Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister hat gestern den Entwurf eines Bundeshaushalts für das Jahr 1980 vorgelegt. Das Jahr 1980 ist ein Wahljahr. Nach allen Erfahrungen in parlamentarischen Demokratien und zumal mit dieser Bundesregierung war nicht zu erwarten, daß ausgerechnet für das Wahrjahr die Bundesregierung eine Finanzpolitik des Gestaltens eröffnet und die Zukunft auch mit mutigen Schritten anpackt.
Aber eines wäre wenigstens zu erwarten gewesen: daß die Haushaltsrede und der Haushaltsplan für 1980 annähernd der Wirklichkeit gerecht werden. Genau dies hat dieser Haushaltsplan nicht erfüllt.
({0})
Der Bundesfinanzminister stand vor zwei echten Möglichkeiten. Er hätte sagen können: Die Entwicklung der Schulden ist inzwischen so beängstigend, daß wir uns mit diesem Problem für viele Jahre mit Vorrang befassen müssen. Es bleibt gar nichts anderes mehr übrig, als den Schuldenabbau mit Vorrang zu betreiben, koste es gleichsam, was es wolle, selbst unter Inkaufnahme von Steuererhöhungen. - Dies hat er nicht gesagt.
Die zweite Möglichkeit, Herr Bundesfinanzminister, die Sie gehabt hätten, wäre folgende gewesen: Sie hätten sagen können: Auch die Abgabenbelastung in Deutschland entwickelt sich so nach oben - vor allem im nächsten Jahr wieder -, daß das nicht so bleiben kann, daß dies vorrangig ist und daß deshalb eine noch stärkere Beschneidung der Ausgabenzuwächse vorgenommen werden muß, damit die Abgabenlast nicht weiter anwächst. Dies haben Sie auch nicht getan.
Beide Wege haben Sie nicht beschritten. Die Bundesregierung versucht vielmehr ein „Zweitakt"- Verfahren. Sie sagt: 1980 werden wir „konsolidieren", und 1981 werden wir die Steuerlast senken.
Diese Diskussion über den Abbau der Steuerlast hat ja im Sommer interessante Drehungen und Windungen im Regierungslager hervorgerufen. Die erste Parole, mit der Sie in die Sommerpause gegangen sind, hieß: „Ruhe an der Steuerfront!" Dann kamen Sie, Herr Bundesfinanzminister, plötzlich im Juli her und sagten: Ja, Moment, vielleicht 1981 unter ganz bestimmten Bedingungen. Es kam, was kommen mußte: Die SPD war immer noch auf die Parole „Ruhe an der Steuerfront" getrimmt, so daß aus Ihrem eigenen Lager die Kritik kam. Der „Politisch-Parlamentarische Pressedienst", der Ihnen ja nahesteht, sprach in seiner Ausgabe vom 30. Juli von „Profilneurose" Ihrerseits und nannte Ihr Vorgehen „unverantwortlich". Herr Gobrecht, der stellvertretende Obmann im Finanzausschuß, veröffentlichte im „Sozialdemokratischen Pressedienst" am 31. Juli, daß die Bundesregierung „nicht gut beraten sei, die ,parlamentslose Zeit regelmäßig dazu zu benutzen, Steuersenkungslawinen loszutreten". Am 1. August schließlich hat der „PolitischParlamentarische Pressedienst" der SPD von dem Eindruck gesprochen, der Bundesfinanzminister habe „mutwillig eine Diskussion vom Zaun gebrochen". Zitat: „Er trat wie Ziethen aus dem Busch an die Öffentlichkeit." Das war die Kritik aus dem eigenen Lager.
({1})
Dann wurden Sie, Herr Matthöfer, gefragt: Ja, wie würden Sie es denn machen 1981? Soll es eine Steuerreform werden? Soll es sich um zweistellige Zahlen handeln? Darauf sagten Sie: „Um Gottes willen", ja keine zweistelligen Zahlen! Aber nach einer weiteren Woche sagten Sie ganz plötzlich: Natürlich muß 1981 eine „deftige" Korrektur erfolgen.
({2})
Und schließlich sagte der Generalsekretär der FDP - wenn sein Vorsitzender das vielleicht noch einmal mitanhören würde! -, daß für die FDP auch das Jahr 1980 für den Abbau der Steuerlast „kein Tabu" sei.
({3})
Und ganz am Schluß bewies der monatelang untergetauchte Bundeskanzler, der ja durch Untertauchen seinen Führungsanspruch immer wieder bekräftigt,
({4})
daß 1980 vielleicht doch - unter bestimmten Bedingungen - ein Abbau der Steuerlast erfolgen werde. Gestern sagten Sie, Herr Matthöfer, in Ihrer Erklärung, daß 1980 „gezielte Maßnahmen" kämen, wenn es konjunkturpolitisch notwendig sei. Was das im einzelnen ist, ist offengeblieben.
({5})
Meine Damen und Herren, das ist das gleiche Spiel, das wir seit Jahren erleben, und zwar bei sämtlichen Steuerpaketen: 1975 bei der Steuerreform, 1978 und 1979. Wir machen Vorschläge, wir sagen: So geht es nicht weiter. Dann sagen Sie: Nein, das kommt überhaupt nicht in Betracht. Dann sagen Sie: Nein, später. Dann kommt es doch so, auch dem Umfang nach, wie wir es wollten, und am Schluß sagen Sie: Es ist eine gradlinige Steuerpolitik. Genau dieses Spiel wiederholt sich.
({6})
Herr Bundesfinanzminister, seitdem Sie Steuerminister sind, haben Sie sich Mühe gegeben, nicht in die Fußstapfen Ihres Vorgängers, Herrn Apel, zu treten, der das „Jahrhundertwerk" der großen Steuerreform mit dem berühmten Satz gekrönt hat: „Ich dachte, mich tritt ein Pferd" . Aber in diese Tradition haben Sie sich in dieser Sommerpause auf dem Steuerfeld würdig eingereiht.
Nun ist es verständlich, warum die SPD, zumal in der Steuerpolitik, diese berühmten Schwierigkeiten hat, denn im Grunde ist es nicht das, was Sie wollen. Ihr Finanzsenator Scherf in Bremen, der kürzlich unrühmlich in Erscheinung getreten ist und einen Einblick in die Seele der modernen Sozialdemokratie gegeben hat, hat auch zu dieser Diskussion anläßlich eines Interviews im Juni in aller Öffentlichkeit gesagt - es ist immer wieder inter- essant, zu erfahren, wie Sie wirklich denken -, daß Sie in der Politik im Augenblick etwas ganz anderes tun müßten, als Sie eigentlich wollten: „Wir machen z. B. in der Steuerpolitik ... seit Jahr und Tag genau das Gegenteil von dem, was die Partei beschlossen hat, und zwar in dem Orientierungsrahmen und dem vorangegangenen Langzeitprogramm." Und er sagt: „Wir wollen den öffentlichen Korridor erweitern." - Dann bedauert er, daß immer wieder „Konzessionen" gemacht werden müßten, die „unserem Programm natürlich konträr sind".
Dabei verlangt die Steuerpolitik Klarheit. Dieses Hin und Her ist genau das Gegenteil dessen, was in der Steuerpolitik verlangt wird. Steuerpolitik verlangt Klarheit, Voraussehbarkeit und nicht das hektische Hin und Her.
({7})
Es gibt natürlich keinen Zweifel mehr; vielmehr kann jedermann schon heute die Frage beantworten: Haben diese Windungen und Drehungen nicht etwas mit dem Wahltag im Jahre 1980 zu tun? Ist hier vielleicht nur die eine Überlegung bestimmend, wie man es machen sollte, damit es vor der Wahl möglichst geschickt wirkt? Es liegt doch auf der Hand, daß dies das einzige bestimmende Element in der Steuerdiskussion war.
({8})
Nun, meine Damen und Herren, will ich ganz kurz wenigstens auf einige Ausführungen der, zeitlich gesehen, sehr langen Etatrede des Bundesfinanzministers eingehen. Ich will nur ganz wenige Punkte widerlegen, die so offensichtlich unrichtig sind oder auch so selbstverständlich sind, daß sie geradezu köstlich wirken; man könnte da viel zitieren.
Wenn man diese Etatrede insgesamt an sich vorüberziehen läßt, gewinnt man den Eindruck, daß zu allem und jedem, was zwischen Himmel und Erde kreucht und fleucht, etwas gesagt wird. Der Staat ist der „große Bruder", der alles in allen Lebenslagen fürsorglich begleitet. Aber die wirklichen Hauptprobleme unserer Finanzpolitik werden nicht angepackt. Welche sind diese? Einmal: Der Schuldenzuwachs darf nicht so weitergehen, wie es im Augenblick geschieht. Zum anderen: Die Abgabenlast darf in den nächsten Jahren nicht erhöht werden. Dazu steht in dieser Etatrede im Grunde nichts.
Lassen Sie mich mit einer kleinen Selbstverständlichkeit beginnen, weil sie zeitgeschichtlich so interessant geworden ist. Da heißt es z. B.: „Die Einfuhr von Drogen muß schon an unseren Grenzen gestoppt werden." Das wird das sardinische Beispiel sein.
({9})
Dann kommt eine ganz interessante Bemerkung. Herr Finanzminister, bezüglich des Abbaus der Subventionen appellieren Sie an die Bürger und Politiker, sie mögen Vorschläge machen, wo Subventionen abgebaut werden sollten. Gibt es denn nicht eine Führungspflicht und eine Rechtspflicht nach dem Stabilitätsgesetz, wonach die Regierung die Subventionen überprüfen und dem Bundestag einen Subventionsbericht mit Vorschlägen zum Abbau unterbreiten muß? Sie treten im Grunde als Regierung ab, wenn Sie an die Bürger appellieren, sie mögen Ihnen vorschlagen, wo Subventionen abzubauen seien.
({10}) Das ist das Abtreten der Regierung.
Herr Klose hat in der Diskussion, die Sie vor ein paar Tagen mit ihm geführt haben, in der Diagnose recht, als er die Subventionstöpfe kritisierte. Ich bin zwar in der Zielsetzung nicht seiner Meinung, aber in der Diagnose hat er recht. Daß Sie ihm in der Diagnose widersprochen haben, bedaure ich sehr. Wenn Sie ihm noch vorwerfen, er hätte Ihnen Vorschläge machen sollen, obwohl das zu Ihrer Führungspflicht gehört, dann tritt die Regierung in dieser Frage ab.
Dann kam die immer wiederholte verfälschende Darstellung bezüglich der Steuerlastquote. Es stimmt einfach nicht, daß die Norm bei 24 % liege. In der Regel hatten wir so etwa 22 oder 23 Prozent. 24 % sind in dem statistischen Ausnahmejahr 1969 gerade erreicht worden; wir wissen alle, warum. Aber das ist nicht das Entscheidende. Wir wissen alle, daß die Steuerlastquote im Grunde überhaupt nichts besagt. Entscheidend ist doch, daß sich das Verhältnis zwischen den direkten und den indirekDr. Häfele
ten Steuern völlig umgekehrt hat. Das geht zu Lasten der Leistungsbereitschaft der Arbeitenden und zu Lasten der Investitionsbereitschaft der Betriebe.
({11})
Früher hatten wir 60 °/o indirekte Steuern und 40 °/o direkte Steuern. Heute ist das Verhältnis ungefähr umgekehrt. Das ist die Entwicklung.
Außerdem muß man die Abgabenlast insgesamt sehen. Man darf nicht allein die Steuerlastquote sehen. Die Abgabenlastquote hat inzwischen etwa 40% des Bruttosozialsprodukts in Deutschland erreicht.
Aber Sie sagen in aller Treuherzigkeit: „Die Bundesregierung hat eine zielstrebige Steuerentlastungspolitik betrieben." Dabei mußten sämtliche Steuerpakete sowohl dem Zeitpunkt als auch dem Umfang nach gegen Ihren Widerstand durch die Unionsmehrheit durchgesetzt werden.
({12})
Jetzt, Herr Finanzminister, komme ich zu dem Kapitel Steuervereinfachung. Ich dachte, ich sei in einem Universitätsseminar. Sie sagten, die Bundesregierung habe einen Bericht zu § 7 b des Einkommensteuergesetzes und einen Bericht zur Grunderwerbsteuer vorgelegt, sie habe ein Hearing zu den Bagatellsteuern und ein Hearing zur Kraftfahrzeugsteuer veranstaltet. Ja, meine Damen und Herren, sind Sie denn Regierung? Haben Sie denn nicht eine Führungspflicht? Sind Sie nicht seit 1969 in der Regierungsverantwortung? Haben Sie nicht 1969 eine Große Steuerreform angekündigt?
({13})
Sind Sie nicht seit zehn Jahren in der Pflicht? Müssen Sie nicht handeln? Eine Regierung muß nicht Universitätsseminare mit Hearings und Berichten veranstalten, sondern muß Vorschläge machen, muß handeln, muß etwa durchsetzen.
({14})
Wenn sie das nicht tut, ist sie keine Regierung mehr.
({15})
Konkret kündigen Sie jetzt an - nachdem wir längst diesen Antrag bezüglich mehrerer Bagatellsteuern gestellt haben -, daß die Spielkarten-, die Zündwaren- und die Essigsteuer voraussichtlich abgeschafft werden. Das ist in der ganzen Vereinfachungsdiskussion übriggeblieben.
(Dr. Kohl ({16})
Dabei haben wir doch ein so aktuelles Beispiel, nämlich den Kinderbetreuungsbetrag. Meine Damen und Herren, wenn Sie den Kinderbetreuungsbetrag nicht pauschalieren - sei es durch eine Gesetzesänderung, sei es durch eine großzügige Verwaltung; es ist gleich, wie man das macht -, nehmen Sie das Wort „Steuervereinfachung" bitte nicht mehr in den Mund, denn dann schaffen Sie noch mehr Bürokratie.
({17})
Von Ihnen, Herr Matthöfer, habe ich eine interessante Bemerkung gelesen. Vielleicht können Sie sie widerlegen - da wäre ich Ihnen dankbar -, vielleicht ist es wirklich eine falsche Zeitungsmeldung; so etwas gibt es bei uns allen. Da waren Sie bei einem Sommerfest der SPD. Die „Rhein-SiegRundschau" vom 29. August dieses Jahres berichtet von diesem Sommerfest, wo Sie sich der Diskussion gestellt haben. Sie wurden da auch auf das Thema „Steuervereinfachung" angesprochen. Sie sagten dann, das „deutsche Steuersystem sei voller Ungereimtheiten. Es sei viel zu kompliziert gemacht, und zwar mit der Absicht, daß die einfachen Leute es nicht verstünden."
({18})
Meine Damen und Herren, seit 1969 haben Sie die Regierungsverantwortung! Und so ist das Steuerrecht?
({19})
Dann wieder so ein netter Satz aus der gestrigen Haushaltsrede. Da sagt der Bundesfinanzminister wiederum ganz treuherzig: „Wir müssen ... an den EG-Haushalt dieselben strengen Maßstäbe anlegen wie an die Gestaltung des eigenen Haushalts." - Ich kann nur sagen: dann gute Nacht!
({20})
Oder nehmen wir die neue Position der Personalaufwendungen für Forschung und Entwicklung. Das ist in der Zielsetzung sicher eine gute, eine positive Sache. Aber Sie begründen diese Sache so: „Die außerordentlich starke Inanspruchnahme des Programms zeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind." - Meine Damen und Herren, wenn die Töpfe, wenn die Subventionen stark in Anspruch genommen werden, ist man auf dem richtigen Weg! Da wollen Sie sicher nur noch Töpfe machen, dann sind Sie immer auf dem richtigen Weg.
({21})
- Ja, genauso einfach hat er es dargestellt. Ich muß ihn so bei seinem Wort nehmen, wie er es hier spricht.
({22})
Nun wollen wir uns der Frage zuwenden, ob denn das zutrifft, was von der Regierung in ihrer Propaganda, aber auch gestern wieder in den sachlichen Ausführungen des Finanzministers behauptet wurde, nämlich daß Sie im Jahre 1980 eine Politik der „Konsolidierung" betreiben wollten. Wie ist es denn tatsächlich, wie schaut es denn in unserem Lande aus?
Die öffentlichen Haushalte hatten Ende 1973 einen Schuldenstand von 168 Milliarden DM. Ende 1978 waren es schon 372 Milliarden; der Betrag hat sich also in fünf Jahren mehr als verdoppelt. Ende dieses Jahres werden es 420 Milliarden DM sein; gerade im Augenblick wird etwa die 400-MilliardenGrenze überschritten.
13430 Deutscher Bundestag -. 8. Wahlperiode Dr. Häfele
Der Zinsendienst der Gebietskörperschaften beläuft sich im Augenblick auf etwa 25 Milliarden in einem Jahr - nur der Zinsendienst! Meine Damen und Herren, wenn Kassandra je etwas bewirkt hätte - leider hat sie nie etwas bewirkt -, hier wäre sie gerufen. Was aber sagt der Bundesfinanzminister dazu? Er sagt: „Ihre" - nämlich der Bundesrepublik Deutschland - „finanziellen Grundlagen sind gesichert und gesund." - Und dies bei einem Schuldenstand von 420 Milliarden! Ich muß es sagen und sage es ohne Polemik: Das war genau der Betrag, mit dem Adolf Hitler 1945 das deutsche Volk seinem Schicksal überlassen hat.
({23}) - Das war genau der Betrag!
({24})
- Das können Sie nicht bestreiten. Ich habe das ganz unpolemisch gesagt. Das war das Ergebnis des Krieges, Herr Wehner.
({25})
- Herr Wehner, wollen Sie die Zahl bestreiten oder nicht?
({26})
- Herr Wehner, wenn Sie von „Niveau" reden,
({27})
- ja, vielen Dank -, dann haben wir ja bei Ihnen immer ein gutes Beispiel.
({28})
Daß Sie das trifft, verstehe ich. Aber es bleibt die Feststellung, daß wir heute diesen Betrag erreicht haben und daß da niemand ohne Sorgen in die Zukunft schauen kann und daß der Satz, den der Bundesfinanzminister ausgesprochen hat, völlig deplaziert ist, daß die finanziellen Grundlagen gesichert und gesund seien. Das ist einfach nicht der Fall.
({29})
Der Bund hat eine Gesamtfinanzverantwortung nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern für. die Finanzpolitik aller öffentlichen Haushalte. Beim Bund selber - und zwar noch mehr als bei den anderen .öffentlichen Körperschaften - war der Schuldenzuwachs in den letzten Jahren beängstigend: Schuldenstand Ende 1973 61 Milliarden DM, Ende 1978 178 Milliarden DM und Ende dieses Jahre 205 Milliarden DM. Der Schuldenstand beim Bund wird Ende dieses Jahres also höher sein als das Ausgabevolumen dieses Haushaltsjahres mit 204 Milliarden DM.
Den Begriff „Konsolidierung" sollten wir überhaupt nicht verwenden. Von „Konsolidierung" spricht man dann, wenn der Schuldenstand zurückgeführt wird. Aber wenn ich die Neuverschuldung, also die zusätzliche Schuldenaufnahme, nur etwas
verkürze, dann kann ich nicht von „Konsolidierung" reden.
({30})
Im Augenblick ist das Thema das: Wie kann man wenigstens die Neuverschuldung herunterführen? Dieses wäre jetzt, im Jahre 1979, schon in Angriff zu nehmen gewesen. Denn wir haben ein reales Wachstum von 4 °/o. Wenn wir dieses reale Wachstum von 4 °/o mittelfristig hätten, dann könnten wir in den kommenden Jahren froh sein. 'Wir sind klug 'beraten, uns nicht unbedingt auf diese 4 °/o auf allen Gebieten einzustellen. Wir haben in diesem Jahr wieder die Sorge mit den steigenden Preisen. Die 5 °/o sind schon erreicht, und wir haben noch weitere Sorgen.
Wann denn muß ich damit beginnen die Schuldenzunahme zurückzuführen, wenn nicht in diesem Jahr 1979, da wir ein ordentliches Wachstum haben und da wir Preissteigerungsgefahren haben? Statt dessen tut der Staat durch seine durch Verschuldung finanzierte Nachfrage und durch seine zinstreibende Politik - das ist es natürlich im Endergebnis - genau das Gegenteil dessen, was jetzt notwendig wäre.
Die Bundesbank sagt, daß bei normalen Wachstumszeiten - und das haben wir in diesem Jahr - allenfalls 2 °/o des Bruttosozialprodukts an Neuverschuldung vertretbar wären. In diesem Jahr sind es 3,5 °/o des Bruttosozialprodukts - in einem normalen Jahr! Wie wird das erst sein, wenn keine normale Wachstumszeit mehr ist?
Das Ausgabenwachstum in diesem Jahr ist zu groß, die Neuverschuldung mit 29 Milliarden ist eine Rekordneuverschuldung nach dem Jahre 1975. Aber Bundesfinanzminister Matthöfer sagte gestern: „Sie" - die Bundesregierung - „ist der festen Überzeugung, daß im Aufschwung die jährliche Neukreditaufnahme der öffentlichen Hände zurückgeführt werden muß ..." - Genau dies tun Sie im Jahr 1979 nicht. Sie haben eine neue, die zweite Rekordneuverschuldung nach 1975, obwohl in diesem Jahr genau unter ökonomischen Gesichtspunkten es vorrangig wäre, die Verschuldung zu vermindern. Also: Sie handeln im Gegensatz zu Ihrer eigenen These.
Wie ist es 1980? Es ist zuzugeben, daß die Steigerungsquote bei den Ausgaben mit 5,6 °/o besser ist als in den vorangegangenen Jahren und besser, als ursprünglich geplant war. Wobei wir wissen, daß es teilweise nur optische Veränderungen sind, etwa allein die Frage beim Lastenausgleich, ob man vom Bruttoprinzip zum Nettoprinzip übergeht: Man geht zum Nettoprinzip über; das macht eine Milliarde Differenz; wenn Sie das bisherige System nähmen, wären Sie auch schon wieder bei einem Ausgabenzuwachs von über 6 °/o. Aber die Schuldenzunahme im nächsten Jahr soll ungefähr gleich hoch sein wie im laufenden Jahr, nämlich 28,2 Milliarden DM. Der Zinsendienst - wenn ich die Geldbeschaffungskosten dazurechne, und das tut der Finanzbericht ja mit Recht - wird im nächsten Jahr um 20 °/o zunehmen, auf 14,2 Milliarden DM.
Wie hat es die Bundesregierung für das Jahr 1981 vor? Auch dort etwa die gleiche Schuldenzunahme: 27,2 Milliarden.
Hier erhebt sich nun wirklich die Frage: Wenn sowohl 1979 wie 1980 wie 1981 die zusätzliche Verschuldung sich ungefähr auf eine Summe zwischen 25 und 30 Milliarden DM beläuft, was hat sich dann für das Jahr 1981 geändert, daß Sie plötzlich sagen: Da ist ein Steuerabbau möglich, aber im Jahr 1980 ist er nicht möglich. Das kann doch nur mit Wahlkampfgründen erklärt werden und nicht mit sachlichen Gründen. Das ist doch die wirkliche Analyse, die die Zahlen hier erbringen.
Inzwischen bleibt von dem Schuldenzuwachs immer weniger für die Staatsausgaben übrig, weil die Zinsen immer mehr auffressen. 1979 blieben noch 17,1 Milliarden DM, 1980 bleiben nur noch 14 Milliarden DM, 1981 nur noch 9,7 Milliarden DM. Selbst nach den Annahmen der Regierung - und diese Annahmen stehen auf tönernen Füßen - wird 1983 der Staatskredit seinen Sinn verloren haben, weil dann die Zunahme der Verschuldung geringer sein wird als der Zinsendienst.
({31})
Die Schulden werden dann aufgenommen, um die Zinsen zu finanzieren. Nicht eine Mark davon wird mehr für irgendeine Staatsausgabe zur Verfügung stehen. Ich sage noch einmal: Die ökonomischen Grunddaten der mittelfristigen Finanzplanung stehen auf tönernen Füßen.. Wir dürfen nicht von einem durchschnittlichen realen Wachstum - zumal bei Fortsetzung dieser Politik - von 4 °/o für die kommenden fünf Jahre ausgehen. Das ist einfach ein Blankoscheck, der in der Wirklichkeit nicht eingelöst werden kann.
({32})
Zudem bleiben Risiken: Die Bahn bleibt ein Risiko, Energie bleibt ein Risiko, die Verteidigung, die internationalen Verpflichtungen. Die Bundesregierung steigert, entgegen ihren internationalen Zusagen, den Verteidigungshaushalt im kommenden Jahr nur um 2,9 °/o, bei einer Inflationsrate von 5 bis 6 °/o. Daß hier ein Risiko in den Haushalten für das nächste Jahr - und zwar aus internationaler Verpflichtung heraus - vorhanden ist, ist völlig klar.
Meine Damen und Herren, alles in allem: Das Wort „Konsoldierung" darf für diese Verschuldenspolitik nicht mehr verwendet werden.
({33})
Jede innenpolitische und außenpolitische Bewegungsfreiheit des Staates wird durch diese Verschuldenspolitik in den kommenden Jahren unmöglich gemacht.
({34})
Die Verschuldungsentwicklung ist inzwischen ökonomisch schädlich in der Gegenwart und eine ungeheure Last für die Zukunft. Es wird nicht mehr gestaltet, sondern es wird nur noch weitergewurstelt durch buchhalterisches Fortschreiben der Positionen, so daß sich klar ergibt, daß hier im Grund ein Wahltäuschungsmanöver eingeleitet wird. Der Wähler soll 1980 den Eindruck haben, es würde „konsolidiert", obwohl es nicht geschieht, und zugleich wird dem Wähler vorgemacht: 1981 aber kriegst du einen Abbau der Steuerlast, aber spüren darfst du das erst nach der Wahl, damit du nicht nachrechnen kannst, daß das, was du dann 1981 kriegst, so toll gar nicht ist.
Es bahnt sich - und das muß ganz klar ausgesprochen werden - ein Täuschungsmanöver an, im Vergleich zu dem das Rententäuschungsmanöver aus dem Jahre 1976 vielleicht eine Kleinigkeit gewesen sein kann. Das muß die Öffentlichkeit heute schon wissen.
({35})
Welches sind nun die Ziele der Union, meinetwegen die alternative Politik, die dieser Politik entgegengesetzt werden muß?
({36})
In der Tat, meine .Damen und Herren, steht die Finanzpolitik vor einer doppelten, schwierigen Aufgabe. In der Tat muß wenigstens die Zunahme der Verschuldung zurückgeführt werden, und zwar wesentlich stärker, als es die Regierung mittelfristig vorhat. - Aber zugleich - und das macht die Schwierigkeit der Finanzpolitik aus - darf nicht zugelassen werden, daß der Staat Steuererhöhungen kassiert, im Jahr 1980 z. B. die heimlichen Steuererhöhungen. Dies sind zwei Ziele, die sich nicht ausschließen. Es ist eine falsche Alternative zu sagen: Entweder-Oder,
({37})
sondern beide Ziele müssen in den kommenden Jahren angestrebt werden. Das macht die Mühsamkeit dieses Verfahrens aus.
({38})
Eine Zurückführung der Zunahme der Verschuldung darf nicht durch das Kassieren von höheren Steuern erfolgen, sondern es muß an der Wurzel des Übels angesetzt werden: Die Ausgabenzuwächse müssen in den kommenden Jahren noch viel stärker zurückgeführt werden, als es die Bundesregierung vorhat.
({39})
Das geht natürlich nicht ohne eine grundlegende Kurskorrektur der Politik. Das ist völlig klar. Wenn ich sage: „Es dürfen keine Steuererhöhungen stattfinden, auch nicht heimlicher Art", dann geht es nicht um den Begriff „Steuersenkungen". Auch diesen sollten wir für das Jahr 1980 aus unserem Vokabular streichen. Sowohl den Begriff „Konsolidierung" dürfen wir nicht verwenden wie den Begriff „Steuersenkungen" nicht. Es geht nur um das Verhindern von automatischen Steuererhöhungen, die durch das Zusammenwirken von Progression und Inflation im nächsten Jahr wieder anwachsen werden. Dieses soll verhindert werden. Das ist nicht die Forderung nach Steuersenkungen, sondern die nach der Verhinderung von Steuererhöhungen, die auf leisen Sohlen in unser Land kommen.
Dies ist eine Voraussetzung, wenn wir Wachstumsbedingungen auf Dauer schaffen wollen. Nur wenn das Wachstum auf Dauer einigermaßen gewährleistet ist, werden wir überhaupt einmal der Schuldenlast Herr werden können. Wachstum setzt voraus, daß die Leistungsbereitschaft, daß die Investitionsbereitschaft in unserem Land nicht verkümmert, und genau das muß auch 1980 ins Auge gefaßt werden.
Die Zahlen der Regierung, die auf der Mai-Schätzung der Steuerschätzer beruhen, aber durch die Entwicklung teilweise schon überholt sind, in Wirklichkeit noch viel schlimmer werden, zeigen, daß wir nächstes Jahr ein neues Rekordjahr von heimlichen Steuererhöhungen haben werden. Die Lohn- und Gehaltssumme - das ist die Annahme der Steuerschätzer und der Bundesregierung - wird nächstes Jahr um 6,6 °/o anwachsen, aber die Lohnsteuer um etwa das Doppelte, um 12 °/o.
Für den Leistungswillen ist die wichtigste steuerliche Zahl, die es überhaupt gibt, die sogenannte Grenzabgabenbelastung. Das ist die Frage: Wenn ich 1 DM Lohnerhöhung bekomme, wieviel kriege ich netto auf die Hand? Das nennt man Grenzabgabenbelastung. Diese Grenzabgabenbelastung wird im nächsten Jahr nach dem Jahr 1976 eine neue Rekordspitze von rund 50 °/o haben. Das heißt, von 1 DM Lohnerhöhung bekommt der durchschnittliche Arbeitnehmer 50 Pfennig netto auf die Hand, bei Preissteigerungen von 5 oder gar 6 °/o. Den Betrieb kosten diese 50 Pfennig aber wegen der Lohnnebenkosten 1,70 DM. Brutto 1 DM, Lohnnebenkosten zwei Drittel, macht 1,70 DM. Und dann wundert man sich, daß die Schwarzarbeit leider immer mehr zunimmt. Das ist doch ein Treibsatz für Schwarzarbeit.
({40})
- Herr Huonker, lassen Sie sich mal ein Beispiel aus der praktischen Arbeit geben. Hier habe ich das Beispiel einer Schreibkraft der Vergütungsgruppe VII; sie hat im Juli ihr Urlaubsgeld gekriegt. Sie ist zwar verheiratet, wird aber als Ledige besteuert, weil ihr Mann sich als Verheirateter besteuern läßt, um das klarzustellen. Bisher erhielt sie Bruttobezüge von 2 133 DM. Bisher blieben ihr netto 1 032 DM. Jetzt hat sie im Juli 300 DM Urlaubsgeld bekommen. Von diesen 300 DM Urlaubsgeld hat sie 48,57 DM ausgezahlt bekommen.
({41})
Sie schreibt mir so nett: „Damit kann ich gerade eineinhalb Tage Vollpension in meinem Urlaub bezahlen." Meine Damen und Herren, das ist die Grenzabgabenbelastung. Sie wird im nächsten Jahr noch schlimmer. Das ist das Beispiel aus der Arbeitswelt, Herr Huonker.
({42})
- Lassen Sie mich das im Zusammenhang ausführen.
Was sagt aber der Herr Bundeskanzler zu dieser Steuerdiskussion? Er nennt sie „reichlich naiv". Er soll einmal die Leute fragen, ob sie das naiv finden,
({43})
wenn sie von 300 DM Urlaubsgeld nur 48,57 DM ausgezahlt bekommen. Herr von Amerongen hat vorgestern gemeint, das seien „Steuergeschenke", wenn man so etwas abbaut, und es sei ihm „Wurscht", ob der Abbau geschieht. - Nein, den arbeitenden Leuten ist das nicht „Wurscht", sondern sie betrachten das mit Recht als ungerecht. Ihre Leistungsbereitschaft verkümmert, wenn dies nicht geändert wird.
({44})
- Das habe ich genau gesagt.
({45})
- Ich habe das eindeutig von vornherein gesagt. Da haben Sie nicht zugehört, Herr Westphal.
({46})
- Machen Sie sich doch nichts vor, ich habe doch ganz klar gesagt, daß sie als Ledige mit der Steuerklasse V versteuert wird. Der Mann ist als Verheirateter besteuert. Das habe ich erklärt, Herr Westphal, dann müssen Sie eben zuhören.
Natürlich wissen wir auch, daß man diese Fehlentwicklung nicht in einem Zug abbauen kann. Aber es muß damit in einer ersten Stufe begonnen werden. Diese erste Stufe sollte nach einem Gesamtkonzept vorgehen, damit wir aus den Flickschustereien in den letzten Jahren herauskommen. Mit anderen Worten, wir sollten einen Tarif wenigstens in einer ersten Stufe für das Jahr 1980 verabschieden und nicht wieder da und dort ein bißchen was machen, was für ein Jahr lang hilft, aber schon wieder die Grundlage für noch mehr Progression in den kommenden Jahren schafft.
({47})
Der Bundeskanzler sieht die Steuerpolitik unter ganz anderen Gesichtspunkten. Als er sich im Urlaub, am 24. August, zu dieser Diskussion schließlich meldete, hat er gesagt, unter Umständen komme doch vielleicht 1980 ein Steuerabbau; er sehe die Notwendigkeit zwar noch nicht. Wenn er konjunkturpolitisch notwendig sei, dann würde schnell gehandelt, wenn ein Handlungsbedarf bestehe. - Da ist nun wirklich zu fragen: Hat die Bundesregierung aus den Fehlern der letzten Jahre nichts gelernt? Haben wir denn nicht gelernt, daß eine Steuerpolitik mittelfristig angelegt werden muß, daß eben nicht eine Hektik entstehen darf, daß nicht plötzlich ein Handlungsbedarf in Steuerpolitik umgesetzt werden darf,
({48})
sondern daß die Daten mittelfristig berechenbar, voraussehbar geschaffen werden müssen? Die Steuerpolitik darf nicht ein konjunktureller Lückenfüller sein; das funktioniert nicht.
({49})
Dabei beruft sich die Regierung - das ist vor allem das Credo von Bundesfinanzminister Matthöfer - auf einen Keynes, der weitgehend sogar fälschlicherweise als Kronzeuge benutzt wird. Wenn Sie sein Hauptwerk aus dem Jahre 1936 „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" anschauen, dämmerte es ihm selbst im Jahre 1936, daß es auf Dauer mit dieser staatlichen Nachfrageschaffung gar nicht gehe, sondern daß das Auswirkungen auf die Zinsen habe und damit die private Investitionstätigkeit Einbußen erfahre; das funktioniere nicht so recht. Die Medizin, die bei der echten Deflation im Jahre 1930/31 womöglich vorübergehend gewirkt hätte, ist nicht für die ganz andere Krankheit brauchbar, die die westliche Welt - und die Bundesrepublik inzwischen auch - befallen hat, nämlich für die Krankheit der Inflation, die Krankheit der Stagnation und die Krankheit der Stagflation. Da können Sie nicht mit Nachfrage operieren, sondern das ist ein Problem der Angebotsseite. Dankenswerterweise hat das Sekretariat des GATT, dieser internationalen Zoll-und Handelsvereinigung, in den letzten Tagen - man konnte es in den Zeitungen lesen - hierzu eine Analyse erstattet und gesagt: Jetzt ist der Kampf gegen die Inflation vorrangig, und von der Angebotsseite her müssen wir die Fehlentwicklung bekämpfen. Die Leistungsbereitschaft, die Investitionsbereitschaft, nicht die staatliche Nachfrage muß verbessert werden. Es geht also nicht so, wie der Bundeskanzler gesagt hat: Wenn Handlungsbedarf besteht, dann schaffen wir Nachfrage. Das ist längst nicht mehr die moderne Erkenntnis in unserer westlichen Welt. Bloß, das Umsetzen in Politik ist leider noch nicht erfolgt.
Auch der gemeinsame Ausschuß des Senats und des Repräsentantenhauses in Amerika, das Joint Economic Committee, ein bedeutsamer Ausschuß in Amerika, kommt genau zu dem gleichen Ergebnis und sagt: Eine Verminderung der Defizite des Staatshaushalts durch Steuersenkungen, Kürzung des Volumens der Staatsausgaben, des Staatsanteils und nicht Nachfrage-Denken; Bekämpfung der Inflation, Angebotspolitik - das ist vorrangig. Es geht darum, mittelfristige Daten und Rahmenbedingungen für eine Angebotspolitik zu setzen.
Der britische Schatzkanzler, Geoffrey Howe, der ein schweres Erbe angetreten hat,
({50})
sagt zu denen, die immer noch mit Nachfrage argumentieren und immer noch die Diskussion zu einer ganz anderen Lage, zu der Anfang der 30er Jahre, führen:
Sind wir nicht zu der Schlußfolgerung gezwungen, daß die Vorstellungen von Nachfragelenkung, gesteigerten öffentlichen Ausgaben und Feinsteuerung der Wirtschaft nun fast bis zur Zerstörung ausprobiert worden sind?
So begründet er sein neues Programm.
Oder lesen Sie das Buch des ehemaligen österreichischen Finanzministers und Notenbankpräsidenten, Dr. Wolfgang Schmitz, aus dem Jahre 1976 mit dem Titel: „Die antizyklische Konjunkturpolitik - eine Illusion". Es lohnt sich, dieses Buch zu studieren.
Die moderne internationale Diskussion ist längst weg von dem Credo, Herr Bundesfinanzminister Matthöfer, das aus allen Fugen Ihrer Rede klingt und das im Grunde der gesamten Politik der Bundesregierung zugrunde liegt: Nachfragelenkung, Nachfragestärkung. Das funktioniert nicht. Die Krankheit ist eine andere als die, die Keynes im Jahre 1930/31 vorfand. Damals hätte die Medizin womöglich genützt. Da bestand die Geldillusion; sie war völlig intakt. Das Problem der Inflation gab es nicht. Die Löhne gingen herunter, die Preise sanken; das war Deflation. Wir dagegen haben ein ganz anderes Problem.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben Ihr Credo kürzlich in einem Interview etwa so umschrieben:
Für uns stellt sich die Frage, wie hoch müssen wir das Defizit gestalten, damit wir bei Preisstabilität an die Vollbeschäftigung herankommen?
Als ob dies das Problem wäre! - Oder:
Das Defizit ist in diesem Jahr genauso hoch, wie wir es für vernünftig halten.
({51})
Wir haben ja in diesem Jahr einen Beweis für die Richtigkeit der These, daß es in erster Linie ein Angebots- und nicht ein Nachfrageproblem ist.
({52})
Warum nimmt denn das Wachstum erfreulicherweise real wieder zu? Weil dankenswerterweise die Investitionstätigkeit in Gang gekommen ist. Warum ist sie denn in Gang gekommen?
({53})
Weil die Kostenentwicklung - Gott sei Dank - nicht so negativ verlaufen ist wie vor ein paar Jahren, der Kostendruck etwas gemildert wurde, auch dank der Einsicht der Gewerkschaften - das anerkennen wir - bei den Lohn- und Gehaltsrunden.
({54})
Das ist natürlich eine Voraussetzung. dafür gewesen, daß die Ertragssituation besser geworden ist. Und weil eine Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen - ich nenne hier die Lohnsummensteuer -, die wir gegen Ihren Widerstand durchsetzen mußten, vorgenommen worden ist. Sie haben ja einen Parteitagsbeschluß, wonach die Lohnsummensteuer auf alle Gemeinden ausgedehnt werden soll. Wir haben das Gegenteil von dem gemacht, was Sie beschlossen haben.
Nein, meine Damen und Herren: Wenn die Steuerpolitik überhaupt kurzfristig etwas bewirken kann, dann allenfalls dies: daß sie als Brücke für die bevorstehenden wichtigen Lohn- und Gehaltsvereinbarungen, als ein staatliches Rahmendatum dienen kann, das natürlich, auch wenn die Tarifpartner behaupten, sie würden es nicht berücksich13434
tigen, von Bedeutung ist, weil die arbeitende Bevölkerung draußen natürlich in der Tat auf das Nettoergebnis von Lohn- und Gehaltserhöhungen schaut. Sie sagt: Es ist mir gleich, wie es kommt, wenn es nur reale Kaufkraft ist. Wenn die Steuerlast, die Abgabenlast nicht mehr so groß ist, dann sind die Leute durchaus bereit, brutto nicht so hoch abzuschließen, weil sie sich im Ergebnis besser stehen und auch die Gefahren für die Preise und damit für die wirtschaftliche Entwicklung nicht eintreten. Es ist der einzige kurzfristige Sinn, daß die heimlichen Steuererhöhungen im Jahre 1980 nicht kassiert werden dürfen,. um die bedeutsame Lohn- und Gehaltsrunde der nächsten Monate zu entschärfen.
({55})
Deswegen fordern wir die Regierungskoalition auf, jetzt, noch in diesem Jahr, auf dem Feld der Steuerpolitik rechtzeitig etwas Dauerhaftes, Solides gemeinsam mit uns zu machen. Das kann nur die erste Stufe einer Steuerreform sein, um diese heimlichen Steuererhöhungen zu verhindern. Machen wir Schluß mit den Steuerpaketen der letzten Jahre, mit dieser Flickschusterei! Vor allem haben wir eine Bitte: Schnüren Sie bitte nicht im Bundestagswahlkampf 1980 ein Steuerpaket!
({56})
Wir wissen, wie das läuft: Zunächst müssen Sie sich in der Koalition zusammenraufen, dann kommt das in den Gesetzgebungsgang. Wie soll ein Steuerpaket am Schluß aussehen, das in einem Wahlkampf beraten wird? Verschonen Sie bitte den Deutschen Steuerbürger vor einem Steuerpaket, das im Wahlkampf auf den Weg gebracht wird! Dabei könnte mit Sicherheit nur etwas Unsolides, etwas Unvertretbares herauskommen. Deswegen: machen wir das jetzt für das Jahr 1980, dann kann es der Bürger beurteilen!
({57})
Die zweite wichtige Aufgabe, die vor uns steht, ist in der Tat die Sanierung der Finanzen. Da dies nicht durch Steuerhöhungen geschehen darf, ist es in der Tat eine schwere Aufgabe, und sie ist nur durch einen jahrelangen Sparprozeß - sprich: durch ein Herunterführen der Ausgabenzuwächse in allen öffentlichen Körperschaften - zu meistern. Es führt kein Weg daran vorbei, Mephisto hat Recht: „'s ist ein Gesetz der Teufel un l Gespenster: wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus." - Wir haben in Deutschland nicht zuwenig Abgaben, sondern wir haben zu viele öffentliche Ausgaben, und da muß der Teufel heraus!
({58})
Für diesen Sparprozeß kann das Diktat der leeren Kassen durch Verhindern der heimlichen Steuererhöhungen durchaus hilfreich sein. Wir wollen in der Tat einen Riegel vorschieben, damit die Bundesregierung keine Wahlgeschenke, keine Wahlausgabengeschenke vornimmt. Es ist das ein heilsamer Nebenzweck unseres Vorhabens. Denn die
Politiker verhalten sich vor Wahlen vielfach ähnlich wie Kinder vor einem bunten Teller: Solange etwas darauf liegt, wird gegessen. Wenn Sie im nächsten Jahr heimliche Steuererhöhungen in Milliardenhöhe kassieren, dann verteilen Sie das doch wieder und machen Wahlgeschenke. Genau dies soll verhindert werden, und das soll dem Bürger rechtzeitig zurückgegeben werden, weil es ihm zusteht.
({59})
Nun kommt die berühmte Frage: Wo sind die Sparvorschläge der Opposition?
({60})
In der Tat - reden wir ganz offen miteinander! -, hätten wir eine ideale Demokratie, dann müßte jetzt in deutschen Landen zwischen den politischen Parteien ein Wettbewerb in der Frage einsetzen, wo mehr gespart werden kann. Aber sehen wir die Wirklichkeit, wie sie ist, reden wir nicht daran vorbei! Sie warten doch nur darauf, daß wir sagen: Da muß etwas heruntergeführt werden, dort muß etwas heruntergeführt werden. Dann würden Sie durch das Land ziehen und sagen: Das ist „soziale Demontage", die Union will euch folgendes wegnehmen.
({61})
Genau diesen Prozeß wollen Sie haben.
Wie haben Sie den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen 1975 geführt? Es gab Inserate gegen Franz Josef Strauß, gegen Herrn von Weizsäcker. Sie haben sie der „sozialen Demontage" verdächtigt, weil sie gesagt haben: So kann es mit der Ausgabenpolitik nicht weitergehen, wir sind an den Grenzen angelangt. Genau dieses Messer wollen Sie in uns hineinstechen.
Wir alle sollten das schlimme Wort von der „sozialen Demontage" nicht verwenden. Das würde ein giftiger Wahlkampf. Sonst könnten wir nachweisen, daß Sie gar nicht an sozialer Demontage vorbeikommen. Wir sagen das aber nicht. Sie haben ein Haushaltsstrukturgesetz und zwei Rentensicherungsgesetze gemacht, nachdem Sie im Wahlkampf von „Angstmacherei" und „unchristlich" hinsichtlich der Renten gesprochen haben.
({62})
Wer hat es denn gemacht?
Ihr Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Farthmann, ein guter Kenner der Materie, hat im Jahre 1977 vor einer Akademie einen Vortrag gehalten - der Vortrag ist abgedruckt worden -, der hochinteressant ist und der sich zu der Frage äußert: „Wohin steuert die Sozialpolitik?"
({63})
- Es war vor der Arbeiterwohlfahrt. Er schreibt in dem Kapitel „Unsicherheit über die künftige Entwicklung" Sätze, bei denen wir der „sozialen Demontage" verdächtigt würden, wenn wir sie aussprächen. Er schreibt etwa:
Dr. Häf ele
Seit einiger Zeit ist nämlich nicht mehr zu übersehen, daß sich die heutige Sozialpolitik in einer gewissen Krise befindet ... Die Sozialpolitik hat in vielen Punkten finanzielle Grenzen erreicht.
Weiter heißt es:
Schließlich wissen wir alle, daß auch die Belastungen der öffentlichen Haushalte im Sozialbereich nicht mehr weiter gesteigert werden können.
Weiter spricht er von „Mißbräuchen bei sozialen Leistungen", er redet vom „Krankfeiern", und er spricht davon, „daß eine künftige Fortentwicklung der Sozialpolitik jedenfalls im Sinne bloßer Leistungserweiterung nicht mehr möglich ist, ..." sondern „daß die vorhandenen begrenzten Mittel anders verteilt werden müssen." - Meine Damen und Herren, das ist ein Sachkenner, der hier redlich argumentiert. Benützen Sie bitte, benützen wir alle im anstehenden Bundestagswahlkampf nicht dieses böse Wort, dieses giftige Wort von der „sozialen Demontage", wenn bestimmte Positionen in Frage gestellt werden müssen, weil sie der Bürger einfach nicht mehr finanzieren kann, es sei denn, um den Preis der Inflation.
({64})
Wir haben wiederholt die Bereitschaft bekundet, als Opposition verantwortlich mitzuhandeln, und wir erneuern diese Erklärung, wenn die Bundesregierung der Führungsaufgabe, die sie hat, gerecht wird. Wir haben das nicht nur gesagt, wir haben beim Haushaltsstrukturgesetz, als Sie 1975 Einschränkungen verfügen mußten, den Sparteil mitgetragen. Wir haben im Nachtragshaushalt 1978 gegen den Willen der Regierung die Zunahme der Neuverschuldung durch Sparmaßnahmen eingeschränkt und sie mitgetragen. Wir wiederholen unsere Bereitschaft. Es ist noch nicht zu spät. Wenn Sie die Führungsaufgabe wahrnehmen, wenn Sie diese Politik eröffnen, werden wir verantwortungsbewußt mithandeln, damit die Zukunft nicht verspielt wird. Wir wollen uns durchaus anders verhalten.
Herr Wehner, Sie haben vorhin zu erkennen gegeben, daß Sie es nicht gerne haben, wenn man einige Dinge aus der Vergangenheit bringt. Ich muß es aber zitieren, was Sie in einer umgekehrten Situation, nämlich 1966, als Sie in die Große Koalition wollten, gesagt haben. Da ging es um die gleiche Frage. Das komme nicht in Betracht, haben Sie damals gesagt, das sei Führungsaufgabe der Regierung: „Für wen halten Sie uns denn? Wir sind doch anständige Leute. Wir waschen doch nicht anderer Leute Wäsche." Natürlich haben Sie recht. Genau aus dem gleichen Grund kann es auch die Opposition heute nicht tun, weil Sie doch sofort mit der Gegenthese kämen: „Die wollen euch etwas wegnehmen!"
Helmut Schmidt sagte damals vor dem Deutschen Bundestag:
Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus der
Zwickmühle herauszuholen, in die sie sich selbst hineinmanövriert hat.
Das ist doch leider die Lage.
({65})
Nun noch eines, um das von vornherein zu entkräften: Sie reden immer von den vielen Anträgen, die wir stellten. Addieren Sie doch bitte nicht Diskussionsvorschläge oder Wünsche, die überall diskutiert werden, auch im Unionslager diskutiert werden - ich räume ja ein: vielleicht etwas zuviel diskutiert werden -, die aber auch bei Ihnen diskutiert werden. Wenn Sie dabei zu Listen mit Ausgaben- oder Steuersenkungsanträgen in Höhe von 50 oder 80 Milliarden DM kommen, so addieren sie Äpfel zu Birnen, Äpfel aus dem Jahre 1977, nämlich längst erledigte Dinge, zu Birnen aus dem Jahre 1980 oder gar aus dem Jahre 1984.
({66})
Halten Sie sich an die konkreten Anträge, die wir hier im deutschen Parlament in der jeweiligen Situation stellen! Die dürfen Sie aufaddieren, sonst nichts. Es wäre uns ansonsten ein leichtes, meine Damen und Herren, Ihnen nachzuweisen, daß Ihre Parteitagsbeschlüsse, Ihre Anregungen, Ihre Wünsche, wenn wir sie zusammenrechnen, mehr als 100 Milliarden DM ergeben.
({67})
Meine Damen und Herren, insgesamt geht es um eine grundlegende Kurskorrektur. Es geht nicht mehr um das Hinschieben oder Herschieben von ein paar Milliarden D-Mark auf der Ausgaben- und der Einnahmenseite. Wir sind in einer grundsätzlichen zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung, nämlich über die Frage: Was kann der Staat redlicherweise überhaupt noch leisten? Der Irrweg der Verbreiterung des „öffentlichen Korridors" führt nicht mehr weiter. Wir müssen zurückkehren zu der alten liberalen Weisheit, daß sich der Staat selbst beschränken muß. Wir als Christdemokraten und Christlich-Soziale nennen das das Subsidiaritätsprinzip. Dieses Prinzip muß wieder stärker in die Finanzpolitik und überhaupt in die Politik hinein.
({68})
Diese bittere Erkenntnis hat doch auch die Bundesregierung hinter sich gebracht. Warum hat denn der Bundeskanzler am 15. Januar dieses Jahres auf die Frage des Nachrichtenmagazins, was ihm am meisten Sorge mache, geantwortet: „Die Inflation der Ansprüche ist eine Gefahr?" - Das ist der gleiche Mann, der vor zehn Jahren an der Spitze der Langzeitkommission die Verbreiterung des „öffentlichen Korridors" betrieben hat. Jetzt erhebt sich die Frage: Welchen Standort hat der Bundesfinanzminister in dieser grundsätzlichen zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung? Welcher Finanzminister ist es denn? Ist es der Matthöfer, der diesem Nachrichtenmagazin am 29. Januar 1979 sagte: „Wer einmal die Geschichte des technischen Fortschritts studiert, wird überall auf staatliche Interventionen stoßen. Es gibt kaum eine Erfindung oder bahnbrechende Entwicklung der letzten 40 Jahre, die nicht auf staatliche Unterstützung zurückzu13436
führen ist"? Oder hat die baden-württembergische Landesregierung recht, die kürzlich in einem Strukturbericht geschrieben hat: „Die großen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur Baden-Württembergs seit 1960 sind vom Markt und nicht vom Staat bestimmt worden. Der Strukturwandel ist dank des Fleißes und der Einfallskraft von Arbeitnehmern und Unternehmern erzielt worden" ? Meine Damen und Herren, welcher Matthöfer ist es? Ist es der Matthöfer des Staatsinterventionismus oder ist es der, der schließlich einmal gesagt hat: „Die Nase des Unternehmers kann kein Staat ersetzen"? Wäre das der Lernprozeß, dann könnten wir einverstanden sein.
In unserem Land hat sich eine Subventionsgesinnung breitgemacht, die die Begehrlichkeit immer mehr weckt. Die öffentlichen Ausgabenprogramme, diese Töpfchenwirtschaft! Inzwischen gibt es einen „deutschen Subventionsführer" mit 747 Seiten - 275 öffentliche Töpfe auf allen Gebieten! Was machen wir denn nicht alles! Dahinter steckt der Glaube an die staatliche Machbarkeit aller Dinge, auch der Ökonomie. Und so wächst der Staatsanteil. So ist er gewachsen. So wachsen die Staatseingriffe, so wächst die Bürokratie. Das ist das Gegenteil von Sozialer Marktwirtschaft. Die Selbstverantwortlichkeit verkümmert. Die ersten Ergebnisse der Transfer-Kommission der Bundesregierung beweisen, daß die meisten Transferleistungen - manche sagen: schon 70 °/o - von den gleichen Leuten gezahlt werden, die die Transferleistungen erhalten. Da stimmt doch etwas nicht mehr. Das ist doch weitgehend ein In-sich-Geschäft geworden, wenn die gleichen Leute das, was sie da bekommen, zu 70 °/o finanzieren müssen.
Ich fasse zusammen. Die Union kann dem Weg der Regierung nicht folgen, weder ein Herunterführen der Schuldenzuwächse in den nächsten Jahren ernsthaft in Angriff zu nehmen noch das Ansteigen der Steuern zu verhindern.
Der Bundeshaushalt 1980 erweist sich bei genauer Analyse als ein Wahlkampfmanöver. Es soll der Eindruck erweckt werden, als „konsolidiere" die Regierung, obwohl sie es nicht tut, und es soll zugleich dem Bürger vorgemacht werden, daß 1981 eine Steuersenkung kommt. Zunächst wird der Steuerbürger geprügelt, und 1981 soll er noch dankbar sein, als ob der Staat Caritas-Hilfe geleistet habe, daß er nicht mehr so geprügelt wird. Das ist das Konzept, das dahintersteckt.
Daß es in einem Wahljahr auch anders sein kann, haben wir vor zehn Jahren erlebt. Da hat es die Große Koalition fertiggebracht. Das ist ein Verdienst Ihrer Partei und ein Verdienst meiner Partei. Das haben wir gemeinsam gemacht. Bundesfinanzminister war damals Franz Josef Strauß. Er hat nicht bloß im Wahljahr sämtlichen Verlockungen widerstanden, neue Schulden aufzunehmen - er hat keine Mark neue Schulden aufgenommen -, sondern er hat sogar Altschulden vorzeitig über den Plan hinaus zurückgezahlt, nämlich 1,2 Milliarden DM mehr, als im Plan vorgesehen waren. Keine Neuverschuldung im Wahljahr 1969 unter Bundesfinanzminister Strauß!
Bundeskanzler Schmidt hat nicht Wort gehalten. In seiner Regierungserklärung zu Beginn der Wahlperiode am 16. Dezember 1976 sprach er von einer „Neuverschuldung, die allerdings deutlich niedriger liegen muß als bisher". Genau dies ist in diesen Jahren nicht passiert. Der Bund verschuldet sich auch in diesem Jahr und in den kommenden zwei Jahren um das Doppelte des Betrags in den 20 Jahren von 1949 bis 1969 zusammengenommen.
Wir fordern die Regierung auf, doch noch eine gestaltende Finanzpolitik um unserer Zukunft willen zu eröffnen. Wir werden verantwortlich mithandeln, auch wenn es um unpopuläre Dinge geht. Aber Sie müssen Ihre Führungspflicht erfüllen. Doch die Führungspflicht kann man nur erfüllen, wenn sie nicht von Machern geleitet wird, sondern von Gestaltern.
Da dies keine gestaltende Finanzpolitik ist, sondern nur eine fortschreibende, können wir nur nein dazu sagen.
({69})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da haben wir sie also nun mal wieder gehört, die Wortkaskaden der Opposition, die ja sehr, sehr schnell versprühen, wie das bei Kaskaden so üblich ist, mit den Schlagworten von den heimlichen Steuererhöhungen,
({0})
Leistung würde bestraft, zu hohe Staatsverschuldung, Belastung der Enkelgeneration, Inflationsmentalität, Ende des Sozialstaats.
Erst seit vorgestern gibt es erstmals zaghafte und unzureichende Andeutungen eines Haushaltssprechers der Opposition, daß man Steuersenkungsforderungen wohl auch einige eigene Kürzungsideen hinzufügen muß, was man bisher großzügig der Regierung allein als Aufgabe anhängen wollte, obwohl diese ja gar keine Steuersenkungsvorschläge für 1980 macht. Man spürt - Herr Haase, Sie sind gemeint - das schlechte Gewissen des Haushaltsausschußmitglieds der Opposition gegenüber den leichtfertigen Ankündigungen der Kollegen der eigenen Couleur.
Aber diese Bemerkung muß ich nach der Rede von Herrn Häfele fast zurücknehmen. Er hat ja wieder die alte Arie gesungen: keine Ankündigung eigener konkreter Vorschläge, Kürzungen im Haushalt vorzunehmen; dazu ist sich die Opposition zu fein, das ist Sache der Regierung, sie muß führen. - Wir werden schon führen, Herr Häfele, keine Sorge, und zwar so, wie das im Matthöfer-Haushalt ja auch seinen Ausdruck fand.
({1})
- Was war das? Schmutzige Wäsche in Ihrem eigenen Bereich? Nein, davon wollte ich jetzt nicht reden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön.
Verehrter Herr Kollege, darf ich fragen, ob Sie sich der historischen Äußerung des Kollegen Wehner erinnern, der uns einmal fragte: Wer sind wir denn, was glauben Sie denn von uns? Wir waschen doch nicht anderer Leute schmutzige Wäsche! - Denken Sie einmal darüber nach!
Ich erinnere mich immer gern an historische Aussprüche meines Fraktionsvorsitzenden, Herr Haase. Ihre Aussprüche sind allerdings nicht so historisch. Was Sie vorgestern an Veröffentlichung in der „Welt" hatten, ist heute durch Ihren Herrn Häfele längst wieder zurückgezogen.
({0})
Bevor ich Ihnen sage, wie solide Haushalts- und Steuerpolitik aus einem Guß für die nächsten Jahre, gemeinsam getragen von den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten in ihrer Koalition, aussehen wird, will ich erst einmal all diese Schlagworte abräumen, die wir in der Rede von Herrn Häfele hier nun noch einmal vorgeführt bekommen haben.
Was heißt denn eigentlich „heimliche Steuererhöhungen" ? Hier ist überhaupt nichts heimlich. Hier wird nichts verheimlicht. Alles liegt offen zutage.
({1})
Der Haushalt weist es aus. Jeder Lohnstreifen des einzelnen gibt klare Rechenschaft. Die Steuerschätzungen zeigen offen den zu erwartenden Anstieg als Folge der durch unsere Politik verbesserten Wirtschaftsentwicklung. Das wird offen ausgewiesen und nicht verheimlicht. Deshalb wollen wir ja auch gemeinsam mit unserem Koalitionspartner gerade im Bereich der Lohnsteuer 1981 daraus Konsequenzen ziehen.
Es bleibt doch aber wohl bei der gemeinsamen, eigentlich von allen getragenen Grundauffassung, daß derjenige, der ein höheres Einkommen bezieht, auch mehr zu den gemeinsamen Lasten der Gemeinschaft durch höhere Steuern beitragen soll und daß die Belastungen des steigenden Einkommens sich progressiv steigern sollen, also nicht nur im gleichen Prozentsatz wie der Einkommenszuwachs. Meine Damen und Herren, wer in diesem Hause ist es denn, der den durchgehend progressiven Einkommensteuertarif fordert? Das sind doch Sie von der Opposition, nicht wir. Die Opposition will offensichtlich weg vom Proportionalsockel der Lohnbesteuerung. Das heißt doch, schon beim kleinsten Einkommen über die dann gesetzten Grundfreibeträge hinaus wird jede zusätzlich verdiente Mark progressiv höher besteuert. Der „Kummer" des einzelnen aus der Grenzsteuerbelastung, die Herr Häfele hier so bejammert hat, soll, wenn es nach der Opposition ginge, schon viel weiter unten anfangen
({2})
und nicht erst jenseits einer arbeitnehmerfreundlich gestalteten Proportionalzone.
({3})
Niemand von uns bestreitet, daß ein Progressionssteuertarifsystem, wie wir es haben - mit einer Proportionalzone gleich hoher Besteuerung für etwa die Hälfte der Lohnsteuerpflichtigen und darauf aufbauender Progressionszone mit ansteigenden Steuersätzen für die über diesen Sockel hinausgehenden Einkommensteile -, von Zeit zu Zeit einer Korrektur bedarf. Im Gegenteil, wir sind es doch gewesen, die gerade erst eine entscheidende Tarifkorrektur vorgenommen haben. Wir haben den Tarifsprung von 22 % auf gleich 30,8 % abgeschafft. Dieser von vielen bildhaft als Eiger-Nordwand bezeichnete Sprung ist weg. Das ist unsere Leistung; sie stand am Anfang dieses Jahres 1979.
