Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag ist heute aus einem besonderen Anlaß zu dieser Plenarsitzung zusammengetreten. Wir gedenken der konstituierenden Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vor 30 Jahren.
Ich begrüße den Herrn Bundespräsidenten sehr herzlich.
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Ich möchte Ihnen, verehrter Herr Bundespräsident, meinen Dank dafür aussprechen, daß Sie aus Anlaß des heutigen Tages in den Deutschen Bundestag gekommen sind, dem Sie als Abgeordneter angehört haben und dessen Präsident Sie bis vor kurzem gewesen sind.
Ich möchte alle ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages herzlich willkommen heißen.
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Mein besonderer Gruß gilt Herrn Altbundespräsidenten Walter Scheel, der dem Deutschen Bundestag als langjähriger Abgeordneter und Vizepräsident besonders eng verbunden ist.
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Ebenso herzlich begrüße ich den langjährigen Präsidenten des Hauses, Herrn Professor Eugen Gerstenmaier, sowie die ehemaligen Vizepräsidenten Professor Carlo Schmid, Dr. Karl Mommer und Victor-Emanuel Preusker.
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Ich freue mich, daß Sie und so viele ehemalige Kolleginnen und Kollegen unserer Einladung gefolgt und an die Stätte Ihres parlamentarischen Wirkens zurückgekehrt sind.
Mein Gruß gilt den Gästen aus dem In- und Ausland sowie unseren Mitbürgern in ganz Deutschland, die diese Plenarsitzung am Fernsehen und im Rundfunk mit verfolgen können.
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Vor 30 Jahren, am 7. September 1949, trat der 1. Deutsche Bundestag zu seiner 1. Sitzung zusammen. Es gab der Stunde des parlamentarischen Neubeginns eine besondere Würde und Symbolkraft, daß gerade Paul Löbe, der langjährige und außerordentlich verdiente Reichstagspräsident der Weimarer Republik, der so hervorragend an die parlamentarisch-demokratische Tradition Deutschlands anzuknüpfen vermochte und zudem zu den Vertretern Berlins, der alten Reichshauptstadt, gehörte, als ältestes Mitglied des Hauses die erste Bundestagssitzung eröffnen konnte.
„Was erhofft sich das deutsche Volk von der Arbeit des Bundestages?", fragte Paul Löbe seinerzeit. Er gab darauf die folgende Antwort:
Daß wir eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben aufrichten, unser Vaterland einer neuen Blüte und neuem Wohlstand entgegenführen. Schier unüberwindlich scheinen die Hindernisse, die auf diesem Wege liegen, und ungezählte Scharen unserer Landsleute sind es, die von unserer Arbeit eine Minderung ihrer Sorgen erwarten. Es stehen vor unserer Tür die Millionen der Heimatvertriebenen von jenseits der Oder-Neiße-Grenze, die Verstümmelten und Verwaisten des Krieges, die ja auch ein Opfer des. Nazismus sind, jene, die in den Bombenangriffen Hab und Gut verloren, die anderen Opfer des Naziregimes und der mehrfachen Währungsmaßnahmen. Welch mühevolle, beharrliche, wohlüberlegte und welch gutwillige Zusammenarbeit wird notwendig sein, um auch nur der geringsten dieser Aufgaben Herr zu werden!
Löbe sprach auch von den Hoffnungen jener, wie er sagte, „Millionen deutscher Landsleute, die in den deutschen Ostgebieten wohnen und deren Vertretern Besatzungsmacht oder fremde Verwaltung gewaltsam verwehrt, mit in diesem Saale zu sitzen und mit uns zu beraten", und er fuhr fort:
Indem wir die Wiedergewinnung der deutschen Einheit als erste unserer Aufgaben vor uns sehen, versichern wir gleichzeitig, daß dieses Deutschland ein aufrichtiges, von gutem Willen erfülltes Glied eines geeinten Europas sein will.
Diese Worte gaben wieder, was uns alle damals bewegte. Not und Sorge auf der einen Seite, Zuver13402
Präsident Stücklen
sicht und Entschlossenheit zur Bewältigung der Aufgabenlast auf der anderen hielten sich die Waage.
Mit der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 war uns eine neue Verfassungsordnung gegeben.
Jetzt galt es, diese neue Ordnung zu praktizieren und ihr durch eine Bewältigung der Folgen von Diktatur, Krieg und totaler Niederlage Ansehen und dauerhafte Anerkennung zu verschaffen.
Die parlamentarische Demokratie hatte in Deutschland schon einmal vor einem Anfang gestanden. Daran werden wir gerade in diesen Wochen erinnert.
Ich denke an die Situation vor sechzig Jahren, als die Weimarer Verfassung am 11. August 1919 unterzeichnet und in Kraft getreten war. Not und Elend waren auch damals im Übermaß vorhanden. Staat und Gesellschaft befanden sich in einer sehr kritischen Lage. Zur Hungersnot infolge der alliierten Blockade, zum Elend der Arbeitslosigkeit, zu den überaus harten Bedingungen des soeben abgeschlossenen Friedensvertrages, der nicht zu Unrecht ein Diktat genannt wurde, kamen im Innern die sich verschärfenden weltanschaulich-politischen und sozialen Gegensätze, die Deutschland wiederholt an den Rand eines Bürgerkrieges brachten.
Die Weimarer Verfassung ist als eine besonders freiheitliche und demokratische gefeiert worden. Der damalige Reichsminister des Innern, Eduard David, begrüßte sie nach der Schlußabstimmung mit den Worten:
Nirgends in der Welt ist die Demokratie konsequenter durchgeführt als in der neuen deutschen Verfassung ... Die deutsche Republik ist fortan die demokratischste Demokratie der Welt.
Aber hätte nicht eher gefragt werden sollen, ob diesem hohen Ideal auch die sozialen Gegebenheiten sowie die im Volk verbreiteten politischen Anschauungen und Überzeugungen entsprachen? Standen nicht beträchtliche Teile des deutschen Volkes der neuen Republik und ihrer parlamentarisch-demokratischen Verfassung abwartend, gleichgültig oder sogar ablehnend und feindlich gegenüber? Die Einführung der ersten demokratischen Verfassung in Deutschland ist schließlich nicht wie in anderen Ländern mit einem nationalen Aufstieg einhergegangen, sondern das Produkt eines verlorenen Krieges gewesen.
Zudem hatte die Verfassung von Weimar entscheidende Konstruktionsfehler, die es mit sich brachten, daß die Republik immer mehr an Ansehen verlieren mußte. So führte das reine Verhältniswahlrecht, das ohne jede Sperrklausel war, zu einer verhängnisvollen Zersplitterung. Die Instabilität des parlamentarischen Systems war fest programmiert.
Der am schwersten wiegende Fehler war aber, daß dem Recht des Reichstages, die Regierung zu stürzen, keine Verpflichtung des Reichstages zur
Bildung, Gewährleistung und Unterstützung einer Regierung gegenüberstand. So fehlte in dem ohnehin zersplitterten Parlament der Zwang zum Kompromiß, der Zwang, sich mehrheitlich auf eine Regierung zu einigen. So fanden sich immer wieder Mehrheiten zusammen, die sich zwar einig waren, den Reichskanzler in die Wüste zu schicken, jedoch nicht in der Lage waren, sich auf einen neuen Regierungschef zu einigen. Minderheitsregierungen auf steten Abruf, die immer Schwächezeichen der parlamentarischen Demokratie sind, waren keine Ausnahme.
Wir wissen heute, wie folgenschwer der Zusammenbruch der letzten demokratischen Mehrheit im Reichstag war. Mit ihm hob das verfassungsmäßig vorgesehene Notverordnungsregiment des Reichspräsidenten an. Es war, wie wir uns heute eingestehen müssen, unvermeidlich geworden wegen der Schwäche des Parlaments, seiner Flucht und Furcht vor unpopulären Beschlüssen. In schwerer Stunde, als es gegolten hätte, die Schotten des Staatsschiffes dichtzumachen gegen die Sturmflut der Feinde der Demokratie, entbehrte die demokratische Mehrheit im Reichstag der notwendigen Entschlußkraft und bewirkte so das spätere Verhängnis. So muß man heute feststellen, daß die Weimarer Verfassung, der gewiß hohe Ideale zugrunde lagen, sich am Ende als destruktiv erwies.
Diese Erkenntnis stand auch bei dem Neuanfang vor 30 Jahren Pate. Es war das erklärte Ziel aller, die unseren Staat geformt und gestaltet haben, aus der geschichtlichen Erfahrung Konsequenzen zu ziehen. So waren auch die Verfassungsväter, die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, von dem Willen bestimmt, die Fehler und Schwächen der Weimarer Verfassung zu vermeiden und eine freiheitliche und zugleich widerstandsfähige parlamentarische Demokratie zu errichten.
Wenn wir heute auf die 30jährige Entwicklung unseres parlamentarischen Systems zurückblicken, können wir mit Dankbarkeit feststellen, daß die Verfassungsväter dieses Vorhaben auch in die Tat umgesetzt haben. Deshalb möchte ich den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates - einige können hier an unserer Veranstaltung teilnehmen, andere verfolgen sie zu Hause über Fernsehen und Rundfunk - einen herzlichen Dank für diese staatspolitische Arbeit sagen.
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Im Unterschied zur Weimarer Verfassung hat das Grundgesetz eine ausgesprochen konstruktive Wirkung entfaltet. Es hat die Volksvertretung, den Deutschen Bundestag, zum zentralen Entscheidungsorgan bestimmt, an dessen Stelle weder das Staatsoberhaupt noch eine Volksabstimmung treten kann.
Die vom Bundestag vorzunehmende Wahl des Bundeskanzlers gibt unserem Parlament einen entscheidenden Einfluß auf die Bildung der Regierung. Den in Weimar üblichen Kanzlersturz ins Leere gibt es nicht mehr. Ein Kanzler kann nur dadurch gestürzt werden, daß der Bundestag einen neuen Kanzler wählt. Durch dieses sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum wird zum Ausdruck gebracht,
Präsident Stücklen
daß das Parlament für die Existenz einer Regierung verantwortlich ist. Es soll unseren Staat vor langfristigen Regierungskrisen schützen. Es stärkt die Position der Regierung, ohne deren Abhängigkeit vom Parlament aufzuheben und ohne die Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung zu schmälern. So kommt es, daß bei uns weder die Regierungen zum Spielball schwankender Mehrheiten geworden sind noch die Mehrheiten im Bundestag sich als bloße Organe der Zustimmung zu den von der Regierung gefaßten Beschlüssen empfunden haben.
Gewiß, wir haben Kanzlerwahlen mit knappen Mehrheiten erlebt. Auch hat es zweimal, 1966 und 1974, während laufender Legislaturperioden einen unvorhergesehenen Wechsel im Amt des Bundeskanzlers gegeben. Wir haben darüber hinaus einmal, 1972, über mehrere Monate hinweg einen zahlenmäßigen Gleichstand zwischen den Koalitionsfraktionen auf der einen und der Oppositionsfraktion auf der anderen Seite gehabt, einen Gleichstand, der zum einzigen Versuch führte, über das konstruktive Mißtrauensvotum einen neuen Kanzler zu wählen, und der schließlich durch die bisher einzige vorzeitige Parlamentsauflösung wieder beseitigt wurde. Doch waren dies alles nur Ausnahmefälle, während, aufs Ganze gesehen, die Beständigkeit die Regel war.
Einer der Gründe für diese Beständigkeit liegt in der Herausbildung eines Parteiensystems mit wenigen, zur Bildung von Mehrheiten und stabilen Koalitionen fähigen und bereiten Parteien. Diese Parteienentwicklung war nicht von vornherein absehbar. Immerhin saßen im ersten Deutschen Bundes- tag noch neun Fraktionen. Einer möglichen Entwicklung in Richtung auf Weimarer Verhältnisse wurde aber durch die sehr bald eingeführte FünfProzent-Klausel Einhalt geboten. Sie verhinderte, daß Splittergruppen eine Chance bekamen, und legte den Wählern nahe, sich auf wenige große Parteien zu konzentrieren.
Doch spielen bei der Parteienentwicklung sicher auch soziale Faktoren eine Rolle. Die Entwicklung ging Hand in Hand mit dem weiteren Abbau sozialer, landsmannschaftlicher und konfessioneller Gegensätze, um den sich nun alle Parteien bemühten. Daß alle vier heute im Bundestag vertretenen Parteien Anhänger und Wähler in allen Schichten der Bevölkerung finden, ist ein sicherer Beweis dafür, daß bei uns die sozialen Schranken geschwunden sind, daß es bei uns keine Klassengesellschaft mehr gibt und daß das Streben nach sozialer Gerechtigkeit ein in unserer Gesellschaft allgemein anerkannter Grundwert ist, eine politische und moralische Selbstverständlichkeit.
Erinnern wir uns der Rolle, die der Bundestag in all den zurückliegenden Jahren gespielt hat. Die Anfangsjahre unseres Parlaments waren erfüllt vom zähen Ringen um die Wiedererlangung der Souveränität und die Eingliederung der Bundesrepublik als gleichberechtigter und gleichgeachteter Partner in eine friedliche Gemeinschaft freier Völker, von leidenschaftlichen Auseinandersetzungen über die Frage, welchen Weg im Grundsätzlichen unsere junge Demokratie zu gehen habe, und von
einer umfangreichen Gesetzgebungsarbeit, die darauf abzielte, die Hinterlassenschaft des Krieges und der nationalsozialistischen Zeit zu überwinden sowie die Grundlagen für eine menschenwürdige Zukunft zu schaffen.
Soziale Marktwirtschaft ja oder nein das war
die Kernfrage auf dem Gebiet der Innenpolitik. Westbindung, europäische Integration und Verteidigungsbeitrag umrissen die außenpolitische Grundfrage, der man sich zu stellen hatte. Sie hing eng mit dem Problem der erstrebten Souveränität und Gleichberechtigung zusammen und warf immer wieder die zu heftigen Kontroversen führende Frage auf, ob die Westpolitik der seinerzeitigen Bundesregierung den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands öffne oder versperre. Unvergessen sind die kämpferischen und dabei argumentativ so hochrangigen Debatten dieser Tage. Unvergessen ist auch die Härte, in der die beiden Großen der ersten Stunde, Adenauer und Schumacher, zueinander in Konfrontation standen. Beide - wie die politischen Kräfte, die sie repräsentierten - waren erfüllt vom Ernst schicksalsschwerer Entscheidung.
Die Weichenstellungen, die damals erfolgten, sind für uns auch heute noch von entscheidender Bedeutung. Die Soziale Marktwirtschaft hat die deutsche Wirtschaft zu neuer Blüte geführt. Sie hat damit unverzichtbare Grundlagen dafür geschaffen, daß aus dem Sozialgesetzgebungswerk der ersten Zeit durch immer weiteren Ausbau das dicht geflochtene soziale Netz werden konnte, dessen wir uns heute rühmen dürfen. Die ersten Stationen der erfolgreichen Sozialgesetzgebung dieses Hauses sind hinsichtlich der Überwindung der Folgen von Krieg und Niederlage die Kriegsopferversorgung, der Lastenausgleich und der soziale Wohnungsbau, hinsichtlich des Aufbaus einer neuen Sozialordnung das Mitbestimmungsgesetz im Montanbereich, das Betriebsverfassungsgesetz in seiner ersten Fassung sowie das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung.
