Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/21/1979

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich folgende Mitteilung machen. Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen - Stand: 18. September 1979 - vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen: Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1977" ({0}) zuständig: Innenausschuß ({1}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie Unterrichtung durch die deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments über die Tagung des Europäischen Parlaments vom 17. bis 20. Juni 1979 ({2}) in Straßburg ({3}) zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({4}) Haushaltsausschuß Erhebt sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann wird so verfahren. Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 17. September 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tillmann, Milz, Pfeffermann, Dr. Schulte ({5}), Sick, Straßmeir, Dr. Waffenschmidt, Weber ({6}), Dreyer, Feinendegen, Hanz, Frau Hoffmann ({7}), Dr. Jobst, Lemmrich, Ziegler, Dr. Möller, Dr. Langguth, Stutzer und der Fraktion der CDU/CSU betr. örtliche Luftaufsicht und Flugsicherung auf den Verkehrslandeplätzen - Drucksache 8/3146 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3177 verteilt. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 5. bis 18. September 1979 eingegangene EG-Vorlage an die aus Drucksache 8/3186 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen: Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({8}) ({9}) Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 13. Dezember 1979 vorzulegen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe - Drucksache 8/3068 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({10}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Interfraktionell ist ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Begründung des Entwurfs hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Dr. Hans Jochen Vogel (Minister:in)

Politiker ID: 11002379

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den tragenden Prinzipien unserer verfassungsmäßigen Ordnung gehören das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip. Sie erfordern u. a., daß jedermann - jeder Bürger, jede Bürgerin - die gleiche Chance hat, sein Recht bei den Gerichten zu wahren oder sein Recht bei den Gerichten zu suchen. Eine Barriere bei der Verwirklichung dieser Chancengleichheit - eine unter mehreren - stellen die Kosten dar. Die Kostenbarriere ist mit den Gerichts-, aber auch mit den sonstigen Kosten, die mit einem Prozeß verbunden sind, gegeben. Nach dem geltenden Recht soll das Armenrecht diese Barriere beseitigen oder jedenfalls niedriger machen. Unter gewissen Voraussetzungen kann nach den Bestimmungen des Armenrechts Kostenbefreiung gewährt werden. Für das heutige Verständnis weist dieses Armenrecht, das in seinen Grundzügen aus dem letzten Jahrhundert stammt, allerdings Mängel auf, die die Chancengleichheit beeinträchtigen und dazu führen, daß der Auftrag, der sich aus dem Rechtsstaats- und dein Sozialstaatsprinzip ergibt, für die heutige Zeit nicht mehr optimal erfüllt wird. Dies sind die wichtigsten Mängel: Erstens: Das Armenrecht wird nach dem geltenden Recht nur dann gewährt, wenn der notwendige Lebensunterhalt beeinträchtigt wird. In der Rechtsprechung orientieren sich die Gerichte üblicherweise an der Grenze der Unpfändbarkeit, d. h. für den Alleinstehenden sind monatlich rund 560 DM der Betrag, der hier in Betracht gezogen wird. Das Armenrecht ist auch in den Fällen nicht anwendbar, in denen die Tragung der Kosten zwar eine erhebliche Senkung des Lebensstandards, nicht aber die Beeinträchtigung des notwendigen Lebensunterhalts zur Folge hat. Ein zweiter Mangel ist, daß im Armenrechtsverfahren der armen Partei der Anwalt beigeordnet wird. Ein dritter Mangel ist, daß die Partei, die im Armenrecht ihren Prozeß führt, einen Anwalt zwingend nur erhält, wenn Anwaltszwang besteht, also bei den Amtsgerichten im allgemeinen nicht, auch dann nicht, wenn die andere Partei durch einen Anwalt vertreten ist. ({0}) - Entschuldigung, meine Herren von der Opposition, ich freue mich darüber, daß wir hier schon in die Ausschußberatungen eintreten: Nach dem geltenden Recht besteht kein Zwang, in diesen Fällen beizuordnen. Es kann beigeordnet werden, ({1}) aber es muß nicht beigeordnet werden. ({2}) Dies bezeichne ich als Mangel, weil dadurch die Chancengleichheit beeinträchtigt wird. ({3}) - Ich spreche sehr viel mit den Richtern, und gerade das, was ich Ihnen hier mitteile, verdanke ich nicht zuletzt diesen Unterhaltungen mit den Richtern. Offenbar sprechen wir mit verschiedenen, was aber wegen der landsmannschaftlichen Distanz auch kein Wunder ist. ({4}) - Ja, ich weiß, Herr Jenninger, das Gespräch mit Bayern hat so seine Probleme, nicht nur dann, wenn es um Richter geht; wir verstehen uns. ({5}) Ein vierter Mangel unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit ist die Tatsache, daß der einer armen Partei beigeordnete Anwalt die vollen Gebühren nur bis zu einem Streitwert von 3 200 DM bekommt, darüber hinaus erhält er bis zu 20 000 DM nur verminderte Gebühren, und von einem Streitwert von 20 000 DM an bleiben die Gebühren stehen. Dies ist zumindest für die subjektive Situation der Partei, die ihren Prozeß im Armenrecht führt, eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit, weil die Meinung, daß das Maß des Einsatzes auch von der Höhe der Gebühren abhängt, selbstverständlich - und aus Gründen, die man zum Teil verstehen kann -, in der Bevölkerung weit verbreitet ist. Der vorliegende Regierungsentwurf soll diesen Mängeln abhelfen. Zunächst einmal sieht er eine Regelung vor, wonach der Eckwert für die volle Kostenbefreiung bei etwa 850 DM liegen und sich in Zukunft der weiteren Entwicklung der Sozialhilferichtsätze anpassen wird. Zum zweiten sieht der Entwurf eine Regelung vor - ich halte sie für sein Kernstück -, die die Kostenbarriere nicht nur für diejenigen, die unterhalb der von mir genannten Eckwerte liegen, beseitigt, sondern auch für diejenigen, die im unteren und mittleren Bereich der mittleren Einkommen liegen. Für diesen Personenkreis ist der Entschluß, ob man sich auf einen Prozeß einläßt oder einen Prozeß führt, oft dadurch beeinträchtigt, daß sich schon bei Streitwerten von 5 000, 8 000 oder 10 000 DM Kosten ergeben, die für diesen Personenkreis zwar nicht die Unterschreitung der Grenze des notwendigsten Lebensunterhalts, aber eine ganz empfindliche Absenkung ihres Lebensstandards bedeuten. Der Entwurf trägt dieser Situation dadurch Rechnung, daß ein Ratensystem eingeführt wird. In Beziehung zu dem jeweiligen Einkommen werden feste Monatsraten ausgewiesen, die zur Deckung der Prozeßkosten zu leisten sind. Außerdem soll dieses Ratensystem auf höchstens 48 Monatsraten begrenzt werden. Die dritte Verbesserung besteht darin, daß auch der Partei, die ihre Kosten nicht selber oder nicht voll selber bezahlt, die freie Wahl des Anwalts zugestanden wird, also nicht mehr das Beiordnungsverfahren Platz greift. Eine weitere Verbesserung besteht darin, daß immer dann, wenn die Gegenpartei durch einen Anwalt vertreten ist, auch die Partei, die Kostenbefreiung erhält, einen Anwalt bekommen kann, wählen kann. Schließlich soll auch die Disparität auf dem Sektor der Gebühren für die Anwälte in diesen Verfahren zumindest gemildert werden: bis 5 600 DM Streitwert volle Gebühr, bis 50 000 DM ermäßigte Gebühren, und erst ab 50 000 DM soll die Gebühr stehenbleiben. Die Parität wird dadurch ganz wesentlich verbessert. Schließlich tragen wir bei dieser Gelegenheit auch einer Empfehlung des Deutschen Juristentages und übereinstimmenden Empfehlungen aus vielen Bereichen Rechnung und ersetzen den Begriff „Armenrecht" durch den dem heutigen Verständnis viel angemesseneren Begriff der Prozeßkostenhilfe. Es hat zwar lebhaftes Bedauern des bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus in einem ganz lesenswerten Aufsatz gegeben, daß der so farbige und blutvolle Ausdruck „Armenrecht" jetzt aus dem Gesetz verschwindet. Aber ich glaube, dies ist doch eine sehr in die Vergangenheit gewandte Betrachtung; sie läßt außer acht, welche subjektiven Empfindungen bei denen immer mehr Platz greifen, die auf ihren Akten, auf ihren Schriftsätzen den Begriff „Armenrecht" finden. ({6}) Im Rahmen des finanziell Durchsetzbaren wer. den wir im Rechtsausschuß sicher noch über Verbesserungen oder auch über Vereinfachungen zu reden haben. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme geglaubt, daß man bei dem Ratensystem vielleicht noch die eine oder aridere Verbesserung finden kann. Seine Empfehlung ist allerdings insofern etwas widersprüchlich, als er einerseits etwas anderes herauszufinden vorschlägt als das Ratensystem, ohne selber einen Vorschlag zu machen, ar 1 anderer Stelle dann aber die Ausdehnung des Ratensystems auf 72 Monate vorschlägt, was die Verwaltungsarbeit für die mit der Überwachung der Kosten betrauten Stellen der Gerichte eher noch erschweren würde. Aber wir können die Ausschußberatung nicht vorwegnehmen. Die Bundesregierung ist für alles offen, was Verbesserung, Vereinfachung bedeutet. Sie bittet nur darum, daß wir diesen Punkt, der überall als wichtig und regelungsbedürftig angesehen wird, noch in dieser Legislaturperiode zu einem Abschluß bringen und damit auch auf diesem Sektor den Schritt aus dem 19. in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts tun. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Langner.

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe meine Zweifel, ob das ein so gewaltiger Schritt wird, Herr Justizminister, wie das aus Ihren letzten Worten zu hören war. ({0}) Wir werden heute kein hartes Nein sagen; aber wenn wir zum Schluß zu diesem Entwurf ja sagen sollen, muß er noch wesentlich besser werden. Denn es kann wohl nicht richtig sein, daß die Reform jeden Lebensbereichs, hier der Rechtspflege unter dem Gesichtspunkt der Kosten, die von uns angepackt wird, zum Schluß nur zu einer Verbürokratisierung und Verkomplizierung führt. ({1}). - Das ist eine sehr weitgehende Auslegung dessen, was ich hier gesagt habe. Das ist viel zu einfach. Vielleicht hören Sie doch etwas weiter zu; dann kommen wir uns vielleicht näher. Dieser Vorwurf der bürokratischen Kompliziertheit ist nicht etwa oppositionelle Pflichtübung. Wie wäre das in diesem Punkt einmütige Bundesratsvotum ({2}) sonst zu verstehen, daß dieses Gesetz erst in größerem zeitlichen Abstand von der Verkündung in Kraft treten soll. Zur Begründung führt er aus, es komme eine erhebliche Vorbereitungslast im Kosten- und Kassenwesen auf die Gerichte zu und - man höre und staune - die Familiengerichte, die bekanntermaßen am meisten mit Armenrecht zu tun haben, sollten erst in einem größeren zeitlichen Abstand zur Eherechtsreform mit dem neuen Gesetz belastet werden. Nach einmütiger Auffassung des Bundesrats würde das vorliegende Gesetz also zu einer Belastung und erheblicher Umstellungsarbeit führen. ({3}) Von einer solchen Inkrafttretensverschiebung halte ich nicht sehr viel. Überhaupt zeichnet sich die Bundesratsstellungnahme nicht durch großen Einfallsreichtum aus. Ich meine, wir sollten besser die Zeit nutzen, um aus diesem Entwurf, mit den in a, b und c unterteilten Paragraphen noch ein anständiges Gesetz zu machen, ({4}) das einfach und klar verständlich ist, das angewandt werden kann, ohne neue Probleme zu schaffen, und das größere Chancengerechtigkeit nicht mit dem Preis der Vermehrung von Formularen, Verwaltungswegen und am Ende einer noch spitzfindigeren Kommentarliteratur erkauft. Ich habe da schon eine Vorstellung von den Loseblattsammlungen, die etwa zur Einkommensermittlung, Einkommensfindung oder Einkommensherunterspielung herauskommen könnten. Wenn wir hier etwas reformieren, also erneuern und verbessern, wollen, dann müssen wir gerade das, was bisher unbefriedigend war, ins Visier nehmen, und dann müssen unsere Lösungen nachweisbar besser sein. Was war also am geltenden Armenrecht der ZPO unzulänglich? Es besteht Einverständnis darüber, daß die Terminologie unzulänglich ist, Prozeßkosten- oder Verfahrenshilfe ist für die justizförmige Sozialhilfe, die auch das alte Armenrecht darstellt, ein besserer Begriff. Der Begriff der Armut, die Bewilligungsvoraussetzungen, die einerseits recht starre, andererseits aber nirgends verbindlich und allgemein festgelegte Einkommensgrenze, die Bewilligung und Ablehnung scheidet, werden im übrigen nicht erst seit gestern in der Theorie und in der Praxis als Hauptmängel des geltenden Rechts empfungen. Dabei muß man nach meiner Auffassung dem geltenden Recht durchaus zugestehen, daß es eine ganz klare Vorstellung vom Sinn und Zweck der Bewilligung hatte: Prozeßkosten dürfen und sollen nicht den notwendigen Unterhalt einer Partei oder ihrer Familie beeinträchtigen. Vereinfachend kann man sagen: Prozeßführung ist Privatsache und privates Risiko. Durch die Bereitstellung der Gerichte zur Streitentscheidung leistet der Staat ohnehin einen erheblichen Sockelbeitrag zu den Kosten des Prozessierens. Nur dem - und dem allerdings -, dessen Unterhalt durch Prozeßkosten beeinträchtigt würde, soll geholfen werden. Denn er soll seiner Chance, sein Recht zu suchen, natürlich nicht beraubt werden. Es ist ja bekannt: Wer sich zu den Gerichten begibt, begibt sich in Gottes Hand. ({5}) Der richtige und der bleibende Sinn dieser Regelung ist klar. Das Subsidiaritätsprinzip hat bisher klar geschieden, was des Staates und was des Privaten ist. Ich meine, jede neue Lösung muß ebenfalls davon ausgehen, daß es bei Prozeßkosten weder einen Nulltarif noch etwa einen staatlichen Rechtsbeistand, weder Pflichtrechtsschutzversicherung noch generelle Streitwertherabsetzung für ärmere Parteien geben darf. Auch sollte nach unserer Auffassung niemand den Ehrgeiz entwickeln, möglichst viele Menschen dadurch glücklich zu machen, daß er sie durch staatliche Bewilligungsentscheidugen jagt. Nein, die staatliche Prozeßkostenhilfe hat den einzigen Sinn, den Kostenpunkt beim Prozeß nicht zu der Barriere werden zu lassen, an der einzig und allein sich die Frage entscheidet, ob man den Versuch, sein Recht bei Gericht zu suchen, wagen kann. Dabei muß der Kostenpunkt nach seiner Funktion natürlich eine Schranke bleiben, die unsinnige Prozesse verhindert und die Kosten insgesamt in Grenzen hält. Er darf eben nur nicht zu einer unüberwindbaren Barriere werden. Die Entwicklung der Kosten für bestimmte Prozesse macht hier in der Tat das Prozessieren zum Problem. Dabei wird gar nicht verkannt, daß die Anwälte bei den heutigen Bürokosten diese Gebühren brauchen und daß die Gebühren der Gerichte ohnehin nur einen kleinen Teil ihrer tatsächlichen Kosten decken. Wenn man bedenkt, daß bei einem Streitwert von 3 000 DM die Kosten zweier Instanzen beinahe 3 000 DM ausmachen, bei einem Streitwert von 5 000 DM weit über 4 000 DM und bei einem Streitwert von 10 000 DM annähernd 8 000, DM, bekommt man eine Vorstellung, wie teuer das Prozessieren ist und daß sich hier auch für Bezieher mittlerer Einkommen Probleme ergeben. Die entscheidende Frage ist: Wem muß und kann wie geholfen werden? Die Antwort des Regierungsentwurfs lautet: „Einer Partei wird ... entsprechend ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen" - das ist die ganze Legaldefinition! -„ ... Prozeßkostenhilfe bewilligt". Dies soll nach Maßgabe einer Tabelle geschehen. Auf diese Tabelle komme ich gleich. Kann man sich überhaupt eine unpräzisere Umschreibung als „die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einer Partei" in einem Gesetz vorstellen? Wir fragen: Nach welchem Leitbild soll hier denn Prozeßkostenhilfe gewährt werden? Wie muß der Grundgedanke lauten, an dem sich die Einzelregelungen ausrichten? Ich weiß: Nachdem man von dem klaren Kriterium der Unterhaltsbeeinträchtigung abgegangen ist, wird es schwerer, den Gesetzeszweck präzis zu definieren. Aber es darf doch nicht wahr sein, daß hier Schwammiges und eine Tabelle genügen sollen. So können wir keine Gesetze machen. Die Prozeßkostenhilfe als Abwehr einer nicht tragbaren Belastung für das Familieneinkommen muß in ihrer Zielsetzung und ihrem Zweck klar definiert werden. Das ist die Aufgabe der Regierung und ihres Apparats. Der Bundesrat mag dabei helfen. Nun zur Tabelle. Als Orientierungshilfe folgt sie auch nach unserer Aufassung einem richtigen Grundgedanken.. Die Berücksichtigung der Belastung durch Unterhaltspflichten ist richtig, im übrigen auch nichts Neues. Daß eine Partei, der Prozeßkostenhilfe gewährt wird, diese in Monatsraten zurückzuzahlen hat, daß sich die Partei also an den Kosten beteiligt, ist sicher eine sinnvolle Rechtsfortbildung. Auch daß völlig kostenfrei bleibt, wer nur Geringes über dem Existenzminimum zur Verfügung hat, ist richtig und entspricht im übrigen heutigem Recht. Für diesen Personenkreis tritt allerdings eine Begünstigung durch den Wegfall der Nachzahlungspflicht ein. Ein entscheidendes Problem scheint mir in folgendem zu liegen: Denkt man nun die Tabellenlösung wirtschaftlich zu Ende, so ist sie doch eigentlich nichts anderes als eine staatliche zinslose Kreditierung der Gerichtskosten und eine Vorlage der Anwaltskosten für eine Mehrzahl der Fälle. Nach unserer Auffassung darf und soll derjenige nicht berechtigt sein, diesen Weg der Prozeßkosten zu gehen, der selbst Eigenvorsorge treffen kann. Dazu gehört - das versteht sich von selbst, war auch immer so und ist im Entwurf so vorgesehen - derjenige, der zwar geringes Einkommen, aber Vermögen hat. Auch wer eine Rechtsschutzversicherung hat, fällt nicht unter die Prozeßkostenhilfe. Wir meinen, auch wer kreditfähig ist, sollte nicht hierunter fallen. Das größte Problem sehe ich in der nach oben hin offenen Tabelle.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich werde zum Ende kommen, Herr Präsident. Dadurch kommt nämlich eine viel zu große Zahl von Berechtigten in dieses System hinein, auch von Besserverdienenden, die selbst Vorsorge treffen können und die letztlich keinen anderen Vorteil haben als die Zinsersparnis. Ich meine, daß dies nicht der Sinn einer Reform des Armenrechtes, einer Umgestaltung zur Prozeßkostenhilfe sein kann. Ich muß zum Ende kommen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Sie müssen nicht zum Ende kommen, Sie sind zu Ende. Tut mir leid. ({0})