({4})
Die Wirkung dieser grundlegenden Korrektur des Tarifs trat gerade erst vor neun Monaten ein. Die Steuerlastquote - wie oft müssen wir es denn hier noch sagen? - ist seit 1969 nicht gestiegen. Wenn man, wie dies korrekt ist, das allgemeine Wachsturn unserer gemeinsam produzierten Güter und Leistungen, also des Bruttosozialprodukts, zu den Steuerbelastungen in Vergleich setzt, ergibt sich, daß der Bürger heute nicht mehr, sondern weniger Steuern als 1969 zahlt. Damals war Strauß Finanzminister; darauf wurde eben schon aus anderen Gründen hingewiesen. Dazwischen liegen erhebliche Korrekturen zugunsten des Bürgers: 1975, 1977, 1979; die nächsten werden 1981 folgen.
({5})
Sie aber, meine Damen und Herren von der Opposition, wollen leichtfertig und ohne Berücksichtigung der wirtschafts- und finanzpolitischen Daten schon in vier Monaten, gleich nach einem Jahr, die nächste Operation veranstalten. Wollen Sie denn künftig jedes Jahr eine Tarifkorrektur im Steuerrecht vornehmen? Das ist doch Hektik, Herr Häfele!
({6})
Es ist Hektik ohne Vernunft. Wer schielt denn hier auf den Schlitz der Wahlurne im nächsten Jahr? Das sind doch Sie und nicht wir!
({7})
Sie werfen uns vor, wir wollten die Steuermehreinnahmen, die ja nicht da wären, wenn wir die Wirtschaft nicht in Gang gebracht hätten, wenn die Zahl der Beschäftigten nicht gestiegen wäre, wenn die Unternehmenseinkommen und die Löhne nicht stiegen,
({8})
zum Abbau der Neuverschuldung verwenden; das dürfe man nur durch Ausgabenkürzungen machen.
({9})
Ich darf zunächst zurückfragen, meine Damen und Herren: Wie machen es denn die von CDU und CSU geführten Bundesländer? Sehen Sie sich deren Haushalte doch einmal näher an! Wo sind denn da die gewollten, durch politische Entscheidungen bewußt realisierten Ausgabekürzungen? Wo schnallt denn Herr Strauß in Bayern den Riemen enger, um Schulden abzubauen? Das kann man da nicht finden. Ist es nicht Herr Späth, der ab 1. Juli dieses Jahres eine Geburtenprämie verteilen läßt und damit Ausgaben erhöht, obwohl Herr Strauß doch sagte, das Ende der Fahnenstange des Sozialstaats sei schon überschritten?
Um es gleich klarzustellen: Das ist nicht unsere Meinung. Aber es zeigt doch das Durcheinander der Provinzmeinungen innerhalb der Union.
({10})
Nein, es ist vernünftig und liegt auch im Interesse des Steuerzahlers, daß wir die Nettokreditaufnahme auch unter Inanspruchnahme von zuwachsenden Steuermehreinnahmen schrittweise herunterfahren, so, wie es die Bundesregierung jetzt im Nachtragshaushalt 1979 macht. 2,3 Milliarden DM sind schon eine Menge Holz. Die Steuermehreinnahmen werden ausschließlich dafür verwendet, die Neuverschuldung zu verringern. Nächstes Jahr machen wir das auch so, wenn die konjunkturelle Lage es zuläßt, was wohl zu erwarten ist. Ich habe zu diesem Thema sogar schon Beifall aus Ihren Reihen gehört. Oder, Herr Windelen, waren Ihre Fragen zu diesem Thema anders zu verstehen? Ich glaube, es ist richtig, was wir hier tun. Jeder kluge Wirtschaftspolitiker wird uns für diese Zeit und diese wirtschaftliche Situation bestätigen: Hier gehen wir den richtigen Weg.
Ich will die Auffassung nicht zurückweisen, daß der hohe Schuldenstand, der beim Bund eine Folge unserer notwendigen arbeitsplatzsichernden Konjunktur- und Strukturpolitik in den Jahren der Flaute und der Wirkungen des ersten Ölpreisschocks . gewesen ist, auch eine sparsame Ausgabenpolitik verlangt. Auch dies ist in dem im einzelnen vorliegenden Haushaltsentwurf 1980 verwirklicht. Das Volumen steigt gegenüber dem Vorjahr um 5,6 %, also geringer als das Wachstum des Bruttosozialprodukts, das 7 % ausmacht. Die meisten Einzeletats haben noch geringere Steigerungsraten. Nur an den strukturpolitisch richtigen Stellen - beim Wirtschaftsetat, beim Etat für Forschung und Technologie, bei der Entwicklungshilfe
- sind die Steigerungsraten mit Recht überproportional höher.
Aber das, was Sie von der Opposition vorhaben
- oder sagen wir besser: was Sie uns ansinnen -, ist wirtschafts-, sozial- und finanzpolitisch unvertretbar. Sie sagen: Steuersenkung 1980 und Abbau der Verschuldung. Ihre Einsparungsvorschläge - auf der Basis von Herrn Haase, nicht von Herrn
Häfele gesehen - sind zu pauschal und zu gering für das von Ihnen vorgeschlagene Volumen der Steuersenkungen. Sie denken wahrscheinlich wieder an die globale Minderausgabe und überlassen die eigentlichen Korrekturen und Konkretisierungen der Regierung.
({11})
Bis vorgestern jedenfalls - und heute erneut bestätigt durch Herrn Häfele - haben Sie uns die Aufgabe überlassen, sparsam zu wirtschaften, und von sich aus keine Kürzungsvorschläge gemacht.
Lassen Sie uns doch einmal erörtern, wie das aussieht. Straußens Streibl und nun auch Ihre Fraktion als Ganzes, die CDU/CSU, präsentieren eine Tarifkorrektur, wobei ich nicht weiß, Herr Häfele, ob wir das nun schon einrechnen müssen oder nicht, denn es liegt dem Bundestag nicht vor; denn Sie haben ja gesagt, wir dürften nur das einrechnen, was Sie uns hier vorlegen, und nicht alles, wovon Ihre prominenten Leute draußen reden. Wir kommen noch darauf zurück.
Jedenfalls wollen Sie Steuermindereinnahmen, Kürzungen, im Einnahmenbereich, in Höhe von etwa 8 Milliarden DM im Jahre 1980. Das ist ein Betrag, den man ja nicht, wie mein Kollege Löffler sagen würde, mit der Krümelbürste aus dem Haushalt herausfegen kann. Da muß man schon mit Kürzungen in Milliardenhöhe an die großen Brokken herangehen.
Nehmen wir uns einmal ein paar vor! Wie wäre es mit dem Verteidigungshaushalt? Abgesehen davon, daß wir Bedenken wegen unserer internationalen Verpflichtungen hätten, höre ich schon Herrn Wörner - auch Herr Häfele hat das angedeutet - dazu sagen, daß Sie das nicht mittragen würden. Ihnen - so könnte man erwarten - ist doch der unterproportionale Anstieg der Ausgaben im Rahmen dieses Einzelplanes schon zu gering. Von Herrn Strauß ist ja wohl auch keine Befürwortung zu erwarten. Ich habe dabei Herrn Strauß nicht in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratsvorsitzenden von MBB gemeint.
({12})
- Ist er noch mehr?
({13}) - Ja, ja, er paßt dort auf.
({14})
- Na ja, wissen Sie, das ist dort auch breiter. Der Einfluß eines solchen Aufsichtsratsvorsitzenden erstreckt sich dann nicht bloß auf den Airbus. Wir meinen, wir haben auch eine international vertretbare Größenordnung des Anstiegs des Verteidigungsetats gefunden.
Meine Damen und Herren, gehen wir auf der Suche nach Kürzungsmöglichkeiten aus der Sicht der
Opposition an den zweiten Brocken heran! Nach Herrn Strauß - Sonthofen - wäre wohl der Sozialetat dran. Wir sind stolz darauf, daß der Sozialetat der größte Brocken des Gesamthaushalts ist. Aber aus der Union gibt es da doch nur Mehrforderungen und keine Streichungsabsichten. Erziehungsgeld, Mutterschaftsgeld an alle, Familiengeld, Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kindersplitting sind nur einige Stichworte. Das sind z. T. durchaus wünschenswerte Vorhaben, wenn man Geld genug hätte, aber sie bringen doch keine Einsparungen, sondern gewaltige, nicht verkraftbare Mehrausgaben oder Mindereinnahmen.
({15})
Das alles ist ein unkoordiniertes Durcheinander bei der Opposition. Ich will Ihnen ganz klar sagen: Ein Einschneiden in das soziale Netz kommt für uns nicht in Frage.
({16})
Für uns ist der Ausbau des Sozialstaates nicht beendet. Wir werden sehr gezielt noch vorhandene Schwachstellen Schritt für Schritt beseitigen. Auch das spiegelt der vorliegende Etat.
({17})
Ich nenne die Senkung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte, freie Fahrt aller Schwerbehinderten im öffentlichen Personennahverkehr, Finanzierung des Mutterschaftsurlaubs, Heizkostenzuschuß für niedrige Einkommen und Verstetigung der Ausbildungsförderungsleistung.
Meine Damen und Herren, ich bin noch bei der Suche nach Einzelplänen, wo die Union uns Kürzungen von Ausgaben in Milliardenhöhe ansinnen möchte. Da ich Ihnen zugute halte, daß sie Massenentlassungen im öffentlichen Dienst nicht für richtig und möglich halten, bleibt also der Bereich der öffentlichen Investitionen. Ja meinen Sie denn im Ernst, es gäbe dort Streichungsmöglichkeiten in der von Ihnen vorgesehenen Größenordnung? Würden Sie das für sinnvoll halten? Das wäre doch Unsinn! Nach wie vor sorgt das staatliche Engagement für mindestens 1 % unseres Wirtschaftswachstums. Eine Verstetigung der Investitionsausgaben ist die konjunktur- und strukturpolitisch richtige Antwort. Diese gibt auch der Etat, und zwar an den richtigen Stellen. Nur im Baubereich ist es wohl angebracht, das, was wir uns im Programm Zukunftsinvestitionen und im Verkehrsbereich vorgenommen haben, ein bißchen langsamer zu verwirklichen, um die Preisentwicklung nicht überborden zu lassen. Aber einen Konjunktureinbruch durch Abstoppen der Investitionsausgaben selber zu produzieren, das dürfen Sie uns nicht zutrauen.
({18})
Um ganz sicher zu sein, daß ich kein wichtiges Feld von Einsparungsmöglichkeiten ausgelassen habe, sei hier auch das Problem des Subventionsabbaus angesprochen. Die Opposition hat dazu eine große Anfrage vorgelegt, mit der so ziemlich
alles, was man fragen kann, aus der Regierung her-ausgefragt werden soll. Nur sind darin nicht einmal in Frageform Überlegungen enthalten, bei welchen Subventionen im einzelnen man denn konkret auf Abbaukurs gehen könnte. Wenn es konkret werden soll, gibt es Fehlanzeige der Opposition.
({19})
Sehen Sie, da sind wir anders.
({20})
- In Kürze kommt es hier zum Schwur, Herr Kohl.
Die Neuordnung der Landwirtschaftsbesteuerung ist ein Teilabbau von Subventionen, auch wenn es dabei ganz vorrangig um mehr Gerechtigkeit in der Besteuerung der unterschiedlichen Gruppen landwirtschaftlicher Einkommen geht.
({21})
Aber was hören wir von der Union? Eine Absage, ein deutliches Nein zu unserer Konzeption. Herr Kreile sagt: Gesetz zur Auspressung der Landwirtschaft.
({22})
So gehen Sie an die Frage des Subventionsabbaus heran. Das können Sie nachher nicht einmal vor dem Verfassungsgericht vertreten; denn dahin käme es, wenn es so gemacht würde, wie Sie es meinen.
Ein weiteres Beispiel aus diesem Bereich: die familienfreundliche Neuorientierung des Bauherrenparagraphen 7 b des Einkommensteuergesetzes, verbunden mit der Korrektur der ungrechtfertigten, zweieinhalbfachen Subvention von Großverdienern beim Hausbau. Da liegen uns aus der Opposition nicht etwa Zustimmungen, sondern Anträge und Forderungen vor, die Grenze für die Abschreibungsberechtigung nach oben zu schieben, ohne dies in eine - natürlich etwas zeitaufwendige - Gesamtreform einzubeziehen.
Ich könnte diese Reihe fortsetzen. Aber es ist schon deutlich genug geworden, daß bei Ihnen als Opposition mit einer verantwortungsbewußten, die Einnahmen- und die Ausgabenseite des öffentlichen Haushalts umfassenden, die Wirtschaftslage entsprechend berücksichtigenden Finanzpolitik eben leider nicht zu rechnen ist.
Wer nur einmal die seit Januar 1979 - nichts Älteres ist dabei, Herr Häfele - von prominenten CDU- und CSU-Sprechern veröffentlichten Forderungen auf Steuersenkungen der verschiedensten Art addiert, kommt auf nicht weniger als 83 Milliarden DM. Herr Häfele, da sind nicht etwa irgendwelche Dinge zusammengezogen, bei denen wir nicht damit rechnen müssen, daß sie von Ihnen vor diesem Haus vertreten würden, sondern da kommen die Namen Strauß, Häfele, Streibl und Späth vor, von denen Sie doch durch die Wahlen in Ihren Organisationen gesagt haben, das seien für Sie wichtige Leute, also keine unwichtigen, so daß wir
das nicht einfach vernachlässigen können. Es sind also 83 Milliarden DM allein im Jahre 1979.
Wer das hinzufügt, was die Opposition im gleichen Zeitraum über die Absichten der Bundesregierung und der Koalition hinaus an Forderungen für Mehrausgaben genannt hat, müßte noch zweistellige Milliardenzahlen dazurechnen. Das ist doch schon fast unglaublich. Aber dazu gehören die Namen Ihrer prominenten Politiker. So etwas müßten Sie vorher hier abräumen.
Im übrigen stehen seit heute - auf Grund Ihrer Fraktionssitzung - allein für ein Jahr 8 Milliarden DM als Ihre Forderungen neu im Raum. Wir nehmen an, daß Sie das vor diesem Hause werden konkretisieren wollen.
An einem einzigen Tag hat Herr Späth für gleich vier Jahre 45 Milliarden DM Steuersenkungen, Kindergelderhöhung und Neueinführung von Kinderfreibeträgen gefordert. Man weiß nicht einmal, ob er dabei die anderen, vorher angekündigten Forderungen in ebenfalls zweistelliger Milliardenhöhe zurückgezogen hat oder nicht, ob sie also noch addiert werden müssen. Da kann man doch gar nicht anders schlußfolgern als: Sie wollen unser Gemeinwesen ausbluten lassen,
({23})
Sie wollen unsere ausgewogenen, die Wirtschaftsentwicklung beachtenden Staatsfinanzen kaputtmachen. Das werden wir zu verhindern wissen.
Meine Damen und Herren, ich habe mich schon darüber gewundert, daß das Wort von den durch die Sozialdemokraten geleerten Kassen aus Ihrem Repertoire herausgenommen worden ist. Aber dieses Wort kann man ja nun auch nicht mehr verwenden, wenn die Überschrift in der „Bild"-Zeitung über der Darlegung der Finanzpolitik des Herrn Strauß mit den Worten beginnt: „Wenn die Staatskassen voll sind ..." - Schön wär's ja, wenn's so wäre.
Aber zu dieser finanzpolitischen Kandidatenaussage muß noch ein Wort hinzugefügt werden. Da steht ja als Forderung nicht nur „Senkung des Lohn- und Einkommensteuertarifs", da steht auch wörtlich: „weiterer Abbau der ertragsunabhängigen Steuern, z. B. Vermögensteuer, Gewerbeertragsteuer und Gewerbekapitalsteuer". Herr Strauß müßte eigentlich wissen, daß die Gewerbeertragsteuer keine ertragsunabhängige Steuer ist, aber: geschenkt.
Nun weiß jedenfalls jeder, der lesen kann: ein paar Mark im Monat weniger Lohnsteuer bei den Arbeitnehmern, und dann kräftig herunter bei den Steuern auf Vermögen und Gewerbekapital;
({24})
das sind dann eben nicht bloß ein paar Mark im Monat.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen von der Union, wir lassen die Wirtschaft nicht hängen. Wir wissen um die Bedeutung der kleinen und der
mittleren Betriebe und um ihre Sorgen. Wir haben nämlich schon Entlastungen beschlossen,
({25})
hier in diesem Haus!
({26})
Am 1. Januar 1980 und am 1. Januar 1981 werden sie in Kraft treten. Da ist die Abschaffung der Lohnsummensteuer. Das haben Sie doch nicht gemacht, Herr Häfele. Wenn Sie sich dazu bekennen, das mitgemacht zu haben, okay, aber sagen Sie dann bitte genauso ehrlich, daß Sie sich auch dazu bekennen, diesen problematischen Kinderbetreuungsbetrag mit beschlossen zu haben, weil Ihre Rückschrittsabsicht, Ihr politischer Fehlschluß hinsichtlich der Kinderfreibeträge von uns in gar keinem Falle befürwortet werden kann.
({27})
Sie müssen schon zum Ganzen stehen und können nicht aussortieren, was Sie und was wir gemacht haben.
Ich gebe Ihnen zu, das war eine problematische Sache. Gerade als Ruhrgebietsabgeordneter hat man es in der Frage der Lohnsummensteuer nicht leicht gehabt. Aber bitte, Sie sind baden-württembergischer Abgeordneter. Tun Sie da unten einmal etwas, damit die Konsequenzen, die dort gezogen werden müssen, nämlich daß die Wirtschaft diese Vorteile durch Senkung der Hebesätze bei den Gewerbesteuern auch erhält, damit sie auch tatsächlich beschlossen werden
({28})
in den Gemeinden, die Sie mit Bürgermeistern und Oberbürgermeistern politisch besetzen.
Meine Damen und Herren, da war nicht nur die Abschaffung der Lohnsummensteuer, dá ist auch die Erhöhung der Freibeträge bei der Gewerbeertrag- und der Gewerbekapitalsteuer, da ist die Freistellung von der Besteuerung für einen Teil der Schulden eines Unternehmers. Da sind kommende Steuersenkungen von etwa 5 Milliarden DM, die in der Wirtschaft wirken werden. Man darf etwas burschikos hinzufügen: Die sind nun nicht nochmals dran. Das müssen Sie wohl einsehen. Die Freude über diese Steuersenkungen steht ja 1980 und 1981 noch bevor.
Ein Wort muß hier noch zur Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern gesagt werden. Alle Daten zeigen eindeutig, daß die Deckungsquoten von Bund und Ländern weiter zuungunsten des Bundes auseinanderlaufen. Während der Bund 1979 nur 85,6 °/o seiner Ausgaben durch eigene Steuereinnahmen decken kann, werden die Länder eine Deckungsquote von 91,9 °/o erreichen. Für 1981 verbessert sich .die Deckungsquote des Bundes nur um 1 °/o auf 86,6 °/o, die Länder aber können 94,9 °/o ihrer Haushalte - also 3 °/o mehr - durch Steuereinnahmen finanzieren, können also den Entschuldungsvorgang schneller voranbringen.
Nach Art. 106 des Grundgesetzes müßte dies zu
einer Neuverteilung der Umsatzsteuer führen, bei der der Anteil des Bundes erhöht wird. Trotz dieser Rechtslage waren die Länder nicht bereit, ein Zugeständnis zu machen. Das ist schlimm, schlimm insbesondere, wenn man daran denkt, daß dies den Grad der Neuverschuldung des Bundes erhöht, obwohl der Bund schon 60 °/o aller Schulden der drei Gebietskörperschaften aufnehmen muß, während sein Haushalt 40 °/o der Ausgaben aller staatlichen Ebenen enthält. Es ist auch schlimm, wenn man an die EG-Finanzierung denkt und an andere wachsende internationale Aufgaben, die der Bundesetat allein tragen muß.
Sie werden mir vielleicht entgegenhalten, daß alle Länder sich so abweisend verhielten. Es ist schwer, dem zu widersprechen. Aber es wäre doch denkbar, daß diejenigen Länder, die auf dem Wege der Ergänzungszuweisungen - als finanzschwache Länder - noch weitere 1,5 °/o des Umsatzsteueraufkommens vom Bund erhalten, da etwas zurückhaltender wären. Sie sind es nicht. Das sind alles CDU/CSU-geführte Länder: Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Saarland.
Aber fragen wir doch einmal andersherum. Wo war in dieser Auseinandersetzung, die Monate dauerte, die Stimme der Union auf Bundesebene? Keine einzige ist uns bekanntgeworden. Sie werfen uns hier zu hohe Neuverschuldung vor. Aber wenn es um die gerechtere, dem Grundgesetz entsprechende Neuverteilung des Steueraufkommens geht, durch das die Neuverschuldung des Bundes deutlich gemindert werden könnte, dann spielen Sie die tote Maus. Dann lassen Sie den Bund im Stich. Das ist weder fair noch politisch vernünftig, wenn Sie an Ihre Zukunft denken, die Sie wollen, nicht wir.
({29})
Vielleicht äußern Sie sich einmal hier, meine Damen und Herren von der Opposition, bevor Sie weiter die Verschuldensarie singen. Finanzpolitik des Bundes solide zu gestalten, ist offensichtlich nicht Ihre Sache. Wir müssen das allein tun und werden es auch, einschließlich der Abwehr aller Ihrer Wahlgeschenkverkündigungen tun.
Die Wirtschaftslandschaft, in der wir unsere haushalts- und steuerpolitischen Ziele für die nächsten Jahre abstecken, ist günstiger gestaltet als in den vergangenen Jahren, als es durch umfangreiche staatliche Förderungsprogramme galt, die rezessiven Wirkungen insbesondere des ersten Ö1preisschocks abzuwehren, verbunden mit der konjunkturpolitisch richtigen Konsequenz einer steigenden hohen Schuldenaufnahme. Die Tatsache, daß die Arbeitslosenzahl deutlich zurückging, daß die Beschäftigtenzahl anwächst, daß die Unternehmer in diesem Jahr ihr Einkommen um 12 °/o steigern werden und daß sie investieren, daß die Kapazitäten der Betriebe im Durchschnitt fast wieder normal ausgelastet sind, daß die Auftragsbücher gut gefüllt sind und daß selbst in Arbeitsmarktproblemgebieten Facharbeiter gesucht werden - diese
Tatsachen sind doch nicht von allein eingetreten. Sie sind Folgen unserer Politik.
({30})
Sicher gehört auch zu den Tatsachen, daß bei ansonsten positivem Datenkranz die Preissteigerungsrate angestiegen ist, zum erstenmal seit Mitte 1974. Auch der volkswirtschaftliche Laie weiß, daß ein Unternehmer dann bei den Preisen zulegt, wenn er meint, auch zum erhöhten Preis seine gesuchten Produkte verkaufen zu können. Sie wollen uns doch, meine Damen und Herren, nicht weismachen und nicht im Ernst einreden, daß die Erhöhung der Umsatzsteuer um 1 °/o bzw. 1/2 °/o bei den Lebensmitteln die Preissteigerungen erklären würde. Das wären, wenn sie tatsächlich alle auf die Preise umgelegt würden, 0,6 °/o oder 0,7 °/o des Preisanstiegs. Auf die Widersprüchlichkeiten des Herrn Strauß will ich hier gar nicht länger eingehen, der einerseits den selbst bei einigen seiner eigenen CDU-Ministerpräsidentenkollegen gescheiterten Versuch unternahm, die von ihm mit beschlossene Umsatzsteuererhöhung - maßvolle Umsatzsteuererhöhung - rückgängig zu machen, aber in seiner Selbstdarstellung in der „Bild"-Zeitung vom 8. Juni dieses Jahres vor allem die Besteuerung des Verbrauchs als den Weg ansieht, mit dem Steuersenkungen im Einkommensbereich ausgeglichen werden müssen. Das ist ja wohl widersprüchlich, was uns dort entgegenklingt.
Zu den Preisentwicklungsfragen! Die vermutliche Fünf vor dem Komma bei den Preissteigerungen in den nächsten Monaten ergibt sich nur zum geringen Teil aus den angehobenen Umsatzsteuern. 11/2 °/o gehen auf das Konto der neuen überdimensionalen Olpreissteigerungen. Die Importe, deren Wert bei uns ein Drittel des Bruttosozialproduktes ausmacht, haben sich vom Sommer 1978 bis heute um 16 °/o versteuert. Man kann sehen, aus welcher Richtung die Schwierigkeiten für uns kommen.
Die Fünf ergibt sich aber auch aus dem so außerordentlich günstigen Preisniveau des vergangenen Jahres, in dem wir in den Herbstmonaten nur etwas über 2 °/o Steigerung gegenüber dem Vorjahr hatten. Das gibt, so möchte ich sagen, die Hoffnung, daß der Fortfall der Einmalwirkung im nächsten Jahr und eine konsequente Politik der Preisstabilität uns 1980 wieder auf bessere, niedrigere Raten bringen werden. Regierung und Bundesbank werden sich da nicht auseinanderdividieren lassen.
({31})
Wenn wir also für die Gegenwart und die überschaubare Zukunft von positiven Wirtschaftsdaten ausgehen können, dann ist die erste Konsequenz, die unsere Finanzpolitik daraus zieht: Es gibt gegenwärtig keinen konjunkturpolitischen Handlungsbedarf des Staates.
({32})
Die Leute, die uns einreden wollen: „Dunkle Wolken für das nächste Jahr", die müssen erst einmal zu gegebener Zeit und nicht verfrüht konkrete Belege bringen, die nachprüfbar sind.
Ich will hier aber auch hinzufügen: Wenn sich im nächsten Jahr, z. B. bewirkt durch die Folgen der Ölpreiserhöhungen und die Rezessionswirkungen draußen in der Welt bei unseren großen Austauschpartnern, negative Zeichen zeigen sollten, dann wird die Bundesregierung konjunkturpolitisch handlungsbereit und, vor allen Dingen, handlungsfähig sein. Wer da - auch das sei hinzugefügt - wie ein Kaninchen auf die Schlange nur auf die Steuerpolitik als Instrument blickt, der ist schief gewickelt.
({33})
Da gibt es auch auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte wirkungsvolle Instrumente, die z. B. den Verbrauch - oder was sonst in einer solchen Eventualsituation notwending sein könnte - anzuregen in der Lage sind.
({34})
Nur ist dies nicht die heutige Lage. Es ist auch nicht die Erwartung für das kommende Jahr. Dies ist nur die Verdeutlichung, daß wir auf der Grundlage solider Finanzpolitik und eines mehrseitigen Instrumentariums im Eventualfall handeln könnten und handeln würden. Um etwas anderes handelt es sich dabei nicht.
Die Lage, wie sie ist und wie wir sie weiter erwarten können, zeigen auch die Entscheidungen der Bundesregierung für den zweiten Nachtragshaushalt, ebenso die Ansätze im Etatentwurf 1980. Ich will das eine dicke Beispiel einmal nennen. In diesem zweiten Nachtragshaushalt 1979, der uns jetzt hier mit vorliegt, werden die Zuschüsse des Bundes an die Bundesanstalt für Arbeit deutlich zurückgeführt werden. Um 1,5 Milliarden DM können wir noch im Jahre 1979 die Mittel zur Dekkung von Kosten der Leistungen an Arbeitslose kürzen, weil unsere Politik dazu führte, daß diese Arbeitsuchenden wieder einen Arbeitsplatz und damit eigenen Verdienst und eigenes Einkommen haben.
({35})
Die zweite Konsequenz aus der geschaffenen positiven Wirtschaftsentwicklung ist die Verstetigung der öffentlichen Investitionsausgaben. Wir können uns verstärkt der Modernisierung unserer Wirtschaft zuwenden und dabei insbesondere den Problemgebieten bei ihren eigenen Anstrengungen helfen. Ich denke da besonders an das Ruhrgebiet und an die Küste.
({36})
Die dritte Konsequenz ist: Der Ausbau der sozialen Sicherheit geht weiter. Ich habe die konkreten Schritte in diesem Haushalt schon genannt. Wer uns aber, auf welchen Umwegen auch immer, ein Einschneiden in das von uns geschaffene Netz sozialer Sicherheit einreden will, der beißt bei uns auf Granit.
({37})
Sehen sie, Herr Häfele, ich habe das Wort, das Sie uns dauernd auszureden versuchen, gar nicht gebraucht, Ihnen aber von der Sache her den Nachweis geführt: Dort liegen die inhaltlichen Möglichkeiten Ihrer Ankündigungen - das wird aber immer vertuscht -, wenn Sie irgendwo kürzen wollten. Wir sagen hier: Da läuft nichts. Dies ist unser Verdienst. Das haben wir geschaffen. Diese soziale Sicherung lassen wir uns von anderen nicht zerschneiden oder kaputtmachen.
({38})
Die vierte Konsequenz: Wir setzen die gezielte Arbeitsmarktpolitik fort, um insbesondere den Problemgruppen behinderten, älteren und nicht genügend ausgebildeten Arbeitnehmern zu helfen, einen Arbeitsplatz und damit selbst erarbeiteten eigenen Verdienst zu bekommen.
({39})
Die fünfte Konsequenz ist ganz eindeutig. Im Jahre 1980 wird der neue Zuwachs von Schulden deutlich gebremst. Auch wenn ich alles, was Sie uns vorgeredet haben, Herr Häfele, noch einmal Revue passieren lassen müßte - ich tue es nicht -: Die Planung des Vorjahres für 1980 wird um 5 Milliarden DM heruntergesetzt, und das ist eindeutig ein Vorgehen in Richtung auf eine Konsolidierung der Haushalte. Wenn die Steuerschätzungen am Ende der Haushaltsberatungen es erlauben, werden wir auch diese Mittel, die dort über die bisherigen Schätzungen hinaus neu zuwachsen, zur Senkung der Nettokreditaufnahme unter die unbestritten hohen 28 Milliarden DM für 1980 verwenden.
Das geschieht alles, obwohl uns eigentlich noch ein paar Milliarden DM aus der Umsatzsteuer zur weiteren Senkung zustehen würden, die nur wegen des starren Länderverhaltens diesen zur Senkung ihrer Verschuldung nun dienen werden. Die geringere Beanspruchung des Kapitalmarktes ist konjunkturpolitisch richtig und hilft uns, den hohen Sockel der Verschuldung mit seinen hohen Zinsbelastungen nicht in unvertretbare Größen wachsen zu lassen.
Herr Häfele, hier ist vielleicht die Stelle, wo ich auf das zurückkommen muß, was in diesem Hause eigentlich nicht hätte gesagt werden dürfen. Was Sie mit Ihrem Vergleich der Schuldenhöhe ausgedrückt haben - bezogen auf völlig andere Wirtschafts- und Währungsverhältnisse am Ende des Krieges und der Nazizeit -, kann man nur niedriger hängen. Das war wirklich ein Punkt, bei dem man Ihnen nur raten kann: Lassen Sie sowas in diesem Hause nach der Rede des Präsidenten von gestern.
({40})
Außerdem war es volkswirtschaftlicher Unsinn. Sie sind wohl gelernter Volkswirt, ich nicht. Aber ich glaube, ich kann Ihnen das nachweisen. Wollen Sie denn sagen, daß all die Länder in der Welt, die in dieser Gegenwart höher als wir verschuldet sind - auch wenn man aus der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs rechnet; das sind zum Beispiel die USA, England, Belgien und mehr als die Hälfte der Industriestaaten dieser Erde, mit denen wir im Austausch stehen -, mit ihrer viel höheren VerWestphal
schuldung - wir liegen da im unteren Durchschnitt - bankrott wären? Das ist doch volkswirtschaftlicher Unsinn!
({41}) Allein von daher stimmt der Vergleich nicht.
Wir haben bei den Schulden zwar eine - niemand von uns bestreitet das - deutlich ansteigende Linie durch unsere Konjunkturpolitik mit Gegensteuern, mit Schuldenaufnehmen. Aber bezogen sowohl auf den einzelnen Einwohner,, als auch bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft, liegen wir bei der Verschuldung nach wie vor in der Mitte und nicht etwa an der Spitze.
({42})
Deswegen ist auch von dieser Seite der politisch niedriger zu hängende Vergleich, den Sie vorhin gebracht haben, unsinnig und muß zurückgewiesen werden.
({43})
Und schließlich: Ich habe bereits gesagt, daß es die Logik unseres Lohn- und Einkommensteuertarifs ist, daß er von Zeit zu Zeit korrigiert werden muß, um die Belastung für diejenigen, die in die progessive Besteuerung ihrer zusätzlichen Einkommensteile hineinwachsen, zu verzögern. Eine Änderung des Steuertarifs mit einer deutlich spürbaren Entlastung, insbesondere der kleineren Einkommen und der Facharbeitereinkommen, ist von uns für Anfang 1981 terminiert; von uns, das heißt: gemeinsam von den Partnern der Koalition in Übereinstimmung zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten. Wir lassen uns hier, meine Damen und Herren, lieber Herr Häfele, eben nicht in die Hektik hineinreden, die Sie uns andichten wollen. Allein die Logik widerspricht doch dem, was Sie hier gesagt haben. Sie sagen, daß Sie in vier Monaten ein ganz ausgezeichnetes steuerpolitisches Tarifkonzept entwickeln wollen, und reden uns ein, die wir das in irgendeiner Form, über die es zu reden gilt
({44})
- natürlich, wir lassen uns eben nicht in Hektik hineinreden. Sie würden vier Monate lang Hektik und dazu noch volkswirtschaftlich Falsches machen -,
({45})
für 1981 vorbereiten werden, daß man so lange nicht warten könne. Wir wollen eine Änderung des Steuertarifs mit einer deutlich spürbaren Entlastung - ich sage das noch einmal -, insbesondere der kleineren Einkommen und der Facharbeitereinkommen, für 1981. Wir lassen uns hier nicht in
Hektik hineinreden.
({46})
- Bitte, Sie können es öfter haben! - Wir machen einen Schritt nach dem anderen und nicht mehrere Schritte gleichzeitig. Wir machen nicht - auch das lassen Sie sich sagen - durch Klein-Klein im Jahre 1980 eine wirklich greifende Entlastung im Jahre 1981 unmöglich.
Auch die Wahlen im kommenden Jahr werden uns nicht von solider Finanzpolitik abbringen, für die - das kann man erkennen - gerade auch die arbeitenden Menschen in unserem Lande Verständnis haben werden. Mit Recht lehnen die Gewerkschaften eine Verbindung von Lohnforderungen mit steuerpolitischen Maßnahmen ab. Herr Häfele, Sie sind da mit Ihren Überlegungen völlig allein. Sowohl die Unternehmerseite und die Gewerkschaften als auch
({47})
sonst alle draußen haben nun deutlich gemacht, daß sie die Verbindung von Lohnforderungen mit steuerpolitischen Maßnahmen eben nicht für einen gangbaren und richtigen Weg halten, sondern ihn ablehnen. Auch wir tun dies.
Meine Damen und Herren, jeder draußen wird uns an dem, was hier gesagt und vorgeschlagen worden ist, was die Regierung in ihrem Etat vorgelegt hat, und an dem, was jetzt an steuerpolitischen Überlegungen vorgetragen wird, 1980 messen können. Jetzt beraten wir erst einmal diesen Haushalt für 1980, den letzten vor der Wahl. Für den Rest der Legislaturperiode erwartet uns darüber hinaus harte Arbeit im steuerpolitischen Bereich: gerechtere Gestaltung der Landwirtschaftsbesteuerung, Abbau des Mißbrauchs von Abschreibungsmöglichkeiten durch Einschränkung des negativen Kapitalkontos, steuerliche Erleichterungen im Bereich der Vereinsbesteuerung, verbunden mit weiteren Schritten der Steuervereinfachung, wobei es sich um Schritte handelt, die nicht nur der Verwaltung, sondern vor allem auch dem Bürger spürbar nützen, steuerliche Absicherung des Künstlersozialversicherungsbereichs und Verlängerung und Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten im Bereich des Umweltschutzes, also genau das, was die Bundesregierung in der Diskussion über die Hilfen für den Bereich der Ruhr - entsprechend ihren Möglichkeiten - zugesagt hat.
Meine. Damen und Herren, ich habe Ihnen nun das vorgetragen, was man wohl so in etwa als unser Programm für die nächsten Jahre solider Finanzpolitik bezeichnen kann. Vor uns liegt der Matthöfer-Haushalt, dem wir hinsichtlich seiner Grundannahmen und hinsichtlich seines Inhalts zustimmen und den wir nun im Haushaltsausschuß im einzelnen zu beraten haben.
({48})
- Gehen wir an die Arbeit, Herr Glos. Denn wir sind es, die im Interesse der Bürger, die uns hier hergesandt haben, die Entscheidungen zu treffen haben.
({49})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der gestern vom Bundesfinanzminister eingebrachte Entwurf des Bundeshaushalts 1980 macht in seiner eher bescheidenen Zuwachsrate die Ernsthaftigkeit der Bemühungen um die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen sichtbar. Nun ist allerdings dem Herrn Kollegen Häfele zuzugeben, daß „Konsolidierung" dafür ein zu großes Wort ist.
({0})
Denn es geht zunächst einmal darum, mühsam die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir die Staatsfinanzen wirklich konsolidieren können. Aber gerade deshalb stehen wir in der Finanz- und Haushaltspolitik vor den beiden Problemkreisen Konsolidierung und Steuerentlastung. Auch hier müssen Prioritäten gesetzt werden, und auch die Opposition kann diesem Zwang nicht ausweichen.
({1})
Bei dem Problemkreis Staatsverschuldung hat Herr Kollege Häfele die Frau Kassandra bemüht - das ist verständlich -, und er hat beklagt, daß, sie mit ihren Rufen bisher so wenig bewirkt hat. Leider hat aber offenbar Herr Häfele und leider haben die verehrten Kollegen von der Opposition von der Dame überhaupt nichts dazugelernt;
({2})
denn uns empfiehlt Herr Häfele, auf Frau Kassandra zu lauschen, während er und die Opposition sich die Ohren verstopfen. Nur weil Sie sich selbst so abschirmen, können sie im Augenblick als seltsame Alternative und als Ihr Oppositionskonzept der Bevölkerung die Beglückung mit den Steuererleichterungen zur Unzeit nahebringen wollen.
({3})
Die Fraktion der Freien Demokraten nimmt jedenfalls mit Genugtuung zur Kenntnis, daß die Konsolidierungspolitik jetzt Vorrang hat. Doch kann uns das vorgelegte Zahlenwerk dabei noch keineswegs zufriedenstellen. Die Minderung der Staatsverschuldung muß noch konsequenter betrieben werden. Aber schon mit dem Haushalt 1979 ist trotz der auf ihm lastenden Verpflichtungen aus dem Weltwirtschaftsgipfel versucht worden, die notwendigen Konsequenzen aus der sich abzeichnenden verbesserten Wirtschaftslage zu ziehen. Bis 1978 mußten Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme mit dem hohen Preis der Staatsverschuldung finanziert werden. Danach waren stützende Maßnahmen zum Wachstumsausgleich nicht mehr nötig.
({4})
Da eine Kreditfinanzierung bei wirtschaftlicher Erholung wahrlich nicht mehr als produktiv bezeichnet werden kann, galt es, bereits in diesem Haushaltsjahr den Eilmarsch in die Verschuldung zu stoppen. Der Entwurf des Zweiten Nachtragshaushalts, der hier gleichzeitig zur Beratung ansteht
und über den der Herr Bundesfinanzminister gestern auch ausführlich referiert hat, macht für alle deutlich, daß nicht nur die neuen Aufgaben voll durch Einsparungen finanziert sind, sondern auch, daß die Steuermehreinnahmen zur Senkung des Kreditbedarfs verwendet werden. Wenn wir uns erinnern, daß im Haushaltsentwurf der Bundesregierung noch ein Kreditbedarf von über 35 Milliarden DM vorgesehen war und wir jetzt den Ermächtigungsrahmen über den Zweiten Nachtragsetat auf knapp 29 Milliarden DM senken, und wenn wir wissen, daß sich der Finanzminister - das haben wir im Haushaltsgesetz festgelegt - darauf noch die 3 Milliarden DM anrechnen lassen muß, die er noch aus dem Jahre 1978 in der Kasse hat, dann gibt es hier real eine Korrektur von 10 Milliarden DM. Dieser Posten kann sich in der Verschuldenspolitik des Bundes und auf dem Kapitalmarkt durchaus in positiver Weise sehen lassen; denn das schlägt zu Buche.
({5})
Damit passen wir den Haushalt 1979 der konjunkturellen Aufwärtsbewegung an, in der sich unsere Volkswirtschaft seit dem Frühjahr 1978 befindet. Es gibt auch gute Gründe für die Annahme, daß die erfreuliche Konjunkturlage im Jahre 1980 anhält. Zwar ist wohl mit einer gewissen Abschwächung zu rechnen, aber der vereinzelt geäußerte Pessimismus scheint denn doch fehl am Platze. Dafür spricht, wie mir scheint, schon die positive Produktionsentwicklung der Industrie für das nächste Jahr.
Es kommt hinzu, daß nach übereinstimmender Auffassung der Preisauftrieb, der Ende dieses Jahres zwar durchaus 5 °/o übersteigen kann, 1980 wieder unter 4 °/o absinken wird. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß es beim 01 keine neuen Preissprünge gibt und daß die Unternehmer Augenmaß und Disziplin bei der Preisgestaltung beweisen.
Meine Damen und Herren, die Gewerkschaften haben gezeigt, daß sie willens und fähig sind, das uns außenwirtschaftlich abverlangte Opfer mitzutragen. Sie werden die gezeigte gesamtwirtschaftliche Verantwortung aber längerfristig nur dann durchhalten, wenn deutlich bleibt, daß die. uns allen auferlegten Lasten auch möglichst gerecht verteilt sind und verteilt bleiben.
Nun ist zu fragen: Wo bleibt bei diesen beschwörenden Appellen an die Vernunft der Gewerkschaften und der Unternehmer das Vorbild des Staates? Die Erhöhung der Mehrwertsteuer scheint eher ein schlechtes Beispiel zu sein; ihre negativen Auswirkungen auf den Preisanstieg kann niemand leugnen. Und doch haben jedenfalls alle Haushaltspolitiker aufgeatmet, als sie beschlossen wurde, denn sie war und bleibt unverzichtbar für den Beginn der Konsolidierungsmaßnahmen. Schließlich ist bei einer Gesamtstaatsverschuldung von 420 Milliarden DM - davon 210 Milliarden DM Bundesschulden - ein gefährliches Potential erreicht, das mit einer tickenden Zeitbombe vergleichbar ist.
({6})
Für die Folgewirkungen ist es nun völlig gleichgültig, wie berechtigt, wie zwingend und wie notwendig die Kreditfinanzierung im einzelnen in den vergangenen Jahren gewesen ist; die daraus heute und für die Zukunft resultierende Last jedenfalls kann kein Haushaltspolitiker verdrängen. Die Zins-und Tilgungsraten legen bereits heute eipen Großteil der künftigen Staatseinnahmen so fest, daß es keinen operativen Handlungsspielraum in der Finanzpolitik mehr gibt. Dabei hat es doch nicht erst des zweiten Ölschocks bedurft, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß es für uns noch wichtige große und kostspielige Aufgaben gibt, die es zu lösen gilt. Herausforderungen nennen wir das und meinen dabei unter anderem Energiepolitik mit der Kraftanstrengung der Entwicklung neuer Technologien, die uns vom 01 etwas weniger abhängig machen sollen. Wir meinen damit Entwicklungspolitik und das in einem umfassenden Sinn mit dem Ziel der wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung der Länder der Dritten Welt. Wir meinen damit die Rückgewinnung und Sicherung der Vollbeschäftigung im Inland. Wir denken an die Familienpolitik, die mehr und mehr in den Mittelpunkt unserer Diskussion gerät. Wir denken doch aber wohl zuallererst auch an die Fähigkeit, wieder handlungsfähig zu sein, wenn die Konjunktur erneut staatliche Steuerungsmaßnahmen verlangen sollte.
({7})
Es mutet aber wie Hochstapelei an, wenn wir die Lösung von Aufgaben versprechen, für die uns die finanziellen Mittel fehlen. Beschaffen können wir sie uns nur durch die Konsolidierung des Haushalts.
({8})
Im übrigen verfügt der Haushalt mit seiner derzeitigen Schuldenlast auch über keinerlei Reserven mehr, um Rückschläge aus Bürgschaftsverpflichtungen auffangen zu können. Das Beispiel Iran hat aber doch wohl allen gezeigt, daß die Ubernahme solcher Garantieverpflichtungen risikoreicher geworden ist. Wir müssen deshalb, wenn wir auch in diesem Teil unserer Politik seriös bleiben wollen, auch dafür den finanziellen Handlungsspielraum beschleunigt schaffen.
Konsolidierung der Staatsfinanzen kann natürlich nicht nur auf die Einnahmeseite des Haushalts beschränkt bleiben. Zu nachhaltiger Wirkung werden wir nur durch eine Änderung auch der Ausgabenstruktur kommen.
Schon der zweite Nachtragshaushalt 1979 liefert - so will es uns scheinen - für die Haushaltsberatung 1980 den ersten kritischen Ansatz. Da das Haushaltsvolumen 1979 unverändert bleibt, beträgt die Steigerungsrate des Bundeshaushalts 1980 5,6 %. Nach den Vorankündigungen des Bundesfinanzministers sollte die Steigerung aber nur 5 % betragen.
Damit sehe ich die erste uns gestellte Aufgabe darin, die Absicht des Finanzministers in die Tat umzusetzen und die Ausgaben um 1 Milliarde zu kürzen. Es sollte dabei vielleicht gar nicht einmal sein Bewenden haben, denn was uns der Finanzplanungsrat in seiner Sitzung vom Mai 1979 auf den Weg gegeben hat, gilt es im Sinne einer antizyklischen Haushaltsgestaltung zu beherzigen.
Der Haushaltsplan wird deshalb ganz allgemein darauf abzuklopfen sein, was von der Erklärung des Bundesfinanzministers zu halten ist, daß die Rückführung des Defizits bereits durch die sehr knapp bemessenen Ausgabenansätze eingeleitet wurde. Dabei verdient jeder Einzelplan die gleiche kritische Aufmerksamkeit.
In das Konzept der Konsolidierung sind die Vermehrung um 2 500 Planstellen und eine großzügige Stellenhebung nur schwer einzuordnen.
({9})
Hier scheint es sich doch vielleicht mehr um Bürokratisierung als um Konsolidierung zu handeln.
({10})
Aber diesem Punkt werden wir ja wohl bei der Einzelberatung im Haushaltsausschuß unsere besondere Aufmerksamkeit zu widmen haben.
({11})
Milton Friedman hat von den vier Möglichkeiten gesprochen, Geld auszugeben: eigenes Geld für eigene Bedürfnisse, eigenes Geld für andere, anderer Leute Geld für eigene Interessen und schließlich anderer Leute Geld für andere. Nach Friedman gibt es zwischen den Methoden ein klares Gefälle, und zwar meint er, daß die Leichtfertigkeit, mit der das Geld ausgegeben wird, rapide zunimmt. Genau darin sieht er den Grund für die öffentliche Verschuldung und die Inflation.
In der Tat, meine ich, stellt sich für uns alle, die wir fremdes Geld treuhänderisch verwalten, täglich die Frage, ob unsere Entscheidung vor dem Steuerzahler dieser und der nächsten Generation guten Gewissens verantwortet werden kann.
({12})
Dies ist die finanzpolitische Gretchenfrage unserer Zeit. So gesehen macht denn auch die für 1980 geplante hohe Nettokreditaufnahme des Bundes von immer noch gut 28 Milliarden DM besorgt. Es kann deshalb gar nicht überraschen, daß das Petitum der Deutschen Bundesbank in ihrem Monatsbericht vom Juli 1979 auf einen stärkeren Abbau des Defizits der öffentlichen Haushalte gerichtet blieb. Die Schuldenhöhe produzierte einen Zinsdruck, der der Preisentwicklung wahrlich nicht gut bekam.
Nicht von ungefähr, sondern um die sich rasant beschleunigende Staatsverschuldung zu stoppen, habe ich für die Freien Demokraten in der dritten Lesung des Haushalts 1979 deshalb eine Tendenzwende unserer Haushaltspolitik gefordert. Bei aller Würdigung der von der Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen und der entwickelten Zielvorstellungen kann es uns deshalb noch nicht zufriedenstellen, daß die Nettokreditaufnahme über ei13446
nen längerfristigen, stark reduzierten Ausgabenzuwachs mit Steigerungsraten von 5 °/o erst bis 1983 auf 20 Milliarden DM zurückgebildet werden soll. Wir können uns nicht - wie Esel mit dem Heubündel an der Stange - dadurch in Trab halten lassen, daß uns die Konsolidierung immer erneut für die nächste Zukunft in Aussicht gestellt wird.
({13})
- Gerade die Opposition sollte angesichts ihrer neuen Steuerideen mit ihren Zwischenrufen hier ganz vorsichtig sein.
({14})
Niemand wird die sachlichen Schwierigkeiten leugnen wollen, die diese Aufgabe mit sich bringt.
({15})
- Geben, verehrter Herr Kollege Kohl, ist nun einmal seliger denn Nehmen.
({16})
- Passen Sie einmal auf; ich will Ihnen sagen, warum Sie das so genau wissen. Mindestens insoweit, so scheint mir, sind alle Parteien von einer christlichen Haltung durchdrungen.
Meine Damen und Herren, Konsolidierung ist ein hartes Geschäft, weil eben zu viele Interessen miteinander kollidieren. Wenn wir aber nach den Jahren äußerster finanzieller Anspannung das Intervall wirtschaftlicher Erholung nicht nutzen, werden wir mit unserer Finanzpolitik Schiffbruch erleiden.
({17})
In Sachen Konsolidierung der Staatsfinanzen müßten wir nun eigentlich völlige Übereinstimmung erzielt haben. Man durfte ja auch gestern noch erwarten, daß wir die notwendigen Operationen mit großer Geschlossenheit durchführen können. Auf die Forderung der Freien Demokraten nach einer Kurskorrektur hat der Bundesfinanzminister zwar zunächst noch mit spürbarem Unwillen reagiert, und natürlich tut er sich angesichts der Arbeitsmarktprobleme und der Verpflichtung, den Haushalt zur Globalsteuerung einzusetzen, schwer; zu keiner Zeit hat er aber den Zustand der Staatsfinanzen - und dieser war angespannt und beklagenswert - aus den Augen verloren. Deshalb haben Bundesfinanzminister und Bundesregierung - der Haushaltsplan 1980 weist das aus - die Zeichen der Zeit erkannt und die Ratschläge der Deutschen Bundesbank beherzigt.
Die Opposition aber schien für die Politik der Konsolidierung geradezu ein selbstverständlicher, ein notwendiger Partner zu sein. Der Ministerpräsident Bayerns hat denn auch in der Sitzung des Bundesrates vom 16. Februar 1979 die Forderung nach Haushaltssanierung und den Vorrang dieser Forderung für richtig gehalten und ausdrücklich
unterstützt. Er hat diesem seinem Votum noch die knallige Formulierung vorangestellt, daß die Höhe der Neuverschuldung nur. als eine Maßnahme zur Ausbeutung der nächsten Generation angesehen werden kann.
Es schien damit der seltene Zustand erreicht, daß in einer so wichtigen innenpolitischen Frage alle Parteien an einem Strang und in einer Richtung ziehen. Endlich schien die Vernunft das Feld zu beherrschen. Wahlkampf und Rollenspiel von Regierung und Opposition schienen - jedenfalls vorübergehend - überwunden.
Da flippten in der Sommerpause die ersten aus und gingen auf den Steuertrip. Gewiß: Steuerpolitische Maßnahmen stehen an, und die Forderung nach Vereinfachung und Tarifkorrektur wird in allen Parteien diskutiert. Sie ist schon deshalb unerläßlich, weil die Tarifanpassung bei einem Steuersystem mit Progressionswirkung als Dauerthema auf der Tagesordnung bleiben muß. Diese Diskussion läßt sich selbst dadurch nicht vermeiden, daß das drückende Defizit der öffentlichen Haushalte langsam überhandnimmt.
Aber gerade die Erfahrung mit dem Haushalt 1979 - diese sollte wahrlich noch hautnah genug sein - müßte jedem eingebläut haben, daß Konsolidierung und Steuererleichterung nicht gleichzeitig zu haben sind.
({18})
Die Haushaltssanierung ist schon seit dem einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestags vom 13. April 1978 zur vordringlichen Aufgabe geworden. Und doch wurde ihre Durchführung zunächst unmöglich und mußte vertagt werden, als nach dem Weltwirtschaftsgipfel der deutsche Beitrag mit einem Steuerentlastungspaket erbracht werden mußte.
Meine Damen und Herren, beklagt haben das alle - natürlich nicht die Steuerentlastungen, die hat insbesondere auch die Opposition bejubelt. Aber über die Folgewirkung, nämlich daß wir die Konsolidierung 1979 nicht energisch genug anpakken konnten, hat die Opposition Zeter und Mordio geschrien. Das hat sie allerdings nicht daran gehindert, gleichzeitig weitere Steuererleichterungen zu fordern und mehr Ausgaben zu versprechen. Genau an diesen schrecklichen und in sich widersprüchlichen Punkt knüpfen Sie heute an. Genau das hat Herr Kollege Häfele hier heute, wie ich meine, darstellen müssen, aber in wenig überzeugender Weise.
Meine Damen und Herren, gesicherte Erkenntnis sollte sein, daß den Problemen unseres Haushalts wie der Steuerpolitik nicht mit kurzen Rauschzuständen beizukommen ist. Wie beim Drogenmißbrauch - ich sage das, weil darüber in der Haushaltsrede gesprochen wurde - klingt die stimulierende Wirkung nur allzu schnell ab, und nach dem Katzenjammer stellen sich die Dauerschäden ein. Wenn wir den kränkelnden Haushalt gesunden lassen wollen, dann muß die Kur endlich anschlagen, und dies verlangt eine Konsequenz der Mittel. Dann müssen wir einsehen, daß der unumgängliche
Defizitabbau einseitig auch über Ausgabenkürzungen nicht zu bewerkstelligen ist. Der Kürzung der öffentlichen Leistungsquote und des öffentlichen Leistungsangebots sind nun einmal Grenzen gesetzt. Familien-, Sozial-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitiker werden uns allen dies sehr schnell immer wieder deutlich machen. Aber ohne Selbstbescheidung auf allen Ebenen wird es keine durchgreifenden Veränderungen geben.
Eine Konsolidierung der Staatsfinanzen kann nur dann erfolgreich betrieben werden, wenn wir die Empfehlung des Finanzplanungsrats auch für die Einnahmenseite beherzigen. Deshalb müssen alle durch den Konjunkturaufschwung bewirkten Mehreinnahmen zur Senkung des Kreditbedarfs eingesetzt werden. Die Bundesregierung hat versprochen, sich danach zu richten; der Nachtragsetat 1979 hat es belegt. Für 1980 werden wir sie beim Wort nehmen.
Die Freien Demokraten werden sich jedenfalls von dieser Linie nicht abbringen lassen. Mit den für 1980 doch ebenfalls zu erwartenden Steuermehreinnahmen und mit den Einsparungen auf der Ausgabenseite wird und muß es uns gelingen, den Kreditbedarf des Bundes für 1980 unter die 25-Milliarden-Marke zu drücken.
Nur wenn wir uns so verhalten, erlangen wir im übrigen auch die Legitimation, um der Bundespost erneut eine Sonderablieferung an den Bundeshaushalt in Höhe von 1,5 Milliarden DM aufzuerlegen. Erfreulicherweise ist die Bundespost in der Lage, diese Hilfe zu leisten; aber, meine Damen und Herren, genausowenig wie wir uns an die hohe Schuldenaufnahme im Bundeshaushalt zu gewöhnen bereit sind, darf dieser Vorgang nicht zu einer Gewohnheit werden.
({19})
Die Bundespost und ihre Kunden können nicht das Pumpwerk stellen, mit dem die Kreditlinien des Bundeshaushalts gesenkt werden.
({20})
Das alles gibt aber doch nur dann einen Sinn, wenn das finanzpolitische Ziel der Haushaltskonsolidierung unbeirrt verfolgt wird und wenn wir uns auch nicht durch Steuerverlockungen davon abbringen lassen.
({21})
Meine Damen und Herren, die Opposition in diesem Lande macht sich selbst etwas vor, wenn sid Konsolidierung der Staatsfinanzen und gleichzeitig Steuererleichterungen verspricht. Wenn sie jetzt mit der Steuerentlastungsparole ausschwärmt, aus welchen Gründen auch immer - ein Schelm, der dabei an Wahlen denkt -, wird sich der Bürger nichts in die Tasche lügen lassen. Es wird damit nur leichtfertig jene Finanzmasse verplempert, die dringend für die Sanierung der Staatsfinanzen gebraucht wird.
({22})
Und dabei wird nun Jahr für Jahr im Männerchor
der Opposition unter der Stabführung seines bayerischen Dirigenten die Arie vom Staatsbankrott angestimmt. Meine Damen und Herren, die Opposition führt zwar ständig das Wort Konsolidierung im Mund, aber wenn es ernst wird, dann läßt sie die Arbeit andere erledigen und wendet sich angenehmeren Dingen zu.
({23})
Dabei kann ich mir nicht gut vorstellen, daß sich die Opposition plötzlich jenen zuneigt, die die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte über eine expansive Haushaltspolitik erreichen wollen und die auch für die Priorität der Stabilität eigentlich nicht mehr so das rechte Gespür haben.
Die Freien Demokraten aber werden diesen Sirenenklägen nicht folgen. Der Teufel läßt sich hier nicht mit Beelzebub austreiben. Die Geschichte der Konkurse macht jedenfalls deutlich, daß die drükkenden Schulden nicht dadurch zu beseitigen sind, daß man fröhlich weitere Schulden macht.
({24})
Dennoch will die Opposition ein Steuerpaket schnüren, das mit Rückgabe inflationsbedingter kleinlicher Steuererhöhung deklariert wird. Wenn die Mehrheit des Bundesrates unter Federführung des Kanzlerkandidaten der Opposition dieses Paket auf den Weg bringt, dann mag die Bundesratsmehrheit doch bitte dafür auch die dringend nötigen zusätzlichen Mittel gleichzeitig offerieren.
Nach meinem Verständnis bedeutet das, daß die Länder dem Bund bei dieser Gelegenheit dann endlich einen höheren Anteil an den gemeinsamen Steuern zubilligen müssen.
({25})
Angesichts des immer größer werdenden Umfangs der vom Bund zu finanzierenden gesamtstaatlichen Aufgaben ist dieser Punkt ohnehin schon lange erreicht. Wenn die Mehrheit des Bundesrates in einem Augenblick, in dem alle Kräfte für die Konsolidierung des Haushalts angespannt werden müssen, zusätzliche Steuererleichterungen durchsetzen will, dann muß damit jedenfalls eine Neuverteilung der Finanzmasse einhergehen.
Aber, meine Damen und Herren, lassen wir uns durch solche Überlegungen nicht in unserer Arbeit beirren! Der vorgelegte Haushaltsplan kann zu einer guten Grundlage für die Politik des nächsten Jahres werden. Ich bin überzeugt, daß das Parlament die Fähigkeit und Kraft hat, die Konturen des Haushaltsentwurfs noch so zu verbessern, daß daraus sogar ein vorzügliches Instrument für die erfolgreiche Politik dieser Bundesregierung wird.
({26})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Haase ({0}).
Gnädige Frau! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
Haase ({1})
Die zwei zentralen Fragen unserer Finanzpolitik sind im Grunde genommen zwei Problemtatbestände, Herr Bundesfinanzminister, die aus der Politik der gegenwärtigen Regierungskoalition resultieren.
Problem Nummer eins, das Sie verursacht haben, ist die zunehmende leistungshemmende Belastung mit direkten Steuern, sind die heimlichen Steuererhöhungen, verursacht durch das Zusammenwirken von Progression und Inflation.
Problem Nummer zwei, Herr Bundesfinanzminister, das auch Sie und Ihre werten Herren Vorgänger unter Assistenz Ihrer Koalition verursacht haben, ist die von Jahr zu Jahr steigende Schuldenlast der öffentlichen Hände.
An diesen zwei Zentralproblemen unserer Politik haben Sie, verehrter Herr Matthöfer, zwar mit Geschick, aber leider vorbeiargumentiert. Dies kennzeichnet leider Ihre ganze Einbringungsrede.
({2})
Wenden wir uns dem zweiten Problem, dem Schuldenstand des Bundes, zuerst zu. Unser Schuldenstand wird erstmals in diesem Jahr die Summe der Ausgaben übersteigen,
({3})
viermal so hoch wie 1973, dreimal so hoch wie 1974 und fast doppelt so hoch wie 1975 sein und bis 1983 nochmals um 100 Milliarden DM oder 50 % ansteigen.
Aber da malt unser Kollege Westphal Bilder vom Paradies auf Erden an den Horizont! Herr Westphal, so mag es vielleicht in einem sozialistischen Paradies aussehen; aber das führt nicht zu einem guten Ende, verehrter Herr Kollege.
({4})
- Sehr gut, Herr Vorsitzender! - Allerdings liegt die Nettokreditaufnahme unter den Ansätzen des letzten Finanzplans. Das ist übrigens für 1980 auch nur möglich, weil Sie entgegen früheren Erklärungen wieder einmal die Telefonbenutzer zur Finanzierung der Bundesausgaben heranziehen.