Die gesetzgeberischen Leistungen von damals, mit denen zum Teil völliges Neuland betreten wurde, waren um so bemerkenswerter, als die allermeisten Abgeordneten die parlamentarische Praxis erst lernen und die Hilfsmittel und Dienste, die den Abgeordneten heute zur Verfügung stehen, erst aufgebaut werden mußten. Insbesondere das Gesetz über den Lastenausgleich findet in Geschichte und Gegenwart keine Parallele. Es hat die Grundlage für die Eingliederung der aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen. in die Bundesrepublik geschaffen. Was es bedeutet, diese Eingliederung zu bewirken, kann ermessen, wer sich klarmacht, daß nach dem Krieg ein Viertel unserer Bevölkerung aus heimatlos gewordenen Deutschen bestand und daß ein Fünftel aller Wohnungen zerstört war, in Großstädten oft sogar die Hälfte und mehr.
Einen weiteren sozialpolitischen Markstein setzte dieses Haus mit der Einführung der dynamischen Rente, d. h. mit einer Reform der Arbeiterrenten-und Angestelltenversicherung, der das revolutionäre Prinzip der Anpassung der Renten an die Lohn13404 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode -.
Präsident Stücklen
und Gehaltsentwicklung und an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung zugrunde lag.
Außenpolitisch brachten die ersten vier Jahre Bundestag die Gründung der Montanunion, das Abkommen mit Israel über Wiedergutmachungsleistungen, den Abschluß des Londoner Schuldenabkommens und den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat.
In der weiteren Entwicklung fand das jahrelange Ringen um Souveränität, Westbindung und Verteidigungsbeitrag seinen Abschluß. Wir erlebten den Abschluß und die Ratifizierung des Deutschland-Vertrages und der Pariser Verträge. Sie lösten das Besatzungsstatut ab und brachten der Bundesrepublik Deutschland am 5. Mai 1955 die Souveränität sowie die Mitgliedschaft in der NATO und der Westeuropäischen Union.
Von besonderer politischer Bedeutung war, daß sich die drei ehemaligen westlichen Kriegsgegner im Deutschland-Vertrag völkerrechtlich verbindlich verpflichteten, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit als eigenes politisches Ziel zu verfolgen.
Mit dem Abschluß der Römischen. Verträge zur Gründung der EWG und der EURATOM wurde der Grundstein für die wirtschaftliche und für die auf weitere Sicht geplante politische Vereinigung Europas gelegt.
An der Spitze einer Delegation, zu der neben Vertretern der CDU/CSU-Fraktion auch ein führendes Mitglied der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages, Herr Professor Carlo Schmid, gehörte, reiste Bundeskanzler Adenauer schließlich nach Moskau, um sich auf der Grundlage einer gesicherten Westbindung um eine Verbesserung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses zu bemühen. Das Ergebnis dieses ersten ostpolitischen Schrittes der Bundesrepublik waren die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion sowie die sowjetische Zusicherung der Rückführung .der deutschen Kriegsgefangenen.
Die der Aufbauzeit folgende Phase brachte zwar eine Verlangsamung des europäischen Integrationsprozesses, zeitigte jedoch mit dem deutschfranzösischen Freundschaftsvertrag ein Ereignis, durch das die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich ihren krönenden Abschluß fand.
Schon geraume Zeit vorher hatten verschärfte außenpolitische Spannungen begonnen, Europa zu überschatten. Es gab die ultimative Forderung der Sowjetunion nach Errichtung einer freien Stadt West-Berlin. Am 13. August 1961 schließlich fing man an den Grenzen des sowjetischen Sektors von Berlin damit an, die Mauer - dieses absurdeste Bauwerk, das sich Menschen je haben einfallen lassen - zu errichten, an der auch heute noch getötet wird. Die hierfür Verantwortlichen lieferten damit das blamable Eingeständnis, daß weder das kommunistische System in Deutschland noch die von der SED vertretene Teilungsideologie eine demokratische Legitimation besitzen. Im Westen gab der Mauerbau einen ersten Anstoß, die Grundlagen der bisher verfolgten Ostpolitik zu überdenken.
1966 forderten wirtschaftliche Rezession und die Sorge um den Ausgleich der öffentlichen Haushalte ein durchgreifendes und entschlossenes Handeln. Diese Notwendigkeit sowie die Tatsache, daß die Differenzen in der seinerzeitigen Koalition zwischen CDU/CSU und FDP nicht behebbar erschienen, führten dazu, daß sich die beiden großen Fraktionen zusammenschlossen mit dem Ziel, die schwere Aufgabe zu lösen, das Wachstum der Wirtschaft mit der Stabilität der Währung, der Vollbeschäftigung und der Ausgeglichenheit der öffentlichen Haushalte zu verbinden.
Das Jahr 1969 brachte die Koalition zwischen SPD und FDP. Wie in den 50er Jahren die Wiederbewaffnungs- und Bündnispolitik Adenauers von der Mehrheit als notwendige Voraussetzung für Freiheit und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland leidenschaftlich befürwortet, von der Opposition dagegen als ein unüberwindbares Hindernis für die Wiedervereinigung Deutschlands angesehen und bekämpft wurde, so standen sich auch in der ersten Hälfte der .70er Jahre Koalition und Opposition in einer vergleichbaren außenpolitischen Entscheidungssituation gegenüber - wenn auch mit vertauschten Rollen.
Es ging um die Verträge von Moskau und Warschau, um das Viermächteabkommen über Berlin und um innerdeutsche Abmachungen, die auf der Basis des Viermächteabkommens geschlossen werden konnten, im weiteren dann um den innerdeutschen Grundlagenvertrag, den deutschen UNO-Beitritt und den Abschluß der KSZE. Dabei wurde um Fragen gerungen, die den Status Deutschlands insgesamt, seiner Ostgebiete und Berlins betrafen, ferner um menschliche Erleichterungen, insbesondere auf den Gebieten der Familienzusammenführung und der Verbesserung des Reiseverkehrs. Gewaltverzicht und das Bemühen um die Menschenrechte sind weitere wichtige Stichworte aus dieser Politik.
Wie immer man die seit 1969 verfolgte Ostpolitik bewerten muß, über zwei Dinge sollte in diesem Hause Einvernehmen bestehen: erstens, daß Verträge eingehalten werden müssen, zweitens, daß die Ostverträge so zu interpretieren sind, wie es die vom Deutschen Bundestag einmütig verabschiedete gemeinsame Entschließung vom 17. Mai 1972 festlegt.
Einigkeit sollte ferner herrschen - aber das gilt für alle parlamentarischen Auseinandersetzungen über die Schicksalsfragen unserer Zeit -, daß jedem der Beteiligten zugute zu halten ist, für sein Volk und für sein Land, für Frieden, Freiheit und Einheit nur das Beste gewollt zu haben.
In den letzten Jahren haben nachteilige Entwicklungen der Weltwirtschaft im Zusammenhang mit den Ölkrisen das Parlament in Anspruch genommen.
Zugleich galt es, sich der Bekämpfung des Terrorismus zu widmen, der immer bedrohlichere Formen angenommen hatte und so zu einer ernsten Herausforderung von Staat und Gesellschaft geworden war. Dabei ging es nicht zuletzt darum, gePräsident Stücklen
setzliche Grundlagen zu schaffen, die die Sicherheit der Bürger gewährleisten, ohne aber deren Freiheit in unzumutbarem Maße einzuschränken. Insgesamt kann man sagen, daß unser Staat und unsere Gesellschaft diese Bewährungsprobe bestanden haben. Unsere Demokratie ist in der Lage, mit ihren Feinden fertig zu werden. Im Gegensatz zu der von Weimar hat sie sich als wehrhaft erwiesen.
Es ist ein Beweis für die Vitalität unserer Ordnung, daß sich der Bundestag weder durch den Terrorismus noch durch krisenhafte Entwicklungen auf dem Gebiete der Wirtschaft davon abhalten zu lassen brauchte, die soziale Ausgestaltung weiter fortzusetzen. Ich denke dabei vor allem an das 1976 nach langem Ringen verabschiedete Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf der Unternehmensebene, das gewiß mit Recht als ein beachtliches gesellschaftliches Ereignis gewertet worden ist.
Der Deutsche Bundestag hat, wie die von mir skizzierten 30 Jahre zeigen, eine beachtliche Arbeit geleistet. Seine Beschlüsse werden zwar zum Teil umstritten bleiben, und zwar gerade in Fragen, die parlamentarisch hart umkämpft waren, jedoch haben die 'im großen und ganzen faire Art der Auseinandersetzungen, immer wieder demonstrierter Grundkonsens und die dadurch nie verlorengegangene Fähigkeit, einerseits Mehrheitsentscheidungen hinzunehmen und andererseits auch Kompromisse zu finden, ganz wesentlich dazu beigetragen, daß Parlamentarismus und rechsstaatliche Demokratie heute in unserem Volke fest verwurzelt sind, daß wir heute in einer Ordnung leben dürfen, die ein Höchstmaß an Freiheit mit wirtschaftlichen und sozialpolitischen Erfolgen verbindet, wie es nicht nur für unsere Geschichte einmalig ist.
Der Bundestag kann sich mit seiner Bilanz sehen lassen. Sie kann mit Recht und mit einem gewissen Stolz als Erfolgsbilanz bezeichnet werden. Für diese parlamentarisch geleistete Arbeit möchte ich auch den ehemaligen Mitgliedern des Deutschen Bundestages meinen aufrichtigen und herzlichen Dank sagen.
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Dennoch wird der Bundestag zuweilen heftig kritisiert. Das größte und am häufigsten genannte Ärgernis draußen im Lande sind die oftmals leeren Bänke in diesem Saal. Der Bürger, der auf dem Bildschirm oder von der Zuschauertribüne aus klaffende Lücken im Plenum sieht, fragt sich und uns, was die Abgeordneten eigentlich tun.
Daß häufig Plenarsitzungen des Europarats, des Europäischen Parlaments oder der Westeuropäischen Versammlung oder andere wichtige Veranstaltungen auf internationaler Ebene mit den Sitzungen des Bundestages zusammenfallen, bleibt dem Außenstehenden ebenso verborgen wie die Tatsache, daß Ausschußsitzungen in dringenden Fällen zeitgleich mit Plenarsitzungen abgehalten werden müssen. Der Haushaltsausschuß hat, um seine jeweiligen Beratungen rechtzeitig abzuschließen, immer die Möglichkeit, während des Plenums zu tagen.
Ein weiteres: An den Plenarsitzungstagen hat der Bundestag eine große Anzahl von Besuchern, die stundenweise an den Sitzungen teilnehmen. Vor oder nach ihrer Teilnahme an den Sitzungen wollen sie verständlicherweise mit Abgeordneten diskutieren. Eine Diskussionsverweigerung würden die Besuchergruppen zu Recht als enttäuschend empfinden. Wer aber mit Gruppen diskutiert, kann nicht gleichzeitig im Plenum anwesend sein. Auch ist der Öffentlichkeit meist nicht die Fülle von politischen Gesprächsterminen bekannt, die der Abgeordnete neben den Plenarsitzungen zwangsläufig wahrnehmen muß. Zwangsläufig, weil sich viele Termine nur in Bonn - und das heißt: während einer Sitzungswoche - durchführen lassen.
So begründet im Einzelfall die Klage über die leeren Bänke bei allem Verständnis für die vielfältigen Parlamentarierverpflichtungen trotzdem noch sein mag, sollte zweierlei nicht übersehen werden. Einmal, daß der Deutsche Bundestag im Verhältnis zu anderen demokratischen Parlamenten eine gute, ja sehr gute Präsenz aufweist. Zum anderen, daß nur solche Parlamente jederzeit voll besetzt sind, die im Grunde gar keine Parlamente sind. Ich meine die im allgemeinen kompetenzlosen Vertreterversammlungen totalitärer Staaten, die nur wenige Male im Jahr zum Zweck der Akklamation zusammengerufen werden.
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Dann gibt es die Behauptung, im Parlament gebe es zu viel Konfrontation und zu wenig Gemeinsamkeit. Ich teile diese Meinung nicht. Der Deutsche Bundestag wäre kein demokratisches Parlament, gäbe es in ihm nicht die Konfrontation der politischen Auffassungen, Pläne und Lösungsvorschläge. Konfrontation heißt schließlich nichts anderes als Gegenüberstellung. Doch auch in der Demokratie darf Konfrontation nicht um der Konfrontation willen betrieben werden; denn nicht alles, was die politische Konkurrenz sagt oder tut, ist falsch.
Tatsächlich hat es im Deutschen Bundestag bei aller Gegensätzlichkeit immer auch einen hohen Grad an Gemeinsamkeit gegeben. 'Zahlreiche Gesetze sind mit Zustimmung der jeweiligen Opposition beschlossen worden, darunter viele, die für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes von großer Wichtigkeit waren.
Ich habe immer die Auffassung vertreten, daß im Parlament, wie in der Politik überhaupt, bei allem Zwang zur Sachlichkeit eine freie und ungeschminkte, nötigenfalls auch harte Sprache geführt werden muß. Dies ist der Demokratie dienlicher als musterschülerhafte Wohlanständigkeit, die dem Bürger den peinlichen Eindruck vermitteln müßte, daß die Politiker zwar viel reden, aber wenig sagen.
Die Ungeschminktheit der Sprache darf jedoch nicht zur Sprachverwahrlosung führen, nicht zur persönlichen Verunglimpfungen des politischen Gegners, nicht zur Unterstellung ehrenrühriger Motive. Auch der politische Gegner hat Anspruch auf Achtung seiner Würde. Fairneß, Menschlichkeit und Toleranz sind auch ihm entgegenzubringen. Kei13406
Präsident Stücklen
nem, der sich in der Wahl seiner Worte in verletzender Weise vergriffen hat, fällt eine Perle aus der Krone, wenn er sich entschuldigt. Im Gegenteil, die Öffentlichkeit honoriert eine solche Geste des Anstandes und der Einsicht.
Kritisiert wird häufig der sogenannte Fraktionszwang. Im Gegensatz zu England existiert er bei uns nicht. Was faktisch oft so erscheint, ist im Grunde nichts anderes als die Geschlossenheit in der Verfolgung der als richtig erkannten politischen Ziele, die der Wähler sofort einfordern würde, fiele „seine" Fraktion bei jeder Abstimmung in eine Unzahl von Unterfraktionen auseinander.
Selbstverständlich ist jede Fraktionsführung bestrebt, eine möglichst große Geschlossenheit zu erreichen. Dieses Bestreben muß aber dort seine Grenze haben, wo der Art. 38 des Grundgesetzes - die Freiheit des Abgeordneten, nach seinem Gewissen zu entscheiden - sonst außer Kraft gesetzt würde. Tatsächlich zeigt eine Reihe von Abstimmungen über politisch wichtige und folgenreiche Angelegenheiten, welch große Bedeutung dem Recht der Abgeordneten auf eine allein ihrem Gewissen folgende Stimmabgabe von den Fraktionen beigemessen wurde. Dies gilt für Fragen der Verjährung von Mord und der Neufassung des § 218 des Strafgesetzbuches ebenso wie für Fragen der Verteidigung und der Ostpolitik.