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es wären noch einige wichtige Fragen anzusprechen. Dies werden wir dann im Ausschuß nachzuholen haben. Ich danke, Herr Präsident, für Ihre Nachsicht. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schöfberger.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Langner, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede recht flapsig gesagt, man dürfe nicht jedes Feld regeln wollen. Ich kenne Ihren Erfahrungshintergrund nicht. Aber aus diesen Worten entnehme ich, daß Sie nicht in einer Arbeiterwohnküche groß geworden sind ({0}) und daß Sie es jedenfalls nicht am eigenen Leibe verspürt haben, wies es ist, wenn man GerechtigDr. Schöfberger keit sucht und sich die Suche nach der Gerechtigkeit nicht leisten kann, weil man das Kostenrisiko überhaupt nicht überblickt. ({1}) Der Gesetzentwurf ist in der Regierungserklärung angekündigt. Wie Sozialdemokraten begrüßen seine Einbringung. Für uns ist dies eine der wichtigsten rechtspolitischen Reformen dieser Legislaturperiode. Im sozialen Rechtsstaat ist es unerträglich, wenn Bürger, die nicht zahlen können, aus der Rechtspflege und damit aus der Gerechtigkeit abgedrängt werden oder wenn ihnen auch nur der Zugang zur Rechtspflege so erschwert wird, daß dies in der Praxis einem Ausschluß aus der Gerechtigkeit gleichkommt. Für uns ist es Aufgabe des modernen Sozialstaates, menschliche Grundbedürfnisse in der Form der Teilhabe an Gemeinschaftsgütern und -einrichtungen weitgehend einkommens- und vermögensunabhängig zu machen. Dies gilt für die Gesundheitseinrichtungen, Bildungseinrichtungen, den Naturgenuß, ebenso wie ganz sicher auch für den Bereich der Rechtspflege, für den Zugang zu den Rechtspflegeeinrichtungen. Das bisherige Armenrecht hat nicht nur die Kostenbarriere nicht abgebaut, sondern allein durch den diskriminierenden Ausdruck, durch ein umständliches Prüfverfahren, durch Beiordnung von Rechtsreferendaren, die man dann als „Lehrbuben" bezeichnet hat, oftmals eine weitere sozialpsychologische Schwelle aufgebaut. Wir alle wissen, daß recht haben und recht bekommen zweierlei ist. Die Gleichheit im materiellen Recht nützt den Leuten wenig, wenn die Chancen, dieses materielle Recht zu erstreiten, höchst unterschiedlich, ({2}) d. h. einkommens- und vermögensabhängig sind. Es geht also um Chancengleichheit beim Zugang zum Recht. Wir haben gar nichts dagegen, wenn Sie das nach Ihrer Terminologie „Chancengerechtigkeit" nennen. Diese neue rechtspolitische Architektur hat zwei Säulen: das Beratungshilfegesetz und das Prozeßkostenhilfegesetz; ich würde nach meinem Geschmack gerne noch eine dritte hinzufügen: die Reform des Rechtsberatungsmißbrauchsgesetzes aus dem Jahre 1935. Vielleicht sollten wir uns in den Ausschußberatungen auch damit beschäftigen. Das bisherige Armenrecht hat drei grundlegende Schwächen, von denen z. T. schon gesprochen wurde. Viele Leute meinen ja, das Armenrecht würde von Kosten befreien. Richtig ist, daß die Kosten nach der geltenden Zivilprozeßordnung nur vorläufig gestundet werden, daß nur einstweilig befreit wird. Wenn ein Prozeß ganz oder teilweise verloren wird, sind dem gegnerischen Anwalt die Kosten voll zu erstatten, wie auch die Gerichtskosten und der eigene Anwalt - wenn auch mit niedrigeren Sätzen - zu bezahlen waren. Den einkommenschwachen Bürger trifft im Falle des Prozeßverlustes also nahezu die volle Kostenlast. ({3}) - Alle, die anderen auch, selbstverständlich. Nur: die können es sich leisten; das ist der Unterschied. Die zweite Schwäche ist das umständliche Armenrechtsgesuch, dem ein Armutszeugnis beizufügen ist. ({4}) Leider räumt der Entwurf - das sage ich kritisch - damit nicht auf, ({5}) obwohl wir wissen, daß mittlerweile aus dem ({6}) ganzen Armenrecht ein Armutzeugnis für den sozialen Rechtsstaat selbst geworden ist. Das dritte ist das umständliche Prüfungsverfahren. Hier findet quasi ein Vorprozeß statt. Zwar werden in der Praxis nur 7% der Armenrechtsgesuche abgelehnt, jedoch würde es meiner Ansicht nach ausreichen, wenn man den Ablehnungsgrund des mutwilligen Prozessierens vorsehen würde. Auf „hinreichende Ausischt auf Erfolg" könnte man auch im vorliegenden Entwurf verzichten. Noch eine Bemerkung zum Prozeßkostenrisiko. Dieses Risiko ist für jemanden, der heute einen Prozeß beginnen will, ganz unabhängig von den Prozeßaussichten kaum überschaubar, denn wenn es nicht um zahlenmäßige Klagesummen geht, weiß er ja nicht einmal, wie hoch der Streitwert festgesetzt werden wird, ob man einen Beweis braucht, ob es zu einem Vergleich mit Kostenfolge kommt und ob der Gegner in die Instanz oder in die Instanzen geht. Alles dies ist bei Beginn eines Prozesses nicht absehbar. Wenn es in der zweiten Instanz nach Beweis zu einem Vergleich kommt, betragen die Prozeßkosten bei einem Streitwert von 1 000 DM 1 200 DM; das sind 120 °/o der Klagesumme. Klagt man jedoch 1 Million DM ein, betragen die Prozeßkosten nach demselben Verfahrensgang 120 000 DM; das sind 12 °/o der Klagesumme. Das heißt: für denjenigen, der i Million DM zu erstreiten hat - und wer hat dies schon? - sind die Prozeßkostenrisiken sehr viel überschaubarer, und 12 % der Klagesumme wird man sehr viel leichter riskieren als 120 °/o der Klagesumme. ({7}) Ich stelle also fest, daß, das Prozeßkostenrisiko für Prozesse der kleinen Leute 120 % beträgt, das Prozeßkostenrisiko ab dem Millionenprozeß - das ist die höchste Gerichtskostenstufe, die es gibt; darüber geht es nicht hinaus - nur 12 % beträgt. Wenn Sie das nicht stört, ist das Ihre Sache. Mich hat das immer gestört. ({8}) Ich bin deshalb froh, wenn durch den neuen Gesetzentwurf eine Höchstgrenze bei 48 Monatsraten eingezogen wird, weil diese Höchstgrenze das Risiko überschaubarer macht. Wir sind auch dafür, daß mit dem Anwaltsmodell gearbeitet wird. Vor allem sind wir dafür, daß es eine freie Anwaltswahl geben soll; nicht nur wegen der Belange des freien Berufs, sondern auch weil wir wollen, daß die Chancen des einkommenschwachen Rechtsuchenden tendenziell den Chancen eines anderen Rechtsuchenden angenähert werden. Und der andere hat eben eine freie Anwaltswahl. Das alles ist für uns kein Ausdruck einer mildtätigen Armenfürsorge, wie sie im bisherigen Armenrecht immer noch zum Durchschein kommt, vielmehr wollen wir einen Rechtsanspruch nach dem Grundsatz der modernen Sozialhilfe. Es gibt auch rechtspolitische Alternativen zu erwägen, z. B. die kostenlose Rechtspflege. Es war eine alte sozialdemokratische Forderung - im Gothaer, Eisenacher und Heidelberger Programm -, die kostenlose Rechtspflege vorzusehen. Wir wissen, aber auch, wer die Gerichte vorwiegend in Anspruch nimmt. Wir wissen deshalb, daß bei einer kostenlose Rechtspflege alle Bürger über die Steuerlast die Prozeßlust und die hohen Streitwerte weniger finanzieren würden. Auch die Frage der Pflichtrechtsschutzversicherung könnte, glaube ich, zu den Akten gelegt werden. Der bayerische Kultusminister Hans Maier hat unter der Überschrift „Adieu Armenrecht" darüber lamentiert, daß unsere Sprache um ein plastisches Wort ärmer werde. So wie ich ihn aus nächster Nähe kenne, ist Herr Maier ja nicht ein philologischer Geschmäckler, der sich nur für den Erhalt einer kraftvollen Sprache einsetzen möchte. Er ist im Bildungsbereich als Dreiklassenkämpfer bekannt und hat halt nun einmal einen Ausflug in die Rechtspolitik gemacht. Er meint, es müsse beim Zugang zum Recht auch Arme, Wohlhabende und Reiche geben, damit die heile Welt ihre angebliche gottgewollte Ordnung behält. ({9}) Wir Sozialdemokraten werden ihn enttäuschen müssen. Wir werden nicht nur mit dem Begriff „Armenrecht" aufräumen und diesen durch „Prozeßkostenhilfe" ersetzen, sondern wir werden auch die Inhalte ändern. Es hat lange genug gedauert, bis auf diesem wichtigen Feld der soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes seinen Einzug hält. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich halte es für etwas gewagt, Herr Schöfberger, daß Sie den Zugang zu den Schönheiten der Natur mit dem Zugang zum Prozeß verglichen haben. Ich glaube, so sehen die Leute das nicht. Selbst wenn es ihnen kostenmäßig etwas erleichtert wird, werden sie sich vernünftigerweise lieber in der Natur bewegen als in den Gerichtssälen. ({0}) Es ist ja doch immer etwas mißlich, in einen Prozeß verwickelt zu werden. Ihre Anmerkungen zur kostenlosen Prozeßführung sollten Sie übrigens einmal in sozialpolitischen Kreisen Ihrer Fraktion verbreiten; denn die Kostenexplosion, die wir in den Bereichen schon haben, zu denen der absolut kostenfreie Zugang gegeben ist, bekämen wir mit Sicherheit auch in der Justiz, wie Sie das eben sehr zutreffend dargestellt haben. Ich finde es nicht schön, Herr Langner, daß Sie hingehen und an einer Sache herumnölen, die so viele deutliche Merkmale der Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand aufweist, und sich auf die Einzelheiten kaprizieren, die wir im Ausschuß in dem einen oder anderen Punkt gern besprechen können. ({1}) Sie sollten stattdessen würdigen, daß das Justizministerium im Kern der Sache einen Entwurf vorgelegt hat, der gleich mit mehreren offenen Mißständen gründlich aufräumt. ({2}) Bei der Abschaffung des Begriffs „Armenrecht" handelt es sich ausnahmsweise nicht um eine Sprachkosmetik überflüssiger, beflissener und zum Teil fast alberner Art. Die Wortbildung „Azubis" hätten wir uns schenken und stattdessen beim „Lehrling" bleiben können. Aber vom Armenrecht zu sprechen, wenn es sich um den Zugang zum Recht in Fällen handelt, die meistens für die sogenannten Armen existenzberührender sind als für diejenigen, die „auch diese Gelegenheit noch geklärt haben wollen und dann einmal sehen, wie es ausgeht", das finde ich allerdings sehr verfehlt. Darum bin ich hier einmal - ich möchte ausdrücklich sagen: ausnahmsweise - für die sogenannte Sprachkosmetik. Das ist hier etwas anderes. Das geht an den Kern der Sache, und deshalb - nachdem das Armutszeugnis in der Sprache schon sprichwörtlich geworden ist - bin ich auch sehr dafür, daß das hier verschwindet. Die Einzelheiten der Erteilung können wir im Ausschuß noch besprechen. ({3}) Zu diesem Zugang zum Recht gehört etwas, was man hier auch einmal ansprechen sollte, obwohl das dann dem einen oder anderen als eine standespolitische Interessenvertretung vorkommen könnte: Es ist hier auch vieles auf dem Rücken der Advokaten ausgetragen worden. Mit schöner Selbstverständlichkeit sind die Länderfinanzminister hergegangen und haben sich gegen jede Veränderung der Prozeßkostenhilfe oder des Armenrechts hergebrachter Prägung gewehrt, weil sie gesagt haben: Die Anwälte tun das ja alles zu den ermäßigten Sätzen; auf die Weise kommen die Leute zu ihrem Recht, und wir haben im öffentlichen Haushalt nichts damit zu tun. Daß man eine Berufsgruppe in dieser Weise nachhaltig und immer wieder belastet, um die sozialen Verpflichtungen des Staates wahrzunehmen, das ist einfach nicht richtig. Man muß einmal zu einer gewissen Kostenehrlichkeit auch in diesem Bereich kommen. Daß das hier geschieht, ist gut, und daß das in dem Bereich geschieht, der die Masse der kleinen und mittleren Anwaltspraxen betrifft - nämlich bei den hier vorgesehenen Streitwerten bis etwa 6 500 DM die Gleichstellung herbeizuführen -, ist auch richtig. Denn bei den großen Werten, die dann meist auch die großen Praxen betreffen, sind soziale Mißstände zweifellos nicht zu erblicken. Das kann man hier durchaus auch einmal sagen. Bei den kleinen Praxen aber war das eine Belastung, die der Staat auf eine Berufsgruppe abgewälzt hat, von der im Grunde nicht so leicht einzusehen ist, warum ausgerechnet sie das tragen soll. Das ist hier in einer beispielhaften Weise geschehen, indem nämlich unten gründlich und oben fast gar nicht geändert wird. Das finde ich an diesem Entwurf so bemerkenswert gut. Das ist einfach eine gescheite Lösung eines lange schon schwelenden bis schwärenden Problems. Es ist eben nicht, wie ich eben sagte, anwaltliche Interessenvertretung, sondern es ist ja der Zugang, von dem Herr Schöfberger auch schon gesprochen hat. Es geht darum, daß man als gleich gern Gesehener dahin kommt, wo man sein Recht sucht, und daß der Anwalt nicht sagt: Jetzt kommt der, und ich soll hier für ein Drittel der Kosten meine Stunden und meine Energie aufwenden, sondern daß der Mann wirklich genauso gern gesehen ist, wenn er kommt. Das ist das Entscheidende an dieser Veränderung, ({4}) und das ist der Zugang zum Recht in der Praxis. Deshalb bin ich der Meinung: Wenn hier solche wichtigen Dinge in dem Entwurf so klar und vernünftig angesprochen sind, dann sollten wir erst einmal dem Bundesjustizminister sehr herzlich dafür danken, daß er das getan hat, ({5}) und dann sollten Ihre Freunde in den Ländern nicht nur auf der Seite der Justizminister, sondern auch auf der Seite der Finanzminister zu gegebener Zeit versuchen, diesem Entwurf zum Durchbruch zu verhelfen. Über ein paar Kleinigkeiten der Gesetzestechnik wollen wir uns im Ausschuß unterhalten, aber wir sollten hier nicht an einer Sache herumnölen, die in Wirklichkeit sehr vernünftig ist und für die wir Freien Demokraten jedenfalls sehr dankbar sind. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 8/3068 an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - mitberatend - sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Todenhöfer, Dr. Marx, Höffkes, Dr. Köhler ({0}), Kunz ({1}), Dr. Hüsch, Frau Fischer, Dr. Hoffacker, Werner, Amrehn, Klein ({2}), Graf Huyn und der Fraktion der CDU/CSU Vietnamflüchtlinge - Drucksache 8/3042 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({3}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über 700 000 Menschen haben in den vergangenen 12 Monaten die Sozialistische Republik Vietnam erzwungenermaßen verlassen oder sind brutal vertrieben worden. Etwa 200 000 Menschen sind auf der Flucht umgekommen, ertrunken oder verhungert. 500 000 Flüchtlinge sitzen unter entwürdigenden Umständen zusammengepfercht in den Auffanglagern Südostasiens. Sie leben dort zu einem durchschnittlichen Tagessatz von etwa 36 Pfennig. Diese Flüchtlinge warten auf unsere Hilfe, die Hilfe der freien Welt. Die UN-Organisationen und die Staaten der freien Welt helfen, während die politischen Schutzpatrone Vietnams, die kommunistischen Staaten, bisher im wahrsten Sinne des Wortes untätig zusehen, wie Menschen verhungern und ertrinken. Für diesen Exodus aus Vietnam gibt es sicherlich mehrere Gründe, die jedoch alle die Sozialistische Republik Vietnam zu verantworten hat. Großmachtträume verleiten das Regime zu einer Politik der Destabilisierung Südostasiens, gegen die sich gerade die benachbarten Staaten in diesem Raum erbittert wehren, und die zu den Invasionen in Laos und Kambodscha wie zu dem chinesischer Grenzkrieg führte. Dadurch wurde die durch den zwanzigjährigen Krieg zerrüttete Volkswirtschaft Vietnams total zugrunde gerichtet. Seitdem der Bruch des Waffenstillstands zur Herrschaft der Kommunisten in ganz Vietnam ge- führt hat, wurden auch in Südvietnam alle bestehenden Strukturen kurzerhand zerschlagen. Wer dem früheren Regime gedient hatte, verschwand in Konzentrations- und Umerziehungslagern. Familien wurden und werden entwurzelt. Eine militante, antireligiöse Ideologie wurde und wird den Menschen aufgezwungen. Die im indochinesisch-südostasiatischen Raum latenten ethnischen Spannungen wurden und werden von dem Regime in Vietnam gezielt benützt, um von dem eigenen Versagen abzulenken. Denn mit der kommunistischen Herrschaft in ganz Vietnam sollten ja angeblich Frieden und Wohlstand in dieses Land einkehren. So wurden die in Vietnam lebenden Chinesen zu den Prügelknaben für das Peking-feindliche Regime gemacht, das bisher keinerlei Positivposten aufzuweisen vermag. Vietnam ließ die Fliehenden gerne ziehen und half durch gewaltsame Vertreibungsmaßnahmen nach, nicht zuletzt um sich an dem Eigentum der Flüchtlinge und Vertriebenen zu bereichern. ({0}) Ich betone es noch einmal: Vietnam ist der Schuldige für diesen Exodus und sonst niemand. Die CDU/CSU glaubt, daß auch die deutsche Politik aus diesen Vorgängen die notwendigen Konsequenzen ziehen muß. Wir fordern daher in der Ihnen vorliegenden Drucksache 8/3042 die Bundesregierung auf, 1. die Vietnam zugesagten Mittel zugunsten der Flüchtlinge umzuwidmen, 2. die UdSSR zur Einflußnahme in Vietnam zugunsten der Beendigung der Vertreibung zu veranlassen, 3. eine Debatte über diese vietnamesische Politik in der Vollversammlung der Vereinten Nationen durchzusetzen, 4. ein Einfrieren der EG-Hilfen an Vietnam zu erreichen und 5. mehr Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufzunehmen und das Aufnahmeverfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen. ({1}) Auch heute wird die Koalition, wird die Bundesregierung, erklären, das alles sei ja nicht machbar. Zunächst wird die Feststellung erfolgen, eine Umwidmung könne nicht vorgenommen werden. Nichts jedoch steht einer Aufkündigung von Zusagen an Staaten entgegen, wenn - wie hier - wichtige Gründe dafür sprechen. § 45 der Bundeshaushaltsordnung steht einem Ansatz in Höhe der diskutierten 89 Millionen DM in einem Nachtragshaushalt oder einer Umschichtung nach § 38 der Bundeshaushaltsordnung in keinerlei Weise im Wege. Man muß dazu nur den guten Willen haben, meine Damen und Herren. Gegebene Zusagen lassen sich widerrufen, wenn die Geschäftsgrundlage und die Voraussetzungen geändert worden sind. Dies und das gleichzeitige Bereitstellen der diskutierten Summe als humanitäre Hilfe für die Vertriebenen und deren Aufnahmeländer wären ein Akt echter Humanität! Niemand würde es verstehen, wenn den Vertreibern weiterhin Summen in Aussicht gestellt würden - wie dies indirekt zuletzt Bundesminister Offergeld in der „Bunten Illustrierten" tat -, die die Opfer und die Staatenwelt nur als Draufgabe nach der Vertreibung ansehen könnten. ({2}) Doch genau dies, meine Damen und Herren, tat und tut der Herr Bundeskanzler. Einseitig verwenden der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundesfinanzminister und die übrigen Minister der Regierung die Formulierung, „unter den gegenwärtigen Umständen" wolle man das Geld für Vietnam nicht bereitstellen. Das heißt doch im Klartext, daß die Zusagen dann eingelöst werden können, wenn die Vertreibung beendet und eine Regelung betreffs der Berlin-Klausel und der Altschulden vereinbart werden konnte. Die Bundesregierung will also flexibel bleiben und wird gerade dadurch und damit unglaubwürdig für die Flüchtlinge, für die ASEAN-Staaten und auch für den deutschen Steuerzahler. ({3}) Warum, so fragen wir, hat die Bundesregierung nicht den Mut, zu sagen, daß Vietnam die Voraussetzungen der Zusagen von 1973 und 1974 beseitigt hat, daß sich die Frage der Verbindlichkeit für sie heute gar nicht stellt? Durch die Aufrechterhaltung einstiger Zusagen und durch die Wortwahl „unter den gegenwärtigen Umständen" signalisiert die Bundesregierung der Republik Vietnam doch geradezu, daß man die Vertreibung gleichsam nur als einen vorübergehenden politischen Betriebsunfall betrachtet. Beifallheischend übernimmt der Bundeskanzler zugleich die Forderung der CDU/CSU, man müsse den Vertriebenen und nicht den Vertreibern helfen. Doch, meine Damen und Herren, wie gerade gezeigt, wirkt der Herr Bundeskanzler damit in keiner Weise glaubhaft. Unser Antrag soll verhindern, daß Vietnam nach dem Exodus mit Forderungen an uns, die Bundesrepublik Deutschland, herantreten kann. Unser Antrag will aber vor allem zusätzliche Mittel für die Opfer freimachen bzw. schaffen. Das törichte Wort von der Strafaktion gegen Vietnam verkehrt die Wirklichkeit doch vollständig. Es geht um mehr Hilfe für die Leidenden, für die Opfer. Es geht aber auch darum, der Weltöffentlichkeit zu zeigen, daß wir Deutsche die moralische Kraft aufbringen, das Unrecht der Vertreibung nicht nur beim Namen zu nennen, sondern auch unser Handeln von dieser Kraft her weltweit bestimmen zu lassen. Dies ist der Grund, warum wir die Bundesregierung auffordern, diese Vertreibung in der UN-Vollversammlung und der UN-Menschenrechtskommission zur Sprache zu bringen. Warum tut sie denn dies nicht? Vor wem scheut sie dort zurück? Wo denn sonst will die Bundesregierung der Welt klarmachen, daß ein Staat, der innenpolitische Schwierigkeiten mit Mord und Vertreibung lösen will, gegen fundamentalste Menschenrechte verstößt und sich damit außerhalb der Staatengemeinschaft stellt? Dies, meine Damen und Herren, ist letzten Endes die elementare Frage nach der Moral in der Politik und auch nach der Glaubhaftigkeit einer Politik. Offensichtlich fühlt sich der Herr Bundeskanzler jedoch aus außenpolitischen wie aus parteipolitischen Gründen zu dieser Politik der Doppelgleisigkeit veranlaßt. Im Einklang mit unserem Antrag frage ich deshalb auch hier, warum die Bundesregierung es einfach hingenommen hat, von den Sowjets brüsk zurückgewiesen zu werden, als sie diese um Einwirkung auf Vietnam gebeten hatte. Die Bundesregierung muß unseres Erachtens die UdSSR unbeirrbar immer wieder auf deren Mitverantwortung für Vietnam hinweisen; und hier könnten einmal die privaten Kanäle der Spitzen der SPD auch nach Moskau hilfreich sein. ({4}) Vielleicht könne wir irgendwann einmal erfahren, was auf diesen Wegen geschehen ist und was möglich war. Es kann, meine Damen und Herren, nicht angehen, daß die UdSSR, der Schutzherr Vietnams, unbewegt und zynisch die Vertreibung registriert und nichts tut. Wo es um die Freiheit außerhalb des kommunistischen Machtbereichs geht, ist doch die Sowjetunion sonst in aller Welt lautstarker Befürworter der Unterdrückten. Hinter der Taktik des Herrn Bundeskanzlers steht aber wohl auch erneut das Bestreben, pragmatisch und ohne Schmälerung seiner parteiinternen Position gegenüber den Linken in der SPD auftreten und bestehen zu können. Diese hatten doch dereinst Georg Leber beschimpft, als er Verständnis für den Kampf der USA in Südvietnam gezeigt hatte. Diese waren doch bei den Ho-Tschi-Minh rufenden Dauerprotestlern auf unseren Straßen dabei. Diese waren doch bei jenen, die die sozialistische Staatengründung für ganz Vietnam begrüßt hatten, ({5}) und diese fordern kurioserweise oder besser konsequenterweise doch gerade heute zur Zeit der Vertreibung mehr Geld für die Vertreiber, für die Republik Vietnam. ({6}) Da versteht man doch die Welt nicht mehr. Sicherlich ist bisher einiges an Hilfe für die Vertriebenen in Südostasien geleistet worden. Doch auch hier muß man leider feststellen, daß die Bundesregierung viel zu spät gehandelt hat und bisher nicht in der Lage ist, eine Vielzahl bürokratischer Hemmnisse zu beseitigen. Die Bundesländer Niedersachsen und Baden-Württemberg hatten gehandelt, bevor der Bund überhaupt die Vorgänge in Indochina wahrzunehmen schien. Rasch gehandelt haben die deutschen Hilfsorganisationen; rasch gehandelt haben private Institutionen, das Vietnam-Büro, politische Organisationen wie z. B. die Junge Union und viele andere. Der Bund brauchte für ein Programm von Maßnahmen zugunsten der Vietnamflüchtlinge ganze neun Monate; und jetzt rühmt sich diese Bundesregierung der etwa 7 000 Vietnamesen, die im Land sind, und der Aufnahmequote von insgesamt 13 000 Personen, die mit den Ländern gemeinsam vereinbart wurde. Doch, meine Damen und Herren, .die Entwicklung in Indochina, wo neue gewaltige Flüchtlingsströme, diesmal reine Vietnamesen, Kambodschaner und Laoten, unterwegs sind, wird uns alle zwingen, noch mehr Plätze zur Verfügung zu stellen. Wir rufen daher Bund und Länder auf, erneut die Quoten anzuheben und dabei die Maßnahmen der Familienzusammenführung als Sonderfall 'zu behandeln. Die Bürger unseres Landes sind noch voller Hilfsbereitschaft. Aber wenn sie sehen, daß die Behörden nicht fähig sind, die Flüchtlinge überhaupt ins Land zu bringen, dann, so ist .zu befürchten, wird diese Hilfsbereitschaft in Passivität und Resignation umschlagen. Die Behörden müssen also aktiver werden, die Aufnahme muß beschleunigt werden. Die von den internationalen und nationalen Hilfsorganisationen in den ASEAN-Ländern verwalteten Lagern werden bald unter dem Druck dieser neuen Zuströme zusammenbrechen. Die Zehntausende wild kampierenden Flüchtlinge in Nordthailand sind noch nicht einmal erfaßt. Was wird passieren, wenn der Monsun vorüber sein wird? Daher müssen die Quoten erhöht werden, wobei Vorsorge zu tragen ist, daß es in unserem Land im Rahmen der Integrationsmaßnahmen weder zu Gettobildungen noch zu einem Zerreißen von Großfamilien kommen wird. Lassen Sie mich im Hinblick auf Pressenotizen aus den vergangenen Tagen auch sagen, daß wir das Meditieren darüber, ob überhaupt, wie und wie lange wir Flüchtlinge aufnehmen sollen, im derzeitigen Augenblick, wo Menschen verhungern und ertrinken, für überflüssig erachten, weil es um rasche Hilfe geht. Wir können kaum von anderen verlangen, wozu wir nicht bereit sind. Die Registrierung und Auswahl der Flüchtlinge in den Lagern zwecks Aufnahme in die Bundesrepublik kann beschleunigt werden, wenn die Botschaften der Bundesrepublik verstärkt unmittelbar in den Lagern tätig werden. Dabei wäre es auch von Bedeutung, einmal die Auswahlkriterien zu erfahren. Was geschieht denn mit den Kranken, den alten Menschen, den getrennten Familien? Notwendig sind auch zusätzlicher Transportraum für die südostasiatischen Staaten, Ärzteteams, Hilfsmittel der verschiedensten Art, um die Menschen aus den ersten Auffanglagern weiterleiten zu können. Der Amtsschimmel wiehert laut, wenn auf Grund der deutschen Klassifizierungsvorschriften sogenannte Cargo-Schiffe nur eine bestimmte Zahl an Flüchtlingen aufnehmen bzw. transportieren dürfen. Wie ein Hohn klingt es, wenn Reedereien Anweisung geben, nach Möglichkeit aus den Booten keine Flüchtlinge aufzunehmen, weil die Schiffe sonst Schwierigkeiten beim Anlanden in einzelnen Häfen oder Schwierigkeiten mit dem Ersatz von Liegegebühren und Transportkosten bekommen. Auch hier könnte die Bundesregierung sowohl finanziell als auch diplomatisch - iah denke an Singapur - tätig werden. Die deutschen Mittel für die internationalen und nationalen Hilfsorganisationen werden gewaltig gesteigert werden müssen. Auf Grund der Genfer Konferenz für die Vietnam-Flüchtlinge sollen 260 000 Menschen außerhalb Indochinas angesiedelt werden. Auch die Bundesregierung hat sich hier zu einem Beitrag verpflichtet. Doch geschehen ist seit Abschluß der Konferenz nichts. Die Bundesregierung sieht zu, wie die UN-Gremien über Sinn oder Unsinn des Ankaufs von Inseln zwecks Ansiedlung der Flüchtlinge diskutieren. Dabei ist doch für jeden Kenner der Situation ganz klar, daß derartige Lösungen nicht durchführbar sein werden, da die ASEAN-Staaten innerpolitisch und wirtschaftlich schon jetzt mit Schwierigkeiten überbeansprucht sind. Daher, so meinen wir, sollte die Bundesregierung mit einem Expertenteam untersuchen, wo Ansiedlungen möglich sind, und dann an die betreffenden Staaten mit dem Angebot von Ansiedlungshilfen herantreten. Doch die Bundesregierung hat sich bisher passiv verhalten. Als jüngst Argentinien wegen einer eventuellen Ansiedlungshilfe in Bonn anklopfte, wurde ihm bürokratisch beschieden, man könne nur nach Vorlage detaillierter Planungsunterlagen entscheiden. So wird man der Not nicht Herr. ({7}) - Im übrigen, Frau Schlei, empfinde ich es als töricht, daß auf der Genfer Konferenz auch die Bundesregierung dem Passus von der Eindämmung der „illegalen Ausreise" zustimmte; denn nach Berichten von Kapitänen schießen nunmehr die vietnamesischen Küstenwachboote auf die Flüchtlingsboote, deren Insassen zuvor die gewaltigen Ausreisegebühren nicht bezahlt haben. Die Küstenbehörden tun dies jetzt angeblich unter Hinweis auf den betreffenden Beschluß der Genfer Konferenz. Wie dargelegt, werden die Kosten für die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in den südostasiatischen Staaten, aber natürlich auch für die Integration in der Bundesrepublik, gewaltig steigen. Sie lassen sich bisher insgesamt kaum abschätzen. Dazu kommt, daß die freie Welt nicht darum herumkommen wird, einen großzügigen Plan zur Stabilisierung der ASEAN-Staaten auszuarbeiten und auch mitzufinanzieren. Da wird von uns Deutschen mit unserer doch gewaltigen Wirtschaftskraft ein entsprechender Beitrag zu alledem verlangt werden. Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Unser der heutigen Diskussion zugrunde liegende Antrag ist humanitär, moralisch und politisch begründet und notwendig. Bei gutem Willen ist er auch voll realisierbar. Deshalb appelliere ich an Ihren guten Willen, meine Damen und Herren von der Koalition: Stimmen Sie diesem Antrag in den Beratungen zu. ({8}) Seien Sie versichert, daß wir unsererseits alle humanitären Maßnahmen zugunsten der Vertriebenen und Flüchtlinge, die Sie uns vorschlagen werden, mit zu tragen bereit sind; denn uns geht es um Hilfe für die Opfer der Politik Vietnams! Es geht uns um rasche und großzügige Hilfe! Wir Deutsche haben erfahren, wie andere, denen wir Unheil zugefügt hatten, uns geholfen haben. Um wieviel mehr müssen daher wir denen helfen, die uns nichts getan haben, - wenn Sie so wollen, einfach um der Mitmenschlichkeit und unseres staatlichen Selbstverständnisses willen. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU, über den wir hier diskutieren, hat den Titel „Vietnamflüchtlinge". Das bedeutet für mich, daß wir uns darüber zu unterhalten haben, wie man Menschen, die in akuter Not, ja, in Lebensgefahr schweben, helfen kann, Menschen nicht nur aus Vietnam. Bei der gesamten Behandlung dieses Problems sollten wir uns immer wieder vor Augen führen, daß auf jeden Flüchtling aus Vietnam, der lebend von einem Schiff im Chinesischen Meer aufgegriffen wird oder den Weg bis in einen der Anrainerstaaten des Chinesischen Meeres findet, ein toter Flüchtling kommt, jemand, der den Weg nicht geschafft hat. Hunderttausende von Menschen sind gestorben, und es besteht die Gefahr, daß weitere sterben werden. Für Parteipolitik, Herr Kollege Werner, ist hier kein Platz; das überlasse ich Ihrer Verantwortlichkeit. ({0}) Wenn also die Behandlung des vorliegenden Antrages dazu führen kann, daß wir alle zusammen die Hilfe für die Vietnamflüchtlinge und auch die Kambodschaflüchtlinge zu optimieren versuchen, hat dieser Antrag seinen Sinn und Zweck erfüllt. Namens meiner Fraktion darf ich erklären, daß wir mit dem Überweisungsvorschlag einverstanden sind, damit in den Fachgremien dieses Hauses tatsächlich das Beste und das Machbare erreicht wird, obwohl der Antrag eigentlich schon überholt ist, was ich auch begründen kann und will. ({1}) Der vorliegende Antrag enthält fünf konkrete Forderungen. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bei vier dieser Vorschläge finden Sie völlige Übereinstimmung mit den Intentionen meiner Fraktion. ({2}) Einer Ihrer Vorschläge ist für uns so nicht annehmbar. Lassen Sie mich zuerst zu den Vorschlägen kommen, bei denen ich eine Übereinstimmung sehe. Da wäre zunächst einmal Punkt 2 des Antrages - Einflußnahme auf Vietnam - zu nennen. Das, was, dort gefordert wird, ist bereits geschehen und wird laufend unternommen, was natürlich nicht bedeutet, daß die Bundesregierung nicht immer wieder versuchen sollte und versuchen muß, Vietnam zu einer Änderung seiner Politik zu bringen. Der Bundeskanzler hat auf der Durchreise zum Weltwirtschaftsgipfel Ende Juni dieses Jahres das Problem der Vietnamflüchtlinge in Moskau der sowjetischen Regierung vorgetragen. Nicht zuletzt diesem Vorgehen sowie dem verbündeter Nationen und des UNO-Generalsekretärs Waldheim kann man wohl die Tatsache zuschreiben, daß die Sowjetunion an der Flüchtlingskonferenz in Genf teilgenommen hat, ({3}) obwohl sie nicht Mitglied des Exekutivausschusses des Hohen Flüchtlingskommissars ist. Welche weiteren Folgen das Vorstelligwerden bei der sowjetischen Regierung hat und haben wird, vermag letztlich doch wohl niemand mit Sicherheit zu beurteilen. In Punkt 3 des Antrages wird die Bundesregierung aufgefordert, darauf hinzuwirken, daß die Europäischen Gemeinschaften und die Organisationen der multilateralen Entwicklungshilfe jede Unterstützung Vietnams so lange aussetzen, bis Vietnam eine Änderung der Politik zeigt, die zu dem Flüchtlingselend geführt hat. Auch dies ist mittlerweile geschehen. Eine Mehrheit der EG-Mitglied- Staaten hat sich dafür ausgesprochen, die EG-Nahrungsmittelhilfe für Vietnam einzustellen. Eine Änderung ist erst zu erwarten, wenn Vietnam sein Verhalten gegenüber den Flüchtlingen ändert und insbesondere seine Verpflichtungen einhält, die es in der Genfer Flüchtlingskonferenz eingegangen ist. Ich persönlich halte allerdings die Einstellung der Nahrungsmittelhilfe für ein zweischneidiges Schwert, weil die Gefahr besteht, daß es diejenigen am meisten trifft, denen es am dreckigsten geht ({4}) und deren Wohl wir doch wohl alle im Auge haben. Aus humanitären Gründen muß Nahrungsmittelhilfe besonders für Kambodscha gegeben werden, um den Hunger zu beseitigen, allerdings nicht, um Armeen zu ernähren. Aber im Ernstfall, wenn es um die Rettung von Leben geht, muß auch dann geholfen werden, wenn nicht alle Risiken auszuschließen sind. In Punkt 4 wird die Behandlung des Flüchtlingsproblems in der UNO-Vollversammlung gefordert. Ende dieses Monats wird die 34. Ordentliche Generalversammlung der Vereinten Nationen zusammentreten. Außenminister Genscher hat seine Absicht erklärt, das Vietnam-Flüchtlingsproblem dort zur Sprache zu bringen. Zudem ist zu vermerken, daß die ASEAN-Staaten beantragt haben, eine Debatte über die Lage in Kambodscha auf die Tagesordnung der 34. Generalversammlung zu setzen. Es ist leicht möglich, daß sich daraus eine Debatte über das gesamte indochinesische Flüchtlingsproblem entwickelt. Somit wäre dem Antrag eigentlich schon Genüge getan. , Ich möchte aber trotzdem einige zusätzliche Worte darüber verlieren. Das Problem wurde in seiner Gesamtheit bereits auf der Genfer Flüchtlingskonferenz, die ja auch eine Veranstaltung der Vereinten Nationen war, behandelt. ({5}) Wir alle kennen die Ergebnisse. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion teilt überdies nach wie vor die Meinung des Staatsministers von Dohnanyi zu diesem Problem, zu dem in der Fragestunde am 21. Juni 1979 er folgendes gesagt hat. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, auch heute noch einmal: Sie brauchen keine Genehmigung von mir einzuholen.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. Der Staatsminister sagte: ... diejenigen, die unmittelbar mit den Flüchtlingsströmen in Indochina zu tun haben, legen begründeten Wert darauf, daß das, was dort getan werden kann, nicht unnötig politisiert wird. Sie fürchten, daß sie sonst schwerer mit den Problemen fertig werden. In Punkt 5 des Antrages wird eine Erhöhung der Aufnahmequote für Vietnamflüchtlinge in die Bundesrepublik Deutschland und eine Vereinfachung des Verfahrens zur Ansiedlung gefordert. Auch diesem Anliegen wurde bereits Rechnung getragen. Gleichwohl muß ich einschränkend sagen, daß sicherlich noch mehr getan werden muß. Wir sollten uns vielleicht einmal ganz kurz in Erinnerung rufen, wie zum Zeitpunkt Ihrer Antragstellung die Bereitschaft beim Bund und bei den Ländern war. Damals waren es 5 200 Plätze, die zur Verfügung standen. Die neuesten Zahlen des Auswärtigen Amtes vom 20. September weisen dagegen über 13 000 Plätze für Flüchtlinge aus. Das ist eine Verzweieinhalbfachung in einem Zeitraum von zwei Monaten. ({0}) - Ich komme darauf. - Ich halte das für richtig, und ich bin mit Ihnen der Meinung - wie schon ausgeführt -, daß dieses Ziel für uns noch lange nicht die Obergrenze sein kann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pinger?

