Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung eine amtliche Mitteilung: Die Fraktion der SPD hat für die Abgeordneten Ueberhorst und Frau Dr. Hartenstein, die ihr Amt als Schriftführer niedergelegt haben, die Abgeordneten Würtz und Frau Dr. Balser vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Ausdruck einer gegenteiligen Meinung. Es ist so beschlossen.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 12. September 1979 das vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze bestätigt. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3171 verteilt.
Die mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen schriftlich erteilten Antworten zu den Fragen in Drucksache 8/3158 sind als Anlagen diesem Stenographischen Bericht beigefügt. Die noch nicht eingegangenen Antworten werden im Stenographischen Bericht der 171. Sitzung abgedruckt.
Der Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 29. August 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Curdt, Daubertshäuser, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Emmerlich, Ibrügger, Paterna, Peiter, Dr. Steger, Topmann, Fiebig, Hauck, Hoffie, Merker, Angermeyer, Paintner, Gärtner, Eimer ({0}), Spitzmüller und der Fraktionen der SPD und FDP betr. Unfälle von Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehr - Drucksache 8/3086 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3153 verteilt.
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 10. September 1979 die Kleine Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP betr. Veränderte Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die notarielle Beurkundung von Grundstücksverträgen - Drucksache 8/3154 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3164 verteilt.
Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat mit Schreiben vom 12. September 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten de Terra, Dr. Köhler ({1}), Dr. Miller, Pfeifer, Dr. Kreile, Niegel, Broll, Daweke, Dr. Sprung, Rühe, Voigt ({2}), Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Regelung der Beteiligung bildender Künstler an öffentlichen Baumaßnahmen - Drucksache 8/3130 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3168 verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 6. September 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stockleben, Daubertshäuser, Frau Erler, Grunenberg, Scheffler, Dr. Steger, Ueberhorst, Wendt und der Fraktionen der SPD und FDP betr. Biotechnologie - Drucksache 8/3124 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3169 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft und der Bundesminister für Forschung und Technologie haben mit Schreiben vom 12. September 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stockleben, Daubertshäuser, Frau Erler, Grunenberg, Dr. Jens, Müller ({3}), Scheffler, Dr. Steger, Ueberhorst, Wendt, Dr. Schachtschabel, 'Wolfram ({4}), Dr.-Ing. Laermann, Angermeyer, Dr. Haussmann, Wurbs und der Fraktionen der SPD und FDP betr. Forschungsförderung kleiner und mittlerer Unternehmen - Drucksache 8/3123 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3170 verteilt.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Wir fahren in der Aussprache über die Punkte 1 und 2 der Tagesordnung fort:
1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 ({5})
- Drucksache 8/3100 -
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1979 bis 1983
- Drucksache 8/3101 2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1979 ({6}).
- Drucksache 8/3099 Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
({7}) ,
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst einmal möchte ich die Kollegen darauf aufmerksam machen, daß ich mich ihnen heute - nach der gestrigen Diskussion - in neuer Eigenschaft vorstelle - das wird vor allem die Kollegen aus der sozialdemokratischen Fraktion überraschen -, nämlich in meiner Eigenschaft als Klassenkämpfer. Ich bin mit dem Kollegen Roth der Meinung, daß eine gerechte Besteuerung der Landwirtschaft notwendig ist, und Herr Kohl hat das gestern als Klassenkampf definiert.
({0})
Im übrigen, meine Damen und Herren, ist gestern eine ganze Menge diskutiert worden, über Renten, über Staatsverschuldung, über Energie,
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und zum Haushalt ist verhältnismäßig wenig gesagt worden.
({2})
Eine Ausnahme hat u. a. der Kollege Haase gemacht. Ich will gleich darauf antworten, Herr Haase. Sie haben die beantragte Stellenvermehrung im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums kritisiert. Ich bin sicher, daß das im Haushaltsausschuß - das ist auch richtig so - debattiert und geprüft werden wird. Ich mache aber doch darauf aufmerksam, daß insbesondere die Vermehrung der Aufgaben etwa im energiepolitischen Bereich ganz zwangsläufig, auch wenn man alle Einsparungsmöglichkeiten berücksichtigt und wahrnimmt - und das Wirtschaftsministerium ist schon lange vor meiner Amtszeit, was den Personalsektor anlangt, ein, wie ich glaube, zurückhaltendes Ministerium gewesen -, zu solchen Anforderungen führt. Auch die Tatsache, daß es früher wertmäßig sehr bescheidene Anforderungen gegeben hat, bringt im Hinblick auf die Zukunftschancen der Mitarbeiter zwangsläufig eines Tages Hebungsanforderungen mit sich, so sehr man dies grundsätzlich bedauern mag. Ich bin deswegen dem Finanzminister dankbar, daß er mir für diese, wie ich glaube, bescheidenen Wünsche, Gehör geschenkt hat. Wir werden im Haushaltsausschuß diese Wünsche vertreten.
Zur Wirtschaftspolitik ist gestern fast nichts gesagt worden. Warum? Ich glaube, für die Opposition gibt dieses Thema in der gegenwärtigen Situation nicht so sehr viel her. Die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik eignet sich nicht besonders für allzu viele kritische, aktuelle Anmerkungen. Eine Ausnahme gibt es: Das ist unsere gemeinsame Sorge um die Preise. Es gibt auch die Ausnahme „Energiesektor". Die Energiepolitik ist ein Bestandteil der allgemeinen Wirtschaftspolitik, ein wichtiger Bestandteil, wie wir alle heute wissen. Darauf, daß ein Zusammenhang zwischen Preisentwicklung und der Lage im Energiebereich besteht, werde ich noch zurückkommen. Dieser Zusammenhang ist sicherlich auch unbestritten.
Gestern ist über die Entwicklung der Kernenergie ausgiebig diskutiert worden. Das ist gestern abend fortgesetzt worden, wie der eine oder andere vielleicht am Fernsehen verfolgen konnte. Ich will hier nicht etwa alles wieder aufrollen, aber doch auf ein paar Bemerkungen zurückkommen.
Herr Kollege Althammer, Sie haben gesagt, seit zwei Jahren sei auf diesem Sektor nichts geschehen. Ich glaube, es ist länger nichts geschehen, nicht erst seit zwei Jahren. Der Bundesregierung liegt seit längerem, etwa seit fünf Jahren, kein neuer Antrag auf eine erste Teilerrichtungsgenehmigung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren vor. Ich stelle die Frage, warum denn nicht aus einigen Ländern der Bundesrepublik, aus Bayern, aus Baden-Württemberg, aus Rheinland-Pfalz - Sie wissen, welche Länder ich meine -, ein solcher Antrag vorgelegt worden ist. Ohne einen Antrag ist die Bundesregierung überhaupt nicht in der
Lage, ihren Pflichten im Genehmigungsverfahren nachzukommen.
({3})
- Wo immer ein solcher Antrag herkäme, Herr Riedl! Wenn Sie aber die Tatsache kritisieren, es gäbe keinen und es geschähe nichts, so kann ich nur sagen: Sprechen Sie doch einmal mit Ihren Freunden in den Ländern darüber, die Bundesregierung unter diesen Zugzwang zu bringen. Ich würde diesen Zugzwang gar nicht ungern sehen.
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In Wahrheit, meine Damen und Herren, ist im Augenblick, wie mir scheint, die Kernenergiediskussion in ein Fahrwasser geraten, das uns immer mehr zu gemeinsamen Überzeugungen und zu der Erkenntnis ihrer Notwendigkeit bringt. Viel bedenklicher ist die Anwendung des Sankt-FlorianPrinzips, nachdem wir die Gemeinsamkeit entwikkelt haben. Ich fürchte, daß wir, selbst wenn wir alle miteinander, auf allen Parteitagen, in allen Parteiprogrammen, mit allen Ministerpräsidenten die theoretische Erkenntnis von uns geben und wie ein Banner vor uns hertragen „Kernenergie ist unverzichtbar" - das schreiben wir auch in alle internationalen Dokumente hinein; es ist ja auch richtig -, damit immer noch nicht die Frage entschieden haben, wo denn ein Kernkraftwerk gebaut werden könnte und wo denn eines gebaut werden darf.
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Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Bitte.
Herr Minister, glauben Sie nicht, daß Voraussetzung dafür, daß man sich vor Ort für den Bau eines solchen Werkes auch politisch einsetzt, wäre, daß unter den großen politischen Parteien - ich meine alle drei im Bundestag vertretenen Fraktionen - Einigkeit, Klarheit und Gemeinsamkeit herrschte?
Es ist sicherlich notwendig und wünschenswert, daß sich die politischen Parteien auf den Boden der Politik der Bundesregierung stellen. Sie arbeiten ja auch alle daran, meine Damen und Herren. Ich habe gerade eben gesagt, daß nach meiner Überzeugung die politische Willensbildung in unserem Lande mit den Mehrheiten der Parteien erfolgen muß. Sie werden ja wohl nicht erwarten, daß es in unseren Parteien - schließen Sie bitte nicht immer von der CSU auf FDP und SPD - immer hundertprozentige Mehrheiten und absolute Übereinstimmung gäbe; das kann bei uns nicht so sein.
({0})
Aber es muß tragfähige Mehrheiten und Entscheidungen geben. Dies möchte ich gerade an Hand meiner Befürchtungen, was das Sankt-Florian-Prinzip anbelangt, und an Hand der gestrigen Bemerkungen und der heutigen Radiomeldungen noch einmal unterstreichen.
Herr Kohl hat gestern gesagt: „Veranlassen Sie die sozialdemokratische Fraktion im Landtag von Hannover, dem Gorleben-Konzept zuzustimmen. Dann kommt es!" - Heute morgen hat Herr Albrecht - der im übrigen früher erklärt hat: in dieser Generation nicht - gesagt: „Keine Wiederaufarbeitung in Hannover! Warum denn eigentlich alles nach Niedersachsen? Können die denn nicht ihre Sachen anderswo abladen?" - Das ist eben Handeln nach dem Sankt-Florian-Prinzip.
({1})
Im übrigen hat Herr Kohl gestern gesagt, Sie hätten klare Parteitagsbeschlüsse. Ich weiß nicht genau, ob Herr Albrecht diese gelesen hatte, als er seine Entscheidung getroffen hat.
({2})
Aber wir haben ja gestern von dem Oppositionsführer die Aufforderung zur Gemeinsamkeit gehört; er hat sie abends in der Diskussion der Parteivorsitzenden wiederholt. Wir haben auch den Vorschlag eines sogenannten Energiepaketes, den der schleswig-holsteinische Ministerpräsident machte, sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen. Eines ist sicher richtig: Es kann und wird nichts auf diesem Gebiet geschehen, wenn Bund und Länder nicht zusammenarbeiten. Es bleibt blanke Theorie, dem Bund zu sagen: Du hast die Zuständigkeit und damit die Verantwortung für die Energieversorgung und auch für diese Frage!, wenn doch jeder weiß und völlig unbestritten ist, daß der Bund ohne Mitwirkung der Länder keine einzige Standortfrage, kein einziges Genehmigungsverfahren klären kann.
({3})
Es geht nur zusammen.
Ich sage - und das ist die letzte Bemerkung zu diesem Thema -, das Entsorgungskonzept, das wir ja, wenn ich das richtig sehe, im wesentlichen gemeinsam für richtig halten, beruht doch nicht auf Prinzipienreiterei. Die Befürchtung, die wir haben, wenn das Entsorgungskonzept wirklich nachhaltig und ernsthaft geändert werden sollte und die Bereitschaft, die Anregung zu Zwischenlagern, die aus Niedersachsen kam, aufzugreifen, nicht mehr gegeben ist, besteht doch darin: Das Entsorgungskonzept ist die Grundlage für Genehmigungsverfahren und viele Gerichtsentscheidungen; die Gefahr ist nicht zu übersehen, daß dann, wenn wir am Entsorgungskonzept Einschränkungen vornehmen müssen, einige dieser Gerichtsentscheidungen und Genehmigungsverfahren, die die Grundlage für Bau und Betrieb sind, ins Wanken geraten können. Dies ist die ernsthafte Gefahr, nicht etwa nur für die zukünftigen Pläne, sondern auch für das, was existiert und läuft. Deswegen ist es wirklich dringend erforderlich, daß hier Übereinstimmung zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Länder gefunden wird. Die Diskussion über das Thema wird damit nicht beendet sein; das ist auch richtig so. Ich halte das für völlig in Ordnung und behaupte, daß diese Diskussion um Sicherheit und Besorgnis dazu beigetragen hat, daß wir heute die höchsten Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke in der ganzen Welt haben.
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Ich begrüße in diesem Zusammenhang den Diskussionsbeitrag, den die evangelische und die katholische Kirche Nordrhein-Westfalens gestern geleistet haben. Meine Damen und Herren, nur eine öffentliche, breit geführte Diskussion schafft - über den Bereich der Kernenergie hinaus - das Energiebewußtsein, das wir in großen Teilen der Bevölkerung brauchen, wenn wir den Zielen von rationeller und sparsamer Energieverwendung näherkommen wollen. Das geht nur über Diskussion und Information und über nichts anderes. Ich denke, daß wir darüber keine Meinungsverschiedenheiten haben.
Ich begrüße auch die gelegentlich kritisierte Diskussion dieses Sommers. Auch sie hat dazu beigetragen, das Problem Energie und Energiesparen in die Wohnung unserer Bürger zu tragen. Das ist unsere Aufgabe, die nicht ganz leicht zu erfüllen ist.
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- Worüber? Über das Energiesparen? Über das Energiesparen bin ich mir mit dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei völlig einig. Gelegentliche Meinungsverschiedenheiten werden wir auch in Zukunft haben, und über diese werden wir sprechen.
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- Ich will nicht unbedingt sagen, daß sie zum Theaterdonner gehören. Aber Meinungsverschiedenheiten über die Formen des Energiesparens, über die Entwicklung auf den Energiemärkten, die auch öffentlich ausgetragen und damit für die Bürger transparent und einsichtig werden, gehören zum Meinungsbildungsprozeß in der Bundesrepublik.
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Dagegen ist gar nichts einzuwenden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte sehr.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, heute ist es, wenn ich mich nicht irre, auf den Tag genau neun Monate her, seitdem der Deutsche Bundestag in einer Plenarsitzung am 14. Dezember 1978 die Fortschreibung des Energieprogramms mit Mehrheit beschlossen hat. Teilen Sie meine Meinung, daß es nach der gestrigen Debatte nicht
überflüssig wäre, diejenigen, die diese Frage unter starker Betonung der Gemeinsamkeit nun vorbringen, daran zu erinnern, daß es gut wäre, wenn sie sich auf den Boden der damals von der Mehrheit des Bundestages, nämlich der knappen Mehrheit der Koalition, beschlossenen Entschließung stellten?
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Herr Wehner, ich bin in der Tat der Ansicht, es wäre gut, wenn wir alle diese Entschließung, die zwar formal nur die knappe Mehrheit der Koalition gefunden hat - aber materiell und inhaltlich hat uns die Opposition immer wissen lassen, daß sie unsere Ansicht teilt -, unterstützten, die am 14. Dezember beschlossen worden ist.
({0})
Wir alle wissen, daß Energiesparen, insbesondere was die kurzfristige Seite dieses Problems anlangt, wirklich das Gebot der Stunde ist. Ich stehe nicht an, den Bürgern unseres Landes auch von hier aus zu sagen, daß ich die Fortschritte, die von ihnen auf diesem Gebiet gemacht worden sind, und die Einsichten, die dabei zutage treten, begrüßenswert finde und dankbar anerkenne. Das gilt auch für die Autofahrer, und das gilt im übrigen auch - trotz eines, wie ich finde, etwas grotesken Kommentars in der „Frankfurter Rundschau" heute morgen - für die Einsparungsbemühungen der Automobilindustrie. Es geht mir und auch der Bundesregierung in dieser Frage nicht um Prestige - schon gar nicht geht es um persönliches Prestige irgendeines von uns -, sondern es geht uns um Ergebnisse. Es ist wünschenswert, daß Ergebnisse erzielt werden, es ist begrüßenswert, wenn Spareffekte erreicht werden. Ob allerdings das, was ich gestern abend und heute morgen in meinem Buns destagsbüro festgestellt habe, daß hier nämlich bereits die Heizung wieder läuft, mit Sparsamkeit, mit dem Sparsamkeitsgebot in vollem Einklang steht, versehe ich mit einem Fragezeichen.
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Wir haben über Energie und Preise gesprochen. Den Zusammenhang von Energie und Preisen wird keiner übersehen. Wir wissen, daß die Energiepreisentwicklung in diesem Jahr einen kräftigen Anstoß zur Entwicklung der Verbraucherpreise in der Bundesrepublik gegeben hat. Der Verbraucherpreisindex - davon wird man heute ausgehen müssen - wird am Ende des Jahres eine Steigerung von etwa 4,5 0/0 ausweisen. Darin sind die Energiepreise, die Mehrwertsteuer, aber auch hausgemachte Preissteigerungen enthalten. Den Anteil der Energiepreise, die zu dieser Steigerung beigetragen haben - ich meine den Primäreffekt; die Sekundäreffekte sind sehr schwer auszurechnen -, wird man mit mindestens 1,5 °/o ansetzen können.
Ich halte diese Preisentwicklung für besorgniserregend und verkenne nicht, daß wir noch im Laufe dieses Jahres Monatsraten werden verzeichnen können, die die 5 %-Marke erreichen und überschreiten. Das gilt insbesondere für die Monate, die
im Vergleich zu den entsprechenden Monaten des Vorjahres - in erster Linie im Oktober - einen besonders ungünstigen Basiseffekt haben. Im Oktober vorigen Jahres lag die Preissteigerungsrate praktisch bei Null, so daß wir, wie ich glaube, im Oktober dieses Jahres mit einem Ausschlag nach oben rechnen müssen. Das ist unerfreulich, und wir können nur dafür sorgen, daß durch eine weiterhin wohlabgestimmte - sie ist es schon jetzt - Fiskalpolitik des Bundes und der Länder mit der Geldpolitik der Bundesbank diese Entwicklung in den Griff genommen wird, natürlich so, daß sie nicht zu schädlichen Einbrüchen im Wirtschaftswachstum beiträgt. Zu einer solchen Befürchtung besteht zur Zeit keine Veranlassung.
Ich habe vor einiger Zeit meine Überzeugung formuliert, daß wir 1980 bei den Verbraucherpreisen eine bessere Entwicklung erleben werden. Der Oppositionsführer, Herr Kohl, hat dazu öffentlich wissen lassen, ich sei dabei, die Inflation zu verharmlosen. Ich habe in punkto Inflation und Inflationsbewußtsein einen, wie die Amerikaner sagen, vorzeigbaren record und lasse mich deswegen durch solche Bemerkungen nicht irritieren. Ich denke überhaupt nicht daran, Inflation zu verharmlosen. Es wäre das dümmste, was man machen kann, und es stünde im übrigen den Wünschen der Mehrheit unserer Bevölkerung entgegen, die inflationsbewußt ist, weil sie zweimal von sehr unterschiedlichen Inflationen geplagt ist und sehr genau weiß, daß dies eine der unsozialsten Erscheinungen im Wirtschaftsleben ist, die man sich überhaupt vorstellen kann.
({2})
Ich will aber meine Vorhersage für 1980 mit zwei Worten begründen. Erstens wird der Basiseffekt, also die Vergleichsbasis zwischen dem Jahr 1979 und dem, was 1980 zu erwarten ist, zweifellos günstiger als zwischen 1978 und 1979 sein, und zweitens können wir davon ausgehen - dies ist kein billiger Optimismus -, daß sich eine solche Ölpreisexplosion wie 1979 im Jahre 1980 nicht wiederholen wird. Wir können durchaus nicht ausschließen, daß es weiter leicht ansteigende Energiepreise geben wird; aber es wird nicht schon wieder einen großen Sprung geben. Wir werden uns ohnehin mit der Frage beschäftigen und sie international erörtern, ob eine einigermaßen vorhersehbare, langsame, kontinuierliche Preissteigerung auf den Energiemärkten, die die Tatsache zum Ausdruck bringt, daß es sich hier um knapper werdende Güter handelt, nicht sehr viel besser als diese Preisexplosionen alle vier Jahre wäre, die uns weltweit zu strukturellen Anpassungen zwingt, die wir kaum bewältigen können. Es ist nicht damit getan, daß man, wie ich es manchmal höre, sagt: Die Bundesrepublik kann es sich noch leisten, sie wird damit fertig. - Wir können nicht in einer Welt leben, in der es uns gut geht und - ich übertreibe jetzt einmal - alle anderen pleite sind; denn wir wollen mit den anderen Geschäfte machen; davon leben wir.
({3})
Aber es gibt auch noch besorgniserregende Punkte. Die Preiserhöhungen auf der industriellen Erzeugerstufe sind bei den Verbraucherpreisen noch nicht in vollem Umfang angelangt. Deswegen habe ich die Unternehmen wiederholt öffentlich aufgefordert, sich in der Preisbildung Zurückhaltung aufzuerlegen. Dies ist nicht, wie ich manchmal höre, ein Verlassen marktwirtschaftlicher Grundsätze. Marktwirtschaft heißt nicht, nimm kurzfristig, was du nur irgendwie kriegen kannst, sondern Marktwirtschaft heißt, auch mittel- und längerfristig bei der Preisbildung die Auswirkungen auf die Konjunktur generell, vor allen Dingen aber auch auf den eigenen Marktanteil zu sehen, den man mit hohen Preisen natürlich der Gefahr aussetzt, daß billigere Importe in diese Märkte einbrechen, was wir 1978 deutlich erlebt haben. Deswegen noch einmal: Zurückhaltung ist notwendig, insbesondere weil von Januar bis Mai 1979 die Lohnstückkosten in der Bundesrepublik Deutschland Dank besserer Kapazitätsauslastung und damit verbundener höherer Produktivität nur um 0,5 % gestiegen sind. Das gibt Anlaß, die Kirche im Dorf zu lassen.
Selbstverständlich sind die Tarifpartner - das ist die Kehrseite der Tarifautonomie, die niemand von uns in Frage stellt - auch in diesem Jahr vor die Frage gestellt, wie sie es denn handhaben werden und welche Forderungen oder welche Abschlüsse sie verantworten können. Es wird niemand von der Bundesregierung und ganz gewiß nicht der Wirtschaftsminister Empfehlungen oder gar Leitlinien geben. Das haben wir nie getan, und wir werden es auch zukünftig nicht tun.
Eines möchte ich aber doch sagen. Die sogenannte Nachschlagdiskussion ist in der Bundesrepublik mit einem ungewöhnlichen Maß von Verantwortung insbesondere von den Gewerkschaften, für die das nicht einfach gewesen ist, geführt worden. Es besteht aller Anlaß, sich dafür zu bedanken.
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Es ist gut zu sehen, daß wir begriffen haben, daß Einkommensübertragungen an die ölproduzierenden Länder, teilweise auch an die Mineralölgesellschaften, nicht dazu führen können, daß diese Beträge ein zweites Mal in der Bundesrepublik verteilt werden. Sie sind nämlich weggegeben, wir haben sie nicht mehr. Es gibt keinen Trick, um diesen Einkommens- und Kaufkraftverlust herumzukommen.
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- Der Herr Steinkühler, meine Damen und Herren, ist für mich nicht der entscheidende Gesprächspartner. Wenn Sie aber diesen Fall ansprechen, so weiß es jedenfalls der Gesamtvorstand der IG Metall. Auf den kam es an. Er hat es gesehen und hat entsprechend entschieden. Das war gut.
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Meine Damen und Herren, dies alles spielt sich ab vor dem Hintergrund einer durchaus stabilen
und erfreulichen konjunkturellen Situation. Die Arbeitslosenzahl liegt unter 800 000. Wir müssen erkennen, daß wir es mit einem nahezu zweigeteilten Arbeitsmarkt zu tun haben, nämlich mit Erscheinungen von Vollbeschäftigung, ja, Überbeschäftigung in manchen Branchen und in manchen Regionen und gleichzeitig mit einem Sockel sehr verfestigter Arbeitslosigkeit - ich schätze das Wort ,,strukturelle Arbeitslosigkeit" dafür nicht so sehr - in Problemgruppen, denen wir kurzfristig, so wie wir heute die Lage erkennen, kaum durchgreifend helfen können. Dies bleibt eine ständige Herausforderung und Aufgabe, die aber wohl nur schwer in nennenswertem Umfang weiter als Folge besserer konjunktureller Entwicklung alleine gelöst werden kann. Das ist eine Erkenntnis, die sich aus den Entwicklungen der letzten Wochen und Monate ergibt.