Das Parlament ist auch nicht der Erfüllungsgehilfe der Regierung. Jeder von uns weiß, wie sehr Regierungsvorlagen oft verändert werden, wie sich ihre Urschrift in die parlamentarische Handschrift umformt. Kein Kanzler, keine Regierung kann dem Parlament seine Verantwortung abnehmen. Seine Beschlüsse hat es vor sich selbst zu verantworten - und vor dem Volk. Jenen, die uns unser Mandat gegeben haben, sind wir Rechenschaft schuldig, aber in der uns durch die Verfassung verbürgten Entscheidungsfreiheit. Sie gilt nicht nur den Fraktionen, sondern auch den Bürgern gegenüber. Wer, wie es in der Vergangenheit verschiedentlich geschehen ist, das imperative Bundestagsmandat fordert, hat das Grundgesetz nicht gelesen, auch wenn er sich immer darauf beruft. Wie das Grundgesetz den mündigen Bürger will, will es auch den mündigen Volksvertreter, keinen bevormundeten. In der parlamentarischen Demokratie sind die Parlamentarier die Repräsentanten, nicht die Satelliten der Wähler.
Die Wähler akzeptieren diese Konzeption des freien Abgeordneten. Sie kennen bei aller teils berechtigten, teils unberechtigten Kritik an uns keine Parlamentsverdrossenheit, wie uns manche weismachen wollen. Sie kennen auch keine ins Grundsätzliche gehende Parteienverdrossenheit. Gäbe es diese Verdrossenheiten, so hätten wir bei den Bundestagswahlen - ohne Wahlpflicht - nicht Wahlbeteiligungen bis zu 90 %, so würden sich nicht 95 °/o der Wähler zu den vier im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien bekennen. Das darf uns jedoch nicht der Pflicht entheben, immer wieder zu prüfen, ob und wie unsere Arbeit wirksamer werden kann.
Der Deutsche Bundestag ist gelegentlich zum fleißigsten Parlament der Welt erklärt worden. Ob er es ist oder nicht, kann dahingestellt bleiben. Die Fülle seiner Arbeit allerdings ist längst zur Überfülle geworden. Der Bundestag läuft Gefahr, Gesetzesfabrik zu sein. Dieser Entwicklung sollte Einhalt geboten werden.
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Es ist nicht Aufgabe des Parlaments, Gesetze am laufenden Band zu machen. Wir im Bundestag haben die Macht, das Recht und die Pflicht, in jedem Einzelfall sorgsam zu prüfen, ob der in Rede stehende Gegenstand der gesetzlichen Regelung wirklich bedarf, und aus dieser Prüfung dann auch die Konsequenzen zu ziehen. Das Parlament wird von den Bürgern nicht danach beurteilt, ob es viele Gesetze gemacht hat, sondern danach, ob die Gesetze notwendig, und vor allem danach, ob sie gut sind.
Es ist daher schlecht, wenn wichtige Gesetze alsbald novelliert - ergänzt, verändert, verbessert - werden müssen. Ein Jahrhundertgesetz kann heute bei dem raschen Wandel unserer Daseinsverhältnisse kein Parlament mehr machen. Doch wichtige Gesetze sollen Marksteine für Jahrzehnte sein, dürfen keinen kurzen Atem haben. Bei ihrer Beratung muß der Bundestag sich Zeit lassen, ohne darob der Saumseligkeit, der Trägheit bezichtigt werden zu können.
Die Gesetze müssen auch wieder verständlicher werden.
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Es ist kein guter Zustand, wenn sie dem Bürger ein Buch mit sieben Siegeln sind und nur noch von Spezialisten verstanden werden können. Verständlichere Gesetze erfordern vor allem eine Vereinfachung der Gedankenführung und eine Rückkehr zu den normalen Ausdrucksmöglichkeiten unserer deutschen Sprache.
Ich hielte es auch für gut, wenn der Bundestag mehr als bislang schon öffentliche Anhörungen durchführte. Die Anhörungen haben sich bewährt. In vielen Punkten haben sie dazu beigetragen, die parlamentarische Diskussion zu versachlichen. Auch haben' sie die Beziehungen zwischen Politik und sachkundigem Bürger verstärkt und auf diese Weise das Engagement auch politikferner Kreise für die Belange des Staates erhöht.
Ein anderes Problem ist: Wie kann die Plenarsitzung lebendiger und aktueller, ja spannender gestaltet werden? Alle Fraktionen bemühen sich, das zu erreichen. Das parlamentarische Spiel von Rede und Gegenrede ist um so lebendiger, je freier gesprochen wird, und um so interessanter, je prägnanter, d. h. je kürzer, die einzelnen Beiträge sind. In unseren Fragestunden und Aktuellen Stunden haben wir insoweit bereits ein wichtiges Stück Parlamentsreform verwirklicht. Nun gilt es bei den derzeitigen Beratungen über eine Neufassung der Geschäftsordnung die kurze und freie Rede auch bei den großen Debatten stärker zur Geltung zu bringen. Die gelegentlich schon praktizierten Debatten mit Kurzbeiträgen sind ein guter Anfang,
Präsident Stücklen
zumal sie mehr, insbesondere jüngeren Abgeordneten die Gelegenheit geben, das Wort zu ergreifen.
Unsere Kollegen, die mit der Neufassung der Geschäftsordnung befaßt sind, haben bislang sehr gute Arbeit geleistet. Ich danke Ihnen dafür. Denn die Probleme, die hier anstehen, sind nicht einfach.
Auch nach Abschluß der gegenwärtigen Arbeiten an der Geschäftsordnung wird es jedoch noch Fragen geben, die in der Diskussion bleiben müssen und zu gegebener Zeit eine Antwort erheischen. Dreierlei möchte ich nennen.
Erstens geht es um das sich mir seit längerem stellende Problem, ob wir nicht die Richtlinien für die Aktuelle Stunde großzügiger handhaben oder notfalls ändern müssen, um auf diese Weise die parlamentarische Selbstbindung bei der Regierungskontrolle zu lockern und dadurch die Kontrollmöglichkeiten der Volksvertretung zu verbessern.
Zweitens geht es um das Problem, wie parlamentarische Untersuchungsausschüsse in die Lage versetzt werden können, eine Arbeit zu leisten, die der von der Verfassung gewollten Bedeutung der Ausschüsse entspricht und dann auch allgemein anerkannt wird. Jeder von uns, der in einem Untersuchungsausschuß saß, weiß, wie schwierig diese Aufgabe ist. Er sitzt nicht zu Gericht, doch das Votum des Ausschusses gleicht einem Richterspruch. Gleichwohl sind Ansehen und Autorität unserer Untersuchungsausschüsse nicht in jedem Falle gewährleistet, da oft der Eindruck entsteht, ihr Mehrheits- und Minderheitsvotum entsprächen allzusehr der Konfrontation zwischen Mehrheit und Minderheit im Parlament. Hier eine brauchbare Lösung zu finden, gehört mit zu den schwierigsten Aufgaben, die uns gestellt sind.
Der dritte Punkt ist die Frage, ob man nicht im Interesse einer Versachlichung der parlamentarischen Arbeit die Legislaturperiode verlängern sollte. Immer wieder erleben wir, wie ernsthafte politische Arbeit allzufrüh wahlkampfbedingt behindert wird. Die Einführung einer fünfjährigen Legislaturperiode sollte daher ernsthaft erwogen werden.
Der Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments dienen auch die Pläne der Neubauten für den Bundestag, die Fraktionsfunktionsräume und den Bundesrat. Ich werde sie weiter großzügig verfolgen. Es ist unzumutbar, daß Hunderte von Bediensteten der Verwaltung des Deutschen Bundestages unter katastrophalen Raumverhältnissen arbeiten müssen. Hier ist Abhilfe dringend erforderlich.
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Ich möchte es bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, unseren Mitarbeitern in Verwaltung und Fraktionen herzlich dafür zu danken, daß sie trotz der ungünstigen Umstände, unter denen sie zu arbeiten gezwungen sind, über viele Jahre hinweg zuverlässig ihre Pflicht erfüllt haben.
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Es ist auch nicht zu verantworten, in welch unzulänglicher Weise unsere wertvolle Bibliothek mit mehr als 600 000 Bänden und unser Archiv untergebracht sind. Die Nutzung dieser Einrichtungen ist ungemein erschwert.
Auch für die Abgeordneten müssen die Arbeitsmöglichkeiten verbessert werden, und zusätzlich zu dem bereits heute bekannten Raumbedarf muß noch eine Regelung für die deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments gefunden werden, damit eine Verbindung beider Parlamente - zumindest räumlich - ermöglicht wird.
Wir werden überall einen strengen Maßstab anlegen, aber was sein muß, muß sein. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments darf nicht in Gefahr geraten.
Diese Bemühungen haben nichts mit Bestrebungen zu tun, die gewöhnlich in die Worte gekleidet werden, daß nun das „ehemalige Provisorium" Bonn auf dem Weg zur „echten Hauptstadt" sei. Bonn ist eine schöne, eine liebenswerte, eine gastfreundliche Stadt, und es ist inzwischen auch zum Träger gesamtstaatlicher deutscher Tradition geworden - ähnlich wie früher schon Frankfurt als die Stadt der Kaiserwahlen, des Deutschen Bundes und der Paulskirche. Die hier in diesem Saal, in dieser Stadt getroffenen Schicksalsentscheidungen der Nachkriegszeit sind ebenfalls wesentliche Bestandteile unserer nationalen Geschichte geworden.
Dennoch, die eigentliche Hauptstadt Deutschlands ist Berlin.
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Und dieses Berlin wird eines Tages auch wieder voll seine alte Hauptstadtfunktion erfüllen. Dies ergibt sich ganz einfach aus der Tatsache, daß die Deutschen hüben und drüben in einem einzigen freien deutschen Staat leben wollen.
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Solange uns allerdings die Teilung unseres Vaterlandes aufgezwungen bleibt, wird Berlin in seiner politischen Funktion als Hauptstadt - als Parlaments- und Regierungssitz des freien Deutschland - durch Bonn vertreten. Und dieses Bonn vertritt gut.
Wir wollen daher mit unseren Neubaubemühungen Berlin nicht den Rang ablaufen. Wir wollen nur die Bedingungen für die politische Arbeit verbessern, und zwar in erster Linie in technisch-administrativer Hinsicht, jedoch auch - und dessen brauchen wir uns nicht zu schämen - mit Rücksicht auf unverzichtbare Repräsentationspflichten, die ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland nun einmal hat. Auch und gerade ein demokratischer Staat bedarf eines gewissen Glanzes, um attraktiv zu sein.
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Nur ein Staat, der durch eine würdige Selbstdarstellung Selbstachtung zum Ausdruck bringt, erfreut sich der Hochachtung und der Zuneigung seiner Bürger.
Präsident Stücklen
30 Jahre Bundestag. Wenn wir uns der Worte Paul Löbes erinnern, dann können wir sagen, daß wir viel, sehr viel erreicht haben, mehr und für längere Zeit, als wir uns jemals träumen ließen.
Deutschland war 1945 ein Trümmerfeld, unsere neue Demokratie mit schweren Hypotheken belastet. Was heute unserer jüngeren Generation selbstverständlich erscheint, der große Aufschwung aus Armut und Ohnmacht, schien damals außerhalb aller Realität zu liegen. Das Parlament, das zunächst fast wie ein Konkursverwalter wirkte, ist dann ein kraftvoller Motor des großen Aufbaus geworden.
An alle Bürger möchte ich in dieser Stunde den Appell richten, auch in den kommenden Jahren unsere parlamentarisch-demokratische Ordnung mitzutragen. Der Deutsche Bundestag ist nicht ein Instrument von Mehrheiten oder Minderheiten oder Parteien, sondern die zentrale Institution unserer Verfassung, das frei gewählte Parlament des deutschen Volkes. Mittragen braucht nicht kritiklose Zustimmung zu allem, was von diesem Parlament getan wird, bedeuten. Wenn aber Kritik, dann sollte sie vom Verständnis für die Arbeit der Institution und für die Bedingungen dieser Arbeit begleitet sein.
Eines haben wir in diesen 30 Jahren leider nicht erreicht, das nämlich, was Paul Löbe als die erste unserer Aufgaben bezeichnete: die Wiedergewinnung der deutschen Einheit. Ihr müssen wir auch weiterhin verpflichtet bleiben. Für sie müssen wir auch weiterhin unbeirrt und unbeirrbar wirken,
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indem wir den Gedanken der Wiedervereinigung - um das Bundesverfassungsgericht zu zitieren -„im Innern wachhalten und nach außen beharrlich vertreten". Dies und die Verpflichtung, alles zu tun, damit es nie mehr Nacht werde über unserer Freiheit und unserer Demokratie, haben Gegenstand des Grundkonsenses zu sein, der bei aller Pluralität und Konfrontation für einen funktionierenden deutschen Staat unerläßlich ist.
Es ist gut, sich diesen Grundkonsens gerade im letzten Jahr vor der nächsten Bundestagswahl nochmals bewußt zu machen. Aus Erfahrung wissen wir, daß die Hektik der politischen Auseinandersetzung in einer solchen Zeit ganz erheblich zunimmt und damit die Tendenz zu Polemik, Unsachlichkeit und übertriebener Schärfe. Gleich an welcher Front in der parlamentarischen Auseinandersetzung wir stehen, an der Regierungs- oder an der Oppositionsfront, in einer Front haben wir bei allem Gegeneinander gemeinsam zu stehen, in der Front des Friedens, der Freiheit und der Demokratie.
In diesem Sinne rufe ich Sie alle, die Sie Mitglieder des Hauses sind, auf, auch in Zukunft Ihre Kräfte voll dafür einzusetzen, daß das uns alle Verbindende erhalten bleibt. Nur dann nämlich bleiben wir imstande, das Kleinod, als das sich unsere grundgesetzlich geprägte Verfassungs- und Gesellschaftsordnung erwiesen hat, gegen Bedrohung zu sichern, gegen Angriffe zu verteidigen, zum Segen auch der kommenden Generationen auszubauen und
weiterzuentwickeln und auf diese Weise der legitime Anwalt aller Deutschen zu sein.
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Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
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Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich unseres verstorbenen Kollegen, des Vizepräsidenten Hermann Schmitt-Vockenhausen, gedenken.
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Am 9. August dieses Jahres haben wir in Bad Soden unseren Kollegen Hermann Schmitt-Vockenhausen zu Grabe getragen. Am Staatsbegräbnis für den Vizepräsidenten und langjährigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der dem Hause mehr als 25 Jahre angehört hat, haben das Präsidium, eine große Zahl von Abgeordneten sowie Vertreter aus dem öffentlichen Leben, aus Politik und Wirtschaft und viele Bürger seines Wahlkreises teilgenommen.