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß von den insgesamt 13 000 Flüchtlingen immer noch 3 000 noch nicht in kürzester Zeit in die Bundesrepublik kommen können und sollen, weil die entsprechenden Vorkehrungen von der Bundesregierung nicht getroffen worden sind: im Hinblick auf Auswahlkriterien, im Hinblick auf Anweisungen an die Botschaften? Sehen Sie darin nicht einen eklatanten Widerspruch zu dem, was Sie hier vortragen, und auch zu den Erklärungen, der Bundesregierung?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich würde Sie bitten, sich besser zu informieren. ({0}) In den letzten zwei Monaten ist in den Botschaften so viel Positives geschehen - ich komme darauf noch -, daß alle Botschaften, die ich noch angerufen habe, sich für die Personalverstärkung bedankt haben. Es stehen jetzt noch 420 offene Plätze zur Verfügung; das ist viel zuwenig. Gerade in den letzten zwei Monaten ist enorm viel geleistet worden, was Sie zur Kenntnis nehmen sollten. Mir wäre es lieber, wenn Sie sich um diese Maßnahmen wirklich kümmerten und sie nicht pauschal abwerteten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte mit meinem Vortrag vorankommen; ich gehe darauf noch weiter ein. ({0}) Die Reise von sieben Mitgliedern dieses Hauses aus allen Fraktionen - ich habe daran teilgenommen - durch die Anrainerstaaten des Chinesischen Meeres hat deutlich gezeigt, daß momentan Leben nur gerettet werden kann, wenn Flüchtlinge aus den Flüchtlingslagern - z. B. hierher zu uns - übernommen werden. Darin sind wir uns einig. Eine Alternative gibt es nicht. In diesem Moment tagt die Innenministerkonferenz. Der Bundesinnenminister wird im Namen der Bundesregierung auch vor dem von mir dargelegten Hintergrund eine Erhöhung der derzeitigen Aufnahmequote beantragen. Da einige Bundesländer bereits signalisert haben, daß sie dieser Politik zustimmen, sehe ich einem entsprechenden Beschluß der Konferenz optimistisch entgegen. Der Bundeskanzler wird im übrigen am 28. September noch die Möglichkeit haben, mit den Ministerpräsidenten darüber zu verhandeln. Sie wissen, daß das nur im Einvernehmen mit den Ländern geht. Im Namen der Bundestagsfraktion der SPD darf ich bei dieser Gelegenheit all denjenigen recht herzlich danken, die besonders in den letzten Monaten ihre Bereitschaft erklärt haben, bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems zu helfen. Mein Dank gilt einzelnen Bürgern und Privatvereinigungen, karitativen Vereinigungen wie , dem Deutschen Roten Kreuz, der Caritas und dem Diakonischen Werk, den Kommunen, den Ländern und der Bundesregierung. ({1}) - Ich bin nicht bereit, in dieser Frage Parteipolitik zu machen. Das überlasse ich Ihnen, Herr Kollege. Was nun die Erleichterung der Übernahme und Ansiedlung angeht, so hat die Bundesregierung in Verbindung mit den karitativen Organisationen für eine Aufstockung des Botschaftspersonals im indochinesischen Raum gesorgt, was eine große technische Hilfe ist. ({2}) Ich habe mir das bei den Botschaften bestätigen lassen. Alle sieben Abgeordneten waren sich einig, daß hier etwas geschehen muß. Daraufhin ist spontan geholfen worden. Hinsichtlich der Erleichterung der Ansiedlung hat die Bundesrepublik am 29. August 1979 ein Programm für ausländische Flüchtlinge vorgelegt. Ich möchte ein Dankeschön dafür sagen, daß hier Vorschläge zur besseren Koordination innerhalb unseres Landes - diese ist absolut notwendig - vorgelegt wurden. Zwei Dinge möchte ich noch sagen, die mir in diesem Zusammenhang bemerkenswert erscheinen. Zum einen werden durch dieses Programm die sogenannten Kontingentflüchtlinge mit Asylsuchenden in der Weise rechtlich gleichgestellt, daß sie wie diese sofort soziale Sicherung erfahren und in den Genuß umfangreicher Maßnahmen kommen, die die Eingliederung erleichtern sollen. Zum zweiten schafft das Programm der Bundesregierung nicht Flüchtlinge verschiedener Klassen. Es bezieht sich ausdrücklich auf alle ausländischen Flüchtlinge, nicht nur auf diejenigen aus Indochina. Damit hat die Bundesregierung die Möglichkeit geschaffen, zukünftig den Flüchtlingen weltweit zu helfen, wo sie in akuter Not sind. ({3}) Es sollte hier noch einmal ganz deutlich gesagt werden, daß das Problem der Vietnamflüchtlinge nur ein Teil des weltweiten Flüchtlingsproblems ist, das auch weltweit politisch zu lösen ist. ({4}) Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß sich die Bundesrepublik Deutschland auch weltweit zu ihrer Verantwortung bekannt hat und bekennen muß. ({5}) Wir können nicht verantwortungsvolle Dinge tun, die in erster Linie nur demonstrativen Charakter haben. Solche Demonstrationen, wie sie hier von der CDU/CSU gefordert werden, nützen den betroffenen Menschen nicht in einem einzigen Fall. ({6}) Bei der Behandlung des Punktes 1 will ich ganz bewußt nicht auf die Frage eingehen, ob eine völkerrechtliche Verpflichtung besteht. Ich will auch nicht auf die haushaltstechnischen Schwierigkeiten oder Unmöglichkeiten eingehen, die Mittel umzupolen. Das würde der Problematik nicht gerecht. Vietnam hat seit 1973 keine bilaterale Entwicklungshilfe aus der Bundesrepublik erhalten - das ist ein Faktum -, ({7}) weil eine Auszahlung an den Süden Vietnams wegen der Fortsetzung der Kriegshandlungen nicht möglich war, weil eine Auszahlung an den Norden nicht möglich war, da keine förderungswürdigen Projekte angeboten wurden, und weil das vereinigte Vietnam durch die Nichtanerkennung der Berlin-Klausel eine völkerrechtliche Einigung unmöglich macht. ({8}) - Herr Kollege, ich komme darauf sicher noch zurück. ({9}) Vietnam erhält auch derzeit - lassen Sie mich das doch wenigstens vortragen, keine Entwicklungshilfe. Das wissen Sie. ({10}) Der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung am 4. Juli 1979 ganz klar darauf hingewiesen, daß es vielmehr um die Hilfe für die Flüchtlinge geht. Die Annahme von Punkt 1 Ihres Antrages wäre also eine Demonstration ohne jegliche Substanz. ({11}) - Ich glaube gar nicht, Herr Todenhöfer, daß es Ihnen um die 89 Papier-Millionen geht. Ihnen geht es doch darum, innenpolitische Wirkungen zu erzielen. ({12}) Mit solchen politischen Kraftakten sollten wir alle bei der politischen Vergangenheit unseres Volkes sehr vorsichtig sein. ({13}) Die Möglichkeit der Einflußnahme sollten wir uns auf gar keinen Fall nehmen lassen, wenn wir - das wollen Sie ja wissen - heute aus den bekannten Gründen, über die wir uns ja einig sind, keine Entwicklungshilfe geben, ({14}) dann bedeutet das doch nicht: auf ewige Zeiten. ({15}) Damit liegt die Bundesregierung übrigens auf einer Linie mit der EG. Die EG hatte für Vietnam umfangreiche Hilfe vorgesehen. Angesichts der vietnamesischen Intervention in Kambodscha und der Vertreibung Hunderttausender vietnamesischer Bürger mußte die Gewährung dieser Hilfe jedoch zurückgestellt werden. Die Entscheidung, ob Vietnam noch EG-Hilfe erhält, hängt demnach wesentlich vom Verhalten der Regierung in Hanoi ab. Für die Entwicklungshilfe aus der Bundesrepublik gelten über die erwähnten völkerrechtlichen und die von der EG formulierten Voraussetzungen hinaus aus der Sicht der Sozialdemokraten die Leitlinien, die wir uns für die Entwicklungspolitik gesetzt haben. Ich zitiere: Unabhängig von äußeren Formen des Regierungssystems und der außenpolitischen Orientierung der Entwicklungsländer muß sozialdemokratische Entwicklungspolitik dort ansetzen, wo Erfolge im Kampf für bessere Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung zu erwarten sind. Sozialdemokraten erwarten von den Regierungen der Entwicklungsländer, daß sie in ihrer eigenen Verantwortung die Entwicklung und Verbesserung der Lebensbedingungen der benachteiligten Bevölkerungsschichten betreiben. Dies ist in Vietnam nicht gegeben. Darum gibt es jetzt keine Entwicklungshilfe. Hier besteht überhaupt kein Unterschied zu dem von Ihnen oft zitierten, Chile. Ganz kurz möchte ich auch auf das eingehen, was für die Flüchtlinge in der Bundesrepublik konkret getan worden ist, ohne daß irgendwo Mittel umgeschichtet wurden, Herr Kollege. ({16}) Die Bundesrepublik hat sich im Rahmen der EG mit zirka 30 Millionen DM an Hilfsmaßnahmen für Indochina beteiligt. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat dem hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen 5 Millionen DM für Nahrungsmittelhilfe zur Verfügung gestellt. Das Auswärtige Amt hat über 23 Millionen DM für humanitäre Hilfe für Flüchtlinge aus den Ländern des ehemaligen Indochina bereitgestellt. Ich glaube, das ist eine sehr positive Bilanz. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den Anrainerstaaten des Chinesischen Meeres großzügige Hilfe angeboten, falls sie bereit sind, Flüchtlinge in ihren Kulturkreis, also bei sich, zu integrieren. Sie wissen genau .wie ich, daß das nicht möglich ist. Aus demselben Grund hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit auch zugesagt, Argentinien bei der Aufnahme von Flüchtlingen bilateral zu unterstützen. Natürlich muß geprüft werden - wollen Sie das etwa nicht? -, was Argentinien an Plänen vorzulegen hat. Meine Damen und Herren, ich stelle mit allem Nachdruck fest, daß die faktischen Forderungen des Punktes 1 Ihres Antrages Realität sind, die politische Wertung und Absicht von uns aber nicht getragen werden kann. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion einerseits die Möglichkeit gibt, in den Fachausschüssen nach Möglichkeiten zu suchen, den Flüchtlingen noch besser zu helfen, andererseits, Herr Todenhöfer, gilt es, bei dieser Diskussion zu vermeiden, daß diese notwendige Hilfe für betroffene Menschen nicht zugunsten einer ideologisch gefärbten Diskussion und einer politischen Demonstration in den Hintergrund gerät. Wenn es um die Rettung von nackten Existenzen geht, um die Rettung von Menschenleben, sollten wir uns alle einig wissen. Jeder von uns hat die Möglichkeit, in seinem Bereich dafür aktiv einzutreten und um Verständnis zu werben. Dies sollte eigentlich ganz selbstverständlich sein und keiner besonderen Erwähnung bedürfen. ({17}) Es gibt ein altes Wort: „Gehe hin und tue desgleichen." ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Thema eignet sich am allerwenigsten, um Konflikte in dieses Haus zu tragen. Insofern bedaure ich außerordentlich die Diktion des Antrages der Opposition. Hier soll der Eindruck erweckt werden, als ob die Bundesregierung trotz des Flüchtlingselends im Augenblick für Vietnam eine Hilfe unternimmt oder ins Auge faßt. ({0}) Die Opposition fordert die Bundesregierung auf, sofort die haushaltsmäßigen Voraussetzungen zu schaffen. Ich habe immer gedacht, dies sei das oberste Recht und die Pflicht dieses Parlaments. Insofern mutet es mich sehr seltsam an, daß man zu dieser Verkehrung der Gewalten kommt. Wir befinden uns mitten in den Haushaltsberatungen. ({1}) Wir reden hier über finanzielle Bereitstellung. ({2}) Nichts anderes als der öffentliche Haushalt ist der angemessene Platz, um dieses zu erörtern. Das haben wir bereits gestern im Ausschuß für Entwicklungshilfe getan. Ich bin sicher, daß dieses auch Thema im Haushaltsausschuß sein wird. Gestern hat uns die Bundesregierung über die umfangreichen Mittel - ich werde nachher kurz darauf zurückkommen - berichtet, die in den letzten Jahren und zunehmend in den letzten Monaten bereitgestellt wurden und deren Bewilligung vermutlich noch in diesem Jahr, erst recht aber im nächsten Jahr auf uns zukommen wird. Nun ist es so, daß die Opposition sehr häufig den Koalitionsfraktionen vorwirft, sie betreibe eine hemmungslose Verschuldenspolitik. Insofern ist es bequemer, statt hier genaue haushaltswirksame Anträge zu stellen, es der Bundesregierung zu überlassen, diese haushaltswirksamen Anträge zu stellen, damit man anschließend sagen kann, die Verschuldung werde nach oben gebracht. ({3}) - Hier geht es nicht um Umschichtung, Herr Todenhöfer. Sie mißbrauchen im Augenblick in unverantwortlicher Weise die Unkenntnis weiter Teile der Bevölkerung über das Haushaltsrecht und die Haushaltsberatungen in diesem Hause. ({4}) Hier geht es nicht um Umstellungen. Die CDU erweckt den Eindruck, als ob im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Mittel für Nordvietnam stünden. Dieses ist nicht richtig. Das heißt aber, Sie wollen Mittel umschichten und ausgeben, die gar nicht im Haushalt stehen. ({5}) Dieser Eindruck wird von Ihnen bewußt geschürt, und dem müssen wir uns ganz entschieden widersetzen. Es hilft uns überhaupt nicht weiter, wenn wir uns auf diese Ebene abgleiten lassen. ({6}) Meine Damen und Herren, ich will kurz sagen, welche Mittel für Flüchtlinge in Südostasien bereitgestellt worden sind: Geplant und ausgegeben in den Jahren 1978/79 sind 10 Millionen DM direkt aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie weitere 30 Millionen DM über die EG. Das Auswärtige Amt hat seit 1975 23 Millionen DM an humanitärer Hilfe bereits ausgegeben; weitere 23 Millionen DM sind geplant. Es ist zu erwarten, daß wir im Jahre 1980 gerade in diesem Bereich wahrscheinlich einen sehr viel höheren Bedarf haben werden. Ich finde, wir sollten hier nun wirklich keinen Popanz aufstellen. Jeder von uns sieht ein, daß hier etwas getan werden muß. Dazu bedarf es insoweit nun wirklich nicht dieser Diskussion. Meine Damen und Herren, die Hilfe an Vietnam geht im Augenblick über die evangelische Zentralstelle und das Diakonische Werk. Hier heißt es für christliche Organisationen im Bereich der Ernährungshilfe, Not und Hunger auch in einem Land zu bekämpfen, das unserer politischen Couleur weiß Gott widerspricht, weil es hier um Menschen geht. Wie ist nun die Hilfe für Vietnam insgesamt zu bewerten? Die Bundesregierung hat Hilfe für den Wiederaufbau Vietnams angeboten. Wir haben dies zu der damaligen Zeit auch begrüßt. Leider aber hat Vietnam dieses Hilfsangebot nicht angenommen, weil es nicht bereit war, die sogenannte Berlin-Klausel zu akzeptieren. Hiermit hat dieses Land für mich in erschreckender Weise zu erkennen gegeben, daß ihm außenpolitische Demonstration wichtiger ist als die Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Bürger. Das halte ich für eine schlimme Fehlleistung eines solchen Regimes. Die Bundesregierung hat durch den Bundeskanzler und den Außenminister nun wirklich deutlich gemacht, daß in Anbetracht des Flüchtlingsstromes und der Vertreibung zur Zeit keine Entwicklungsprogramme von unserer Seite in Vietnam zu erwarten sind. Ich weiß nicht, warum man noch deutlicher werden muß. Man kann allerdings ununterbrochen bewußt mißverstehen. Aber das scheint ja ein politisches Mittel zu sein. ({7}) Meine Damen und Herren, der Hintergrund für diese Haltung ist, daß wir es für untragbar halten, daß dieses Land nicht selten Menschen, die vertrieben werden, das Vermögen, ihre privaten Goldbestände, abverlangt und diese im eigenen Lande behält, um möglicherweise sogar Schulden bei der UdSSR abzutragen. Wer sich so verhält, braucht sich nicht zu wundern, daß wir zu der Überzeugung kommen, zunächst einmal primär den Vertriebenen zu helfen und nicht den Vertreibern. Auch hierüber brauchen wir uns nicht lange zu unterhalten. Die ASEAN-Staaten - ich gehörte zu der siebenköpfigen Gruppe aus den drei Fraktionen, die Anfang Juli in diesen südostasiatischen Raum reiste - sind der Auffassung, daß man dieses Problem langfristig nur mit Vietnam gemeinsam lösen kann. Dies ist letztendlich auch einleuchtend. Ziel muß es sein, daß es gar nicht erst zu Flüchtlingsströmen kommen kann. Denn - das müssen wir ja bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen - die Aufnahmebereitschaft und die Aufnahmefähigkeit aller Länder ist natürlich irgendwo begrenzt. Die Entscheidung, die Verhandlungen in Genf zunächst einmal nur unter das Thema der humanitären Behandlung zu stellen, war richtig. Ich scheue mich aber nicht, Vietnam zu verurteilen. Was muß das für ein Land sein, aus dem Menschen über ein Meer fliehen, mit der nur 50 %igen Chance, lebend eine Insel oder ein anderes Land zu erreichen? Ich meine, daß sich dieses Land selbst einen schlechten Dienst erweist, weil alle Welt erkennen kann, daß es Menschen in diesem Land nicht fertigbringen, dort weiter zu leben, sondern lieber ihr Leben aufs Spiel setzen. Eine politische Verurteilung mag wohl das Gewissen beruhigen, es hilft nur in der Sache leider überhaupt nicht weiter. Die Aufforderung an Vietnam in Genf, dafür zu sorgen, daß weniger Flüchtlinge das Land verlassen, kann ja für die Menschen, die das Land verlassen wollen, fatale Folgen haben. Gestern habe ich an einem Gespräch mit dem Botschafter von Vietnam teilgenommen. Er ließ durchblicken - ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken -, daß offenbar diejenigen, die flüchten wollen, mit Bestrafung zu rechnen haben, wie immer das in einem solchen Land aussieht. Wer also davon ausgeht, daß langfristig dieses Problem nicht durch Flucht und Flüchtlingsströme gelöst werden kann, wer weiterhin davon ausgeht, daß die Bitte an Vietnam, diese Flüchtlingsströme abzubrechen, mit verheerenden Folgen für die Betroffenen verbunden ist, muß nach Alternativen fragen. Die Hungersnot in Vietnam und Kambodscha wird möglicherweise zu bisher noch ungeahnten Fluchtbewegungen führen. Dieses zeigte sich schon sehr deutlich bei unserem Besuch im südostasiatischen Raum. Ich halte es deshalb für logisch, wenn wir versuchen, über die Kirchen und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Hilfen im Bereich der Ernährung in diesen Ländern zu leisten. Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß Menschen aus diesen Ländern erst fliehen müssen, um anschließend durch unsere Länder ihre Ernährung sichergestellt zu bekommen. ({8}) Ich möchte deshalb die Bundesregierung in dieser Weise sehr herzlich ermuntern, die Ernährungsprogramme auch im Kambodscha und in Vietnam zu unterstützen, falls wir die Vermutung haben, daß sie wirklich dort ankommen, wo sie ankommen sollen. ({9}) - Nur dann. Darüber brauchen wir nicht lange zu reden. Wir sollten uns übrigens auch nicht scheuen, in diese Länder zu reisen, um uns davon zu überzeugen. Ziel muß es auch sein, Vietnam aus der Einflußzone und der einseitigen Abhängigkeit von der Sowjetunion zu lösen. Ich meine, daß wir sehr aufmerksam beobachten müssen, um die Chance nicht zu verpassen wenn sie sich stellt. Insofern ist es nur allzu logisch, immer von Zeit zu Zeit zu entscheiden, ob man Entwicklungshilfe bereitstellen wird oder nicht. Die Erfahrungen in den letzten 20 Jahren haben doch wirklich gelehrt, daß wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit langfristig gesehen ein hervorragendes Instrument war, solche Entwicklungsländer aus der einseitigen Abhängigkeit zu befreien. Zur Zeit ist dies sicherlich leider nicht aktuell, aber die Chance müssen wir offenhalten. Die Länder Südostasiens sind ihrerseits nicht daran interessiert - das muß man, glaube ich, hier betonen, so bitter es auch ist -, das Flüchten wirtschaftlich attraktiv zu machen, weil sie sagen: Es kann zu einer fatalen Spirale von Hifsmaßnahmen und neuem Flüchtlingsstrom kommen. Dies klingt zwar zynisch, aber es ist nun einmal eine Tatsache. Wenn man bedenkt, daß wir eine Insel in Indonesien besuchen konnten, in der die Preise an den Märkten für Nahrungsmittel auch für die Bewohner dieser Insel in ganz kurzer Zeit um 100 % gestiegen waren, weil die Nachfrage durch die Flüchtlinge erheblich gestiegen war, dann muß man Verständnis dafür haben, daß sich diese Länder heute bereits nicht mehr in der Lage sehen, weitere Flüchtlingsströme aufzunehmen. Wenn man bedenkt, daß wir in Thailand erfahren mußten, daß die Zuteilung von Reis pro Person in den Flüchtlingslagern den Verdienst mancher thailändischer Einwohner übertrifft, dann kann man sich in etwa vorstellen, welcher Sprengstoff hier vorhanden ist. ({10}) - Entschuldigen Sie bitte, Herr Werner, das stimmt nun leider einmal. ({11}) - Ich bin Ihnen sehr dankbar, Prinz zu Sayn-Wittgenstein, daß Sie dieses noch einmal betonen. Es wäre vielleicht besser gewesen, man hätte hier einen reden lassen, der sich im Juli von der Sache überzeugen konnte, nicht jemanden, der sich von der Sache leider nicht persönlich überzeugen konnte. ({12}) Möglicherweise aber hätte man auch insoweit ein bißchen Emotionen verhindern können. Ich möchte das gar nicht vorschlagen, aber darauf hinweisen darf man ja vielleicht. Natürlich ist es wichtig, daß die Länder in Südostasien die Flüchtlinge aufnehmen. Um sie dazu zu befähigen, müssen wir sie ganz intensiv unterstützen. Was mich allerdings an dieser Diskussion ein wenig stört, ist die Tatsache, daß wir im Augenblick nur über die Flüchtlinge aus dem südostasiatischen Raum reden. Ich will mich nicht an der Auseinandersetzung beteiligen, ob wir nun im Augenblick insgesamt 10 Millionen oder 12 Millionen Flüchtlinge weltweit haben; aber eines ist sicher: daß wir uns im Windschatten des Interesses, das sich im Augenblick sehr einseitig auf den südostasiatischen Raum richtet, nicht den Blick für die Not in den anderen Ländern verstellen lassen dürfen. Wir, die wir dort waren, mußten vom Innenminister Malaysias hören: Wir mußten wohl erst diese Schiffe zurück auf das Meer treiben, damit ihr Industrieländer tätig wurdet. Dies wird möglicherweise einmal ein Vorwurf sein, den wir von afrikanischer Seite, von südamerikanischer Seite, aus vielen Bereichen der Welt, in denen es eben Flüchtlingsprobleme gibt, hören werden. Ich meine, dies darf man bei der Gelegenheit nicht unterschätzen. Natürlich ist es so, daß die Flüchtlingsprobleme immer zunächst in der jeweiligen Region gelöst werden sollten, und das geschieht auch überall; aber wir konnten uns in der Tat - Herr Werner, Sie haben darauf hingewiesen - davon überzeugen, daß natürlich Vietnam eine Destabilisierung des südostasiatischen Raumes beabsichtigt. Daran können wir nun weiß Gott nicht interessiert sein. Insofern müssen wir - ob das nun eine gute Lösung ist oder nicht; aber im Augenblick ist es die einzige Lösung - bereit sein, Flüchtlinge aus diesen Ländern auch hier aufzunehmen. In diesem Zusammenhang ist es für mich als Mitglied dieser Koalition außerordentlich bedrückend, daß die sogenannten B-Länder, nämlich die CDU-regierten Länder, bisher bereiter waren, Menschen aus diesem Raum aufzunehmen. Ich finde, dies sollten wir ganz schnell den Landesregierungen mitteilen - das sollte ihnen ja auch langsam aufgefallen sein -, die sich im Augenblick noch zieren, höhere Quoten aufzunehmen. Das sollte an dieser Stelle nicht verheimlicht werden. Die Bundesregierung bemüht sich im Augenblick gerade darum, daß die Länder Kinder und - infolge der jetzigen Einsiedlung hier - Familienangehörige, die nachkommen, nicht auf das Kontingent anrechnen. Wir alle sollten die Bundesregierung bei diesen Bemühungen den Ländern gegenüber unterstützen. ({13}) Nun möchte ich doch noch einmal deutlich machen, daß der Eindruck, der hier entstanden ist, die Bundesregierung habe nichts getan, nicht zutrifft. ({14}) Seit 1975 gibt es das Flüchtlingsproblem; seit 1975 haben wir auch Flüchtlinge aus Vietnam aufgenommen. Meine Damen und Herren! Wenn Herr Albrecht - sicherlich zu einer Zeit, die sehr früh lag - bereit war, eine Reihe von Flüchtlingen in seinem Land aufzunehmen, so darf man dabei ja nicht vergessen, daß dazu eine ganz unglaublich unbürokratische Arbeit der Bundesbehörden, nämlich des Auswärtigen Amtes und der Botschaften in diesen Ländern, erforderlich war. ({15}) Wir konnten uns davon überzeugen, wie unbürokratisch man zu diesen Zeiten von seiten des Auswärtigen Amtes und seiner einzelnen Botschaften reagiert hat; ich möchte dies noch einmal besonders erwähnen. ({16}) Entscheidend ist doch aber, daß die Bundesregierung ihrerseits nicht sagen kann: Wir nehmen 20 000 oder 30 000 Menschen auf. Das liegt gar nicht in ihrer Kompetenz. Sie muß zunächst einmal die Zustimmung der Länder haben, bevor sie Reisepässe in diesen Ländern ausstellen darf. Ich finde, hier sollten wir nun auch die Kompetenzverteilung nicht immer dann auf den Kopf stellen, wenn es uns gerade paßt! ({17}) Insofern sollten wir weiterhin zu erreichen versuchen, daß die Quoten auch im nächsten Jahr erhalten bleiben und unsere Bereitschaft nicht nur einmalig in diesem Jahr vorhanden war. Ich möchte darauf hinweisen, daß es sich erst kurz vor Genf entschieden hat, daß die Bundesregierung überhaupt mit einem Angebot, mindestens 10 000 Flüchtlinge aufzunehmen, nach Genf gehen konnte; dazu brauchte sie ja die Zustimmung der einzelnen Länder. Meine Damen und Herren, es ist noch einmal darauf hingewiesen worden, die Botschaften sollten in die Lage versetzt werden, in den Lagern tätig zu werden. Dies ist geschehen. Ich möchte unterstützen, was Herr Oostergetelo hier gesagt hat. ({18}) - Nein, das ist nicht zu spät. Sie dürfen eines nicht vergessen: Sehr viel früher gab es nur wenige, die willig waren, in unser Land auszureisen; und daher ist es nur allzu logisch, daß man Aufnahmeplätze erst dann zur Verfügung stellt, wenn in der Bundesrepublik die Bereitschaft, Menschen zu übernehmen, tatsächlich stärker vorhanden ist. Dies ist aber geschehen. Ich darf hier sagen, daß unsere Anregung dazu in außerordentlicher Schnelligkeit aufgenommen worden ist. Es wird hier empfohlen, die Bundesregierung möge ihre guten Beziehungen zur UdSSR nutzen, um diese darauf aufmerksam zu machen, daß sie ihren Teil dazu beitragen möge, daß Vietnam seine Politik ändere. Selbstverständlich hat die Bundesregierung ihre guten Beziehungen und die diplomatischen Kanäle, die dafür geeignet sind, genutzt. Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß es ohne unsere Ostpolitik zu diesen guten Beziehungen gar nicht gekommen wäre. Wir danken deshalb der Opposition außerordentlich, daß sie uns Gelegenheit gibt, immer mehr zur Kenntnis zu nehmen, daß sie offenbar das, was sie damals nicht für richtig hielt, jetzt doch als geeignet empfindet, bestimmte Dinge zu vollziehen. ({19}) Herr Genscher ist natürlich nicht nur bereit, sondern auch willens, die UNO-Vollversammlung dazu zu nutzen, dieses Thema anzusprechen. Ich weiß nicht, Herr Werner, woher Sie die Sicherheit nehmen, hier zu sagen, daß er das nicht beabsichtige. Hat er Ihnen das gesagt? Oder stellen Sie das hier nur einfach als Behauptung in den Raum, damit sie von der Öffentlichkeit erst einmal gehört wird? Dadurch wird eine falsche Behauptung nicht wahr. ({20})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Schuchardt, haben Sie etwa überhört, daß ich vorhin gefragt habe, warum die Bundesregierung dazu bisher nicht bereit gewesen sei? Und haben Sie gleichfalls überhört, daß ich sehr wohl darauf hingewiesen habe, daß die Bundesregierung nach meiner Information über das Auswärtige Amt gegenüber der Sowjetunion einen Schritt unternommen hat, aber dort brüsk zurückgewiesen worden ist? ({0})