Diese Konjunktur beruht - und das ist das außerordentlich Erfreuliche - auf einer stark vermehrten inländischen Investitionstätigkeit. Wir haben das immer gesagt und erwartet: Wenn die Konjunktur erst wieder Tritt faßt, wird sie auch in den selbsttragenden Aufschwung einmünden, der natürlich nur darauf basieren kann, daß die inländischen Investitionen wieder anlaufen, und sie tun es. Dazu kommt, daß eine gute Exportkonjunktur herrscht, die Kapazitätsauslastung im Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes fast normal ist, der Produktivitätsanstieg erheblich ist und sich die dadurch erreichte Kostenentlastung außerordentlich erfreulich bemerkbar macht.
Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft sprechen heute nahezu ausnahmslos vom sich selbst tragenden Aufschwung. Meine Damen und Herren - das wird, wie ich hoffe, auch die Opposition der Bundesregierung konzedieren -, viele Jahre haben wir uns darum bemüht, diesen Zustand zu erreichen, und wir freuen uns darüber, daß dies - nicht von uns alleine, weiß Gott nicht - wieder geschafft ist.
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Unsere Vorhersagen für das Wachstum des realen Bruttosozialprodukts im Jahre 1979 am Anfang des Jahres lagen bei 4 %. Hätte es die Energiepreisentwicklung nicht gegeben, hätten wir sie deutlich nach oben korrigieren müssen. Trotz der Energiepreise werden wir diese 4 % mindestens - ich unterstreiche: mindestens - erreichen. Ich gehe heute davon aus, daß wir sie übertreffen werden. Ich sage: trotz der Energiepreise, trotz Rezession bei einigen unserer wichtigen Partner, z. B. den Vereinigten Staaten, und trotz eines Bestellrückgangs bei den OPEC-Ländern und aus den Staatshandelsländern. Beides sind im übrigen Erscheinungen, die aus unserer Sicht keineswegs nur kritisch zu vermerken sind, weil insbesondere das Bemühen der Staatshandelsländer, ihre Zahlungsbilanzverhältnisse auf diese Weise zu verbessern, langfristig gesehen eine richtige Politik ist.
Wie sind die Aussichten für das Jahr 1980? Das Jahr 1979 ist, was Konjunktur und Wachstum anlangt, praktisch ja schon gelaufen. Es gibt keinen Grund zur Annahme, daß der Wachstumstrend ab13526
bricht. Das Auftragspolster ist beachtlich. Die laufende Nachfrage ist gut. Und wir können davon ausgehen, daß die stabile konjunkturelle Situation sich fortsetzt.
Verschiebungen sind nach meiner Überzeugung denkbar. Die Überhitzungserscheinungen in der Bauindustrie, insbesondere im Baugewerbe, die einen erheblichen Teil zu der Preisentwicklung beigetragen haben, werden zum einen wegen der stark gestiegenen Preise, zum anderen auch wegen der Auswirkungen der höheren Hypothekenzinsen auf den Eigenheimbau zurückgehen. Ich halte dies' für eine begrüßenswerte Entwicklung, weil hier die, Überhitzungserscheinungen und damit auch die Vollbeschäftigungs- oder sogar Überbeschäftigungserscheinungen in diesem Sektor des Arbeitsmarkts ganz besonders deutlich sind, wozu wir natürlich - wir haben bei der Energiepolitik immer wieder darüber gesprochen - auch durch unsere Bauauflagen für Wärmedämmung und ähnliches beitragen. Wir müssen sehen, daß hier Entwicklungen parallel miteinander verlaufen, die die Überhitzungserscheinungen verstärken können. Ich sage auch: Die Bundesregierung hat entgegen einer Forderung aus der Bauindustrie nicht die Absicht, sich heute über Schubladenprogramme und ähnliches zu unterhalten. Ich teile die Beurteilung, die in einer deutschen Zeitung erschienen ist, daß man ein wenig den Eindruck gewinnen kann, als hingen manche Industriezweige bei uns bereits an der Zuführung öffentlicher Mittel wie ein Süchtiger an den Drogen.
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Bei der Automobilindustrie wird man davon auszugehen haben, daß es etwas langsamer geht. Das ist nach fünf bis sechs Jahren steiler Aufwärtsentwicklung und steilen Booms - für den wir ja nur dankbar sein können, wenn wir uns die Beschäftigungssituation der letzten Jahre ansehen - durchaus nichts Ungewöhnliches. Dennoch wird es nach wie vor eine gute Automobilnachfrage geben. Im übrigen stärkt eine solche Beruhigung des Tempos die Konsumnachfrage an anderen Stellen, was keineswegs negativ zu sein braucht.
Deshalb: Aus - das unterstreiche ich jetzt - konjunkturpolitischer Sicht - zu dem anderen wird sich der Finanzminister äußern - ist eine zusätzliche Steuersenkung im Jahre 1980 nicht nur nicht vonnöten, sondern nach meiner Überzeugung eher schädlich. Ich sage „zusätzlich", weil in unserer ganzen Steuerdiskussion offensichtlich übersehen wird, daß am 1. Januar 1980 gerade die die Wirtschaft entlastenden steuerlichen Maßnahmen auf dem Gebiet der Gewerbesteuer, zuvörderst der Lohnsummensteuer, erst in Kraft treten. Die sind ja noch gar nicht angefangen worden.
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Manchmal habe ich den Eindruck, Steuerpolitik ist nur so lange ein interessantes Thema, als sie diskutiert wird. Sobald das entschieden und abgeschlossen ist, ist das völlig vergessen und völlig gleichgültig und interessiert keinen Menschen mehr.
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- Das ist sicher richtig. Nur, ich sage Ihnen: Aus konjunkturpolitischer Sicht ist eine steuerliche Entlastung in der Größenordnung, die da notwendig ist - darüber gibt es keinen Streit - für das Jahr 1980 nicht wünschenswert. Ich werde das noch begründen.
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- Ich sagte: Aus konjunkturpolitischer Sicht. Sicher ist das ein Teilaspekt. Ich halte das aber für einen außerordentlich wichtigen Teilaspekt, zumal da wir erst am 1. Januar dieses Jahres Entlastungen auf diesem Sektor gehabt haben. Das ist auch erst ein par Monate her.
Lassen Sie mich dann gleich noch eine Bemerkung in diesem Zusammenhang machen. Ich bin in vollem Umfang der Auffassung, die der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages geäußert hat: daß es lebensgefährlich sowohl für die Tarifautonomie wie für die Steuerpolitik wäre, wenn wir in Zukunft einen Zusammenhang zwischen Steuersenkung und Tarifpolitik herstellten.
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Das, was die „Frankfurter Allgemeine" gestern dazu kommentiert hat, ist nach meiner Auffassung falsch.
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Wenn wir das, was die „Frankfurter Allgemeine" verlangt, von Jahr zu Jahr täten, würden wir überhaupt keine Tarifvereinbarung mehr zustande kriegen ohne die mittelbare Hilfe des Staates über Steuersenkungen. Das aber kann nicht im Sinne der Tarifautonomie liegen und auch nicht im Sinne der Steuerpolitik.
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Meine Damen und Herren, wir haben in der Rezession gegengehalten - und dies waren vier Jahre weltweiter Rezession -, nicht, wie Herr Carstens gestern gemeint hat, mit reiner Nachfragepolitik, sondern in erheblichem Maße mit angebotsorientierter Konjunktur- und Wirtschaftspolitik, was ja auch richtig war. Es ist geradezu merkwürdig, sich hier die übersetzte Nachfragepolitik von der Opposition vorhalten lassen, gleichzeitig aber in jedem sogenannten Gegengutachten zum Sachverständigenrat und vielen Stellungnahmen von dieser Seite lesen zu müssen, daß wir Nachfragepolitik weit unterschätzt hätten. Wenn wir die Kritik von beiden Seiten so massiv erfahren, können wir davon ausgehen, daß wir mit der mittleren Position, die wir eingenommen haben, ganz vernünftig und richtig liegen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zwei Bemerkungen zu dem machen, was Herr Kohl gestern gesagt hat.
Erstens. Ich hoffe, das Wort von „Steuergeschenkpaketen", das Herr Kohl formuliert hat, war ein Versprecher. Ich bin ganz entschieden anderer
Ansicht. Wir haben überhaupt nichts zu verschenken, und der Terminus technicus „Geschenk" im Zusammenhang mit Steuerpolitik ist der falsche Ansatz. Dies ist Geld des Bürgers; wir haben die Verantwortung wahrzunehmen, ihm nicht mehr abzunehmen, als notwendig ist, und ihm in regelmäßigen Abständen unter Korrektur der Tarife - das bestreitet ja überhaupt niemand - das zurückzugeben, was in einer wachsenden Wirtschaft, die nicht völlig preissteigerungsfrei sein kann, an heimlichen Steuererhöhungen eintritt. Aber das Wort „Geschenke" - ({16})
- ,,Steuergeschenkpaket". Ich kann ja zuhören und kann mir auch meine Notizen machen, Herr Jenninger. Ich verstehe, daß Sie Ihre Rolle getreulich spielen, aber diesmal ist sie überzogen. Es stimmt doch.
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Zum zweiten - Herr Jenninger, auch das hat mich eher amüsiert - hat Herr Kohl erklärt: Das darf nicht im Jahre 1980 mit heißer Nadel genäht werden, das muß jetzt getan werden. Das heißt: Es muß von Oktober bis November/Dezember mit kalter Nadel eine Steuerreform gemacht werden. Ich möchte wissen, wie wir das machen sollen.
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- Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, wie die steuerpolitischen Diskussionen und Entscheidungen vor sich gehen, mit welcher Geschwindigkeit so etwas möglich ist. Und wir alle miteinander wissen, daß auch die nächste Maßnahme auf diesem Gebiet im Vermittlungsausschuß entschieden wird. Machen wir uns doch nichts vor! Das weiß doch jeder.
- Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte sehr.
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß sich der Vorschlag der CDU/ CSU lediglich auf eine Tarifkorrektur für das nächste Jahr beschränkt und daß die sogenannte große Steuerreform selbstverständlich folgen muß?
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Herr Kollege Althammer, „lediglich Tarifkorrektur" : Erstens ist das Wort „lediglich" vom Volumen her nicht angebracht. Zweitens wissen wir doch alle, daß eine Tarifkorrektur, daß jede Änderung des Tarifs so viele systematische Probleme mit sich bringt - da bin ich mit Herrn Kohl ja völlig einig -, daß das nicht mit heißer Nadel genäht werden kann. Nur möchte ich gern wissen, wie man in acht Wochen auf diesem Gebiet etwas mit kalter Nadel nähen kann.
({0})
Meine Damen und Herren, ich wiederhole, daß aus konjunkturpolitischer Sicht die Konsolidierung und der Abbau der Nettokreditaufnahme die entscheidende wirtschaftspolitische und steuerpolitische Forderung an das Jahr 1980 sein müssen. Ich frage deswegen auch die Opposition: Wann denn, wenn nicht jetzt, im fortgeschrittenen konjunkturellen Aufschwung, sollen die öffentlichen Defizite zurückgeführt werden? Wann denn, wenn nicht jetzt, soll dem Staat wieder konjunkturpolitische Manövriermasse zuwachsen? Wann denn, wenn nicht jetzt, kommt es darauf an, einen Verdrängungswettbewerb gegen die private Wirtschaft am Kapitalmarkt zu vermeiden?
Dies sind drei Fragen, meine Damen und Herren, die uns das nächste Jahr bescheren wird, wenn wir Ihren Ratschlägen folgen. Deswegen bin ich der Auffassung: Wir können und dürfen diesen Ratschlägen nicht folgen.
({1})
Zur wirtschaftspolitischen Situation der Bundesrepublik Deutschland im Herbst 1979 stelle ich fest: Unser Land hat die weltweite Rezession der Jahre nach 1973/74 vergleichsweise fast am besten von allen Ländern, überstanden. Die konjunkturelle Situation in der Bundesrepublik ist gut; die konjunkturellen Aussichten in der Bundesrepublik sind ordentlich. Die Bürger unseres Landes können beruhigt in die überschaubare Zukunft sehen.
Dies, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis einer auf Marktwirtschaft, Wettbewerb und soziale Sicherung gegründeten soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik, das Ergebnis internationaler Kooperation mit unseren Partnern auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik, das Ergebnis verantwortungsbewußter Tarifpartner, das Ergebnis der Besonnenheit der Verbraucher, insbesondere auch auf dem Gebiete der Energiepolitik und des Energieverbrauchs.
Die Bundesregierung wird diese Politik fortsetzen, und der Haushaltsentwurf für das Jahr 1980 ist dafür eine geeignete Grundlage.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Biedenkopf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gern, Graf Lambsdorff, ehe ich zu dem eigentlichen Gegenstand komme, eine Bemerkung zu Ihren sehr löblichen Ausführungen über Steuergeschenke machen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihnen dieser Begriff völlig fremd ist. Sie haben hier gesagt - wir stimmen dem vollkommen zu -, daß der Staat nur soviel Steuern erheben darf, wie er unbedingt braucht, und daß er keine heimlichen Steuererhöhungen in Anspruch nehmen darf, die
vom Gesetzgeber als Belastung der Privathaushalte nicht beschlossen sind. Wir stimmen dem vollkommen zu. Aber ich darf daran erinnern, daß der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei gestern hier sehr nachhaltig die Leistung für sich in Anspruch genommen hat, die darin zu sehen sei, daß man dem Bürger Geld zurückgebe. Das klang etwas anders, als Sie es eben formuliert haben.
Ich möchte einen zweiten Punkt erwähnen, auf den ich gleich noch einmal zurückkomme. Sie haben zum Abschluß Ihrer Ausführungen gefragt: Wann denn, wenn nicht jetzt, ist die Verschuldung zurückzuführen? Wann denn, wenn nicht jetzt, soll der Staat aus dem Kapitalmarkt genommen werden, da doch die Konjunktur zu einer selbsttragenden, gesicherten Konjunktur geworden ist?
Exakt diese Fragen, Graf Lambsdorff, beantwortet der Haushalt aber nicht; denn die Verschuldung ist ja im nächsten Jahr genauso hoch wie in diesem Jahr.
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Die Inanspruchnahme des Kapitalmarkts durch den Staat hat inzwischen solche Dimensionen erreicht, daß die Zinssteigerungen nicht mehr in erster Linie auf private Nachfrage, sondern in erster Linie auf die staatliche Nachfrage zurückzuführen sind. Sie müssen deshalb ein ganz wichtiges konjunkturpolitisches Instrumentarium, nämlich die Beeinflussung der Zinshöhe, praktisch preisgeben, weil der Staat wegen seiner überdimensionierten Kreditnachfrage zu einer Steuerung der Zinsen gar nicht mehr in der Lage ist.
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Herr Kollege Hoppe hat gestern von der Zeitbombe gesprochen, die im Haushalt tickt, und zwar in der mittelfristigen Finanzplanung, auf der dieser Haushalt beruht. Ich möchte mich in meinen Ausführungen mit den Ursachen für diese Zeitbombe befassen und danach fragen, wie man sie entschärfen kann.
Die mittelfristige Finanzplanung, auf der der Haushalt 1980 beruht und die jetzt bis 1983 fortgeführt wird, zeigt zwar in den späteren Jahren nach der jetzigen Planung eine gewisse Rückführung der Nettoneuverschuldung des Bundes. Aber diese Finanzplanung beruht auf einer Reihe von Annahmen, deren Einlösung höchst unwahrscheinlich ist. Die wichtigsten Annahmen, auf der sie beruht, sind Annahmen über die Wachstumsraten.
Es ist meine Überzeugung und die Überzeugung meiner Freunde, daß eine der Hauptursachen für die von Herrn Hoppe beschriebene Zeitbombe - ich stimme Ihnen da vollkommen zu - darin zu sehen ist, daß die Bundesregierung zwischen 1973 und 1974 eine grundsätzliche Veränderung in der Finanz- und Haushaltspolitik vorgenommen hat. Die Bundesregierung hat 1973 durchaus in Analogie zur Politik der Großen Koalition 1966/67 die Entscheidung getroffen, eine staatliche Verschuldung in Kauf zu nehmen, um die durch die Energiekrise vom Herbst 1973, die ja in unserem Land 1974 und 1975 erst voll zum Tragen kam, ausgelöste Rezession auszugleichen. So weit und bis dahin befand sich die Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung durchaus in Übereinstimmung mit der politischen Entscheidung, die zuvor schon in der Großen Koalition einmal getroffen worden war.
Allerdings ist dann unter dem Eindruck der sogenannten Reformpolitik und einer geradezu euphorischen Beurteilung der Ausdehnung des „öffentlichen Korridors" eine prinzipielle Veränderung eingetreten. Die Bundesregierung hat nämlich nicht, als die Konjunktur wieder anlief, wenn auch mit geringeren Wachstumsraten als früher, nun den zweiten Schritt getan und mit der Konsolidation begonnen, sondern sie hat sich weiter verschuldet, und zwar mit wachsender Geschwindigkeit. Die Begründung für diese Verschuldung lautete, es sei notwendig, bestimmte Wachstumsraten zu erreichen, weil man andernfalls mit Massenarbeitslosigkeit rechnen müsse. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung hat nicht mehr - dem bisherigen Prinzip folgend - nach der Überwindung der Rezession alle Anstrengungen gemacht, um die Haushalte wieder auszugleichen, sondern sie hat auch nach der Überwindung der Rezession die Verschuldungspolitik fortgesetzt, und zwar mit wachsender Geschwindigkeit.
Dabei muß man zwischen der - wenn Sie so wollen - klassischen Verschuldung der öffentlichen Hände - nehmen wir einmal 1,5 % des Bruttosozialprodukts an - und der darüber hinausgehenden konjunkturell und ausgabenbedingten Verschuldung unterscheiden, die inzwischen in den Jahren 1979 und 1980 weit über 3 % des Bruttosozialprodukts beträgt. Dieser zweite Teil der Verschuldung ist die eigentliche Ursache für unsere Zeitbombe;
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denn dieser zweite Teil der Verschuldung, die konjunkturpolitisch und durch laufende Ausgaben bedingte Verschuldung, wird eingegangen, obwohl wir wieder ein reales Wachstum haben. Sie wird eingegangen, um das durch die freiwillige Leistung der. Bürger produzierte Wachstum zu steigern, weil man der Meinung ist, daß man mit dem, was die Gemeinschaft, was alle Bürger insgesamt freiwillig an Wachstum produzieren, nicht auskommen kann.
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Im Ergebnis wendet die Bundesregierung die Überlegungen von Keynes, der gesagt hatte, man dürfe in einer Rezession eine Verschuldung in Kauf nehmen, um sie dann nach der Rezession wieder abzutragen, auch auf den Tatbestand des Wachstums an, und zwar dann, wenn die tatsächlichen, die freiwilligen Wachstumsraten hinter den Planzielen zurückbleiben, die die Regierung aus Gründen ihrer Politik für nötig hält. Wenn die Regierung der Meinung ist, sie brauche 4 bis 5 % Wachstum, um das Land regierbar zu halten und die Verteilungskonflikte zu lösen, die Bürger durch freiwillige Leistung aber nur 2 % Wachstum zu erDr. Biedenkopf
zeugen bereit .sind, so fühlt sich die Regierung gerechtfertigt, diese 2 % auf 4 % zu subventionieren.
Wenn wir nun, meine Damen und Herren, wie es die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung tut und wie es auch - wenigstens implizite - vom Wirtschaftsminister heute wieder vorgetragen wurde, davon ausgehen, daß wir etwa 4 % Wachstum pro Jahr real brauchen, um die Probleme unseres Landes zu lösen und das Land stabil zu halten, und wenn die Bevölkerung auf Grund eigener Leistungen in den gegebenen makroökonomischen und politischen Bedingungen nicht bereit ist, dieses Wachstum zu erzeugen, fühlt sich die Regierung gerechtfertigt, zusätzliches Wachstum durch staatliche Impulse, Anreize und Subventionen zu erzeugen. Da die dafür vorhandenen Mittel aber nicht alle aus den Steuereinnahmen genommen werden können, wird für diese Maßnahme eine zusätzliche Verschuldung eingegangen.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, diese Politik in die Zukunft fortsetzen, ist die Entschuldung der öffentlichen Haushalte zu .keinem zukünftigen Zeitpunkt mehr möglich.
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Es ist dann nur noch möglich - auf der Grundlage der jetzigen Finanzplanung der Bundesregierung wird dieser Zeitpunkt bereits in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eintreten die notwendigen Handlungsspielräume des Staates durch eine wesentlich höhere Inflationsrate, d. h. durch eine inflationsbedingte Entschuldung des Staates oder durch eine andersartige Abwertung des Geldes, zu erreichen.
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Das ist die Zeitbombe, die in dieser mittelfristigen Finanzplanung tickt. Sie tickt keineswegs mehr über Generationen, sondern bereits die jetzige arbeitende Generation ist von diesem Problem unmittelbar betroffen.
Meine Damen und Herren, in einer Veranstaltung ist neulich ein Bauer aufgestanden und hat in der Diskussion gesagt, wenn man zur Raiffeisenbank gehen und sich dort 100 000 DM leihen könnte, dann könnte man gut leben; die Probleme träten erst ein, wenn man das Geld zurückzahlen müßte. Genau in derselben Lage befinden wir uns heute. Solange der Staat kreditfähig bleibt, solange wir für 3 % des Bruttosozialprodukts und mehr Schulden allein des Bundes machen können, solange wir mit diesen wachsenden Schulden die gegenwärtige Situation stabilhalten können, läßt sich leicht von einer stabilen Lage in der Bundesrepublik Deutschland reden. Aber was wir hier in Wirklichkeit tun, ist, ungelöste Probleme dieses Haushalts und der heutigen Politik auf die nächsten fünf bis zehn Jahre zu vertagen.
Gestern ist hier von der Steuerquote die Rede gewesen. Es ist richtig, daß die Steuerquote zwischen 1969 und heute um Promille zurückgegangen
ist. Aber gleichzeitig ist eine vertagte Steuer, nämlich die Verschuldung der öffentlichen Hände, rapide angewachsen. Wenn Sie die über die Grundverschuldung von 1,5 % des Bruttosozialprodukts hinausgehende Verschuldung nicht eingegangen wären, sondèrn die mit Schulden aufgenommenen Mittel über Steuern von den Bürgern erhoben hätten, dann wäre die Steuerlastquote nicht unerheblich gestiegen. In Wirklichkeit machen wir den Bürgern also eine Verringerung der Steuerlastquote' vor, verheimlichen ihnen aber, daß der Rest der Last in den nächsten Jahren entweder in Form von Steuererhöhungen oder in Form von Geldentwertungen auf sie zukommt.
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Genau das ist eines der Hauptdilemmas dieses Haushalts.
Herr Abgeordneter Biedenkopf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Bitte schön.
Herr Kollege Biedenkopf, würden Sie das Wort „verheimlichen" zurücknehmen? Das steht nämlich alles offen in der Finanzplanung. Dort kann man es lesen,
({0})
- Entschuldigung,' wir reden in diesem Parlament offen darüber. - Herr Biedenkopf, würden Sie eine Aussage vielleicht auch darauf verwenden, wie die Union auf Bundesebene dazu steht, daß diese Schuldenzuwächse um mehrere Milliarden zurückgeführt werden könnten, wenn eine gerechtere Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens zwischen Bund und Ländern' entsprechend den Lasten stattfände, die der Bund zu übernehmen hat? Dazu gibt es von Ihrer Seite bisher überhaupt keine Äußerung. Während sich die Länder schnell entschulden, muß der Bund mehr zulegen. Sagen Sie bitte auch dazu einmal etwas!
. Sehr gern! Herr Westphal, Sie können die Leistungen, die der Bund zu erbringen hat, an dem, was dem Bund zur Verfügung steht, oder an dem messen, was man politisch an notwendigen Leistungen beschließt.
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- Ja, ich spreche gerade über Konjunkturpolitik und habe gerade versucht, deutlich zu machen, daß eine Verschuldung in diesem Umfang aus konjunkturpolitischen Gründen in meinen Augen die eigentliche Ursache für die immer schwerer zu lösenden Probleme unseres Bundeshaushalts ist.