Vom Platz des Präsidenten aus hat Hermann Schmitt-Vockenhausen die Verhandlungen des Deutschen Bundestages mit starkem Einfühlungsvermögen und unerschütterlicher Ruhe, verständnisvoll und mit großer Sachlichkeit geleitet.
Seine Meisterschaft, schwierige Abstimmungen nach anstrengenden Sitzungen und heftigen Auseinandersetzungen sicher und souverän zu Ende zu bringen, wird dem Deutschen Bundestag, uns allen, unvergessen bleiben.
Er fühlte sich allen Seiten des Hauses gleichermaßen verbunden. Seine vielfältigen Verdienste, die er sich um das Parlament, um unseren Staat und um unser Volk erworben hat, sind anläßlich seines viel zu frühen Todes vielfach und nachhaltig gewürdigt worden.
Für den Deutschen Bundestag bedeutet der Abschied von unserem Kollegen Hermann Schmitt-Vockenhausen den Verlust eines Parlamentariers, der den Plenardebatten Farbe und Gestaltung gegeben hat. Über die Grenzen und Meinungsverschiedenheiten der Parteien und Fraktionen hinweg hat er immer daran gearbeitet, Gespräche zu ermöglichen und Verbindungen herzustellen. Er hat die parlamentarische Arbeit menschlicher gemacht.
Hermann Schmitt-Vockenhausen hinterläßt uns in diesem Hause die Verpflichtung, auch zukünftig die menschliche Verbundenheit, das Miteinander im sachlichen Streit zu suchen. Wir werden diese Verpflichtung ernst nehmen. Sie hilft uns, erstrebte Gemeinsamkeit im Interesse der parlamentarischen Demokratie zu finden.
Sie, Kolleginnen und Kollegen, haben sich zu Ehren des verstorbenen Vizepräsidenten von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Für den verstorbenen Kollegen Dr. Schmitt-Vockenhausen ist am 14. August 1979 die Abgeordnete Frau Dr. Balser in den Deutschen Bundestag eingetreten.
Präsident Stücklen
Für den Abgeordneten Zeyer, der mit Wirkung vorn 10. Juli 1979 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat, ist am 20. Juli 1979 der Abgeordnete Blügel in den Deutschen Bundestag eingetreten.
Ich begrüße die Kollegin und den Kollegen sehr herzlich und wünsche ihnen eine gute, erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
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Ich habe noch Glückwünsche zu Geburtstagen auszusprechen, die während der Parlamentsferien angefallen sind. Der Abgeordnete Wehner ist am 11. Juli 73 Jahre alt geworden. Unseren herzlichen Glückwunsch!
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Der Abgeordnete Müller ({3}) ist am 5. August 74 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch!
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Der Abgeordnete Geisenhofer ist am 30. August 65 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch!
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Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen - Stand: 4. September 1979 - vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik
Deutschland in der Interparlamentarischen Union über die Frühjahrstagung der IPU in Prag vom 16. bis 22. April 1979 ({6})
zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({7})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Bundesbericht Forschung VI ({8})
zuständig: Ausschuß für Forschung und Technologie ({9})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 7. bis 11. Mai 1979 in Straßburg ({10})
zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Bericht über die Prüfung der Auswirkungen einer Trennung von Fahrweg und Betrieb bei der Deutschen Bundesbahn ({11})
zuständig: Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({12})
Haushaltsausschuß
UNESCO-Empfehlung über internationale Architektur- und Stadtplanungswettbewerbe ({13})
zuständig: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den ersten Teil der 25. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 18. bis 21. Juni 1979 ({14})
zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({15})
Verteidigungsausschuß
Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen
Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 2. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1979 ({16})
zuständig: Haushaltsausschuß
Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Haushaltsführung 1979
hier: Einwilligung in überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 11 11 Tit. 682 01 - Erstattung von Fahrgeldausfällen an Unternehmen für die Personenbeförderung, die zur unentgeltlichen Beförderung bestimmter Gruppen von Schwerbeschädigten im Nahverkehr verpflichtet sind ({17})
zuständig: Haushaltsausschuß
Erheben sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Bedenken? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Ich rufe die Punkte 1 und 2 der Tagesordnung auf:
1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 ({18})
- Drucksache 8/3100 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1979 bis 1983
- Drucksache 8/3101 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1979 ({19})
- Drucksache 8/3099 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Zur Einbringung hat der Bundesminister der Finanzen das Wort. Bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Qualität eines Bundeshaushalts kann man nur in Kenntnis der mit ihm angestrebten Ziele und vor dem Hintergrund der jeweiligen wirtschaftlichen Lage richtig beurteilen.
Unsere wichtigsten Ziele sind: Sicherung des Friedens, Stärkung der demokratischen Kräfte in der Welt, Vollbeschäftigung dlurch Sicherung der Arbeitsplätze, vorausschauende Schaffung neuer und besserer Arbeitsplätze, Preisstabilität, ruhiger und zweckmäßiger Ausbau der sozialen Sicherheit, solide Staatsfinanzen und eine umweltfreundliche und leistungsfähige Wirtschaftstruktur.
({0})
Vergleicht man die Lage bei uns mit der in anderen Industrieländern, so kann man wohl ohne Übertreibung sagen: Die Arbeitsplätze sind bei uns sicherer, Beschäftigung und Wachstumsraten des Sozialprodukts und der individuellen Einkommen sind höher, die Arbeitslosenquote ist geringer, die Preissteigerungsraten sind verhältnismäßig niedrig, die Währungsreserven der Bundesbank umfangreicher, die Staatsfinanzen solider, die Staatsverschuldung ist geringer, der soziale Friede gesicherter, Wirtschaft und Industrie sind leistungsfähiger,
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die Wirtschaftsstruktur ist moderner, die Gewerkschaften sind vernünftiger,
({2})
und unsere Bürger sehen mit Zuversicht in die Zukunft. - Wenn die Unruhe bei Ihnen nicht auf13410
hört, sehe ich mich gezwungen, auch noch etwas Freundliches über die Opposition zu sagen.
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Eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die dazu beigetragen hat, kann ja wohl so schlecht nicht gewesen sein.
Bei der Gestaltung des Entwurfs für 1979 standen wir - ich zitiere aus meiner damaligen Einbringungsrede
... vor der schwierigen Aufgabe, den richtigen Mittelweg zwischen zwei gleichermaßen wichtigen Zielen zu finden: Einerseits müssen wir alle Kräfte darauf konzentrieren, die weltweit unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern, zusätzliche Arbeitslosigkeit zu verhindern und Vollbeschäftigung anzustreben. Andererseits haben die jährliche Nettokreditaufnahme und die daraus erwachsende Verschuldung einen Umfang erreicht, der zu größter Sorgfalt bei der Gestaltung des Bundeshaushalts zwingt.
Der so beschriebene Kurs trug dazu bei, die wirtschaftliche Entwicklung trotz des Ölpreisanstiegs deutlich zu verbessern. Wir führen ihn mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf mit Umsicht und Stetigkeit weiter.
Über den mittlerweile leicht überhitzten Baumarkt und die Automobilkonjunktur hinaus haben die Belebungskräfte an Stärke und Dauerhaftigkeit gewonnen, gestützt durch eine gute private Nachfrage und durch die anhaltend starke Investitionsneigung und die Investitionsgüternachfrage insbesondere aus dem Ausland.
Das reale Wachstum betrug im ersten Halbjahr 1979 4,3 %. Die Aussichten sind gut, im Jahresdurchschnitt real 4 °/o zu erreichen.
Die Arbeitslosenzahl lag im August unter 800 000 oder bei 3,5 %. Eine wachsende Zahl offener Stellen, im August 340 000, zeigt, daß wir es nicht mehr mit einem einfachen Fehlbedarf an Arbeitsplätzen zu tun haben. Es geht jetzt zunehmend um das qualitative, strukturelle Problem, das Arbeitsplatzangebot der Wirtschaft mit den Interessen und Fähigkeiten der immer noch Arbeit suchenden Menschen in Übereinstimmung zu bringen. Die technische Entwicklung, unausweichliche Rationalisierungen, notwendige Strukturveränderungen verlangen von den Arbeitnehmern zunehmend die Fähigkeit und Bereitschaft, sich im Berufsleben auf veränderte Qualifikationsanforderungen einzustellen.
Die wirtschaftliche Entwicklung ist allerdings durch außenwirtschaftlich bedingte Schwierigkeiten in einigen Branchen und Regionen mit Unsicherheiten belastet. Die Ölverteuerung führte 1979 zu einer Übertragung realer Kaufkraft an die 01-länder und - in geringerem Umfang - an die Ölindustrie in einer Größenordnung von mindestens 12 Milliarden DM oder 0,8 % des Bruttosozialprodukts. Der Staat kann zwar, um soziale Härten zu mildern, einkommensschwächeren Bürgern einen einmaligen Heizölkostenzuschuß geben; aber jeder
Versuch, Einkommenseinbußen durch Manipulationen welcher Art auch immer auszugleichen, könnte nur inflationäre Wirkungen erzeugen.
Der durch die Entwicklung der Importpreise der letzten Monate uns aufgezwungene Preisanstieg erfüllt uns mit Sorge. Es macht uns gleichfalls besorgt, daß sich weltweit wieder Inflationstendenzen zeigen. Geldentwertung ist kein Mittel, der Energieverteuerung und dem realen Ressourcentransfer an die OPEC-Länder auszuweichen.
({4})
Die Gefahr wächst, daß die Wirtschaft einiger Partnerländer bei verstärkt inflationären Tendenzen stagniert und damit eine wesentliche Stütze des deutschen Aufschwungs, nämlich die Investitionsgüterausfuhr, bedroht wird. Heute zeigt sich, wie positiv sich unter diesen Umständen die von uns mit großem Einsatz mitgetragene Stabilisierung des Dollars und das Europäische Währungssystem auf den Export insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen, etwa im Maschinenbau, ausgewirkt haben.
Viele Zeichen deuten auf eine ungebrochene Kraft des Wirtschaftsaufschwungs. Aber wir sind in einer Phase, in der angesichts von Unsicherheiten und Zukunftsrisiken eine skeptische Haltung stärker werden könnte, wenn nicht alle Beteiligten wüßten, daß die Bundesregierung bereit und in der Lage ist, sofort energisch gegenzusteuern.
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Unternehmer, Verbraucher, Tarifvertragsparteien und die öffentlichen Hände müssen jetzt mit Behutsamkeit, Augenmaß und Verständnis für die gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten einen Kurs steuern, der den Aufschwung nicht dämpft, sondern bewußt und vorausschauend die Wachstumskräfte im Strukturwandel und die Investitionsneigung stärkt.
Die gute wirtschaftliche Entwicklung ist das Verdienst jener Unternehmungen, die bereit waren, trotz nachteilig veränderter Kostenstrukturen und stärkeren internationalen Wettbewerbs bei sich verändernden Produktionstechnologien und Nachfragestrukturen in die Zukunft zu investieren, Arbeitsplätze wettbewerbsfähig zu erhalten und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Sie ist das Verdienst der hochqualifizierten deutschen Arbeiter und Angestellten, deren Leistung sich in einem hervorragenden Exportergebnis widerspiegelt, trotz der drastischen Veränderung der Wechselkurse.
Der Aufschwung ist gleichfalls ein Verdienst unserer Gewerkschaften, die in einer für sie keineswegs einfachen Lage - wie bisher immer - bei der Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder hohes gesamtwirtschaftliches Verantwortungsbewußtsein gezeigt und Augenmaß für das wirtschaftlich Mögliche und Durchsetzbare bewiesen haben.
Die Leistungsbereitschaft, das betriebliche und gesamtwirtschaftliche Verantwortungsbewußtsein der deutschen Arbeitnehmer und ihrer Organisationen ist auch eine Folge ihrer gesetzlich gesicherten Informations- und Mitwirkungsmöglichkeiten.
Die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte hat sich glänzend bewährt. In einer Wirtschaftsordnung, die auf der Entscheidungsfreiheit der einzelnen Unternehmen und der Wettbewerbsfreiheit beruht, können und müssen die Arbeitnehmer als freie Bürger ebenso Gestalter des Wirtschaftsgeschehens sein wie diejenigen, die Kapital bereitstellen und daraus Verfügungsrechte ableiten.
({6})
Unser festes soziales Netz hat gehalten und seine Leistungsfähigkeit bewiesen. Es hat den sozialen Frieden gesichert.
Unsere gute wirtschaftliche Verfassung ist allerdings auch der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu verdanken. Sie hat mit Erfolg eine zu schwache private Nachfrage nach Gütern und Diensten mit öffentlichen Ausgabeprogrammen von insgesamt 35 Milliarden DM und Einnahmeverzichten von 50 Milliarden DM ausgeglichen. Sie hat zugleich den Anteil der wachstumsfördernden und zukunftsbezogenen Ausgaben im Bundeshaushalt erhöht und öffentliche Mittel gezielt in Problembereiche gesteuert.
Damit hat sie einen wesentlichen Beitrag geleistet, daß das Produktionspotential der deutschen Wirtschaft wieder besser ausgelastet werden könnte. So wurde die Voraussetzung für Investitionen geschaffen und verhindert, daß sich - ähnlich wie in den frühen 30er Jahren. - Arbeitslosigkeit, dadurch verminderte private und öffentliche Einkommen, damit abnehmende Nachfrage mit immer pessimistischeren Zukunftserwartungen zu einer sich selbst verstärkenden Krisenspirale entwickeln konnten. Trotz der Unsicherheit in der Entwicklung der Weltwirtschaft ist es uns auf diese Weise gelungen, eine auf Zurückhaltung und Vorsicht ausgerichtete Grundstimmung umzukehren in eine positive Einschätzung der Zukunft.
({7})
Um dieses Ziel auch mit den Mitteln der Haushaltspolitik zu erreichen, gab es keine andere Möglichkeit, als eine hohe öffentliche Kreditaufnahme in Kauf zu nehmen. Dabei hat sich von allen Gebietskörperschaften der Bund in besonderem Maße verschulden müssen, obwohl auch Länder und Gemeinden nach der Finanzverfassung in die gesamtwirtschaftliche Verantwortung eingebunden sind.
Die immer wieder erneuerte Kritik an der öffentlichen Kreditaufnahme wurde durch die wirtschaftliche Entwicklung widerlegt. Unsere Wirtschaft befindet sich in einem Zustand hervorragender Leistungsfähigkeit. Die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Verfassungsorganen ist intakt und funktionsfähig. Ihre finanziellen Grundlagen sind gesichert und gesund.
Die Bundesregierung wird zur Überwindung der sich auch in Zukunft ergebenden Schwierigkeiten über kurzfristige Nachfragebelebungen hinaus weiterhin Vorsorge für die Risiken der Zukunft treffen und die Grundlagen für zukünftiges Wachstum verbessern. Sie ist der festen Überzeugung, daß im Aufschwung die jährliche Nettokreditaufnahme der
öffentlichen Hände zurückgeführt werden muß, damit wir auch in Zukunft voll handlungsfähig bleiben.