Bei dieser Gelegenheit gleich eine Bemerkung zu dem von mir geschätzten Kollegen Hoppe. Herr Hoppe, Sie beklagen denselben Tatbestand. Es zeichnet Sie leider aus, daß Sie oft im Verein mit der CDU/CSU die Widrigkeiten aufführen und beklagen, aber dann nicht konsequent bleiben. Denn ich frage: Warum unterstützen Sie dann nicht unsere Initiative beispielsweise darin, die Telefonbenutzer vor dieser konfiskatorischen Ausbeutung durch die Regierung zu schützen?
({5})
Helfen Sie uns doch, lieber Herr Hoppe! Sie sollten nicht immer nur gegenüber dem Publikum den Kraftmax spielen und erzählen, was Sie alles tun wollen, dann aber, wenn es darauf ankommt, sagen: Leider, leider sind die Verhältnisse nicht so, daß wir das bewirken könnten. Nein, Herr Kollege
Hoppe, nicht nur Gutes wollen, Gutes tun, das ist die Devise!
({6})
Nach Ihren eigenen Zahlen aber bauen Sie nicht nur den Schuldenberg nicht ab - das wäre sicher eine Überforderung -, sondern der Schuldenzuwachs, also der Betrag, um den sich der Schuldenberg Jahr für Jahr erhöht, wird bei Ihren sogenannten Konsolidierungen nach Ihren Vorstellungen nicht geringer, sondern Jahr für Jahr größer.
({7})
Zumindest bleibt er, verehrter Herr Hoppe, bis 1981 auf etwa gleicher Höhe; auch 1980 und 1981 wird der Schuldenzuwachs zur Haushaltsfinanzierung jeweils in einem einzigen Jahr doppelt so hoch sein wie in den 20 Jahren von 1950 bis 1969 zusammen. Ich werde Ihnen das immer wieder vorhalten, solange die Wähler mir die Gunst schenken, hier stehen zu dürfen: Meine Damen und Herren, wir haben in 20 Jahren mit CDU/CSU-FDP-Regierungen weniger Schulden gemacht, als Sie praktisch in einem halben Jahr aus der Westentasche finanzieren.
({8})
Das sollte man in dieser Republik bei der Beurteilung der Finanzwirtschaft einmal bedenken.
({9})
Deshalb, meine Damen und Herren, ist auch der neue Haushalts- und Finanzplan nicht durch Konsolidierung oder gar Sanierung ausgezeichnet. Im Gegenteil, Herr Bundesfinanzminister, im bürgerlichen Leben würde man dieses Verhalten schlicht als Wechselreiterei qualifizieren. Ich glaube, das Publikum draußen weiß wohl, was mit „Wechselreiterei" gemeint ist. Das, was Sie hier mit Ihrer Schuldenwirtschaft betreiben, ist öffentlich-rechtliche Wechselreiterei!
({10})
Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit benutzen Sie die sogenannte Konsolidierung - bei Ihnen muß man tatsächlich immer „sogenannte Konsolidierung" sagen, um die Anführungsstriche herauszustellen, die hier angebracht sind - nur als Argument, um den von uns geforderten Abbau der heimlichen Steuererhöhungen zu verhindern. In Wirklichkeit wird die „Konsolidierung" wieder einmal auf eine ferne Zukunft vertagt, die vorerst nur in den Sternen steht.
Der Herr Kollege Häfele hat vorhin aus der Regierungserklärung 1976 zitiert. Daran anschließend muß ich bemerken: Die Regierung hat mit der erneuten Vertagung des Schuldenabbaus ein Kernziel ihrer Politik doch anscheinend aufgegeben. Wir müssen uns hier einmal dem Herrn Bundeskanzler zuwenden. Er hat sich wohl als zu schwach erwiesen.
({11})
- Er ist leider nicht da, er muß regieren, deswegen ist er nicht hier bei seinem Haushalt. - Der
Herr Bundeskanzler hat sich als zu schwach erwieHaase ({12})
sen, das von ihm selbst als richtig Erkannte in die harte Realität umzusetzen. Meine Damen und Herren, hier zeigt es sich wieder einmal: Das von ihm, von Herrn Schmidt, äußerlich sicher gut dargestellte Bild des tatkräftigen Machers ist doch mehr Schauspiel als Wirklichkeit, ist mehr Hans Albers als Adenauer oder Bismarck. Das ist doch so, nicht?
({13}) Der Kanzler ist kraftlos.
({14})
- Er hat gut gespielt, sehr gut gespielt.
({15})
Ich will ihm auch nicht zu nahe treten. Sicher, manche Qualität von Hans Albers fehlt natürlich Herrn Schmidt.
({16})
Aber, meine Damen und Herren, zum Ernst der Lage zurück: Die von Herrn Schmidt zu verantwortende Schuldenwirtschaft des Bundes behindert eine dauerhaft befriedigende gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Und das Tragische an der Sache ist: Künftige Generationen - und das ist unter dem Gesichtspunkt langfristiger Politik eine ganz perfide Sache - sollen die trügerischen Wohltaten bezahlen, in deren Glanz sich die jetzige Regierungskoalition noch immer sonnt. Ich sah förmlich vorhin, verehrter Herr Kollege Westphal, wie Sie hier so markig, gut deutsch - ich habe dafür was übrig, das wissen Sie ja -, so markig-teutonisch, als ob hier zehntausend versammelt wären - leider waren wir nur einhundert -, vortrugen, was das nun alles für positive Dinge seien. Aber künftige Generationen, Herr Kollege Westphal, werden die Leidtragenden sein, wenn nicht doch noch in absehbarer Zeit Einhalt geboten wird. Wer die Schuldenpolitik dieser Regierung anprangert, wer dagegen angeht, nimmt in erster Linie die Belange unserer Jugend wahr, unserer Kinder und Enkel, deren Ressourcen Sie heute leider leichtfertig vertun.
Gerade wegen dieser hohen Schuldenzuwächse steht auch der neue Finanzplan gesamtwirtschaftlich auf brüchigem Fundament. Die gesamtwirtschaftliche Projektion will bis 1983 Jahr für Jahr ein reales Wachstum von 4 °/o im Durchschnitt erreichen, Jahr für Jahr also die jetzt in diesem Jahr erreichte Größenordnung beibehalten. Das geht aber nach dem Zahlenwerk der Regierung nur, wenn die Investitionen bis 1983 eineinhalbmal so stark steigen wie das Bruttosozialprodukt. Der Staat wird, ebenfalls nach diesen Zahlen, hierzu kaum etwas beitragen. Im Gegenteil. Wenn Sie, verehrter Herr Matthöfer, in Ihrer Rede den Eindruck zu erwecken versuchen, die Investitionen des Bundes würden steigen oder sogar überproportional steigen, so ist das nicht zutreffend. Im Plan für 1980 sind die Ausgaben für Investitionen niedriger als 1979. Bis 1983 sollen sie nur noch insgesamt also nicht Jahr für Jahr, um 3 °/o steigen. Das deckt noch nicht einmal den Preisanstieg für ein Jahr, geschweige denn für vier Jahre ab. Deshalb
liegt die Last in Zukunft ausschließlich bei den privaten Investitionen, und zwar noch viel stärker, als der Bundeswirtschaftsminister es selbst noch im vergangenen Jahr für möglich gehalten hat. Hier aber wird es problematisch. Denn für die Finanzierung gibt es nur folgende Möglichkeiten: entweder wird für die Wirtschaft wieder das Fremdmittelangebot vergrößert, indem der Staat, besonders hier der Bund, seine durch Schulden gedeckten Defizite ganz erheblich verringert - und das ist bis 1981 ja nicht vorgesehen -, oder die Unternehmensgewinne steigen auf Dauer um soviel stärker als die Löhne, daß die zusätzlichen Investitionen aus Eigenmitteln finanziert werden können - ich befürchte, da werden die Gewerkschaften langfristig nicht mittun -, oder aber die Bundesbank lockert die geldpolitischen Zügel. Denn unter diesen Bedingungen kann dann die Handlungsfähigkeit des Staates nur noch mit allerhöchsten Inflationsraten aufrechterhalten werden.
({17})
Das letzte würde zwangsläufig noch mehr Inflation bedeuten. Inflation aber fördert nicht das Wachstum - das haben wir uns ja nun schon an den Schuhsohlen abgelaufen -, sondern hemmt und verhindert es und schafft zusätzliche Beschäftigungsrisiken.
Dazu eine Bemerkung. Auch das haben wir doch in letzter Zeit wieder erfahren. Wenn Sie, Herr Westphal, hier darauf hinweisen, daß soundso viele Mitbürger es dieser Regierung verdanken, daß sie in Arbeit und Brot gekommen sind, dann gestatten Sie mir die bescheidene Frage, wenn Sie das für sich in Anspruch nehmen: wer hat sie denn aus Lohn und Brot und Arbeit erst vertrieben? Darüber muß man sich ja auch einmal Gedanken machen, Herr Kollege Westphal, wenn Sie sich hier in die Sonne legen vor dem deutschen Publikum.
({18})
Mit Recht warnt die Bundesbank im Juli-Bericht, daß die anhaltend starke staatliche Neuverschuldung zu Lasten der weniger zinsrobusten Unternehmen und zu Lasten der privaten Bauherren geht und damit die private Investitionstätigkeit dämpft. Die Großen, gegen die Sie ja sind - angeblich -, aber deren Nähe man doch immer wieder sucht, wie man immer wieder wahrnimmt,
({19})
die Großen, „die Bösen", die Zugang zu den internationalen Finanzmärkten haben, die können sich natürlich helfen. Die Leidtragenden sind vor allem - wie bisher und immer wieder - unser gewerblicher Mittelstand und darüber hinaus die Eigenheimbauer und nicht zuletzt auch wieder die Sparer - die kommen auch dran.
Als ich am 27. Juni von dieser Stelle hier sagte:
. das Gespenst der Inflation geht wieder um, kaum daß das Wachstum richtig Tritt gefaßt hat,
als ich auf das stark zunehmende Tempo der Preissteigerungen hinwies, erhob der Herr Kollege
Haase ({20})
Wehner lauthals Protest - der eine oder andere wird sich noch erinnern können -, nur weil ich es gewagt habe, die damals erreichte Monatsrate auf eine Jahresrate von 6 °/o hochzurechnen. Schon im August aber hatten wir auch im Jahresvergleich eine Inflationsrate von fast 5 °/o, genau sind es 4,9 °/o.
Als Folge der Sonderentwicklungen im Vorjahr, die uns eine zum Teil auch vom Ausland importierte Stabilität schenkten, sehen wir uns der Tatsache gegenüber - dem wird mit Sicherheit auch der Wirtschaftsminister nicht widersprechen -, daß es, selbst wenn die Preise für den Rest des Jahres 1979 auf dem Auguststand eingefroren werden könnten, im Oktober zu einem Preisanstieg - im Vergleich zum Vorjahr - um 5,1 % kommen wird. Da aber ein Stillstand unwahrscheinlich ist, dürfte die Rate leider noch höher ausfallen.
Meine Damen und Herren, um hier einmal ein Märchen auszuräumen: Das liegt auch nicht am Ö1 allein. Sie haben immer Ihre Buhmänner, die, wenn sich die Sache für Sie schlecht zeigt, hervorgeholt werden: Die Multis, die internationalen Konzerne, die Ölscheichs.
({21})
- Die Nummer wird im Augenblick gespielt.
Es liegt nicht am Ö1 allein, da die daraus hergestellten Produkte im Warenkorb nur einen Anteil von 3 °/o haben. Das wissen Sie so gut wie wir. Diese Entwicklung hat vielmehr in ganz erheblichem Umfange hausgemachte Ursachen. Ohne Berücksichtigung von Ö1 und Ölprodukten sind die Lebenshaltungskosten zuletzt mit einer Jahresrate von 41/2 °/o, die Erzeugerpreise der Industrie, in denen sich die Mehrwertsteuererhöhung noch nicht niedergeschlagen hat, die vielmehr erst in einem halben Jahr oder später auf die Verbraucherpreise durchschlagen wird, mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 6 °/o gestiegen, wohlgemerkt: ohne Ö1 und ohne Mehrwertsteuer. Für die Zukunft ist also noch eine Menge auch an hausgemachter Inflation zu erwarten. Es gehört schon Optimismus dazu, auf dieser Grundlage für das nächste Jahr mit einer Inflationsrate von nur 4 °/o zu rechnen, jener Inflationsrate, von der unser Ex-Kanzler Willy Brandt einmal sagte, da beginne es dann ernst zu werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, wo beginnt es denn bei Ihnen ernst zu werden?
In dieser stabilitätspolitisch wie auch wachstumspolitisch bedrohlichen Lage kommt von der Finanzpolitik keine Entlastung. Im Gegenteil, der Abbau der heimlichen Steuererhöhungen wird abgelehnt, die als Folge jahrelanger liederlicher Finanzpolitik betriebene Schuldenwirtschaft fördert die Inflation.
({22})
Sie behindert die Geldmengenbegrenzungspolitik der Bundesbank, die allein sichern kann, daß aus der Ölpreiserhöhung nicht dauerhaft eine echte Inflation als Folge einer übergroßen Geldmenge wird. Die viel zu große Kreditnachfrage des Staates, hier insbesondere des Bundes, hat zu einem massiven Anstieg der Zinsen um bisher rund 8 °/o geführt und damit die Kostenbelastung der Wirtschaft wesentlich erhöht - zwangsläufige Ursache für weiter steigende Preise. Ein Kollege aus Ihrer Fraktion, Herr Bundesfinanzminister, hat die Mehrbelastung der Wirtschaft durch 1 °/o Zinserhöhung auf 8 Milliarden DM quantifiziert. Das ist weit mehr, als, eine entsprechende Anhebung der Löhne kostet. Unmittelbar schlägt der Anstieg der Hypothekenzinsen durch erhöhte Mieten auf die Verbraucherpreise durch. Wie können Sie, verehrter Herr Finanzminister, trotzdem behaupten, es gebe keine Probleme am Kapitalmarkt, der Staat fülle nur Lücken aus?
Um nicht aufzeigen zu müssen, in welchem Umfang die Neuverschuldung des Bundes die Verschuldensobergrenze nach Art. 115 GG, nämlich die Summe der Investitionen, überschritten hat, haben Sie, Herr Matthöfer, seit 1978/79 eine Reihe von Umbuchungen vorgenommen und bisher als konsumtiv ausgewiesene Ausgaben mit dem Markenstempel „investiv" versehen. Ohne diese Tricks in einer Summe von etwa 5 Milliarden wird auch im nächsten Jahr trotz fast boomartiger Konjunktur die Verschuldensobergrenze des Grundgesetzes nach den Zahlen des Haushaltsplanes noch immer fast erreicht.
Franz Josef Strauß hat schon vor Jahren davor gewarnt, daß wegen des Tempos der Schuldenzuwächse der Zeitpunkt immer näher rückt, in dem die Zinsen höher sind als die Kredite. Nach Ihrem eigenen Finanzplan, Herr Bundesfinanzminister, ist dieser Zeitpunkt bereits 1983 erreicht. Häfele hat heute morgen schon einmal darauf hingewiesen. Der Schuldendienst überschreitet dann erstmals die Summe der aufgenommenen Schulden. Der Kredit hat damit seine Aufgabe, zusätzliche werbende, zukunstsorientierte Staatsaufgaben zu Lasten künftiger Generationen zu finanzieren, endgültig verloren. 1983 müssen von jeder eingenommenen Steuermark über 10 Pf an Zinsen gezahlt werden.
Dann werden wir mit den Lasten der Verschuldung, der Zinsquote, also im Verhältnis von Zinsen und Gesamtausgaben, auch international in die Spitzengruppe aufgerückt sein. Heute morgen wurde auch hier wieder versucht, das so darzustellen, als. ob dies alles im Vergleich zum Ausland bei uns in der Bundesrepublik noch in guter Ordnung wäre. Nur die Vereinigten Staaten, Irland und Großbritannien lagen nach dem Stand 1978 höher, als wir im Jahre 1983 liegen werden, Länder wie Italien aber noch darunter, von Frankreich ganz zu schweigen. Schon 1980 wird der Schuldendienst zum zweitgrößten Ausgabenblock des Bundes, noch vor den im Einzelplan 14 veranschlagten Ausgaben für die Landesverteidigung.
Der Bundesfinanzminister bezeichnet als Priorität Nummer 1 seiner Finanzpolitik die Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Aber die Ausgaben für den Schuldendienst, Zins en und Tilgung sind 1980 viermal so hoch, 1983 nach seinen eigenen Zahlen sechsmal so hoch wie die Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Der HandlungsspielHaase ({23})
raum für wichtige, in die Zukunft weisende Ausgaben, beispielsweise für die dringend notwendige Aufrechterhaltung unserer Verteidigungsbereitschaft angesichts der immer drückender werdenden Rüstungsbedrohung aus dem Osten oder für eine kinderfreundlichere Familienpolitik, ist durch die Schuldenwirtschaft so gut wie verspielt.
Verehrter Herr Matthöfer, Ihre Aufgabe Nummer 1 wird es sein, die Frage zu beantworten: Woher bekomme ich das Geld, um Tilgung und Zinsen zu bezahlen? Das ist die Priorität Nummer 1, die Sie haben. Sie werden vom Bundesfinanzminister immer mehr zum Bundesschuldenminister.
({24})
Diese Regierung ist erklärtermaßen angetreten, die von ihr beklagte öffentliche Armut durch eine gewaltige Steigerung der staatlichen Investitionen zu beseitigen. Das Gegenteil hat sie erreicht: Statt der Beseitigung der öffentlichen Armut ein riesiger Schuldenberg, statt einer Erhöhung der Investitionsquote jetzt eine ständige Verminderung. Das heißt in Ihrer Terminologie: Sie hat nicht die öffentliche Armut beseitigt, sondern den Staat nur noch ärmer gemacht. Aus unserer Sicht: Sie haben den Staat auf das Niveau des öffentlich-rechtlichen Sozialhilfeempfängers gebracht.
({25})
- Ja natürlich! Er ist öffentlich-rechtlich, aber es ist das Niveau des Sozialhilfeempfängers.
({26})
Die Regierungskoalition aus SPD und FDP ist angetreten, soziale Ungerechtigkeiten durch vermehrte Umverteilung zugunsten schwächerer Bevölkerungsgruppen zu beseitigen. Aber in Wirklichkeit hat sich die Umverteilung von Steuermitteln zugunsten derjenigen entwickelt, die ihr Kapital dem Staat gegen Zahlung von Zinsen zur Verfügung stellen, und den absoluten Vorrang vor allen anderen Aufgaben erreicht. Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis der Politik einer Partei, die sich rühmt, die Partei der Arbeitnehmer oder der Ärmsten der Armen - oder welche Formulierung Sie für diesen Tatbestand auch immer gebrauchen - zu sein.
Nun eine abschließende Bemerkung: Das, was Sie, verehrter Herr Matthöfer, und Ihre Koalition im Bereich der Bürokratie vorhaben, spricht allerdings allen lautstarken Konsolidierungsbeteuerungen. geradezu Hohn, meine Damen und Herren.
({27})
Für den Abbau der heimlichen Steuererhöhungen ist kein Geld da, aber für die weitere Vergröfierung der Bürokratie können Sie sich die Mittel zusammenpumpen. Das ist ein starkes Stück, Herr Matthöfer! Wenn im Jahre der angeblichen Konsolidierung 3 000 neue Stellen im zivilen Bereich geschaffen und sogar mehr als 5 000 Stellen gehoben werden sollen, so ist das - entschuldigen Sie, Herr Bundesfinanzminister - ein Zeichen der Schwäche gegenüber Ihren Ressortkollegen, letztlich auch ein weiteres Zeichen für das mangelnde Durchsetzungsvermögen des Herrn Bundeskanzlers. Die Tatsache, daß Sie in der Haushaltsrede hierüber kein einziges Wort verloren haben, beweist doch im Grunde genommen Ihr schlechtes Gewissen, das Sie hier haben.
({28})
Der Amtsschimmel darf noch kräftiger wiehern, vor allem in den obersten Bundesbehörden. Wie schon seit 1969, so steigen auch im nächsten Jahr die Stellen, gerade in den Wasserköpfen der Ministerien - ich sage das mit allem Respekt vor den Arbeitsleistungen unserer qualifizierten Beamtenschaft -, eineinhalbmal so stark wie im nachgeordneten Bereich - Zahlen jeweils gerechnet ohne Soldaten und ohne Bundesgrenzschutz.
Aber auch der FDP sollte hier besonders gedacht werden, Herr Kollege Hoppe. Sie haben ja, wie beim Telefon, . auf diesen Mange auf diese Fehlentwicklung hier hingewiesen. Ich frage Sie, warum Sie hier nun wieder darauf hinweisen? Denn in den Ressorts der FDP-Minister sieht es ja ganz besonders traurig aus. Die FDP-Minister der Bundesregierung tun sich in der Vorsorge um Beförderungsmöglichkeiten, wahrscheinlich bei ihnen besonders nahestehenden Beamten - ich will da sehr vorsichtig sein -, besonders hervor. Herr Hoppe, ein Wort zuvor hätte die Regierungsmitglieder auf den Pfad der Tugend bringen sollen. Das Bild bei den Vier, auf die es ankommt, sieht so aus: Graf Lambsdorff verlangt für sein Haus, also nur für das Ministerium, ohne nachgeordnete Verwaltung, insgesamt 62 neue Stellen und Hebungen.
({29})
Sein Kollege Ertl verlangt 65, der Bundesinnenminister - auch von der FDP - 92 Stellen. Den Vogel schießt der FDP-Parteivorsteher und Vizekanzler ab, der für sein Ministerium, also nur für die Zentrale, nach dem Willen der Regierung gleich 139 neue Stellen und Hebungen haben soll.
Nun, Herr Bundesfinanzminister, ich bin zwar gern bereit, Ihnen für die Ausgabenzusammensetzung, für die durch die Schuldenwirtschaft aufgezwungenen Prioritäten und Posterioritäten und für die Schuldenhöhe in gewissem Umfang noch mildernde Umsätze zuzubilligen, weil diese Politik - allerdings von Ihnen mitgetragen - zum erheblichen Teil Nachlaß Ihrer Amtsvorgänger Hans Apel und Helmut Schmidt ist, aber Ihre nachgiebige Haltung, verehrter Herr Matthöfer, gegenüber den Personal- und Hebungsanforderungen der Ressorts verdient in jeder Beziehung nur das Prädikat „ungenügend". Wenn da ein Zeugnis ausgestellt werden müßte, würde es hier heißen: In diesem Punkt fehlt ihm die finanzpolitische Reife.
({30})
Meine Damen und Herren, es kann auf Dauer nicht hingenommen werden, daß der Finanzminister und der Bundeskanzler mangels hinreichender Durchsetzungskraft oder mangels hinreichenden
Haase ({31})
Durchsetzungswillens Wohltaten in Form von immer neuen, vor allem immer höher dotierten Stellen und Stellenhebungen verteilen und dann dem Haushaltsausschuß die undankbare Aufgabe überlassen, den bösen Buben zu spielen und die vom Finanzminister selbst nicht mehr mit guten Gründen zu rechtfertigenden Stellenmehranforderungen auf ein halbwegs vertretbares Maß zurückzustreichen. Herr Finanzminister, Sie stehen in der Verantwortung, und Sie müssen dieser Verantwortung meines Erachtens auch gerecht werden.
Herr Kollege Hoppe, ich freue mich, daß Sie bereits in Ihren ersten Reaktionen, als der Etat auf den Tisch kam und auch heute wieder hier, diese Pläne der Regierung als nicht gut qualifiziert und auch schon signalisiert haben, daß Sie nicht geneigt und bereit sind, diese liederliche Personalwirtschaft mitzumachen. Verehrter Herr Hoppe, an CDU und CSU wird es nicht fehlen. Ich hoffe allerdings, daß dann auch Ihre FDP-Kollegen im Kabinett bei unseren gemeinsamen Initiativen nicht ungeschoren davonkommen.
Die CDU/CSU wird zum Gesamthaushalt darüber hinaus Vorschläge machen, durch Kürzung und Haushaltsverbesserungen die Defizite merklich zu vermindern. Damit muß bereits für dieses Jahr angefangen werden. Der zweite Nachtrag, der bei Ausgaben und Einnahmen ein Volumen von 1,9 Milliarden DM hat, zeigt, wie sich die Regierung durch eine überhöhte Veranschlagung, beispielsweise bei den Zuschußmitteln für Nürnberg, eine Reserve geschaffen hat, die jetzt für andere Maßnahmen „verfrühstückt" wird. Wir werden diesen Skandal - man muß diese finanzpolitische Manipulation leider so qualifizieren - im Haushaltsausschuß eingehend zur Sprache bringen.
({32})
- Sie können sich darauf verlassen, wir werden es tun. Wir müssen allerdings auch die Grenzen sehen, die einem Parlament und in diesem Zusammenhang erst recht einer Opposition gesetzt sind.
Herr Hoppe, ich muß Sie noch einmal als unverdächtigen Zeugen bemühen. Sie hatten bei der dritten Lesung des Haushalts 1979 zu Recht ausgeführt:
... auch in der Haushaltspolitik ist das Gewicht der Exekutive immer stärker geworden. ... schon eine Korrektur der Regierungspolitik
- das heißt in diesem Falle durch den Haushaltsausschuß ist schwer, eine Änderung schier unmöglich.
Eine dauerhafte Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen, die Wiederherstellung einer wenigstens halbwegs befriedigenden Ausgabenstruktur, eine Politik, die zumindest in Teilbereichen über den Tellerrand des Wahltermins hinwegblicken kann und auch Vorsorge für die Lebens- und Entwicklungschancen der jetzt noch jungen Generation trifft, ist nur dann möglich, wenn die Regierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister, endlich ihre Führungsaufgabe wahrnehmen. Wir können und werden die Regierung nicht aus der Verantwortung entlassen. Herr Finanzminister, auch durch eine langatmige Haushaltsrede, durch das Verschweigen der Zentralprobleme können Sie sich aus dieser Ihrer Verantwortung nicht hinausschleichen.
({33})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns hier in diesem Saal über Haushaltspolitik unterhalten, versteht uns der Bürger in den meisten Fällen nicht. Was erwartet er eigentlich von uns? Er erwartet in einer Demokratie natürlich zu Recht, daß wir alle Anstrengungen unternehmen, um für ihn ein Höchstmaß an Zufriedenheit zu erzielen. Worin bestehen die einzelnen Elemente der Zufriedenheit für die Menschen unseres Landes? Da geht es um gesicherte Arbeitsplätze, um soziale Absicherung in Notfällen. Da geht es um einen sorgenfreien Lebensabend, der nicht nur das Warten auf das Ende ist. Die Menschen wollen keine Angst vor der Zukunft haben, und dann geht es darum, daß Verdienst und Preisstabilität dafür sorgen, daß sich die Leute für größere Anschaffungen auch noch etwas auf die Seite legen können. Da wir nicht alleine auf der Welt leben, müssen wir diese Politik im Innern durch eine nach außen gerichtete konsequente Politik der Friedenssicherung, durch unsere Verteidigungsbereitschaft und durch internationale Solidarität, die wir in allererster Linie den ärmeren Völkern zugute kommen lassen sollten, absichern. Diesem Ziel ist die sozialliberale Koalition verpflichtet. Ihre Finanzpolitik dient diesem Ziele in einem besonderen Maße.
Wir alle wissen, hinter uns liegen wirtschaftlich schwere Zeiten. Bundesregierung und Koalition haben durch ihre Finanzpolitik entscheidend mit dafür gesorgt, daß die Folgen der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung sowohl für den einzelnen als auch für die gesamte Gesellschaft zumutbar blieben, auch wenn nicht alle Beeinträchtigungen von jedem Menschen unseres Volkes abgehalten werden konnten. Diese Finanzpolitik ergab und ergibt sich ganz konsequent aus der politischen Auffassung, daß im Mittelpunkt des politischen Strebens der Mensch zu stehen hat; denn er lebt immer konkret und nicht von den schönen Worten, die unter anderem hier von dieser Tribüne herab gesprochen werden. Jeder weiß, daß der Mensch nur in einem bestimmten Maße in der Lage ist, die Bedingungen seines Lebens selbst zu gestalten. Die wichtigsten Lebensbedingungen kann er allein überhaupt nicht beeinflussen, sondern er ist darauf angewiesen, im demokratischen Zusammenwirken mit anderen und in gesellschaftlicher Solidarität zu handeln. In diesem Sinne haben sich Parlament und Regierung als Beauftragte des Volkes zu verstehen und die Steuermittel, die ihnen anvertraut
werden, so einzusetzen, daß der größtmögliche Nutzen für das Volk entsteht.
Genau das hat die Finanzpolitik der letzten Jahre getan. Wir haben in Zeiten der konjunkturellen Schwäche die Ausgaben nicht gesenkt, sonder haben sie erhöht, um der stagnierenden Wirtschaft Wachstumsimpulse zu geben. Gleichzeitig wurden Steuern gesenkt, um die Kosten zu mindern und die private Nachfrage anzukurbeln. Das kann so schlecht nicht gewesen sein, denn Herr Häfele konnte heute morgen, wenn auch etwas verklausuliert, nicht anders, als dieser Politik doch zu bescheinigen, daß sie zum Wirtschaftsaufschwung beigetragen hat.
Diese doppelt abgesicherte Finanzpolitik hat natürlich ihren Preis. Der Bundesfinanzminister hat ihn gestern in seiner Haushaltsrede genannt. Hier noch einmal die Zahlen: Es wurden 35 Milliarden DM zusätzlich ausgegeben, die Steuern wurden um fast 50 Milliarden DM gesenkt. Zugegeben, diese Politik ist teuer, aber sie ist erfolgreich.
Wir brauchen, nebenbei gesagt, Herr Haase, diese Politik nicht wie Sie mit großen Worten zu begründen und zu verteidigen, sondern die Tatsachen sprechen eindeutig für sie. Sie war allerdings nur durch eine höhere Staatsverschuldung möglich. Regierung und Koalition haben sich nicht, wie uns unterstellt wird, leichtfertig auf den Weg einer hohen Staatsverschuldung begeben, sondern haben sehr, sehr sorgfältig abgewogen, mit welcher Politik am besten Schaden von unserer Gesellschaft abgewendet werden kann. Ich weiß, daß das in diesem Augenblick nicht populär ist, aber es muß einmal ganz klar gesagt werden, daß die hohe jährliche Zinsbelastung, die wir jetzt zu tragen haben und die sich aus der erhöhten Nettokreditaufnahme der letzten Jahre ergibt, den einzelnen in unserem Volke weniger drückt als der Verlust des Arbeitsplatzes, als empfindliche Einschnitte in unser System der sozialen Sicherung, als düstere Zukunftsaussichten und als hohe Preissteigerungsraten und unerträgliche Verteilungskämpfe. Die Sicherung unserer sozialen Gesellschaft hatte natürlich ihren Preis.
Die kräftige Absenkung der Nettokreditaufnahme für 1980 beweist eindeutig, daß sich die Koalition nicht, wie uns die Opposition immer unterstellt, an die hohe Neuverschuldungsrate der letzten Jahre gewöhnt hat. Sie beweist gleichzeitig, daß die hohe Nettokreditaufnahme nicht als ein selbstverständliches Mittel der Finanzierung von Staatsausgaben angesehen wird, sondern eine hohe Nettokreditaufnahme bleibt für uns ein Mittel des Staates, um wirtschaftliche Schwierigkeiten wirkungsvoll bekämpfen zu können. Die Konsequenz aus dieser Haltung erkennen Sie im zweiten Nachtragshaushalt, wo wir die Steuermehreinnahmen voll zur Absenkung der Nettokreditaufnahme für dieses Jahr verwenden.
Herr Kollege Hoppe hat von der Wende in der Haushaltspolitik gesprochen. Um diese Wende sind wir natürlich alle bemüht. Aber man kann sie nicht von oben herab einfach dekretieren, sondern diese
Wende setzt eine Wende in unserer Wirtschaftspolitik voraus. Die Bundesbank spricht davon, daß eine weitere Absenkung der Nettokreditaufnahme positiv wäre. Aber niemand soll doch so tun, als ob es in unserem Land oder überhaupt in einem Land jemanden gibt, der ganz präzise Voraussagen für mehrere Monate geben könnte. Ich will nicht die Bundesbank kritisieren. Aber die Bundesbank hat vor einem Jahr gesagt: Der Nettokreditrahmen der öffentlichen Hände kann 1979 bei 60 Milliarden DM liegen. Wir haben es dank der wirtschaftlichen Entwicklung nicht nötig, diesen Kreditrahmen auszunützen. Er wird unter 50 Milliarden DM liegen. Das heißt, allein schon durch die Entwicklung und durch unser genaues. Reagieren auf diese Entwicklung haben wir zur Konsolidierung schon ganz erheblich beigetragen.
Nun wissen wir, daß die Opposition diese Finanzpolitik von Anfang an bekämpft hat, ohne Ansätze für eine gangbare Alternative aufzuzeigen. In diesem selbstverständlich legitimen Kampf gegen die Finanzpolitik der Koalition unterlaufen der Opposition eine Reihe von Widersprüchen, Fehleinschätzungen und Falschdarstellungen. Mit einigen möchte ich mich auseinandersetzen.
Erstens. Die Opposition behauptet, daß der Anteil des Bruttosozialprodukts, der durch die öffentlichen Kassen geht, ständig wächst und so durch die Hintertür eine immer größer werdende Reglementierung der . Bürger durch den Staat eingeführt werden soll. Das ist falsch. Richtig hingegen ist, daß der Anteil der öffentlichen Kassen am Bruttosozialprodukt je nach der Wirtschaftslage schwankt. So betrug er 1975 34,8 v. H. des Bruttosozialprodukts. Er wird 1980 bei 33,2 v. H. liegen. Er nimmt gegenwärtig also ab und nicht zu.
Zweitens. In diesem Zusammenhang behauptet die Opposition auch, daß die steuerliche Belastung der Bürger unseres Landes ständig steigt. Das ist falsch. Richtig ist, daß die volkswirtschaftliche Steuerquote seit 1977 - damals lag sie bei 25 v. H. des Bruttosozialprodukts - in den letzten Jahren mäßig gesunken ist und nach den gegenwärtigen Schätzungen 1980 bei 24,3 v. H. liegen wird. Die Zahlungen für das Kindergeld herausgerechnet, würde diese Quote sogar bei 23,3 v. H. liegen. Sie war in früheren Jahren schon höher, z. B. 1969. Finanzminister war damals Herr Dr. Franz Josef Strauß.
Drittens. Die Opposition wird nicht müde, immer wieder zu behaupten, daß durch die hohe Nettokreditaufnahme der letzten Jahre die Staatsfinanzen zerrüttet worden sind. Das ist falsch. Richtig hingegen ist, daß die Bundesrepublik in der westlichen Welt einer der stabilsten Staaten ist,
({0})
was Wirtschaft, Preisstabilität und soziale Sicherheit anlangt. Herr Haase, ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang in allem Ernst das eine sagen: Wer einen der stabilsten Staaten der westlichen Gemeinschaft aus vordergründiger politischer Absicht herabsetzt, diffamiert damit die gesamte Gemeinschaft und schwächt notwendigerweise ihre innere
Widerstandskraft. Das soll jeder bedenken, der glaubt, bei jeder Gelegenheit über diese Republik herziehen zu sollen.
({1})
Viertens. Die Opposition behauptet, daß durch die Finanzpolitik der Koalition die Leistungsfähigkeit der einzelnen Menschen schwer beeinträchtigt wird, weil die Motivation für Leistung immer geringer wird. Das ist falsch. Richtig hingegen ist, daß der Bergarbeiter, die Frau und der Mann in der Fabrik, der Unternehmer und die Menschen in den Dienstleistungsbereichen mehr leisten als früher. Die Zahlen unseres wachsenden Bruttosozialproduktes weisen das eindeutig aus. Das ist nur möglich, weil die Regierung und die Koalition vernünftige Hilfen angeboten und Rahmenbedingungen geschaffen haben, die es den Menschen sinnvoll erscheinen lassen, ihren Fleiß zu entfalten. Unsere Bürger wissen, wofür sie arbeiten.
Fünftens. Die Opposition gebraucht immer wieder das Argument, daß die private Verwendung des Geldes unter allen Umständen besser ist als die öffentliche Verwendung. Das ist falsch. Richtig ist, daß der private Erfolg in entscheidendem Maße von der öffentlichen Vorsorge abhängig ist. Der Unternehmer kann zwar eine Fabrik bauen, aber er kann nicht allein für Energie und Rohstoffe sorgen, für Wasser- und Abwasserversorgung, für Verkehrswege, für Wohnungen seiner Mitarbeiter, für Schulen und andere Ausbildungsstätten und für all die anderen Dinge, die für seinen wirtschaftlichen Erfolg ebenfalls wichtig sind. Öffentliche und private Verwendung von Teilen des Bruttosozialproduktes stehen nicht im Gegensatz zueinander, wie es die Opposition immer wieder behauptet, sondern sie ergänzen sich.
({2})
Das wissen die Menschen unseres Volkes, wenn sie unsere öffentlichen Leistungen zur Kenntnis nehmen und genießen.
Sechstens. Die Opposition fordert einerseits Sparsamkeit und liebäugelt andererseits - Herr Kollege Hoppe ist darauf eingegangen - mit Versprechungen, die hohe zusätzliche Staatsausgaben zur Folge hätten. Eine solche Politik ist falsch. Richtig hingegen ist, daß mit Augenmaß das Mögliche und das Notwendige auf einen Nenner gebracht werden müssen, um nicht die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft zu überfordern und um nicht die Stabilität unseres Staates auf die Klippen zu hoher Erwartungen auflaufen zu lassen.
({3})
Siebentens. In den letzten Wochen hat die Opposition zum wiederholten Male massive Steuersenkungen gefordert, und zwar ungeachtet derjenigen Steuersenkungen, die bereits beschlossen, aber noch nicht voll wirksam sind. Eine solche Politik ist gegenwärtig falsch. Richtig ist, daß in Zeiten der wirtschaftlichen Erholung der Staat Steuermehreinnahmen für die Absenkung der Nettokreditaufnahme verwenden muß, um den Kreditmarkt zu entlasten und um neuen Handlungsspielraum für
Zeiten zu schaffen, in denen der Staat wieder stärker stützend und anregend eingreifen muß.
Achtens. Die Opposition behauptet immer wieder, daß wir künftige Generationen durch unsere Nettokreditaufnahme schwer belasten. Kollege Haase sagte einmal, wir verfeuerten das Holz, das in den nächsten Jahren für die nachfolgende Generation vorhanden sein sollte. Das ist falsch. Richtig ist, daß wir heute der nachfolgenden Generation durch entsprechende Vorsorge die Möglichkeit geben, auch eine gesicherte Zukunft zu' erleben, ähnlich wie wir sie haben.
({4})
Die Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition hat unter anderem aber auch dafür gesorgt, daß der Herr Kollege Häfele politisch nicht arbeitslos geworden ist. Die voraussehbaren Steuermehreinnahmen dieses Jahres, Herr Kollege Häfele, haben es Ihnen ja ermöglicht, die Steuersenkungsdebatte zu beginnen; aber diese Steuermehreinnahmen hätten Sie ohne die erfolgreiche Politik dieser Regierung nicht gehabt.
({5})
Die Forderung der Opposition nach Steuersenkungen ist eigentlich die schönste Bestätigung, die eine Regierung erwarten kann, denn diese Forderung beweist, daß es wirtschaftlich kräftig aufwärtsgeht und die düsteren Voraussagen der Opposition zusammengebrochen sind, die sie jahrelang von dieser Stelle hier verkündet und in vielen Artikeln dargestellt haben.
({6})
Ich glaube, eine bessere Bestätigung der Finanzpolitik der Regierung gibt es nicht.
({7})
Die düsteren Voraussagen der Opposition hätten sich allerdings erfüllt, wenn ihre Finanzpolitik zum Tragen gekommen wäre, eine Politik, die sich in dem finanzpolitischen Dreieck von Senkung der Nettokreditaufnahme, Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen konzeptionslos von einem Widerspruch zum anderen bewegte. Wir hingegen bewegen uns in dem finanzpolitischen Dreieck, das uns der Sachverständigenrat in seinem Gutachten von 1978 empfohlen hat. Es besteht aus den Punkten Rückführung der Nettokreditaufnahme, Sorge um, die Preisstabilität und Wachstumsimpulse durch öffentliche Nachfrage.
Über Geschmacksfragen kann man streiten. Daß Herr Häfele die zufällige Identität von zwei Zahlen hier verkündet, ist seine Sache. Nur, Herr Häfele, das macht natürlich deutlich, wie Sie über Finanzpolitik denken. Finanzpolitik ist eben keine Buchhalterei. Wenn man einen solchen Vergleich schon anführt, hätte man sagen müssen: Die Schuldenaufnahme von Hitler hatte einen furchtbaren Krieg zur Folge, hatte Trümmer, Not, Elend, Tod, Mord zur Folge.
({8})
Was wir getan haben, ist, unserem Volk den Weg in eine blühende Zukunft zu ermöglichen. Das sind doch ganz erhebliche Unterschiede. Herr Häfele, die darf auch derjenige nicht vergessen, der nun einmal, wie Haushälter und Finanzpolitiker, besonders gern mit Zahlen herumspielt.
Gestern konnten Millionen von Menschen die ehrliche und genaue Haushaltsrede des Bundesfinanzministers hören.
({9})
Niemand von den Zuhörern und Zuschauern wird den Eindruck gehabt haben, daß hier eine verfehlte oder gar abenteuerliche Finanzpolitik vorgetragen wurde. Wenn Sie ehrlich sind, meine Damen und Herren von der Opposition, haben auch Sie diesen Eindruck nicht. Sachlich klar und verständlich wurde dem Bürger und uns dargelegt - zum Teil durch Angabe von Zahlen untermauert -, welchen großen gemeinsamen Zielen der Haushalt 1980 dienen soll: 1. der Förderung von Forschung und Entwicklung; 2. der Bereitstellung von Hilfen für Unternehmer, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse in ihren Betrieben durchsetzen wollen; 3. der Förderung des Steinkohlenbergbaus, der einzigen nennenswerten inländischen Energiequelle; 4. der Beteiligung an Vorhaben zur Erschließung neuer Erdöl- und Erdgasfelder; 5. der Aufstockung unserer Rohölreserven; 6. der Erschließung nichtnuklearer Energiequellen; 7. der Förderung von Energiesparmaßnahmen; 8. der Vorratshaltung wichtiger Rohstoffe; 9. der Ersetzung und Wiedergewinnung von Rohstoffen; 10. der Förderung der Entwicklung und Anwendung neuer Technologien in kleineren und mittleren Unternehmen; 11. der Förderung der Gründung selbständiger Existenzen. So könnte ich die Reihe jetzt fortsetzen. Das ist ein Programm; dem haben Sie tatsächlich nichts entgegenzusetzen.
({10})
Die Leute draußen werden, wenn sie diese einzelnen Punkte zur Kenntnis nehmen, wissen, daß hier eine Regierung sehr sorgfältig nach den Interessen des Volkes gehandelt hat.
Wir sind nicht so vermessen, für uns in Anspruch zu nehmen, daß wir alles und jedes richtig machen. Wer kann das schon? Insofern sind wir für sachdienliche Hinweise und vernünftige Vorschläge der Opposition -stets dankbar. Nur: Gegen pauschale, im einzelnen nicht qualifizierte Vorwürfe im Stil von Sonthofen werden wir uns zur Wehr setzen.
({11})
Dabei haben wir es nicht einmal nötig, starke Worte zu benutzen, sondern wir können die geschaffenen Tatsachen und die beabsichtigten Maßnahmen für sich sprechen lassen. Das Volk wird uns gut verstehen; da bin ich sicher.
({12})
Ein Blick auf die Struktur des Haushalts läßt die Vorwürfe, daß mit dem Geld des Steuerzahlers nicht sorgsam genug umgegangen wird, in sich zusammenbrechen. Der Haushalt für 1980 soll um 5,6
v. H. steigen. Die Ausgaben für Personal, die sächlichen Verwaltungsausgaben und die Ausgaben für militärische Beschaffungen steigen aber lediglich mit Sätzen von 3 bis 4 v. H., also unterdurchschnittlich. Die Zuweisungen und Zuschüsse hingegen steigen überproportional mit 5,8 v. H.
Mit anderen Worten: Es ist nicht so, Herr Haase, wie Sie es eben hier oben wieder verkündet haben, daß der Staat für seine eigenen Einrichtungen und Organe tief in die Tasche des Steuerzahlers hineingreift, sondern er trifft mit dem größten Teil der Haushaltsansätze Vorsorge für die Menschen in unserem Volke. Er sieht den Haushalt nicht als einen Selbstbedienungsladen an. Wer etwas anderes behauptet, sollte das hier alles klar und deutlich vortragen.
Wir reden heute über einen Haushaltsplanentwurf. Das heißt, daß dieser Entwurf im Laufe der Beratungen noch verändert wird. Dabei wird es nicht nötig sein, durch Veränderungen die durch den Entwurf des Haushalts für 1980 konzipierte Politik in eine andere Richtung zu lenken. Die Politik ist gut und bedarf keiner Revision.
Der Haushaltsausschuß wird als Teil dieses Parlaments und im Auftrag dieses Parlaments Ansatz für Ansatz, Stelle für Stelle sorgfältig prüfen und mit den Vertretern der Regierung erörtern. Wenn Veränderungen vorgenommen werden, so werden sie von der Sache her begründet sein und das politische Gesamtwerk nicht verwässern.
({13})
Was, sehr geehrter Herr Hoppe, nachher dabei herauskommt, ob 1 Milliarde DM weniger oder vielleicht auch 1 Milliarde DM mehr, ob der Prozentsatz der Steigerung bei 5,1, 5,2 oder 5,3 liegt, das sollten wir tatsächlich unseren Beratungen überlassen und uns nicht von vornherein schon jetzt in ein Korsett zwängen, das möglicherweise kneift und das wir dann während der Beratungen aufhaken müssen.
({14})
Natürlich wird bei dieser Arbeit zu prüfen sein, an welchen Stellen die Ansätze korrigiert werden können. So könnte ich mir z. B. vorstellen, daß es einen breiten Konsens im Hause darüber gibt, daß unsere Verpflichtungen gegenüber dén ärmeren Ländern durch die Aufnahme der einen oder anderen zusätzlichen Maßnahme auch von seiten des Parlaments zu unterstreichen sind. Aber wir werden. sehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD-Fraktion kommt bei der Bewertung dieses Haushaltsentwurfs zu folgendem Ergebnis: Der Haushaltsentwurf 1980 paßt in die konjunkturpolitische Landschaft, weil er mit seiner Steigerungsrate von 5,6 v. H. unter dem vorausgesagten Anstieg des Bruttosozialprodukts von 7 v. H. bleibt. Er ist offen für neue wirtschaftliche Herausforderungen, er hilft die Zukunft unseres Volkes sichern, er leistet entscheidende Hilfe beim weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit, er festigt unser System der sozialen Sicherheit, er trägt durch Verminderung der Nettokreditaufnahme zur Entlastung des Kapital13456
markts bei und dämpft damit den Preisauftrieb, und er ist insgesamt eine hervorragende Grundlage für die parlamentarische Beratung.
Herr Bundesminister der Finanzen, die SPD-Fraktion dankt Ihnen.
({15})
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Gärtner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Löffler hat dem Kollegen Häfele in einem Punkt ja schon eine passende Antwort gegeben. Es wäre sehr notwendig, Ihnen, Herr Häfele, auch in bezug auf einige andere Punkte noch einmal zu sagen: Sie können natürlich Führung verlangen. Das, was Sie hier tun, ist eher Verführung als Führung.
({0})
Sie stellen sich hier hin und bringen das Beispiel einer Schreibkraft, die in Vergütungsgruppe VII BAT eingestuft ist und die 300 DM Urlaubsgeld erhält. Sie als Mitglied des Finanzausschusses müßten doch wissen, wie so etwas zustande kommt. Es gibt eben noch keinen Urlaubsfreibetrag, weil es - Ihren Vorschlag habe ich bisher noch nicht gehört - gar nicht anders möglich wäre, als das Geld in dem Monat zu versteuern, in dem man es bekommt. Dann hätten Sie fairerweise noch hinzufügen können, daß es im übrigen noch den Lohnsteuerjahresausgleich gibt. Aber das gehört natürlich auch noch zu einer - ({1})
- Ich gebe Ihnen recht. Es kommt nicht so viel heraus. Aber Ihr dramatisches Beispiel hätte sich nicht mehr so gut angehört, wenn Sie vollständig zitiert hätten.
({2})
Im übrigen meine ich, daß man sich hier auch nicht hinstellen und sagen sollte - ich habe das schon einmal so als spät altbadisch und sozialrevolutionär bezeichnet -: Der Staat muß zwar alles finanzieren, was wir wollen; aber im übrigen soll er auf Steuermehreinnahmen verzichten. Das geht nicht. Man kann auch nicht hingehen und seiner Klientel alles mögliche versprechen. Es wird ein höheres Kindergeld verlangt, es wird ein Erziehungsgeld verlangt; in diesem Fall muß ich sagen: mit Ausnahme von Herrn Häfele; der hat das damals nicht unterschrieben. Man kann nicht milliardenschwere Ausbauprogramme im Bereich der zivilen Verteidigung verlangen und auch nicht wie Sie eben, Herr Haase, darüber klagen, daß wir im Bereich des Verteidigungsetats nicht so viel machen, wie Sie vielleicht wollen. Das kann man nicht alles machen, wenn man gleichzeitig einen Spitzenkandidaten hat, wie Sie ihn im Augenblick haben, der darüber schwebt und sagt: Diese sozialliberale Koalition treibt uns in den Staatsbankrott. Man kann das so nicht machen. Ich hoffe, der
Wähler wird Ihnen gelegentlich zeigen, daß eine solche Truppenformation ohne einheitlichen Marschbefehl etwas liederlich und zerfleddert durch die Gegend läuft. Das ist für mich jedenfalls kein überzeugendes Alternativkonzept.
Man kann es z. B. auch nicht so machen, wie ich es im „Handelsblatt" nachlesen konnte. Da hat sich der baden-württembergische Wirtschaftsminister Eberle in einer Pressekonferenz über das verstärkte Eindringen des Bundes in die Mittelstandsförderung der Länder beklagt. Da heißt es: Eberle rügte die unverhältnismäßig hohe Ausweitung der Mittelstandsförderung des Bundes im Jahre 1979 gegenüber früheren Jahren. Ich finde das, mit Verlaub gesagt, merkwürdig. Man kann nicht dieser Regierung alles mögliche unterstellen und dort, wo sie auch von Ihnen gelegentlich noch ein paar Zusatzaufträge kriegt, wo man mehr Geld ausgeben könnte, das jetzt auf diese Weise kassieren. Ich finde, wenn man der Sache zuliebe die Mittelstandsförderung im Bund etwas verstärken will, dann aber in den Fällen, in denen es einem paßt, mit rechtlichen Bedenken kommt, dann dürften Sie in diesem Fall nach meinem Eindruck nichts mehr beantragen.
({3})
- Herr Kollege Friedmann, ich empfehle Ihnen, diesen Gesetzentwurf einmal zu lesen. Sie werden sich als Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses ja gelegentlich auch mit der Problematik der Bürokratisierung in unserem Lande befassen. Aber daß ausgerechnet Sie einen Kongreß über Bürokratisierung veranstalten und trotzdem einen solchen Gesetzentwurf einbringen, das paßt nicht zusammen. Sie verfahren nach dem Motto: Wir brauchen weniger Gesetze, aber diejenigen, die wir wollen, müssen gemacht werden.
Ich finde auch folgendes etwas merkwürdig. Nach einer Sitzung des Finanzplanungsrats - zugegeben, das war vor der Sommerpause, am 25. Juni - wurde einvernehmlich, also auch mit der Stimme des CSU-Finanzministers, verkündet - ich zitiere -:
Bei der Beratung über die gegenwärtige und künftige Haushaltspolitik bestand Übereinstimmung über die Notwendigkeit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Die Teilnehmer waren sich einig, daß die öffentliche Hand der steigenden privatwirtschaftlichen Nachfrage insbesondere auf dem Kapitalmarkt mit einer Einschränkung ihrer eigenen Nachfrage Rechnung tragen sollte.
Jetzt kommt der Satz, den man sich wirklich einmal anhören muß:
Etwaige Steuermehreinnahmen der Gebietskörperschaften sollten vorrangig zur Verminderung der Kreditaufnahme verwendet werden.
Dann verstehe ich aber die ganze Situation nicht, die wir hier heute morgen erleben durften, daß man das Konsolidieren zusammen mit der Steuerentlastung in einem machen will, während man ein
paar Monate vorher noch beschließen ließ: Alles, was an Steuern mehr hereinkommt, wird nicht zurückgegeben, sondern dazu benutzt, die Verschuldung des Bundes herunterzudrücken. Das paßt nicht zusammen. Ich hoffe sehr, der Wähler in diesem Lande merkt, daß es sich hier um eine Politik handelt, die man so nicht formulieren und mit der man dieses Land eigentlich nicht regieren darf.
({4})
Herr Kollege Haase, nach meinem Eindruck ist es nicht fair, über das Thema Staatsverschuldung so zu lamentieren, Begriffe wie „Wechselreiterei" einzuführen und damit völlig aus dem Auge zu verlieren, wer denn an dem Zustandekommen dieser Entwicklung alles beteiligt war. Ich habe in den letzten drei Jahren jedenfalls keine Anträge von Ihnen gefunden, die auf eine massive Veränderung der Haushaltsstruktur in dem Sinne hinausgelaufen wären, daß wir weniger Neuverschuldung aufzunehmen hätten. Das Gegenteil war meistens richtig. Deswegen sagen Sie mir doch einmal, gegen welche Geldleistungsgesetze Sie hier gestimmt haben.
({5})
Sie haben zwar gegen Geldleistungsgesetze gestimmt - Herr Kollege Haase, das muß man den Leuten immer wieder sagen -, wenn es Ihnen aus taktischen Gründen paßte. Sie haben schon einmal gegen die Kindergelderhöhung gestimmt, aber aus rein taktischen Gründen. Aus taktischen Gründen haben Sie gegen die Vermögensteuersenkung und die Gewerbesteuersenkung gestimmt. Das ist für mich keine ehrliche Politik, und ich hoffe, daß man das auch draußen merkt.
Der Finanzminister hat gestern in seiner Einbringungsrede nach meinem Eindruck deutlich darauf hingewiesen, daß die Verschuldung des Bundes ja nicht irgend etwas ist, sondern auch damit zusammenhängt, daß dieses Land international eine Position hat, die sich sehen lassen kann.
Herr Häfele hat heute morgen Theoretiker von Übersee zitiert. Ich würde darum bitten, sich eher an der Praxis und der Wirklichkeit in diesem Lande zu orientieren; dann braucht man keine Theorien.
({6})
Herr Kollege Biedenkopf hat in diesem Zusammenhang eine sehr verdienstvolle Aufgabe übernommen, als er mit seinem Memorandum darauf hingewiesen hat, daß es nicht genüge, die Welt so zu sehen, wie man sie sehen wolle, sondern daß man sie so sehen sollte, wie sie sei. Ich hoffe, dies wird bei der Opposition doch noch einmal Pflichtlektüre.
Die Neuverschuldung des Bundes in Grenzen zu halten, ist unser gemeinsames Ziel, das wir auch schon im letzten Haushalt, d. h. im Haushalt 1979, zu erreichen versucht haben. So hätten Sie, Herr Kollege Haase, sehen müssen, daß wir von den 35 Milliarden DM im Entwurf der Regierung ganz erheblich heruntergekommen sind. Wir sind durch
die Arbeit im Haushaltsausschuß ja immerhin bei 6 Milliarden DM weniger angekommen, als die Regierung gewollt hatte. Ich glaube, zu so einer Sache, die zum Teil auch gemeinsam gemacht worden ist, kann man ruhig einmal ja sagen; da muß man nicht so tun, als ob das alles an einem vorbeigegangen wäre.
Wir nehmen insoweit auch gern die Vorschläge der Union auf, wenn es solche geben wird. Ich finde, das Versteckspielen mit Sparvorschlägen bringt nicht viel; es frustriert auf die Dauer jedermann. Das Publikum wartet immer gespannt, wann etwas kommt, aber es kommt nichts. Versuchen wir doch einmal, in dieser Frage aufeinander zuzugehen.
Dennoch kann - darauf hat der Kollege Löffler eben auch hingewiesen - Konsolidierung des Haushalts, kann Sparen nicht - ich sage es einmal so - unterschiedslos für alle Politikbereiche gelten. Ich meine, daß man gerade in dem Bereich, den der Kollege Löffler erwähnt hat, im Bereich der Entwicklungshilfe, von einer Industrienation, wie wir sie sind, mehr verlangt, und ich meine auch, es steht uns ganz gut an, wenn wir dieses Thema möglichst offensiv angehen, weil Entwicklungspolitik ja nicht nur bedeutet, Geld oder Leistung ins Ausland zu transferieren, sondern Entwicklungspolitik ist für mich auch ein gutes Stück aktive Sicherheitspolitik, weil wir damit dazu beitragen, Konflikte und Spannungen in der Welt abzubauen, und weil wir damit auf dem Wege dahin sind, daß es mehr Länder auf dieser Welt gibt, denen es gut geht. Gerade die ärmeren und ärmsten Länder auf dieser Welt, die von der Ölpreisentwicklung besonders betroffen sind, werden es uns nicht abnehmen, wenn wir in diesem Bereich weniger tun.
Ich finde es auch gut, daß der Bundesfinanzminister gestern deutlich gemacht hat, daß die Struktur unserer Entwicklungspolitik, unserer Entwicklungshilfe noch stärker darauf angelegt werden muß, daß wir die Fähigkeit der Länder erweitern, ihre eigenen Bedürfnisse zu definieren und von daher auch das zu übernehmen, was sie im Grunde brauchen, und nicht nur das, was für uns überflüssig ist. Man muß ihnen den Weg eröffnen, ihr eigenes Instrumentarium zu verbessern und von daher auch im echten Sinne des Wortes dazu zu kommen, daß sie selber ihre Grundbedürfnisse befriedigen können.
Im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfe ist in den letzten Jahren in der öffentlichen Debatte der Begriff „Rohstoffonds" streitig diskutiert worden. Die Bundesregierung hat immer darauf hingewiesen, daß ein solcher Fonds internationale Kartellierungsbestrebungen bedeuten würde. Nur sollten wir - um damit auf einen anderen .Einzelplan zu kommen - natürlich vorsichtig sein, damit wir das, was wir international brandmarken, nicht national nachvollziehen. Ich erlaube mir hier über das, was wir im Rahmen der Rohstoffversorgung vorhaben, die kritische Anmerkung, ob dieser Weg - d. h. eine Subventionierung aus dem Bundeshaushalt -, den wir, wie gesagt, international kritisiert haben, den wir national aber für zulässig er13458
klären, nicht gelegentlich von dem berühmten schmalen Pfad der Marktwirtschaft abführen kann. Wenn wir nämlich einmal bei fünf Rohstoffen anfangen, ist doch auch die Frage zulässig, wann der sechste, warm der siebente, wann der achte und wann der neunte kommen. Und für welche Betriebsgrößen bedeutet das z. B. Probleme? Das ist eine ganz einfache Frage. Wenn derjenige, der es sich als Großunternehmen - wenn ich es einmal so sagen darf - leisten kann, eine Rohstoffbevorratung vorzunehmen, dafür aus dem Bundeshaushalt eine Subvention bekommt, wird das natürlich den kleinen und den mittleren Unternehmer, der nicht in jedem Falle so vom Wettbewerb ausgenommen ist, doppelt treffen. Ich finde, darüber sollte man noch einmal nachdenken, damit wir nicht dazu kommen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland Rohstoffbevorratung sozusagen flächendeckend einführen.
Im Haushaltsgesetz 1980 findet sich übrigens auch ein Punkt, den man hier kritisch ansprechen sollte, nämlich dieser neue § 19, der den Bundesfinanzminister ermächtigt, zur Beibehaltung des Anteils des Bundes an Unternehmen des privaten Rechts Kapitalerhöhungen zuzustimmen, und zwar ohne Beteiligung des Parlaments. Diese Totalermächtigung an den Bundesminister der Finanzen, jeder Aufsichtsratsentscheidung eines privaten Unternehmens zuzustimmen, drängt das Parlament in die Rolle, allenfalls noch Notariatsgehilfe zu sein.
({7})
Dies erscheint mir auch unter dem Gesichtspunkt fragwürdig, inwieweit es ein unumstößliches Prinzip ist, daß der Bund seine Anteile an Unternehmen des privaten Rechts auf Jahre und auf Ewigkeit in gleicher Höhe beibehält. Man muß sich ernsthaft die Frage stellen, ob der Bund bei seinen Anteilen jeweils alles nachvollziehen muß. Ich halte es für vertretbar, auch darüber nachzudenken, ob man z. B. bei der anstehenden Kapitalerhöhung bei der Lufthansa wirklich auf Dauer 74 °/o beibehalten muß.
({8})
Ich finde, daß das auch nicht mit der Diskussion über unzulässige Privatisierungen zusammenhängt - unzulässige! -; denn ich kann den Unterschied bei der massiven Einflußnahme des Staates als Anteilseigner bei einem Verhältnis von 51 °/o und bei einem von 74 °/o nicht erkennen. Deshalb sollte man auch in dieser Richtung, meine ich, vielleicht noch einmal darüber nachdenken.