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Ich werde mich dazu gleich noch äußern.
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- Herr Westphal, Sie beleidigen Ihre eigene Intelligenz, wenn Sie solche Feststellungen machen.
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Zu dem ersten Punkt darf ich zunächst darauf hinweisen, daß die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern auf Länderseite auf große Einmütigkeit trifft; das ist kein CDU-Problem.
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- Gut, ich möchte es nur klarstellen.
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Wenn der Finanzminister Posser bei der Behandlung der Bund-Länder-Verteilung der Steuern mit Ihnen spricht, wird er keine wesentlich andere Haltung als der Finanzminister von Niedersachsen einnehmen. .
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Ja, wobei das' Land Baden-Württemberg ungefähr 40 O/0 der Einzahlungen trägt;
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das sollte man vielleicht auch mit berücksichtigen, Herr Westphal.
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Das Hauptproblem aber ist genau die Frage, die Sie eben durch einen weiteren Zwischenruf angesprochen haben, nämlich die Frage der Verschuldung aus konjunkturpolitischen Gründen. Ich möchte hier für mich mit aller Klarheit sagen, daß ich die Fortsetzung der Politik einer so umfangreichen Verschuldung aus konjunkturpolitischen Gründen nicht mehr für vertretbar halte
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und daß es aus einer solchen Politik auch keinen Ausweg geben kann, wenn nicht aus irgendeinem Grunde, den wir überhaupt nicht sehen und für den es auch überhaupt keinen Ansatzpunkt gibt, plötzlich ein freiwilliges marktwirtschaftliches Wachstum von real weit über 5 % - 6 oder 7 % entsteht. Dafür gibt es überhaupt keine Voraussetzungen.
Ganz im Gegenteil, wenn Sie einmal den Versuch machen, die durch staatliche Impulse ausgelösten Wachstumsraten von denjenigen Wachstumsraten zu trennen, die sonst entstanden wären, werden Sie feststellen, daß die deutsche Volkswirtschaft im Laufe der letzten zehn Jahre regelmäßig zwischen 22 und 30 Milliarden DM zusätzliches Bruttosozialprodukt erzeugt hat. Bei einem wachsenden Bruttosozialprodukt bedeutet das eine abnehmende Wachstumsrate. Es gibt heute auch niemanden mehr, der ernsthaft behauptet, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland in absehbarer Zeit ohne staatliche Unterstützung mit wachsenden Wachstumsraten rechnen könnten; vielmehr deuten alle mittel- und langfristigen Projektionen der Wachstumsraten darauf hin, daß sich das reale Wachstum zwischen 2,5 und 1,5 % - je nach der augenblicklichen Lage einpendeln wird, also, wenn ich es mittle, bei ungefähr 2 %.
Wenn wir jetzt aber der Meinung sind, daß wie mit diesen 2 % nicht auskommen können und daß wir deshalb Schulden machen müssen, um die Wachstumsraten zu erhöhen, frage ich mich und uns alle, wann wir denn jemals in die Lage kommen wollen, aus Wachstumsraten diese Verschuldung wieder abzutragen.
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Das ist dann gar nicht mehr möglich.
Die Folge ist, daß ich entweder einen wachsenden Schuldenberg wie eine wachsende Bugwelle vor mir herschiebe, bis eines Tages das Schiff zum Stehen kommt, oder zu irgendeinem Zeitpunkt die Handlungsfähigkeit des Staates durch einen Abbau der Schulden auf andere Weise .wiederherstellen muß. Da die Handlungsunfähigkeit des Staates keine politische Alternative ist, muß ich dann - möglicherweise in sehr schmerzhaften Operationen - diese Staatsverschuldung zu Lasten der Bürger wieder abbauen. Genau dies ist das Problem. Genau dies ist die Zeitbombe, von der Herr Hoppe gesprochen hat.
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Zwei Punkte scheinen mir hier besonders wichtig. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, Herr Kollege Westphal, daß wir auf alle diese Fragen eine Antwort haben.
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- Überhaupt nicht. Aber wir haben auf einige eine Antwort. Es gibt zwei Argumente, die für die Notwendigkeit der Verschuldung aus konjunkturpolitischen Gründen vorgetragen werden.
Das eine Argument lautet: Wenn die Einnahmen nicht entsprechend diesen Wachstumsraten steigen, dann wird die Regierbarkeit des Landes gefährdet. Dazu werden sehr beachtliche Ausführungen z. B. in dem letzten Grundwertepapier der Sozialdemokratischen Partei gemacht. Dort wird festgestellt, daß ein Unterschreiten der in Anspruch genommenen Wachstumsraten als zweites die Lösung von Verteilungskonflikten fast unmöglich macht. Wir stehen jetzt in der Tat vor der Frage, ob wir unsere politische Fähigkeit, ob wir insbesondere die politische Fähigkeit der Bundesregierung, das Land auch mit geringeren Wachstumsraten zu regieren und Verteilungsprobleme auch mit. geringeren Wachstumsraten zu lösen, als Datum nehmen sollen oder ob wir das als Datum nehmen sollen, was die Bürger in gemeinsamer freiwilliger Leistung zu produzieren und für die Gesamtheit zur Verfügung
zu stellen bereit sind. Das ist der entscheidende Unterschied.
Ich kann mich auf den Standpunkt stellen: Datum für das Regieren in einer freien Gesellschaft ist das, was die Bürger freiwillig produzieren. Dann muß die Regierung damit zurechtkommen. Wenn sie unter diesen Bedingungen nicht regieren kann, dann muß sie abtreten.
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Die andere Alternative ist zu sagen: Ich brauche soundsoviel dafür, um die Probleme zu lösen, und wenn die Bürger das nicht freiwillig produzieren, muß ich eben nachhelfen - selbst unter der Gefahr, daß später die Bürger diese Nachhilfe mit Zins und Zinseszins bezahlen müssen.
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Aber ich komme dann jedenfalls über die Runden. Johano Strasser hat ja in einem bemerkenswerten Aufsatz in der „Neuen Gesellschaft" gesagt, daß genau dies die Denkweise des sogenannten Feldherrenhügels der Sozialdemokratischen Partei sei,
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daß es auf nichts anderes ankomme als auf die Machterhaltung, und was dann später komme, werde man schon sehen.
Genau dies ist das Problem auch dieses Haushaltes. Es wird mit keinem Wort - mit keinem Wort, Herr Westphal - in dem umfangreichen Text, den die Bundesregierung zur mittelfristigen Finanzplanung vorgelegt hat, auch nur der Versuch gemacht, zu erklären, warum eines der wohlhabendsten westlichen Industrieländer, wie wir gerade von Graf Lambsdorff gehört haben, bei einer selbsttragenden Konjunktur, wie wir gerade von Graf Lambsdorff gehört haben, trotzdem die Notwendigkeit sieht, eine neue Nettoverschuldung einzugehen, die 28 Milliarden DM oder mehr als 10 % des Bundeshaushalts umfaßt.
({16})
Was für eine Erklärung kann hier überhaupt noch gegeben werden? Wann um Gottes willen sollen wir denn auf eine Neuverschuldung verzichten können, wenn wir bei selbsttragender Konjunktur, bei disziplinierten Gewerkschaften, bei einer funktionierenden Wirtschaft, bei innenpolitischer Stabilität noch fast 30 Milliarden DM Neuverschuldung brauchen?
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Eine Alternative ist nur die, daß wir erstens wirklich einmal den Versuch machen - den ja auch Ihre Partei im Orientierungsrahmen '85 in Aussicht genommen hat -, in den großen Etatposten einschließlich des Sozialetats danach zu fragen, welche Leistungen verzichtbar geworden sind. Aber, Herr Kollege Westphal, diese Frage wird man nie stellen können, wenn Ihre Fraktion durch den Mund von Herrn Rohde hier erklärt, sie sei besonders stolz darauf, daß der Sozialetat immer größer geworden sei. Sie müssen sich mal überlegen, was das heißt! Das heißt, Sie sind besonders stolz darauf, daß die Zahl der hilfsbedürftigen Menschen in diesem Land immer größer geworden ist.
({18})
Ich habe eine ganze Menge Ahnung davon. In Ihrem Orientierungsrahmen '85, Herr Westphal, steht, daß es eine notwendige Aufgabe sei, den Sozialetat ständig daraufhin zu überprüfen, welche Leistungen in diesem Etat ihre soziale Legitimation verloren haben.
Nun ist es inzwischen, wie ich dankbar feststellen konnte, völlig unbestritten, daß z. B. im Rahmen der staatlichen Wohnbaupolitik dieser Regierung eine Kehrtwendung, eine völlige Neuorientierung erforderlich ist. Als ich dies im Januar hier im Hohen Hause gesagt habe, ist mir noch nachhaltig widersprochen worden. Als ich gesagt habe, man müßte die Objektförderung im sozialen Wohnungsbau auf die Subjektförderung umstellen, hat mir der Herr Bundeswirtschaftsminister mit dem Argument widersprochen, das könne kein Mensch bezahlen. Inzwischen liegen die entsprechenden Gutachten des zuständigen Ressorts darüber vor, daß das nicht nur billiger ist, sondern daß es unbedingt notwendig ist, neue Wege zu gehen.
Wenn der Stadtrat einer großen Stadt in der Bundesrepublik Deutschland - keiner CDU-regierten Stadt im übrigen ({19})
- es gibt noch wenige; deshalb kann ich noch einen nennen - anfragt, was er denn eigentlich - ({20})
- Herr Westphal, das haben Sie vor der Wahl in Frankfurt auch gesagt und dann war Herr Wallmann Oberbürgermeister und das Rudern hat sich in relativ kurzer Zeit gelohnt, wie Sie sehen.
({21})
Wenn sich ein Stadtrat, der für den Wohnungsbau zuständig ist, meldet und um Rat bittet mit dem Argument, er komme in der Wohnbaupolitik nicht mehr weiter, seine Stadt habe in den letzten Jahren 10 000 Einwohner verloren, 12 000 neue Wohnungen gebaut, und trotzdem sei die Liste der Wohnungssuchenden und -bedürftigen von 2 000 auf 5 000 angewachsen, dann ist das nicht gerade ein Ausdruck rationaler Politik.
Es ist inzwischen unter den Experten im Bereich der Wohnbaupolitik unbestritten, daß man aus dem Etat für den Wohnungsbau zwischen 3 und 5 Milliarden DM entnehmen kann, ohne daß dies irgendeine Auswirkung auf den sozialen Auftrag des Woh13532
nungsbaus habe. Aber in dem Augenblick - und da kann ich nur den Ausführungen von Herrn Kollegen Häfele gestern voll zustimmen -, in dem jemand realiter den Versuch macht - und das haben sich beide großen Parteien vorgenommen, meine Partei in der Mannheimer Erklärung von 1975 und Ihre Partei im Orientierungsrahmen '85 -, diese Umschichtungen in den großen Etatposten zu betreiben, muß er damit rechnen, daß Ihre Partei und die Vertreter der Bundesregierung über ihn mit dem Argument herfallen, dies sei soziale Demontage.
({22})
Sie wissen sehr wohl um die demagogische Wirkung dieses Begriffes, und Sie wissen sehr wohl darum, daß jeder Parteipolitiker, der diese demagogische Wirkung kennt, ein ungewöhnliches Risiko eingehen muß, wenn er gleichwohl über die Frage der Umschichtung im Sozialetat diskutieren will.
Trotzdem, wir kommen an dieser Aufgabe nicht vorbei. Ist es denn sozial, den Menschen heute Leistungen zu versprechen, die sie scheinbar nicht bezahlen müssen, wissend, daß in wenigen Jahren die unsozialen Folgen einer Inflation gerade auf die Ärmsten der Armen zukommen, die keine organisierten Gruppen haben, welche sie vor der Abwälzung der Inflationsfolgen schützen können?
({23})
Bisher waren Inflationsprozesse immer in höchstem Maße unsoziale Umverteilungsprozesse zu Lasten der Armen.
({24})
Meine Damen und Herren, wir halten es für dringend erforderlich, daß die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung von der Realität geringerer Wachstumsraten ausgeht und darauf verzichtet, diese Wachstumsraten auf Dauer zu subventionieren. Wir halten es für dringend erforderlich, daß dies auch vorbildhaft im Verhältnis zu den großen gesellschaftlichen Gruppen geschieht.
Ich stimme zu - die Herren Vorredner meiner Fraktion haben das auch getan -, daß die Gewerkschaften in der vergangenen Tarifrunde eine disziplinierte, am Gesamtwohl und gesamtwirtschaftlichen Interesse des Landes orientierte Tarifpolitik betrieben haben. Aber es ist für die Gewerkschaftsführung nahezu unmöglich, eine solche Politik auf die Dauer durchzuhalten, wenn die Bundesregierung von sich aus behauptet, daß sie ihr eigenes Geschäft nur mit planzielmäßig festgesetzten Wachstumsraten betreiben kann. Ich kann von den großen sozialen Gruppen nicht verlangen, daß sie sich in den geringeren Wachstumsraten einrichten, wenn die politische Führung nicht dazu in der Lage ist, mit beispielhaften Maßnahmen voranzugehen.
({25})
So muß ich damit rechnen, daß diese Politik, die auch der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung zugrunde liegt, die Verteilungskonflikte und ihre Lösung in Zukunft erschwert und nicht
erleichtert. Wir müssen im Haushalt - das muß auch die Aufgabe der Haushaltsberatungen sein, die jetzt kommen - danach fragen, welche staatlichen Aufgaben überflüssig geworden sind, welche staatlichen Aufgaben abgebaut werden können.
({26})
- Ich habe Ihnen ja gerade eine genannt! Sie haben offenbar nicht zugehört. Dies ist immerhin schon ein sehr konkreter Vorschlag einschließlich Zahlen. Ich bin mir völlig darüber im. klaren, welche Probleme es z. B. in der Bausparförderung macht, die staatlichen Subventionen abzubauen. Das wird schwierig. Aber nicht wegen der betroffenen Bürger, sondern wegen der Bausparkassen.
({27})
Die Bausparkassen haben sich in einem schneeballartigen Finanzierungssystem daran gewöhnt, daß die staatlichen Zuschüsse ihnen die Akquisition erleichtern.
({28})
Wenn jetzt die staatlichen Zuschüsse entfallen, kommt das Finanzierungssystem in Schwierigkeiten. Die Eigentumsbildung ist davon kaum noch betroffen; denn mehr als 40 % der Bausparverträge werden heute bereits benutzt, um längst eingegangene Verbindlichkeiten umzuschulden, nämlich erste Hypotheken mit staatlicher Hilfe umzuschulden und abzutragen.
({29})
Das ist aber nicht mehr Aufgabe eines Sozialstaates, sondern das ist eine zum Besitzstand gewordene Leistung an die Bürger, auf die die Bürger natürlich nicht gern verzichten, solange sie sie haben wollen.
Die Aufgabe dieses .Parlaments als Vertreter des Volkssouveräns wird darin bestehen müssen, solchen Wünschen der Bürger gegenüber auch ein Nein zu sagen. Es kann nicht angehen - wir machen uns politisch allesamt handlungsunfähig -, daß wir uns hier das Neinsagen gegenüber solchen Forderungen, Ansprüchen und Erwartungen damit erschweren oder unmöglich machen, daß wir diese eigentlich bedeutsame Aufgabe der Repräsentation des Volkes diffamieren.
({30})
Die mittelfristige Finanzplanung - das habe ich versucht zu begründen - deutet in eine finanzpolitische Zukunft, die nicht auf tragfähigen Füßen steht. Sie ist in der Tat - und damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück - eine Zeitbombe. Wir müssen diese Zeitbombe entschärfen. Die Entschärfung wird eine große Kraftanstrengung und viel Zeit erfordern; denn viel zu tief sind die Gewohnheiten eingeschliffen, die als Reformen, als Volksbeglückung, als Geschenke in den letzten Jahren Ansprüche an den Staat begründet haben, die man ohne eine immer größere Verschuldung nicht mehr befriedigen kann.
Eine wirklich soziale Politik ist eine Politik, die mit dem auskommt, was der Bürger dem Staat
durch seine wirtschaftliche und durch seine Steuerleistung zur Verfügung zu stellen bereit ist.
({31})
Alles, was darüber - in Form von Verschuldung - hinausgeht, muß sich entweder dadurch begründen, daß langfristige Investitionen finanziert werden, die auch denen voll zugute kommen, welche diese Schulden zurückbezahlen müssen, oder es muß durch besondere Krisenlagen bedingt sein. Als Krisenlage eine Situation unseres Landes zu bezeichnen, wie sie der Bundeswirtschaftsminister vorhin beschrieben hat, ist jedoch schlechterdings unmöglich.
({32})
Herr Abgeordneter Biedenkopf, - Dr. Biedenkopf ({0}) : Ich möchte zu Ende kommen, Herr Präsident!
Deshalb möchte ich im Namen meiner Fraktion die Bundesregierung und die Koalition nachdrücklich auffordern, in den kommenden Beratungen dieses Haushalts alle Anstrengungen zu machen, um wenigstens einen ersten Schritt in die richtige Richtung zu tun, einen ersten Schritt, der den Begriff Konsolidierung verdient. Wenn dies nicht möglich ist, werden wir ein weiteres Jahr verlieren, und die Probleme werden größer werden. Die Politik jedenfalls, die dieser mittelfristigen Finanzplanung zugrunde liegt, kann unsere Zustimmung nicht finden.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte das Gefühl, die Rede vom Kollegen Biedenkopf
({0})
versuchte, die Weichen der Wirtschaftspolitik, die wir bisher immer gemeinsam gestellt haben, neu zu stellen. Sie haben quasi ein Plädoyer für einen Rückfall in die Laisser-faire-Politik,
({1})
in eine Politik des Neoliberalismus gehalten, wie wir sie in diesem Lande bis 1932 schon einmal praktiziert haben.
({2}) Die Folgen sind allen bekannt.
({3})
- Herr Professor Biedenkopf, Ihre Leistung war intellektuell sicherlich nicht schlecht, aber Sie hätten die Rede, die Sie hier gehalten haben, vor Studenten der Universität Bochum halten sollen, nicht aber vor Realpolitikern, die die Verhältnisse eben so sehen müssen, wie sie in diesem Lande sind.
({4})
Mit Ihren schönen Theorien erreichen Sie überhaupt nichts.
({5})
Herr Biedenkopf, Sie haben - sehr ausführlich
und breit - versucht, die Schuldenpolitik zu kritisieren. Vor allem haben Sie versucht, darzustellen, daß wir eine Politik des Wachstums per se betreiben. Damit liegen Sie falsch. Wir betreiben keine Politik, um Wachstum als Wert an sich zu erzeugen, sondern wir wollen Wirtschaftswachstum, weil eine darauf abzielende Politik zwingend die Arbeitslosigkeit vermindert. Wenn Sie gegen Wachstum polemisieren, dann plädieren Sie zur gleichen Zeit für mehr Arbeitslosigkeit, die wir nicht wollen.
({6})
Sie haben in Ihrer Rede auch deutlich gemacht, daß Sie gegen eine weitere Verschuldung, gegen Neuverschuldung sind. Doch dann haben Sie offenbar auch den Forderungen, die man aus Ihren Reihen zu hören bekommt, nämlich zusätzliche Steuersenkungen vorzunehmen, abgeschworen. Denn sonst würden Sie sich eklatant widersprechen. Sie können hier nicht einerseits sagen, daß Sie die Schulden abbauen wollen, andererseits aber - und das bekommen wir aus Ihren Reihen laufend zu hören - zusätzliche Steuersenkungen fordern; das geht nicht. .
Ich hätte mir auch gewünscht - das wünschen sich auch die Bürger in diesem Lande -, Herr Professor Biedenkopf, daß Sie deutlicher gesagt hätten, welche Ausgaben Sie denn nun konkret kürzen wollen. Das, was Sie hier in polemischer Form über die Wohnungsbaupolitik und über die Wohnungsbauförderung gesagt haben, war sehr allgemein gehalten.
({7})
Sie hätten da konkreter werden müssen.
({8})
Ich bin z. B. der Meinung, daß wir im Bereich des Wohnungsbaus sehr wohl noch manches tun müssen, daß wir z. B. mehr Förderung brauchen, um Wohnungen für Behinderte zu bauen, daß wir mehr Förderung brauchen, um Wohnungen für kinderreiche Familien zu bauen.
({9})
Hier können wir nicht kürzen, sondern hier werden über kurz oder lang zusätzliche Ausgaben erforderlich.
({10})
Herr Professor Biedenkopf - ich habe es soeben bereits angedeutet -, Sie haben uns hier ein schönes, in sich geschlossenes, theoretisches Modell vorgeführt. Aber Sie haben übersehen, daß wir in einem Lande leben, das maßgeblich von vielen weltwirtschaftlichen Einflüssen mitbestimmt wird, denen wir uns nicht entziehen können. So ideal, wie Sie das dargestellt haben, ist das nicht. Wir sind häufig auf Grund weltwirtschaftlicher Veränderungen zum Handeln gezwungen. Wir Sozialdemokraten haben uns dieser Herausforderung immer undogmatisch, also pragmatisch gestellt.
Die Staatsverschuldung, die wir in der letzten Zeit betrieben haben, war notwendig. Sie war einfach deshalb notwendig, weil sie die Voraussetzung dafür war, daß die Arbeitslosigkeit in diesem Land nicht stärker gestiegen ist, und weil sie zur Reduzierung der Arbeitslosenzahl beigetragen hat. Dieses Ziel haben wir Sozialdemokraten uns in der Wirtschaftspolitik primär auf die Fahne geschrieben. Wir wollen den Abbau der Arbeitslosigkeit.
({11})
Die heute bestehende Arbeitslosigkeit ist uns Sozialdemokraten immer noch zu hoch, so daß wir auf eine staatliche Fiskalpolitik einfach nicht verzichten können.
({12})
Ich kann das auch untermauern; es gibt schließlich auch Äußerungen von Wissenschaftlern, die deutlich machen, daß die Verschuldung noch in die konjunkturelle. Landschaft paßt. Gerade jüngst hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung einmal mehr in seinem Wochenbericht klar zum Ausdruck gebracht, daß wir aufpassen müssen, daß wir die Verschuldung nicht zu stark reduzieren, um damit nicht wieder eine hausgemachte Rezession zu produzieren. Man kann auch nicht übersehen - das ist lobenswert -, daß die Verschuldung mit dem letzten außerordentlichen Haushalt ad hoc um 2,3 Milliarden DM reduziert wurde, was auch ein Schritt in die richtige Richtung ist.
({13})
Die konjunkturelle Situation ist heute eben nicht schlecht; aber sie wäre auch nicht so, wenn
der Staat durch Verschuldung nicht dazu beitragen würde, daß die Konjunktur gehalten wird. Wenn wir die Verschuldung von heute auf morgen drastisch reduzierten, hätten wir eine wesentlich größere Arbeitslosigkeit, dann hätten wir eine hausgemachte Rezession, die wir nicht wollen.
Ich sagte soeben, die Arbeitslosigkeit sei uns immer noch viel zu hoch, und wir müssen noch verstärkt darüber nachdenken, ob wir nicht mehr zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit tun müssen. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, die Arbeitslosen könnten wir uns in unserer Gesellschaft überhaupt nicht erlauben; denn jeder Arbeitslose, den wir haben, führt dazu, daß der entsprechende Anteil am Sozialprodukt in diesem Jahr nicht produziert wird. Im Grunde sind wir in unserer Gesellschaft noch viel zu arm, um Arbeitslosigkeit zu akzeptieren.
({14})
- Das ist eine alte Begründung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus den Jahren 1966/67. Das haben Sie damals noch nicht gesehen. Wir müssen alles tun, um die Kapazitäten, die wir haben
dazu gehören auch die Arbeitslosen -, auszulasten, weil wir das Sozialprodukt in der Tat brauchen, um soziale Ungerechtigkeiten in diesem Lande und in der Welt zu verringern.
({15})
Die konjunkturelle Lage zeigt deutlich, daß es mit unserer Wirtschaft bergauf geht, und Offenbar haben die Unternehmer in diesem Lande Vertrauen in die Politik der sozialliberalen Regierung, das wir durch eine vernünftige Politik auch mit geschaffen haben.