({8})
Unsere Nettokreditaufnahme wird im nächsten Jahr wesentlich unter 30 Milliarden DM liegen, denn die öffentliche Hand sollte die private Kreditaufnahme nicht behindern oder teurer machen und damit die Konsum- und Investitionsbereitschaft vermindern. Dieser Feststellung kann sich niemand entziehen, der noch im letzten Jahr beklagte, die Bundesregierung verschiebe die Verminderung der Kreditaufnahme mit Lippenbekenntnissen in eine unverbindliche Zukunft.
Weil es jetzt wirtschaftlich vernünftig ist, weil die private Kreditnachfrage stärker wächst, weil wir uns der Vollbeschäftigung nähern, müssen wir das Wachstum der öffentlichen Ausgaben vermindern. Dies darf allerdings nicht abrupt erfolgen, weil sonst die Erfolge der Wirtschaftsbelebung zunichte gemacht würden. Es gilt, in vorsichtigen, aber deutlichen Schritten ein an den wirtschaftlichen Notwendigkeiten ausgerichtetes Gleichgewicht von öffentlichen Ausgaben, Steuereinnahmen und Kreditfinanzierung sicherzustellen.
Es ist die Aufgabe der Finanz- und Haushaltspolitiker, das Wünschenswerte und Notwendige in den einzelnen Sachbereichen innerhalb der Grenzen solider Finanzierbarkeit zu halten. Allgemeine Forderungen, privater Initiative gegenüber dem Vordringen staatlicher Bürokratien den Vorrang zu geben und einen langfristigen Abbau des Zuwachses öffentlicher Ausgaben vorzunehmen, nützen wenig, wenn man sich nicht der Mühe unterzieht, konkret nach staatlichen Leistungen zu suchen, die wirklich vermindert werden können und abgebaut werden sollten, und dies dann auch laut und deutlich zu sagen, damit jeder Bürger sich ein eigenes Ur- teil bilden kann.
({9})
Das ist keine einfache Aufgabe. In welchem Bereich auch immer, sei es innere oder äußere Sicherheit, Entwicklungshilfe, Energiepolitik, regionale oder sektorale Wirtschaftsförderung, Bildungs- und Wissenschaftsförderung, Landwirtschaft, Wohnungs- und Städtebau, Straßenbau, das, öffentliche Verkehrsangebot, die Renten, andere Sozialleistungen, Gesundheitspolitik oder Umweltschutz: Gestritten wird kaum je, ob der Staat zu viele Leistungen erbringt, sondern ob er nicht zu wenig tut.
({10})
Der Ihnen vorliegende Entwurf gibt den Kritikern Gelegenheit, genau zu sagen, ob und wo Leistungen des Bundes eingeschränkt werden sollen. Ich werde solche Vorschläge und Anregungen aufmerksam verfolgen. Eines geht allerdings nicht: in der Öffentlichkeit und in den Fachausschüssen zu kritisieren, die Entwicklungshilfeausgaben seien zu niedrig oder die Verteidigungsausgaben entsprächen weder der Bedrohung aus dem Osten noch den NATO-Verpflichtungen, die Bundesregierung habe zu wenig für die Sicherheit der Bürger oder für Berlin getan, die Landwirtschaft vernachlässigt,
der soziale Wohnungsbau und die Eigentumsbildung würden zu wenig gefördert, die familienbezogenen Leistungen seien zu gering, der Straßenbau dürfe nicht eingeschränkt werden - dies alles zu kritisieren und gleichzeitig noch Steuersenkungen in Milliardenhöhe zu verlangen, ist miteinander unvereinbar.
({11})
Diese Bundesregierung ist weit davon entfernt, einen wachsenden Staatsanteil am Sozialprodukt als erstrebenswerten Selbstzweck anzusehen. Sie beobachtet mit wachsender Sorge bürokratische Wucherungen und Auswüchse und hat in ihrem eigenen Bereich, in der Gesetzgebung und in Zusammenarbeit mit den Ländern, bei denen nun einmal fast alle Verwaltungszuständigkeiten liegen, derartigen Entwicklungen entgegengewirkt, und sie wird dies auch weiterhin tun.
Der Anteil der Steuern am Sozialprodukt, der sich seit Bestehen der Bundesrepublik etwa um 24 % bewegt, zeigt eine stetige und im Verhältnis zu den steigenden Einkommen keineswegs zunehmende Steuerbelastung. Im nächsten Jahr wird dieser Anteil 24% nur geringfügig übersteigen; bei sachlich und methodisch gebotener Berücksichtigung der Berechnungs- und Auszahlungsweise des Kindergeldes würde er übrigens bei 23 °/o liegen. Die Lohnsteuerquote, d. h. der Anteil der Lohnsteuer an der Bruttolohn- und -gehaltssumme, wird 1980 mit 15,5 % noch unter dem Anteil von 1977 liegen. Auch dies spricht dafür, die in diesem Jahr durch Steuersenkungen verbesserten steuerlichen Rahmendaten 1980 unverändert zu lassen. Nur wenn und soweit es zur Stützung der Nachfrage und zur Sicherung der Arbeitsplätze erforderlich wäre, könnten gezielte Maßnahmen in Betracht gezogen werden, wobei gleichzeitig zusätzliche Wirkungen, etwa zugunsten von mehr Umweltschutz, Energieeinsparung oder Steuervereinfachung, angestrebt werden sollten.
Die Bundesregierung hat eine zielstrebige Steuerentlastungspolitik betrieben. Die Steuerreform 1975 brachte beachtliche Tarifentlastungen, eine Verbesserung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Sozialversicherungsbeiträge, eine Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrages und vor allen Dingen eine Verbesserung des Kinderlastenausgleichs durch Einführung des für alle gleich hohen Kindergeldes. 1977 wurde das Kindergeld erhöht und die steuerliche Abzugsfähigkeit der Sozialversicherungsbeiträge weiter verbessert. Mit dem Gesetz zur Steuerentlastung und Investitionsförderung vom 4. November 1977 wurden der Weihnachtsfreibetrag und der Grundfreibetrag angehoben sowie der Tariffreibetrag eingeführt. Das Steueränderungsgesetz 1939 brachte Tarifentlastungen, weitere Verbesserungen der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Sozialversicherungsbeiträge und eine Anhebung des Kindergeldes. Am 1. Januar 1980 werden sowohl bei der Einkommensteuer als auch bei den ertragsunabhängigen Steuern erhebliche Entlastungen in Kraft treten.
Die Bundesregierung beabsichtigt für den Rest der Legislaturperiode weitere Schritte zur Verwirklichung von mehr Steuergerechtigkeit und zur Vereinfachung unseres Steuersystems. Dazu zählen die Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft, die Abschaffung des negativen Kapitalkontos bei den Abschreibungsgesellschaften und die Abschaffung einiger Bagatellsteuern, nämlich der Spielkartensteuer, der Zündwarensteuer und der beiden Essigsteuern.
Ferner sollen die einkommensteuerlichen Vorschriften über den Umweltschutz erweitert, der Abzugssatz für Spenden für kulturelle Zwecke angehoben, die Gemeinnützigkeitsvorschriften ausgedehnt, der Freibetrag für Trinkgelder angehoben, eine Bagatellgrenze für die Festsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen eingeführt und die Vordrucke für die Einkommensteuererklärung bundesweit vereinheitlicht werden. Darüber hinaus gibt es eine Reihe sachlich durchaus begründeter Anregungen, denen wir aber aus haushaltsmäßigen Gründen nicht oder noch nicht folgen können.
Die Vereinfachung des Steuersystems ist und bleibt eine vordringliche Aufgabe. Sie kann jedoch nur schrittweise verwirklicht werden und erfordert Geduld und einen langen Atem. Das gewachsene Steuersystem ist zu komplex, als daß man es ohne Verletzung berechtigter Interessen und ohne Vernachlässigung sozialer Anliegen mit einem Schlag einfach machen könnte. Trotzdem bleibt die Forderung nach besser verständlichen Vorschriften berechtigt. Ich bin bemüht, ihr Schritt für Schritt zu entsprechen.
Die Bundesregierung hat im 7. Subventionsbericht die Absicht bekräftigt, Subventionen möglichst in Form der Direktförderung zu gewähren, um zu mehr Transparenz und besserer Kontrolle zu gelangen.
Zur steuerlichen Wohnungsbauförderung nach § 7 b liegt dem Bundestag ein Bericht der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Umstellung auf ein anderes Förderungssystem vor, in dem das Für und Wider der Umstellung der erhöhten Absetzungen auf Zahlung eines Einmalbetrages bei Herstellung und Anschaffung eines Ein- oder Zweifamilienhauses oder einer Eigentumswohnung sowie auf Abzug von der Einkommensteuer dargestellt wird.
Der Ausgaberahmen für den Haushalt 1980 beträgt 215,3 Milliarden DM. Dies entspricht einer Steigerungsrate des Solls um 5,5 % gegenüber dem Haushalt 1979, einschließlich beider Nachtragshaushalte. Der Finanzplan sieht eine Rückführung der Nettokreditaufnahme von rund 28 Milliarden DM im nächsten Jahr auf gut 20 Milliarden DM im Jahre 1983 vor. Wir befinden uns in voller Übereinstimmung mit der Bundesbank, für die - ebenso wie für uns - 1980 „der Vorrang eindeutig bei der Verringerung der staatlichen Defizite liegen" muß.
Der Finanzierung der noch verbleibenden Dekkungslücke für 1980 dient eine Nettokreditaufnahme von rund 28 Milliarden DM. Das sind gut 5 Milliarden DM weniger, als wir im Finanzplan ursprünglich vorgesehen hatten. Im Vergleich zu Ländern und Gemeinden bedeutet dies jedoch imBundesminister Matthöfer
mer noch eine überdurchschnittlich hohe Kreditfinanzierung.
Wir sehen in der Kreditaufnahme ein finanz- und wirtschaftspolitisches Instrument unter anderen, das wir in den letzten Jahren mit jetzt offenkundigem Erfolg zur wirtschaftlichen Belebung, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Energieeinsparung, zum Umweltschutz, aber auch zur Verbesserung langfristiger Wachstumschancen eingesetzt haben.
Wenn wir mit Krediten vorhandene Kapazitäten sinnvoll besser nutzen und Forschung, technische Entwicklungen, Modernisierung der Wirtschaft und Maßnahmen des Umweltschutzes fördern, den deutschen Kohlebergbau und die Bundesbahn lebensfähig erhalten, das Gesundheitswesen, die Bildungsangebote und die Verkehrsinfrastruktur ausbauen, verbessern wir damit die Lebenschancen künftiger Generationen. Lebensgrundlagen kommender Generationen werden gefährdet durch den immer noch wachsenden Verbrauch begrenzter Ressourcen und durch steigende Umweltbelastungen, nicht aber durch eine volkswirtschaftlich vernünftige Kreditaufnahme zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Modernisierung der Wirtschaft.
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Andererseits: Höhere Kreditaufnahme führt beim Bund zu höheren Zinslasten, die den Handlungsspielraum im Haushalt einengen. 1980 steigen die Zinsausgaben auf 13,6 Milliarden DM. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben erhöht sich von 5,5 % 1979 auf 6,3 % 1980. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Kreditaufnahme des Bundes künftig, soweit dies die gesamtwirtschaftliche Lage zuläßt, in möglichst engen Grenzen zu halten.
Trotz des Kreditbedarfs der öffentlichen Hände hat es anhaltende Probleme am Kapitalmarkt nicht gegeben. Bis zum Frühjahr 1978 ist der Kapitalmarktzins stetig gesunken. Die öffentlichen Hände haben nur jene Lücken ausgefüllt, die durch fehlende private Nachfrage beim Wohnungsbau und der gewerblichen Wirtschaft entstanden sind. Nach einer Phase der Zinssteigerung hat sich nunmehr der Kapitalmarktzins auf unter 8 % eingependelt.
Für 1980 ist zur Verminderung des Kreditbedarfs eine Sonderablieferung der Bundespost von 11/2 Milliarden DM vorgesehen. Dies ist angesichts der guten Ertragslage der Post vertretbar. In Aussicht genommene Gebührensenkungen werden dadurch nicht gefährdet. Der Bund hat von 1965 bis 1977 auf Ablieferungen von über 10 Milliarden DM zugunsten einer besseren Eigenkapitalausstattung der Post verzichtet. Diese konnte durch hohe Investitionen ihr Leistungsangebot wesentlich verbessern und verbreitern, und ihre finanzielle Konsolidierung wurde voll erreicht.
Die Struktur der Ausgabenseite des Haushalts, der ich mich nun zuwende, wird geprägt durch die Verantwortung des Bundes für die soziale Sicherung, öffentliche Infrastrukturleistungen, die Sicherung der Beschäftigung, für Verteidigung und Entwicklungspolitik. Daneben bleibt es ein wesentliches Ziel, Hilfen im Strukturwandel zu geben.
Bereits im Haushalt 1979 haben wir den Anteil der investiven und der zukunftsweisenden, wachstums- und arbeitsplatzsichernden Ausgaben verbessert. Trotz der Begrenzung des Ausgabenanstiegs auf 51/2 % für 1980 und für die folgenden Jahre ist es uns gelungen, diese Verbesserung der Haushaltsstruktur fortzuführen. Die Einordnung von Ausgaben als „Investitionen" nach dein Gruppierungsplan des Haushalts besagt allerdings verhältnismäßig wenig darüber, welche Maßnahmen nun wirklich der Zukunftsvorsorge dienen. Anteil und Bedeutung zukunftsbezogener Ausgaben sind stärker gestiegen, als es die haushaltsrechtlich definierte Investitionsquote zum Ausdruck bringt. .
Rund 8 Milliarden DM dienen der Förderung von Forschung und Entwicklung, von Innovationen und der Entwicklung neuer Technologien; das sind 9,5% mehr als im Vorjahr. Auch im Planungszeitraum bis 1983 steigen diese Ausgaben stärker an. Sie werden gegenüber dem bisherigen Finanzplan um fast 1 Milliarde DM aufgestockt. Schwerpunkt sind Energie- und Rohstofforschung, Meeresforschung, Verkehrs- und Informationstechnologien, Ökologie und Umweltschutz.
Wir sollen auch 1980 längerfristige Zukunftsvorsorge betreiben und Perspektiven für eine Zukunft öffnen, die uns wirtschaftliche Wachstumsmöglichkeiten erschließt und die Lebensbedingungen der Menschen verbessert. Teurer werdende Energie bietet ebenso wie knapper werdende Rohstoffe auch neue Wachstumschancen. Neue Anforderungen an Prospektions- und Bergbautechniken, in der Verfahrenstechnik und im Recycling stellen ebenso wie die Bekämpfung der Luftverschmutzung und des Lärms, die Reinhaltung der Meere und Binnengewässer eine Herausforderung dar, die bewältigt werden muß.