Im übrigen finde ich es auch vernünftig, daß in diesem hohen Hause, in den Ausschüssen, über das Thema einer Kapitalerhöhung eines Unternehmens diskutiert wird, an dem der Bund beteiligt ist.
({9})
Es kann nicht ausbleiben, daß dann auch diejenigen, die über das Geld nachher verfügen sollen - d. h. unterschreiben, wenn die Ausgabe gemacht wird -, sich hier dazu stellen und sich fragen müssen, ob unsere Vertretung in den Aufsichtsräten diese Entscheidung auch wirklich nachzuvollziehen hat.
Der letzte kritische Punkt des vorgelegten Haushaltes ist der weite Bereich der Personalien. Es scheint auch mir etwas zweifelhaft zu sein - Herr Kollege Hoppe hat es heute morgen auch schon gesagt -, wenn man über den Haushalt das Thema „Konsolidierung" schreibt und dann in einem Bereich, wo die Haushaltsstruktur allerdings immer sehr zu leiden hat, weil er mittel- und langfristig angelegt ist, sehr großzügig verfährt - um es ganz vorsichtig zu sagen.
({10})
- Herr Kollege Haase, dann klatschen Sie aber an allen Stellen, auch dann, wenn es um die innere Sicherheit geht.
Ich hoffe, daß wir in den vor uns liegenden Beratungen dort etwas mehr sachgerechte Entscheidungen hineinbringen und auch die vorgeschlagenen Hebungen und neuen Stellen auf ein vertretbares Maß zurückführen können.
In dem Zusammenhang: Herr Kollege Vorsteher der Oppositions-Haushaltsgruppe, Sie haben meinen Bundesvorsitzenden in Ihrer Art karikiert. Ich darf nur sagen: Sie haben im Haushalt des Auswärtigen Amtes, glaube ich, Hebungen mit neuen Stellen verwechselt. Das kann vorkommen. Das waren, wenn ich das richtig sehe, sowieso nur 28 neue Stellen, das andere sind Hebungen. Darüber sollten wir uns mal unterhalten. Ich hoffe, daß wir dann auch in der Lage sind - und das glauben Sie ja auch selbst -, Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben. Das haben wir bisher gemacht. Ich hoffe, daß dies auch in der anschließenden Beratung des Haushalts der Fall sein wird.
Der Bürger hat nach meinem Eindruck einen Anspruch auf eine effektive, aber sparsame Verwaltung. Der Bürger wird es, wenn wir dies als Prinzip durchhalten, auch lohnen. Wie weit das von unseren eigenen Ministern gelegentlich auch so gesehen wird, darüber werden noch die nächsten Beratungen Aufschluß geben. Ich hoffe dennoch, daß wir am Ende unserer Beratungen zu einem ganz guten Ergebnis kommen.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich dem Herrn Abgeordneten Carstens das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich noch auf einige wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem Haushaltsentwurf 1980 zu sprechen kommen.
Zunächst möchte ich eindeutig festhalten, daß durch die Vorlage dieses Entwurfs der Haushalt des Bundes nicht konsolidiert wird. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Herr Minister Matthöfer versucht lediglich, mit der Übernahme des Wortes „Konsolidierung" ein gutes Wort für eine schlechte Politik zu verwenden.
({0})
Carstens ({1})
Er macht weiter Schulden, Jahr für Jahr. Aus zirka 200 Milliarden DM Schulden, die wir zur Zeit beim Bund haben, will er nach seiner eigenen Finanzplanung innerhalb der nächsten vier Jahre über 300 Milliarden DM machen. Da kann beim besten Willen von „Konsolidierung" nicht die Rede sein.
({2})
Ich meine, das hat im Grunde auch der FDP-Kollege Hoppe eben zugegeben.
Nun sind wir von der Opposition mit diesem Haushaltsentwurf überhaupt nicht zufrieden, wollen uns aber der Mitarbeit im Haushaltsausschuß nicht verschließen. Deswegen haben wir in einer Klausurtagung beschlossen, dafür zu sorgen, daß der Haushalt während der Beratungen um mindestens 2 °/o verbessert wird. Wir werden es übernehmen, dafür zu sorgen, daß diese Zahlen zur zweiten und dritten Lesung auf den Tisch gelegt werden. Wir werden also mithelfen, daß über das, was wir schon immer für richtig gehalten haben, hinaus - und dazu hat der Minister hier nichts vorgelegt - zumindest in diesem Jahr noch einige Milliarden gespart werden.
Meine Damen und Herren, was bisher von der Regierungsseite zur Verdeutlichung der haushaltspolitischen Linie für 1980 und für die folgenden Jahre vorgetragen wurde, muß alle diejenigen enttäuschen, die sich um die Zukunft Sorgen machen. Es sind nicht einmal Ansätze einer Lösung zu sehen. Die Zukunft dieser Regierung erscheint schon als abgeschlossen, wenigstens werden Orientierungen und Perspektiven nicht mehr aufgezeigt.
({3})
Der Haushalt 1980 ist mit einem Satz charakterisiert: Der dicke Schuldenbrocken läßt die gebackenen Brötchen immer kleiner werden.
Der Bundeshaushalt ist durch eine unvermindert anhaltende Neuverschuldung des Staates gekennzeichnet. Daran sind in erster Linie zwei Punkte schuld, einmal eine völlig falsche Konjunkturpolitik - wie es schon heute morgen dargestellt wurde - und zum anderen eine überzogene Ausgabenpolitik. Die Folge davon ist, daß die Regierung immer handlungsunfähiger wird. Das wird sich in den nächsten Jahren herausstellen; ich komme darauf gleich noch zurück. Die Folge davon ist aber ganz besonders die Gefahr, daß die Preise wieder steigen. Wir erleben das in diesen Monaten doch schon. Das GATT, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, hat genau zu diesem Punkt gesagt, es sei eine gefährlich falsche Haltung, den Ölpreis zum Sündenbock für die Inflationsraten zu machen.
({4})
Die Steuerpolitik der Bundesregierung wird durch eine große Unsicherheit in der Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung und
({5})
durch wahltaktische Überlegungen bestimmt.
({6})
Lassen Sie mich hierzu einmal etwas Unmißverständliches sagen: Die CDU/CSU will keine klassischen Steuersenkungen. Wir wollen nichts aus der Staatskasse herausnehmen und an die Bürger verteilen, aber wir wollen dafür sorgen, daß der Staat das, was ihm nicht gehört, auch nicht bekommt und den Bürgern auch nicht aus der Tasche nimmt.
({7})
Denken Sie daran, daß auf weite Kreise unserer Bevölkerung in diesen Monaten stark steigende Inflationsraten zukommen! Schon dadurch wird den Bürgern in die Tasche gegriffen. Wenn wir nun noch inflationsbedingte heimliche Steuererhöhungen zuließen, würde den Bürgern noch mehr aus der Tasche gezogen. Wenn die Regierung das täte, handelte sie förmlich nach dem Motto: Alle reden vom Geld, wir nehmen es vom Arbeitnehmer.
({8})
Das wollen wir nicht mitmachen. Das ist unser Punkt. Wir sagen also ein Nein dazu, heimliche Steuererhöhungen zur Wirkung kommen zu lassen, wir sagen aber sehr wohl ja dazu, daß konjunkturbedingte Mehreinnahmen aus Steuern zur Konsolidierung der Haushalte verwandt werden.
({9})
Das ist unsere Marschrichtung, und für die stehen wir ein.
Daher bin ich der Ansicht, daß es nicht zu der alternativen Fragestellung Konsolidierung oder Steuersenkungen, wie ich das eben dargestellt habe, kommen kann. Wenn die Regierung versucht, .der Bevölkerung einzureden, daß es nur diese Alternative gibt, muß man wohl die Meinung haben, daß die Regierung die Ausgabenseite des Bundeshaushalts total übersieht und als eine Art sozialistisches Manifest betrachtet.
({10})
Oder gehen wir einmal an die anderen Überlegungen heran. Wie ist diese Regierungskoalition vor einem Jahrzehnt angetreten? Sie wollte das neue Deutschland schaffen. Was ist aus dieser Finanz-und Haushaltspolitik der „Solidität und Stabilität", der „Kontinuität und der Reformen" geworden? Übriggeblieben sind nur Schulden über Schulden.
({11})
Wenn wir das auf die Zukunft projizieren, dann stellen wir fest, daß das gigantische Folgen hat. Das kann nur bei einem Staat, der solch eine Regierung' hat wie wir, zum Tragen kommen. Im privatwirtschaftlichen Bereich wäre das schlechterdings nicht vorstellbar. - Ich habe da gerade einen Zwischenruf gehört: „Hamburger Morgenpost"? Da könnte man dann auch noch die Firma Beton- und Monierbau heranziehen. - Da ich gerade bei diesem Thema bin, möchte ich doch dazu festhalten, daß die Regierung sich sehr schnell in der Lage sah, innerhalb von Stunden - das hat nicht mal eine Woche gedauert, nur ein bis zwei Tage 13460
Carstens ({12})
eine Summe von 50 Millionen DM Bundesbürgschaft zuzusagen.
({13})
Wie ich gehört habe, hat auch der Kanzler seine Finger dabei im Spiel gehabt.
({14})
So überträgt sich das teilweise, was ich hier im staatlichen Bereich bemängele, sogar in privatwirtschaftliche Betriebe hinein.
({15})
- Herr Kollege, das ist keine böse Unterstellung,
({16})
ich bin gern bereit, Ihnen das schriftlich nachzuweisen, jederzeit Rede und Antwort in dieser Frage zu stehen.
({17})
Trotz aller dieser Dinge rühmt sich der Finanzminister, er konsolidiere den Haushalt. Darüber braucht man sich gar nicht mehr zu wundern, wenn man all das an sich vorüberziehen läßt, was Regierungsmitglieder in den letzten Jahren zu dem Thema „Staatsdefizite" gesagt haben. Mittlerweile wissen wir, was wir von den Absichtserklärungen dieser Regierung zu halten haben. Bedenken Sie bitte, was diese Regierung gesagt hat, als diese Schuldenpolitik 1974/75 anfing. Sie hatte nichts Eiligeres zu tun, als wie Brüningsche Deflationspolitik als Kronzeugen für die Richtigkeit ihrer Schuldenpolitik zu benennen. Meine Damen und Herren, hier geht es mir nicht so sehr um Brüning und seine Politik,
({18})
hier geht es mir um die Schuldenpolitik dieser Bundesregierung, die in ihrer Fehleinschätzung um nichts, um überhaupt nichts hinter der Brüningschen Politik zurücksteht.
({19})
Die Fehlleistungen dieser Politik sind erwiesen. Ich erinnere nur daran, daß Karl Schiller und Alex Möller lieber ihren Hut genommen haben, als diese falsche Politik mitzumachen.
({20})
Die Schuldenphilosophie der SPD/FDP-Koalition widerlegt sich selbst von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr mehr. Die Steuerung der Konjunktur kopflastig über die Nachfrageseite zu betreiben, hat sich als Irrweg erwiesen. Das kann man allenthalben, in allen angesehenen Kommentaren lesen.
({21})
Sie führt uns nur tiefer in die Verschuldung und in die Inflation, sie führt aber nicht zu Wachstum und Beschäftigung.
Bereits heute werden nämlich Zeichen sichtbar, daß wir den eigentlichen Gipfel des Booms, auf den Sie noch warten, überschritten haben. In manchen Bereichen lassen Nachfrage und Preisentwicklung bereits eine langsamere Gangart ratsam erscheinen.
Die Preisentwicklung wird überhaupt das Problem für diese Regierung in nächster Zeit werden. Auch die Zuhörer im Lande möchte ich daran erinnern, daß es Helmut Schmidt gewesen ist, der mit dieser Politik angefangen hat, nämlich als er sagte, 5 % Inflation seien ihm lieber als 5 % Arbeitslosigkeit. An diesem Satz wird er historisch gemessen werden, weil er und die darin liegende Philosophie Anstoß und Grundlage einer verheerenden Politik geworden sind. Er hat damals vor dieser Arbeitslosigkeit gewarnt und die Inflation mit einem Satz von 5 0/o verharmlost. Ich sage Ihnen eines vorher: Wir werden sie beide mit Sicherheit wiederbekommen, wenn die heutige Politik so weitergemacht wird. Wer heute vor der Preisentwicklung die Augen verschließt, braucht sich über steigende Arbeitslosigkeit in den folgenden Jahren nicht zu wundern. Und dann sieht alles sehr viel schlimmer aus als damals, vor nur vier, fünf Jahren. Zu der Zeit konnte der Staat noch zupacken, die Finanzen waren gesund von unseren Regierungen - mit Strauß als Finanzminister - übergeben.
({22})
Wir haben dann eine Verschuldung von mehr als 300 Milliarden DM. Die Freiräume sind weg. Schon jetzt steigen die Zinsen und sorgen für eine Dämpfung der Konjunktur.
({23})
Es ist ein - ich sage das mit allem Bedacht - verantwortungsloses Handeln, das hier praktiziert wurde.
({24})
Dies alles kommt von einer falschen Politik, die Sie über Jahre betrieben haben. Wir dürfen die Verantwortlichkeiten hier nicht vertuschen. Wir müssen deutlich sagen, woran das liegt. Für die Bundesregierung war die Wirtschafts- und Haushaltspolitik all die Jahre nicht nur Konjunkturpolitik, sondern vor allem auch Interventions- und Umverteilungspolitik. Das liegt im Wesen dieser Regierungspartei.
Meine Damen und Herren, der Entwurf des Bundeshaushalts 1980 und die ihn weiterführende mittelfristige Finanzplanung sind die Inventurverzeichnisse dieser gescheiterten Politik, die die staatliche Sparsamkeit stets nur zur propagandistischen Deklamation, nicht aber zur politischen und menschlichen Tugend machte.
({25})
Die Bundesregierung gab jahrelang mehr aus, als
sie vereinnahmte. Sie versprach mehr, als sie halten konnte. Sie wird in Zukunft weniger leisten als
Carstens ({26})
das, was sie in die Pläne, in die mittelfristigen Pläne hineingeschrieben hat. Die Haushaltsstruktur verschlechtert sich schon jetzt zusehends. Wenn man von Erhöhung der investiven Ausgaben spricht, dann muß man feststellen, daß der Finanzplan bestenfalls nominal die Summen weiter vorsieht, die zur Zeit für Investitionen ausgegeben werden; real sinken sie in den nächsten Jahren ab. Sie machen weiterhin Schulden und leisten mit diesem Haushalt weniger.
({27})
Internationalen Verpflichtungen können Sie nur noch schwer, zumindest nicht in genügendem Umfang nachkommen; der Kollege Haase hat darauf hingewiesen. Trotz der Bedrohung aus dem Osten sehen Sie sich nicht in der Lage, den NATO-Verpflichtungen nachzukommen.
({28})
Sie sind nicht einmal bereit - vielleicht schämen Sie sich; ich weiß nicht, was der Grund ist -,
({29})
unseren politischen Freunden im Ausland das zu sagen. Die müssen die Tatsache, daß dem so ist, Presseerklärungen entnehmen, wie mir gesagt wurde.
Meine Damen und Herren, als letztes möchte ich zum Ausdruck bringen, daß dies ein für ein Wahljahr typischer Haushalt ist: voller Beschwichtigungen, Beruhigungen, ohne Konturen und ohne Gesicht. Er ist herrlich zugeschnitten auf das Temperament des Bundesfinanzministers. Wer schon nicht seinen Sachaussagen zu folgen bereit war, den hat zumindest die treuherzige Art des Ministers besänftigt. Er stellt sich hier hin, beklagt sich über die zu hohen Schulden, meint auch, daß, es dringend nötig sei, sie abzubauen, sieht dann zu uns, zur CDU/CSU, und fragt .uns, wie er es machen soll. Ob das einem Finanzminister gemäß ist, wage ich sehr zu bezweifeln.
Die sozialliberale Koalition hat diesen Staat ausgepowert. Die Zeiten des Wirtschaftswunders sind dahin; es geht nicht mehr aufwärts. Wir schwanken von Konjunkturstadium zu Konjunkturstadium. Man hat es schon einmal als Waschbrettkonjunktur bezeichnet. Eine eigentliche Entwicklung, wie man sie sich vorstellt, wie man sie sich wünscht und wie es unserem deutschen Volk bei guter wirtschaftlicher Anleitung durch die Regierung, bei entsprechender Gesetzgebung und bei entsprechender Politik möglich wäre, ist weithin nicht zu sehen.
({30})
Meine Damen und Herren, abschließend noch einen Satz: Wir sind mit diesem Entwurf zwar total unzufrieden, werden aber unsere Hilfe anbieten, das Beste aus diesem schlechten Entwurf zu machen.
({31})
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Roth das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Herrn Bundesfinanzminister treuherzig zu nennen, ist tatsächlich eine innovative Leistung. Alle Eigenschaften habe ich ihm bisher zugetraut, manche davon habe ich leidvoll erfahren, aber Treuherzigkeit und Sanftmut habe ich bisher nicht von ihm erfahren. Das wird auch weiterhin so sein.
({0})
Sie von der Opposition haben es in dieser Haushaltsdebatte wirklich schwer. Nicht nur daß Ihr eigentlicher Führer Sie im Stich gelassen hat und nicht da ist, auch von der Sache her haben Sie es schwer.
(Haase [Kassel] ({1})
- Verehrter Herr Kohl, wir haben die Dreifaltigkeit, wie Sie wissen, und keiner dieser drei ist da.
({2})
- Wir können natürlich miteinander ausmachen, wer der Heilige Geist ist. Ich glaube schon, daß Sie es wissen.
Sie haben es also schwer, hier anzugreifen, weil Sie natürlich ganz genau wissen, daß die extreme wirtschaftliche Lage weltweit nicht durch Gefährdungen und Gefahren in der Bundesrepublik Deutschland auf gleicher Ebene ergänzt wird. Wir hatten im zweiten Vierteljahr, als beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika ein negatives Wirtschaftswachstum hatten, eine selbsttragende Konjunktur, wir erwarten in diesem Jahr ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 4,5 %. Es ist lächerlich, in einer derartigen Situation eine Generalattacke gegen die Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu führen. Sie sollten einsehen, daß wir wirtschaftlich besser als alle vergleichbaren Industrieländer dastehen.
({3})
Ich bin weiß Gott hinsichtlich konjunktureller Lagen und Situationen kritisch, aber ich muß hier bekennen, daß ich überrascht bin, in welch positiver Weise sich die Investitionstätigkeit, insbesondere der Industrie, entwickelt hat.
({4})
Sie sind heillos in Widersprüche verwickelt.
Erstens. Da dramatisiert nicht nur Herr Carstens, sondern jeder Ihrer Redner, die Preissituation. Sie sagen: Das wird ganz schlimm, wir erwarten eine große Inflation. Gleichzeitig verlangen Sie öffent13462
lich über Steuersenkungen einen weiteren Nachfragestoß, der die Preisentwicklung anheizen würde. Das ist ein unauflösbarer Widerspruch.
({5})
Zweitens dramatisieren Sie die Schuldensituation. Herr Carstens sagte gerade in einem leichten Plagiat von Strauß ausschließlich zu diesem Thema: Drama an der Kreditfront. Gleichzeitig fordern Sie Steuersenkungen, also ein höheres Defizit für das Jahr 1980.
({6})
Herr Carstens, in Ihrer gesamten Rede haben Sie nicht von Einsparmöglichkeiten gesprochen, sondern Sie haben nur gesagt, daß Sie für die Verteidigung etwas mehr Geld im Etat haben möchten.
({7})
Drittens reden Sie von gefährlichen Krisensymptomen in unserer Wirtschaft und von Gefährdungen der Konjunktur. Gleichzeitig verschleudern Sie das ganz wichtige wirtschaftspolitische Instrument der Steuersenkung zur Unzeit, da man die weitere wirtschaftliche Entwicklung überhaupt nicht absehen kann.
Herr Kollege Roth, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl?
Bitte schön.
Herr Kollege Roth, halten Sie es für eine Dramatisierung, wenn, wie es eine deutsche Tageszeitung heute ausgerechnet hat, die Schulden des Bundes, über das ganze Jahr gerechnet, pro Stunde um 3,2 Millionen DM zunehmen?
Herr Riedl, die Schuldenkonsolidierung, die 1980 gemacht wird, ist vertretbar. Ich persönlich bin der Auffassung: Wenn sich die konjunkturelle Situation wendet - ich komme darauf zurück -, müssen wir sogar eventuell noch mehr machen. Das weiß man jetzt noch nicht. Aber es geht politisch nicht, jetzt mehr zu fordern und gleichzeitig mehr Verschuldung zu beklagen. Das sagen wir Ihnen in dieser Debatte zwanzigmal.
({0})
Wir haben also eine erstaunliche Stabilität und gleichzeitig ein extremes Gefährdungspotential der Wirtschaft. Sie haben gesagt, die Inflation komme nicht von den Ölpreisverteuerungen.
({1})
- Weitgehend kommt sie von den Ölpreisverteuerungen, wobei wir mit dem Baumarkt einen weiteren Krisenfaktor auf dieser Ebene haben.
Ich als einer, der die Bundesbank in den letzten Jahren nicht immer gelobt hat, möchte sagen, daß die Reaktion der Bundesbank in diesem Frühjahr und im Sommer stabilitätsgerecht und vernünftig war.
({2})
- Die Bundesbank hat diese Kritik grundsätzlich geübt, deshalb gibt es die Konsolidierung. Die Bundesbank hat etklärt, daß sie dio Bundesregierung in der aktuellen Politik voll unterstütze. Sie sollten die Wirtschaftspresse nachlesen und nicht Zwischenrufe zur Unzeit machen.
({3})
Positiv ist beispielsweise die Stimmung in der Industrie. Ich bin erstaunt, wenn ich die Umfragen, beispielsweise von Ifo, über Investitionsstimmung und -neigung ansehe, wie positiv trotz der Gefährdung von der Außenwirtschaft her die Stimmung ist. Meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie uns doch, bitte schön, diese positive Stimmung zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Neuinvestitionen auskosten und ausnutzen. Neuinvestitionen sind, auch wegen des Altersaufbaus des industriellen Anlagenbestandes, dringend notwendig. Die Auftragseingänge sind weiterhin gut, nämlich 5,5 °/o höher als Ende 1978. Die Kapazitätsauslastung hat sich erstaunlich verbessert. Sie wissen, daß die Zahl der Arbeitslosen zum erstenmal wieder unter 800 000 liegt. Dies ist die niedrigste Zahl seit Sommer 1974. Im Außenhandel sehe ich eher Tendenzen zur Normalisierung als Gefährdungen. Manche sagen, dadurch, daß sich das etwas ausgeglichen habe, seien große Probleme entstanden. Wenn wir international vernünftig fortfahren wollen, müssen wir über diese positive Entwicklung sogar froh sein.
Meine Damen und Herren, zu dieser Situation gehören aber auch extreme Risiken. Ich sage: Risiken. ° Es braucht nicht so zu sein, daß das voll durchschlägt, aber es gibt Risiken.
Erster Punkt: Die 45 Milliarden Dollar, die die Ölländer aus der neuen Ölrechnung mehr in ihre Kassen bekommen, sind am Weltmarkt nicht sofort aktiv, werden nicht schnell genug recycled. Das kann zu einer Gefährdung führen, die der der Jahre 1973/74 vergleichbar ist, braucht es aber nicht.
Zweitens. Die US-Konjunktur habe ich schon eiwähnt. Dieses wichtige Partnerland hat im zweiten Vierteljahr minus 2,4 °/o Wirtschaftswachstum, aufs Jahr gerechnet wahrscheinlich zwischen minus 1 und minus 2.
Ein dritter Punkt, der mich besonders bedrängt, ergibt sich aus der Situation der Entwicklungsländer. Die Ölrechnung hat bei den Entwicklungsländern voll durchgeschlagen. Viele Entwicklungsländer, gerade arme Entwicklungsländer, sind nicht mehr in der Lage, ihren normalen Außenhandel für die täglichen Bedürfnisse zu betreiben. Ich komme gerade aus ein paar Staaten zurück, die der Bundesrepublik Deutschland nicht feindlich gesonnen sind, sondern ihr mit großer Sympathie entgegentreten: Tansania, Sambia. Dort besteht eine erhebliche wirtschaftliche Krise. Ich war vor zwölf Monaten dort. Die wirtschaftlichen Probleme sind dort
immer bedrückend, aber die Krise hat sich außerordentlich verschärft. Ich bin der Überzeugung, daß wir helfen müssen, und zwar mehr, als wir bisher beabsichtigt haben, um die Wirtschaft zu stabilisieren, und zwar nicht nur dort, sondern auch in Südamerika, Mittelamerika und Asien.
({4})
Wir dürfen uns nicht nur reparativ verhalten, so wichtig das ist, wenn Menschen aus ihren Ländern hinausgeworfen werden oder fliehen. Wir müssen vielmehr auch über die Wirtschaft verhindern, daß derartige Krisen in der Dritten Welt entstehen. Ich muß für meine Fraktion sagen, daß wir beim Haushalt überprüfen werden, ob nicht mehr getan werden kann, um die Risiken zu lindern.
Wir haben im Innern zwei Aspekte, die bedenklich stimmen können, nämlich bei der Autoindustrie und auf dem Baumarkt, der nach einer sehr starken Beschleunigung der Investitionstätigkeit Tendenzen zur Erschlaffung zeigt. Auch hier muß man genau aufpassen.
Warum habe ich die Faktoren hier so ausführlich dargestellt? Um noch einmal zu verdeutlichen - ich bitte Sie wirklich, das mit aufzunehmen -, daß eine sehr differenzierte und diffizile Situation vorhanden ist, in der man nicht entscheiden kann, ob neue Instrumente und gegebenenfalls welche notwendig sind. Wir haben im Sommer dieses Jahres in der Bundesrepublik Deutschland Tendenzen zur Reinflationierung gehabt. Ich glaube, die Bundesbank hat das mit ihrer Politik rechtzeitig aufgefangen, aber sicher bin ich mir da noch nicht. Ich glaube, daß wir in bestimmten Branchen ein Abkippen der Konjunktur haben. Das kann sich ausbreiten, aber sicher bin ich mir da noch nicht. In einer derartigen Situation Instrumente aus Wahltaktik zu verschleudern, ist unannehmbar.
({5})
Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Wir hätten in dieser Phase allen Grund, miteinander sorgfältig über die zukünftige Entwicklung zu debattieren und nicht zu polemisieren. Ich will das auch gar nicht tun. Ich weiß, daß auch in Ihrem Lager der Zweifel an dieser Steuergeschenkpolitik wuchert,
({6})
daß Sie darüber diskutieren und daß Sie eigentlich sehr unsicher sind.
Und wenn Sie noch nicht unsicher sind, will ich Sie mit Zitaten von Wolff von Amerongen konfrontieren, der ja nicht einer ist, auf den $ie sonst nicht hören.
({7})
- Ich wußte nicht, daß Sie etwas gegen den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstags haben. Ich nehme das zur Kenntnis.
({8})
- Ich hatte bisher den Eindruck: Sie hören auf den. Ich zitiere:
Wolff warnt vor Wahlgeschenken. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Otto Wolff von Amerongen, hat sich entschieden gegen Steuersenkungen ausgesprochen, um dadurch niedrige Lohnabschlüsse in der kommenden Tarifrunde zu erreichen. Der Staat dürfe nicht als dritter Mann bei den Tarifverhandlungen am Tisch sitzen.
Nehmen sie doch wenigstens diesen Rat ernst!
Ich möchte die Gelegenheit dieser Haushaltsdebatte nutzen, um zu einem zweiten Thema aus wirtschaftspolitischer Sicht Stellung zu nehmen, aber ich glaube, daß das die Haushaltspolitiker und Finanzpolitiker schlechthin angeht, wenn nicht überhaupt den Deutschen Bundestag. In diesen Wochen ist dieses Werk hier erschienen: „Der deutsche Subventionsführer". Dieses Werk hat nicht nur 720 Seiten, sondern als es erschienen ist - es hatte wohl drei, vier, fünf Monate Schlußredaktionszeit -, war hinten schon eine Ergänzungslieferung eingehängt. Und die ist sehr, sehr interessant: Neue Programme: 2. Programmergänzungen und -erweiterungen: 30; aufgehobene Programme: null.
({9})
Das ist nun ein Thema, wo wir das billige Spiel „Zeig auf den anderen, dann hast du das Problem gelöst" nicht machen können.
({10})
Hierin sind alle Subventionen vom Bund, von den Ländern und, soweit es geht, auch von den übrigen Gebietskörperschaften. Wir haben eine Wucherung von Subventionen in vielen Details. Wir haben jedes Jahr einen Subventionsbericht und nehmen ihn politisch nicht ernst, und zwar wir alle in diesem Haus. Mein Appell an Sie, an uns alle: Laßt uns diese Subventionswucherei bekämpfen! Ich will auch begründen, warum.
({11})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte.
Herr Kollege, bedeutet die Feststellung, die Sie soeben getroffen haben, nämlich: keine Aufhebung von Subventionen, daß die Bundesregierung ihrer gesetzlichen Verpflichtung, dem Parlament entsprechende Vorschläge zu machen, nicht nachgekommen ist?
({0})
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir haben in diesem Frühjahr hier ein typisches Subventionsgesetz beschlossen, nämlich das Ent13464
wicklungsländersteuergesetz. Dieses Entwicklungsländersteuergesetz war immer befristet,
({0})
und zwar in dem Sinn, daß der Bundestag gezwungen war, sich damit wenigstens handfest auseinanderzusetzen. In diesem Jahr waren trotz des entschiedenen Widerspruchs aller Entwicklungspolitiker die drei Fraktionsführungen sich mit dem Wirtschafts- und mit dem Finanzminister einig, die Befristung aufzuheben. Da haben Sie genauso wie alle hier im Haus mitgemacht. Das nenne ich nur als eines der konkreten Beispiele in diesem Zusammenhang.
Herr Kollege Roth, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?
Was ich hier will, ist ja nicht, eine Polemik zu entfachen. Was ich hier will, ist eine Aufforderung an alle Fraktionen, nicht nur über Schulden zu reden, sondern konkret Subventionen anzupacken und sie jeweils konkret zu überprüfen, wenn der Subventionsbericht vorgelegt wird, und ihn nicht wie jede andere Druckschrift, die uns erreicht, abzuheften.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Bitte.
Herr Kollege Roth, würden Sie mir in voller Übereinstimmung mit dem, was Sie gerade an Forderungen an uns alle gestellt haben, bestätigen, daß erstens 1975 bei der damaligen Steuerreform durch diese Regierung in der gleichen Zusammensetzung eine Reihe von Subventionen abgebaut worden ist und daß zweitens diesem Parlament in Kürze zum Beispiel der konkrete Subventionsabbau bei der Landwirtschaftsbesteuerung vorliegt - wobei allerdings die Opposition auf einem ganz anderen Kurs ist und diesen Abbau eben nicht will?
({0})
Herr Kollege Westphal, beides war mir bekannt und trifft zu. Ich könnte die Liste verlängern. Wir haben damals das Kindergeld eingeführt.
({0})
Nun versucht die CDU/CSU seit langer Zeit, eine
neue zweite Ebene der Subventionierung von Familien einzuführen, obwohl das Instrument „Kindergeld" gerechter, sauberer, ehrlicher und offener ist.
({1})
Ich möchte hier aber ganz bewußt nicht in eine Polemik eintreten, sondern, wie gesagt, einen Appell an Sie richten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine letzte Begründung dafür geben. In den nächsten Jahren werden wir als Staat in bestimmten Bereichen noch mehr subventionieren müssen. Wenn Sie eine alternative Energiepolitik wollen, Gefährdungen abbauen und neue Quellen erschließen wollen, wenn Sie die Energieeinsparung beschleunigen und die Rohstoffsicherung national und international verbessern wollen, brauchen wir gemeinsam viel, viel Geld. Wenn wir alles beim alten lassen - nach dem Muster: zwei neue Subventionen, 30 Ergänzungen von Subventionen, Wegfall von Subventionen: Fehlanzeige -, bekommen wir die Mittel für eine zukunftsorientierte Strukturpolitik nicht frei. Ich weiß sehr wohl, daß es Herr Bundesfinanzminister Matthöfer unter den schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Handlungsbedingungen geschafft hat, Umstrukturierungen im Haushalt vorzunehmen. Dies zeigt sich auch an den Zuwachsraten. Ich nenne die 11,8 °/o bei den Forschungsmitteln für neue Technologien im Etat von Herrn Hauff und die 11,8 °/o für den Bereich der Entwicklungshilfe im Etat von Herrn Offergeld. Dies sind richtige Orientierungen in diesen Etats. Der Finanzminister kommt aber, wie ich glaube, nicht ohne die Unterstützung aller Fraktionen bei der Überprüfung unseres Subventionswesens aus.
({2})
Wir treten nun in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir setzen die verbundene Beratung über die Tagesordnungspunkte 1 und 2 fort. Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, was nicht ganz einfach ist - man muß schon die Erinnerung an die Ausführungen des Herrn Präsidenten vom gestrigen Tag hier noch einmal aufleben lassen -, den Faden der Debatte vom heutigen Vormittag aufzunehmen.
Ich will mich zunächst mit einigen Worten an den Kollegen Roth wenden, der in seiner Schlußintervention einige für ihn und für das, was wir bisher von ihm gehört haben, ungewöhnliche Ausführungen gemacht hat. Ich möchte hier namens der CDU/CSU-Fraktion erklären, daß wir gern auf seinen Vorschlag zurückkommen, im HaushaltsausDr. Kohl
schuß oder in anderen Bereichen des Hauses diesen Subventionsbericht, wenn ich ihn verkürzt so nennen darf, sehr sorgfältig gemeinsam durchzuarbeiten.
Herr Kollege Häfele hat ja von sich aus dieses Angebot zu Beginn der heutigen Debatte gemacht. Ich bin in der Tat der Meinung: Das ist keine Frage von Regierung und Opposition, sondern eine Frage, inwieweit der frei gewählte Deutsche Bundestag in seiner gesamtstaatlichen Verantwortung für unser deutsches Volk in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, die überfällig sind. Die Frage ist, ob wir jetzt den Mut finden, dieses gemeinsam zu tun. Ich will dieses Angebot gern annehmen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Roth?
Ja, gerne.
Herr Kohl, bezieht sich diese Antwort auch auf die Ungerechtigkeit in der Landwirtschaftsbesteuerung und die Ungerechtigkeit in der Landwirtschaftssubvention?
Sehen Sie, Herr Kollege Roth, das ist es ja eben, warum ich so verwundert war: Das, was Sie vorhin zum Schluß sagten, war ganz und gar frei von jenen klassenkämpferischen Untertönen, die Sie jetzt sofort nachtragen müssen.
({0})
Ich kann nur sagen: Was wollen Sie eigentlich mehr als ein offenes Annehmen Ihres Angebots, vorbehaltslos - das habe ich doch deutlich gesagt - miteinander über alles zu reden? Warum bringen Sie jetzt diesen einen Punkt? Das ist doch sofort wieder die alte Erinnerung, die Kollege Häfele hier beschworen hat, aus dem letzten Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen, als wir vor einer ähnlich kritischen Situation standen. Auch damals machte die CDU/CSU-Fraktion von dieser Stelle aus das Angebot: Laßt uns im Blick auf den Staatshaushalt und die Entwicklung der Verschuldung darüber reden, ob dies alles so sein muß!
Daraufhin haben Sie den diffamierenden Vorwurf erhoben, wir betrieben „soziale Demontage". Herr Roth, es klingt gut, was Sie hier sagen; aber der Pferdefuß wurde gleich nach der Mittagspause pflichtbewußt nachgereicht. Das ist es, was wir immer wieder bemängeln müssen.
({1})
Um es noch einmal klar zu sagen: Wir sind angesichts des Zustands der öffentlichen Finanzen, angesichts der dringenden Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen bereit, über alles miteinander zu reden. Aber das geht nur, wenn man im Ausschuß oder anderswo auch „laut denken" kann; wenn man Fragen stellen kann, ohne sofort in die Diffamierungsecke abgedrängt zu werden: Wer nur daran denkt, diesen oder jenen Besitzstand kritisch
zu beleuchten, das ist einer, der „soziale Demontage" betreibt.
Das ist der Punkt, der es in diesem Hause unmöglich macht, eine gemeinsam verantwortete Finanzpolitik durchzuführen.
({2})
Aber dennoch - gerade weil ich finde, daß alle Parteien dieses Hauses angesichts dessen, wie der Bürger die gegenwärtige Parteienlandschaft betrachtet, guten Grund haben, sich zu bemühen, möglichst viel Glaubwürdigkeit auch vor einer Wahl zu gewinnen - mache ich dieses Angebot noch einmal. - Herr Kollege Hoppe, Sie nicken mir freundlich zu; ich will diesen Zuspruch auch gerne an Sie zurückgeben. Wenn Sie so abstimmen, wie Sie hier immer reden, bin ich ganz und gar zufrieden mit der Entwicklung.
({3})
Am Reden hat es bei Ihnen nie gefehlt, an der Einsicht auch nicht; es war die Tat, die oft ausblieb. Wir erhoffen uns gerade in diesem Vorwahljahr, daß man vielleicht doch gemeinsam ein Stück politischer Vernunft über die Hürde bringen kann.
Meine Damen und Herren, die Sprecher der Koalition haben sich redlich bemüht, im Vorfeld der Bundestagswahl jenes Schlachtengemälde weiter auszumalen, als schlössen sich Verbesserungen der Haushaltssituation und Steuererleichterungen total aus.
Wer das Drehbuch liest, das Sie intern geschrieben haben, der kann doch jetzt schon klar erkennen, daß Sie vor der Wahl unter dem Zwang der Ereignisse genau in diese Richtung zumindest optische Signale aussenden. Ich kann mich immer nur wundern, auf wieviel Kurzfristigkeit des Erinnerungsvermögens Sie eigentlich reflektieren, wenn wir im Blick auf das Thema Steuersenkungen miteinander diskutieren. Wir haben doch all die Argumente in den vergangenen Jahren immer wieder gehört. Hansjörg Häfele sprach davon. Erst haben Sie mit einem großen Aufwand erklärt, das sei alles nicht möglich - und am Ende ist es dann doch möglich gewesen. Ich sage noch einmal: Das Drehbuch ist schon geschrieben.
Ich will noch einmal mit wenigen Sätzen darauf eingehen. Vier kurze Argumente sind zu nennen.
Erstens. Natürlich ist der nahende Wahltermin des Jahres 1980 jener Termin, zu dem im Schoße der Bundesregierung Steuergeschenkpakete vorbereitet werden. Ich kann die Warnung meines Kollegen hier nur wiederholen: Wer es gut meint mit der Steuerpolitik, wer es gut meint mit dem Ansehen des Staates bei seinen Bürgern, der sollte dann nicht unmittelbar im Wahlkampf mit heißer Nadel Gesetze nähen, die sachlich nicht standhalten, sondern der sollte sich jetzt in einer ruhigeren Situation, in der das noch möglich ist, auch in der parlamentarischen Arbeit darum bemühen, ein Stück Gemeinsamkeit zu finden. Das ist eine der Voraussetzungen.
({4})
Die Erfahrungen unserer Bürger mit der Steuerpolitik Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, waren in all diesen Jahren immer die gleichen. Ihnen war es nie ein wirkliches Anliegen, die Bürger von der übermäßigen steuerlichen Belastung zu befreien. In Wahrheit haben Sie in diesen Jahren immer eine Politik betrieben, die den Bürgern immer mehr Geld abnahm, um sie durch staatliche Ausgabenprogramme beeinflussen, lenken und bevormunden zu können.
Ich erinnere daran, daß Sie sich vor Jahresfrist mit der Autorität Ihres Amtes gegen Steuererleichterungen zur Wehr gesetzt haben. Als diese Erleichterungen dann endlich durch die Union, nicht zuletzt durch die Mehrheit im deutschen Bundesrat durchgesetzt worden waren, haben Sie sich draußen im Lande in allen Schaukästen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands als der Mann präsentieren lassen, der dem Bürger Erleichterungen gewähren will.
Meine Damen und Herren, wir haben unsere Erfahrungen mit Ihrer Steuerpolitik. Ich sage es noch einmal: Wir sehen das Drehbuch im Blick auf die Bundestagswahl. Wir haben damals die Tarifreform trotzdem durchgesetzt. Heute, Herr Bundeskanzler, bezeichnen Sie die Steuerdiskussion als reichlich naiv. Das ist eine beliebte Terminologie. Wer nicht Ihrer Meinung ist, versteht nichts davon und ist naiv, obwohl auch Sie wissen müßten, daß Steuererleichterungen dazu beitragen können, wirtschaftliches Wachstum zu fördern, Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Zweitens. Herr Bundeskanzler, Ihr Einwand,
({5})
daß diese Steuerdiskussion zur Unzeit geführt wird, ist einfach nicht stichhaltig. Sie selbst waren es, der auf die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel des Jahres 1980 hingewiesen hat. Sie selbst haben die Ölpreiserhöhung und eine mögliche Rezession in den USA als Stichworte öffentlich angesprochen. Es ist doch nur vernünftig, wenn wir angesichts solcher Entwicklungen die Frage nach Steuererleichterungen hinzufügen.
Drittens. Im Grunde geht es zunächst gar nicht um die konjunkturpolitische Einfassung der Steuerdiskussion, sondern um die Frage der Steuergerechtigkeit, um jene Milliarden, die der Staat auf unzulässige Weise auf Grund der Inflationsentwicklung kassiert.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, eine Steuererleichterung sei mit einer Politik der Haushaltsverbesserung unvereinbar. Das ist einfach unrichtig. Zur Alltagserfahrung des Bürgers der Bundesrepublik Deutschland gehört doch vor allem dies: Obwohl die Bürger unter Ihrer Regierung steuerlich unzumutbar belastet wurden, hat die Bundesregierung trotz ständig steigender Einnahmen einen nie zuvor gekannten Schuldenberg aufgehäuft.
Wenn dies richtig ist, dann sollten Sie, Herr Bundeskanzler, im Fernsehen nicht plaudernd erwähnen, bei Steuersenkungen müsse man wiederum mehr Kredite aufnehmen; denn dann erkennt man die Absicht, daß Sie in Wahrheit Ihr eigenes Versprechen vom Schuldenabbau nicht ernst nehmen. Sie lehnen Steuererleichterungen für den Bürger ab, weil die ungerechtfertigten höheren Steuereinnahmen Ihnen die für das Wahljahr 1980 notwendigen Mittel verschaffen. Das ist die Wahrheit, die wir wieder beklagen müssen.
({6})
In Wahrheit denken Sie gar nicht daran, hier einen entscheidenden Schritt zu tun.
Wir werden uns im Laufe der weiteren Beratung noch einmal mit dem mangelnden Respekt gegenüber einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in bezug auf öffentliche Propagandaaufwendungen zu befassen haben. Ich gebe zu: Sie haben gelernt, Sie machen das alles jetzt wesentlich geschickter. Aber in Wahrheit hat sich am Verhalten der Regierung überhaupt nichts geändert.
Ich will noch einen Gedanken aus der Debatte des heutigen Morgens aufgreifen. Es ist darauf hinzuweisen, daß weite Teile der Sozialdemokratischen Partei natürlich auch heute noch - oder gerade heute wieder - in der Steuerpolitik ganz andere Instrumente zur Steuerung der Gesellschaft sehen. Heute früh ist Senator Scherf aus Bremen zitiert worden, ein Mann, bei dessen sonstigen öffentlichen Äußerungen es sich eigentlich nicht lohnt, ihn überhaupt zu erwähnen. Aber er ist Wortführer einer bestimmten Richtung in Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler. Herr Scherf sagte Mitte dieses Jahres wörtlich:
Wir machen z. B. in der Steuerpolitik - das
ist mein engeres Gebiet - seit Jahr und Tag
genau das Gegenteil von dem, was die Partei beschlossen hat, und zwar im Orientierungsrahmen und in dem vorangegangenen Langzeitprogramm. Wir wollen den öffentlichen Korridor erweitern.
Herr Bundeskanzler, es gibt kein Wenn und Aber - was auch immer die FDP in diesem Zusammenhang öffentlich sagen mag -: Dies ist der erklärte Wille weiter Teile der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
({7})
Denn für diese Kreise ist die Steuerpolitik Vehikel einer gesellschaftspolitischen Veränderung, die niemals unsere Zustimmng finden wird.
Ich darf zu einem zweiten Themenbereich der aktuellen Diskussion in dieser Generalaussprache kommen: Energiepolitik. Die Frage einer ausreichenden Energieversorgung ist für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland eine der größten Herausforderungen, die auf gar keinen Fall durch Zufallsmehrheiten auf irgendeinem Parteitag entschieden werden, eine Herausforderung an alle demokratischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. Ich finde, wir wären gut beraten, wenn wir die Fähigkeit wiedergewinnen würden, in einigen wichtigen Bereichen der deutschen Politik mehr Gemeinsamkeit zu entwickeln. Es gibt genug FelDr. Kohl
der, auf denen die Auseinandersetzung und die unterschiedliche Meinung so selbstverständlich sind, daß ein Bemühen zu mehr Gemeinsamkeit auf diesem Felde mehr oder minder sinnlos ist.
Ich kann - auch angesichts einer vergleichbaren Situation und Diskussion in anderen europäischen Ländern - nicht verstehen, daß wir in der energiepolitischen Situation in eine derart ideologische Schlachtordnung geraten sind. Es ist Ihre Schuld, daß es zu dieser Entwicklung gekommen ist.
({8})
- Verehrter Herr Kollege„Sie können mich mit jedem in der Union zusammenbringen. In dieser Frage gibt es bei uns Gott sei Dank eine einheitliche Meinung. Wir haben klare Parteitagsbeschlüsse, während Sie sich um klare Beschlüsse in wenigen Wochen mühsam herummogeln.
({9})
Meine Damen und Herren, bisher war zwischen den Fraktionen des Hauses unbestritten, daß unsere Abhängigkeit vom Öl nur durch sparsamen Umgang mit Energie und durch Entwicklung alternativer Energiequellen zu verringern ist - und daß auf den friedlichen Einsatz der Kernenergie selbst bei forciertem Energiesparen und verstärkter Nutzung nichtnuklearer Energieträger nicht verzichtet werden kann.
Es ist offenkundig, daß trotz aller Gegenpropaganda die riesige Mehrheit unserer Mitbürger dieser Grundlinie zustimmt. Die Bundesregierung, vertreten durch den Bundeskanzler und den Bundeswirtschaftsminister, hat sich auch immer wieder in dieser Weise geäußert. Sie teilen doch mit uns die Befürchtung, daß sich das Problem der ausreichenden Energieversorgung in den nächsten Jahren weltweit verschärfen wird. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben die Apokalypse eines drohenden Weltkrieges im Verteilungskampf um das Ö1 an die Wand gemalt, und Sie selbst haben erklärt, die Welt brauche zumindest für die nächsten 20 bis 30 Jahre Kernenergie; sonst würden Hungerkatastrophen und Arbeitslosigkeit in unbeschreiblichem Ausmaß über die Erde hereinbrechen.
Aber mir scheint, selbst dieses düstere Schlachtengemälde hat Ihnen in Ihrer eigenen Partei, ja in Ihrer eigenen Regierung nicht geholfen. Heute stehen wir vor der Situation, daß die Sozialdemokraten in Niedersachsen die nach dem Atomgesetz erforderliche Wiederaufbereitungsanlage ablehnen, daß die SPD in Baden-Württemberg eine Bau- und Genehmigungspause für Kernkraftwerke fordert, um eine Energiepolitik zu entwickeln, die den Verzicht auf Kernenergie möglich macht, und daß der Vorstand der SPD Schleswig-Holsteins mit Mehrheit ein Aktionsprogramm „Energiewende" verabschiedet, nach dem neue Kernkraftwerke nicht mehr errichtet werden sollen - und die in Betrieb befindlichen Kraftwerke in den Bereich der Stillegungen einbezogen werden müssen. Ich will die Liste nicht verlängern; ich müßte noch Nordrhein-Westfalen, und vieles andere erwähnen. Auch im SPD-Vorstand ist klar und deutlich geworden, daß die Dinge hier weit auseinandertreiben.
Und welche Unterstützung können Sie, Herr Bundeskanzler, eigentlich von Ihrem Koalitionspartner FDP erwarten, der kürzlich auf seinem Bundesparteitag in Bremen einen Formelkompromiß gefunden hat, von dem ich jetzt aber mit großem Erstaunen lese, daß dieselbe FDP in Bremen, in diesem Falle der Landesverband Bremen der FDP, nach dem Parteitag ein faktisches Nein zur Kernkraft in sein Wahlprogramm für Bremen geschrieben hat?
Meine Damen und Herren, der Vorsitzende der Jusos hat in diesen Tagen öffentlich erklärt: Helmut Schmidt wird begreifen müssen, daß er sein Atomprogramm mit der Mehrheit der SPD nicht mehr durchsetzen kann. - Ich habe nicht zu rechten, ob dies zutrifft, ob es Wahrheit wird oder nicht.
({10})
- Nein, Herr Kollege Wehner,
({11})
ich könnte es mir jetzt sehr einfach machen
({12})
und könnte jetzt so zynisch replizieren, wie Sie gefragt haben. Aber ich bin der Meinung, daß es bei der Frage der Kernkraft nicht um irgendeine parteipolitische Frage geht, und ich gehe eigentlich davon aus, daß wir gemeinsam dasselbe staatspolitische Bewußtsein haben
({13})
und daß der Bundeskanzler recht hat, wenn er sagt, daß dies eine Schicksalsfrage sei.
({14})
Aber ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Wehner:
({15})
In diesem Fragenbereich ist das Thema nicht mit lautstarken Tönen zu behandeln,
({16})
auch nicht in der Weise, wie Sie es tun, indem Sie von vornherein den Andersdenkenden herabsetzen wollen, sondern hier geht es wirklich darum, in einer schwierigen Situation sehr dicke Bretter zu bohren, bis wir in der Bundesrepublik Deutschland eine breite Mehrheit der Vernunft haben.
({17})
- Herr Wehner, meine parlamentarische Erfahrung mit Ihnen mache ich zugegebenermaßen erst
sehr kurze Zeit. Aber mein Eindruck ist: immer
dann, wenn Sie ein schlechtes Gewissen haben, werden Sie besonders laut.
({18})
Herr Bundeskanzler, es war aber doch atemberaubend, zu beobachten, daß Ihre eigenen Kabinettsmitglieder in diesem Zusammenhang ein eigenartige Hin und Herr gezeigt haben. Auf dem Landesparteitag der SPD Baden-Württembergs stimmte der dortige Landesverband gegen Ihr energiepolitisches Konzept. Ein Mitglied Ihres Kabinetts stimmte dem Antrag auf Kernenergieverzicht zu. Ein anderes enthielt sich der Stimme. Was soll eigentlich der Bürger draußen in Baden-Württemberg von einer Regierung halten, die in Bonn tatkräftig verlangt, daß endlich die Sicherung der Energiepolitik vorangetrieben wird? Ich rede jetzt gar nicht von der Partei, sondern Ihre eigenen Kabinettsmitglieder verhalten sich in der Abstimmung so.
Es war auch atemberaubend, in der Ferienpause zu beobachten, was der für Ihre Energiepolitik zuständige Minister im Blick auf Geschwindigkeitsbegrenzung, Fahrverbot und andere Vorstellungen der deutschen Öffentlichkeit mitteilte. Es ist das alte Lied: Die Gängelung des Bürgers ist das einzige, was Sozialisten angesichts drohender Mangelsituationen anzubieten haben.
({19})
- Herr Kollege Wehner, ich kann nur sagen, daß ich ({20})
- Herr Kollege Wehner, ich kann nur sagen: Angesichts der Tatsache, daß dies eine Live-Übertragung ist, sollten Sie fortfahren, in dieser Art Parlamentarismus zu üben.
({21})
Herr Bundeskanzler, weder Sie noch Ihre Regierung noch Ihre Partei sind zu eindeutigen und notwendigen Beschlüssen fähig.
({22})
Deswegen besteht seit Jahr und Tag praktisch der Baustopp für Kernkraftwerke, wie ihn die linken in der SPD und auch in der FDP immer wieder gefordert haben. Deshalb bleiben jetzt Aufträge aus. Herr Wehner, deshalb sind über 150 000 Arbeitsplätze in diesem wichtigen Bereich unserer Industrie gefährdet. Wenn Sie das alles nicht interessiert, dann laden Sie doch als Vorsitzender der SPD-Fraktion, die draußen behauptet, die Interessen der deutschen Arbeitnehmer zu vertreten, einmal die Betriebsräte dieser Industriebereiche zu sich ein.
({23})
Vor uns steht eine Energiekrise, die - da stimmen wir Ihnen zu, Herr Bundeskanzler - für das Land lebensbedrohend werden kann. Ein Minister Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, hat davon gesprochen - wenn ich mich richtig erinnere, meinte er Ihre Heimatstadt -, daß bereits in den kommenden Wintermonaten in Teilbereichen der Bundesrepublik die Lichter zeitweilig erlöschen könnten.
({24})
Manche der Kraftwerksgegner von heute werden dann diejenigen sein, die die Hände in Unschuld waschen und auf die vermeintliche Unfähigkeit der Versorgungsunternehmen oder gar der marktwirtschaftlichen Ordnung schimpfen werden. Wir dürfen es diesen Kreisen nicht so leicht machen. Ich glaube, die Regierung hat die Pflicht, in offener Auseinandersetzung mit den Kernkraftgegnern zu überzeugen. Wenn ich sage „offene Auseinandersetzung mit Kernkraftgegnern", meine ich nicht jene ideologisch verstockten Kreise, die aus ganz anderen Gründen, etwa um den demokratischen Staat zu zerstören, sich dieses Themas bemächtigt haben, sondern ich meine viele junge Leute in allen Bereichen unserer Gesellschaft und manchen Nachdenklichen, der jetzt - nach den Erfahrungen von 30 Jahren Wiederaufbau unserer Republik - auch bezüglich der Ökologie Fragen stellt, die nachdenkenswert sind. Wir in der CDU/CSU sind für dieses Gespräch. Aber das Ja zu einer gesunden Umwelt kann nicht das Ja zu der Notwendigkeit von Kernkraft ausschließen. Beides muß im Sinne einer vernünftigen Politik möglich sein.
({25})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Herr Kollege Kohl, wenn Sie so dafür plädieren, den Dialog mit der jungen Generation gerade in dieser Frage zu pflegen, wie beantworten Sie sich dann die Frage, daß dieser Dialog in Ihrer Partei offensichtlich überhaupt nicht notwendig ist?
Herr Kollege, wenn ich es recht sehe, bin ich der einzige Vorsitzende einer deutschen Partei, der regelmäßig an deutschen Universitäten mit Studenten diskutiert - das ist die erste Feststellung -,
({0})
und zwar nicht vor einem ausgewählten Publikum, nicht vor besonders Geladenen im Reichstag oder anderswo, sondern wirklich in Marburg oder woanders.
({1})
- Ich lade Sie gern ein, einmal mitzukommen. Da werden Sie auch manche Hochleistungen sozialdemokratischer Universitätspolitik erleben können. Ich bin gerne bereit, Ihnen diese Vorstellung zu verschaffen.
({2})
Verehrter Herr Kollege, Ihre Frage verstehe ich eigentlich nicht. Wenn eine Partei nach einer langen Diskussion und nach manchen Schwierigkeiten - jede Volkspartei, auch unsere, hat ihre Schwierigkeiten - zu einem gemeinsamen Ergebnis kommt, ist das doch kein Zeichen von Schwäche. Schwäche wäre es, wenn per Octroi eine Meinung von oben nach unten diktiert würde.
Wir in der CDU haben unser Ludwigshafener Grundsatzprogramm nach drei Jahren Diskussion einstimmig verabschiedet. Ich bin stolz darauf, daß wir uns am Ende geeinigt haben. Da war natürlich nicht jeder Delegierte im Saal von jedem Punkt völlig überzeugt. Aber das Normale in einer Partei ist doch, daß man sich aufeinander zu bewegt. Verstehen Sie: Partnerschaft, das ist unser Ideal. Ich will es so ausdrücken: Die ausgestreckte Hand des Partners ist für uns das Symbol, nicht die geballte Faust des Genossen. Das ist der Unterschied.
({3})
Herr Bundeskanzler, Sie hätten die Pflicht gehabt, gerade in Niedersachsen, wo sich die Probleme offensichtlich stauen, den Gegensatz zu Ihrem Parteifreund Ravens nicht nur deutlich zu machen, sondern Ihre Freunde in Niedersachsen an ihre staatspolitische Verantwortung zu erinnern. Statt dessen wird jetzt versucht, die atomrechtlich eindeutig verankerte Verantwortung den Ländern zuzuschieben.
Die Bundesregierung trägt nach dem Atomgesetz eindeutig die Verantwortung für die Verwirklichung des integrierten Entsorgungszentrums für Kernkraftwerke. Sie haben es nicht fertiggebracht, die politischen Voraussetzungen für ein solches Projekt zu schaffen. Ich sage das jetzt vorsorglich, weil ich weiß, wie Ihr Anschlußargument lauten wird. Kommen Sie bitte nicht und sagen Sie: Das alles wird in Hannover entschieden. Wenn Sie die politischen Voraussetzungen für die Gemeinsamkeit der demokratischen Fraktionen und Parteien in Niedersachsen schaffen,
({4})
werden Sie innerhalb von Monatsfrist die notwendigen Entscheidungen in Hannover erreicht haben.
({5})
- Herr Kollege, Sie haben doch gehört, was ich gesagt habe. Das muß ich doch nicht interpretieren. Bringen Sie eine klare Entscheidung Ihrer Fraktion in Hannover zustande, dann bringen wir eine klare Entscheidung insgesamt zustande.
({6})
Meine Damen und Herren, ein drittes. wichtiges Feld, das in dieser Sommerpause durch mancherlei Redseligkeit aus der Regierung wieder brennend geworden ist - auch in der öffentlichen Diskussion -, ist das Thema Rentenpolitik. Was ist das eigentlich für ein Zustand, daß wir Jahr für Jahr in
dieses Thema hineintaumeln und jetzt in Ihrer eigenen Partei, Herr Bundeskanzler, die Warnung vor einem zweiten Rentenbetrug aufkommt?
({7})
Wenn wir bisher dieses Wort gebraucht haben, zeigten Sie sich - ich will es freundlich formulieren - indigniert.
({8})
Sie sind immer indigniert, wenn ein anderer etwas über Sie sagt. Sie sind nie indigniert, wenn Sie jede Formulierung für andere finden.
Ich kann nur fragen: Warum haben wir jetzt eigentlich diese öffentliche Diskussion in der Bundesrepublik? Da ist die FDP, die die gesetzlich festgelegte Rückkehr zur Bruttolohnanpassung im Jahre 1982 in Frage stellt. Die FDP spricht von nettoähnlichen Lösungen, von Rentenabschlägen, lehnt jedoch eine Besteuerung der Renten ab.
Heute war hier der Haushaltssprecher der SPD am Pult und hat mit großer Verve und großer Leidenschaftlichkeit vertreten, daß jeder Abstrich im sozialen Bereich auf den erbitterten Widerstand der Sozialdemokratischen Partei stoßen werde. Verehrter Kollege, der Widerstand wird so lange dauern, bis es hier um die Macht geht. Wenn Sie die FDP brauchen, werden Sie alles machen, um dran zu bleiben; das ist die Erfahrung.
({9})
Zum gleichen Zeitpunkt, in dem die FDP diese Diskussion führt, erklären als Sprecher der SPD der Bundesarbeitsminister und die Staatssekretärin im Arbeitsministerium das genaue Gegenteil. Sie fordern eine Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Rentenanpasung. Sie wollen an den Sanierungsmaßnahmen des 21. Rentenanpassungsgesetzes festhalten, und sie stellen Überlegungen an, die -Renten stärker zu besteuern. Sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, Sie haben der staunenden deutschen Öffentlichkeit beinahe einen Neckermann-Katalog Ihrer Großtaten vorgetragen. Warum haben Sie eigentlich zu diesem Thema nichts gesagt?
({10})
- Herr Wehner, ich habe jetzt nur die Quellen zitiert, ich habe es noch nicht einmal kommentiert. Ich habe schlicht und einfach Sachverhalte,
({11})
die Ihnen möglicherweise in den Ferien entgangen sind, hier vorgetragen. Es ist doch nicht zu leugnen - das wissen Sie aus den Gesprächen in Ihrer eigenen Fraktion, Herr Kollege Wehner -, daß dieses ständige Hin und Her der Regierungsparteien eine erhebliche Verunsicherung der Rentner und Versicherten hervorgerufen hat.
({12})
Es ist einfach unglaublich, welche Wechselbäder Sie den älteren Mitbürgern gerade jetzt wieder zumuten.
({13})
Herr Kollege Wehner, ich will Ihnen drei Quellen geben. Hier, von diesem Pult, bei der Debatte zum 21. Rentenanpassungsgesetz, sagte der Sprecher Ihrer Fraktion:
Die Rückkehr zur Bruttolohnanpassung der Renten ab 1982 ist im Gesetz ausdrücklich festgeschrieben. 1982 findet ein automatischer Übergang zurück zur bruttolohnbezogenen Anpassung statt.