({16})
Natürlich gibt es auch einige Wirtschaftszweige, z. B. die Bauwirtschaft, wo die Konjunktur schon „überschwappt". Es gibt aber auch Gefahrenpotentiale, z. B. in der Automobilindustrie, wo wir sehen müssen, daß der Konjunkturboom der Vergangenheit nicht so anhalten wird.
Sorgen bereiten uns vor allem die Preise und die Preisentwicklung, die wir sehr ernst nehmen. Es ist gar keine Frage, die heutige Preissteigerungsrate von vorausgeschätzt 4,5 bis 4,9 0/0 im Jahre 1979 ist mitbedingt durch die Ölpreiserhöhung - und ich füge hinzu - sowohl der OPEC-Länder als auch natürlich der Mineralölkonzerne. Die exorbitanten Steigerungen bei Dieselkraftstoff und Heizöl sind einfach nicht durch vorhergehende Kostenerhöhungen zu rechtfertigen. Diese großen Unternehmen haben es an gesamtwirtschaftlicher Verantwortung fehlen lassen, die man eigentlich von allen Großunternehmen erwarten sollte.
Steuersenkungen, das darf ich vielleicht noch anfügen, passen einfach nicht in die konjunkturelle Landschaft. Sie wären zur Zeit ökonomischer UnDr. Jens
sinn. Deshalb meine ich, die Opposition sollte aufhören, davon zu reden, sie wolle ebenfalls nicht, daß die Preisentwicklung vorangetrieben werde. Wenn Sie von Steuersenkungen reden, weiß ich sehr genau, daß Sie nicht die Senkung der Lohnsteuer für die deutschen Arbeitnehmer meinen,
({17})
sondern die Senkung der Unternehmenssteuern und der ertragsunabhängigen Steuern im Unternehmensbereich, was für uns natürlich nicht primär in Frage kommen kann.
({18})
Ich füge noch hinzu, es ist von der Opposition unehrlich, hier so über die Verschuldung zu schimpfen, wie das Herr Professor Biedenkopf eben gemacht hat und gleichzeitig andere Leute durchs Land zu schicken, die sagen, wir müßten die Steuern noch weiter senken. Das würde nur dazu führen, daß die Verschuldung weiter erhöht werden müßte, was wir aber auch nicht wollen.
({19})
Nein, die Politik der Nachfragestützung, so wie sie die sozialliberale Koalition betrieben hat, war richtig. Wir werden sie auch in Zukunft weiter betreiben. Wir leben in einer Welt von schwerwiegenden strukturellen Veränderungen, die wir nicht übersehen dürfen und die wir verstärkt im Auge behalten müssen.
({20})
Wir werden in Zukunft verstärkt mit weltwirtschaftlichen Veränderungen konfrontiert, die uns zusätzliche Probleme ökonomischer Art bescheren. Es ist auch nicht zu übersehen, daß es in verschiedenen Branchen nach dem Wiederaufstieg der Bundesrepublik Deutschland Sättigungserscheinungen gibt, die dazu führen können, daß wir unter Umständen mehr Arbeitslosigkeit haben werden. Diese Sättigungserscheinungen zwingen aber andererseits auch die Regierung dazu, hier verstärkt entgegenzuwirken, damit es nicht zu einer großen hausgemachten Rezession kommen kann.
({21})
Als drittes dürfen wir nicht übersehen, daß in der Vergangenheit die Rationalisierung unserer Wirtschaft gewaltig vorangetrieben wurde. Gegen Rationalisierung an sich haben wir überhaupt nichts. Die Rationalisierung und die bestehende Arbeitslosigkeit können uns aber dazu zwingen, daß wir verstärkt darüber nachdenken müssen - das gilt vor allem für die Gewerkschaften -, ob es nicht zu weiteren Arbeitszeitverkürzungen in dieser Wirtschaft kommen muß. Da denke ich natürlich vor allem an bestimmte Arbeitnehmergruppen, die im Arbeitsleben eine besondere Last zu tragen haben. Die generelle Rationalisierung wird uns
dazu zwingen, die Arbeitszeit in unserer Wirtschaftsordnung weiter zu verkürzen.
Alle diese Erscheinungen, die sich verstärkt bemerkbar machen, beweisen die Notwendigkeit, weiter eine gezielte Wirtschaftspolitik zu betreiben - nicht ein Rückfall in die Politik des Laisser-faire, nicht ein Rückfall in die Ideologie des Neoliberalismus, sondern zielgerichtete Wirtschaftspolitik, pragmatisch betrieben, so wie wir sie 1966 einzuführen versucht und bisher hervorragend betrieben haben.
({22})
Sehen wir uns doch einmal um in dieser Welt. Angesichts der Weltwirtschaftslage stehen wir doch hervorragend da. Wir haben eine Preissteigerungsrate von 4,5 %, was uns zuviel ist. Wir haben aber gleichzeitig ein reales Wirtschaftswachstum von etwa 4 %. Die Vereinigten Staaten haben ein Wachstum von vielleicht 1 %, aber eine Inflationsrate von 10 %. Die Italiener haben eine Wachstumsrate von vielleicht 5 bis 6 %, aber eine Inflationsrate von 15 %. Wenn wir dies im Auge behalten, können wir feststellen: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine gute Wirtschaftspolitik betrieben. Unsere Wirtschaftspolitik kann sich weltweit sehen lassen. Wir Sozialdemokraten werden uns keinen ideologischen Modeerscheinungen beugen, sondern weiter eine Politik zugunsten der breiten Schichten, und das heißt vor allem der kleinen Unternehmen und der arbeitenden Menschen in diesem Land, betreiben.
({23})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren! Liebe Kollegen!
({0})
Ich finde die Rede von Herrn Professor Biedenkopf sehr beachtlich. Sie müßte allerdings zunächst in der Fraktion der CDU/CSU gehalten werden. Denn eine ganze Reihe seiner Folgerungen aus dieser interessanten Analyse stimmen nicht mit dem überein, was Herr Häfele gesagt hat. Wenn es so ist, Herr Professor Biedenkopf, daß wir jetzt diese Zeitbombe der Staatsverschuldung entschärfen müssen, dann darf man nicht durch eine aktuelle Steuererleichterungsdiskussion die Zündschnur dieser Zeitbombe nochmals verkürzen.
Ich bin ganz sicher: Wenn diese Wirtschaftsdebatte geendet hat und Herr Wörner das Wort ergreift, werden wir im Verteidigungsbereich von der Opposition nicht die Forderung nach geringeren Lasten, sondern eher nach höheren Verpflichtungen zu hören bekommen. Das ist das große Problem, das ich sehe.
Wenn ich die sozialpolitische Diskussion verfolge, stelle ich fest: Die Vorschläge Ihrer Partei sind nicht dazu angetan, in der Rentenpolitik, Sozialpo13536
litik und Familienpolitik uns bei der Entschärfung dieser Zeitbombe zu helfen; es ist eher umgekehrt. Ich glaube also, daß die Analyse langfristig sicher sehr wichtig ist, daß es aber kurzfristig bisher auch Herrn Strauß nicht gelungen ist, die notwendigen Voraussetzungen hierfür zu schaffen.
Der zweite Punkt, den Sie schon in der letzten Wirtschaftsdebatte vor der Sommerpause angesprochen haben, ist Ihre neue Einschätzung der Bedeutung der Wachstumspolitik. Ich finde es wichtig, darüber zu diskutieren, daß Sie davon abgehen, zu sagen: Gesellschaftliche Konflikte lassen sich über konstantes oder sogar immer höheres Wachstum läsen. Nur, was Sie heute gesagt haben, ist meines Erachtens eine sehr resignative Strategie. Sie sagen: Die Bürger sind im Grund nur noch bereit, 1 bis 2 % mehr Wachstum des Sozialprodukts zu leisten. Aber es läßt sich gar nicht trennen, was hier der freie Wille der Wirtschaftsbürger ist und was wir praktisch durch staatliche Rahmenbedingungen, Nachfrageerleichterungen und strukturpolitische Voraussetzungen zum Wachstum beitragen. Niemand kann sagen, daß langfristig nur 1,5 bis 2,5 % Wachstum erzeugbar sind. Das würde bedeuten, daß wir auch im internationalen Bereich einen Teil unserer Verpflichtungen nicht mehr leisten könnten.
Der Staat hat deshalb die Aufgabe, auch durch haushaltspolitische Maßnahmen dafür zu sorgen, daß es nicht bei diesen 1,5 oder 2 % Wachstum bleibt, es sei denn, wir einigen uns darauf - aber diese Einigkeit sehe ich im Parlament bisher nicht -, zu sagen: Bei konstanten oder sogar wachsenden internationalen Verpflichtungen sind wir im innenpolitischen Bereich bereit, bei den und den Haushaltstiteln entsprechend viel einzusparen. Dann ist es sicher richtig und würde auch gesellschaftspolitisch zu vielen Erleichterungen führen, wenn es um diesen permanenten Druck geht, mehr Wachstum zu produzieren, um Konflikte zu entschärfen.
Die dritte Bemerkung. Ihre Kernthese und Analyse, die nach Lösung der energiebedingten Beschäftigungsprobleme 1973 folgende Finanzpolitik und Verschuldung seien ausschließlich konjunkturbedingt gewesen, stimmen nicht. Ich glaube, wir mußten einen hohen Anteil mehr als in früheren Jahren, besonders in den 60er Jahren, strukturbedingt einsetzen, nicht nur wegen verstärkter Außenwirtschaftsverflechtungen. Wir haben uns ja in der Wettbewerbsdiskussion ausführlich darüber unterhalten, was wir inzwischen tun müssen, um dem Prozeß der auch international immer stärkeren Konzentration national durch einen immer höheren Anteil von Strukturausgaben entgegenzuwirken. Gerade der Haushalt des Wirtschaftsministers zeigt im mittelständischen und im Forschungs- und Entwicklungsbereich einen immer höheren Anteil staatlicher Aufwendungen, die ich nicht als Subventionen bezeichnen würde, sondern die lediglich dazu da sind, die größenbedingten Vorteile der Großindustrie wieder wettzumachen.
Ich glaube, die Entwicklung auf diesem Gebiet wird eher noch schlimmer werden. Man braucht nur einmal die japanische Herausforderung zu betrachten. Da beginnen auf Grund der enormen Verbindung von Banken, Forschung, Entwicklung, Groß industrie und Politik unglaubliche Unternehmenseinheiten mit uns zu konkurrieren. Wir werden also eher noch einen höheren Anteil an staatlichen Aufwendungen brauchen. Dies würde ich aber nicht als konjunkturbedingte Verschuldung bezeichnen, sondern als durchaus wirtschaftspolitisch notwendigen Beitrag des Staates zur Aufrechterhaltung einer vernünftigen Wirtschaftsstruktur.
Ich glaube, auf der Grundlage dieser drei Anmerkungen könnte man die Diskussion vertiefen, die ich wirtschaftspolitisch, aber auch gesellschaftspolitisch für sehr interessant halte. Wichtig wird sein, im Fortgang der Diskussion festzustellen, ob gerade auch die Verteidigungspolitiker und in den nächsten Wochen dann auch die Sozialpolitiker bereit sind, Ihrer Analyse zu folgen, und ob die Opposition bereit ist, entsprechende Folgerungen zu ziehen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wird immer deutlicher - auch und gerade mit der Vorlage dieses Haushalts -, daß diese Bundesregierung in ihrer Politik der äußeren Sicherheit unseres Volkes einen immer geringeren Stellenwert beimißt. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie reden viel vom Frieden, aber in Wirklichkeit vernachlässigen Sie zunehmend den wichtigsten Garanten der Friedenssicherung. Das ist nach wie vor eine wirksame Verteidigung.
({0})
Ihr Weißbuch, Herr Verteidigungsminister, der Leitantrag der SPD zur Sicherheitspolitik für ihren kommenden Parteitag und der Haushaltsplan des Jahres 1980 zeigen, und zwar unübersehbar: Sie verschieben die Akzente langsam aber sicher zugunsten der Anspassung an sowjetische Entspannungsvorstellungen und zu Lasten unserer eigenen Sicherheit.
({1})
- Herr Horn, wir alle - und gerade wir von der CDU/CSU - bekennen uns zum Doppelkonzept der NATO, zu dem Doppelkonzept der Friedenssicherung, das aus dem Jahre 1967 stammt, d. h. einmal zur ausreichenden militärischen Stärke und politischen Solidarität, um „gegenüber Aggressionen und anderen Formen von Druckanwendung abschreckend zu wirken", wie es in dem Beschluß heißt, und zum anderen zur Suche nach Fortschritten in Richtung auf dauerhafte Beziehungen, mit deren Hilfe die grundlegenden politischen Fragen gelöst werden können.
Aber, meine Damen und Herren, dieses Doppelkonzept vermag eben nur so lange den Frieden zu
sichern, als die Verteidigung das Standbein dieses Konzepts bleibt. Sie aber sind dabei, aus der Verteidigung das Spielbein dieses Konzepts zu machen,
({2})
und gefährden damit in Wirklichkeit den Frieden. Sie legen einen Etat vor, bei dem der Anteil der Verteidigung an den Ausgaben des Bundes geringer sein wird als je zuvor in den letzten 20 Jahren. Sie drücken sich zur gleichen Zeit vor notwendigen Entscheidungen zum Ausgleich der Bedrohung. Sie reden um so lauter von Entspannung, je deutlicher wird, daß die UdSSR nicht bereit ist, Ihre Entspannungsvorstellungen, die auch die unseren sind, zu akzeptieren.
Sie tun das, meine Damen und Herren, in einer internationalen Lage, in der ganz unübersehbar die Gefahren für den Frieden wachsen. Sie tun das am Beginn eines neuen Jahrzehnts, in dem das Krisenpotential in der Dritten Welt wächst: ob im Nahen Osten, ob am Persischen Golf, ob in Afrika oder in Asien. Sie tun das in einer Zeit, in der die Versorgung unserer Volkswirtschaft mit Öl und Rohstoffen teurer und immer gefährdeter wird. Sie tun das in einer Lage, in der die Bedrohung durch die ungeheuren Rüstungsanstrengungen und vor allen Dingen auch die geopolitische Expansion der Sowjetunion sichtbar wächst, die all ihre Energien darauf konzentriert, die Lebenslinien des Westens unter Kontrolle zu bringen: ob Sie an die sowjetische Expansion im Jemen denken, ob Sie an das Horn von Afrika denken, ob Sie an die Vorstöße der Sowjetunion ins südliche Afrika denken oder an die Versuche, Afghanistan unter Kontrolle zu bringen.
Sie reduzieren die Anstengungen für die Verteidigung in einer Zeit, in der sich das militärische Kräfteverhältnis Jahr für Jahr zugunsten der Sowjetunion verschiebt.
Angesichts dieser krisenhaften Zuspitzung der Weltlage wachsen die besorgten Stimmen überall. Das renommierte Londoner Institut für strategische Studien, das man ja weiß Gott nicht als Kalten Krieger oder als Vorkämpfer der Kalten Krieger bezeichnen kann, stellt fest, daß die Rüstung der NATO mit dem Tempo der Sowjets nicht Schritt hält. Es warnt eindringlich, daß die Aufrüstung des Warschauer Pakts das militärische Gleichgewicht gefährdet.
Der amerikanische Verteidigungsminister Brown, Ihr Kollege, Herr Apel, weist darauf hin - ich zitiere -, daß „von Monat zu Monat die Aufgabe schwieriger wird, eine wirksame Abschreckung zu gewährleisten".
Henry Kissinger, den man ja auch nicht gerade als einen Kalten Krieger abstempeln kann, prophezeit: Wenn die NATO in den 80er Jahren so weitermacht wie bisher, wird es massive Krisen geben.
({3})
Alle diese Stimmen zeigen eines: Die Besorgnis
wächst, ob der Westen Schritt halten kann, ob der
Westen angesichts dieser krisenhaften Zuspitzung der Umstände den Frieden sicherhalten kann.
Der Verteidigungsminister Apel dagegen legt eine sogenannte Bilanz der zehnjährigen Sicherheitspolitik der Koalition mit der Feststellung vor: Unser Frieden ist sicherer geworden. Da kann ich nur fragen, Herr Apel: In welcher Welt leben Sie eigentlich? Es muß eine ganz andere Welt sein als die Welt der Schlesingers, der Browns, der Kissingers, der Haigs und wie sie alle heißen.
({4})
Wenn Sie mir diesen Ausflug in die Ironie gestatten: Ein Verteidigungsminister, der sich solchen Selbsttäuschungen hingibt, wäre - wenn ich einen Journalisten zitieren darf, der das geschrieben hat - besser Finanzminister geblieben, obwohl ich nicht glaube, daß mein Kollege Häfele oder vielleicht Herr Matthöfer mit dieser Feststellung einverstanden wäre.
({5})
Ich sage dazu: Niemand erwartet eine unnötige Dramatisierung der Lage, aber Ihre Art der Schönfärberei ist gefährlich, weil sie die Bereitschaft des Bürgers schwächt, das Nötige zu tun.
({6})
Und ich sage hier: Der Frieden läßt sich nicht auf Illusionen und auf wohlfeile Beschwörungen, sondern allein auf die nüchterne Erkenntnis der Realitäten und auf entsprechende Vorkehrungen gründen. Das übersehen Sie.
({7})
Herr Apel, wenn Sie solche Weißbücher herausgeben, wenn Sie fortlaufend entgegen den Realitäten betonen, der Friede sei sicherer geworden, dann dürfen Sie sich auch nicht wundern, daß es Ihnen in Ihrer eigenen Partei immer schwerer gemacht wird, die notwendigen Entscheidungen im Verteidigungsbereich durchzusetzen. Der Leitantrag zum Parteitag der SPD spricht dafür Bände.
Meine Damen und Herren, es steht fest: Wir können mit der sowjetischen Bedrohung im Bereich der Mittelstreckenraketen nicht leben. Es steht fest: Die Sowjetunion denkt weder an einen Stopp noch gar an einen Abbau ihrer Produktion dieser Waffen. Im Gegenteil, die Sowjetunion produziert, während Sie hier diese Leitanträge formulieren, jeden Tag energisch und zielstrebig weiter. Sie disloziert diese Systeme, die doch Uns bedrohen, und zwar unprovoziert. Es gibt jetzt schon 100 Systeme, 300 Abschußgestelle und 900 Sprengköpfe, von denen jeder einzelne die 2000fache Wirkung etwa der Neutronenwaffe hat. Wenn Sie bis zum Jahre 1983 Weiterrechnen - Herr Pawelczyk, das verschweigen Sie immer -, dann werden das noch einmal mindestens 100 Systeme und mindestens noch einmal 900 Sprengköpfe sein. Ich sage Ihnen: Wenn die sowjetischen Führer Ihr Weißbuch und Ihren Leitantrag gelesen haben, dann wissen sie ganz ge13538
nau, daß sie in dieser Art der Aufrüstung ungeniert weiterfahren können, und das werden sie auch tun.
({8})
Die einzige Möglichkeit, die es überhaupt gibt, um die Sowjetunion von der weiteren Produktion dieser Waffensysteme abzubringen und sie zu Abrüstungsverhandlungen zu bewegen, die seriös sind, ist die unzweideutige, die klare und handfeste Entscheidung des Westens, die nötigen Abwehrwaffen bereitzustellen, das Gleichgewicht herzustellen und damit die Abschreckung zu sichern. Ich sage noch einmal: Dann und nur dann machen Verhandlungen einen Sinn. Diese Verhandlungen können, ja, sie sollen parallel dazu stattfinden. Wir sind dafür, der Sowjetunion sofort Verhandlungen darüber anzubieten, und zwar im Einklang mit der NATO und auch im Einklang mit dem, was man in Ihren Reihen überlegt. Aber dieses Angebot an die Sowjetunion kann nur dann wirken, wenn es von einem unkonditionierten Willen zur Herstellung des Gleichgewichts getragen wird und nicht von tausend Wenn und Aber und schlau formulierten Parteitagsanträgen, aus denen die Sowjetunion nur eines wirklich erkennen kann, nämlich daß Sie weder die Kraft noch den Willen zu einer klaren Entscheidung haben, meine Damen und Herren, daß Sie eben letztlich nicht wollen.
({9})
Herr Apel, Sie haben ja noch nicht einmal den Mut, die Sowjetunion aufzufordern, sofort mit der Produktion dieser Waffen aufzuhören. Warum tun Sie das nicht? Warum gibt es nicht einen Brief von Ihnen oder vom Bundeskanzler an die Sowjetunion? Warum wird das nicht laufend gesagt, warum wird das nicht laufend gefordert? Warum lassen Sie es zu, daß die Sowjets so weitermachen, und warum bieten Sie ihnen dann Moratorien an? Das Problem dabei, Herr Pawelczyk, ist - ich sage nicht, daß Sie das wollen -,
({10})
daß Sie die Abrüstung, die wir alle wollen, damit unmöglich machen, weil Sie der Sowjetunion den Anreiz nehmen, überhaupt seriös mit uns zu verhandeln.
({11})
Sie sollten einmal den Leitartikel von Gillessen in der heutigen Ausgabe der FAZ lesen. Das ist ein hervorragender Leitartikel, in dem völlig zutreffend beschrieben ist, daß die Sowjetunion Rüstungsstopp oder Rüstungsbegrenzung immer nur dann akzeptiert hat, wenn der Westen selbst Entsprechendes anzubieten hatte oder wenn wir uns zu weitergehenden Konzessionen verpflichtet hatten. Aber der Versuch, Verhandlungen dadurch zum Erfolg zu bringen, daß Sie auf der einen Seite der Sowjetunion gestatten, weiterhin Waffen zu produzieren und zu dislozieren, und andererseits immer von Optionen und Moratorien reden, muß mit aller Sicherheit scheitern. Das gefährdet den Frieden und
die Abrüstung; die Gefährdung kommt nicht durch eine mutige und klare Entscheidung, die im Dezember zu fällen wäre.
({12})
Ich sage in aller Deutlichkeit: Man kann den sowjetischen Machtwillen nicht mit sophistischen Parteitagsbeschlüssen einer innerlich gespaltenen SPD bremsen.
({13})
Dies ist um so weniger möglich, als Sie, Herr Verteidigungsminister - ich kann hier auch die Bundesregierung ansprechen -, gleichzeitig mit dem Etat 1980 eine im Bündnis auf der Gipfelkonferenz der Regierungschefs im Mai 1978 in Washington feierlich gegebene Zusage gebrochen haben, den Verteidigungsetat real um 3 % zu steigern. Die reale Steigerungsrate des Etats ist bestenfalls null; wahrscheinlich liegt real aber ein Rückgang vor.
Schlimmer noch als dieser Bruch der Zusage, Herr Apel, hat in Washington die Art und Weise gewirkt, wie Sie auf der Pressekonferenz diese feierlich gegebene Zusage mit einigen flapsigen Bemerkungen vom Tisch gewischt haben. Die Wirkung in Washington und bei unseren Bündnispartnern - täuschen Sie sich nicht - ist verheerend. Sie wissen ganz genau - Herr Pawelczyk, auch Sie sind doch gelegentlich drüben -, wie wichtig die Amerikaner, wie wichtig gerade auch Präsident Carter und seine Administration, wie wichtig der amerikanische Senat diese Zusage genommen haben, wie fest man dort an dieser Meßlatte festhält, wie Carter und die Amerikaner peinlichst darauf geachtet haben, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Aber jetzt gehen Sie - ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland - hier mit einem ganz schlechten Beispiel voran. So macht man keine verläßliche Bündnispolitik, Herr Apel.
({14})
Die Konsequenzen sind im Augenblick noch gar nicht absehbar. Ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die gerade aus Washington zurückgekommen sind. Lassen Sie sich einmal von ihrer Botschaft berichten! Angesichts des Vertrauensverlustes kann ich nur fragen: Sieht so die Berechenbarkeit der deutschen Allianzpolitik aus, die gestern der Bundeskanzler beschworen hat? Drüben wird inzwischen gefragt: Kann man sich auf die Deutschen und Ihre Zusagen denn noch verlassen?
({15})
Herr Apel, jetzt wird sich doch jeder andere Staat der NATO darauf berufen; denn den anderen geht es sicher nicht sehr viel besser als uns.
Können Sie denn ausschließen, daß im amerikanischen Senat jetzt die Stimmen wieder lauter werden, die ganz andere Konsequenzen für die europäische Verteidigung daraus gezogen wissen wollen?
