Bölling zur Verfügung.
Herr Abgeordneter Spranger, bei der Broschüre handelt es sich um eine Zusammenfassung von Dokumenten zur Entspannungspolitik der Bundesregierung, wie Sie wissen. Diese Dokumentation enthält alle Verträge und Vereinbarungen sowie die unmittelbar dazugehörigen Noten und Protokollvermerke, die die Bundesregierung mit osteuropäischen Staaten und mit der DDR geschlossen hat.
Die Entschließung dieses Hohen Hauses vom 17. Mai 1972 gehört nicht unmittelbar zu diesen Dokumenten. Gleichwohl ist die Resolution des Deutschen Bundestages in der Broschüre wiedergegeben. Da der Deutsche Bundestag jedoch ein anderes Verfassungsorgan ist und sich die Resolution außerdem auf mehrere Vertragswerke bezieht, geschah das im Anhang. Daß die Bundesregierung die Entschließung für wichtig hält, wird durch einen Abschnitt in der Einleitung und durch die Hervorhebung im Inhaltsverzeichnis deutlich.
Ähnlich verhält es sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Auch das ist ein Dokument eines anderen Verfassungsorgans. Darauf, daß das umfangreiche Urteil nicht in die Dokumentation aufgenommen wurde, hat bereits die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeskanzler, Frau Schlei, im August 1975 in einem Schreiben an den Abgeordneten Dr. Strauß hingewiesen. Das konnte jedenfalls nicht so gedeutet werden, ,daß die Bundesregierung die Bedeutung des Urteils nicht habe sichtbar machen wollen; das war von Frau Schlei seinerzeit ausgeführt worden. Im Gegenteil, auf Seite 220 der Broschüre wird auf das Urteil selbst sowie auf die
vom Bundespresseamt herausgegebene Gesamtdokumentation zu dem Urteil verwiesen.
Außerdem darf ich Sie davon informieren - oder Sie auch nur daran erinnern -, daß der Wortlaut des Karlsruher Urteils vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in einer Gesamtauflage von immerhin 240 000 Exemplaren herausgebracht worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, ist es ein zufälliger Fehler, daß die Resolution des Bundestages als Beschluß der Fraktionen bezeichnet wird, und ergibt sich aus diesem Fehler nicht auch ein Hinweis darauf, daß man eine völkerrechtlich verbindliche Resolution des Deutschen Bundestages in ihrer völkerrechtlichen Substanz bewußt abgewertet hat?
Nein, ich kann dieser Einschätzung nicht folgen, Herr Abgeordneter Spranger; denn die Plazierung an sich bedeutet, wie Sie mir vielleicht zugeben werden, ja genauso wie die Reihenfolge keine Wertung des Dokuments. Dieses wichtige Dokument ist aus den von mir geschilderten Gründen in extenso im Anhang gedruckt und im Inhaltsverzeichnis graphisch ausdrücklich hervorgehoben.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung noch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes, das in seinem Urteil eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, daß die gesamten Ostverträge nur auf der Basis dieses Urteils zu interpretieren sind, und wäre es unter dem Gesichtspunkt nicht unbedingt erforderlich, die übrigen Dokumente, die ja ebenfalls in dieser Beurteilung interpretiert werden müssen, hinzuzufügen?
Ich glaube, daß der Zusammenhang dadurch, daß das Dokument weiter hinten plaziert ist, überhaupt nicht in Frage gestellt wird. Dieses wichtige Dokument ist in dem Sammelband enthalten.
({0})
Daraus politische Schlußfolgerungen zu ziehen, daß das Urteil nicht ernst genommen wird, ist nach meiner Meinung nicht möglich.
({1})
Herr Abgeordneter, Sie haben keine weitere Zusatzfrage.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Möller.
Herr Staatssekretär, wird der dokumentarische Wert Ihrer Broschüre auch damit besonders betont, daß die Resolution des Deutschen Bundestages im Inhaltsverzeichnis auf den 17. März 1972 datiert ist, obwohl sie, wie jeder weiß, am 17. M a i 1972 gefaßt wurde.
Hierbei kann es sich nur um einen Druckfehler handeln. Wir werden ihn, wenn er in der neuesten Edition noch enthalten sein sollte, selbstverständlich korrigieren.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin auf den Umfang des Urteils des Bundesverfassungsgerichts verwiesen und damit begründet haben, warum es nicht in dieser Broschüre enthalten ist, frage ich Sie, warum dann nicht wenigstens die Leitsätze, in denen die tragenden Gründe des Urteils in Kernpunkten dargestellt sind, ebenfalls im Anhang dieser Broschüre dargestellt worden sind, da die Verträge, vor allem der Grundlagenvertrag, nur in dieser Interpretation Wirksamkeit erlangt haben.
Ich konnte, Herr Abgeordneter Jäger, schon darauf hinweisen, daß in unserer Dokumentation ein Hinweis auf das Urteil enthalten ist. Ich glaube, daß jeder interessierte Bürger oder jeder, der sich mit dieser Thematik gründlicher zu beschäftigen wünschte oder in Zukunft zu beschäftigen wünscht, von dem Urteil in jeder belie- bigen Menge Exemplare erhalten kann. Ich habe ja darauf hingewiesen, daß in einer Auflagenhöhe von immerhin einer Viertelmillion das Urteil durch uns gedruckt und auch verteilt worden ist an alle, die daran interessiert waren.
Eine weitere Zusatzfrage Herr Abgeordneter Rawe.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage des Kollegen Spranger nicht beantwortet haben, darf ich Sie noch einmal fragen, warum Sie einen Beschluß dieses Hohen Hauses als einen Beschluß der Fraktionen gekennzeichnet haben und nicht als einen Beschluß des Deutschen Bundestages als Verfassungsorgan.
({0})
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich die Frage vorhin vielleicht akustisch nicht genau verstanden habe. Ich kann Ihnen darauf in diesem Augenblick keine Antwort geben, was diese Bezeichnung angeht. Aber entscheidend ist doch, daß diese Resolution so, wie sie damals von diesem Hohen Hause verabschiedet worden ist, im vollen Text dargestellt ist.
({0})
- Gut, dann werden wir dieses korrigieren. Jedenfalls bitte ich Sie, darin nicht ein politisches Motiv zu argwöhnen.
Eine weitere Zusatzfrage Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, ist aus Ihrer Antwort an Herrn Kollegen Spranger zu entnehmen, daß die Bundesregierung diesen Beschluß des Bundestags nicht zu einem völkerrechtserheblichen Dokument im zwischenstaatlichen Verkehr gemacht hat?
Ich habe nur darauf hingewiesen, Herr Abgeordneter Graf Staffenberg, daß man bei der Plazierung davon ausgegangen ist, daß es sich hier um die thematische Zusammenfassung mehrerer Verträge handelt. Daß sich damit in keiner Weise ein Werturteil ausdrückt, das glaubte ich bereits hinlänglich erklärt zu haben.
Ich rufe die Frage 148 des Abgeordneten Gerlach ({0}) auf:
Treffen die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 2. März 1977 ({1}) über die unter V. 1. genannten Kosten von 10 Millionen DM für die als verfassungswidrig festgestellte Anzeigenserie zu?
Herr Abgeordneter Gerlach, das Bundesverfassungsgericht spricht auf Seite 38 seiner Entscheidung von einem Einsatz öffentlicher Mittel in einer Größenordnung von 10 Millionen DM für eine Reihe großformatiger Anzeigenserien. Diese Angabe liegt etwas zu hoch. Die 14 Anzeigen in Tageszeitungen und die zehnmal fünf sogenannten Multianzeigen in der „Bunten Illustrierten", die zehn Anzeigen im „Spiegel" und die fünf Anzeigen in Fernseh- und Rundfunkzeitungen zum Thema Renten haben insgesamt rund 7,5 Millionen DM gekostet.
Eine Zusatzfrage.
Wollen Sie, Herr Staatssekretär, mit Ihrer Antwort sagen, daß sich das Bundesverfassungsgericht geirrt hat, und worauf würden Sie diesen Irrtum zurückführen, da die Bundesregierung ja im Prozeß vertreten war?
Herr Abgeordneter Gerlach, nein, das will ich nicht; denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil auch zwei Faltblätter beanstandet. Wenn Sie deren Kosten diesem Betrag, den ich Ihnen eben nennen konnte, hinzurechnen, wird ungefähr dieser Betrag von 10 Millionen DM erreicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerlach.
Sind außer dem nunmehr genannten Gesamtbetrag von 10 Millionen DM weitere Beträge, die in dieses Kapitel fallen,
seitens der Bundesregierung aufgewandt worden, die vom Bundesverfassungsgericht nicht berücksichtigt worden sind?
Nein, es sind genau jene Anzeigen, von denen ich hier eben gesprochen habe. Der Betrag rekrutiert sich aus den Veröffentlichungen, gegen die das Bundesverfassungsgericht Einwände erhoben hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engholm.
Herr Staatssekretär Bölling, wird die Bundesregierung eine völlig neue Konzeption auf diesem Sektor entwickeln? Konkret auf die Frage bezogen: werden Sie etwa künftig jetzt keine Anzeigen mehr schalten?
Nein, Herr Abgeordneter Engholm, wir werden auch künftig das Mittel der Anzeigen weiter verwenden. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mit noch sehr viel größerer Klarheit als 1966 in einem Urteil zur Parteienfinanzierung die Öffentlichkeitsarbeit nicht nur als unbedenklich, sogar als notwendig ausdrücklich anerkannt. Ich denke, daß auch die Damen und Herren Abgeordneten der Opposition bestätigen werden, daß fortan für die Bundesregierung so gut wie für die Länderregierungen in der Bundesrepublik Deutschland die Notwendigkeit besteht, über komplizierte Probleme, überhaupt über Probleme den Bürger zu unterrichten, damit er urteilsfähig ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung angesichts des Interesses der Öffentlichkeit nicht für nötig, einmal eine Übersicht über das Volumen verfassungswidriger Anzeigen seit 1949 zu machen und dafür auch eine gemeinsame Preisbasis festzulegen, um zu einem wirklichen Vergleich über die Menge solchen verfassungswidrigen Handelns und deren Kosten zu kommen?
Herr Abgeordneter Dr. Sperling, ich fände es nicht schwierig, zu dokumentieren, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich gesagt hat: daß hier nicht allein diese Bundesregierung adressiert worden ist mit den kritischen Bemerkungen des Karlsruher Gerichtes, sondern alle Bundesregierungen seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland und auch alle Länderregierungen. Ich glaube, man sollte die Kommentierung des Urteils durch den Präsidenten des zweiten Senats ernst nehmen und jetzt gemeinsam mit den Länderregierungen - wozu ich bereits auf meiner Ebene eingeladen habe - versuchen, einen Konsensus darüber herzustellen, was im Interesse der sachlichen Information des Bürgers fortan von Bundesregierungen und Länderregierungen zu geschehen hat. Die Notwendigkeit der Öffentlichkeitsarbeit ist vom Karlsruher Gericht überhaupt nicht in Zweifel gezogen worden.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedrich.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von der Bayerischen Staatsregierung die Mitteilung erhalten, daß die Bayerische Staatsregierung künftig in Wahlkämpfen darauf verzichten wird, in Anzeigen die Bundesregierung anzugreifen und zu Gegenanzeigen zu provozieren?
({0})
Herr Abgeordneter Friedrich, eine solche Mitteilung haben wir noch nicht bekommen. Aber ich gehe davon aus, daß bei der Zusammenkunft mit den Länderpressechefs, von der ich vorgeschlagen habe, daß sie ohne großen Zeitverzug in den allernächsten Wochen stattfindet, auch der Pressechef des Freistaates Bayern mit uns in der Einschätzung dessen, was jetzt notwendig ist, übereinstimmt und daß es fortan nicht mehr möglich sein wird, daß ohne Not die Bayerische Staatsregierung in ihren Anzeigen gegen die Bundesregierung polemisiert.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Möller.
Herr Staatssekretär, wer ist für die Herausgabe dieser Anzeigen mit Kosten in Höhe von etwa 10 Millionen DM im Rahmen der Bundesregierung verantwortlich?
Die Verantwortung für die Anzeigen, die das Bundesverfassungsgericht mit kritischen Zensuren versehen hat, trägt das Bundespresseamt in Zusammenarbeit mit den Ressorts; denn es wird Ihnen vielleicht erinnerlich sein, daß nahezu alle der von uns in Tageszeitungen veröffentlichten Anzeigen Sachinformationen vermittelten und in jedem Fall mit den zuständigen Ressorts genau abgestimmt waren.
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Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, war nicht auch der mangelhafte Wahrheitsgehalt der Anzeigen der Bundesregierung mit Anlaß für die Verfassungswidrigkeitserklärung?
Herr Abgeordneter, dieses werden Sie weder im Tenor des Urteils noch in
der ausführlichen Begründung durch den zweiten Senat des Verfassungsgerichts angedeutet finden.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, festzustellen, daß die Bayerische Staatsregierung erstens nicht ohne Not, sondern zur Richtigstellung irreführender Äußerungen der Koalitionsparteien über die Vergabe von Bundesmitteln an die einzelnen Bundesländer,
({0})
zweitens nicht in polemischer Form, sondern in höchst sachlicher Weise dies in ihren Anzeigen festgestellt hat, und sind Sie drittens bereit, auch den Unterschied festzustellen, der zwischen solchen Aktionen der Bundesregierung, die über das ganze Bundesgebiet verteilt werden, und derjenigen der Bayerischen Staatsregierung besteht,
({1})
was zu einer Inkongruenz bei denjenigen Ländern führt, die von der gleichen Regierungskoalition regiert werden wie gegenwärtig der Bund?
Herr Abgeordneter Graf Huyn, ich bin weder das eine noch das andere anzuerkennen bereit. Wenn Sie Zeit hätten, würde ich Sie gern dazu einladen, am Beispiel der Anzeigen eine komparierende Studie und eine Diskussion darüber zu führen.
({0})
Es kommt darauf an, wo im Vokabular ohne zwingenden Grund polemisiert oder wo richtiggestellt wird. Ich wäre mühelos in der Lage, Ihnen z. B. an dieser Wandzeitung nachzuweisen - Wandzeitungen sind oft sehr interessant, auch wenn sie nicht aus Peking, sondern aus München kommen -,
({1})
daß es hier mitnichten um sachliche Information ging. Herr Abgeordneter, das war unter einem rein professionellen Gesichtspunkt gut gemacht; aber das ist wohl nicht im Sinne der Fragestellung Ihres Fraktionskollegen Graf Huyn. Hier wird jedenfalls derb polemisiert, und die Tatsache, daß dies vielleicht handwerklich ganz gelungen ist, exkulpiert nicht diejenigen, die unrichtige Behauptungen auf dieser Wandzeitung über die Bundesregierung verbreitet haben.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rawe.
H err Staatssekretär, der Herr Kollege Möller hatte Sie nach der Verantwortung
gefragt. Sie sind seiner Frage ausgewichen. Sie sind Bundespressechef. Warum sind Sie nicht so frei, sich tatsächlich zu Ihrer Verantwortung zu bekennen, statt sich dauernd hinter anderen Ressorts zu verkriechen?
Herr Abgeordneter, ich habe überhaupt keine Veranlassung, mich hinter anderen Ressorts zu verkriechen. Ich habe nur deutlich machen wollen, daß das Bundespresseamt im Interesse einer optimal sachlichen Information für fachlich informierende Anzeigen die Fachkenntnis eines jeden Ressorts braucht.
({0})
Zu der Verantwortung auch für die inkriminierten Anzeigen bekenne ich mich ohne jede Einschränkung, Herr Abgeordneter.
({1})
Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Jahn.
Herr Staatssekretär, im Anschluß an die Frage des Kollegen Huyn frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt oder können Sie dem Hause sagen, in welcher „Notlage" sich die Bayerische Staatsregierung seinerzeit befunden hat oder befunden haben könnte und ob sie möglicherweise sogar in einem rechtfertigenden Notstand gehandelt hat, als sie die Anzeigen veröffentlichte?
Herr Abgeordneter, ich kann für Anzeigen oder Wandzeitungen wie diese, die ich hier immer noch in der Hand halte, und auch handwerklich wiederum sehr eindrucksvoll gemachte Broschüren aus dem weiß-blauen Bundesland kein anderes Motiv erkennen als jenes, daß man durch etwas Polemik das Interesse des Publikums vielleicht mehr erregt als durch eine sachliche Darstellung.
({0})
Herr Staatssekretär Bölling, es steht dem amtierenden Präsidenten nicht zu, ein Mitglied der Bundesregierung oder einen beamteten Staatssekretär zu ermahnen. Ich möchte Sie aber herzlich bitten, bei der offiziellen Bezeichnung der jeweiligen Länder zu bleiben,
({0})
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Tatsachen bekannt, die darauf schließen lassen könnten, daß die „Notlage", aus der die
I Regierung des Freistaates Bayern diese Anzeigenserie geschaltet hat, durch Druck verursacht worden ist, den der Abgeordnete des Bundestages Franz Josef Strauß auf diese Landesregierung ausgeübt hat?
Ich möchte mich über die Machtstrukturen innerhalb des Bundeslandes Bayern nicht äußern. Das steht mir nicht zu, Herr Abgeordneter.
Darf ich mir eine weitere Bemerkung erlauben. Der Bundesregierung steht selbstverständlich jederzeit das Recht zu, auf eine Frage nicht zu antworten.
({0})
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zugestehen, daß das verfassungsmäßige Kontrollrecht über Ausgaben der Bayerischen Staatsregierung der Bayerische Landtag einschließlich der dort vertretenen - wenn auch zahlenmäßißig kleinen - SPD-Opposition, aber nicht der Staatssekretär des Bundespresse- und Informationsamtes hat?
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Czaja, in der Fragestellung, in der Sie fragen, habe i ch Ihnen das selbstverständlich zuzugestehen. Aber ich habe erstens - wie jeder Bürger in diesem Land - ja die Möglichkeit, mir ein eigenes Bild über solche Anzeigen zu machen. Zweitens ist das Urteil des Karlsruher Verfassungsgerichtes, wie Sie gesehen haben werden, Herr Abgeordneter Dr. Czaja, ausdrücklich auch an die Adresse einiger oder überhaupt aller Bundesländer gerichtet.
({0})
Herr Abgeordneter, wir können keine Zwischenrufe über das Mikrofon zulassen.
Zu der letzten Zusatzfrage zu dieser Frage hat der Abgeordnete Riedl das Wort.
Herr Staatssekretär, um hier nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, daß die Qualität der Anzeigen der Bundesregierung mit der Qualität der Informationsarbeit der bayerischen Staatsregierung gleichzusetzen wäre, frage ich Sie:
({0})
Hätten Sie die Freundlichkeit, aus der Ihnen vorliegenden sogenannten Wandzeitung der bayerischen Staatsregierung einige aus Ihrer Sicht besonders bemerkenswert erscheinende Formulierunge vorzulesen?
({1})
Herr Abgeordneter Riedl wir haben, was Sie nicht wundernehmen wirk außer dieser Wandzeitung noch manche Belege für die Effizienz der Öffentlichkeitsarbeit der Presse stelle von Ministerpräsident Goppel. Ich könnt Ihnen aber auch hieraus einiges vorlesen.
({0})
Es beginnt schon in den allerersten Sätzen:
Ein wohlbestelltes Haus hat die SPD/FDP- Regierung 1969 in Bonn übernommen. Damals war die Mark noch viel mehr wert als heute.
({1})
- Ihr Beifall überrascht mich nicht; darauf zielt ja wohl auch die Frage des Herrn Abgeordnete Riedl.
Inflationspolitik und Aufnahme von Kredite
haben den Wert der harten Mark schwinde
lassen. Sie ist heute nur noch 54 Pfennig wer
({2})
Dies sind alles Argumentationen, die viele Mal widerlegt worden sind. Es ist eine Anzeige, in de rundum verschwiegen wird, welche Leistungen dies Bundesregierung und die Bundesregierung unte Bundeskanzler Brandt erbracht haben. Dieses is wie Ihnen jeder Nationalökonom bestätigen wird eine Milchmädchenrechnung.
({3})
Ich rufe die Frage 149 de Abgeordneten Gerlach ({0}) auf:
Wie hoch waren die Personalkosten für die im Urteil vo 2. März 1977 ({1}) unter V. 1. aufgeführte Anzeigenserie und wie viele Bedienstete des Bundes sind wie lange mit dies Anzeigenserie befaßt gewesen?
Herr Abgeordneter, für den „Arbeitsbericht '76" sind Mittel in Höhe vo insgesamt 385 000 DM aufgewendet worden. Di Vertriebskosten sind darin enthalten.
Für die Herstellung der Broschüre „Unsere sozial Sicherung" des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sind seinerzeit 621 000 DM aufgewendet worden. An Versandkosten fielen insgesamt 21 000 DM an.
({0})
- Ich bitte um Nachsicht.
Ihre Frage darf ich wie folgt beantworten, Herr Abgeordneter. Bereits gegenüber dem Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung erklärt, daß sich die Ausgaben für Personal, das bei einzelnen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt worden ist, nicht sachgerecht schätzen lassen; vor allem deshalb nicht, weil sich die Öffentlichkeitsarbeit aus sehr verschiedenartigen Aufgaben zusammensetzt und die Bediensteten in sehr unterschiedlichem Umfang damit beschäftigt waren. Es kann aber gesagt werden, daß diese Kosten im Verhältnis zu der für die Herstellung und für die Streuung der Anzeigen aufgewendeten Mittel nicht erheblich sind. Aus den gleichen Gründen ist es nicht möglich, festzustellen, wieviele Bedienstete wie lange mit dieser Anzeigenserie befaßt gewesen sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Wie hoch, Herr Staatssekretär, würden Sie also die nach Ihrer Meinung unerheblichen Ausgaben und Kosten schätzen, und wie hoch würden Sie die „unerhebliche" Aktivität der Bediensteten wenigstens einschätzen?
Ich habe eben in meiner Antwort, Herr Abgeordneter Gerlach, schon deutlich zu machen versucht, daß dies nicht zu errechnen ist. Wenn ich sage, daß das nicht erheblich gewesen ist, so will ich damit ausdrücken, daß hier immer nur einige sachkundige Beamte oder Angestellte einmal mit einer Anzeige dieses und einmal mit einer Anzeige eines anderen Themas beschäftigt gewesen sind. Die Vorstellung also - falls Sie diese andeuten wollten -, daß das Bundespresseamt mit mehr als 700 Bediensteten über Monate nur mit diesen Anzeigen beschäftigt gewesen sei, ist deshalb völlig unrealistisch.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung angesichts der in den eben gegebenen Antworten zu den Fragen 148 und 149 festgestellten Gesamtkosten der die Chancengleichheit bei der Wahl verletzenden Publikationen in Höhe von nach meiner Schätzung nunmehr über 100 Millionen DM - Sie können das ja widerlegen - für ausgeschlossen, daß das Wahlergebnis zugunsten der Koalitionsparteien dadurch beeinflußt worden ist?
({0})
Herr Abgeordneter, ich darf Sie vielleicht anregen, die ausführliche Kommentierung des Urteils von Karlsruhe durch Herrn Professor Biedenkopf anzusehen. Sie werden darin nicht nur finden, daß auch er spontan dieses Urteil auf alle Regierungen seit Gründung der Bundesrepublik bezogen hat, sondern Sie werden darin auch die Überlegung vermissen, daß dieses Urteil womöglich Anlaß zu einer Wahlanfechtung sei.
Prinzipiell darf ich auf Ihre Frage antworten, daß wir unsere Öffentlichkeitsarbeit auf der Grundlage einer Rechtsauffassung gemacht haben, die seit Bestehen der Bundesrepublik zwar in diesem Hohen Hause gelegentlich umstritten war, die aber auch unter meinen Vorgängern, z. B. unter dem jetzt zum Intendanten des ZDF gewählten früheren Regierungssprecher, Herrn von Hase, nicht angezweifelt worden ist.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben selbst zugegeben haben, daß Mitarbeiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung mit Aufgaben befaßt waren, die nunmehr als verfassungswidrig erklärt worden sind, und da nunmehr der Personalbestand des Presse- und Informationsamtes 706 Mitarbeiter beträgt, bitte ich Sie, doch einmal dem Deutschen Bundestag mitzuteilen - auch unter dem Gesichtspunkt der laufenden Etatberatungen -, wieviel Personal nach Ihrer Schätzung insbesondere in der Abteilung „Inland" durch den jetzigen Wegfall dieser Aufgaben eingespart werden kann.
Herr Abgeordneter Wohlrabe, ich habe vorhin schon einmal das Karlsruher Urteil zitieren können mit der Feststellung, daß Öffentlichkeitsarbeit nicht nur legitim oder, wie es seinerzeit im Urteil über die Parteienfinanzierung geheißen hat, unbedenklich, sondern, wie es jetzt am 2. März geheißen hat, notwendig sei. Genauso, wie ich vermute, daß Sie in der Entwicklung der nächsten Jahre eine ganze Reihe von Problemen und Themenkreisen erkennen, bei denen eine Durchleuchtung, bei denen eine sachliche Information notwendig ist, gehe ich davon aus, daß wir in der Zukunft in unserem Amt alle Leute brauchen, die dafür zuständig sind, um diese wichtige Aufgabe im Interesse aller Bürger dieses Staates vernünftig und sachgerecht lösen zu können. Ich habe daher nicht die Idee, auf Ihre Anregung einzugehen.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Sperling.
Herr Staatssekretär, können Sie schätzen, wie groß der Anteil Ihrer Mitarbeiter im Bundespresseamt ist, der sich schon unter früheren, CDU/CSU-geführten Regierungen an die verfassungswidrige Praxis so gewöhnt hatte, daß es selbstverständlich erschien, dies so fortzusetzen?
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Sperling, ich habe über die Geschichte des Bundespresseamtes meine eigenen Vorstellungen, halte es aber als Beamter nicht für richtig, mich zu Ihrer Frage konkret zu äußern.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Voss.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zum Zwecke der Feststellung der tatsächlich entstandenen Kosten unverzüglich eine Sonderprüfung durch den Bundesrechnungshof zu veranlassen?
Herr Abgeordneter, ich sehe dafür keine Notwendigkeit. Die Kosten unserer Öffentlichkeitsarbeit einschließlich jener, die nach Meinung des Karlsruher Verfassungsgerichts nicht in Ordnung war, sind bekannt. Ich hatte die Gelegenheit, im Sommer des vergangenen Jahres in einer Fragestunde dieses Hohen Hauses entsprechende Fragen zu beantworten. Es gibt also für eine Prüfung durch den Bundesrechnungshof aus diesem Anlaß keinen Grund.
Im übrigen wird alles, was bei uns getan und bezahlt wird, ohnehin Jahr für Jahr vom Bundesrechnungshof kritisch geprüft.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Friedrich.
Herr Staatssekretär, ich möchte die Bundesregierung in Anlehnung an die Frage nach der Quantität der Öffentlichkeitsarbeit und in Anlehnung an den Satz des Bundesverfassungsgerichts:
Ein parteiergreifendes Einwirken von Staatsorganen auf die Wahlen zur Volksvertretung ist auch nicht zulässig in der Form von Öffentlichkeitsarbeit
fragen, ob sie einmal eine Mehrfarbenillustrierte in einer Auflage von über zwölf Millionen verteilt hat, was dem entspräche, was die Bayerische Staatsregierung in einer Auflage von mehr als zwei Millionen in Bayern verteilt hat.
({0})
Herr Abgeordneter Friedrich, ich kann Ihnen ohne Wenn und Aber sagen: Dies ist von uns nicht nur nie geschehen, sondern von uns auch niemals erwogen worden. Im übrigen verspreche ich mir von der Begegnung mit den Pressechefs der deutschen Bundesländer, daß für die Zukunft eine solche Öffentlichkeitsarbeit, die ja dann ein klarer Verstoß gegen die jetzt von Karlsruhe entwickelten Prinzipien und Kriterien wäre, ausgeschlossen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir bestätigen, daß die von Ihnen erstaunlich niedrig gehaltenen Betriebskosten deshalb so
niedrig waren, weil zigtausend von Sozialdemokraten auf Grund des einseitigen Inhalts bereit waren, den kostenlosen Vertrieb zu übernehmen?
Herr Abgeordneter, mit Ihrer Frage berühren Sie einen Aspekt des Karlsruher Urteils, der auch unter Verfassungsrechtlern, und zwar unabhängig von ihrem politischen Standort, nach wie vor umstritten ist. Es gibt wie Sie vielleicht wissen, zu diesem Punkt ein abweichendes Urteil
({0})
- ein Votum, sehr richtig, Herr Abgeordneter Wohlrabe - des Verfassungsrichters Rottmann. Jedenfalls wird auch unter Kennern des Verfassungsrechtes in Zweifel gezogen, ob die Auflage des Karlsruher Verfassungsgerichts realitätsbezogen ist, in der es heißt, daß uns, der Bundesregierung, auferlegt wird, zu verhindern, daß unsere Veröffentlichungen den Parteien zur Verteilung zugestellt werden.
Ich möchte hinzufügen, daß, da wir gehalten sind, uns nach diesem Kriterium auszurichten, die Verteilungskosten fortan sicherlich höher sein werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Antwort bekannt, die der jetzt gewählte Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens und damalige Staatssekretär und, wie es im Protokoll des Bundestages heißt, Bundespressechef, Herr von Hase, in der Fragestunde vom 14. Mai 1965 auf meine Frage erteilt hat, wie denn die Abgrenzung zwischen Information und Wahlpropaganda vorgenommen werden könne? Sie lautete:
Ich glaube, die Frage stellt sich nicht. Wenn der Regierungschef seine Regierungspolitik vertritt, ist das nicht Wahlpropaganda, sondern ein gesetzlicher Auftrag, den das Presse- und Informationsamt hat.
({0})
Herr Abgeordneter Jahn, diese Auskunft, die Sie damals von dem soeben zum ZDF-Intendanten gewählten Chef des BPA, Herrn von Hase, bekommen haben, scheint mir ein anderer Beweis für die Richtigkeit der in der deutschen Presse vertretenen Meinung zu sein, daß er auch für dieses Amt besonders qualifiziert ist.
({0})
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Waigel.
Darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob bereits Kontakte mit den Schatzmeistern von SPD und FDP stattgefunden haben, um eine Rückerstattung der in verfassungswidriger Weise verwandten Steuergelder in die Bundeskasse zu erreichen?
Herr Abgeordneter, wir haben unmittelbar nach dem Urteil die Parteien angeschrieben und sie wissen lassen - darüber habe ich schon einige Bemerkungen machen können --, daß die Frage der Verteilung künftig neu geregelt werden muß.
Wenn Sie auf die Frage des Regresses anspielen, so darf ich noch einmal das Argument in Erinnerung rufen, das ich hier schon vor einigen Minuten habe vortragen können: Die Öffentlichkeitsarbeit dieser Bundesregierung, aller Bundesregierungen und aller Regierungen der Länder hat sich als Staatspraxis auf die Rechtsauffassung gegründet, daß Öffentlichkeitsarbeit, so wie sie bisher betrieben wurde, legitim sei. Man hat dabei immer gewußt, Herr Abgeordneter, daß in der Selbstdarstellung einer jeden Regierung auch eine werbende Wirkung enthalten sei. Das ist damals der Sozialdemokratischen Partei entgegengehalten worden, als sie in der Opposition war. Es ist sicherlich sehr schwierig - und alle werden es schwierig finden, die Öffentlichkeitsarbeit machen -, eine saubere, völlig klare, niemals mehr zu Kontroversen Anlaß gebende Grenzziehung zwischen einer sachlichen Darstellung und einer auch werbende Wirkung erzeugenden Öffentlichkeitsarbeit zu ziehen, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die noch anstehenden Fragen, die dem Inhalt nach artverwandt sind, möchte ich jetzt die Worterteilungen für Zusatzfragen beschränken. Die Damen und Herren, die sich gemeldet haben, kommen selbstverständlich noch zum Zuge.
Frau Abgeordnete Simonis zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie unter Umständen auch gewillt, diese Frage mit Herrn Leisler Kiep zu besprechen, um bei ihm einmal nachprüfen zu lassen, wie er den Haushalt der CDU kürzen will, um die bis 1969 eingesparten Mittel für Öffentlichkeitsarbeit an die Regierung zurückzuzahlen?
({0})
Frau Abgeordnete Simonis, diese Anregung ist interessant, aber es ist nicht meines Amtes, ihr nachzugehen. Ich gehe davon aus, daß das kritische, ich zögere nicht, zu sagen: selbstkritische Nachdenken über die Bedeutung des Karlsruher Urteils nicht auf die Bundesregierung beschränkt bleiben wird, sondern daß es für alle Betroffenen Anlaß sein wird, sich Gedanken zu machen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, die Kollegen Friedrich und Jahn sachkundig zu machen, indem Sie sie darauf hinweisen, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil diese Bundesregierung verurteilt hat?
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Herr Abgeordneter, ich muß mich hier - ich bitte um Entschuldigung - wiederholen. Ich habe mit keiner Silbe in Abrede gestellt, daß dieses sehr prinzipielle Urteil an diese Bundesregierung adressiert ist. Aber wenn Sie das Urteil genau lesen - Sie dürfen mir glauben, daß ich es etliche Male gelesen habe,
({0})
vor allem die politisch relevanten Stellen -, werden Sie feststellen, daß es ausdrücklich an alle Regierungen seit Bestehen dieses Staates und ausdrücklich auch an alle Regierungen der Länder adressiert ist, so daß niemand Anlaß hat, dieses Urteil beiseite zu legen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, würden sie der anderen Seite ins Gedächtnis zurückrufen, was aus dem bezeichnenderweise so genannten Reptilienfonds unter einer sozialliberalen Regierung geworden ist, aus dem in früheren Zeiten andere Bundesregierungen Maßnahmen finanziert haben, durch die massiv und unkontrolliert durch Parlament oder andere Gremien Einfluß auf die öffentliche Meinung genommen worden ist?
({0})
Herr Abgeordneter Hansen, ich glaube, daß es solcher Hinweise auf die Geschichte mindestens bei etlichen Abgeordneten der Opposition nicht bedarf, weil sie eine sehr genaue Vorstellung haben, was mit dem Wort „Reptilienfonds" an Politik verbunden gewesen ist. Ich stelle meinerseits mit Genugtuung fest, daß, seit ich Verantwortung für das Bundespresse- und Informationsamt habe, dieser Titel faktisch gleich Null ist und ich in Wahrheit bereit wäre, jedem die einzelnen Posten, die davon noch vorhanden sind, die übriggeblieben sind, vorzuzeigen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Rühe.
Herr Staatssekretär, plant die Bundesregierung, wenn die Broschüren und Faltblätter nicht mehr durch die Koalitionsparteien verteilt werden können, den Aufbau einer eigenen Vertriebsorganisation, etwa auch in Form mobiler Informationsstände?
({0})
Abgeordneter, weder die Absicht, eine ADK zu gründen,
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die sich seinerzeit mit aktiver Unterstützung des Bundespresseamtes außerhalb der Wahlkampfzeiten betätigt hat, noch haben wir die Absicht, eine neue Form der „Mobilwerbung" zu organisieren.
({2})
Ich vertraue darauf, daß nach einer gründlichen Analyse des Urteils solche Vertriebswege für legitim erklärt werden, die mit einem Minimum an Steuergeldern finanziert werden können.
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Herr Abgeordneter Möllemann verzichtet auf eine Zusatzfrage.
Dann darf ich Sie mit einer Zusatzfrage einschieben, Herr Abgeordneter Schäfer. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, würden Sie vielleicht dem Hohen Hause mitteilen, in welcher Form früher das Presse- und Informationsamt rechtlich selbständige Nebenbetriebe, wie z. B. „Deutsche Korrespondenz", unterhalten hat, so daß die Mittel gar nicht im Haushaltsplan des Presse- und Informationsamtes ausgewiesen wurden, sondern aus dem Reptilienfonds unmittelbar in die „Mobilwerbung", in die sogenannten „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise", in die „Deutsche Korrespondenz" und in mehr als zwei Dutzend andere rechtsfähige eigene Institutionen geflossen sind, mit denen die früheren Bundesregierungen Propaganda gemacht haben?
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Herr Abgeordneter Professor Schäfer, ich kann als Beamter hier nicht gegen die Geheimhaltungspflicht verstoßen und Ihre Frage im Detail beantworten. Aber so viel ist mir sicherlich erlaubt zu sagen, daß es Verträge zwischen den beiden Organisationen, von denen bereits die Rede war, aber auch der von Ihnen soeben apostrophierten Korrespondenz und dem Bundespresseund Informationsamt gegeben hat und daß diese Organisationen ohne die zum Teil beträchtlichen Zuschüsse des BPA mit Gewißheit nicht lebensfähig hätten sein können.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß ein Fragesteller nach der Geschäftsordnung zwei Zusatzfragen hat. Ein Abgeordneter, der nicht Fragesteller ist, hat eine Zusatzfrage. Ich bedaure daher sehr, Herr Abgeordneter Jahn; Ihr Kontingent ist bereits ausgeschöpft. Wir kommen jetzt aber zu einer neuen Frage, die artverwandt ist. Ich bin überzeugt, Sie bringen Ihre Frage auch da noch unter.
({0})
Ich rufe die Frage 150 des Abgeordneten Rawe auf:
Wieviel Kosten sind dem Bund durch die Herstellung und den Vertrieb durch die unter V. 2. a) bb) der Gründe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977 ({1}) aufgeführten Publikationen "Arbeitsbericht '76" des Bundespresseamts und "Unsere soziale Sicherung" des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung entstanden?
Herr Abgeordneter, das war jene Frage, die ich vorhin versehentlich schon beantwortet habe.
Für den „Arbeitsbericht '76" sind Mittel in Höhe von insgesamt 385 000 DM aufgewendet worden - die Vertriebskosten sind darin enthalten -, für die Herstellung der Broschüre „Unsere soziale Sicherung" 621 000 DM; davon entfielen 21 000 DM auf die Versandkosten.
Wenn Sie erlauben, daß ich Ihre zweite Frage gleich mit beantworte, so mit dem Hinweis, Herr Abgeordneter, daß ich vorhin schon dem Abgeordneten Gerlach sagen konnte, daß die Personalkosten im Sinne seiner Fragestellung nicht zu errechnen, aber auch nicht erheblich sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rawe.
Herr Staatssekretär, wenn Sie schon glauben, die Personalkosten jetzt nicht im Detail angeben zu können, sind Sie dann freundlicherweise bereit, dem Hohen Hause gegebenenfalls schriftlich mitzuteilen, wieviel Personalkosten Sie insgesamt für die verfassungsmäßig beanstandeten Anzeigen und andere Publikationen aufgewendet haben?
Herr Abgeordneter, das kann ich schriftlich so wenig tun, wie ich es hier in der Beantwortung Ihrer Frage tun kann, weil sich dies tatsächlich nicht errechnen läßt.
Ich habe vorhin schon darauf hinweisen können: Einmal ist ein Beamter oder ein Angestellter, der sich mit Gesundheitspolitik beschäftigt, hinzugezogen worden, ein anderes Mal einer, der sich mit Energiefragen auskennt und hier mit dem zuständigen Ministerium zusammengearbeitet hat. Dies ist eine Frage, die auch dann, wenn ich die besten Verwaltungsfachleute daransetze, nicht beantwortbar ist.
Ich darf daraus also den Schluß ziehen, daß Sie nicht immer wissen, was in Ihrem Hause vorgeht?
O nein, Herr Abgeordneter, dieser Schluß wäre völlig verfehlt. Ich habe Ihnen schon deutlich gemacht, daß nicht etwa ein Drittel oder ein Viertel oder ein Fünftel des Bundespresseamtes in Tag- und Nachtarbeit diese Anzeigenkampagnen entworfen hat, sondern daß ein Mitarbeiter vielleicht einmal für zwei Stunden mit dem Konzipieren einer Anzeige beschäftigt war und dann wieder wochenlang gar nicht. Dadurch wollte ich
verdeutlichen, daß sich Ihre Frage konkret nicht beantworten läßt.
({0})
Herr Abgeordneter Rawe, wenn ich unterstelle, daß Ihre Zwischenfrage ohne Worterteilung - ({0})
- Ihre zweite Frage ist noch nicht aufgerufen worden.
({1})
- Herr Staatssekretär, dann wollen wir uns doch darauf verständigen, daß Sie dann, wenn Sie den Wunsch haben, zwei Fragen zusammengezogen zu beantworten,
({2})
dies dem amtierenden Präsidenten mitteilen. Er wird sich dann darum bemühen, daß Sie die Genehmigung des Fragestellers dafür bekommen.
Ich rufe also nachträglich die bereits beantwortete Frage 151 des Abgeordneten Rawe auf:
Wieviel Personal- und Verwaltungskosten sind für diese Publikationen entstanden?
Unter diesen Umständen haben Sie selbstverständlich noch zwei Zusatzfragen, Herr Abgeordneter Rawe.
Vielen Dank, Herr Präsident!
- Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin die Frage des Herrn Kollegen Gerlach, ob die Ausgaben auf den Wahlausgang Einfluß gehabt haben oder nicht, damit beantwortet haben, daß Sie noch einmal auf die Rechtsgrundlagen Ihres Tuns hingewiesen haben, darf ich Sie nunmehr fragen: Glauben Sie, daß Ihre Ausgaben den Wahlausgang beeinflußt haben, ja oder nein?
Herr Abgeordneter, diese Frage läßt sich, auch wenn Sie das nicht befriedigen mag, nicht mit Ja oder Nein beantworten, denn die Methoden - auch die allermodernsten Methoden - der Kommunikationswissenschaft erlauben nicht einen solchen Wirkungszusammenhang zweifelsfrei festzustellen.