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Bundesregierung hat verhältnismäßig wenig Möglichkeiten, die Reaktionen ihrer Gesprächspartner insoweit selber zu beeinflussen. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß der Flüchtlingsstrom aus Vietnam nachgelassen hat. Es muß eine ziemliche Böswilligkeit dahinterstecken, wenn man sagt, das Gespräch zwischen der Bundesregierung und der UdSSR habe daran überhaupt keinen Anteil. Ich glaube, ohne diese diplomatischen Kanäle wäre es in Genf wohl kaum zu der Zusage von Vietnam gekommen. Ich darf dazu noch sagen, daß der Außenminister keine Gelegenheit ausgelassen hat, darauf hinzuweisen, daß er beabsichtige, die diplomatischen Kanäle selbstverständlich zu nutzen, um hier einiges zu bewirken. Ich glaube, wir sollten die Bundesregierung ermutigen, dafür zu sorgen, daß erstens das aktuelle Problem der Flüchtlinge gelöst wird und zweitens durch eine geeignete Politik dafür gesorgt wird, daß dieses Flüchtlingsproblem abebbt. Es darf nicht gesagt werden: Es ist uns egal, was mit den Menschen, die nicht geflohen sind, aber fluchtwillig sind, in Vietnam geschieht. Daher werden wir eine Politik betreiben müssen, in der wir sehr vorsichtig eine langfristige Chance nutzen, daß sich die Verhältnisse in Südostasien normalisieren. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und an den Innenausschuß zur Mitberatung vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsber13746 Vizepräsident Frau Renger ger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Dr. von Geldern, Sauter ({0}) und der Fraktion der CDU/CSU Meeresforschung und Meerestechnik - Drucksache 8/3103 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Forschung und Technologie ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hubrig.

Dr. Hans Hubrig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000970, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist noch nicht allzu lange her, da wurde an den Küsten unseres Landes der Ruf laut: Seefahrt tut not! Ich möchte diese Forderung heute für uns erweitern: Seefahrt, Meeresforschung und Meerestechnik tun not! Zwei Drittel der Erdoberfläche sind vom Wasser bedeckt. Die Freiheit der Meere ist gleichbedeutend mit der Freiheit der Forschung. Die Erschließung der Ozeane zur Sicherung von Energie, Rohstoffen und Nahrung für die künftigen Generationen ist gleichbedeutend mit der Erschließung des Weltraums. Ich bin überzeugt, daß alle Parteien dieses Hauses der Auffassung sind, daß der Meeresforschung und der Meerestechnik in unserem Lande und weltweit ein immer größeres Gewicht im Rahmen der Forschungs-, Technologie-, Energie- und Rohstoffpolitik zugemessen werden muß. ({0}) Der äußere Anlaß für unseren Antrag ist der Tatbestand, daß das dritte Gesamtprogramm der Bundesregierung zur Förderung der Meeresforschung und Meerestechnik 1979 ausläuft. Wichtiger für uns war eine weitere Überlegung: Angesichts der Energiekrise und der Rohstoffversorgungsprobleme, mit denen wir im Jahre 1979 in aller Härte konfrontiert wurden, erscheint es uns erforderlich, die Fragen und Probleme der Meeresforschung und Meerestechnik im Parlament und damit in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, daß es sich bei der Fortschreibung des Programms nicht um die Festschreibung der alten Förderungsrichtlinien handeln darf, sondern daß es darauf ankommt, das Programm auf dem Hintergrund der Rohstoff-, Energie- und Umweltprobleme in einen nationalen und internationalen Zusammenhang zu stellen. Bevor ich auf unsere Forderungen im einzelnen zu sprechen komme, möchte ich noch einige Ausführungen zur Situation der Meeresforschung und insbesondere der Meerestechnik in der Bundesrepublik Deutschland machen. Allen Bundesregierungen seit 1967 und allen Parlamenten gebühren Dank und Anerkennung dafür, daß sie die Bedeutung der Meeresforschung und Meerestechnik durch die Verabschiedung von Förderungsprogrammen anerkannt haben. Nachdem bei der Konzeption und dem Vollzug der ersten Förderungsprogramme mancher Umweg und manche Fehlentwicklungen notwendigerweise nicht immer vermieden werden konnten, begann ab 1974 eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Regierung, dem Fachausschuß für Meeresforschung und Meerestechnik beim BMFT und der Industrie. Die Jubiläumsveranstaltung der Wirtschaftsvereinigung industrieller Meerestechnik vor 14 Tagen in Düsseldorf hat diesen Tatbestand dokumentiert. Die deutsche meerestechnische Industrie hat trotz des zeitlichen Vorsprungs und des Vorteils der großen Küstenländer wie Großbritannien, die USA, Japan, Kanada und Italien Spitzentechnologien entwickelt. Das gilt insbesondere. für das Gebiet des Meeresbergbaus, meine Damen und Herren. Hier hat sie sich auf dem internationalen Markt eine führende Stellung erarbeitet. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte ich weitere Bereiche nennen, in denen sich besonders positive Entwicklungen vollzogen haben. Stichwort: Meerwasserentsalzung. Hier sind konkurrenzfähige Anlagen unterer und mittlerer Größenordnungen errichtet worden; eine erste Großanlage wurde 1975 in Oman installiert. Um den entscheidenden Durchbruch zu sichern, möchten wir die Bundesregierung bitten, die Förderung der Entwicklung der Meerwasserentsalzung nicht vorzeitig abzubrechen. Dank der Errichtung der Forschungsplattform Nordsee ist es der Industrie möglich, einzelne technische Entwicklungen einem Dauertest zu unterwerfen. Ein Wort noch zu dem Bereich der Off-shore-Anlagen. Hier hatte und hat die ausländische Konkurrenz einen großen Vorsprung. Aus dieser Konkurrenzsituation heraus hat die deutsche Industrie Zukunftsaufgaben in Angriff genommen, u. a. bei der Explorationstechnik und Produktionstechnik für Wassertiefen von mehr als 200 Metern, für die Erschließung sogenannter marginaler Felder, für die Off-shore-Nutzung von Erdgas sowie die Off-shore-Lagerung, für den Transfer, die Entwicklung und Planung von Off-shore-Kraftwerken und Produktionsstätten für die Herstellung von Methanol, Ammoniak und Harnstoff. Dennoch: Trotz allen Fortschritts ist es bis heute nicht gelungen, eine Offshore-Großanlage im Ausland zu installieren. Wir begrüßen es daher sehr, daß die Bundesregierung nach einer Ankündigung des Bundesministers für Forschung und Technologie bereit ist, im vierten Gesamtprogramm auch eine Risikobeteiligung bei der Erprobung von Prototypen neuer meerestechnischer Systeme und Komponenten vorzusehen. Wir begrüßen diese Absicht; denn ohne diese Unterstützung wird es nicht gelingen, den Protektionismus der Nordseeanrainerstaaten, aber auch der anderen Off-shore-Staaten, z. B. Kanada und USA, zu überwinden. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre zeitweise vornehme Zurückhaltung aufzugeben und mit allem Nachdruck und mit Unterstützung der EG für die Aufhebung dieser protektionistischen Politik einzutreten. Das Bild wäre unrichtig, wenn ich nicht auch einige positive Beispiele für mögliche Lösungen nennen würde: Es sind bilaterale Verträge mit Norwegen und Neuseeland und auf dem Gebiet des Meeresbergbaus die Kooperation deutscher Unternehmen mit der Saudi-Sudanesischen Rotmeerkommission. Diese Beispiele sollten Schule machen. Nun zu unseren Vorstellungen und Wünschen hinsichtlich der Fortschreibung des Programms für Meeresforschung und Meerestechnik. 1. Der Bundesminister für Forschung und Technologie wird aufgefordert, die fachliche Abstimmung und administrative Koordination durch eine bessere Zusammenfassung der Aktivitäten des BMFT auf den Gebieten der Meeresforschung und Meerestechnik sicherzustellen. Wenn wir richtig informiert sind, werden die Meeresforschung und die Meerestechnik in je einer Abteilung bearbeitet. Für die Bereiche Klimaforschung, Umwelt- und Wasserforschung sind drei andere Abteilungen zuständig. Bei dem bekannten Tatbestand der Abschottung der Abteilungen gegeneinander wird unsere Forderung nach einer Gesamtschau ohne eine notwendige fachliche Klammer in einer Abteilung die Probleme nicht lösen können. Wenn es der Bundesregierung ernst ist mit ihrer Absicht, die Meeresforschung und Meerestechnik mit Vorrang zu fördern, müßte umgehend der Referentenposten in der Abteilung Meeresforschung, welcher seit April dieses Jahres verwaist ist, besetzt werden. Aus diesem Grund der Koordinierung wird es auch notwendig sein, die Aktivitäten der Polarforschung einzubeziehen und fachlich wie organisatorisch zu integrieren. 2. Die Standortentscheidung für das Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung. Meine Fraktion hat in mehreren Anfragen die Bundesregierung aufgefordert, diese Entscheidung ohne weitere Verzögerung zu treffen. ({1}) Nach den positiven Voten des Wissenschaftsrates, der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, für innerdeutsche Beziehungen und Wirtschaft für den Standort Kiel fragen wir uns, was die Bundesregierung veranlaßt, diese Entscheidung weiter zu verzögern. ({2}) - Herr Steger, die Rücksicht auf den Bürgerschaftswahltermin in Bremen, meine Damen und Herren - übrigens eine seltene Tugend dieser Bundesregierung -, läßt doch eher die Vermutung zu, daß gegen alle fachlichen und sachlichen Gründe, die für Kiel sprechen, hier im Handstreich das Bundeskabinett am 24. Oktober sich für Bremen entscheiden wird. Es wird von der Bundesregierung ins Feld geführt, daß regionalpolitische Gründe für Bremen sprechen, sprich regionale Ausgewogenheit der Forschungsstandorte. Wenn ich recht informiert bin, haben Bremen und Kiel je eine Universität, Bremen bzw. Bremerhaven das Institut für Meeresforschung und Kiel das Institut für Meereskunde. ({3}) - Ich weiß schon, meine Herren, Bremer Universität - Fragezeichen! Bremen hat das Institut für Meeresforschung und Kiel das Institut für Meereskunde - also eine Pattsituation. Apropos regionale Ausgewogenheit der Forschungsstandorte in der Bundesrepublik! Ich darf Sie, Herr Minister Hauff, daran erinnern, daß die Bundesregierung den Standort Trauen der DFVLR in Niedersachsen ohne Rücksicht auf diesen Gesichtspunkt liquidiert hat. Es bleibt - siehe Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage vom 29. März 1979 - nur der Hinweis auf die Notwendigkeit eines Flughafens. Ich hoffe nicht, daß die Bundesregierung das Fehlen eines Flughafens mit internationaler Anbindung - bei Bremen muß man da übrigens auch ein Fragezeichen machen - zum Entscheidungskriterium für den Standort Bremen macht. Wir fordern noch einmal die Bundesregierung auf, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Eine weitere Verzögerung aus Wahltermingründen ist nicht zu verantworten. ({4}) 3. Im Rahmen der Meeres- und Polarforschung sollten künftig insbesondere die Probleme mit globaler Bedeutung und Auswirkung verstärkt in Angriff genommen werden. Hierzu zählt vor allem die Klimaforschung mit Untersuchungen zur Wechselwirkung der Atmosphäre und Ozeane allgemein sowie die Meere und Pole auf unser Klima und auf den CO2-Kreislauf im besonderen. 4. In diesem Zusammenhang sollten unserer Auffassung nach Technologien zur Verhütung und Bekämpfung der Meeresverschmutzung und der Umweltschäden bei industrieller Aktivität im Meer intensiver gefördert werden. Nach unseren Informationen hat die Bundesregierung eine Studie über die Meeresverschmutzung in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse jetzt vorliegen. Wir fragen die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, welche Konsequenzen sie aus dem Ergebnis dieser Studie zu ziehen gedenkt. 5. Ein besonderes Anliegen ist unsere Forderung nach Berücksichtigung der kleinen und mittleren Unternehmen bei der Förderung von Forschung. und Entwicklung auf den Gebieten der Meeresforschung, insbesondere der Meerestechnik. Nach meinen Informationen sind bereits heute weit mehr als 100 kleine und mittlere Unternehmen, vom Ingenieurbüro bis hin zum Elektronikbetrieb und Maschinenbaubetrieb, in diesem Bereich tätig. Ich weiß, wie schwer diese Forderung in die Tat umzusetzen ist; denn Zukunftstechnologien sind Risikotechnologien. Risikokapitalbildung ist die wichtigste Voraussetzung. Dieses Feld bedarf dringend der Bestellung. ({5}) Die Worte in Ihrer Rede, Herr Minister Hauff, die Sie anläßlich des zehnjährigen Jubiläums der WiM gesprochen haben - ich zitiere -: Ich habe hier festgestellt, daß deutsche Unternehmen - im Gegensatz zu ausländischen - zu wenig Risikobereitschaft zeigen, wirken eher destruktiv, insbesondere dann, wenn Sie gleichzeitig fordern - ich zitiere -: Es kommt darauf an, daß Unternehmen ({6}) ihre Forschungs- und Entwicklungskapazität ausbauen und erhalten. Sie können sich große Verdienste erwerben und zuschreiben, Herr Minister Hauff, wenn Sie durch Ihre Politik ohne Wenn und Aber dafür eintreten, daß die Unternehmen durch die Chance, Risikokapital zu bilden, im nationalen und internationalen Wettbewerb befähigt werden, in diese Zukunftstechnologien zu investieren und zu reüssieren. ({7}) In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu dem Bemühen der deutschen Werftindustrie, durch Diversifikationen in den Bereich der Meerestechnik die eigenen Strukturprobleme zu lösen. Hier sollten Anstöße gegeben werden. Sicher ist, daß diese Diversifikationen bei dem Schwierigkeitsgrad dieser Technologie mit ihren Problemen der Ausbildung bis hin zum Marketing kein Allheilmittel sein werden. Abschließend noch ein paar Bemerkungen zu einem Thema, das alle gemeinsamen Bemühungen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf diesem zukunftsweisenden Gebiet der Meeresforschung und Meerestechnik belastet: Es geht um die Ergebnisse und Folgen der 3. UNO-Seerechtskonferenz. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, daß diese Bundesregierung von Anfang an dieser entscheidenden Frage internationaler Politik nicht den entsprechenden Rang eingeräumt hat und ohne tragfähiges Konzept und ohne Abstimmung mit den Verbündeten in die Verhandlungen gegangen ist. ({8}) Schon heute sind 40 °/o der Meeresoberfläche durch die 200-Meilen-Zonen nationalisiert, . in denen sich mehr als 85 °/o der Schiffahrts- und Offshore-Aktivitäten vollziehen. Damit nicht weitere Einschränkungen der Freiheit der Meere, insbesondere bei der Gewinnung und Verarbeitung mariner Rohstoffe, erfolgen, fordern wir die Bundesregierung auf, eine Kabinettsentscheidung zu treffen und für die entscheidenden Schlußverhandlungen der 3. UNO-Seerechtskonferenz auf höchster Ebene mit den Verbündeten Verhandlungen zu führen und durch eine entsprechende Repräsentanz durch den Bundesaußenminister oder seinen Staatssekretär bei der nächsten Session der Bedeutung dieser Herausforderung gerecht zu werden. ({9}) Eine weitere Aufforderung möchte ich an uns richten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Fraktionen sollten umgehend in den Ausschüssen den interfraktionellen Entwurf eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus - Drucksache 8/2363 - beraten. Wir müssen unseren Beitrag leisten, damit nicht andere nationale Gesetzgebungen wie in den USA unsere Chancen weiter einengen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion bittet, ihren Antrag zur Meeresforschung und Meerestechnik den zuständigen Ausschüssen zu überweisen. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grunenberg.

Horst Grunenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000743, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß die Opposition die Wichtigkeit des Themas so sieht wie wir. Meeresforschung und Meerestechnik sind in der Tat von der Größe und vom Risiko, aber auch von ihrem Nutzen her den großen Vorhaben der Energie- und Weltraumtechnik oder der Datenverarbeitung vergleichbar. Es war die von der sozialliberalen Koalition getragene Bundesregierung, die neben der Meeresforschung seit 1972 auch die Meerestechnik zu einem Schwerpunkt ihrer Förderungspolitik gemacht hat. Der Bund hat in den letzten zehn Jahren in drei Gesamtprogrammen und im Zusatzprogramm von 1978 in Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und den Küstenländern erhebliche Anstrengungen unternommen, sowohl Grundlagen- als auch angewandte Forschung auf diesem Gebiet mit dem Ziel zu fördern, sowohl den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verbreitern und zu vertiefen als auch Ressourcen zu schonen und natürliche Lebensvoraussetzungen zu erhalten sowie - was wichtig ist - die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu erhalten, auszubauen und strukturell zu verbessern. Schon jetzt sind auf Grund der Programme eine Reihe von Erfolgen zu verzeichnen. Ich verweise z. B. auf die Untersuchung der Abbaumöglichkeiten von Erzschlämmen im Roten Meer in 2 000 m Wassertiefe einschließlich der Auswirkungen auf die marine Umwelt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig? - Bitte.

Dr. Hans Hubrig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000970, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Grunenberg, ich störe Sie ungern, möchte Sie aber fragen: Ist Ihnen bekannt - eigentlich müßte das der Fall sein -, daß die Regierung der Großen Koalition mit Forschungsminister Stoltenberg das erste Programm zur Meeresforschung und Meerestechnik verabschiedet hat?