Darum sage ich: Wer so leichtfertig international gegebene Zusagen bricht, schadet nicht nur seiner eigenen Glaubwürdigkeit, sondern erschüttert das
Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode
Fundament des Bündnisses, nämlich die Verläßlichkeit und das Vertrauen, das ein Bündnis wie sonst nichts trägt.
({16})
Jetzt kommt ganz sicher das Argument, das der Kollege von der FDP bereits angesprochen hat und dem ich gar nicht ausweichen will: Wo bleiben dann die Anträge von der CDU/CSU, und wie steht es mit der Finanzierung? Darauf lassen Sie mich zunächst einmal eines sagen. Der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister, diese Bundesregierung, haben die Zusage gegeben. In erster Linie sie sind für ihre Einlösung verantwortlich und können sich nicht unter Berufung auf die Opposition darum herumdrücken.
({17})
Aber wir wollen gar nicht ausweichen, Herr Apel. Herr Kohl hat Ihnen gestern angeboten - ich wiederhole das -: Wenn Sie diese Entscheidung korrigieren wollen, dann haben Sie unsere Stimmen und haben Sie unsere Unterstützung. Übrigens bedeutet das nicht notwendigerweise eine Erhöhung des Gesamtetats; es kann auch eine andere Setzung der Prioritäten bedeuten.
({18})
Aber so, Herr Apel, geht es nicht, daß Sie feierlich Zusagen geben und die Rosinen aus dem Kuchen holen, während die Opposition das Geschäft der Unpopularität und des Unbequemen allein zu besorgen hat.
({19})
Das ist eine Aufgabenverteilung, die wir nicht akzeptieren können, und das wissen Sie auch.
({20})
Deswegen sind Ihre Aufforderungen an die Opposition, doch gefälligst die Alternative aufzuzeigen, reine Scheinargumente. Sie haben das Gerüst des Gesamthaushalts zusammengebastelt. Wir sind bereit, mit Ihnen zusammen die Prioritäten zu ändern, aber Sie gehen mit in die Verantwortung, da Sie es sind, die international dafür eingestanden sind, und aus diesem Versprechen wird man Sie, meine Damen und Herren, so leicht nicht entlassen.
({21})
Ich fasse zusammen. Die Bundesregierung bricht in und mit ihrer Politik ein gegenüber dem westlichen Verteidigungsbündnis feierlich gegebenes Versprechen. Die Bundesregierung vernachlässigt zunehmend die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung und insbesondere die größte sie tragende Partei, die SPD, geht klaren Entscheidungen in lebenswichtigen Fragen der Verteidigung aus dem Weg. Meine Damen und Herren, Sie laden damit - das sage ich Ihnen hier - eine schwere Verantwortung auf sich. Niemand soll sich täuschen: So wird der Friede in einem krisenträchtigen Jahrzehnt, dem wir leider entgegengehen, nicht sicherer.
({22})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit dem Thema „Weißbuch" beginnen. Sie, Herr Abgeordneter Dr. Wörner, und Ihre Fraktion haben ja zu diesem Buch, ehe Sie es überhaupt gründlich studieren konnten, bereits Bemerkungen abqualifizierender Art gemacht.
({0})
Ich will Ihnen das Recht dazu gar nicht bestreiten; es ist das normale Spiel zwischen Opposition und Regierung, daß Sie uns kritisieren und keinen Beifall spenden. Aber ich bin doch sehr dafür, daß Sie dann, wenn Sie so tun, als hätte dieses Weißbuch einen allgemeinen nationalen und internationalen Verriß erhalten, zur Kenntnis nehmen, wie es in der Tat kommentiert worden ist. Lassen Sie mich dazu einfach nur einige Pressestimmen zitieren, und Sie werden bei der Nennung der Zeitungen feststellen, daß es sich um durchaus unabhängige Organe handelt, die keineswegs der Sozialdemokratie nahestehen.
Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt, das Weißbuch sei eine ausgewogene Gesamtbilanz der Bonner Sicherheitspolitik.
({1})
Der „Kölner Stadtanzeiger"
({2})
schreibt:
In begrüßenswert offener Spache wird mit den Sowjets in einer Weise Fraktur geredet, wie es selbst Kenner der militärpolitischen Szene überrascht.
({3})
Die „Frankfurter Neue Presse" schreibt: Bonn läßt sich nicht einschüchtern. Die „Stuttgarter Zeitung" schreibt:
Die Bundesregierung schlägt sich damit klar auf die Seite jener Strategen, die Mittelstrekkenraketen in Westeuropa für unverzichtbar halten, allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Wenn die Sowjetunion bereit ist, ihr eigenes Arsenal an Mittelstreckenraketen abzubauen, kann auch der Westen auf eine neue Runde der Aufrüstung verzichten.
Ich stelle fest, daß dieses Weißbuch national wie international eine positiv-kritische Würdigung gefunden hat. Einzelne Organe in unserem Lande, die Ihnen parteipolitisch ganz besonders nahestehen - wie die Tageszeitung „Die Welt" -, machen hier eine Ausnahme.
Neben der Kritik der Opposition haben wir auf der anderen Seite massive Kritik aus Osteuropa, insbesondere aus der DDR, entgegengenommen. Die DDR sagt - . ich zitiere wörtlich aus dem. „Neuen Deutschland" -:
Noch nie wurde in einem Weißbuch der BRD-Regierung
- so nennt man das da die Lüge von der sowjetischen Bedrohung derart massiv strapaziert. Sie wird sogar als Kernstück hervorgehoben.
Ich will dies alles nicht überbewerten.
({4})
Unser Weißbuch ist eine nüchterne Bestandsaufnahme der Situation, so wie sie gegeben ist. Sie basiert insbesondere im Kräftevergleich auf unbestrittenen NATO-Zahlen. Es ist unser Beitrag zu einer sachlichen Debatte. Wenn auf der einen Seite die Kalten Krieger in Osteuropa und auf der anderen Seite die Kalten Krieger in Westeueropa mit unterschiedlichen Argumenten in gleicher Weise dieses Weißbuch kommentieren, so nehme ich das mit großer Gelassenheit zur Kenntnis.
({5})
Ich weise in diesem Zusammenhang, Herr Mirner - ich denke, Sie sollten sich das nicht so leichtfüßig machen, schließlich sind Sie der verteidigungspolitische Sprecher der Opposition -, Ihre Behauptung zurück, das Weißbuch sei eine Anpassung an sowjetische Vorstellungen. Ich weiß nicht, ob Sie auf diese demagogische Weise unzutreffend und über die Fakten hinweggehend argumentieren dürfen. Denn Sie vertreten einen wesentlichen Teil des deutschen Parlaments. Sie haben die Verpflichtung, genau hinzuschauen, sauber zu argumentieren und nicht bereits 12 Monate vor dem Wahltag in einer. demagogischen Weise Fakten zu verdrehen.
({6})
Ich bin im übrigen dafür, daß Sie den Leitantrag zum Parteitag der Sozialdemokratischen Partei genau lesen. Es gibt nicht ein einziges Zitat, das mir die Gelegenheit geben würde, auf Ihre Polemik zu antworten; es gibt nur allgemeine Floskeln, allgemeine Hinweise. Wollen wir die sicherheitspolitische Debatte der nächsten 12 Monate, die eh kompliziert genug werden wird - nicht zuletzt auf Grund der internationalen Gegebenheiten -, so bestreiten, daß wir uns gegenseitig auf diese Art und Weise behandeln? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir eine gemeinsame Verantwortung für dieses Land haben,
({7})
daß wir versuchen sollten - bei aller Gegensätzlichkeit der Meinungen -, die Sicherheitspolitik
auf die Basis der Fakten zu stellen, und daß wir
aufhören sollten, auf diese Art und Weise zu argumentieren?
Ich möchte eine weitere Bemerkung anschließen. Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Kohl, und Sie haben zu zwei aktuellen Themen Bemerkungen gemacht, die zu kommentieren sind. Ich meine zunächst das Thema Modernisierung der Mittelstrekkenwaffen in Europa oder, um es noch präziser zu formulieren: die zunehmenden Disparitäten, also Ungleichgewichte in den Fähigkeiten der NATO und des Warschauer Pakts hier in Europa. Die Analyse im Weißbuch ist eindeutig. Sie kann auch von Ihnen nicht übersehen und bestritten werden. Die Frage ist doch, wie wir auf diese Herausforderung zu antworten haben.
Hierzu möchte ich bei Ihnen abfragen, ob wir uns denn einig sind. Sie sind auch hier sehr leichtfüßig, sehr allgemein, sehr pauschal, sehr demagogisch über Fakten hinweggegangen. Ich möchte abfragen, ob wir uns einig sind, damit wenigstens künftig deutlich wird, worüber wir uns denn eigentlich streiten. Also: Der Tatbestand ist von mir nicht bestritten. Er ist im Weißbuch dargestellt. Sie haben ihn auch nicht bestritten. Wir sind uns in dieser Frage einig. Das ist schon mal ganz wichtig, wenn sich alle Fraktionen des Bundestages über die Fakten einig sind.
Aber nun kommt die Frage: Wie beantworten wir denn diese Herausforderung? Herr Dr. Kohl hat gestern gesagt, ein Moratorium werde er nicht akzeptieren. Wer redet denn eigentlich von einem Moratorium? Wer will denn dieses Moratorium? Wollen wir es? Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein. Was wir wollen, ist folgendes, und dies wird in dem Leitantrag zum Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ebenso deutlich wie in dem, was die NATO zu diesem Thema sagt. Wir wollen die Sowjetunion in ihre Verantwortung stellen. Nun muß ich sagen: es ist wohl ein bißchen naiv - so stellt sich der kleine Moritz die Politik vor -, wenn Sie sagen, der Bundeskanzler oder der Verteidigungsminister möchten mal. Briefe nach Moskau schreiben, so nach der Melodie: Ihr Bösen, baut mal keine SS 20. - Was ist denn das für eine Vorstellung von Politik? Daß der Bundeskanzler natürlich bei all seinen nationalen und bilateralen Kontakten, die er in Osteuropa gehabt hat und haben wird, zum Thema spricht, das versteht sich doch wohl von selbst. Sie können sich doch wohl nicht ernsthaft vorstellen, daß dies ein Beitrag zur Lösung des Problems wäre.
.({8}).
- Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? ({9})
Gestatten Sie?
Ja.
Bitte schön, Herr Wörner.
Halten Sie es für eine vertretbare Vorstellung von Politik, der Sowjetunion, und zwar unkonditioniert, die Möglichkeit einzuräumen, Tag für Tag in der Produktion jener gefährlichen Raketen mindestens auf drei Jahre hinaus fortzufahren, ohne deutlich zu machen, daß wir im Westen an die Produktion von Abwehrwaffen gehen werden, wenn nicht sofort die Sowjetunion die Produktion dieser Waffen beendet?
Aber Herr Dr. Wörner, hier schießen Sie doch erneut auf Pappkameraden. Was soll denn diese Art von Frage und damit die Unterstellung - ({0})
- Augenblick, nun hören Sie doch einmal eine Sekunde zu, damit Sie von mir über die Position der Bundesregierung und den Verhandlungsstand in Brüssel ins Bild gesetzt werden können. Lassen Sie doch das Schießen auf Pappkameraden. Mit wem reden Sie denn? Doch wohl nicht mit der Sozialdemokratie, mit der Bundesregierung, sondern mit irgend jemandem sonst!
Nun zum Tatbestand. Selbst wenn wir das wollten, was Sie augenscheinlich wollen - und ich füge hinzu: was ich nicht will -, erst einmal Westeuropa mit Raketen vollzustellen, um dann über Rüstungskontrolle zu verhandeln, sind die Waffen nicht verfügbar.
({1})
Der NATO-Beschluß, der im November/Dezember erfolgen wird, kann frühestens mit diesen Mittelstreckenwaffen, von denen Sie eben in Ihrer Zwischenfrage geredet haben, ab 1983 rechnen.
({2})
Was hindert uns eigentlich daran, wenn dieses so ist, eine Politik der Modernisierung unserer Verteidigungsfähigkeit mit den Zeitabläufen, die gegeben sind, zu verbinden, d. h. der Sowjetunion den festen Willen zu signalisieren, daß ab 1983 diese Modernisierung in Europa stattfindet, wenn nicht bis zu diesem Zeitpunkt das eintritt, was Sie in Ihrer Zwischenfrage beschworen haben: Rüstungskontrollpolitik, Absprachen darüber, daß wir die Rüstungsspirale unterbrechen. Da mag es sein, daß Sie die Verhandlungen, die dann ab Anfang 1983 möglich werden, kritisch, skeptisch, pessimistisch beurteilen und daß wir uns in dieser Beurteilung unterscheiden.
({3})
- Aber ich bitte Sie, SALT II hat im interkontinentalen Bereich ein Ergebnis gefunden, das den Frieden sicherer macht.
({4})
Warum sollen wir dann nicht - wenn wir den festen Willen zur Modernisierung zeigen und damit
der Sowjetunion sagen, was auch kommen kann die drei Jahre nutzen, die sowieso vergehen müssen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner?
Ja, aber natürlich.
Bitte.
Gestatten Sie mir noch eine Frage, denn jetzt wird die unterschiedliche Position eben doch deutlich. Was, Herr Apel, machen Sie eigentlich, wenn die Sowjetunion in den Jahren bis 1983 in ihrer Produktion fortfährt, dann über 2 000 Sprengköpfe auf Mittelstreckenraketen hat und Sie 1983 - das ist Ihr Zeitpunkt - mit der Alternative konfrontiert: Wir beenden jetzt die Produktion? Sie hat dann 2 000, wir nichts. Was machen Sie dann? Da gibt es kein Drumherumreden. Das ist die Gefahr. Wenn Sie dann ein Moratorium wollen, hat die Sowjetunion genau das, was sie haben will.
({0})
Aber ich weiß nicht, Herr Kollege Dr. Wörner - ich bin Ihnen durchaus dankbar für die Zwischenfrage -, wer denn dieses Wort Moratorium in diesem Zusammenhang erfunden hat, wo Sie es denn finden.
({0})
- Dann lesen Sie das bitte vor, damit ich es kommentieren kann, damit endlich klar wird, was dort gesagt wird, damit endlich Schluß ist mit dieser Demagogie.
Dort heißt es:
Es ist zu prüfen, ob bei fortschreitendem Verhandlungsprozeß überprüfbare Vereinbarungen
({0}) über einen Produktions- und Stationierungsstopp neuer nuklearer Waffensysteme die Erfolgsaussichten von Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt erleichtern würden.
Ehe Sie es kommentieren, füge ich hinzu: Was eigentlich soll dieser Hinweis, wenn er nicht mit der klaren politischen Forderung verbunden wird, daß die Sowjetunion jetzt damit aufzuhören hat, weil wir keine einzige Waffe dagegenzustellen haben?
({1})
Erst einmal unterscheiden wir uns wahrscheinlich in der Notwendigkeit, klirrende Sprache an die Stelle von Politik zu setzen. Sie brauchen klirrende Sprache, wir sind für Politik. Aber lassen wir einmal Semantik beiseite.
({0})
Meine Antwort auf Ihre Frage lautet wie folgt.
Erster Punkt. Woran wir ein Interesse haben - ich hoffe, Sie genauso wie wir -, ist doch, daß die Abschreckungsfähigkeit erhalten wird.
Der zweite Punkt ist der, daß alle atomaren Waffen im Besitz, im Eigentum, in der Verfügungsgewalt der USA auf westlicher Seite bleiben.
Der dritte Punkt - noch nicht von Ihnen in die Debatte eingeführt - ist, daß automare Sprengköpfe dieser Qualität nicht nur auf deutschem Boden stehen. Obwohl Herr Kohl dazu gestern andere Bemerkungen gemacht hat. Sie haben bisher diese meine Position mit vertreten.
({1})
- Das ist noch jetzt Ihre Position. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Das sollten Sie Ihrem Fraktionsvorsitzenden signalisieren.
({2})
Das ist die Basis. Die zweite Basis ist ein Ungleichgewicht zwischen Ost und West zugunsten von Ost. Nun wird die NATO - nicht die Bundesrepublik Deutschland, wir sind Teil der NATO; nur NATO-Beschlüsse können hier wirken, es gibt keine nationalen Alleingänge - der Sowjetunion Verhandlungen anbieten, allerdings mit dem festen Willen, daß ab 1983 Waffen dann zulaufen, wenn diese Verhandlungen zu keinem befriedigenden Ergebnis führen.
Nun verstehe ich Ihre Aufregung nicht. Sollten diese Verhandlungen zu Erfolgen führen, dann muß doch auf westlicher Seite der Automatismus unterbrochen werden können, dann muß man doch eine Debatte in der NATO führen können. Es muß eine Möglichkeit geben, über das, was sich an sowjetischer Bewegung eventuell gezeigt hat - eventuell, wir verlassen uns nicht auf Hoffnungen; Realitäten sind die Basis von Politik -, neu zu sprechen. Das besagt dieser Text. Das ist politische Vernunft. Politische Vernunft ist nämlich die Vernunft, die da sagt: Wir wollen so viel an Verteidigungsfähigkeit haben, wie wir brauchen, um die Abschreckung zu garantieren und den Frieden zu erhalten, d. h. zu verdeutlichen: Wenn ihr angreift, ist das für euch genauso tödlich wie für uns.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ich weiß deswegen auch nicht, was diese Debatte noch soll; es sei denn, Sie hätten jetzt durch meine Erklärung eine Übereinstimmung gefunden. Ich will sie nicht herbeizaubern. Ich will mir nur wünschen, daß nicht aus dem Deutschen Bundestag - auch nicht durch Reden der Opposition - der Eindruck entsteht, als seien wir die Forderer, als wollten wir à tout prix eine neue Rüstungsspirale in Gang setzen, als seien wir diejenigen, die in jedem Fall Rüstungskontrollpolitik abgeschrieben hätten. Das darf nicht sein. Wir leben an der Nahtstelle zwischen Ort und West. Ich gebe Ihnen zu, eine falsche Sicherheits-, eine falsche Entspannungs-, eine falsche Verteidigungspolitik trifft unser Volk zuerst.
({3})
Aber eine falsche Politik, eine Politik, bei der wir die Speerspitze wären, gefährdet nicht nur die westliche Allianz, sondern gefährdet wiederum die Interessen des deutschen Volkes, weil wir die Bevorzugten, diejenigen sind, die den Vorteil der Entspannungspolitik in zehn Jahren hatten und weiterhin haben wollen.
({4})
Ich will mich hier nicht mit Herrn Kissinger auseinandersetzen. Republikanische Wahlreden in Brüssel werden im Deutschen Bundestag nicht kommentiert.
({5})
Dazu hat der amerikanische Außenminister Vance schon das Nötige gesagt. Im übrigen ist es auch nicht so, daß wir wie das Kaninchen auf die Schlange starren. Das langfristige Verteidigungsprogramm läuft. Die NATO erhält sich ihre Verteidigungsfähigkeit.
({6})
- Ja, eine richtige Bemerkung. Damit bin ich bei den Haushaltsproblemen. Auch hier bitte ich um etwas mehr Gelassenheit und Reduzierung im Ton. Was heißt denn das eigentlich, wenn der Abgeordnete Dr. Wörner sagt, in Washington werde gefragt, ob man sich auf die Bundesrepublik noch verlassen könne? Wenn dort überhaupt irgend jemand so etwas fragt, dann lassen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, in Washington so fragen; das ist Ihre Politik. In jedem Fall kann ich Ihnen folgendes sagen - ich sage Ihnen das hier ganz offen -: Ich habe am letzten Sonnabend mit meinem amerikanischen Kollegen, Harold Brown, lange telefoniert. Dabei hat sich für mich - das ist interessant - eines herausgestellt: Aber er erreicht bei seinen Verteidigungsausgaben nicht das Ziel von 3 % realem Wachstum, weil ihm die Inflation wegläuft. Er hat mir gesagt: Ich, Harold Brown, habe ein zentrales Problem - und das habe auch ich als deutscher Verteidigungsminister -: Die massive Steigerung der Betriebsstoffkosten, also der Kosten für Benzin, Dieselöl und auch Heizöl gibt mir echte Probleme auf.
Ich habe sowohl den Herrn Finanzminister als auch den Bundeskanzler über dieses Problem unterrichtet. Es wäre unfair, hier in der ersten Lesung zu sagen, ich erwartete Geld; aber das Problem ist da. 300 Millionen DM fehlen uns hier, und dies stellt uns vor Probleme, die wir in den Haushaltsberatungen zu erörtern haben werden. Aber eines muß ich hier auch sagen: Wir leben doch nicht in irgendeinem subventionierten Theater, in dem am gleichen Abend zuerst Tragödie und anschließend Posse gespielt wird. Es geht doch nicht, daß Herr Biedenkopf - morgens um 10 Uhr - hier eine Rede hält, in der er deutlich macht, er verlange nun den ersten Schritt in Richtung Konsolidierung des Haushalts - Herr Wörner sitzt dort auf seinem Platz und klatscht dem Herrn Biedenkopf ununterbrochen Beifall, wenn er über die großen Sorgen im Zusammenhang mit dem Haushalt, über die RieBundesminister Dr. Apel
senlöcher klagt -, und daß dann eben jener Herr Wörner eine Stunde später hier herkommt und sagt: Mehr Geld für die Verteidigung!
({7})
Sie haben mir im letzten Jahr schon einmal die Frage gestellt - vielleicht stellen Sie sie mir jetzt wieder -: Herr Apel - so sagen Sie immer so nett; ich finde das prima; denn die Titel müssen weg, sowohl die akademischen als auch die Minister-Titel; ich bin Ihnen dafür dankbar;
({8})
ich finde, das ist ein Beitrag zur Chancengleichheit, wenngleich Herr Strauß etwas gegen Chancengleichheit hat -,
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können Sie nicht 1 Milliarde mehr gebrauchen? Also, Herr Wörner, wenn Sie mich so fragen, sage ich: privat nein, aber für den Verteidigungsetat sicherlich.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Aber natürlich, sicherlich.
Herr Minister Apel - ({0})
Das finde ich schade, das finde ich sehr schade.
- - indem ich Ihnen zunächst einmal Ihr Kompliment von vorhin bezüglich des Gebrauchs von Worten und bezüglich des Überhörens dessen, was wirklich gesagt wurde, zurückgebe, darf ich Sie fragen: Ist Ihnen entgangen, daß ich ganz klargemacht habe, daß eine andere Setzung von Prioritäten die Einlösung Ihres - nicht meines, Ihres! - Versprechens möglich machen könnte, und daß ich überdies gesagt habe, daß die Opposition Sie dabei unterstützen wird, daß Sie aber von uns nicht erwarten können, daß wir für Versprechungen geradestehen, die Sie brechen? So ist die Aufgabenverteilung zwischen Opposition und Regierung noch nie gewesen, weder zu unseren Zeiten noch zu Ihren.
({0})
Das ist ganz klar, um Gottes willen! Es würde ja auch ein unglaubliches Durcheinander geben, wenn wir mit Ihnen zusammen versuchten, den Bundeshaushalt in Ordnung zu bringen. Dann würden Sie Steuersenkungen in Milliardenhöhe vornehmen, überall Subventionen versprechen, den Verteidigungsetat aufstocken und gleichzeitig die Nettokreditaufnahme reduzieren wollen. Da braucht man ja mehr als Magie, um das zu können, da braucht man Worte.
({0})
Also insofern, Herr Wörner, verlange ich ja gar nichts. Aber so geht es natürlich nicht.
({1})
- Ja, so geht es bei Ihnen! Aber Sie wollen ja auch ab 1980 nicht regieren, sonst könnten Sie ja kaum solche Reden halten.
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Also, so geht es nicht, daß hier mit düsteren Worten aufgemalt wird, wie es aussieht, und dann gesagt wird: 750 Millionen DM können wir umschichten. Ich frage jetzt nicht zurück: Wo? Ich sage nur eins: Die Karten sind ausgereizt. Und wenn die bei Ihnen so beliebte „Welt" sagt, der Apel hätte lieber Finanzminister bleiben und nicht Verteidigungsminister werden sollen, dann empfinde ich das als Kompliment. Was wären wir" eigentlich für eine Mannschaft,
({3})
wenn nicht jeder die Sorgen des anderen mittrüge!