Wir haben informiert, wir haben die Leistungen der Regierung dargestellt, und zwar, wie ich schon im vergangenen Jahr in einer Fragestunde habe sagen können, offensiv dargestellt mit dem Ziel, Informationen zu vermitteln.
Die Frage, in welchem Maße solche Leistungsdarstellungen einer Regierung die Wahlentscheidung eines Bürgers beeinflussen, Herr Abgeordneter, ist nicht zum Positiven und auch nicht zum Negativen zuverlässig zu beantworten. Entscheidender sind - das allerdings wissen wir aus empirischen Untersuchungen - die Äußerungen der Politiker, entscheidender sind die Äußerungen und die Programme und die Leistungen der Parteien und der Regierung. Dies ist nicht meßbar. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich diese Ihre Frage nicht präzise beantworten kann.
Da Sie den Wert und den Erfolg Ihrer Öffentlichkeitsarbeit also selber als zweifelhaft ansehen, frage ich Sie, warum Sie dafür überhaupt Geld aufwenden wollen.
Herr Abgeordneter, auf diese Frage mußte ich nach Ihrer Einleitung vorbereitet sein. Aber ich habe bereits mehrere Male darauf hingewiesen, daß eine Leistungsdarstellung einer Regierung so wie in den Tagen, als Professor Ludwig Erhard Bundeskanzler war und Herr von Hase für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war,
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den Zweck hat, dem Bürger Informationen zu geben, was immer er später als kritischer Staatsbürger in der Wahlzelle oder schon im Vorfeld einer Wahl daraus macht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, wenn diese Dokumentation schon so viel gekostet hat, frage ich Sie: Können Sie dem Hohen Hause wenigstens Angaben darüber machen, inwieweit die Publikation „Unsere soziale Sicherung" von der Wirklichkeit abgewichen ist, wenn ich nicht sagen will: mit den Tatsachen überhaupt nicht übereinstimmt?
(Dr. Schäfer ({0})
Herr Abgeordneter, ich habe keinen Zweifel, daß alle Angaben, die darin gedruckt sind, tatsächlich zutreffen.
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Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, muß Ihre Antwort, daß die Verwaltungs- und Personalkosten nicht einmal geschätzt werden können, in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck hervorrufen, daß diese Kosten außerordentlich hoch wären?
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Herr Abgeordneter Jäger, ganz im Gegenteil. Ich habe vorhin schon eine kurze Illustration für die Art zu geben versucht, wie einzelne Angestellte und Beamte an dieser Kampagne mitgewirkt haben. Ich darf Sie, wenn Sie in diesem
) Punkt insistieren, doch bitten, sich den Umfang der vom Bundesverfassungsgericht als nicht in Ordnung bezeichneten Anzeigen anzusehen. Daraus werden Sie entnehmen, daß für dieses vergleichsweise bescheidene Volumen so viele Angestellte und Beamte meines Hauses gar nicht haben tätig sein können.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die vielen interessierten Fragen von der Gegenseite des Hauses, auch wenn sie nicht zu einer Aktuellen Stunde ausgereicht haben, es unter Umständen doch gerechtfertigt erscheinen lassen, den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages einzuschalten, um en detail und sehr genau darzustellen, wie die Öffentlichkeitsarbeit der Regierungen seit 1949 aussieht, und diese Darstellung vielleicht auch mit den einzelnen Ländern zu vergleichen?
Frau Abgeordnete Simonis, ich habe in diesem Hohen Hause schon im vergangenen Jahr auf eine Frage eines der Herren Abgeordneten der Opposition anregen können, daß hierüber einmal eine Doktorarbeit geschrieben wird. Ich bin sicher, sie würde von einem politisch interessierten Verlag übernommen und hätte sogar Chancen, in Bonn und außerhalb von Bonn zu einem Bestseller zu werden.
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Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hartmann.
Herr Staatssekretär Bölling, hatten Sie das Motiv, mit den für verfassungswidrig erklärten Publikationen das Wahlergebnis zu beeinflussen?
Selbstverständlich nicht. Ich habe genau wie die Vorgänger, die Verantwortung hatten - von Herrn von Eckardt über Herrn von Hase bis zu Herrn Diehl -, die Absicht, die Leistungen der Regierung darzustellen, und - das räume ich Ihnen ein - genau das Motiv meiner Vorgänger, das Licht der Regierung dabei nicht unter den Scheffel zu stellen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, sind Sie unter Umständen gewillt, der Opposition des Hauses schriftlich mitzuteilen, wer der Verfasser der Doktorarbeit ist, was die Doktorarbeit unter Umständen kosten würde und wo man sie beziehen kann? Dann könnten die vielen Fragen hier ein bißchen abgekürzt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben mit Sicherheit festgestellt, daß ich diese Fragestunde am langen Zügel ablaufen ließ.
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Ich würde aber bitten - und ich spreche meine Bitte jetzt zum zweitenmal aus -, im Hinblick auf die noch folgenden Fragen, die miteinander artverwandt sind, ein bißchen in der Hinsicht zu dosieren, daß sich nicht alle die zu den einzelnen Fragen melden, die zu dem ganzen Komplex Fragen stellen wollen. Wir kommen mit Sicherheit nicht durch. Trotzdem möchte ich genauso verfahren wie vorhin: Wer sich bereits gemeldet hat, kommt selbstverständlich zum Zug.
Frau Abgeordnete Simonis, Ihre Frage, was die Doktorarbeit kostet, war noch nicht beantwortet.
Frau Abgeordnete, ich bin jederzeit bereit, mit Rat zur Seite zu stehen, habe mich aber, was Tat angeht, als Beamter zurückzuhalten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneten Jahn.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Antwort des damaligen Staatssekretärs von Hase auf meine Frage in der Fragestunde vom 14. Mai 1965 bekannt, in der ich nach den Kosten der Anzeigenserie „Mitbürger fragen - der Kanzler antwortet" - es handelte sich damals um Bundeskanzler Erhard - gefragt habe, welche lautete:
Die Kosten der Anzeigenaktion sind außerordentlich wirtschaftlich. Unter verschiedenen Möglichkeiten ist die Informationsanzeige dasjenige Medium, das nach den Erfahrungen des Presseund Informationsamtes und nach den Erfahrungen der Werbewirtschaft am wirtschaftlichsten ist und die höchste Anzahl von Kontaken zum geringsten Preis herstellt. Pro mutmaßlichen Leser beträgt der Preis etwa 0,4 bis 0,7 Pf.
Sind Sie bereit, nun vergleichbare Berechnungen für andere Tatbestände anzustellen?
({0})
Herr Abgeordneter, mir war diese Antwort des damaligen Chefs des Bundespresseamtes gut bekannt. Das wird sie nicht überraschen. Ich glaube, die von ihm dort begründete Ansicht ist prinzipiell unverändert richtig. Ich gehe davon aus, daß wir in der Darstellung wichtiger Probleme, z. B. der vielfältigen Aspekte der Kernenergie, auch künftig von Anzeigen in Tageszeitungen Gebrauch machen werden, weil sie - im Sinne der Argumentation des Herrn von Hase - wirtschaftlich sind.
Herr Abgeordneter Möller, Sie haben sich nicht ans Mikrophon begeben; ich unterstelle, Sie wollen von der „Meldeliste" gestrichen werden. - Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Friedmann.
Herr Staatssekretär, nachdem ja wohl nicht zu bestreiten ist, daß die hier in Rede stehenden Publikationen während des Wahlkampfes den politischen Meinungsbildungsprozeß der Bevölkerung wesentlich beeinflußt haben, möchte ich Sie fragen: Inwieweit betrachtet sich diese Bundesregierung unter moralischen Gesichtspunkten als noch zu Recht im Amt?
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Herr Abgeordneter, ich habe diese Frage, die sinngemäß vorhin schon gestellt wurde, bereits beantwortet. Ich habe darauf hingewiesen, daß Herr Professor Biedenkopf in seiner Kommentierung diese konkrete Überlegung überhaupt nicht angestellt hat. Und wenn ich richtig gelesen habe, hat auch der Vorsitzende Ihrer Fraktion, der Abgeordnete Dr. Kohl, solche Konsequenzen, wie Sie sie andeuten, überhaupt nicht erwogen. Nein, wir haben solche Zweifel nicht. Ich habe vorhin schon darlegen können: Wir haben nicht Parteipropaganda gemacht,
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sondern wir haben, die werbende Wirkung dabei durchaus kalkulierend, Selbstdarstellung der Regierung veröffentlicht.
({1})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß zur Zeit der Bildung der Großen Koalition eine Klage der SPD-Fraktion beim Bundesverfassungsgericht eingereicht war, die denselben Wortlaut hatte wie die Klage, die jetzt zu diesem Urteil geführt hat, und daß zur Rettung unserer damaligen Gemeinschaft bei der Bildung der Großen Koalition die CDU/CSU die Zurücknahme dieser Klage, die die SPD-Fraktion damals eingereicht hatte, verlangte, so daß gar kein Grund zu irgendwelcher moralischer Aufregung auf dieser Seite des Hauses bestehen kann?
({0})
Herr Abgeordneter Sperling, das ist sicherlich eine von mir als dankenswert empfundene Erinnerung an einen Sachverhalt, den ich so, wie Sie ihn soeben formuliert haben, nur bestätigen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Wissenschaftlichen Dienst alle in Ihrem Haus befindlichen Unterlagen über die Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung seit 1949 zur Verfügung zu stellen, um eine objektive
Dokumentation dieser Öffentlichkeitsarbeit zu ermöglichen?
Herr Abgeordneter Hansen, soweit diese Dokumente, Papiere und Schriftwechsel nicht der Geheimhaltung unterliegen, möchte ich jedem dabei behilflich sein, endlich mit Legenden, die es allerdings nur in den Köpfen von wenigen gibt, Schluß zu machen.
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Zu einer letzten Zusatzfrage Abgeordneter Möllemann.
Herr Staatssekretär, wir haben ja in den letzten Tagen gesehen, daß diese Bundesregierung durch fast nichts aus der Fassung gebracht werden kann.
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Brächte es Sie sehr aus der Fassung, wenn auch nur ein einziger Kollege von seiten der CDU/CSU bereit wäre, das in Rede stehende Urteil einmal selbstkritisch auf sich selbst zu beziehen?
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Herr Abgeordneter Möllemann, ich darf mit dem Blick auf den Abgeordneten Professor Biedenkopf sagen, daß er jedenfalls in seiner Kommentierung sogleich - zutreffend und wahrheitsgetreu - das von ihm zu Recht als prinzipiell wichtig eingestufte Urteil auch auf die Länderregierungen bezogen hat. In der Tat glaube ich, daß es dort genug selbstkritische Leute gibt - ich hoffe, auch in Bayern -, die jetzt genau wie wir darüber nachdenken, wie wir eine - das ist jedenfalls wirklich mein Wunsch - zuverlässige Grenzziehung finden können.
Ich rufe die Frage 152 des Abgeordneten Rühe auf:
Wie hoch waren die Herstellungs- und Vertriebskosten der im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977 ({0}) unter V. 2. a) aa) genannten Faltblätter?
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir zur Beantwortung der Fragen und Zusatzfragen noch sieben Minuten Zeit haben.
Herr Abgeordneter Rühe, auch hier geht es um die Nennung der Kosten, nämlich in diesem Falle derjenigen für das Faltblatt unter dem Titel „Gemeinsam für weltweite Partnerschaft" des Auswärtigen Amtes, das 1 Million 100 000 DM gekostet hat, und derjenigen für das Faltblatt „Leistung verdient Vertrauen", das einschließlich der Vertriebskosten 60 000 DM gekostet hat.
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Meine Damen und Herren, das Präsidium kann nicht mehr mit Sicherheit feststellen, wer eine Zusatzfrage zu stellen wünscht. Ich bitte also sehr darum, daß die Damen und HerVizepräsident Stücklen
ren, die den Plenarsaal gerade betreten haben und noch stehen, Platz nehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Möller.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie sich vorhin vollinhaltlich zu allen inkriminierten Anzeigen und Faltblättern bekannt haben - so habe ich Sie eben verstanden -, frage ich Sie: Werden Sie dem Steuerzahler, der Bundeskasse den dadurch entstandenen Schaden ersetzen?
Ich habe, Herr Abgeordneter, vorhin schon zur Frage des sogenannten Regresses Stellung genommen. Diese Frage hätte überhaupt nur Bedeutung, Herr Abgeordneter, wenn wir schon im vergangenen Jahr diese vom Verfassungsgericht jetzt festgestellten Kriterien gehabt und gegen sie verstoßen hätten. Aber wie der Präsident des Zweiten Senats ausdrücklich gesagt hat, sollte man sich nicht zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern alle, die es angeht - so hat der Präsident des Zweiten Senats formuliert, und ich finde das sehr überzeugend -, sollten den Blick in die Zukunft richten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, nachdem die Bundesregierung und speziell Sie in Ihrer Eigenschaft als Chef des Bundespresseamtes vor einem Jahr in diesem Hohen Hause auf die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit dieser Anzeigen- und Faltblattkampagne hingewiesen worden sind, frage ich Sie: Fühlen Sie und die anderen Mitglieder der Bundesregierung nicht wenigstens die moralische Verpflichtung, dem Steuerzahler den Schaden für diese verfassungswidrige Aktion zu ersetzen?
({0})
Herr Abgeordneter Jäger, ich habe auf die Frage, die Sie jetzt stellen, mehrere Male geantwortet. Alles, was hier selbstkritisch überlegt werden muß, richtet sich nicht nur an diese Bundesregierung, sondern auch an die Länderregierungen; und wenn Sie schon mit dieser moralischen Elle messen, müssen Sie alle CDU-geführten Regierungen bis 1949 zurück an ihr messen. Ich glaube, wenn solche Vergleiche angestellt werden, wird diese Bundesregierung noch sehr gut dastehen.
({0})
Eine Zusatzfrage Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, haben Sie Erkenntnisse und Hinweise aus der letzten Legislaturperiode, wieviel an Information von den
Kollegen der Opposition von der Bundesregierung zusätzlich zu verschiedenen Gesetzen gefordert wurde und wie hoch etwa die Kosten dafür zu beziffern wären?
Ich bedauere, Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich nicht beantworten.
Zusatzfrage, Abgeordneter Nordlohne.
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin feststellten, das Informationsmaterial der Bundesregierung sei parteipolitisch nicht einseitig ausgerichtet gewesen, darf ich Sie fragen, wieso dann das Verfassungsgericht auf Seite 49 des Urteils zu dem Ergebnis kommt, daß 22 verschiedene vom Presse- und Informationsamt herausgegebene Informationsblätter zu 59,5 % an die Koalitionsparteien und zu nur 0,26 °/o an die Unionsparteien verschickt wurden?
Die Broschüren waren von uns so sachlich gestaltet, Herr Abgeordneter,
({0})
daß es sicherlich wünschenswert gewesen wäre, es hätten sich noch mehr Abgeordnete aus Ihren Reihen ihrer bedient. Aber wir konnten niemandem diese qualitativ überzeugenden Publikationen aufzwingen. Daß sich die die Regierung tragenden Parteien von diesen Publikationen einen informierenden Wert versprachen, wird zwar nun durch das Verfassungsgericht als problematisch angesehen) aber ich glaube, es ist immer normale politische Praxis gewesen, daß sich die Parteien der Veröffentlichungen bedient haben, welche die Regierung stellten.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich bitten, Platz zu nehmen. Es ist gänzlich ausgeschlossen, daß eine Fragestunde ordnungsgemäß abgewickelt werden kann, wenn sich so viele Kollegen in unmittelbarer Nähe der Mikrofone stehend aufhalten.
Immerhin kann ich eindeutig ausmachen, daß Sie, Herr Abgeordneter Steger, eine Zusatzfrage stellen möchten. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, liegt vielleicht einer der Gründe dafür, daß die Opposition von dem Informationsmaterial der Bundesregierung - dem zugegebenermaßen sehr sachlichen Informationsmaterial - nicht hinreichend Gebrauch gemacht hat, auch darin, daß Herr Professor Biedenkopf als Generalsekretär seine Organsiationsreform der CDU nicht hat zu Ende führen können und es von daher gewisse organisatorische Probleme bei den Oppositionsparteien gegeben hat?
Ich kann über die Motive, Herr Abgeordneter, warum sich die Opposition unserer Veröffentlichungen nicht bedient hat, nur meine Vermutungen haben. Aber ich stelle doch mit Genugtuung fest - das habe ich schon mehrere Male bereits im letzten Jahr tun können -, daß eine Reihe von Unterorganisationen auch der ChristlichDemokratischen Union von unseren Informationsschriften durchaus Gebrauch gemacht haben,
({0}) vorzugsweise die Junge Union.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind am Ende der Behandlung dieser Frage angelangt.
Die Fragesteller der Fragen 35, 36, 41, 45, 66, 67, 69, 103, 107 bis 114, 116, 117, 125, 126, 137 bis 139, 153 bis 160, 166 und 167 haben dem Präsidium mitgeteilt, daß sie ihre Fragen zurückziehen wollen. Dem ist entsprochen.
Ich rufe die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung auf:
3. Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses
- Drucksache 8/183
4. Wahl der Wahlmänner
- Drucksache 8/184 - ({0})
- Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Das Präsidium wäre den Parlamentarischen Geschäftsführern außerordentlich dankbar, wenn sie in ihren eigenen Reihen darum bitten könnten, daß die Plätze jetzt unverzüglich eingenommen werden; es müssen einige wichtige Mitteilungen zur Abstimmung gemacht werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sollen die Wahlen der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses und der Wahlmänner in einem gemeinsamen Wahlgang durchgeführt werden. Zu den Wahlen muß ich Ihnen jetzt einige Erläuterungen geben. Ich darf um Ihre Aufmerksamkeit bitten, damit von den Mitgliedern dieses Hohen Hauses keine ungültigen Stimmen abgegeben werden.
Nach § 5 Abs. 1 des Richterwahlgesetzes und § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht beruft der Bundestag die 11 Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses und wählt die 12 Männer einschließlich der Stellervertreter nach den Regeln der Verhältniswahl. Zu den beiden Wahlen liegt Ihnen je eine Drucksache vor, die die Wahlvorschläge der drei Fraktionen des Hauses enthalten und gleichzeitig auch als Stimmzettel gelten. Die Drucksache 8/183 - in blauer Farbe - enthält die Wahlvorschläge der Fraktionen und ist zugleich Stimmzettel für die Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses. Die Drucksache 8/184 - in gelber Farbe - enthält die Wahlvorschläge der Fraktionen und ist zugleich Stimmzettel für die Wahl der Wahlmänner. Sie können auf jedem Stimmzettel nur eine Stimme für einen
der zwei Wahlvorschläge der Fraktionen, nicht aber für einzelne Kandidaten abgeben. Bei dem Wahlvorschlag, dem Sie Ihre Stimme geben wollen, müssen Sie ein Kreuz in dem dafür vorgesehenen Kreis anbringen. Die Wahl findet mit verdeckten Stimmzetteln statt. Interfraktionell ist vereinbart worden, von der in § 54 a unserer Geschäftsordnung vorgeschriebenen Benutzung von Wahlzetteln in Anwendung von § 127 der Geschäftsordnung abzusehen.
Zu der im Ältestenrat getroffenen Vereinbarung, beide Wahlen in einem Wahlgang durchzuführen, schlage ich vor, abweichend von dem üblichen Verfahren auf den Namensaufruf zu verzichten. Die Mitglieder des Hauses verlassen statt dessen den Sitzungssaal und treten dann durch die Mitteltür wieder ein und werfen ihre Stimmzettel in die dort aufgestellten Wahlurnen. Dabei wird gleichzeitig die Zahl der Mitglieder, die an der Wahl teilgenommen haben, festgestellt. Ich frage das Haus: ist es mit dieser Regelung - abweichend von der bisherigen Geschäftsordnung - einverstanden? - Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Ich darf davon ausgehen, daß so beschlossen ist.
Beim Eintritt in den Plenarsaal bitte ich folgendes zu beachten. An der Mitteltüre sind rechts und links je zwei Wahlurnen aufgestellt. Die erste Wahlurne auf jeder Seite ist für die Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses bestimmt. Ich bitte Sie, in diese Urnen den blauen Stimmzettel mit der Drucksachenummer 8/183 einzuwerfen. Die zweite Wahlurne auf jeder Seite ist für die Wahl der Wahlmänner bestimmt. Ich bitte Sie, in diese Urnen den gelben Stimmzettel mit der Drucksachennummer 8/184 einzuwerfen. Ich gehe davon aus, daß alle Mitglieder des Hauses die beiden vorhin genannten Drucksachen, die als Stimmzettel verwendet werden, auf ihren Pulten vorliegen haben.
({1})
- Wenn inzwischen diese blauen und gelben Stimmzettel nicht mehr vorhanden sein sollten, bekommen Sie außerhalb des Plenarsaales solche Stimmzettel zusätzlich ausgehändigt.
Ich darf Sie nunmehr bitten, den Saal zu verlassen und dabei die Stimmzettel mitzunehmen, die auf Ihren Pulten liegen. Die für diesen Wahlgang eingeteilten Schriftführer bitte ich, ihre Plätze an der Tür einzunehmen. Sobald Sie den Saal geräumt haben, werde ich den Wahlgang eröffnen. - Ich eröffne den Wahlgang.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich bitten, Platz zu nehmen. - Ich frage, ob alle Abgeordneten - die Schriftführer bestätigen das bitte -, die an der Abstimmung teilnehmen wollten, ihre Stimme abgegeben haben. - Das ist der Fall. Damit schließe ich den Wahlvorgang. Die Auszählung findet in den südlichen Wandelhallen statt. Das Ergebnis wird sobald wie möglich bekanntgegeben.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Vizepräsident Stücklen
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost
- Drucksache 8/185 Zur Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrats der Deutschen Bundespost liegt Ihnen auf Drucksache 8/185 ein interfraktioneller Antrag vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist bei einer Stimmenthaltung angenommen.
Meine Damen und Herren, da das Ergebnis der Abstimmung noch einige Zeit auf sich warten lassen wird, schlage ich vor, daß wir mit der Beratung des Tagesordnungspunktes von heute vormittag - Zwanzigstes Rentenanpassungsgesetz, Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz, Neuntes Anpassungsgesetz KOV - fortfahren.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem gestern die Stellungnahme der CDU/CSU-Fraktion zu den vorliegenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung vorlag, hatte ich eine Weile die Hoffnung, daß es möglich sein würde, doch in einem großen Teil dieses Bereichs zu Gemeinsamkeiten zu kommen. Diese Hoffnung haben die beiden Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, die Abgeordneten Franke und Geisenhofer, leider zerstört. Sie haben mich vor die Frage gestellt,
({0})
mit wem denn nun Gemeinsamkeiten bestehen. Ich will Ihnen an einem Beispiel der Beiträge des Abgeordneten Franke und des Herren Abgeordneten Geisenhofer deutlich machen, in welche Verwirrung ich durch diese beiden Beiträge gekommen bin.
Meine Damen und Herren, in den Beschlüssen der CDU/CSU-Fraktion von gestern, veröffentlicht im Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, steht zur Frage der Krankenversicherung der Rentner - ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren -:
Eine Festschreibung der Zahlungen der Rentenversicherung für die Krankenversicherung der Rentner ist abzulehnen, weil sie systemwidrig ist. Die Krankenversicherung soll vielmehr für die Alterseinkünfte mit Lohnersatzfunktion mindestens den Beitragssatz erhalten, den auch die aktiv Versicherten jeweils zu zahlen haben.
Auf der Basis dieser Beschlüsse hat dann der Kollege Franke als erster Sprecher seiner Fraktion folgendes gesagt - ich zitiere aus dem Protokoll, das inzwischen vorliegt -:
Die Beitragsdynamisierung der Zahlungen der
Rentenversicherung für kranke Rentner schlagen wir weiterhin vor. Dies erfordert im Zeitraum bis 1980 schätzungsweise 5,5 Milliarden DM Aufwand bei der Rentenversicherung.
Dies kann man ja wohl beides nicht anders interpretieren, als daß von dem gegenwärtigen Beitragssatz von 11,3 % ausgehend eine Angleichung entsprechend möglicher Entwicklungen der Beiträge in der Krankenversicherung stattfinden sollte, also erst einmal auf 11,3 % zurückgeführt wird.
Der Kollege Geisenhofer dagegen, der nächste Redner der CDU/CSU-Fraktion, erklärt laut Protokoll folgendes:
Die vorgesehene Kürzung der Ausgaben der Rentenversicherung für die Krankenversicherung der Rentner von bisher 17 auf 11 % und die gleichzeitige Anhebung der Beitragsgrenze in der Krankenversicherung von 2 098 DM auf 2 550 DM finden keine Zustimmung der CDU/ CSU-Fraktion.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wo sind denn hier nun die Differenzen, zwischen Herrn Franke und Herrn Geisenhofer oder zwischen der CDU und der CSU?
({1})
Da sollten wir doch einmal wissen, wer von Ihnen beiden verbindlich gesprochen hat.
({2})
- Wenn Sie hier verbindlich für die CDU/CSU-Fraktion gesprochen haben, kann nur einer von Ihnen die Meinung der CDU/CSU-Fraktion wiedergegeben haben.
({3})
Beide Aussagen widersprechen sich komplett.
({4})
- Verehrter Herr Biedenkopf, daß es unter meinem Niveau sein soll, diametral entgegengesetzte Äußerungen klarzustellen und die verehrte Opposition um Aufklärung darüber zu bitten, wer denn nun verbindlich für die Fraktion gesprochen hat, verstehe ich nicht.
({5})
Ich glaube, ein federführender Minister hat ein Recht darauf, von der Opposition zu erfahren,
({6})
wer denn nun für die CDU/CSU-Fraktion verbindlich Erklärungen abgeben kann. Diesen beiden Texten vermag ich es nicht zu entnehmen. Ich bitte gnädigst um Aufklärung.
Herr Geisenhofer, bitte.
Herr Arbeitsminister, nehmen Sie zur Kenntnis, daß kein Widerspruch zwischen unseren Aussagen besteht. Wir lehnen die Festschreibung bei 11 % ab. Das ist der gemeinsame Nenner.
Herzlichen Dank, Herr Geisenhofer! Sie haben nur nicht von Festschreibung gesprochen, sondern Sie haben laut Protokoll davon gesprochen - ich habe es soeben vorgelesen -, daß Sie eine Kürzung von 17 auf 11 °/o ablehnen. Das ist ja wohl ein Unterschied zu dem, was Herr Franke gesagt hat. Wenn Sie jetzt Ihre Äußerungen von vorhin zurücknehmen - herzlichen Dank dafür -, denn wissen wir, worum es geht.
({0})
Dann hat der Kollege Franke hier eine Reihe von Statistiken vorgeführt, mit denen er zeigen wollte, wie schlecht es einer Vielzahl von Rentnern in diesem Lande geht.
({1})
Herr Kollege Franke und auch Sie, Herr Kollege Geisenhofer, der Sie diese Statistiken auch gebracht haben, Sie hätten zumindest hinzufügen müssen, wie diese Statistiken wohl heute aussähen, wenn die sozialliberale Koalition unter der Federführung von Walter Arendt nicht 1972 die Rentenberechnung nach Mindesteinkommen eingeführt und damit Ungerechtigkeiten für alle langjährigen Beitragszahler beseitigt hätte.
({2})
- Wenn wir das nicht getan hätten, verehrter Kollege Geisenhofer,
({3})
dann sähen diese Statistiken noch viel trauriger aus, als. Sie sie heute hier vorgeführt haben.
({4})
- Ach, ich bitte Sie! Was haben Sie denn damals gemacht, Herr Jenninger? Sie haben zugestimmt und sind auf den fahrenden Zug gesprungen, um noch mitzukommen.
({5})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Aber bitte sehr!
Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, daß die Rente nach Mindesteinkommen auf Grund eines Gesetzentwurfs
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus dem Jahre 1971 eingeführt worden ist?
({0})
Sie ist von der sozialliberalen Koalition in die Rentenreform 1972 eingebaut und von
uns allen gemeinsam verabschiedet worden.
({0})
- Ja, bitte! Nur, ohne unsere Rentenreform wäre das nie geschehen. Tun Sie doch nicht so, als wären Sie von selber darauf gekommen.
({1})
- Allmählich. ist es genug der Zwischenfragen.
Herr Bundesminister, keine weitere Zwischenfrage?
Im Moment nicht mehr.
({0})
- Auch Ihre Qualifizierungen können mich wenig stören. Es kommt nämlich jetzt darauf an, das hier deutlich zu machen, was der Abgeordnete Franke der Bundesregierung nachzusagen versucht hat, indem er ihr vorwarf, daß sie die Rentenformel zerstöre, von der bewährten Rentenformel abweiche, während er gleichzeitig einen Vorschlag unterbreitet hat, der genau das tut. Damit Sie, Herr Kollege Franke, auch genau wissen, worum es hier geht, will ich Ihnen das an einem Beispiel ganz deutlich machen.
Sie haben gefordert - und dies hier ausführlich begründet -, einen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag für alle Renten über 440 DM einzuführen,
({1})
und gleichzeitig die Nettoanpassung, wie Sie das genannt haben, abgelehnt.
({2})
- Bitte:
({3})
- Dann haben Sie etwas anderes gesagt, als in den Papieren steht. Gut, das nehme ich zur Kenntnis. Aber auch bei sechshundert ... Mark - ich habe die Zahl jetzt nicht verstanden ({4})
- bei 656 Mark, Herr Kollege Franke, ändert sich
das Problem nur quantitativ, nicht qualitativ. Mit dem, was Sie vorgeschlagen haben - und der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag ist der einzige Vorschlag, der eine echte Minderung der laufenden Renten darstellt; das ist Ihnen doch hoffentlich klar
- haben Sie gefordert, von dem System der untrennbaren Verbindung von Beiträgen und LeistunBundesminister Dr. Ehrenberg
gen in der deutschen Sozialversicherung abzuweichen.
({5})
und gestaffelte Renten einzuführen: für die, die viel an Beiträgen gezahlt haben, ein Stückchen weniger als für die, die wenig an Beiträgen gezahlt haben. Das, Herr Franke, ist Ihr Vorschlag, und das ist eindeutig eine Abkehr von dem Prinzip der Rentenformel, beitragsgerechte Leistungen zu zahlen.
({6})
- Das ist kein Unsinn, Herr Franke, das ist die nackte Tatsache.
Sie werfen uns vor, von der Rentenformel abzuweichen, weil wir so, wie es seit 1957 in der RVO steht, den Abstand zwischen dem Jahr der Anpassung und dem dreijährigen Durchschnitt, auf dessen Basis die Anpassung erfolgt, wieder auf ein Jahr reduzieren werden, nachdem er einige Jahre lang, nämlich von 1958 bis 1972, durch die von Ihnen unterlassene Anpassung 1958 auf zwei Jahre ausgedehnt worden war. Das ist keine Auflösung der Rentenformel, sondern eine Herstellung ihrer Substanz, Herr Franke, und nichts anderes. Ich würde Sie herzlich bitten, dieses Stück der Entwicklung in Zukunft bei Ihren Ausführungen zu berücksichtigen.
Die Bundesregierung denkt nicht daran, von der bewährten dynamischen bruttolohnbezogenen Anpassung abzuweichen.
({7})
Und wenn in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehen ist, in den Jahren 1979 oder 1980, wenn die wirtschaftliche Situation es erfordert, davon bis zur Auffanggrenze der Nettolöhne abzuweichen,
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dann ausschließlich, um zu verhindern, daß wieder etwas Ähnliches wie 1958 geschieht, daß nämlich eine Anpassung ganz unterbleibt. Das wollen wir nicht, und das werden wir nie zulassen.
({9})
So allein ist diese Auffanggrenze der Nettolöhne zu verstehen - und nicht als der von Ihnen prophezeite Übergang zur Nettoanpassung.
Und dann noch eines zu Ihnen, Herr Franke: Sie haben ausführlich von der Überversorgung im öffentlichen Dienst gesprochen. Ich habe das sehr aufmerksam verfolgt. Ich bin allerdings der Meinung, daß wir bei der Vorbereitung der notwendigen Veränderungen für 1984, bei der notwendigen Gleichstellung der Hinterbliebenenversorgung für Männer und Frauen auch die hohen Differenzierungen zwischen dem öffentlichen Dienst und der gewerblichen Wirtschaft einer sorgfältigen Betrachtung unterziehen müssen. Und ich kann nur hoffen, verehrter Kollege Franke, daß Sie dann für die heute von Ihnen angemeldeten Zweifel an diesen Unterschieden zwischen öffentlichem Dienst und gewerblicher Wirtschaft in Ihrer Fraktion eine Mehrheit finden werden, wenn es darauf ankommt, das zl, Legradigen.
({10})
Aber, meine Damen und Herren, noch viel notwendiger ist eine Korrektur einiges dessen, was der Abgeordnete Geisenhofer hier gesagt hat,
({11})
was ein Rückfall in den Wahlkampfstil war, wie wir ihn eigentlich hinter uns gebracht haben sollten.
({12})
- Das allerdings, Herr Kollege Kohl, muß ich hier sagen. Denn wenn der Abgeordnete Geisenhofer davon spricht, der Bundesregierung sei eine Fortsetzung des Rentenbetrugs mit anderen Mitteln vorzuwerfen
({13})
- danke sehr! -, muß ich den Abgeordneten Geisenhofer fragen, wen er wohl mit der Formulierung „Rentenbetrug" gemeint hat
({14})
und ob er nicht mehr weiß, daß es sein damaliger Parteivorsitzender und heutiger Partei- und Fraktionsvorsitzender gewesen ist, der von allen Parteivorsitzenden als erster, auch vor der Bundesregierung, die Erhöhung der Renten zum 1. Juli 1977 verkündet und die Sozialgarantie ausgesprochen hat.
({15})
Wenn Sie hier so große Worte und so schlimme Verdächtigungen aussprechen, Herr Abgeordneter Geisenhofer, dann bitte auch an die Adresse Ihres Fraktions- und Parteivorsitzenden und nicht an die Bundesregierung!
({16})
Meine Damen und Herren, noch schlimmer und mit parlamentarischen Ausdrücken eigentlich nicht mehr zu charakterisieren ist das, was Herr Abgeordneter Geisenhofer hier zur Kriegsopferversorgung gesagt hat.
({17})
Er redete davon, daß die Kriegsopfer wieder ungerechtfertigt zur Kasse gebeten würden; so drückte sich Herr Geisenhofer aus. Ich glaube, auch Sie, Herr Geisenhofer, müßten wissen, daß die Kriegsopferleistungen - ich muß wiederholen, was ich in der Einbringungsrede gesagt habe - von 1970 bis 1976 so hoch gestiegen sind wie nie zuvor, nämlich die Kriegsopferrenten um 117 % und die Witwenrenten um 134 %. Sie, Herr Abgeordneter Geisenhofer, sollten wissen, daß es erst die sozialliberale Koalition unter Federführung von Walter Arendt gewesen ist, die die Kriegsopfer aus dem unwürdigen Zustand befreit hat, daß sie Jahr für Jahr erst Protestmärsche nach Bonn veranstalten mußten, bevor sie die Anpassungen ihrer Rentenleistungen bekamen. Erst diese Koalition hat den unwürdigen
Zustand beendet, der durch das entstanden war, was Sie zwei Jahrzehnte lang versäumt haben.
({18})
Wenn man sich dann hinstellt und mit einem solchen Ton, wie Sie ihn gewählt haben, über die Kriegsopferversorgung spricht, dann ist das Fortsetzung des Wahlkampfs in diesem Hause, verehrter Herr Abgeordneter, und nichts anderes.
({19})
Trotz der Verabschiedung des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs werden in den beiden Jahren 1977 und 1978 die jährlichen Anpassungen der Kriegsopferleistungen im Durchschnitt höher sein, als die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer im gleichen Zeitraum steigen werden. Niemand kann wohl im Ernst sagen, Herr Abgeordneter Geisenhofer, daß bei diesem Zustand die Kriegsopfer zur Kasse gebeten würden, wenn sie auch in diesen Jahren höhere Leistungsanpassungen bekommen, als die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer gleichzeitig steigen werden.
({20})
Wenn das der Tatbestand ist, dann sollte es die Würde des Hauses verbieten, gerade gegenüber einem so sensiblen Bereich wie dem der Kriegsopferversorgung solch verfälschende und verzerrende Darstellungen von diesem Pult aus zu geben, wie es Herr Abgeordneter Geisenhofer getan hat.
({21})
Ich muß im Hinblick auf das hohe Maß an Leistungen, das wir in der Kriegsopferversorgung erbracht haben und weiterhin erbringen werden, entschieden zurückweisen, was hier dazu gesagt worden ist.
({22})
Eine letzte Bemerkung. So wie Herr Abgeordneter Geisenhofer hier davon gesprochen hat, die Kriegsopfer würden zur Kasse gebeten, so wird immer wieder versucht, den. Eindruck zu erwecken, als würde die Bundesregierung die sozialen Leistungen der Zukunft kürzen. Dabei geht es bei den Rentenleistungen wie bei den Kriegsopferleistungen um nichts anderes als um die Verlangsamung der Zuwachsraten zur Anpassung an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
Ich bin sehr sicher, meine Damen und Herren von der Opposition, trotz solcher bedauernswerter Beiträge, wie der Abgeordnete Geisenhofer sie hier gegeben hat: Die Bürger in unserem Lande werden sich nicht davon verwirren lassen. Die Bürger in unserem Lande wissen, daß ihre Renten sicher sind, daß sie sie pünktlich zu jedem Ersten ausgezahlt bekommen, und daß sie am 1. Juli und dann weiterhin mit einer der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßten Erhöhung rechnen können.
({23})
Das garantiert der Generationenvertrag zwischen der arbeitenden und der nicht mehr arbeitenden Bevölkerung in diesem Lande. Dieser Generationenvertrag wird so lange haltbar sein, solange die in diesem Hause regierenden Parteien dafür sorgen, daß das Gleichgewicht zwischen den Leistungen der Beitrag zahlenden Generation und denen der Leistungen empfangenden Generation gewährleistet bleibt. Dieses Gleichgewicht wird durch die Vorlage der Bundesregierung stabilisiert.
Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn Sie, da Sie schon keine materiellen Beiträge zu diesem Gleichgewicht liefern, es wenigstens nicht mit verbalen Entgleisungen stören würden.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blüm.
({0})
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, die Sorgen und Nöte unserer älteren Mitbürger, die Sorgen und Nöte um die Zukunft der Rente, hätten einen anderen Stil der Auseinandersetzung nahegelegt, als ihn der Herr Bundesarbeitsminister bevorzugt.
({0})
Wenn wir hier eine Schimpf-Olympiade veranstalten wollten, Herr Bundesarbeitsminister, gestehe ich Ihnen neidlos zu: Sie haben jetzt schon die Goldmedaille verdient.
({1})
Sie haben meinen Kollegen Geisenhofer gefragt, wieso er zu der Formulierung komme, dies sei die Fortsetzung des Rentenbetrugs mit anderen Mitteln, und darauf verwiesen, daß unser Kanzler-Kandidat, unser Fraktionsvorsitzender Helmut Kohl, wie der Bundeskanzler vor der Wahl die Anpassung für dieses Jahr versprochen hat. Das ist richtig. Der Unterschied ist nur, daß wir bei dem Versprechen geblieben sind, während Sie es nach der Wahl gebrochen haben. Das ist der Unterschied.
({2})
Bei Ihnen ist offenbar der politische Standpunkt vom Zeitpunkt abhängig. Wir sagen dasselbe vor dem 3. Oktober wie nach dem 3. Oktober.
({3})
Ich hätte mich gern der Aufforderung des Kollegen Schmidt ({4}) angeschlossen, heute einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Denn ich glaube, es geht in der Tat darum, die Zukunft zu bewältigen. Die Rentner wollen wissen, wie es um ihre Rente steht, und diejenigen, die heute Beiträge zahlen, wollen wissen, wie hoch morgen ihre Rente ist. Wir haben die verdammte
Pflicht und Schuldigkeit, darauf Antwort zu geben.
Wenn hier aber die sozialdemokratischen regierungsamtlichen Nebelwerferkompanien durch den Saal fahren und die Vergangenheit verdunkeln, dann müssen doch noch ein paar Sätze über die Vergangenheit gesagt werden, weil ich glaube, daß für die Politik dasselbe gilt wie für das private Leben: Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. So weit aber sind Sie eben noch nicht.
({5})
Wenn die Vergangenheit für die Zukunftsbewältigung wichtig ist, dann doch nur, damit wir allesamt aus Fehlern lernen können, aus Erfahrungen klüger werden.
({6})
- Ich bin noch entwicklungsfähig offenbar im
Unterschied zu Ihnen: Sie sind anscheinend beim Höchststand Ihrer Entwicklung angekommen.
({7})
Diese Art ist allerdings, wie Sie wissen, eine Variante von Verkalkung. Aber für Medizin bin ich nicht zuständig.
Die erste Lehre aus der Vergangenheit, die erste Lehre zur Bewältigung der Zukunft lautet also: Wer Krisen nicht rechtzeitig zur Kenntis nimmt, vergrößert sie. Wer Rentenversicherung und Krankenversicherung zu spät saniert, muß mehr sanieren. Die Gesundbeter haben die Krankenversicherung und die Rentenversicherung krank gemacht. Sie, Herr Ehrenberg, haben doch lange Zeit in der ersten Reihe jenès sozialdemokratischen Chors der Medizinmänner gesessen, die die Rentenversicherung gesund gebetet haben. Das sollten Sie heute als Minister doch auch nicht vergessen.
({8})
Die Wirklichkeit verschwindet nicht, wenn wir die Augen vor ihr verschließen.
Und die zweite Erfahrung, auch für die Bewältigung dessen, was uns jetzt aufgegeben ist: Eine Sanierung allein mit dem Rechenstift gibt es nicht. Wir müssen ein Konzept vorlegen, das auf begründbaren Prinzipien beruht.