Unternehmerische Initiative, die Bereitschaft, Neues zu unternehmen, ist in einer Zeit weltweiten Strukturwandels, in der für Energie-, Rohstoff- und Umweltprobleme neue Lösungen gefunden werden müssen, in der in den westlichen Industrieländern 17 Millionen Menschen und in den Entwicklungsländern mindestens 500 Millionen arbeitslose Menschen produktive Beschäftigung suchen, eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Wir verfolgen konsequent unsere Politik, diese unternehmerischen Initiativen anzuregen und zu unterstützen, um über die kurzfristige konjunkturelle Belebung hinaus den notwendigen Strukturwandel zu bewältigen und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Der vorliegende Haushalt zeigt, daß wir ein breites Spektrum von Hilfen anbieten, die Anreize für unternehmerische Wagnisse, Innovationen und Investitionen verstärken und die Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in neue Produktionstechniken erleichtern. Wir schaffen mit diesem Haushalt und mit der Ihnen vorliegenden Finanzplanung die finanziellen Voraussetzungen für eine langfristig angelegte Energiepolitik, die einen allmählichen Strukturwandel in der Produktion ohne krisenhafte Einbrüche und eine schrittweise Anpassung an neue Verbrauchergewohnheiten ermöglicht. Voraussetzung dafür ist die Entwicklung
und Nutzung eines möglichst breiten Spektrums an Energiequellen und Energieträgern.
Wir können es uns nicht leisten, auf verfügbare Energiequellen zu verzichten. Es war deshalb richtig, den deutschen Kohlebergbau mit einem Aufwand von rund 30 Milliarden DM seit 1969 funktionsfähig zu erhalten und die Techniken des Kohleabbaues und der Kohleverwertung weiterzuentwickeln.
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Jetzt macht es sich bezahlt, daß wir zur Absatzstabilisierung der Steinkohle erhebliche Mittel aufgewandt haben.
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1978 beliefen sich die gesamten Hilfen für den deutschen Steinkohlebergbau auf mehr als 6 Milliarden DM. Dies entspricht etwa 32 000 DM je Arbeitsplatz. Mit einem Anteil von zwei Dritteln an den Struktur-, Absatz- und Sozialhilfen trägt der Bund den größten Teil der Finanzierungslasten.
Der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Steinkohlebergbaues dienten Maßnahmen zur Sicherung des Absatzes an Kraftwerke und für die Stahlerzeugung. In den letzten Jahren wurden mehr als zwei Drittel des gesamten Steinkohleabsatzes von durchschnittlich 84 Millionen Tonnen finanziell gefördert. Die Kokskohlenbeihilfe, 1979 unter Einschluß des zweiten Nachtragshaushalts rund 1,5 Milliarden DM, ermöglicht dem Bergbau einen kostendeckenden Preis und der Stahlindustrie die Versorgung mit deutscher Steinkohle zu Weltmarktpreisen. Durch die Förderung der Investitionen ist es gelungen, die Produktivität des Steinkohlenbergbaus so zu steigern, daß wir auf diesem Gebiet in Europa führen.
Wir werden am Vorrang der Kohle bei der Stromerzeugung unverändert festhalten,
({15})
den Bau umweltfreundlicher Kohleheizkraftwerke vorantreiben, die Verdrängung von schwerem Heizöl durch Kohle auch im industriellen Bereich anregen und neue Technologien der Kohleverflüssigung und Kohlevergasung entwickeln.
({16})
Allein für Vergasung und Verflüssigung wurden bis einschließlich 1980 650 Millionen DM aufgewandt. Acht Pilot-Anlagen sind in Betrieb oder im Bau. Allerdings wird vor 1990 Kohlebenzin kaum in nennenswertem Umfang an den Tankstellen zu kaufen sein.
Um die hohe Importabhängigkeit bei Erdöl und Erdgas zu verringern, tragen wir zur Sicherung eigener Bezugsquellen im Ausland bei. Seit 1969 wurden 1,2 Milliarden DM aufgewandt, um der Wirtschaft zu helfen, im Ausland neue Erdöl- und Erdgasfelder zu erschließen oder sich an solchen Vorhaben zu beteiligen. Ein Programm für die Jahre von 1979 bis 1981 sieht weitere 600 Millionen DM vor.
Um für eine vorübergehende Ölverknappung Vorsorge zu treffen, haben wir mit einem Aufwand von 1,7 Milliarden DM eine Rohölreserve von bisher 6 Millionen Tonnen angelegt. Sie soll auf 10 Millionen Tonnen aufgestockt werden.
Es war richtig, daß wir nach der Erdölkrise 1974 begonnen haben, das Potential natürlicher Energiequellen zu untersuchen und Techniken zu seiner Nutzung zu entwickeln, obwohl damals eine wirtschaftliche Nutzung noch in weiter Ferne zu liegen schien. Die Erschließung nichtnuklearer Energiequellen wird mit einem Aufwand von über 600 Millionen DM weiter gefördert.
Mit dem Programm für Zukunftsinvestitionen und mit dem 4,35-Milliarden-DM-Programm für energiesparende Investitionen werden neben den herkömmlichen Energiesparmaßnahmen neue technische Entwicklungen auf den Gebieten Wärmedämmung, Wärmerückgewinnung, Klimatechnik, Wärme-Kraft-Kopplung und Fernwärmeversorgung sowie Sonnenenergienutzung gefördert.
Daß wir auf die Entwicklung und Erschließung keiner mengenmäßig lohnenden Energiequelle verzichten können, gilt auch für Kernspaltungs- und Kernfusionsenergie. Dafür hat der Bund seit 1969 rund 10 Milliarden DM aufgewandt. Die Kernenergie ist aber keine problemlose Energiequelle, die kurz-, mittel- oder langfristig alle Mengen- und Kostenprobleme lösen könnte. Sie ist jedoch unverzichtbar. Wegen ihres hohen Risikopotentials, wegen der Probleme der Entsorgung und nicht zuletzt auch wegen schwerer Bedenken in der Bevölkerung kann und soll sie aber nur mit großer Sorgfalt und in vorsichtigen Schritten ausgebaut werden.
Versorgungssicherheit ist nur dann zu gewährleisten, wenn wir ein breit angelegtes Spektrum von Energiequellen und Maßnahmen zum rationelleren Umgang mit Energie entwickeln. Im Entwurf für 1980 sind 2,3 Milliarden DM für Enegieforschung, 1,9 Milliarden DM für den Kohlebergbau, 460 Millionen DM für die Mineralölversorgung und 360 Millionen DM für Programme zum sparsameren und rationelleren Umgang mit Energie vorgesehen.
Der Grundsatz der möglichst breiten Risikostreuung gilt auch ' für die Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen. Die Risiken der Rohstoffversorgung liegen in den Kostensteigerungen, die mit Erkundung, Erschließung und Ausbeutung neuer, meist schwieriger zugänglicher und ärmerer Vorkommen verbunden sind.
Der Trend zur Verteuerung von Rohstoffen ist schon allein genügender Anlaß, für einen schonenderen Umgang mit Rohstoffen zu sorgen. Hinzu kommt die besonders große Abhängigkeit unserer Wirtschaft von Rohstoffeinfuhren, zumal diese in einer Reihe von Fällen auf wenige Lieferländer konzentriert und die Risiken und Lieferstörungen eher gewachsen sind.
Dagegen Vorsorge zu treffen, ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmen. Wir haben aber bei einigen Rohstoffen - wie Chrom, Kobalt, Vanadium, Mangan und Asbest - eine staatliche Hilfe zur Vorsorge gegen kurzfristige Ausfälle für erforderlich gehalten, weil hier besonders hohe Risiken im Falle von Lieferstörungen bestehen. Wir wollen
darauf hinwirken, daß die rohstoffverarbeitende Wirtschaft mit staatlicher Hilfe ihre Vorratshaltungen in diesen Bereichen von durchschnittlich vier Monaten auf zwölf Monate ausdehnt. Dafür sind Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 54 Millionen DM und ab 1981 steigende Ansätze vorgesehen. Zur Finanzierung haben wir in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Bundesbank ein gemeinsames Schema entwickelt.
Der Sicherung der Rohstoffversorgung dienen auch die Maßnahmen zur Substitution und zur Wiedergewinnung von Rohstoffen. Die Rückgewinnung und Wiederverwertung von Rohstoffen aus Abfällen hilft Umweltbelastungen zu vermindern und zugleich mit knappen Rohstoffen haushälterischer umzugehen. Bei einer Reihe von Rohstoffen, z. B. bei Glas und Papier, sind Verfahren erprobt und entwickelt worden, die die Wirtschaftlichkeit der Rückgewinnung verbessern. Rückgewinnungsmethoden können auch für weitere Rohstoffe sinnvoll werden. Forschungsprogramme sollen diese Entwicklung fördern. Im Planungszeitraum werden wir über 1 Milliarde DM für die Rohstofforschung zur Verfügung stellen.
Wir fördern mit diesem Haushalt verstärkt unternehmerische Initiativen, die neue Entwicklungen vorantreiben, wissenschaftliche und technische Fortschritte aufgreifen, um die Produktion umweltfreundlicher, energie- und rohstoffsparender und bedarfsgerechter zu gestalten, um im internationalen Wettbewerb das hohe deutsche Wohlstandsniveau durch eine entsprechend hohe Qualität der Produkte und Dienstleistungen zu bewahren und um die Qualität der Arbeitsplätze zu verbessern.
Eine neue Qualität des wirtschaftlichen Wachstums kann nicht theoretisch am Reißbrett entworfen und auch nicht zentral geplant und verordnet werden.
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Sie entsteht durch das Zusammenwirken einer Vielzahl von Einflußfaktoren und Entscheidungsträgern. Dabei spielen das freie und dezentrale Kauf- und Nachfrageverhalten von 60 Millionen Bürgern und die Produktions- und Investitionsentscheidungen von Hunderttausenden wirtschaftlicher Unternehmungen und Selbständiger eine entscheidende Rolle. Aber auch der Staat hat hier eine wichtige Funktion. Er kann und muß sich in einer freiheitlichen Ordnung auf die Verbesserung von Rahmenbedingungen wie z. B. gesetzlichen Umweltnormen und auf Hilfen zur Überwindung von Fortschrittshemmnissen konzentrieren. Er verfügt dabei über ein Instrumentarium, das er in einer Weise einzusetzen hat, die bewährte dezentrale Entscheidungsstrukturen mit hoher Eigenverantwortlichkeit jedes einzelnen stärkt und nicht schwächt.
Wir halten bei der Förderung des Strukturwandels die Rolle kleiner und mittlerer Unternehmen für besonders wichtig und haben deshalb die Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen zu einem breitgefächerten Instrumentarium ausgebaut, um ihnen und auch den Selbständigen die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien zu erleichtern. 1979 haben wir in zwei Bereichen - Existenzgründung sowie Forschung und Entwicklung - neue Fördermaßnahmen beschlossen.
Die Beteiligung an Personalaufwendungen für Forschung und Entwicklung verstärkt die innovatorischen Kräfte kleiner und mittlerer Unternehmen. Rund zwei Drittel der Forschungs- und Entwicklungskosten dieser Unternehmen sind Personalaufwendungen. 1979 wurden dafür 300 Millionen DM bereitgestellt. Die außerordentlich starke Inanspruchnahme des Programms zeigt, daß wir hier auf dem richtigen Wege sind.
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Das neue Programm ergänzt wirksam das System der Technologieförderung, nachdem bereits im vergangenen Jahr ein 30%iger Zuschuß für Vertragsforschung eingeführt und die Zulage. für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen von 7 1/2% auf 20 % erhöht wurden.
Die Bemühungen um verstärkte Förderung der Gründung selbständiger Existenzen haben wir 1979 mit der Aufstockung des ERP-Existenzgründungsprogramms sowie mit der Entwicklung des Eigenkapitalhilfeprogramms fortgesetzt. Der ERP-Wirtschaftsplan 1980 sieht hierfür im nächsten Jahr 660 Millionen DM vor. Damit werden die Rahmbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Selbständige wesentlich verbessert. Es besteht die berechtigte Hoffnung, daß die Zahl der Selbständigen außerhalb der Landwirtschaft weiter zunehmen wird. Ihre Zahl hat sich schon in den Jahren 1977 und 1978 um rund 20 000 erhöht.
Besonderes Augenmerk richten wir auf Regionen mit besonderen Strukturproblemen. Beschäftigungsprobleme, die sich aus Umstrukturierungs- und Anpassungsprozessen wichtiger Wirtschaftsbereiche ergeben, wollen wir nötigenfalls durch Investitionshilfen und wachstumsfördernde Maßnahmen erleichtern.
Die Daten der wirtschaftlichen Entwicklung im norddeutschen Raum, im Ruhrgebiet und im Saarland zeigen, daß das Instrumentarium der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung" den Anforderungen des Strukturwandels nicht immer voll entspricht. Wir werden deshalb, sobald die Gutachten zur Neugestaltung der regionalen Wirtschaftsförderung ausgewertet sein werden, mit allen Beteiligten, insbesondere also mit den Ländern, sprechen, um das Instrumentarium auf die Anforderungen der Zukunft zuzuschneiden und es stärker auf die Problemgebiete zu konzentrieren.
Erheblich sind auch die Aufwendungen des Bundes für jene Wirtschaftszweige, die wegen ihrer räumlichen Konzentration für die Wirtschaftskraft und die Beschäftigung größerer Regionen von entscheidender Bedeutung sind: Schiffahrt und Werften für die Küste, Kohle und Stahl für das Ruhrgebiet und für das Saarland. Die Bundesregierung hat im Zusammenwirken mit den Ländern Initiativen ergriffen, um den betroffenen Unternehmen die erforderlichen Anpassungs- und Modernisierungsprozesse zu erleichtern und damit Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern.
Für die Werften sind von 1979 bis 1983 Hilfen des Bundes von über 1,5 Milliarden DM vorgesehen, die notwendig sind, um annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen deutschen Werften und ihren ausländischen Wettbewerbern herzustellen. Die Hilfen des Bundes tragen auch dazu bei, die Produktionsstruktur der Werf ten durch Spezialisierung und durch Aufnahme neuer Fertigungen zu erweitern.
Von den Maßnahmen, für die wir im Haushalt 1980 und im Finanzplan bis 1983 Vorsorge getroffen haben, entfallen rund 1 Milliarde DM auf das Ruhrgebiet. Damit werden die Anstrengungen des Landes Nordrhein-Westfalen zur Lösung der Strukturprobleme des Ruhrgebietes unterstützt.
Auch das Saarland steht wegen seiner einseitig ausgerichteten Wirtschaftsstruktur vor der Notwendigkeit tiefgreifender Anpassungsprozesse. Zur Erleichterung der Umstrukturierung werden neben den allgemeinen Hilfen Investitionszuschüsse zur Modernisierung und Umstrukturierung der Produktionsanlagen der saarländischen Stahlindustrie zur Verfügung stehen.
Das arbeitsmarktpolitische Programm der Bundesregierung vom 16. Mai schafft in Arbeitsamtsbezirken mit einer Arbeitslosenquote von mehr als 6 % zusätzliche Handlungsmöglichkeiten zum Abbau vorwiegend struktureller Arbeitslosigkeit.
Die Förderung Berlins hat weiterhin besonderen Vorrang. Die Leistungen des Bundes werden 1980 erneut kräftig erhöht.