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Bin ich denn der Lobbyist des Verteidigungsetats oder Mitglied der Bundesregierung? Bei uns gibt es. das nicht, daß um 10 Uhr Herr Biedenkopf über die Defizite jammert und um 11 Uhr Herr Wörner mehr Geld verlangt.
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Herr Wörner, lassen Sie uns ganz schlicht über Fakten reden, ohne die Probleme verniedlichen zu wollen. Wie gesagt, die USA erreichen ein Wachstum von 3 % real bei den Verteidigungsausgaben auch nicht, wenn im Parlament nicht eine kräftige Anstrengung unternommen wird. Die Briten erreichen die 3 % real. Wenn ich die Besoldung der Bundeswehr, was manche wünschen würden, in einem Jahr um ein Drittel steigern könnte, würde ich die 3 % real auch erreichen. Das mag die Moral der Truppe vorübergehend heben, aber es ist eine andere Frage, was das mit der Verteidigungskraft im eigentlichen Sinne zu tun hat.
Sehen wir uns die Probleme an. Wir bekommen vom Finanzminister im nächsten Jahr 1,7 Milliarden DM mehr als in diesem Jahr, und das ist schon ganz schön viel. Wofür geben wir das Geld aus? 8,6 Milliarden DM geben wir für Waffen und Geräte aus; das sind 7 % mehr als in diesem Jahr. In diesem Bereich überschreiten wir die 3 % real bei weitem. Wir können damit alle Waffensysteme finanzieren, die dazulaufen. Im Bereich des Personalwesens sind wir bei der Bundeswehr in der glücklichen Lage, daß das nicht meine Sorge ist, sondern wenn es im öffentlichen Dienst mehr gibt, bekommen auch die Bundeswehrangehörigen mehr, so13544
weit sie Zeitsoldaten, Berufssoldaten oder Zivilbedienstete sind. Hier habe ich kein Problem. Auch im Bereich der Stellenwirtschaft habe ich kein Problem. Der Finanzminister hat mir 550 Planstellen und 1 000 zusätzliche Wehrübungsplätze für die Verwirklichung der Heeresstruktur gegeben, die nach Meinung aller NATO-Experten eine wesentliche Stärkung der Verteidigungskraft mit sich bringt. Wir verbessern den Planstellenanteil A 9 bei den Hauptfeldwebeln um 1 170 Stellen. In der Personalwirtschaft kann man also noch Wünsche äußern; da ist es in Ordnung.
Im Bereich der Sozialmaßnahmen, die im Moment so kontrovers und nicht fair debattiert werden, erreichen wir den ersten Einstieg. Es gibt einen Dienstzeitausgleich für zu hohe Dienstzeitbelastung, und wir erhöhen eine Reihe von Bordzulagen. Hier bleiben Wünsche übrig, die kontrovers debattiert werden müssen; aber auch hier sind die Dinge in Ordnung.
Wo liegen die Probleme? Über das Problem der Betriebsstoffkosten habe ich gesprochen. Die Verteuerung trifft uns direkt, und wir wissen nicht, woher das Geld kommen soll. Auch ein zweites Problem will ich offen ansprechen. Wenn wir für Bauten und Infrastruktur mit demselben Ansatz von 1,5 Milliarden DM - wie in diesem Jahr - leben müssen, dann ist das bei der Preissteigerungsrate effektiv weniger. Aber da muß ich zurückfragen, wobei ich mich an die Ausführungen von Herrn Biedenkopf anschließe: Müssen wir uns im nächsten Jahr angesichts einer gut beschäftigten Bauwirtschaft hier nicht wirklich zurückhalten? Würden hier höhere Mittel nicht zu größeren Bauleistungen, sondern zu einer höheren Preissteigerungsrate führen? Sie sagen: Hier redet schon wieder der Finanzminister. Nein, hier redet ein Ökonom, der seinen Verstand nicht an der Garderobe abgegeben hat.
({6})
Herr Dr. Wörner: Saldenstrich - angenehm ist mir das nicht.
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- Richtig, Herr Wörner. Ich habe so viel Respekt vor dem Doktor, daß ich ununterbrochen „Doktor" sage. Herr Wörner, ich bin Ihnen für diese Bemerkung sehr dankbar. Ich finde es nicht angenehm, daß wir das Ziel von 3 % real nicht erreichen. Mir macht das Sorgen. Da gibt es auch psychologische Probleme. Wer will das eigentlich bestreiten? Auf der anderen Seite müssen wir unseren Nachbarn zweierlei sagen. In zehn Jahren sozialdemokratischer Verteidigungspolitik haben wir die Ausgaben insgesamt um mehr als 100 % gesteigert und damit Jahr für Jahr mehr als 3 % real hinzubekommen. Wir geben von dem Geld, das uns der Finanzminister - genauer gesagt: der Bundestag durch seinen Beschluß - gibt, über 30 % für Waffen, für investive Anteile aus. Herr Dr. Wörner, bei aller Bereitschaft, Haushaltssorgen ernst zu nehmen - ich nehme sie sehr ernst -: Die Verteidigungsfähigkeit in unserem Lande ist gewährleistet.
Schlußbemerkung: Ich wünsche mir eine kontroverse Debatte. Die brauchen wir. Wir müssen uns Sorgen machen um die Sicherheitspolitik in unserem Lande und über das Fortbestehen der Verteidigungsfähigkeit als Voraussetzung für Entspannungspolitik. Eine Debatte, die sachbezogen ist, bringt dann auch mehr Bewußtsein über die Rahmenbedingungen unserer Sicherheit, unseres Friedens, unserer freiheitlichen Entwicklung in die Köpfe unserer Wähler.
Ich darf eine Bitte äußern. Die Bitte richtet sich natürlich auch an mich selbst. Lassen Sie uns das doch mit einem Mindestmaß an sachlicher Ausgewogenheit tun. Was soll denn ein Schlagabtausch, er kann doch nur unseren politischen Gegnern nützen, wo immer sie in der Welt sitzen.
Ich beende diese Intervention mit der Berner-kung: Entspannungspolitik, Verteidigungsfähigkeit und Sicherheitspolitik der sozialliberalen Koalition haben in der Tat in zehn Jahren den Frieden sicherer gemacht. Daran gibt es für mich und die große Mehrheit unseres Volkes überhaupt keinen Zweifel.
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Das Wort
hat der Bundesminister der Finanzen.
' Matthöfer, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Häfele hat gleich im zweiten Satz seiner Replik auf meine Einbringungsrede gesagt, das Jahr 1980 sei ein Wahljahr. Das Wahljahr 1980 zog sich durch die ganze Debatte hindurch. Ich dagegen stelle fest, daß ich einen Haushalt vorgelegt habe, der gerade nicht auf die Tatsache Rücksicht genommen hat, daß zufällig das nächste Jahr ein Wahljahr ist. Herr Dr. Häfele, wer geschworen hat, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, der darf bei der Gestaltung des Haushalts nicht an Wahlkämpfe denken.
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Kostenstrukturveränderungen in der Welt und die Konjunkturentwicklung in der Bundesrepublik richten sich nicht nach Wahlkampfterminen. Wir möchten vom Wähler nach unserer Gesamtleistung beurteilt werden, nach dem, was wir in vier Jahren geschafft haben und nicht danach, was an Zufallsentscheidungen ein paar Monate vor der Wahl getroffen worden ist.
Dieser Haushalt richtet sich nach volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten. Ich vermisse in Ihren Ausführungen das Denken in Zusammenhängen. Die ständige Anklage, wir seien Schuldenmacher, finde ich ganz merkwürdig, da Sie das ohne Rücksicht auf die wirkliche Situation in unserem Lande darstellen. Ich will zwei Beispiele bringen. Ich mache das nicht gerne, weil solche Beispiele in der Politik nie ganz die Komplexität der Entscheidungssituation darstellen können. Das eine Beispiel ist folgendes: Jemand baut sich ein Haus, das eine Million DM kostet. Er nimmt für 400 000 DM HyBundesminister Matthöfer
potheken auf. Nun sagen Sie, es sei architektonisch gut, es passe sich in die Landschaft ein, die Kostenpläne seien eingehalten und es sei bei der Abnahme ohne Beanstandungen genehmigt worden, aber das sei alles völlig irrelevant, denn der Bauherr sei ein Schuldenmacher. Er habe zwar ein schönes Haus für eine Million DM gebaut, dabei aber Hypotheken für 400 000 DM aufgenommen.
({1})
Oder nehmen Sie das Beispiel eines großen Unternehmens. Natürlich wird mit wachsendem Umsatz - d. h. in unserem Fall: mit wachsendem Bruttosozialprodukt - der Betriebsmittelkredit wachsen. Sie sehen dies alles außerhalb der Zusammenhänge. Ich sage Ihnen: Wir sind mit unserer Politik erfolgreich gewesen.
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- Sehen Sie sich doch um im Lande, sprechen Sie doch mit den Menschen, gehen Sie doch durch unsere schönen Dörfer und durch unsere regen Städte. Wir haben in vielen Gebieten Vollbeschäftigung erreicht. Den Menschen geht es gut; den Bauern geht es gut; Handwerk hat wieder goldenen Boden; die Zahl der Selbständigen wächst; der soziale Friede ist gesichert; die Menschen haben keine Angst mehr: Das ist das Ergebnis dieser Politik.
({3})
Sie müssen mit den Menschen statt über abstrakte Schuldenzahlen reden.
({4})
Und wenn Sie etwas über die Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland erfahren wollen, lesen Sie den „General-Anzeiger" von heute. Dort steht unter der Überschrift „Bundesrepublik gilt als außerordentlich kreditwürdig" eine Meldung aus New York:
Die Bundesrepublik steht nach Ansicht führender Banken unter den zehn kreditwürdigsten Ländern der Welt nach den Vereinigten Staaten und vor der Schweiz an zweiter Stelle. Das amerikanische „Institutional Investor Magazine" hatte 90 internationale Geldinstitute nach ihrem Urteil gefragt und die Antworten nach der Bedeutung der einzelnen Banken im Kreditverkehr bewertet. Danach stehen die USA, die Bundesrepublik ... bei der Kreditwürdigkeit an der Spitze, ..
({5})
Warum ist das der Fall? Weil die Situation in unserem Land in Ordnung ist, weil unsere Wirtschaft blüht und gedeiht und weil es den Menschen bei uns gutgeht. Und darüber wollen wir sprechen.
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Es war Ihre Idee, die aktuelle Gesamtverschuldung mit den Schulden Hitlers zu vergleichen. Ich will den Vergleich aufnehmen. Ich will Ihnen sagen: Wir stehen in der Tat jetzt wieder vor einer Entscheidungssituation. Ich will das nicht mit 1932, 1933 vergleichen. Aber damals war auch eine Entscheidungssituation gegeben. Die Menschen konnten sich bei ihrer Wahl entscheiden: Wollten sie es so machen wie die Schweden, die damals den Sozialdemokraten die Mehrheit gegeben haben, oder wollten sie Hitler wählen? Mit Ausnahme der Linksparteien und des Zentrums sind die Wähler der konservativen Parteien zu Hitler übergelaufen und haben ihm die erforderlichen Stimmen gegeben, die seine Politik ermöglicht haben.
({7})
- Jetzt nicht. Ich möchte meinen Gedanken zu Ende führen, Herr Kollege Haase. Ich überlege mir manchmal: Was wäre geschehen, wenn sich das deutsche Volk im Jahr 1932 oder 1933 für eine andere Politik entschieden hätte und wenn wir die ungeheuren finanziellen Mittel, die wir in den Aufbau der Wehrmacht, in den Westwall, in den Ostwall, in den Atlantikwall, in den Polenfeldzug, den Frankreichfeldzug, den Norwegenfeldzug, den Nordafrikafeldzug, den Italienfeldzug, den Angriff auf die Sowjetunion, den Atlantikkrieg, die Bombardierung Großbritanniens, den Rückzug nach Deutschland, die Zerstörung unseres eigenen Landes durch unsere eigenen Truppen gesteckt haben, diese ungeheuren Opfer, die zugleich Not und Anstrengungen bedeuteten, auf den Aufbau unseres Landes konzentriert hätten?
({8})
Wir hätten - um ein Zitat August Bebels zu bringen - dieses unser Vaterland zu dem schönsten Land der Welt machen können. Das ist der Unterschied zwischen unserer Politik und der Politik Hitlers. Und wir machen unser Land zum schönsten Land in dieser Welt. Gehen Sie herum! Fragen Sie nur die Menschen!
({9})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Ja.
Verehrter Herr Minister, ich weiß gar nicht, was der Vergleich mit Hitlerscher Politik hier soll.
({0})
Aber um auf die Tatsachen zurückzukommen: Was veranlaßt Sie eigentlich, die Situation der Jahre 1932 und 1933 mit der Situation des Jahres 1979 zu vergleichen? Halten Sie die Probleme für von gleicher Qualität?
({1})
Herr Kollege Haase, wenn Sie die ganze Debattenzeit anwesend waren, was ich bei Ihnen anläßlich der Haushaltsberatungen ja immer unterstellen kann, müssen Sie sich doch erinnern, daß es Ihr Kollege Häfele war, der diesen völlig unangebrachten - ich muß mich beherrschen, um stärkere Ausdrücke zu vermeiden - Vergleich hier gebracht hat.
({0})
- Herr Kollege Haase, der Herr Präsident hat Ihnen diese weitere Frage nicht gestattet. Ich bitte Sie, sich zu setzen.
({1})
Wenn die Nachfrage in der Volkswirtschaft - aus welchen Gründen auch immer - nachläßt und die Produktionskapazitäten nicht ausgenützt werden, dann, Herr Kollege Häfele, ist es in der Tat interessant, sich an die Keynesschen Ratschläge zu erinnern. Aus der Krise der 30er Jahre haben wir ja gelernt, daß in solchen Situationen der Staat eben nicht seine Ausgaben senken darf, daß er Kredite aufnehmen und als Einkommen in die Kreisläufe zurückschleusen muß, um Beschäftigung zu sichern. Aber ich bitte Sie doch herzlich, da Sie Keynes aus dem Jahre 1936 zitieren: Weder die nationalökonomische Wissenschaft noch ich sind beim Erkenntnisstand des Jahres 1936 stehengeblieben. Selbstverständlich ist die Nachfragestruktur wichtig, ebenso aber auch die Angebotsstruktur. Aber wenn es jemals - wenn ich das zum eigenen Lob einmal sagen darf - eine Haushaltseinbringungsrede gegeben hat, die sich mit der Angebotsstruktur der Volkswirtschaft beschäftigte, dann war es doch wohl diese.
Lesen Sie doch einmal die Passagen über die Notwendigkeit von Regionalpolitik nach, über die Beschäftigung mit den einzelnen Wirtschaftszweigen, über die Größenstrukturpolitik, die wir betreiben, weil wir es für erforderlich halten, in dieser Zeit struktureller Änderungen möglichst viele kleine und mittlere Unternehmen zu haben, die in der Lage sind, diese Strukturveränderungen zu vollziehen! Lesen Sie doch einmal nach, was ich über Forschungs-, Innovations- und Technologiepolitik gesagt habe, die nötig sind, damit wir ein leistungsfähiges Angebot haben.
Natürlich wären wir närrisch und würden die Lehren der letzten 40 Jahre vergessen, würden wir nur in globalen Nachfragekategorien denken. Ich habe davon gesprochen, daß wir diese von uns geschaffene Nachfrage in Problembereiche gesteuert und gelenkt haben. Gerade das ist es doch, was Sie immer als „Sozialismus" beklagen. Änderung der Angebotsstruktur ist doch Investitionslenkung, nicht wahr. Aber dann, wenn es praktisch wird, kommen Sie mit Ihrer eigenen Ideologie in Konflikt.
Natürlich spielt die Struktur der Staatsausgaben für die mittelfristige Wirtschaftsentwicklung eine wichtige Rolle. Wir kennen die Bedeutung - meine Rede zeigt das - der Erneuerung, Ausweitung und Verbesserung des Produktionspotentials. Wir wissen, welche Anstrengungen innovatorischer Art nötig sind, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wenn der Bundeshaushalt zunehmend Ausgaben für die Ermöglichung solcher zukunftsbezogener Investitionen leistet, so ist das eine Politik, die das Wachstum der Volkswirtschaft stützt und die Arbeitsplätze auf Dauer sicherer macht. Ich hoffe auch, daß das zu einer qualitativen Verbesserung der Arbeitsplätze führt.
Ich habe aus Ihrer Fraktion zu dem mit 100 Millionen DM dotierten Programm „Humanisierung der Arbeit" bisher nichts als Kritik gehört. Warum äußern Sie sich nicht einmal zu diesen Anstrengungen der Bundesregierung? Wir wollen diese Arbeitsplätze nicht mehr, an denen Menschen gezwungen sind, den ganzen Tag über monotone, sich stur wiederholende, in kleinste Einzelheiten zerhackte Arbeitsgriffe zu machen, sondern wir wollen helfen, daß Arbeitsplätze geschaffen werden können, die dem Menschen interessante, humane Arbeit bieten, Arbeitsplätze, an denen sie ihre Talente und Fähigkeiten weiterentwickeln können. Dies ist Teil des Programms. Warum reden Sie nicht darüber?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Prinz Wittgenstein?
Herr Minister, wären Sie denn bereit, uns auch mitzuteilen, wie Sie dieses Programm umsetzen wollen, und würden Sie mir zugeben, daß die Erläuterungen im Haushaltsplan mehr als dürftig sind, so daß eine Stellungnahme zu diesem Programm bisher kaum möglich ist?
Wenn eine Stellungnahme Ihrerseits angeblich kaum möglich ist, dann frage ich mich: Woher nehmen die Kritiker aus Ihren Reihen das Recht, solche Stellungnahmen schon abzugeben?
({0})
Natürlich muß das durchgesetzt werden - nicht
von der Bundesregierung, sondern von vernünftiBundesminister Matthöfer
gen Unternehmern, die mit uns gemeinsam diese Projekte machen, von den Betriebsräten, denen nun gesagt werden muß, was die Ergebnisse sind, von den Gewerkschaften, die entsprechende Tarifverträge abzuschließen haben, vom Arbeitsminister, der die entsprechenden Gesetze und Verordnungen vorlegen muß, und von den vielen am Wirtschaftsprozeß Beteiligten. Wir wollen Anstöße geben, und da höre ich nichts als Kritik und Meckerei aus Ihren Reihen, keine Ermunterung.
({1})
Wir reden eben nicht nur über abstrakte Zahlen. Wir reden mit den Menschen und versuchen, ihre Probleme zu erkennen. Wir versuchen, auch im Haushalt Lösungen für die Probleme dieser Menschen anzubieten. Wir nehmen die Verpflichtung zur Schaffung realer Bildungschancen der Jugendlichen ernst.
Wir wollen die Freiheitsräume der Menschen erweitern. Wir haben die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall z. B. nicht eingeführt, um irgend jemanden zu bevormunden, sondern um die reale Freiheit der Arbeitnehmer zu erhöhen, wenn sie krank werden.
Ich glaube, die Wähler haben deshalb auch einen Anspruch darauf, zu hören, was Herr Strauß meint, wenn er sagt, er wolle die Staatsquote am Bruttosozialprodukt auf 40 °/o zurückführen. Herr Ehrenberg hat Ihnen gestern ausgerechnet, das wären in diesem Jahr 93 Milliarden DM, Herr Dr. Häfele. Da können Sie nicht sagen, es sei die Last der Regierung, zu sagen, woher dieses Geld genommen werden soll. Wir erbitten von Ihnen keine Ratschläge. Wir haben Ihnen einen Haushalt vorgelegt, und wenn Sie ihn so verabschieden, sind wir zufrieden.
Aber Sie wollen doch 90 Milliarden DM streichen. Ich denke mir, Sie können nicht sagen, die Regierung solle Ihnen dazu Vorschläge machen, sondern der Wähler hat einen Anspruch darauf zu wissen, was Sie tun werden, wenn Sie jemals die Mehrheit bekommen sollten, was das Glück der Deutschen uns ersparen möge.
({2})
- Selbstverständlich. 1 % des Sozialprodukts von 1 500 Milliarden DM sind 15 Milliarden DM. Wenn Sie das mit der Zahl 7 multiplizieren, sind Sie auf weit über 95 Milliarden DM.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hasinger? - Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, ist Ihnen die Debatte von gestern abend über diesen Punkt nicht mehr in Erinnerung, in der festgestellt worden ist, daß die Äußerung von Herrn Ministerpräsident Strauß nicht nur den Bundeshaushalt umfaßt, sondern alle öffentlichen Haushalte? Ist Ihnen entgangen, daß er sich auch nicht für eine Zurückführung in einem Jahr ausgesprochen hat, sondern für eine ganz langsame, vorsichtige Zurückführung auf diese Quote?
({0})
Gleichwohl hat der Wähler einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie das gemacht werden soll. Herr Strauß spricht von Prozentpunkten. Wenn das Sozialprodukt wächst, wächst für ihn auch die Notwendigkeit, mehr Milliarden zu streichen. Die Bürger haben ein Recht darauf, zu wissen, woher die 93 Milliarden DM kommen sollen, die das in diesem Jahr ausmacht. Die Bürger haben einen Anspruch darauf zu wissen, was er meint, wenn er sagt: Es darf keine neuen kostspieligen Programme für den Ausbau des Wohlfahrtsstaats mehr geben, wenn er sagt: Dies ist alles sehr ehrgeizig.
Es geht nicht, dem Wähler vorzugaukeln, wie der Herr Kollege Apel das schon gesagt hat: Wir werden mehr für die Verteidigung machen, wir werden mehr für dieses und jenes tun. Überall wollen Sie mehr ausgeben, dann wollen Sie die Steuern senken, und Sie wollen gleichzeitig auch noch weniger Schulden machen. Ich diskutiere auf vielen, vielen Dutzend Veranstaltungen im Monat. Ich sage Ihnen: Sie täuschen sich über den Informationsgrad des deutschen Wählers.
({0})
Er will nicht mehr agitiert werden; er will von seinen Politikern konkrete Lösungen für seine Probleme. Diese Lösungen bieten Sie ihm nicht.
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Sie bieten ihm Redensarten, bei denen sich jeder ausrechnen kann, daß Sie das alles nicht erfüllen können, wenn Sie an der Regierung sind. Deswegen werden Sie auch nie dorthin kommen.
Wir werden diesen sozialen Staat, der die Wohlfahrt des einzelnen sichert und ihn vor wirtschaftlicher und sozialer Not bewahrt, verteidigen und vorsichtig weiter ausbauen, statt soziale Errungenschaften preiszugeben. Wir werden diesen Staat auf mehr Mitmenschlichkeit hin entwickeln. Der Wähler wird uns dabei helfen.
Natürlich halten wir Wirtschaftskonjunktur und Wirtschaftswachstum nicht für vom Staat beliebig machbar. Herr Kollege Häfele, da muß ich Ihnen zustimmen. Ich habe in meiner Rede ja auch mehrfach betont, daß ich die unternehmerische Initiative für eine wichtige Antriebskraft unserer Wirtschaft halte, vielleicht für die wichtigste, auch für die wirtschaftliche Strukturveränderung. Ich habe betont, daß wir Förderinstrumente aufgebaut haben, um unternehmerische Wagnisse, Innovationen und neue Technologien und Strukturverschiebungen zu unterstützen.
Sie haben zwei Zitate von mir gebracht, um zu fragen: Welcher Matthöfer ist nun der wahre? Der13548
jenige, der sagt, die Nase des Unternehmers können nicht durch Bürokratien ersetzt werden. Ich habe übrigens immer einen starken antibürokratischen Affekt gehabt. Oder aber derjenige, der sagt, wichtige technische Neuerungen seien auch auf staatliche Hilfe zurückzuführen. Ich bitte Sie: Das schließt sich doch gegenseitig überhaupt nicht aus.
Wenn Sie da eine baden-württembergische Quelle zitieren, dann darf ich Ihnen sagen, daß der Fleiß der Bewohner Baden-Württembergs in der Tat dieses Land zu einem blühenden Beispiel gemacht hat und daß ich in vieler Weise die Wirtschaftsstruktur in Baden-Württemberg für vorbildlich halte für die ganze Bundesrepublik.