Gleichzeitig wurden Millionen von Broschüren von
der Bundesregierung verteilt; man nennt das jetzt
- in Umgehung des Tenors des Karlsruher Urteils
- „Leitfaden zum 21. Rentenanpassungsgesetz". In diesem Leitfaden heißt es: „Ab 1982 richtet sich der Anpassungssatz wieder nach der Entwicklung der Bruttolöhne." Jetzt erklärt die FDP - wo war eigentliche Ihre Stimme, Herr Wehner? - wörtlich:
Unrichtig sind dagegen Behauptungen, das 21. Rentenanpassungsgesetz schreibe die Rückkehr zu der bis 1977 üblichen Bruttoanpassungsautomatik vor. Eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung besteht nicht. Sie hat nie bestanden.
Herr Kollege Wehner, wer hintergeht denn hier das deutsche Volk? Wer sagt denn den Rentnern nicht die Wahrheit?
({14})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Wehner?
Bitte schön, gern.
Nachdem Sie hier, sehr verehrter Herr
({0})
Kohl, miteinander vermischt haben, was die Sozialdemokraten unter Berufung auf die Beschlüsse, und zwar nicht ihrer Partei, sondern der Institutionen, zum 21. Rentenanpassungsgesetz und zu den Folgen
- bruttolohnbezogene Rente - gesagt haben, mit dem, was es an kritischen Meinungen beim einen oder anderen Kollegen einer anderen Partei gibt, ohne daß das damit die Tatsache umdreht, frage ich Sie: Sind Sie denn bereit, das, was Sie hier am Ende mit „hintergehen" gesagt haben, zurückzunehmen oder bleiben Sie bei dieser unverschämten Behauptung?
Aber Herr Wehner, ich denke gar nicht daran, mein Urteil zurückzunehmen. Ihre Fragestellung ist ein weiterer Versuch in dieser Richtung. Ich will - weil Sie es offensichtlich so haben wollen - noch einmal konkret die Quellen miteinander vergleichen:
Die Rückkehr zur Bruttolohnanpassung der Renten ab 1982 ist im Gesetz ausdrücklich festgeschrieben. 1982 findet ein automatischer Übergang zurück zur bruttolohnbezogenen Anpassung statt.
({0})
Das ist die Äußerung der Sozialdemokratischen Partei in diesem Haus.
Zweitens. In der amtlichen Darstellung der Bundesregierung heißt es wörtlich: .„Ab 1982 richtet sich der Anpassungssatz wieder nach der Entwicklung der Bruttolöhne." Jetzt erklärt die FDP - und ich habe nichts anderes von der FDP gehört als dieses -:
Unrichtig sind dagegen Behauptungen, das 21. Rentenanpassungsgesetz schreibe die Rückkehr zu der bis 1977 üblichen Bruttoanpassungsautomatik vor. Eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung besteht nicht. Sie hat nie bestanden.
Herr Kollege Wehner, was soll eigentlich ein Rentner denken, der diese beiden Äußerungen liest? Das ist doch keine Erfindung von uns, das ist doch mitten aus dem Regierungslager hervorgegangen!
({1})
- Gerne. - Herr Kollege Wehner, damit Sie das vielleicht gleich in Ihre Zwischenfrage einbeziehen: Ich nehme Sie zwar nicht in die Verantwortung für die FDP
({2})
- Sie sind ja aneinander gekettet -, aber ich nehme Sie beispielsweise in die Verantwortung für die Frau Staatssekretärin des Arbeitsministeriums. Das, was sie gesagt hat, ist doch durch diese Äußerung auch nicht gedeckt. Oder würden Sie sagen, daß das doch der Fall ist?
Würden Sie, wenn ich Ihnen die tatsächlichen Aussagen der jetzt von Ihnen genannten Frau Staatssekretärin gebe - nicht hier jetzt, sondern so, daß Sie sie wirklich lesen können -, bereit sein, das, was Sie jetzt behaupten, zu widerrufen? Denn dann müßten Sie es widerrufen!
({0})
Herr Kollege Wehner, an der Heftigkeit Ihrer - ({0})
- Herr Kollege Wehner, ich kann nur das wiederholen, was ich vorhin schon gesagt habe:
({1})
Meine sorgfältige Beobachtung Ihrer parlamentarischen Interventionen hat mich zu der ÜberzeuDr. Kohl
gung gebracht, daß immer dann, wenn Ihre Position besonders schwach ist, Ihre Stimme besonders laut wird. Das ist meine Erfahrung.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mischnick?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Kohl, ist Ihnen bekannt, daß die Rentenreform von 1957 die Bruttolohnanpassung der Bestandsrenten durch Gesetz zu keinem Zeitpunkt vorgeschrieben hat? Ist Ihnen das bekannt?
({0})
Herr Kollege Mischnick, ich finde, Ihre Zwischenfrage beantwortet sich von selbst.
({0})
Ich bin nur dafür, daß jeder, der das mitsieht und mithört, die Äußerungen von Herbert Wehner in seiner Anfrage und die Ihren vergleicht. Damit ist doch offenkundig, daß der Dissens hier unüberwindlich ist.
({1})
Oder aber, meine Damen und Herren, es gibt die gleiche Dramaturgie wie im Jahre 1975/76: Vor der Wahl ist es ein Problemehen, nach der Wahl wird es zum Problem. Das ist doch das, was jetzt wieder abläuft.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich darf gerade den Satz noch sagen. - Deswegen, Herr Bundeskanzler, scheint es mir, nachdem der Arbeitsminister, die Staatssekretärin im Arbeitsministerium sowie wichtige Repräsentanten der beiden Koalitionsfraktionen für diese öffentliche Unruhe gesorgt haben, überfällig zu sein, daß Sie hier ans Pult gehen und klipp und klar sagen, was die Regierung vorhat: ob die Regierung bei dem bleibt - ({0})
- Herr Kollege, Sie sind noch nicht die Regierung, und der Kollege, den ich hier zitiert habe, war nicht der Bundeskanzler. Da der Bundeskanzler aber vor der letzten Bundestagswahl Erkenntnisprobleme hatte, möchte ich ihn jetzt davor be- wahren, vor der Wahl 1980 erneut Erkenntnisprobleme zu haben.
({1})
Deswegen habe ich nur die ganz bescheidene Bitte, daß er ans Pult kommt und uns sagt,
({2})
was er von dem Problem hält.
({3})
Herr Kollege Kohl, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mischnick?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Kohl, ist Ihnen wirklich entgangen, daß es ein Unterschied ist, ob eine gesetzliche Verpflichtung oder ein Gewohnheitsrecht, so zu verfahren, besteht? Ist Ihnen das wirklich entgangen?
({0})
Verehrter Herr Kollege Mischnick, wir sollten uns gegenseitig zubilligen, daß wir uns allesamt an der unteren Grenze - ich nehme das jetzt einmal bescheiden für mich in Anspruch - von Erkenntnisfähigkeit bewegen können. Weil dies so ist, können Sie mir unterstellen, daß ich das auch so verstanden habe. Aber merken Sie denn nicht, daß genau Ihre Frage deutlich macht, daß alles das, was ich gesagt habe, überaus richtig und zutreffend ist?
({0})
Das Problem stellt sich jetzt nicht für uns, Herr Kollege Mischnick, sondern wir haben ein Millionenheer von alten Mitbürgern und Rentnern, mit denen man ehrlich umgehen und reden sollte. Meine Bitte ist nur: Schaffen Sie diese Sache aus der Welt. Wenn Sie es heute nicht können, machen Sie eine Klausurtagung Ihres Koalitonsausschusses - die FDP war immer listig genug, dabei Ausflüchte zu finden -, und dann können wir wieder darüber reden. Aber Sie müssen dem deutschen Volk hierauf eine Antwort geben.
({1})
- Nein, ich möchte jetzt wirklich im Thema fortfahren.
Ich möchte zu einem vierten wichtigen Kapitel der Innenpolitik Stellung nehmen, zum Thema der Bevölkerungsentwicklung, der Familienpolitik. Eines möchte ich gleich vorweg sagen, weil das bei unserem letzten Rededuell, Herr Bundeskanzler, von Ihrer Seite in einer Weise akzentuiert wurde, die ich nicht akzeptieren kann. Ich denke nicht daran, krisenhafte Erscheinungen, die in vielen Völkern der Welt im Hinblick auf die Familienpolitik zu beobachten sind und die vor allem auch die Völker der westlichen Welt erfaßt haben, nicht
mit in Betracht zu ziehen, wenn ich über die Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland spreche. Die freie Welt hat hier krisenhafte Entwicklungen und Zustände, die zutiefst beklagenswert sind. Aber es ist unübersehbar, daß die Bundesrepublik gegenüber vergleichbaren Ländern und Völkern mit Abstand am schlechtesten abschneidet. Da Sie in wenigen Wochen mit großem Gepränge propagandistischer Art den zehnten Jahrestag der Errichtung der Koalition von SPD und FDP begehen werden, schlage ich Ihnen vor, daß Sie aus Anlaß dieses Jubiläums unseren Mitbürgern auch einmal deutlich machen, wie es kommt, daß wir die niedrigste, die negativste Geburtenrate überhaupt haben und daß sich die familienpolitische Entwicklung in unserem Lande besonders negativ darstellt.
Viele nüchterne Betrachter sprechen von einer Krise der Familien, die schwerer ist und tiefer reicht als der Funktionswandel und der Trend zur Kernfamilie, der in allen hochindustrialisierten Staaten zu beobachten ist. Die nüchternen Daten sprechen für sich: Die Zahl der Eheschließungen nimmt ab, die Zahl der Ehescheidungen steigt. Es ist unübersehbar, daß wir einen dramatischen Rückgang der Geburten haben. Kinderreichtum bedeutet in der Praxis des Alltags unserer Gesellschaft zunehmend sozialen Abstieg. Die Zahl der bei Ehe- und Familienberatungsstellen Hilfesuchenden wächst immer weiter an. Das sind in Wahrheit nur die äußeren Symptome, die in Zahlen faßbaren Daten dieser Krise.
Es gibt andere, schwerwiegendere Hinweise, die sich kaum im Zahlenwerk von Statistiken wiederfinden. Ich spreche die psychologische, moralische Verunsicherung vieler Familien an: das Gefühl der Überforderung von vielen Eltern in Fragen der Erziehung; ein Wohlstandsdenken und ein weit verbreitetes Mißverständnis von Freiheit, das die familiären Bindungen und Verpflichtungen für nicht wenige Zeitgenossen als Einengung und Belastung erscheinen läßt; die Gefühle vermeintlicher Minderwertigkeit oder gar Diskriminierung bei nicht erwerbstätigen Frauen; eine zunehmend als kinderfeindlich empfundene Welt.
All die Bekenntnisse, die jeder von uns - ich spreche auch Sie persönlich an, Herr Bundeskanzler - jetzt im Zeichen eines wieder wachsenden Familienbewußtseins an die Adresse der Familien hier und dort abgeben mag, können nicht ungeschehen machen, daß in der Regierungszeit von SPD und FDP in diesen letzten zehn Jahren der Familie schwerer Schaden zugefügt wurde.
({2})
Seit Jahren wird in diesem Felde im Sinne einer sozialistischen Emanzipationsideologie „tiefgepflügt". In einem von der Bundesregierung herausgegebenen Bericht, der heute noch seine Wirkung tut, wurde die Familie als „Sozialisationsagentur der Gesellschaft" diffamiert. Noch immer gilt es in Ihren Reihen als progressiv, Autorität - etwa im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern - anzuzweifeln. Das ist auch ein altes sozialistisches Übel: daß man autoritär und Autorität miteinander
verwechselt. Gerade wir wissen doch nach den Erfahrungen aus 30 Jahren Bundesrepublik, wie sehr Autorität in jedem Bereich von Staat und Gesellschaft notwendig ist. Wo sollen eigentlich die Einübung und das Erlebnis wirklicher Autorität stattfinden - wenn nicht in den Familien?
({3})
Seit über zehn Jahren sind Sie von der SPD und der FDP dabei, die Familie zunehmend unter staatliche Aufsicht und Kontrolle zu nehmen. Wir haben in diesen Sommertagen vor den Ferien im Blick auf das neue elterliche Sorgerecht ein klassisches Beweisstück erfahren. Der Entwurf für ein neues Jugendhilferecht enthält eine Vielzahl bürokratischer Detailregelungen und einen riesigen Apparat bürokratischer Betreuung und Bevormundung. Dieser Entwurf trägt Ihre Unterschrift als Kanzler, Herr Bundeskanzlr, und draußen im Lande erzählen Sie überall, daß die Zeit für die Entbürokratisierung endgültig angebrochen sei. Es wird fortlaufend neue Bürokratie erzeugt!
({4})
Mit dieser Politik betreibt die Koalition eine Politik, die die ureigensten Rechte der Familie sozialisiert, aber gleichzeitig die öffentliche und die soziale Verantwortung für die Familie privatisiert. In eindrucksvoller Weise wurde Ihnen dies in diesen Tagen im jüngsten Bericht zur Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland von der Sachverständigenkommission bescheinigt. Herr Kollege Wehner, das war wiederum keine Erfindung der Opposition. Dieser Bericht ist eine einzige schallende Ohrfeige für die Arbeit der Bundesregierung,
({5})
die eigentlich vernünftigerweise nur durch den sofortigen Rücktritt des dafür zuständigen Ministers beantwortet werden kann.
({6})
In diesem Bericht einer Kommission, die die Regierung selbst berufen hat, heißt es:
Es ist bedauerlich, daß die Politik die Interessen der Familien so gering achtet. Es ist ein Phänomen der weit verbreiteten Gleichgültigkeit und Unterbewertung der Väter- und Mütteraufgaben und ihrer Bedeutung für gesellschaftliche Wohlfahrt und Lebensqualität insbesondere durch die Macht- und Führungsgruppen.
Herr Bundeskanzler, wer ist damit gemeint? Sie bestimmen die Richtlinien der Politik. Diese Gesetze sind mit Ihrem Namen unterfertigt. Sie sind auch ganz persönlich damit gemeint, wenn es hier heißt: „ ... eine weitverbreitete Gleichgültigkeit und Unterbewertung der Väter- und Mütteraufgaben in der Gesellschaft".
({7})
Aber was wir vor allem Ihnen in der Sozialdemokratie vorwerfen: Das eigentlich Unverantwortliche einer solchen Politik besteht darin, daß es, wie die geschichtliche Erfahrung und Dimension
lehrt, ziemlich einfach ist, traditionelle Werte politisch zu diffamieren und zu zerstören. Es dauert aber viele Jahre, manchmal Generationen, ein angeschlagenes Wertbewußtsein durch Taten wieder aufzurichten.
({8})
Im Dritten Familienbericht der Sachverständigenkommission heißt es:
Kinder zu haben, bedeutet einen nicht unerheblichen Verzicht der Familie auf materiellen Wohlstand. Besonders betroffen sind die Arbeiterfamilien, da sich bei ihnen mit zunehmender Kinderzahl ihr Einkommensniveau dem Existenzminimum annähert.
Herr Kollege Wehner, das ist der Arbeitnehmerpartei Sozialdemokratische Partei Deutschlands ins Stammbuch geschrieben.
({9})
Was ist das eigentlich für eine Politik, wenn Sie nach zehn Jahren von einer von Ihnen selbst berufenen und bestellten Kommission hinnehmen müssen
({10})
- von Ihnen mitbestimmten Kommission -, daß die Interessen der deutschen Arbeitnehmerschaft und ihrer Familien mit Füßen getreten werden?!
({11})
Es ist Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, die, wie in diesem Bericht deutlich zu lesen ist, den Familien die Anerkennung ihrer Leistung für die Kinder streitig macht: im Steuerrecht, im Rentenrecht, in der Diskriminierung der nichtberufstätigen Frau beim Familiengeld.
Dennoch reden Sie immer von der Entscheidungsfreiheit der Familie und der Frauen. Herr Bundeskanzler, wie frei sind junge Ehepaare wirklich bei der Entscheidung über ihren Wunsch, Kinder zu haben, in wirtschaftlicher, sozialer und damit auch psychologischer Hinsicht? Es geht darum, ob ein oder zwei Einkommen, eine oder zwei Rentenanwartschaften zur Verfügung stehen - und um höhere Belastungen.
Die Kommission hat auf alles hingewiesen: auf die Monatsaufwendungen von rund 600 DM je Kind, die Einbußen an persönlicher Freiheit, eine kinderfeindliche Umwelt, die Probleme bei der Erziehung und Ausbildung, die Schwierigkeiten bei der Wohnraumbeschaffung.
Damit wir einander hier ganz klar verstehen: Die Opfer, die gerade den Müttern abverlangt werden, können kein Staat und keine Gesellschaft ersetzen - und sollen sie auch gar nicht ersetzen. Aber Staat und Gesellschaft sollen helfen, wieder vernünftigere Bedingungen für Familien mit Kindern zu schaffen.
({12})
Es ist eine Tatsache, daß, wer in der Bundesrepublik Deutschland sein persönliches Glück in der Familie mit Kindern sucht, gegenüber all jenen benachteiligt ist, die keine Kinder haben. Eine solche Politik ist töricht und unklug, weil Kinder die nächste Generation und damit die Garantie für die Zukunft sind. Eine solche Politik ist Unrecht, weil in unserem Grundgesetz die Familie aus gutem Grund einen besonderen Schutz genießt.
({13})
Und eine solche Politik ist Unrecht, weil die, die sich für Kinder entscheiden, den existentiell wichtigsten Beitrag für die Zukunft unseres Volkes leisten, einen Beitrag, von dem die soziale Sicherheit und die Zukunft von uns allen abhängen.
Ich sage dies bei der Etatberatung, weil diese Politik für uns in der Union eine klare Priorität im. Rahmen der finanzpolitischen Überlegungen besitzt. Wir haben uns in all diesen kritischen Mona- ten als Opposition sehr zurückgehalten, wenn es darum ging, eine Erhöhung der Ausgaben durchzusetzen. Aber ich finde, Herr Kollege Roth, dies ist eines der Beispiele, bei dem man sehr wohl in der Lage sein muß - wenn wir hier die gleiche Überzeugung haben -, sorgfältig und überlegt die notwendigen Mittel für die Umsetzung der Prioritäten zu finden. Wir sind dazu bereit.
({14})
Unsere Forderungen, die wir immer wieder vorgetragen haben, sind durch den Sachverständigenbericht eindrucksvoll bestätigt worden: Verbesserung und laufende Anpassung dés Kindergelds an die wirtschaftliche Entwicklung, die eigenständige soziale Sicherung der Frau unter Anrechnung von Erziehungsjahren im Rentenrecht, die Einführung eines Erziehungsgelds für nichterwerbstätige Mütter, die steuerliche Entlastung von Familien mit Kindern, die Wohnraumförderung für junge Ehepaare.
Aber wir sind nicht der Meinung, materielle Verbesserungen seien die entscheidenden Voraussetzungen für ein familienfreundlicheres Klima. Die wichtigste Voraussetzung ist eine Trendwende unserer Gesellschaft hin zu einer Wertschätzung und Anerkennung der Familie im Bereich der Politik und der Gesellschaft. Staat und Politik ist es aufgetragen, die Familie und die sie begründenden menschlichen, kulturellen und sozialen Werte nicht nur zu respektieren, sondern aktiv für sie einzutreten. Nach all dem, was den Familien in den letzten zehn Jahren an Schaden zugefügt wurde, brauchen wir eine politische, eine moralische, eine psychologische Offensive für die Familie. Diese Aufforderung richtet sich nicht nur an den Staat, sondern an alle Institutionen unserer Gesellschaft, vor allem an jene, die in einer besonderen Weise auf diesem Felde der Gesellschaft Verantwortung tragen. Wir brauchen den Anruf und die Hilfe der Kirchen - gerade in diesem Bereich. Wir brauchen die Unterstützung der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände. Soziale Einrichtungen, freie Träger, Organisationen der Wirtschaft und der Gewerkschaften: Sie alle können dazu beitra13474
gen, die familien- und kinderfreundlichen Bedingungen, die wir dringend brauchen, zu schaffen.
Ich sage noch einmal: Es wäre völlig falsch, eine dramatische Verbesserung der Situation der Familien allein vom Staat zu erwarten oder zu fordern. Eine familien- und kinderfreundliche Umwelt wird in der Bundesrepublik nur dann entstehen, wenn alle bereit sind, daran mitzuarbeiten. Die soziale Leistung und die Anerkennung der Familie, die Anerkennung der Leistung der Eltern müssen aber auch in der Politik klar zum Ausdruck kommen. Herr Bundeskanzler, Politik besteht nicht nur aus dem, was man mit Geld, Beamten und Behörden von Staats wegen machen kann. Ich wünschte mir, daß Sie zu mehr Sensibilität für die wertstiftende und werterhaltende Wirkung einer politischen Kultur fähig wären. Politiker können Familiensinn, wo er fehlt oder verlorengegangen ist, durch noch so großes Pathos nicht herbeireden. Dies ist auch nicht ihre Aufgabe.
({15})
Sie können aber die Anerkennung und die soziale Wertschätzung, die die Familien heute und in Zukunft verdienen, glaubhaft zum Ausdruck bringen. Herr Kollege Wehner, ich bin eigentlich erstaunt darüber,
({16})
daß Sie in diesem Zusammenhang offensichtlich überhaupt nicht mehr zu jener Sensibilität fähig sind, von der ich eben gesprochen habe.
({17})
- Herr Kollege Wehner, Sie machen sich die Dinge sehr einfach: Alles, was für die Wahl 1980 nützt, muß jetzt geschehen; alles, was aktuell nicht nützt, wird nach dem Motto „nach mir die Sintflut" zur Seite gelegt.
({18})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön.
Weil Sie plötzlich die Wahl 1980 in Ihren Ausführungen in diese Haushaltsdebatte einführen, möchte ich Sie fragen, Herr Kollege Dr. Kohl, ob die Sätze, die Ihr Kanzlerkandidat und Ministerpräsidentenkollege Franz Josef Strauß gestern ausgesprochen hat, nicht zeigen, daß es sich bei dem, worüber jetzt hier geredet und gestritten wird, für Sie um etwas handelt, das im letzten Teil der Ausführungen des Herrn Strauß so charakterisiert wird: Falls man 1980 eine Wahlniederlage erleiden sollte, wäre die Union für lange Zeit von der politischen Verantwortung ausgeschlossen. Deshalb müßten sich beide Parteien zu einer Kampfgemeinschaft zusammenfinden. - Ist dies Ausdruck Ihrer Angst davor, daß diese Koalitionsregierung stärker ist als die Behauptungen, die Sie über sie verbreiten?
({0})
Herr Kollege Wehner, Sie sind, wenn ich das so salopp sagen darf, ein alter politischer Fuhrmann. Daß der Kanzlerkandidat der Union in der erstem Sitzung nach der Sommerpause zwölf Monate vor der Bundestagswahl vor seiner Fraktion klar und deutlich die Bedeutung dieser Bundestagswahl hervorhebt, ist die natürlichste Sache von der Welt. Daß Sie daran Anstoß nehmen, zeigt schon, wie abgestumpft Sie für das Denkvermögen anderer geworden sind.
({0})
- Herr Kollege Wehner, merken Sie denn nicht, daß Familienpolitik, über die wir hier sprechen, eine Sache ist, die keiner von uns hier im Saal und überhaupt niemand von uns innerhalb eines Jahres oder im Blick auf einen Wahltermin entscheidend verändern kann?! Inzwischen besteht, wie ich hoffe, Übereinstimmung darüber, daß es für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland lebenswichtig ist, eine solche Erkenntnis gewonnen zu haben. Deshalb müssen wir jetzt mit der Arbeit beginnen. Wir beraten hier den Haushalt. Ich brauche doch dem alten Abgeordneten Herbert Wehner nicht deutlich zu sagen, daß das Budgetrecht ein Recht des Parlaments ist, mit dem auch langfristige Entwicklungen der Politik auf den Weg gebracht werden.
({1})
Wer den Wert der Familie nur in Sonntagsreden preist, Herr Wehner, aber nicht bereit ist, in der Praxis des parlamentarischen Alltags etwas zu tun zur Erhaltung der rechtlichen Selbständigkeit, zur Erhaltung und Wiederherstellung materieller Chancengleichheit oder zur Gestaltung einer familienund vor allem kinderfreundlichen Umwelt, der ist unglaubwürdig. Wir erwarten, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Regierung über das hinaus, was wir jetzt gehört haben, bereit ist, einen neuen Anfang im Interesse der Zukunft unseres Landes zu wagen.
Das fünfte Kapitel, das ich ansprechen möchte, ist das Thema Sicherheitspolitik, Friedenspolitik. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zu einem Sachbereich kommen, in dem die notwendige Gemeinsamkeit - das ist spürbar vor Ihrem Parteitag in Berlin im Dezember - wiederum durch wichtige Teile der deutschen Sozialdemokratie gefährdet wird. Es geht um die uns alle bewegende Frage: Wie kann der Frieden erhalten werden bei gleichzeitiger Sicherung unserer Freiheit? Wie kann der defensiv orientierte Westen angesichts einer offensiv orientierten Sowjetunion seine Sicherheit glaubwürdig wahren und gleichzeitig dem notwendigen Ziel ausgewogener Rüstungsbegrenzungen dienen?
Verantwortliche Sicherheitspolitik und verantwortliche Rüstungskontrollpolitik müssen die beiderseitige Strategie berücksichtigen. Jeder von uns
weiß, daß die sowjetische Militärtheorie offensiv ist. Sie lehnt für ihre Streitkräfte, auch für die Streitkräfte des Warschauer Pakts, den Grundsatz der defensiven Strategie ab. Offensiv ist auch die taktisch-operative Militärdoktrin, deren Schwerpunkt eben eindeutig auf dem Angriff liegt. Das militärische Potential der Sowjetunion ist nach Umfang, Gliederung, Bewaffnung und Ausrüstung auf großräumige Offensive angelegt. Offensiv sind unstreitig die über 20 000 Kampfpanzer des Warschauer Pakts. Offensiv sind die an Zahl und Qua- lität ständig wachsenden und auf Europa - vor allem Mitteleuropa - gerichteten Mittelstreckenraketen, denen wir im Westen gegenwärtig nichts Entsprechendes entgegensetzen können. Die sowjetische Versicherung, meine Damen und Herren, keine militärische Überlegenheit anzustreben, ist unvereinbar mit den Tatsachen.
({2})
Das gleiche gilt auch, Herr Bundeskanzler, für jenes Bekenntnis des Generalsekretärs Breschnew zur Parität, auf die Sie sich anläßlich des Besuchs des Generalsekretärs im Mai 1978 verbal, aber eben nur verbal, geeinigt haben. Was diese Einigung auf eine Vokabel in Wirklichkeit wert ist, zeigen die Zahlen des gerade jetzt vorgelegten Weißbuchs der Bundesregierung, das doch in seinen statistischen Angaben die Unaufrichtigkeit des sowjetischen Paritätsversprechens zugibt, das allerdings nicht den Mut findet - aus politischen Gründen -, die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen und die Dinge beim wahren Namen zu nennen.
({3})
Offensiv ist auch die sowjetisch-kommunistische Ideologie. Der weltweite Endsieg des Sozialismus unter Führung der KPdSU ist nicht nur irgendein theoretisches Bekenntnis, sondern eine durchaus praktisch-politische Aktion, gestützt auf eine imperiale Militärmacht.
Meine Damen und Herren, die soeben zu Ende gegangene Konferenz der sogenannten Blockfreien in Havanna hat auch dies wieder überaus deutlich gezeigt. Kuba, das sich wie Vietnam im Comecon und durch die Stationierung sowjetischer Militäreinheiten aufs engste mit Moskau verbunden hat, verfolgt eine mit den Sowjets abgesprochene Strategie und wird es immer weiter tun: nämlich eine möglichst große Zahl wichtiger blockfreier Staaten dem sowjetischen Hegemonialblock langsam zuzuordnen.
Seit 1970 wuchs die sowjetische Aufrüstung gegen Westeuropa ebenso wie die weltweite politisch-militärische Expansion der UdSSR, Kubas und der DDR in einem Maße - vor allem im Bereich der DDR -, das unseren Mitbürgern überhaupt noch nicht bewußt geworden ist. Über all das sagen Sie, Herr Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und der Verteidigungsminister nahezu nichts in der deutschen Öffentlichkeit. Unsere Bevölkerung will aber nicht nur ein statistisch richtiges Weißbuch, sondern auch ein Weißbuch, in dem die politische Richtung unübersehbar deutlich gemacht wird, in dem der Mut zu einer klaren Bewertung und auch Verurteilung einer den Weltfrieden destabilisierenden Politik zum Ausdruck kommt.
({4})
Meine Damen und Herren, wir treten in diesen Monaten in die wichtige Beratung der Wehrpflichtnovelle ein. Die Diskussion ist draußen verständlicherweise in vollem Gange. Aber wie wollen wir eigentlich der jungen Generation in der Bundesrepublik Deutschland die Notwendigkeit der Wehrdienstbereitschaft näher bringen, wenn wir nicht die Fähigkeit besitzen, auch solche Tatsachen klar und deutlich beim Namen zu nennen?
({5})
Bevor ich zu unserer Haltung zu den aktuellen Fragen der Sicherheits- und Abrüstungspolitik komme, lassen Sie mich noch einige grundsätzliche Bemerkungen zu unserem Verständnis von Friedenspolitik machen, weil natürlich die Themen Verteidigung und Rüstungskontrolle Teil einer Friedenspolitik sind und weil, mein? Damen und Herren von der SPD und FDP, auch hier schon das Drehbuch, wie schon 1972, im Blick auf die Auseinandersetzung im nächsten Jahr geschrieben wird. Deswegen soll hier klar und deutlich noch einmal unsere Position, die Position der CDU/CSU, vorgetragen werden.
Frieden bedeutet für uns auch die schrittweise Beseitigung der Spannungsursachen. Das heißt: Friedenspolitik ist ganz wesentlich auch gewaltfreie Durchsetzung der Menschenrechte in aller Welt. Das bedeutet für uns Deutsche verständlicherweise vor allem auch: Menschenrechte in ganz Deutschland.
({6})
Meine Damen und Herren, wir haben Grund, darauf hinzuweisen, daß in den letzten Monaten neben dem Monstrum von Mauer in Berlin die geistige Mauer wieder dichter gemacht wurde. Der Erlaß bezüglich der Arbeit der Journalisten, die Verschärfung des Strafgesetzbuches in bestimmten Bereichen, die Abschnürung und der Kampf gegen oppositionelle Intellektuelle in der DDR: Das alles ist ein Signal für einen weiteren Mauerbau. Deshalb dürfen wir nicht müde werden zu sagen: Wir sind für die Menschenrechte überall in der Welt. Ob ein Volk von einer faschistischen oder kommunistischen Diktatur unterdrückt wird, ist für uns das gleiche, weil die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Aber Menschenrechte in ganz Deutschland: Das ist das Allernächste, was wir im Auge haben.
({7})
Ich glaube, wir sollten als Deutsche dankbar sein, gerade auch im geteilten Vaterland, daß jetzt eine der mächtigsten moralischen Mächte unserer Zeit und unserer Erde,. nämlich der Papst Johannes Paul II. in einer klaren und deutlichen Sprache gerade auch dieses Thema angesprochen hat. Wir sind dankbar für diese Äußerung - und als Deutsche vor allem auch für die Klarheit, in der dieser
Papst aus Polen zur Welt und damit auch zu den Deutschen gesprochen hat.
({8})
Das ist nicht unwichtig für uns. Papst Johannes Paul II. nimmt in seiner Äußerung ausdrücklich Bezug auf drei wichtige Enzykliken von Vorgängern. Er nimmt Bezug auf die Enzyklika gegen den Faschismus, gegen den Kommunismus und gegen den Nationalsozialismus. Das heißt: Wir müssen immer und überall gegen die Unterdrückung der Menschenrechte auftreten - gleichgültig, ob es sich um kommunistische oder faschistische Diktaturen handelt. Das ist unsere Position.
({9}) Der Papst sagt in seiner Botschaft:
Die Menschenrechte bilden für den sozialen und internationalen Frieden eine grundlegende Voraussetzung. Frieden ist ein Werk der Gerechtigkeit. Letztlich führt sich der Frieden zurück auf die Achtung der unverletzlichen Menschenrechte, während der Krieg aus der Verletzung dieser Rechte entsteht und noch größere derartige Verletzungen nach sich zieht.
Mit der Friedenspolitik ist der Begriff der Entspannung eng verwandt. Während für uns im Westen Entspannung die schrittweise Verwirklichung der personalen Menschenrechte und der nationalen Selbstbestimmung bedeutet, verstehen die politisch Verantwortlichen im sowjetischen Machtbereich darunter die Verhinderung gerade dieser westlichen Ziele. Während für uns im Westen Entspannung auch Abbau von Disparitäten - etwa bei den Wiener Truppenabbauverhandlungen - und ausgewogene Rüstungsbegrenzung bedeutet, versteht Moskau auch hier unter Entspannung etwas völlig anderes, nämlich die westliche - möglichst endgültige - Besiegelung sowjetischer Überlegenheit auch bei den Wiener MBFR-Verhandlungen oder die westliche Hinnahme einer ständig wachsenden, politisch wie militärisch offensiven Überlegenheit der Sowjetunion im Bereich der taktisch-nuklearen Waffen, vor allem im Mittelstreckenbereich.
Friedenspolitik war für uns in der Union stets auch die Bereitschaft zur beiderseitigen Rüstungsbegrenzung sowie zu wirklich realistischen Konzepten zur Abrüstung - vor allem die Beteiligung an allen Bemühungen des Atlantischen Bündnisses, die politischen Rüstungsursachen in Europa abzubauen und in Verbindung damit das Ausmaß der militärischen Ost-West-Konfrontation in einer sicherheitspolitisch ausgewogenen Weise zu mindern. Solange uns die politischen Ziele und militärischen Machtmittel des Warschauer Pakts bedrohen, ist glaubwürdige Sicherheit eine unerläßliche Voraussetzung des Friedens.
({10})
Sehr vereinfacht heißt das: Wollen wir Abrüstung ohne Sicherheit oder Abrüstung mit Sicherheit? Das letztere muß Grundlage der Politik der Bundesrepublik Deutschland sein. Das letztere ist auch unsere Politik, die in dieser Frage auf Gemeinsamkeit - ob in Regierungsverantwortung
oder Opposition - großen Wert legt. Dies ist wirklich eine der Schicksalsfragen der Bundesrepublik Deutschland. Es muß möglich sein, hier zu einem Konsens zu kommen.
({11})
Das Atlantische Bündnis steht angesichts der sowjetischen Aufrüstung vor schwerwiegenden Entscheidungen. Sie beziehen sich einerseits auf die notwendigen militärischen Maßnahmen der Nachrüstung und der Modernisierung derjenigen amerikanischen Waffensysteme in Europa, die ein Gegengewicht zu dem großen, gewachsenen Mittelstreckenpotential der Sowjets darstellen, andererseits auf die notwendige Bereitschaft des Westens zu realistischen Ost-West-Verhandlungen über Rüstungskontrolle und -beschränkung. Beides muß - so will es ja auch das Bündnis - sachlich, politisch und zeitlich aus einem Guß sein. Beides muß der Tatsache Rechnung tragen, daß glaubwürdige Fähigkeit und zweifelsfreier Wille zur Abschrekkung unerläßliche Voraussetzungen des Friedens sind und daß auch Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung der Sicherheit zu dienen haben.
Meine Damen und Herren, die Haltung der CDU/ CSU beruht auf folgender Überlegung: Notwendige westliche Maßnahmen der Nachrüstung und Modernisierung dürfen als konkrete Voraussetzung der Friedenssicherung nicht von einem ungewissen Ausgang von Ost-West-Verhandlungen abhängig gemacht werden.
({12})
Ich finde, wir sollten hier aus der Geschichte lernen. Es ist kein einziger Fall bekannt, daß Moskau in all diesen Jahrzehnten einem anderen Staat oder einem Bündnissystem ein wirkliches Zugeständnis gemacht hätte, ohne daß der Verhandlungspartner gegenüber der Sowjetunion mit realer, greifbarer Verhandlungspotenz ausgestattet gewesen wäre.
({13})
Wenn irgendwo, dann gilt hier das Prinzip „do ut des"; das ist die Erfahrung im Umgang mit der Sowj etunion.
({14})
Das heißt: Wer im Westen erfolgreiche Rüstungsbegrenzungsverhandlungen mit dem Warschauer Pakt will, der muß vorher in freier, unabhängiger Entscheidung das tun, was er angesichts der ungehemmten Rüstung der östlichen Seite kraft eigener sicherheitspolitischer Verantwortung für unerläßlich hält. Wer - als Bündnis, als Regierung, als Parlament, als Fraktion - seine verteidigungspolitische Pflicht nicht erfüllt, der verringert nach allen Erfahrungen auch die Chancen einer sicherheitspolitisch vertretbaren, ausgewogenen Rüstungsbeschränkung und Abrüstung. Und gerade wir als Deutsche müssen für dieses Ziel eintreten.
({15})
Meine Damen und Herren, aus sicherheitspolitischer Verantwortung, aber auch mit dem entschiedenen Willen zu realistischen Ost-West-VerhandDr. Kohl
Lungen über die Begrenzung furchterregender Massenvernichtungswaffen werden wir als CDU/CSU diejenigen Bündnispositionen mittragen, die jede Bindung der jetzt fälligen militärischen Maßnahmen an den Verlauf der Rüstungskontrollgespräche ablehnen. Das hat gar nichts - wie sowjetische Propaganda jetzt sagen möchte - mit „Aufrüstungsfieber" zu tun. Dieser Vorwurf wird ja seitens der Sowjetunion auch an die Bundesregierung gerichtet. Das ist vielmehr das Ergebnis einer nüchternen, vernünftigen Lageeinschätzung.
Deswegen ist es so wichtig, daß jener Gedanke, der jetzt in der SPD umgeht, der Gedanke eines Moratoriums zwischen den erstrebten Verhandlungsergebnissen und den jetzt fälligen Modernisierungsentscheidungen, der ins Gespräch gebracht wurde, von uns aus nicht aufgenommen wird. Ich kann vor einem solchen Moratorium nur warnen.
({16})
Wer sich - was immer seine Motive sein mögen
- auf diesen Weg begibt, der gefährdet unsere Sicherheit.
({17})
- Meine Damen und Herren, ich gehe doch davon aus, daß der Oppositionsführer in dieser wichtigen Frage seine Ausführungen machen kann.
({18})
- Herr Kollege Wehner, damit das einmal zwischen uns ausgetragen wird: Sie und ich waren dabei, als wir gemeinsam die Überzeugung zum Ausdruck brachten, daß der Sprecher der Opposition die gleiche Redezeit wie der Hauptsprecher der Regierung haben muß.
({19})
- Herr Kollege Wehner, wie Sie diese Rede qualifizieren, ist Ihre Sache, aber Ihre Art zu qualifizieren fällt auf Sie selbst zurück.
({20})
Herr Bundeskanzler, wir können Sie nur bitten und ermuntern, jenen Kreisen in Ihrer eigenen Partei nicht nachzugeben, die die Vorstellung von einem solchen Moratorium pflegen. Der Rang einer verantwortungsbewußten Friedens- und Sicherheitspolitik gestattet es nicht, aus innerparteilichen Gründen ein solches Entgegenkommen möglich zu machen.
({21})
Herr Bundeskanzler, Sie haben in einem anderen Zusammenhang mit Recht auf die singuläre Lage der Bundesrepublik hingewiesen. Ich meine, angesichts des werdenden Interesses der Sowjetunion an der außen- und sicherheitspolitischen Orientierung der Bundesrepublik können wir unsere Haltung in einer so schwerwiegenden Frage eben auch aus singulärem Interesse nicht von den innenpolitischen Konstellationen in uns befreundeten Nachbarländern - ob das die Niederlande sind oder Belgien oder Luxemburg -- abhängig machen.
Es kommt noch ein Argument hinzu, das Sie, Herr Bundeskanzler, gerne verschweigen: daß nämlich in den mit uns vergleichbaren verbündeten Staaten Frankreich und England bereits nukleare Abschreckungswaffen lagern, seien es nun eigene wie in Frankreich, seien es eigene und amerikanische wie in Großbritannien. Diese Länder entwikkeln dieses Potential auch so, wie sie als souveräne Nationalstaaten, aber auch als loyale Verbündete der Bundesrepublik Deutschland es für notwendig halten.
Vor diesem englischen und französischen Hintergrund ist, glaube ich, die These von der Singularisierung der Bundesrepublik so nicht überzeugend.
Entspannung darf nicht zu einer Art Parkuhr werden, in die wir finanziell oder politisch oder militärisch immer wieder neue Münzen einstecken müssen, damit es mit der Entspannung weitergeht - zumal wir außerordentlich hohe Parkgebühren zu Eingang des Unternehmens bereits entrichtet haben.
({22})
Deswegen frage ich Sie, Herr Bundeskanzler: Wie bewerten Sie die Tatsache, daß sogar ein Verbündeter der Sowjetunion, nämlich Rumänien, in diesen Tagen aller Welt verkündet hat, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Sowjetunion im sozialistischen Lager seien eine Folge der verteidigungspolitisch nicht mehr zu rechtfertigenden sowjetischen Hoch- und Überrüstung? Was Herr Ceausescu ausspricht, muß doch auch hier ausgesprochen werden, wenn man es mit der Entspannungspolitik redlich und ernst meint. Wir wollen hier feststellen, daß die Sowjetunion ihre Entwicklungshilfe an die Dritte Welt fast nur in der Form von Waffenlieferungen geleistet hat. Wir wollen auch feststellen, daß das unendliche Elend in Afrika und Südostasien über Millionen Flüchtlinge gekommen ist, weil eben eine sowjetische Politik dieses Elend überhaupt erst ermöglicht hat.
({23})
Die Antwort ist doch für jeden Sehenden klar: Die Sowjetunion hat sich unterhalb der Grenze eines nuklearen Kriegsrisikos ein politisch einsetzbares Waffenarsenal geschaffen, das der Führung der Sowjetunion in den kommenden Jahren eine psychologische Bedrohungseskalation mit vielen Optionen erlaubt: diskrete oder offene Einschüchterung, Einflußnahme auf zahlreichen Kanälen, Pressionen verschiedenen Charakters, direkte oder indirekte Drohung. Wenn Westeuropa nicht in den Sog der sowjetischen Einflußstrategie geraten soll, dann gilt es, eine Friedensstrategie machtpolitischer Nüchternheit zu betreiben - genau das, was wir als CDU/CSU in all diesen Jahren, als Sie in Illusionen versanken, immer wieder verlangt haben.
({24})
Ein kurzes Wort, Herr Bundeskanzler, zu den Wiener Truppenverhandlungen, zumal es einige
Presseberichte über Gespräche gab, die Sie mit führenden Repräsentanten des Warschauer Pakts geführt hätten. Nach diesen Presseberichten zu urteilen, kam die deutsche Position bei den Gesprächen nicht besonders klar zum Ausdruck. Die CDU/CSU hat die NATO-Position bei den in ihrer politischen Tragweite im Westen oft unterschätzten MBFR-Verhandlungen mitgetragen. Wir werden dies auch in Zukunft unter drei Voraussetzungen tun:
1. Ein Reduzierungsabkommen muß das Ziel der Parität im Reduzierungsraum verwirklichen. Das heißt: Ein Reduzierungsabkommen darf die jetzige sowjetische Überlegenheit an Truppen und Panzern im Reduzierungsraum nicht festschreiben. Deswegen ist die Klärung der Ausgangsdaten unerläßlich.
2. Ein Reduzierungsabkommen muß die sicherheitspolitische Handlungsfreiheit des Atlantischen Bündnisses und der Europäischen Gemeinschaft bestätigen. Dies schließt jede wie auch immer geartete Ost-West-Vereinbarung über die Höchststärke der Bundeswehr aus. Jede noch so trickreich versteckte Form eines sowjetischen Mitspracherechts über die westliche Verteidigungsstruktur muß die Grundlagen der freien Welt gefährden.
({25})
3. Das folgende ist eine elementare Frage für die Deutschen. Ein Reduzierungsraum - dies gilt vor allem auch für die begleitenden Maßnahmen - muß der Tatsache Rechnung tragen, daß die Sowjetunion unmittelbar an diesen Raum grenzt, während die USA durch den Atlantik und viele tausend Kilometer von ihm entfernt sind.
({26})
- Natürlich, Herr Kollege Ehmke, das ist eine Einsicht, die sich für Sie schwer aufdrängt. Da Sie ja laut singen „Die Sonne geht im Osten auf", haben Sie mit dem Atlantik und mit Washington nach Ihren Erfahrungen wenig im Sinn. Auch das ist bekannt.
({27})
Die strategischen und politischen Vorteile des machtvollen Bündnisgegners darf das westliche Bündnis nicht auch noch durch die Ausdehnung sowjetischer Kontrollen und Einflußmöglichkeiten verstärken. Wir sind durchaus bereit, in diesem Zusammenhang auch die französischen Bedenken zu sehen.
Ich habe versucht, gerade in diesem Teilbereich von Sicherheit und Abrüstung noch einmal unsere Position deutlich zu machen. Wir sind bereit, gemeinsam die notwendigen Entscheidungen zu tragen auch in der Diskussion um den Verteidigungshaushalt.
({28})
Wir haben, was den Verteidigungshaushalt betrifft, durch die Äußerungen der Regierung gegenüber unseren ausländischen Freunden und Partnern zumindest moralische Positionen bezogen. Herr
Bundesverteidigungsminister, Sie wissen, daß der jetzt vorgelegte Etat diesen Positionen nicht entspricht. Uns ist nicht damit gedient, daß Sie jetzt auf diesem Wege in Washington oder anderswo eine schlechte Presse - im weitesten Sinne des Wortes - bekommen. Es geht um die Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen sollten wir auch auf diesem Feld bei der Beratung des Etats über Möglichkeiten nachdenken, um dem zu entsprechen, was Sie gegenüber unseren westlichen Freunden im Vorfeld, in den letzten Monaten immer wieder deutlich gemacht haben.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, sind zu konstruktiver Mitarbeit bereit. Aber die Regierung ist zum Handeln berufen. Die Regierung muß sagen, wie sie ihre Vorschläge placieren will. Wir sind bereit, sie sorgfältig zu prüfen
({29})
und in der nationalen gemeinsamen Verantwortung unsere Pflicht zu tun.
({30})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Abgeordneter Kohl hat eine große Zahl von Sachthemen gestreift, 15 oder 18.
({0})
Er hat nicht zu allen neue Gedanken entwickelt, zum Teil hat er alte Gedanken erneut vorgetragen. Ich glaube, es ist angemessen, wenn die Ressortminister, die Herren Ehrenberg, Lambsdorff, Matthöfer, auf einige dieser Punkte im Laufe der weiteren Debatte zu sprechen kommen.
({1})
Ich will zu drei Punkten aus der Rede des Herrn Dr. Kohl etwas bemerken,
({2})
- Ich dachte, Herr Haase hätte heute morgen schon Ihr polemisches Bedürfnis befriedigt.
({3})
- Mir macht es nichts aus. Von mir aus können Sie noch ein bißchen dazwischenrufen.
Zwei Komplexe möchte ich jeweils vom Rande her etwas anders anleuchten, ohne daß ich damit umfassend zu dem, was Herr Kohl angedeutet hat, Stellung nehmen kann. Einen dritten Komplex werde ich, wie ich hoffe, im Kern beantworten können.
Vom Rande her möchte ich das anleuchten, was Herr Kohl zur Energiepolitik oder, genauer gesagt, zur Entsorgungsproblematik gesagt hat. Es ist doch wohl so, daß es in allen drei Fraktionen, in allen vier Parteien, vielleicht in der CSU am wenigsten,
darüber sehr ernsthafte Diskussionen, sehr ernsthaftes Nachdenken gibt. Es sind auch wirklich sehr schwierige Gegenstände, und nicht jeder fühlt sich sicher, die ganze zukünftige Entwicklung schon klar vor Augen haben zu können - jedenfalls gilt das für die Partei, der ich angehöre. Sie wird sich noch in diesem Jahre erneut klar zu diesen Fragen äußern. Manche der Fragen, keineswegs alle, keineswegs die meisten, aber doch einige Fragen der Entsorgungsproblematik, haben sich im Laufe der letzten Monate unter zusätzlicher Beleuchtung dargestellt. Es kann durchaus sein, daß innerhalb der Sozialdemokratie dabei auch eine Minderheitsposition klar in Erscheinung tritt; das will ich gar nicht ausschließen.
Aber was Sie vortragen, Herr Abgeordneter Kohl, daß muß man sich einmal genauer ansehen. Sie schlagen auf uns ein, Sie schlagen auf die Regierung ein. Aber in Wirklichkeit ist es doch so, daß der Herr Ministerpräsident Albrecht durch seine Entscheidung den vom Gesetz vorgezeichneten Fortschritt behindert, und niemand sonst.
({4})
Es ist doch der Ministerpräsident Albrecht, der uns vorschlägt - nicht irgendwo in Zeitungsinterviews, sondern in einer Zusammenkunft der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler -, auf die integrierte Entsorgung zu verzichten. Sie waren doch selbst dabei, Herr Kohl. Es ist Herr Ministerpräsident Albrecht, der vorschlägt, de facto darauf zu verzichten und sich mit Zwischenlagern zu begnügen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte im Augenblick meine Ausführungen zusammenhängend vortragen, Frau Präsidentin.
Dann kommt der Ministerpräsident Strauß, in seinem Kielwasser der Ministerpräsident Späth, und die sind natürlich zornig auf den Ministerpräsidenten Albrecht. Herr Strauß hat vielleicht auch noch weitere Gründe. Ein Grund verbindet sie jedoch: Sie wollen in ihren eigenen Ländern Bayern oder Baden-Württemberg keine Zwischenlager haben; denn dafür müßten sie dann ja auch öffentlich geradestehen. Das macht sie zornig. Nun prügeln sie - und Sie machen das natürlich mit, Herr Kohl - die Bundesregierung. Sie prügeln sozusagen den „Sack" Bundesregierung, und in Wirklichkeit meinen sie den „Esel" Albrecht. So ist die Sache wirklich.
({0})
Was die Zwischenlager angeht, muß man noch wissen - ich rede jetzt nur von den Bundesländern, in denen CDU-Ministerpräsidenten das Zepter führen -, daß zwei Länder ja dazu gesagt haben, nämlich Niedersachsen und das Saarland, das eine wohltätige Koalition an seiner Spitze hat. Zwei andere Länder, nämlich Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben sich bisher der Stimme enthalten und wieder zwei andere Länder, nämlich Bayern und Baden-Württemberg sind dagegen. Und dann meinen Sie, Sie sollen uns beschimpfen, weil wir noch miteinander ringen und darüber diskutieren!
({1})
Dann meinen Sie, wir sollten die politischen Voraussetzungen zur Lösung schaffen! Geben Sie sich mal ein bißchen Mühe mit Ihren jetzigen oder frühheren Kollegen unter Ihren CDU-Ministerpräsidenten, wenn es um die „politischen Voraussetzungen" geht.
Übrigens, das Entscheidende sind doch nicht die „politischen Voraussetzungen", das Entscheidende ist, was im Gesetz steht. Wenn alle Ministerpräsidenten sich so verhalten, wie es im Atomgesetz vorgesehen ist und wie die Rechtsprechung inzwischen fortgeschritten ist, so ist die Sache klar.
({2})
Es sind doch nicht wir, die das Gesetz ändern wollen. Der Ministerpräsident Albrecht, war es doch, der in einer offiziellen Besprechung aller Ministerpräsidenten mit mir vorgeschlagen hat, das Atomgesetz zu ändern. Ich habe dem widersprochen. Ich habe gesagt, das Gesetz gilt, und es muß auch der Grundsatz der integrierten Entsorgung gelten. Wir wollen das nicht ändern. Das wurde dann noch mal im Plenum am 4. oder 5. Juli wiederholt. Gegen den Vorwurf, er wolle die bestehende gesetzliche und rechtliche Lage ändern, hat er sich nicht verteidigt! 'Nun habe ich ja Verständnis für den Mann; er hat es nicht leicht. Sie aber haben es noch schwerer als er.
({3})
- Darauf will ich Ihnen antworten. Ein Oppositionsführer muß sich mit der Regierung auseinandersetzen. Dem einen gelingt es besser, dem anderen nämlich, Herrn Kohl, gelingt es schlechter.
({4})
- Herr Ravens hat im Gegensatz zu Herrn Albrecht nicht abgelehnt, sondern Herr Ravens und seine Fraktion haben sich klar für das Prinzip der integrierten Entsorgung eingesetzt.
({5})
Aber hier steht ja nicht die Politik des einen oder anderen Landes zur Debatte, hier steht die Bundesregierung und ihre Energiepolitik zur Debatte.
({6})
Die Bundesregierung hat in diesem Felde ihre Zielsetzungen nicht geändert. Sie sind diesem Hause letztmalig in einer Regierungserklärung am 4. Juli 1979 vorgetragen worden. Die Bundesregierung sieht keinen Grund, sie zu ändern, schon gar nicht
auf Grund des Beitrags, den wir vorhin gehört haben.
Ich komme jetzt zu einem zweiten Komplex. Sie haben von Friedenspolitik gesprochen - das ist ein sehr gutes Wort -; Sie haben von einem gemeinsamen Konzept der Friedenspolitik gesprochen. Mir ist nicht ganz deutlich, ob die Benutzung des Wortes „Gemeinsamkeit" in diesem Zusammenhang mehr auf Gemeinsamkeit in diesem Hause oder mehr auf Gemeinsamkeit innerhalb des Bündnisses abzielte. Was die Gemeinsamkeit in diesem Hause angeht, so komme ich darauf gleich zurück. Mit liegt im Augenblick daran, Ihnen eines ins Gedächtnis zu rufen: Unsere Friedenspolitik -dazu gehört natürlich auch die Aufrechterhaltung des militärischen Gleichgewichts, die Aufrechterhaltung der Fähigkeit, sich wirksam zu verteidigen, die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts auch dadurch, daß man beiderseitig vereinbart, Rüstungen zu verringern, Sie haben MBFR als Beispiel genannt - betreiben wir in Übereinstimmung mit unseren Bündnispartnern im Westen, und darüber hinaus geben wir uns große Mühe, unseren Vertragspartnern und Nachbarn im Osten die Kontinuität unserer Politik durchsichtig zu machen. Diese sollen erkennen können, warum wir das eine tun, warum wir das andere lassen, weil wir ein Interesse daran haben, daß wie die ganze deutsche Außenpolitik, so insbesondere dieser Teil Sicherheitspolitik für jedermann berechenbar ist, daß jedermann im Vorwege erkennen kann, was die Deutschen tun werden.
({7})
- Entschuldigung, Herr Wörner. Es ist der Punkt der Berechenbarkeit, der mir am Herzen liegt. Gestern hat es - zum wiederholten Mal - im Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag einen Streit über ein scheinbar abseitiges Thema gegeben. Es geht um die Umsatzsteuernovelle, die die Mehrheit des Deutschen Bundestages vor einer Reihe von Wochen und Monaten verabschiedet hat. Im Bundesrat wird unter der politisch-geistigen Führung des Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern der Versuch gemacht, ein scheinbar ganz unwesentliches Wort durch ein scheinbar ebenso unwesentliches anderes Wort zu ersetzen. Es geht um den Inlandsbegriff im Umsatzsteuerrecht.
Die von Herrn Strauß bis dato angeführte Mehrheit - sie scheint zu bröckeln - im Bundesrat vertritt eine Rechtsauffassung, die darauf hinausläuft, daß die Behörden der Bundesrepublik Deutschland das Recht beanspruchen, in Dresden oder in Breslau Umsatzsteuern zu erheben.
({8})
Das ist der Eindruck, den Sie außerhalb deutscher Grenzen im Osten wie im Westen erzeugt haben. Sie haben es dringend notwendig, diesen Eindruck aus der Walt zu schaffen, Herr Abgeordneter Kohl.
({9})
Es reicht nicht aus, in allgemeinen Reden, in denen man auf Details nicht eingeht, den Grundsatz, man werde Verträge einhalten, auch wenn sie von anderen geschlossen sind - im schönen Latein: Pacta sunt servanda -, stereotyp zu wiederholen. Es kommt darauf an, dies dann auch tatsächlich zu tun.
({10})
-- Einen Moment! - Es ist für mich unvorstellbar, daß der deutsche Gesetzgeber bei Gelegenheit einer Umsatzsteuernovelle gegen die Verträge verstößt, die wir geschlossen haben und von denen Sie behaupten, daß Sie ihnen gehorchen wollten.
({11})
Ich sehe mit einer gewissen Genugtuung, daß im Saarland, wo in manchen Streitfragen auch früher schon gesamtstaatliche Verantwortung größer geschrieben worden ist als in manch anderer Landesregierung, insoweit eine Einkehr stattgefunden hat, die gestern abend sichtbar geworden ist.
({12})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie éine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, hätten Sie die Freundlichkeit, uns einmal zu erläutern, wieso die jetzt von Ihnen so angegriffene Formulierung, die wir gebrauchen und die dem bisherigen Gesetzestext entspricht, Ihre Zustimmung in der Großen Koalition - ich glaube, 1966 oder 1967
- und erneut - vermutlich sogar unter Ihrer Federführung als Bundesfinanzminister - im Jahre 1973 gefunden hat,
({0})
nach den Verträgen? Was hat. sich eigentlich geändert?
({1})
Mir sind die Vorgänge
- ohne daß ich der Antwort ausweichen will, sie
wird gleich kommen -, die Sie zitieren, Herr Kohl, gegenwärtig nicht bewußt.
({0})
- Es ist doch kein Grund zum Schreien, wenn ich hier die Wahrheit sage. Was seid ihr denn eigentlich für Leute?
({1})
- Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn Sie dem Herr Abgeordneten Kohl gestatten würden, klarzustellen, was ihm am Herzen liegt, auch wenn es nicht in Frageform geschehen kann.
Bitte schön, Herr Kohl.
Ich habe natürlich die Absicht, genau zu fragen; der Bundeskanzler konnte die Frage ahnen. Meine Frage ist konkret. Was hat sich gegenüber der jetzt geltenden amtlichen Fassung vom 16. November 1973 konkret geändert? Gehe ich fehl in der Annahme, daß Sie in jener Zeit verantwortlicher Minister im Kabinett und, wenn ich mich richtig erinnere, sogar verantwortlicher Bundesfinanzminister waren?
({0})
Ich darf darauf antworten, Herr Kohl, daß manche Formulierungen des Umsatzsteuerrechtes Jahrzehnte alt und fortgeschleppt sind.
({0})
- Manche Formulierungen sind Jahrzehnte alt, jahrzehntelang tradiert und bei keiner Novellierung, wo es z. B. um Umsatzsteuersätze und dergleichen ging, geändert worden, das mag auch im Jahre 1973 so gewesen sein. Sicherlich wird das so gewesen sein, da Sie die Unterlagen in der Hand haben und das sagen. Das wird auch in den sechziger Jahren so gewesen sein. Aber irgendwann wird es einem, wie ich hoffe, bewußt, daß nach den Verhandlungen in den Jahren 1970 bis 1972 Verträge geschlossen worden sind, die es notwendig machen, den Text alter Gesetze mit neu geschlossenen Verträgen in Übereinstimmung zu bringen. Und das muß hier geschehen.
({1})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort, Frau Kollegin. Auch der Redner muß die Möglichkeit haben, im
Zusammenhang zu sprechen, und nicht nur die Zwischenfrager der Opposition.
({0})
Das muß hier geschehen. Es ist nicht das erste Mal, daß es geschieht, es ist schon in einem anderen Gesetz geschehen. Das jetzt hier umstrittene Gesetz ist im Bundestag mit Mehrheit verabschiedet; ein weiteres Gesetz mit gleichem Text ist sogar mit Zustimmung der Opposition verabschiedet. Aber das sind alles kleine Argumente am Rande, auf die es gar nicht ankommt.
Ich erkenne, worum es Ihnen hier wirklich geht. Ihre Freunde im Bundesrat haben vorgeschlagen, anstelle dieses selbst von Ihnen inzwischen nicht mehr für haltbar befundenen Inlandsbegriffes - Sie sehen ein, daß Sie sich auf den Rückzug begeben müssen - nun den Zollgebietsbegriff einzuführen, einen Begriff also, der jedenfalls Breslau nicht mehr einschließt, aber immer noch Dresden einschließen soll. Aus diesem Vorgang erkenne ich, Herr Kohl, daß das Gerede von den Verträgen, die einzuhalten sind, in Wirklichkeit nicht aus dem Innersten Ihres Herzens kommt.
({1})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ja.
Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, dem Hohen Hause zu bestätigen, daß es bei den Ostverträgen in wesentlichen Fragen gegensätzliche Interpretationen zwischen den Vertragspartnern gibt und daß es für die Bundesrepublik Deutschland und alle ihre Staatsorgane verbindliche Interpretationen gibt, die teils von der Regierung Brandt/Scheel selbst, teils vom deutschen Bundestag, teils vom Bundesverfassungsgericht festgelegt worden sind, und daß sich alle Staatsorgane unseres Landes an diese verfassungsgemäße Interpretation zu halten haben?
({0})
Herr Abgeordneter Mertes, soweit das Verfassungsgericht zu Verträgen oder zu Gesetzen tragende Gründe formuliert hat, hat sich jedermann, der für den Staat handelt, danach zu richten. Es ist kein Wunder, daß in Verträgen manchmal Interpretationsschwierigkeiten auftreten.
({0})
Das ist auch bei Gesetzen der Fall; sonst bräuchten wir keine Gerichte, die durch ihre Urteile Gesetze auslegen. Natürlich kommt das überall im öffentlichen Recht vor, sei es gesetzliches Recht, sei es Vertragsrecht, sei es internationales Vertragsrecht.
Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts müssen jeden binden, der für den Staat handelt. Darüber hinaus gibt es weitere Bindungen für den, der für den Staat handelt. Z. B. gibt es moralische Bindungen, z. B. gibt es Bindungen der Glaubwürdigkeit. Ich bitte Sie, sich zu überlegen, wie glaubwürdig Sie eigentlich auf die Dauer im Osten wie im Westen erscheinen wollen, wenn Sie erst mit Inlandsbegriffen hantieren, die völlig unhaltbar sind, dann mit Zollgebietsbegriffen hantieren, die völlig unhaltbar sind, und Ihnen nun von Ihren eigenen Freunden im Saarland bescheinigt wird, daß es nichts anderes gibt, als auf den Boden der Regierungsvorlage zurückzukehren, die die Mehrheit des deutschen Parlaments in diesem Sommer beschlossen hat.
({1})
Ich komme zu dem dritten Punkt, der mir am Herzen liegt und den ich als zentralen Punkt aufnehmen will. Ich bin zwischendurch einmal drei Minuten draußen gewesen, aber während der ganzen langen Rede des Herrn Abgeordneten Kohl ist nach meinem Eindruck das Wort „gemeinsam", das Wort „Gemeinsamkeit" zehnmal, vielleicht zwanzigmal, vielleicht noch häufiger vorgekommen. Ich sage dazu: Ihr Appell an unsere Bereitschaft zu Gemeinsamkeit erscheint mir unglaubwürdig, und er erscheint mir durchsichtig.
Er ist unglaubwürdig aus zwei Gründen. In Wirklichkeit ergibt sich aus vielen Reden Ihres neugekürten Kandidaten, aber auch aus anderen Reden hier in diesem Hause, daß in Wahrheit die CSU und daß auch in Wahrheit die CDU Gemeinsamkeit weder mit der FDP noch mit der SPD wollen. Insbesondere aus den Reden Ihres neugekürten Kandidaten spricht deutlich der Wille zur Konfrontation, die er ja übrigens auch mit Ihnen persönlich und mit der Schwesterpartei nicht gescheut hat.
Zum Thema Unglaubwürdigkeit muß ich dem, der heute zum wiederholten Male in einer Rede zehn- oder zwanzigmal die Gemeinsamkeit beschworen hat, persönlich sagen: Sie selbst und viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen - nicht immer alle - haben bei manchen Gesetzen gegen die Verabschiedung gestimmt, obwohl es ihnen bei solcher Gelegenheit nicht allzu schwer hätte fallen müssen, den Willen zur Gemeinsamkeit anschaulich zu machen. Das betrifft allerdings nicht alle von Ihnen, Herr Abgeordneter Kohl.
({2})
Wenn Sie nun in derselben Rede, in der Sie so viele Male an Gemeinsamkeit . appellieren, die Worte „Sozialisten" und „Sozialismus" in doppelter Bedeutung gebrauchen - einmal meinen Sie damit die Kommunisten, ein anderes Mal meinen Sie Wehner oder uns -, dann muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen Ihren Willen zur Gemeinsamkeit auch auf Grund dieser doppelzüngigen Herabsetzung nicht glauben kann.
({3})
Jemand, der so wie heute nachmittag polemisiert,
kann nicht im Ernst meinen, es werde ihm geglaubt, wenn er von seiner eigenen Hand als der ausgestreckten Hand des Partners spricht; so hatten Sie es doch gesagt.
({4})
Darüber hinaus kommt mir die Sache auch noch sehr durchsichtig vor. Sie möchten großzügig, generös, verantwortungsbewußt erscheinen - so als ob Sie das öffentliche Wohl hoch über die taktischen Interessen Ihrer eigenen Partei stellten. Es wäre sehr gut, wenn es so wäre. In Wirklichkeit sind Sie aber nicht großzügig, nicht verantwortungsbewußt, nicht generös, sondern in Wirklichkeit wollen Sie, wie heute nachmittag mehrfach geschehen, Keile treiben zwischen die liberalen und die sozialdemokratischen Koalitionspartner, und auch zwischen Teile in diesen beiden Parteien.
Darüber hinaus, Herr Abgeordneter Kohl: wenn Sie Gemeinsamkeit anbieten, haben Sie doch im Hinterkopf irgendeine Vorstellung, wie Sie davon profitieren können, falls wir Sie brauchen sollten. Was sind denn eigentlich Ihre Bedingungen für Gemeinsamkeit, Herr Abgeordneter Kohl? Daß wir die Gesetze so beschließen, wie Sie sie formulieren?
({5})
- Nein, das ist keine tiefe Einsicht, sondern ich rede ganz so, wie ich denke. Ich möchte ja, daß Sie mich verstehen.
({6})
- Das war doch nicht nur in der Sicherheitspolitik so; das zog sich doch durch Ihre 15 Kapitel, durch. Lesen Sie bitte morgen im Protokoll nach, wo Sie überall von „gemeinsam" und „Gemeinsamkeit" geredet haben! Sie wollen doch irgendwas. Wenn Sie nichts dafür wollen, warum stimmen Sie dann nicht für unsere Politik? Dann brauchen wir ja gar nicht miteinander zu streiten. Dann könnten Sie ja mal sagen: Das ist in, Ordnung.
({7})
Sie verschweigen Ihre Bedingungen. Sie deuten sie nicht einmal an. Ich wiederhole: Ihr Gemeinsamkeitsangebot - Sie haben es heute schon zum sechsten oder siebenten Mal gemacht - ist unglaubwürdig. Und es ist sehr durchsichtig. Mit einem Wort - Sie haben das Wort „Autorität" benutzt -: In keinem Sinn des Wortes „Autorität" hat Ihr Angebot Autorität. Mit einem Wort: Es ist unredlich. Es ist absolut unredlich. Und niemand draußen im Volk glaubt im Ernst, daß Sie oder Herr Strauß mit uns Gemeinsamkeit wollen. Niemand glaubt Ihnen das.
({8})
Es wäre besser, Sie würden solche Angebote auf einige wenige Punkte konzentrieren, wo Sie dann wirklich ernst genommen werden müßten.
({9})
Das deutsche Volk wird, so denke ich, von der Bundestagsmehrheit und von der Bundesregierung oder sozialliberalen Koalition gut regiert. Es ist sich des hohen Ausmaßes der Sicherheit nach außen und des hohen Ausmaßes sozialer Sicherheit nach innen wohl bewußt. Das weiß auch jedermann draußen - im Osten wie im Westen; einige von Ihnen waren ja jüngst in Budapest und werden zu diesem Thema einiges gehört haben. Das wissen auch die meisten Deutschen. Und das wissen die meisten deutschen Arbeitnehmer, die Sie einerseits umwerben, deren Gewerkschaften Sie aber andererseits spalten möchten.
Und deswegen wird es dabei bleiben. - Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rohde.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Debatte heraus will ich einige Anmerkungen zu den Einlassungen des Oppositionsführers machen und dabei, Herr Kohl, zunächst auf Ihre Bemerkungen über Subventionen und Subventionspolitik, ihre Kriterien, Bedingungen und Effizienz zurückkommen.
Wenn zu Ihrem Hinweis, daß darüber offen und vorurteilslos gesprochen werden solle, von uns Fragen gestellt werden, dann handelt es sich dabei nicht darum, hier gleichsam, wie Sie es nannten, einen „Pferdefuß nachzuschieben" . Wir wollen vielmehr herausfinden, was auf seiten der Opposition eigentlich gemeint ist. Im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages anläßlich der Beratung der Subventionsberichte und auch in der Öffentlichkeit hatten wir bisher den Eindruck, daß die Opposition zwar die Subventionen im Ganzen kritisiert, aber jede einzelne mit besonderem Nachdruck begrüßt.
({0})
Bemerkenswert, Herr Kohl, fand ich die Art und Weise, wie Sie die Energiepolitik behandelt haben. Sie konnten heute wiederum nicht der Versuchung widerstehen, das einfache Schema zu verwenden, selbstgerecht gegenüber sich selbst und der Union zu sein und anklagend gegenüber der Koalition.
({1})
Mit dieser Art, ein die Menschen bewegendes Problem zu behandeln, werden Sie den Anforderungen, die an die Politik im Zusammenhang mit der
Kernenergiedebatte gestellt werden, nicht gerecht. Nur anklagen, Herr Kohl, das erinnert mehr an Sonthofen als daß es die politisch-moralischen Bedingungen enthält, unter denen die Parteien dieses schwerwiegende, auch sorgenvolle Thema behandeln müssen.
Nun hat der Oppositionsführer aus seinem von ihm stets parat gehaltenen Zettelkasten zitiert. Aufgefallen ist, daß von ihm die kürzliche Stellungnahme der sozialdemokratischen Arbeitnehmer auf ihrem Bundeskongreß in Nürnberg zur Energiepolitik und Kernenergie nicht zitiert worden ist. Jeder weiß natürlich sofort, warum Herr Kohl darauf nicht zu sprechen kommt: das paßt nicht zu dem Leisten, den er uns Sozialdemokraten zugedacht hat.
({2})
Nach meinem Dafürhalten haben die sozialdemokratischen Arbeitnehmer in Nürnberg ein Beispiel dafür gegeben, wie man ein schwieriges, viele Menschen nicht nur mit Fragen, sondern auch mit Sorgen belastendes Thema behandelt. Sie haben sich dabei nicht nur auf einige Formeln zurückgezogen, sondern haben in einen Zusammenhang gebracht, was zusammengehört. Da ist zunächst die Priorität Kohle. Erlauben Sie mir, daran zu erinnern, wie es wohl heute um die Realisierung einer solchen Priorität bestellt wäre, wenn wir Sozialdemokraten mit anderen zusammen nicht den Plänen Erhards zur Reduktion des Bergbaus in den 60er Jahren widerstanden hätten.
({3})
Wir hatten den Mut, die Option Kohle offenzuhalten, und wir haben dafür - wir geben es zu - Milliardenbeträge in den letzten Jahren ausgegeben, was ja zumeist der Haushaltskritik der Opposition unterlegen hat. Wo stünden wir, wenn wir die Leistungen für die Kohle nicht erbracht hätten, heute in der Bundesrepublik mit den energiepolitischen Problemen?
({4})
Herr Kohl, ich finde, es wäre wirklich angemessen, nicht so selbstgerecht gegenüber sich und so anklagend gegenüber anderen schwierige Probleme der deutschen Politik aufzugreifen.
({5})
Zum anderen haben wir in Nürnberg deutlich gemacht, was aus unserer Interessenlage heraus - ich hoffe, nicht nur aus unserer, sondern auch aus der Interessenlage anderer - zur Energieeinsparung und zur Entwicklung alternativer Energien geleistet werden muß und wie Belastungen, die mit der Ölpreisverteuerung verbunden sind, soweit uns das möglich ist, vor allen Dingen von den sozial schwächeren Schichten abzuhalten sind.
Schließlich haben sich die sozialdemokratischen Arbeitnehmer zur Kernenergie geäußert. Ich zitiere den Satz:
Um die Energieversorgung sicherzustellen, ist ein grundsätzlicher Verzicht auf Kernenergie nach heutigen Erkenntnissen nicht möglich.
Wir haben uns die Debatte über diesen Satz nicht einfach gemacht. Es wäre völlig falsch und eine abenteuerliche Spekulation, wenn man annehmen würde, daß die Arbeitnehmer eine Art unkritische Kernkrafttruppe bildeten.
({6})
Wir nehmen es mit der Sicherheit und mit der Entwicklung der Lebensbedingungen genauso ernst wie andere und fügen dem hinzu, was wir an Erfahrungen mit Arbeitsplatzsicherheit und wirtschaftlichem Wachstum einzubringen haben. Dies sind nicht Elemente, die beliebig demagogisch austauschbar wären. Meine Damen und Herren, wir haben diesen Satz, den ich hier verlesen habe; mit unserem Anspruch auf Entsorgung gekoppelt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Ja.
Herr Kollege Rohde, eben war es nicht möglich, dem Herrn Bundeskanzler eine Zwischenfrage zu stellen, weil er nicht jede zuließ. Sie sprechen jetzt über das Entsorgungsproblem insgesamt. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen die Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Niedersächsischen Landtag, Herrn Ravens, bekannt ist. Darf ich fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß Herr Ravens gesagt hat:
Nach unserer Auffassung hat das GorlebenSymposium gezeigt, daß eine positive Entscheidung über die grundsätzliche Realisierbarkeit eines integrierten Entsorgungszentrums in Gorleben nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse nicht getroffen werden kann.
Sie zitieren einen Satz, den Sie aus dem Gesamtzusammenhang herausgelöst haben.
({0})
Selbst wenn der Gesamtzusammenhang so ähnlich wäre, sollten wir uns doch wechselseitig eingestehen, daß über diese Fragen offen und ehrlich diskutiert werden muß.
({1})
Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, den der Oppositionsführer hier zu erwecken versuchte, als bestünde zwischen Albrecht auf der einen Seite und dem bayerischen Ministerpräsidenten auf der anderen Seite eine völlige Übereinstimmung.
({2})
Meine Position ist in dieser Sache klar, Herr Kollege - ich wende mich an den Staat im ganzen, weil ich nicht will, daß aus der wichtigen Frage, wie der Atommüll beseitigt wird, eine taktische
Frage der Länder untereinander und zwischen Bund und Ländern gemacht wird -:
({3})
Wenn der Staat die Option Kernenergie offenhalten und dafür Entscheidungen haben will, muß er den Bürgern und den gesellschaftlichen Kräften in diesem Lande sagen, auf welche Weise er die Entsorgung löst, und er muß die Beziehungen zwischen Zwischenlagerung und Entsorgung in ein von der Bevölkerung einsehbares Konzept bringen. Das ist die Lage.
({4})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Franke, ich mache das gern. Ich habe aber nicht die Absicht, nur über die Kernenergie zu sprechen. Ich möchte auch ein Wort über die Renten sagen; denn ich hielte es für schlecht, 30 Minuten über die Kernenergie zu diskutieren und dann nur noch fünf Minuten für die Renten übrig zu haben.
({0})
Herr Kollege Rohde, ich darf Sie fragen - Sie dürfen mir unterstellen, daß es mir leid tut, Ihnen diese Frage zu stellen; ich hätte sie lieber vorhin untergebracht -, ob Sie nicht die Rede des Herrn Bundeskanzlers gehört haben, in der dieser der niedersächsischen Landesregierung unterstellt hat, sie wolle dieses Entsorgungszentrum nicht bauen, obwohl eindeutig festgestellt worden ist, daß die SPD-Opposition in Niedersachsen diesem Konzept, das entwickelt worden ist, nicht beitreten wollte.
Wissen Sie, Herr Kollege, ich habe meinen Ausführungen zu dieser Sache nichts hinzuzufügen. Sie basieren auf der Anforderung, die ich hier an den Staat im ganzen gerichtet habe. Er muß sich in allen seinen Teilen - vom Bund bis zu den Ländern - dieser Sache gewachsen zeigen.
({0})
Zurück zu den einleitenden Bemerkungen von Herrn Kohl, zu seiner Befürchtung, daß jetzt steuerpolitische Vorschläge gleichsam im Schnellverfahren zusammengenäht werden; um sein Vokabular zu gebrauchen. Wer das draußen hört, muß den Eindruck gewinnen, hier ginge es heute um eine steuerpolitische Entscheidung. Wir aber, Herr Kohl, beraten den Haushalt 1980.
({1})
Ich will Ihnen als jemand, der auf viele Jahre parlamentarischer Erfahrung in diesem Bundestag zurückblicken kann, offen sagen: Wir haben einen Haushalt vor uns, der im Gegensatz zu Haushalten von Unionsregierungen der 50er und 60er Jahre
kein Haushalt der Wahlgeschenke ist. Das ist schon einmal eine wesentliche Qualität, mit der wir als sozialliberale Koalition in die Haushaltsrunde der nächsten Wochen hineingehen.
({2})
Wir haben uns um Solidarität bemüht. Das ist ein Wort, das von den Rednern der Opposition zumeist nur mit zynischen Kommentaren bedacht worden ist, was ich bedauere. Aber dieses Wort kennzeichnet im Grunde genommen unsere Alternative gegenüber den Absichten und den Plänen der Opposition.
Bringt man alle Einzelheiten und Elemente der Oppositionspolitik zusammen, zeichnet sich folgende Linie ab: Sie will Steuersenkungen auf der einen Seite - insbesondere für wirtschaftlich Starke in diesem Land -;
({3})
auf der anderen Seite hat sie ein Bündel von Forderungen nach Mehrausgaben aus dem Bundeshaushalt parat; drittens gibt es eine ausufernde Kritik an der Kreditaufnahme und damit an der Finanzpolitik des Bundes. Mit einer solchen Politik, die darauf hinzielt, auf der einen Seite die Einnahmen zu senken, auf der anderen Seite Mehrausgaben zu verursachen und dann noch die Kreditaufnahme und die Finanzpolitik zu verketzern, kann man vielleicht Demagogie betreiben, aber ein Staat läßt sich mit einem solchen finanzpolitischen Konzept nicht regieren.
({4})
Das wissen auch die Arbeitnehmer. Ich sage Ihnen, meine Herren von der Opposition, heute schon voraus, daß Sie mit einem solchen Bündel von Widersprüchen nur sich selbst in Begeisterung reden können; politischen Boden werden Sie damit auch im Wahlkampf 1980 nicht gewinnen.
({5})
Die arbeitenden Menschen wissen - der Bundeskanzler hat es deutlich gemacht -, daß sie Bürger eines Landes sind, das sich in den weltwirtschaftlichen Turbulenzen der zweiten Hälfte der 70er Jahre besser als andere, vergleichbare Industrieländer wirtschaftlich und vor allem auch sozial behauptet hat. Dies ist nicht selbstverständlich, ganz im Gegenteil, und es gibt keinen Grund, das in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir finden hier eine Opposition vor, die mit dem Blick auf den Wahlkampf, liest man ihre sogenannten Strategiepapiere, darauf aus ist, im Trüben der Vergeßlichkeit zu fischen.
({6})
Unsere weltpolitische Position ist eine große Gemeinschaftsleistung, von vielen in unserem Lande und unter Führung der sozialliberalen Regierung erbracht.
Wenn nun der bayerische Ministerpräsident erklärt, er, Strauß, wolle jetzt „die große Wende" der Politik der Bundesregierung herbeiführen, dann muß man doch fragen: Wovon soll sich denn nun eigentlich die Bundesrepublik abwenden?
({7})
Welche Richtung der Politik soll sie im Blick auf die Menschen einschlagen?
({8})
- Dazu sage ich noch ein Wort. - Wenn wir die Einzelheiten dessen, was Strauß - er ist ja in den Sommermonaten sehr redselig gewesen - über seine Absichten und politischen Tendenzen erklärt hat, zusammenraffen und gleichzeitig zur Politik der Konservativen in anderen Industrieländern in Beziehung setzen, dann zeichnen sich folgende Grundlinien ab:
Erstens bedeutet die konservative Strategie, sich einseitig wirkenden Steuersenkungen zuzuwenden, und das wäre eine Politik, bei der die Arbeitnehmer ins Abseits geraten würden. Zweitens hieße das, Beschäftigungspolitik zu vernachlässigen. Das steht doch im Grunde genommen als Konsequenz hinter der Kritik an der Finanz- und Kreditpolitik. Diese Kreditaufnahme, die Verschuldung - damit Sie Ihr Reizwort haben -, ist kein Selbstzweck; sie ist nicht aus Tollerei gemacht worden. Mit diesen Finanzmitteln sollte vielmehr der Staat befähigt werden, seinen Beitrag zum Abbau von Beschäftigungsdefiziten zu leisten.
({9})
Dazu werde ich Ihnen jetzt ein Zitat bringen, nicht aus der „Welt der Arbeit" und nicht aus dem „Vorwärts", sondern aus einer für Sie ganz sicher unverdächtigen Zeitung, aus der „Welt". Da heißt es:
Die OECD führt die Verbesserung der Wirtschaftslage und die positive Einschätzung der Zukunft zum großen Teil auf die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik zurück, die zur Verbesserung der Wachstumschancen ein stärkeres Haushaltsdefizit nicht gescheut habe, sowie auf die verantwortungsbewußte Haltung der Gewerkschaften.
Beide Elemente der Politik, die von der OECD hier verdeutlicht werden, die Haushaltspolitik und die Haltung der Gewerkschaften, sind ausgerechnet diejenigen, die permanent von der Opposition in Zweifel gezogen werden.
({10})
Schließlich zielt die konservative Strategie auf den Abbau der Leistungen des Staates im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben. Das war ja auch heute, jedenfalls der Tendenz nach, in der Rede des Kollegen Häfele unüberhörbar. Herr Kollege Kohl, ich will hierzu anmerken - aus der Sicht, aus der ich Politik betreibe -: Bei mir geht es nicht um eine abstrakte Diskussion über die Staatsquote und über den „öffentlichen Korridor". Ich würde mich
in meinen Entscheidungen mehr an den Lebensbedürfnissen der Menschen oritentieren
({11})
und fragen: Was muß auch von der öffentlichen Hand geleistet werden, um für die breiten Schichten unserer Bevölkerung soziale Sicherheit, Arbeit sowie für die Familien Fortschritt und damit die Voraussetzung zur persönlichen Selbstbehauptung zu schaffen?
({12})
In den Zusammenhang konservativer Politik gehören auch die Angriffe auf die Gewerkschaften, die Mitbestimmung und die Tarifpolitik, hier im Plenum natürlich nur verhalten oder gar nicht vorgetragen, aber draußen in der Öffentlichkeit um so drohender. Wissen Sie, allein schon der drohende Ton: „Wenn sie nicht so ..., wie wir uns das denken, dann werden wir ...", - das ist doch die Art, wie zumindest Teile - ich sage das nicht für jeden Angehörigen der CDU. - der Union mit deutschen Gewerkschaften umgehen. Das ist unglaublich, meine Damen und Herren.
({13})
Das der Beitrag der Gewerkschaften zu Demokratie, Sozialstaatlichkeit und Freiheit in diesem Land von Teilen der Union so bewertet wird, drängt doch die Frage auf, was die Union denn eigentlich aus den Erfahrungen der deutschen Geschichte und auch aus den Erfahrungen anderer Industrieländer gelernt hat.
Die von Strauß angekündigte „große Wende" wäre also nichts anderes als der Abschied von dem spezifischen Charakter der Politik der Bundesrepublik. Hier geht es um den Willen zum sozialen Ausgleich. Es geht nicht nur um Formeln, sondern um das, was man in der Politik will, darum, aus welchen Antrieben heraus man Politik betreibt.
({14})
„Die Wende" würde auch unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berühren. Manche glauben, Jahresberichte und Konjunkturdaten allein hätten wirtschaftliche Leistungsfähigkeit garantiert. Gewiß haben sie ihr Gewicht, aber ohne Einbettung in die Entwicklung der allgemeinen sozialen Verhältnisse - und das heißt bei uns auch und nicht zuletzt: der Mitbestimmung der Arbeitnehmer - würden sie ihre Wirkung nicht entfalten können.
Wir haben in den Industrieländern keinen Mangel an Daten, statistischen Mitteilungen, Prognosen und Vorausschätzungen. Da gibt es ja oft mehr, als man überhaupt ertragen kann. Der Mangel in vielen Teilen der Welt besteht im Willen und der Fähigkeit zur sozialen Reform und darin, die Demo- kratie im Gleichgewicht zu halten.
({15})
Solidität - und bei dieser Vokabel zu bleiben - bedeutet in den Beratungen des Haushalts 1980
aber auch - ich bewerte das nicht gering -, daß wir jetzt die haushaltspolitischen Voraussetzungen schaffen, um jene Leistungen finanziell zu garantieren, die unter dem abstrakten Wort „Gipfelpaket" von diesem Parlament beschlossen worden sind. Das sind für die Arbeitnehmer konkrete Verbesserungen: Ausbau des Mutterschutzes, Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte, auf der anderen Seite Defizithaftung des Bundes für die Bundesanstalt für Arbeit, damit deren verbesserte Leistungen zur Berufsumschulung, Fortbildung und für andere Aufgaben nicht über Erhöhungen der Beiträge der Arbeitnehmer, sondern aus dem öffentlichen Haushalt finanziert werden können. Schließlich gehört dazu das BAföG für das Berufsgrundbildungsjahr. Dies sind beachtliche Fortschritte. Insofern ist es wichtig, daß hierfür im Haushalt die finanziellen Voraussetzungen geschaffen worden sind.
Nun gestatten Sie, Herr Kollege Kohl, mir noch ein Wort zur Familienpolitik. Wir brauchen nicht über Gewicht und Bedeutung famileinpolitischer Leistungen zu streiten. Daß zwar nicht allein der Staat - da stimme ich Ihnen zu -, aber auch er dafür Voraussetzungen zu schaffen hat, daß sich die Menschen in den Familien und in dieser Gesellschaft sozial behaupten und frei entwickeln können, ist nicht umstritten. Was uns Sozialdemokraten herausfordert und auch trifft, Herr Kohl - ich will es hier offen bekennen -, ist die Art und Weise, wie auch von Ihnen in den hinter uns liegenden Jahren die Leistungen, die Anstrengungen, die Überlegungen, die Absichten der Sozialdemokratie 'auf dem Felde der Familienpolitik verbogen worden sind. Das ist es, was uns provoziert. Als Sozialdemokraten haben wir, ohne daß wir in früheren Jahrzehnten das Vokabular, das uns heute geläufig ist, dabei gebraucht haben, auf unsere, sicher unverwechselbare Weise dafür gesorgt, insbesondere den Familien im Bereich der arbeitenden Bevölkerung bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu ermöglichen. Das ist ein Stück Geschichte der Sozialdemokratie.
({16})
Heute muß das alles seinen besonderen Namen haben. Damals wurde darunter die Verbesserung der Lebensverhältnisse verstanden.
({17})
- Das weiß ich nicht.
({18})
Als August Bebel das damals sagte, Herr Kollege Kohl, da wurde er von den konservativen Gegnern seiner Zeit als einer hingestellt, der die Familie zerstören, deren Autorität untergraben und was weiß ich noch alles an Schlimmem machen wollte.
({19})
Die Konservativen haben uns eigentlich, verfolgt
man die Geschichte, auf diesem Felde über 100
Jahre gleichbehandelt, wie auch immer die Verhältnisse im einzelnen waren.
({20})
Herr Kollege Kohl, ich will unsere Haltung an einigen Beispielen deutlich machen, weil ich denke, man darf, wenn man über eine so wichtige Sache spricht, nicht im Allgemeinen, im Generellen steckenbleiben.
Ich erinnere mich beispielsweise noch daran, wie wir - zusammen mit anderen, wie ich gern zugebe
- vor Jahrzehnten darauf geachtet haben, daß sich die solidarischen Leistungen in der deutschen Sozialversicherung nicht nur als Solidarleistungen zwischen den Generationen entwickeln, sondern auch als solidarische Leistungen gegenüber den Familien. Das wird bei den Familienleistungen der Krankenversicherung und an vielen anderen Stellen deutlich. Daran haben Sozialdemokraten mitgewirkt, das haben sie mitgestaltet!
({21})
Ich bin ja gar nicht so anmaßend, das alles nur für uns in Anspruch zu nehmen, aber mitgewirkt haben wir, und zwar entscheidend.
Stellen Sie sich vor, was es bedeuten würde, wenn wir bei Krankheit und in anderen Lebenssituationen nicht die familienbezogenen . solidarischen Wirkungen unseres sozialen Sicherungssystems hätten. Ich erinnere Sie nur daran, wie wir Anfang der 70er Jahre die Einbeziehung der Kinder in die Unfallversicherung ihrer Väter und, wenn diese arbeiten, auch ihrer Mütter vorgenommen und sie gleichgestellt haben. Das alles ist doch ein Stück konkreter Politik für die Familien.
({22})
- Auch das! Ich will hier gar nicht buchhaltern, aber das gehört sicher dazu.
Wenn wir im Laufe unserer Geschichte Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. verändert haben, so war auch das nicht nur Arbeitsrecht, sondern auch, um das heutige Vokabular zu gebrauchen, ein Stück Familienpolitik.
({23})
Die Diskussion innerhalb der Arbeitnehmerschaft
- und da beziehe ich den Kollegen Blüm aus der Union mit ein, weil mir nichts daran liegt, daß 'man sich hier gegenseitig demagogische Splitter unter die Fingernägel steckt - weist aus, daß sie sich in Zukunft stärker den Zusammenhängen zwischen Arbeitszeit, Arbeitsorganisation und Lage der Familien zuwenden wird. Teile der Union verschweigen zumeist oder verdrängen, wie durch Schichtarbeit und andere inhumane Arbeitszeitregelungen - und Schichtarbeit nimmt zu, Herr Kohl - Familienleben und Familienwirklichkeit in Mitleidenschaft gezogen werden. Allein mit Elterngeld und ähnlichen Mitteln sind diese Auswirkungen unseres Produktionsprozesses auf die reale Lage der
Familie und ihre soziale Befindlichkeit nicht aus der Welt zu schaffen.
Das gilt für Männer und für Frauen in gleicher Weise. Wer beispielsweise allein darauf aus ist, Frauen den Zugang zu qualifizierter Berufsarbeit zu erschweren und sie wieder in Küche und Heim abzudrängen, statt sich zu fragen, wie künftig die Arbeitszeit für Männer u n d Frauen so geregelt und gestaltet werden kann, daß sie partnerschaftlich zusammenleben und ihre Kinder erziehen können, der zielt an den Anforderungen der Zukunft vorbei.
({24})
Herr Kollege Kohl, wenn ich das auch so wie Sie mit dem Zettelkasten halten würde - aber ich will darauf verzichten -, könnte ich Ihnen jetzt - ich habe die Daten dabei und werde sie Ihnen gern zur Verfügung stellen - vorlesen, was konkret in den Ländern der Bundesrepublik für die Familien geleistet wird.
({25})
- Nun, da möchte ich einmal sehen, wem die Augen übergehen, wenn ich Ihnen die Zahlen zugänglich mache. Wenn Sie mich reizen, werde ich nun doch bald zitieren, aber ich will dem Juckreiz möglichst widerstehen.
({26})
- Das ist keine Drohung;
({27})
ich will nur Zeit sparen, Herr Kollege. - Ich möchte nur deutlich machen, daß dann in Erscheinung treten würde, was beispielsweise hier in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen Flächenländern wie Rheinland-Pfalz oder Bayern für die Familien geleistet wird. Man sollte weniger rhetorische Kraftakte machen und einen Wettbewerb darin versuchen, sondern sich mehr an die konkreten Sachverhalte halten.
Nun ein Wort zu den Renten. Das ist ein Thema, bei dem immer die Versuchung besteht, in eine Art von Auseinandersetzung abzugleiten, bei der manche jedenfalls - und ich sage: nicht nur auf einer Seite - mehr darauf aus sind, in der Auseinandersetzung „Punkte zu sammeln", wie das heute heißt, als sich mit der Sache selbst und den mit ihr verbundenen Problemen sowie mit der Lage der Betroffenen zu befassen. Ich weiß, daß diese Versuchung ungeheuer groß ist. Aber das ist die unangemessenste Art, eine schwierige Sache zu behandeln.
({28})
Das sage ich, wie Sie wissen, Herr Kollege Franke, aus langjähriger Mitarbeit in der Sozialpolitik.
Es wäre ein Gewinn, wenn wir uns zunächst über einige Sachverhalte verständigten. Der erste Sachverhalt ist - und er gilt grundsätzlich für die Regierung, wer immer sie ausübt -, daß es in ei13488
nem Lande mit einem hohen Niveau sozialer Sicherung - und das haben wir;
({29})
- Sie bestreiten das auch nicht -, ungeheurer Anstrengungen bedarf, um dieses Niveau durch Perioden weltwirtschaftlicher Turbulenzen durchzubringen.
({30})
Niemand kann sich dieser Sache entziehen. Die Opposition kann es vielleicht noch. Ob sie dabei gut beraten ist, wenn sie - ({31})
- Ich sage ja: ob sie dabei gut beraten ist, wenn sie den Versuch machen würde, ist eine andere Frage. Die Regierung kann es jedenfalls nicht. Sie kann sich nicht aus der Schlinge der Anforderungen ziehen. Sie muß sich ihnen stellen. Da hilft es gar nichts, wenn wir uns hier wechselseitig demagogisch bearbeiten. Es ist auch gar keine Selbstgerechtigkeit am Platz. Sonst müßte ich an die Auseinandersetzungen erinnern, die im Jahr 1972 über das Rentengesetz geführt worden sind, an denen ich damals noch unmittelbar beteiligt gewesen bin. Eines, Herr Kohl, ist doch klargeworden im nachhinein: die Zahlen, die die Opposition damals zur Grundlage ihrer Forderungen und ihrer Politik gemacht hatte, sind unsolide gewesen. Darauf hätten wir niemals das Rentenkonzept aufbauen können.
({32})
Aber der Opposition zu sagen, daß das unsolide war, hat damals den demagogischen Einwurf der Union hervorgelockt „Sie wollen den Rentnern etwas vorenthalten". So wurde die Debatte damals geführt. Es ging Ihnen nicht um die Frage: Ist die Finanzierung solide, werden damit die Finanzen der Rentenversicherung zusammenhalten?
Es gibt also keinen Grund zur Selbstgerechtigkeit, für keinen. Damit meine ich alle, die hier im Saale sind. Vielmehr geht es um die Einsicht, daß dies schwierige Zusammenhänge sind, die - um es zu wiederholen - unbeschädigt durch eine Periode weltwirtschaftlicher Turbulenzen gebracht werden müssen.
Nun kann die Opposition ja sagen, was sie will: zunächst, Herr Kohl, zeichnet sich ab, daß sich die Einschätzungen über die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung, wie wir sie im 21. Rentenanpassungsgesetz 1978 vorgenommen haben, bisher als richtig erwiesen haben. Es ist keinesfalls so selbstverständlich, wie sich das anhört, in einer Zeit des wirtschaftlichen Auf und Ab mit seiner Vorausschau in der richtigen Richtung gedacht und entschieden zu haben.
Nun stehen wir bei dem, was wir selber hier beschlossen haben, und dem, was uns auf der anderen Seite auferlegt worden ist, vor einer doppelten Aufgabe, der wir uns insgesamt gewachsen zeigen müssen.
({33})
- Insgesamt. Ich rede nicht immer nur von uns. Ich fühle mich als Mitglied des Parlaments. Ich erlaube mir, wenigstens von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, daß wir einiges vielleicht, wenn es geht, auch so behandeln, wie es von uns im ganzen erwartet wird. - Wir haben zwei Aufgaben zu bewältigen: Erstens haben wir das Rentengesetz zu verwirklichen, das wir in allen seinen Teilen angenommen haben. Dazu gehört die Beitragserhöhung ab 1980, und dazu gehört die Rentenformel, die wir hier beschlossen haben.
Nun hat Herr Kohl gefragt: Wie ist das eigentlich mit den Quellen? Wissen Sie, Quellen gibt es immer viele. Ich halte mich an die amtlichen.
({34})
- Ja, ich werde Ihnen das gleich vorlesen. Es ist ganz bemerkenswert.
Eine wichtige Quelle, vielleicht die allerwichtigste in diesem Zusammenhang, ist das, was im Ausschußbericht zum 21. Rentenanpassungsgesetz über die weitere Entwicklung gesagt worden ist.
({35})
- Ich teile das hier nicht in Kästen ein, sondern ich setze mich mit einem Problem auseinander, Herr Kollege.
({36})
- Vielleicht, Herr Kohl, würden Sie die christliche Güte haben, mich zunächst erst einmal ausreden zu lassen.
({37})
Ich zitiere: „Die Absicht der Koalitionsfraktionen, vom Jahre 1982 an wieder zu dem bisherigen Anpassungsverfahren zurückzukehren, finde ihren gesetzlichen Niederschlag einerseits in der Regelung über die Fortschreibung der allgemeinen Bemessungsgrundlage vom Jahre 1982 an, andererseits in der Einführung eines individuellen Beitrags der Rentner zu ihrer Rentnerkrankenversicherung, der von einer bruttolohnbezogenen Rente ausgehe." Das ist die Quelle, an die ich mich halte.
({38})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Ich würde gern erst einmal diesen Gedankengang zu Ende führen.
({0})
- Ich würde mir ganz gern aussuchen, wann ich Ihre Frage zulasse. Herr Kollege, jetzt möchte ich
noch einen Augenblick weiterreden. - Sie können sich aber ruhig setzen, so schnell geht das nicht.
({1})
Die zweite Aufgabe - in allem Ernst hinzugefügt - ist, den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen, Mann und Frau in der Hinterbliebenenversorgung der Rentenversicherung gleichzustellen.
Nun könnten Sie fragen - vielleicht haben Sie auch eine andere Frage, aber Sie könnten dies fragen - was für mich, der ich nicht der Pressesprecher irgendeiner Partei bin, sondern für die Sozialdemokraten spreche und damit auch die Auffassung der sozialdemokratischen Arbeitnehmer wiedergebe, dabei eine entscheidende Rolle spielen wird. Erstens müssen wir uns alle - und das sage ich in der Hoffnung, daß das nicht als anmaßend genommen wird, gegenüber allen Seiten dieses Hauses - voll bewußt sein, was es bedeutet, daß Arbeiter und Angestellte über Jahrzehnte hohe Beiträge für ihre Alterssicherung geleistet haben. Sie wollen dies als Versicherung im vollen Umfange dieses Wortes gesehen und realisiert wissen. Und das, Herr Kollege, heißt, ich sage Ihnen das offen im Blick auf die Rentenformel: Was die Arbeitnehmer über Jahrzehnte, in 40, 50 Jahren, wie wir beide wissen, an Beiträgen geleistet haben, das steht dem Staat nicht zu seiner beliebigen Disposition zur Verfügung. Das ist meine Meinung.
({2})
Das ist der erste Grundsatz. Ich füge hinzu, jeder kann so handeln, wie er das einschätzt. Aber er muß wissen - und ich spreche hier aus der Erfahrung vieler Diskussionen mit der Arbeitnehmerschaft -, auf was er dann in diesem Volk stößt.
Das zweite: Wir haben nicht nur die Rentenversicherung, sondern auch andere Alterssicherungsformen, z. B. im öffentlichen Dienst oder in der Wirtschaft durch Pensionszusagen.
Als zweites Prinzip will ich - von mir aus jedenfalls - hinzufügen: Es ginge nicht an, wenn auf der einen Seite Leistungen im Bereich des öffentlichen Dienstes und private Pensionszusagen dynamisch weiterentwickelt würden, während Arbeiter und Angestellte auf Formen einer Rentengrundsicherung abgedrängt würden, auf die sie dann persönliche Zusatzleistungen aufstocken müßten. Das geht nicht. Wir dürfen hier nicht mit zweierlei Maß messen.
({3})
- Herr Kollege, wenn wir uns alle einig wären, daß diese beiden Grundsätze ein großes Gewicht haben, nicht nur politisch, sondern auch für das Verhältnis der Bürger zu den Entscheidungen dieses Parlaments, dann wären wir schon einen großen Schritt weiter. Sich nicht gleich in Formeln zu verheddern - die Versuchung ist ja groß -, sondern zu fragen, was wir gemeinsam den Millionen Menschen schuldig sind, die ihr Leben lang für
ihre Alterssicherung einen hohen Beitrag geleistet haben, darauf kommt es an.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Rohde, ich muß mich zügeln, um nicht zu sagen: ich stimme Ihnen in vielen Teilen zu. Aber zu dem, was Sie vorher als für Sie von amtlicher Bedeutung zitiert haben, darf ich Sie fragen, ob Ihnen die Stellungnahme aus dem Gdk - das ist der Freidemokratische Tagesdienst - vom 6. September 1979 bekannt ist, worin steht:
Unrichtig sind dagegen Behauptungen, das 21. Rentenanpassungsgesetz schreibe die Rückkehr zu der bis 1977 üblichen Bruttoanpassungsautomatik vor. Eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung besteht nicht. Sie hat auch nie bestanden.
Gilt das, was Sie gesagt haben, oder der Koalitionspartner, der dort auf der anderen Seite sitzt?
Ich halte mich
({0})
an das, was vom Bundestag beschlossen ist. Um diese Klarstellung geht es. Ich halte mich - und ich denke, das ist gar nicht so ungewöhnlich; das machen andere Kollegen in anderen Zusammenhängen dauernd - an das, was wir selbst als Ausschußbericht nicht nur zu Rapier gebracht, sondern insgesamt einmütig beschlossen und damit gebilligt haben. Den Ausschußbericht, Herr Kollege Kohl, würde ich nicht mit einer ironischen Bemerkung über „amtliche Dokumente" abtun. Er ist ein Bezug auf unsere Arbeit, und den müssen wir selbst ernst nehmen. Ich tue das jedenfalls.
({1})
Zum Schluß, Herr Kollege Kohl, will ich sagen: Die politische Debatte in der Bundesrepublik würde, so wie ich das einschätze, gewinnen, wenn die Opposition wenigstens auf einen Teil ihrer Selbstgerechtigkeit verzichtete - ich überfordere sie dabei nicht - und wenn sie auf der anderen Seite bei der Beurteilung der wirklichen Lage der Bundesrepublik mehr Augenmaß aufbrächte.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kohl hat zu Beginn seiner Ausführungen dem Sinne nach gesagt: Es muß doch möglich sein, Fragen zu stellen, ohne in die Diffamierungsecke abgedrängt zu werden.
({0})
Lieber Herr Kollege Kohl, ich wäre sehr froh gewesen, wenn diese Maxime, die am Beginn Ihrer Rede gestanden hat, wirklich bei allen Ihren Ausführungen Gültigkeit gehabt hätte;
({1})
dann würde man manches jetzt gar nicht weiter zu diskutieren brauchen. Ich will deshalb nur zu einem einzigen Punkt, nämlich zu den Fragen der Rentenpolitik Stellung nehmen.
Ich habe die Frage an Sie gerichtet, ob Ihnen bekannt ist, daß nach der Rentengesetzgebung von 1957 zwar die Neurenten automatisch angepaßt werden, die sogenannten Bestandsrenten, die Altrenten aber nicht automatisch angepaßt werden, sondern daß es dafür jedesmal eines Gesetzes bedarf. Das ist 1957 bewußt hineingeschrieben worden, und das ist ein Stück Erhardsches Erbe, von dem ich manchmal den Eindruck habe, daß Sie diesen Teil Erhardschen Erbes jetzt, wenn es in der Diskussion um die künftige Gestaltung der Rentenversicherung geht, gar nicht mehr so ernst nehmen, gar nicht mehr daran erinnert werden wollen.
Wenn Sie genau lesen, was in der FTK vom 6. September steht, sehen Sie, daß die Automatik für die Bestandsrenten nicht in den Rentengesetzen steht, sondern daß es jedesmal eines besonderen Gesetzes bedarf. Das ist unbestritten bei allen, die etwas damit zu tun haben.
Worum es geht, ist, daß bei jeder Anpassung nach allen Gesichtspunkten - so steht es seit 1957 im Gesetz -, auch volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten, geprüft werden soll, ob die Anpassung der Bestandsrenten in der gleichen Weise erfolgt wie die der Neurenten oder ob man hier unterschiedliche Entwicklungen einleiten muß.
Darauf, daß eine solche Prüfung zu erfolgen hat, haben wir hingewiesen, darauf werden wir immer wieder hinweisen. Es ist unbestritten, daß der Ausschuß festgelegt hat, daß die Automatik bei den Neurenten ab 1982 wieder einsetzt. Es ist genauso unbestritten, daß das Ziel sein soll, die Bestandsrenten für die Jahre - darum geht es doch in Wahrheit - 1982, 1983 höchstens 1984 in der alten Form unter Berücksichtigung eines dann vorhandenen Krankenversicherungsbeitrages anzupassen; auch das steht in dem Bericht. Dies wiederum bedeutet, daß man zum Zeitpunkt der Entscheidung zu prüfen hat, ob a) mit dem vorgesehenen Krankenversicherungsbeitrag und b) unter allen volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten die gleichen Anpassungssätze richtig sind oder nicht. Wir verschließen uns den Uberlegungen, es so zu machen, nicht. Wir sagen nur: Der Gesetzgeber ist seit 1957 verpflichtet, diese Frage jedesmal zu prüfen. Das, meine Damen und Herren, liegt mehr im Interesse der Rentner, als immer so zu tun, als sei eine Automatik im Gesetz, die nicht vorhanden ist. Das ist der Punkt, über den wir uns hier miteinander zu unterhalten haben.
({2})
In Erinnerung an Ihre erste Bemerkung, Herr Kollege Kohl, möchte ich noch ein zweites sagen:. Wenn Sie hier so leichthin sagen, die Freien Demokraten wollten einen Rentenabschlag, dann ist das genau die Formulierung, die draußen den Eindruck erwecken soll
({3})
- das haben Sie in Ihrer Rede vorhin hier gesagt -,
({4})
als käme es uns darauf an, die Bestandsrenten, die heutigen Renten, mit einem Abschlag zu kürzen. Kein Freier Demokrat denkt daran, die gezahlten Renten um irgendeinen Betrag zu kürzen.
({5})
Worum es wirklich geht, ist - hier wird ja von der ausgestreckten Hand geredet -, daß man einmal sachlich miteinander diskutiert. Sie wie wir wie auch die Sozialdemokraten wissen, daß sich uns im Zusammenhang mit der Gesamtreform der Hinterbliebenenversorgung die Frage stellt, ob die Praxis der letzten zehn, 20 Jahre auf Dauer beibehalten werden kann oder ob wir andere, neue Lösungen finden müssen, um die Teilnahme der Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung sicherzustellen. Wir sind für jede Anregung aufnahmebereit. Wir haben unser Konzept vorgelegt. Wir wären froh, wenn wir von Ihnen ein Konzept vorgelegt bekämen. Wir wissen, daß die Diskussionen beim Koalitionspartner im Gange sind. Wir werten die Nachrichten darüber nicht als endgültige Festlegung, sondern als einen Teil der Uberlegungen, die man anstellen kann, und dies ist legitim.
Ich kann nur hoffen, daß Sie im Wahlkampf 1980 den Mut haben, so wie wir offen zu sagen, wie Sie sich die Lösungen für die Zeit nach 1980 vorstellen, wie Sie glauben, diese Probleme lösen zu können. Ich befürchte nur, Sie werden dann wieder nicht an das Wort eingangs Ihrer Rede denken, sondern sehr schnell bereit sein, diejenigen, die Lösungsvorschläge bringen, in eine Ecke zu stellen, was man mit Ausdrücken belegen müßte, die nicht parlamentsfähig sind. Bei manchen der Bemerkungen hatte ich die Erinnerung an die, die man aus dem Tempel hinausjagen sollte. Es wäre schlimm, wenn das in Zukunft so würde.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin von meiner Fraktion gebeten worden, mich zu dem zu äußern, was der Bundeskanzler in seiner Intervention erklärt hat.
({0})
Es ist für den Bundeskanzler typisch, daß er in die Debatte eingreift und dann den Saal verläßt. Ich
möchte dagegen ausdrücklich lobend sagen, daß z. B. der Vizekanzler und Außenminister der Debatte nach wie vor folgt, obwohl er heute bis jetzt selber noch keinen Beitrag geleistet hat. Es ist natürlich sehr schwer, sich mit dem Herrn Bundeskanzler auseinanderzusetzen, wenn er es vorzieht, nicht anwesend zu sein.
({1})
Der Bundeskanzler hat in seiner Intervention zunächst zu dem Bereich der Kernenergie Stellung genommen. Wir erleben hier eine Situation, die allmählich unerträglich wird. Der Vorsitzende der Opposition bietet bis heute aus staatsbürgerlichem Verantwortungsbewußtsein die Zusammenarbeit auf diesem Sektor an, der für unser ganzes Volk von entscheidender Bedeutung ist. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hat am vergangenen Freitag dazu aufgerufen, in dieser Existenzfrage miteinander zu arbeiten. Der Herr Bundeskanzler sagt hier nun, dies alles sei unglaubwürdig, auf Gemeinsamkeit lege man keinen Wert, und im übrigen wolle die Opposition dafür wohl etwas haben. Es folgten ähnlich saloppe Formulierungen.
Jeder, der sich heute mit der Frage der Atomenergie auseinandersetzt, weiß, daß das Energieproblem in den achtziger Jahren für die Zukunft unseres Volkes ein entscheidendes Problem ist. Nicht ohne zwingende Not haben sich vor ganz kurzer Zeit die Energieversorgungsträger und die Kraftwerkbauer an die Öffentlichkeit gewandt und gesagt: Es ist fünf Minuten vor zwölf. Die Bundesrepublik ist nicht nur dabei, ihr internationales Renommee, ihren Standard zu verlieren, sondern wir sind auch dabei, heute die Ursache dafür zu legen, daß wir in den nächsten Jahren, am Anfang und in der Mitte der achtziger Jahre, eine Energielücke bekommen werden.
({2})
- Da kann man nichts herbeireden, Herr Kollege, sondern hier kommt es nur darauf an, ob etwas getan oder ob nicht gehandelt wird.
({3})
Wir haben heute die tragische Situation, daß die größte Partei der Regierungskoalition, die SPD, seit zwei Jahren auf der Stelle tritt, daß sie nicht in der Lage ist, hier zu einer klaren Entscheidung zu kommen.
({4})
Wir haben das auf dem Hamburger Parteitag erlebt, wo formuliert worden ist, man müsse das Votum für die Atomenergie offenhalten, man müsse aber auch ein Votum gegen die Atomkraft eröffnen. Wenn Sie jetzt den veröffentlichten Zwischenbericht nachlesen, dann finden Sie dort mit etwas anderen Worten genau denselben Standpunkt, nämlich keine klare Entscheidung in der Fraktion.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte.
Würden Sie so freundlich sein, zur eigenen Unterrichtung, die Sie offensichtlich nicht missen können, nachzulesen, was die Mehrheit dieses Bundestages am 14. Dezember des vergangenen Jahres in der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms beschlossen hat, wo alles, was Kernenergie betrifft, auch im Zusammenhang mit einer Enquete-Kommission ganz klar zu lesen ist? Könnte man sich die jetzigen Geschichten nicht ersparen, wenn man sich endlich die Mühe machte„ das zu lesen, was hier im Haus beschlossen worden ist?
Herr Kollege Wehner, ich verstehe zwar, daß Sie gern von der Situation in Ihrer Partei ablenken wollen;
({0})
aber es ist doch ein Faktum - das kann niemand bestreiten -, daß wir seit zwei Jahren ein Moratorium, d. h. keinen - ({1})
- Herr Kollege Wehner, jetzt muß ich das wiederholen, was Herr Kollege Kohl vorher gesagt hat: Immer, wenn Sie zu schreien anfangen, wissen Sie, daß Sie in einer schlechten Position sind.
({2})
- Wenn Sie meinen, daß dies das richtige Niveau einer Diskussion in diesem Hause ist, dann ist das Ihre Angelegenheit.
Ich möchte nur klar feststellen: Es ist ein Faktum, daß wir seit zwei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland keinen Neubeginn eines Kernkraftwerkes haben, und der Grund dafür ist jedem in der deutschen Öffentlichkeit klar. Der Grund ist nämlich der, daß sich diese Bundesregierung trotz der Beschlüsse, die Sie soeben genannt haben und die auch der Kanzler selber genannt hat, nicht in der Lage dazu sieht, weil sie sich davor fürchtet, gegen die Diskussion in der SPD Fakten zu setzén und Beschlüsse zu fassen.
({3})
Das sind doch die Tatsachen, meine sehr verehrten Anwesenden. Es ist doch auch so, daß die betroffenen Industriezweige klipp und klar gesagt haben, daß 140 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, weil auf diesem Sektor nichts mehr passiert. Sie können doch auch nicht glauben, daß wir im Ausland eine Chance haben, wenn wir nicht bereit sind, diese Dinge im eigenen Lande voranzutreiben.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Franz Josef Strauß war nicht nur Verteidigungs- und Finanzminister, seine erste verantwortliche Position war die des Atomministers. Ich darf Sie daran erinnern: Die Bundesrepublik Deutschland hatte bis zum Jahre 1955 ein Verbot, auf dem Sektor der Atomforschung zu arbeiten. Wir waren damals sehr stolz darauf, daß es uns in zehn Jahren, von 1955 bis 1965, gelungen ist, wieder den internationalen Anschluß zu finden und international konkurrenzfähig zu werden. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich lange Jahre im Haushaltsausschuß diesen Etat zu betreuen hatte. Was heute passiert, ist eben dies, daß wir nicht nur international unseren Anschluß aufgeben, sondern daß wir durch das Untätigbleiben der Regierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch die Ursachen dafür setzen, daß wir in den 80er Jahren eine katastrophale Energielücke erhalten, die dann nicht nur die Wirtschaft betrifft, sondern die sich dann unmittelbar auf die Arbeitsplätze auswirkt.
Meine sehr verehrten Anwesenden, es ist doch wohl nicht möglich, daß dieser Bundeskanzler sich davor drücken kann, in seiner Partei, wo er immerhin stellvertretender Parteivorsitzender ist, zu einer klaren Entscheidung zu kommen, und es den Ministerpräsidenten - ob das in Schleswig-Holstein oder in Niedersachsen oder anderswo ist - überlassen will, sich mit den Leuten auseinanderzusetzen, die mit gewaltsamen Demonstrationen gegen notwendige Vorsorgemaßnahmen vorgehen wollen. Wir Abgeordnete, die mit diesen Dingen konfrontiert sind - ich habe in meinem eigenen Wahlkreis auch ein solches geplantes Projekt -, Rehling -, den Bau eines Atomkraftwerks -, erleben es doch immer wieder, daß in diesen Demonstrationen Sozialdemokraten leider Gottes eine führende Rolle spielen. Da setzt sich der Herr Bundeskanzler in den Lehnstuhl und schaut zu, wie Herr Stoltenberg mit diesen Dingen fertig wird; er sieht zu, wie sich in Niedersachsen der niedersächsische Ministerpräsident mit diesen Dingen herumschlagen soll. Da können Sie es doch der Opposition nicht verargen, wenn wir sagen: Wir sind zu jeder notwendigen Maßnahme bereit, wir verlangen aber von dieser Partei, von der SPD, daß sie in diesen Dingen eine klare Linie schafft und daß sie draußen nicht ganz anders redet als hier oben oder als es Herr Wehner mit seiner Zwischenfrage glauben machen will.
({5})
Ich darf deshalb nur noch einmal wiederholen: Dieses Angebot zur Zusammenarbeit ist ernst gemeint, das sind keine Finten, die irgend etwas mit Wahltagen zu tun haben. Wir sollten uns vielmehr wirklich überzeugen, daß es um eine Schicksalsfrage der Bevölkerung in unserem Lande geht. Später wird uns niemand mehr fragen, wer diese oder jene Position hier vertreten hat und aus welchen Gründen man nicht vorangekommen ist. Später wird man die Politiker dafür verantwortlich machen, wenn sie jetzt nicht den Mut und das Verantwortungsbewußtsein haben, heute die notwendigen Schritte zu tun. Es ist natürlich für den Herrn
Bundeskanzler sehr viel leichter, gegenüber Israel Belehrungen auszusprechen, wie das mit den Ansiedlungsproblemen auf den Golanhöhen ist, als dort, wo er in der Verantwortung steht, diesen Mut, diese Zivilcourage und dieses Engagement zu zeigen. Hier ist der Punkt, wo eine Führungsaufgabe in seiner eigenen Partei und dann auch im Parlament gegeben wäre.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich eine Anmerkung zu einem anderen Komplex machen, den Herr Bundeskanzler ebenfalls angesprochen hat. Ich meine den sogenannten Inlandbegriff in der neuen Umsatzsteuernovelle. Ich muß sagen, es war erstaunlich - um nicht zu sagen: deprimierend -, daß der Bundeskanzler erklären mußte, er wisse über diese Fragen nicht so genau Bescheid, was da im Jahre 1973 einmal gewesen sei. Offenbar hat er geglaubt, hier einen Schuß aus der Hüfte abgeben zu können. Auch hier sind doch die Positionen eindeutig. Bis zu diesem Jahr 1979 ist der Inlandbegriff nicht nur in diesem einen Gesetz, sondern auch in anderen Gesetzen klar und unbestritten so gewesen, wie er von der Großen Koalition formuliert und wie er 1973 noch mal bei einer Steueränderung in eben diesem Gesetz verwendet worden ist.
Das war doch auch die Basis unserer ganzen Diskussion im Zusammenhang mit den Ostverträgen. Die Bundesregierung hat doch ausdrücklich immer wieder erklärt, alle Ostverträge würden die verfassungsrechtliche Position des Begriffs des Deutschen Reiches und damit des Inlandbegriffs nicht berühren. Auch bei der Frage, ob die Länder, die zweite Kammer, der Bundesrat, mitzuwirken haben, hat die These eine Rolle gespielt, daß angeblich Gesetze davon nicht berührt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer ganzen Reihe von Entscheidungen, am deutlichsten natürlich in seinem Urteil über den Deutschlandvertag, ganz klipp und klar ausgeführt, wie die Verfassungsrechtslage ist, über die sich niemand hinwegsetzen kann. Es ist auch eine Tatsache, daß unsere westlichen Bündnispartner, auch die EG-Staaten, sich bisher an diesem Inlandbegriff überhaupt nicht gestört haben. Von dort kommt auch kein Einwand in der Sache. Vielleicht ist dem Bundeskanzler auch nicht bekannt, daß z. B. auf Grund des Inlandbegriffs die DDR eine ganze Reihe von Vorteilen im Interzonenhandel hat,
({7})
auf die sie sich gern beruft und wo wir in Europa immer wieder dafür eintreten müssen, daß dieser Interzonenhandel so weitergeführt werden kann.
({8})
- Herr Kollege Wehner, - ({9})
- Das glaube ich Ihnen gerne.
({10})
- Aber auch ich habe mich mit diesen Problemen beschäftigt. Das mögen Sie mir bitte abnehmeh.
({11})
Da darf ich Ihnen sagen: Sie müssen auch die Konsequenzen sehen, wenn Sie plötzlich im Jahr 1979 von einer gesicherten Verfassungsrechtslage abgehen wollen. Das hat natürlich auch zur Folge, daß man sich notfalls überlegen muß, ob ein solcher Punkt nicht verfassungsrechtlich und verfassungsgerichtlich nachgeprüft werden muß.
Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, in diesen Dingen etwas zu tun. Man wird mal die Frage stellen müssen, wer eigentlich die Veranlasser dessen sind, daß jetzt plötzlich im Jahr 1979 nicht mehr gelten soll, was bis dato unbestrittene Rechtslage war.
({12})
Uns geht es in diesem Zusammenhang um das Problem, die Wiedervereinigungsfrage offenzuhalten und das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen nicht durch solche kleinen Schrittchen in Frage stellen zu lassen.
({13})
- Herr Kollege Wehner, ich habe Ihnen gerade vorhin gesagt: In der Europäischen Gemeinschaft ist das überhaupt kein strittiges Problem.
({14})
- Das kommt doch von einer ganz anderen Seite her. Seien Sie doch ehrlich, Herr Wehner! Es sind doch ganz andere politische Richtungen, aus denen diese Forderungen kommen.
Meine sehr verehrten Anwesenden! Darf ich noch eine Anmerkung zur Familienpolitik machen. Es ist hier von dem Kollegen Rohde darauf hingewiesen worden, welche großen Verdienste die SPD sich in der fernen Vergangenheit um die Familie erworben hat. Er hat von prominenten Parteiführern Ihrer Partei gesprochen. Aber der Punkt, auf den es uns ankommt, ist doch der, daß leider in den letzten Jahren offenbar der Marsch durch die Institutionen gewissen linken Leuten so weit gelungen ist, daß von da - ich erinnere nur an eine ominöse Verlautbarung des Familienministeriums vor einigen Jahren - die Wurzeln des Familienverständnisses angegriffen worden sind.
Als jemand, der täglich selber als Familienvater mit diesen Dingen zu tun hat, kann ich Ihnen sagen: Es geht nicht nur um die materielle Schlechterstellung der Familie mit mehreren Kindern und
der Frau, die sich der Erziehungsaufgabe und der Hausfrauenaufgabe ausschließlich widmet. Es geht auch um die Grundposition rechtlicher und moralischer Art, die die Eltern im Verhältnis zu ihren Kindern haben. Wenn offizielle Stellen davon reden, daß hier ein „autoritäres Fremdbestimmungsverhältnis" zwischen Eltern und Kindern vorliege - so nachzulesen in amtlichen Verlautbarungen -, dann liegen auch hier Wurzeln dieser Entwicklung.
({15})
Ich möchte noch kurz auf einen zweiten Punkt zu sprechen kommen, meine sehr verehrten Anwesenden. Die Diskussion um den § 218 hat mich immer zutiefst berührt. Sehen wir uns einmal an, wie sich die Zahlen der Abtreibungen entwickelt haben: 1977 waren es 54 309, davon 57,7 % sogenannte soziale Indikationen,
({16})
1978: 73.548, davon 67 % sogenannte soziale Indikationen, und im Jahre 1979 entfielen von den im ersten Quartal registrierten 20 898 Abtreibungen bereits 72 % auf sogenannte soziale Indikationen. Angesichts dessen muß man doch die Frage stellen: In welchem Lande leben wir überhaupt, daß 67 % oder 72 % von Müttern kommen und sagen: Aus sozialen Gründen wird mir die Abtreibung gestattet? Das sind, so meine ich, Vorgänge, die einfach erschütternd sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius?