({9})
Auf Rechenkünstler allein ist kein Verlaß. Offenbar sind wir j a am Ende einer Epoche angekommen, wo Sie glaubten, sozusagen eine Hoch-Runter-Sozialpolitik betreiben zu können: Ist Geld in der Kasse, wird es ausgegeben; ist kein Geld in der Kasse, wird alles wieder zusammengestrichen. Das ist phantasielos und ungerecht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Blüm, sind Sie nicht auch der Meinung, daß zu dem, was Sie als „Gesundbeterei" bezeichnen, z. B. Ihr Vorschlag gehört, bei der Begrenzung der Arzt- und Zahnarzthonorare statt zu einer gesetzlichen Regelung zu einer sogenannten konzertierten Aktion zu kommen?
({0})
Den Unterschied will ich Ihnen gerne erklären, Herr Glombig. Sie versuchen, die Arzteinkommen mit einer bundesweiten Empfehlung in den Griff zu bekommen. Nur, die Arzteinkommen sind höchst unterschiedlich. Das Einkommen eines Kinderarztes ist z. B. weit zurückgeblieben hinter dem des Röntgenologen. Sie scheren, wie in allen sozialpolitischen Fragen, wieder einmal alles über einen Kamm. Ihre Lösungen sind Dampfwalzlösungen.
({0})
- Wir können das Thema gleich an der entsprechenden Stelle noch ausführlich behandeln, und auch Sie, Herr Buschfort, haben Gelegenheit, Ihr Konzept hier zu vertreten.
Lassen Sie mich noch einmal - auch Ihnen, aber ganz besonders den Rentnern draußen - unser rentenpolitisches Konzept darstellen. Wir haben ja die Pflicht, unsere Politik nicht nur im Hause, sondern auch den Betroffenen klarzumachen.
({1})
- Ich werde es ausführlicher tun, als Ihnen lieb ist.
({2})
Wenn wir von Lohnersatzfunktion sprechen - dieser Begriff ist heute morgen ja in Frage gestellt worden -, so müssen wir vorausschicken: Für uns, für die Christlichen Demokraten, für die CDU/CSU ist die Rente kein Geschenk, sondern ein Anspruch, den man sich durch lebenslange Arbeit sauer verdient hat.
({3})
Deshalb haben die Rentner niemandem in diesem Lande und schon gar nicht Herrn Ehrenberg für ihre Rente Dankeschön zu sagen. Die haben sie sich selber verdient.
({4})
Deshalb muß die Rente ein leistungsbezogenes Einkommen sein. Gedanklich handelt es sich bei der Rente j a um nichts anders als um einen Verzicht auf Lohnteile in Gestalt von Beiträgen zugunsten einer späteren Zeit. Es handelt sich um eine zeitliche Verschiebung von Lohnteilen. Das ist der Gedanke der von der CDU/CSU 1957 eingeführten dynamischen bruttolohnbezogenen Rente.
Seinen Niederschlag findet dieser Gedanke freilich in der Solidarität der Generationen. Jede Gene1064
ration behandelt die ihr vorausgehende so, wie sie von der nachfolgenden behandelt werden will. Leistungsgerechtigkeit und Solidarität sind die Fundamente unseres Rentenkonzeptes. Diese Fundamente zerstören Sie, indem Sie den Nettobezug einführen; denn Beiträge werden vom Bruttolohn bezahlt, die Rente wollen Sie jetzt aber an den Nettolöhnen orientieren.
({5})
Da hilft Ihnen alle Rhetorik nichts, Herr Ehrenberg, wenn Sie auf der einen Seite sagen „Wir bleiben beim bruttolohnbezogenen System" und im nächsten Satz sagen „Aber für zwei Jahre oder länger werden wir uns den Nettolöhnen nähern". Mein lieber verehrter Herr Minister, Sie sollten vielleicht dafür sorgen, daß im Bundesarbeitsministerium eine Planstelle eingerichtet wird, mit deren Hilfe man die Argumente sortiert. Sie können nicht in einem Atemzug das Entgegengesetzte sagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?
Wenn Sie gestatten, möchte ich mich noch einen Augenblick mit dem Herrn Bundesarbeitsminister beschäftigen und ihm unsere bruttolohnbezogene Rente erklären.
Ich gebe zu - und das sage ich selbstkritisch -: Wir Sozialpolitiker haben unsere Politik in ein solches Fachchinesisch verklausuliert, daß viele der Betroffenen häufig gar nicht verstehen, was gemeint ist: Nettoprinzip, Beitragsbemessungsgrenze usw. Der „Vorteil" einer solchen Verschlüsselung ist, daß man vor lauter sozialpolitischen Bäumen den Wald nicht mehr sieht und der eigentliche Skandal, der mit dieser Umstellung verbunden ist, hinter dem Kauderwelsch versteckt bleibt.
({0})
Deshalb lassen Sie mich versuchen, jedermann in diesem Lande zu erklären, was denn passiert, wenn auf den Nettolohndurchschnitt umgestellt wird. Lassen Sie mich ein Beispiel nehmen. Wenn der eine 30 °/o, der andere 10 °/o Abzüge hat, dann ist der durchschnittliche Abzug 20 %. Nur frage ich: Warum bekommt der kleine Rentner mit niedriger Rente bei der Bemessung seiner Rente die hohen Einkommen mit den hohen Abzügen in Rechnung gestellt? Damit hat er doch gar nichts zu tun.
({1})
Meine Damen und Herren, ich sage mit vollem Bedacht und ohne den Unterton einer Polemik, sondern nur als Feststellung: Ihre Rentensanierung ist eine Rentensanierung auf dem Buckel der kleinen Rentner.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten sie jetzt Zwischenfragen?
Nein, noch immer nicht.
Sie sind so freundlich und sagen Bescheid?
Ich brauche, wie Sie sehen, etwas mehr Zeit, um unser Konzept verständlich zu machen, weil es offensichtlich in Ihren Reihen immer noch auf Unverständnis stößt.
Diese Umstellung auf das Nettoprinzip ist so sozial unschuldig nicht, wie die großen Worte sich anhören. Das wird dazu führen, daß immer mehr Rentner in die Sozialhilfe abgedrängt werden,
({0})
und das ist der lautlose Angriff auf unser Rentensystem; denn je mehr Rentner bei der Sozialhilfe landen, desto lauter wird die Frage sein: Warum überhaupt noch selbständige, seit Bismarcks Zeiten selbstverwaltete, solidarische, staatsfreie Rentenversicherung, warum nicht gleich den großen Einheitstopf einer Staatsversicherung? Dort landen Sie mit dem ersten Schritt, den Sie jetzt gemacht haben.
({1})
Bisher haben die Tarifpartner mitbestimmt, wie hoch die jährliche Rentenanpassung ist, insofern wir an den Bruttolöhnen orientiert waren. Jetzt hat der Staat mehr Einfluß; der Staat bestimmt die Höhe der Abzüge.
Deshalb lassen Sie mich zusammenfassen: mehr Einfluß des Staates, weniger Selbstverwaltung, weniger soziale Gerechtigkeit - ich kann nicht erkennen, wie Ihr Retenkonzept ein freiheitliches und ein sozial gerechtes sein soll.
({2})
Lassen Sie mich auch noch zum zweiten Teil unseres Konzepts Stellung nehmen.
({3})
- Den werde ich Ihnen privat noch einmal verdeutlichen. Ich habe nicht soviel Zeit, hier für Sie eine Sondervorstellung zu geben.
({4})
Wir bleiben beim bruttolohnbezogenen Rentensystem. Allerdings können wir das Geld nicht herbeizaubern; wir haben nicht das Loch in die Rentenkasse geschlagen. Aber wir beteiligen uns an der Rentensanierung. Wir stehen nicht am Spielfeldrand, bei uns gibt es nicht ein Quentchen Schadenfreude. Nur: Unsere Lösung ist nicht das kollektive Schema des Nettobezugs, sondern die individuelle Beteiligung der Rentner an ihrer Krankenversicherung. Das ist der prinzipielle Unterschied: Wir haben ein personenbezogenes, ein individuelles, ein an der Belastbarkeit der Rentner orientiertes Konzept. Wir möchten nämlich nicht jene Kleinrentner noch mehr belasten, die keine weiteren Belastungen ertragen können. Wir nehmen Maß an der Belastbarkeit.
Allzu lautstark, Herr Ehrenberg, sollten Sie nicht dagegen Stellung nehmen. Denn Ihre Partei hat schon einmal, in der Großen Koalition, an der Einführung eines solchen KrankenversicherungsbeitraDr. Blüm
ges teilgenommen. Was damals sozial gerechtfertigt war, kann ja nicht heute sozial reaktionär sein, nur weil es Ihnen nicht paßt.
({5})
Im übrigen habe ich Sie nicht ganz verstanden. Einerseits sagen Sie, Sie wüßten nicht, wie hoch der Krankenversicherungsbeitrag ist, den wir den Rentnern abfordern, dann sagen Sie im nächsten Satz, er sei zu hoch, wir würden den Rentnern zu viel abfordern. Einmal sagen Sie, unser Konzept sei zu teuer, ein anderes Mal sagen Sie, wir würden nicht genug Finanzmassen aufbringen. Vielleicht überlegen Sie sich auch in diesen Fragen, für welches Argument Sie sich letztgültig hier im Bundestag entscheiden. Alles können Sie nicht in einem Satz vortragen.
({6})
Nun noch der Streitpunkt: wo ist die Grenze der Lasten zwischen Krankenversicherung und Rentenversicherung? Ich gebe zu, das ist eine Fachfrage. Aber in der Tat, wir bleiben bei dem Satz: Kosten müssen dort gedeckt werden, wo sie entstehen, damit die Begehrlichkeit der Politiker sinkt, überall dort in die Kassen zu greifen, wo zufällig Geld ist.
Sie sagen, die Rentenversicherung muß 11 % an die Krankenversicherung als Beitrag für die Krankenversicherung der Rentner leisten. Ich frage Sie, Herr Ehrenberg: Warum sagen Sie nicht 18 °/o, warum sagen Sie nicht 60/0? Sie hätten sich diese Zahl auch bei der Süddeutschen Klassenlotterie auslosen lassen können.
({7})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher?
Ich bin noch immer bei der Antwort ---
Sie gestatten keine Zwischenfrage? Wenn Sie mir doch bitte darauf antworten würden. Sie gestatten keine Zwischenfrage, ja? - Danke schön.
Entschuldigen Sie, ich wollte klarmachen, daß ich mich in der Antwort an Herrn Ehrenberg befinde.
Das ist nämlich sehr schwer zu erkennen, Herr Abgeordneter.
({0})
- Keine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter!
Dr. BlümCDU/CSU : Keine Zwischenfrage im Moment, weil ich mich noch bei der Antwort auf Herrn
Ehrenberg befinde. Ich meine, wir sollten es Herrn
Ehrenberg leichter machen, mich im Zusammenhang
anzuhören, und dies nicht erschweren, indem ich zwischendurch andere Fragen beantworte.
({1})
Diese 11 °/o sind allein deshalb gefunden, weil die Kasse stimmen muß. Aber was wir brauchen - hier wiederhole ich mich - ist: nicht der Rechenstift, sondern ein Konzept. Deshalb orientieren wir die Abgabe der Rentnerkrankenversicherung an die Krankenversicherung an den Beiträgen der Aktiven. Das ist das uralte Prinzip der Sozialversicherung, daß alle Versicherten gleichbehandelt werden ohne Rücksicht auf die Höhe des Risikos. Deshalb steht hinter unserem Konzept kein festgeschriebener Satz, sondern eine Orientierung an einem verläßlichen Maßstab, der Manipulation ausschließt.
({2})
Sie sollten sich doch vielleicht mehr mit dem beschäftigen, wer bei Ihnen alles Nachfolger werden will. Da ist doch ein Andrang, den sie gar nicht meistern.
({3})
Nur noch wenige Worte zu dem zweiten Gesetz, zum Gesetz über die Kostendämpfung in der Krankenversicherung. Hier ist doch eine fatale Ähnlichkeit mit Ihrem Sanierungskonzept in der Rentenversicherung gegeben. Aber vielleicht sollte uns das nicht wundern. Es ist ja das „Gescherr vom selben Herr", wenn ich das richtig sehe.
({4})
Auch in der Gesundheitspolitik haben Sie dasselbe Rezept befolgt: Jahrelang haben Sie Blindekuh gespielt. Jahrelang haben Sie die Zahlen nicht zur Kenntnis genommen und diejenigen beschimpft, die Zahlen genannt haben. Erst waschen Sie das Kind nicht im Bade, und dann schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Sie fallen von einem Extrem ins andere.
({5})
Ja, meine Damen und Herren, wenn ich das hinzufügen darf: das einzig Zackige an dieser Regierung ist der Zickzackkurs, mit dem Sie Sozialpolitik betreiben.
({6})
Auch hier sind Ihre Lösungskonzepte nicht differenziert. Auch hier versuchen Sie wieder, mit der Dampfwalze Probleme zu lösen. Aber undifferenzierte Lösungen sind ungerechte Lösungen.
({7})
Und ein Drittes!
Ich muß Sie wieder fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz zulassen, Herr Abgeordneter.
Nein, Frau Präsidentin, ich möchte jetzt meine Rede im Zusammenhang beenden.
Drittens versuchen Sie, auch in der Gesundheitssicherung, auch in der Krankenversicherung mehr Staat ins Spiel zu bringen. Ich kann das nur mit dem unerschöpflichen Vertrauen der Sozialdemokraten zur Obrigkeit erklären, was ganz besonders dann der Fall ist, wenn sie die Obrigkeit bilden.
({0})
Das ist im Grunde nichts anderes als eine Variante von Selbstüberschätzung oder Omnipotenzphantasien.
Lassen Sie mich doch einmal die Suchmeldung aufgeben, wo Kasten gespart werden. Bei den Krankenhäusern versuchen Sie, den freien gemeinnützigen Krankenhäusern den Geldhahn abzudrehen. Wenn die freien gemeinnützigen Krankenhäuser mit den Investitionsregelungen belegt werden, die Sie vorhaben, werden viele ausscheiden. Nur sage ich Ihnen voraus: Wenn mehr freie Initiative ausscheidet,
({1})
wenn Nächstenliebe mehr staatlich organisiert wird, dann wird das für die Gesellschaft nicht nur unmenschlicher, sondern auch teurer werden.
({2})
Warum reformieren Sie eigentlich immer bei anderen? Versuchen Sie doch einmal, bei sich selbst zu beginnen! Sie hätten Ihre Hausaufgaben im Krankenhausfinanzierungsgesetz machen sollen. Hier warten wir schon seit längerer Zeit auf die Rechtsverordnung, die eine wirtschaftliche Krankenhausführung ermöglichen soll.
({3})
Fangen Sie doch erst einmal bei sich an, bevor Sie bei anderen die Schuld suchen.
Nun komme ich zu Ihren Vorschlägen, die Krankenhausärzte an der ambulanten Versorgung zu beteiligen. Entweder sind die Krankenhausärzte nicht ausgelastet, dann sind zu viele an den Krankenhäusern, oder sie sind ausgelastet, dann müssen Sie neue einstellen. Nur frage ich mich, wo da eine Kostenersparnis möglich ist.
({4})
Das ist wirklich eine Suchmeldung, das ist eine Vermißtenanzeige.
Lassen Sie mich auf das Thema Pharma- und Arzneimittel kommen. Hier soll die Vergütung für Arzneimittel bei allen Ärzten in Rechnung gestellt werden, wenn die Kosten einen Höchstbetrag überschreiten.
({5})
Ich frage Sie: Wieso soll ein Arzt, der kostengerecht, also vernünftig, verschreibt, Einkommenseinbußen haben, weil sein Nachbar, der andere Arzt, unvernünftig verschreibt?
({6})
Das ist doch wieder eine globale Lösung, und dabei lähmen Sie die Anstrengungen der Gutwilligen. Ihre Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit der Sonne: sie scheint über Gut und Böse. Sie sind unfähig, zu differenzieren.
({7})
Es scheint mir überhaupt eine gewisse sozialdemokratische Versuchung zu sein: Immer wenn Probleme entstehen, muß zunächst einmal Papier bedruckt werden, entweder muß ein Plan oder ein neues Gesetz gemacht werden. Versuchen Sie doch erst einmal, die vorhandenen Instrumente zu nutzen! Wenn diese nicht ausreichen, machen wir auch neue Gesetze. Versuchen Sie einmal, die Mißbrauchsaufsicht des Kartellamtes, die Regreßansprüche der kassenärztlichen Vereinigung wirksamer zu machen! Die Instrumente sind vorhanden, nur der Mut fehlt mancherorts in dieser Gesellschaft.
({8})
Auch zum dritten Thema, zu den Ärzten, in Stichworten: Wir beteiligen uns nicht an einer Hatz auf die Ärzte.
({9})
Aber auch die Rückseite der Medaille muß beachtet werden: Auch die Ärzte stehen nicht unter Naturschutz. Auch der ärztliche Berufsstand muß sich der öffentlichen Kritik stellen, und er darf in der Wahl seiner Mittel zu keiner Zeit vergessen, daß mit seinem Berufsbild die ganz bestimmten Erwartungen verbunden sind: immer für Leidende vorhanden zu sein. Aber auch hier ist wieder die kollektive Lösung die am wenigsten zuträgliche. Ich sagte schon Herrn Glombig: Die Probleme liegen woanders als dort, wo Sie sie ausschließlich suchen: Sie liegen daran, daß die apparative Medizin kostenträchtig ist, daß dort die Kosten davongelaufen sind. Wir müssen für die Rückkehr des Menschen in die Medizin sorgen. Die Beratung, das ärztliche Gespräch, muß höher bewertet werden.
In dieser Frage sind wir im letzten Jahr mit Hilfe der Selbstverwaltung weitergekommen. Warum kommen Sie, Herr Ehrenberg, ausgerechnet in dem Zeitpunkt, in dem wir ein gutes Stück vorankommen, und sagen mit unüberbietbarer Selbstüberschätzung: Jetzt mache ich alles besser. Lassen Sie doch einmal der Selbstverwaltung, bevor Sie den Staat zur Hilfe rufen, weiter die Chance, differenziert und praxisnah die Probleme zu meistern.
({10})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher?
Nein.
Meine Damen und Herren, hier befinden wir uns in der Tat an einer prinzipiellen Wegscheide. Für Sie ist die Selbstverwaltung nichts anderes als die Buchhaltungsabteilung des Staates; für uns ist die Selbstverwaltung ein Stück Selbstverantwortung und Selbstregulierung der Bürger und deshalb ein Stück Freiheit.
({0})
Dies ist auch der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir wissen nicht alles so gut, wie Sie es offenbar zu wissen glauben. Wir brauchen den Rat, die Initiative und die Unterstützung der Betroffenen. Deshalb brauchen wir die Selbstverwaltung. Wir wissen nicht alles besser.
({1})
Es geht hier nicht um die Alternative „Kostendämpfung oder nicht". Es geht nur darum, wie wir Kostendämpfung betreiben,
({2})
und wir wollen sie ein Stück näher der Idee der Mitbestimmung betreiben,
({3})
jener Idee, die Sie am 1. Mai so groß feiern, aber in der Praxis häufig vergessen. Sie benehmen sich als Verwalter des Staates so, wie die Gewerkschaften früher die Arbeitgeber gesehen haben: zwischen fürsorglich und despotisch. Wir wollen sehr viel mehr, nämlich das partnerschaftliche Zusammenwirken aller Beteiligten.
Dabei wird die Selbstverwaltung unter Handlungszwang gesetzt. Wir geben ihr nicht unbegrenzt Zeit. Sie steht unter Handlungszwang, denn es muß bald etwas geschehen. Erst wenn nichts geschieht, hat der Staat das Recht, sozusagen als Ersatzmann auf das Spielfeld zu laufen. Der Staat ist für uns aber nicht allzuständig, weil wir in unserer Geschichte genug abschreckende Beispiele eines allzuständigen Staates haben.
({4}) Lassen Sie mich schließen.
({5})
Vielleicht ist das Dilemma der Gesundheitspolitik auch ein Spiegelbild des Dilemmas unserer Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die alles für machbar hält, muß wohl glauben, alles sei auch kaufbar. Wer alles für machbar hält, wer alles für kaufbar hält, degradiert Gesundheit zu einer Ware und läßt in Vergessenheit geraten, was unsere Großeltern noch wußten, daß nämlich Gesundheit auch ein Stück Eigenverantwortung, zum Teil also Ergebnis der eigenen Anstrengung ist.
({6})
- Das ist nicht rührend. Sie sollten vielleicht gerührt sein, Herr Wehner, angesichts dessen, daß wir uns in der Tat in einer solch anonymen Gesellschaft zu einer Gesundheitsfabrik hinbewegen, die den Menschen in seine Einzelteile zerlegt, aber nicht seine Seele erreicht. Die Pillen, das Medikament hat ja geradezu den Charakter einer pseudoreligiösen Tröstung bekommen. Gegen diese Gesinnung muß Front gemacht werden. Da hift nicht der Gesetzgeber, Herr Wehner. Wir müssen vielmehr in allen Parteien durch eine Offensive für die Selbstverwaltung dazu beitragen, dies zu erreichen.
({7})
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind am Ende einer Sozialpolitik angekommen, die in etwa nach dem Muster verfuhr: Kommt her, ihr Protestierenden, ihr sollt alle protegiert werden.
({8})
Was wir jetzt brauchen, ist eine Sozialpolitik, die auf Prinzipien beruht, die Zustimmung verlangen kann, weil sie mehr Gerechtigkeit verwirklicht, eine Sozialpolitik, die mit der Illusion aufräumt, als würden die finanziellen Leistungen aus anonymen Kassen finanziert. Die Umverteilung, auf die wir uns zubewegen, ist zu guter Letzt nur eine Umverteilung zwischen der rechten und linken Hosentasche aller Beteiligten, aber keine soziale Umverteilung. Die Grenze der Belastbarkeit des Arbeitnehmers und der Wirtschaft ist erreicht. Sind wir nicht mancherorts schon an dem Punkt angekommen, daß ein Arbeitnehmer nicht, wie es natürlich wäre, zu seinem Chef geht und sagt: Ich will mehr Lohn!, sondern diesen bitten muß, auf Lohnerhöhung zu verzichten, weil er nach einer Lohnerhöhung weniger im Portemonnaie hat als vorher?
({9})
Ich kann nur sagen: Ein solches System ist übergeschnappt. Ein solches System belohnt nicht mehr Anstrengungen. Ein solches System ist dem Irrsinn verfallen. Das Spiel ist aus. Wir brauchen Gerechtigkeit als Zwang zur Differenzierung. Wir brauchen Phantasie,
({10})
um neue Wege einzuschlagen. Phantasie, um nicht einfach die alten Antworten zu wiederholen.
({11})
Meine Damen und Herren, insofern ist eine konzeptionelle Sozialpolitik kein Luxus, nichts für den Feierabend und nicht zum Lachen, wie Sie, Herr Gansel, meinen, sondern konzeptionelle, prinzipielle Sozialpolitik ist eine Bedingung des humanen Überlebens unserer Gesellschaft.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sund.
Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Herr Kollege Blüm, Sie waren gut beraten, keine Zwischenfragen zuzulassen, sonst wäre nämlich herausgekommen, daß Sie den Gesetzentwurf überhaupt nicht gelesen haben können, über den wir hier heute reden.
({0})
Aber wir kennen das ja. Herr Kollege Blüm fängt mit Moral an. Dann wird es ganz schnell Polemik. Manchmal gibt es große Worte, manchmal auch nur Blech.
({1})
Wenn wir hier über diese wichtige Sache reden, dann müssen wir ehrlich über Ursachen und über
klare Konzepte reden. Da liegt in der heutigen Debatte unser Problem. Es besteht darin, daß die Bundesregierung hier einen Gesetzentwurf vorlegt, den jedermann beurteilen kann, und die Opposition ein Phantom bietet.
({2})
Ein Phantom ist furchtbar schwer zu fassen. Ich will mich aber einfach einmal der Mühe unterziehen, hier im Austausch der Meinungen herauszubekommen, um was es denn eigentlich geht. Sind denn wirklich Alternativen da? Der Bürger hat doch wohl einen Anspruch darauf zu sehen, was die Regierung will und welche Vorstellungen die Opposition entwickelt. Wenn ich nun Ihr Konzept zu verstehen versuche - ich habe heute morgen während der Debatte aufmerksam zugehört -, dann stelle ich zunächst einmal fest, daß in der Rechnung der Rentenversicherung bis 1980 und darüber hinaus ein erheblicher Betrag zur Deckung fehlt. Ich stelle zweitens fest, daß in der Krankenversicherung offenbar - ich spitze es einmal zu - die Ärzteeinkommen geschont und die Rentner zur Kasse gebeten werden sollen. Wir sollten Herrn Kollegen Schmidt ({3}) dafür dankbar sein, daß er heute morgen noch einmal deutlich gemacht hat, daß es im sozialen System nicht angehen kann, einen Risikozuschlag aus Altersgründen einzuführen. Das aber scheint mir in Ihrer Konzeption genau drinzuliegen. Wir können auch so sagen: Alles, was auf die Anbieter von Gesundheitsleistungen zuläuft, wollen Sie in der freien Verantwortung, im freien Aushandeln, bestehen lassen. Alles aber, was Leistungs- und Beitragsbelastung für Versicherte bedeutet, das wollen Sie gesetzlich festlegen.
({4})
Das sind die Merkpunkte, die aus diesem großen Wortgeklingel deutlich werden, das Sie um Ihre vermeintlichen Vorstellungen machen.
Damit wir ganz schnell auf den Punkt kommen:
({5})
Lassen Sie mich bitte einmal einige ganz einfache Fragen an Sie stellen, die vielleicht helfen können, damit einmal klar wird, über was denn nun von Ihrer Seite geredet wird.
Erstens. Können wir davon ausgehen, daß Sie Ihre Vorstellungen in einem Gesetzentwurf verdeutlichen werden? Ja oder nein?
({6})
Zweitens. Soll der beabsichtigte Krankenversicherungsbeitrag der Rentner nur zur Finanzierung der Rentenversicherung dienen, also gewissenmaßen einen Rentenversicherungsbeitrag der Rentner darstellen? Darauf würde das hinauslaufen.
Drittens. Wie hoch veranschlagen Sie das Beitragsaufkommen? Wie viele Rentner legen Sie dabei zugrunde? Von welchem Rentenvolumen gehen Sie
aus? Das ist bei Ihnen alles völlig offen. Hier wird ohne jede Rechengrundlage,
({7})
ohne jedes Zahlenwerk, ohne jede Klarheit über die Größenordnungen etwas in die Welt gesetzt, was sich überhaupt nicht halten und darstellen läßt.
({8})
Viertens. Welche Einkünfte der Rentner wollen Sie einem Krankenversicherungsbeitrag unterwerfen?
({9})
-- Von welchen Zahlen wollen Sie denn ausgehen?
({10})
Wollen Sie andere Zahlen zugrunde legen? Jetzt müssen Sie doch einmal sagen, ob wir von einer gemeinsamen Rechengrundlage ausgehen können.
({11})
Ist diese herzustellen, oder haben Sie eine andere Grundlage? Sie kritisieren zwar das Rechenwerk, das im Rentenanpassungsbericht zugrunde gelegt ist, sagen aber nicht, wie denn Ihr Rechenwerk, wie denn Ihre Bezugsgrundlage aussehen soll. Das sagen Sie nicht. Sie rechnen munter drauflos und meinen, das sei eine Alternative. Das kann man doch nicht ernst nehmen.
({12})
Ich wiederhole hier meine soeben gestellte Frage: Welche Einkünfte der Rentner wollen Sie denn nun einem Krankenversicherungsbeitrag unterwerfen? Soll infolge der offenbar beabsichtigten Freibetragsregelung etwa der Selbständige mit einer kleinen Rente, aber einem hohen Einkommen aus Vermögen keine Beiträge zahlen?
({13})
Das zu beantworten, scheint mir notwendig zu sein.
Fünftens. Wie stellen Sie sich die Mehrbelastungen der Betriebe vor, wenn z. B. auf Betriebsrenten Krankenversicherungsbeiträge gezahlt werden sollen? Oder sollen die Beiträge in Höhe von 12 % voll zu Lasten der Betriebsrentner gehen? Ich finde, es müßte hier von Ihnen wenigstens einmal deutlich gemacht werden, was die Konsequenz, die Sie ziehen, beinhalten soll.
Schließlich: Welche Steigerung der Arbeitsentgelte - das ist doch das Problem, an dem Sie hier bei uns herummäkeln, aber selber nicht deutlich machen, was Sie denn nun eigentlich wollen -, welche Entwicklung der Beschäftigtenzahlen liegt Ihren Vorstellungen zugrunde? Wie würden sich die Rücklagen der Rentenversicherung bei Ihrer Operation, wenn sie sich verwirklichen ließe, in D-Mark
ausdrücken, wie würden sie sich in durchschnittlichen Monatsausgaben darstellen? Das sind doch Dinge, die klar sein müssen, wenn wir hier miteinander streiten wollen.
Um zum Schluß zu kommen: Ich finde, es ist eine wichtige Aufgabe der Opposition hier im Deutschen Bundestag, die Tage bis zum Beginn der Ausschußberatungen zu nutzen, um wenigstens dann Rede und Antwort stehen zu können, wenn es darum geht, Grundlagen für unterschiedliche Konzepte auszutauschen. Anderenfalls tun Sie nichts anderes, als eine in viele Worte verhüllte Bankrotterklärung vorzulegen.
({14})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Lassen Sie mich zunächst eine kurze Vorbemerkung über meine persönliche Enttäuschung über den Verlauf dieser Debatte machen. Ich habe angenommen, daß diese Debatte weniger kontrovers, weniger polemisch geführt würde, weil ich der Überzeugung war, daß bei dieser unser Volk betreffenden Frage, bei dieser so ernsten Situation Polemik und parteipolitisches Kalkül ein wenig mehr in den Hintergrund gestellt werden würden. Die Ausführungen des Kollegen Geisenhofer heute morgen haben mich allerdings davon überzeugt, daß die Opposition offensichtlich - zumindest zum Teil - nicht die Absicht hat, die Debatte so zu führen. Ich bin dem Kollegen Sund sehr dankbar, daß er sich bemüht hat, hier das zur Diskussion zu stellen, was zur Diskussion stehen sollte, nämlich die von der Regierung vorgelegten Gesetzentwürfe.
Lassen Sie mich aber trotzdem oder gerade deswegen einmal auf einige Gemeinsamkeiten kommen, die mir die richtige Basis zu sein scheinen, diese Gesetzesvorlagen zu diskutieren. Niemand in der Koalition und, so habe ich den Eindruck, in der Opposition bezweifelt vom Grundsätzlichen her die Notwendigkeit, die Rentenversicherung wie den Komplex Gesundheit zu reformieren oder, besser gesagt, zu konsolidieren. Wir wissen, daß die überdimensionale Steigerung der Kosten im Gesundheitssektor abgebaut werden muß, daß wir auf normale Steigerungsraten kommen müssen und hierfür konkrete Vorschläge, wie im Gesetz niedergelegt, erwarten.
Wir sind - und ich meine, das ist auch gut so - höchst erfreut darüber, daß die Betroffenen, sowohl die Rentner als auch die Betroffenen im Gesundheitssektor, mit diesen unseren Vorstellungen, daß nämlich Opfer gebracht werden müssen, einverstanden sind. Im Grunde genommen wären also die gemeinsame Erkenntnis der Opposition und der Koalition, daß die Dinge zu konsolidieren sind, und die Bereitschaft der Betroffenen, hierfür Opfer zu bringen, die idealen Voraussetzungen für eine sachliche und vernünftige Diskussion dieses bei Gott ernsten Problems. Nur, was geschieht in diesem Lande zur Zeit? Interessenvertreter machen nach
dem Motto „Heiliger Sankt Florian, zünd' das Haus des Nachbarn an" ihre eigene Verbandspolitik zum Teil auf Kosten derjenigen, die betroffen sind, nämlich der Patienten und auch anderer.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Dinge zu regeln versuchen unter dem Motto „Das Kind, das schreit, wird gewiegt", werden wir nicht weiterkommen. Sie können sicher sein, daß die Liberalen, meine Freunde und ich, in den Ausschüssen dafür sorgen werden, daß nicht die lautesten Schreier den größten Einfluß auf die Gestaltung bekommen.
({0})
Dies, Herr Kollege Blüm, wird auch für sie zutreffen.
Halten wir doch noch einmal fest: Richtig und gut ist es, daß wir von realistischen volkswirtschaftlichen Daten ausgehen. Halten wir fest, daß wir es zum erstenmal mit gemeinsamen Berechnungen und Daten zu tun haben, die vom Arbeitsministerium, Wirtschaftsministerium und den Instituten gemeinsam bestätigt werden. Ich meine, dies ist, verglichen mit dem, was in der Vergangenheit geschehen ist, ein beachtlicher Vorzug.
Erfreulich ist auch die Feststellung, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß in dem Bestreben, das zu heilen, was 1972 falsch gemacht worden ist, nämlich in dem Bemühen, den Anpassungstermin wieder in Ordnung zu bringen, gemeinsame Auffassungen bestehen. Ich verhehle Ihnen nicht, daß ich persönlich mit dem, was in der Regierung diskutiert worden ist, nämlich diese Verschiebung schon eher vorzunehmen, einverstanden war, einfach deswegen, weil ich der Meinung bin, daß Notwendiges, Unvermeidliches und Richtiges gar nicht früh genug getan werden kann. Man sollte auch den Mut haben, sich dazu zu bekennen. Viele sowohl in der Koalition als auch in der Opposition wären glücklich, wenn sie die Erkenntnisse von heute und die Folgerungen, die sich notwendigerweise aus diesen Erkenntnissen ergeben, im Wahlkampf vertreten hätten. Einige unserer Freunde und einige andere haben dies getan. Aber haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wirklich das Recht, auf diesem Punkt so herumzuhacken? Sie nehmen für sich in Anspruch, dies alles gewußt zu haben. Sie erklären, Sie wären von den richtigen Zahlen ausgegangen. Dann kann ich mich nur fragen: Warum sind Sie, wenn Sie wirklich davon überzeugt waren, daß die von Ihnen selbst errechneten Zahlen Grundlage Ihrer Vorschläge sein konnten, nicht schon zu diesem Zeitpunkt entweder zu den Erkenntnissen gekommen, wie sie uns die Regierung heute vorlegt, oder zu den Erkenntnissen, wie Sie sie uns vortragen? Wenn ich davon ausgehe, daß diese Defizite von Ihnen als sicher vorausgesetzt werden, frage ich mich ernstlich: Wie kann man auf diesem Hintergrund solche Garantien, solche Zusagen geben?
({1})
Vielen in der Koalition traue ich zu, daß sie guten Glaubens von den ihnen vorgelegten Zahlen ausgegangen sind; aber diese Gutgläubigkeit kann ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, auf Grund Ihrer eigenen Aussagen beim be1070
I sten Willen nicht unterstellen. Sie geben statt dessen eine Garantie für die Bruttolohnbezogenheit und stellen diese als der Weisheit letzten Schluß dar. Wer so handelt, muß es sich gefallen lassen, daß ihm die Frage nach der Verantwortung zugemutet wird. Sie werden mir erlauben, Sie in diesem Zusammenhang nach Ihrer eigenen Verantwortlichkeit zu fragen und Ihnen auch einmal die Frage zu stellen, ob Sie im Wahlkampf verantwortlich gehandelt haben und in der heutigen Situation - denn die soziale Garantie ist ja in der Diskussion über die Regierungserklärung noch einmal gegeben worden - verantwortlich handeln. Man sollte nicht nur auf die Sünden der anderen hinweisen - daß diese vorhanden sind, wird nicht bezweifelt -, sondern gelegentlich auch einmal an die eigenen Sünden denken und das Institut der Beichte benutzen. Das dient sicher der Versachlichung dieser Diskussion.
({2})
Ich möchte nun noch auf eine Behauptung eingehen, die mehrfach wiederholt, aber deswegen nicht richtiger geworden ist, nämlich daß die Rentenversiherung auf Kosten der Krankenversicherung saniert werde. Ich möchte im Namen meiner Freunde feststellen, daß wir hier ordnungspolitisch richtig und gerecht handeln. Rentner dürfen und können keine höheren Beiträge zahlen als die Versicherten. Welche Vorstellung von Solidargemeinschaft muß in den Köpfen derjenigen herrschen, die für die Rentner erhöhte Krankenkassenbeiträge verlangen? Wie kann man eigentlich begründen, daß der 64jährige Arbeitende 11 % und der 65jährige Rentner 11 plus X °/o - etwa 16 %, 17 °/o, 18 °/o; ich kann es nicht genau ausrechnen, weil mir das auch etwas unterschiedlich zu sein scheint - aufbringen sollen? Das ist mir völlig unverständlich.
({3})
- Sie haben das doch heute morgen hier sehr deutlich vorgetragen,
({4})
sogar sehr deutlich. Was sind denn sonst die 3 %? Mit der gleichen Begründung können Sie hingehen und für die Risikogruppe schwangere Frauen einen erhöhten Krankenversicherungsbeitrag verlangen.
({5})
Dies hieße doch wirklich die Solidargemeinschaft ad absurdum führen.
({6})
Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie diese Überlegung in die Diskussionen im Ausschuß mit einbezögen.
({7})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Globalbeitrag - daran sei erinnert -, übrigens auch eine Erfindung der numerisch großen Koalition, wird von der FDP natürlich nicht getragen. Wir halten eine individuelle Beitragsregelung für vernünftig und richtig. Eine zusätzliche Rentenerhöhung,
orientiert am Durchschnitt des Krankenkassenbeitrags, erscheint uns sinvoll. Dies verdeutlicht das Prinzip der individuellen Vorsorge und dokumentiert weiterhin - dies hat der Kollege Blüm meines Erachtens sehr richtig ausgeführt -, daß der Finanzierungsanteil der Rentenversicherung an der Krankenversicherung ein wohlerworbener Rentenbestandteil ist und auch so behandelt werden muß. Genau dies beinhalten unsere Vorschläge. Für freiwillig und privat Versicherte wird das im Prinzip in unseren Vorschlägen schon realisiert. Sie sollen nämlich nach unseren Vorstellungen 11 % ihrer individuellen Rente erhalten. Wir sehen darin einen guten Einstieg in ein richtiges Prinzip. Wir hoffen, daß sich diese guten Vorschläge auch für den übrigen Bereich später mit Ihrer Unterstützung durchsetzen werden.
Was nun die Beitragserhöhungen anbelangt, so verstehen Sie bitte, daß wir in dieser Frage eine sehr harte Haltung eingenommen haben. Ich respektiere sehr, daß sich auch die CDU/CSU in ihren Vorschlägen zu dieser harten Haltung bekennt. Denn es ist natürlich bedrückend, wenn man sich vor Augen führt, daß 1949 5,6 °/o für die Solidargemeinschaft aufgebracht werden mußten und heute 18 °/o dafür aufzubringen sind. Wir alle wissen, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - ein juristisch richtiges und begrüßenswertes Urteil - zur Witwer-und Witwenrente letztendlich natürlich die Solidargemeinschaft mit erheblichen neuen Kosten belasten wird. Es wäre unverantwortlich, wenn wir in dieser Situation, wie mindestens teilweise zeitweilig von Ihnen diskutiert worden ist, sozusagen die letzten Reserven verfrühstückten. Das Bevölkerungsrisiko muß ja in diese Überlegungen auch noch einbezogen werden, wenngleich ich mich der Hoffnung hingebe, daß es wieder „in" sein wird, Kinder zu bekommen, und daß recht viele hoffnungsfreudige junge Familien uns dieses Problem lösen helfen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch einmal die Frage der bruttolohnbezogenen Erhöhung ansprechen. Ich bin offen genug, zu sagen, daß ich mich mindestens in einem bestimmten Rahmen und mindestens für eine bestimmte Zeit für die nettolohnbezogene Erhöhung aussprechen würde, Gestatten Sie mir, daß ich auch dies einmal kurz begründe.
Zunächst einmal eines: Die Rentner, die normale Renten bekommen, haben im Grunde genommen Verständnis dafür, daß ihre Bezüge nicht stärker steigen als die der aktiv Tätigen.
({8})
- Natürlich liegt es auch daran, Herr Franke, selbstverständlich. Nur müssen wir uns mit dem Problem ernsthaft auseinandersetzen. Es kann nicht bei der einfachen Aussage bleiben: Wir verlangen à tout prix bruttolohnbezogene Erhöhungen, die uns langfristig in die Situation bringen, daß - wie beim öffentlichen Dienst - Arbeiter und Angestellte bei Nichtarbeit mehr verdienen als bei Arbeit, was von Ihnen zu Recht - aber nur tendenziell - beklagt wurde. Denn die permanente bruttolohnbezogene
Erhöhung führt natürlich zu einem solchen Zustand, und das kann doch keine Lösung sein.
Wir müssen uns doch immer wieder ins Bewußtsein rufen, daß die Familie in der Zeit, wo das Haus abbezahlt wird, wo die Eigentumswohnung erwirtschaftet wird, wo die Kinder da sind, das höchste Einkommen haben muß. Und ich bin ganz sicher, daß die Rentner für eine solche Einstellung sehr viel mehr Verständnis haben, als dies mancher vermeintliche oder tatsächliche Interessenvertreter der Rentner zum Ausdruck bringt.
Wenn wir die bruttolohnbezogenen Erhöhungen ohne irgendwelche Einschränkungen bis zum Jahre 2000 durchexerzieren, werden wir zu jenem Zeitpunkt - dies ist rechnerisch nachgewiesen - fast 90% des Nettoeinkommens der aktiv Tätigen haben - ein, wie ich meine, für all diejenigen, die an einer vernünftigen Lösung interessiert sind, unbefriedigender Zustand.