Horst Grunenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000743, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Hubrig, das geht auf Kosten meiner Redezeit; darauf mache ich aufmerksam. - Natürlich ist mir das bekannt. Nur geschah das nicht in dem Maße, wie es notwendig gewesen wäre. Dies war damals noch reichlich provinziell. Ich verweise weiter auf die Beispiele der Entwicklung von technischen Systemen zur Förderung von Manganknollen vom Tiefseeboden aus 5 000 m Wassertiefe, auf die Erforschung der größten Eiweißreserve der Welt, die bekannten Krill-Expeditionen im Südpolarmeer, auf die Fischereiforschungsexpeditionen im Atlantik, im Pazifik und bald auch im Indischen Ozean, auf die vielseitigen Möglichkeiten, die durch die Forschungsplattform Nordsee gegeben sind, z. B. auch auf die auf dieser Plattform laufenden Versuche zur Gewinnung von Uran aus dem Meerwasser. Diese und andere Erfolge der deutschen Meeresforschung und Meerestechnik sind auch Erfolge der von uns vertretenen Politik der direkten Forschungs- und Entwicklungsförderung. Herr Hubrig, ich frage mich, wie diese Projekte durch die von der Opposition geforderte indirekte Forschungsförderung - Sie haben das ja eben angesprochen - hätten verwirklicht werden sollen. ({0}) Die Einbeziehung der Meerestechnik in die staatliche Förderung hat unserer meerestechnischen Industrie wichtige Impulse vermittelt und in manchen Bereichen Zukunftsentwicklungen eingeleitet. Obwohl die Zugangsbedingungen auf dem Weltmarkt und das Fehlen eines größeren deutschen Marktes die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten erschweren, sind die Umsatzerfolge der meerestechnischen Industrie mit jährlich etwa 3 Milliarden DM schon ganz beachtlich, woran gerade auch eine erhebliche Zahl kleiner und mittlerer Betriebe - bis weit ins Binnenland hinein - beteiligt ist. Bei Projekten der Meerwasserentsalzung und der Off-shore-Bohrtechnik bedauern wir ebenfalls das mangelhafte Engagement der Wirtschaft. Die Entwicklung der weltweit begonnenen Erschließung mariner Ressourcen eröffnet gute Marktchancen. Wer diese Chancen nutzen will, darf sich aber nicht nur auf staatliche Förderung verlassen, sondern muß auch bereit sein, sich mit innovativer Phantasie und unternehmerischer Risikobereitschaft an Forschung und Entwicklung zu beteiligen, um aus eigener Kraft mehr Erfolge auf den Märkten zu erringen. Von ihrem Leistungsstand und ihren Kapazitäten her ist unsere meerestechnische Industrie dazu durchaus in der Lage. Die Forderungen der Opposition, die Förderung von Meeresforschung und Meerestechnik in einem fortgeschriebenen Programm zur Stärkung der indirekten Förderung auf eine andere Grundlage zu stellen und die „administrative Koordination" zu einem Mittelpunkt des Programms zu machen, gehen an den notwendigen sachlichen Zielen und Anforderungen eines solchen Programms vorbei. Inhaltlich darf es bei einem neuen Gesamtprogramm „Meeresforschung und Meerestechnik", das die Bundesregierung rechtzeitig vorlegen wird, nicht nur, wie die Opposition betont, um die anwendungsorientierte Forschung gehen. Vielmehr müssen die Aktivitäten der Grundlagenforschung auch weiter gefördert und ausgebaut werden. Der Antrag der Opposition greift zu kurz, wenn er diesen Bereich nicht genügend berücksichtigt. ({1}) Meeresforschung und Meerestechnik sind in besonderem Maße von der internationalen Rechtsentwicklung abhängig und betroffen. Die Verhandlungen der 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen werden, so umstritten einzelne wichtige Bereiche zur Zeit auch noch sein mögen, in absehbarer Zeit zu einer völligen Neuordnung des Meeresvölkerrechts führen. ({2}) Die Verzonung der Meere - eventuell bis an den Rand des Festlandsockels - wird riesige Aquatorien unter weitgehender nationaler Jurisdiktion der Küstenländer schaffen. ({3}) Die Nutzung der Ressourcen der Tiefsee wird durch die Völkergemeinschaft zukünftig stark kontrolliert werden. ({4}) Diese von uns nicht mehr aufzuhaltende, aber mitzugestaltende Entwicklung erfordert erhebliches Umdenken. Das fällt Ihnen wahrscheinlich manchmal ein bißchen schwer. Hier hilft es nichts, wie es die Opposition macht, Hugo Grotius und den zu Beginn des kolonialen Zeitalters entwickelten Meeresfreiheiten nachzutrauern. So einschneidend und schmerzlich diese Entwicklung sein mag, so bietet sie auch eine neue Chance und Impulse für staatliche, wissenschaftliche und wirtschaftliche Kooperation. Wir sehen in einer Neugestaltung des Meeresvölkerrechts auch einen Beitrag zur internationalen Friedenssicherung und die Grundlage für bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit, sei es in internationalen Forschungsprogrammen, in Industriekonsortien oder Staaten mit gleichen Interessen. Die Beteiligung an internationalen Forschungsprogrammen soll in verstärktem Maße Schwerpunkt unserer Forschungspolitik sein, nämlich hier insbesondere die internationale Phase des Tiefseebohrprojekts, die nach- Aussage namhafter Wissenschaftler für die deutsche Geowissenschaft erst den geistigen Sprung aus der Provinzialität in die Dimension der globalen Erforschung oder - wie Kennedy diesen Raum bezeichnete - des „Inner Space" bewirkt hat. Wir müssen uns aber auch darauf vorbereiten, mit Küstenstaaten, vor allem der Dritten Welt, bei der Erforschung und Erschließung der marinen Wirtschaftszonen zusammenzuarbeiten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß zukünftig die personellen wie technischen Kapazitäten wissenschaftlicher Einrichtungen der Bundesrepublik ausreichen. Ich rechne nämlich mit eine lebhaften Nachfrage nach deutscher Unterstützung. Die Opposition fordert, daß im Gesamtprogramm Meeresforschung künftig auch die Aktivitäten der Polarforschung fachlich wie organisatorisch zu integrieren sind. Gerade aus fachlicher Sicht ist diese Forderung unsinnig. Die Opposition übersieht, daß die Antarktis ein riesiger Kontinent ist, wo im Rahmen des geplanten Antarktisprogramms der Bundesregierung auch geowissenschaftliche Untersuchungen in großem Maße und Umfange durchgeführt werden müssen. ({5}) Gerade die klimatische Eigenart der Polargebiete verlangt, daß ihre Erforschung nicht in das neue Gesamtprogramm Meeresforschung integriert, sondern mit ihm wie mit unterschiedlichsten anderen Programmen verzahnt wird. ({6}) - Ich weiß nicht, ob Astronomie mit Meeresforschung zu tun hat - um nur mal ein Beispiel zu sagen -, Herr Kollege. Übrigens - dies muß auch einmal gesagt werden -: der Beitritt der Bundesrepublik zum Antarktisvertrag wurde weder aus dem wirtschaftlichen noch aus dem wissenschaftlichen Bereich gefordert. Die Anregung hierzu kam aus der SPD-Fraktion schon in der 7. Legislaturperiode. Das können Sie nachlesen. ({7}) Zu den wichtigsten Aktivitäten bei der Erfüllung des Antarktisvertrages wird neben der Errichtung einer deutschen Forschungsstation in der Antarktis, dem Bau eines Polarforschungs- und -versorgungsschiffes, umfangreichen Expeditionen und Forschungsarbeiten auch die Gründung eines Polarforschungsinstituts der Bundesrepublik gehören. Das Institut soll die wissenschaftlichen Aktivitäten, verstreut über die ganze Bundesrepublik, koordinieren, unterstützen und vor allem auch die deutsche Antarktisstation betreuen. ({8}) - Der optimale Standort für das Institut ist von verschiedenen Seiten begutachtet und erörtert worden, wobei unterschiedliche Gesichtspunkte gewählt wurden. Die Standortentscheidung darf jedoch nicht nur einseitig nach wissenschaftlichen oder wissenschaftspolitischen Kriterien gefällt werden. ({9}) Wenn man das so betrachtet, ist Kiel genausogut wie München, Münster, Bonn, Göttingen oder Hannover. Ich könnte noch andere nennen. ({10}) Man muß ebenso den Gesichtspunkt der regionalen Ausgewogenheit, die günstige Verkehrslage im Hinblick auf andere Polarforschungseinrichtungen, die zu erwartende Ausstrahlung auf bestehende wissenschaftliche Einrichtungen und die regionale Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Bundesregierung befindet sich bereits im Entscheidungsverfahren und wird dieses, wie auch die Opposition weiß, noch in diesem Jahr abschließen. Dieses Institut wird, soweit ich es weiß, seine Arbeit am 1. Januar 1980 aufnehmen. Das Drängen der Opposition ist damit auch an dieser wie an anderen Stellen völlig überflüssig und bringt nicht einmal den Schaueffekt, den sie sich davon verspricht. ({11}) - Herr Kollege, ich bin im Bereich Meeresforschung, Meerestechnik, Polarforschung persönlich sehr engagiert. Deshalb kann ich hier einiges deutlich sagen. Leider reicht mir die Zeit nicht, um das weiter auszuführen. Ich habe an einigen zentralen Punkten des Antrages der Opposition versucht aufzuzeigen, daß sie entweder Selbstverständliches verlangt oder falsche Forderungen aufstellt. Wir werden im Ausschuß noch speziell auf die einzelnen Fragen eingehen; aber es läßt sich jetzt schon erkennen, daß die Opposition dabei nicht gut aussehen wird; ({12}) denn ein Konzept, das neue, zukunftsweisende Elemente für die Fortschreibung des Programms Meeresforschung und Meerestechnik enthält, ist in Ihrem Antrag leider nicht zu finden. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme mit meinen beiden Vorrednern sicherlich darin überein, daß Meerestechnik, Meeresforschung und die Förderung der Meerestechnik nicht nur für unsere Volkswirtschaft, sondern auch für die zukünftige Rohstoffsicherung und für die Sicherung der Ernährung wichtig sind. Ich meine - das sollte man besonders betonen und herausstellen -, daß wir mit der Förderung der Meerestechnik und der Förderung der Meeresforschung auch eine wichtige Verpflichtung gegenüber den Entwicklungsländern erfüllen; denn nur dort - so können wir feststellen - werden in Zukunft in zunehmendem Maße die Ergebnisse und Erkenntnisse aus dieser Forschung und die daraus abgeleiteten Techniken in größerem Umfang einsetzbar sein. . Ich stelle nun mit Befriedigung fest, daß die Opposition die Bundesregierung bezüglich ihrer bisherigen Förderungspolitik lobt und auch ihre Bemühungen auf diesem Gebiet nachdrücklich unterstützt. Sie fordert in ihrem Antrag zur MeeresforDr.-Ing. Laermann schung eine wirkungsvolle staatliche Förderung dieser Meeresforschung und Meerestechnik. Ich meine, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet - Sie, Herr Kollege Hubrig, haben auf die Veranstaltungen der Wirtschaftsvereinigung Meerestechnik, Meeresforschung vor 14 Tagen hingewiesen -eine gute Bilanz aufweisen kann. Nach Ihrem Antrag soll die Bundesregierung u. a. in Abstimmung mit den Bundesländern ein neues mittelfristiges Gesamtprogramm für den Zeitraum 1980 bis 1984 erarbeiten und dem Deutschen Bundestag vorlegen. Ich glaube, hier fordern Sie etwas, was die Bundesregierung bereits vollzogen hat. Sie wird dieses Programm vorlegen, und wir wissen auch bereits, daß dieses vierte Programm bis 1983 ein Volumen von etwa 600 Millionen DM haben wird. Ich meine, es muß auch anerkannt werden - das sollte ausdrücklich erwähnt werden -, daß wir allein im Bereich der Meerestechnik für das Haushaltsjahr 1980 einen Zuwachs von 40 Millionen DM haben werden, so daß das Gesamtvolumen etwas mehr als 170 Millionen DM beträgt. Ich glaube, das ist eine beachtliche Bilanz, und ich freue mich, feststellen zu können, daß auch Sie das positiv sehen. Die Bundesregierung ist darüber hinaus bemüht, die Errichtung eines deutschen Polarforschungsinstituts möglichst rasch zu verwirklichen. Ich möchte hier gar nicht in Detaildiskussionen eintreten, warum eine endgültige Entscheidung noch nicht gefallen ist. Die vielfältigen Aktivitäten in unserem Land machen eine sorgfältige Überlegung erforderlich. Es muß sichergestellt werden, daß die vielfältigen Aktivitäten vernünftig zusammengeführt werden, damit wir hier zu einer Kooperation kommen. ({0}) - Ich sagte soeben schon: Es geht nicht darum, jetzt hier im Detail die Entscheidungsvorbereitungen zu analysieren, sondern es kommt im wesentlichen auf ein vernünftiges Endergebnis an. Wir werden nach den Ankündigungen sicher sein können, daß ({1}) ab 1. Januar das Polarforschungsinstitut steht. ({2}) Ich gehe davon aus, daß dieses Institut über viele Jahrzehnte hin seine Arbeit strukturieren muß und viele Jahrzehnte arbeiten wird, so daß es nicht darauf ankommt, ob die endgültige Entscheidung über den zentralen Standort innerhalb eines halben Jahres fällt. Dieses halbe Jahr ist nicht entscheidend. Wir brauchen auch nicht zu befürchten, daß die entsprechenden Kapazitäten und Aktivitäten dadurch beeinträchtigt würden. ({3}) - Dies ist eine Entscheidung, die die Bundesregierung in Abstimmung mit den wissenschaftlichen Instituten und auf Grund der Überlegungen des Wissenschaftsrats treffen wird. ({4}) Dieses Institut soll - das ist bekannt - die Betreuung der deutschen Antarktisstation übernehmen. Die Ausschreibungen für den Bau dieser Station sowie für das benötigte Versorgungsschiff sind ja bereits abgeschlossen. Ebenfalls fertiggestellt ist das Programm zur Förderung der Polarforschung. Der hohe Leistungsstandard der deutschen meerestechnischen Industrie dürfte diesem Industriezweig gute Marktchancen für die 80er Jahre einräumen. Ich möchte hier erwähnen, daß diese Industrie ausdrücklich betont hat, daß die bisherige Zusammenarbeit mit der Bundesregierung gut und zufriedenstellend gewesen ist. Das wollen wir auch hier einmal deutlich und nachdrücklich feststellen. ({5}) - Es ist ja nicht schädlich, Herr Kollege Hubrig, eine Tatsache noch einmal darzustellen. Im übrigen spreche ich hier für die Freien Demokraten. Sie haben, glaube ich, für die Opposition, die CDU/CSU, gesprochen. ({6}) - Das sollte man auch einmal anerkennen. Ich bedanke mich. Wir wollen auch nicht verkennen, daß es auf diesem Gebiet Schwierigkeiten gibt, vor allem aus einem, fehlenden Binnenmarkt. Die geographische Situation unseres Landes ist dafür Ausdruck genug. Ich brauche das nicht weiter auszuführen. Schwierigkeiten ergeben sich aber auch aus Marktverzerrungen sowie nur schwer vorhersehbaren Preisentwicklungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten. Auch die Auswirkungen protektionistischen Verhaltens einiger Partnerländer sollten hier deutlich angesprochen werden. Ich glaube, sicher aussagen zu können, daß die Bundesregierung, Herr Kollege Hubrig, sich seit langem nachdrücklich darum bemüht, gerade die negativen Auswirkungen eines solchen Protektionismus zu überwinden. Aber wir haben es hier mit Partnerstaaten innerhalb der EG zu tun. Die Fairneß und der Umgang mit den Partnern gebieten es, daß man hier mit aller Behutsamkeit, aber mit Nachdruck die Bemühungen zur Auflösung solcher protektionistischer Bestrebungen weiter verfolgt. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich - und die möchte ich hier ganz besonders erwähnen - aus dem Fehlen des Nachweises der Funktionstüchtigkeit bestimmter Systementwicklungen. Denn wir müssen feststellen: Auf dem Reißbrett entwickelte Dinge lassen sich in diesem Bereich halt schlecht verkaufen. Notwendig ist die Förderung von Referenz- und Demonstrationsanlagen. Dies ist vorgesehen. Die Bundesregierung hat dies angekündigt. Wir sollen dieses Vorhaben mit Nachdruck unterstützen. Denn es wird hier auf eine internationale Kooperation hinauslaufen. Auch hier sage ich: Wir müssen uns die Partner dort suchen, wo zu erwarten ist, daß solche Anlagen, Off-Shore-Anlagen, aber vor allem auch Anlagen im Bereich der Meerwasserentsalzung, gebaut werden. Kein Mensch wird davon ausgehen, daß wir in unserem Land in größerem Maß Meerwasserentsalzungsanlagen bauen werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, mit jenen Ländern, in denen so etwas ansteht, zu einer engeren Kooperation zu kommen. Wir sind hier auf gutem Weg. Wir müssen diese Entwicklung fortsetzen. Diese Entwicklung soll weiter gefördert werden. Deswegen wird die Bundesregierung in dem 4. Programm das hohe Risiko für die Industrie gerade in diesem Bereich der Meerestechnik, im Bereich der Off-Shore-Technik, aber auch im Bereich des Tiefseebergbaues abfedern und abpuffern. Die Förderungsmaßnahmen werden demzufolge von Zuschüssen zu Forschungsvorhaben bis zu Risikobeteiligungsverträgen mit dem Erproben neuer meerestechnischer Systeme reichen. Herr Kollege Hubrig, Sie haben davon gesprochen, daß in stärkerem Umfange auch kleinere und mittlere Unternehmen in diese Forschungsförderung einbezogen werden müssen. Dies ist sicherlich richtig. Sie wissen aber - darauf ist auf der eben bereits erwähnten Veranstaltung der „Meerestechnik" hingewiesen worden -, welch große Zahl von kleinen und mittleren Unternehmen an diesen Entwicklungen beteiligt ist. Ich möchte Ihnen eigentlich widersprechen, daß alle Aktivitäten, die in irgendeinem Zusammenhang mit Meerestechnik und Meeresforschung stehen, auch organisatorisch zusammengefaßt werden müßten. Sie haben gefordert, die Polarforschung müsse integriert werden, die Klimaforschung, die Anstrengungen zur Verhütung von Meeresverschmutzung müßten zusammengefaßt werden. Ich meine, dann könnten Sie auch das Stahlprogramm, das Werftprogramm, das Rohstoffprogramm zusammenfassen. Sie könnten eine ganze Reihe von Bereichen organisatorisch in einem Programm zusammenfassen, selbst Teile des Raumfahrtprogramms, wenn Sie Forderungen zur Klimaforschung stellen. ({7}) Wir können davon ausgehen, daß Ansätze und Entwicklungen aus vielen Bereichen wieder rückgeführt werden in die Meerestechnik und dort genutzt werden. Von daher haben wir sicherlich eine breite Skala von Möglichkeiten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hubrig?

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber ja.