Bitte.
Herr Kollege Althammer, haben Sie seinerzeit die Ziffern über die illegalen Abtreibungen in der Bundesrepublik auch so besorgt, als es sich noch um zwischen 150 000 und 300 000 Schwangerschaftsabbrüche in der Illegalität gehandelt hat, und würden Sie sich dem nicht anschließen, wenn ich sage, daß wir alle hier in diesem Hause der Meinung gewesen sind, daß der frühere § 218 StGB das Elend der Frauen nicht vermindern und das werdende Leben nicht schützen konnte?
Sehr verehrte Kollegin, Sie wissen, daß das Problem der illegalen Abtreibung mit dieser Neuregelung keineswegs beseitigt ist. Das Erschütternde an dieser Angelegenheit ist doch, daß jetzt durch den Anschein der Legalität eine ganz andere Grundeinstellung besteht. Es ist in vielen Fällen so, daß in der ersten Schwangerschaftsphase eine kritische Situation bei den Frauen gegeben ist. Wenn man dann solche bequemen Wege eröffnet, entstehen eben solche Konsequenzen. Dies sind Probleme, über die man sehr, sehr lange diskutieren müßte. Jeder, der die neueste Entwicklung verfolgt und die Entwicklung in
unserem Lande kennt, wird doch nicht bestreiten können, daß die Regelungen, die Sie durchgesetzt haben, ein wesentlicher Grund dafür sind, daß wir es heute mit dem Bevölkerungsproblem in der Härte zu tun haben, wie es der Fall ist.
({0})
Ich möchte nun noch zu dem Thema der Renten eine Anmerkung machen. Ich will mich nicht in den Gelehrtenstreit einmischen, was Rechtens ist. Wenn das aber zutrifft, was Herr Mischnick jetzt für die FDP wiederum bestätigt hat und was die FDP in mehreren Presseverlautbarungen veröffentlicht hat, nämlich daß eine Rückkehr zur bruttobezogenen Anpassung nicht gesetzlich zwingend sei, muß ich doch die Frage stellen, wie man eigentlich Regierungsverlautbarungen, die genau das Gegenteil behaupten, bewerten soll.
({1})
In der Rentenfrage verfolgen wir im übrigen ein großes, zentrales Anliegen. Wir möchten endlich erreichen, daß in diese Frage wieder Ruhe kommt, daß nicht jede Woche, jeden Monat neue Vorschläge die Rentner, die Betroffenen beunruhigen. Wir möchten nicht, daß sich die Rentner immer wieder fragen müssen: Welche Rente werde ich denn im nächsten Monat, im nächsten Jahr bekommen? Wir haben 1957 die dynamische Rente eingeführt, und wir haben mehr als zehn Jahre lang bei den Rentnern Sicherheit im Hinblick auf das, was sie als Leistung auf Grund ihrer Beitragszahlungen zu erwarten haben, geschaffen. Es ist eine der schlimmsten Konsequenzen der Politik dieser SPD/ FDP-Regierung, daß dieses Thema seit der Zeit, als es vor der letzten Bundestagswahl aktuell wurde, nicht mehr zur Ruhe gekommen ist. Was für den aktiven Arbeitnehmer die Sicherheit seines Arbeitsplatzes ist, ist für den Rentner die Sicherheit seiner Rente.
({2})
Unsere Bemühungen gehen dahin, daß der Rentner künftig wieder in Ruhe seine Rentenzahlungen erwarten kann
({3})
und daß es nicht dauernd mit derartigen Vorschlägen, die dann wieder dementiert werden, konfrontiert wird. Einmal wird behauptet, es sei von einer Versteuerung der Renten gesprochen worden; dann wird wieder gesagt, das sei nicht geschehen, und dann kommt die FDP mit anderen Vorschlägen.
Da muß ich auch fragen: Wo ist denn die vielberufene Führungsqualität dieses Bundeskanzlers? Er müßte wenigstens in einem so zentralen Punkt dafür sorgen, daß hier wieder Ruhe und Beständigkeit herrschen, weil es unsere Rentner nicht ver- dient haben, daß sie dauernd mit neuen Experimenten bei ihren Renten belästigt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat am Schluß seiner Ausführungen sehr merkwürdige Dinge von sich gegeben. Er hat die Auffassung vertreten, die CDU/CSU
bräuchte ja eigentlich nur mit der SPD zu stimmen, dann sei die Einigkeit hergestellt. Man muß sich wundern, daß der Bundeskanzler es für angemessen hält, mit dieser Primitivität das Problem der Gemeinsamkeit in zentralen Fragen der Politik überhaupt anzusprechen.
({4})
Natürlich muß es auf bestimmten Gebieten die Konfrontation und die Darstellung unterschiedlicher Standpunkte geben; sonst wüßten die Wähler ja nicht, welcher politischen Richtung sie ihre Stimme geben sollen. Aber das hat doch nichts damit zu tun, daß man in solchen Existenzfragen eine angebotene Hand mit so trivialen Begründungen ausschlägt.
({5})
Ich kann mir dieses Trauerspiel nur damit erklären, daß sich der Bundeskanzler damit für das nächste Jahr etwas offenhalten wollte, was jetzt schon deutlich wird: Hier im Bundestag versucht man, sich mit Sachargumenten Franz Josef Strauß;. dem Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, entgegenzustellen, und draußen geht man kräftig ans Holzen. Wir haben leider traurige Beispiele dafür. Ich erinnere daran, daß der Finanzsenator in Bremen, Herr Henning Scherf, der, wie man hört, jetzt sogar für den Bundesvorstand der SPD kandidieren will -offenbar glaubt er, sich durch das, was er erklärt hat, besonders qualifiziert zu haben -, folgendes wörtlich erklärt hat:
Stellen Sie sich vor: Einer wie Carstens, den ich nicht mag, an der Spitze des Staates, dann Stücklen als Bundestagspräsident und schließlich Strauß als Kanzler, das ist doch ein Alptraum. Für mich wäre das so, als ob dieser Staat dann in eine Gang abgetrieben würde.
({6})
Leider gibt es auch Kollegen im Bundestag, die sich offenbar draußen diese Art der Auseinandersetzung leisten zu können glauben. Ich habe hier vor mir ein Flugblatt, das sich auf eine geplante Demonstration bezieht, die veranstaltet wird von dem Herrn Bundestagsabgeordneten Klaus Thüsing; ein Flugblatt, in dem in übelster Weise der Kanzlerkandidat der Union verleumdet wird und auch optisch negativ dargestellt wird. Dieser Herr Thüsing läßt in seinem Einladungsschreiben zu dieser Demonstration wörtlich folgendes erklären:
Strauß ist der Kandidat der rücksichtslosesten Finanz- und Militärkreise. Diese rechten Kräfte versuchen mit Hilfe der seit Jahren andauernden Wirtschaftskrise, mit Inflation, Arbeitslosigkeit und geringem Wirtschaftswachstum ihn als Mann des Wechsels und der Alternative aufzubauen. Mit Strauß als Bundeskanzler, Carstens als Bundespräsident, Stücklen als Bundestagspräsident und der Mehrheit im Bundesrat und im Bundestag würden diese Kreise über eine unkontrollierbare Macht verfügen. Dies bedeutet innen- und außenpolitisch einen Rückfall in den Kalten Krieg.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann Ihnen nur raten: Machen Sie mit dieser Art von Arbeitsteilung - hier Sachauseinandersetzung, draußen übelste Verleumdungen - Schluß!
({8}).
Denn eines muß Ihnen klar sein: Diese Art der Strategie wird auf Sie selber und auf diejenigen zurückfallen, die vielleicht geneigt wären, Ihre Richtung zu wählen. Wir scheuen diese Auseinandersetzung nicht, weil wir wissen, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes mit einem solchen Stil nicht einverstanden ist und Ihnen die entsprechende Quittung dafür erteilen wird.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Althammer, Sie haben hier zum Schluß über Stil und Sachbezogenheit gesprochen. Mit dem, was Sie zur Rentenfrage gesagt haben, haben Sie eigentlich deutlich gemacht, daß Ihnen genau an Sachbezogenheit nichts liegt. Wie Sie das, was Sie gesagt haben, nach den vorausgegangenen Reden noch sagen konnten, verstehe ich nicht. Die Kollegen Rohde und Mischnick haben doch dankenswerterweise und für jeden, der hören wollte, unüberhörbar klargemacht, daß die leidige Diskussion über Netto, Brutto oder etwas anderes nicht geeignet ist, Unfrieden in diese Koalition zu bringen.
({0})
- Unter die Renter genausowenig, wenn Sie nicht, wie der Kollege Althammer es wieder getan hat, versuchen würden, in diese von den Fraktionen der SPD und der FDP für notwendig erachteten und in dem Willen, das Richtige zu tun, übereinstimmend abgegebenen Erklärungen etwas hineinzuinterpretieren, was nicht hineingehört.
Ich meine, es ist für jeden deutlich geworden, daß wir dem 21. Rentenanpassungsgesetz in seinen Ecken folgen werden, wie Helmut Rohde das hier im Detail dargestellt hat. Ich bin dem Kollegen Mischnick außerordentlich dankbar, daß er hier auch ganz deutlich gesagt hat, was wir 1982, 1983 und vielleicht, wenn wir in der nächsten Legislaturperiode nicht schnell genug arbeiten, auch noch 1984, dann auf dieser Grundlage angesichts der schwierigen Lage - das ist noch keineswegs für irgendeine der damit befaßten Gruppierungen in der Größenordnung übersehbar - festlegen müssen.
Die Neuordnung der Alterssicherung beinhaltet sehr viel mehr als nur die Neuordnung der Rentenansprüche von Männern und Frauen; es geht beispielsweise auch um das Ziel einer eigenständigen sozialen Sicherung der Frau und um eine weitere
Harmonisierung der Alterssicherung überhaupt. Das wird noch sehr viel Arbeit erfordern.
Ich habe trotz der Debatten im Plenum dieses Hauses auf Grund der guten Zusammenarbeit der Sozialpolitiker im zuständigen Ausschuß und auf Grund der sachbezogenen Arbeit, die in der von Herrn Professor Meinhold geleiteten Kommission geleistet wurde, der auch der Vertreter der drei in diesem Haus vertretenen Parteien angehörten, die Hoffnung, daß wir - aller Polemik zum Trotz - zu einer vernünftigen, einer ausgewogenen und zu einer die Interessen der Rentner, Arbeitnehmer und Beitragszahler in gleicher Weise gerecht werdenden Lösung kommen werden. Noch lasse ich mir nicht den Glauben daran nehmen, daß das auch unter Mitarbeit der Sozialpolitiker Ihrer Partei möglich sein wird.
Aber es ist, glaube ich, notwendig - gerade vor dem Hintergrund dieser Diskussion -, noch einmal zu wiederholen, was Helmut Rohde hier schon ganz deutlich gesagt hat. Er hat gesagt, daß nach den schwierigen aus den Folgen der Weltrezession resultierenden Finanzdebatten zu Beginn des Jahres 1977 die Konsolidierung der Rentenfinanzen durchgeführt ist. Die günstige wirtschaftliche Entwicklung - die Beschäftigungslage wird Ende des Jahres um 400 000 Arbeitnehmer besser sein - hat auch dazu geführt, daß die Beitragseinnahmen der Rentenversicherung günstiger verlaufen, als zu Beginn des Jahres angenommen werden konnte.
Zu dieser guten Finanzsituation hat, was in einer Haushaltsrede erwähnt werden sollte, natürlich auch die vorzeitige Rückzahlung der gestundeten 1,25 Milliarden DM durch den Bund beigetragen, die auch für den Haushalt 1980 wieder vorgesehen sind.
({1})
- Nein. Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet.
({2})
Wir werden das entsprechend der Entwicklung, wie ich sie heute sehe, nicht tun. Wir sind froh darüber, daß wir wieder solide Rentenfinanzen haben, und ich werde nicht durch vorzeitige Erklärungen auf solche Zwischenrufe dazu beitragen, hier wieder neues Gerede entstehen zu lassen.
({3})
Ich würde gern noch ein Wort zu dem auch vom Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion angesprochenen Besteuerungsthema sagen, über das in den letzten Tagen viel Unrichtiges in den Zeitungen stand. In der Fraktion der Sozialdemokraten ist in dem Vortrag von Anke Fuchs dieses Thema lediglich in dem - allerdings von niemand wegzudiskutierenden - Zusammenhang angesprochen worden, daß wir im Frühjahr des nächsten Jahres ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf Grund der Kla-
) ge eines Beamten zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der ungleichmäßigen Besteuerung von Beamtenpensionen und Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwarten haben. Wir wären schlechte Sachwalter der Interessen der Rentner und der Arbeitnehmer, wenn wir uns nicht schon heute Gedanken darüber machten, was wir zu tun haben, je nachdem, wie dieses Urteil ausfällt. Aber keiner von uns kann dieses Urteil vorwegnehmen und auch nicht sagen, wie es aussehen wird. Ich kann für meine Fraktion und die Bundesregierung nur sagen: Wie immer dieses Urteil ausfallen wird, es kann nur unsere Meinung gelten, daß gleich hohe Renten und gleich hohe Pensionen gleichzubehandeln sind. Nur nach diesem Grundsatz kann das Problem angepackt werden.
({4})
Im übrigen glaube ich, es ist nicht ganz selbstverständlich und jedenfalls vor 1969 nie vorgekommen, daß der Herr Finanzminister am Tage nach seiner Rede zur Einbringung des Haushalts Überschriften in den Zeitungen finden konnte wie die Überschrift in der heutigen Ausgabe der „Welt" : „Matthöfer: Das soziale Netz ist stabiler geworden". Diese Überschrift macht deutlich, wie nahtlos Finanz- und Sozialpolitik in dieser Koalition und dieser Bundesregierung zusammenarbeiten.
({5})
Ich muß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, aber auch die Bürger im Lande auf eines aufmerksam machen. Es ist das gute Recht eines Kanzlerkandidaten, ob er neu gekürt ist oder nicht, seine Zielvorstellungen deutlich zu machen. Gerade bei der Haushaltsrede und wenn man über den Sozialetat spricht, muß man ja wohl die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, was der Ministerpräsident von Bayern und Kanzlerkandidat der CSU/CDU in der vergangenen Woche in der Wirtschaftszeitung „Die Wirtschaftswoche" als eines seiner Ziele verkündet hat, nämlich die Staatsquote auf 40 °/o zurückzuführen. Das klingt für manchen Bürger vielleicht ganz verheißungsvoll, weil er sich davon geringere Abgaben verspricht. Es ist aber wohl unsere Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, über welche Größenordnungen staatlicher Ausgaben der Kanzlerkandidat der CSU/CDU hier gesprochen und geschrieben hat.
Die Rückführung der Quote von heute 46 auf 40 % würde bedeuten, rund 90 Milliarden DM weniger auszugeben. Das ist so viel wie der Etat des Bundesarbeitsministeriums und des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft zusammengenommen.
({6})
- Natürlich! Das ist beispielsweise auch das Vierfache dessen, was wir für die Arbeitslosenversicherung ausgeben.
({7})
- Verehrter Herr Hasinger, auch Sie werden ja wohl dem bayerischen Ministerpräsidenten nicht unterstellen wollen, daß er daran denkt, die Ausgaben bei Ländern und Kommunen zu kürzen. Was hier gesprochen worden ist, geht gegen die Leistungen des Bundes und der Sozialversicherung und gegen nichts sonst.
({8})
Da muß man dann eben deutlich machen, wie hier in Zukunft die Weichen gestellt werden.
Ich meine, wir haben allen Anlaß, die Bürger unseres Landes darauf aufmerksam zu machen, daß sie mit der Sozial- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung gut beraten sind und daß es uns gelungen ist, auch in ökonomisch schwierigen Zeiten den sozialen Fortschritt voranzubringen. Das berechtigt uns zu einigem Stolz, und das berechtigt uns dazu, diese Politik weiterhin kontinuierlich fortzusetzen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riedl?
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, ich habe die von Ihnen zitierte „Wirtschaftswoche" hier und habe auch dieses Interview gefunden. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Herr Strauß sich gar nicht in dem Sinne, wie Sie es gesagt haben, geäußert, sondern gesagt hat: Die öffentlichen Haushalte, also die von Bund, Ländern und Gemeinden, dürfen nicht schneller wachsen als das reale Bruttosozialprodukt. Er hat also nicht, wie Sie es gesagt haben, nur den Bundeshaushalt gemeint, sondern alle öffentlichen Haushalte, auch den, den er als Ministerpräsident jetzt vertritt.
Verehrter Herr Abgeordneter, Sie müßten schon mehr vorlesen. Sie haben nur auf das reale Wachstum abgestellt. Dort steht an anderer Stelle ausdrücklich: Zurückführung der Staatsquote auf 40 %. Ich habe mir erlaubt, hier darauf aufmerksam zu machen, was diese abstrakte Zahl in Milliarden bedeutet, nämlich 90 Milliarden.
({0})
Das ist der Tatbestand, um den es geht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, ich möchte in meiner Rede jetzt gern fortfahren.
Ich würde die Kollegen dieses Hauses gern noch darauf aufmerksam machen, daß wir trotz der ökonomisch schwierigen Verhältnisse, die hinter uns liegen, beispielsweise den Ausbau des Mutterschutzes durchgesetzt haben, der mit 900 Millionen DM im Etat 1980 steht. Weil darüber so viel polemisiert wird, würde ich hier gern noch einmal den arbeitsrechtlichen Schwerpunkt dieser Reform deutlich machen. Die Freistellung von der Arbeit für weitere vier Monate darf nicht mit weitergehenden familienpolitischen Vorstellungen vermengt werden, über die nachzudenken sich lohnt; aber in diesem Gesetz geht es darum, jeder berufstätigen Mutter die Chance zu geben, sich wenigstens volle sechs Monate nach der Geburt ihres Kindes keine Sorgen über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie machen zu müssen und mit öffentlichen Leistungen in den Stand gesetzt zu werden, zu Hause zu bleiben, ohne ihre beruflichen Chancen zu mindern.
({0})
Meine Damen und Herren, es wäre sehr gut, wenn von Ihnen weniger hiergegen polemisiert würde und wenn Sie Mutterschutz und Familienpolitik nicht miteinander vermengen würden. Wirkliche Familienpolitik erschöpft sich nicht in der Diskussion über ein künftiges Familiengeld, wirkliche Familienpolitik zeigt sich in Taten. Ich glaube, meine Kollegin Antje Huber kann stolz darauf sein, daß wir in diesem Jahre für eine Familie mit vier Kindern mehr als das Doppelte als noch vor acht Jahren an Kindergeld zahlen.
({1})
Wer wirklich eine kinderfreundliche Umwelt will, der darf nicht nur darüber reden, sondern muß etwas schaffen, und er muß etwas für die Chancengleichheit der Frau und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun; nur dann wird er eine wirkliche Familienpolitik betreiben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch kurz die Erfolge der Kostendämpfung im Gesundheitswesen ansprechen. Hier haben wir leider festzustellen, daß der heilsame Schock, den das Kostendämpfungsgesetz ausgelöst hat und mit dem es uns gelungen ist, die Beiträge in der Krankenversicherung zwei Jahre lang zu stabilisieren, ohne die geringsten Abstriche an dem erreichten hohen gesundheitspolitischen Leistungsniveau in der Bundesrepublik zu machen, im ersten Halbjahr 1979 nachzulassen scheint. Ich habe die Selbstverwaltung eindringlich gebeten, das Gesetz anzuwenden und die Verträge hinsichtlich der Begrenzung des Kostenanstiegs durchzuführen.
Von einigen Kassen wird gesagt, so schlimm sei es ja gar nicht und in Wirklichkeit seien die Anstiege nicht so hoch. Ich möchte den Mitgliedern
des Hauses gern sagen: alle Zahlen, die wir veröffentlicht haben, stammen aus den amtlichen Meldebögen, die die Kassen bei uns einreichen. Trotz der öffentlichen Beschönigungen ist bisher eine Korrektur dieser Meldebögen nicht erfolgt; ich muß sagen: leider nicht erfolgt. Wenn bei der endgültigen Überprüfung die Zahlen sich trotzdem als besser herausstellen sollten, kann ich sagen: nur gut so, und hoffen, daß im zweiten Halbjahr auf Grund der jetzt neu wachgewordenen Aktivität der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen die erreichte Stabilisierung sich fortsetzen läßt.
Ich wäre den Kollegen aus der Opposition sehr dankbar, wenn sie in das gemeinsame Bemühen um Kostendämpfung mit einstiegen. Allerdings sollte diese Kostendämpfung nicht auf so fragwürdige Art und Weise versucht werden, wie es leider in einem bayerischen Vertrag, den mein Kollege Pirkl ausdrücklich gutgeheißen hat, geschehen ist, wonach die Honorare des Arztes steigen, wenn er weniger krankschreibt. Das halte ich in der Tat für ein höchst bedenkliches gesundheitspolitisches Modell, das dort mit dem Segen des bayerischen Arbeitsministers verabschiedet worden ist.
({2})
Es wäre sehr viel besser, wenn wir uns alle gemeinsam um das bemühten, was beispielsweise Herr Biedenkopf schon 1975 geschrieben hat: daß wir die Versicherten davor schützen müssen, durch diejenigen ausgebeutet zu werden, die wirtschaftliche Interessen an diesem System haben, wie z. B. die Krankenhausträger, die Pharmazeutische Industrie, die Ärzteschaft, die Industrie für technischmedizinische Apparate. Das Kostendämpfungsgesetz bietet Möglichkeiten, dieser Forderung von Herrn Biedenkopf nachzukommen. Ich bitte die Kollegen herzlich, daran mitzuwirken, daß das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das eine noch offene Flanke in der Kostendämpfung schließt, noch in diesem Herbst verabschiedet werden kann.
({3})
Es wäre vor allen Dingen gut, wenn alle Mitglieder des Hauses einen Teil ihrer Energie darauf verwenden könnten, daß wir weitere Fortschritte bei der Humanisierung des Arbeitslebens erzielen. Trotz der Vielzahl der Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gibt es, wie viele Untersuchungen in einer Reihe von Gewerkschaften zeigen, immer noch sehr viele eintönige und gefährliche Arbeitsinhalte, die viele Arbeitnehmer vor immer schwierigere Bedingungen stellen. Wir haben in den letzten Jahren die Forschungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen vervielfacht. Es geht jetzt darum, daß es besser als bisher möglich wird, diese Forschungsergebnisse in die Praxis der Produktionsabläufe umzusetzen.
Sie werden darum im Haushalt 1980 des Bundesarbeitsministeriums einen Titel finden, mit dessen Mitteln das Bundeszentrum „Humanisierung des Arbeitslebens" im. Zusammenhang mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung in Dortmund gegründet werden soll. In diesem Humanisierungszentrum sollen Betriebspraktiker, Gewer13498
beaufsichtsämter, Aufsichtsbeamte der Berufsgenossenschaften, aber vor allem die betroffenen Arbeitnehmer und ihre Betriebsräte mit den Ergebnissen dieser Forschung vor Ort in der Praxis konfrontiert und in die Lage versetzt werden, diese Forschungsergebnisse auch in der betrieblichen Arbeit anzuwenden. Ich bitte die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, sich besonders dieses kleinen, aber für die Humanisierung der Arbeit notwendigen Titels anzunehmen.
Wir haben hier und anderswo eben nicht von den Grenzen des Sozialstaates gesprochen, sondern wir haben erstens das Sozialleistungssystem den veränderten ökonomischen Bedingungen angepaßt, ohne das dies auf dem Rücken der sozial Schwachen ausgetragen wurde,
({4})
und wir haben zweitens diese Stabilisierung des Systems der sozialen Sicherung in die volkswirtschaftlich und konjunkturpolitisch notwendige Stabilisierung der Gesamtnachfrage eingebunden. Der Einzelplan 11 ist auch 1980 mit fast 49 Milliarden DM wieder der größte Einzelplan des Bundeshaushalts, und die Sozialpolitiker können stolz darauf sein, was wir hier, in Zahlen ausgedrückt, an sozialem Fortschritt vorzuweisen haben.
Ein abschließendes Wort zum Arbeitsmarkt: Die bessere wirtschaftliche Entwicklung hat auch zu einem sehr viel günstigeren, aber noch keineswegs zufriedenstellenden Zustand des Arbeitsmarktes geführt. Leider ist vor allem bei den Zahlen einer besonderen Problemgruppen des Arbeitsmarktes, nämlich der Schwerbehinderten, eine steigende Tendenz und nicht eine fallende bei der insgesamt so guten Tendenz zu beobachten. Ich appelliere daher auch von dieser Stelle an Unternehmensleitungen und Betriebsräte, Behördenchefs und Personalräte - denn auch der öffentliche Dienst ist hier keineswegs überall vorbildlich -, mitzuhelfen, daß die Pflichtquote des Schwerbehindertengesetzes endlich auch von jeder Landesregierung erfüllt wird, was längst nicht der Fall ist.
({5})
Leider sind hier die niedrigsten Zahlen in Bundesländern jenseits des Mains und im äußersten Norden zu finden. Ich hoffe sehr, daß sich hier in gemeinsamer Arbeit etwas ändern läßt.
({6})
- Entschuldigen Sie, die Post hat inzwischen ihre Quote, wenn auch nur schwach, erreicht, jedenfalls sehr viel besser als Baden-Württemberg mit nur etwas über 3 °/o.
({7})
- Auf Ihren Zwischenruf habe ich nur geantwortet. Wenn Sie die Post erwähnen, darf ich auch Baden-Württemberg erwähnen. Dann ist das Gleichgewicht wiederhergestellt.
Wir haben den Personalbestand der Bundesanstalt für Arbeit in den letzten Jahren um gut 5 000 Stellen erhöht. Der neue Haushaltsansatz enthält noch einmal fast 900 neue Stellen, um hiermit die Möglichkeit zu schaffen, intensiver auf die einzelne Person bezogen Vermittlung zu betreiben und sich vor allen Dingen dieser Problemgruppen noch besser als bisher annehmen zu können.
({8})
- Ich habe den Zwischenruf nicht verstanden, so daß ich ihn nicht beantworten kann.
({9})
- Ich habe ihn immer noch nicht verstanden. ({10})
Aber wenn Sie auf den „Spiegel" abheben, dann sollten Sie sich an das halten, was der Bundeskanzler in unserer Fraktion gesagt hat.
({11})
- Wissen Sie, Herrn Hasinger verstehe ich beim drittenmal fast immer, beim erstenmal selten. Das liegt aber an Herrn Hasinger, nicht an meinen Ohren, denn andere verstehe ich gut.
({12})
Im übrigen würde ich Sie gerne noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der zwar nur klein ist, auf den wir aber einigermaßen stolz sind. Wir haben in diesem Jáhr eine sehr viel bessere Arbeitsmarktsituation im Hinblick auf die Ausbildungsplätze als in den vergangenen Jahren. Wir haben wahrscheinlich eine Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze um fast 17 %. Hier ist das Verhalten der öffentlichen Hand in den letzten Jahren in vielen Bereichen beispielhaft gewesen, indem sie Ausbildungsplätze weit über den eigenen Bedarf hinaus zur Verfügung gestellt hat. Vor allem die Post hat das sehr nachdrücklich getan.
Bei den obersten Bundesbehörden bestand, aus welchen Gründen der Tradition auch immer, bisher die Einstellung, sie könnten das nicht, sie müßten das, wie teilweise die Industrie dem Handwerk, den Kommunen überlassen. Ich bin glücklich darüber, daß wir mit dem Finanzminister eine Übereinstimmung dahin gehend gefunden haben, daß das Arbeitsministerium 1980 erstmals 22 Ausbildungsplätze ausweisen und auch besetzen wird. Ich hoffe, das wird nicht nur in den Bundesressorts Schule machen, sondern auch in den entsprechenden Landesressorts, die da bisher auch nichts getan haben.
({13})
- Das ist ein gutes Erfolgserlebnis. Die 22 jungen Menschen werden sicher nicht so abfällig darüber reden, Herr Hasinger, sondern sehr froh sein, daß das geschehen ist.
Lassen Sie mich abschließend feststellen:
Erstens. Gute Sozialpolitik kann nicht isoliert betrieben werden, sondern sie muß nahtlos mit der jeweiligen Finanz- und Wirtschaftspolitik übereinstimmen. Gute Sozialpolitik ist deshalb auch keine Last, sondern ein gewichtiger, produktiver und stabilisierender Faktor unserer Volkswirtschaft.
Zweitens. Gute Sozialpolitik kennt auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten keinen Stillstand. Im Gegenteil, sie nimmt die Herausforderungen des Strukturwechsels an und entwickelt ihre Ziele und ihr Instrumentarium zum Schutze der Arbeitnehmer und in sozialer Gerechtigkeit weiter. Gute Sozialpolitik ist deshalb dynamisch. Rezepte von gestern können uns nicht weiterhelfen. Die Sozialpolitik der Bundesregierung hat sich an diesen Maximen orientiert. Der Ihnen vorliegende Haushaltsentwurf ist ein weiterer Beweis dafür. Wir haben Grund. stolz darauf zu sein, daß wir die soziale Gerechtigkeit weiter vorangebracht haben; denn die soziale Gerechtigkeit ist ein Gerant für die Stabilität unserer Demokratie. Die sozialliberale Bundesregierung wird auch in Zukunft dafür sorgen, daß dies so weitergeht.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu drei Problemen Stellung nehmen. Einmal zu der Äußerung des Kanzlers Schmidt zu der Entsorgungsdebatte in unserem deutschen Lande und seiner falschen Behauptung, die er hier aufgestellt hat, indem er der niedersächsischen Landesregierung unterstellt hat, sie habe hier irgend etwas torpediert.
({0})
- Der Herr Kanzler nimmt an den meisten wichtigen Debatten, wenn es um sozialpolitische Fragen geht, nicht teil. Ich stelle das mit großem Bedauern fest.
Ich habe hier ein Dokument vor mir liegen, und zwar den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD aus dem niedersächsischen Landtag vom 9. Mai 1979. Ich muß in Erinnerung zurückrufen, der Herr Kanzler hat hier gesagt, die niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht verhindere, daß hier gebaut wird. Ernst Albrechts Forderung war immer: Es wird gebaut, aber es kann nicht gegen große Teile unserer Bevölkerung und der Hälfte der politischen Vertretungen in unserem Lande geleistet werden.
({1})
Hier der Beweis, meine sehr verehrten Damen und Herren:
Der Landtag möge beschließen:
({2})
- Sagen die Sozialdemokraten zu dem Problem „Ablehnung des DWK-Antrags auf Genehmigung einer Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben".
({3}) Nummer 1:
Die Landesregierung wird aufgefordert, eine positive Entscheidung über die grundsätzliche Realisierbarkeit eines integrierten Entsorgungszentrums nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse nicht zu treffen, und den von der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffe mbH beim niedersächsischen Sozialminister zur Genehmigung eingereichten Antrag für eine Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben aus Sicherheitsgründen abzulehnen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Kanzler hat behauptet, hier stehe eine Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung, und nur sie habe das zu verantworten. Tatsächlich hat die Fraktion der SPD diesen Antrag im Niedersächsischen Landtag eingebracht, und sie hat in ihren Reden bei der Debatte am 16. Mai 1979 das, was ich gerade zitiert habe, erheblich unterstrichen. Sie hat versucht, ihren Entschließungsantrag mit diesem Kerninhalt durchzukommen. Das war nach der Rede des Herrn Kanzlers klarzustellen.
({5})
Dann, Herr Ehrenberg, haben Sie sich eben mit einem Interview des Ministerpräsidenten von Bayern beschäftigt, das er in der „Wirtschaftswoche" vom 27. August gegeben hat. Ich glaube, es ist richtig und wichtig, die Antwort des Herrn Ministerpräsidenten Strauß auf den von Ihnen angesprochenen Komplex hier vollständig wiederzugeben. Ich erlaube mir daher, zu zitieren. Strauß hat in diesem Interview gesagt:
Ich gebe gerne zu, daß es auf diesem Gebiet keine einfachen Lösungen gibt. Ich werde niemandem etwas vormachen. Aber es wird mein Ziel sein, die Staatsquote langsam auf etwa 40 Prozent zurückzuführen. Dies geht nur, wenn die Zunahme der Steuern und Abgaben niedriger ist als die Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts. Die öffentlichen Haushalte dürfen nicht schneller wachsen als das reale Bruttosozialprodukt. Deshalb darf es keine neuen kostspieligen Programme für den Ausbau des Wohlfahrtsstaates geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier sagt er haargenau dasselbe, was der Sozial- und Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, Friedhelm Fahrtmann, vor einigen Monaten auf der Konferenz der Arbeiterwohlfahrt ausgeführt hat. Was Herr Strauß gesagt hat, darf nicht aus dem Zusammenhang gerissen und damit verzerrt wiedergegeben werden, wie Sie das, Herr Ehrenberg, hier heute nachmittag getan haben.
({6})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ewen?
Herr Kollege Franke, geben Sie zu, daß es einen Unterschied macht, ob die Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben deshalb abgelehnt wird, weil die Anlage nach dem jetzigen Erkenntnisstand nicht sicher ist, oder ob sie deshalb abgelehnt wird, weil es politisch nicht durchsetzbar ist? Ich glaube, insofern behält die niedersächsische Landesregierung auch nach der Verfassung die Verantwortung.
Aber verehrter Herr Kollege Ewen, Sie haben die Debatte hier, in die auch der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen eingegriffen hat, mit Sicherheit verfolgt. Er hat die politischen Zustände in Niedersachsen geschildert, von der aufgebrachten Bevölkerung gesprochen und gesagt, daß er sich angesichts der Debatte, die die SPD und auch Teile der FDP in Niedersachsen vom Zaune gebrochen hätten, nicht in der Lage sehe, die Wiederaufbereitungsanlage gegen den Willen der SPD und eines Teils der Bevölkerung durchzusetzen, den Willen der Bundesregierung zu exekutieren. Nein, hier müssen Sie als SPD in Niedersachsen - im übrigen auch in Schleswig-Holstein und anderswo - schon Farbe bekennen und diese unpopuläre Maßnahme, die von uns getragen werden wird, mittragen. Sonst läßt sich so etwas nicht realisieren.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein paar Bemerkungen zu der Rentendebatte, die wieder aufgeflammt ist. Sie ist aufgeflammt ohne unsere Schuld, wenn ich das einmal sagen darf, und ohne unser Zutun.
({1})
Es waren die Freien Demokraten, die - aus welchen Gründen auch immer - die Debatte darüber eröffnet haben, ob wir 1982 zu einer bruttolohnbezogenen Rente zurückkehren sollten. Ich stimme dem zu, was hier sozusagen an amtlichen Zitaten von einem Kollegen - ich glaube, es war der Kollege Rohde - aus dem Bericht vorgelesen worden ist, den die Abgeordneten - ich nenne sie dem Alphabet nach - Franke, Glombig und Schmidt ({2}) dem Hohen Hause gemeinsam vorgelegt haben. Ich stimme dem zu, daß in diesem Bericht, in den Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung und auch in den Lesungen hier im Plenum in den letzten Jahren von Rednern aller drei Fraktionen kein Zweifel angemeldet worden ist, daß die Wiedereinführung der bruttolohnbezogenen Rente nach der von Ihnen erzwungenen Aussetzung für drei Jahre vorgenommen werden soll.
Es war also jetzt die FDP, die - aus welchen Gründen auch immer - die Debatte über die Wiedereinführung der bruttolohnbezogenen Rente begonnen hat.
({3})
Es ist richtig, Herr Kollege Mischnick - er ist leider nicht da -,
({4})
daß, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe, im Jahre 1957 in § 1253 geregelt worden ist, die Bestandsrenten nicht unmittelbar, sondern nach einer jährlich neu zu treffenden Entscheidung des Bundestages an die Bruttoentwicklung der Löhne anzupassen. Aber es ist auch richtig: Zwanzig Jahre lang haben wir eine Bruttoanpassung vorgenommen, d. h. es hat niemals, Herr Kollege Mischnick, ein Zweifel darüber bestanden, daß die 1957 getroffenen Beschlüsse auch weiterhin in die Tat umgesetzt werden sollen. - Ich hoffe, Herr Kollege Mischnick, Herr Finanzminister Matthöfer gibt Ihnen gerade eine Instruktion, wie es dann weitergehen` soll; aber ich wäre dankbar, wenn Sie mir zuhören könnten.
Aber, verehrter Herr Kollege Mischnick, hier ist eine andere Situation eingetreten, und ich muß das, glaube ich, zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses hier anführen. Im 21. Rentenanpassungsgesetz und im Bericht zum 21. Rentenanpassungsgesetz ist auch für die Anpassung der Bestandsrenten ausdrücklich die Rückkehr zur Bruttolohnbezogenheit vorgesehen. Ich glaube, es geht nur um diesen Punkt, den Sie durch die Äußerungen eines Sprechers Ihrer Fraktion in Zweifel ziehen. Es besteht gar kein Zweifel daran, daß dieses Haus einstimmig und einmütig den Willen bekundet hat, daß ab 1982 die Anpassung der Renten wieder nach dem Bruttolohn erfolgen soll. Sie haben den Inhalt des Gesetzes, die Intention des Bundestages und die Gültigkeit der Abstimmung hier in diesem Hause in Zweifel gezogen. Wir wehren uns dagegen, daß Sie sich dieser Menschen, die sich hier im Deutschen Bundestag nicht wehren können, auf diese Art und Weise annehmen. Wir wollen der Anwalt derjenigen sein - es sind immerhin 12 Millionen Rentner und 20 Millionen Beitragszahler -, die diese Renten künftig haben werden. Wir wollen nicht, daß sie mit diesen Methoden in einen sozialen Abstieg gestoßen werden, und das werden wir in diesem Hause auf gar keinen Fall zulassen.
({5})
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu dem machen, was der Kanzler hier heute ausgelassen hat. Wir haben gehört, daß er sich nicht zur Frage der bruttolohnbezogenen Rente geäußert hat. Es ist hier einmal gesagt worden, daß der Kanzler in Fragen, die besonders heikel seien und in denen eine Entscheidungsfreudigkeit von ihm gefordert werde,, kneife. Es ist der Ausdruck gebraucht worden, der Kanzler sei feige. Ich glaube, daß der Kanzler heute hier in dieser Frage - sehen Sie es mir bitte nach - gekniffen hat. Er schickt Herrn Ehrenberg vor, während angesichts des Streits in der Koalition er selbst gefordert ist: Der eine will die Nettoanpassung, und der andere will die Bruttoanpassung. Jedenfalls muß ich Ihnen von der SPD unterstellen, daß Sie wieder die Bruttoanpassung wollen; das entnehme ich den Äußerungen des
Herrn Kollegen Rohde, und ich unterstelle das Ihnen auch.
Aber Sie haben nicht die Mehrheit in diesem Hause. Wenn Sie sich nicht auf unsere Stimmen verlassen wollen - das werden Sie nicht tun, denn dann stellt sich für sie die Koalitionsfrage -, sind Sie auf die Stimmen der FDP angewiesen. Wir wissen natürlich nicht genau, welche Mehrheitsverhältnisse 1982 hier in diesem Hause herrschen. Wenn wir die Wahlen im nächsten Jahr gewinnen, was ich sehr hoffe und auch erwarte, gibt es über die Frage der Bruttolohnanpassung überhaupt keine Diskussion mehr, denn sie wird durch uns auf alle Fälle wieder eingeführt.
({6})
Wenn wir aber einmal mit der Möglichkeit rechnen - ich glaube nicht, daß das eintritt -, daß Sie auf den Partner, FDP angewiesen sind, dann ist schon heute klar, verehrter Herr Kollege Wehner, daß Sie die Bruttolohnanpassung nach der bisherigen Form, wie wir sie auch im 21. Rentenanpassungsgesetz zugrunde gelegt haben, nicht durchführen werden; denn die FDP kann es nicht gestatten, daß Sie hier etwas durchsetzen, was sie jetzt in aller Welt als nicht realisierbar bezeichnet.
({7})
Daher ist es durchaus berechtigt, den Bundeskanzler und den Fraktionsvorsitzenden der SPD - vielleicht werden Sie es im nächsten Deutschen Bundestag noch - zu fragen: Wie halten Sie es mit dieser Frage? Ich gebe mich nicht mit dem zufrieden, was der Herr Kollege Rohde hier gesagt hat.
({8})
Ich kenne die persönlichen Überzeugungen und auch die politische Einstellung des Herrn Kollegen Rohde, die für mich völlig außer Zweifel stehen. Nur werden Sie, Herr Kollege Rohde, das nicht realisieren können, wenn Sie auf den Partner FDP angewiesen sind. Das sollten Sie heute hier eindeutig sagen,
({9})
und Sie sollten nicht versuchen, die Öffentlichkeit noch einmal zu täuschen, wie das am Ende der vergangenen Legislaturperiode der Fall gewesen ist.
Lassen Sie mich in Ihre Erinnerung noch einmal zurückrufen, was hier im Deutschen Bundestag und auch in der Öffentlichkeit unter anderem vom Herrn Kanzler Schmidt für Worte gebraucht worden sind. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen noch einmal zitieren, was Herr Schmidt in einer Zwischenfrage am 8. April 1976 aus dem Plenum an den damaligen Redner der Opposition - ich hatte die Ehre, es zu sein - gefragt hat:
Ich muß eine lange Frage formulieren, Herr Kollege, um im Einklang mit der Geschäftsordnung zu bleiben:
Unterstellt, daß Sie mir unterstellen, daß ich die volkswirtschaftlichen Zahlen richtig zu deuten weiß - Können Sie sich erstens vorstellen, daß ich der Meinung bin, daß auch im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt die gegenwärtige Vermögensanhäufung in den Rentenversicherungen voll ausreicht, können Sie sich zweitens vorstellen, daß ich aus volkswirtschaftlicher Erfahrung weiß, daß auf 15 Jahre in die Zukunft gemachte Prognosen, die sich im wesentlichen von einer Basisperiode der letzten 15 Monate beeinflussen lassen, heute bei Ihnen ins Negative genauso irreführend sind, wie Sie von Ihrem eigenen Freund Hans Katzer im Sommer 1972 ins Positive irregeführt wurden, können Sie sich drittens vorstellen, daß das, was Sie als Vorwurf an mich richten, vielleicht heute morgen bei den absoluten Zahlen, die ich ja nur nenne, um Ihrer schamlosen Propaganda,
- so hat er uns hier in einer Zwischenfrage be-schimpft
die Renten seien nicht gesichert, entgegenzutreten - obwohl Sie der 11°/oigen Erhöhung heute zustimmen;
Dann sagt er weiter:
das ist ja Ihre
- gemeint sind die Opposition und ich Doppelzüngigkeit; aber ich muß im Kontext meiner Fragestellung bleiben, und deswegen muß ich von dieser eingefügten Bemerkung wieder zu meiner Frage zurückkehren -, das heißt bei den nicht ins Verhältnis zu Bruttosozialprodukten gesetzten Zahlen Ihres Kollegen Strauß, wesentlich besser am Platz gewesen wäre?
Das war die Frage 'des Abgeordneten Schmidt ({0}) .
({1})
Wenn er da unten sitzt, ist er der Abgeordnete Schmidt ({2}), so sieht es die Geschäftsordnung vor: Helmut Schmidt ({3}), der Weltökonom. Der stand also da unten und sagte mit ganz dürren Worten: „Das, was du, Franke, für die Opposition artikulierst,
({4})
ist völlig falsch. Die Renten sind sicher, insbesondere wenn wir an der Regierung bleiben." Sie müssen dabei sehen, welche Propaganda der SPD dazu parallel gelaufen ist. Er hat uns dann im Wahlkampf bezichtigt, wir seien unchristlich und legten falsch Zeugnis wider die Tatsachen ab.
({5})
Hier sagt der Kanzler am 8. April 1976: „Die Ren-
ten sind sicher." Er sagt am 30. September: „Das ist
ein Problemchen." Am Tage nach der Wahl war es
) das dickste Problem, und auf dem Altar des Problems ist der alte Arbeitsminister Walter Arendt geopfert worden.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sei können sich vorstellen, daß wir nach diesen Erfahrungen, die wir in diesem Hause gemacht haben,
({7})
bei Ihnen ganz besonders vorsichtig sind und davor warnen, damit nicht ein neuer Rentenbetrug passiert.
({8})
Ich sehe den Herrn Kanzler Schmidt noch nach der Wahl 1976, als er mit etwas schief eingelegtem Kopf in München einen Preis einer Vereinigung erhielt.
({9})
- Ich weiß, daß ihn das beunruhigt hat. In der Rede dort sagte er, bei der Beurteilung der wirtschafts- und finanzpolitischen Entwicklung und damit der sozialpolitischen Finanzentwicklung habe er sich geirrt. Er erklärt einfach diese seine über mehrere Jahre abgegebenen Erklärungen für einen Irrtum. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen Sie, was dieser Irrtum gekostet hat? Das sind etwa 150 bis 160 Milliarden DM, die den Rentnern weniger gegeben und den Beitragszahlern mehr aus der Tasche geholt werden. Das war der finanzielle „Erfolg" des Irrtums des Bundeskanzlers, des Volkswirts Helmut Schmidt.
Und da sind wir vorsichtig. Wir warnen jetzt schon davor, und sagen es deshalb in dieser Deutlichkeit: Ein erneuter Rentenbetrug, eine erneute Täuschung der großen Zahl derer, die sich nicht wehren können, der künftigen Rentner, darf nicht stattfinden ({10})
nicht nur aus sozialpolitischen und humanitären, sondern auch aus staatspolitischen Gründen. Sie können mit diesen Menschen, mit der größten Zahl unserer Bevölkerung so nicht umgehen. Sie müssen hier heute sagen, wo es langgehen soll. Der Kanzler hat heute nicht den Mut besessen, zu sagen, wo es langgehen soll. Die Zweifel bleiben. Darum sind wir so erregt, und darum hat Helmut Kohl mit Recht gesagt: Hier muß geklärt werden; der Kanzler hat nicht geklärt.
({11})
- Wissen Sie, Herr Wehner: Mein Eindruck ist, daß Sie sich immer dann erregen, wenn es Ihnen besonders schlecht geht.
({12})
- Ich habe mir etwas vorgenommen, weil ich früher immer heftig auf Ihre Einwürfe reagiert habe. Es hat mir nachher immer leid getan. Erstens sind
Sie älter als ich. Und zweitens will ich Ihnen aus einem ganz bestimmten Grund nicht nahetreten. Aber ich glaube, Sie sollten auch angesichts der vielen Zuhörer und Zuschauer den Stil, den Sie hier im Parlament pflegen, nicht weiter pflegen; auch aus Gründen des Ansehens unseres Parlaments. Das wollte ich Ihnen einmal ganz deutlich sagen.
({13})
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal ganz deutlich sagen: Die Debatte über eine neue Rentenpolitik beginnt im nächsten Deutschen Bundestag. Wir werden selbstverständlich die 84er Lösung hier in diesem Haus zu beraten und zu beschließen haben. Wir werden selbstverständlich nicht dahin gehen dürfen, daß das Rentenniveau, bezogen auf die Bruttoeinkommen, bei 40 oder 43 % stehenbleibt, auch wenn Sie die Berechnungsgrundlage auf netto - in der Rentenniveausicherungsklausel - umgestellt haben, so daß dann ein optisch günstigeres Bild dabei herauskommt: daß im Verhältnis zu den Nettoeinkommen der Arbeitnehmer die Renteneinkommen höher erscheinen.
({14})
Das ist ein etwas irreführendes Bild. Denn die Relation hat sich hauptsächlich dadurch verändert, daß der Anteil der Steuern und der Sozialabgaben in den letzten zehn Jahren von 28 5 auf nahezu 40 °/o der Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer gestiegen ist, d. h. daß nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben, auch der indirekten Steuern nur noch eine Verfügbarkeit von 60 °/o des Einkommens zu verzeichnen ist.
In der Diskussion wird von Ihnen oft vorgebracht, daß die Renten steuerfrei seien - was sie im übrigen gar nicht sind; sie werden nach § 22 des Einkommensteuergesetzes über den Ertragsanteil besteuert; darüber gibt es gar keinen Zweifel. Wenn sich die Relation verschoben hat, dann nicht dadurch, daß die Rentner ein - gemessen am Einkommen der Arbeitnehmer - höheres Einkommen erhalten haben, sondern weil die Steuern und Sozialabgaben die Relation zuungunsten der im aktiven Arbeitsleben Stehenden verändert haben. Hier sollten Sie ehrlich sein und zugeben, daß die Korrektur nur da ansetzen kann, aber nicht bei der Veränderung des Rentenniveaus. Sie werden uns nicht auf der Seite derer finden, die einen Abbau der Sozialleistungen, auf die sich die Bürger durch Beiträge einen Anspruch erworben haben, stattfinden lassen wollen.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bei einer solchen Debatte ja fast unvermeidlich, daß erst einmal der Kollege Franke spricht und Nebelkerzen wirft. Wir müssen versuchen, den Nebelschleier ein bißchen wegzuziehen, damit die wirklichen Probleme klar werden. Zu all dem, worüber der Kollege Franke gesprochen hat, werden nämlich auch EntscheidunGlombig
gen der CDU/CSU-Fraktion erwartet, d. h., die CDU/ CSU-Fraktion hat sich mit all den Problemen ebenfalls auseinanderzusetzen. Es darf nicht so getan werden, als handle es sich nur um Probleme der sozialliberalen Koalition. Die Opposition hat es sich dabei aber immer sehr einfach gemacht, z. B. als sie behauptete, die Rentendebatte sei hier ohne Schuld der CDU/CSU aufgeflammt. Dazu kann ich nur sagen: Es stünde der CDU/CSU gut an, sich mit den Fragen, über die sich andere Gedanken machen - und auch machen müssen -, etwas anders' auseinanderzusetzen als nur in der Form der Polemik, wie es heute nachmittag seitens der CDU/ CSU geschehen ist.
({0})
Es ist weiter die Behauptung aufgestellt worden, daß der Kanzler sich bisher nicht zur bruttolohnbezogenen Anpassung geäußert habe, daß er dazu nicht Stellung genommen habe. Das ist schlicht falsch. Der Kanzler hat sich vor einigen Wochen und Monaten - ich habe die Unterlagen im Augenblick nicht dabei - zur bruttolohnbezogenen Anpassung ab 1982 eindeutig erklärt. Ich finde, das sollten wir in diesem Zusammenhang festhalten.
(Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD-Fraktion hat etwas anderes erklärt!
- Die SPD-Fraktion hat überhaupt nichts anderes verkündet. Die SPD-Fraktion hat - damit auch das klar ist - gerade dieses verkündet. Vielleicht lesen Sie es einmal nach.
Herr Kollege Franke, was die Irrtümer, von denen Sie sprechen, angeht, so ist, glaube ich, Ihr größter Irrtum der, daß Sie die Konsolidierung der Rentenfinanzen durch das 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz nicht mit gestützt haben. Das gewählte Verfahren war nämlich die einzige Alternative, die ernsthaft ins Auge gefaßt und ergriffen werden konnte. Der Erfolg gibt uns nachträglich recht. Man kann nachträglich nur sagen: Das ist eine großartige Sache gewesen.
({1})
Der Kollege Rohde hat das hier vorhin in seiner Rede mit allem Nachdruck zum Ausdruck gebracht. Sie haben das nicht widerlegt.
({2})
Daß das, was wir mit dem 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz gemacht haben, etwas mit Irrtümern zu tun hat, möchte ich doch sehr in Frage stellen.
Herr Kollege Franke hat dann weiter gesagt, die CDU/CSU gebe für den Fall, daß sie 1980 die Regierung stelle, die Garantie für die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Anpassung. Herr Kohl hat sich bei der Anpassungsdebatte im Jahr 1976 geradezu überboten in dem Angebot, noch mehr zu tun, was die Anpassung angeht, d. h. mehr zu tun, als finanziell überhaupt möglich war. Auch eine CDU/ CSU-Bundesregierung wäre einfach gezwungen, über all diese Fragen, mit denen wir es - auch im
Zusammenhang mit der Reform 1984 - zu tun
haben, nachzudenken. Darüber kann Ihre billige Polemik, Herr Kollege Franke, nicht hinwegtäuschen.
Bei der Debatte über das 21. Rentenanpassungsgesetz war die Rede davon, daß die Rentenniveausicherungsklausel eine schreckliche Sache sei. Es hieß, diese Rentenniveausicherungsklausel werde das Rentenniveau noch einmal herabdrücken. Wir haben gesagt: Diese Rentenniveausicherungsklausel hat überhaupt keine praktische Bedeutung. - Genauso ist es eingetreten. Ich glaube, Sie können nach all Ihren Prognosen, die sich als unrichtig herausgestellt haben, in der Tat nicht mehr davon ausgehen, daß die Rentner Ihnen noch Glauben schenken.
Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß die Renten - das kann bewiesen werden - gesichert sind und auch weiter gesichert bleiben, weil alle davon ausgehen können - sogar Sie, die Sie nicht den Mut haben, sich zu diesen Fragen zu äußern -, daß wir immer zu gegebener Zeit die richtigen Maßnahmen im Interesse der Rentner und Beitragszahler ergreifen werden, um die Renten für die Zukunft zu sichern. Wenn Sie aber so tun, als ob Sie im Jahre 1979 - oder wann auch immer - Entscheidungen für die nächsten 50 Jahre auf dem Gebiet der Rentenversicherung treffen können, daß Sie Garantien geben können, ohne zu wissen, wie die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung ist - wenn Sie das den Rentnern und Versicherten weismachen wollen, dann ist das die Irreführung der Öffentlichkeit, mit der wir es hier zu tun haben. Von „Rentenbetrug" und „Täuschungsmanövern" kann überhaupt nicht die Rede sein. Sie möchten das zwar gern weiter kultivieren; Sie möchten, daß das als Verunsicherungsbeitrag weiter in der Debatte bleibt.
({3})
Sie haben gefragt, wie denn eigentlich unsere Auffassung zu diesen Dingen sei. Lassen Sie mich ohne Polemik sagen, was unsere Auffassung zu diesen Dingen ist, damit Sie das immer wieder nachlesen können. Wir sagen: Die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassung im Jahre 1982 ist Teil des Konsolidierungskonzepts, das von den Koalitionsfraktionen mit dem Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz verwirklicht worden ist. Die Sozialdemokraten werden zu dieser Entscheidung stehen. Ich zweifele nicht daran, daß auch die Freien Demokraten zu dieser Entscheidung stehen werden. Bei allen Äußerungen, die wir von den Freien Demokraten hören, sagen sie doch: Wir gehen von der bruttolohnbezogenen Anpassung aus.
({4})
Wir werden uns allerdings nicht auf juristische Spitzfindigkeiten einlassen, mit denen am Gesetzestext und an den damals öffentlich abgegebenen Erklärungen heruminterpretiert wird. Es ist richtig, was der Kollege Mischnick gesagt hat - das ist von dem Kollegen Franke bestätigt worden -: Bei den Zugangsrenten, Herr Kollege Franke, ist die bruttolohnbezogene Anpassung Bestandteil des Ge13504
setzes. Bei den Bestandsrenten ist das eine Sache des Gesetzgebers von Mal zu Mal. Aber hier gibt es, das gebe ich zu, ein Gewohnheitsrecht, und es gibt politische Aussagen im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes, zu denen wir stehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Franke? -- Bitte.
Herr Kollege Glombig, ist Ihnen der Text des Interviews von Herrn Ehrenberg in der „Neuen Osnabrücker Zeitung" von gestern bekannt? In diesem Interview heißt es - die Frage lautete, ob im Zusammenhang mit der Anpassung der Renten ein Koalitionskonflikt droht -:
Es wird hier sicher der Punkt sein, der in den Koalitionsvereinbarungen am schwierigsten wird. Für diese Legislaturperiode kann hier ein Konflikt gar nicht stattfinden, weil beide Regierungsparteien gemeinsam
- das sage ich jetzt nicht zu Ihnen, sondern auf die FDP gemünzt das 21. Rentenanpassungsgesetz verabschiedet haben und die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Anpassung 1982 sich in der Formel, die im 21. Rentenanpassungsgesetz festgelegt ist, ganz deutlich wiederfindet.
Ist Ihnen bewußt, daß Herr Ehrenberg hier von „schwierigen Koalitionsverhandlungen" für die Zukunft spricht, oder nicht?
Mir ist bewußt, daß es schwierige Koalitionsverhandlungen geben könnte, die sich vor allem auf den Aspekt der Reform des Jahres 1984 und alle damit zusammenhängenden Fragen beziehen. Das ist doch wohl völlig klar. Wir machten es uns wirklich zu einfach, wenn wir sagten, es gebe in diesem Bereich nur Übereinstimmung. Aber warum soll es eigentlich keine Übereinstimmung zwischen den Koalitionspartnern in diesen schwierigen Fragen der Zukunft unserer Rentenversicherung geben? Ich bin überzeugt, daß wir diese Fragen innerhalb der Koalition vernünftig klären werden. Darum geht es, um gar nichts anderes. Ich halte das für einen völlig normalen Vorgang. Sie sollten sich darüber auch ein paar Gedanken machen, statt hier nur zu polemisieren.
({0})
Ich komme jetzt zu dem, was 1982 weiter zu beachten ist. Damit auch das ganz klar ist, möchte ich als zweiten Punkt anführen: Die beschlossene Beitragssatzanhebung auf 18,5 °/o zum i . Januar 1981 ist notwendig für die finanzielle Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung. Die Beitragssatzerhöhung kann nur unter ganz engen und im Gesetz klar definierten Bedingungen vorübergehend ausgesetzt werden. Eine der Voraussetzungen ist z. B. - ich halte sie für die wichtigste -, daß die bruttolohnbezogene Anpassung finanziell gesichert ist.
Die dritte Feststellung, die ich dazu zu machen habe, lautet, daß zum 1. Januar 1985 die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung und der sozialen Sicherung der Frau in Kraft treten muß. Das wissen wir alle, aber wir müssen uns daran immer wieder erinnern. Diese umfassende Änderung des Leistungsrechts ist kaum kostenneutral zu bewältigen. Das ist übrigens eine Erkenntnis, die auch die Kommission '84 gewonnen hat. Sie zwingt dazu, die finanziellen Grundlagen der Rentenversicherung neu zu überdenken - wenn Sie das verleugnen, dann sind Sie nicht aufrichtig - und sie im Zusammenhang mit dieser Reform zu sichern. Daran vorbeizureden wäre doch unredlich. Wir haben es jedenfalls nicht vor, weil alles andere in der Tat .auf einen Rentnerbetrug hinausliefe.
Es kommt dabei auch darauf an, meine Damen und Herren, daß die Renten im Gleichschritt mit den verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer wachsen, daß die finanzielle Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung auch angesichts der bevorstehenden demographischen Veränderungen erhalten bleibt und daß die Altersversorgung insgesamt gerechter ausgestaltet wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Bitte.
Herr Kollege Glombig, bedeutet die Formel „im Gleichschritt mit den verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer", die Sie gerade eben verwendet haben, nicht doch eine Abkehr vom Prinzip der bruttolohnbezogenen Rente und ein Hingehen zur Nettolohnanpassung?
Was das bedeuten kann, wird die Entscheidung im Zusammenhang mit der Reform '84 zeigen. Wir kehren 1982 zur bruttolohnbezogenen Anpassung zurück. Im übrigen müssen wir diese Frage im Zusammenhang mit der Reform '84 gemeinsam - hoffentlich mit Ihnen zusammen - überdenken. Danach wird diese politische Entscheidung im Zusammenhang mit der Reform '84 gefällt.
Deshalb, um das noch einmal ganz klarzumachen - es nützt ja gar nichts, darüber hinwegzureden -, wird im Zusammenhang mit der Reform '84 z. B. folgende Frage zur Entscheidung anstehen: Langfristige Beibehaltung der heutigen bruttolohnbezogenen Rentenanpassung mit der Abführung eines Rentnerkrankenversicherungsbeitrages mit oder ohne Besteuerung der Renten oder aber Übergang zu nettolohnbezogenen Rentenanpassungen. Natürlich wird diese Frage im Zusammenhang mit der Reform '84 zur Entscheidung anstehen. Jeder, der das leugnet, wäre doch nicht aufrichtig. Also lassen Sie uns doch sagen, daß es so ist. Mit diesem Problem wird sich jeder befassen müssen, der die bruttolohnbezogene Rente langfristig erhalten will, und zwar weit über 1984/85 hinaus, bis zum Jahre
1990 und noch darüber hinaus, unter Umständen aber auch auf Grund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Ich glaube, daß der Zwang, der von einem solchen Urteil ausgehen würde, größer ist, als sich das mancher heute vorstellt. Keine Fraktion kann sich aus dieser Verantwortung herausstehlen.
Darüber hinaus werden aus sozialdemokratischer Sicht auch folgende Fragen diskutiert werden müssen - damit auch das für unsere weitere Diskussion klar ist -: Die Aktualisierung der Rentenanpassungen; die Reform der Bemessungsgrundlage der Arbeitgeberbeiträge, d. h. die Umstellung von der Lohnbasis auf Umsatz- oder Wertschöpfungsbasis zu dem Zweck, ungerechtfertigte Wettbewerbsverzerrungen zwischen lohn- und kapitalintensiven Betrieben zu verhindern; die Verbesserung der Situation für die Bezieher geringer Renteneinkommen, wie z. B. Ausbau der Rente nach Mindesteinkommen; und die Harmonisierung des Leistungsrechts zwischen den verschiedenen Altersversorgungssystemen; wie Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Altershilfe für Landwirte und Beamtenversorgung. Darauf hat der Kollege Rohde bereits hingewiesen. Im übrigen ist das alles nicht neu. Ich habe das in meinen Reden zum 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz klar zum' Ausdruck gebracht. Das kann nachgelesen werden. Es kann sich überhaupt niemand getäuscht fühlen. Wer das damals verfolgt hat, weiß, um was es geht.