Wir verkennen dabei überhaupt nicht, daß es im Bereich der niedrigen Renten, der Mini-Renten - insbesondere da, wo sie alleinige Einkommensquelle sind - gewisse Probleme gibt, und sind gern bereit, über diese Probleme vernünftig miteinander zu reden. Nur setzt das auch voraus, daß man die Bruttolohnbezogenheit nicht zum nicht mehr diskutablen Fetisch erklärt, und dieses Eindrucks kann ich mich beim jetzigen Diskussionsstand leider nicht erwehren.
Ein Wort noch zu dem Problem der Aufstockung, das ich als ein sehr ernstes Problem ansehe. Das Anliegen, meine Damen und Herren, verstehe ich sehr wohl. Aber ich befürchte, offen gestanden, daß wir uns dann, wenn wir an diese Aufstockungsprobleme nicht außerordentlich vorsichtig herangehen, eine neue Zeitbombe in unser Rentensystem hineinlegen, eine Zeitbombe, die das gesamte System gefährden kann. Nur dann, wenn hundertprozentig gewährleistet ist, daß hier keine Gefahren für das Rentensystem bestehen, kann man ernsthaft an die Erörterung dieser Problematik herangehen.
Nun, Herr Kollege Franke, lassen Sie mich noch auf etwas eingehen, was Sie heute morgen ausgeführt haben. Sie haben das Gesetzeswerk, das hier vorgelegt worden ist, als eine Flickschusterei anggesprochen ({9})
ein Ausdruck, der von Hansheinrich Schmidt ({10}) stammt und zu dem er im Zusammenhang mit der Regierungserklärung und auch sonst hier einige Erklärungen abgegeben hat. Der Unterschied besteht darin: Selbstverständlich ist der erste Referentenentwurf anders zu beurteilen als das, was durch das Kabinett gegangen ist. Und ich gebe mich auch der Hoffnung hin, daß - hoffentlich mit Ihrer Unterstützung-noch einiges an Verbesserungen möglich ist.
Wenn Sie aber den jetzt vorliegenden Entwurf als Flickschusterei bezeichnen, lassen Sie mich dazu folgende Feststellung treffen. Offensichtlich sind Sie mit Ihren Vorstellungen ein sehr gelehriger Schüler dieser Regierung gewesen, denn das, was
Sie uns hier vorlegen, ist meiner Deutung nach eine Superflickschusterei und insofern eine wesentliche Verschlechterung gegenüber dem, was Hansheinrich Schmidt vielleicht einmal zu Recht kritisiert hat.
({11})
- Bitte?
Die rote Lampe!
Danke schön, Frau Präsidentin; diese Usancen sind mir noch nicht bekannt, aber ich werde mich bemühen, darauf Rücksicht zu nehmen.
Vielen Dank, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren von der Opposition, die konkreten Vorschläge, die Sie gemacht haben, sind nicht ausreichend. Die Ratschläge und Begründungen sind sicher gut gemeint, aber ohne gesetzliche Absicherung wirkungslos. Gesundbeten, Herr Blüm, hilft auch auf dem Sektor Gesundheit in der Tat nicht. Er ist kein wirksames Heilmittel. Ich habe den Eindruck, daß die Gesundbeter nicht auf seiten der Koalition, sondern bei Ihnen zu finden sind.
„Wir müssen die Selbstverwaltungsorgane stärken", mit diesem Hinweis bin ich einverstanden. Wir rufen nicht nach dem Staat. Die Selbstverwaltungsorgane sollten die Möglichkeit bekommen, verantwortlich und erfolgreich ihre Aufgaben wahrzunehmen. Hierzu geben wir ihnen durch dieses Gesetz die Möglichkeit. Wir wollen sie in die Lage versetzen, die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Wer darauf spekuliert, über freiwillige Beschränkungen sozusagen einen Einstieg zu erreichen, um vom Gesamtkuchen mehr zu bekommen, der muß sich irren. Wir müssen die Selbstverwaltungsorgane in die Lage versetzen, diese ihre eigenen Vorstellungen zu realisieren. Die Gesetzesvorlage gibt uns hierzu eine gute Möglichkeit.
Da ich davon ausgehe - dies soll mein Schlußsatz sein -, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im Grunde Ihres Herzens und im Interesse dieser Gesellschaft, nämlich unseres Volkes, den Bemühungen der Regierung Erfolg wünschen, bin ich optimistisch genug, daß wir auf Grund dieses hoffentlich ernst gemeinten Wunsches in der Diskussion im Ausschuß noch zu notwendigen und sinnvollen Verbesserungen kommen werden. Auf diese Diskussion freue ich mich.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich sehr herzlich bei meinem Vorredner, Herrn Cronenberg von der FDP, bedanken, daß
er geradezu mit Beifallssturm unseren Vorschlag
zur Rentnerkrankenversicherung hier verteidigt hat.
({0})
Ich weiß nur nicht, warum er uns dabei so vorwurfsvoll angeguckt hat. Denn wir waren uns völlig einig, daß es in einer Solidargemeinschaft wie der Krankenversicherung nicht darauf ankommt, wie groß das Risiko ist, sondern darauf, daß man von allen Versicherten genau den gleichen Beitrag nimmt. Genau das ist unser Vorschlag, Herr Kollege Cronenberg. Ich weiß nicht, warum Sie da derart gegen uns angegangen sind. Denn das ist ja gerade das Entscheidende, und das ist das, was wir als bahnbrechend empfinden und Ihnen deswegen vorlegen. Wenn wir dann eine Eigenbeteiligung des Rentners an diesem Beitrag einplanen, dann liegt das ganz sicher auch im Interesse der Eigenverantwortung, die wir heutzutage von allen verlangen und wofür die Rentner nach allen Äußerungen durchaus Verständnis haben. Aber wir sind gern bereit, Ihnen noch einige Nachhilfestunden zu geben und mit Ihnen gemeinsam unser Konzept einmal durchzulesen.
All das, was von meinen Vorrednern an Kritischem zum Inhalt und vor allem zu dem Verfahren der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Sanierung der Rentenversicherung gesagt worden ist, gilt in erhöhtem Maße auch für die nach meiner Ansicht völlig unbrauchbaren Vorschläge zur Kostendämpfung in der Krankenversicherung. Um nicht mißverstanden zu werden, will ich hier gleich in aller Deutlichkeit herausstellen, meine Damen und Herren, daß wir genauso wie Sie in der Koalition der Überzeugung sind, daß wir an einer wirksamen, sich im gesamtwirtschaftlichen Rahmen haltenden Eingrenzung des Kostenanstiegs in der Krankenversicherung interessiert sind und daß wir alle gar nicht darum herumkommen.
Wie ernst wir das meinen, sehen Sie allein an der Tatsache, daß Ihnen vor drei Jahren der rheinland-pfälzische Sozialminister Heinrich Geißler überhaupt erst einmal die Kostenmisere der gesetzlichen Krankenversicherung aufgezeigt hat. Der damalige Arbeitsminister sagte dazu, das Ganze sei ein Horrorgemälde. Wenn sich unser auch schon damaliger Bundeskanzler Helmut Schmidt dazu überhaupt geäußert hätte, dann hätte er das sicher auch wieder als ein Problemchen hingestellt.
Meine Damen und Herren, wir haben das damals aufgezeigt und ernst genommen. Wir haben darauf gewartet, daß von Ihnen Reaktionen kämen. Denn es ist Aufgabe der Opposition, auf Schwachstellen aufmerksam zu machen. Aber Sie haben es so vorübergehen lassen.
({1})
Unser wichtigstes Anliegen ist es, in der Krankenversicherung ebenso wie in der Rentenversicherung ein langfristiges Sanierungsprogramm zu verwirklichen, das endlich die hektische Flickschusterei - erlauben Sie mir, daß ich es wiederhole, aber das muß ja hier in unsere Protokolle eingehen -, wie sie zur Zeit wieder von der Bundesregierung betrieben wird, aus diesem gesellschaftspolitisch so wichtigen Bereich ein für allemal verbannt. Es geht nämlich letztlich um nicht mehr und nicht weniger als um die Glaubwürdigkeit unserer parlamentarischen Demokratie.
Ich will es mir ersparen, jetzt noch einmal im einzelnen den unguten Stil der schweibchenweisen Bekanntgabe von Regierungsabsichten in der Krankenversicherung nachzuzeichnen. Die ganze Planlosigkeit und kurzatmige Hektik wird schon dadurch deutlich, daß wir, meine Damen und Herren, erst im letzten Jahr das Gesetz zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Hohen Hause verabschiedet haben, das erst am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist und erhebliche Veränderungen in unserem Kassenarztrecht zur Folge haben wird. Vergegenwärtigt man sich dieses Maß an gesetzgeberischer Stillosigkeit und sich überstürzender Aktivität, so ist es unseres Erachtens nicht verwunderlich, wenn unsere Bürger und ihre Ärzte einfach nicht mehr in der Lage sind, diese Sprunghaftigkeit auch nur in etwa nachzuvollziehen.
({2})
Es ist hier schon eine ganz erhebliche Verunsicherung entstanden, die dann eben leicht auch einmal zu überzogenen Reaktionen der Betroffenen führt.
Die Reaktionen der Betroffenen sind unserer Ansicht nach um so verständlicher, je weniger das Programm der Bundesregierung bei genauer Prüfung geeignet ist, die von ihr selbst genannten Ziele der Kostendämpfung zu erreichen. Um Klartext zu sprechen: Wir sind genau gegenteiliger Meinung wie Herr Minister Ehrenberg: Wir halten das Konzept der Bundesregierung nicht für solide und ausgewogen.
({3})
Nur dem äußeren Anschein nach verteilt es eine Anzahl von Sparopfern auf verschiedene Gruppen von Beteiligten. Seiner inneren Logik und seinen praktischen Auswirkungen nach kann man diesen Gesetzentwurf mit Fug und Recht als ein Dauerkonfliktprogrammierungskonzept bezeichnen.
Er verzichtet - ob gewollt oder ungewollt, sei hier dahingestellt - auf die von uns schon seit Jahren geforderte Strategie der Kooperation aller Beteiligten, die in den letzten Jahren auch schon zu unübersehbaren Stabilitätserfolgen der Selbstverwaltung geführt hat.
Es ist einfach eine Tatsache, daß sowohl der Anstieg der ärztlichen Honorare als auch der Kassenausgaben für Arzneimittel und der Krankenhauspflegesätze in den letzten beiden Jahren bereits deutlich abgeflacht ist. Herr Minister Ehrenberg bestätigte das heute morgen auch in seiner ersten Rede und schrieb es seinen eigenen und den Bemühungen freier Kräfte zu. Anscheinend hält er jetzt nicht mehr so ganz viel von diesen Bemühungen, auch von seinen eigenen. Deshalb hängt sich das Konzept der Bundesregierung gewissermaßen plump an diese Erfolge der Beteiligten selbt an, wobei es ihnen aber gleichzeitig für die Zukunft per Gesetz
I den notwendigen Spielraum für solche stabilitätsbewußten Verhaltensweisen nehmen will.
({4})
Ginge es der Bundesregierung wirklich um eine Stärkung der Selbstverwaltung, wie es Herr Ehrenberg bei jeder Gelegenheit beteuert, so wäre die einzige glaubwürdige Konsequenz, daß sie ihren Gesetzentwurf - zumindest vorläufig - in die Schubladen des Arbeitsministers zurücklegt.
({5})
Die Beteiligten sind dann - wie in der Vergangenheit, auch in der Zukunft - aufgerufen, in eigener Zuständigkeit und eigener Verantwortung, eben in einer Art konzertierter Aktion, die Kostenentwicklung in der Krankenversicherung in volkswirtschaftlich vertretbaren Grenzen zu halten.
({6})
Wenn es auch vielleicht nicht gewollt ist, wird der vorliegende Gesetzentwurf in seinen praktischen Auswirkungen zu einem Gegeneinander und nicht zu einem harmonischen Konzert der Beteiligten führen.
Lassen Sie mich dies kurz an einem wichtigen Punkt des Gesetzentwurfs demonstrieren. Die vorgesehene Begrenzung der Arzneimittelausgaben, d. h. die Festsetzung von Höchstbeträgen für den jährlichen Arzneimittelaufwand mit einem negativen Rückkopplungseffekt auf die Gesamthonorare der Ärzte, die bei Überschreitung der Arzneimittelausgaben zu einer kollektiven Haftung aller für unvernünftige Verschreibungsgewohnheiten einzelner führt, schränkt direkt die ärztliche Therapiefreiheit und damit die Qualität und die Verantwortung für die Behandlung kranker Menschen ein.
({7})
Es besteht die Gefahr, daß der Kassenarzt am Ende auch sinnvolle und vernünftige Leistungen unterläßt, nur um den Plafond einzuhalten.
({8})
Sie schreiben ja genau vor, daß man die Arzneimittel zukünftig nur noch nach finanziellen Gesichtspunkten beurteilen soll. Ihnen ist die therapeutische Wirksamkeit schon lange ein Dorn im Auge.
({9})
Ganz davon abgesehen, daß das ein weiterer Schritt weg von der Eigenverantwortung zum Kollektiv ist, wird durch diese Konfliktlage das Vertrauensverhältnis des Patienten zu dem Arzt seiner Wahl - das ist nämlich das Entscheidende; da würde ich ruhig einmal ganz genau zuhören - in unerträglicher Weise belastet. Auf längere Sicht muß eine solche gesetzliche Regelung zu einer Art Zweiklassenmedizin führen, die unser geltendes bewährtes Kassenarztrecht Gott sei Dank überwunden hat.
({10})
- Bitte keine Zwischenfragen; meine Zeit ist sowieso sehr knapp. - Sie, Herr Minister Ehrenberg, schaffen Spannungen in einem Bereich, der allein auf Vertrauen basiert, nämlich im Bereich der Beziehungen zwischen Arzt und Patient.
Herr Minister Ehrenberg, auch wir sind dafür, daß Kostenaufwand nicht mit medizinischer Wirksamkeit verwechselt wird. Aber, meine Damen und Herren von der SPD, es hat mich gefreut, daß auch Ihr Kollege, der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Farthmann, diesen Vorschlag der Bundesregierung über die Arzneimittelkostenbegrenzung im Bundesrat als - wörtlich - „nicht unproblematisch" bezeichnet hat.
({11})
- Das wollen wir einmal sehen.
Genau dasselbe Prädikat, nämlich „nicht unproblematisch", möchte ich z. B. auch der im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelung über die Höchstbelastung der Versicherten bei Zahnersatz zuerkennen. Diese Beschränkung wird sicher nicht zur Kostendämpfung beitragen, sondern eher auf eine Bedarfsweckung hinauslaufen. Sie engt im übrigen in erheblichem Maße das Satzungsrecht der Selbstverwaltung der Krankenkassen ein, durch das sie vor allem, wie die Bundesregierung übrigens selbst in ihrem Bericht zu Fragen der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wörtlich ausführt, „sich flexibel schnell veränderten Bedürfnissen anzupassen und so wirksam kostengünstige Regelungen zu finden in der Lage ist". Das will man aber jetzt nicht mehr wahrhaben.
Ich will bewußt davon absehen, von der grundsätzlichen Kritik am Regierungsentwurf zu den zahlreichen Einzelheiten überzugehen.
({12})
Ich will vielmehr auf spezielle Dinge nur insoweit zu sprechen kommen, als sie die überstürzte Hektik und damit die Unausgewogenheit der Regierungsvorschläge dokumentieren. Besonders deutlich wird das in all den Fällen, in denen, wie bei dem schon erwähnten Kassenarztrecht von 1976, erst kürzlich erlassene Gesetze schon wieder revidiert werden sollen. So hat der Bundestag am Ende der letzten Legislaturperiode das Arzneimittelmarktgesetz verabschiedet, durch das u. a. eine Kommission für pharmakologische, therapeutische und preisliche Transparenz geschaffen wurde, mit deren Hilfe kostendämpfend wirkende Preisvergleiche bei Arzneimitteln ermöglicht werden sollten. Noch hat diese Kommission ihre Fähigkeiten nicht beweisen können, und schon stülpt Herr Minister Ehrenberg sein sogenanntes Kostendämpfungsgesetz darüber, durch das ebenfalls eine unabhängige Sachverständigenkommission mit gleicher Zielrichtung eingesetzt werden soll. Wir sind uns der Notwendigkeit von mehr Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt durchaus bewußt. Aber ich halte es grundsätzlich für einen Irrglauben, daß mehr Gesetze und mehr Kommissionen auch mehr Kostendämpfung bringen.
({13})
Das gleiche gilt hinsichtlich der zahlreichen Änderungen des seit wenigen Jahren geltenden Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Wenn man dieses Gesetz für verbesserungsbedürftig hält - das deckt sich durchaus mit unserer Auffassung - so sollte man dieses Gesetz zunächst im ganzen novellieren und es nicht durch ein Sammelsurium von Vorschriften im Regierungsentwurf praktisch aus den Angeln heben. Ich bin allerdings sicher, daß die Bundesregierung auch bei den von ihren politischen Freunden gestellten Landesregierungen hier auf Ablehnung stoßen wird. Herr Minister Farthmann hat sich jedenfalls in erfreulicher Deutlichkeit gegen den Vorschlag der Regierung ausgesprochen, den Ländern die letzte Entscheidung über die Höhe der Pflegesätze im Krankenhaus bei Nichteinigung der Vertragspartner zu nehmen. Hier ist die Gefahr eines Preisdiktats der Krankenkassen gegenüber den schwächeren Krankenhausträgern einfach unübersehbar.
Wir sind auch dagegen, daß die Krankenhäuser in Verträgen mit den Krankenkassen über den Pflegesatz als Institutionen in die prä- und poststationäre ambulante Tätigkeit eingeschaltet werden, weil wir der persönlichen Beteiligung des Krankenhausfacharztes im Rahmen der Möglichkeiten und bei Vorliegen eines entsprechenden Bedürfnisses bei weitem den Vorzug geben.
Wir sind dagegen, daß man durch eine teilweise Verlagerung der Investitionskosten auf die Krankenhäuser insbesondere für die freigemeinnützigen und die privaten Häuser, aber genauso natürlich auch für den kommunalen Bereich die Frage der Überlebensmöglichkeiten stellt und die Verantwortung hierfür den Krankenkassen aufbürdet. Wir fragen die Regierung, wie sie diese Maßnahmen gerade in bezug auf die freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser mit Art. 14 des Grundgesetzes in Einklang bringen will.
Für ordnungspolitisch fragwürdig halten wir die vorgesehene bundeseinheitliche Festsetzung der jährlichen ärztlichen Gesamtvergütung für alle Kassenarten, die zu einer Vereinheitlichung der bisherigen unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe für ärztliche Leistungen für die gesamte Krankenversicherung, insbesondere zu einer Einebnung der Unterschiede zwischen RVO- und Ersatzkassen führt. Man kann nur hoffen, daß sich Herr Schmidt ({14}) von der FDP noch an seine zündenden Worte beim Ersatzkassentag in München vor der Wahl erinnert.
({15})
- Da hat er sich sehr für die Erhaltung des pluralistischen Systems im Bereich der Krankenversicherung und vor allem für den Erhalt der Ersatzkassen eingesetzt.
({16})
Eine solche Nivellierung des gesamten Vertrags-und Leistungsrechts aller Krankenkassen, verbunden mit einem sehr weitgehenden Finanzausgleich zwischen den einzelnen Kassen und Kassenarten, präjudiziert eine Gleichschaltung dieser Einrichtungen des
Gesundheitswesens und damit eine Einheitsversicherung mit einheitlichen Beiträgen und einheitlichen Leistungen, insbesondere eine Einheitsgebührenordnung für alle Kassen sowie Einheitshonorare für ärztliche Leistungen,
({17})
und läuft damit letztlich auf ein zentralistisch-staatliches Sozialleistungssystem und damit auf eine Verstaatlichung des Gesundheitswesens, d. h. auf eine staatliche Volksversicherung und eine Versorgungsbürokratie im Gesundheitswesen, hinaus.
({18})
Sie bedeutet mehr wohlfahrtsstaatliche Elemente, mehr staatlichen Einfluß und dirigistische Züge und damit mehr Abhängigkeit vom Staat und seinen Institutionen und weniger Selbstverwaltung und auch weniger Selbstverantwortung im Gesundheitswesen.
({19})
Nicht zuletzt führt diese Entwicklung auch zu einer Konzentration gesellschaftspolitischer Macht in der Hand der Einheitsversicherung. Aber diese Konzentration von Macht, meine Damen und Herren, wollen Sie ja anscheinend in allen Bereichen einführen. Ich möchte noch folgendes einfügen, da wir ja beim Kostendämpfungsgesetz sind: Eine solche Konzentration würde ganz sicherlich nicht zu einem kostengünstigeren Angebot gleichwertiger medizinischer Leistungen führen.
Die gesetzlich fixierte Limitierung der jährlichen Gesamtvergütung für ärztliche Leistungen bedeutet über die im geltenden Kassenarztrecht bereits enthaltenen Vorschriften hinaus einen Eingriff in die noch verbliebenen eigenständigen und selbstverantwortlichen Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere in die Dispositions- und Vertragsfreiheit der unmittelbar am Krankenversicherungssystem Beteiligten, d. h. der Krankenkassen sowie der kassenärztlichen Vereinigungen, und bedeutet mehr Abhängigkeit und Reglementierung durch den Staat und somit letztlich eine Einschränkung und Schwächung der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung der maßgebenden Institutionen des Gesundheitswesens. Und Herr Minister Ehrenberg behauptet, mit diesem Gesetz die Selbstverwaltung stärken zu wollen!
Ich habe heute gerade einige interessante Passagen aus einer Rede vom Mai 1976 gelesen, aus der ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin einige Dinge bezüglich Einheitsbeiträge, Einheitsleistungen und Einheitshonorare der gesetzlichen Krankenversicherungen vorlesen möchte:
Wenn die Einheitshonorare eingeführt werden, wird das Endziel einer solchen Politik der verstaatlichte Gesundheitsdienst und die Einheitsversicherung, Mammutkollektive, die den kranken Bürger verwalten, und dies bestimmt nicht kostengünstiger.
In derselben Rede geht es genauso weiter: Staatlicher Dirigismus und Eingriffe in die Selbstverwaltung haben auch künftig - und jetzt passen Sie auf, das ist nämlich eine Rede von Frau Liselotte Funcke,
die sie am 10. Mai 1976 in Düsseldorf vor den Ärzten gehalten hat - ({20})
- Das war vor der Wahl. Ich wiederhole:
Staatlicher Dirigismus und Eingriffe in die Selbstverwaltung haben auch künftig mit der FDP keine Chance; vielmehr wird die FDP den Handlungsspielraum der Selbstverwaltung erhalten und ausbauen,
({21})
damit unter anderem die Politik der Kostendämpfung im staatsfreien Raum
- aber wo ist denn bei diesem Gesetz noch der staatsfreie Raum mit Selbstverwaltung erhalten geblieben? mit Erfolg fortgesetzt werden kann.
({22})
Man kann ja nur hoffen, daß die FDP bei den Ausschußberatungen sich auf diese goldenen Worte besinnen wird.
({23})
Bei der SPD haben wir gar nicht unbedingt das Gefühl gehabt, daß uns bei einer solchen Gesetzgebung etwas Gutes erwartet. Denn der Fraktionsvorsitzende der SPD hat ja vor der Wahl bereits gesagt: Nach dem 3. Oktober wird tiefer gepflügt. Ich habe das Gefühl, im Bereich des Gesundheitswesens ist der Pflug schon sehr tief gedrungen.
({24})
- Auch darüber können wir uns noch einmal unterhalten. Das ist kein Thema, das hier ansteht. Wenn auch Ihr Fraktionskollege Herr Glombig unentwegt das Gesetz nur an den Arzthonoraren aufzuhängen pflegt.
({25})
Die freiwillige Empfehlungsvereinbarung zwischen Krankenkassen und Kassenärzten über die Begrenzung der ärztlichen Honorarsteigerungen für 1976 und 1977 als Beitrag zur finanziellen Konsolidierung der Krankenversicherung bestätigt, daß das Subsidiaritätsprinzip auch im Gesundheitswesen funktionsfähig ist und daß der Staat nur einzugreifen braucht, wenn wirklich keine anderen Maßnahmen mehr ziehen.
Wir haben Vertrauen in das Verantwortungsbewußtsein, in die Einsicht und in das Handeln aller, die an der Ausgabengestaltung in unserer Krankenversicherung beteiligt sind.
({26})
- Auch die Zahnärzte, ganz sicherlich. - Wir haben Vertrauen darauf, daß sich jeder in seinem Bereich und alle gemeinsam dazu finden werden, Stufe um Stufe auf dem gewiß nicht leichten Wege der Konsolidierung der Finanzlage in den einzelnen, Zweigen unserer Sozialversicherung zu ersteigen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal eindringlich darauf hinweisen, daß der Gesetzentwurf zur Krankenversicherung - das ist für Sie sicherlich nichts Neues, aber es ist immer wieder gut, es zu hören - im Gegensatz zu dem Entwurf zur Sanierung der Rentenversicherung unzweifelhaft der Zustimmung des Bundesrates bedarf, mit dem mein€ Fraktion hinsichtlich der Ablehnung des Regierungsentwurfs voll übereinstimmt. Es hat also daher wenig Sinn, bei unseren nun folgenden Ausschußberatungen einen Konfrontationskurs zwischen Koalition und Opposition zu steuern. Der Sache angemessen ist und bleibt allein eine Kooperation aller Beteiligten mit dem Ziel eines vernünftigen Kompromisses, der unser bewährtes System der Gesundheitsversorgung erhält und vor allem langfristig finanziell sichert. Wir von der CDU/CSU sind zu solchen konstruktiven Beratungen in den entscheidenden Ausschüssen bereit.
({27})
Das Wort hat der Abgeordnete Egert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Dr. Neumeister, Sie wissen, daß mich Ihre charmante Art immer für Sie einnimmt. Allerdings habe ich zum erstenmal miterleben können, daß man auch in einem charmanten Vortrag eine ganze Menge neben der Sache Liegendes sagen und viele Irrtümer in diese Diskussion einführen kann.
({0})
Ich meine, dies muß man geraderücken, da wir gerade vor dem Beginn der Ausschußberatungen stehen. Sie haben von Kooperation gesprochen. Dies heißt, daß man mindestens zwischen den Fraktionen in diesem Haus klarstellen muß, vor welchen Notwendigkeiten wir stehen, und da waren wir schon einmal ein Stück weiter.
Ich erinnere mich, daß wir im 7. Deutschen Bundestag eine Debatte über ein gesundheitspolitische Große Anfrage der Opposition hatten, und damals war die gleiche große Erwartungshaltung da, die uns jetzt bewegt hat, nämlich auf das groß angekündigte Konzept der Opposition zu warten. Damals war die Parole: Geißler kommt und wird den großen Wurf wagen. Er kam mit Zahlen, die Diagnose stimmte; dies sei zugestanden.
({1})
- Nein, wenn Sie ein paar Stellungnahmen mehr gelesen hätten, Herr Kollege Blüm, hätten Sie gefunden, daß die Frage gerade von mir damals in Kommentierung der Geißlerschen Zahlen aufgeworfen worden ist, wo auf die Diagnose die Therapie folgen soll. Schon damals in der Debatte ist uns die Opposition die Antwort auf die Frage, was die Therapie im Gesundheitswesen sein soll, schuldig geblieben. Inzwischen ist es wieder so: Sie spitzen den Mund und vergessen zu pfeifen. Dies ist das Problem.
Herr Kollege Blüm, Sie haben vom „Problem Verschiebebahnhof" gesprochen. Ich habe mir dieses Stichwort sehr gut gemerkt.
({2})
-- Sehen Sie, ich bin begrenzt merkfähig; das ist mein Problem. Sie sind natürlich ein wesentlich klügerer Kopf als ich; das unterscheidet uns beide. Nur dieses bißchen, was ich mir merken kann, habe ich mir gemerkt. Ich will noch einmal auf diesen Verschiebebahnhof zurückkommen. Sie haben vorgeschlagen, eine konzertierte Aktion zu machen. Wissen Sie, was das ist? Dies ist schlicht ein Vertagebahnhof.
({3})
- Ich habe so viel Luft, daß ich den langen Atem, um mit Ihnen fertig zu werden, allemal habe.
({4})
Das Problem ist, daß Sie uns einen Vertagebahnhof andienen. Inzwischen ist seit der Aufstellung der Geißlerschen Zahlen, der Diagnose und der Notwendigkeit der Therapie, einige Zeit verstrichen, und jetzt gilt es, etwas zu tun. Deswegen hilft ein weiteres Warten in der Sache nicht.
Konzertierte Aktion heißt im Klartext, daß Sie es zulassen wollen, daß mindestens zwei Jahre lang den Beitragszahlern und Versicherten in ihren Geldbeutel gegriffen werden kann,
({5})
und zwar über eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge. Wenn wir uns die Ankündigungen der ärztlichen Standesverbände angucken, wissen wir, daß die von Ihnen so gerühmte freiwillige Vereinbarung - mit einer einzigen Ausnahme, einer winzigen Stimme: der Kassenarztverband hat sich für einen Honorarstopp ausgesprochen - keine Bereitschaft enthielt, den Honorarstopp über das Ende des Jahres 1977 fortzusetzen. Dies ist die Wahrheit, und dies heißt im Klartext: Beitragssatzerhöhung. Dadurch wird in die Geldbeutel der Arbeitnehmer gegriffen. Das müssen Sie dazu sagen, wenn Sie Ihr Konzept zur Lösung der Probleme im Gesundheitswesen anbieten.
({6})
Bevor ich mich noch weiter mit Ihnen und den Vorschlägen beschäftige, die Sie für die gesundheitspolitische Diskussion um das Kostendämpfungsprogramm hier anbieten, lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Vorlauf sagen, den wir im vorparlamentarischen Raum gehabt haben. Für das Parlament besteht ja das Problem, daß es sich zu einem Zeitpunkt mit Gegenständen auseinandersetzen muß, in dem es schon einen erheblichen öffentlichen Vorlauf für diese Diskussion gegeben hat. Es hat sehr heftige Reaktionen von Betroffenen gegeben. Dieser Vorlauf war von polemischen Verzerrungen, bewußten und unbewußten Mißverständnissen gekennzeichnet. Er ließ Beteiligte und Betroffene dieser Diskussion eher verwirrt als aufgeklärt zurück.
Wissen Sie, wir Sozialdemokraten haben ein Interesse daran, daß diese von Unsachlichkeiten bestimmte Auseinandersetzung sich nicht fortsetzt. Wir hatten die Erwartung, daß insbesondere die Debatte im Parlament hierfür einen Einstieg bieten könnte. Ihre Beiträge heute in der Diskussion vom Kollegen Geisenhofer über Franke, Blüm, leider bis hin zu Ihrem Beitrag, Frau Dr. Neumeister, haben mich in dieser Erwartung nicht hoffnungsfroher gestimmt; denn wir meinen es ernst mit dem vorurteilsfreien Gespräch im Rahmen der gesetzten Eckdaten über alternative Vorschläge,
({7})
weil ja von Kooperation die Rede war.
Wir wollen und werden allerdings auch nicht zulassen, daß die Patienten und Versicherten im Zustand halben Wissens vor den Karren eigensüchtiger Interessen eines mit hohem Sozialprestige ausgestatteten Berufsstandes gespannt werden.
({8})
Genausowenig wollen wir Neidkomplexe gegen berechtigte Wünsche eines Berufsstandes nach einem angemessenen Einkommen mobilisieren. Uberzogene Reaktionen der Ärzteschaft, kollektive Behandlungsverweigerungen, wie wir sie erlebt haben, überschreiten allerdings die Grenze des rechtlich Zulässigen. Hier ist der Rechtsstaat tatsächlich gefordert; es muß sich zeigen, inwieweit er von bestimmten Gruppen beliebig erpreßbar ist. Dies ist auch ein Punkt in dieser öffentlichen Diskussion, dem wir uns stellen müssen. Dies ist eine Irreleitung, die ich nicht der Ärzteschaft anlaste. Ich laste sie vielmehr einigen verantwortungslosen Standesfunktionären innerhalb der Ärzteschaft an, und mit diesen werden wir uns allerdings auseinandersetzen, und darin lassen wir auch nicht nach.
({9})
Ich meine, daß die Ärzte auch gut beraten wären, diesen Weg nicht weiter zu beschreiten, denn er führt in die Sackgasse. Er schadet ihrem wohlverstandenen Interesse. Er nimmt ihnen die Möglichkeit, sachverständig Einfluß auf die weitere Diskussion zu nehmen.
Dabei sehen wir, daß das entscheidende Bemühen der Bundesregierung, die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen, zunehmend Parteigänger findet. Im Gegensatz zu Ihrer Bewertung der öffentlichen Diskussion stelle ich fest, daß das, was an Umfragen und öffentlichen Stellungnahmen vorliegt, durchaus die Position und die Vorschläge der Bundesregierung stützt. Erst gestern hat sich die Kammer für soziale Ordnung bei der Evangelischen Kirche in Deutschland - ein ganz unvermuteter Parteigänger, gerade auf dem Hintergrund der totalen Ablehnung unserer Vorschläge durch die Parteien, mit dem C im Namen - zu diesem Thema geäußert und die Frage an die Bundesregierung gerichtet, ob sie nicht prüfen wolle, ob die Verhältnisse im Gesundheitswesen nicht zu Monopolgewinnen geführt haben, die mit einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht vereinbar
sind. Dies sagt die Kammer für soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland.
({10})
Ich meine, so falsch kann also die Regierungskoalition mit ihren Absichten auf dem Felde der kostendämpfenden Maßnahmen im Gesundheitswesen nicht liegen, wenn die Betroffenheit bei denen, die Patienten und Versicherte sind, ausreicht, um die Vorstellungen und Vorschläge zu verstehen, und wenn sich auch die bedeutenden gesellschaftlichen Organisationen dem Grunde nach positiv zu diesem Kostendämpfungsprogramm stellen.
Es sei zugegeben, daß niemand gern eine Minderung seines Einkommens hinnimmt und daß es legitim ist, auch von seiten der Ärzte gegen dieses Programm vorzugehen. Dabei wird es allerdings darauf ankommen, daß die Ärzteschaft auch deutlich macht, wo sie auf dem Hintergrund der sozialen Situation, in der wir uns in diesem Lande im Moment befinden, ihren Beitrag zur Konsolidierung unseres sozialen Leistungssystems leisten will. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob Maßnahmen zur Kostendämpfung ergriffen werden sollen, sondern nur noch die Frage des Wie. Hier vermissen wir allerdings die Einsicht, aus dieser Erkenntnis auch die notwendigen Schlußfolgerungen ziehen zu wollen.
Die bisherigen Stellungnahmen der Opposition, aber auch die der gegenwärtigen Mehrheit im Bundesrat lassen uns zweifeln, ob dem Bekenntnis zur Notwendigkeit auch die Bereitschaft folgt, das Bemühen der Bundesregierung zu unterstützen.
({11})
Lassen Sie mich noch einmal auf Ihre Diskussionsbeiträge eingehen. Ihre Vorschläge betreffend konzertierte Aktion zeigen doch auf, daß Sie offensichtlich zu mehr nicht fähig waren, obwohl ich weiß, daß auch die innerparteiliche Diskussion in der Opposition schon einmal weiter gediehen war. Etwa auf der Ebene der Gesundheitsminister hatte man sich schon zu mehr verstanden und war man durchaus bereit, bestimmte gesundheitspolitische Forderungen zu unterstützen. Auf der Ebene der Planungsreferenten der einzelnen Länder war dieser Prozeß sogar noch viel weiter gediehen. Je weiter man nach unten kam, desto größer war die Bereitschaft. Nun findet sich von all dem, was dort unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit der Kostendämpfung, aber auch der Strukturveränderung diskutiert wurde, im Programm der Opposition nichts außer dem Hinweis auf die konzertierte Aktion wieder. Dies legt doch die Vermutung nahe, daß die Herren Beske und Geißler in ihrer innerparteilichen Uneinigkeit zu nicht mehr Lösungsvorschlägen kommen konnten und daß sie mit den Vorschlägen in opportune Bequemlichkeit einmünden mußten. Ich will dies erläutern: opportune Bequemlichkeit insofern, als sie sich dem unbequemen Teil der Operation zur Sanierung unseres sozialen Leistungssystems nicht stellen wollen.
({12})
- Doch, ich habe zugehört. Ich möchte Ihnen empfehlen, den Gesetzentwurf einmal zu lesen. Vielleicht fangen wir die Ausschußberatungen einmal mit gemeinsamen Lesestunden an, denn der Beitrag des Genossen Blüm - ({13})
- Des Kollegen Blüm. Ich will nicht in den falschen Verdacht geraten, wir hätten ihn schon in unserer Fraktion begrüßt.
({14})
Unser Land hat einen Bedarf an großen Schauspielern. Wir würden also auch Sie gern bei uns begrüßen.
({15})
Das Problem ist, daß Sie offensichtlich den Gesetzentwurf noch nicht gelesen haben; denn anders kann ich die Bemerkungen des Kollegen Blüm hier in der Debatte nicht verstehen. Dann hätte er bestimmte Aussagen hier tatsächlich nicht machen können; denn ein Teil der Forderungen, die er aufstellt, steht nun gerade in dem Gesetzentwurf der Regierung.
Wir Sozialdemokraten meinen es mit der Selbstverwaltung tatsächlich ernst. Sie mögen sagen, Sie meinten es mit der Freiheit viel ernster. Ich habe da so meine Zweifel. Freiheit, die in Wildwuchs entartet, hat anarchische Dimension. Wir meinen, wenn wir Freiheit sagen, auch eine soziale Dimension. Wir meinen die Selbstverwaltung genau in dieser sozialen Dimension. Auf diesem Hintergrund begrüßen wir es, daß die Bundesregierung ihre Vorschläge zur Kostendämpfung so vorgelegt hat, daß sie diese Maßnahmen zur Kostendämpfung systemgerecht in die Hände der Träger der Selbstverwaltung legt und diese damit in ihren Möglichkeiten wesentlich gestärkt werden. Mit dem böswilligen und verleumderischen Gerede von Dirigismus und dem Marsch in die Staatsmedizin soll doch nur von tatsächlichen Problemen im Gesundheitswesen abgelenkt werden. Wir weisen diesen Versuch als untauglich zurück und wiederholen: Durch den Gesetzentwurf wird die Selbstverwaltung entscheidend gestärkt. Wir wünschen eine funktionsfähige Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Allerdings darf sich Selbstverwaltung in unserem Verständnis auch nicht darin erschöpfen, ein Geldverteilungsprinzip am Laufen zu halten.
({16}) Dies allerdings wollen wir ändern.
Selbstverwaltung bedeutet nach unserem Verständnis auch Steuern und Lenken von Entwicklungen in eigener - ich betone: eigener - Verantwortung der Träger der Selbstverwaltung. Neben einer Reihe von Empfehlungen und Anregungen enthält der Gesetzentwurf hier bindende Vorschriften, diese Verantwortung auch wahrzunehmen. Wer diesen pädagogischen Zeigefinger auf dem Hintergrund der bereits bestehenden Gebote der Reichsversicherungsordnung zugunsten einer konzertierten Aktion aufgeben will, der übersieht Fehlentwicklungen der
vergangenen Jahre und gibt Schonfristen zu Lasten der Geldbeutel der Versicherten. Angesichts der Ankündigung aus der Ärzteschaft, Honorarvereinbarungen nicht über 1977 hinaus zu verlängern, wäre es leichtfertig, auf die gesetzliche Absicherung dieser Empfehlungsvereinbarung zu verzichten. Die Zeche würden die Beitragszahler in der Krankenversicherung, die arbeitenden Menschen in unserem Lande, bezahlen.
Meine Damen und Herren, was will statt dessen die Bundesregierung? Die Einkommensentwicklung der Ärzteschaft soll an allgemeinwirtschaftliche Entwicklungen durch eine Empfehlungsvereinbarung der Honorarpartner, Ärzte und Krankenkassen, angepaßt werden. Ärzte und Krankenkassen sollen auf Bundesebene unter Berücksichtigung von gesamtwirtschaftlichen Daten ihren tariffähigen Untergliederungen auf Landesebene Empfehlungen über die Honorarentwicklung geben. Wer eigentlich hindert die Beteiligten, in einer konzertierten Aktion, die Bereitschaft zum Gespräch und zum Kompromiß vorausgesetzt, die wesentlichen Elemente einer solchen Empfehlungsvereinbarung auf dem gesetzlichen Hintergrund bereits im Vorfeld zu klären?
({17})
Das Gesetz sichert das Zustandekommen der Vereinbarung ab. Das wollen wir. Das heißt, eine gesetzliche Regelung ist für den unverzichtbar, der es mit kostendämpfenden Maßnahmen im Gesundheitswesen wirklich ernst meint.
Wer in diesem Zusammenhang davon redet, man wolle den Ärzten etwas wegnehmen, der medizinische Fortschritt sei in Gefahr, die Therapiefreiheit der Ärzte sei nicht mehr gewährleistet, die Leistungen gegenüber den Patienten könnten nicht mehr erbracht werden, der verschweigt die Wahrheit. Ich will nicht erneut in den Streit über dieses oder jenes durchschnittliche Einkommen der Ärzte eintreten. Nur, daß die Steigerungsrate der Ärzteeinkommen in den letzten Jahren erheblich über der der Arbeitnehmer lag, kann doch wohl ernsthaft nicht mehr bestritten werden. Es ist deshalb nur ein Gebot sozialer Gerechtigkeit und beileibe nichts Ehrenrühriges, wenn das Einkommen der Ärzte nicht stärker steigt als das des Facharbeiters, der neben anderen mit seinen Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung die Mittel dafür aufbringt.