Dr. Hans Hubrig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000970, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Laermann, darf ich fragen, ob Sie mich wirklich mißverstanden haben oder ob das nur ein Irrtum Ihrerseits ist. Ich habe nicht gefordert, sämtliche Aktivitäten sollten zusammengefaßt werden. Wir haben gefordert, daß im BMFT die entsprechenden Abteilungen, die mit Meeresforschung, Meerestechnik, Wasserforschung, Umwelt befaßt sind, koordiniert werden und möglichst in einer Abteilung ihre Spitze finden. Das war unser Petitum.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich glaube, ich habe Sie da nicht falsch verstanden, Herr Kollege Hubrig. Sie haben bessere fachliche Abstimmung, bessere Koordinierung und Zusammenfassung in einem Referat gefordert. Sie haben auch die Meerestechnik, die Klimaforschung und die Wasserforschung genannt. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß Sie mit der gleichen Berechtigung fordern könnten, auch andere Bereiche zusammenzuführen. ({0}) Jeder dieser Bereiche ist wichtig, hat auch Ausstrahlungen und Auswirkungen auf andere Bereiche. Wir müssen es aber wohl der Bundesregierung oder dem Forschungsministerium überlassen, wie die Arbeit strukturiert wird. Dies ist nicht unser Problem. Wir sollten uns hier mit dem grundsätzlichen politischen Anliegen auseinandersetzen. Das übrige ist wohl dann bei der Administration in guten Händen. ({1}) - In gewisser Weise ja, nämlich immer dann, wenn ich den Eindruck habe, daß sie das besser kann als wir, Herr Kollege Pfeffermann. ({2}) - Das geschieht, aber auf sachlichere Art und Weise, als Sie das manchmal vorhaben und zu politisch-demagogischen Zwecken hier vortragen. Lassen Sie mich noch einige abschließende Bemerkungen zum Problem des Seerechts und der internationalen Seerechtskonferenz machen. Es ist unbestreitbar, daß wir technische Entwicklungen auf diesem Gebiet nicht einsetzen und kommerziell nutzen können, wenn wir nicht zu abschließenden und tragbaren Regelungen kommen. Nun werden aus Ihren Reihen immer wieder Vorwürfe erhoben. Ich möchte ganz kurz auf zwei wesentliche Punkte eingehen. Die 200-SeemeilenWirtschaftszone ist nun einmal keine Erfindung der 3. Seerechtskonferenz. Die Einrichtung dieser Zonen durch die Küstenstaaten hat vor und außerDr.-Ing. Laermann halb der Konferenz stattgefunden. Sie geht letztlich auf die Truman-Proklamation der Vereinigten Staaten vom September 1944 zurück, eine Fischereizone und eine Zone im Bereich dés Festlandsockels zu errichten. Ich möchte also wissen, in welcher Weise die Bundesregierung auf diese Entwicklung eigentlich noch dergestalt Einfluß haben kann, daß das, was hier vollzogen ist, wieder aufgelöst wird. Ich möchte auch feststellen, daß der Bundesregierung keine eklatante Fehleinschätzung der Bedeutung der Seerechtskonferenz vorzuwerfen ist. ({3}) Sie hat die deutsche Delegation mit einem von der Regierung erarbeiteten und im Kabinett verabschiedeten Verhandlungsauftrag in die Konferenz entsandt. Herr Kollege Hubrig, genau das, was Sie fordern, ist geschehen. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß die Partnerstaaten in der EG, aber auch die übrigen Partner im westlichen Bereich auf dieser Seerechtskonferenz durchaus unterschiedliche Interessen verfolgen. Es dürfte unbestreitbar sein, daß die Bundesregierung, wie schwierig die Situation auch immer sein mag, nicht in der Lage sein wird, sich jetzt gegen sämtliche Partner innerhalb der EG oder auch innerhalb des westlichen Lagers im Alleingang durchzusetzen. Ich glaube, wir müssen die Entwicklung realistischer einschätzen. Das, was sich dort bisher entwickelt hat, ist für uns gewiß unbefriedigend. Es gibt Bemühungen, festzustellen, ob Verbesserungen noch erzielt werden können. Manche sagen ja sehr provozierend, keine Regelung zu haben, sei besser als die jetzt vorgesehene. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob wir in jedem Falle - auch wenn nichts geschieht - am Ende doch die Benachteiligten sein werden. Von daher meine ich, daß es notwendig ist, gerade auf diesem Gebiet zu mehr internationaler Kooperation zu kommen. ({4}) Die Herstellung einer solchen Kooperation mit Ländern der Dritten Welt dürfte ein erster und wichtiger Schritt auf diesem Gebiet sein. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß für Forschung und Technologie - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend - zu überweisen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Lenzer, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Pfeffermann, Frau Dr. Walz, Sauter ({0}), Dr. Laufs und der Fraktion der CDU/CSU Grundlagenforschung in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 8/3140 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Forschung und Technologie ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Riesenhuber.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über alle Parteien hinweg besteht Einigkeit in einem Punkt: Die Zukunft unseres Landes wird davon abhängen, ob es uns gelingt, Wohlstand auf wissenschaftliche Leistung, auf Forschung und auf Innovation zu gründen. Dieser Notwendigkeit, in der wir übereinstimmen, entspricht die tatsächliche Lage nicht. In den letzten Jahren stagniert die Forschungsleistung in Deutschland. Sie stagniert in der Wirtschaft. Die Zahlen des Stifterverbandes weisen aus, daß seit 1970 in der Wirtschaft praktisch keine neuen Stellen in der Forschung geschaffen worden sind. Gleichzeitig nimmt der Anteil der defensiven Forschung ständig zu. Die Aufwendungen für Umweltschutz, für Verträglichkeitsprüfungen steigen ständig. Sie sind notwendig und steigern die Qualität unserer Produkte. Aber der Anteil kreativer Forschung nimmt ab. Der Einsatz in der Grundlagenforschung stagniert. Der Anteil der Grundlagenforschung am Haushalt des Forschungsministers ist in den letzten Jahren ständig gesunken, und zwar von 30,5 °/o im Jahre 1975 auf 26,7 % im Jahre 1979. Die Fortschreibung bis zum Jahre 1982 sieht eine weitere Minderung auf 24,4 % vor. Die umfassende Vielfalt der Grundlagenforschung, über die wir heute im besonderen diskutieren, wird im wesentlichen von der Max-Planck-Gesellschaft, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie von den Großforschungseinrichtungen getragen. In der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist die Ablehnungsquote der Anträge von 11,7 °/o im Jahre 1966 auf 34 % im Jahre 1978 gestiegen. ({0}) - Wir sind ganz entschieden der Ansicht, Herr Steger, daß Ablehnungsquoten sein müssen - dies ist eine Auswahl -, wir sind aber ebenso der Ansicht, daß eine zu hohe Ablehnungsquote das Risiko hervorruft, daß gerade die riskanten und zukunftweisenden Projekte, bei denen auch einmal der „große Wurf" gelingen kann, durch das Netz hindurchfallen. ({1}) Die Max-Planck-Gesellschaft hat seit 1972 bei einem Bestand von über 6 500 Stellen insgesamt nur neun neue Stellen erhalten, abgesehen von den Max-Planck-Instituten für Kohleforschung, Eisen13754 forschung und Plasmaphysik, die rechtlich selbständig sind. Bei der Max-Planck-Gesellschaft arbeiten seit Jahren Projektgruppen mit ungewisser Zukunft, die die Gründung eines Instituts rechtfertigen würden. Andere Projektgruppen werden seit Jahren erwogen und nicht gegründet. Die MaxPlanck-Gesellschaft hat trotzdem neue Gebiete aufgreifen können, indem bestehende Institute umstrukturiert, geschlossen oder eingeschränkt worden sind. Ich möchte festhalten, daß wir diese Einschränkung von bestehenden Instituten - bis zur Schließung - für einen vernünftigen und logischen Schritt im Prozeß eines Forschungsunternehmens ansehen. Wenn aber trotz dieser Schließung nicht mehr die Möglichkeit besteht, in dem Maße neue Gebiete aufzugreifen, in dem es die Wissenschaft selbst für notwendig hält, dann heben wir eine bedrohliche Situation. Ich möchte hier nicht auf die zahlreichen Zitate eingehen, die man von Professor Lüst aus den vergangenen Jahren, von der Tagung der Nobelpreisträger in Lindau und schließlich von Professor Lämmert, dem alten Rektor der Freien Universität Berlin, einem unverdächtigen Zeugen, vortragen könnte. Sie alle laufen darauf hinaus, daß diese Entwicklung der Grundlagenforschung beängstigend ist. Im Bereich der Grundlagenforschung ist das Urteil über die Bedeutung von Fachgebieten und über den Wert einer Arbeit nur aus der Auseinandersetzung in der Wissenschaft selbst heraus zu erarbeiten. Es gibt hier keine vorrangig verbindlichen Kriterien von gesellschaftlicher Relevanz oder ökonomischer Bedeutung. Deshalb war der Bundeskanzler nicht gut beraten, als er vor der Max-PlanckGesellschaft erklärte - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -: Es .verletzt keineswegs die Wissenschaftlichkeit der Forschung, wenn der Staat sich in einem gewissen Umfang auch für Themenstellungen interessiert. Dieses Interesse wird auch durch die Tatsache legitimiert, daß die Steuerzahler in Bund und Ländern die Grundlagenforschung finanzieren. Der Staat muß die Ausgaben ständig rechtfertigen gegenüber den Notwendigkeiten und Bedürfnissen in anderen Aufgabenbereichen. Niemand soll sich über die Wirkung eines solchen Kanzlerworts täuschen. Es verordnet eine Forschungspolitik des möglichst geringen Risikos, der kleinen Schritte; eine Forschungspolitik des populären und verständlichen Mittelmaßes. Das ist vielleicht nicht die Absicht, aber bestimmt die Wirkung dieser Maxime. Die Forderung nach gesellschaftlicher Relevanz ist letzten Endes nichts anderes als eine schamhafte Verbrämung einer Forderung nach politischer Dienstbarkeit und Verwertbarkeit. ({2}) Hier sind wir entschieden anderer Ansicht. Die Förderung der Grundlagenforschung durch die öffentliche Hand rechtfertigt sich aus der notwendigen Freiheit der Grundlagenforschung, und nur daher, aus ihrer notwendigen Unabhängigkeit von absehbaren Interessen. Herr Stockleben, wenn Sie den Begriff der Elite ironisierend in die Debatte einbringen, werden wir uns gleich darüber zu unterhalten haben. Ohne Elite ist eine gesunde Forschung überhaupt nicht denkbar. ({3}) Nur aus dieser Unabhängigkeit der Grundlagenforschung heraus können Sachgebiete erschlossen werden, die ein neues Verständnis für Mensch und Gesellschaft überhaupt ermöglichen, die ein vertiefstes Verständnis der Natur bewirken. Erst in der nächsten Phase kann aus dieser Grundlagenforschung eine angewandte Diskussion entstehen, die sinnvoll ist, über Staat und Gesellschaft, über Innovationen in der Technik, in der Energieverwertung, in der Rohstoffverwertung, in der Kommunikation. Grundlagenforschung selbst hat vorgängig unabhängig und frei zu sein. Die Bundesregierung hat in den letzten zehn Jahren konsequent den Einfluß des Staates auf den In- halt der Forschung verstärkt. ({4}) - Daß Sie da klatschen, Herr Steger, zeigt nichts anderes, als daß wir in diesem Problem und seinen Grunderkenntnissen meilenweit auseinander sind. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, gestatten Sie gleich eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Steger?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. Ulrich Steger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002227, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Riesenhuber, ist Ihnen nicht mittlerweile klar geworden, daß auch die Grundlagenforschung nicht mehr in Einsamkeit und Freiheit eines einzelnen Forschers stattfindet, sondern sie big science geworden ist und demzufolge eine entsprechende politische Verantwortung mitzutragen hat?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin der Ansicht, daß jeder Forscher - wie jeder Bürger - eine erhebliche Verantwortung für unseren Staat und unsere Gesellschaft zu tragen hat. Ich bin aber nicht der Ansicht, daß es Aufgabe des Staates ist, durch Auswahl und Vorschreiben der Projekte ihm diese Verantwortung abzunehmen. Dies wäre genau gegen Ihren eigenen Grundansatz. ({0}) Die Bundesregierung hat in allen ihren Forschungshaushalten als großen Wachstumsbereich nichts anderes als die Projektförderung selbst. Dies gilt auch für die Großforschungseinrichtungen, die ursprünglich für die Grundlagenforschung in ihrem umfassenden Sinn gegründet worden sind. Dem Rückgang der Anteile der Grundlagenforschung am Gesamthaushalt des Forschungsministers entspricht auf der anderen Seite die Zurückdrängung der indirekten Forschungsförderung in der Wirtschaft. ({1}) Noch stärker als seine Vorgänger setzt Minister Hauff die staatliche Forschung bewußt als Lenkungsinstrument ein. Die Investitionen sind in seinem Haushalt ständig gestiegen. Damit ist - ich nehmen mit Interesse zur Kenntnis, Herr Steger, daß Sie es begrüßen - das Gewicht der Bürokratie gewachsen, und zwar auf Kosten einerseits der möglichen Entscheidung des Marktes, andererseits auf Kosten einer rationalen Diskussion in der Wissenschaft, die selbst ihre eigenen Urteile über die Ergebnisse ihrer Arbeit erarbeiten will. Wenn Sie dies für richtig halten, dann machen Sie konsequente Politik; wenn Sie das für falsch halten, sind Sie auf einem Irrweg. Wir halten es für falsch. ({2}) Meine Damen und Herren, Spitzenleistungen, wie sie in den 20er Jahren die unbestrittene Weltgeltung der deutschen Wissenschaft ausgemacht haben, sind selten geworden. Wir kennen natürlich die Schwierigkeit eines internationalen Vergleichs. Die Lizenzbilanz der Patente ist nicht leicht zu bereinigen. Die Zitierhäufigkeit in Fachschriften ist begrenzt aussagefähig. Wenn man aber insgesamt betrachtet, wie die Wissenschaft selbst die Situation beurteilt, so stellt etwa Professor Maier-Leibnitz fest, daß nur in wenigen Fachgebieten Forschungsgruppen in den USA glauben, auf Ergebnisse deutscher Forschungsteams nicht verzichten zu können. Dies war einmal umgekehrt. Das ist ein Hinweis darauf, daß wir jetzt schon in der Grundlagenforschung die Leistungen verfehlen könnten, die allein langfristig einen Beitrag zu einer kraftvollen partnerschaftlichen Beziehung unseres Landes zu den anderen Völkern in der internationalen Zusammenarbeit gewährleisten. Vor diesem Hintergrund haben wir unseren Antrag gestellt. Wir gehen nicht davon aus - vielleicht im Gegensatz zu anderen -, daß Politik hervorragende Wissenschaft verordnen oder erzwingen kann; aber die Politik muß bessere Rahmenbedingungen schaffen, in denen Wissenschaft und wissenschaftliche Forschung gedeihen können. Wir gehen von unserer föderalistischen Ordnung aus, die in der Vielfalt der Bundesländer ein Stück der Vitalität unseres kulturellen Lebens ausmacht. Deshalb beantragen wir, daß die Fragen in Verhandlungen zwischen Bund und Ländern geklärt werden. Nur gemeinsam können die Aufgaben angegangen werden. Das soll und darf aber den Bund nicht veranlassen, sich in Bereichen, in denen er selbst agieren kann - etwa bei der Zuweisung von Sonderfinanzierungen an die Max-Planck-Gesellschaft -, zurückzuhalten. Dies ist möglich und ist bisher am Einspruch des Bundesfinanzministers gescheitert. Wir sehen insbesondere drei Bereiche, in denen die Politik Rahmenbedingungen setzen kann, die die Wissenschaft nicht beengen, sondern ihre Selbstorganisationskraft stärken und sich auf ihre Arbeit ermutigend auswirken. Das ist - erstens - die Finanzierung und Ausstattung, das ist - zweitens - die Eröffnung attraktiver Lebenschancen, insbesondere für junge Wissenschaftler, und das ist - drittens - die Schaffung eines forschungsfreundlichen Klimas. Alle drei Bereiche gehören zusammen. Zum ersten: Grundlagenforschung soll soweit wie möglich auf direkte Projektförderung verzichten. Ihr Schwergewicht liegt im Aufbau gut ausgestatteter Forschungsinstitute, in der Stärkung der Selbstverwaltung der Wissenschaft. Die Finanzierung in den vergleichsweise kleinen Größenordnungen, um die es sich hier handelt - wir sprechen über wenige Prozente beim Haushalt des Forschungsministers -, sollte das entscheidende Problem nicht sein; denn dies ist ein Schlüsselbereich. Die seitherigen Planungen des Bundes für die kommenden Jahre sind restriktiv. Sie sehen für das Jahr 1980 für die Max-Planck-Gesellschaft einen realen Zuwachs von genau 1,8 °% vor, für 1981 und 1982 eine reale Abnahme um 1,8 bzw. 0,6 %. ({3}) Das erlaubt nicht einmal eine vernünftige Ausweitung der bestehenden Gebiete, geschweige denn die Aufnahme der neuen Gebiete, über die wir gesprochen haben. Zum zweiten: Wir haben über Jahre in allen Bundesländern die Bildungschancen der Jugend erweitert. Die steigenden Zahlen der Abiturienten wurden jährlich als Erfolgsmeldungen verkündet. Heute haben wir dafür die Verantwortung, daß die jungen Menschen, die nach einem Schulstreß und Leistungsdruck ohnegleichen jetzt in die Hochschule oder den Beruf eintreten wollen, dort auch die entsprechenden Arbeits- und Lebenschancen vorfinden. Was sie vorfinden, ist nicht eine Gesellschaft, die ihre Leistungsbereitschaft begrüßt, die ihre Ausbildung honoriert, die den Beitrag aller zur Arbeit einfordert; was sie finden, ist vielmehr eine Gesellschaft, in der die Chancen verteilt und die Positionen besetzt sind - in Hochschulen, im Staatsdienst und in der Wirtschaft. Hier schlagen wir keine Patentrezepte vor. Das Heisenberg-Programm, das wir beantragt haben, war ein guter Beginn. Wir gehen auch nicht davon aus, daß dramatische Wachstumsraten möglich sind. Dies würde die Wissenschaft selbst nicht verkraften. Aber eine Wachstumsrate um 1 % oder ein bißchen mehr bei der Max-Planck-Gesellschaft und entsprechend bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft wäre ein Beginn und wäre etwas anderes als die geschlossenen Stellenpläne, vor denen wir jetzt stehen. ({4}) Wir gehen davon aus, daß wir auch qualitativ das Studium und die wissenschaftliche Arbeit im Ausland wieder attraktiver machen müssen. Das ist nicht eine Frage von höherdotierten Stipendien, und das ist auch nicht eine Frage von finanziellen Möglichkeiten kurzfristiger Natur, sondern es geht darum, daß diejenigen, die aus dem Ausland zu13756 rückkehren, hier bei ihrer Rückkehr Arbeits- und Lebenschancen vorfinden, in denen sich ihre Erfahrungen aus dem Ausland sinnvoll und fruchtbar verwenden lassen, und daß sie nicht aus den Möglichkeiten der Arbeit im Land herausfallen. ({5}) Wir wissen selbstverständlich, daß eines der Grundstrukturprobleme unserer Gesellschaft ist, daß die Bereiche Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft, Politik jeweils gegeneinander abgeschottet sind. Wir wissen, daß die Übergänge zwischen diesen Bereichen für die Zukunft unserer Gesellschaft lebenswichtig sein werden. Die Entscheidungen an den verantwortlichen Positionen dieser komplexen Gesellschaft können richtig überhaupt nur fallen, wenn aus der eigenen konkreten Erfahrung in den verschiedenen Lebensbereichen vernünftige Entscheidungsgrundlagen geschaffen werden, die umfassend genug sind. Das Problem ist seit langem erkannt. Wir sehen die mangelnde Mobilität und die abgeschotteten Lebensbereiche. Ich weiß nicht, ob es eine sehr glückliche Entwicklung ist, wenn ein Wissenschaftler sein Leben lang Wissenschaftler, ein Wirtschaftler sein Leben lang Wirtschaftler und künftig vielleicht auch ein Politiker sein Leben lang Politiker ist. Hier liegt ein Kernproblem unserer Forschung und unserer Gesellschaft. Bisher ist nicht zu erkennen, daß das Forschungsministerium in dieser Hinsicht erfolgreich gewesen wäre, obwohl manche Versuche unternommen worden sind. Drittens komme ich zu dem forschungsfreundlichen Klima. Es ist wohl die schwierigste Aufgabe, hierauf einzuwirken. Denn dieses Klima entsteht ja nicht dadurch, daß man das Richtige umfassend tut, sondern dadurch, daß man das Falsche umfassend unterläßt. Das ist bei dem Aktivismus, der hier sehr häufig in der Politik entwickelt wird, eine sehr schwierige Sache. Bei allem Willen zur Arbeit im Team ist es erforderlich, hervorragende Leistungen herauszustellen. Eine hervorragende Forscherpersönlichkeit muß hervorragende Arbeitsbedingungen haben. Es ist erforderlich, daß der Begriff „Elite", Herr Steger, nicht mit Anmaßung und Arroganz zusammengebracht, sondern als eine notwendige Funktion und Dienstleistung gegenüber unserer Gesellschaft verstanden wird. ({6}) Hierzu legen wir Ihnen im einzelnen Vorschläge vor. Die Zeit erlaubt es mir nicht, sie detailliert zu erläutern. Grundsätzlich läßt sich aber folgendes sagen. Je offener die Möglichkeiten für die Forschung selbst sind, je offener die Möglichkeiten sind, daß .der einzelne sein Arbeitsgebiet aus eigenem Wissen und eigener Verantwortung wählt, nicht programmiert durch Projektaufträge, um so unmittelbarer sind seine Verantwortung und die Freude an seiner Arbeit. Auch hier stellt sich die entscheidende Frager ob wir langfristig eine Gesellschaft wollen, in der einzelne mit Zuversicht und Verantwortlichkeit und mit Freude an der Herausforderung arbeitet, oder eine verwaltete Gesellschaft begrenzter Pflichterfüllung, die die Zukunft zunehmend pessimistisch prognostiziert, statt sie zu gestalten. ({7}) Die Freiheit der Forschung in unserer bundesstaatlichen Ordnung in einem verläßlichen und vernünftigen staatlichen Rahmen - das ist die Voraussetzung für eine offene Zukunft. Der Weg der Bundesregierung ist der Weg in eine verwaltete Welt, auch in der Wissenschaft. Es könnte zur Umkehr zu spät sein, wenn die Folgen eines solchen Weges für jedermann offensichtlich geworden sind. Wir bitten um Überweisung an die Ausschüsse. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoffmann ({0}).

Hans Joachim Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000937, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag zur Grundlagenforschung, den Sie hier soeben vorgelegt haben, ist für uns in etlichen Details durchaus akzeptabel, beispielsweise wenn es um die Frage der geforderten personellen Mobilität zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung geht. Wir stimmen weiterhin zu, wenn Sie sagen: Wir müssen eine kontinuierliche Förderung der Grundlagenforschung unter Erhöhung der hierfür zur Verfügung zu stellenden Mittel betreiben. Das deckt sich mit unseren Intentionen. Wenn Sie die Haushalte durchlesen, werden Sie das feststellen. Nun eine Randbemerkung zu Ihren Zahlen. Es ist nicht seriös, wenn Sie die Zahlen der Grundlagenforschung an den Zuwachsraten eines einzigen Instituts festmachen wollen. Man muß schon ein bißchen intensiver in das Zahlenmaterial Einblick nehmen. Weil ich der Auffassung bin, daß wir in vielen Kleinigkeiten übereinstimmen, möchte ich Ihnen vier Fragenkomplexe vortragen, bei denen ich meine, daß dort einiges sehr, sehr Schwarzes durchschimmert: 1. Ist Grundlagenforschung streng von direkter Projektförderung zu trennen? 2. Ist Grundlagenforschung unabhängig von der gesellschaftlichen Bedeutung und Wirksamkeit zu betreiben? 3. Ist der Hebel zum Ausbau der Grundlagenforschung in der individuellen Elitenförderung zu finden? 4. Wen trifft eigentlich der Vorwurf der Vernachlässigung der Grundlagenforschung? Zum ersten Fragenkomplex: Ist Grundlagenforschung von direkter Projektförderung eigentlich trennbar? Ich meine, eigentlich ist das eine ausgestandene Diskussion. Herr Steger hat in seiner ZwiHoffmann ({0}) schenfrage schon darauf hingewiesen. Es ist doch praktisch überhaupt nicht mehr möglich, zwischen der Grundlagenforschung auf der einen und der projektbezogenen Forschung auf der anderen Seite, die nach Ihrer Auffassung mit der Grundlage eigentlich nicht mehr sehr viel zu tun hat, schön säuberlich zu trennen. Das wäre doch ein völlig irreales Verständnis von Wissenschaftsprozeß; ({1}) der ist doch viel komplexer. Der fängt doch mindestens an mit Problemstellung und Erkenntnisinteresse. Der geht weiter über grundlegende Aufarbeitung des Problems, die Erarbeitung des wissenschaftlichen Instrumentariums, die Vereinbarkeit der Thesen und Axiome mit dem Wissensstand verwandter Wissenschaftszweige, über das Umsetzen und Überprüfen am Projekt und schließlich - ein ganz bedeutender Punkt - bis zum Erfassen der gesellschaftlichen Voraussetzungen und der entsprechenden Folgen. ({2}) Ich bin der Auffassung, daß Sie also eine reine Trennung zwischen Grundlagenforschung und Projektforschung gar nicht vornehmen können, weil Sie sonst diese Zusammenhänge auflösen. Nun zu dem zweiten von mir aufgeworfenen Fragenkomplex: Ist die Grundlagenforschung ohne gesellschaftliche Relevanz? In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst einmal ein Zitat aus der Begründung Ihres Antrags hier vortragen. Es heißt dort: Das Konzept der Bundesregierung, Forschungspolitik als dienenden Teil der aktuellen Gesellschaftspolitik einzusetzen, hat sich als schädlich erwiesen. Schädlich ist das Diktat der ,gesellschaftlichen Relevanz' als Kriterium der Prioritätenfindung. Wenn ich einen solchen Satz lese, frage ich mich, welches Wissenschaftsverständnis Sie haben. Das Wissenschaftsverständnis, das aus diesem Zitat hervorleuchtet, läßt sich in die Position zusammenfassen: Grundlagenforschung ist sozusagen wertneutral, also soll sie gefördert werden, und die Projektforschung ist eine ganz schlimme Art der Investitionslenkung; deshalb muß sie verringert werden. Ein solches Wissenschaftsverständnis ist seit der Diskussion der 30er Jahre - ich will Sie nur daran erinnern, daß es diese Diskussion mit Myrdal längst gegeben hat - längst überholt. Deshalb ist festzustellen: Jede Wissenschaft, auch die Grundlagenforschung, ist selbstverständlich wertgebunden. Sie ist es beispielsweise schon allein deshalb, weil ein Erkenntnisinteresse formuliert werden muß. Sie ist es deshalb, weil Sie ein Forschungsobjekt auswählen und sich Gedanken darüber machen müssen, welche Methode Sie wählen. Sie ist es deshalb, weil sie eine Interpretation der Ergebnisse vornehmen müssen. Und sie ist es auch, weil Voraussetzungen und Folgen bei der Umsetzung des Erforschten in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu beobachten sind. Das heißt: Wenn Sie diese Punkte zusammen nehmen, dann ist es doch völlig klar, daß von einer Wertneutralität oder einer völlig abstrakten, sogenannten freien Forschungssituation gar keine Rede sein kann. Natürlich wollen wir so viel Bewegungsfreiheit und Kreativitätsentfaltung wie irgend möglich. Aber wir können doch nicht so tun, als würde der Wissenschaftsbegriff außerhalb der Gesellschaft stehen; das kann doch einfach nicht wahr sein. Dies wird, finde ich, auch ganz besonders deutlich, wenn man die Förderinteressen derjenigen im Blick hat, die die Mittel für Infrastrukturmaßnahmen oder sonstige Investitionen aufzubringen haben. Allein schon daran können Sie erkennen, daß Grundlagenforschung immer auch von gesellschaftlicher Relevanz ist. Ich komme zu meinem dritten Fragenbereich, nämlich der Elitenförderung als wesentlichen Hebel. Wenn man das, was Sie dazu vorhin gesagt haben - Sie haben auf ein paar Einwürfe hinsichtlich des Elitebegriffs etwas allergisch reagiert einmal kritisch betrachtet, dann ist das nach meiner Auffassung ungefähr so, wie wenn wir sagen: Wir Akademiker unter uns unterhalten uns jetzt einmal über Wissenschaft. Das kann zwar eine sehr intellektuelle Diskussion sein, nur: mit der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Wissenschaft hat sie meistens sehr, sehr wenig zu tun. Es ist ein zweifach elitäres Verständnis, das Sie dabei haben. Das erste ist genereller Art. Ich darf auch hier zunächst einmal aus der Begründung Ihres Antrags zitieren. Es heißt dort: Grundlagenforschung erwächst auch ... aus einem ganz ursprünglichen Drang von Neugier, Entdeckungsfreude und Schönheitsempfinden, wenn etwa mathematische Strukturen die Wirklichkeit überprüfbar abbilden. Ein solches Zitat erinnert mich an ein in der Literatur sehr bekanntes Modell, die Modellschreinerei. Da stellt man eine Formel auf, eine mathematische Größe, und meint, man könne damit die komplexe gesellschaftliche Realität so aussagekräftig abbilden, daß politische Entscheidungen in diesem Bereich keine Rolle mehr spielen. Das ist ein völlig absurdes Wissenschaftsverständnis. Der zweite Teil Ihres zweifach elitären Wissenschaftsverständnisses ist nach meiner Auffassung der, daß Sie ein sehr elitäres Verständnis von der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Wissenschaftlers haben. Ich will zwar nicht in Frage stellen, daß es dort hervorragende Kapazitäten gibt, aber ich stelle in Frage, daß der Wissenschaftsprozeß heute nur auf individueller Leistung beruht; er ist ja viel komplexer. Er heißt beispielsweise, daß diese Wissenschaftsleistung im Team erbracht wird. Er heißt, daß dazu materielle Voraussetzungen notwendig sind, daß eine öffentliche Infrastruktur für Wissenschaft vorhanden sein muß, daß es Investitionen aus dem öffentlichen und privatwirtschaftlichen Bereich gibt. Wenn ich diesen letzten Bereich herausgreife, nämlich den der Investitionen, die aus dem privatwirtschaftlichen Bereich kommen, dann läßt sich auch hier der Hoffmann ({3}) gesellschaftliche Bezug feststellen, nämlich der, daß diese Investitionen doch nur möglich sind als Ergebnis eines wirtschaftlich organisierten Arbeitsprozesses. Allein schon von dort her ergibt sich die verbindliche Erklärung, daß es hier nicht nur um die individuelle Leistungsfähigkeit, sondern um die Organisierung eines gesamten Prozesses geht. Meine Damen und Herren, so wichtige Persönlichkeiten wie Newton, Kepler oder Galilei bestimmen' eben heute nicht mehr signifikant den Wissenschaftsprozeß. Sie haben damals Wesentliches verändert und Wesentliches in Gang gesetzt. Heute ist Wissenschaft ein komplexer Prozeß von Ausbildung, von Bildungschancen, von Infrastrukturen, von Investitionen. ({4}) - Natürlich ist da eine hohe persönliche Leistung drin. Das habe ich doch vorhin gesagt; das versteht sich sozusagen als Komponente. Sie können aus einem Team, wo die einzelnen nichts können, kein funktionierendes Team machen. Das ist doch ganz klar. Ein Team kann nicht besser sein, wenn alle nur schlecht arbeiten. Das versteht sich von selbst. Ich möchte das deshalb dahin zusammenfassen, daß die Ausschöpfung des wissenschaftlichen Potentials eigentlich nicht darin liegt, daß wir jetzt eine sehr enge Elitenförderung betreiben, wie Sie sie angesprochen haben, sondern das Problem reicht doch viel, viel weiter. Die Ausschöpfung unserer wissenschaftlichen Kreativität, all dieser Möglichkeiten ist doch nur dann gegeben, wenn unser Bildungssystem so weit entwickelt wird, daß, volle Chancengleichheit gewährt ist, daß eine Förderung bisher benachteiligter sozialer Gruppen geschieht, daß die Verbesserung der universitären Forschungsbedingungen erreicht wird und daß schließlich gesellschaftlich - und darunter verstehe ich nicht „parteipolitisch" - verantwortliche Forschungsinvestitionen getätigt werden. ({5}) - Ich versuche, das sehr kurz zu erklären.. Wenn Sie genau hinhören, werden Sie das sehr schnell feststellen. Für mich ist das keine parteipolitische Frage, sondern es ist eine logische Frage von Wissenschaftsverständnis. Deshalb bin ich davon ausgegangen, daß das eigentlich auch in Ihren Reihen nicht so ganz unumstritten ist. ({6}) - Welche öffentlichen Investitionen in diesem Bereich getätigt werden, ist doch nicht eine Entscheidung der Bundesregierung, sondern eine des Parlaments. Das versteht sich doch von selbst. Es ist doch auch völlig klar, daß die Bundesregierung aufgefordert ist, Vorlagen zu machen, und dann haben wir dazu Stellung zu beziehen, genauso wie Sie beispielsweise jetzt zu dem vorgelegten Haushalt Stellung nehmen müssen, was Sie ja auch tun. Dazu komme ich gleich noch. Da wird etwas ganz Interessantes herauskommen. ({7}) - Das ist wirklich ein etwas naiver Einwurf. Mir geht es darum festzustellen, ob Sie zu Ihrem eigenen Papier konsequent sind. ({8}) Lassen Sie mich kurz zum vierten Fragenkomplex kommen: Wer ist denn eigentlich verantwortlich für eine etwaige Vernachlässigung der Grundlagenforschung? Es muß doch zuerst einmal festgestellt werden, daß ein erheblicher Teil der Grundlagenforschung im universitären Bereich läuft, und dieser universitäre Bereich liegt zuerst einmal innerhalb der Hoheit der Länder. Das heißt: wenn Sie hier große Worte verlieren, müssen Sie sich zuerst einmal an dieser Stelle auseinandersetzen mit der jeweiligen Forschungspolitik und den entsprechenden Ausgaben, die über die Länderhaushalte erfolgen. Wir werden Sie darin unterstützen; denn wir sind der Meinung, daß es hier eine stetige Weiterentwicklung und Förderung geben muß. Zweitens möchte ich Sie auffordern, den Wissenschaftsbericht der Bundesregierung zu analysieren. Wenn Sie das tun, stellen Sie fest, daß es einen erheblichen Anteil der Grundlagenforschung gibt. Je nachdem, wie Sie das interpretieren - ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß dieser Begriff nicht so schön abgrenzbar ist -, können Sie durchaus feststellen, daß 40 bis 60 °/o der Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung den Bereich der Grundlagenforschung betreffen. Schließlich - und jetzt komme ich an den Punkt, wo Ihre Zwischenrufe sehr interessant waren -: Wie sieht es . denn eigentlich mit dem Haushaltsentwurf für 1980 aus? Wir werden uns darüber bei den Haushaltsberatungen noch genauer unterhalten können. Aber Sie haben schon einige sehr interessante Streichungsvorschläge vorgesehen, und deshalb greife ich einmal drei kleine Komplexe heraus. Erster Komplex: Wie steht es denn eigentlich mit der Vorstellung von Herrn Strauß, daß die Airbus-Finanzhilfen nicht zurückzuzahlen sind? Ist das denn nicht eigentlich eine ausgesprochen projektbezogene Förderung, die dort stattfindet, und widerspricht das nicht genau dem, was Sie in Ihrem Antrag formuliert haben? Gerade hier müßten Sie uns doch zustimmen und sagen: Laßt uns diese Gelder wieder zurückzahlen, damit sie in anderer Weise in der Grundlagenforschung oder für entsprechende Projekte verwandt werden können. Zweiter Bereich. ({9}) - Lassen Sie mich das gerade noch ausführen. Ich habe gehört, daß Sie eine Kürzung im Bereich Humanisierung der Arbeit vorschlagen werden, und zwar in Höhe von 18 Millionen DM. Wenn sich das bewahrheiten sollte, möchte ich Sie Hoffmann ({10}) darauf aufmerksam machen, daß die Humanisierung der Arbeitswelt ein ganz wesentlicher Grundlagenbereich ist; in dem selbstverständlich an Projekten orientiert gearbeitet werden muß. Aber er ist ein Grundlagenbereich. Deshalb bin ich der Auffassung, daß Sie gerade hier eine im Verhältnis zu den Forderungen Ihres Papiers völlig unlogische Kürzung vornehmen wollen. Das ist nur ein Hinweis; daß Sie da unlogisch handeln. ({11}) Bitte schön, Ihre Zwischenfrage.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege Lenzer, bitte, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie haben die Airbus-Frage angesprochen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich bei diesem Komplex staatlicher Finanzhilfen nicht in erster Linie um Unterstützung von Technologieentwicklung handelt, sondern um die Schaffung ausgewogener Wettbewerbsverhältnisse geht, weil die Mitkonkurrenten, etwa aus den Vereinigten Staaten, mit Konditionen auf dem Markt erscheinen, die eine europäische - ich sage ausdrücklich nicht nur: deutsche - Entwicklung völlig chancenlos lassen würden? ({0})