Die Bundeshilfe zum Berliner Haushalt steigt nach unserem Vorschlag um 755 Millionen DM auf nahezu 9,2 Milliarden DM; sie erhöht sich damit überproportional um 9 %. Sie trägt zur Festigung der Wirtschaftskraft Berlins und zur Sicherung der Arbeitsplätze bei. Nach den Jahren 1976 und 1977 hat Berlin nunmehr den Anschluß an die positive Wirtschaftsentwicklung im Bundesgebiet wieder erreicht.
Der Bund leistet zusätzlich einen finanziellen Ausgleich für den Abbau der Gewerbesteuer in Berlin. Der steuerliche Präferenzvorsprung Berlins vor anderen Fördergebieten wird aufrechterhalten.
Die Arbeitsaufnahme in Berlin wird durch eine Verstärkung der finanziellen Anreize für westdeutsche Arbeitnehmer und durch den Bau zusätzlicher Wohnungen für Fachkräfte gefördert.
Die Lage Berlins erfordert erhebliche Aufwendungen zur Erleichterung des Transitverkehrs durch die DDR. Hierfür sind 868 Millionen DM vorgesehen. Neben der Transitpauschale wird vor allem der Bau der Autobahn Berlin-Hamburg finanziert, außerdem Reparaturen an den Transitwasserstraßen und Baumaßnahmen zur Öffnung des TeltowKanals. Damit erfährt die Verkehrserschließung Berlins eine wesentliche Verbesserung.
Von großer Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes in allen seinen Regionen, für die Bewältigung der Energieproblematik und für die menschengerechte Gestaltung der Lebensbedingungen in unseren Städten und Gemeinden ist die Weiterentwicklung unserer Verkehrssysteme.
Bei steigenden Mineralölpreisen erweist es sich heute als eine richtige Investition in die Zukunft, daß wir die Bundesbahn über eine lange Durststrecke hinweg mit hohen Subventionen lebensfähig erhalten haben.
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Wir werden die Bundesbahn weiterhin darin unterstützen, ihre Leistungsfähigkeit und die eigene Ertragskraft durch Investitionen, aber auch durch Rationalisierungen, Organisationsstraffungen und Konzentrationen zu verbessern.
Der Haushaltsentwurf sieht Investitionszuschüsse in Höhe von rund 4,2 Milliarden DM vor. Mit weiteren Leistungszuschüssen in Höhe von 8,3 Milliarden DM und der Liquiditätshilfe in Höhe von 1,2 Milliarden DM soll die Verschuldung der Bundesbahn mit etwa 32 Milliarden DM auf dem jetzigen Stand gehalten werden. Es gibt keinen anderen Weg, als die schrittweise Konsolidierung fortzuführen, um die Bundesbahn auch für die Zukunft, wenn das 01 noch knapper und noch teurer geworden sein wird, funktionsfähig zu erhalten.
Gewichte und Zuordnungen von öffentlichen Verkehrsangeboten im Personennahverkehr, im Personenfernverkehr und im Gütertransport zu den Möglichkeiten und Grenzen des individuellen Kraftfahrzeugverkehrs werden sich nicht nur wegen der steigenden 01- und Benzinpreise verändern müssen, sondern auch im Hinblick auf den Verkehrslärm in den Wohngebieten, auf das Ziel, wieder menschliche Innenstädte zu haben, auf zunehmende Verkehrsstaus und die erkennbar werdenden Grenzen für einen ständigen Ausbau der Straßennetze.
Der Ausbau des Straßennetzes wird im Vergleich zu früheren Jahren quantitativ gebremst und stärker auf qualitative Ziele hin orientiert. Größeres Gewicht bekommen Substanzerhaltung, qualitative Verbesserungen, gezielter Ausbau zur Beseitigung von Unfallquellen, Beseitigung von Bahnübergängen, Bau von Ortsumgehungen zur Entlastung von Wohngebieten und Bekämpfung des Verkehrslärms.
Ein längerfristiges Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Verkehrslärms setzt an der Quelle an, fördert die Entwicklung leiserer Kraftfahrzeuge und sieht zugleich die stufenweise Verschärfung der Zulassungsgrenzwerte im europäischen Rahmen vor. Daneben werden Modellvorhaben der Verkehrsberuhigung in Wohnbereichen gefördert.
Bei der Bekämpfung des Verkehrslärms, der besseren Einordnung des Straßenverkehrs in städtebauliche Entwicklungen und bei einer umweltbewußteren Raumordnung müssen alle Ebenen unseres Staates zusammenarbeiten. Gemeinden und Gemeindeverbände haben zu Recht darauf hingewiesen, welche städtebaulichen Fehlentwicklungen mit einem Lärmbekämpfungskonzept verbunden wären, das ohne Rücksicht auf Wohnqualität und soziale Strukturen den bisherigen Straßenverkehr hinter
Schallschutzwänden einschließen und Wohnungen mit Schallschutzfenstern gewissermaßen „isolieren" würde. Bund, Länder und Gemeinden müssen zusammenwirken, um den Verkehrslärm in einem überschaubaren Zeitraum deutlich zu vermindern, um Fehlentwicklungen im Städte- und Wohnungsbau zu verhindern und um unsere Städte lebenswerter zu gestalten.
Ein leistungsfähiges Bildungs- und Ausbildungssystem ist eine wichtige Voraussetzung für die Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels und zur Wahrung unseres Lebensstandards. Wegen der stürmischen Entwicklung auf dem Gebiet der Fertigungstechnologien und der Veränderung in der Produkt- und Angebotsstruktur haben sich Arbeitsplatzanforderungen und Ausbildungsvoraussetzungen drastisch geändert. Die Sicherung der Beschäftigung kann nur bei ausreichender beruflicher Flexibilität und Mobilität des einzelnen erreicht werden. Garantien für die dauerhafte Sicherung einzelner Arbeitsplätze kann es nicht geben. Allerdings dürfen die Folgen strukturellen Wandels nicht auf den einzelnen Arbeitnehmer abgewälzt werden.
Das Ausbildungsplatzförderungsgesetz hat zum Abschluß neuer Ausbildungsverträge geführt. Mit einem besonderen Programm schaffen wir neue überbetriebliche Ausbildungsplätze. Der Bund beteiligt sich am Ausbau der beruflichen Schulen. Die Förderung der beruflichen Bildung wurde durch die Einbeziehung von 70 000 Schülern in der
) zehnten Klasse der Berufsfachschulen und im schulischen Berufsgrundbildungsjahr in die Förderung nach dem Ausbildungsförderungsgesetz abgesichert. Unsere Bildungspolitik hat die realen Bildungschancen der Jugendlichen und damit ihre tatsächlichen Freiheitsräume erweitert.
Das enger geknüpfte Netz der sozialen Sicherheit hat natürlich auch zu einem steigenden finanziellen Engagement geführt. 1970 betrug der Anteil des Sozialbudgets an den Bundesausgaben rund 30 v. H.; 1980 werden es, wie übrigens auch in diesem Jahr, über 35 v. H. sein. Im Haushalt 1980 sind 76 Milliarden DM für Sozialleistungen vorgesehen. Damit wird ein Sozialsystem finanziert, das die 'soziale Gerechtigkeit in unserem Lande entscheidend verbessert und zugleich den Freiheitsraum der einzelnen Bürger erweitert.
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Unsere soziale Sicherung hat sich vorbildlich bewährt. Wer auf Solidarität in besonderer Weise angewiesen ist - Alte, Hinterbliebene, Schwerbehinderte, kranke Menschen, Arbeitslose -, empfindet die Sozialleistungen nicht als Beschränkung seiner Freiheit und auch nicht als Beschränkung der persönlichen Verantwortungsbereitschaft.
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Soziale Sicherheit bedeutet für Millionen alter, kranker, pflegebedürftiger Menschen Freiheit von Existenzangst und eine Verbesserung ihrer Lebensmöglichkeiten.
Aber auch für die Menschen, die heute einen Arbeitsplatz haben, die heute gesund und jung sind, bedeutet soziale Sicherheit nicht Einschränkung von Freiheit, sondern Schutz vor materieller Not und die Gewißheit einer sozialen Solidarität, auf der sie ein freies Leben aufbauen können.
Die Finanzlage der Rentenversicherung hat sich infolge des Wirtschaftsaufschwungs und der mit dem Zwanzigsten und Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz getroffenen Maßnahmen entspannt. Die Rentner werden auch künftig an den Erfolgen der wirtschaftlichen Entwicklung und am steigenden Lebensstandard teilhaben.
Die Bundesregierung hat das Instrumentarium der Arbeitsmarktpolitik weiter ausgebaut, um den Problemgruppen unter den Arbeitslosen, den Behinderten, den älteren Arbeitnehmern, den beruflich weniger Qualifizierten und der großen Gruppe der Frauen, die eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit aufweisen, besser bei ihrer Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß zu helfen.
Mit der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes steht ein erweitertes Instrumentarium zur Verfügung, um die Qualifizierungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer zu verbessern und ihre Vermittlungsfähigkeit durch Bildungsmaßnahmen zu stärken. Das arbeitsmarktpolitische Sonderprogramm vom Mai dieses Jahres wird in den Problemregionen zum Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit beitragen.
1980 werden sich erstmals mit einem vollen Jahresbetrag die 1979 in Kraft getretenen sozialen Leistungen auswirken: die Einführung des Mutterschaftsurlaubs zum 1. Juli, die Aufstockung des Zweitkindergeldes und die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten im öffentlichen Personennahverkehr.
Die Verbesserung des Kindergeldes und des Mutterschutzes, die Einrichtung von Unterhaltsvorschußkassen sowie die Reform des Jugendhilferechts bedeuten erhebliche weitere Fortschritte in der Jugend- und Familienpolitik.
Mit der 1979 in Kraft getretenen Erhöhung des Kindergeldes wurde die Reform des Familienlastenausgleichs fortgesetzt. Das Kindergeld beträgt nunmehr monatlich 50 DM für das erste, 100 DM für das zweite und 200 DM für das dritte und jedes weitere Kind. Der Kindergeldaufwand im Haushalt erhöht sich um 2,3 Milliarden DM auf 17,3 Milliarden DM.
Der Mutterschaftsurlaub wird vor allen Dingen den jungen Familien helfen. Arbeitnehmerinnen können im Anschluß an die achtwöchige Schutzfrist nach der Geburt einen zusätzlichen viermonatigen Urlaub beanspruchen. Während dieser Zeit erhält die Mutter ein Mutterschaftsgeld in Höhe ihres bisherigen Nettolohns bis zur Höhe von 750 DM monatlich aus dem Bundeshaushalt und bleibt beitragsfrei sozialversichert. Die junge Mutter kann sich in den ersten sechs Monaten nach der Geburt ohne berufliche Belastung ihrem Kinde widmen.
Zum 1. Januar 1980 tritt das Unterhaltsvorschußgesetz in Kraft. Es hilft, wenn sich ein Elternteil den Zahlungsverpflichtungen gegenüber einem unterhaltsberechtigten Kind entzieht oder aus einem sonstigen Grund Unterhaltszahlungen ausfallen.
In jüngster Zeit ist das Bewußtsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung einer kinderfreundlichen Umwelt gewachsen. Es gilt, den alltäglichen Lebensraum der Kinder in Bereichen wie Schule, Verkehr, Wohnung und Kindergärten zu erweitern und kinderfreundlicher zu gestalten.
Neben der Familie gilt unsere besondere Sorge weiterhin den sozial schwachen oder benachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft wie z. B. Ausländerkindern, Strafgefangenen, Behinderten, psychisch Kranken, Drogensüchtigen, um nur einige Gruppen zu nennen.
Für die Behinderten setzen wir die Politik des besonderen Schutzes und der Rehabilitation fort. Ab 1980 wird das Vermögen der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" um insgesamt 170 Millionen DM aufgestockt. 50 Millionen DM kommen allen Behinderten durch Förderung von Eingliederungsmaßnahmen zugute.
Die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet der Betreuung der psychisch Kranken ist begrenzt. Im Rahmen des Möglichen wollen wir einen Beitrag zur besseren Versorgung psychisch Kranker und Behinderter leisten. Modellvorhaben sollen es den Ländern erleichtern, insbesondere Einrichtungen im komplementären und rehabilitativen Bereich zu entwickeln sowie zu einer humaneren Krankenhausversorgung beizutragen. Dafür sind 1980 70 Millionen DM und in den folgenden Jahren je 100 Millionen DM vorgesehen.
Wir werden unsere Bemühungen zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs verstärken. Die Einfuhr von Drogen muß spätestens an unseren Grenzen gestoppt werden. Die Förderung von Modellberatungsstellen wollen wir in vollem Umfang weiterführen.
Die Landwirtschaft ist voll in das System unserer sozialen Sicherung integriert. Wichtigste Stufen im Ausbau der landwirtschaftlichen Sozialpolitik waren die Einführung einer Pflichtkrankenversicherung für Landwirte 1972 und die Dynamisierung der landwirtschaftlichen Altersgelder seit 1974. Wir sehen 3,5 Milliarden DM für die Agrarsozialpolitik vor. Das ist mehr als die Hälfte der Ausgaben für diesen Einzelplan.
Verbessert wird auch die soziale Sicherung der selbständigen Künstler und Publizisten. Der dem Bundestag zugeleitete Gesetzentwurf über die Einführung einer Künstlersozialversicherung bezieht diesen Personenkreis in den Schutz der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ein. Die Bundesregierung regt damit an, die zur Zeit nur für einen Teil der künstlerisch Tätigen bestehende Renten- und Krankenversicherungspflicht auf alle selbständigen Künstler und Publizisten auszudehnen. Wir rechnen, daß dieser Schutz 50 000 neuen Versicherten in der Rentenversicherung und 20 000 bis 30 000 in der Krankenversicherung zugute kommen wird.
Wenn wir über Aussichten und Aufgaben der Zukunft, über Chancen und Risiken sprechen, müssen wir heute mehr als je zuvor über den Rahmen des eigenen Landes hinaus denken. Wirtschaftliches Wachstum, Umweltschutz, technische mid gesellschaftliche Entwicklungen und die Bewahrung des Friedens können nur noch weltweit gesichert und gestaltet werden. Die Überwindung menschlicher Not und die Beseitigung entwicklungshemmender Strukturen in Asien, Afrika und Lateinamerika sind vielleicht die wichtigste Aufgabe der Zukunft.
Erfindungsreichtum, Leistungskraft und Hilf s-quellen müssen für ein sinnvolles und allen Menschen nützendes Wachstum eingesetzt werden, anstatt sie für militärische Rüstung zu verschwenden.
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Es wäre zwar illusionär, zu glauben, dauerhafter Frieden könne durch einseitiges Abrüsten gesichert werden, es gibt aber Anlaß zur Besorgnis, daß Wettrüsten als notwendiger Teil nationaler Souveränität begriffen wird und daß nukleare Waffensysteme weitere Verbreitung finden. Deshalb ist eine zielstrebige, beharrliche, geduldige Politik der Begrenzung des Wettrüstens und, wenn möglich, der kontrollierten Abrüstung wichtiger als je zuvor.
({23})
Die Bundesrepublik ist .ein verläßlicher Partner des westlichen Verteidigungsbündnisses. Unser Beitrag zu den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen ist beträchtlich.