({18})
Meine Damen und Herren, verschiedene ärztliche Fachgruppen - Neurologen, Kinderärzte; es ist schon erwähnt worden - klagen, daß durch die pauschale Begrenzung der Honorarzuwächse ihre unterdurchschnittlichen Einkommen festgeschrieben und sie damit weiter benachteiligt würden.
({19})
Lassen Sie mich dazu bemerken, daß die Honorarzuwachsbegrenzung doch nicht pauschal weitergegeben werden muß. Worum es geht, ist, den Einkommenszuwachs der Ärzte an wirtschaftlichen Eckdaten zu orientieren und dadurch die Einkommensentwicklung zu bremsen, um überproportionale Zuwachsraten auf hohem Niveau - für 1976 sind das 34,6 % der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung; in absoluten Zahlen ausgedrückt: 22,3 Milliarden DM - zu vermeiden. Es ist doch gerade eine Aufgabe der Selbstverwaltung, diese Probleme gerecht zu lösen, wenn sie verantwortlich tätig sein will. Den Fachgruppenstreit an den Gesetzgeber weiterzuverweisen ist falsch und nicht systemgerecht. Diese zugegebenermaßen unangenehme Aufgabe ist eben auch eine Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung. Sie hat doch durch ihre bisherige Untätigkeit entscheidenden Anteil daran, daß es zu diesen Verzerrungen zwischen den ärztlichen Fachgruppen überhaupt kommen konnte. Sie verantwortet, daß ein Kinderarzt nur 60 % des ärztlichen Durchschnittseinkommens erreicht, ein Röntgenologe dagegen gut das Anderthalbfache. Wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen hier bisher untätig waren, dann haben sie ihre gesetzlichen Fürsorgeaufgaben gegenüber ihren Mitgliedern, den einzelnen Kassenärzten, vernachlässigt. Das Gesetz will hier Hilfen geben, die Verzerrungen in der Einkommensstruktur der Ärzteschaft abzubauen, will Hilfen geben, die Apparatemedizin in der Bewertung zurückzudrängen und mehr zu den eigentlich ärztlichen Leistungen, dem therapeutischen Gespräch, zu kommen.
Neben Höhe und Struktur der Ärzteeinkommen ist die Regelung, mit der die Träger der Selbstverwaltung verpflichtet werden, einen Höchstbetrag für die Arzneimittelausgaben zu vereinbaren, dessen Überschreitung in bestimmten Fällen zu Regressen - gegenüber der Gesamtvergütung der Ärzte, Frau Dr. Neumeister, nicht gegenüber dem einzelnen Arzt - führt, ein Zentralpunkt der öffentlichen Diskussion. Dabei ist unbestritten, daß ein Eindämmen der Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung unumgänglich ist. Ebenso unbestritten ist, daß dies nur Erfolg haben kann, wenn sowohl die Verschreibungsgewohnheiten der Ärzte als auch die gesundheitspolitisch unvertretbaren Konsumgewohnheiten der Patienten beeinflußt werden. Auch darum geht es. Hier ist der Arzt in seiner gesundheitserzieherischen Funktion gefordert. Denn an jeder kostenwirksamen Leistung in unserem Gesundheitswesen ist, wenn man einmal den Bereich der Selbstmedikation außer acht läßt, ein Arzt beteiligt, verantwortlich beteiligt.
Auf dem Hintergrund von zirka 2 Milliarden DM geschätzten Arzneimittelmülls in der Bundesrepublik muß mit dem bereits bestehenden Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsgebot - nicht nur mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot - in der Reichsversicherungsordnung Ernst gemacht werden. Der Arzneimittelhöchstbetrag ist dabei eine denkbare Maßnahme neben anderen. Verbrauch von Arzneimitteln und Preise für Arzneimittel müssen beeinflußt werden. Dabei sind wir Sozialdemokraten für weitere Anregungen und sachkundigen Rat - nicht nur in dieser Frage - offen.
Wir werden in unseren Beratungen alle alternativen Vorschläge prüfen und die, die uns wirksam erscheinen, aufgreifen. Dabei haben gesundheitspolitische Gesichtspunkte für uns Priorität vor bloßem Kostendenken. Wir unterstützen die Bundesregierung nachdrücklich bei ihrem Vorhaben, mehr
therapeutische und preisliche Transparenz auf dem
Arzneimittelmarkt zu schaffen. Wir wissen, das dies
allerdings nur mittelfristig Ergebnisse bringen wird.
Kurzfristig kommt entscheidendere Bedeutung dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen zu. Hier muß die Selbstverwaltung beweisen, daß sie zur Eindämmung der Arzneimittelausgaben wirksam beitragen kann. Wir regen an, zu prüfen, ob z. B. Schmerzmittel, Abführmittel, Appetitzügler und Tranquilizer in jedem Einzelfall durch die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt werden müssen oder ob ihre Verordnung auf ärztlich begründete Ausnahmen beschränkt bleiben soll. Nicht jede Mißbefindlichkeit im Leben der Menschen muß auf Kosten der Solidargemeinschaft beseitigt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf die Frage der Verzahnung des ambulanten und des stationären Bereichs eingehen, wo ja die eigentliche Revolution im Gesundheitswesen stattfinden soll. Es ist ein offenes Geheimnis, daß meine Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, einen kostensparenden Beitrag u. a. auch davon erwartet, daß an den Krankenhäusern sinnvolle vorstationäre Diagnostik möglich wird. Wer behauptet, dies sei ein Ansatzpunkt zur Überwindung des freiheitlichen Gesundheitssystems, redet schlicht Unfug.
({20})
Das Gesetz eröffnet die Möglichkeit der vorstationären Diagnostik durch die Krankenhäuser in den Fällen, in denen Patienten von niedergelassenen Ärzten zur Diagnostik bisher stationär ins Krankenhaus eingewiesen worden sind. Wenn diese Fälle statt stationär jetzt ambulant diagnostiziert werden, ändert sich an der bisherigen Aufgabenteilung zwischen Krankenhaus und niedergelassenem Arzt gar nichts. Man sollte deshalb keine ideologischen Tänze aufführen.
({21})
Wir werden bei dem Paket der Maßnahmen, das die stärkere Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sicherstellen soll, die strukturellen Vorteile mit den Kostenwirkungen sehr sorgfältig gegeneinander zu gewichten und zu prüfen haben.
Die Eigenbeteiligung der Krankenhausträger mit 5 % bzw. 10 °/o an den Investitionskosten hat zu heftigen Reaktionen geführt. Die jetzt vorgesehene Refinanzierung dieser Eigenbeteiligung über die Pflegesätze - zu Lasten der Krankenversicherung, füge ich in Klammern hinzu - vermeidet zwar Nachteile für freigemeinnützige Krankenhäuser gegenüber den öffentlichen, muß aber unter der Zielsetzung des Gesetzes, Kosten zu sparen, sehr sorgfältig überprüft werden.
({22})
Wir wollen und werden prüfen, ob diese Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und seiner Grundsätze nicht vermieden werden kann und welche alternativen Möglichkeiten - die Frage richtet sich immer auf Alternativen - hierzu gegeben sind.
Das Ziel des Gesetzentwurfes, überflüssige Krankenhausinvestitionen zu vermeiden, wird von uns geteilt. Das Krankenhausfinanzierungsgesetz sieht als Instrument zur Erreichung dieses Ziels den Krankenhausbedarfsplan vor. Wir hatten beim Haushaltsstrukturgesetz einen Vorstoß gemacht, eine bundeseinheitliche Bettenbedarfsplanung durchzusetzen. Dies ist am Widerstand der Opposition und dann des Bundesrates gescheitert. Wir sollten zusammen mit den Ländern überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, die Krankenhausbedarfsplanung noch funktionsfähiger zu machen und ihre Durchführung auch peinlich genau zu gewährleisten, um den kostenwirksamen Effekten im Krankenhaus entgegenwirken zu können.
Meine Damen und Herren, hier ist auf den zeitlichen Druck hingewiesen worden, unter dem wir bei diesen Beratungen stehen. Sicherlich erfordert diese Thematik eine sorgsame Beratung. Dies heißt, der enge zeitliche Rahmen zwingt die Parlamentarier zu erheblichen Anstrengungen. Die Abgeordneten in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages, soweit sie der SPD-Fraktion angehören, sind zu dieser Anstrengung bereit. Sie hoffen, daß sich auch alle anderen Fraktionen dieser Aufgabe stellen. Dabei leitet uns die positive Absicht, den Patienten und Versicherten eine ihnen gerechte optimale gesundheitliche Versorgung, ein leistungsfähiges Gesundheitssystem zu vertretbaren finanziellen Belastungen zu erhalten. Das Gesundheitssystem gefährdet tatsächlich, wer sich dieser Aufgabe mit fadenscheinigen Gründen entziehen will.
({23})
Meine Damen und Herren, als letzter Redner hat der Herr Abgeordnete Hölscher das Wort, so daß wir die vorgesehene Rededauer nur um etwa 15 Minuten überschreiten.
Frau Präsidentin, ich werde mich bemühen; vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Blüm möchte ich der Opposition einen neuen Wahlslogan anbieten: „Freiheit für die Ärzte statt Sozialismus für die Burger". Vielleicht überlegen Sie sich das einmal.
({0})
Herr Kollege Blüm, ich war sehr überrascht, daß Sie sich heute als Agent bestimmter Kampfgruppen profiliert haben,
({1})
sogar ärztlicher Kampfgruppen. Ich habe das einmal mitgebracht. Sie haben sogar in der Wortwahl einiges übernommen, was wir in diesen Tagen auf Flugblättern und in Anzeigen finden: Einheitsversicherung, Einheitsgebühr, Einheitshonorar, Einheitsversorgung, Staatsversorgung, Versorgte, verwaltete Bürger und was es da sonst noch an Greueletiketten geben mag.
({2})
Ich hätte sehr gern der Frau Kollegin Dr. Neumeister ein Kompliment gemacht, weil der erste Teil
ihrer Ausführungen wirklich sehr sachlich war und auch Ansätze brachte, über die man diskutieren konnte. Nur, Frau Dr. Neumeister, auch Sie haben leider hinterher in die Klamottenkiste gegriffen und etwas noch oben gezogen, was vielleicht in den Sprachschatz des Wahlkampfes gehört, was aber ganz und gar nichts mit dem Inhalt dieses Gesetzentwurfes zu tun hat.
({3})
Herr Kollege Blüm, daß Sie diesen Gesetzentwurf gar nicht gelesen haben können, möchte ich Ihnen an einem kleinen Beispiel deutlich machen. Sie haben gesagt, wir hätten überhaupt nicht verstanden, worin z. B. die Einkommensunterschiede zwischen Kinderarzt und Röntgenarzt begründet sind. Gerade in diesem Punkt sieht der Gesetzentwurf eine höhere individuelle Bewertung der ärztlichen Leistung zu Lasten apparativer Leistungen vor.
({4})
Die Selbstverwaltung wird beauftragt, im Rahmen der Verträge, die zu" schließen sind, hier keine Einheitshonorare festzusetzen - das ist alles Unsinn, dafür ist der Gesetzentwurf sicher keine Grundlage -,
({5})
sondern differenziert individuelle Leistungen eines Arztes zu bewerten.
({6})
- Herr Kollege Blüm, Sie haben auch keine Zwischenfrage zugelassen. Ich täte es sehr gern, weil ich mich sicherer fühle als Sie. Nur, ich habe lediglich 15 Minuten Redezeit, und wir haben noch einige Tagesordnungspunkte zu erledigen.
({7})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zu der Kampagne bestimmter Ärzteverbände sagen, meine allerdings nicht alle Ärzte, denn hier muß man sicher auch differenzieren. Ich tue das deshalb, weil die öffentliche Diskussion sehr stark durch Interessenpolemik bestimmt war.
Ich glaube, es ist legitim, wenn das Ziel der Beibehaltung einer außergewöhnlichen Einkommensentwicklung in Form von Kampfmaßnahmen draußen verbal dargestellt wird. Nur sollte man dann auch deutlich sagen - und das sollte auch die CDU-Opposition tun -, daß es um die Beibehaltung bestimmter Einkommensprivilegien geht. Man sollte diese legitimen, verständlichen Gruppeninteressen nicht mit ethischen Mäntelchen zukleistern.
({8})
Es mag das Problem der Ärzte einiger Verbände sein, wie sie diesen Preiswettbewerb, das Ansehen der deutschen Ärzte möglichst noch weiter zu ruinieren, bewältigen wollen. Bitte, ich könnte mir vorstellen, daß der eine oder der andere Verbandsfunktionär in die Wüste geschickt wird. Dies kann uns nicht interessieren. Interessieren muß uns aber, wenn durch überzogene Polemik, durch falsche Tatsachenbehauptungen und eine unzureichende Information Unruhe und Angst bei den Patienten erzeugt werden.
Ich habe hier einmal zwei Briefe aus meinem Wahlkreis mitgebracht. Ich will sie nicht verlesen. Ich habe mich erkundigt; es handelt sich nicht um von Ärzten gesteuerte Briefe; die bekommen wir auch, wie Sie wissen. Hier hat eine Wählerin Angst davor, daß sie wegen einer bösartigen Krankheit in Zukunft nicht mehr ausreichend behandelt werden kann. Eine andere Wählerin weist darauf hin, daß sie - Jahrgang 1920 - im Krieg dienstverpflichtet gewesen sei und in der Wehrmacht Schlimmes erlebt habe. Sie stehe jetzt kurz vor der Pensionierung und müsse nach den Mitteilungen der Ärzte um Arztbehandlung und Medikamente für die kommenden Jahre fürchten.
Meine Damen und Herren, hier hört es auf. Dies ist durch noch so legitime Interessenwerbung nicht mehr abgedeckt. Wenn mein Beitrag nur das Ziel erreicht, wenigstens etwas aufklärend zu wirken und deutlich zu machen, was tatsächlich in dem Gesetzentwurf steht - vielleicht nimmt auch der eine oder andere Kollege von der Opposition damit erstmals den konkreten Inhalt des Gesetzentwurfs zur Kenntnis -,
({9})
dann hat er vielleicht einen Sinn gehabt.
Ich finde nur, die Ärzteverbände sollten sich im Interesse ihres Ansehens von einigen Scharfmachern trennen. Sonst müssen sie sich sagen lassen, daß sie mit ihren überzogenen Behauptungen - das sage ich als Liberaler
({10})
den Sozialismus verharmlosen;
({11})
denn mit Sozialismus hat dies weiß Gott nichts zu tun.
Ich möchte ganz einfach darstellen, worum es geht oder worum es nicht geht. Es geht genauso wie in der Rentenversicherung überhaupt nicht darum, ob die Substanz von sozialen Leistungen angetastet werden soll. Darum geht es gar nicht. Es geht bei allen Maßnahmen nur um den Zuwachs z. B. von Honoraren und Arzneimittelverordnungen.
({12})
Weder die Regierung noch die Parlamente setzen Honorare fest. Beide werden auch nicht den Rahmen von Arzneimittelverordnungen bestimmen. Das sollen die Selbstverwaltungsorgane tun, das sollen
also die Ärzte und die Kassen tun und keine staatliche Institution. Deshalb sind alle Behauptungen bezüglich Dirigismus an den Haaren herbeigezogen und haben mit der Realität überhaupt nichts zu tun.
({13})
Wir als Gesetzgeber wollen allerdings und
hoffen dabei auf Ihre Zustimmung - erstens, daß sie es auch tun, daß die Selbstverantwortung der Selbstverwaltung greift, und zweitens, daß sich dies alles im Rahmen der volkswirtschaftlichen Entwicklungen vollzieht, sich also im volkswirtschaftlichen Rahmen hält.
({14})
Deshalb sollen die Ausgaben ja in allen Bereichen - und es geht nicht nur um die Arzthonorare, sondern z. B. auch um die Arzneimittel und die Krankenhäuser - in einem volkswirtschaftlich vertretbaren Rahmen stabilisiert werden.
Die vorgesehene Anbindung der Ausgabenentwicklung an die gesamtwirtschaftlichen Kriterien trifft eben alle Beteiligten, weil der jeweilige Anteil am verfügbaren Kuchen nicht mehr überproportional steigen kann. Das erklärt natürlich manche Kritik der Betroffenen, die sich erhoffen, daß sie vom zukünftigen Kuchen eben vielleicht doch wieder ein größeres Stück abbekommen könnten; aber die polemischen Behauptungen, hier solle das Gesundheitswesen verstaatlicht werden, entbehren wirklich jeder Grundlage.
({15})
Genau genommen ist dieses Kostendämpfungsprogramm das einzige Mittel, unser freiheitliches Gesundheitswesen zu erhalten.
({16})
Mit diesem Programm wird nicht der staatliche Einfluß, sondern der Einfluß der Selbstverwaltung gestärkt.
Wir müssen ja anerkennen, daß es auch innerhalb der Ärzteschaft zunehmend die Erkenntnis gibt, daß die Arzthonorare nicht losgelöst von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung steigen können. Die Ärzte haben ja mit der freiwillig geschlossenen Empfehlungsvereinbarung selber dieses Verständnis gezeigt. Wir haben aber auch beobachten müssen, unter welchen Schwierigkeiten diese Abkommen zustande gekommen sind; einige Landesverbände haben sie j a bis zur Stunde nicht umgesetzt. Und es darf auch nicht überraschen, daß diese zeitlich befristeten Begrenzungsabkommen auf seiten der Kassenärzte weitgehend als einmaliger Vorgang verstanden werden. Im übrigen - das wissen Eingeweihte - drückte sich die sehr erhebliche Kritik innerhalb der Ärzteschaft an diesen Empfehlungsvereinbarungen auch in dem schlechten Abschneiden einiger Verbandsfunktionäre bei den letzten Vorstandswahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus. Gerade diejenigen, die sich dankenswerterweise mit Erfolg für diese Empfehlungsvereinbarung eingesetzt hatten, bekamen die Quittung durch ein schlechtes Abschneiden bei den berufsständischen Wahlen.
Ich möchte fragen, wenn also die Ärzte, wenn die Kassen bereit sind, im Rahmen von freiwilligen konzertierten Aktionen gesamtwirtschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen, wären sie dann z. B. bereit, dies bereits jetzt in die Bundesmanteltarife aufzunehmen? Damit könnten sie ja ihre Absicht einmal dokumentieren. Aber für eine solche Bereitschaft gibt es zur Zeit keinerlei Anzeichen, und dies sollte uns alle nachdenklich stimmen.
Konzertierte Aktion ist nicht gleich konzertierte Aktion. Wenn Sie unter „konzertierter Aktion" die Aktion im Bereich der Wirtschaftspolitik verstehen, müssen Sie sich noch einmal sagen lassen, daß diese konzertierte Aktion auf der Grundlage eines Gesetzes stattfindet. Und ich möchte all diejenigen, denen wirklich die Selbstverwaltung, die Freiheit eines Systems, das freie Spiel der Kräfte im Bereich derjenigen, die Entscheidungen zu treffen haben und die betroffen sind, am Herzen liegt, fragen, ob sie wirklich diese konzertierte Aktion, bei der ja auch die öffentliche Hand mit am Tisch sitzt, für das Optimale halten.
Wir haben hier im Gesetz eine konzertierte Aktion vorgesehen, die - um es einmal so zu bezeichnen - eine reine Selbstverwaltungskörperschaft ist. Wir als Gesetzgeber geben nur den entsprechenden Rahmen, der so weit gesteckt ist, daß es meines Erachtens unverantwortlich ist, z. B. zu behaupten, daß bestimmte Arzneimittelüberschreitungen, wenn sie begründet sind, nicht mehr zulässig wären. Genauso unverantwortlich ist es, zu behaupten, daß die individuelle Leistung des Arztes in Form von Einheitshonoraren nivelliert würde. Die Selbstverwaltung hat an Hand der Kriterien, die wir ihr geben, einen so breiten Spielraum, daß hier tatsächlich Freiheit auch in Zukunft praktiziert werden kann, allerdings - in der Verantwortung stehen wir - im Rahmen des volkswirtschaftlich Möglichen. Wenn Sie die konzertierte Aktion ernst meinen, wenn Sie der Meinung sind, die konzertierte Aktion sollte nach Möglichkeit ohne Einschaltung des Staates praktiziert werden, dann können Sie nur für diese Bundesempfehlungen sein, weil das eine konzertierte Aktion ist, die sich im staatsfreien Raum bewegt.
Meine Damen und Herren, die Zeit reicht nicht aus, noch all das anzuführen, was meines Erachtens notwendig ist,
({17})
auch wegen der Wirkung nach draußen, um einmal rein sachliche Informationen über den wahren Inhalt dieses Gesetzes zu geben.
Selbstverständlich gibt es keine Kollektivhaftung der Ärzte, wenn z. B. der Rahmen der Arzneimittelverordnungen überschritten wird. Wer dies behauptet, muß sich sagen lassen, sich nicht die Mühe gemacht zu haben, einmal einen Gesetzentwurf durchzulesen.
Herr Kollege Blüm, Sie müssen zur Kenntnis nehmen - Frau Dr. Neumeister, Sie wissen es sicher; davon gehe ich aus -,
({18})
daß die Kassenärztlichen Vereinigungen es selber in der Hand haben, den Ausgleich vorzunehmen. Ihnen ist es doch überlassen, ob sie einen einzelnen Arzt, der nachweislich nicht wirtschaftlich gehandelt hat, zur Rechenschaft ziehen oder in welcher Form sie diesen Ausgleich vornehmen.
({19})
Sagen wir doch den Menschen draußen, daß derjenige, der eine schwere Krankheit hat, keineswegs um den optimalen Einsatz des für ihn richtigen Arzneimittels zu fürchten braucht! Aber sagen wir auch den Versicherten draußen, daß dieser Gesetzentwurf die Möglichkeit gibt, daß in Zukunft ein Arzt einmal prüft: Muß diese Packung wirklich so groß sein? Gibt es nicht bei medizinisch gleichwertigen Mitteln möglicherweise auch eines, das nicht gerade das teuerste am Markt ist?
({20}) Hierum geht es und um nichts anderes.
Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Wenn die Opposition glaubt, sie könne in Zukunft Gesundheitspolitik noch auf der Grundlage von Parteitagsbeschlüssen und Sonntagsreden betreiben, so nimmt ihr dies der Wähler als glaubwürdige Gesundheitspolitik draußen sicher nicht mehr ab. Herr Geißler war es, der uns wiederholt aufgefordert hat - ich muß selbstkritisch sagen: zu Recht -, endlich als Parlament und Regierung etwas zu unternehmen. Jetzt unternehmen wir etwas. Jetzt spitzen Sie bitte nicht nur den Mund, sondern pfeifen Sie auch mit uns!
Deshalb tragen Sie die Verantwortung, wenn dieser Gesetzentwurf, der ja zustimmungsbedürftig ist, scheitert. Sie tragen die Verantwortung dafür, wenn wir in den nächsten Jahren die Entwicklung im Gesundheitswesen kostenmäßig und auch was die Versorgung angeht, nicht so weit in den Griff kriegen, daß sowohl Versicherte als auch Patienten mit dem Netz unserer sozialen Sicherheit zufrieden sind. Sie tragen letzten Endes die Verantwortung, wenn die Kassen der Kassen leer sind und möglicherweise Kräfte auf den Plan gerufen werden, die dann, von den Sachzwängen bestimmt, den staatlichen Gesundheitsdienst verlangen. Nutzen wir die Zeit, wo im Rahmen einer liberalen Selbstverwaltung, im Rahmen der Selbstverantwortung und Selbstverpflichtung Reformen noch möglich sind! Ich glaube, die Zeit ist nicht mehr lang.
({21})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zu den Überweisungen. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Wer mit diesen Überweisungen einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, komme ich auf die Tagesordnungspunkte 3 und 4 zurück und gebe das Ergebnis der Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses und das Ergebnis der Wahl der Wahlmänner bekannt.
Zur Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses wurden 507 Stimmen abgegeben. Davon waren 2 Stimmen ungültig. Die Zahl der gültigen Stimmen beträgt somit 505. Von diesen entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der FDP 260 Stimmen und auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 245 Stimmen. Von den 11 zu wählenden Mitgliedern entfallen nach dem gemäß § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes vorgeschriebenen Höchstzahlverfahren d'Hondt 6 Mandate auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der FDP und 5 Mandate auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU.
Damit sind gewählt: von der gemeinsamen Vorschlagsliste der Fraktionen der SPD und der FDP Dr. Claus Arndt ({0}) und die Abgeordneten Dürr, Kleinert, Dr. Müller-Emmert, Schulte ({1}) und Dr. Penner, von der Vorschlagsliste der Fraktion der CDU/CSU die Abgeordneten Vogel ({2}), Erhard ({3}), Dr. Eyrich, Dr. Klein ({4}) sowie Linus Memmel ({5}).
Ich frage die Herren, deren Namen ich verlesen habe, ob sie die Wahl annehmen. - Da ich keinen Widerspruch höre, gilt die Wahl als angenommen.
Die Wahl der Wahlmänner hatte folgendes Ergebnis: Abgegebene Stimmen 507, davon 2 ungültig, somit gültige Stimmen 505. Von den abgegebenen gültigen Stimmen entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der FDP 260 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 245 Stimmen. Von den 12 zu wählenden Mitgliedern entfallen nach dem gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vorgeschriebenen Höchstzahlverfahren d'Hondt 6 Mandate auf den gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der SPD und der FDP und 6 Mandate auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/ CSU.
Damit sind gewählt: von der gemeinsamen Vorschlagsliste der Fraktionen der SPD und der FDP die Abgeordneten Dürr, Dr. Müller-Emmert, Kleinert, Dr. Schäfer ({6}), Jahn ({7}) und Dr. Schmude, von der Vorschlagsliste der Fraktion der CDU/CSU die Abgeordneten Vogel ({8}), Erhard ({9}), Dr. Lenz ({10}), Dr. Klein ({11}), Dr. Jaeger und Dr. Eyrich.
Ich frage die Herren, deren Namen ich verlesen habe, ob sie die Wahl annehmen. - Ich höre keinen Widerspruch und stelle damit die Annahme fest.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines GeVizepräsident Frau Funcke
setzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge
- Drucksache 8/111 Ich nehme an, daß Begründung und Aussprache verbunden werden sollen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwenk.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge greifen die Fraktionen der SPD und der FDP ein Vorhaben der Bundesregierung aus der vergangenen Legislaturperiode wieder auf. Der Bundestag hat sich am 8. November 1974 erstmalig mit dieser Materie befaßt. Der Rechtsausschuß konnte jedoch wegen seiner starken Inanspruchnahme durch die Verabschiedung der Eherechtsreform und der Adoptionsreform den damaligen Gesetzentwurf nicht mehr behandeln.
Innerhalb der gesamten Neuordnung des Ehe- und Familienrechts ist die Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge ein wichtiges und gleichwertiges Teilstück, auf dessen Verwirklichung nicht verzichtet werden kann und dessen Behandlung keinen weiteren Aufschub mehr duldet. Wir ersehen dies aus den an den Gesetzgeber herangetragenen Forderungen zahlreicher Jugend- und Wohlfahrtsverbände, den Äußerungen der Praktiker und Theoretiker der Jugendarbeit und des Jugendrechts, der Vormundschaftsgerichte und jetzt aus weiteren neuen Eingaben. Deshalb soll das Recht der elterlichen Sorge mit dem Anlaufen der Arbeit des neuen Bundestages erneut und zügig zur Beratung gestellt werden.
Dabei knüpfen die Koalitionsfraktionen inhaltlich an die Grundzüge des früheren Gesetzentwurfs der Bundesregierung an; denn die damaligen Vorschläge sind weiterhin aktuell. Es gilt, die ElternKind-Beziehung an ein gewandeltes Verständnis über die beiderseitigen Ausübungen von Rechten und Pflichten zwischen Eltern und ihren Kindern heranzuführen und fortzuentwickeln, sie der veränderten sozialen Wirklichkeit anzupassen und den Schutz gefährdeter Kinder zu verbessern.
Der heute vorgelegte Text weist gegenüber der alten Regierungsvorlage einige Änderungen auf. So sind die durch das neue Adoptions- und Eherecht bereits geregelten Passagen entfallen. Die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters ist berücksichtigt. Im übrigen aber stehen sowohl die Vorschläge des Bundesrats aus der vergangenen Wahlperiode als auch die Vorschläge der interessierten Öffentlichkeit erneut zur Beratung an. Beim weiteren Gang der Beratung dieses Entwurfs wird deshalb die Fülle des herangetragenen Gedankenguts einschließlich der Ergebnisse der neueren Rechtsvergleichung zu verarbeiten sein - wir blicken dabei z. B. auf die Arbeiten des schweizerischen Gesetzgebers - und zur Gestaltung des endgültigen Gesetzes heranzuziehen sein. Wir wünschen deshalb, mit der Einzelberatung zügig beginnen zu können, um ein sachlich ausdiskutiertes Ergebnis zu erhalten.
Bei der Fortentwicklung der Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern ist daran zu erinnern, daß in der hergebrachten Aussage des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Gesichtspunkt der väterlichen und, nach Einführung der Gleichberechtigung der Geschlechter, der elterlichen Gewalt gegenüber dem Kind allein im Vordergrund steht. Dem heranwachsenden Kind werden zwar in verschiedenen Altersstufen unterschiedliche Teilmündigkeiten zugesprochen; so in wirtschaftlicher Hinsicht durch den allseits bekannten Taschengeldparagraphen, durch die Teilgeschäftsfähigkeit des wandernden Handwerksburschen oder der stellungsuchenden Dienstmagd aus alter Zeit oder durch die Religionsmündigkeit. Aber es fällt auf, daß jedwede gesetzliche Anerkennung des Willens und der Bereitschaft des Jugendlichen zur Mitwirkung am Geschehen in der eigenen Familie und am eigenen Schicksal fehlt.
So gibt es zwar eine Vorschrift, die das zum Hausstand gehörende Kind zu Dienstleistungen verpflichtet, die seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechen. Soweit hier von Lebensstellung gesprochen ist, scheint mir das inzwischen etwas veraltet zu sein. Aber für Mitwirkung und Mitverantwortung des heranwachsenden Kindes findet sich im BGB kein Hinweis. Dabei wissen wir, daß das beste Mittel zur Festigung eines Verbandes die mitverantwortliche Einbeziehung der einzelnen Mitglieder in den Entscheidungsprozeß des Verbandes ist. Wenn das so ist, dann muß das, wie für andere Verbände, auch für den Familienverband gelten, wobei innerhalb des Familienverbandes klar zu unterscheiden ist zwischen den Beziehungen der Eheleute untereinander, die ihre Angelegenheit sind, ihren Beziehungen zum Kind und der Schicksalsgestaltung des Kindes selbst.
Diese vielschichtigen Beziehungen zueinander sollten vom Gesetz nicht länger mit Schweigen übergangen werden. Die viel zitierten Sätze aus Art. 6 des Grundgesetzes „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung" und „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht" sind höchst bedeutsame verfassungsrechtliche Schutzvorschriften. Die nähere inhaltliche Aussage über die Ausgestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses wäre im BGB zu suchen.
Im BGB geltender Fassung aber werden im Titel „Elterliche Gewalt über eheliche Kinder" im wesentlichen Zuständigkeiten aufgezählt. Dort heißt es, die Eltern haben das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen, den Aufenthalt zu bestimmen, den persönlichen Umgang zu regeln, das Vermögen zu verwalten. Zum Inhaltlichen begnügt sich das BGB mit der Feststellung, das solle zum Wohle des Kindes geschehen. Was nun aber das Wohl des Kindes ist, ist mit einer irgendwie verbindlichen Aussage nirgends beschrieben. Auch eine gründliche Erhebung im Bereich der Rechtsprechung konnte nur eine fallorientierte Entscheidungspraxis aufzeigen.
Dr. Schwenk ({0})
Wenn es auch von manchen bezweifelt wird, daß sich der Begriff des Kindeswohls in der Sprache des Gesetzes inhaltlich ausprägen läßt, so sind die beiderseitigen Obliegenheiten und Rechte nunmehr doch genauer zu bestimmen. Damit wir nicht mißverstanden werden: Wir wissen, daß viele Eltern die in einem hochzivilisierten Land wie dem unsrigen so schwierige Aufgabe hervorragend meistern, ihre Kinder auf ein eigenständiges Leben vorzubereiten. Für sie ist die Vorstellung nichts Neues, daß Kindern, wie das Bundesverfassungsgericht einmal gesagt hat, Schutz und Hilfe zu gewährleisten sind, damit sie sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft zur eigenverantwortlichen Persönlichkeit entwikkeln können. Dies darf und muß von dieser Stelle aus einmal deutlich ausgesprochen und anerkannt werden. Wir wissen aber auch, daß es zahlreiche Problemfälle gibt, in denen die Entwicklung des Kindes nicht so geleitet wird, wie es dessen ureigenstem Interesse entspräche. In diesen Konfliktfällen soll die Stellung des Kindes verbessert werden, z. B. durch ein Mitspracherecht, durch Respektierung eigener Entscheidungen des Kindes, durch verbesserten Schutz vor Vernachlässigung, ja Schädigung.
Kinder zu erziehen ist nun einmal keine Fähigkeit, die mit der Elternschaft von selbst erwächst. Die niedersächsische Landesregierung hat erst kürzlich auf eine Kleine Anfrage zum Unterrichtsfach „Erziehungslehre" hin bekräftigt, daß der Unterrichtsstoff „Erziehungslehre" nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Aufhellung der Eltern-Kind-Beziehung leistet, sondern auch auf die Verantwortung hinweist, die auf junge Menschen als spätere Eltern zukommt.
Wenn also im staatlich vermittelten Unterricht ausdrücklich von der Eltern-Kind-Beziehung als einer so zu verstehenden zweiseitigen Rechte- und Pflichtenbeziehung oder - im Sinne Kants - von einer Pflichten- und Rechtsbeziehung gesprochen wird, dann kann auch der Gesetzgeber sich nicht mehr im Sinne einer nahezu einseitigen Elterngewaltaussage verhalten. Das hat nun nichts mit einer Einmischung des Staates in die Privatsphäre zu tun. Es geht auch nicht um die Formulierung von Erziehungszielen, an die alle Eltern gebunden werden sollen. Es ist vielmehr das Bemühen, die Funktionstüchtigkeit des Familienverbands durch gesetzliche Vorschriften abzustützen und für die nicht ausbleibenden Konfliktfälle sowohl in bestehender als auch in auseinanderbrechender Familie leistungsfähigere Entscheidungskriterien anzubieten. Wenn wir es also mit dieser Gesetzesvorlage unternehmen, die beiderseitigen Pflichten und Rechte näher zu bestimmen, dann nicht - wie in einer Eingabe befürchtet wurde -, um den elterlichen Ermessensspielraum einzugrenzen, Gegnerschaft des Kindes zu ermöglichen, elterliche Autorität zu untergraben, sondern um beiden eine gesicherte Position zu geben, den Wandel von formaler zu inhaltlich bestimmter Autorität vorzuzeichnen und für den Extremfall den Rechtsschutz des Kindes zu verstärken.
Im einzelnen wird es bei der näheren Bestimmung der Eltern-Kind-Beziehung im wesentlichen um folgende Punkte gehen.
Erstens. Die Eltern sollen zukünftig bei der Ausübung der elterlichen Sorge das Einverständnis des zu eigener Beurteilung befähigten Kindes suchen. Dies gilt besonders für die Wahl der Ausbildung und des künftigen Berufs, die ja wohl eine der wichtigsten und weitestreichenden Lebensentscheidungen ist. Begabungen und Neigungen des Kindes sollen ausschlaggebend sein. Dies sollten Selbstverständlichkeiten sein. Aber solange es z. B. noch Eltern gibt, die eine abgeschlossene und qualifizierte Ausbildung für ihre Tochter für weniger wichtig halten, weil sie ja sowieso heiratet, muß das Gesetz klare Aussagen machen. Da bei der Vielgestaltigkeit der Berufswege weder Eltern noch Kinder voll über Anforderungen und Chancen unterrichtet sein können, erscheint ein gesetzlicher Hinweis auf die Einschaltung eines Fachberaters angebracht. Hier wird zu prüfen sein, wieweit das Berufsinteresse des Jugendlichen gegen einen anderweitigen Entschluß der Eltern zu schützen ist. Bis zur Einführung des BGB war dieser Rechtsschutz des Jugendlichen gegen einen Mißgriff seiner Eltern bei der Berufswahl in Teilen des deutschen Reichsgebiets bekannt.
Zweitens. Da, wo der Entwurf ein Recht der Einwilligung des Vierzehnjährigen in eine Heilbehandlung vorsieht, soweit er zu einer Beurteilung fähig erscheint, werden wir diesen Vorschlag noch einmal eingehend überprüfen. Auch wird kritisch zu überlegen sein, mit welchen Auswirkungen sich ein Jugendlicher gegen den Umgang mit einem nicht sorgeberechtigten Elternteil wehren kann, um nicht neue Konfliktfälle zu eröffnen oder einen zukünftigen Ausgleich mit dem anderen Elternteil zu verschütten. Auch wird genau ausformuliert werden müssen, welches Mitspracherecht einem Jugendlichen bei der Sorgerechtsverteilung im Ehescheidungsverfahren zuzubilligen ist, damit einerseits seine persönlichen Interessen nicht beschädigt werden, er andererseits nicht in eine maßgebende Rolle gedrängt wird, die ihn überfordert. Zu sichern ist seitens des Gesetzgebers jedenfalls, daß die Sorgerechtsverteilung nicht über den Kopf des Kindes hinweg nach den jeweiligen Interessen der scheidungswilligen Eltern geschieht.
Drittens. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 1959 entschieden hat, daß der sogenannte Stichentscheid des Vaters - wenn sich die Eltern nicht einigen konnten - verfassungswidrig ist, wies das Gesetz für diesen Fall eine Lücke auf. Sie soll nunmehr geschlossen werden, indem das Vormundschaftsgericht die Entscheidung einem Elternteil überträgt. Die Aufgabe des Vormundschaftsgerichts, auf Einigung zu wirken, die Eltern auf Antrag in der Personensorge zu unterstützen, macht deutlich, daß hier Wert auf eine Entscheidungszuweisungs- und Kontrollinstanz gelegt wird, nicht aber dem Vormundschaftsgericht die Stelle eines Übervaters zugewiesen werden soll. Kontrolle durch das Vormundschaftsgericht ist geboten, wenn ein Kind in geschlossene psychiatrische Behandlung verbracht werden soll. Es wird zu überprüfen sein, ob dies auch für andere Dauerunterbringungen zu gelten hat; Dauerunterbringungen mit freiheitsentziehendem Character sind hier gemeint.
Dr. Schwenk ({1})
Viertens. Nach bisherigem Recht mußte, um Maßnahmen zugunsten des Kindes treffen und Gefahren von ihm abwenden zu können, den Eltern ein Verschulden nachgewiesen werden. Aber es gab nicht nur Beweisschwierigkeiten. Es sind auch hinreichend Fälle bekannt, in denen das Wohl des Kindes nicht mehr gesichert war, ohne daß den Eltern überhaupt ein Schuldvorwurf zu machen war. Mangelnde Einsicht der Eltern konnte Schutz und Hilfe für die Kinder verhindern. Es muß nicht immer Mißbrauch der elterlichen Gewalt oder offensichtliche Vernachlässigung des Kindes sein, durch die das Kindeswohl gefährdet und damit sein Grundrecht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit verletzt wird. Die Entscheidung über den Sorgerechtsentzug ist den Vormundschaftsgerichten anvertraut. Verantwortungsbewußtsein und hohe Anforderungen an die Spruchpraxis sichern, daß es keine Gefahr für die Aushöhlung des Elternrechts geben wird, wie sie von einigen an die Wand gemalt wurde.
In dem Bemühen, für die Familie und das Kind das beste zu erreichen, werden wir uns nicht beirren lassen. Wir geben diese Gesetzesinitiative mit dem Wunsch auf den Weg, die längst fällige Fortentwicklung dieses Rechtsgebiets zu einem guten Ergebnis zu führen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Problem, mit dem wir uns heute beschäftigen, haben wir uns bereits im letzten Bundestag im November an Hand eines damaligen Gesetzentwurfs der Bundesregierung sehr ausführlich befaßt. Wir als Opposition, als CDU/CSU, haben gegen den damaligen Gesetzentwurf der Bundesregierung, vor allem auch was die Begründung betraf, schwerwiegende Bedenken geltend gemacht. Daneben sind von den verschiedensten Seiten - vor allem auch vom Bundesrat - gegen diesen Gesetzentwurf Bedenken geltend gemacht worden. Wir hätten es sehr begrüßt - und wir könnten die Dinge im Interesse des Wohles des Kindes ganz anders beraten -, wenn die Bundesregierung oder aber die SPD- und FDP-Fraktionen sich die Mühe gemacht hätten, auf Grund der bisherigen Diskussionen einen neuen, anderen Gesetzentwurf vorzulegen.
({0})
In der jetzigen Begründung des Gesetzentwurfs wird auf den früheren Gesetzentwurf Bezug genommen. Auch das ist ein neues Verfahren. Damals umfaßte die Begründung noch 50 Seiten, heute sind es nur noch drei Seiten. Man wird da sehr hellhörig und fragt sich, warum man auf den früheren Entwurf verweist und sich nicht mehr getraut, den damaligen marxistischen Unsinn, der in der Gesetzesbegründung stand, auch heute wieder hineinzuschreiben.