Hans Joachim Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000937, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hätte aus meinem Diskussionsbeitrag etwas anderes herausgehört. Das, was Sie sagen, stimmt sicher. Es heißt aber, diese Gelder - und so war auch letztens noch einmal die Begründung für ihre Nichtrückzahlung - seien im wesentlichen notwendig, um Techniken, die man bis heute noch nicht voll im Griff habe, weiterzuentwickeln. Gerade beim Airbus würden sie für weitere Modelle und für weitere Entwicklungen gebraucht werden. Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, in welchem Einzelhaushalt das untergebracht werden soll. Wir haben das hier vielmehr von dieser Grundsatzposition zu beurteilen. Ich komme zu dem letzten Bereich, den ich ansprechen wollte, einem dritten Widerspruch, der aus Ihrem Papier hervorgeht. Sie haben vorhin in Ihrer Rede gesagt - das steht im Papier nicht so drin -, daß hier bestimmte marktwirksame Elemente gestört werden könnten. Nun frage ich Sie einmal: Wie sollen wir zukunftsorientierte Entwicklungspolitik im Energiebereich betreiben, wenn wir nicht zur Kenntnis nehmen, daß der Markt an dieser Stelle gar nicht funktioniert? Es ist doch offensichtlich so, daß die Forschungen, auch die projektorientierten, die hier mit Finanzierung des Bundes betrieben werden, doch nur deshalb notwendig sind, weil die Marktteilnehmer nicht ausreichend vorausschauend sind, um das von selbst zu erledigen. Wenn das längst sozusagen fein gesteuert wäre, bräuchten wir diese konkreten projektbezogenen Forschungsausgaben gar nicht zu tätigen und uns nicht darüber zu unterhalten, ob wir in diesem Bereich viel Geld investieren müssen. Ich finde also, daß das, was Sie gesagt haben, sehr unlogisch ist. Ich habe den Eindruck, daß Sie das eigentlich auch wissen; denn Sie ziehen sich nachher auf ein ganz allgemeines Argument zurück, das ich in seiner Qualität gar nicht klassifizieren kann. Wenn Sie nämlich nicht mehr wissen, was für ein Argument Sie noch nehmen sollen, dann argumentieren Sie plötzlich mit dem nicht vorhandenen positiven Forschungsklima. Das ist so ein Begriff, den man auf alles anwenden kann: Das Klima im allgemeinen unter der besonderen Berücksichtigung des Speziellen. Für mich ist völlig ungreifbar, was Sie damit machen wollen. Ich möchte zum Schluß unsere Positionen, die Positionen der SPD-Fraktion, kurz zusammenfassen: Erstens. Wir halten die Grundlagenforschung für einen wichtigen Förderungsbereich, dessen Förderungsvolumen es weiter zu steigern gilt. Zweitens. Wir fordern die Bundesregierung auf, in Verhandlungen mit den Ländern - ich erinnere noch einmal an das, was ich über Kulturhoheit gesagt habe - durchzusetzen, daß die Mittel für die Grundlagenforschung langfristig stärker steigen und daß eine bessere regionale Ausgewogenheit erreicht wird. Drittens. Wir bestehen auf der Erkenntnis und der politischen Bewertung, daß Wissenschaft immer auch gesellschaftliche Verantwortung bedeutet. Viertens. Wir stimmen der Überweisung des Antrags zu. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann. ({0})

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Riesenhuber, ich habe mich eigentlich gewundert - ich hatte bisher immer angenommen, daß Sie die Dinge in einem größeren Zusammenhang sehen. Deswegen war ich etwas überrascht, daß Ihr einziges Zielobjekt offenbar der Forschungsminister ist. Dabei sind wir uns doch auf Grund der Debatten, die wir im Ausschuß zu führen versucht haben, im klaren darüber, daß wir das Thema Forschung in einen größeren Zusammenhang stellen und z. B. unter Einbeziehung des Bereichs Bildung und Wissenschaft und der Bereiche anderer Ressorts behandeln müssen. Aber Ihr besonderes Zielobjekt scheint das BMFT zu sein. Nun kenne ich ja auch Ihre Liebe zu intellektuellen Wortspielereien, aber ich habe den Eindruck, daß Ihnen Ihre Liebe da im Augenblick etwas durchgaloppiert ist; dies aber nur als eine persönliche Bemerkung. Außerdem meine ich, daß Grundlagenforschung nicht nur auf die Max-Planck-Gesellschaft bezogen ist. Das besondere Anliegen ist mir sehr wohl bekannt, aber ich glaube, wir sollten den Begriff „Grundlagenforschung" etwas weiter fassen, ({0}) wie ich überhaupt den Eindruck habe, daß wir uns, wenn wir über diesen Bereich reden, erst einmal um eine allgemeinverbindliche Definition bemühen sollten; da fangen, wenn ich die beiden Beiträge eben gehört habe, ({1}) meines Erachtens die Schwierigkeiten an. Grundsätzlich möchte ich feststellen, daß wir den Einstieg in eine prinzipielle politische Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Forschung begrüßen. Ich meine aber, daß wir uns dabei nicht auf die Grundlagenforschung beschränken können, denn wir müssen sie in den Gesamtzusammenhang von Wissenschaft und Forschung stellen, und wir müssen diese Auseinandersetzung auch mit aller Angemessenheit und aller Tiefe, die der Forschungspolitik zukommt, führen. Ich möchte davor warnen, daß wir uns hier in politische Oberflächlichkeiten begeben; dies ist schädlich für die Forschung. Ich stimme mit vielen grundsätzlichen Aussagen des Antrags der Opposition durchaus überein, möchte aber gleichzeitig feststellen, daß - und das bedrückt mich bei der Diskussion heute morgen etwas - die ganze Diskussion zu negativ läuft. Ich möchte mit allem Nachdruck versuchen, diesen Eindruck abzuwehren, den Eindruck, als ob diese Grundsätze, die da formuliert worden sind, nicht schon bisher weitestgehend in die praktische Politik der Bundesregierung Eingang gefunden hätten. Und insoweit wird diese Politik der Bundesregierung auch von der FDP-Fraktion gestützt. Ich möchte hier auch nicht versäumen, doch den Wissenschaftlern, den in der Wissenschaft Tätigen Dank und Anerkennung zu zollen, denn wir haben es hier mit hervorragenden Leistungen zu tun. Nun mag hier heute morgen beklagt worden sein, es wäre zu wenig für die Grundlagenforschung getan worden, und man hätte zehn Jahre versäumt. Hier kann ich Ihren Formulierungen, verehrte Kollegen von der Opposition, nun überhaupt nicht zustimmen; den Vorwurf, den Sie da erheben, muß man zurückweisen. Ich möchte an dieser Stelle auf das hinweisen, was in den letzten Tagen in der „International Herald Tribune", aber auch in „Science" und in anderen internationalen Publikationen, die sicherlich - darüber sind wir uns bestimmt einig - parteipolitisch unverdächtig sind, nachzulesen war. Dort wird - in einem Falle mit besonderem Bezug auf DESY - festgestellt, daß der Bundesrepublik die Rückkehr zur Spitzenposition, der Anschluß an die Spitzenposition, die Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg besetzt hatte, nun gelungen ist. Dies zeigt sehr deutlich, daß Ihr Vorwurf, daß hier in den letzten zehn Jahren die Grundlagenforschung vernachlässigt worden wäre, doch, von den Ergebnissen her gesehen, überhaupt nicht haltbar ist. ({2}) - Ich sehe dies überhaupt nicht so. So einfach kann man das wohl nicht abwehren. Hier kann es sich nicht um eine Momentaufnahme handeln, denn wir sind uns sicher darüber einig, daß Ergebnisse von Grundlagenforschung und Beurteilungen dieser Ergebnisse nicht Gegenstand einer Momentaufnahme sein können; dies sind vielmehr langjährige Entwicklungen. ({3}) So etwas können Sie nicht von heute auf morgen aus dem Boden zaubern. Ich sehe eine weitere Schwierigkeit in der Diskussion, und zwar das Problem der Abgrenzung der Grundlagenforschung. Ich weiß nicht, wie man aus den Haushaltsansätzen des Einzelplans 30 - denn der ist wohl eigentlich angesprochen - glaubt ableiten zu können, daß in der Grundlagenforschung zuwenig getan worden wäre. Sie müssen davon ausgehen, daß auch in der Projektförderung und in der Behandlung von Projekten im Forschungsbereich ein nicht darstellbar hoher Anteil an Grundlagenforschung enthalten ist. Ich sehe ganz erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten, wenn Sie sagen: Für die Grundlagenforschung ist im Haushalt prozentual nur soundso viel ausgewiesen. Ich halte das nicht für machbar, denn genauso, wie in der Projektforschung ein großer Anteil von Grundlagenforschung enthalten sein muß, ist notwendigerweise auch in der Grundlagenforschung ein großer Anteil an angewandter Forschung enthalten. Das läßt sich sehr leicht feststellen. Lassen Sie mich auch dies noch einmal betonen: Ich meine, daß die Grundlagenforschung eine sehr wichtige Voraussetzung für die Sicherung der Zukunft unseres Landes ist. Die Ergebnisse von Grundlagenforschung sind umsetzbar in angewandte Forschung, sind Grundlagen für Technik, Wirtschaftsstruktur, für Wirtschaftswachstum und bedeuten Sicherung der Lebensbedingungen in unserem Lande für die Zukunft. Das wollen wir deutlich feststellen. Aber dies alles kann nur unter langfristigen Aspekten gesehen werden. Technische Entwicklungen, aber auch die kulturellen, die gesellschaftlichen und die sozialen Entwicklungen, ihre Umsetzungen in die Lebens- und Wirtschaftsabläufe basieren vielfach auf grundlegenden Erkenntnissen aus dem Bereich der Grundlagenforschung, die 50 Jahre, ja bis zu 100 und mehr Jahre zurückliegen. Von daher muß die Forschung im Grundlagenbereich sich frei entfalten können. Sie muß auch weitgehend von politischen Vorgaben und Restriktionen frei sein. Denn eine Bewertung der Erkenntnisse und Ergebnisse, Herr Kollege HoffDr.-Ing. Laermann mann, muß oft kommenden Generationen vorbehalten werden. Ich würde es für eine Anmaßung halten, wenn wir aus dem Parlament heraus anträten, Ergebnisse der Grundlagenforschung schon heute auf ihre Bedeutung für die Gesellschaft und die Wirtschaft zu beurteilen. ({4}) Aber dies setzt voraus, daß die Wissenschaftsorganisationen, die Wissenschaftler und Forscher sich ihrer Verantwortung gegenüber Staat und Gesellschaft stets bewußt sind und Mechanismen zur Selbstkontrolle entwickeln müssen, nicht in hierarchischen Strukturen verkrusten dürfen. Dahinein gehört zum Beispiel, Herr Riesenhuber, wovon Sie sprechen, daß die Max-Planck-Gesellschaft nicht in der Lage sei, neue Forschungsbereiche, neue Institute aufzubauen, wenn es sich von der thematischen Notwendigkeit her ergibt. Wenn Sie dies bedauern, muß man andererseits auch sagen: ist dann nicht konsequenterweise auch die Eigenverantwortung dieser Einrichtungen gegeben, zu untersuchen, ob nicht alte Bereiche inzwischen sozusagen ihre Daseinsberechtigung verloren haben? ({5}) Auch hier muß man der Wissenschaft selber die notwendigen Umstrukturierungen überlassen. Aber das bedeutet auch, daß die Wissenschaft dann nicht gleich nach dem Staate rufen kann, wenn sie irgendwo eine neue Idee hat. Auch so etwas muß sich entwickeln. ({6}) Das gehört nun einmal dazu. Ich kann nicht auf der einen Seite die Freiheit von Forschung postulieren, wie sie im Grundgesetz garantiert ist, und auf der anderen Seite dann für alle Mißhelligkeiten gleich wieder nach dem Staate rufen. Lassen Sie mich auf Ihren Zwischenruf, Herr Kollege Riesenhuber, folgendes sagen. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die Wissenschaft diese Selbstverantwortung übernehmen kann, daß sie die Selbstkontrolle leisten kann und auch leisten wird. Der Staat hat sicherlich eine Verpflichtung gegenüber der Grundlagenforschung, nämlich die, die Bedingungen, unter denen Forschung sich frei entfalten kann, zu sichern und langfristig zu garantieren. Aber ich verkenne auch nicht, daß in Teilbereichen der Staat durchaus das Recht und die Pflicht hat, Zielvorgaben und Forschungsbereiche vorzugeben, wenn es ihm aus politischen Intentionen geboten erscheint. Wenn die Wissenschaft selber diese Bereiche nicht aus eigenem Antrieb aufgreift, kann es notwendig sein, aus politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Gründen solche Forschungen zu initiieren. ({7}) - Ich komme gleich noch einmal darauf zurück, Herr Kollege Riesenhuber. Hauptsächliche Träger der Grundlagenforschung - dies wurde heute morgen schon betont - sind neben Hochschulen und Universitäten zweifellos die Deutsche Forschungsgemeinschaft, auch die Max-Planck-Gesellschaft. Aber ich möchte hier auch auf die in der AFG zusammengeschlossenen Großforschungseinrichtungen hinweisen und den erheblichen Anteil der Industrie an der Grundlagenforschung nicht vergessen. Ich möchte nur das Beispiel Chemie und chemische Industrie erwähnen. Hier ist schon davon gesprochen worden: wer ist denn eigentlich für die Grundlagenforschung zuständig? Diese Frage müssen wir prüfen. Nach dem Grundgesetz liegt die Zuständigkeit zunächst einmal bei den Ländern. Es ist sehr schwierig - auch für das Forschungsministerium -, sich über diese aus dem Grundgesetz sich ergebenden Bedingungen hinwegzusetzen. Deswegen, Herr Kollege Riesenhuber - Sie waren dann ja leider nicht mehr anwesend -, hat der Forschungsausschuß zum Haushalt beschlossen, daß die Bundesregierung aufzufordern sei, in Verhandlungen mit den Ländern einzutreten und darauf hinzuwirken, daß die Mittel für die Grundlagenforschung langfristig zu steigern sind, unter Berücksichtigung regionaler Gesichtspunkte. ({8}) Auch die Frage der regionalen Ausgeglichenheit, sagen wir, eines Nord-Süd-Gefälles, ist dabei zu berücksichtigen. Ich gebe allerdings zu, daß das nur dann möglich ist, wenn Ansätze und entsprechende Aktivitäten vorhanden sind, neue Institute zu errichten oder den Ausbau bestehender Instiute zu fördern. Sicherlich ist es auch richtig, auf die personelle Entwicklung hinzuweisen. Zur Heranbildung des hochqualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses, zur Verbesserung der Entwicklungschancen auch in den Großforschungseinrichtungen erscheint es mir notwendig, den Aufwuchs im Personalbereich nicht so zu behandeln, wie dies in den Behörden und Verwaltungen geschieht und dort möglicherweise auch vernünftig erscheint. Dies kann man nicht auf Forschungseinrichtungen übertragen. Es sollte deshalb überlegt werden, ob diese Forschungseinrichtungen nicht aus den öffentlichen Haushalten herausgelöst werden und ihnen unter wirtschaftlicher Beteiligung des Bundes und der Länder Eigenzuständigkeiten gegeben werden können, was besonders in der mittelfristigen Finanzplanung geschehen sollte. Personalstruktur und Investitionen erfordern gerade in der Grundlagenforschung mittel- bis langfristige Disponibilität. In dem Zusammenhang ließe sich meines Erachtens auch die Frage des wissenschaftlichen Nachwuchses befriedigender beantworten. Nicht das Berufsbild oder die Laufbahn von Forschern kann unser Ziel sein. Eine dem verständlichen Streben nach materieller Sicherung entsprechende Mobilität ist anzustreben. Ich stimme dem zu, was dazu schon gesagt worden ist. Dies bedeutet mehr Ko13762 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 17. operation und Austausch zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen, der Industrie und der Verwaltung. Lassen Sie mich zum Abschluß noch zwei Bemerkungen machen. Erstens. Es ist zwar verständlich, daß die Schwerpunkte in der Forschungsförderung und auch in der Grundlagenforschung auf Naturwissenschaft und Technik gelegt werden; aber lassen Sie uns die Geisteswissenschaften in ihrer Bedeutung für die Entwicklung unserer Gesellschaft nicht unterschätzen und vernachlässigen, die gerade und auch in den Grundlagenbereichen angesiedelt sind. Noch vor wenigen Jahren konnte ein bekannter Naturwissenschaftler behaupten, Naturwissenschaft und Technik seien allein imstande, die Probleme der Menschheit zu lösen. Ich meine aber, die Geisteswissenschaften und die in ihnen gewonnenen Erkenntnisse gehören dazu. Zweitens. Zweifellos sind in der Grundlagenforschung immer kostspieligere Einrichtungen und Apparate erforderlich. Gewaltige Investitionen sind erforderlich für Teilchenbeschleuniger, für die Bereiche der Festkörperphysik, der Hochenergiephysik oder der Astrophysik, um nur einige Beispiele zu nennen. Es hat sich eine enorme Expansion des Wissens vollzogen, was den einzelnen Forscher manchmal gewiß überfordert. So wird in Zukunft noch mehr als in der Gegenwart weniger der einzelne Forscher in den neuen Gebieten arbeiten, sondern mehr und mehr wird die Teamarbeit überwiegen. Ich möchte den Physiker Max Born zitieren, der gefragt hat: Ist unter diesen Umständen je wieder ein Einstein zu erwarten? Wenn wir nach der Überweisung an die Ausschüsse dort die Frage der Elite diskutieren, sollten wir uns auf diese Situation und diese Entwicklung einstellen. Ich glaube, wir müssen uns in mancher Hinsicht auch da von überkommenen Vorstellungen lösen. Lassen Sie mich mit der Veränderung eines Wortes von Lessing schließen, der gesagt hat: Die Kunst darf nicht nach Brot gehen. Ich möchte es auf die Wissenschaft übertragen: Die Wissenschaft darf nicht nach Brot gehen. Forschung braucht Freiraum und Unabhängigkeit zur wirkungsvollen Entfaltung. Lassen Sie uns gemeinsam unser Bemühen fortsetzen, garantieren wir die Freiheit von Forschung, und sichern wir damit die Zukunft der Menschen! ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Hauff.

Dr. Volker Hauff (Minister:in)

Politiker ID: 11000828

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den vorliegenden Antrag studiere, komme ich zu der Auffassung, daß es eine grundsätzliche Übereinstimmung über die Bedeutung der Grundlagenforschung, der erkenntnisfreien Forschung gibt. Daran haben wir uns auch in den vergangenen Jahren orientiert. Die Forschungspolitik der Bundesregierung hat in den letzten zehn Jahren der Erweiterung und Vertiefung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes, einem herrschaftsfreien Raum, stets einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt. Die wissenschaftliche Forschung ist unverzichtbare Grundlage für unsere technischen Kenntnisse ebenso wie für - ich stelle dies gleichbedeutend daneben - das Verständnis sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Vorgänge für das Bild des Menschen von sich selbst und der Welt, in der er lebt. Wissenschaftliches Erkenntnisstreben muß sich, wenn die Themen definiert sind, in der Tat frei entfalten können - frei heißt: nur nach wissenschaftsimmanenten Maßstäben -, wenn Forschung diese Bedeutung haben und zugleich für neue wissenschaftliche Anwendungen bedeutsam bleiben soll. Diese Gedanken aus dem Bundesforschungsbericht VI, den ich fast wörtlich zitiert habe und den die Bundesregierung kürzlich dem Parlament vorgelegt hat, treffen den Kern der Politik der Bundesregierung im Bereich der Grundlagenforschung. Insoweit stelle ich auch Übereinstimmung mit der Auffassung des vorliegenden Antrags fest. Nur, ich finde, Herr Riesenhuber, Sie haben hier ein bißchen Schattenboxen veranstaltet und zum Teil etwas unaufrichtig - möglicherweise, ohne es selbst genau zu wissen - zitiert. Das Zitat des Bundeskanzlers, das Sie angeführt haben, bezieht sich - wenn ich mich richtig erinnere - auf die Begründung für eine Bringschuld der Wissenschaftler, in verständlicher Form darzulegen, daß es wichtige und vernünftige Themen sind, an denen sie arbeiten. Wer wollte dieses Prinzip eigentlich leugnen ({0}) bei den knappen Haushaltsmitteln und bei den Rieseninvestitionen, die von der Wissenschaft gefordert werden? Wenn Sie - ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Sie ganz richtig verstanden habe - generell sagen, im Bereich der Grundlagenforschung dürfe der Staat keinerlei Einfluß auf die Themenstellung nehmen und da dürfe das Thema der Politikrelevanz oder der Gesellschaftsrelevanz überhaupt keine Bedeutung haben, so muß ich fragen: Wie eigentlich, verehrter Herr Kollege, rechtfertigt sich das und wie ist es mit Ihrem eigenen Antrag in Übereinstimmung zu bringen - mein Kollege Schmude hat mich darauf hingewiesen -, wenn die Orientforschung, die ja zu einem großen Teil ebenfalls Grundlagenforschung ist, wesentlich intensiviert wird, obwohl die Begründung dafür ausschließlich politisch ist, nämlich die große politische Bedeutung dieser Region? Also ich meine, wir sollten hier kein Schattenboxen machen. Ich stelle sehr viel mehr weitgehende Übereinstimmung fest. Unrichtig ist allerdings, daß die Bundesregierung die Grundlagenforschung in den letzten zehn Jahren vernachlässigt habe. Dies ergibt sich schon aus dem internationalen Vergleich, z. B. mit den Staaten der Europäischen Gemeinschaft. Nach einer Statistik der Gemeinschaft für das Jahr 1976 - das ist die letzte, die vorliegt - weist die Bundesrepublik Deutschland für den Bereich der Grundlagenforschung mehr als 2000 Millionen RechnungseinBundesminister Dr. Hauff heiten auf, vor Frankreich mit 740 Millionen - also nur rund ein Drittel dessen, was wir ausgeben - und Großbritannien mit rund 540 Millionen. Damit steht die Bundesrepublik, was die allgemeine Forschungsförderung angeht, innerhalb der Gemeinschaft an der Spitze. Aus der amerikanischen Diskussion, auf die der Herr Kollege Laermann hingewiesen hat, lassen Sie mich nur ein Zitat in die Debatte einbringen: dort wird gesagt, daß es den Deutschen gelungen ist, auf Grund einer kontinuierlichen Forschungsförderungspolitik mit zur Zeit fast 2,2 % Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben am Bruttosozialprodukt in die vorderste Linie der Wissenschaftsnationen zurückzukehren. Nehmen Sie doch bitte auch solche Aussagen zur Kenntnis, die zeigen, daß die Schwarzmalerei, die Sie hier betreiben, alles andere als am Platz ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber?'