Sowohl in den zuständigen Gremien der sozialdemokratischen Partei als auch in der SPD-Bundestagsfraktion sind natürlich Vorbereitungen zur Lösung dieses Problems im Gange. Ich hoffe, auch bei Ihnen. Entscheidungen oder auch nur Vorentscheidungen sind bisher nicht getroffen worden. Auch das entspricht den Tatsachen.
Eine letzte Bemerkung. Die SPD wird ihre rentenpolitische Konzeption für die 9. Legislaturperiode rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl beschließen. Diesem Beschluß werden wir der Entscheidung der Wähler überantworten. Wir werden dafür geradestehen, damit Ihr Gerede vom Rentnerbetrug endlich aufhört. Dieser Entscheidung wird eine offene und öffentliche Diskussion vorausgehen, vor der wir uns nicht scheuen. Es wird eine öffentliche und offene Diskussion sein, wie sie einer demokratischen Partei ansteht. Ich hoffe, daß die Opposition uns nacheifern wird. Bis dahin sind alle Mutmaßungen über rentenpolitische Pläne der SPD nur Spekulation. Aber ich finde, es wäre gut, wenn wir über alles, was uns hier gemeinsam bewegt, auch in der Zukunft gemeinsam diskutierten, und zwar im Interesse derjenigen, die ein Anrecht darauf haben, von uns eine vernünftige Antwort auf diese Fragen, die auch Lebensfragen unseres Volkes sind, zu bekommen.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.
Frau Präsident! Verehrte Kol- leginnen und Kollegen! Sensationell Neues hat diese Debatte, so meine ich, bisher nicht gebracht.
({0})
- Ganz sicher nicht. - Aber einige Bemerkungen der Redner der Opposition verdienen doch auch lobende Erwähnung. So möchte ich mich ausdrücklich beim Kollegen Häfele dafür bedanken, daß er von hier aus die Feststellung getroffen hat, daß 4°/o Wachstum eine ordentliche Leistung sind. Ich möchte mich dafür bedanken, daß Herr Kollege Scherf aus Bremen mit einigen Äußerungen erwähnt worden ist. Es ging da nicht um Äußerungen über einige ehrenwerte Personen dieses Hauses und außerhalb, sondern um die Äußerung, die Sozialdemokraten verlangten eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben. Der vorliegende Haushalt beweist aber, daß das nicht der Fall ist. Die Unterstellung, die Liberalen setzten sich in dieser Frage nicht durch, wurde eindeutig widerlegt.
Es sind aber auch einige Unfreundlichkeiten gesagt worden. Das ist der Grund, warum ich mich hier zu Wort gemeldet habe.
Ich muß in aller Offenheit sagen, daß ich Herrn Kollegen Kohl bisher für fair gehalten habe. Ich bedaure ungemein, die Feststellung treffen zu müssen, daß seine Bemerkungen im Zusammenhang mit der Rentendiskussion nicht fair waren. Es ist der Eindruck hinterlassen worden, als wenn die Vorstellung, die wir für die langfristige Konsolidierung unseres Rentensystems nach 1984 entwickelt haben, etwa Grundlage für die Diskussionen der Jahre 1982 bis 1984 sein werde. Dies muß man eindeutig und klar zurückweisen.
({1})
Hier gibt es zwei Problemkreise. Erstens geht es darum, was nach 1982, also im Anschluß an das 21. Rentenanpassungsgesetz logischerweise im 22. Rentenanpassungsgesetz zu geschehen hat.
({2})
Das zweite ist das, was meine Partei für die Lösung nach 1984 vorgeschlagen hat.
Hier muß zunächst eines klargestellt werden. Ich halte es auch für intellektuell unsauber, im Zusammenhang mit dieser Diskussion von Betrug zu reden. Betrug setzt die Absicht voraus, sich betrügerisch etwas anzueignen.
({3})
- Dies, Herr Kollege Hasinger, ist nie und nimmer, weder von dem Bundesminister Arendt noch von Herrn Ehrenberg noch sonstwo, zu verantworten gewesen.
({4})
Ganz im Gegenteil! In unserem Rentensystem ist nicht mehr und nicht weniger passiert - das muß gegenüber den Leuten draußen einmal klargemacht werden -, als daß die Summe aller Beitragsein13506
nahmen und das, was an Steuern vom Staat hinzugeschossen wird, auf die Summe aller Berechtigten verteilt wird. Ich halte es einfach für intellektuell unsauber und unredlich, in diesem Zusammenhang von Betrug zu sprechen.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke? - Bitte.
Herr Kollege Cronenberg, wie würden Sie es qualifizieren, wenn ein Bundeskanzler in voller Kenntnis der tatsächlichen Entwicklung der Daten in der Rentenversicherung hier im Bundestag, im Fernsehen und in der Öffentlichkeit etwas ganz anderes gesagt und diejenigen als unchristlich bezeichnet hat, die darauf hingewiesen haben - das sind nämlich wir -, daß sich dort eine gefährliche Entwicklung vollzieht?
({0})
Hochverehrter Herr Kollege Franke, in Ihrer Frage ist eine Unterstellung enthalten, die ich nicht teile, und zwar in den Worten „in voller Kenntnis der Tatsachen". Ich bin davon überzeugt, daß hier nach bestem Wissen und Gewissen redlich gehandelt wurde. Ihre Beiträge zur Verunsicherung der Offentlichkeit und der Rentner sind mit die Ursache für einen Teil der Auseinandersetzung, bei der ich mich gerade darum bemühen möchte, daß sie in der Form etwas anständiger stattfindet, als es bisher der Fall ist.
({0})
Ich wehre mich gegen diese Art von Unterstellungen in dieser Frage und bitte darum, doch einmal anzuerkennen, daß das Bemühen in der Sache, und zwar nicht nur für die Rentner, sondern auch für die Beitragszahler, unsererseits genauso redlich ist, wie wir Ihnen unterstellen, daß Sie es nicht boshaft tun.
({1})
Und ich möchte Sie bitten, keinen Beitrag dazu zu leisten, hier zum Schluß den Beweis für Boshaftigkeit zu liefern.
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Frage?
Aber selbstverständlich!
Herr Kollege Cronenberg, kann es sein, daß der ehemalige Arbeitsminister Arendt schon 1975 den damaligen und jetzigen Bundeskanzler schriftlich auf eine bedrohliche Entwicklung in der Rentenversicherung hingewiesen hat?
Ich bin zu jener Zeit nicht im Parlament gewesen. Sie fragen mich, ob etwas sein kann.
({0})
- Natürlich kann das sein. Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, dies ist nicht Gegenstand der Erörterungen, die wir hier zu führen haben.
({1})
- Nein, das ist nicht der Punkt!
({2})
- Nein, Herr Kollege Hasinger, genau das ist nicht der Punkt, und ich möchte Sie nun herzlich bitten, auch im Interesse dieser Debatte und der zukünftigen Auseinandersetzung davon Abstand zu nehmen - jedenfalls in meiner Gegenwart -, das Wort „Betrug" in den Mund zu nehmen. Und ich bitte Sie, mir die Möglichkeit zu geben, nunmehr in meinen Gedanken fortzufahren, denn mit Rücksicht auf die Gesamtlage der Debatte stehen mir nur wenige Minuten zur Verfügung.
Aber, Herr Kollege Franke, um Sie wieder ein wenig zu loben und mich bei Ihnen zu bedanken
- denn ich bin hierher gekommen, um mich bei einigen für einige Äußerungen der Opposition zu bedanken, und das möchte ich auch bei Ihnen tun -, komme ich nunmehr auf die Frage, die hier offensichtlich strittig abgehandelt worden ist: Was geschieht denn nun nach 1982?
Hier ist der Bericht im Zusammenhang mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz oft genug erwähnt worden. Damit auch dies eindeutig klar ist, damit kein Irrtum entstehen kann, möchte ich daraus noch einmal eine Passage vorlesen:
Die Absicht der Koalitionsfraktionen, vom Jahre 1982 an wieder zu dem bisherigen Anpassungsverfahren zurückzukehren, finde ihren gesetzlichen Niederschlag einerseits in der Regelung über die Fortschreibung der allgemeinen Bemessungsgrundlage vom Jahre 1982 an, andererseits in der Einführung eines individuellen Beitrags der Rentner zu ihrer Krankenversicherung, der von einer bruttolohnbezogenen Rente ausgehe. Der Anstieg der allgemeinen Bemessungsgrundlage, der sich nach der Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte richte, soll nach dem Willen der Koalitionsfraktionen vom Jahre 1982 an wieder maßgebend für die Höhe der Rentenanpassung sein.
Herr Kollege Franke, dies, von Ihnen erwähnt, bedeutet - und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken -, daß Sie nunmehr im nachhinein Ihr eindeutiges, klares Ja zur Einführung dieses individuellen Krankenversicherungsbeitrages der Rentner - wenn auch nicht Ihren Dank dafür - gesagt haben,
({3})
und dies ist ein Beitrag zur Versachlichung der Diskussion und außerdem ein Beitrag dazu, daß wir in Zukunft besser weiter miteinander verhandeln können. - Da dieser Dank nicht ganz bei Ihnen angekommen zu sein scheint, bitte ich darum, ihn
im Protokoll nachzulesen, weil er damit auch unsere zukünftigen Diskussionen um vieles erleichtert.
Nun haben Sie, Herr Kollege Franke, uns vorgehalten, daß wir gesagt haben, Koalitionsverhandlungen seien schwierig. Ich kenne von diesem Geschäft relativ wenig, aber soviel weiß ich: Ganz leichte Koalitionsverhandlungen, zu welchem Sachgegenstand auch immer, hat es kaum gegeben. Und die Auseinandersetzung um möglicherweise unterschiedliche Positionen in dieser Frage gibt ja die Möglichkeit, zu einer Übereinstimmung zu kommen. Den Beweis dafür tritt diese Koalition nun sehr gerne an. Es ist ihr in der Vergangenheit immer gelungen, zu einer vernünftigen Übereinstimmung zu kommen, wobei Sie dann hin und wieder einerseits beklagen, wir wären ein Anhängsel der SPD, hätten also nichts zu sagen,
({4})
uns oder dem Koalitionspartner andererseits aber genüßlich klarmachen, ohne uns liefe nichts.
Nun sollte man in die Argumentation mindestens eine gewisse Logik bringen, und das bedeutet; Sie müssen sich einmal entscheiden. Entweder wir sind Anhängsel - dann haben wir nichts zu sagen, dann ist diese Argumentation in der Tat richtig - oder wir haben unseren Einfluß und setzen uns gelegentlich auch entscheidend durch - dann können Sie in der Tat nicht davon reden, wir seien ein lästiges Anhängsel. Worum es mir geht, ist, daß Sie sich die Mühe machen,
({5})
die Vorschläge, die wir für 1984 entwickelt haben, gewissenhaft, sauber und fair zu prüfen. Bevor Sie in diese Prüfung eintreten und sich dazu öffentlich äußern, würden wir gern Ihre Vorschläge kennen. Denn eines möchte ich Ihnen in aller Offenheit und Deutlichkeit sagen: bruttolohnbezogener Anpassungsfetischismus ist kein Ersatz für Konzept und Programm nach 1984.
({6})
Deswegen bitte ich Sie, Ihre eigenen Vorschläge zu entwickeln und sich dann auch zu den unseren zu äußern, und zwar zu dem richtigen Zeitraum, nicht zu dem Zeitraum 1982 bis 1984 - diesen als Diskussionsgrundlage zu nehmen, ist einfach -, sondern schlicht das zu nennen, was nach 1984 zu geschehen hat. Wenn wir uns darüber verständigen könnten, halte ich es für möglich, daß wir uns über die nach 1984 notwendigen Maßnahmen sachlich, vernünftig, ruhig und ohne Verunsicherung der Rentner auseinandersetzen.
({7})
Dies jedenfalls, mein lieber Herr Franke, ist mein Wunsch an Sie, und meine Bereitschaft, meinen Beitrag dazu zu leisten, möchte ich zum Ausdruck bringen.
({8})
Das Wort hat Frau Bundesminister Huber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit Jahren geht es der Opposition bei den Haushaltsberatungen immer um dieselben Kritikpunkte: die Steuern, die Schulden, die Familie, die Renten, die Soldaten und manchmal dann auch noch die Bundesbahn. Es liegt vielleicht an den geheimnisvollen Umschreibungsmöglichkeiten der Politsprache, wenn immer noch nicht genug aufgefallen ist, daß die Opposition hier zwei Dinge auf einmal verlangt, nämlich den Abbau der Schulden und eine baldige Senkung der Steuern und zugleich mehr Leistungen, z. B. in der Verteidigung, aber sicher und ganz besonders auch für die Familien.
Nun kann der Finanzminister kein Geld ausgeben, das er gar nicht hat, besonders bei Steuersenkungen. Das weiß auch die Opposition. Deshalb ist hier auch gar nicht an seine Einnahmen gedacht, sondern von den Ausgaben soll es kommen, nämlich von solchen, die er weniger macht. Konkrete Vorschläge hat hier keiner gemacht. Im. Gegenteil. So erinnert mich der hier sich immer wiederholende Vorgang an die Geschichte von dem russischen Mantelverkäufer, der im sibirischen Winter ein und denselben Mantel an drei Leute verkaufte mit dem Bemerken, sie könnten sich ja abwechselnd darin wärmen. Am Ende, so vermeldet die Geschichte, sind alle drei erfroren.
({0})
Die heute nachmittag von Herrn Kohl, - der leider nicht da ist - vorgetragenen Angriffe in Sachen Familienpolitik sollen den Eindruck erwekken, in der Bundesrepublik geschehe für die Familien gar nichts. Indessen ist gerade die Familie bei dem unvermeidlichen Gerangel um den alles bedecken sollenden Finanzmantel nicht erfroren. 1969 fanden sich nämlich in unserem Staatshaushalt ganze 9,5 Milliarden DM für den Familienlastenausgleich. Jetzt sind es allein beim Kindergeld 17,6 Milliarden DM und alles in allem 60 Milliarden DM, die den Familien zugute kommen. Für eine Familie mit drei Kindern z. B. sind die .Leistungen in den letzten zehn Jahren um 230 % gestiegen, zuletzt zu Beginn dieses Jahres.
Herr Kohl hat von der Belastung der Arbeiterfamilie gesprochen. Sie hat sich nicht verschärft. Im Gegenteil, sie ist erleichtert worden. Aber ich verstehe nicht, wieso hier stets gerade die Arbeiterfamilie genannt wird, während doch gleichzeitig Parteifreunde von Herrn Kohl sich immer wieder darum bemühen, neue Steuerfreibeträge mit Progressionswirkung für Gutverdienende zu stricken. Ich finde, da gibt es irgendwo einen Widerspruch.
({1})
Das Schlimme an unserer Debatte ist aber nicht, daß hier über Verbesserungen der materiellen Leistungen an die Familie geredet wird. Das ist legitim. Schlimm ist, daß trotz der nachweislich erheblichen Verbesserungen in den letzten Jahren hier ohne Scheu und Scham immer wiederholt wird, es geschehe nichts oder fast nichts für die Familie,
weil der sozialliberalen Koalition und der von ihr getragenen Regierung die Familie gar nicht am Herzen liege, weil die Koalition die Familie herabsetzen, bevormunden, ja - manchmal wird sogar gesagt - zerstören wolle.
Diese ethische Untermalung der Familiendiskussion, meine Damen und Herren, ist es, was der Kontroverse die höheren Weihen verleihen soll. Aber genau wie es in der Bevölkerung keinen Streit darüber gibt, was eine Familie ist, was sie für den einzelnen bedeutet, genauso sind auch Politiker, ganz gleich welcher Partei, als in Familien aufgewachsene, Familien habende Mitbürger weder so weltfremd noch politisch unklug, noch so gemütsarm, daß sie die Familie als diejenige Institution unterschätzen, die beinahe allen Menschen in diesem Lande als das Wichtigste in ihrem Leben gilt. Auch bei uns gibt es doch viele, die in den schweren Jahren nach 1945 am eigenen Schicksal erfahren haben, wo menschliche Bindungen auch dann noch Halt gewähren, wenn sonst gar nichts mehr ist.
Also lassen Sie endlich diese taktischen Scheingefechte über die angebliche „Entwertung" der Familie.
({2})
- Das ist wieder einer Ihrer typischen Kommentare.
Die Spekulation frei nach dem Motto „Ist's auch nicht wahr, so ist's doch gut erfunden" lohnt sich nicht. Es ist auch nicht gut erfunden, daß die Zahl der Eheschließungen wieder gesunken sei. Die Zahl der Eheschließungen ist im letzten Halbjahr gestiegen. Dies konnte man schon in der Zeitung lesen.
Am konkreten Zahlenwerk geprüft, erweist sich die Familienpolitik auch diesmal nicht als Stiefkind des Haushalts. Trotz zurückgegangener Kinderzahl sind die Ansätze für das Kindergeld wiederum gestiegen - trotz aller Ihrer Unkenrufe in den letzten zwei Jahren. Unter den übrigen Posten haben sich ganz überdurchschnittlich erhöht: z. B. die Zuschüsse an die Familienverbände, für Maßnahmen für die Familie um über 30 °/o, die wichtige Forschungsförderung auf dem Gebiet der Familie um 17,5 % und die Mittel für Maßnahmen für Frauen um 32 %. Es sind neue Mittel eingestellt für Unterhaltskassen, für behinderte Kinder und auch für Jugendaustausch. Wir werden ja auch noch Mittel für Heizölkostenzuschüsse einsetzen.
An dieser Stelle möchte ich einmal etwas Grundsätzliches über die Bedeutung materieller Leistungen in der Familienpolitik sagen, darüber, was damit bewirkt werden kann, was sie nicht leisten können und wo hier die Grenzen sind. Kinder zu haben bedeutet natürlich, finanzielle Belastungen zu haben. Zu ihrer Milderung sind das Kindergeld, das Wohngeld, die Leistungen des BAföG, die spezielle Sparförderung usw. da. Aber die Anzahl der Kinder sagt zunächst noch gar nichts über die individuelle Lage einer Familie aus. Es ist erfreulich und auch richtig, daß die Nettoeinkommen von Familien, z. B. einer Facharbeiterfamilie mit drei Kindern, jetzt stärker steigen als die Einkommen vergleichbarer Ehepaare ohne Kinder. Aber es ist nicht zu übersehen, daß wir heute als Folge unserer entwickelten Gesellschaft viele Probleme haben, die nicht mit Zuschüssen zu lösen sind: Erziehungsprobleme, Fragen des Wohnmilieus, der Freizeitgestaltung, des menschlichen Miteinander, denen man sämtlich mit einer falschen 50-MarkSchein-Ideologie nicht beikommen kann. Hierfür sind andere Anstrengungen nötig - und nicht nur staatliche. Wir geben heute soviel von unserem Einkommen zur Verschönerung unseres Lebens aus. Es wäre schön, wenn unsere Gesellschaft mehr von dem Glück wiederentdecken würde, das Kinder bei allen Kosten auch sind. Aber davon habe ich in der Rede heute nachmittag nichts gehört.
({3})
Dies ist natürlich, wie ein Blick auch in unsere Nachbarländer zeigt, keine bloße „Zuschußfrage". Ganz und gar unredlich ist so ein 45-MilliardenProgramm, wie das von Herrn Ministerpräsident Späth, mit gleichem Kindergeld für Groß- und Kleinfamilien - wo wir gerade einen besseren Anfang gemacht. haben -, mit Steuersenkungen und Wiedereinführung der Kinderfreibeträge mit Progressionseffekt für Besserverdienende - als ob es nicht schon genug Tauziehen bei der Opposition um das Erziehungsgeld gegeben hätte. Wir erinnern uns noch an das Einbringen, die Zurückziehung, die Wiedervorlage, die verkürzte Neuauflage und an die Streitigkeiten, die sie darüber hatten.
({4})
Da möchte ich sagen: Im Gegensatz zu dem, was manchmal in Sonntagsreden verlautet, haben wir hier gesehen, daß natürlich auch die „CDU/CSU-Familie" durchaus nicht konfliktfrei ist, Herr Kohl. Frau Wex wollte immer möglichst viel Erziehungsgeld. Herrn Strauß war das zu teuer, und Herr Biedenkopf hat uns im Saarländischen Rundfunk wissen lassen, daß der Staat die Mutter nicht dafür bezahlen soll, daß sie zu Hause bleibt. Nun frage ich Sie, ist das nun Diskriminierung der Hausfrau, oder ist es das Gegenteil? Ich wünschte, daß endlich Schluß wäre mit dieser Diskussion, die Kinder so behandelt als wären sie ein Kostenfaktor in einem Fabrikationsbetrieb.
({5})
Auf diese Weise wird nämlich nicht mehr Kinderfreundlichkeit erzielt. Viele Familien brauchen Hilfe, auch Jugendhilfe, aber kein Mutterkreuz und auch keine Banknote als Belohnung.
({6})
- Mit dem Mutterkreuz, Herr Kohl, habe ich nicht Sie gemeint,
({7})
sondern ich sagte, wir brauchen kein Mutterkreuz.
({8})
- Herr Kohl, Sie können mich in dieser Frage deswegen nicht verwirren, weil in dieser Gesellschaft die Erinnerung an eine Bevölkerungspolitik mit Mutterkreuz noch sehr lebendig ist, und wir distanzieren uns von einer solchen.
({9})
- Ich habe da keine Probleme. Darüber habe ich hier schon öfter ganz klar gesprochen.
({10})
- Sie machen nur wieder den Versuch, an einer Stelle störend einzuhaken.
({11})
- Ich habe gesagt, wir wollen keine Mutterkreuzpolitik; ich wiederhole das.
({12})
- Ich habe nicht gesagt, daß Sie das hier vorgetragen haben.
({13})
- Ich habe dies als allgemeine Aussage wiederholt, die ich schon öfter - ({14})
- Ich habe keinen Vergleich angestellt, ich habe . eine Aussage gemacht, wie wir Familienpolitik nicht sehen.
({15})
- Ich habe nicht gesagt, daß Sie oder ein anderes Mitglied dieses Hauses das gesagt haben, aber dies - habe ich gesagt - wollen wir nicht.
({16})
Wenn Sie schon heute nachmittag nach so vielen Jahren den Zweiten Familienbericht wieder erwähnen und die darin zu beanstandende Formulierung sozusagen als Formulierung der Bundesregierung ankreiden, dann finde ich es sehr ungeniert, daß Sie den Dritten Familienbericht, wohl wissend, daß dies alles nicht die Familienberichte der Regierung sind, als Ohrfeige für die Regierung darstellen.
({17})
Darin liegt ein enormer Widerspruch. Wenn es nicht der Bericht der Regierung ist, dann dürfen Sie die Formulierung hier auch nicht so verkaufen, als seien die im Zweiten von uns, und im Dritten - das paßt Ihnen nun - seien sie gegen uns gerichtet.
Im übrigen ist es so, daß der Dritte Familienbericht, was wir deutlich in unserer Stellungnahme gesagt haben, auf die Datenbasis von 1973 Bezug nimmt. Damals haben sich noch viele Versäumnisse der Vergangenheit hier niedergeschlagen, und wenn man fragt, wessen Versäumnisse das sind: Das waren Ihre Versäumnisse.
({18})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Minister Huber. Ich wäre dankbar, wenn sie sich auch hörbar machen könnte.
So sehr auch die Wohlstandsgesellschaft ihre Probleme hat, die Familie ist nicht in der Krise. Sie fühlt sich auch nicht gegängelt, Herr Kohl. Dagegen hat sie möglicherweise ein bißchen das Gefühl einer vernachlässigten Selbstverständlichkeit, die nach Wiederentdeckung ruft, aber einer ganz anderen Wiederentdeckung, als man sie unter parteipolitischen Nutzenerwägungen manchmal betreibt. Was soll denn zum Beispiel Ihre Erklärung hier heute, daß die Familienbindung leide, wenn zugleich der Herr Albrecht die Einführung des privaten Fernsehens mit Nachdruck betreibt? Ich weiß nicht, ob die Familienbindung dadurch gewinnt.
({0})
Eine wirkliche Wiederentdeckung der Familie als gesellschaftspolitisches Phänomen ist für die Geburtenentwicklung wahrscheinlich von ungleich größerer Bedeutung als Zuschüsse, die um der Gerechtigkeit willen nötig, aber für die Vorstellung vom Glück nicht entscheidend sind.
Der französische Staatspräsident hat, auf den sich abzeichnenden Geburtenrückgang seines Landes angesprochen, im „Paris Match" es so ausgedrückt:
In Frankreich möchte man hauptsächlich auf Leistungen abstellen, als ob das der entscheidende Faktor wäre. Wie nun die demographische Forschung zeigt, ist das Bevölkerungs13510
problem ein Problemkomplex, in dem sich die gesamten Merkmale einer Gesellschaft wiederfinden. Er umfaßt zugleich den Glauben an das Glück, die Bewertung der Zukunftschancen, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, den Platz der Frauen in der Gesellschaft, alles äußerst vielschichtige Elemente, die eine bestimmte Qualität des gesellschaftlichen Gefüges zum Ausdruck bringen.
Das gesellschaftliche Gefüge ist heute anders als früher, auch bei uns. Die Bewegungs- und Freiheitsspielräume sind größer geworden. Wie eine Repräsentativerhebung ausweist, wünschen nahezu zwei Drittel aller Mütter, z. B. die Kindererziehung und die Berufstätigkeit miteinander zu verbinden. Sie wünschen sich z. B. gute Kindergärten und zugleich individuelle Hilfen für den Wiederanschluß im Beruf und auch Rat in Familien- und Erziehungsproblemen.
Sie, Herr Kohl, haben heute nachmittag von der Überforderung vieler Eltern in Erziehungsfragen und von der Zunahme der Hilfesuchenden gesprochen, aber im gleichen Atemzug haben Sie unser Bemühen um ein neues Jugendhilferecht als eine bürokratische Fehlleistung abgetan, obwohl sid doch wissen, daß der Personalschlüssel genau der gleiche ist wie im Freistaat Bayern. Das, finde ich, ist ein bißchen demagogisch.
Die Frauen wünschen kein einseitiges Leitbild von Heimchen oder Karrierefrau, und dies unterstützen wir. Sie möchten auch keine Diskriminierung derer, die von der Freiheit der eigenen Lebensgestaltung so oder auch so Gebrauch machen. Dagegen verlangen sie gleiches Recht und kontinuierliches Bemühen um verbesserte gesellschaftliche Rahmenbedingungen, und darin haben sie recht.
Es ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit, daß Familien mit besonderen Lasten, z. B. alleinerziehenden Eltern, Pflegeeltern, Gastarbeiterfamilien, Eltern mit behinderten Kindern, auch weiterhin besonders geholfen wird, wie das z. B. mit Steuerfreibeträgen, mit der Zahlung von Unterhaltsvorschuß und mit sozialen Angeboten geschieht. Es ist eine Notwendigkeit, daß wir uns der am schwersten Gefährdeten annehmen, uns ganz besonders um die Leidenden kümmern. Da haben wir durchaus Probleme - alte und neue -, alte wie Kindesmißhandlungen und Jugendkriminalität und neue wie Jugendsekten und verstärkter Drogenmißbrauch. Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch mehrere Ansätze zu Problemlösungen: mehr Sozialarbeit, bessere Einrichtungen, mehr Forschung, viele Modellversuche. Deshalb gibt es hier nicht das Recht, zu verschweigen, daß solche ernst zu nehmenden Tatbestände nur ein Teil unserer Wirklichkeit sind, einer durchaus auch ermutigenden, positiven, vielfach verbesserten Wirklichkeit.
Dazu, meine Damen und Herren, hat auch unsere Familienpolitik beigetragen. Das wird sie auch künftig tun, nachzulesen im Haushaltsplan, aber nicht nur dort allein.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Burger.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Minister Huber, Sie haben uns soeben vorgeworfen, wir würden uns nur in Sonntagsreden für die Familien engagieren. Ich muß Ihnen ganz energisch widersprechen: Nicht in Sonntagsreden, sondern in klaren Anträgen in diesem Parlament
({0})
haben wir die Familienpolitik zu einem Schwerpunkt unserer Politik gemacht.
({1})
Dabei werden wir auch bleiben. Wir werden die Familienpolitik zu einem ganz entscheidenden Punkt im kommenden Wahlkampf machen, meine Damen und Herren.
({2})
Keine Scheingefechte führen wir, sondern es geht uns hier um ein echtes Anliegen.
Sie haben zu Beginn Ihrer Rede ein bißchen in die Märchenwelt hineingegriffen und von einem Mantel gesprochen, der so gut gewirkt sei, daß die Familien nicht erfroren seien. Vielleicht sind die Familien nicht erfroren, aber allzu viele Familien müssen in der Bundesrepublik Deutschland frieren. Das beweist der Inhalt des 3. Familienberichts, der auf große Mängel hingewiesen hat, meine Damen und Herren.
Wenn Sie sagen, daß die Kindergelder ,gestiegen sind, wenn Sie die Zahl von 17,6 Milliarden DM nennen, die Summe, die wir für die Kindergelder ausgeben, dann dürfen Sie nicht verschweigen, daß auch die steuerlichen Freibeträge gestrichen worden sind und daß den Familien auf diese Weise in der Vergangenheit Milliarden genommen worden sind.
({3})
Man muß auch mit Zahlen redlich arbeiten.
Schließlich haben Sie in diesem Jahre die Mehrwertsteuer erhöht.
({4})
Sie haben mit der einen Hand eingesammelt, was Sie mit der anderen Hand gegeben haben.
({5})
Frau Minister, bei Vergleichen müssen alle Fakten auf den Tisch gelegt werden. Sie haben auf der einen Seite genommen, Sie .haben auf der anderen Seite gegeben, aber Sie haben es mit Ihrer Familienpolitik nicht erreicht, daß die großen Unterschiede in den Einkommen zwischen kinderlosen Ehepaaren und Mehrkinderfamilien abgebaut worden sind. Diese Unterschiede sind in den letzten Jahren größer werden,
({6})
und sie werden mit jeder Lohnerhöhung größer.
Dies ist das Hauptproblem. Der Lebensstandard
wird in diesem Land von dem Einkommen des dopBurger
pelverdienenden kinderlosen Ehepaares bestimmt, und dabei sind die Familien mit Kindern hoffnungslos ins Abseits gestellt. Das ist das Kernproblem der Familienpolitik, das bis zum heutigen Tage ungelöst ist.
({7})
Dieser Einkommensunterschied muß abgebaut werden. Nur dann kann es mit unseren Familien und mit dem Geburtenrückgang besser werden.
Natürlich wissen wir, daß es nicht nur materielle Gründe gibt. Wir wissen das sehr genau, und wir haben nicht nur über Geld gesprochen. Wir haben deutlich gesagt, daß das Ansehen der Familien gestärkt werden muß, daß die Aufgabe der Mutter anders gesehen werden muß und daß auch die Idee der Selbstverwirklichung der Frau, die sehr einseitig auf Erwerbstätigkeit ausgerichtet worden ist, abgebaut werden muß, daß man die Bedeutung der Hausfrau und Mutter und die Selbstverwirklichung der Frau in der Mutterschaft einfach wieder stärker unterstreichen muß.
({8})
Diese positiven Gesichtspunkte müssen stärker gesehen und unterstrichen werden. Wir haben dies in der Vergangenheit getan, und im Dritten Familienbericht wird uns in fast allen Positionen recht gegeben.
({9})
Wir sagen dies nicht im Sinne der Rechthaberei, sondern im Sinne einer richtigen Weiterentwicklung von richtigen Konzeptionen für die Zukunft.
Sie haben soeben von Kindesmißhandlungen gesprochen, Frau Minister Huber. Haben Sie nicht daran gedacht, daß Gründe für diese Kindesmißhandlungen auch darin liegen könnten, daß Familien in viel zu kleinen Wohnungen leben? Wenn der Vater abends in die Enge zu kleiner Wohnungen kommt, wenn die Mutter nervös ist - vielleicht ist sie ebenfalls erwerbstätig -, dann kann es zu derartigen Mißhandlungen kommen. Aber haben Sie dafür gesorgt, daß bei der Novellierung der Wohngeldgesetzgebung Verbesserungen im Sinne der kinderreichen Familien durchgesetzt werden konnten? Wir wissen genau, daß hier keine Schwerpunkte gesetzt worden sind. Auch hier muß in Zukunft etwas getan werden.
({10})
Nun komme ich zum Mutterschaftsgeld. Frau Mi- nister Huber, mit der arbeitsrechtlichen Regelung hat man eine Bewertung vorgenommen, die gleichzeitig eine Abwertung enthält. Ein Mutterschaftsgeld nur für die erwerbstätige Mutter bedeutet eine Diskriminierung der Hausfrau und Mutter. Ich meine, Hausfrau und Mutter ist der anspruchsvollste Frauenberuf. Er kann in der Gesetzgebung nicht übergangen werden. Wir wollen nicht ein Leitbild setzen, Frau Minister Huber, wie Sie immer wieder behaupten: Heimchen am Herd. Wir wollen mit der Einführung eines Mutterschaftsgeldes, eines Familiengeldes, wie wir sagen, für alle Frauen eine echte Wahlfreiheit ermöglichen. Heute
steht sie auf dem Papier. Wir müssen sie materiell absichern, und deshalb kämpfen wir in der Zukunft für die Einführung eines Familiengeldes für alle Frauen. In diesen Anstrengungen werden wir nicht nachlassen. Sie haben mit dieser Entscheidung die. Nur-Hausfrau, wie man gelegentlich hören kann - ich lehne den Ausdruck ab - zum Aschenbrödel der Nation gemacht, und das muß wieder korrigiert werden.
({11})
Über das Problem des Geburtenrückgangs haben wir mehrfach debattiert. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben dieses Problem allzulange verniedlicht. Im Dritten Familienbericht sind die Bedeutung des Geburtenrückgangs und die wachsenden Folgen für die Zukunft unseres Volkes deutlich herausgestellt worden. Noch immer ist die Bundesregierung ohne Konzeption. Wir fordern Sie auf, auch hier Überlegungen anzustellen und Vorschläge zu machen. Es geht nicht an, daß der Bundeskanzler lediglich die Ministerien anweist, diese Entwicklung bei den Entscheidungen für die Zukunft zu berücksichtigen. Hier vor dem Parlament muß deutlich gemacht werden, was möglich, was notwendig und was erforderlich ist. Wir werden Sie dabei unterstützen.
Noch ein Letztes, Frau Minister Huber. Sie sprachen davon, daß der Haushalt Ihres Ministeriums kein Stiefkind sei. Im Vergleich zu anderen Haushalten ist die Wachstumsrate der Ausgaben außerordentlich gering und in den nächsten Jahren sind kaum Ausgabenausweitungen vorgesehen. Wenn wir den Familien helfen wollen, wenn wir die Einkommensunterschiede zwischen den kinderlosen Ehepaaren und den Familien mit Kindern abbauen wollen, dann müssen auch die Kindergelder in den nächsten Jahren deutlicher erhöht werden als Sie das in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung vorsehen.
Ein Allerletztes: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will mit ihrer Familienpolitik kein Leitbild für die Familie vorstellen. Wir stehen zu dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau in Arbeit, Beruf und Gesellschaft, so wie es das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt. Das unterstreichen wir und dazu stehen wir. Wir sind für Partnerschaft von Mann und Frau in Ehe und Familie. Eltern sollen entscheiden über die Zahl der Kinder. Eltern sollen entscheiden in der Frage der Erwerbstätigkeit der Frau und des Mannes. Eltern allein, auch nach dem Wortlaut des Grundgesetzes, sind bereit und in der Lage, diese Entscheidung zu fällen. Wir haben allein die Rahmenbedingungen zu stellen. Wir haben mit einer familienfreundlichen Politik dafür zu sorgen, daß Familien in unserem Lande leben und glücklich werden können. Dazu soll die Familienpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Beitrag leisten.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Burger, wir freuen uns natürlich, daß Sie in Zukunft nicht nur sonntags über Familienpolitik reden wollen, sondern die ganze Woche über. Was Sie hier mit dem Dritten Familienbericht getan haben - das gilt auch für den Kollegen Kohl -, entbehrt allerdings der notwendigen Logik, weil Sie selbst bei flüchtiger Lektüre festgestellt haben müßten, daß die Zahlen, die Sie hier angeführt haben, aus dem Jahre 1973 stammen. Das Jahr 1973 lag nur vier Jahre nach Beginn der sozialliberalen Koalition, die auf dem Felde der Familienpolitik leider eine ganze Menge aufzuarbeiten hatte.
({0})
Wenn der Familienbericht feststellt, daß die soziale Lage der Familien 1973 noch sehr ungünstig gewesen ist, dann haben ihre Freunde das in den 60er und 50er Jahren sicher mit zu vertreten.
({1})
Ich wollte mich aber auch mit einigen Thesen des Kollegen Kohl auseinandersetzen, der ja gemeint hat, der Familienbericht sei eine schallende Ohrfeige für die sozialliberale Koalition. Ich wundere mich darüber, daß dieser Familienbericht im Gegensatz. zu früheren von der Union als Empfehlung an die Regierung gutgeheißen wird, sich doch daran zu halten, während man den früheren Familienbericht als Stellungnahme der Regierung gedeutet hat, an den sich die Bundesregierung um Gottes willen nicht halten dürfe. Wir werden den Familienbericht hier sicher noch im einzelnen diskutieren.
({2})
Herr Kollege Kohl, wenn Sie sich auf das berufen, was darin steht, sollten Sie sich einmal die Zeit nehmen, sich von einem Ihrer Referenten vortragen zu lassen, was noch zusätzlich darin steht, z. B. die Aufforderung zu einer Anpassung der Arbeitsbedingungen von Vätern und Müttern an ihre Familienverpflichtungen, die versucht werden müßte. Ihre Initiative auf diesem Feld vermissen wir bis jetzt.
({3})
Als wir im Europawahlkampf die Forderung aufstellten, mittel- und langfristig die Arbeitszeit auf 35 Stunden zu senken, hat uns leider diese Unterstützung mit der familienpolitischen Begründung von Ihrer Seite gefehlt.
({4})
- Sie stimmt zumindest ziemlich weitgehend damit überein. Sicher ist es in erster Linie eine Aufgabe der Tarifpartner, sich darum zu bemühen. Aber eine Unterstützung in dem Ihnen nahestehenden Arbeitgeberlager für eine familienfreundlichere
Gestaltung der Arbeitszeit wäre sicher von Ihrer Seite sehr wünschenswert.
({5})
- Herr Kollege Hasinger, wir haben wirklich relativ wenig Zeit. Wir können im Ausschuß wieder miteinander ringen. Außerdem hatte der Bundeskanzler recht, Ihre Zwischenrufe sind sehr schwer zu verstehen. Ich meine weiter ein Zitat auf Seite 29 der Kurzfassung:
Die „Ausbeutung" der Menschen und vor allem der Familie durch die unkontrolliert angetriebenen Konsumansprüché dürfte ein gesellschaftliches Problem ersten Ranges werden.
Das steht so im Dritten Familienbericht. Wenn Sie diese Analyse teilen. werden wir sicher in ein sehr fruchtbares Gespräch kommen.
An anderer Stelle der Kurzfassung steht:
Die Zunahme des Beratungsbedarfs in unserer Gesellschaft - vielfach schon kritisiert und glossiert - ist die Konsequenz einer wachsenden Vielfalt von Freiheitsräumen und Handlungsalternativen, die immer weniger vom einzelnen durchschaubar sind.
Das als Feststellung. Und die Konsequenz: Wir brauchen mehr Beratungsdienste. Die Konsequenz, die Sie mittragen müßten, wäre: Wir brauchen auch ein vernünftiges neues Jugendhilfegesetz, das die Grundlage dafür bietet, daß diese Beratungsdienste ausgebaut werden.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Ausnahmsweise. Eine.
Ich schätze mich glücklich. Herr Kollege Kuhlwein, wenn Sie so ausführlich und offensichtlich zustimmend aus dem Dritten Familienbericht zitieren, würden Sie denn auch die Schlußfolgerung dieses Berichts, beispielsweise die Einführung eines Erziehungsgeldes, mittragen?
Wissen Sie, bei den Schlußfolgerungen streiten sich die Gelehrten hierin genauso wie die Spitzenfunktionäre ihrer eigenen Partei.
({0})
Ein weiterer Punkt, Herr Kollege Kohl, ist - Frau Minister Huber hat ja schon darauf hingewiesen - die Frage, ob und inwieweit die Ehe in unserer Gesellschaft an Gewicht gewinnt oder Verluste erleidet. Auch zu dieser Frage steht in der Kurzfassung des Familienberichts etwas:
Der Anteil Verheirateter ist heute sehr hoch. ' Noch nie waren relativ so viele Menschen verKuhlwein
heiratet. In den mittleren Altersgruppen leben neun Zehntel aller Männer und Frauen in einer Ehe.
Da können Sie doch nicht einfach behaupten, daß die Ehe in unserer Gesellschaft grundsätzlich durch die Politik der sozialliberalen Koalition in eine Krise gekommen sei.
({1})
- Sie haben behauptet, daß die Zahl der Eheschließungen ständig zurückgehe und die Zahl der Scheidungen wachse.
({2})
- Sicher. Aber das heißt doch, daß große Teile unserer Gesellschaft sich zur Ehe als einer Institution bekennen. Daß neun Zehntel der Bevölkerung in einer Ehe leben, heißt doch auch, daß sich noch nicht so viele haben scheiden lassen; jedenfalls nicht, daß es diese gesellschaftliche Bedeutung hat, die Sie dem hier beimessen wollen.
Die Frage, auf die sich das eigentlich reduziert, ist Ihre Linie, uns zu unterstellen, wir hätten dem Ansehen der Familie geschadet. Nun könnte man ja ins Philosophieren kommen, was eigentlich öffentliche Meinung ist, wie eigentlich Multiplikatoren Meinung beeinflussen und, wenn es so etwas wie ein familienfeindliches Klima gibt, wer das denn verursacht haben könnte. Da gibt es eine Komponente: die Frage, wer die öffentliche Diskussion macht.
Da kommt in einer pluralistischen Gesellschaft dazu, daß auch über Alternativen zur Ehe, über andere Formen des Zusammenlebens diskutiert wird. Ich halte das für voll gerechtfertigt. Ich halte es für richtig, daß das in einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft möglich ist.
({3})
- Völlig unbestritten? Gut, Herr Kollege Kohl. Dann ist das kein weiterer Diskussionspunkt.
({4})
- Ich habe Ihnen das doch nicht vorgeworfen. Aber wir kriegen doch häufig in der Diskussion unterstellt, wir wollten von der Familie, wie sie vom Grundgesetz geschützt wird, also der Partnerschaft zwischen zwei Erwachsenen mit einem oder mehreren Kindern, Abstand nehmen; unser Familienbegriff habe sich wegentwickelt zu allen möglichen Gruppierungen. Die entscheidende Frage ist doch, ob man auch in solchen anderen Formen des Zusammenlebens anerkannt zusammenleben darf oder ob man gesellschaftlich diskriminiert werden muß.
({5})
Wenn Sie sagen, man wird nicht diskriminiert, begrüße ich das sehr, und wir können zum nächsten Punkt übergehen.
Das ist die Frage der praktischen Bedingungen, unter denen Familien heute leben. Die Frage nach der Wohnumwelt - die Arbeitswelt haben wir vorhin schon angesprochen - , dazu gehört auch das Bildungssystem.
Wenn Sie recht hätten, daß wir ein so familienfeindliches Klima haben, dann kann man nicht so tun, als sei allein die Bundesregierung daran schuld und als habe die Bundesregierung das absichtlich so entwickelt. Die Bundesregierung bestimmt nicht allein die Themen und die Richtung öffentlicher Diskussionen, und die Bundesregierung bestimmt nicht oder nur marginal die Rahmenbedingungen, in denen Familien sich entfalten oder nicht entfalten können, die Wohnumwelt beispielsweise, wo ja Kommunen oder Wohnungsbaugesellschaften oder die Länder ganz massiv Einflußmöglickeiten haben, oder die Arbeitswelt.
({6})
Auch Herrn Späth soll man in diesem Zusammenhang nicht vergessen, weil die Neue Heimat sonst immer nur uns angelastet wird, ich weiß.
Angesichts des Bildungswesens beispielsweise, für das Sie in sehr vielen Bundesländern die Verantwortung tragen, muß man die Frage stellen, ob es denn human ist, in großen Klassen unterrichtet zu werden, und ob das,_ was in den Schulen passiert, nicht wieder in die Familie zurückschlägt oder ob die Eltern, die nach den Richtlinien für die Schulen fast schon zu Hilfslehrern der Nation ernannt und gemacht worden sind, nicht auch an diesen Schwierigkeiten zu knacken haben,
({7})
die die von Ihnen zu verantwortenden Schulen mit verursacht haben.
Wenn es stimmen sollte, daß wir ein familienfeindliches Klima in unserer Gesellschaft haben - ich akzeptiere dies nicht so absolut -, gäbe es eine gemeinsame Verantwortung aller gesellschaftlichen Kräfte und aller staatlicher Ebenen, dies zu verändern. Dann müßten Hausbesitzer ihre Einstellung zu Kindern ändern. Dann müßten Medienpolitiker darüber nachdenken, ob es notwendig ist, ein viertes, fünftes oder sechstes privates Fernsehprogramm zu haben. Herr Kollege Riedl, sagen Sie das einmal Ihrem verhinderten Spitzenkandidaten, dem Ministerpräsidenten Albrecht aus Niedersachsen, der aus dem NDR-Staatsvertrag einen privaten Sender Niedersachsen entwickeln möchte. Sie sollten in Ihrer Partei Klarheit darüber schaffen, ob Sie dies alles wollen oder ob Sie mit uns der Meinung sind, daß hier sehr bedenkliche Entwicklungen eintreten können, die die Ursache dafür werden können, daß Kinder nur noch am Bildschirm sitzen,
({8})
daß die Kommunikation kaputtgeht und daß die Erziehungsschwierigkeiten noch größer werden, als sie heute schon sind.
({9})
- Ein durch Werbung finanziertes Fernsehen, Herr Kollege Hasinger, wäre es bestimmt noch sehr viel weniger. Dann hätten Sie sich bei der Kindererziehung noch viel mehr als heute mit der Kaugummireklame und mit der Reklame für Süßigkeiten auseinanderzusetzen. Wir wissen aus unserem Ausschuß doch gemeinsam, wie gefährlich so etwas gesundheitspolitisch ist.
({10})
- Ich habe einige Kinder. Sie können sich darauf verlassen.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Hölscher?
Ja.
Herr Kollege Kuhlwein, ist Ihnen bekannt, daß, wie ich gehört habe, sich die Ministerpräsidenten Späth und Albrecht in den USA über das private Fernsehen informieren, und können Sie sich vorstellen, was dann auf unsere Kinder zukommt, wenn es Späth und Albrecht gelänge, ein privates Fernsehen dieser Art in Deutschland einzuführen?
Ich kann mir vorstellen, wie fürchterlich das wird. Aber vielleicht hat der Kollege Strauß, der sich ja in anderer Richtung geäußert hat, davon noch nichts gehört. Herr Riedl wird es ihm mitteilen.
({0})
- Das hat er schon.
Es ist Sache der Kommunalpolitiker, Schulhöfe zum Spielen zu öffnen. Es wäre Sache einiger Unionspolitiker, konstruktiver am Jugendhilfegesetz mitzuarbeiten.
({1})
Es wäre Sache von Unionspolitikern, in ihren Bundesländern mehr für Familienbildung und -betreuung zu tun. Mir liegt gerade eine Ausarbeitung der Landtagsabgeordneten Anke Brunn aus Nordrhein-Westfalen vor, worin festgestellt wird, daß für besondere familienpolitische Maßnahmen pro Kopf der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen 25,15 DM, in Bayern nur 20.37 DM, in Baden-Württemberg 19,01 DM und in Rheinland-Pfalz 20,87 DM aufgewendet werden. Während Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zusammen für Familienbildung, -beratungsstellen und -erholung 32 Millionen DM ausgeben, gibt Nordrhein-Westfalen in diesen drei Maßnahmenbereichen allein 102 Millionen DM aus.
({2})
Nun sorgen auch Sie dafür, daß in den Ländern, in denen Sie politisch Verantwortung tragen, ein familienfreundliches Umfeld geschaffen wird.
Auf einer Reise in diesem Sommer habe ich mich in Bayern in eine Region begeben, von der ich glaubte - weil der Spitzenkandidat der Union
({3})
und die CSU dort seit vielen Jahrzehnten regieren -, daß die Welt dort noch heil und in Ordnung sein müßte. Ich wollte einmal glückliche Kinder sehen, die von den Segnungen dieser CSU-Politik profitiert haben. Ich mußte feststellen: Es war im hinteren Oberpfälzer Wald nicht anders als bei uns. Die Kinder lungerten abends vor der Diskothek herum, saßen im Spielsalon,
({4})
tranken Bier - Jugendalkoholismus!
({5})
- Ich weiß, Herr Kollege Glos, daß Bier in Bayern Nahrungsmittel und kein Genußmittel ist. Ich weiß aber auch, daß der Kreisjugendring in Tirschenreuth - ich verstehe Ihr Vergnügen überhaupt nicht, Herr Kollege Kohl; hier geht es um ein todernstes Thema - Mühe hat, Plaketten an solche Gaststätten zu verleihen, die bereit sind, ein alkoholfreies Getränk billiger auszuschenken als Bier.
({6})
Das ist in Bayern notwendig, wo die jungen Menschen und Familien unter den Segnungen einer CSU-Regierung aufwachsen.
({7})
- Ich weiß das, Herr Kollege Hasinger. Aber Sie sollten nicht immer so tun, als ob dort, wo Sie regieren und arbeiten, die Welt heil und in Ordnung wäre und als hätten alle Problene nur Sozialliberale bereitet. Das ist der entscheidende Punkt.
({8})
- Herr Kollege Riedl, ich habe mich versprochen. Es war der hintere Oberpfälzer Wald. Es war, genau gesagt, Bärnau im Kreis Tirschenreuth. Ich habe diese Region zu Fuß durchwandert, was ich auch Ihnen sehr empfehlen würde. Die Leute dort sind nett, und die Landschaft ist schön.
Ein Punkt, der hier nicht vergessen werden sollte, auch wenn er heute schon mehrfach angesproKuhlwein
chen wurde, ist die Finanzierung des Sozialstaats. Sie fordern Steuersenkungen - heute mehrfach gesagt -, Sie fordern gleichzeitig Schuldenabbau - heute mehrfach gesagt -, und Sie fordern mit erster Priorität, wie vom Kollegen Kohl gesagt, Mehrausgaben für die Familie. Herr Kollege Burger hat es noch einmal bestätigt: Der Antrag auf Einführung eines Familiengeldes, im Sommer abgeschmettert, soll wieder aufgenommen werden.
Ich halte das für unlogisch und für eine Spekulation auf die Unwissenheit des -Wählers. Wir werden mit großem Interesse bewundern, wie Sie denkenden Menschen klarmachen wollen, daß auf der einen Seite die Grenzen des Sozialstaats erreicht sind und deshalb die Staatsausgaben gedrosselt werden müssen, wie der Kollege Strauß das ja allerorten immer wiederholt, und daß auf der anderen Seite gleichzeitig zugunsten der Familie eine Umverteilung vorgenommen werden soll.
Vielleicht handelt es sich um eine Doppelstrategie zwischen Franz Josef Strauß und den Sozialausschüssen: Die einen sollen die Versprechungen machen, und der andere sorgt als starker Mann dafür, daß die Finanzen wieder in Ordnung kommen.
({9})
So hat man dann für jede Gruppe etwas und braucht den Wählern auch gar nicht mehr zu sagen, wo in einem solchen Konzept noch logische Konsistenz ist.
Man muß in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Riedl, aber auch die qualitative Frage stellen. Herr Kollege Burger, jetzt spreche ich Sie an; ich bitte darum, daß Sie, wenn ich auf Ihren Beitrag antworte, nicht nur lachen, als ob den Familien bei uns überall zum Lachen wäre, sondern daß Sie dann auch noch einmal versuchen, sich mit meinen Argumenten auseinanderzusetzen.
({10})
Wenn Ihre Aussage richtig ist, daß Familien mit mehreren Kindern, wenn die Eltern nicht so sehr viel verdienen, heute in die Gegend des Sozialhilfeniveaus kommen, dann kann man das doch nicht dadurch reparieren, daß man wieder Steuerfreibeträge einführt, die gerade diesen Familien, denen es schlecht geht, relativ wenig geben, aber den Familien, die genug haben, noch einen drauflegen.
({11})
Da kann ich die Sozialpolitiker in der Union und insbesondere die aus den Sozialausschüssen überhaupt nicht verstehen, wie sie diesen Turn von Ministerpräsident Späth und anderen führenden Unionspolitikern mitmachen können. Was dort an Steuerermäßigungen vorgeschlagen wird, geht genau in die Richtung einer weiteren Zementierung einer ungleichen Einkommensverteilung und hilft den schwachen Familien, an denen Sie ja immer die „neue soziale Frage" durchdeklinieren, überhaupt nicht.
({12})
Deswegen ist unsere Konzeption, darüber nachzudenken, ob man, wenn man beim Kindergeld zukünftig etwas tut, nicht ins Auge fassen muß, in erster Linie - viel steht an Finanzmasse sowieso nicht zur Verfügung denen etwas zu geben, die das wirklich brauchen, um ihren Kindern dieselben Entwicklungschancen zu geben, wie sie Kinder in anderen Familien haben.
({13})
Einige letzte Sätze zur Frage der Bevölkerungspolitik. Es wird bei Ihnen gern verschwiegen, daß wir einen Geburtenrückgang in der ganzen Welt, mindestens in den entwickelten Industrieländern, haben. Keiner kann definitiv sagen, warum das so ist. Keiner kann richtig sagen, wie man das ändern könnte. Ich glaube, wir müssen auch feststellen, daß wir nicht wissen, ob wir das ändern sollen. Schließlich gibt es kein Dogma, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik bei 60 Millionen liegen muß. Wenn man die Bevölkerungsentwicklung in den Entwicklungsländern untersucht, kann man sich durchaus vorstellen, daß es nicht sehr gerecht ist, wenn hochentwickelte Industrieländer mit ihrer Bevölkerung noch mehr von den knappen Ressourcen verbrauchen, die auf der Erde vorhanden sind, und damit noch mehr die Preise für diese knappen Ressourcen in die Höhe treiben. Es ist die Frage, ob es nicht besser wäre, das Ziel des Wachstums der Bevölkerung nicht so in den Vordergrund zu stellen, wie einige von Ihnen das gern täten.
Es ist für mich auch kein Argument, daß man sagt, im Jahre 2030 könnte der Generationenvertrag nicht mehr erfüllt werden, deswegen müßten die Eltern heute Kinder zeugen.
({14})
Es ist für mich auch kein Argument, wenn gesagt wird, ab 1985 könnte die Bundeswehr Nachwuchsschwierigkeiten bekommen, deswegen müßten die Eltern heute ran. Es ist für mich auch kein Argument - das wird zwar nicht von Ihnen hier gebraucht, aber das hört man draußen häufig -, daß die Konsumgüterindustrie in Schwierigkeiten kommt - bei der Spielzeugindustrie fängt das naturgemäß an -, deswegen sollten die Eltern doch mehr Kinder kriegen, damit diese Schwierigkeiten langfristig ausgeräumt werden.
Alles das sind für uns sicherlich keine Argumente - ich hoffe, für Sie auch nicht -, um Eltern dazu zu veranlassen, mehr Kinder zu kriegen. Für uns ist Familienpolitik keine Funktion der Bevölkerungspolitik. Ich habe das schon einmal in diesem Hause gesagt. Das heißt ganz konkret: Familienpolitik kann nicht erst dann einsetzen, wenn irgend jemand glaubt, wir müßten mehr Kinder haben, sondern Familienpolitik muß in erster Linie daran ausgerichtet sein, für die Kinder, die heute leben, bessere Lebensbedingungen zu schaffen.
({15})
Ich glaube, bei der Bevölkerungspolitik hat jede Politik ihre Grenzen. Ich finde das gut so. Wenn dann jemand kommt und sagt: Da kommen große Strukturveränderungen auf uns zu, Klassen werden kleiner, was wir zunächst begrüßen, dann werden
Lehrerplanstellen wegrationalisiert, weil man sie nicht mehr braucht - da wird es wieder schwieriger -, die Schulhäuser und die Kindergarten werden nicht mehr genutzt, und vielleicht werden sogar die Autobahnen etwas leerer als heute, dann muß man sich sicherlich mit diesen Problemen auseinandersetzen. Aber unsere Gesellschaft hat es in 20, 30 Jahren geschafft, mit Bevölkerungswachstum und den notwendigen Strukturveränderungen fertigzuwerden. Ich glaube auch, daß unsere Gesellschaft in der Lage ist, damit fertigzuwerden, wenn sich die Bevölkerungspyramide verschiebt und wenn die Gesamtzahl der Bevölkerung kleiner wird. Ich habe soviel Optimismus gegenüber unserer Gesellschaft und den Glauben an die Möglichkeiten einer freiheitlich geordneten Gesellschaft, mit solchen Problemen fertigzuwerden.
Wie gesagt, für uns stellt sich das Problem nicht in erster Linie als Problem der Deutschen als eines sterbenden Volkes, sondern als die Frage danach, was wir jetzt für die heute lebenden Kinder zu tun bereit sind, im Bund, in den Ländern, in den Gemeinden, dort, wo die Tarifparteien verantwortlich sind und dort, wo andere Verbände und Organisationen verantwortlich sind. Da arbeiten wir gerne mit Ihnen zusammen. Aber erwarten Sie von uns nicht, daß wir Sachen wie Steuersenkungen mitmachen, wo das, was an knappen Mitteln verfügbar ist, noch so verteilt wird, daß die Reichen noch reicher werden und die, die es eigentlich bräuchten, nichts bekommen.
({16})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen für heute liegen nicht mehr vor. Ich unterbreche die Beratung zu den Tagesordnungspunkten 1 und 2. Sie wird morgen fortgesetzt.
Ich bitte jedoch das Haus, noch damit einverstanden zu sein, daß wir die übrigen Tagesordnungspunkte jetzt noch abwickeln. Es dürfte sich nur um wenige Minuten handeln.
Wenn Sie damit einverstanden sind, rufe ich die Punkte 4 und 5 der Tagesordnung auf:
4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 23 02 Tit. 896 05 Leistung einer einmaligen finanziellen Sondermaßnahme im Rahmen der Konferenz für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit ({1})
- Drucksachen 8/2883, 8/3033 Berichterstatter: Abgeordnete Esters, Gärtner
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 60 04 Tit. 671 02 Erstattung von Kredit- und Verwaltungskosten und Ausfällen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Zusammenhang mit der Bildung eines Fonds für Direktinvestitionen und dem Erwerb von Auslandsforderungen auf Grund des deutsch-amerikanischen Devisenausgleichabkommens vom 8./19. August 1969
- Drucksachen 8/2935, 8/3034 - Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir über beide Punkte gleichzeitig abstimmen? - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Wer dem Vorschlag des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 8/3033 und 8/3034, nämlich von der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Kenntnis zu nehmen, folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
6. Beratung des Antrags des Bundesministers für Wirtschaft
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes"
Wirtschaftsjahr 1978 - - Drucksache 8/3060 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({3})
Ausschuß für Wirtschaft
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Haushaltsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend - vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 7 bis 13 der Tagesordnung auf:
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika
- Drucksache 8/3107 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung
- Drucksache 8/3138
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Vizepräsident Frau Funcke
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Tabaksteuergesetzes ({4})
- Drucksache 8/3114 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({5})
Ausschuß für Wirtschaft
10. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung ({6}) ({7})
- Drucksache 8/3142
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung
- Drucksache 8/3077 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({8}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. November 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika über den Luftverkehr
- Drucksache 8/3058 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 3. September 1976 über die Internationale Seefunk SatellitenOrganisation ({9})
- Drucksache 8/3057 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Wird zu einem dieser Tagesordnungspunkte das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Sie ersehen die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats aus der Tagesordnung. Dabei bitte ich eine Änderung zu beachten. Es ist interfraktionell
vereinbart worden, daß bei Tagesordnungspunkt 11 die Überweisung des Gesetzentwurfes an den Rechtsausschuß zur Mitberatung entfallen soll. Sind Sie im übrigen mit den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrats einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates über eine Beteiligung der Gemeinschaft an Maßnahmen zur Umstrukturierung und Umstellung der Industrie
Vorschlag eines Beschlusses des Rates über eine Beteiligung der Gemeinschaft an Umstrukturierungs- oder Umstellungsinvestitionen der Schiffbauindustrie
Vorschlag eines Beschlusses des Rates über eine Beteiligung der Gemeinschaft an Umstrukturierungs- oder Umstellungsmaßnahmen der Textilindustrie, insbesondere der Kunstfaserindustrie
- Drucksachen 8/2465, 8/2687, 8/3145 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch sonst nicht gewünscht.
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf der Drucksache 8/3145 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe das Haus zur nächsten Sitzung auf morgen, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.