({1})
Das stand „Gewaltbesessenheit der Eltern", „Fremdbestimmung der Kinder", die abgeschafft werden
müsse, „Gewaltunterworfenheit der Kinder" - und noch eine ganze Menge solcher Begründungen. Aus dem früheren Gesetzentwurf - aber nicht nur aus diesem Gesetzentwurf - spricht ein tiefes Mißtrauen gegen die Familie,
({2})
und das haben wir damals gerügt. Heute wird ja im Grunde genommen derselbe Gesetzentwurf wieder vorgelegt. Nur traut man sich nicht, die Begründung in das Gesetz hineinzuschreiben. Auf die verweist man jetzt. Deshalb werden Sie Verständnis dafür haben, daß unsere Bedenken auch gegen diesen Entwurf in vollem Umfang gelten.
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Es kommt aber hinzu - meine Damen und Herren von der SPD/FDP, das verrät Ihr schlechtes Gewissen; nehmen Sie mir diese Bemerkung nicht übel -, daß Sie die Vorschrift des § 64 d Abs. 3 gestrichen haben, der die Zustimmungsbedürftigkeit dieses Gesetzes bedingt hätte. Herr Kollege Schwenk, darauf hätten Sie fairerweise hinweisen müssen. Jetzt soll das Gesetz nicht mehr zustimmungsbedürftig sein; Sie wollen es ohne uns machen. Das werden wir mit allen uns zustehenden Mitteln zu verhindern suchen. Bei diesem Verfahren werden wir nicht mitmachen, und darüber hinaus werden wir hinsichtlich dessen sehr hellhörig, was mit dem Gesetz überhaupt beabsichtigt ist.
Ich muß in diesem Zusammenhang auf ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Erziehungskraft der Familie hinweisen, das auch in diesem Gesetzentwurf enthalten ist, der auf die frühere Begründung verweist. Auch wenn man das im Zusammenhang mit dem Familienbericht sieht, den ebenfalls diese Bundesregierung verfassen und als Drucksache herausgeben ließ,
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muß man von einem tiefen Mißtrauen gegenüber der Familie sprechen. Ich möchte Ihnen aus dem Familienbericht in Drucksache 7/3502 nur ein paar prägnante Sätze vorlesen, die zum Umfeld und Hintergrund dieses Gesetzes, das Sie uns jetzt vorgelegt haben, aufschlußreich sind. Daß hier das Mißtrauen gegenüber die Familie dominiert, geht aus folgenden Sätzen hervor. Auf Seite 136 wird von der Kommission vorgeschlagen: Die Förderung des Zusammenwohnens von Familien in selbstgewählten Gruppierungsformen - es soll also neben der Familie neue Gruppierungsformen geben - mit reichhaltigem Anregungsmilieu sei zu empfehlen, da in diesen Gruppierungen die Kinder nicht mehr ausschließlich der Erziehungsgewalt ihrer Kinder ausgesetzt seien, so daß diese Erziehungsgewalt eher ausbalanciert und stärker kontrolliert werden könne. Mit diesem Gesetzentwurf zur Neuregelung des elterlichen Sorgerechts wird gegen die klare Bestimmung des Art. 6 des Grundgesetzes verstoßen, die das Bundesverfassungsgericht in mehreren familienrechtlichen Entscheidungen ganz klar dahin ausgelegt hat, daß die Erziehung der Kinder durch die Eltern deren Recht und Pflicht - so steht es in der Verfassung, nicht Pflicht und Recht, wie Sie in diesem Gesetzentwurf schreiben - sei. Das ist
Dr. Stark ({5})
bewußt gegenüber staatlichen Eingriffen postuliert worden. Wer die Geschichte des Elternrechts kennt, der weiß, daß das nicht postuliert worden ist, um den Eltern ein Recht zur freien Verfügung über ihre Kinder zu geben, wie es in der Diskussion geäußert wurde, sondern dahinter steht die Überzeugung, daß das Recht der Erziehung der Eltern an den eigenen Kindern ein naturgegebenes Grundrecht ist
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und nicht, wie wiederum im Familienbericht der Bundesregierung steht, von der Gesellschaft den Eltern eine Zeitlang übertragen ist, was praktisch heißen würde: Solange die Kinder in den Windeln liegen und nur Arbeit machen, sind die Eltern zuständig, aber sobald sie heranreifen und sich selbst bewußt werden, muß die Gesellschaft wieder darüber wachen. Das widerspricht dem Verfassungsrecht des Art. 6 des Grundgesetzes, und dagegen erhebt sich unser Widerstand, soweit das so gemeint ist. Ich weiß sehr wohl, daß nicht alle Kollegen in der SPD oder FDP das wollen; aber wir müssen das geistige Umfeld dieses Gesetzentwurfs sehen.
Mir ist in diesen Tagen eine Broschüre des Fischer-Verlages zugeschickt worden - ich möchte nicht sagen, von wem -, in der sich drei Herren, von Braunmühl, Kupffer und Ostermeyer, zu unserem Beratungsgegenstand äußern. Diese Lektüre kann ich jedem empfehlen, der noch nicht weiß, was auf diesem Gebiet diskutiert wird. Die Überschrift des ersten Aufsatzes lautet: Kinderfreundlich ist antipädagogisch. Ein „Antipädagoge" schreibt dort sinngemäß: Die Kinder müssen zunächst weg von der Erziehung, die Kinder müssen sich in freier Selbstentwicklung, möglichst ohne jegliche Einflußnahme entwickeln. Was heißt denn das? Jeder, der Kinder hat - ich habe vier -, kann da nur lachen. Ich glaube, diese Leute haben nie selber Kinder gehabt oder nie gesehen, und sie haben nur theoretisch darüber nachgedacht,
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was man mit den Kindern machen könnte. Ein Richter Ostermeyer schreibt sinngemäß, die Juristen seien nur da, um Formeln zu finden, die Kinder zu unterdrücken und unter der elterlichen Obervormundschaft zu halten. Ich vereinfache jetzt etwas. Das ganze Buch ist ein „Kampfbuch" unter dem Titel „Die Gleichberechtigung des Kindes - Programm zur Beendigung des Erziehungskrieges zwischen den Generationen". Daraus mögen Sie schon entnehmen, um was es geht. Leider finden sich in der Begründung des Gesetzentwurfes, auf die jetzt verwiesen wird, zum Teil dieselben Begriffe wie in dieser „Kampfschrift", die ich vom Psychologischen, vom Pädagogischen, vom Menschlichen, vom Verfassungsrechtlichen her für total falsch halte.
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Verstehen Sie uns bitte richtig: Wir wollen uns nicht nur auf Art. 6 des Grundgesetzes zurückziehen und sagen: Wir halten diese formale Position. Meine Fraktion und ich persönlich sind vielmehr überzeugt, daß Erziehung im Normalfall nirgends besser als ir der Familie gedeiht.
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Wir sind überzeugt, daß die Eltern, die ihren Kindern ja selbst das Leben geschenkt und mit ihnen viel Mühe haben, im Normalfall die besten Sachwalter des Interesses und des Wohles der Kinde] sind. Keine staatliche Bürokratie, kein Vormund. schaftsgericht, kein Familiengericht und kein Hein-ersetzt im Normal- und Regelfall das, was Eltern für ihre Kinder tun.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Obwohl ich den Kollegen sehr verehre, möchte ich meine Ausführungen jetzt zunächst im Zusammenhang vortragen Herr Emmerlich, haben Sie bitte Verständnis dafür Vielleicht können Sie die Frage nachher stellen.
Es kommt uns darauf an, zu erkennen zu geben daß wir die Familie und ihre Erziehungskraft höhe: einschätzen, als es offenbar die Verfasser diese Gesetzentwurfes tun. Wir tun dies aus Erfahrung Herr Staatssekretär - der Herr Minister ist nicht mehr hier -, es ist ganz interessant, in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit irr Jahre 1973 zu diesem Problem - man höre und staune - eine Anhörung von zirka 50 Jugendlicher durchgeführt hat. Diese Gruppe von Jugendlicher war, wie ich mich erinnere, mehrere Tage beieinander und einigermaßen repräsentativ - Realschüler Arbeiter usw. - zusammengesetzt. Eine Gruppe vor 50 Jugendlichen kann freilich letztlich nicht in echtem Sinne repräsentativ sein. Nach mehreren Befragungen kamen diese 50 Jugendlichen zu folgen dem Ergebnis, das in einem Bericht im Blatt „Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe" Nr. 68/73 abgedruckt ist: In der Zusammenfassung heißt es: Es se auffallend gewesen, - Frau Präsidentin, ich zitiere mit ihrer Genehmigung -:
daß sich den jungen Leuten in keiner Weise entlocken ließ, daß sie den derzeitigen Generationskonflikt für besonders ausgeprägt oder ihre Eltern für übermäßig autoritär hielten. Sie vertraten vielmehr die Meinung, daß es gewisse Spannungen zwischen Älteren und Jüngerer immer gegeben habe und daß der Unterschier zwischen früher und heute wohl lediglich darir bestehe, daß Konflikte früher nur verkittet worden seien, dagegen heute ausgetragen würden
({0})
Fast überraschend war das Bemühen der junger Leute, den Eltern immer wieder zu bescheinigen daß sie sich redlich Mühe gaben, ihren Kindern die Wege für eine Zukunft so weit wie möglich zu ebnen.
Schließlich sagten die jungen Leute noch, sie seien
überhaupt nicht dafür, daß der Staat hier das Vor.
Dr. Stark ({1})
mundschaftsgericht einschalte. Dies ist das Ergebnis einer Anhörung zu diesem Problem, das offenbar in sehr sachlichen Gesprächen erarbeitet wurde.
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Lassen Sie mich zum Grundsätzlichen auch dies noch sagen, damit auch die andere Seite deutlich wird. Wir räumen durchaus ein, daß es Fälle gibt, in denen die Eltern ihre Erziehungspflicht total vernachlässigen. Soweit sie dies schuldhaft tun, kann über § 1666 BGB heute schon eingegriffen werden, und es wird auch eingegriffen. Wer also behauptet, mit diesem Gesetz könne verhindert werden, daß einige von derzeit Millionen Kindern geschlagen oder mißhandelt werden - was keiner von uns will -, trifft nicht das Problem, denn in diesen Fällen geht es um schuldhaftes Verhalten der Eltern oder um schuldhafte Vernachlässigung der Kinder. Das Problem ist vielmehr, ob die gegenwärtige Regelung ausreicht, ob wir also im Rahmen des § 1666 BGB nicht eine zusätzliche Eingriffsmöglichkeit vorsehen müßten. Es ist eben die Frage, ob man um diese Kernvorschrift des § 1666 BGB herum weitere 50 Paragraphen ansiedeln sollte.
Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir im Rechtsausschuß übereinstimmend den guten Vorsatz gefaßt, nur noch solche Gesetze zu machen, die absolut notwendig sind. Bei diesem Gesetzentwurf gibt es einiges, was überlegenswert ist, z. B. die Eingriffsmöglichkeit des Staates, auch wenn kein Verschulden der Eltern vorliegt. Hier müßte allerdings der jetzige Vorschlag deutlicher gefaßt werden, er muß objektiviert werden. Die äußerste Grenze für das Eingreifen ist, wenn ein Kind Schaden leidet, weil die Eltern total versagen. Nicht bei jeder Nachlässigkeit soll eingegriffen werden dürfen. Eine gewisse Autonomie der Eltern muß bleiben, sonst werden sie das Gegenteil von dem tun, was Herr Wehner in einer Presseveröffentlichung gesagt hat. Er hat gemeint, durch dieses Gesetz würden die Eltern in ihrem Sorgerecht, in ihrer Sorgepflicht gestärkt - Herr Wehner, das ganz bestimmt nicht. Wenn wir es so machen wie vorgesehen, besteht eher die Gefahr, daß sich die Eltern selber aus ihrer Sorgepflicht entlassen, wenn sie zu früh damit rechnen müssen, daß plötzlich das Vormundschaftsgericht, ein anderes Gericht oder das Jugendamt hier hineinmanipulieren.
Es ist meine echte Sorge - bei allem Verständnis für das Grundanliegen des Gesetzentwurfs ({3})
wie man Kinder, für die ernsthaft die Gefahr besteht, daß sie Schaden leiden, weil die Eltern versagen, schützen kann. Für den Fall, daß die Eltern ein Verschulden trifft, ist das Problem klar. Tritt ein solcher Fall ohne Verschulden der Eltern ein - das werden wenige Fälle sein -, muß dafür ebenfalls eine justitiable Form gefunden werden, die nicht die Einstiegsschleuse für staatliches Hineinreglementieren und Hineinmanövrieren in die Familie ist. Nur wenn das berücksichtigt wird, werden wir zu dem Punkt ja sagen.
Es gibt dann noch einiges, das wir so auf keinen Fall für richtig halten. Da ist zum Beispiel die Frage
des Heileingriffs. Daß hier der 14jährige selbst entscheiden soll, meine Damen und Herren, führt zu schwerwiegenden Problemen, auch für die Ärzte. Das Problem muß noch viel nüchterner erörtert werden: Da hat z. B. ein 14jähriger Blinddarmreizung, die vom Arzt festgestellt wird. Der 14jährige sagt aber: Nein, da lasse ich gar nichts machen. Du liebe Zeit, wo kämen wir da hin? Eine solche Regelung diente sicher nicht dem Wohle des Kindes.
Über die Frage, ob für eine Einweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich sein soll, läßt sich reden.
Nicht reden - reden läßt sich zwar über alles - lassen wir mit uns über folgendes: Wir halten es für falsch, daß zu früh, wenn sich Eltern und Kinder nicht einig sind, das Vormundschaftsgericht angerufen werden kann. Ich bin oft nicht einig mit meinen Kindern. Wenn die sagen: Ich will jetzt nicht mehr in die Schule gehen oder: Ich will nicht mehr Klavierspielen, dann läge es sicher nicht im Wohl€ des Kindes und der Familie, wenn ich das Vormundschaftsgericht jeweils anrufen müßte. Das gilt ebenso für den Fall, daß ich mit meiner Frau und meinem Kind darüber streite, was nun das Richtige ist. Gehen wir doch nicht von vorpatriarchalischen Verhältnissen aus.
({4})
Die Eltern gehen doch heute mit ihren Kindern so tolerant und in manchen Dingen so liberal um, daß die Kinder sagen: Vater, für ein bißchen mehr starke Hand und ein bißchen mehr Anleitung wären wir eigentlich ganz dankbar. So sieht es doch in der Wirklichkeit in der Regel aus, meine Damen und Herren.
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Zurück zu dem Fall, daß sich Mutter und Vater über eine Maßnahme streiten: Wenn dann gleich zum Vormundschaftsgericht gegangen werden kann und das Gericht die Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil überträgt, dann gibt das nachher ein schönes gedeihliches Familienleben. Das dient weder dem Schutz von Ehe und Familie noch dem Wohle des Kindes.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Meines Erachtens sind wenige Punkte überprüfenswert und regelungsbedürftig. Es ist noch ein Punkt dabei, auf den ich eingehen möchte : die Ubertragung des elterlichen Sorgerechts nach der Scheidung oder bei Getrenntleben. Hier war bisher das Vormundschaftsgericht - oder in Zukunft das Familiengericht - an den Vorschlag der Beteiligten gebunden bzw. hing es bei der Ehescheidung vom Verschulden ab, wer das Sorgerecht erhielt. Demjenigen, den das Verschulden traf, sollte im Normalfall das Sorgerecht für die Kinder nicht übertragen werden. Darüber, daß künftig nach Erörterung mit den Beteiligten letztlich auf das Wohl des Kindes abgestellt werden kann, sind wir auch bereit, mit uns reden zu lassen. Das sind aber dann schon die Punkte, meine Damen und Herren, die wir für regelungsbedürftig halten. Alles, was darauf hinaus1088
Dr. Stark ({6})
läuft, neue Erziehungsziele von Staats wegen vorzuschreiben, alles was darauf hinausläuft, den Staat über diese Vorschriften in die Familie hineinreglementieren und hineinregieren zu lassen, wird unseren schärfsten Widerspruch finden.
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Zum Schluß möchte ich noch kurz auf § 1626 eingehen, in dem, wie Sie es gesagt haben, Herr Kollege Schwenk, die beiderseitigen Rechte und Pflichten von Eltern und Kindern beschrieben werden. Daß die Eltern das, was in dieser Vorschrift steht, tun sollen, darüber sind wir uns einig. Sie tun es heute schon. Da das aber lediglich ein Programmsatz ist und da das nicht justitiabel ist, ist die Frage - das werden wir im Rechtsausschuß prüfen -, ob man so etwas in ein Gesetz hineinschreiben sollte. Wenn man aber so etwas in das Gesetz hineinschreibt, dann muß man wirklich beiderseitige Rechte und Pflichten, von denen Sie ja gesprochen haben, hineinschreiben. In diesem Gesetzentwurf, in der Begründung ist von Pflichten der Kinder überhaupt nicht die Rede. Das Ganze geht von der Grundphilosophie aus: Die Eltern sind die „Bösen", wenn ich es einmal auf schwäbisch sagen darf, während die Kinder nur edle Geschöpfe sind. Wenn man sie sich nur völlig frei entwickeln läßt, dann geht alles gut. Als Vater von vier Kindern und als jemand, der aus einer kinderreichen Familie kommt, sage ich Ihnen, daß zu einem gedeihlichen Zusammenleben in einer Familie, das im Interesse der Eltern und der Kinder liegt, auch gewisse Pflichten des heranwachsenden Kindes gehören. Je älter es wird und je mehr es in die Verantwortung hineinreift, desto mehr Verantwortung hat es selber. Davon aber ist in diesem Gesetzentwurf keine Rede. Wenn man schon so etwas beschreiben will, dann müßte das auch in dem Gesetz beschrieben werden.
Mit dieser Einschränkung, mit diesen grundsätzlichen Anmerkungen und einigen Anmerkungen zu den Einzelpunkten, die wir im Rechtsausschuß und mit den anderen Ausschüssen, die mitberatend tätig sind, im einzelnen beraten werden, darf ich ankündigen, daß wir dann, wenn die Punkte, die wir hier angesprochen haben, zu unserer Zufriedenheit gelöst werden - und wenn alles Beiwerk, das in die falsche Richtung geht, beseitigt wird - das hängt vom Ergebnis der Beratungen ab -, diesem Gesetz die Zustimmung in Aussicht stellen können.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge wenden wir uns einem wichtigen, aber auch sehr schwierigen Bereich des Familienrechts zu. Schwierig, Herr Kollege Dr. Stark, ist die Sache selbst. Die Schwierigkeit liegt nicht darin, daß Sie hier einige Schwierigkeiten machen, Schwierigkeiten im übrigen, die in dem, was in diesem Entwurf niedergelegt ist, keinerlei Grundlage finden.
({0})
Ich habe mit Interesse - ich räume dies ein - durch die Wochen gewartet, ob Sie sich von der Versuchung fernhalten könnten,
({1})
nun jenen einen Satz im Vorblatt des Regierungsentwurfs der letzten Legislaturperiode hier unerwähnt zu lassen. Sie haben ihn nicht unerwähnt gelassen. Das ist eine gewisse Enttäuschung. Über die Legislaturperioden hin eine Grammophonplatte mit Sprung ablaufen zu lassen, die immer wieder dasselbe wiedergibt, ist eben noch nicht Politik.
({2})
Die Tatsache, daß Sie, Herr Kollege, weil dieser eine Satz natürlich etwas mager ist, daran anknüpfend pädagogische Bücher und eine Reihe von Aufsätzen zitiert haben,
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ist ebenfalls noch keine Politik. Ich greife dem Herrn Staatssekretär sicherlich nicht vor, wenn ich mit aller Deutlichkeit noch einmal darauf hinweise, daß die Bundesregierung das, was in diesem Lande auch im pädagogischen Bereich veröffentlicht wird, nicht zensiert. Jedermann kann hier das Nützliche und das weniger Nützliche zu Papier bringen. Es ist nicht unsere Sache, dies mitzuvertreten und mitzutragen.
Wir sind uns hoffentlich noch darin einig, daß nun auch die gesetzgeberische Abkehr vom patriarchalischen Leitbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts längst überfällig ist. Unsere Aufgabe ist es jetzt, das Verfassungsverständnis des Grundgesetzes in die Einzelregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu übertragen. Sprachlich beginnt dies bereits damit, daß wir wohl mit allseitiger Zustimmung den überlieferten und fast martialisch klingenden Begriff der „elterlichen Gewalt" durch die „elterliche Sorge" ersetzen. Bereits damit bringen wir zum Ausdruck, was die überwältigende Zahl verständiger Eltern in Erfüllung ihrer Erziehungsaufgabe seit langem tagtäglich praktiziert. Alle diese Eltern haben immer ihr Elternrecht nicht als eine bloße Rechtsposition verstanden, sondern immer zunächst als Pflicht und freiwillig übernommene Last, die des Rechts allenfalls insoweit bedarf, um der Verpflichtung auch gerecht werden zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat mit der Formulierung „Elternverantwortung" den Wesensgehalt von Art. 6 Abs. 2 unseres Grundgesetzes markiert: die Pflege und Erziehung der Kinder als natürliches Recht und selbstverständliche Pflicht der Eltern und das auf Fälle des schweren Konflikts beschränkte Wächteramt des Staates.
Trotz dieser Übereinstimmung im Grundsatz sollten wir aber nicht verkennen, daß in der öffentlichen Diskussion immer noch die Standpunkte der beiden Extrempositionen mitschwingen. Da gibt es die einen, die das Elternrecht absolut nehmen und es damit tabuisieren. Auf der anderen Seite besteht manchmal die Tendenz, das Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft als Recht zur Einmischung in das Erziehungsrecht der Familie und den elterliEngelhard
chen Ermessensspielraum zu mißdeuten. Eine Erziehung, die überzeugen will - und nichts anderes sagt dieser Entwurf -, wird immer auch dem Willen des Kindes entsprechend seinem Lebensalter und seiner Einsichtsfähigkeit Rechnung tragen. Deshalb ist es richtig, daß alle wesentlichen Maßnahmen mit dem Kinde erörtert werden und daß sein Standpunkt mit in die Entscheidung einbezogen wird. Das ist sicherlich von besonderer Bedeutung bei der Schul- und bei der Berufsausbildung, wo zuweilen in Verkennung von Neigung und Begabung falsches Sozialprestigedenken eine Rolle spielt und zu manchmal irreparablen Fehlentscheidungen führt.
Die Einwilligung in eine Heilbehandlung zählt zu den wichtigsten Fragen, die mit dem Kind bei entsprechender Einsichtsfähigkeit unbedingt erörtert werden müssen. Wir werden allerdings zu prüfen haben, ob dieser Bereich eine Formalisierung verträgt. Dem behandelnden Arzt wird dadurch ein nicht zu unterschätzendes Risiko aufgebürdet. Schon werden auch Stimmen laut, die prognostizieren, daß medizinisch gebotene Besuche beim Zahnarzt zurückgehen könnten, und dies keinesfalls aus Motiven, die etwa in der vorhin behandelten Kostendämpfung der Krankenversicherungen ihren Grund haben würden.
Die künftig entfallende Schuldfeststellung im Ehescheidungsverfahren gibt uns die Möglichkeit, endlich die Übertragung der elterlichen Sorge nach der Scheidung allein am Kindeswohl zu orientieren. Bei seiner Ermittlung wird man die Meinung des älteren Kindes nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Allerdings warnen Praktiker schon davor, kraft Gesetzes einen Anreiz dafür zu schaffen, daß ein starker Wettlauf beider Elternteile, wie wir ihn heute bereits vielfach nach einem Scheidungsverfahren erleben, um die Gunst des Kindes einsetzt. Zielgerichtete psychische Beeinflussung und in Größe und Wert sich ständig steigernde Geschenke eröffnen nach aller Erfahrung nicht nur bei Kindern die Möglichkeit der Manipulation, ja, der Korrumpierung von Gefühl und Zuneigung. Ähnliche Überlegungen wird man auch bei der Neuregelung des Umgangsrechts anstellen müssen. Wo allerdings jede innere Bindung zwischen einem Elternteil und dem Kind erloschen ist, da kann der Gesetzgeber seine Hand zu einer Zwangszuführung nicht mehr reichen.
Die vorgesehene Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht bei der Unterbringung eines Kindes in einer Heil- oder Pflegeanstalt wird man einengend ausgestalten müssen. Umgekehrt harrt nach wie vor unser Anliegen, für Pflegekinderverhältnisse einen gewissen Bestandsschutz zu schaffen, um sie stärker von den manchmal wechselnden Launen der Eltern unabhängig zu machen, der Lösung.
Das Wächteramt des Staates konkretisiert sich am deutlichsten in § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Eine Rechtsprechung, die für das Eingreifen des Vormundschaftsgerichts ein Verschulden der Eltern voraussetzte, konnte vielfach die zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Kindeswohls notwendigen Schritte nicht realisieren. Deswegen ist es notwendig und richtig, künftig auch auf die objektive Unfähigkeit der Eltern zur sachgemäßen Wahrnehmung ihrer Erziehungspflichten abzustellen.
Als Vormerkposten für die Beratungen im Ausschuß stelle ich hier die Frage, ob die im Entwurf gewählte Formulierung zur Gefährdung des Kindeswohls nicht einengender gefaßt werden muß. Es stellt sich die Frage, ob wir dies nicht besser mit der „Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung" des Kindeswohls zum Ausdruck bringen. Der mögliche Einwand dagegen, daß bereits das geltende Recht mit der Gefährdung des Kindeswohls genug sein läßt, kann deswegen nicht überzeugen, weil dort die Gefährdungsursachen ungemein restriktiv gefaßt sind, während der jetzige Entwurf es mit vollem Recht als unmaßgeblich ansieht, welche Gründe zur Gefährdung des Wohls des Kindes geführt haben.
Eines aber sei klargestellt: Die Frage kann niemals sein, ob die einen den Schutz des Kindeswohls besser ausgestalten wollen oder die anderen weniger Schutz wünschen. Für welche Lösung wir uns bei den Beratungen schließlich entscheiden, ist vielmehr eine Frage der angelegten Maßstäbe und der voraussehbaren späteren Praxis. Wer vor allem die bisher oft restriktive Rechtsprechung zugunsten der Eltern im Auge hat, der wird dazu neigen, die einfache Gefährdung des Kindeswohls für ausreichend zu halten. Wer dagegen auch sieht, daß pädagogische und jugendpflegerische Lehrmeinungen der jüngeren Zeit die Tendenz zur Besserwisserei kraft Amtes und Ausbildung in sich tragen, der wird eine einschränkende Formulierung der Gefährdung bevorzugen.
Wir Liberalen wünschen die Abwehr von Mißbrauch und augenscheinlicher Unfähigkeit bei Eltern im Erziehungsbereich. Wir wünschen gleichzeitig aber, daß die Familie im Regelfall als staatsfreier Raum höchstpersönlicher Lebensgestaltung erhalten bleibt.
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Das Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft muß sich auf Konfliktlösungen von Gewicht beschränken.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schleicher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nun schon - und nicht zum erstenmal - einiges gesagt worden, was den Gesetzentwurf, der uns vorliegt, angeht. Die Begründung des Gesetzentwurfes sieht nicht mehr so aus wie die des alten Entwurfs; trotzdem sind meine Zweifel und Bedenken, die schon angesichts des ersten Entwurfs entstanden waren, nicht behoben, sondern im Gegenteil eher noch vertieft.
Wir hatten in den letzten Jahren eine Reihe von familienpolitischen Gesetzen, die unter dem Gesichtspunkt „Reform der Familiengesetzgebung" von der Bundesregierung vorgelegt worden sind, und im Zusammenhang damit hatten wir auch sowohl hier
im Plenum als auch in den Ausschüssen eine Reihe von Auseinandersetzungen.
Es geht bei dieser ganzen Reform der Familiengesetzgebung um die Auseinandersetzung über die Grundwerte, um die Frage, wie Familie zu sehen ist. Wir gehen nach Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes davon aus, daß „Pflege und Erziehung der Kinder ... das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht" sind. Aber dann lesen wir Äußerungen, die von der Bundesregierung zumindest nicht zurückgewiesen worden sind; z. B. wird in Drucksachen, die aus dem Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit kommen, so im Familienbericht, eindeutig geäußert, ohne daß dem widersprochen worden wäre, daß die Erziehung der Kinder „eine gesellschaftspolitische Aufgabe besonderer Art und Bedeutung" sei, und „die Wahrnehmung dieser Aufgabe übertrage unsere Gesellschaft Familien und außerfamilialen pädagogischen Einrichtungen" .
Und hier beginnt die Auseinandersetzung,
({0})
die Auseinandersetzung darüber, welche Vorstellung man von der Familie überhaupt hat und wie die Familie in der Gesellschaft gesehen wird. Auch daraus erwächst dann die gesamte Einsicht, wie die Reform der Familiengesetzgebung angelegt ist.
Nehmen wir z. B. das neue Recht der elterlichen Sorge. Natürlich gibt es - das bezweifelt, glaube ich, niemand - einen gemeinsamen Ansatzpunkt von allen hier im Bundestag, daß nämlich dort, wo Mißbrauch getrieben wird, d. h., wo Eltern ihr Recht als Unrecht gegen die Kinder ausüben, Grenzen gesetzt werden müssen und daß hier - aber nur hier - selbstverständlich der Staat einschreiten muß. Die Abgrenzung, die dazu in diesem Gesetz gegeben ist, ist äußerst verwischt und verschwommen, und damit kann sich das Gesetz genau in das Gegenteil umkehren; das, was vielleicht in gutem Sinne gemeint ist, kann gegen das Positive in der Familie ausschlagen.
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Wir wissen, daß der damalige und heutige Justizminister Vogel begründet hat, daß dieses Gesetz in die gesamte Reform hineinpaßt. Ich sehe dieses Gesetz als einen Mosaikstein in all diesen Gesetzen. Wenn wir nämlich dieses Gesetz allein betrachten, kommt Mißtrauen nicht in dem Umfange wie dann auf, wenn wir es im Zusammenhang betrachten. Das Gesetz birgt die Gefahr in sich, und zwar selbst dann, wenn seinen Verfassern die besten Absichten unterstellt werden können, daß das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Ich sehe den Zweck nur darin, daß dort, wo Mißbrauch zu erkennen ist, über das Gesetz eine Handhabe gegeben ist, einzugreifen. Wie ist es aber in anderen Fällen? Ausschlaggebend ist dann eben nicht mehr der Mißbrauch; ausschlaggebend ist das Wohl des Kindes. Und hier fängt es wieder an. Wer bestimmt denn, was das Wohl des Kindes ist? Auch hier sind die Grenzen verwaschen.
Ich muß deshalb wieder auf die Begründung der ersten Vorlage eingehen, auf die ja in der neuen
Vorlage Bezug genommen wird. Die Zielrichtung des Gesetzes - so, wie ich sie erkenne - ist es nicht, Mißbrauch abzustellen, sondern die Zielrichtung dieses Gesetzes ist grundsätzlicher Art. Man möchte hier tatsächlich verändern, und zwar möchte man, um die Gesellschaft zu verändern, ein neues Verhältnis zwischen Eltern und Kindern schaffen.
Wo liegt nun die Gefahr, wenn man hier über das Gesetz versucht, Einfluß auf die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern zu nehmen? Das Recht des Kindes wird herausgestellt. Es wird überall gesagt, das Kind braucht sein eigenes Recht. Aber wenn ich jemandem ein Recht gebe, muß derjenige auch selbst die Möglichkeit haben, sein Recht einzuklagen. Bis zu 18 Jahren ist das Kind unmündig. Ein Unmündiger ist nicht in der Lage, sein Recht selber einzuklagen. Er braucht jemanden, an den er sich wendet. Dafür werden Institutionen genannt. Es kann das Vormundschaftsgericht oder das Jugendamt sein.
Aber letztlich sind für mich die Eltern die Garanten der Kinder. Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, erkennen wir, daß es immer Zeiten gegeben hat, in denen man versucht hat, an die Kinder heranzukommen, natürlich mit unterschiedlichen Vorstellungen. Aber wer an Kinder heran will, hat gezielte Absichten. Diejenigen, die die weitaus besten Absichten für die Kinder haben, sind die Eltern; denn sonst würden diese nicht so viel Verzicht und freiwillige Opfer leisten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Eilers?
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen: Stellen Sie nicht eine Welt dar, die in Wirklichkeit auch andere Seiten hat, als Sie sie hier aufzeigen? Warum haben wir es nötig, daß es in der Bundesrepublik Kinderschutzbünde gibt? Warum müssen diese Organisationen tätig werden in einer Welt, die Sie so darstellen, daß die Eltern ihren Kinder immer gerecht würden? Müßten Sie Ihren Standpunkt da nicht auch einmal überprüfen?
Frau Kollegin Eilers, ich habe zuerst gesagt: Dort, wo Mißbrauch getrieben wird, sind wir uns im Bundestag, glaube ich, einig. Aber es geht darum, daß der Versuch, den Mißbrauch abzustellen, nicht ins Gegenteil ausschlägt, sich also nicht gegen bestehende gute Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern richtet.
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Heute wird doch versucht, den Kindern einzureden, sie hätten eigene Rechte und müßten sie durchsetzen. Ich kann Ihnen eine Reihe von Broschüren nennen, die von der Bundesregierung und einem Bundesministerium herausgegeben worden sind und die diesen Eindruck verstärken, weil es da immer wieder behauptet wird.
In diesem Gesetz sind die Grenzen zwischen elterlicher Erziehung und öffentlichen ErziehungseinrichFrau Schleicher
tungen sehr stark in Richtung einer Zurückdrängung des Elternhauses verwischt.
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Ich frage mich: Ist das zufällig oder gewollt? Ich muß hier tatsächlich darauf eingehen. Ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin aus der Broschüre „Probleme der Familie und der Familienpolitik in der BRD" zitieren. Die Bezeichnung „BRD" finde ich, nebenbei bemerkt, nicht sehr gut.
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Hier wird über die Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern in den Familien berichtet. Da heißt es auf Seite 58 u. a.:
Weiterhin sollte man unsere heutigen Ehen und Familien von ihrer übermäßigen Selbstbezogen-heit, von ihrem sich dem öffentlichen Raum weitgehend verschließenden Privatismus sich befreien helfen. Hierzu ist freilich eine Weiterentwicklung des in unserer bundesdeutschen Gesellschaft gültigen Menschen- und Gesellschaftsbildes erforderlich,
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die das Bedürfnis nach personaler Freiheit stärker auf soziale Verantwortungsbereitschaft und die zunehmende Freiheit außer auf die Familie auch auf die übergreifenden Gemeinwesen richtet.
Auf der nächsten Seite steht u. a. - da geht es um die Ganztagsschulen -, daß dann „allerdings der Besuch von vorschulischen und schulischen Förderungsmaßnahmen nicht primär der Entscheidung der Eltern überlassen werden dürfe, da sonst nur die bildungswilligen Mittel- und Oberschichten ..." und so weiter;
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Sie kennen die ganze Argumentation.
Das bedeutet doch, daß in unserem Lande genügend Leute der Meinung sind, daß die Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu erziehen, und sich selbst anmaßen, daß nur sie es könnten. Mit diesem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge wird unerwünschten Maßnahmen Tür und Tor geöffnet. Denn wenn jemand entscheidet, daß dies das Wohl des Kindes ist, und ein anderer sagt, daß etwas anderes das Wohl des Kindes sei, wer bekommt dann tatsächlich recht, wenn das nicht irgendwie festgeschrieben ist?
Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: die Heilbehandlung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dürr? - Bitte.
Frau Kollegin Schleicher, an welchem Punkt des Entwurfs finden denn die von Ihnen hier geäußerten Sorgen irgendeine Stütze?
Der Hauptpunkt liegt da, wo es heißt, daß das Erziehungsrecht den Eltern auch bei unverschuldetem Versagen praktisch entzogen oder zumindest angegriffen werden kann.
Wenn ich z. B. an die Heilbehandlung denke, -
Frau Kollegin, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Emmerlich?
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Wenn ich dafür meine Redezeit ausgeweitet bekomme, ja.
Wir können die Redezeit ausweiten.
Frau Kollegin, darf ich in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß - mit der Zustimmung Ihrer Fraktion - die Einwilligung der Eltern in eine Adoption ersetzt werden kann, ohne daß ein schuldhaftes Fehlverhalten der Eltern vorliegt?
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Ich bitte die Kollegen, die im Rechtsausschuß sind, mir zu sagen, ob das so stimmt. Aus meiner Arbeit im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit kann ich das nämlich nicht bestätigen.
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- Es ist also nicht der Fall.
Aber wenn Sie schon die Adoption ansprechen, erinnere ich an den Fall, der Ende 1975 durch die Zeitungen gegangen ist. Da ging es um die Adoption eines Kindes in Ost-Berlin. Diese Adoption war nicht auf Grund eines dortigen Adoptionsgesetzes möglich,, sondern auf Grund eines Gesetzes über das Recht der elterlichen Sorge, das es drüben schon seit langem gibt, ebenfalls mit dem Punkt „elterliches Versagen". Man hat gesagt, hier liege ein unverschuldetes Versagen vor, und daher könne den Eltern das Erziehungsrecht genommen werden. Damit war die Voraussetzung für die Freigabe zur Adoption gegeben. Dieser Fall ist hier durch die Zeitungen gegangen und hat Empörung in der Bundesrepublik hervorgerufen. Aber in diesem Fall hat man sich auf genau die gleiche Möglichkeit bezogen, die auch hier in dem Entwurf vorgesehen ist.
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- Herr Kollege Wehner, Sie sagen: ein finsterer Verdacht. Diesen Verdacht muß man haben. Ich würde mich freuen, wenn sich in den Ausschußberatungen zeigen sollte, daß dieser Verdacht unbegründet ist.
Ein anderer Bereich ist die Heilbehandlung. Wie ist es denn dort? Normalerweise braucht ja in diesem Bereich nichts erzwungen zu werden. Der Arzt bekommt den Behandlungsauftrag von den Erziehungsberechtigten. Dies soll eingeschränkt werden; das einsichtsfähige Kind soll nicht mehr gezwungen sein,
seinen Erziehungsberechtigten hinzuzuziehen. Was bedeutet das aber? Das Recht des Erziehungsberechtigten, den Behandlungsauftrag zu erteilen, dient doch nicht dazu, das Kind zu kontrollieren. Es muß aber sichergestellt sein, daß derjenige, der für das Kind verantwortlich ist, von der Behandlung weiß. Daher sollte er auch den Behandlungsauftrag erteilen. Wenn dieses Recht genommen wird, ergibt sich eine völlig verschwommene Linie. Ich bin der Meinung, das geht viel zu weit. Es kommt hier nicht darauf an, dem Kind ein zusätzliches Recht einzuräumen, sondern darauf, daß das Kind oder der Unmündige - bis zu 18 Jahren - den Schutz erhält, der notwendig ist.
Ich könnte noch eine Reihe von Beispielen bringen, deren Aufzählung wahrscheinlich bis Mitternacht dauern würde. Ich habe genügend Material darüber, was heute bei uns draußen teilweise geäußert wird. Wenn Leute, die solche Äußerungen tun, die Möglichkeit haben, das Versagen der Eltern zu behaupten und dann hier einzuwirken, sehe ich für die Zukunft, etwas kraß gemalt, folgende Entwicklung. Um die Familie herum kann dann jeder - ob es die Nachbarn sind, das Jugendamt oder sonst wer - sagen, die Eltern hätten versagt. Die Eltern haben dann nicht die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, weil der Begriff des nichtschuldhaften Versagens einen sehr großen Ermessenspielraum gibt. Wird diese Regelung nicht konkret gefaßt, habe ich Angst, daß der Versuch, Mißbrauch zu verhindern, in einen neuen Mißbrauch zum Schaden des Kindes umgekehrt wird.
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Wenn wir schon von Kindesrecht sprechen, sollten sich diejenigen, die hier dafür so sehr auf die Barrikaden gehen, einmal fragen, wo denn das Recht des Kindes auf seine Eltern ist. Bei der Reform des Scheidungsrechts hat das niemand erwähnt, ist darauf nicht eingegangen worden. Jetzt sollen dem Kind Rechte gegeben werden, aber das ursprünglichste Recht des Kindes, das Recht des Kindes auf seine Eltern, wird nirgendwo mehr vertreten. Dieses Recht kann nicht das Kind einklagen, das können nur andere tun.
Dieses Problem muß im Zusammenhang mit dem Ehescheidungsrecht gesehen werden. Denn es wird ja dann eventuell auch um eine Reihe von Kindern gehen, die in sogenannten unvollständigen Familien leben, nachdem durch vorausgegangene Scheidung eine neue Situation eingetreten ist. Wenn keine genaue gesetzliche Klärung erfolgt, kann dann praktisch jeder an diese Kinder herankommen.
Bundesminister Vogel hat damals gesagt, er sei für Anregungen dankbar; wenn gute Vorschläge unterbreitet würden, würden sie in das Gesetz aufgenommen. Nun hat der Bundesrat eine Reihe von Vorschlägen gemacht, aber in der neuen Vorlage ist man nicht auf einen einzigen Vorschlag eingegangen. Im Gegenteil - Herr Dr. Stark hat das bereits gesagt -: Man hat sogar das Mitbestimmungsrecht des Bundesrates ausgeschaltet.
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- Versucht. - Um so mehr ist Mißtrauen angebracht. Wir werden abzuwarten haben, welche Ergebnisse die Verhandlungen im Ausschuß ergeben.
Zum Schluß möchte ich noch einmal ganz kurz meine Bedenken vortragen. Man vesucht, auf Grund von Ausnahmesituationen Normen zu setzen, daraus Rechtstitel abzuleiten, die jedoch in der Regel die Dinge nicht ändern, sondern vielmehr den Gutwilligen treffen. Notwendig ist, daß die Menschen in unserem Land ja zu den Kindern und zur Familie sagen und nicht versucht wird, Keile zwischen Eltern und Kinder zu treiben. Damit würde das gegenseitige Vertrauen gestört, nicht aber der notwendige Freiraum für die Familie gesichert. Ob das in Zukunft möglich ist oder nicht, wird das Gesetz zeigen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur aus rechtspolitischen, sondern auch aus jugendpolitischen und familienpolitischen Erwägungen ist es sehr zu begrüßen, daß die Koalitionsfraktionen erneut den Versuch unternehmen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf „Recht der elterlichen Sorge" das Verhältnis von Eltern und Kindern neu zu ordnen. Schon die sprachliche Formulierung zeigt, daß der Gesetzgeber aus mehrfachen Veränderungen unserer Gesellschaft - und damit auch Veränderungen der Familien - Konsequenzen zu ziehen bereit sein muß.