Dr. Volker Hauff (Minister:in)

Politiker ID: 11000828

Bitte.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, um die rosige Malerei, die Sie betreiben, ({0}) etwas in den Zusammenhang zu stellen: Was halten Sie von der Aussage von Professor Reimar Lüst vor drei Jahren in dem zitierten Jahresbericht 1976, daß ernsthafte Schäden entstehen könnten, wenn die Grundlagenforschung weiterhin stagniert und zurückgeht. Er hat in diesem Zusammenhang auf das amerikanische Beispiel hingewiesen, wo die Zuwendungen an die National Science Foundation schon für 1977 um 16 % gestiegen sind und für die kommenden Jahre weitere wesentliche Steigerungsraten aufweisen sollen, die sie inzwischen tatsächlich aufgewiesen haben.

Dr. Volker Hauff (Minister:in)

Politiker ID: 11000828

Ich stimme dem ersten Teil der Aussage voll zu. Die National Science Foundation finanziert auch im Bereich der Grundlagenforschung fast ausschließlich projektorientiert; daraus, daß Sie das Zitat gebracht haben, entnehme ich, daß Sie vorschlagen, dies auch für die Bundesrepublik einzuführen. Ich halte das nicht für ein gutes Beispiel - um das sehr deutlich zu sagen. ({0}) Aber ich stimme Ihnen zu, was die Stagnation angeht. Dies ist eine reale Gefahr. Ich komme auf die Finanzierung und die Finanzierungszuständigkeiten noch im einzelnen zu sprechen. Die Bundesregierung hat auch in Situationen angespannter Finanzlage erhebliche Leistungen für die Grundlagenforschung aufgewendet, Ich will es im einzelnen nicht darlegen, sondern nur sagen: Der verzerrte Blick auf einen einzelnen Haushalt und möglicherweise eine oder zwei Forschungsförderungsorganisationen ist zu eng, Herr Riesenhuber. Zu nennen sind: Die Großforschungseinrichtungen; die Fachprogramme des BMFT, die zu einem großen Teil Grundlagenforschung zum Inhalt haben; die Tätigkeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft; die Max-Planck-Gesellschaft; die Sonderfinanzierungen, die wir in den vergangenen Jahren für MPG und DFG verwirklicht haben; der Schlüssel für die Sonderforschungsbereiche der DFG, den wir verändert haben, um Mehrleistungen des Bundes zu ermöglichen, weil die Länder sich nicht in der Lage sahen, die entsprechenden Komplementärmittel aufzubringen; die Arbeit, die in einzelnen Instituten geleistet wird, die wir als Bund in den letzten Jahren übernommen haben, weil wir der Meinung waren, dort wird wichtige Arbeit der Grundlagenforschung geleistet; und nicht zuletzt das, was mein Kollege Jürgen Schmude im Bereich von Bildung und Wissenschaft leistet: sowohl der allgemeine Hochschulbau als auch - was für die Grundlagenforschung etwas ganz, ganz Wichtiges ist - die Gerätefinanzierung nach dem Hochschulbauförderungsgesetz. Gerade solche wichtigen Großgeräte sind Anziehungspunkte für zahlreiche Forschungsgruppen nicht nur von deutschen Hochschulen, sondern auch aus dem Ausland. So arbeiten, um ein Beispiel aus den außeruniversitären Großforschungseinrichtungen zu nennen, am derzeit größten Positron-Elektron-Beschleunigerring der Welt, an PETRA in Hamburg, Forschergruppen aus England, Frankreich, den USA, Japan und aus der Volksrepublik China. Diese hohe Beteiligung ausländischer Wissenschaftler an deutschen Forschungseinrichtungen und -geräten spricht, wie ich finde, auch für die Qualität der Wissenschaft auf diesem Gebiet. Am Schwerionenbeschleuniger in Darmstadt haben in den vergangenen zwei Jahren mehr als 500 Wissenschaftler ihre physikalischen, chemischen und biologischen Experimente durchgeführt. Neben Wissenschaftlern aus den USA und aus dem westeuropäischen Ausland arbeiten dort auch solche aus Israel, aus Japan und aus der Volksrepublik China. Am Hahn-Meitner-Institut in Berlin wurde kürzlich ein neuer Beschleuniger in Betrieb genommen. Mit diesem Beschleuniger wurde eine sinnvolle Ergänzung für die Schwerionenforschung geschaffen. Ein weiteres typisches Gebiet der Grundlagengroßforschung ist die extraterrestrische Forschung. Die vom BMFT finanzierten beiden erfolgreichen Missionen Helios A und B haben uns weltweit ungeheures wissenschaftliches Ansehen eingebracht. Wer wollte das leugnen. Das waren vorzügliche Leistungen, und zwar nicht ausgesuchter Einzelforscher. Im Bereich der extraterrestrischen Forschung brauchen wir sehr gut funktionierende Teams, die wirklich zusammenarbeiten. Projekte wie Helios und die Arbeiten zur Erforschung von Venus und Jupiter können mit gutem Recht auf der Habenseite unserer Erfolgsbilanz verbucht werden, ebenso wie die Beteiligung an wichtigen internationalen Forschungseinrichtungen. Ich nenne nur CERN und den Höchstflußreaktor in Grenoble. I Auch die Entwicklung der Meeresforschung in der Bundesrepublik Deutschland ist eines von vielen Beispielen für die systematische Förderung und Würdigung der Grundlagenforschung durch die Bundesregierung im Rahmen ihrer Fachprogramme. Die wissenschaftlichen Leistungen der deutschen Meeresforschungseinrichtungen sind im In- und Ausland anerkannt. Sie bilden die Grundlage für eine Beteiligung deutscher Wissenschaftler und Forschergruppen an internationalen Großprojekten. Diese Kooperationen sichern einen weiteren Informationsaustausch. Wir haben gerade im Bereich unserer grundlagenorientierten Meeresforschung sehr frühzeitig etwas gemacht, was, wie ich glaube, international beispiellos ist; wir haben nicht nur Technikentwicklung betrieben, sondern zugleich gefragt: Wie sieht dies eigentlich im Hinblick auf die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts in den Meeren aus? Das ist eine ganz wichtige Diskussion, die uns noch bevorsteht, wenn das zutreffend ist, was Herr Hubrig heute behauptet hat und dem ich vom Ansatz her zustimme, nämlich daß die Meeresforschung außerordentlich wichtig ist. Wir müssen die Grundlagenforschung über die Ökosysteme des Meeres verstärken. Hier wissen wir noch sehr wenig, obwohl wir international z. B. auf Grund der Forschungsleistungen, wie sie auch auf Helgoland in der Bundesforschungsanstalt erbracht werden, eine führende Position haben. Ich will die Bilanz der Bundesregierung auf dem Gebiet der Grundlagenforschung nicht rosig darstellen, aber sie kann sich durchaus sehen lassen, Herr Riesenhuber. Sicher, man könnte sich noch eine Verstärkung der Förderung z. B. der Max- Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gut vorstellen. Ich persönlich könnte mir das sehr gut vorstellen. Wir haben in den vergangenen Jahren im Rahmen der Möglichkeiten auch versucht, diese Verstärkung zu erreichen. Dabei stoßen wir aber auf Grenzen, die das Grundgesetz vorgibt, und die sollten wir auch benennen. Nach dem Grundgesetz liegt die Verantwortung für die Förderung der Grundlagenforschung in erster Linie bei den Bundesländern. Damit will ich nicht die forschungspolitische Mitverantwortung des Bundes für die Lage der Grundlagenforschung schmälern. Grundlagenforschung vollzieht sich aber zu einem ganz erheblichen Teil - darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen - in unseren Hochschulen. Für die Finanzierung der Hochschulen sind aber, abgesehen von der Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen", zunächst einmal die Länder zuständig.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Einen Moment, Herr Bundesminister. Wir haben hier eine Geschäftsordnung, wonach in der ersten Lesung nur Grundsätze besprochen werden sollen. Ich wäre sehr dankbar, Herr Bundesminister, wenn Sie sich möglichst an diese Geschäftsordnung des Hauses halten würden. Ich bitte auch die Kollegen herzlich, jetzt möglichst wenig Zwischenfragen zu stellen, damit wir einigermaßen pünktlich zum Schluß kommen können. Vielen Dank! ({0})

Dr. Volker Hauff (Minister:in)

Politiker ID: 11000828

Ich möchte gern zu den Grundsätzen sagen, daß nach Art. 91 b des Grundgesetzes - die Rahmenbedingungen für die Forschungsförderung sind in unserer Verfassung festgeschrieben - Bund und Länder bei der Finanzierung von Vorhaben und Einrichtungen der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung zusammenwirken und eine gemeinsame Finanzierung vereinbaren können. Für ein solches Zusammenwirken haben Bund und Länder durch den Abschluß der Rahmenvereinbarung zur Forschungsförderung die Basis geschaffen. An vorderer Stelle ist hier die gemeinsame Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und ihrer Sonderforschungsbereiche zusammen mit der gemeinsam - d. h. je zur Hälfte - von Bund und Ländern getragenen Finanzierung der Max-Planck-Gesellschaft zu nennen. Dazu kommen dann die Förderung der Forschungs- und Service-Einrichtungen der sogenannten blauen Liste, die ergänzend hinzutreten. Nur wenn in den zuständigen Gremien, die von Bund und Ländern beschickt werden, Einvernehmen zwischen den beteiligten Finanzierungsträgern erzielt werden kann, ist eine Erhöhung der Zuschüsse für diese Einrichtungen erreichbar. Der Appell zur Verstärkung der Förderung der Grundlagenforschung ist daher in allererster Linie an die Länder zu richten. Die Bundesregierung hat sich in der Vergangenheit kooperationsbereit gezeigt. Sie wird dies auch in Zukunft im Interesse einer auch längerfristig kontinuierlichen Verstärkung der Förderung tun. In diesem Zusammenhang möchte ich auch dringend davor warnen, eine irgendwie geartete Automatik für die Förderung der Grundlagenforschung - etwa gemessen an Prozentsätzen eines bestimmten Einzeletats - festzuschreiben. Viel wichtiger ist gerade für die Grundlagenforschung, daß hier mit der notwendigen Kontinuität garbeitet wird und daß wir uns auch im Bereich derjenigen Großinvestitionen, die für die Grundlagenforschung von Bedeutung sind, an einem möglichst engen kooperativen Willensbildungsprozeß orientieren, der zusammen mit der Wissenschaft durchgeführt werden muß. Wir haben das 1977 getan. Damals sind uns im wesentlichen vier Großinvestitionen für den Bereich der Grundlagenforschung empfohlen worden, Herr Kollege Riesenhuber. Alle vier Vorhaben befinden sich mittlerweile entweder bereits in Betrieb oder im Stadium der Realisierung. Ich meine, daß wir hier in der Bundesrepublik ein sehr vernünftiges System der Wissenschaftsförderung haben, das sehr pluralistisch orientiert ist. Dies ist auch ein Teil der Freiheitlichkeit und der Liberalität der Wissenschaftsentwicklung in unserem Lande. In wohl keinem anderen Land gibt es eine so weithin vom Staat finanzierte, aber in den wissenschaftlichen Entscheidungen praktisch kaum beeinflußte Selbstverwaltung der Wissenschaft. Für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die MaxPlanck-Gesellschaft, verehrte Kollegen von der Opposition, gibt es in den vergleichbaren Ländern des Westens keine entsprechenden unabhängigen Einrichtungen, die gerade auch der freien Entfaltung großer Forscherpersönlichkeiten gerecht werden. Niemand von uns will dies ändern. ({0}) Abschließend möchte ich noch zu einigen Forderungen Ihres Antrages Stellung nehmen. Die Anregung beispielsweise, daß DFG und MPG mehrjährige Finanzplanungen aufstellen sollten, ist mit der jährlich fortgeschriebenen Fünf-Jahres-Planung der MPG und mit der alle drei Jahre erscheinenden mehrjährigen Finanzplanung der DFG bereits erfüllt. Nicht zustimmen kann ich der Feststellung, daß die Personalentwicklung in der Grundlagenforschung gegenüber der Gesamtentwicklung der Forschung geringer war. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Ich verweise in dem Zusammenhang auf die Haushaltspläne der letzten Jahre. Es wäre schön, wenn man da über Zahlen reden könnte. Was die Nachwuchsförderung angeht, begrüße ich, daß die Opposition dieses Thema mittlerweile aufgegriffen hat. Ich finde es dagegen bedauerlich, daß der Antrag der CDU/CSU keine eigenen Vorschläge zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses enthält. Das ist ein weißes Blatt Papier. ({1}) Mehr Substanz und konkrete Vorschläge zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses hätten dem Antrag der CDU/CSU und der politischen Diskussion gut getan. Ich darf deshalb in diesem Zusammenhang auf die Vorschläge meines Kollegen Schmude verweisen und darum bitten, daß sie im weiteren parlamentarischen Verfahren mitberücksichtigt werden. Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassen. Erstens. In der Bewertung der Bedeutung der Grundlagenforschung sehe ich wesentliche grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Regierung, Regierungsfraktion und Opposition. Zweitens. Der Bundesregierung sind durch das Grundgesetz Grenzen bei der Förderung der Grundlagenforschung gesetzt. Sie ist aber bemüht, gemeinsam mit den Ländern den vorgegebenen Gesetzesrahmen auszufüllen. Drittens. Die Bundesregierung steht zu dem Prinzip der Freiheit des Erkenntnisstrebens. Hierzu gehört im Bereich der Grundlagenforschung eine weitgehende Selbstbestimmung der Forschungsgegenstände durch die Wissenschaft selbst und insbesondere - was nicht viel wichtiger ist - die Freiheit in der Wahl der Methode. Viertens. Die Grundlagenforschung in der Bundesrepublik Deutschland hat dank der intensiven Förderung durch Bund und Länder einen international anerkannten Stand erreicht. Auf Teilgebieten hat sie wirklich Weltspitzenleistungen erbracht. Diesen Stand gilt es zu erhalten und auszubauen. Die dafür notwendigen Zuwachsraten sind für die kommenden Jahre in den Haushalten der einzelnen Ressorts der Bundesregierung eingeplant. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Danke, Herr Bundesminister, daß Sie unserer Bitte nachgekommen sind. Die letzte Wortmeldung kommt von dem Herrn Abgeordneten Lenzer. ({0})

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte an sich, weil dies von der Vorbereitung der Debatte her nicht vorgesehen war, nicht die Absicht, noch einmal in die Debatte einzugreifen. Ich sehe mich dazu aber durch die Äußerungen des Bundesministers Dr. Hauff doch veranlaßt. Es gibt bestimmt eine ganze Menge von Fragen im Bereich der Grundlagenforschung, bei denen wir uns miteinander arrangieren können. Herr Minister, Sie haben betont, daß eine gewisse Übereinstimmung herrsche. Wir begrüßen das. Sie waren in Ihrer Einschätzung ebenfalls so realistisch zu sagen, die Lage der Grundlagenforschung - so haben Sie wörtlich gesagt - sei nicht rosig. Das haben Sie zu Beginn Ihrer Rede hier gesagt. Wir können das gern im Protokoll nachkontrollieren. Sie haben angefügt, sie könne sich aber sehen lassen. Bei aller Bescheidenheit: Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. So haben Sie hier gesprochen. Sie haben auch immer wieder auf das Bund-Länder-Verhältnis verwiesen. Lassen Sie mich am Anfang meiner Erwiderung feststellen: Wir wollen hier einzig und allein unseren Kompetenzbereich betrachten. Wir wollen betrachten, was im Rahmen der Kompetenz des Bundesministers für Forschung und Technologie - damit ist, wenn vom Haushalt die Rede ist, der Einzelplan 30 angesprochen - im Bereich der Grundlagenforschung getan werden kann, was getan worden ist bzw. was nicht geschehen ist. Sie haben so getan, als ob es keine Relation zwischen dem Mittelaufwand einerseits und dem zu erwartenden wissenschaftlichen Ergebnis andererseits gebe. Es gibt sicherlich keine zwingende Relation. Die Ergebnisse hängen gewiß nicht allein davon ab, wieviel Mittel aufgewandt werden. Ich glaube, man kann doch aber nicht negieren, daß bei besserer Mittelausstattung und bei einer Ausweitung der Grundlagenforschung die Trefferquote größer ist. Sie haben auf andere Länder verwiesen und daraus hergeleitet, daß wir eine besonders gute Stellung hätten, zumal Mittel für die Grundlagenforschung auch in der Projektförderung versteckt sei13766 en. In anderen Ländern mag das anders sein; dort ist die Forschung auch etwas anders organisiert. Dort wird weniger durch direkte projektbezogene Förderung Einfluß genommen als bei uns. Dort wird - das ist etwas, was bei uns über lange Zeit gefehlt hat - auch durch massive Stimulierung der Nachfrage über den Markt Einfluß genommen. Denken Sie an die Weltraumprogramme, denken Sie an die Datenverarbeitung in den Vereinigten Staaten. Das können Sie selbst sicherlich besonders gut beurteilen. Auf diese Weise wird die Grundlagenforschung nicht nur in den großen Instituten, nicht nur an den Hochschulen, sondern direkt in der forschenden Wirtschaft stimuliert. Im übrigen haben Sie eben behauptet - das muß ich mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen -, wir hätten keine Überlegungen bezüglich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses angestellt. Ich darf Sie an den Kollegen Pfeifer und an ihre eigenen Kollegen im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft verweisen. Es gibt nämlich ein Programm der CDU/CSU-Fraktion zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Ihr Kollege Dr. Schmude, der zuständige Ressortminister, wird Ihnen das sicher bestätigen. Vielleicht kann er Sie darüber aufklären, was in dieser Beziehung gelaufen ist. Es ist von Ihnen, Herr Minister, gesagt worden, für Sie bedeute wissenschaftliche Freiheit die Orientierung an wissenschaftsimmanenten Kriterien. Auch dies ist ein wörtliches Zitat. Dem stimmen wir zu. Aber was Sie dann gesagt haben, stimmt nicht mit dem überein, was der Sprecher der SPD-Fraktion hier von sich gegeben hat. Es stimmt erst recht nicht mit dem überein, was hier nicht nur an deutlichen, sondern, wie ich sagen muß, entlarvenden Zwischenrufen von Ihrer Seite, Herr Kollege Steger, kam; Ihre Zwischenfrage schließe ich dabei ein. ({0}) Dazu werde ich ebenfalls noch etwas sagen. Zu Ihrer Aussage, unsere Situation sei zwar nicht rosig, aber sie könne sich sehen lassen, möchte ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin ein Zitat von der diesjährigen Tagung der Nobelpreisträger in Lindau bringen. Dieses Zitat stammt von keinem Geringeren als dem Physik-Nobelpreisträger Professor Mößbauer. Ich zitiere: Viele Professoren haben schon resigniert, weil wir zunehmend unser ursprüngliches System der Arbeitsorganisation aufgeben und erstarrte Zustände erreichen, wie sie etwa an vielen Hochschulen und Instituten in der Sowjetunion und in Frankreich herrschen. Wir können fast nicht mehr arbeiten. Meine Damen und Herren, selbst wenn ich jetzt einmal unterstelle, daß es sich hier nur um eine Einzelmeinung handelt, selbst wenn ich unterstelle, daß es sich um eine Meinung handelt, der möglicherweise sogar in eigenen Fachkreisen energisch widersprochen wird, so bleibt doch festzuhalten: Auch dies gehört zu einem Gesamtbild hinzu, auch dies gehört zu einer Gesamtbetrachtung; es darf nicht außer acht gelassen werden. Es war schließlich nicht irgend jemand, der dies gesagt hat. Ich komme nun nochmals auf den Einzelplan 30, auf Ihren Kompetenzbereich, zurück und stelle nochmals fest - und daran führt auch kein Weg vorbei; das kann man doch nachrechnen -: Der Anteil der Ausgaben für Grundlagenforschung am Haushalt ist von 30,5 % im Jahre 1975 auf 26,7 % im Jahre 1979 gefallen. Wir können im Forschungsausschuß darüber diskutieren, welche Bemessungsgrundlage Sie bei Ihren Berechnungen zugrunde legen, wenn Sie zu anderen Ergebnissen kommen sollten. Wir gehen dann bestimmt nicht von der gleichen Bemessungsgrundlage aus. Die Fortschreibung weist - ich wiederhole es - bis zum Jahre 1982 sogar ein Absinken dieses Anteils auf 24,4 °/o aus. Ich komme nun noch einmal ganz kurz auf unseren Antrag zurück und auf das, was hier aus der Begründung herausgegriffen wurde. Wenn es dort heißt, daß sich das Konzept der Bundesregierung, Forschungspolitik als dienenden Teil der aktuellen Gesellschaftspolitik einzusetzen, als schädlich erwiesen habe, und daß das Diktat der gesellschaftlichen Relevanz schädlich gewesen sei, dann meinen wir damit: Der Staat muß sich darauf beschränken - und dies gilt insbesondere in der Grundlagenforschung -, eine komplementäre Aufgabe wahrzunehmen; er sollte nicht dem einzelnen Forscher ins Handwerk pfuschen, so als ob die Bürokratie oder die Verwaltung alles besser beurteilen könnten, ({1}) sondern sich darauf beschränken, die Rahmenbedingungen zu setzen. Das ist, Herr Kollege Hoffmann, für uns nicht nur eine organisatorische Frage, wie es bei Ihnen zum Ausdruck kam. Für uns ist Grundlagenforschung, Herr Steger, eben nicht nur „big science", sondern auch persönliche Entscheidungskompetenz des Forschers, persönliche Verantwortung. Das hat mit dem „stillen Kämmerlein", mit jenem Reizvokabular, das dann immer gebraucht wird, mit dem Zeichnen eines Horrorszenarios, als ob dort irgend jemand unkontrolliert forscht und sich daraus dann letztlich Katastrophen für die Menschen entwickeln können, doch überhaupt nichts zu tun! Ich bin übrigens froh darüber., Herr Kollege Dr. Laermann, daß Sie weitgehend diese Einschätzung hinsichtlich der freien Betätigung der Grundlagenforscher und auch der individuellen Leistung des Forschenden teilen. Das Wort „gesellschaftliche Relevanz" - ich er: innere mich sehr gut -ist in die Debatte durch den Forschungsbericht eingeführt worden, den einer Ihrer Vorgänger, Herr Professor Ehmke, herausgegeben hat. Schon damals haben wir Ihnen die Frage gestellt: Wer bestimmt, was in der Forschung gesellschaftlich relevant ist? Wollen wir als Parlament oder will die Bundesregierung allen Ernstes - selbst angesichts ihrer enormen Beratungskapazität, ihres zweifellos in erheblichem Maß vorhandenen Sachverstandes - für uns in Anspruch nehmen, beurteilen zu können, was gesellschaftlich reDeutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 173: Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1979 13767 levant, was gesellschaftlich wünschenswert ist, wo geforscht werden soll, um hier gesellschaftlich wünschenswerte Ergebnisse zu erzielen - und das in einem Bereich der Grundlagenforschung? Soeben wurde hier auch das Wort „Nostalgiewelle" in die Debatte geworfen. Ich muß sagen: Auch, dies gehört zu einer Art Reizvokabular, das aus der Ideologiekiste entnommen worden ist. Auch das führt doch in der Praxis wirklich nicht weiter. ({2}) Sie sollten wirklich nicht unseren Wissenschaftsbegriff kritisieren. Ich sehe in Ihrem Wissenschaftsbegriff - Herr Kollege Hoffmann, das kam für mich deutlich zum Ausdruck - wirklich in erster Linie ein grenzenloses Mißtrauen gegenüber der individuellen Leistung des einzelnen Wissenschaftlers, weil Sie immer wieder zum Ausdruck bringen, daß dem Ganzen die große Glocke der gesellschaftlichen Relevanz übergestülpt werden muß. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, sie glauben wirklich, Forschungs- und Technologiepolitik - und Sie dehnen das selbst auf die Grundlagenforschung aus - sei eine organisatorische Angelegenheit. Sie vergleichen das mit einer Supermaschinerie: Es muß nur jemand mit der Ölkanne immer entsprechend bereitstehen und richtig schmieren und ölen, dann funktioniert das alles von selbst. - Ich glaube, damit überheben Sie sich etwas. Lassen Sie mich zum Schluß eines auch noch einmal sagen: Unterlassen Sie doch bitte dieses Scharmützel um direkte Förderung und indirekte Förderung. Unterstellen Sie uns doch bitte nicht, wir wären pauschal gegen direkte Förderung. Wir sind vielmehr gegen die stetige Ausweitung der direkten Förderung, die doch auch im Haushaltsansatz für 1980 wieder mit über 50 0/o ganz klar zum Ausdruck kommt. Wir meinen nicht etwa, daß viele Dinge, die getan werden, überflüssig wären. Ganz im Gegenteil! Hier wurde z. B. von der Energieforschung gesprochen. Ich bezweifle im übrigen, daß der Markt mit entsprechenden Suchprozessen nicht zu brauchbaren Ergebnissen kommen würde. Aber wir haben auf diesem Gebiet eben keine Zeit. Deswegen soll das alles schnell gehen. ({4}) Das sehen wir ein. Wir wollen Sie dabei auch unterstützen. Aber hier geht es um etwas ganz anderes. Wir sind gegen die schrankenlose Ausweitung der direkten projektgebundenen Förderung, weil sie gleichzeitig mehr Forschungsbürokratie und ein komplizierteres Antragsverfahren bedeutet. Sie wissen das alles aus den Diskussionen im Forschungsausschuß doch selber. Abschließend stelle ich folgendes fest. Hören wir auf damit, die Elite als einen überholten Begriff zu bezeichnen. Hören Sie bitte damit auf, die Elite dauernd als etwas - ({5}) - Lassen Sie Ihre Soziologie in der Kiste! Lassen Sie uns darüber vernünftig diskutieren. Ich weiß, daß Sie kein Soziologe sind, aber Sie benutzen gern das Vokabular der Soziologie. ({6}) - Ja, das mag noch schlimmer sein. Begreifen wir einmal, daß ohne die überragende individuelle Leistung des wissenschaftlich Tätigen nicht die Ergebnisse erzielt werden können, die wir für die Zukunftssicherung unseres Volkes brauchen. Das wollte ich Ihnen zum Abschluß in aller Deutlichkeit noch einmal ins Stammbuch geschrieben haben. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Forschung und Technologie - federführend - sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und an den Haushaltsausschuß - an diesen auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung - vor. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. September 1979, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.