Aber der Staat hat doch traditionell seinen Anteil auch in Baden-Württemberg. Lesen Sie doch einmal die Wirtschaftsgeschichte Ihres eigenen Landes nach. Ich erinnere mich an eine Rede des baden-württembergischen Wirtschaftsministers aus dem Jahre 1965, in der er feststellte, daß die Zentralstelle für Handel und Gewerbe in Stuttgart von 1848 und die Landesgewerbehalle in Karlsruhe von 1865 einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Gewerbestruktur in Baden-Württemberg hatten. Sie haben dort seit über 100 Jahren eine aktive Gewerbestrukturpolitik und eine Tradition, die heute noch praktiziert wird.
Lesen Sie einmal die nüchterne Rede meines Kollegen, des Finanzministers Gleichauf, vom 4. Oktober 1978. Nachdem er erst einmal die günstige Wirtschaftslage Baden-Württembergs gelobt hatte, führte er genau das Gegenteil von dem aus, was Sie vortrugen. Er sagte: Wir verdanken diese günstige Entwicklung der ausgewogenen Wirtschaftsstruktur dieses Landes,
({2})
für die wir viel getan haben. Wir, die Regierung, haben viel für die Wirtschaftsstruktur dieses Landes getan. Er hob in seiner Rede die Gewerbeförderung mit ihren zahlreichen Verflechtungen besonders hervor. Dann betonte er damals stolz, daß in Baden-Württemberg seit 1975 zusätzliche staatliche Investitionsmaßnahmen, insgesamt 440 Millionen DM, beschlossen wurden.
Ich will ihm nun nicht übelnehmen, daß er den Bund in diesem Zusammenhang nicht an hervorragender Stelle genannt hat. Aber das kann ich ja auch selbst tun. Von 1972 bis 1977 sind gut 400 Millionen DM an ERP-Krediten nach Baden-Württemberg geflossen.
({3})
Die Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau, deren Verwaltungsratsvorsitzender der Bundesminister der Finanzen ist, betrugen für Baden-Württemberg 1 Milliarde DM.
({4})
Von 1972 bis 1977 sind in Baden-Württemberg in
mehr als 2 000 Fällen Investitionszulagen oder Investitionszuschüsse gegeben worden, wodurch das
beträchtliche Investitionsvolumen auch gefördert worden ist. Im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" wurde im Zeitraum von 1972 bis 1979 ein Investitionsvolumen in Höhe von 450 Millionen DM gezahlt. Das Land Baden-Württemberg hat einen Bevölkerungsanteil von 15 0/0. Zur Förderung von Forschung und Entwicklung erhält das Land Baden-Württemberg vom Bund 34 % der gesamten institutionellen Förderungssumme und 18 % der gesamten Projektförderungssumme aus dem Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie.
Herr Häfele, nun machen Sie einmal das, was ich getan habe: Gehen Sie zu Kienzle in Ihrem eigenen Wahlkreis. Fragen Sie dort, ob die 40 Millionen DM, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, die wir an Kienzle gezahlt haben, vergeudet waren. Fragen Sie, was dieser mittlere Betrieb mit dem Geld zur Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung gemacht hat. Unterhalten Sie sich mit dem Betriebsratsvorsitzenden, meinem IG-Metall-Kollegen, und sprechen Sie auch mit dem IG-Metall-Bevollmächtigten von Schwenningen/Villingen,
({5})
der damals Alarm geschlagen hat, als die Uhrenindustrie in Gefahr war, den Übergang von der Mechanik zur Elektronik zu verschlafen. Suchen Sie sich doch einmal eine Gewerkschaftsbewegung, Herr Häfele, die technischen Fortschritt fordert und nicht bekämpft.
Die IG-Metall ist ja außerordentlich wirkungsvoll bei der Durchsetzung der Interessen ihrer Kollegen.
({6})
Ich habe 1954 für die IG-Metall eine Untersuchung über die Löhne der Fordarbeiter in Großbritannien und hier in Köln angestellt. Damals haben die Briten nicht ganz doppelt so viel verdient wie wir. Jetzt ist es umgekehrt. Das heißt, in diesen 25 Jahren hat der deutsche Automobilarbeiter - obwohl die Briten ja nicht stillgestanden sind, obwohl sie auch gekämpft und Lohnerhöhungen durchgesetzt haben - gegenüber dem englischen Automobilarbeiter seine relative Position vierfach verbessert. Das ist eine hervorragende Leistung. Dies verdanken wir dieser Gewerkschaftsbewegung und ihrer Einstellung zum technischen Fortschritt.
Das ist darauf zurückzuführen, daß sich diese Gewerkschaftsbewegung - ich nehme das nicht nur für diese Bundesregierung in Anspruch darauf verlassen kann, daß wir Vollbeschäftigung in diesem Lande sichern. Natürlich würde diese Einstellung anders sein, wenn sie Arbeitsplätze mit Zähnen und Klauen verteidigen würde. Wir haben mit unserer Kreditaufnahmepolitik Vollbeschäftigung gesichert. Und da sagen Sie „Schuldenmacher", weil Sie die Zusammenhänge nicht kennen, weil Sie nicht wissen, wie Vollbeschäftigung, technischer Fortschritt und Leistungsfähigkeit zusammenhängen.
({7})
Dann sprachen Sie von den Subventionen. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß da eine Menge geändert werden wird. Ich freue mich schon auf die Zustimmung und die Unterstützung, die ich von Ihnen erhalten werde. Wenn ich außer der SPD- und der FDP-Fraktion auch noch Ihre Fraktion hinter mir weiß, dann beruhigt mich das. Ich führe gern starke Truppen an; das muß ich schon sagen. Ich fürchte nur, daß Ihre konservativen Freunde - ich hoffe, daß Sie persönlich nicht dabei sind - jene Armee verstärken werden, die um die Erhaltung jedes einzelnen Subventionstopfes, und sei er noch so klein, erbitterte Schlachten führen werden.
({8})
- Ich komme gerade dazu.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Zur Zeit verhandle ich mit einem Unternehmen - ich will den Namen nicht nennen - über die Rückzahlung eines bedingt gegebenen Zuschusses. Der Zuschuß war erfolgreich. Das Unternehmen ist in schwarzen Zahlen. Ich habe dann gesagt: Bitte, zahlt das wieder zurück! Daraufhin sagte man mir: Das geht aber nicht; Herr Strauß hat den Leuten von Airbus auch versprochen, sie brauchten die 2 Milliarden DM Zuschuß nicht zurückzuzahlen, wenn er Bundeskanzler wird.
({9})
Ich habe den Fernsehtext nachgelesen. Er ist eindeutig. Herr Strauß sagte: Wenn ich Bundeskanzler werde, schenke ich euch die 2 Milliarden DM. Ja, so sind Sie: Steuern senken, mehr ausgeben, Zuschüsse nicht zurückfordern und die Schulden zurückzahlen.
({10})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riedl?
Herr Bundesminister, Sie haben offensichtlich ein sehr personalintensives Büro. Darf ich Sie bitten, Ihre Herren vom Finanzministerium jetzt, noch in dieser Sitzung, zu beauftragen, den Text dieser Stelle, die Sie eben zitiert haben, hier ins Parlament zu liefern?
({0})
Lieber Herr Dr. Riedl, lassen Sie sich das doch vom Bundespresseamt geben!
({0})
- Erstens weise ich das Wort „Büchsenspanner" zurück. Zweitens war das die Fernsehrede am
29. Juli dieses Jahres. Sicher wird das Bundespresseamt als eine Stelle der Bundesregierung, die nicht der Dienstaufsicht des Bundesfinanzministers untersteht, so liebenswürdig sein - dort hört man das ja jetzt mit -, Ihnen den Text sehr schnell zu liefern.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein. - In diesem Ton, verehrter Herr Prinz zu SaynWittgenstein, lasse ich mit mir nicht reden. Beruhigen Sie sich mal wieder ein bißchen. Wenn Sie ruhiger geworden sind, sprechen wir wieder miteinander.
({0})
- Das ist ja das Problem, daß Herr Strauß Gewinne verschenkt, die er noch gar nicht hat.
({1})
Der nächste Punkt, bei dem ich Ihre Unterstützung erbitte, ist das negative Kapitalkonto. Dazu werden wir jetzt einen Gesetzentwurf einbringen. Milliardenbeträge werden fehlgeleitet, weil Abschreibungsgesellschaften, die durch die amerikanische Abwehrgesetzgebung an der Tätigkeit im eigenen Land gehindert sind, sich nun die Bundesrepublik als neues Zielgebiet ausgesucht haben. Da müssen wir Löcher stopfen. Ich bin gespannt, wie das bei der Opposition ankommen wird und mit welch großem Enthusiasmus Sie mich dabei unterstützen werden. - Es nützt wenig, wenn Sie mit dem Kopf nicken, Herr Dr. Häfele. Sie wissen, daß Ihre Fraktion manchmal anderer Meinung ist als Sie; das hat sich auch in dem Abstimmungsverhalten beim Familiengeld gezeigt.
Wir werden bei unserem neuen Vorhaben keine Ausnahmen zulassen, von Berlin selbstverständlich abgesehen. Berlin ist ein Sonderfall, den man berücksichtigen muß. Dann werden wir abwarten, ob Sie dem Gesetz zustimmen.
Jetzt nehmen Sie einmal ein anderes Beispiel: den Abbau der steuerlichen Begünstigung von Dieselkraftstoff für Sportboote. Ich habe die Verordnung heute unterzeichnet. Und lesen Sie, verehrter Herr Dr. Häfele, die Anfrage Ihres Kollegen Schrö13550
der aus Lüneburg vom 22. August in dieser Sache,
({2})
und lesen Sie den Brief des Präsidenten des Motoryachtverbandes. Der hat mir einen so handfesten Brief mit der Androhung empfindlicher Übel geschrieben, daß ich den Brief massenhaft verbreiten werde: Er hat also 110 000 Mitglieder und verfügt über eine Presse mit 6,6 Millionen Lesern, und die wird er einsetzen, um zu verhindern, daß 5 Millionen DM an Vergünstigung wegfallen.
Sie werden also Stück für Stück Gelegenheit haben, Ihre Haltung unter Beweis zu stellen. Wir werden Subventionen abbauen, und dann werden Sie sehen, wie enorm schwierig das ist.
({3})
Das Problem ist doch beispielsweise, ob der Herr Biedenkopf in seiner eigenen Fraktion und in seiner eigenen Partei die Mehrheit hat, um seine Ansichten über die Förderung des Wohnungsbaus durchzusetzen. Ich höre - auch hier - immer die schönsten Reden von CDU-Abgeordneten, dann spreche ich nachher mit anderen, und die sagen dann: Um Himmels willen, was der da sagt, kommt doch überhaupt nicht in Frage. Das geschieht auch öffentlich. Ich habe in Frankfurt mit Wohnungsbaupolitikern gesprochen, ich habe, Herr Kollege Riedl, in Bayern mit Wohnungsbaupolitikern gesprochen, die haben gesagt: Der „spinnt".
({4})
- Nein, der Herr Professor Dr. Biedenkopf! Das ist nicht meine Meinung - ich halte ihn für einen vernünftigen Mann -, aber Ihre Kollegen sagen das.
In dem Moment, wo Sie mir hier einen mit großer Mehrheit beschlossenen Antrag Ihrer Fraktion zur Verwirklichung dessen, was der Herr Biedenkopf gerade dem deutschen Volk verkündet hat, vorlegen, können wir richtig ins Gespräch kommen.
({5})
Vorher, muß ich Ihnen sagen, halte ich das für Schall und Rauch.
Herr Häfele sagt nur, daß die Steuern gesenkt werden sollen, sagt aber nicht, wo die Ausgaben gekürzt oder gestrichen werden sollen. Er zitiert dann den jetzigen Bundeskanzler und damaligen Abgeordneten Schmidt, der 1965 oder 1966 erklärt hat: Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus einer Zwickmühle herauszuholen, in die sie sich selber hineinmanövriert hat.
Lieber Herr Dr. Häfele, nun habe ich ja diese Zeit noch in guter Erinnerung. Wie war denn das damals? Damals, 1965, hatten Sie doch eine ganze Reihe von Gesetzen beschlossen, dann haben Sie damit die Wahl gewonnen, und anschließend haben
Sie das alles durch das Haushaltssicherungsgesetz wieder abkassiert. So war das doch, oder?
({6})
Dann war das noch nicht genug, und Ihr Idol, Herr Professor Dr. Erhard - ich erinnere mich noch, als wäre es heute, an die Fernsehaufnahme, wo er in Ihr damaliges Parteihauptquartier kam und sagte „Dies war mein Wahlsieg", und das stimmte ja auch -,
({7})
blieb nicht lange im Amt. Ihre Fraktion hat diesen verdienten Wirtschaftsminister und Bundeskanzler ein Jahr später in die Wüste geschickt.
({8})
Aus welchem Grunde haben Sie denn 1966 einen anderen Bundeskanzler gewählt? Sagen Sie das doch einmal!
({9})
Das, verehrter Herr Dr. Häfele, war die Zwickmühle, weil Sie damals überhaupt keine Ahnung hatten, wie sich das weiterentwickelt, weil sich riesige Finanzlöcher vor Ihnen aufgetan haben,
({10})
die Sie nur dadurch bewältigen konnten, daß Sie die Sozialdemokraten in die Regierung geholt haben und daß Ihnen dann der Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt dabei geholfen hat, den Laden in Ordnung zu bringen.
({11})
Wenn Sie heute sagen, Franz Josef Strauß habe 1969 volle Kassen hinterlassen, so muß man Sie daran erinnern, daß Sozialdemokraten 1966 in die Regierung gegangen sind, als Sie nicht mehr weiterwußten
({12})
und mit Ihrem finanz- und wirtschaftspolitischen Latein am Ende waren.
({13})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schäfer? - Bitte.
Herr Bundesminister, wollen Sie die Herren Kollegen daran erinnern, daß der Bundesrat damals mit den Stimmen der CDU/CSU-Ministerpräsidenten der Bundesregierung den Haushaltsplan zurückgegeben hat, weil er nicht den Verfassungsbestimmungen entsprach?
({0})
Also, Herr Dr. Häfele, ich kann ja von Ihnen nicht verlangen, daß Sie auf Ihre alten Tage noch dialektisch denken lernen,
({0})
aber Sie müssen doch solche Äußerungen jeweils in den Zusammenhang stellen. Wir sind in keiner Zwickmühle. Wir werden Sie nicht auffordern, uns zu helfen und in die Regierung zu kommen. Dazu besteht überhaupt keine Veranlassung. Dieses Land ist in einer guten Situation. Der Haushalt ist solide finanziert. Das deutsche Volk fühlt sich sicher.
({1})
Die Wahlen im nächsten Jahr werden wir gewinnen. Warum sollten wir uns in einer Zwickmühle fühlen? Sagen Sie uns das mal!
({2})
Aber ich sage Ihnen noch einmal: nicht wir sind es, die von Ihnen Vorschläge wollen. Der Wähler hat einen Anspruch darauf, von der größten Fraktion in diesem Hause zu erfahren, was sie denn machen will, wenn 10 Milliarden DM fehlen. Wo wollen Sie die hernehmen? Das brauchen Sie uns nicht zu sagen. Wir haben einen vernünftigen Plan, wo alles zueinanderpaßt. Wir haben den Haushalt vorgelegt. Sie kennen unsere Steuerpläne. Das ist alles koordiniert, vernünftig finanzierbar. Aber wenn Sie jetzt darüber hinaus um 10 Milliarden DM die Steuern senken wollen, dann erklären Sie bitte dem Volk, dem Sie das versprechen, wo Sie die hernehmen wollen.
({3})
Dann sagen Sie: wir müssen die Steuern senken, denn im nächsten Jahr gibt es unheimliche Zuwachsraten beim Lohnsteueraufkommen, das wächst um fast 12 %. Verehrter Herr Dr. Häfele, sehen Sie sich doch mal die Geschichte an! Als Sie regierten, ist das Lohnsteueraufkommen geradezu explosiv gestiegen. Ich will mal einige Beispiele nennen: 1952 waren es plus 31 %, 1956 plus 23 %, 1960 plus 36 %, 1961 plus 29 %,
({4})
1969 - das muß ich Ihnen sagen, ich habe 1969 aus einem ganz besonderen Grunde gewählt, das gebe ich gerne zu - waren es plus 23 %. Natürlich hat dies immer mit der Konjunkturentwicklung eine Verbindung gehabt, wie auch bei uns im nächsten Jahr; die Konjunktur nimmt sehr stark zu.
({5})
Wenn Sie die Geschichte der Bundesrepublik in Fünf-Jahresabschnitte unterteilen, stellen Sie fest, daß das Lohnsteueraufkommen in den letzten fünf Jahren - von den ganzen 30 Jahren - am allerwenigsten gestiegen ist. Ich sage Ihnen eines: solange ich Bundesfinanzminister bin und meine Fraktion und die Fraktion der FDP mir ihr Vertrauen schenken, werde ich es nicht zulassen, daß wir Zuwachsraten beim Lohnsteueraufkommen haben wie zu Ihren Zeiten. Wir werden eine vernünftige und keine ungerechte Steuerstruktur sich entwickeln lassen.
({6})
Sie haben sich über die Postablieferung beschwert. Das finde ich wirklich ganz merkwürdig. Lieber Herr Dr. Häfele, Sie müssen sich doch wohl erinnern, daß die CDU-regierten Länder sich bei den Haushaltsberatungen 1979 für beträchtliche zusätzliche Ablieferungen der Post an den Bundeshaushalt ausgesprochen haben. Es gibt ein gemeinsames Positionspapier der Länder vom 22. März, das für 1980 und 1981 je 2,9 Milliarden DM als vertretbar und sachgerecht bezeichnet. 1982 sollen es etwa drei Milliarden DM sein. Dazu muß ich Ihnen sagen: diskutieren Sie doch erst einmal untereinander, bevor Sie die maßvolle Ablieferung von 1,5 Milliarden DM in diesem Jahr kritisieren - ohne mir natürlich zu sagen, wo ich das Geld hernehmen soll, wenn ich das nicht täte; das ist ja nicht Ihre Aufgabe, das ist die Last der Regierung, Herr Dr. Häfele. Sie können ja nur herumgehen und Vorteile verstreuen.
({7})
- Sagen Sie das den Ländern, die dieses von mir verlangen, nicht nur in diesem, sondern auch im nächsten und im übernächsten Jahr, was ich nicht tun werde, weil ich der Meinung bin, die Gebühren sollen gesenkt werden. Bringen Sie sich untereinander erst einmal in eine vernünftige Position, und versprechen Sie nicht jedem alles, damit die Leute wissen, woran sie sind, wenn sie mit einem CDU-Abgeordneten sprechen.
({8})
Dann sprechen Sie auch über den Personalzuwachs beim Bund. Erstens: 1977 und 1978 ist er praktisch gleichgeblieben. Wenn Sie Bundesbahn und Bundespost hinzurechnen, ergibt sich sogar eine Verminderung um 7 000 Personen. Der Personalbestand der Länder ist im gleichen Zeitraum um über 35 000, d. h. um 2 1/2 %, und der Personalbestand der Gemeinden um 23 000 gewachsen. Wenn Sie einen längeren Zeitraum nehmen, z. B. die letzten zehn Jahre, ergibt sich für den Bund ein Gesamtzuwachs von weniger als 5 %. Die Zunahme des Personalbestandes betrug bei den Ländern in den gleichen zehn Jahren 32 % und bei den Gemeinden 25 %.
Nun wird manchmal eingewandt, das sei auf Bundesgesetzgebung zurückzuführen. Das Argument löst sich auf, wenn man sich den Zuwachs genauer ansieht. Der Personalzuwachs bei den Ländern von 35 400 entfällt schwerpunktmäßig auf die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung, kulturelle Angelegenheiten; 62 % des gesamten Personalzuwachses entfallen allein auf diesen Bereich. Auf den Bereich öffentliche Sicherheit und Ordnung und Rechtsschutz entfallen weitere 22 %. Betrachtet man den Personalzuwachs bei den Ländern seit 1969, so zeigt sich, daß über diesen langen Zeitraum fast 90 % des gesamten Personaizu13552
wachses diesen beiden Bereichen, Bildung, Kultur und innere Sicherheit, zuzurechnen ist. Für die Gemeinden liegen die Zahlen ähnlich.
Ich will nicht kritisieren, daß dies so ist. Ich bin mit stolz darauf, daß wir die Schüler-Lehrer-Relation auf ein vernünftiges Maß reduziert haben, daß wir den Numerus clausus ganz beträchlich gemildert haben, daß wir mehr Personal für die innere Sicherheit eingestellt haben, daß im Bereich Gesundheit, Sport und Erholung endlich das Personaldefizit abgebaut worden ist.
Wenn Sie hier schon Personalzuwächse im öffentlichen Dienst kritisieren, dann bitte dort, wo der Personalzuwachs stattgefunden hat. Dann müssen Sie aber auch sehen, wofür er stattgefunden hat, und nicht einfach nur Zahlen nennen, die die Leute irreführen sollen.
Noch ein Wort zum Inlandsbegriff beim Umsatzsteuergesetz 1980. Hierbei handelt es sich nicht etwa um eine Novellierung, wie sie 1973 von dem damaligen Finanzminister unterschrieben worden ist, sondern um ein ganz neues Gesetz, das für viele Jahre Bestand haben soll und Bestand haben wird. Es würde niemand verstehen, insbesondere nicht im Ausland, nicht im östlichen und nicht im westlichen Ausland, wenn wir als Bundesregierung im Entwurf der Rechtslage im geteilten Deutschland nicht Rechnung getragen hätten und eine überholte Formulierung des Inhalts verwendet hätten, wir seien der Meinung, man solle in den Grenzen des Reiches von 1937 Umsatzsteuer erheben. Das könnte und müßte als eine Demonstration des Gesetzgebers verstanden werden, die von uns geschlossenen Verträge nicht zu achten,
({9})
sondern über sie hinwegzugehen. Es hat überhaupt keinen Zweck, nun in alten Akten des Finanzministeriums herumzukramen und zu sagen, der hat das unterschrieben und dieser jenes. Wir machen hier ein ganz neues Gesetz, zum erstenmal nach Abschluß der Verträge. Da haben wir uns dem anzupassen, wozu wir uns verpflichtet haben.
({10})
Ich bitte Sie dringend, an der Verabschiedung dieses Gesetzes mitzuwirken, weil die Europäische Gemeinschaft dies mit Recht von uns verlangt.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen nochmals für die ganze Bundesregierung meinen Dank für die engagierte Diskussion dieses Entwurfs aussprechen. Ich hoffe, wir werden jetzt mit der Beratung gemeinsam zügig vorankommen. Ich kann Ihnen noch einmal versichern, daß wir bei den anstehenden Detailberatungen jede gewünschte Hilfe leisten werden.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Riedl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr
Bundesfinanzminister hat offensichtlich heute einen Tag, an dem er gern Geschichtsunterricht erteilt.
({0})
Herr Minister, Sie haben uns beispielsweise empfohlen, daß wir irgendeine Haushaltsrede des sicherlich sehr verehrten Finanzministers Gleichauf einmal nachlesen sollten. Ihnen empfehle ich - und ich setze dies auch in Beziehung zu ihrem völlig abwegigen historischen Vergleich aus dem 2. Weltkrieg -, einmal die großartigen Reden des Bundesfinanzministers Dr. Fritz Schäffer nachzulesen. Dann würden Sie nämlich erkennen und wissen, was ein Finanzminister in einem Land wie dem unsern zu leisten vermag, der aus den Trümmern, die Sie in ganz anderer Weise zitiert haben, die Grundlagen für das heutige moderne Deutschland geschaffen hat.
({1})
Noch ein Zweites. Es kann gar nicht sein, daß Sie solche Gedächtnislücken haben, wie Sie sie hier dargestellt haben. Sie werfen uns Haushaltslöcher früherer CDU/CSU-Regierungen vor. Wenn ich die Haushaltslöcher der CDU/CSU mit den Haushaltslöchern, die Sie fabrizieren, vergleiche, dann wäre das ein Loch, das von Ihrem Dienstzimmer im Finanzministerium quer durch den Erdball reicht und in Neuseeland wieder herauskommt, Herr Bundesfinanzminister.
({2})
Der heutige Bundeskanzler Helmut Schmidt - das ist Ihr großer Vorgesetzter - ({3})
- Bei Ihnen weiß man das nicht, Herr Schäfer.