Die im geltenden Recht den Eltern eingeräumte Herrschaftsmacht über ihre Kinder, die sogenannte elterliche Gewalt, entspricht nicht mehr der heutigen Lebenswirklichkeit. Die Zeit der Patriarchen ist abgelaufen. Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern haben sich gewandelt. Der Entwurf will dementsprechend das Spannungsverhältnis zwischen dem als Grundrecht in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ausgestalteten Elternrecht einerseits und den Grundrechten des Kindes andererseits, besonders in Art. 1 und 2 des Grundgesetzes niedergelegt, die dem Kind mit zunehmendem Alter in wachsendem Umfang zu eigener Ausübung zustehen, durch eine vernünftige Abwägung von Elternrecht und Kindesrecht neu ordnen.
Kinder sind also nicht mehr nur Objekte des Rechtes, über die verfügt und bestimmt wird, sondern sie sind im Sinne des Grundgesetzes auch als Personen anzusehen, die Träger eigener Rechte sind. Daran können Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, nicht vorübergehen;
({0})
denn schließlich steht auch Kindern die freie Entfaltung der Persönlichkeit nach dem Grundgesetz zu.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie der Auffassung, daß unser geltendes Recht die Kinder als rechtloses Objekt der Eltern behandelt?
({0})
Nein. Wir möchten ja gerade nach dem ({0})
- Wir wollen gemäß dem Grundgesetz, in Treue zum Grundgesetz verdeutlichen,
({1})
daß die Kinder Träger eigener Rechte sind. Davon lassen wir uns nicht abbringen.
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- Ich habe gesagt, wir möchten gerne verdeutlichen.
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Darum geht es doch. Ich will das geltende Recht gar nicht in Bausch und Bogen verurteilen, ablehnen, beiseite schieben. Uns geht es um eine Verdeutlichung dieses Spannungsverhältnisses, das ja schon im Grundgesetz vorgezeigt ist. Wir meinen, dieses Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen Rechten müßte auch im Recht der elterlichen Sorge deutlicher werden als bisher. Wenn Ihnen meine Antwort nicht gefällt, dann ist das Ihre Sache; aber ich gebe die Antwort, die ich für richtig halte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann?
Bitte schön.
Herr Kollege Fiebig, ist mein Eindruck richtig, daß Sie, wie Ihre Antwort zeigt, das geltende Recht überhaupt nicht kennen?
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Wissen Sie, dem Gegner Unwissenheit zu unterstellen, wenn er anderer Auffassung ist, halte ich für sehr, sehr billig. Die Tricks kennen wir.
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Wir meinen, daß auch Kinder einen Freiheitsraum haben, der vom Grundgesetz so gesehen wird, damit älter werdenden Kindern bei ihren Angelegenheiten
Gelegenheit gegeben wird, verstärkt mitzuwirken und mitzugestalten nach dem Maße ihrer Einsichtsfähigkeit. Ich meine, daß sich der Entwurf hierin auch mit den entsprechenden pädagogischen Intentionen deckt. Wenn es in der Schule eine Schülermitverantwortung, in Jugendheimen einen Heimbeirat gibt, sollte es auch in der Familie eine entsprechende Mitbeteiligung der Kinder an Entscheidungen, die sie betreffen, geben.
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Gesellschaftliche und familiäre Wirklichkeit dürfen nicht divergieren.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stark?
Herr Kollege Fiebig, ich weiß nicht, ob Sie selber glücklicher Vater von Kindern sind. Aber ich frage Sie: Entspricht das, was Sie hier über Eltern und Gewaltunterworfenheit der Kinder sagen - wenn auch „elterliche Gewalt" im Gesetz steht; wir wenden uns nicht dagegen, daß der Begriff geändert wird -, der deutschen Wirklichkeit? Behandeln Sie Ihre Kinder so, wie Sie es gerade beschrieben haben - das möchte ich gerne wissen -, oder sind Sie der Meinung, daß die Kinder in der Regel von den Eltern so behandelt werden?
Herr Kollege Stark, ich kokettiere nicht mit der Kinderzahl, wie Sie das in Ihrer Rede vom November 1974 und auch eben wieder getan haben. Meine Fraktion hat mir das Vertrauen geschenkt, hier reden zu dürfen,
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und unsere persönlichen Angelegenheiten gehören doch wohl nicht vor das Forum des Deutschen Bundestages. Hier geht es um die Sache der Familien in unserem Lande.
({1})
Ich habe deutlich zu machen versucht, daß wir an die heranwachsenden jungen Menschen in unserem Lande denken, daß sie in dem Maße ihrer Einsichtsfähigkeit mitbeteiligt werden sollen. Ich habe die herzliche Bitte: Hören Sie doch erst einmal in aller Ruhe zu, und dann können Sie mich ja gerne bombardieren.
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- Das habe ich auch gedacht.
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Von großer Bedeutung scheint mir die geistige Voraussetzung unseres Entwurfs zu sein, welche die Pflichtgebundenheit der elterlichen Rechte betont. Damit wird dem Naturrecht, Herr Dr. Stark, eine deutliche Absage erteilt. Eltern haben nicht deshalb Rechte, weil sie Kinder gezeugt und geboren haben, sondern Rechte können nur aus der Pflicht, für Kinder sorgen zu müssen, abgeleitet werden. Damit hat das neue Recht eine weit höhere ethische Qualifikation als das alte Recht. Wenn Eltern in der Erziehung ihrer Kinder versagen, so ist es dementsprechend ethisch eher vertretbar, ihnen bestimmte Rechte zu entziehen, als wenn man von einer naturrechtlichen Begründung ausgeht. Das Naturrecht, wie Sie es hier wieder dargestellt haben, sieht Elternrecht als unwandelbar und unwiderruflich an.
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Die Begründung des Elternrechts in der Pflicht ist allerdings anders. Rechte müssen immer wieder durch Pflichterfüllung aufs neue erworben werden. Sie sehen, Herr Dr. Stark: Ich gebe Immanuel Kant den Vorzug gegenüber Thomas von Aquin, und das ist letzten Endes geistesgeschichtlich der Unterschied zwischen SPD und CDU in dieser Frage.
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- Wenn Sie dann meinen, Immanuel Kant mit Karl Marx verwechseln zu müssen, zeigt das nur, daß Sie sich einmal der Erwachsenenbildung näher zuwenden sollten.
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Wir wollen nichts anderes, als die Eltern stärker in die Pflicht zu nehmen, in die Pflicht des Miteinander in der Familie und nicht des Gegeneinander. Sie werfen uns vor, wir säten tiefes Mißtrauen in die Familien hinein. Nein, ganz das Gegenteil ist der Fall: Wir wollen durch dieses Gesetz das Miteinander in der Familie stärken. Wenn Sie uns da irgendwelche Fischer-Bändchen um die Ohren hauen, so verstehen wir das nicht. Setzen Sie sich doch mit den Autoren dieser Bücher auseinander, nicht mit uns!
Ich will noch einmal mit einem Mißverständnis aufräumen. Sie werfen der Bundesregierung immer wieder vor, sie sei nicht genügend familienfreundlich. Sie führen als Kronzeugen den Zweiten Familienbericht an. Ich muß Ihnen in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß 1965 der Bundestag beschlossen hat, daß in jeder Legislaturperiode von unabhängigen Experten ein Familienbericht zu erstellen sei. Dieses ist geschehen. In der letzten Legislatuperiode hatten wir den Zweiten Familienbericht von Expertenkommissionen. Dazu hat die Bundesregierung eine Stellungnahme abgegeben. Wenn Sie sich mit der Bundesregierung in Sachen Familienpolitik auseinandersetzen wollen, dann müssen Sie die Stellungnahme der Bundesregierung zitieren und nicht 1 die Expertenkommission.
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Um Ihnen das noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen, zitiere ich einen Abschnitt, um Ihnen deutlich zu machen, welche Einstellung die Bundesregierung zur Familie hat, und daß Sie immer wieder zu Unrecht die Bundesregierung denunzieren. Ich zitiere:
Die Bundesregierung hat durch eine Reihe von ihr eingeleiteter Reformen deutlich gemacht, welch hohen Stellenwert sie der Familie in unserer Gesellschaft einräumt. Ihre Politik für die Familie beruht auf den Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu Ehe, Familie und Persönlichkeitsentfaltung und auf der unveränderten Bejahung der Familie durch die Gesellschaft. Die Entwicklung zur Industriegesellschaft ist zwar nicht ohne Auswirkungen auf die Familie und ihre Funktionen geblieben. Die Familie ist aber auch in ihrer heutigen Struktur für die Befriedigung der Bedürfnisse nach mitmenschlicher Gemeinschaft, für die Entwicklung des einzelnen Menschen zur sozial-kulturellen Persönlichkeit und darüber hinaus für den Fortbestand und die Fortentwicklung der Gesellschaft unentbehrlich.
So die Bundesregierung. Damit setzen Sie sich bitte in Zukunft auseinander.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schleicher?
Herr Fiebig, wären Sie bereit, auch noch folgendes zu zitieren, was auf der nächsten Seite im letzten Absatz steht, was nämlich die Bundesregierung zur Fortsetzung sieht, daß sie nämlich auch offen ist, Reformen zu machen? Ich kann jetzt den Wortlaut nicht genau sagen, er steht oben. Wären Sie bereit, dies auch noch zu zitieren?
Ich will jetzt hier nicht Kreuzworträtsel suchen. Das ist nicht die Aufgabe einer Bundestagsdebatte.
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- Gut, ich stelle mich also jetzt fünf Minuten hin und suche das Zitat, das Frau Schleicher nicht finden kann. Wo kommen wir denn da hin, Herr Kollege Hammans?
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Kollegin Schleicher?
Es ist sinngemäß etwa so, daß es heißt: Die Bundesregierung ist aber
auch offen für das Grundgesetz, sie ist offen für Reformen. Dann möchte ich wissen, was sie in bezug auf die Familie hier „offen" nennt, wie sie das Grundgesetz auslegt, weil das nämlich hier eine ganz wichtige Entscheidung ist, was diese Reform betrifft.
Sehr verehrte Frau Kollegin, wir haben uns als sozialliberale Koalition bemüht, auf familienpolitischem Gebiet einige Reformen durchzuführen, etwa die Neuformulierung des Ehe- und Scheidungsrechts, um eine Reform zu nennen. Es freut uns sehr, wenn Sie unsere Reformbereitschaft mit Ihrer Frage noch einmal unterstreichen.
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Aber jetzt zurück zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge. Der Entwurf sieht vor, daß die Eltern auf den Willen und die Belange des einsichtsfähigen Kindes Rücksicht nehmen und Entscheidungen im Bereich der elterlichen Sorge mit dem Kind zu erörtern haben, und zwar mit dem Ziel, gegenseitiges Einverständnis herbeizuführen. Maßnahmen, die die Ausbildung oder den Beruf des Kindes betreffen, sollen seiner Begabung und Neigung entsprechen.
Im Grundsatz geht der Entwurf also davon aus, daß die Lösung von Konflikten zunächst innerhalb der Familie versucht werden soll. Angesichts dieser Grundtendenz erscheint die verschiedentlich geäußerte Befürchtung unbegründet, daß der Entwurf von einer Gegnerschaft zwischen Eltern und Kindern ausgeht und die angestrebte Verstärkung der Kindesrechte das Gleichgewicht in der Familie in Frage stelle.
Wenn Sie, verehrte Frau Kollegin Schleicher, hier eine heile Welt vorgezaubert haben, dann gebe ich Ihnen zu bedenken: wir bemühen uns auch um die Familien, die in schwierigen Verhältnissen sind. Sie wissen genausogut wie ich, daß es in der Bundesrepublik Obdachlosenheime gibt, in denen auch Kinder sind, die von ihren Eltern vernachlässigt werden, daß es in der Bundesrepublik 600 000 Alkoholiker gibt, die sich oft nicht um ihre Kinder kümmern. Sie haben von den sogenannten Scheidungswaisen gesprochen. Dann müssen Sie auch bedenken, daß es Ehepartner gibt, die sich nicht nur vom Ehepartner trennen ,sondern gleichzeitig auch von ihren Kindern, und sich nicht mehr um die Kinder kümmern. Was soll denn aus diesen Kindern werden, wenn nicht hier der Gesetzgeber ihr Wohl und Wehe ins Augefaßt?
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Abschließend möchte ich noch eine Regelung der Weimarer Verfassung erwähnen, die in bezug auf die religiöse Erziehung festgelegt hatte - das ist von den Vätern des Grundgesetzes übernommen worden -, daß Kinder vom 12. Lebensjahr an im Einvernehmen über Religion und Konfession, vom 14. Lebensjahr an selbständig, notfalls sogar gegen die Eltern entscheiden können. Vor 48 Jahren hatte die Weimarer Verfassung also bereits den Ansatz
gefunden, die Persönlichkeitsrechte des Kindes stärker zu berücksichtigen. Was für die religiöse Erziehung gilt, könnte dann wohl auch für die allgemeine Erziehung gelten. Es wird Zeit, diesen Gedanken auch auf das Bürgerliche Gesetzbuch anzuwenden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich will in dieser späten Stunde die Debatte nicht ungebührlich verlängern. Ich möchte an die letzten Worte von Herrn Dr, Stark anknüpfen, der in Aussicht stellte, daß die Opposition diesen Gesetzentwurf mittragen würde, wenn sich im Ausschuß einiges bewegen lassen würde. Wir gehen als Freie Demokraten davon aus, daß die Opposition sicherlich nichts in Richtung auf Kommissionsvorschläge bewegen will, wie sie im Zweiten Familienbericht enthalten sind und zu denen die Bundesregierung ein klares Nein gesagt hat.
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Ich glaube, die Debatte heute abend über die Familienpolitik sollte uns auch wieder lehren, daß die Bundesregierung in Zukunft vielleicht noch gründlicher aufpassen muß, wenn sie Kommissionsberichte vorlegen muß, weil das Parlament den Auftrag dazu gegeben hat. Unter Umständen sollte sie zu jeder einzelnen Nummer eine Stellungnahme abgeben. Dann ist noch klarer, wo die Ablehnung gegeben ist. Herr Kollege Dr. Stark, wenn Sie die römisch bezifferten Seiten des Zweiten Familienberichts lesen, können Sie doch nicht zu der Feststellung kommen, daß wir hier etwa am Grundgesetz vorbei oder bis an den Rand dessen, was nach dem Grundgesetz möglich ist, etwas verändern wollten.
Familienpolitik muß das Ziel verfolgen, schichten-spezifische Benachteiligungen abzubauen, gleiche Voraussetzungen und Gleichheit der Chancen zu sichern. Da sind wir sicher einer Meinung. Es ist sicherlich auch die Aufgabe des Gesetzgebers - dazu soll dieser Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge beitragen -, dafür zu sorgen, daß dann, wenn die Eltern ihre Fürsorgepflicht vernachlässigen - ich möchte sagen: sträflich vernachlässigen -,
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das Recht des Kindes mehr in den Vordergrund tritt. Von daher ist dies kein Gesetzentwurf gegen die Familie, sondern ein Gesetzentwurf, der dazu beitragen soll, daß Kinder, die, wo die Familie ihre Aufgaben - auch die Aufgaben nach dem Grundgesetz - nicht mehr voll erfüllt, mehr Möglichkeiten und mehr Rechte haben, als das bisher der Fall ist.
Ich glaube, Ihr letzter Satz macht deutlich, daß wir in dem Ziel einig sind, den Schutz gefährdeter Kinder zu verbessern und dem Gedanken zunehmender
Selbstverantwortlichkeit der Heranwachsenden Rechnung zu tragen. Mit dieser Zielstellung und dieser Wertvorstellung sollten wir in die Ausschußberatungen gehen. Dann bin ich davon überzeugt, daß auch die Opposition am Ende zu dem Gesetzentwurf ja sagt, den wir heute in erster Lesung behandeln.
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär de With.
Dr. de With, Parl. Staassekretär beim Bundesmister der Justiz: Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nach dieser Debatte nur einige wenige kurze Ausführungen.
Nach meinem Dafürhalten hat diese Debatte gezeigt, daß die Notwendigkeit des Reformwerkes im Grunde nicht bestritten ist. Die geltende Regelung des Eltern-Kind-Verhältnisses stammt im Grunde genommen aus der Zeit des vergangenen Jahrhunderts, und es liegt deshalb auf der Hand, daß diese Regelung im Kern nicht den Bestimmungen des Grundgesetzes entsprechen kann. Weitgehende Einigkeit besteht trotz mancher Vorbehalte im einzelnen auch, wie ich mit Freude feststellen kann, über die Hauptziele der Neuregelung, nämlich die elterlichen Rechte und Pflichten neu zu beschreiben, den Schutz der gefährdeten Kinder auch auf dem Sektor des Familienrechts zu verbessern und dem Gedanken der zunehmenden Selbstverantwortlichkeit der Heranwachsenden Rechnung zu tragen.
Nun ist hier in diesem Hohen Hause allerdings die Besorgnis geäußert worden, der Entwurf entspreche nicht voll dem Elternrecht und ziele unter Umständen darauf ab, das Elternrecht auszuhöhlen und die Familie zu zerstören. Ich möchte hier klar zum Ausdruck bringen, daß der Entwurf, der im Grundsatz dem Regierungsentwurf aus der letzten Wahlperiode entspricht, dieses nicht beabsichtigt und daß ein solches Ergebnis von mir auch nicht gebilligt werden würde. Die Begründung des Regierungsentwurfes - das sei eingeräumt - enthielt einige wenige mißdeutbare Formulierungen, die aber den Text - dies muß doch beachtet werden - in keiner Weise getragen haben. Zudem hat sich Minister Vogel hiervon in der Debatte am 8. November ausdrücklich distanziert. Diese Worte finden sich auch nicht mehr in der Begründung des Entwurfs der Koalitionsfraktionen.
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- Sie sollten nichts hineindeuten, was nicht darin steht.
Mit dem Hinweis auf die Pflicht zur Beachtung des Elternrechts und zum Schutz und zur Förderung der Familie und ihrer Selbstverantwortlichkeit gemäß Art. 6 des Grundgesetzes hätte eigentlich die Voraussetzung dafür gegeben sein sollen, daß Sie auf diese mißdeutbaren Äußerungen nicht mehr zurückkommen. Dem war aber nicht so. Dies ist zu bedauern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der I Opposition, ich werde leider das Gefühl nicht los, daß Sie wieder in die Politik der letzten Legislaturperiode verfallen. Mit dieser Politik haben Sie damals bei der Reform des Sexualstrafrechts begonnen, als einige aus Ihren Reihen den Eindruck erweckten, als stürze das sittliche Abendland zusammen. Am Ende haben Sie dann die Abstimmung freigegeben, und der Großteil Ihrer Fraktion hat zugestimmt.
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Daselbe gilt für die Reform des § 218. Auch in diesem Fall hatte sich Ihr Entwurf am Ende dem unseren sehr angenähert. Nicht anders war es auch bei der Reform des Ehe- und Scheidungsrechts. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an das, was hier unser Kollege Lenz gesagt hat. Ich möchte seine Worte jetzt nicht wiederholen. Am Ende erfolgte auch in diesem Fall die Zustimmung.
Ich frage mich: Was soll diese Form der Verdächtigung gegenüber diesem Gesetzeswerk, das doch nach der Begründung und nach den Klarstellungen eindeutig ist? Ich meine, man sollte dem Entwurf nicht Tendenzen unterstellen, die er nicht hat.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stark?
Dr. de With, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Selbstverständlich.
Herr Staatssesekretär de With, haben Sie denn kein Verständnis dafür, daß wir der Meinung sind, es wäre - nachdem über den Entwurf der Bundesregierung eine große Debatte stattfand, der Bundesrat Einwendungen erhoben hat und auch die Verbände Einwendungen erhoben haben - sinnvoller gewesen, Sie hätten den alten Entwurf jetzt nicht ohne Bundesratszustimmung über die Fraktionen von SPD und FDP einbringen lassen? Wäre es nicht viel vernünftiger gewesen, wenn Sie unsere Einwendungen mit bedacht und mit verarbeitet und einen vernünftigen Entwurf vorgelegt hätten?
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Dr. de With, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege, Ihr Hinweis hat zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist der, daß wir natürlich nichts gegen Kritik haben. Bisher hat ein Entwurf den Bundestag nur selten so verlassen, wie er eingespeist wurde. Hier stellt sich doch die Frage, ob wir nicht einfach den alten Entwurf nehmen sollten, damit der Rechtsausschuß Arbeit hat und wir bald zu Rande kommen - natürlich ist auch dann die Möglichkeit gegeben, der berechtigten Kritik Rechnung zu tragen -, oder ob wir vorher lange an diesem Gesetzentwurf herumbossein sollten, um ihn dann grob verändert einzubringen. Ich meine, dem, worum es hier geht, ist besser gedient, wenn wir den Entwurf unverändert einbrinParl. Staatssekretär Dr. de With
gen und dann in Ruhe im Rechtsausschuß darüber diskutieren.
Ein Zweites. Wir lassen uns gern Kritik gefallen. Die Kritik sollte sich aber besonders in einem Jahr, in dem keine Wahlen stattfinden, in Grenzen halten und nicht in Verdächtigungen ausarten.
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Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen; dann bin ich auch schon am Ende meiner Ausführungen.
Zu § 1666 BGB möchte ich folgendes sagen. Der Bundesrat hat bereits anläßlich der Reform des Nichtehelichenrechts vorgeschlagen, das Verschuldensprinzip auch in § 1666 BGB zu beseitigen. Das ist auch sachgerecht. Sinn der Vorschrift ist es doch nicht, die Eltern für eine Pflichtverletzung zu bestrafen, sondern es geht darum, das gefährdete Kind zu schützen. Ein gefährdetes Kind, meine Herren von der Opposition, ist in gleicher Weise schutzbedürftig, ob die Eltern dabei ein Verschulden trifft oder nicht.
Ich wäre dankbar, wenn die Beratungen im Rechtsausschuß und in anderen Ausschüssen ohne unnötige Polemik durchgeführt würden. Denn das Thema, um das es hier geht, verträgt sich damit nicht.
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Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Überweisung. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - vor. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes
- Drucksache 8/126 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Verteidigungsausschuß
Innenausschuß mitberatend
Haushaltsausschuß mitberatend und
gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes
- Drucksache 8/154 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Verteidigungsausschuß
Innenausschuß mitberatend
Haushaltsausschuß mitberatend und
gemäß § 96 GO
Darf ich davon ausgehen, daß auch hier Begründung und Aussprache verbunden werden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann geht es nach der Reihenfolge der Einbringung der Entwürfe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biermann.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Ich darf Ihnen hier heute abend den Koalitionsentwurf zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes vorlegen, der in seiner Substanz - das will ich gleich sagen - dem Gesetzentwurf entspricht, den der Bundestag am 8. April 1976 gegen die Stimmen der Opposition angenommen hatte.
Die in diesem Entwurf vorgenommenen Änderungen räumen die formalen Gründe - ich will hier nicht sagen: die vorgeschobenen Gründe - aus, mit denen die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat die Zustimmungsbedürftigkeit durchgesetzt hatte.
Unser Ziel bleibt es - das will ich hier gleich sagen -, dem jungen Staatsbürger bei der Wahrnehmung des Grundrechts, den Kriegsdienst zu verweigern, nicht noch länger die rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätze vorzuenthalten, Grundsätze, die in anderen Rechtsbereichen selbstverständlich sind.
Kein Mensch kann ernsthaft bestreiten, daß die derzeitigen Prüfungsverfahren und ihre Durchführung unserem Rechtsstaat nicht angemessen sind. Es ist doch sicherlich - wie es Herr Dr. Wörner im vergangenen Jahr einmal ausgedrückt hat - kein Examen, was der Antragsteller dort abzulegen hat.
Ich wiederhole heute, was ich vor einem Jahr - d. h. nicht einmal einem Jahr - hier sagte: Die Gewissensentscheidung eines jeden einzelnen Bürgers, auch des jungen Menschen, ist letztlich ein interner Vorgang und entzieht sich damit naturgemäß der Kontrolle durch andere. Die Prüfungsgremien sind immer noch auf nach außen wirkende Indizien angewiesen, so daß Fehlentscheidungen mit den uns allen bekannten leider tragischen Folgen unvermeidlich waren. Der Antragsteller legt die Entscheidung praktisch in das freie Ermessen dieser noch bestehenden Prüfungsgremien.
Die Ausübung dieses Ermessens hängt jedoch weitgehend von der Zusammensetzung dieser Gremien ab. Sie ist deshalb je nach Tag und Ort unterschiedlich im Ergebnis.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich einmal die Anerkennungsquoten aus den verschiedensten Bereichen unserer Bundesrepublik ansehen, dann kommen Sie auf Prozentsätze, die praktisch zwischen 10 und 80 % liegen. Auch Stimmungen, festgelegte Ausgangspositionen, Vorurteile, unsichere Verfahrensweisen, unklare Fragestellungen, ja, Fangfragen und dergleichen mehr, lassen zunehmend den Eindruck willkürlicher Entscheidungen entstehen.
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- Wir werden da Erhebliches ändern. Sie sollten sich das einmal hübsch ansehen. Sie haben die Möglichkeit, uns dabei zu helfen.
Es gibt Prüfungsgremien, die für ihre ablehnenden Bescheide - und ich habe noch einige bei mir auf dem Schreibtisch liegen - bereits eine Art Vordruck mit gleichem Text verwenden und nur noch die persönlichen Daten auf den jeweiligen Antragsteller beziehen. So weit sind wir mit diesem
Examen, Herr Dr. Wörner, gekommen. Wir jedenfalls wollen mit diesem Gesetz den Massenverschleiß von Gewissen, wie er hier geschieht, für die Zukunft verhindern. Die Unzulänglichkeiten und Unzumutbarkeiten für einen Antragsteller können Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit Ihrem Entwurf allerdings ganz sicher nicht beseitigen. Das kann weder Ihr „Vorsortierer" nach Aktenlage oder nach persönlicher Vorstellung noch können es die Prüfungskammern, die ja im wesentlichen nach herkömmlichen Kriterien arbeiten sollen und die alle von mir vorhin genannten Unzulänglichkeiten weiterhin beibehalten.
Ihr Entwurf ist praktisch nur eine Beschleunigung des Verfahrens, und darauf ist er angelegt. Er hebt die Frage des Lotteriespiels, wie es ja heute bei diesem Verfahren der Fall ist, nicht auf. Ich würde Ihnen empfehlen, daß Sie sich einmal mit der Dissertation Ihres jetzigen Generalsekretärs, des Herrn Geißler, auseinandersetzen. Dann kommen wir uns wahrscheinlich in vielen Bereichen in unseren Auffassungen wesentlich näher.
Übrigens - die Frage muß ich stellen -: Wie wollen Sie mit dem Verfahren, das Sie in Ihrem Entwurf vorschlagen, die sogenannte Echtheit der Gewissensentscheidung feststellen können? Die Koalitionsfraktionen hingegen ziehen mit ihrem vorliegenden Entwurf, wie ich meine, die richtige und abgewogene Konsequenz. Mit diesem Gesetzentwurf bleibt die gesetzlich festgelegte Wehrpflicht uneingeschränkt erhalten. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bleibt unangetastet und gesichert.
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- Die Horrorzahlen, die Sie jeden Tag in die Welt setzen, sollten Sie besser einmal nachprüfen. Selbst die nachweisbaren Zahlen stimmen doch bei Ihnen schon nicht mehr! Da leben Sie doch in einer Zeit, die es gar nicht mehr gibt.
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Unser Entwurf sichert die Freiheit der Gewissensentscheidung so weit wie möglich und garantiert die Sicherstellung des Verteidigungsauftrages so weit wie nötig. Ich meine, das ist das Entscheidende. Wir sollten hier nicht in Panikmache oder in andere Dinge ausweichen.
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- Hatten Sie mich gemeint? - Dann ist es gut. - Im übrigen wird die Behauptung der Opposition, die von uns angestrebte Regelung höhle die allgemeine Wehrpflicht aus, durch ständiges Wiederholen ganz sicher nicht richtiger. Ich bedauere, meine Damen und Herren, daß der Herr Kollege Biehle - jedenfalls sehe ich ihn nicht - nicht anwesend ist. Er sollte das ewige Geschwätz von den linken Riegen und von all dem, was sich da alles so schön schreiben läßt, endlich sein lassen. Das ist doch der gleiche Unsinn - ich muß es hier sagen -, wie man ihn manchmal in anderen Bereichen ebenso unmöglich in die Öffentlichkeit zu bringen versucht.
Auch sollte die Opposition mit ihren Zahlenspielereien zu den Tatsachen zurückkehren. Im vergangenen Jahr haben Sie die hohen Zahlen der Antragsteller in den ersten drei Monaten als Gespenst an die Wand gemalt. Zur Zeit reden und schreiben Sie von Rekordzahlen des Jahres 1976, obwohl das gar nicht unerwartet war. Warum, so muß ich Sie fragen; verschweigen Sie die vorliegenden Zahlen dieses Jahres? Die Januar- und Februar-Zahlen liegen doch vor. Ich behaupte: Weil sie Ihnen nicht in Ihr Konzept der Verunsicherung passen.
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Das ist doch Ihre ganze Politik, die Sie betreiben, auch heute den ganzen Tag wieder. Und da kann ich dies doch sicherlich noch mit anfügen. Sie verunsichern die Menschen dadurch, daß Sie sagen, wir hätten nicht mehr genug Soldaten, die unsere Freiheit verteidigen können.
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Das ist eben nicht der Fall.
Ich darf Ihnen gerade bei dieser Gelegenheit sagen, daß beispielsweise die Januar-Zahlen dieses Jahres um 18,4 % gegenüber dem Vorjahr gesunken sind. Auch die Februar-Zahlen sind um 8,5 °/o gesunken. Jeder sollte wissen - auch das ist hier in der Fragestunde schon deutlich geworden -, daß gerade die ersten drei Monate im Endeffekt die Monate sind, in denen man mit der höchsten Zahl der Antragsteller rechnen muß. Im übrigen sollten Sie aber, wenn Sie über Antragsteller reden, auch darüber reden, daß etwa 25 °/o der Antragsteller aus Gesundheitsgründen oder Ausnahmegründen - es werden hier die gleichen Kriterien angewandt wie bei den Soldaten - nicht zum Zivildienst herangezogen werden können.
Lassen Sie mich nur kurz auf die wesentlichen Inhalte unseres Entwurfs zu sprechen kommen:
Erstens. Für ungediente Wehrpflichtige, die weder einberufen noch vorbenachrichtigt sind, wird das Verfahren ausgesetzt, wenn sie sich auf Art. 4 Abs. 3 berufen. Sie gelten als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, wenn sie den Zivildienst leisten, spätestens jedoch zwei Jahre nach Abgabe dieser Erklärung.
Zweitens. Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das modifizierte Prüfungsverfahren - wir nennen es hier Feststellungsverfahren - wieder einzuführen, wenn die Sicherstellung des Verteidigungsauftrages nicht gewährleistet ist. Der Bundestag hat allerdings das Recht, diese Rechtsverordnung binnen sechs Monaten nach Erlaß aufzuheben.
Drittens. Soldaten, einberufene, vorbenachrichtigte und gediente Wehrpflichtige müssen sich dem modifizierten Verfahren grundsätzlich unterziehen. Sie gelten als anerkannt, wenn das Verfahren innerhalb von drei Monaten nicht abgeschlossen ist.
Viertens. In diesem Feststellungsverfahren steht die Prüfung der Ernsthaftigkeit und damit die Glaubwürdigkeit des Antragstellers im Vordergrund. Dabei kommt es nicht auf die Ausdrucksfähigkeit des Antragstellers an. Erscheint der Antragsteller nach seinem Gesamtverhalten als nicht glaubhaft und erhält er eine ablehnende EntscheiBiermann
dung, so ist sie zu begründen. Die Entscheidungstatsachen müssen jedoch gerichtlich nachprüfbar sein.
Im übrigen berücksichtigt dieser Entwurf die Bedenken des Herrn Bundespräsidenten, indem wir die Umgestaltung der Verwaltungsorganisation nicht vornehmen, ich sage hier: leider nicht vornehmen können. Die Vorsitzenden der Prüfungsausschüsse und Kammern und damit die verwaltungsmäßige Durchführung der Verfahren, soweit sie noch notwendig sind, bleiben im Bereich des Bundesministers der Verteidigung. Die Frage der Zustimmung zur Rechtsverordnung durch den Bundesrat läßt der Entwurf offen. Weitere schutzbedürftige Interessen der Länder werden von unserem Entwurf nicht berührt.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen sind davon überzeugt, daß mit diesem Gesetz ein Stück mehr Rechtsstaatlichkeit verwirklicht wird. Wir werden hiermit, ohne unsere Sicherheit zu gefährden, die doch recht zweifelhaften Verfahren für Kriegsdienstverweigerer beseitigen. Wir werden die jungen Menschen nicht mehr in die Gewissensnöte zwingen.
Ebenso machen wir deutlich und dieses sogar sehr deutlich, daß von uns im zivilen Dienst für die Gemeinschaft, in allgemeinen Krankenhäusern, in psychiatrischen Kliniken, in Alten- und Pflegeheimen, in Altenwohnungen, bei Krankentransport, bei Unfallrettungsdienst, in Heimen für Behinderte, in Rehabilitationseinrichtungen, in vielen Bereichen mehr ein Dienst gefordert wird, der weiß Gott nicht leicht und erst recht kein Drückebergerposten ist.
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- Sie brauchen sich keine Sorge zu machen. Ich empfehle Ihnen, einmal den Zeitraum zu nehmen, als wir nur noch 700, 800 oder 1 500 Kriegsdienstverweigerungen hatten, als Sie die Regierungsverantwortung hatten und als Sie nicht einmal in der Lage waren, die Hälfte dieser Verweigerer in einem zivilen Dienst, in einem Ersatzdienst, wie es damals hieß, unterzubringen.
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- Die Zahlen kann ich Ihnen bei Gelegenheit liefern, wenn es Sie interessiert. Ich will Ihnen auch gleich sagen, heute sieht es so aus, daß bei 33 000 Plätzen infolge Fehlens anerkannter Kriegsdienstverweigerer nur rund 18 000 besetzt sind.
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- Ich will Ihnen etwas sagen: Sie hatten für die wenigen keine Plätze, und wir haben für die vielen, wie Sie es nennen, schon zu viele.
Wir sind der Meinung, die Dienste, die diese jungen Menschen leisten, sind Dienste für diese unsere Gemeinschaft, und es sind auch harte Dienste für unsere hilfsbedürftigen Bürger in unserem Land.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin sicher, daß wir mit dem vorliegenden Entwurf auf dem richtigen Wege sind. Ich fordere daher die Opposition auf, zumal keine Bundestagswahl vor der Tür steht und Wahlgeschenke damit verbunden sein könnten, Herr Dr. Wörner, mehr Vertrauen in unsere jungen Menschen zu setzen und unseren Entwurf aktiv zu unterstützen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Tübler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst darauf aufmerksam machen, daß auf der Kabinettsbank - diese Gesetzentwürfe sind anscheinend von sehr großer Wichtigkeit - weder ein Minister noch ein Staatssekretär noch ein Parlamentarischer Staatssekretär sitzt.
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- Aha! Herr Staatsminister, entschuldigen Sie. Herr Staatsminister Wischnewski saß so weit in der Ecke, daß er übersehen wurde.
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- Trotz alledem ist es jetzt das dritte Mal, lieber Herr Professor Schäfer, daß der Verteidigungsminister, dessen ureigenste Sache dies eigentlich wäre, an einer Lesung nicht teilnimmt.
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Ich habe bereits in meiner Rede vor diesem Hohen Hause anläßlich der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Wehrpflicht-und des Zivildienstgesetzes der Koalitionsfraktionen in der letzten Legislaturperiode ausgeführt, daß mit der Frage der Garantie unserer äußeren Sicherheit eine Frage von solchem Gewicht zur Beratung ansteht, daß man sich um gewissenhafte Arbeit mit breitem parlamentarischen Rückhalt hätte bemühen sollen. Warum ist dies auch eine Frage, die die äußere Sicherheit der Bundesrepublik berührt? Wir behaupten - mein Kollege Dr. Kraske hat es anläßlich der ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe in der vorigen Legislaturperiode sehr deutlich gemacht -, daß jede Änderung unseres Wehrpflichtsystems - darauf läuft schließlich Ihr Gesetzentwurf hinaus - psychologisch und politisch nach innen und außen die Frage aufwirft, ob unser Verteidigungswille noch vorhanden ist.
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Wir haben unseren Gesetzentwurf unverändert wieder eingebracht, und ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß unsere Vorschläge diesmal ernsthaft geprüft werden.
Während der Beratung Ihres Gesetzentwurfs in den zuständigen Ausschüssen haben wir auch zu
prüfen, ob der Entwurf mit unserer Verfassung vereinbar ist. Die Auswirkungen Ihres Gesetzentwurfes der letzten Legislaturperiode, von dessen Unterzeichnung der Herr Bundespräsident zum Glück auf Grund verfassungsrechtlicher Bedenken abgesehen hat, sind inzwischen sichtbar geworden. Lieber Herr Kollege Biermann, das war keine Panikmache bei uns im vorigen Jahr, sondern wir haben jetzt den Beweis: ein sprunghaftes Ansteigen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer auf 40 500, d. h. eine Steigerung gegenüber 1975 um 24,8 0/o.
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Der Pressereferent des Bundesministeriums der Verteidigung behauptete in den „Mitteilungen an die Presse" vom 13. Januar 1977, der Personalbedarf der Bundeswehr an wehrdienstfähigen Wehrpflichtigen sei nicht gefährdet. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, ich wage diese Aussage schon jetzt in Zweifel zu sehen.
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Haben Sie sich eigentlich überlegt, wie sich dieses Verfahren der Wahlfreiheit auf die Qualität der Soldaten in der Bundeswehr auswirkt? Von den Kriegsdienstverweigerern sind heute schon nahezu 50% Schüler und Abiturienten.
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Wenn sich diese jungen Menschen ausrechnen können, wie gut die Chancen stehen, als Kriegsdienstverweigerer nicht dienen zu müssen, werden noch mehr junge Menschen aus rein kommerziellen Gründen diese Möglichkeit ausnutzen wollen. Vertrauen in die Jugend hin, Vertrauen her, gerade in der heutigen schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt und den Universitäten werden für viele junge Leute bei Abwägung zwischen staatsbürgerlicher Pflicht und Berufsmöglichkeiten letztere den Ausschlag geben.
Es ist uns allen bekannt - das dürfte auch Ihnen bekannt sein, Herr Biermann -, daß jetzt schon Wehrpflichtige mit der schlechtesten Signierziffer, nämlich der Signierziffer III und auch wieder verheiratete Wehrpflichtige einberufen werden müssen. Die Signierziffer III bedeutet, daß diese Wehrpflichtigen wegen körperlicher Mängel diese Einstufung erhalten haben. Bisher - so war es wenigstens zu unserer Regierungszeit - wurden die am besten geeignet erscheinenden Wehrpflichtigen zum Dienst in der Bundeswehr einberufen. Nunmehr muß man schon auf solche Wehrpflichtigen zurückgreifen, die schwer in der Truppe einzusetzen sind und deren Verwendungsbreite eingeschränkt ist. Wir werden bei der Beratung Ihres Gesetzentwurfs im Verteidigungsausschuß hierauf zurückkommen und uns vom Bundesminister der Verteidigung hierzu berichten lassen.
Sie aber, die Initiatoren dieses Gesetzentwurfes der Koalition, gehen hierüber einfach hinweg und legen den gleichen Gesetzentwurf vor, der nur hinsichtlich der Zuordnung der Prüfungsausschüsse und der Abschaffung der Prüfungskammern geändert wurde, und das nur - so muß ich ganz ehrlich sagen - mit formalen Tricks, um die Bedenken des Bundesrates zu umgehen,
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und ohne die Entwicklung zu berücksichtigen und die Frage zu prüfen, was passiert, wenn die Zahl der Kriegsdienstverweigerer noch weiter ansteigt.
In Ihrem Gesetzentwurf steht unter Art. 1 in § 25 a Abs. 2 - Sie haben es ja eben ausgeführt, Herr Biermann -, daß die Überprüfung der Kriegsdienstverweigerer nach dem Verfahren gemäß § 20 Abs. 3 bis 8 - ich nehme an, das ist ein Druckfehler in dem Gesetzentwurf; es soll sicher heißen „§ 26 Abs. 3 bis 8" - durch Rechtsverordnung der Bundesregierung wieder eingeführt wird, wenn und solange „die Zahl der verfügbaren Wehrpflichtigen aus den aufgerufenen Jahrgängen nicht ausreicht, die Erfüllung des Verteidigungsauftrages der Streitkräfte sicherzustellen" . Die reine Zahl wird in den nächsten Jahren bei den geburtenstarken Jahrgängen sicherlich ausreichen, es werden aber mehr und mehr Wehrpflichtige, die nach ihrer körperlichen Eignung nur sehr bedingt in der Truppe einsetzbar sind und deren Verwendungsbreite äußerst gering ist, Soldat werden müssen und die Einheitsführer vor neue Probleme stellen.