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Die Bundesregierung tut aber auf der Grundlage dieser Freiheitssicherung alles, um weltweit weiterhin einen grundsätzlich auf Entspannung und Friedensbewahrung gerichteten Kurs auch anderer Machtblöcke zu ermöglichen. Nur auf der soliden Grundlage eines militärischen Gleichgewichts wird die westliche Allianz ihre Bemühungen um Entspannung erfolgreich weiterführen können. Ich bedanke mich übrigens für den Zwischenruf. Das war die erste Forderung nach mehr Ausgaben. Ich werde weitere Forderungen nach mehr Ausgaben im Laufe der Debatte gern registrieren.
Für die militärische Verteidigung sieht der Entwurf 1980 38,4 Milliarden DM vor. Das ist nach den Ausgaben für die soziale Sicherung der zweitgrößte Ausgabenblock. Der Verteidigungshaushalt erlaubt es, die Modernisierung der Ausrüstung der Bundeswehr fortzusetzen und eine Reihe von Verbesserungen im personellen Bereich durchzuführen.
Die Ausgaben für die zivile Verteidigung werden aufgestockt. Damit können wir den Schutzraumbau verstärken und den Katastrophenschutz besser ausstatten.
Die Entwicklungspolitik ist immer mehr in den Mittelpunkt der internationalen Politik gerückt. Die Überwindung des Nord-Süd-Grabens ist nicht
nur eine Herausforderung an die menschliche Solidarität. Sie ist auch, zumindest längerfristig, eine unverzichtbare Voraussetzung zur Bewahrung des Friedens in der Welt.
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Wir sind zu verstärkten Anstrengungen bereit, um die wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt zu verbessern. Wir werden die Ausgaben für die Entwicklungshilfe kräftig aufstocken. Die Ausgaben des Einzelplans 23 steigen um weit mehr als das Doppelte des Gesamthaushalts, nämlich um 12,5 % Eine gleich hohe jährliche Steigerung ist im Finanzplan bis 1983 vorgesehen. Wir werden vor allen Dingen die Hilfe für besonders bedürftige Entwicklungsländer weiter erhöhen und besondere Anstrengungen unternehmen, um die Aufnahmefähigkeit der Empfängerländer, ihre Planungs- und Verwaltungskapazitäten noch zu verbessern. Dazu wird in verstärktem Maße technische Hilfe eingesetzt.
Inzwischen hat sich weltweit die Einsicht durchgesetzt, daß Entwicklung bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen ansetzen muß. Die Menschen müssen durch eigene produktive Arbeit ihre Lebensverhältnisse verbessern können. Die Entwicklung arbeitsintensiver, den Bedingungen in den Entwicklungsländern angepaßter Technologien kommt deshalb besondere Bedeutung zu, wie auf der Wiener Konferenz über den Transfer von Technologien in die Dritte Welt wieder deutlich wurde. Wir werden die Entwicklung situationskonformer Technologien künftig mit noch größerem Vorrang fördern.
Zur Entwicklungspolitik gehört nicht nur finanzielle und technische Entwicklungshilfe, sondern auch handelspolitische Zusammenarbeit. Die neuen Industrien der Dritten Welt dringen zunehmend in traditionelle Absatzmärkte der Industrieländer ein. Diese Entwicklung verstärkt den Druck auf die Industrieländer, in besonderem Maße natürlich auf die exportabhängige Bundesrepublik, die durch Entwicklung und Andwendung neuer Technologien den Export auf jenen Gebieten verstärken muß, auf denen wir neue Chancen wahrnehmen können. Ein offener Welthandel und der Verzicht auf die vielfältigen Formen des Protektionismus sind die besten Voraussetzungen für einen Interessenausgleich zwischen den Industrieländern und den Ländern der Dritten Welt.
({26})
Die Entwicklungsländer wissen, daß die Bundesrepublik zu jenen Staaten gehört, die sich mit Nachdruck für den Abbau des internationalen Handelsprotektionismus einsetzen. Mit dem Ergebnis der GATT-Verhandlungen haben wir dem Protektionismus eine klare Absage erteilt und wesentliche Fortschritte bei der Liberalisierung des Welthandels gemacht.
Die Weltöffentlichkeit wird gegenwärtig von dem menschlichen Leid von Zehntausenden von Flüchtlingen aus Indochina erschüttert. Wenn Menschen in Lebensgefahr geraten, muß schnell
praktische Hilfe geleistet werden. Wir sind bereit, alle Flüchtlinge aufzunehmen, die von Schiffen unter deutscher Flagge geborgen werden und die in kein drittes Land einreisen können. Wir haben uns im laufenden Jahr an der internationalen Hilfe für die Indochina-Flüchtlinge mit 13 Millionen DM beteiligt. Auch 1980 werden wir die Hilfen für die Vietnamflüchtlinge in dem erforderlichen Umfang fortsetzen. Unter den gegenwärtigen Umständen kommt eine Entwicklungshilfe an Vietnam nicht in Betracht.
({27})
Viele Bürger in unserem Land und private Organisationen haben spontan Hilfsbereitschaft und Opferbereitschaft gezeigt. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung.
({28})
Die bisherigen Anstrengungen, die politische und wirtschaftliche Integration Europas zu erreichen, haben in Europa die Verbindung zwischen den Bürgern über die Grenzen hinweg gestärkt. Der weitere Ausbau der Gemeinschaft dient dem Interesse aller Mitgliedstaaten. Eine handlungsfähige Gemeinschaft ist ein stabilisierender Faktor in der Weltpolitik. Unsere Europapolitik ist deshalb ein Beitrag zum Abbau der weltweiten Spannungen.
Was den Haushalt der Gemeinschaft angeht, so hat gestern der Europäische Rat den Haushaltsentwurf für 1980 mit einem Umfang von gut 38 Milliarden DM beschlossen. Wir haben für den EG-Haushalt 1980 im Entwurf des Bundeshaushalts 12,2 Milliarden DM vorgesehen. Die Mehrwertsteuereinnahmen, die wir vom Bundeshaushalt auf die Gemeinschaft übertragen, sind auf 1 % einer einheitlichen Bemessungsgrundlage begrenzt. Wegen des starken Anstiegs der EG-Ausgaben ist der Zeitpunkt absehbar, in dem diese Grenze erreicht sein wird. Daher ist es nicht überraschend, daß die Europäische Kommission überlegt, die Voraussetzungen für eine Aufstockung der EG-Mittel zu schaffen. Ich bin in dieser Frage sehr zurückhaltend. Auch die EG muß lernen, mit knappen Mitteln auszukommen. Wir begrüßen es daher, daß der Deutsche Bundestag an dieser Begrenzung festhalten will. Eine allgemeine Kreditfinanzierung des EG-Haushalts wird zwar von manchen als Ausweg angestrebt, sie wäre aber eine gefährliche Entwicklung, die nicht ohne Grund im EWG-Vertrag nicht vorgesehen ist. Wir müssen auch in Brüssel noch stärker als bisher den Sinn für finanzpolitische Realitäten wecken und an den EG-Haushalt dieselben strengen Maßstäbe anlegen wie an die Gestaltung unseres eigenen Haushalts.
({29})
Im Zusammenhang mit der Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts möchte ich noch einmal auf die große europapolitische Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der 6. Mehrwertsteuerrichtlinie hinweisen. Es gibt in Europa kein Verständnis dafür, daß die Frage, ob als Geltungsbereich des Gesetzes das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 ({30}) ins Gesetz geschrieben werden soll, den nächsten
Schritt im europäischen Einigungsprozeß blokkiert.
({31})
Der zweite Nachtragshaushalt 1979 mit einem Ausgabevolumen von 1,4 Milliarden DM, den Ihnen die Bundesregierung heute vorlegt, steht in Einklang mit unserem Ziel einer konjunkturgerechten Konsolidierung der Staatsfinanzen. Während wir im Frühsommer noch von einer Erhöhung des Ausgaberahmens für 1979 um rund i Milliarde ausgegangen waren, werden die notwendigen Mehrausgaben nunmehr in vollem Umfang durch Minderausgaben ausgeglichen. Somit bleibt es bei dem bisherigen Ausgaberahmen des Bundes für 1979 von 203,9 Milliarden DM. Der volle Ausgleich des Mehrbedarfs durch Einsparungen ist vor allem durch die deutliche Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt möglich geworden. Der Rückgang der Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter hat den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit entlastet. Die nach der Steuerschätzung vom Mai für 1979 zu erwartenden Steuermehreinnahmen von 2,3 Milliarden DM können also ungeschmälert zur Verringerung des Kreditbedarfs eingesetzt werden. Insgesamt haben wir damit den Kreditbedarf des Bundes für 1979 gegenüber dem damaligen Regierungsentwurf, der seinerzeit 35,5 Milliarden DM vorsah, um rund ein Fünftel vermindert. Damit unterstreichen wir den festen Willen der Bundesregierung zur Fortsetzung einer Politik der flexiblen Haushaltsfinanzierung zur Sicherung der Arbeitsplätze bei Preisstabilität.
Einer der Schwerpunkte des zweiten Nachtragshaushalts 1979 ist der Energiebereich.
Wir wollen möglichst schnell zu einer Auszahlung des Heizölkostenzuschusses gelangen. Deshalb ist hierfür bereits für 1979 ein Teilbetrag von etwa 80 Millionen DM vorgesehen. Insgesamt werden Bund und Länder hierfür 475 Millionen DM aufwenden, um einkommenschwächeren Mitbürgern den Druck der gestiegenen Heizölkosten ein wenig zu erleichtern. Davon entfallen auf den Bund zwei Drittel, auf die Länder ein Drittel.
Bei der Kokskohlenbeihilfe ist eine Aufstockung erforderlich, weil sich in der Zwischenzeit ein größerer Preisunterschied zwischen inländischer und Drittlandkohle ergeben hat. Damit erhöhen sich die Gesamtaufwendungen hierfür 1979 auf rund 1,5 Milliarden DM. Davon trägt das Land Nordrhein-Westfalen ein Drittel. Mit diesem Betrag sichern wir dem Kohlebergbau einen kostendeckenden Preis. Dies entspricht unserer Politik, die Kohle als unsere einzige große heimische Energiequelle vorrangig zu stärken und zu entwickeln.
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Der Sicherung unserer Energieversorgung dient auch die Kapitalerhöhung der VEBA, an der sich der Bund mit bis zu 320 Millionen DM beteiligen wird. Aufgestockt werden schließlich Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für die Energieforschung und -entwicklung, insbesondere auf dem
Gebiet der nuklearen Entsorgung und der nichtnuklearen Energien.
25 Millionen DM erhält die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zur verstärkten Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie und für unterstützende soziale Maßnahmen.
Der zweite Schwerpunkt ergibt sich aus den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik. An der von der OECD koordinierten kurzfristigen Hilfsaktion für die Türkei beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland mit 380 Millionen DM. Für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland werden weitere 21 Millionen DM bereitgestellt, um die Lage der Flüchtlinge in Südotsasien zu verbessern.
Von diesen Schwerpunkten abgesehen hat sich ein Mehrbedarf von 70 Millionen DM für Deutschlehrgänge für Aussiedler ergeben. Die Förderung des Luftreiseverkehrs nach Berlin erfordert weitere 22 Millionen DM. Zur Gasölverbilligung für die Landwirtschaft werden 70 Millionen DM benötigt, die allerdings für Ausgaben aus dem Jahre 1977 verwandt werden.
Ich fasse zusammen. Die Bundesregierung legt dem Parlament einen Haushalt vor, der. rechtzeitig vor Beginn des neuen Haushaltsjahres verabschiedet werden kann. Es ist ein Haushalt, der sich an den absehbaren konjunktur- und strukturpolitischen Notwendigkeiten orientiert. Er stellt auf der Grundlage einer soliden Finanzierung Mittel bereit und sieht Maßnahmen vor, die die Fortsetzung unserer erfolgreichen, an Wiedererlangung und Sicherung der Vollbeschäftigung orientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik ermöglichen. Der Haushaltsentwurf spiegelt die großen Anstrengungen wider, die die sozialliberale Koalition für die Sicherung von Wachstum und Wohlstand unseres Landes auch in Zukunft unternimmt. Er setzt den sozialpolitischen Kurs der Koalition unbeirrt fort und honoriert damit das berechtigte Vertrauen der Bevölkerung in den ungeschmälerten Bestand unserer sozialen Sicherung. Der Haushaltsentwurf bekräftigt unseren Willen, als guter Nachbar friedlich an der Lösung der weltpolitischen Probleme mitzuwirken, als Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses mit der Absicht, gutnachbarliche Beziehungen zu allen Ländern auf- und auszubauen, als engagierte Verfechter der europäischen Einigung, als, solidarische Partner der Entwicklungsländer.
Ich bitte den Deutschen Bundestag, dem Bundeshaushalt 1980 und auch dem zweiten Nachtragshaushalt 1979 nach gründlicher Prüfung seine Zustimmung zu geben. Für Ihre Arbeit am Haushalt 1980 und am zweiten Nachtragshaushalt 1979 möchte ich Ihnen die Unterstützung der Beamten und der politisch Verantwortlichen des Bundesfinanzministeriums und der anderen Ressorts der Bundesregierung anbieten. Gemeinsam wird es uns gelingen, diesen Haushalt im Interesse unseres Volkes zu einer guten Grundlage für die Politik des Jahres 1980 zu machen.
({33})
Meine Damen und Herren, die Einbringung des Haushaltsentwurfs 1980 erstreckte sich auch - Sie haben es ja vom Herrn Bundesminister der Finanzen gehört - auf den Entwurf eines Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes, Drucksache 8/3099. Die Aussprache über die beiden Gesetzentwürfe und den Finanzplan wird in der morgigen Sitzung, wie interfraktionell vereinbart, miteinander verbunden. Nach der Aussprache darüber werden morgen auch die Punkte 4 bis 14 aufgerufen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten
Die sozialdemokratische Fraktion hat mit Schreiben vom 11. September 1979 den Vorschlag gemacht, das Mitglied des Deutschen Bundestages, Georg Leber zum Stellvertreter des Präsidenten des Deutschen Bundestages zu wählen. Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auf Abstimmung mit verdeckten Stimmzetteln verzichtet werden. Ist das Haus mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? Ich bitte um Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und. Herren, ich bitte nun diejenigen, die den vorgeschlagenen Kandidaten wählen wollen, um ein Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Damit ist der vorgeschlagene
Kandidat, das Mitglied des Hauses Georg Leber,
bei einer Stimmenthaltung, im übrigen einstimmig,
({0})
zum Stellvertreter des Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt worden. Die Zahl der Mitglieder des Hauses wird nach Übereinstimmung des Präsidiums der nach § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung erforderlichen Zahl gerecht.
Ich frage den Herrn Abgeordneten Leber, ob er die Wahl annimmt.
Ich nehme die Wahl an, Herr Präsident.
({0})
Ich übermittle Ihnen die herzlichsten Glückwünsche des Hauses und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit.
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Meine Damen und Herren, ich darf für die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU noch die Mitteilung machen, daß die Fraktion im Anschluß an die Plenarsitzung eine Fraktionssitzung abhält.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.