({4})
- Wer bei Ihnen Vorgesetzter ist, ich glaube, das ist Herr Wehner, rechts von Ihnen.
({5})
Sie sitzen im übrigen falsch. Sie müßten links von Herrn Wehner sitzen.
Der heutige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat, als die Regierung Erhard eine Haushaltsdeckungslücke von 3 Milliarden DM aufzuweisen hatte,
({6})
davon gesprochen, es packe ihn das blanke Entsetzen. Ich weiß gar nicht, was den jetzt noch packt, wenn der den Haushalt liest.
({7})
Entweder ist der Bundeskanzler im Kabinett nie bei
Haushaltsberatungen dabei - vielleicht war er
wieder mal auf großer Seefahrt -, oder die Mütze
Dr. Riedl ({8})
war so tief über die Augen heruntergefallen, daß er gar nichts mehr gesehen hat.
({9})
Herr Abgeordneter gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Herr Kollege Riedl, darf ich mir den Hinweis erlauben, daß den damaligen Abgeordneten Schmidt ({0}) nicht nur das blanke Entsetzen packte, sondern daß er auch den Vorschlag machte, diejenigen, die das zu vertreten hätten, in Ketten zu legen und einzusperren. Ist Ihnen das noch geläufig?
Jetzt, wo Sie es sagen, kommt's mir wieder.
({0})
Aber für so brutal habe ich diesen feinen Herrn aus Hamburg gar nicht gehalten.
Es war heute auch ein etwas eigenartiges Gefühl, als der Herr Verteidigungsminister nach der Rede meines Kollegen Wörner einen Appell zur Gemeinsamkeit von diesem Pult aus losgelassen hat. Noch gestern nachmittag hat der Bundeskanzler in einer - das sage ich sehr ernst - außerordentlich rüden, arroganten und überheblichen Weise das Angebot unseres Fraktionsvorsitzenden
({1})
- Wenn ich meinen sympathischen Mund verziehe, wird er nie so sympathisch verzogen wie Ihrer, Herr Wehner. Das kann ich gar nicht.
({2})
Herr Wehner, Sie sind doch ein alter Freund von München 1860; das weiß ich.
({3})
Aber morgen nachmittag drücken Sie uns die Daumen; dann leisten Sie auch einen Beitrag für den Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Wir spielen nämlich morgen in Düsseldorf, in der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen.
({4})
Ich darf auf das Angebot unseres Oppositionsführers zurückkommen und auf die rüde Zurückweisung des Bundeskanzlers, der es als unglaubwürdig, unredlich und doppelzüngig bezeichnet und abgelehnt hat. Dann hat er geantwortet, so als ob wir mit ihm paktieren wollten.
({5})
Heute ist schon einmal das Wort vom Energiepakt gefallen. Einen Finanzpakt mit diesen Herren gibt es mit Sicherheit nicht.
({6})
Die Antwort, was wir dafür haben wollen, gebe ich dem Herrn Bundeskanzler jetzt. Wir wollen wieder stabile Finanzen und einen stabilen Haushalt.
({7})
Wir wollen wieder weg von dieser verheerenden Staatsverschuldung. Wir wollen weg von der ständigen Sorge, daß die soziale Zukunft unseres Landes immer mehr gefährdet wird. Das wollen wir von ihm für unser Angebot, mit ihm in diesen wichtigen Fragen zusammenzuarbeiten.
({8})
Wir haben die erste Rede des Herrn Bundesfinanzministers am Mittwochnachmittag gehört, und wir haben seinen jetzigen, zwar stark verzierten, aber doch weitgehend historischen Vortrag über gewisse Probleme in unserem Land gehört. Aber eines, Herr Bundesfinanzminister - und das haben frühere Finanzminister immer getan -, haben wir bis heute nicht gehört: eine klare und eindeutige Äußerung zu einigen Prinzipien, die für alle öffentlichen Haushalte gelten. Der Bürger erwartet von öffentlichen Haushalten - gleich, ob sie beim Bund, beim Land oder bei den Kommunen aufgestellt werden -, daß diese Haushalte - Grundsatz Nummer eins - solide finanziert sind, daß sie - Grundsatz Nummer zwei - sparsam aufgestellt sind, daß sie - Grundsatz Nummer drei - die soziale Zukunft unseres Landes sichern und daß sie
- Grundsatz Nummer vier - ehrlich sind.
({9})
Schauen wir uns, meine Damen und Herren, jetzt einmal miteinander an, wie es um diese Prinzipien bestellt ist.
({10})
- Er kennt ja die Prinzipien. Ich habe die Haushaltsrede genau durchgelesen, und da stehen die Prinzipien im Prinzip alle drin.
({11})
Nur, durchgängig hält er sich im Prinzip an gar nichts.
({12}) - Ja, beides ist ein Witz, Herr Kollege Glos.
({13})
In der Haushaltsrede des Bundesfinanzministers steht wörtlich: „Der Bundeshaushalt beruht auf der Grundlage einer soliden Finanzierung." - Er weiß also, daß er solide finanzieren muß. - Diese Behauptung ist aber rundweg falsch. Richtig ist - es könnte jetzt eine Vielzahl von Beispielen gebracht werden, aber ich beschränke mich darauf, das deutlichste anzuführen -, daß die Neuverschuldung des Bundes im Jahre 1980 fast genauso hoch ist wie die im Jahre 1979, nämlich 28,2 Milliarden DM. Diese Verschuldungshöhe hat die Deutsche Bundesbank - nicht nur die CDU/CSU, Herr Minister - schon seit langem als äußerst bedenklich bezeichnet.
({14})
Herr Kollege Wehner, Sie legen, völlig zu Recht Sie haben dies auch in dieser Debatte durch eine
Dr. Riedl ({15})
Reihe von Zwischenrufen zum Ausdruck gebracht -, großen Wert darauf, daß sich dieses Parlament und diese Regierung an Beschlüsse des Deutschen Bundestages erinnern und diese auch vollziehen. Ich erinnere jetzt einmal - ich möchte Sie herzlich bitten, diese Empfehlung an Ihre Herren im Kabinett weiterzugeben - an den einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 13. April 1978, als hier im Deutschen Bundestag die dauerhafte Konsolidierung unserer Staatsfinanzen gefordert wurde. Meine Damen und Herren, davon kann in diesem Haushalt überhaupt nicht die Rede sein. Deshalb verstößt dieser Haushalt gegen den Grundsatz einer soliden Finanzierung.
({16})
Auch die von Ihnen so gern herausgestellte abfallende Tendenz der Nettoneuverschuldung ist im Prinzip reine Augenwischerei. Wenn Sie von einer soliden Haushaltsfinanzierung sprechen, dann dürfen Sie eben nicht nur von der Nettoneuverschuldung sprechen, sondern dann müssen Sie auch sagen, was an Schuldendienst, .nämlich an Zins und Tilgung, in den nächsten Jahren auf den Bundeshaushalt tatsächlich zukommt. Der Schuldendienst des Bundes - ich unterstreiche dies noch einmal, meine Damen und Herren - steigt von 1980 bis 1983 überproportional an. Man muß sich diese Zahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen. 1980: 38,2 Milliarden DM, 1981: 48,1 Milliarden DM und 1983: 57,5 Milliarden DM Schuldendienst des Bundes.
({17})
Die Gesamtausgabensumme des Bundeshaushalts für 1983 ist mit 249 Milliarden DM geplant. Der Schuldendienst macht, wie gesagt, rund 57 Milliarden DM aus. Das sind also 23,1 % für Zinsen und Tilgung. Und das nennen Sie eine solide Haushaltsfinanzierung! Also, da komme ich mit meinen bescheidenen Fähigkeiten eines kleinen Oppositionspolitikers beim besten Willen nicht mehr mit.
({18})
- Lieber Herr Wehner, woran es bei uns beiden liegt, das weiß ich schon. - Das ist das Ende, meine Damen und Herren, einer gestalteten Haushaltspolitik. In die praktische Politik umgesetzt, bedeutet dies, daß künftige Bundesfinanzminister, künftige Regierungen und künftige Parlamentarier hier in diesem Hause keinen Spielraum mehr haben, um die Ausgaben leisten zu können, die für die Zukunft unseres Staates und unseres Volkes unabdingbar sind.
({19})
Ich möchte in diesem Zusammenhang, um den Grundsatz Nummer eins, den Grundsatz der soliden Haushaltsfinanzierung, abzuschließen, noch einmal auf Ihren unzulässigen Versuch zurückkommen, die Nettoneuverschuldung des Bundes dadurch zu reduzieren, daß Sie den Postbenutzern auf dem Wege überhöhter Postgebühren das Geld aus der Tasche ziehen, um damit im Bundeshaushalt - wenn auch unzureichende - Ausgleichsmaßnahmen vorzunehmen. Seit Jahren, meine Damen und Herren, sind die Telefongebühren viel zu hoch.
({20})
Das heutige Telefonnetz - das sage ich mit besonderem Stolz, weil ich einem dieser Minister auch persönlich gedient und lange Jahre mit ihm zusammengearbeitet habe - ist zu einer Zeit voll automatisiert worden, als Sie, die SPD, noch gar nicht an der Regierung waren. Jetzt können Sie - das ist typisch sozialistische Lebensweisheit - aus dem Vollen schöpfen, auf Grund der Vorarbeiten, die wir für Sie geleistet haben. Auf diesem Sektor wird jetzt fleißig gesündigt. Das Telefonnetz ist für Sie heute in erster Linie nicht mehr ein Dienstleistungsbetrieb, der seine Leistungen kostendeckend verkaufen sollte, sondern für Sie ist das Telefon eine willkommene Gelegenheit, durch völlig überhöhte und ungerechtfertigte Gebühren zur Verringerung der Staatsverschuldung beizutragen.
({21})
Herr Finanzminister, warum sollen die Telefongebühren erst ab 1. April 1980 und nicht schon zum 1. Januar 1980 oder noch früher gesenkt werden? Ich kenne den Grund; Sie glauben nämlich, daß die Leute sonst ihre gönnerhaften und generösen Gebührenerleichterungen bis zum Wahltermin vielleicht vergessen hätten. Auch diese Entscheidung ist eine Entscheidung gegen die Postbenutzer, und sie ist mit dem Blick auf den Wahltermin im Herbst 1980 getroffen worden.
({22})
Der zweite Haushaltsgrundsatz - ich habe es gesagt - ist der Grundsatz der Sparsamkeit. Jeder Finanzminister ist auf Gedeih und Verderb verpflichtet, mit den vorhandenen Steuergeldern sparsam umzugehen. Interessanterweise enthält die Haushaltseinbringungsrede des Herrn Finanzministers das Wort „Sparsamkeit" überhaupt nicht. Es kommt in der ganzen Rede überhaupt nicht vor. Da ist er absolut ehrlich; denn wenn es kein sparsamer Haushalt ist, kann er das Wort auch nicht verwenden.
({23})
- Das Wort kennt er schon, er kann es nur nicht verwenden, weil es kein sparsamer Haushalt ist. Es ist ein unglaublicher Vorgang, daß der Grundsatz der Sparsamkeit von dieser Regierung und von diesem Finanzminister offensichtlich ad acta gelegt worden ist.
({24})
Ein exemplarisches Beispiel für die Verschleuderung von Steuergeldern ist, daß auch in diesem Haushalt der Verwaltungsapparat des Bundes wieder in unglaublicher Weise aufgebläht wird. Es gibt fast 3 000 neue Stellen. Das ist fast sechsmal soviel, als wenn alle Sitze in diesem Plenarsaal voll besetzt wären. Meine Kollegen, Herr Grobekker, so können Sie sich das einmal plastisch vorstellen. Fast 3 000 neue Stellen sollen 1980 für die
Dr. Riedl ({25})
Bundesverwaltung bewilligt werden, und da sind die Soldaten noch nicht dabei.
({26})
Außerdem sollen rund 5 000 Stellen finanziell angehoben werden. Ich weiß, daß Ihnen das Sorgen macht. Wir treffen uns im Haushaltsausschuß wieder. Die Aufblähung dieses Beamtenapparates dient dabei häufig lediglich dazu
({27})
- der da hinten ist zu ertragen, Herr Wehner, da sind Sie weitaus schwieriger zu ertragen -, altgedienten Funktionären und Parteimitgliedern rechtzeitig vor der Bundestagswahl noch ein höheres Salär zu vermitteln und sie für jahrelange Treue zur Partei zu belohnen. Dabei gehen Sie mit den parteipolitisch gebundenen Beamten gar nicht so zimperlich um.
({28})
Ich nenne gleich die Summe; denn wenn ich wie Marlene Dietrich fragen würde: „Wo sind sie geblieben?", müßte ich meine Redezeit verlängern lassen. Ich fasse die Zahlen mal zusammen. Seit 1969 bis heute hat die sozialliberale Koalition 20 Bundesminister, 20 Parlamentarische Staatssekretäre und 35 beamtete Staatssekretäre verschlissen.
({29})
Seit 1969 haben Sie über 150 Beamte in den einstweiligen Ruhestand geschickt; und das waren in zunehmendem Umfang Leute, die Sie zuvor im Wege der Parteibuch- und Günstlingswirtschaft in hohe Beamtenstellen gehievt haben.
({30})
- Wir schreiben uns alles auf, Herr Wehner.
({31})
- Und vor dem Kopf, so wie Sie. ({32})
- Herr Wehner, hören Sie sich das in Ruhe an; denn Sie werden an dem Ihre Freude haben, was noch kommen wird.
({33})
Wie kann man sich vor dem Wochenende so erregen, wie Sie das tun? Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun.
({34})
- Ich kenne Sie ganz gut.
Allein bei den Beamten, die bisher die Altersgrenze erreicht haben, mußten während der Dauer des einstweiligen Ruhestandes bzw. für den Zeitraum bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenzen 25,3 Millionen DM Steuergelder völlig unnötig ausgegeben werden.
({35})
Meine Damen und Herren, das sind doch die vom Staat mit Steuergeldern bezahlten Spaziergänger, die wir nicht haben wollen. Wir erwarten von der Regierung, daß sie sich darüber Gedanken macht, wie wir diese ja angeblich so hochqualifizierten Leute, die deshalb in diese hohen Beamtenstellen kamen, weil sie das Parteibuch in der Tasche hatten und deshalb so besonders qualifiziert sind, anderweitig wieder Verwendung finden.
({36})
Mit dieser Geldverschwendung, Herr Finanzminister, wollen wir in diesem Haushalt Schluß machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stöckl?
Sehr gern, wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Riedl, erinnern Sie sich an die letzte Haushaltsdebatte, als Sie, darauf angesprochen, wie im Hinblick auf Parteibuchbeamte die Verhältnisse in Bayern seien, von diesem Platz aus gesagt haben: „Das können wir uns auch leisten, da haben wir über 62?%"? Das ist nachzulesen im Protokoll.
Das Wahlergebnis ist inzwischen bei den Europawahlen noch einmal verbessert worden. Ich weiß, daß Sie sich darüber ärgern, Herr Stöckl. Dafür habe ich volles Verständnis.
({0})
- Ich kann doch dem Kollegen Stöckl, der aus Bayern kommt und die Wahlergebnisse in Bayern natürlich bis aufs Komma genau kennt, keine andere Antwort geben. Ich weiß gar nicht, worüber Sie sich aufregen.
({1})
Dritter Haushaltsgrundsatz: Der Herr Finanzminister behauptet in seiner Haushaltsrede, die Ausgabenpolitik des Bundes sei sozial. Der Haushaltsentwurf 1980, so sagt er, honoriere das berechtigte Vertrauen der Bevölkerung in den ungeschmälerten Bestand unserer sozialen Sicherung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch diese Behauptung ist nicht nur unwahr, sondern wird auch durch die tatsächlichen Zahlen und Verhältnisse im Bundeshaushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung eindeutig widerlegt. Tatsache ist nämlich, daß sich die Ausgaben des Bundes - ich nenne aus zeitlichen Gründen wieder nur ein Beispiel
- für Zinsen immer stärker den unmittelbar aus dem Bundeshaushalt gezahlten Ausgaben, meine
Dr. Riedl ({2})
Herren Sozialpolitiker von der SPD, für Renten und Unterstützungen nähern. Für eine Bundesregierung, die ausgezogen ist, soziale Ungerechtigkeit durch vermehrte Umverteilung zugunsten der sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen zu beseitigen, ist es doch eine Bankrotterklärung sondergleichen, wenn die Umverteilung von Steuergeldern zugunsten der Zinsempfänger eine höhere Priorität als die Rentenausgaben bekommen hat.
({3})
So betrugen 1969 die Zinsausgaben des Bundes 2,5 Milliarden DM und die Ausgaben für die Rentenkassen 8,1 Milliarden DM. Das sind Ausgaben im Verhältnis 25 : 81. 1983 - ich springe jetzt einmal - wird dieses Verhältnis fast paritätisch sein, nämlich 43 : 47, und zwar mit steigender Tendenz zuungunsten der Rentenzahlungen. Und dann sprechen Sie davon, dieser Haushalt sei sozial!
Ein weiterer Beweis für die unsolide und gegen den sozialen Wohlstand unserer Bevölkerung gerichtete Ausgabenpolitik ist der Umstand, daß im Haushaltsjahr 1983 der Schuldendienst erstmals die Summe der aufgenommenen Schulden übersteigt. Die Leistungen für Zinszahlungen übersteigen erstmals den Betrag der Nettokreditaufnahme. Damit hat der Kredit seine Aufgabe, zusätzliche Staatsausgaben zu Lasten künftiger Generationen zu finanzieren, endgültig verloren. Auch das ist in weitestem Sinne unsozial.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vierte Haushaltsgrundsatz ist der der Haushaltsehrlichkeit. Der Bundesfinanzminister behauptet in seiner Haushaltsrede zwar durchgängig, dieser Haushalt sei ein ehrlicher Haushalt und die Finanzplanung sei eine ehrliche Zukunftsprognose. Aber auch diese Behauptung ist falsch. Dabei möchte ich das Beispiel wiederholen, welches der Präsident des Bundes der Steuerzahler kürzlich verwendet hat. Herr Minister Matthöfer, ich mache Ihnen ein anderes Angebot: Gehen wir einmal mit dem Kollegen Häfele zur' Firma Kienzle! Ich gehe da gerne mit. Wir reden dann aber auch mit den einzelnen Arbeitern - wir lassen sie bitten, ihre Gehaltszettel mitzubringen - über die Gehaltszettel und die heimlichen Steuerlasten, die Sie durch Ihre falsche Finanzpolitik diesen Arbeitern auferlegt haben.
({4})
Präsident Haubrichs hat dargelegt, ein Chemiearbeiter habe beispielsweise in diesem Jahr eine Lohnerhöhung von 5 % bekommen, erhält also jetzt beispielsweise 2 100 DM im Monat statt bisher 2 000 DM. Daraufhin kassierte das Finanzamt statt 288,30 DM jetzt 316,50 DM. Dieser 5 %igen Lohnerhöhung steht eine Steuererhöhung von 9,8 % gegenüber, also eine fast doppelt so hohe Besteuerung. Dieses einfache Beispiel - man kann es gar nicht oft genug wiederholen - macht deutlich, wie ungerecht das derzeitige Steuersystem ist. Vor allen Dingen wird dies auch vom Bürger draußen so empfunden. Wie höchst unsozial dieses gegenwärtige Steuersystem ist, geht auch aus der Tatsache hervor, daß die Quote der Belastung des
Durchschnittsverdieners - ich möchte das auch in diesem Zusammenhang noch mal sagen - mit direkten und indirekten Abgaben bis 1983 auf 43 % steigen wird. Gegenüber jetzt schon 39 % wird sie 1980 bei über 40 % liegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren
({5})
darf ich in diesem Zusammenhang noch etwas zu Vorwürfen sagen, die Sie im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit unserer Vorschläge gern in diesem Haus, aber auch draußen erheben. Die Regierung, vor allen Dingen dieser Finanzminister, kritisieren die finanzpolitischen Vorstellungen von CDU und CSU, weil angeblich - ({6})
- Herr Kollege Löffler, darf ich Sie bitten! Sie können doch nicht sagen, es gibt keine Vorschläge, wenn Sie dauernd sagen, die Vorschläge, die wir machen, seien nicht zu verwirklichen. Also so ist es nicht.
({7})
- Na ja, Herr Wehner, ich weiß: Das müssen Sie ja sagen.
({8})
Angeblich sind der Abbau der angeblichen Steuererhöhungen und die gleichzeitige Reduzierung der Bundesschulden unvereinbar. Das sagen Sie doch immer. Diese Kritik - Herr Löffler, das sollten Sie mal gut überlegen ({9})
geht ins Leere, da es auf mittlere Sicht keinen Gegensatz zwischen Schuldenkonsolidierung und Verhinderung heimlicher Steuererhöhungen - was ja noch keine Steuersenkung ist; auch das verwechselt der. Herr Minister immer gern - gibt. Die Verminderung öffentlicher Defizite senkt die zukünftigen Zins- und Tilgungslasten und schafft damit Spielraum für die auf uns zukommenden neuen wichtigen Aufgaben, die auch wir in ganz konkreten Prioritäten finanzieren wollen.
({10})
Dies ist, Herr Kollege Löffler, nicht nur die Erkenntnis der CDU/CSU. Jüngst hat das auch eine renommierte Bank, nämlich die Frankfurter Bank für Handel und Finanzen, erklärt. Vielleicht lassen Sie sich das von ihr mal schicken. Für die Finanzwissenschaft ist dies ohnehin schon eine Binsenweisheit.
({11})
Ich fasse jetzt zusammen.
({12})
Wenn man die beiden Reden des Herrn Bundesfinanzministers am Mittwochnachmittag und heute
mittag gehört hat, muß man sagen: Sie haben sich
Dr. Riedl ({13})
in der Qualität so gut wie nicht voneinander unterschieden.
({14})
Das Schlimmste an den beiden Reden war, daß der oberste Sachwalter unserer Steuergelder die wahren Verhältnisse der Bundesfinanzen verniedlicht, die Risiken verharmlost und damit die Bevölkerung - die Bundesbürger, die Steuerzahler, insbesondere aber unsere junge Generation
({15})
täuscht und irreführt. Und dazu leisten ihm die ganze Bundesregierung und vor allen Dingen die SPD-Fraktion entscheidende Hilfe.
({16})
Zu den Kollegen von der FDP: Herr Wehner, ich empfehle Ihnen, die Rede des Herrn Hoppe nachzulesen. Was Herr Hoppe gestern gesagt hat, ist einer der wenigen Lichtblicke aus dem Mund eines Politikers der Koalition. Nur ist er durch diese subjektive Schwäche - Impotenz könnte man das in Ihrem Wortschatz auch nennen - leider nicht in der Lage, das, was er sagt, in dieser Regierung durchzusetzen.
({17})
Bei diesen Haushaltsgrundsätzen gibt es in allen vier Punkten leider Gottes eine negative Bewertung. Herr Matthöfer, bei Ihren Reden, aber auch bei der Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers fiel mir ein Beispiel ein.
({18})
- Eines genügt. Passen Sie gut auf!
({19})
Es fiel mir ein Beispiel ein, das ich aus meiner Jugend noch in Erinnerung habe, nämlich die Rolle,
die während des Krieges ein Propagandist des
Rundfunksenders Nürnberg spielen mußte. Dieser Mann hatte die Aufgabe, die Bevölkerung durch irreführende Meldungen über den Standort einfliegender Bomberverbände des Gegners zu beruhigen. Während in den Vororten von Nürnberg bereits die Bomben fielen, wollte und mußte er der Bevölkerung einreden, die Verbände befänden sich erst über dem Kanal, und im übrigen würden sie nicht nach Nürnberg, sondern in Richtung Hamburg und Berlin fliegen. Die Leute nannten diesen Propagandisten damals „Onkel Baldrian". An diesen „Onkel Baldrian" mußte ich denken, als ich die Rede des Herrn Bundesfinanzministers hörte,
({20})
der hier in klassischer Weise die Leute für dumm verkaufen wollte. Ich hoffe, lieber Herr Minister Baldrian, Sie nehmen sich dies zu Herzen.
({21})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
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Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Haushaltsgesetzes 1980 - Drucksache 8/3100 -, des Finanzplans des Bundes 1979 bis 1983 - Drucksache 8/3101 - und des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 1979 - Drucksache 8/3099 - an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. September 1979, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.