Dies alles, meine Damen und Herren der Koalition, nehmen Sie als die Initiatoren dieses Gesetzentwurfes einmütig in Kauf. Sie bauen die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte dadurch ab, Sie schwächen diese von Ihnen - so ist mein Eindruck - ungeliebte Wehrpflichtarmee, obwohl die Rüstung der anderen Seite wächst und wächst; aber das nehmen Sie aus ideologischen Gründen nicht zur Kenntnis,
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einfach nach dem Motto: Was nicht sein kann, das nicht sein darf.
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Nach wie vor bleiben Sie bei dem § 25 a Ihres Gesetzentwurfes, obwohl wir Sie bei der ersten und der dritten Lesung in der vorigen Legislaturperiode auf die Schizophrenie dieses Paragraphen - nur so kann man es nennen - eindringlich hingewiesen haben. Ich muß deshalb die Fragen wiederholen; Herr Biermann hat sie ja vorhin auch wiederholt, und deswegen ist mein Gewissen gar nicht so schlecht, wenn ich Ihre Zeit in Anspruch nehme.
Ich möchte Sie fragen: Wer garantiert uns, daß der Verteidigungsminister den Mut hat, den Erlaß und die Anwendung dieser Rechtsverordnung im Kabinett zu beantragen? Wer garantiert uns, daß das Kabinett dem Antrag zustimmt? Wo ist der Fall geregelt, daß, wenn das Kabinett seiner Pflicht zum Erlaß der Rechtsverordnung nicht nachkommt, das Parlament die Bundesregierung zur Erfüllung ihrer Pflicht aus Art. 87 a des Grundgesetzes anhalten kann? Unverständlicherweise haben Sie nur das Gegenteil regeln wollen. Und wie wollen Sie dann, wenn nicht mehr 3 000 Soldaten, sondern plötzlich mehr als 40 000 Kriegsdienstverweigerer geprüft werFrau Tübler
den müssen, von heute auf morgen den notwendigen Verwaltungsapparat bereitstellen?
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Unterstellen wir einmal, daß Ihnen das alles gelingt, so bleibt dennoch festzustellen, daß Sie mit diesem Gesetz das zukünftige Anerkennungsverfahren zur Farce machen. Denn mit der Umkehr der Beweislast ist die Ablehnung eines Antrages künftig nur noch möglich, wenn der Ausschuß selbst die Unglaubwürdigkeit des Antragstellers bei dessen Berufung auf die Gewissensentscheidung mit gerichtlich nachprüfbaren Tatsachen belegen kann. Das heißt, die von Ihnen vorgesehene Lösung ist völlig wirklichkeitsfremd, weil praktisch jeder Antragsteller anerkannt werden muß.
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Meine Damen und Herren, Sie wissen doch selbst, daß es in Ihren eigenen Reihen genug Kollegen gibt, die unsere Befürchtungen teilen und der Ansicht sind, daß diese Gesetzentwürfe nur mit breiter demokratischer Mehrheit verabschiedet werden dürften. Wie ist es dann aber zu erklären, daß Sie diesen Gesetzentwurf, den wir abgelehnt haben, nun schon zum zweitenmal - mit rein formalen Änderungen - einbringen, ohne auf unsere Bedenken Rücksicht zu nehmen? Ich will es Ihnen sagen: Weil Sie, die Initiatoren dieses Entwurfs, immer ein Potential von linken Wählern haben, die unsere Demokratie von Grund auf ändern wollen, von Männern, die aus anderen als aus Gewissensgründen unseren Rechtsstaat, unsere freie Demokratie nicht verteidigen wollen. Gerade darum rufe ich hier und jetzt alle verantwortungsbewußten Parlamentarier auf, ihr Gewissen zu prüfen, ob sie diesem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zustimmen können.
Dieser Gesetzentwurf - das ist kein Bangemachen, lieber Herr Biermann - beinhaltet die Aushöhlung der Wehrpflicht, wenn nicht gar faktisch die Abschaffung
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einer Wehrpflicht, die wir uns in einem demokratischen Verfahren als die Organisationsform für die Streitkräfte selber gegeben haben. Wir, meine politischen Freunde und ich, sind bereit, mit uns reden zu lassen und von Ihnen vorgebrachte Bedenken zu einzelnen Punkten unseres Gesetzentwurfs zu prüfen, es sei denn, Sie machen es wie in der letzten Legislaturperiode, daß Sie unseren Gesetzentwurf gar nicht in die Beratung einbeziehen.
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Ich möchte Ihnen aber in aller Deutlichkeit sagen, daß wir unter gar keinen Umständen bereit sind, die Grenze dadurch zu überschreiten, daß man auf der einen Seite die Verfahren abschafft und auf der anderen Seite bestehen läßt und damit eine ungleiche Behandlung der Kriegsdienstverweigerer herbeiführt.
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Darüber hinaus haben wir auch erhebliche politische Bedenken, die ich nur mit Stichworten ten will: 1. die Polarisierung der jungen Generation, 2: der Abbau des Verteidigungswillens, 3. die Möglichkeit des Mißbrauchs des Art. 4 Abs. 3 GG und vor allem 4. die Ungleichheit der Dienste im Vergleich miteinander.
Meine Damen und Herren, nach unserem Entwurf ist dem Anerkennungsantrag stattzugeben, wenn nach dem Gesamtverhalten des Antragstellers die Ernsthaftigkeit und Unausweichlichkeit der Gewissensentscheidung und damit die Gewissensentscheidung selber entweder nachgewiesen oder glaubhaft ist, d. h., wenn sein Gesamtverhalten mehr für als gegen die Gewissensentscheidung spricht, gleichgültig, ob mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit oder nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit. Abzulehnen ist der Antrag allerdings, wenn das Gesamtverhalten des Antragstellers ebensosehr gegen wie für die Gewissensentscheidung oder überwiegend gegen die Gewissensentscheidung spricht, sei es auch nur nach dem gerichtlich nicht nachprüfbaren Teil seines Auftretens in der Prüfungsverhandlung.
Das alles - das ist gar nicht neu - entspricht im übrigen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Gesetzentwurf der CDU/ CSU will aber sicherstellen, daß sich die Verwaltungsinstanzen nach dieser Rechtsprechung richten, soweit sie es nicht ohnehin schon tut.
Nach dem Entwurf der Koalitionsfraktionen dagegen hat es jeder Wehrpflichtige in der Hand, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden. Denn es kommt auf das Gesamtverhalten des Antragstellers zunächst überhaupt nicht an. Vielmehr ist ein Antragsteller bereits anzuerkennen, wenn er sich ernsthaft auf das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes beruft und seine Gewissensentscheidung nach seinem persönlichen Ausdrucksvermögen einleuchtend begründet. Mehr brauchen die Ausschüsse für Kriegsdienstverweigerer nicht zu prüfen. Sich ernsthaft auf das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes berufen und seine Gewissensentscheidung nach seinem persönlichen Ausdrucksvermögen einleuchtend begründen kann aber stets derjenige, der die dazu erforderlichen Begründungen deshalb angelernt hat, weil er aus anderen als Gewissensgründen entschlossen ist, keinen Wehrdienst zu leisten. Das heißt also: Nur wer zu bequem oder zu dumm ist, die üblichen Argumente zu pauken, ist nach dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ohne weitere Prüfung abzulehnen, weil er sich zweifelsfrei nicht ernsthaft auf das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes beruft oder weil er zweifelsfrei seine Gewissensentscheidung nicht nach seinem persönlichen Ausdrucksvermögen einleuchtend begründet. Oder er ist zunächst auf sein Gesamtverhalten hin zu prüfen, weil Zweifel bleiben, ob er sich ernsthaft auf das Grundrecht des Grundgesetzes beruft oder ob er seine Gewissensentscheidung nach seinem persönlichen Ausdrucksvermögen einleuchtend begründet.
Dies bedeutet, daß nach dem Entwurf der SPD/ FDP-Koalition so gut wie keine Möglichkeit gegeben ist, überhaupt einen Antragsteller abzulehnen.
Ich möchte nun noch einige wenige ganz entscheidende Fragen ansprechen. Gehen wir einmal davon aus, daß Sie mit Ihrer Mehrheit dieses Gesetz beklagenswerterweise verabschieden, was nach den Ausführungen meines Vorredners beinahe zu vermuten ist. Was machen Sie dann eigentlich, wenn es erforderlich ist, mehr als 30 000 Zivildienstleistende einzuberufen? Zur Zeit - und das sind ja wohl Zahlen, Herr Biermann, die uns allen zugänglich gemacht sind - sind rund 18 000 Zivildienstplätze besetzt. Setzt man voraus, die Verwaltung würde das schaffen, könnte man im Jahre 1977 die Zahl der Zivildienstleistenden theoretisch auf 30 000 im Jahresdurchschnitt erhöhen. Da man hierzu jedoch frühestens in der zweiten Jahreshälfte in der Lage wäre, das Gesetz aber auf eine Dienstzeit von 18 Monaten angelegt ist, würden sich diese mehr als 30 000 Dienstleistenden zum größten Teil noch im Jahre 1978 im Dienst befinden, so daß dann nur eine geringe Zahl von Kriegsdienstverweigerern einberufen werden könnte. Dies hätte eine verhängnisvolle Kettenreaktion zur Folge.
Es ist einfach unwahr, meine Damen und Herren, wenn Vertreter der Koalition in der Öffentlichkeit behaupten - Sie, Herr Biermann, haben das vorhin auch wieder getan -, durch die Schuld der Opposition könnten alte Menschen nicht versorgt werden, da Zivildienstplätze wegen der Nichtverabschiedung des Gesetzes nicht besetzt würden.
Frau Kollegin, der Abgeordnete Biermann möchte eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?
Das kann er machen. Bitte.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß das Bundesamt in Köln und die Regionalbetreuer, seitdem der andere Entwurf gescheitert ist, praktisch keine neuen Einsatzplätze für Zivildienstleistende mehr beschaffen durften und konnten, weil sowieso schon viele Plätze nicht besetzt werden können, und meinen Sie nicht, daß wir in diesem Bereich sehr schnell mehr Plätze zur Verfügung haben könnten, so daß Ihr Argument wieder einmal nicht zieht?
({0})
Lieber Herr Biermann, Ihre Frage ist mir völlig unverständlich. Vom Bundesbeauftragten für Zivildienstleistende wird ständig argumentiert, daß 30 000 Plätze zur Verfügung stehen.
({0})
- 33 000, also sogar noch 3 000 mehr. Auf der anderen Seite sagen Sie jetzt eben, man habe diese Plätze nicht beschaffen können. Das ist doch ein Widerspruch in sich selbst.
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Aber lassen Sie mich noch etwas deutlicher werden.
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- Lieber Herr Biermann, das hat wohl andere Gründe. Für den, der sich mit dieser Materie befaßt hat - das haben Sie getan und ich auch, aber vielleicht mit unterschiedlichen Wissensquellen -, dürfte bekannt sein, daß die sogenannten Prüfungsausschüsse, seitdem die Gesetzentwürfe in der Beratung waren, nur ganz gedämpft gearbeitet haben, so daß gar nicht viele Anerkennungsverfahren abgeschlossen werden konnten.
Ich will Ihnen noch einen zweiten Grund nennen. Es ist doch offenkundig - so dumm sind wir und sind die Bürger auch nicht, um das nicht zu sehen -, daß hier bewußt keine anerkannten Kriegsdienstverweigerer mehr einberufen wurden, um nämlich dann, wenn Ihr Gesetz verabschiedet ist, mit einem Mal die große Zahl unterbringen zu können.
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Es kommt noch besser: Bei der Durchforstung des Einzelplans 11 - Kap. 11 08 - stellt sich für uns die Frage: Wie will das Bundesamt für den Zivildienst die verwaltungsmäßige Mehrarbeit schaffen? Wir wissen, daß das Amt schon voll ausgelastet ist, und der Haushalt beinhaltet für das Jahr 1977 in diesem Bereich weniger Planstellen als für das Jahr 1976.
Hier soll aber nun anscheinend etwas am Plenum vorbeifabriziert werden. Ich habe mit Interesse im „Zivildienst" Nr. 1/77 gelesen, daß das Bundesamt versucht, Aufgaben auf die freien Träger zu übertragen.
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- Moment! Ich darf Ihnen diese Aufgaben, die übertragen werden sollen, nennen, und ich wage zu bezweifeln, daß das im Sinne unserer parlamentarischen Demokratie ist. Ich möchte Ihnen nur einiges nennen. Z. B. die Genehmigung von Nebentätigkeiten. Da hat es der Träger in der Hand, ob der Zivildienstleistende unter Umständen Nachtdienst macht und tagsüber seinem Studium oder einer Nebentätigkeit nachgeht. Versendung von Anträgen; deren Vorprüfung bei Anerkennung der Beschäftigungsstellen; Prüfung, gegebenenfalls Abhilfe bei Beschwerden von Zivildienstleistenden oder umgekehrt Ermittlungen bei Beschwerden gegen Zivildienstleistende oder Dienststellen durch Dritte.
({5})
Das sind hoheitliche Aufgaben, die Sie nichthoheitlichen Institutionen übertragen wollen.
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Die Frage ist wohl noch offen, ob den Trägern in Zukunft auch noch die Einberufung der Zivildienstleistenden übertragen wird.
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Nun muß ich Ihr Augenmerk noch ganz kurz auf einen weiteren Punkt lenken.
Frau Kollegin, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich werde es ganz kurz machen.
Ich gebe Ihnen noch eine Minute.
Es besteht doch auch die Möglichkeit, daß ein weiterer Mißbrauch betrieben wird, wenn Ihr Gesetzentwurf verabschiedet wird; denn viele Verbände werden die Zivildienstleistenden als billige Arbeitskräfte ansehen. Ich möchte hier auf die Sozialbehörde Hamburg verweisen, wo eine Planstelle bereits durch zwei Zivildienstleistende besetzt wird. Ich frage mich allerdings, was die Gewerkschaft hierzu sagt.
Meine Damen und Herren, eine Wehrpflichtarmee besteht in einer Demokratie immer aus dem Bündnis von Regierung, Parlament und Volk. Durch Ihren Gesetzentwurf wird dieses Bündnis allerdings gefährdet und werden bei der jungen Generation Zweifel entstehen, ob bei den Parteien der Koalition überhaupt noch der Verteidigungswille angesichts der faktischen Abschaffung der Wehrpflicht vorhanden ist.
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Aus diesem Grunde bedaure ich auch außerordentlich, daß - obwohl die Prüfungsausschüsse im Bereich des Verteidigungsministers bleiben - beschlossen wurde, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführenden Ausschuß zu überweisen. Das ist meiner Meinung nach nicht der richtige Ort für die Beratung dieses Gesetzentwurfs.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem die Opposition die Wahrnehmung des Grundrechts zum drittenmal und wie gewohnt so unmittelbar und nahtlos vom Bedarf der Streitkräfte abhängig macht, möchte ich meine Ausführungen doch einmal mit einer grundsätzlichen Vorbemerkung beginnen:
Art. 4 Abs. 3 hat den verfassungsrechtlichen Primat über die allgemeine Wehrpflicht. Art. 4 Abs. 3 ist daher als Verfassungsnorm der allgemeinen Wehrpflicht vorgegeben und kann
infolgedessen als Grundrecht einem einfachen Gesetz gegenüber kein Ausnahmerecht sein. Die verfassungsrechtliche Frage muß daher immer lauten: Verstößt das Wehrpflichtgesetz gegen Art. 4 Abs. 3?, nicht dagegen umgekehrt: Ist Art. 4 Abs. 3 mit der allgemeinen Wehrpflicht vereinbar? Die Entscheidung muß zugunsten der Gewissensfreiheit fallen, weil der Zwang zum Kriegsdienst gegen das Gewissen mit Sicherheit die Menschenwürde verletzt, während mit dem Verzicht auf Verteidigung anderer Güter ein entsprechender Verletzungsvorgang zunächst einmal nicht notwendig verbunden ist.
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- Ich danke Ihnen für den Zwischenruf, Herr Kollege Dr. Wörner. Das sind nämlich nicht meine eigenen Gedankengänge, sondern das waren die Gedankengänge Ihres Generalsekretärs Heinrich Geißler, niedergelegt in seiner Dissertation. Herr Kollege Biermann hat das bereits angesprochen; ich habe mir das Vergnügen erlaubt, einmal wörtlich zu zitieren, was Herr Geißler gesagt hat.
Herr Kollege Dr. Wörner, für meine Begriffe geht Herr Geißler hier sehr weit. Aber ich stelle fest, daß es jedenfalls heute namhafte Exponenten der CDU sind, die - und zwar nicht in irgendeinem Beitrag, in einer Wald- und Wiesenzeitung, sondern in der Dissertation - das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung zweifellos vor die verteidigungspolitischen Notwendigkeiten stellen. Bitte, Sie sollten sich vielleicht mit Herrn Geißler darüber auseinandersetzen. Ich habe nur wiedergegeben, was er für richtig hält.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Bitte schön.
Da ich mich im Augenblick nicht mit Herrn Geißler auseinandersetzen kann
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und es sicher nicht auf Ihre Aufforderung hin tun werde, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich mit dem Zitat identifizieren, das Sie eben gebracht haben, denn nur dann macht es ja einen Sinn.
Jetzt wollen Sie mit mir hier ein Prüfungsverfahren durchführen. Wir wollen aber die Prüfungsverfahren abschaffen, Herr Dr. Wörner.
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Ich würde sehr gern einmal meine persönlichen Motive, was die Abwägung von Individualrechten und kollektiven Interessen einer Gesellschaft angeht, mit Ihnen ausführlich erörtern. Aber ich lasse mich nicht in eine inquisitorische Gewissensfalle hineinlocken und verzichte deswegen auf eine konkrete Antwort. Vielleicht können wir im Dreierkreis mit Herrn Geißler einmal den Werdegang christlich-demokra1104
tischer Grundsatzüberzeugungen erörtern. Ich glaube, das ist sehr interessant.
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Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte schön.
So ehrenvoll es ist, daß Sie einer konkreten Frage keine konkrete Antwort entgegensetzen: Mich interessiert Ihr Verfassungsverständnis, nachdem Sie es angeschnitten haben. Wie darf ich es verstehen, daß Sie dieser Frage ausweichen? Haben Sie kein konkretes Verfassungsverständnis?
Nein, ich will dieser Frage nicht ausweichen. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß offensichtlich ein diametraler Gegensatz zwischen den Prinzipienüberzeugungen des Herrn Geißler, die mir vom Grundansatz her sympathisch sind, und Ihrem praktischen Handeln in der Politik besteht. Wenn Sie mich an Ihren Slogan „Freiheit statt Sozialismus" erinnern: Herr Geißler hat hier auf Freiheit gesetzt und nicht auf Sicherheit, wie Sie es jedenfalls in diesem Bereich tun.
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Herr Kollege Wörner, Sie gestatten, daß ich zum Thema komme. Es ist sehr spät; ich habe, soviel ich weiß, nur 15 Minuten. Aber ich will mich nicht drücken. Im Grundsatz bin ich der Meinung von Herrn Geißler - wenn Ihnen diese Antwort genügt -, daß im Interessenkonflikt zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlichem Sicherheitsbedürfnis im Zweifel eben die individuelle Freiheit Vorrang haben muß; denn ich glaube, eine Gesellschaft kann es verkraften, vielleicht auf den einen oder anderen nicht echten Kriegsdienstverweigerer für die Bundeswehr zu verzichten, während es diese Gesellschaft wohl kaum verkraften kann, daß sich ein Kriegsdienstverweigerer, der abgelehnt wurde, deshalb das Leben nimmt.
Meine Damen und Herren, heute beschäftigt sich also der Bundestag das dritte Mal mit Gesetzentwürfen, die nach dem Willen der Mehrheit der letzten Legislaturperiode schon längst in Kraft getreten sein müßten. Der ständige Hinweis, die Ursache hierfür liege in der fehlenden Unterschrift des Bundespräsidenten, ist allzu vordergründig; denn hätte die CDU/CSU - ich muß es auch noch einmal wiederholen - im Bundesrat zugestimmt, wären die Gesetze zweifellos vom Bundespräsidenten auch ausgefertigt worden.
({1})
Somit hat es die CDU/CSU nicht nur zu verantworten, daß die alten und oft inquisitorischen und unwürdigen Gewissensüberprüfungen der Kriegsdienstverweigerung noch bestehen; sie hat es auch zu verantworten, daß inzwischen überall Zivildienstleistende in sozialen Einrichtungen fehlen. Bis zur Stunde warten eben kranke, behinderte und alte Menschen auf insgesamt 15 000 Kriegsdienstverweigerer, die als Zivildienstleistende nicht eingesetzt werden können, weil es noch die alten Prüfungsverfahren gibt.
({2})
Ich darf in diesem Zusammenhang den Kollegen Biermann ergänzen. Das Problem liegt eben nicht allein darin, daß das Bundesamt in Köln möglicherweise nicht mehr zuweisen konnte, sondern das Problem liegt darin, daß unsere Prüfungsinstanzen völlig überlastet sind mit Antragstellern. Die schleppenden Verfahren haben selbst dafür gesorgt, daß die entsprechende Zahl der Kriegsdienstverweigerer für den Einsatz in den sozialen Einrichtungen nicht zur Verfügung steht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kraske?
Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß es Ihnen erstens seit drei Jahren unbenommen geblieben ist, unseren Vorschlägen zu einer schnellen Reform des Verfahrens zuzustimmen,
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daß zweitens bis zum heutigen Tage bei einem Stand von 40 000 Antragstellern allein im Vorjahr die Verfahren hätten laufen können, die Antragsteller hätten anerkannt werden können und die finanzierbaren Plätze hätten besetzt werden können?
Herr Dr. Kraske, ich komme gerne noch auf Ihren Gesetzentwurf zu sprechen.
({0})
Jedenfalls sehe ich in Ihrem Gesetzentwurf keine praktizierbare Möglichkeit, die Verfahren zu beschleunigen.
({1})
Ihr Gesetzentwurf hat außerdem Mängel, die neue rechtsstaatliche Probleme aufwerfen. Dazu komme ich noch; ich möchte jetzt im Zusammenhang bleiben.
Im übrigen ist in diesem Hause schon so viel über die Situation der Kriegsdienstverweigerer und die Problematik der Prüfungsverfahren gesprochen worden, daß ich hier nichts wiederholen, sondern mich auf einige Kernpunkte beschränken will.
Ich möchte noch einmal feststellen: bei Gewissensentscheidungen handelt es sich um einen von
Natur aus sehr persönlichen, internen Vorgang, der sich jeder objektiven Nachprüfbarkeit entzieht. Gewissen ist eben nicht justitiabel. Alle Versuche, auch Versuche höchstrichterlicher Rechtsprechung haben keine praktikable Lösung gefunden.
Die Antragsteller müssen bis zur Stunde die volle Last der Beweisführung tragen und haben selten eine Chance, anerkannt zu werden, wenn sie nicht recht auftreten können, wenn sie sich nicht auszudrücken vermögen, wenn sie sich einfach linkisch bewegen. Es kann deshalb auch nicht überraschen, daß die Prüfungsverfahren nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch in weiten Bevölkerungskreisen, bei der Evangelischen Kirche und bei vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen als Instrument angesehen werden, von der Kriegsdienstverweigerung abzuschrecken und die Wahrnehmung eines Grundrechts zu behindern.
Vergessen wir nicht die vielen Bestrafungen von nicht anerkannten Kriegsdienstverweigerern, die wegen Befehlsverweigerung bei der Truppe mit dem Gesetz in Konflikt gerieten und dennoch alle Belastungen und Demütigungen konsequent auf sich nahmen. Vergessen wir nicht, daß diese jungen Menschen wohl nicht viel von unserem Rechtsstaat halten, der ihnen einerseits das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gegeben hat und sie andererseits dann für die konsequente Wahrnehmung dieses Grundrechts ins Gefängnis schickt. Vergessen wir auch nicht, daß diese Vorgänge letzten Endes auch eine starke Belastung für die Bundeswehr selbst darstellen - um das dem verteidigungspolitischen Sprecher der Opposition zu vergegenwärtigen. Herr Kollege Wörner, Sie wissen selbst, daß viele Truppenkommandeure von uns lieber die Abschaffung der Prüfungsverfahren sehen, damit sie sich nicht mehr selber mit diesem Problem in der Truppe herumschlagen müssen.
({2})
Wir wollen hiermit Schluß machen im Interesse des Schutzes der Gewissensentscheidung des einzelnen und auch im Interesse der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr. Der Kollege Biermann hat im einzelnen auf die Neuregelungen hingewiesen; ich will hierauf nicht noch einmal eingehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Frau Präsidentin, ich weiß nicht, ob Sie mir das auf die Zeit anrechnen.
Das liegt ganz an Ihnen. Wenn Sie fortfahren wollen?
Herr Kollege Wörner, dann bitte ich um Verständnis: nicht, weil ich mich drücken will, aber ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang zu Ende bringen.
({0})
Jedenfalls werden wir nach dem hoffentlich baldigen Inkrafttreten des Gesetzes alle Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, die noch nicht zur Bundeswehr einberufen sind, ohne Prüfung ihres Seelenzustandes auf die vielen Tausende offener Plätze in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen bringen können.
({1})
Diese Kriegsdienstverweigerer leisten Zivildienst an Stelle des Wehrdienstes. Von einer Aufhebung der Wehrpflicht kann deshalb auch formalrechtlich gesehen überhaupt keine Rede sein. Denn auch Zivildienstleisten heißt, seiner Wehrpflicht Genüge tun. Es ist auch nicht richtig, von einer freien Wahl zu sprechen. Denn solange kein Zivildienstverhältnis besteht oder solange eine Frist von zwei Jahren für die Annahme zum Zivildienst nicht abgelaufen ist, ist ein Kriegsdienstverweigerer kein anerkannter Verweigerer und steht als Wehrpflichtiger im Zugriff der Bundeswehr.
Für Kriegsdienstverweigerer, die erst bei der Bundeswehr den Kriegsdienst verweigern, bleiben Prüfungsverfahren zwar bestehen, allerdings bei erheblicher verbesserter Rechtsstellung der Antragsteller. Diese Prüfungsverfahren für einen verschwindend kleinen Rest von Kriegsdienstverweigerern sind mit den alten nicht mehr zu vergleichen. Dies wurde in der öffentlichen Diskussion bei den Kriegsdienstverweigererverbänden z. B. oft übersehen. Bleiben etwa Zweifel bestehen, ob die Berufung auf Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes Rechtens ist, müssen die Prüfungsgremien an Hand von Tatsachen prüfen, ob der Kriegsdienstverweigerer nach seinem Gesamtverhalten glaubwürdig ist. Eine etwaige Ablehnung darf dann nur auf gerichtlich nachprüfbare Tatsachen gestützt werden.
Ich komme jetzt zu Ihrem Gesetzentwurf. Denn selbstverständlich sind wir Ihnen eine Antwort schuldig. Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der Opposition, geht von einer grundsätzlichen Beibehaltung der Prüfungsverfahren aus. Er ändert daher praktisch nichts an der rechtsstaatlichen Problematik von Sonderregelungen bei der Wahrnehmung von Grundrechten. Für besonders bedenklich halte ich persönlich - und ich habe das in den letzten Debatten schon einmal gesagt -,
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für besonders bedenklich halte ich den Vorschlag, daß ein zum Richteramt befähigter Beamter des Kreiswehrersatzamtes je nach Aktenlage und Bedarfslage der Bundeswehr selber entscheiden kann, ob geprüft wird oder nicht. Damit könnte die freie Wahrnehmung eines Grundrechts unmittelbar von der berufsspezifischen Bedarfslage der Bundeswehr abhängig gemacht werden. Ich finde, das ist eine abenteuerliche Vorstellung.
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Dem von der Bundeswehr nicht benötigten Hilfsarbeiter billigt man dann die Gewissensentscheidung ohne jede weitere Überprüfung zu, während der sehr begehrte Techniker sich einer fragwürdigen Prüfungsprozedur unterziehen muß.
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- Nein, das machen wir nicht, Herr Kollege Wörner. Ich komme noch darauf zu sprechen. Ich sehe darin auch eine Problematik; aber wir sind da als Parlamentarier ganz offen und auch selbstkritisch.
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Weil sich das gespaltene Verhältnis der Opposition
- Sie haben ein gespaltenes Verhältnis dem Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung gegenüber - nicht geändert hat und wohl auch nicht ändern wird, haben wir - ich sage das in aller Offenheit, denn da ist nichts zu verschleiern - in diesem Gesetzentwurf dafür Sorge getragen, daß wir im Interesse von mehr Verfassungswirklichkeit in unserer Gesellschaft die Zustimmung der Opposition im Bundesrat nicht mehr brauchen, auch wenn es schön wäre, wenn die Gesetzentwürfe auf breiter Basis im Bundestag und im Bundesrat verabschiedet würden.
Wir haben es also in den Teilen des Gesetzentwurfes beim geltenden Recht belassen, deren Änderung der Zustimmung des Bundesrates bedürfte, und so bleibt es z. B. bei der Zuordnung der Prüfungsausschüsse bei den Kreiswehrersatzämtern. Auch haben wir auf die Zuordnung zum Arbeits- und Sozialministerium verzichtet. Auch die Prüfungskammern bleiben erhalten. Wir sehen hierin allerdings keine substantielle Veränderung; denn der Kern der Gesetze bleibt unberührt. Es bleibt also bei der Aussetzung der Prüfungsverfahren für ungediente Wehrpflichtige, die Rechtstellung kriegsdienstverweigernder Soldaten wird verbessert und der Einsatz von Zivildienstpflichtigen in adäquaten Diensten wird ausgeweitet. Ich persönlich hoffe, daß gerade die letztgenannte Regelung mithilft, dazu beizutragen, das Problem der Zivildienstverweigerung
- wir werden in verstärktem Maße hiermit konfrontiert - zu lösen. Ich könnte mir vorstellen, daß Zivildienstverweigerer keine Gewissensbelastung darin sehen, sich z. B. für ein freies Beschäftigungsverhältnis in einem Krankenhaus oder in einem Dienst, wie der Aktion Sühnezeichen, zu verpflichten. Darüber hinaus halte ich persönlich es wegen der zu unterstützenden Motivation von überzeugten Kriegsdienstverweigerern für erforderlich, weitmöglichst eine Ausweitung des Zivildienstes in den sozialpädagogischen Bereich vorzunehmen.
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Zweifellos stellen die Gesetzentwürfe einen Kompromiß zwischen dem Schutz der Gewissensentscheidung und der Funktionsfähigkeit der Verteidigung dar, auch wenn die Opposition dies leugnet, auch wenn der Kollege Kraske in seiner Pressemitteilung meint, wegen der internationalen Sicherheitslage
dürften wir das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht liberalisieren. Die Opposition macht es sich hier bei der Güterabwägung zwischen individualem Grundrecht und der Notwendigkeit der Verteidigung sehr leicht. Wir, die Koalitionsfraktionen, haben uns da sehr viel schwerer getan, haben aber dennoch einige Sicherungen eingebaut, die nicht unumstritten sein können. Ihnen gehen sie nicht weit genug, meine Damen und Herren von der Opposition, für uns war es nicht leicht, dies zu legitimieren, daß z. B. erstens Prüfungsverfahren durch Rechtsverordnung mit Beteiligung des Bundestages wieder eingeführt werden, wenn es die Erfüllung des Verteidigungsauftrags verlangt, und zweitens der Zivildienst von 15 auf 18 Monate verlängert wird. Dieser Gesetzentwurf kann für die Verteidigung gar keine Gefahr sein; denn wir haben die Notbremse der Wiedereinführung der Verfahren, und der Zivildienst dauert drei Monate länger als der Wehrdienst.
Der von der Opposition so oft genannte Drückeberger - im Referat von Frau Tübler tauchte er indirekt wieder auf; ich weiß nicht, wo er steckt - wird sich, wenn er vorhanden ist, wohl überlegen, ob er den Kriegsdienst verweigern soll, wenn er mit großer Wahrscheinlichkeit 18 Monate Zivildienst tun muß, während er wegen der geringeren Einberufungsquote bei der Bundeswehr möglicherweise zu Hause bleiben kann. Dennoch sind wir hier nach meiner Meinung bereits an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen gelangt.
Ich darf zum Schluß einige Bemerkungen zu dem Zahlenkaleidoskop machen, dem wir in dieser Frage nach wie vor ausgesetzt sind. Auch Herr Kollege Kraske hat in seiner Pressekonferenz hierauf Bezug genommen. Es trifft zwar zu, daß es 1976 40 000 Antragsteller auf Kriegsdienstverweigerung gab. Diese Zahl - das wird oft vergessen - muß allerdings wegen Nichttauglichkeit und anderer Ausnahmeregelungen, die es ebenso wie im Wehrdienst auch im Bereich der Kriegsdienstverweigerer gibt, um 25 % reduziert werden. Netto kann man also nur von 32 000 Kriegsdienstverweigerern ausgehen.
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Wie Sie wissen, gibt es zur Zeit insgesamt 33 000 Zivildienstplätze - ich darf das noch einmal wiederholen -, von denen nur knapp 18 000 besetzt sind.
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- Ich komme auf den Haushalt gern zurück, Herr Dr. Kraske. - Wenn man nun noch die Zahl der 10 000 zivildienstadäquaten Plätze in Krankenhäusern und freien Diensten hinzurechnet, besteht wirklich kein Überangebot an Kriegsdienstverweigerern, sondern eher ein Mangel.
Ich gehe auf Ihren Zwischenruf gern ein: Im Haushalt haben wir Mittel für 30 000 Zivildienstleistende.
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- Wo denn, fragen Sie. Herr Dr. George, Sie waren doch gestern im Ausschuß. Wir haben doch den
Einzelplan 11 Kap. 08 behandelt. Vielleicht mußten Sie gerade dann den Saal verlassen. Im Haushalt sind jedenfalls - lesen Sie es nach - Mittel für 30 000 Zivildienstleistende ausgewiesen. Dieses Gesetz tritt am 1. Juli in Kraft. Das heißt also, vom Haushaltsansatz steht noch ein halbes Jahr zur Verfügung. Wir werden, wenn wir es fiskalisch nehmen, also im Bereich dieses halben Jahres theoretisch weitaus mehr an Zivildienstplätzen einräumen können, als notwendig sind.
({10})
- Gut, wir sind keine Propheten; Sie sicher auch nicht, Herr Dr. Wörner.
Dennoch muß ich Ihnen, Herr Dr. Wörner, und allen, die mit dem Aspekt der Wehrgerechtigkeit kommen, hier einmal folgende Frage stellen: Warum ist es eigentlich so selbstverständlich, daß im Bereich des Zivildienstes eine Einberufungsquote von 100 °/o das Ziel zu sein hat, während man es als selbstverständlich hinnimmt, daß man im Bereich der Bundeswehr - je nach Verteidigungslage - auch mit geringeren Einberufungsquoten rechnen kann?
({11})
Ich kann nur noch einmal feststellen: Einem jungen Wehrpflichtigen, der sich vor jedem Dienst drücken will, sollte man empfehlen, sich eher zur Bundeswehr als zum Zivildienst zu melden, denn den Zivildienst muß er mit Sicherheit antreten.
({12})
- Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich stehe zu privaten Gesprächen sehr gern zur Verfügung, Herr Dr. Wörner.
({13})
Lassen Sie mich abschließend nur noch dies sagen. Ich hoffe, die CDU/CSU kommt noch zur Einsicht, damit sie wenigstens bei diesem kleinen Gesetz ihren Wahlslogan von der Freiheit wahrmachen kann und ein klein wenig Liberalität an ihre schwarzen Fahnen heften kann. Wir alle aber sollten uns um eine zügige Beratung in den Ausschüssen bemühen, damit durch das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Juli 1977 dieses leidige Kapitel endlich zu den Akten gelegt werden kann.
({14})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Die unter Punkt 10 a) und b) der Tagesordnung aufgeführten Gesetzentwürfe sollen - so wurde interfraktionell vereinbart - dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend -, dem Verteidigungsausschuß und dem Innenausschuß zur Mitberatung sowie dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. - Ich höre keinen Widerspruch.
({0})
- Dann stelle ich den Überweisungsvorschlag zur Abstimmung. Wer dem Überweisungsvorschlag zu' zustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die Überweisung ist mit Mehrheit so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften
- Drucksache 8/130 Das Wort wird offensichtlich nicht gewünscht.
Der Gesetzentwurf soll auf Vorschlag des Altestenrates dem Rechtsausschuß - federführend - und dem Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend - überwiesen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({1})
- Drucksachen 8/134, 8/169 - Das Wort wird nicht begehrt.
Der Gesetzentwurf soll auf Vorschlag des Altestenrates dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - federführend -, dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. - Diesem Vorschlag wird nicht widersprochen. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts
- Drucksache 8/141 -
Das Wort wird auch hierzu nicht begehrt.
Der Gesetzentwurf soll auf Vorschlag des Altestenrates dem Rechtsausschuß - federführend - und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - überwiesen werden.
- Diesem Vorschlag wird nicht widersprochen. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Investitionszuschüsse für Mietwohnungen, Genossenschaftswohnungen und Wohnheime im sozialen Wohnungsbau
- Drucksache 8/79 -
Vizepräsident Frau Renger
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 8/187 - Berichterstatter: Abgeordneter Stöckl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3})
- Drucksache 8/125 Berichterstatter: Abgeordneter Krockert ({4})
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. Das Wort wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Punkte 15 bis 17 der Tagesordnung auf:
15. Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs ({5})
- Drucksache 8/148 16. Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({6})
- Drucksache 8/149 17. Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({7})
- Drucksache 8/150 Der Ältestenrat schlägt in allen drei Fällen die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft vor. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 18 bis 21 der Tagesordnung auf:
18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({8}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur sechsten Änderung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe
- Drucksachen 7/5810, 8/113 - Berichterstatter: Abgeordneter Sieler
19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({9}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung der Verordnungen ({11}) Nr. 787/69, ({12}) Nr. 2305/70 und ({13}) Nr. 2306/70 über die Finanzierung von Interventionsausgaben auf dem Binnenmarkt für Getreide und Reis, für Rindfleisch sowie für Milch und Milcherzeugnisse
- Drucksachen 7/5915, 8/123 - Berichterstatter: Abgeordneter Oostergetelo
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({14}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie vom 20. Juli 1976 über die von den Mitgliedstaaten durchzuführenden statistischen Erhebungen zur Ermittlung des Produktionspotentials bestimmter Baumobstanlagen ({15})
- Drucksachen 8/8, 8/124
Berichterstatter:
Abgeordneter Wimmer ({16})
21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({17})
zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung ({18}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({19}) Nr. 907/73 des Rates vom 3. April 1973 zur Errichtung eines Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit
zu der vom Europäischen Parlament zur Unterrichtung vorgelegten Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung ({20}) Nr. 907/73 des Rates vom 3. April 1973 zur Errichtung eines Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit
- Drucksachen 7/3025, 7/3349, 8/128 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber darüber gemeinsam abstimmen? - Ich höre keinen Widerspruch. Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 8/113, 8/123, 8/124 und 8/128. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.
Vizepräsident Frau Renger
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
({21})
- Ich korrigiere: Gegen eine Stimme so beschlossen.
Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Schmidhuber, Dr. Wittmann ({22}), Klein ({23}), Kraus, Dr. Riedl ({24}), Geisenhofer und Genossen
Rangierbahnhof München-Nord - Drucksache 8/146
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr und für Post- und Fernmeldewesen
Das Wort wird nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen vor. - Das Haus widerspricht dem nicht. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat Herr Dr. Günther Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der 14. Sitzung des 8. Bundestages erklärte der SPD-Abgeordnete Sieglerschmidt, daß ich im „Bayernkurier" die Europakonvention zur Bekämpfung des Terrorismus als Schaumschlägerei bezeichnet habe, während ich mich gleichzeitig in der Sitzung der Beratenden Versammlung des Europarates Ende Januar dieses Jahres zustimmend geäußert hätte. Wörtlich erklärte Abgeordneter Sieglerschmidt:
So geht es also extra muros und intra muros. Ich glaube, dieses demagogische Spiel kann man nur verurteilen, wenn es um eine so ernste Sache wie die innere Sicherheit und die Bekämpfung des Terrorismus geht.
Diese Darstellung des Abgeordneten Sieglerschmidt entspricht nicht den Tatsachen. Um Klarheit zu schaffen, darf ich den folgenden Teil meiner Rede in Straßburg zu Protokoll geben:
Ich befürchte, daß auch diese Konvention, die morgen zur Unterschrift hier aufgelegt wird, im wesentlichen ein Papiertiger bleiben wird, ein Papiertiger, der auf Grund der vorliegenden Fassung angewendet werden kann, aber auch nicht angewendet zu werden braucht. Ich möchte hier gar nicht auf die einzelnen Artikel eingehen. Ich möchte nur darauf verweisen, daß z. B. im Art. 5 der Konvention festgelegt ist, keine Bestimmung dieses Übereinkommens sei so auszulegen, daß sie eine Verpflichtung zur Auslieferung auferlege. In Art. 14 heißt es, daß ein Vertragsstaat dieses Übereinkommen durch eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete Notifikation kündigen kann und daß eine solche Kündigung sofort oder zu einem in der Notifikation angegebenen späteren Zeitpunkt wirksam wird. Das zeigt, daß es hier immer Auswege gibt, ,die die Möglichkeit eröffnen, sich nicht an die Konvention zu halten, selbst wenn man sie ratifiziert hat und selbst wenn sie für das betreffende Land in Kraft getreten ist.
Meine Damen und Herren, ob man es als „Schaumschlägerei" oder als „Papiertiger" bezeichnet, es ist das gleiche. Meine Haltung war extra und intra muros die gleiche. Sie konnten sich selbst überzeugen, wer in der 14. Sitzung des Deutschen Bundestages ein demagogisches Spiel getrieben hat.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich rufe die nächste Sitzung für Freitag, den 18. März, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.